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German Pages 1792 Year 2018
Habersack/Mülbert/Schlitt
Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt
Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt herausgegeben von
Prof. Dr. Mathias Habersack Prof. Dr. Peter O. Mülbert Prof. Dr. Michael Schlitt Bearbeiter siehe nächste Seite
4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage
2019
Bearbeiter Stefan Albrecht Managing Director Equity Advisory, Frankfurt a.M.
Dr. Johannes Frey, LL.M. (Georgetown) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Gabriele Apfelbacher, LL.M. (Columbia Law School) Rechtsanwältin, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.)
Marc Christian Gei, LL.M. (Münster) Rechtsanwalt und Banksyndikus, Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Michael Arnold Rechtsanwalt, Stuttgart
Dr. Martin Geiger, LL.M. (Michigan) Rechtsanwalt, London und Frankfurt a.M. Advokat (Schweden)
Dr. Thomas van Aubel Rechtsanwalt, Berlin Dr. Peter Becker Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Christoph L. Gleske Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Thomas Berghammer, LL.M. (Wolverhampton) Rechtsanwalt, Wien
Kai Göhring Syndikusrechtsanwalt Managing Director, Frankfurt a.M.
Eva-Maria Bernauer Notarin, Eschenbach i.d.OPf.
Eyke Grüning, LL.M. (Münster) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Carsten Berrar, LL.M. (Harvard) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Hendrik Haag Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Johannes K. Borsche Senior Vice President, Head of Corporate Finance, Frankfurt a.M. Dr. Gottfried E. Breuninger Rechtsanwalt, München Dr. Hans Diekmann Rechtsanwalt, Düsseldorf Dr. Lukas Fahrländer Postdoc Universität Zürich Dr. Wolfgang Feuring Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Mathias Habersack Universitätsprofessor Universität München Dr. Louis Hagen Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender, München Dr. Herbert Harrer, LL.M. (Columbia University) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.) Dr. Achim Herfs, LL.M. (Cornell) Rechtsanwalt, München Attorney at Law (N.Y.)
Bearbeiter Holger Hirschberg Syndikusrechtsanwalt, Frankfurt a.M. Tobias Hoffmann-Becking Managing Director Debt Advisory and Restructuring, Frankfurt a.M. Dr. Stephan Hutter Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.) Christopher Johannson Associate Director Equity Capital Markets Frankfurt a.M. Dr. Jürgen Kammerlohr, M.C.L. Chief Financial Officer Zürich Dr. Katja Kaulamo Rechtsanwältin, Frankfurt a.M.
Uta Kunold Rechtsanwältin in Frankfurt a.M. Heiko Leopold Director Equity Capital Markets, Frankfurt a.M. Stefan Maassen Director Equity Capital Markets Frankfurt a.M. Sebastian Maerker, LL.M. (NYU) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.) Dr. Andreas Meyer Rechtsanwalt, Syndikusrechtsanwalt Königstein im Taunus Dr. Asmus Mihm Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Frankfurt a.M.
Dr. Florian Khol Rechtsanwalt, Wien
Andreas Mildner Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Frankfurt a.M.
Christian Kolodinski Director, Equity Advisory Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Peter O. Mülbert Universitätsprofessor Universität Mainz
Dr. Thomas Kopp, LL.M. (Duke University) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Dr. Robert Müller Rechtsanwalt und Banksyndikus, Frankfurt a.M.
Dr. Rainer Krause, LL.M., S.J.D. (Pennsylvania) Rechtsanwalt, Düsseldorf
Peter Nägele Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.)
Dorothea Kreymborg, LL.M. (McGill) Syndikusrechtsanwältin, Frankfurt a.M.
Joanna M. Pabélick, LL.M. (Düsseldorf) Rechtsanwältin, Luxemburg
Markus E. Kronauer Rechtsanwalt, dipl. Steuerexperte, Zürich
Philipp von Ploetz Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.
Bearbeiter Dr. Achim Schäcker Managing Director Equity Capital Markets Frankfurt a.M. Prof. Dr. Michael Schlitt Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Honorarprofessor Universität zu Köln Susanne Schröter Director, Equity Capital Markets Frankfurt a.M. Dr. Christoph Schücking Rechtsanwalt und Notar, Frankfurt a.M. Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Honorarprofessor Universität Mannheim Dr. Oliver Seiler, LL.M. (Cornell) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Dr. Bernd Singhof, LL.M. (Cornell) Rechtsanwalt in Frankfurt a.M.
Thomas Thurner Managing Director, Equity Capital Markets, London Christoph Trapp Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Christoph F. Vaupel, LL.M. (corporate) (NYU) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Attorney at Law (N.Y.) Dr. Christian Weber Rechtsanwalt und Chefsyndikus, Frankfurt a.M. Maître en Droit Dr. Philippe A. Weber, LL.M. (EUI) Rechtsanwalt, Zürich Priv.-Doz. Dr. Thomas Werlen, LL.M. (Harvard) Rechtsanwalt in Zürich Attorney at Law (N.Y.) Dr. Ann-Katrin Wilczek Rechtsanwältin, Frankfurt a.M.
Carsten Stäcker Partner, Equity Advisory Frankfurt a.M.
Karsten Wöckener, LL.M. (Suffolk University Boston) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Solicitor (England and Wales)
Hans Stamm Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, München
Thomas Wohlgefahrt Director Equity Capital Markets Frankfurt a.M.
Steffen Steup Richter am LG, Wiss. Mit. am Hessischen Staatsgerichtshof, Wiesbaden
Dr. Christoph Wolf, LL.M. (LSE) Rechtsanwalt, Frankfurt a.M. Maître en Droit
Dr. Stefan Sulzer, LL.M. (Michigan) Rechtsanwalt (Zürich) Attorney at Law (N.Y.)
Zitierempfehlung: Verfasser in Habersack/Mu¨lbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Ko¨ln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-9 43 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-40097-2 ª 2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Ko¨ln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung, die nicht ausdru¨cklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere fu¨r Vervielfa¨ltigungen, Bearbeitungen, ¨ bersetzungen, Mikroverfilmungen und die EinspeicheU rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und sa¨urefrei, alterungsbesta¨ndig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Scha¨per, Bonn Druck und Verarbeitung: Ko¨sel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Wiederum fünf Jahre nach Erscheinen der Vorauflage erscheint dem Verlag und den Herausgebern die Zeit für eine Neuauflage der „Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt“ gekommen. Anlass gaben insbesondere zahlreiche Reformgesetze, die nach Erscheinen der Vorauflage in Kraft getreten sind und die das Recht der Unternehmensfinanzierung ganz erheblich und zum Teil von Grund auf geändert haben. Die Stichworte Marktmissbrauchsverordnung, 1. und 2. FiMaNoG, Prospektverordnung, Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz, CRD IV-Umsetzungsgesetz und CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz mögen an dieser Stelle genügen, um zu belegen, dass eine Vielzahl von Kapiteln des Werkes jedenfalls gründlich überarbeitet, wenn nicht gar komplett neu geschrieben werden musste. Ganz entsprechende Entwicklungen waren im Übrigen – wenig überraschend – in den im Werk dargestellten ausländischen Jurisdiktionen zu verzeichnen. Berücksichtigt man weiter, dass das Recht der Unternehmensfinanzierung selbstverständlich auch in den vergangenen fünf Jahren Gegenstand von Rechtsprechung und wissenschaftlichen Abhandlungen war, dürfte die Notwendigkeit einer Neuauflage auf der Hand liegen. Den skizzierten Gegebenheiten wie auch der nach wie vor dynamischen Entwicklung des Marktes für Unternehmensfinanzierungen trägt die Neuauflage durch zwei neu aufgenommene Kapitel Rechnung. Sie sind zum einen den Initial Coin Offerings, zum anderen den Aktiendividenden gewidmet. Weggefallen ist hingegen das die Entwicklungen im Kapitalmarkt in Deutschland darstellende Kapitel. Im Übrigen sind Konzeption und Zielsetzung des Werkes unverändert geblieben. Nach wie vor richtet sich das Buch an Rechtsanwälte, Unternehmensjuristen, Mitarbeiter von Investmentbanken sowie sonstige Berater von Unternehmen, die den organisierten Kapitalmarkt bereits in Anspruch nehmen oder künftig in Anspruch nehmen wollen. Der mit der Neuauflage verbundenen Herausforderung hat sich erneut ein Kreis erfahrener und sachverständiger Autoren gestellt, welche sich als Praktiker und Spezialisten in den jeweiligen Themenbereichen, die sie bearbeiten, aufgrund tagtäglicher Erfahrungen bestens auskennen. Um weiterhin eine besonders praxisnahe Aufbereitung der Themen zu gewährleisten, gab es einige Veränderungen im Autorenteam. Den aus dem Team der Vorauflage ausscheidenden Autoren sei auch an dieser Stelle für ihr Engagement gedankt. Dank schulden die Herausgeber darüber hinaus allen an der Neuauflage mitwirkenden Autoren, die dem Vorhaben wieder mehr als aufgeschlossen gegenüberstanden und ein rasches Erscheinen des Werkes ermöglicht haben. Den Leser schließlich bitten wir wiederum, sich für Anregungen und Verbesserungsvorschläge entweder an den Verlag ([email protected]) zu wenden,
IX
Vorwort
den direkten Kontakt zu den Autoren zu suchen oder mit einem der Herausgeber unter den folgenden Anschriften in Verbindung zu treten: Prof. Dr. Mathias Habersack Ludwig-Maximilians-Universität Juristische Fakultät Ludwigstraße 29 80539 München [email protected] Prof. Dr. Peter O. Mülbert Johannes-Gutenberg-Universität Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften 55099 Mainz [email protected] Prof. Dr. Michael Schlitt Hogan Lovells International LLP Untermainanlage 1 60329 Frankfurt am Main [email protected] München, Mainz und Frankfurt, im August 2018 Mathias Habersack
X
Peter O. Mülbert
Michael Schlitt
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Vorwort . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . Autorenverzeichnis . . . Literaturverzeichnis . . Abkürzungsverzeichnis
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IX XV XLV LVII LXI
§ 1 Kapitalmarkttransaktionen aus Sicht des Finanzberaters (Stäcker/Hoffmann-Becking/Albrecht/Kolodinski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Teil Einführung
2. Teil Aktienemissionen § 2 Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank (Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Börsengang (Singhof/Ch. Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Börsengang (Sonderkonstellationen) (Maassen/Wilczek/Göhring/Borsche/Thurner/Harrer) . . . . . . . . . . . . . . § 5 Bezugsrechtsemissionen (Herfs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss (Krause) . . . . . . . . . . . § 7 Umplatzierungen bestehender Aktien (Wolf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien (Arnold) . . . . . . . . . . § 9 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen (Schumacher)
.. ..
59 89
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. . . . . .
155 214 275 305 329 360
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381 403 448 472
...
494
§ 15 Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank (Grüning/Hirschberg) . . . § 16 Anleihen (Kaulamo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
541 563
3. Teil Aktienverwandte Emissionen § 10 Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank (Leopold/Schröter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Wandel- und Optionsanleihen (Schlitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Umtauschanleihen (Schlitt/Kammerlohr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Genussrechte (Wöckener/Becker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen (Mihm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
4. Teil Anleiheemissionen
XI
Inhaltsübersicht Seite
§ 17 High Yield Anleihen (Hutter) . . . § 18 Hybridanleihen (Gleske) . . . . . . . § 19 Steuerliche und bilanzielle Aspekte (Breuninger/Frey) . . . . . . . . . . .
. .. . .. von . ..
.. .... ..... .... .... ..... .. .... ..... .... .... ..... Anleiheemissionen .. .... ..... .... .... .....
609 650 665
5. Teil Sonderformen § 20 § 21 § 22 § 23
.... .... ....
697 748 770
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
789 819 867 885 919 951
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
967 1000 1014 1041 1068 1087 1126
§ 36 Wertpapierprospekt (Meyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37 Börsenzulassungsverfahren (Trapp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38 Kapitalmarktrechtliche Folgepflichten eines börsennotierten Unternehmens (Schlitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39 Stabilisierung (Feuring/Berrar) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 40 Delisting (Habersack) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1151 1210
§ 24 § 25 § 26 § 27 § 28
Initial Coin Offerings (ICOs) (van Aubel) . . . . . . . . . Asset-Backed Securities (Geiger) . . . . . . . . . . . . . . . . Pfandbriefe (Hagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds Lending) (Stamm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Real Estate Investment Trusts (Vaupel) . . . . . . . . . . . Islamic Finance (Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldscheindarlehen (Mülbert/Bernauer) . . . . . . . . . . Derivate (Apfelbacher/Kopp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktiendividende (Schlitt/Kreymborg) . . . . . . . . . . . . .
.... .... . .... .... . .... .... . und Crowd .... .... . .... .... . .... .... . .... .... . .... .... . .... .... .
6. Teil Vertrags- und Rechtsverhältnisse § 29 § 30 § 31 § 32 § 33 § 34 § 35
Übernahmevertrag bei Aktienemissionen (Haag) . . . . . . . . . . . . Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen (Schlitt/Gei) . Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen (Diekmann) . . . . . . . . Konsortialvertrag (Schücking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Due Diligence (Nägele) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Comfort Letter (Kunold) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Legal Opinion und Disclosure Opinion (Seiler) . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
7. Teil Prospekt, Börsenzulassung
1236 1295 1333
8. Teil Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation § 41 Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation (Mülbert/Steup) . . . . . . . XII
1355
Inhaltsübersicht Seite
9. Teil Aspekte ausländischer Jurisdiktionen § 42 Börsenzulassung im Großherzogtum Luxemburg (Pabélick) . . . . . . . . . . . § 43 Aspekte des österreichischen Kapitalmarktrechts (Khol/Berghammer) . . . . . § 44 Die Börsenzulassung in der Schweiz in ihrem rechtlichen und steuerlichen Umfeld (Ph. A. Weber/Kronauer/Fahrländer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 45 Aspekte der US-amerikanischen Securities Laws (Werlen/Sulzer) . . . . . . . § 46 Kapitalmarktfinanzierung in China (Maerker/von Ploetz) . . . . . . . . . . . .
1467 1497 1519 1588 1665
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1693
XIII
Inhaltsverzeichnis* Seite
Vorwort . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . Autorenverzeichnis . . Literaturverzeichnis . . Abkürzungsverzeichnis
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IX XI XLV LVII LXI
Rz.
Seite
1.1 1.1 1.4 1.5 1.7 1.8 1.9 1.12 1.12 1.13 1.15 1.17 1.19 1.20 1.23 1.43
2 2 3 4 4 5 5 6 6 6 7 8 9 9 10 18
1.65 1.65 1.88
30 30 35
1.89 1.101 1.101 1.106 1.108 1.114 1.117 1.127
36 38 38 39 39 40 41 43
1. Teil Einführung §1 A. I. II.
III. IV.
V. VI.
B. I. II.
Kapitalmarkttransaktionen aus Sicht des Finanzberaters (Stäcker/Hoffmann-Becking/Albrecht/Kolodinski) Primäremissionen (Stäcker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wesentliche Gründe für die Einschaltung eines Finanzberaters . . . 1. Wandel der Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt . . . . . . . . 2. Hoher Arbeitsaufwand und Informationsbedarf . . . . . . . . . . . 3. Informationsasymmetrie und potenzielle Interessenkonflikte . . . Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters 1. Kenntnis geeigneter Finanzierungsprodukte . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfassendes Verständnis von Banken und Investoren . . . . . . 3. Bewertungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Transaktionserfahrung und Marktverständnis . . . . . . . . . . . . 5. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs . . . . . . . . . . . 1. IPO-Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. IPO-Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei der Beratung von Fremdkapitaltransaktionen (Hoffmann-Becking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung zu möglichen Kapitalmarktinstrumenten . . . . . . . 2. Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erforderliche Qualifikation und Fachkenntnisse des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundäremissionen (Albrecht/Kolodinski) . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertrauliche Transaktionsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Identifizierung günstiger Platzierungsfenster . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung eines kompetitiven Bankenauswahlprozesses . . . 4. Unterstützung des Kunden bei Preisfestlegung und Zuteilung .
* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden Sie zu Beginn der einzelnen Paragraphen.
XV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . . . .
1.128 1.129 1.134 1.138 1.142 1.143 1.144 1.158 1.173
44 44 45 46 47 47 47 50 54
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marktumfeld für Aktienemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungen des Marktumfeldes und der Transaktionsvolumina 2. Einfluss wesentlicher regulatorischer Entwicklungen auf das Aktienemissionsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzentrationsprozess der Investmentbanken . . . . . . . . . . . . 4. Transaktionsstrukturen und Formen des Risikotransfers . . . . . 5. Bedeutung der League Table . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aktienemissionen – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . . . . 2. Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Emissionskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vermarktungsprozess/Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aktienemissionen – Produktarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Initial Public Offering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfall „Kombinierte Kapitalerhöhung“ . . . . . . . . . . . . . . 5. Platzierung von bestehenden Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 2.3 2.3
60 61 61
2.7 2.10 2.11 2.19 2.20 2.20 2.21 2.23 2.45 2.57 2.57 2.65 2.78 2.83 2.85
62 63 64 67 67 67 67 68 75 78 78 81 85 87 87
3.1 3.3 3.4 3.8 3.23 3.40 3.53 3.55 3.56
91 92 92 95 104 114 121 123 123
III. Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transaktionserfahrung und Marktkompetenz . . . . . . . . . . . 3. Kenntnis von Banken und Investoren . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umfassendes Verständnis der relevanten Instrumente . . . . . IV. Kompetitive Prozessführung bei der Transaktionsdurchführung 1. Aktienplatzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Equity-linked Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
2. Teil Aktienemissionen §2
§3
Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank (Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson)
Börsengang (Singhof/Ch.Weber)
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Vorbereitung des Börsengangs . . 1. Rechtsformwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbereitung der Gesellschaft . . . . . . . . 3. Emissionskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begleitende Vermarktung . . . . . . . . . . 5. Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen 1. Entscheidung über den Börsengang . . . . XVI
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Inhaltsverzeichnis
2. Kapitalerhöhung zum Börsengang . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalschutzbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Börsengang von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . IV. Durchführung des Börsengangs . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Platzierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Börsenzulassungsverfahren und Notierungsaufnahme V. Maßgebliche Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Emittent, abgebende Aktionäre und Emissionsbanken 2. Emissionskonsortium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsbeziehungen zu den Anlegern . . . . . . . . . . . VI. Anhang: Zeitplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §4 A. I.
II. III.
B. I. II. III. IV.
V.
VI.
VII.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) (Maassen/Wilczek/Göhring/Borsche/Thurner/Harrer) Dual Track (Maassen/Wilczek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung des Dual Tracks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten in der Dokumentation des M&A-Tracks . . . Entscheidungsfindungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für die Entscheidung zum Verkauf im M&A-Track . 2. Gründe für die Entscheidung zum Börsengang . . . . . . . . . 3. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . Spin-Off (Göhring/Borsche/Thurner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsetzung eines Spin-Offs im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strukturmerkmale und idealtypischer Ablauf eines Spin-Offs 2. Vergleich mit anderen Strukturalternativen . . . . . . . . . . . . Motive für einen Spin-Off . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Motive aus Sicht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 3. Motive aus Sicht der Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalmarktbezogene Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung eines Spin-Offs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strukturelle Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erstellung eines Zeitplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Vorbereitungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . Wesentliche Aspekte der Durchführung eines Spin-Offs . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit eines Wertpapierprospekts nach den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes . . . . . . . . . . . 3. Handelsregisteranmeldung und Handelsregistereintragung . . 4. Nachhaftung und Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerrechtliche Implikationen eines Spin-Offs . . . . . . . . . . .
Rz.
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. . . . . . . . . . .
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3.59 3.61 3.67 3.74 3.75 3.87 3.92 3.93 3.102 3.106 3.108
125 126 129 133 133 141 144 144 150 152 153
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4.1 4.1 4.1 4.2 4.9 4.11 4.11 4.20 4.25 4.25 4.28 4.31 4.45 4.45 4.48 4.53 4.53 4.58 4.61 4.61 4.62 4.66 4.69 4.74 4.75 4.76 4.82 4.83 4.83
156 156 156 157 159 160 160 163 164 164 165 166 168 168 169 171 171 172 174 174 174 175 175 177 177 178 183 183 183
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4.104 4.107 4.109 4.113
189 190 191 192 XVII
Inhaltsverzeichnis
VIII. Angebotsüberhang und Flowback-Management . . . . . . . . . . . . . 1. Definition, Signifikanz und Wirkung des Flowbacks bei einem Spin-Off . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positive Transaktionseffekte in Bezug auf die FlowbackDynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Negative Transaktionseffekte in Bezug auf die FlowbackDynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rolle der Investmentbank beim Flowback-Management . . . . . . 5. Diskussion einzelner Investorengruppen und Verhaltensmuster bei Spin-Offs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wesentliche Maßnahmen des Flowback-Managements . . . . . . C. Special Purpose Acquisition Company (SPAC) (Harrer) . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Markt für SPACs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Typische Ausgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lebenszyklus eines SPACs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kapitalmarktrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswahl der Wertpapierbörse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktsegmente der Wertpapierbörsen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertpapiere (Units) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wertpapierprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mindestexistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesellschaftsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindestnennbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbständige Optionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktienrückerwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auflösung/Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fehlende Attraktivität von Unternehmen mit Sitz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Steuerrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. US-amerikanische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §5
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193
4.116
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4.119
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4.123 4.127
195 196
4.131 4.133 4.155 4.155 4.155 4.156 4.157 4.160 4.162 4.162 4.164 4.167 4.169 4.175 4.177 4.178 4.180 4.181 4.182 4.185 4.187
197 198 200 201 201 201 202 202 204 204 205 206 206 208 209 209 210 210 210 211 212
4.189 4.190 4.192 4.194
212 212 213 213
5.1 5.1 5.8 5.18 5.26 5.26 5.28 5.30 5.37 5.42
216 216 220 225 229 229 230 230 233 235
Bezugsrechtsemissionen (Herfs)
I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für Bezugsrechtsemissionen . 2. Formen von Bezugsrechtsemissionen 3. Ablauf einer Bezugsrechtsemission . II. Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Bezugsrechts . . . . . . 2. Entstehen des Bezugsrechts . . . . . . 3. Mittelbares Bezugsrecht . . . . . . . . . 4. Inhalt des Bezugsrechts . . . . . . . . . 5. Bezugsberechtigte . . . . . . . . . . . . . XVIII
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4.114
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Inhaltsverzeichnis
V. VI. VII.
6. Einschränkungen des Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Nichtausübung oder Verzicht auf Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . 8. Nachbezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ausübung von Bezugsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschlussinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einzahlung des Kapitalerhöhungsbetrags . . . . . . . . . . . . . 4. Anmeldung und Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, Freigabeverfahren Platzierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezugsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung des Bezugspreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bezugsrechtshandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Greenshoe-Option . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verwertung nicht bezogener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragliche Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prospektpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationspflichten nach WpHG, Insiderverbote nach der MAR
§6
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss (Krause)
III.
IV.
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . 4. Faktischer Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bezugsrechtsausschluss bei der regulären Kapitalerhöhung . . . 1. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Siemens/Nold-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG beim genehmigten Kapital . . . . . . . . . . . . . 4. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §7
Rz.
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5.46 5.50 5.51 5.53 5.55 5.56 5.76 5.80 5.85 5.87 5.95 5.95 5.101 5.102 5.106 5.108 5.111 5.114 5.117 5.119 5.123
237 239 239 240 241 241 249 251 255 255 259 259 261 262 264 265 267 268 270 271 273
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
6.1 6.1 6.3 6.4 6.7 6.8 6.8
277 277 278 278 278 279 279
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
6.29 6.36 6.44 6.46 6.46 6.49
289 292 295 295 295 296
.. . .. .
6.56 6.60
300 302
. . . . . .
7.1 7.1 7.5
306 306 308
. .
7.12
310
Umplatzierungen bestehender Aktien (Wolf)
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verteilung des wirtschaftlichen Risikos bei einem Blocktrade zwischen Veräußerer und Investmentbank . . . . . . . . . . . .
XIX
Inhaltsverzeichnis
II. Zeitplan für einen typischen Blocktrade . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlusserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einzelheiten des Übernahmevertrages für einen Blocktrade . . . 1. Vertragstypen: Kommission, (Zwischen-)Erwerb, Mischtypen 2. Bedeutung des Einflusses des Veräußerers auf die Zielgesellschaft/Mitwirkung der Zielgesellschaft . . . . . . . . . 3. Einzelne Klauseln (Kommission) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Insiderrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insiderinformationen aus der Sphäre der Zielgesellschaft . . . 2. Geplanter Blocktrade als Insiderinformation . . . . . . . . . . . 3. Unterstützung der Transaktion durch die Zielgesellschaft . . VI. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewährleistungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Sonderfragen: Handelspflicht, Best Execution und Anzeigepflichten der Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Folgepflichten für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §8
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7.16 7.17 7.21 7.21
312 313 313 313
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
7.22 7.24 7.36 7.37 7.43 7.47 7.51 7.51 7.55 7.59
314 315 318 318 320 321 323 323 324 324
. . . .
7.61 7.66
325 326
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
8.1 8.1 8.5 8.9 8.12 8.13 8.13 8.18 8.35 8.46 8.55 8.67 8.77 8.77 8.81
331 331 332 333 334 335 335 336 343 348 351 354 357 357 359
. . . .
9.1 9.2
361 361
. . . .
9.2 9.4
361 362
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9.14 9.14 9.19
364 364 365
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen (Schumacher)
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Emission von Aktien aus einer Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz der emittierenden Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Platzierung bestehender Aktien an Tochtergesellschaften durch Verkauf oder Sachausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien (Arnold)
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ökonomische Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine originäre Übernahme . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässiger derivativer Erwerb . . . . . . . . . . . . . 3. Erwerbsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ablauf eines Erwerbs eigener Aktien . . . . . . . . 6. Die Behandlung des Bestands eigener Aktien . . III. Wiederveräußerung und Einziehung eigener Aktien 1. Veräußerungspflichten, Einziehung . . . . . . . . . 2. Veräußerungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . §9
Rz.
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Inhaltsverzeichnis Rz.
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. . . . . .
. . . . . .
9.38 9.38 9.44 9.74 9.74 9.78
369 369 371 378 378 378
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rolle der Investmentbank bei der Emission aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Märkte für aktienverwandte Instrumente . . . . . . . . . . . . . . II. Strukturalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Optionale Wandel- bzw. Umtauschanleihe . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtwandel- bzw. Pflichtumtauschanleihe . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesentliche Bewertungsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Platzierung aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . 1. Emissionsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Emissionsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfluss auf den Preis der zugrundeliegenden Aktien . . . . . .
. .
10.1 10.3
381 382
. . . . . . . . . . . . .
10.7 10.11 10.33 10.33 10.36 10.45 10.55 10.55 10.59 10.69 10.69 10.78 10.84
382 383 388 388 388 391 393 393 394 398 398 400 401
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweck der Begebung von Wandel- und Optionsanleihen . . . . . 3. Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung zu verwandten Finanzierungsformen . . . . . . . . . . 5. Rechtsstellung des Anleihegläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über das Platzierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugsrechtsemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschleunigtes Bookbuilding-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrzuteilungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begebungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gremienbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherstellung der Erfüllung der Wandlungs- und Optionsrechte 3. Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten bei der Einschaltung einer ausländischen Zweckgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.1 11.1 11.5 11.7 11.12 11.15 11.16 11.16 11.22 11.24 11.25 11.25 11.33 11.47
405 405 407 407 410 411 411 411 413 413 414 414 416 422
11.51
426
IV. Aktienemission durch Abspaltung . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . . . . . V. Erwerb und Veräußerung eigener Aktien 1. Abbildung in der Handelsbilanz . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . . . . .
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3. Teil Aktienverwandte Emissionen § 10 Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank (Leopold/Schröter)
§ 11 Wandel- und Optionsanleihen (Schlitt)
XXI
Inhaltsverzeichnis
IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wandlungs- bzw. Optionsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Barzahlung statt Lieferung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Begründung einer Wandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anpassung der Wandlungs- bzw. Bezugsbedingungen . . . . . . 9. Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Schutz bei Übernahme und Verschmelzung . . . . . . . . . . . . 11. Squeeze-Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Kündigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Besonderheiten bei Hybrid-Wandelanleihen . . . . . . . . . . . . 15. Richterliche Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten . . . . . . . . . 1. Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Börsenzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Transparenzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückkauf der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Incentivierung“ zur Wandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Umwandlung“ einer Anleihe in eine Wandelschuldverschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz . . .
Rz.
Seite
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.53 11.54 11.56 11.57 11.59 11.60 11.62 11.63 11.67 11.72 11.74 11.75 11.78 11.78a 11.78c 11.79 11.80 11.80 11.81 11.82 11.85 11.89 11.89 11.90
427 428 429 429 430 431 432 432 434 436 436 437 438 439 439 440 440 440 441 441 443 445 445 445
. .
11.91 11.94
446 447
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.1 12.1 12.3 12.4 12.5 12.7 12.7 12.11 12.12 12.13 12.15 12.15 12.19 12.20 12.20 12.21 12.23 12.24 12.26
450 450 450 451 451 452 452 452 452 453 453 453 454 454 454 455 455 455 456
§ 12 Umtauschanleihen (Schlitt/Kammerlohr) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Umtauschanleihe . . . . . . . . . . . 2. Zweck der Begebung von Umtauschanleihen . 3. Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen II. Überblick über das Platzierungsverfahren . . . . . 1. Struktur von Umtauschanleiheemissionen . . . 2. Kombination mit Block Trade . . . . . . . . . . 3. Synthetische Umtauschanleihe-Strukturen . . . 4. Ad-hoc-Mitteilungspflicht . . . . . . . . . . . . . III. Begebungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gremienbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . . IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen . . . . . . 1. Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Barzahlung statt Lieferung von Aktien . . . . . 4. Begründung einer Umtauschpflicht . . . . . . . 5. Anpassung der Umtauschbedingungen . . . . . XXII
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Inhaltsverzeichnis Rz.
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. . . . . . . . . . . . . . . . .
12.37 12.39 12.40 12.41 12.42 12.43 12.54 12.54 12.55 12.56 12.62 12.64 12.64 12.66 12.67 12.68 12.69
459 459 460 460 460 461 465 465 466 466 468 469 469 470 470 470 471
I. Begriff und Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Genussrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweck von Genussrechtsemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unzulässigkeit aktiengleicher Genussrechte? . . . . . . . . . . . . 6. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsinstrumenten . . . . . . . II. Typischer Regelungsinhalt der Emissionsbedingungen . . . . . . . . 1. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlustteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachrangabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Laufzeit und Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Genussrechtsemissionen von Kreditinstituten . . . . . . . . . . . . III. Gesellschaftsrechtliche Gewährungsvoraussetzungen . . . . . . . . . 1. Aktienrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Andere Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Genussrechte als Teilgewinnabführungsverträge? . . . . . . . . . 4. Übertragbarkeit und wertpapierrechtliche Verbriefung, SchVG IV. Beeinträchtigungen während der Laufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlerhafte Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterlassene oder fehlerhafte Gewinnermittlung . . . . . . . . . 3. Rücklagenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen . . . . . . . . . . 5. Sonderaspekte bei Verlustteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erhöhung des Genussrechtskapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Maßnahmen nach Umwandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 8. Konzernrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1 13.1 13.3 13.4 13.5 13.8 13.10 13.13 13.13 13.14 13.15 13.16 13.17 13.18 13.19 13.19 13.26 13.29 13.35 13.37 13.37 13.38 13.41 13.43 13.47 13.50 13.51 13.53
473 473 473 474 474 475 476 477 477 478 479 479 480 480 481 481 483 484 486 487 487 488 489 490 491 491 492 492
6. Schutz bei Übernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ersetzung des Anleiheschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gläubigerschutz und Kündigungsrechte der Anleihegläubiger 9. Bestellung eines Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Separierung der zugrundeliegenden Aktien . . . . . . . . . . . . 11. Richterliche Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten . . . . . . . . 1. Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Börsenzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Transparenzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Restrukturierung von Umtauschanleihen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes . . . . . . . . 2. Zulässige Beschlussgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Interessenwahrnehmung durch einen gemeinsamen Vertreter § 13 Genussrechte (Wöckener/Becker)
XXIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
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§ 14 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen (Mihm) I. Bilanzielle Behandlung strukturierter Finanzinstrumente . . II. Wandelanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei Emission über eine Auslandstochter III. Pflichtwandelanleihe (mandatory convertible bond) . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Optionsanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umtauschanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Genussschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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14.1 14.6 14.7 14.24 14.42 14.52 14.56 14.66 14.70 14.72 14.76 14.85 14.86 14.91 14.98 14.99 14.105
496 498 499 504 512 516 517 521 524 524 526 529 529 531 534 534 536
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rolle der Investmentbank bei der Anleiheemission . . . . . . . . . 1. Hauptfunktion der Investmentbank im Rahmen der Anleiheemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und nachgelagerte Funktionen der Investmentbank bei der Anleiheemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anleihen der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anleihen von Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmensanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ablauf einer Transaktion am Beispiel einer Umtauschanleihe . . . 1. Kommerzieller Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rolle der Investmentbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
15.1 15.3 15.4
542 542 543
.
15.6
543
. . . . . . . . . .
15.10 15.28 15.30 15.32 15.37 15.40 15.42 15.45 15.63 15.71
545 551 551 551 552 553 554 555 560 562
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anleihetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kategorisierung nach Platzierungswährung und -markt . . . . . .
16.1 16.5 16.6
566 567 568
4. Teil Anleiheemissionen § 15 Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank (Grüning/Hirschberg)
§ 16 Anleihen (Kaulamo)
XXIV
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
VI.
VII.
2. Kategorisierung nach Ausfallrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kategorisierung nach besonderen Merkmalen der Anleihe . . Platzierung und Listing von Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatplatzierung vs. öffentliches Angebot . . . . . . . . . . . . . 2. Emissions- und Angebotsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stand Alone Emissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Listing von Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation und Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahmevertrag (Purchase Agreement, Dealer Agreement) . 2. Konsortialvertrag (Agreement among Managers) . . . . . . . . . 3. Anleihebedingungen (Terms and Conditions, Indenture) . . . 4. Zahlstellenvereinbarung (Paying Agency Agreement, Fiscal Agency Agreement) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherheitendokumente; Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kaufvertrag zwischen Bank und Anleger . . . . . . . . . . . . . Zentrale Ausgestaltungsmerkmale von Anleihen . . . . . . . . . . 1. Hauptleistungspflichten: Zinszahlung und Rückzahlung von Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Laufzeit und Kündigungsrechte des Emittenten durch vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusicherungen (Covenants) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kündigungsrechte der Anleihegläubiger (Events of Default) . Kollektive Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger . . . 1. Anleihetreuhänder (Trustee) und gemeinsamer Vertreter . . . 2. Änderung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
. . . . . . . . . . .
16.10 16.13 16.18 16.18 16.19 16.22 16.23 16.26 16.27 16.28 16.29
569 570 572 572 573 575 575 576 576 577 578
. .
16.33
579
. . . . . .
16.34 16.36 16.37
579 580 580
. .
16.38
580
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
16.47 16.51 16.62 16.72 16.81 16.84 16.91 16.100 16.106 16.106 16.112
583 585 589 593 596 597 599 603 605 605 608
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
17.1 17.5 17.10 17.17 17.18 17.24 17.29 17.29 17.31 17.35 17.38 17.43 17.48 17.48 17.50
610 612 614 615 616 619 621 621 621 623 624 626 628 628 629
§ 17 High Yield Anleihen (Hutter) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung des High Yield Anleihemarktes . . . . . 2. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zielgruppe und Platzierungspraxis . . . . . . . . . . . . 5. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Struktur von High Yield Transaktionen . . . . . . . . . . 1. Ausfallrisiko als bestimmender Faktor . . . . . . . . . 2. Herstellung des Rangverhältnisses . . . . . . . . . . . . 3. Sicherheitenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung in Kapitalstruktur des Emittenten . . . . III. Bedeutung von Ratings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wesentliche Elemente der High Yield Dokumentation 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offering Memorandum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XXV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
17.54 17.57 17.59 17.60 17.61 17.62 17.67 17.67 17.68 17.71 17.74 17.78 17.92 17.92 17.95
630 630 631 632 632 633 635 635 635 636 637 638 643 643 644
. . . . . .
. . . . . .
17.99 17.101 17.101 17.105 17.107 17.110
645 646 646 647 647 649
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Motive für die Emission von Hybridanleihen . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufnahme „wirtschaftlichen Eigenkapitals“ . . . . . . . . . . . . . 3. Bilanzieller Eigenkapitalausweis nach IFRS . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerlich effiziente Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals . 5. Corporate Governance-Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Typische Gestaltungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Langfristigkeit der Mittelüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zinsaufschub und alternative Zinszahlungsmechanismen . . . . 3. Nachrangigkeit, Besicherung und Aufrechnung . . . . . . . . . . 4. Teilnahme an laufenden Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verpflichtung zur Zuführung vergleichbaren Eigenkapitals bei Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
18.1 18.3 18.3 18.4 18.7 18.13 18.18 18.19 18.19 18.26 18.30 18.33
651 652 652 652 654 656 658 658 658 661 662 663
.
18.34
663
. . . .
19.1 19.1 19.2 19.6
667 667 668 669
.. . .. .
19.8 19.9
669 669
V. VI.
VII.
VIII.
3. Anleihebedingungen (Indenture) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Intercreditor Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherheitendokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Weitere Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Disclosure Letters und Comfort Letters . . . . . . . . . . . . . . Anleihetreuhänder (Trustee) und Gemeinsamer Vertreter . . . . Zusicherungen (Covenants) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortlaufende vs. ereignisbezogene Covenants . . . . . . . . . . . 3. Credit Circle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Covenant Package und Preisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausgewählte Covenants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungen der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amendments und Waivers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Consent Solicitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungsbeschlüsse der Gläubiger gemäß Schuldverschreibungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückkauf und Kündigung der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorzeitiger Rückkauf (Early Redemption) . . . . . . . . . . . . . 2. Tender Offer und Exchange Offer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Defeasance; Satisfaction and Discharge . . . . . . . . . . . . . . . 4. Events of Default . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 18 Hybridanleihen (Gleske)
§ 19 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen (Breuninger/Frey) I. Handelsbilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen nach HGB 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansatz einer Anleihe bei Unterverzinslichkeit (Disagio) . . 3. Ansatz einer Anleihe bei Überverzinslichkeit (Agio) . . . . . II. Steuerliche Behandlung der Anleihe bei einer inländischen Emittentin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Betriebsausgabenabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI
. . . .
. . . .
Inhaltsverzeichnis
2. Abzugsbeschränkungen für Zwecke der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer (mit Ausnahme der so genannten Zinsschranke, § 4h EStG, § 8a KStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abzugsbeschränkung für Zwecke der Gewerbesteuer . . . . . . . . 4. Beschränkung durch die Zinsschranken-Regelung gemäß § 4h EStG, § 8a KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deutsche steuerliche Aspekte bei einer ausländischen Emittentin . 1. Anwendung der Zinsschranke auf die ausländische Emittentin . 2. Weiterreichung der Erlöse aus der Anleihe durch Gruppendarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kapitalertragsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung: Kapitalertragsteuer bei Anleihen . . . . . . . . . 2. Kapitalertragsteuer bei einem inländischen Investor . . . . . . . . 3. Kapitalertragsteuerabzug bei einem ausländischen Investor . . . 4. Unbeachtlichkeit von Finanzinnovationen . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
19.10 19.12
670 671
19.14 19.28 19.47 19.48
671 678 685 686
19.49 19.50 19.53 19.65 19.81 19.86
686 687 688 690 694 695
20.1 20.3 20.3 20.5 20.12 20.16 20.21 20.48 20.48 20.62 20.64 20.70 20.71 20.72 20.75 20.76 20.77 20.80
699 699 699 700 702 703 704 710 710 713 713 715 716 716 717 717 718 719
20.82 20.83 20.134 20.144 20.155 20.156
719 719 731 733 735 735
5. Teil Sonderformen § 20 Initial Coin Offerings (ICOs) (van Aubel) I. Einführung und wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff und technischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Blockchain/Distributed Ledger Technology . . . . . . . . . . . . . . 3. Wallet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Smart Contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Token/Coin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Typischer Ablauf, Chancen und Risiken eines ICO . . . . . . . . . . 1. Typischer Ablauf eines ICO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachteile eines ICO aus Sicht des Emittenten . . . . . 3. Vorteile und Risiken eines ICO aus Sicht der Investoren . . . . 4. Künftige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Regulatorische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansätze zur Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Regulatorische Anforderungen nach europäischem und deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prospektpflicht nach dem WpPG/ProspektVO . . . . . . . . . . . . 2. Prospektpflicht nach dem VermAnlG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regulierung nach dem KAGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. GwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Marktfolgepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVII
Inhaltsverzeichnis
VI. Ausgewählte Rechtsfragen zum Emittenten und zum Zeichnungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsform des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschluss des Zeichnungsvertrags und Einbeziehung der Emissionsbedingungen; Formfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltskontrolle; anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Finanzierungsrunden, nachträgliche Änderung, Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausgewählte Rechtsfragen zu einzelnen Arten von Investment Tokens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Genussrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Grundzüge der Besteuerung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerfragen des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung beim Investor . . . 4. Ausgabe von Tokens an Mitarbeiter und Unterstützer . . . . . . 5. Sonderfall „Mining“, insbesondere von Bitcoins . . . . . . . . . . .
Rz.
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20.157 20.157
735 735
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736 736
20.166
737
20.169 20.170 20.181 20.186 20.189 20.189 20.192 20.198 20.208 20.209
738 738 740 741 742 742 742 744 746 747
§ 21 Asset-Backed Securities (Geiger) I. Grundstruktur einer Verbriefungstransaktion . . . . . . . 1. Anleihe-Transaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transaktion im Rahmen eines Conduit-Programmes 3. STS-Verbriefungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Insolvenzrechtliche Strukturierungsüberlegungen . . . . . 1. Verbriefbare Vermögenswerte eines Unternehmens . 2. Forderungskauf und Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzfestigkeit von Verbriefungsverträgen . . . . . III. Steuerrechtliche Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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21.1 21.3 21.7 21.9a 21.10 21.10 21.31 21.47 21.50 21.50 21.52 21.53
748 749 750 751 752 752 760 764 766 766 766 767
. .. . .. . .. . .. . .. . .. der . .. . .. . .. . .. . ..
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
22.1 22.4 22.7 22.8 22.11 22.29
770 772 773 773 775 780
. . . . .
. . . . .
. . . . .
22.31 22.33 22.34 22.39 22.42
781 781 782 784 785
§ 22 Pfandbriefe (Hagen) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die rechtliche Ausgestaltung von Pfandbriefen 1. Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualität der Deckungswerte . . . . . . . . . . . 3. Deckungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktive Verwaltung der Deckungsmassen zur Deckungskongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Transparenz der Deckungsmassen . . . . . . . 6. Insolvenzvorrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pfandbriefmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Covered Bonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII
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§ 23 Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) (Stamm) I. Einleitung: Veränderte Rahmenbedingungen der Finanzierung durch Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1 II. Unternehmensfinanzierung als erlaubnispflichtiges Bankgeschäft – Rahmenbedingungen für „Nicht-Banken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.7 1. Anwendungsbereich des Kreditwesengesetzes auf Gelddarlehen an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.8 2. Schuldverschreibung grundsätzlich kein Kredit i.S.d. KWG . . . 23.30 III. Kreditvergabe als Teil der Investmenttätigkeit von Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.39 1. Investmentrechtliche Zulässigkeit der Kreditvergabe durch deutsche Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.39 2. (Keine) Erlaubnispflicht nach KWG bei der Kreditvergabe durch Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.43 3. Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen und deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.47 4. Kreditvergabe durch EU-Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . 23.61 5. Kreditvergabe durch Nicht-EU-Investmentvermögen . . . . . . . . 23.68 6. Aufsichtsrechtlicher Status ausländischer Kreditfonds im Sitzstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.72 7. Kreditvergabe nach der ELTIF-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.81 8. Ausblick: Harmonisierung und Regulierung von Kreditfonds in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.83 IV. Unternehmensfinanzierung durch Crowd Lending . . . . . . . . . . . 23.94 1. Gestaltungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.96 2. Erlaubnispflichtige Anlagevermittlung durch die Crowd LendingPlattform gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 KWG . . . . . . . . . . . 23.105 3. Prospektpflicht „Crowd Lending“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.115 V. Kapitalmarkt- und aufsichtsrechtliche Aspekte aus Sicht von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.121
790 792 792 797 800 800 800 801 804 806 807 809 809 812 812 814 815 816
§ 24 Real Estate Investment Trusts (Vaupel) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund von REITs . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte des REITG . . . . . . . . . 3. Intention des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnung von REITs zu bestehenden indirekten möglichkeiten in Immobilien . . . . . . . . . . . . . . 1. Offene Immobilienfonds . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschlossene Immobilienfonds . . . . . . . . . . . 3. Immobilienaktiengesellschaften . . . . . . . . . . . 4. REITs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Steuerrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . 1. Besteuerung auf Ebene der REIT-AG . . . . . . 2. Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner . . . .
.. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... Investitions.. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ... .. .... ...
. . . .
. . . .
24.1 24.3 24.5 24.7
822 822 823 824
. . . . . . . .
. . . . . . . .
24.8 24.9 24.11 24.12 24.14 24.15 24.16 24.18
824 824 825 826 826 826 826 827 XXIX
Inhaltsverzeichnis
IV. V.
VI. VII.
VIII.
IX. X.
XI.
XII. XIII.
XXX
3. Ausschüttungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausländische Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausländische REITs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. „Exit Tax“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor-REIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an den Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermögensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ertragsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigenkapitalanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Halten von Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschluss des Immobilienhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nebentätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an die Aktionärsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maximalbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindeststreubesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form der Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entschädigungsregelung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Handelsregistereintragung der Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalmarktrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulassung zum Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderung an die Dauer des Bestehens zum Zwecke der Zulassung zum Handel an einer deutschen Wertpapierbörse . . 3. Anforderungen an den Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung der Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an die Finanzangaben und Prüfung . . . . . . . . . . 1. HGB-Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. IFRS-Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachweis der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung – Prüfung des Abschlussprüfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanktionsregelungen bei Verletzung der Anforderungen . . . . . . . 1. Festsetzung von Zahlungen (§ 16 Abs. 3–6 REITG) . . . . . . . . 2. Verlust der Steuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Anforderungen ohne ausdrückliche Sanktionsregelung Anwendbarkeit der Vorschriften des KAGB auf die REIT-AG . . . Das Outsourcing von Managementaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz – Leitung durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgabenzuweisung an andere Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
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24.25 24.31 24.32 24.35 24.37 24.40 24.41 24.44 24.45 24.46 24.48 24.49 24.51 24.51 24.58 24.62 24.62 24.71 24.72 24.73 24.75 24.78 24.84 24.84
829 831 831 832 833 833 834 834 835 835 836 836 837 837 838 839 839 842 842 843 843 844 846 846
24.85 24.87 24.96 24.102 24.107 24.108 24.110 24.118 24.118 24.119
847 848 850 852 853 854 854 856 856 856
24.120 24.121 24.122 24.127 24.136 24.143 24.147 24.148 24.150
856 857 857 858 860 862 864 864 865
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§ 25 Islamic Finance (Müller) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen islamischer Zertifikate . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen des islamischen Rechts . . . . . . . . 2. Strukturen islamischer Zertifikate . . . . . . . . . . . III. Dokumentation von Sukuk . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Islamische Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalmarktdokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abgrenzung von Sukuk und Asset Backed Securities
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25.1 25.5 25.5 25.11 25.24 25.25 25.39 25.44
868 869 869 871 876 876 882 883
I. Begriff/Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vor- und Nachteile gegenüber anderen Finanzierungsformen . III. Versicherungsaufsichtsrechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . 1. Anforderungen der §§ 124 ff. VAG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen für kleine Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Sterbekassen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direktes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Indirektes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Platzierungsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Schuldscheindarlehensverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufrechnung und Ausübung sonstiger Gegenrechte . . . . . VII. Weitergabe an Endkreditgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abtretungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsübernahmemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zahlstellendienst des Kreditinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichten der Zahlstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Zahlstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beendigung des Zahlstellendienstes . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Treuhandverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten des Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung des Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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26.1 26.7 26.14 26.14a
886 888 890 891
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26.15 26.22 26.23 26.25 26.28 26.30 26.30 26.60 26.87 26.91 26.91 26.107 26.113 26.113 26.115 26.117 26.119 26.119 26.122 26.124 26.125
892 894 894 894 895 895 895 902 909 909 909 914 916 916 916 916 917 917 917 918 918
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27.1 27.5 27.10 27.14 27.18 27.18 27.26 27.43
921 922 923 924 925 925 927 932
§ 26 Schuldscheindarlehen (Mülbert/Bernauer)
§ 27 Derivate (Apfelbacher/Kopp) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . 2. Kategorien von Derivaten . . . . . . . . . 3. Einsatzzwecke von Derivaten . . . . . . . II. Allgemeine Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . 1. Verbindlichkeit von Derivategeschäften 2. Haftungsrisiken bei Derivategeschäften . 3. Vertragsgestaltung bei OTC-Derivaten .
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XXXI
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27.59 27.66
935 937
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27.72 27.73 27.90
939 939 943
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28.2 28.2 28.3 28.6 28.8 28.12 28.12 28.16 28.17 28.20 28.20 28.36 28.39 28.39 28.43 28.44
952 952 952 953 953 954 954 955 956 957 957 962 963 963 964 964
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Transaktionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsnatur des Übernahmevertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Typischer Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahme bzw. Zeichnung der Aktien durch Konsortialbanken 2. Preisbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrzuteilungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergütung der Konsortialbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Haftungsfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Bedingungen für die weitere Vertragsdurchführung . . . . . . . . 9. Vertragsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Lieferung gegen Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Sonstige Vertragbestimmungen; Anlagen . . . . . . . . . . . . . . .
29.1 29.4 29.8 29.11 29.12 29.13 29.18 29.24 29.29 29.32 29.47 29.57 29.67 29.77 29.88 29.89
968 969 971 972 973 973 975 977 979 980 985 987 992 996 999 999
4. Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Marktinfrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besondere Rechtsfragen von Derivaten, die der Unternehmensfinanzierung dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einsatz von Derivaten zur direkten Mittelaufnahme . . . . . . 2. Einsatz von Derivaten zu Hedging-Zwecken . . . . . . . . . . . § 28 Aktiendividende (Schlitt/Kreymborg) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstruktur der Aktiendividende . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbreitung in Europa und Deutschland . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Sachdividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewinnverwendungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine besondere Satzungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . 3. Schaffung der Dividenden-Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgabe eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Transaktionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbringungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospektbefreiendes Dokument und Informationsdokument
. . . . . . . . . . . . . . . .
6. Teil Vertrags- und Rechtsverhältnisse § 29 Übernahmevertrag bei Aktienemissionen (Haag)
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§ 30 Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen (Schlitt/Gei) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wandelschuldverschreibungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten bei einer indirekten Emission . . III. Umtauschanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Garantien und Gewährleistungen . . . . . . . . . . 3. Verpflichtungen des Emittenten . . . . . . . . . . . 4. Erklärungen der Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bedingungen und Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . IV. Vertrag mit Zahl- und Wandlungs-/Umtauschstelle V. Book-Entry Registration Agreement . . . . . . . . . .
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30.1 30.6 30.6 30.40 30.41 30.41 30.42 30.43 30.46 30.47 30.48 30.50
1000 1001 1001 1010 1010 1010 1011 1011 1012 1012 1012 1013
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Platzierungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Firm Commitment und Soft Underwriting . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliche Platzierung – private Platzierung . . . . . . . . . . . . 3. Tender- und Bookbuilding-System, öffentliche Zuteilung (Subskription), Freihändiger Verkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Daueremission, Emissionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsnatur des Übernahmevertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentliche Verpflichtungen der Vertragsparteien . . . . . . . . . . 1. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen des Bankenkonsortiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen der Emittenten . . . 3. Drittwirkende Verpflichtungen aus dem Übernahmevertrag . . 4. Vorvertragliche Regelungen (Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begebung der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begebungsvertrag und Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbriefung und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Representations and Warranties . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung der wesentlichen Representations and Warranties 2. Rechtsnatur der Representations and Warranties nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftungsfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freistellung der Konsortialbanken von der Prospekthaftung und sonstigen Ansprüchen durch den Emittenten . . . . . . . . 2. Freistellung des Emittenten durch die Konsortialbanken . . . . VII. Bedingungen und Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Sonstige Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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31.1 31.3 31.4 31.8
1015 1015 1015 1016
. . . .
31.11 31.21 31.22 31.28
1018 1020 1021 1022
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31.28 31.46 31.50
1022 1026 1027
. . . . . .
31.53 31.59 31.59 31.62 31.65 31.66
1028 1029 1029 1030 1031 1031
. .
31.68 31.72
1032 1033
. . . . . . . .
31.72 31.76 31.77 31.78 31.86 31.91 31.91 31.94
1033 1034 1034 1035 1036 1037 1037 1038
§ 31 Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen (Diekmann)
XXXIII
Inhaltsverzeichnis
IX. Weitere Dokumente im Zusammenhang mit der Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zahlstellenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . .
Begebung ... .... ... .... ... ....
von .... . .... . .... .
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Seite
31.96 31.96 31.102
1039 1039 1040
32.1 32.3 32.4 32.7 32.8 32.10 32.11 32.16 32.17 32.18 32.19 32.20 32.21 32.22 32.23 32.24 32.26 32.27 32.28 32.28 32.29 32.30 32.31 32.37 32.38 32.38 32.39 32.40 32.42 32.44 32.45 32.46 32.47 32.48 32.50 32.53 32.55 32.59 32.61 32.63 32.63 32.66
1042 1043 1043 1044 1044 1044 1045 1046 1046 1046 1046 1046 1047 1047 1047 1047 1048 1048 1048 1048 1048 1049 1049 1052 1052 1052 1052 1053 1053 1054 1054 1054 1054 1055 1055 1056 1057 1057 1058 1058 1058 1058
§ 32 Konsortialvertrag (Schücking) I. Konsortialgeschäft der Banken . . . . . . . . . II. Effektenkonsortialgeschäft . . . . . . . . . . . . 1. Emissionsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Börseneinführung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwaltung von Sicherheiten . . . . . . . . 5. Weitere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . III. Funktion des Konsortiums . . . . . . . . . . . 1. Vermittlungskonsortium . . . . . . . . . . . 2. Begebungskonsortium . . . . . . . . . . . . . 3. Garantiekonsortium . . . . . . . . . . . . . . 4. Übernahmekonsortium . . . . . . . . . . . . 5. Einheitskonsortium . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . 1. Konsortialführer . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsortialbanken . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Außenkonsortium . . . . . . . . . . . . . . . 2. Innenkonsortium . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterkonsortium . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsnatur des Konsortiums . . . . . . . . . . VII. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zustandekommen des Konsortialvertrags . . 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelkonsortium . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einheitsvertragskonsortium . . . . . . . . . 4. Einladungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsortialvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Inhalt des Konsortialvertrags . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitglieder und Quoten . . . . . . . . . . . . 3. Geschäftsführung und Vertretung . . . . . 4. Eigentumsverhältnisse und Außenhaftung 5. Haftung im Innenverhältnis . . . . . . . . . 6. Gewinn- und Verlustbeteiligung . . . . . . 7. Zusätzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . 8. Nicht geregelte Gegenstände . . . . . . . . X. Rechte und Pflichten der Konsortialbanken 1. Rechte der Konsorten . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten der Konsorten . . . . . . . . . . . XXXIV
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Inhaltsverzeichnis Rz.
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32.69 32.70 32.70 32.71 32.72 32.73 32.74 32.75 32.76 32.76 32.78 32.79 32.81 32.82 32.83 32.85 32.91 32.93 32.94
1059 1059 1059 1060 1060 1060 1061 1061 1061 1061 1062 1062 1063 1063 1063 1064 1065 1066 1066
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten von Due Diligence und Schwerpunkte . . . . . . . . . . III. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswertung und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis der Due Diligence zur Prospekthaftung . . . . . . . 2. Bedeutung der Due Diligence für das Verhältnis zwischen Emissionsbanken und Emittent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalmarktrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Datenschutzrechtliche und weitere Grenzen . . . . . . . . . . . VI. Besonderheiten bei regelmäßiger Inanspruchnahme des Kapitalmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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33.1 33.1 33.3 33.6 33.13 33.13 33.14 33.31 33.31 33.41 33.45 33.46 33.46
1068 1068 1069 1069 1071 1071 1072 1076 1076 1079 1080 1081 1081
. . . . .
. . . . .
33.48 33.51 33.51 33.56 33.58
1081 1082 1082 1084 1085
. .
33.61
1086
... .... . 920) vor ... .... . ... .... .
34.2
1089
34.5 34.9
1091 1095
XI.
XII. XIII.
XIV.
XV.
3. Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusätzliche Rechte und Pflichten des Konsortialführers . 1. Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewinnbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufwendungsersatz und Haftungsfreistellung . . . . . . 5. Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungen des Konsortialvertrags . . . . . . . . . . . . . . Auflösung des Konsortiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliches Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bankaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Währungs- und Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außenwirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 33 Due Diligence (Nägele)
§ 34 Comfort Letter (Kunold) I. Die Bedeutung und Funktion des Comfort Letter . . . 1. US-amerikanischer Standard SAS 72 (AU-C Section dem Hintergrund der Rechtslage in den USA . . . . 2. Funktion des Comfort Letter in Deutschland . . . .
XXXV
Inhaltsverzeichnis
II. IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (IDW PS 910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich und Aufbau des Prüfungsstandards . . 3. Form und Aufbau des Comfort Letter . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsnatur eines Comfort Letter und Haftung . . . . . . . . 5. Vollständigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Behandlung von Konzernsachverhalten . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Anforderungen an den Comfort Letter nach IDW PS 910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussage zu geprüften Abschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aussage zur Folgeperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pro-Forma-Finanzinformationen und Complex Financial Histories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Formeller Zahlenabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verwendungszweck und Grundlage des Comfort Letter . . 7. Rechtswahlklausel und Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bring Down Comfort Letter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Praxis bei internationalen Wertpapieremissionen . . . . . . . . .
Rz.
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. . . . . . .
. . . . . . .
34.12 34.13 34.14 34.16 34.17 34.18 34.19
1099 1099 1100 1101 1102 1104 1105
. . . .
. . . .
. . . .
34.20 34.20 34.21 34.30
1105 1105 1106 1110
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
34.42 34.46 34.47 34.48 34.50 34.51
1119 1122 1122 1123 1123 1124
. . . . . . . . . . . . . . . .
35.1 35.7 35.10 35.11 35.11 35.13 35.18 35.20 35.27 35.40 35.48 35.50 35.51 35.56 35.57 35.58
1127 1129 1130 1131 1131 1131 1133 1134 1136 1140 1142 1142 1142 1143 1144 1144
. . . . . .
35.59 35.61 35.61 35.65 35.68 35.71
1145 1145 1145 1147 1148 1149
§ 35 Legal Opinion und Disclosure Opinion (Seiler) I. Funktion und Bedeutung von Legal Opinion und Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informations- und Risikoaufdeckungsfunktion . . . . . . . . . . . 2. Verteidigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legal Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgabezeitpunkt(e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussteller der Legal Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Adressat(en) der Legal Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einleitende Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Materielle Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einschränkungen des Richtigkeitsanspruchs der Legal Opinion 7. Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgabezeitpunkt(e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aussteller der Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Voraussetzungen für die Abgabe der Disclosure Opinion . . . 5. Einschränkungen des Richtigkeitsanspruchs der Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Grundlage für die Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsumfang und Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . V. Interessenskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXVI
Inhaltsverzeichnis
7. Teil Prospekt, Börsenzulassung Rz.
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§ 36 Wertpapierprospekt (Meyer) I. Prospektpflicht und Praxis der Prospekterstellung . . . . . . . . 1. Prospektpflicht und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Bedeutung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . II. Anforderungen an Prospekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prospekt als ein einziges Dokument oder mehrere Einzeldokumente; Basisprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mindestangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prospektinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nichtaufnahme von Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Angaben in Form eines Verweises . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Billigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Billigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäischer Pass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gültigkeit des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Veröffentlichung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Nachtrag zum Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Neuerungen aufgrund der VO 2017/1129 . . . . . . . . . . . . . . 1. Das einheitliche Registrierungsformular . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinfachte Offenlegungsregelung für Sekundäremissionen 3. EU-Wachstumsprospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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36.3 36.3 36.13 36.14 36.14
1155 1155 1161 1162 1162
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
36.16 36.19 36.23 36.75 36.77 36.78 36.80 36.80 36.83 36.86 36.87 36.90 36.98 36.100 36.100 36.106 36.109
1162 1164 1166 1191 1193 1194 1195 1195 1197 1197 1198 1200 1204 1205 1205 1207 1208
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Zulassungsverfahrens für die effiziente Kapitalallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spannungsfeld zwischen Flexibilität und Anlegerschutz . . . . . 3. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jüngere Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Regulierter Markt als einziges gesetzliches Marktsegment . . . II. Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Produktspezifische Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 4. Börsenspezifische Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 5. Handelssegmente und Indizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständige Behörde und Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsstellung der Beteiligten im Zulassungsverfahren . . . . . . 3. Mehrfachzulassung und grenzüberschreitende Zulassung . . . . 4. Zulassungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
37.1
1211
. . . . . . . . . . . . . . . .
37.1 37.4 37.6 37.7 37.9 37.10 37.10 37.11 37.13 37.29 37.37 37.39 37.39 37.49 37.51 37.54
1211 1212 1213 1213 1214 1215 1215 1215 1216 1221 1223 1224 1224 1227 1228 1229
§ 37 Börsenzulassungsverfahren (Trapp)
XXXVII
Inhaltsverzeichnis
IV. Aufnahme der Notierung – Einbeziehung . . . . . . . . . . . . 1. Aufnahme der Notierung (Einführung) . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung in den regulierten Markt . . . . . . . . . . . . V. Freiverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung in den Freiverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Scale – Das Segment der FWB für kleinere und mittlere Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
. . . . . .
37.57 37.57 37.60 37.62 37.62 37.63
1230 1230 1231 1232 1232 1232
... .
37.67
1234
. . . . . . . . . .
38.1 38.4 38.51 38.69 38.70 38.75 38.89 38.93 38.96 38.98
1238 1239 1254 1258 1259 1260 1264 1265 1266 1266
. . . . . . . . .
38.99 38.100 38.103 38.104 38.105 38.107 38.110 38.111 38.117
1267 1267 1268 1269 1270 1271 1271 1272 1274
.
38.121
1275
. .
38.136 38.137
1280 1280
. . . . .
38.144 38.145 38.148 38.151 38.153
1282 1282 1283 1284 1285
. .
38.153 38.163
1285 1288
.
38.170
1290
. . . . . .
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§ 38 Kapitalmarktrechtliche Folgepflichten eines börsennotierten Unternehmens (Schlitt) I. Insiderrechtliche Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insiderhandelsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insiderliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ad-hoc-mitteilungspflichtige Informationen . . . . . . . . . . . . . 2. Veröffentlichungspflicht und Befreiungsmöglichkeit . . . . . . . 3. Inhalt und Form der Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhalt und Art der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Berichtigungs- und Aktualisierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . 6. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Meldungs- und Veröffentlichungspflichten betreffend „Managers’ Transactions“ (Directors’ Dealings) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meldungspflichtige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meldungspflichtige Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhalt und Form der Meldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Inhalt, Art und Frist der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . 6. Ergänzende Pflichten für Emittenten und Führungskräfte . . . 7. Handelsverbot für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stimmrechtsmitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Beteiligungsveränderungen an börsennotierten Gesellschaften (§§ 33 ff. WpHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veröffentlichungspflicht der Gesellschaft bei Veränderung der Gesamtzahl der Stimmrechte (§ 41 WpHG) . . . . . . . . . . . . V. Marktmanipulationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot und das Marktmanipulationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Finanzabschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses/ Jahresfinanzbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten . . . . . . . . . . 3. Veröffentlichung von Quartalsmitteilungen/Quartalsfinanzberichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVIII
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen des Verbots der Marktmanipulation und der Ausnahmen im Hinblick auf Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen des Verbots der Marktmanipulation nach Art. 15 VO Nr. 596/2014 (MAR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen vom Verbot der Marktmanipulation im Hinblick auf Kursstabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zulässige Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 4 VO Nr. 596/2014 (MAR) i.V.m. Art. 5 ff. DelVO 2016/1052 (Delegierte Verordnung 2016/1052) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kursstabilisierung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 lit. d) VO Nr. 596/2014 (MAR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Für die Stabilisierung Verantwortlicher (Stabilisierungsmanager) 3. Stabilisierungszeitraum nach Art. 5 DelVO 2016/1052 (Delegierte Verordnung 2016/1052) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bekanntgabe von Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 5. Mehrzuteilung und Greenshoe-Option . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Im Ausland getätigte Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . IV. Zulässige und anerkannte Marktpraxis nach Art. 13 VO Nr. 596/ 2014 (MAR) i.V.m. der Delegierten Verordnung (EU) 2016/908 . . V. Rückkauf eigener Aktien nach Art. 5 Abs. 1–3 VO Nr. 596/2014 (MAR) i.V.m. der Delegierten Verordnung 2016/1052 . . . . . . . .
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40.1 40.5 40.10 40.10 40.34 40.36 40.42 40.42 40.44
1335 1337 1340 1340 1350 1351 1353 1353 1354
VIII. Informationspflichten für die Wahrnehmung von Rechten aus Wertpapieren (§§ 48 ff. WpHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex (§ 161 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jährliche Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterjährige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39 Stabilisierung (Feuring/Berrar)
§ 40 Delisting (Habersack) I. Begriff und Arten des Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Von „Macrotron“ zu § 39 BörsG n.F. . . . . . . . . . . . . . . III. Delisting von Aktien und aktienverwandten Wertpapieren 1. Delisting auf Antrag des Emittenten . . . . . . . . . . . . . 2. Delisting von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kaltes Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Delisting von Anleihen und Derivaten . . . . . . . . . . . . . . 1. Anleihen und Derivate im Allgemeinen . . . . . . . . . . . 2. Bezugs- und Umtauschrechte im Besonderen . . . . . . .
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8. Teil Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation Rz.
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41.1 41.1 41.5 41.11 41.13 41.13 41.20 41.159 41.178 41.179 41.180 41.180 41.241 41.256 41.258 41.258 41.269 41.280 41.281 41.286 41.288
1360 1360 1362 1366 1367 1367 1369 1421 1428 1428 1429 1429 1448 1453 1453 1453 1457 1461 1461 1463 1464
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41.290
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41.292 41.294
1465 1466
42.1 42.1 42.9 42.11 42.11 42.47
1468 1468 1470 1471 1471 1481
§ 41 Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation (Mülbert/Steup) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen einer Kapitalmarktinformationshaftung . . . . . 2. Kapitalmarktinformationshaftung und Kapitalerhaltung . . . 3. Interne Haftungsfreistellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezialgesetzliche Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . 4. Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organaußenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftung für fehlerhafte Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . 1. Emittentenhaftung nach den §§ 97, 98 WpHG . . . . . . . . 2. Emittentenhaftung nach sonstigen Vorschriften . . . . . . . . 3. Organaußenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung für fehlerhafte Regelpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deliktische Haftung für fehlerhafte/fehlende Regelpublizität 3. Bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftung analog §§ 97, 98 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organaußenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Haftung für fehlerhafte sonstige Kapitalmarktinformation . . . 1. Haftung für fehlerhafte Angaben nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG/§ 82 Abs. 2 Nr. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung für Marktmanipulation (Art. 15 i.V.m. Art. 12 VO Nr. 596/2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung für fehlerhafte Mitteilungen nach Art. 19 VO Nr. 596/2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftung für fehlerhafte freiwillige Kapitalmarktinformation
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9. Teil Aspekte ausländischer Jurisdiktionen § 42 Börsenzulassung im Großherzogtum Luxemburg (Pabélick) I. Die Luxemburger Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organisation und Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktposition im internationalen Vergleich . . . . . . . . . II. Zulassungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Grundlagen für die Zulassung und Notierung 2. Finanztechnische Voraussetzungen für die Notierung . . . XL
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42.56 42.56 42.60 42.76a 42.77 42.81 42.84 42.85
1482 1482 1483 1488 1489 1489 1490 1490
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42.88 42.93 42.98 42.103 42.108 42.109
1491 1492 1493 1494 1495 1495
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anbieten in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliche Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Private Placements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospektpflicht und Prospektausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Kapitalmarktprospekt nach dem KMG . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt/Mindesterfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Billigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notifizierungsverfahren (Passporting) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Veröffentlichung und Meldepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nachtragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Werbung im Zusammenhang mit öffentlichen Angeboten . . . . V. Börsezulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines zur Wiener Börse/Marktsegmente . . . . . . . . . . . 2. Listingvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Publizitäts- und Berichtspflichten börsenotierter Unternehmen . . . 1. Regelpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligungspublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erklärung zum Österreichischen Corporate Governance Kodex . 4. Unternehmenskalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation . . . . . . . . . . . . 1. Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43.1 43.3 43.5 43.5 43.14 43.19 43.26 43.26 43.30 43.32 43.37 43.41 43.45 43.51 43.55 43.55 43.58 43.63 43.66 43.69 43.69 43.72 43.76 43.78 43.79 43.79 43.83 43.85
1497 1498 1499 1499 1501 1502 1503 1503 1504 1504 1505 1506 1507 1508 1509 1509 1510 1512 1512 1513 1513 1514 1515 1516 1516 1516 1517 1518
III. Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prospektpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prospekterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospektverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Internationale Prospektanerkennung . . . . . . . . . 6. Der Prospekt für den EuroMTF Markt . . . . . . . IV. Verpflichtungen des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Gesetz über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II-Gesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen der Marktmissbrauchsverordnung . 3. Auswirkungen des Transparenzgesetzes . . . . . . . 4. Auswirkungen des Übernahmegesetzes . . . . . . . . 5. Squeeze-out und Sell-out von Stimmrechtsanteilen 6. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 43 Aspekte des österreichischen Kapitalmarktrechts (Khol/Berghammer)
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44.1 44.2 44.2 44.11 44.13 44.16 44.33
1521 1521 1521 1523 1524 1525 1530
44.33 44.79 44.84 44.86 44.89 44.100 44.108 44.114 44.116 44.117 44.121 44.123
1530 1540 1541 1541 1542 1546 1548 1550 1551 1551 1552 1553
44.131 44.134 44.138 44.141 44.146 44.150 44.156
1554 1555 1556 1557 1557 1558 1560
44.157 44.159 44.161 44.190 44.221 44.225 44.229 44.232 44.232 44.235 44.238 44.238 44.243 44.254 44.265
1560 1563 1564 1569 1576 1577 1578 1579 1579 1580 1581 1581 1582 1584 1586
§ 44 Die Börsenzulassung in der Schweiz in ihrem rechtlichen und steuerlichen Umfeld (Ph. A. Weber/Kronauer/Fahrländer) I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte und Tätigkeit der SIX Swiss Exchange im Überblick 2. Handelsplätze nach Schweizer Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriffe der Effekten und der Kotierung nach Schweizer Recht 4. Rechtliche und regulatorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen für eine Kotierung an der SIX . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen gemäß den unterschiedlichen SIX-Kotierungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Technische Voraussetzungen für die Kotierung . . . . . . . . . . . IV. Kotierungsverfahren und IPO an der SIX . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuregelung des Prospektrechts durch das FIDLEG . . . . . . . . 2. Prospektpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospekterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Veröffentlichung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zivilrechtliche Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kotierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Ablauf und Zeitplan einer Kotierung im Rahmen eines IPO im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordentliche Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Genehmigte Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedingte Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entzug von Bezugs- und Vorwegzeichnungsrechten . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitplan und Besonderheiten bei der Durchführung der Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Pflichten als kotierte Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wiederkehrende Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ereignisbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insiderhandel und Kurs- bzw. Marktmanipulation . . . . . . . . . 4. Sanktionen der SIX Swiss Exchange . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Sistierung des Handels und Dekotierung . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Öffentliches Angebot ausländischer Effekten in der Schweiz . . . . 1. Kollisionsrechtliche Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen der Anwendbarkeit Schweizer Rechts . . . . . . . . . IX. Steuerrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung von Eigenkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besteuerung von Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kollektive Kapitalanlagen und strukturierte Produkte . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
45.1 45.2 45.2 45.10 45.11 45.12 45.12 45.14 45.15 45.17 45.17 45.18
1591 1592 1592 1595 1595 1596 1596 1596 1596 1597 1597 1598
45.19 45.23 45.23 45.30 45.80 45.116 45.124 45.124 45.133
1598 1600 1600 1603 1621 1633 1635 1635 1638
45.154 45.163 45.163 45.164 45.167 45.175 45.176 45.182 45.187 45.187 45.189 45.191 45.192 45.193 45.194 45.201 45.203 45.206
1644 1647 1647 1647 1649 1651 1651 1653 1655 1655 1656 1656 1657 1657 1658 1661 1662 1663
46.1 46.1 46.3
1666 1666 1666
§ 45 Aspekte der US-amerikanischen Securities Laws (Werlen/Sulzer) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konzeptionelle Grundlagen der Securities Laws . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund und Entwicklung der Securities Laws 2. Ziele der Securities Laws . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Offenlegung (disclosure) als Leitprinzip der Securities Laws . . . III. Rechtsrahmen und Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Securities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Securities Exchange Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Securities and Exchange Commission (SEC) . . . . . . . . . . . . . IV. Geltungsbereich der Securities Laws . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Differenzierte Behandlung amerikanischer und nicht-amerikanischer Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Primärmarktregelung im Securities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Registrierungspflicht und Ausnahmen davon . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliches Angebot in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatplatzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Angebote und Verkäufe außerhalb der USA – Regulation S . . VII. Sekundärmarktregelung im Exchange Act . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Registrierung von Wertpapieren unter dem Exchange Act . . . . 2. Konsequenzen aus der Exchange Act-Registrierung . . . . . . . . 3. Notierung (listing) an einer US-amerikanischen Wertpapierbörse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Haftungsvorschriften im Securities Act und im Exchange Act . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Section 11 Securities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Section 12 Securities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Section 17(a) Securities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Section 10(b) und Rule 10b-5 Exchange Act . . . . . . . . . . . . . 6. Möglichkeiten der Haftungsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Spezialprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Investment Company Act von 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Passive Foreign Investment Companies . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trust Indenture Act von 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelstaatliche Wertpapiergesetze (blue sky laws) . . . . . . . . . 5. Stabilisierung: Regulation M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. ADRs, New York Registry Shares und Global Registered Shares 7. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verwendung des Internets für nicht-registrierte Angebote . . . . 9. Research . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 46 Kapitalmarktfinanzierung in China (Maerker/von Ploetz) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Chinesischen Kapitalmarkts . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationalisierung des Renminbi . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
46.7 46.10 46.14 46.14 46.22 46.60 46.62 46.79 46.90 46.92 46.95 46.100 46.101 46.107
1668 1668 1670 1670 1671 1680 1680 1685 1687 1688 1688 1690 1690 1691
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1693
II. III.
IV. V.
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3. Lockerung der Beschränkungen für Investitionen Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Börsen in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Börsengänge (Initial Public Offerings – IPOs) . . . . 1. Börsen in Shanghai und Shenzhen . . . . . . . . . 2. Börse Hongkong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anleiheemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anleiheemissionen in Festlandchina . . . . . . . . . 2. Emission von offshore Renminbi-Anleihen . . . . 3. Formosa Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anleiheemissionen an CEINEX . . . . . . . . . . . . Remittance Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privatplatzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ausländischer . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... . . .... .... .
Autorenverzeichnis Stefan Albrecht leitet seit Juli 2011 das Equity Advisory von Rothschild in Frankfurt. Dabei betreut er in seiner Funktion als unabhängiger Berater Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Wandel- bzw. Umtauschanleihen sowie Aktienplatzierungen. Vor seiner Zeit bei Rothschild verantwortete er ab Mai 2007 den Bereich Equity Capital Markets der Bank of America Merrill Lynch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zuvor war Stefan Albrecht im gleichen Geschäftsbereich für Citigroup (6 Jahre) und die Deutsche Bank (8 Jahre) tätig. Stefan Albrecht studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und der University of Massachusetts und schloss sein Studium als Diplomkaufmann ab. Dr. Gabriele Apfelbacher, LL.M. (Columbia Law School) und Attorney at Law (New York), ist Partnerin im Frankfurter Büro der internationalen Sozietät Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP. Sie berät vor allem bei internationalen Kapitalmarkttransaktionen und Unternehmensübernahmen sowie zu Corporate Governance und Compliance Fragen. Professor Dr. Michael Arnold ist Rechtsanwalt und Partner im Stuttgarter Büro der internationalen Anwaltssozietät Gleiss Lutz und Honorarprofessor der Universität Tübingen. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Bereich des Aktienrechts, des Konzernrechts, öffentlicher Übernahmen und Mergers & Acquisitions. Michael Arnold ist durch zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge auf diesen Gebieten hervorgetreten. Dr. Thomas van Aubel ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der Kanzlei VAN AUBEL & Partner, Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Beratung von Unternehmen, insb. Start-ups, in Fragen von Gründung, Finanzierung und Kapitalmarktrecht, ferner im Bereich der Restrukturierung und Sanierung. Dr. Peter Becker ist seit 2017 Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von White & Case LLP in den Bereichen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht. Davor war er als Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Clifford Chance tätig. Er berät Emittenten und Konsortialbanken zu Fremd- und Eigenkapitalprodukten und deren Platzierung über den internationalen Kapitalmarkt. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Beratung von Gesellschaften aller Rechtsformen auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts. Dr. Thomas Berghammer, LL.M. (Wolverhampton), ist Rechtsanwalt im M&A und Capital Markets Team von BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien. Zu seinen Schwerpunkten zählen neben M&A und Corporate die Beratung von Emittenten und Banken bei IPOs, Bondemissionen und Kapitalerhöhungen, Emittentencompliance und Übernahmerecht. Eva-Maria Bernauer war bis Januar 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht der Johannes GutenbergUniversität Mainz. Sie ist seit 2017 Notarin in Eschenbach i.d.OPf. Dr. Carsten Berrar, LL.M. (Harvard) und Attorney at Law (New York), ist Rechtsanwalt und Partner bei Sullivan & Cromwell LLP in Frankfurt. Im Anschluss an die Juristischen Staatsexamina und Promotion in München sowie Auslandsstudien in Frankreich (Licencé en droit, Université Paris II Panthéon-Assas) und den USA (LL.M., Harvard Law School; Attorney at Law, New York) ist er seit dem Jahr 2000 für Sullivan & Cromwell tätig. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Kapitalmarktrecht, insbesondere im Bereich Börsengänge und Kapitalerhöhungen, sowie im Übernahme- und Gesellschaftsrecht. XLV
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Johannes Borsche ist seit September 2017 als Head of Corporate Finance, Senior Vice President, bei der KION GROUP AG in Frankfurt a.M. tätig und verantwortet die Bereiche Konzernfinanzierung, Treasury, Investor Relations, M&A sowie die Refinanzierung des Absatzfinanzierungsgeschäfts der Gruppe. Von Anfang 2014 bis September 2017 war er für fast vier Jahre Geschäftsführer und CFO für das deutsche Geschäft der Nestlé Waters Deutschland GmbH. Zuvor arbeitete er für 20 Jahre im Bereich Equity Capital Markets/ Corporate Finance Execution bei Morgan Stanley sowie der Deutschen Bank in Frankfurt und London. Als Managing Director war er bei Morgan Stanley zuletzt betraut, alle Eigenkapitaltransaktionen im deutschsprachigen Europa verantwortlich zu betreuen. Neben seinen jüngst erworbenen Erfahrungen als CFO und Head of Corporate Finance verfügt er über umfassende Erfahrungen aus zahlreichen internationalen Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen, Wandelschuldverschreibungen, Übernahmeangeboten und Spin-Offs. Dr. Gottfried E. Breuninger, Rechtsanwalt, ist Partner und Global Head of Tax der Sozietät Allen & Overy LLP. Er ist spezialisiert auf nationale und internationale Unternehmensbesteuerung mit einem Schwerpunkt auf steuerrelevanten Untersuchungen und der Vertretung von Unternehmen in den Bereichen der Tax Dispute Resolution. Gottfried Breuninger verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen und führt regelmäßig Finanzgerichtsverfahren. Er ist durch eine Vielzahl von Vorträgen und Publikationen hervorgetreten. Dr. Hans Diekmann ist seit 2013 Rechtsanwalt und Sozius bei der internationalen Anwaltssozietät Allen & Overy LLP in Düsseldorf. Zuvor war er – nach Jurastudium in Münster/Westfalen und Paris und Auslandsaufenthalt in New York – in der Rechtsabteilung der Deutsche Bank AG in Frankfurt a.M. und sodann als Rechtsanwalt und Sozius bei der internationalen Anwaltssozietät Shearman & Sterling LLP tätig. Dr. Lukas Fahrländer war nach dem Jurastudium in Zürich, Paris und Frankfurt a.M. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Zürich. Anschließend folgten Tätigkeiten am Bezirksgericht Zürich und bei der Anwaltskanzlei Niederer Kraft Frey AG in Zürich. Derzeit ist er Postdoc am Universitären Forschungsschwerpunkt „Finanzmarktregulierung“ der Universität Zürich und absolviert parallel dazu die Anwaltsprüfung. Er publiziert regelmäßig in den Bereichen des schweizerischen sowie europäischen Gesellschafts-, Bank- und Kapitalmarktrechts und war Lehrbeauftragter an der Universität Zürich. Dr. Wolfgang Feuring war nach den Juristischen Staatsexamina und Promotion an der Universität Göttingen zunächst in der Industrie und in der Rechtsabteilung der Deutsche Bank AG tätig. Ab 1992 war er Rechtsanwalt und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer bzw. deren Vorgängersozietäten. Seit November 2001 ist er Partner bei Sullivan & Cromwell LLP und Managing Partner des Frankfurter Büros. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Kapitalmarktrecht und Unternehmensrecht. Dr. Johannes Frey, LL.M. (Georgetown) und Attorney at Law (New York), ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner der internationalen Sozietät Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom LLP in Frankfurt a.M. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Gebiet des nationalen und internationalen Steuerrechts, insbesondere der Strukturierung von grenzüberschreitenden Akquisitionen, Umwandlungen und Joint Ventures sowie Bankfinanzierungen und Finanzinstrumenten. Johannes Frey ist durch zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge auf diesen Gebieten hervorgetreten. XLVI
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Marc Christian Gei, LL.M. (Münster), ist seit 2001 Rechtsanwalt und bei der Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG als Leiter Rechtsabteilung (Global Corporate Finance) verantwortlich für die weltweite Rechtsberatung im Bereich Corporate Finance. In dieser Funktion begleitet er seit dem Jahr 2007 nationale und internationale Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengänge, Kapitalerhöhungen und Umplatzierungen. Daneben zählen zu seinem Tätigkeitsbereich M&A-Transaktionen, öffentliche Übernahmen und die Begebung von Schuldverschreibungen. Zuvor war er ebenfalls im Investmentbanking auf Bankenseite in Frankfurt und auf Unternehmensseite für einen börsennotierten Konzern mit Schwerpunkten im Kapitalmarktrecht, Gesellschaftsrecht und M&A tätig. Dr. Martin Geiger, LL.M. (Michigan), ist Partner im Londoner und Frankfurter Büro von Hengeler Mueller. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die Beratung in allen Bereichen der strukturierten Finanzierungen, insbesondere bei Verbriefungen, Immobilienfinanzierungen, Kreditderivaten und strukturierten Akquisitionsfinanzierungen. Dr. Christoph L. Gleske ist seit 1997 Rechtsanwalt und seit 2002 Partner im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer. Er berät Emittenten und Konsortialbanken bei Börsengängen, Kapitalerhöhungen und der Begebung von Schuldverschreibungen, insbesondere Wandel- und Umtauschanleihen, Hybrid- und High Yield-Anleihen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der rechtlichen Strukturierung verbriefter Derivate und im Bankaufsichtsrecht. Kai Göhring ist Syndikusrechtsanwalt und seit September 2015 als Managing Director und Head of Legal & Corporate Finance Execution bei der Baader Bank Aktiengesellschaft in Frankfurt a.M. tätig. Er berät schwerpunktmäßig zu Fragen des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Bankaufsichtsrechts, des Aktienrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Konzernrechts, des Übernahmerechts und der WpHG-Compliance. Zuvor war er als Executive Director für die Morgan Stanley Bank AG in Frankfurt a.M. tätig und war dort verantwortlich für die rechtliche Begleitung von Kapitalmarkt- und M&ATransaktionen im deutschsprachigen Europa. Vor seiner Inhouse-Tätigkeit arbeitete er als Rechtsanwalt bei zwei internationalen Anwaltssozietäten in Frankfurt a.M. und beriet Unternehmen und Banken bei nationalen und internationalen Aktien- und Anleiheemissionen, Öffentlichen Übernahmen und M&A-Transaktionen. Eyke Grüning, LL.M. (Münster), ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von SNP Schlawien. Er war zuvor Partner einer internationalen Anwaltssozietät sowie fast acht Jahre in der Rechtsabteilung der UBS Investment Bank in Frankfurt und London beschäftigt. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildet die Beratung von Emittenten und Konsortialbanken bei Wertpapieremissionen sowie bei der rechtlichen Strukturierung komplexer Finanzprodukte und Derivate. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bankaufsichtsrecht und im Bereich Compliance. Dr. Hendrik Haag ist Partner im Frankfurter Büro von Hengeler Mueller. Er ist seit über 30 Jahren in allen Bereichen des Bank- und Kapitalmarktrechts beratend tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählt neben dem Bankaufsichtsrecht, Wertpapieremissionen und Kreditfinanzierungen vor allem auch die finanzielle Restrukturierung notleidender Unternehmen. Er ist Mitautor des Beck’schen Formularbuchs zum Bürgerlichen Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Bankund Kapitalmarktrechts. Professor Dr. Mathias Habersack ist seit April 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuvor war er XLVII
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Lehrstuhlinhaber in Tübingen (2007 bis 2011), Mainz (2000 bis 2007) und Regensburg (1996 bis 2000), von 2003 bis 2007 zudem Direktor des Mainzer Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens. Den Schwerpunkt der Veröffentlichungen von Professor Habersack bilden das Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Bankrecht. Er ist Mitherausgeber und Autor des Münchener Kommentars zum AktG, des Großkommentars zum GmbHG und des Großkommentars zum HGB, Mitglied der Schriftleitung der ZHR und der AG, Mitglied des Herausgeberbeirats der ZIP sowie Mitherausgeber der NZG und der BKR, ferner Mitglied des Vorstands der Wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und des Kuratoriums der Bankrechtlichen Vereinigung. Dr. Louis Hagen ist seit 2009 Mitglied des Vorstands der Münchener Hypothekenbank eG und seit 2016 deren Vorsitzender. Seit 2016 ist er Präsident des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp). Seine berufliche Laufbahn begann er 1988 als Rechtsanwalt in einer Münchener Anwaltskanzlei, an die sich eine Tätigkeit als Prokurist der BV-Beteiligungsgesellschaft in München anschloss. Von 1993 bis 1996 leitete er das Büro des Verbandes deutscher Hypothekenbanken in Brüssel. Es folgte eine dreijährige Tätigkeit als Direktor der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG im Immobiliensanierungsmanagement, München. Von 2001 an war Louis Hagen Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Vorstands des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) in Berlin und von 2004 bis 2007 daneben Vorsitzender des European Covered Bond Council (ECBC) in Brüssel. Dr. Herbert Harrer, LL.M. (Columbia University), Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) ist Gründungspartner der Kanzlei Dr. Harrer. Von 1991 bis 2017 war er als Rechtsanwalt tätig und Partner im Frankfurter Büro von Linklaters im Bereich Capital Markets. Er ist spezialisiert auf Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengänge, Kapitalerhöhungen, Börseneinführungen und Umplatzierungen von Aktien. Darüber hinaus berät er Unternehmen und Investmentbanken bei wertpapierrechtlichen Fragen sowie Clearing und Settlement. Er ist Verfasser zahlreicher Aufsätze und Buchbeiträge und regelmäßig Referent bei Fachseminaren. Dr. Achim Herfs, LL.M. (Cornell), Rechtsanwalt, ist seit April 2016 Partner in der Corporate Praxisgruppe des Münchener Büros von Kirkland & Ellis International LLP. Davor war er Partner bei Hengeler Mueller in München und Frankfurt. Achim Herfs berät börsennotierte Unternehmen bei Kapitalmarkttransaktionen, gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen und M&A-Transaktionen. Ferner betreut er Kapitalgesellschaften und deren Organe bei allgemeinen kapitalmarktrechtlichen und aktienrechtlichen Fragen, einschließlich der Betreuung von Hauptversammlungen oder bei internen Untersuchungen. Des Weiteren berät Achim Herfs Emittenten und Banken bei Kapitalmarkttransaktionen einschließlich IPOs, Kapitalerhöhungen, Aktienplatzierungen ohne Bezugsrechte und Block Trades, aber auch die Begebung von Wandelschuldverschreibungen und High Yield Bonds. Er hat einen Lehrauftrag für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an der Universität Augsburg und veröffentlicht regelmäßig zu diesen Themen in Handbüchern und Zeitschriften. Er ist Co-Autor des Münchener Handbuchs Gesellschaftsrecht, Aktiengesellschaft. Holger Hirschberg ist bei der UBS Europe SE in Frankfurt a.M. als Syndikusrechtsanwalt tätig. Er berät die Investmentbank vor allem in Fragen des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts bei Transaktionen in den Bereichen Equity Capital Markets (z.B. Börsengänge, Kapitalerhöhungen, Wandel- und Umtauschanleihen, Block Trades) und Mergers & Acquisitions. Zuvor war er als Rechtsanwalt in einer internationalen Anwaltssozietät und für die Deutsche Börse AG tätig. Während seines Studiums hat er eine Zusatzausbildung als Börsenhändler absolviert und war bei einer Landesbank beschäftigt. XLVIII
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Tobias Hoffmann-Becking ist seit 2010 bei Rothschild tätig und leitet seit 2015 das Debt Advisory Geschäft im deutschsprachigen Raum. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind alle Arten der Fremdkapitalfinanzierungen für Unternehmen und Private-Equity Transaktionen. Tobias Hoffmann-Becking studierte Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München (Diplomkaufmann), der Harvard University und der London Business School (Masters in Finance). Dr. Stephan Hutter ist Partner von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom LLP in Frankfurt und verantwortlich für das Kapitalmarktgeschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er berät vorwiegend bei Börsengängen und internationalen Platzierungen von Aktien und Schuldverschreibungen (insbesondere High Yield Anleihen) mit einem besonderen Schwerpunkt auf US-rechtlichen Fragen. Stephan Hutter hält regelmäßig Vorträge und veröffentlicht zu Themen des internationalen und US-amerikanischen Wertpapierrechts. Christopher Johannson ist als Associate Director im Aktienkapitalmarktgeschäft der HSBC in Deutschland und Österreich tätig. Bevor er 2014 zur HSBC stieß, war er drei Jahre im Bereich Investment Banking bei der Quirin Privatbank AG in Frankfurt a.M. tätig. Er verfügt über weitreichende Erfahrung bei nationalen und internationalen Aktienkapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Wandelschuldverschreibungen und Block-Trade-Transaktionen. Dr. Jürgen Kammerlohr, M.C.L., ist seit Januar 2013 Chief Financial Officer der New Reinsurance Company in Zürich. Er war zuvor fünf Jahre Chief Financial Officer and Chief Legal Officer der zum Münchener Rück-Konzern gehörenden American Modern Insurance Group in Cincinnati, Ohio. Von 2004 bis 2008 leitete Jürgen Kammerlohr in der Münchener Rück den für Mergers & Acquisitions zuständigen Bereich Group Investments – Europe. Zuvor war er Partner einer Rechtsanwaltskanzlei in München mit Schwerpunkt in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht und M&A. Dr. Katja Kaulamo, Rechtsanwältin, ist Partnerin bei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom LLP in Frankfurt a.M. Sie berät vorwiegend in Fragen des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts und verfügt über umfassende Erfahrung bei internationalen Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere bei Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen und Platzierungen von Wandel- und Umtauschanleihen sowie High Yield Anleihen. Dr. Florian Khol ist Rechtsanwalt und Partner von BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien. Zu seinen Tätigkeitschwerpunkten zählen neben M&A und Corporate insbesondere die Beratung von Emittenten und Banken bei IPOs, Bondemissionen und Kapitalerhöhungen, Emittentencompliance und Übernahmerecht. Er ist Autor verschiedener Veröffentlichungen im Bereich des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts und referiert regelmäßig bei internationalen und nationalen Seminaren in diesen Bereichen. Christian Kolodinski ist als Director im Bereich Equity Advisory bei Rothschild in Frankfurt a.M. tätig. In dieser Funktion betreut er primär Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Wandel- bzw. Umtauschanleihen sowie Aktienplatzierungen. Christian Kolodinski ist seit 2005 in verschiedenen Positionen im Kapitalmarktgeschäft tätig. Bevor er 2008 zu Rothschild stieß, war er drei Jahre im Bereich Equity Capital Markets bei Dresdner Kleinwort in Frankfurt a.M. tätig. Christian Kolodinski studierte Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und schloss sein Studium als Diplomkaufmann ab. Dr. Thomas Kopp, LL.M. (Duke University), ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Sozietät Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP und dort seit 1995 tätig. Im AnXLIX
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schluss an die Juristischen Staatsexamina in München hat er ein Auslandsstudium in den USA (LL.M. Duke University) absolviert und an der Humboldt Universität Berlin promoviert. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Kapitalmarktrecht, Aktien- und Gesellschaftsrecht, Bankaufsichtsrecht (insbesondere im Recht der bankaufsichtsrechtlichen Eigenmittel) sowie im Bereich der Prozessführung. Dr. Rainer Krause ist Rechtsanwalt und Partner bei Hengeler Mueller. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Beratung von börsennotierten Aktiengesellschaften und Investoren zu Fragen des Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Übernahmerechts sowie der Corporate Governance. Er hat zahlreiche nationale und internationale Unternehmensakquisitionen und -zusammenschlüsse begleitet. Dorothea Kreymborg, LL.M. (McGill), ist seit 2011 als Syndikusrechtsanwältin bei einer Investmentbank in Frankfurt a.M. tätig und dort für die rechtliche Betreuung des M&A Geschäfts in EMEA zuständig. Zuvor arbeitete sie als Rechtsanwältin bei White & Case. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Aktien-, Übernahme- und Kapitalmarktrecht. Markus E. Kronauer, Rechtsanwalt und diplomierter Steuerexperte, berät seit 2004 als Partner der Kanzlei Niederer Kraft Frey AG in Zürich in sämtlichen steuerlichen Fragen von Gesellschaften, insbesondere im Bereich Finanz- und Kapitalmarktrecht. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind insbesondere Bank-Finanztransaktionen, Aktienkapitalmarkttransaktionen und Kapitalmarktprodukte, einschließlich kollektive Kapitalanlagen. Uta Kunold ist Rechtsanwältin im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer im Bereich Kapitalmarkt- und Finanzrecht. Von 2001 bis 2005 war sie Referentin für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht beim Deutschen Aktieninstitut e.V. in Frankfurt a.M. und dort u.a. verantwortlich für den Arbeitskreis Comfort Letter. Zuvor war sie in der Firmenkundenabteilung einer Bank sowie nach anschließendem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. Sie ist darüber hinaus Autorin von Veröffentlichungen im Kapitalmarktrecht. Heiko Leopold ist Direktor im Bereich Equity Capital Markets der Deutsche Bank AG in Frankfurt a.M. Sein Aufgabengebiet umfasst insbesondere die Vorbereitung und Durchführung von Aktienmarkttransaktionen wie Börsengänge, Kapitalerhöhungen und Umplatzierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zuvor war er im Bereich Corporate Finance bei Merrill Lynch sowie bei Sal. Oppenheim tätig. Heiko Leopold studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und der University of Michigan Business School und schloss sein Studium als Diplomkaufmann ab. Stefan Maassen ist Director im Bereich Equity Capital Markets der BNP Paribas in Frankfurt a.M. Sein Aufgabengebiet umfasst die Beratung von Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Eigenkapitalmarkttransaktionen, insbesondere die Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen, Kapitalerhöhungen und Umplatzierungen. Zuvor war er im Bereich Equity Capital Markets bei der Credit Suisse sowie der Commerzbank und Dresdner Kleinwort tätig. Stefan Maassen studierte internationale Betriebswirtschaftslehre an der Universität Maastricht. Sebastian Maerker, LL.M. (New York University), ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance. Er ist in den Bereichen Bank- und Kapitalmarktrecht tätig. Seine Schwerpunkte liegen in der Beratung von Emittenten und Emissionsbanken im Rahmen von Börsengängen, Kapitalerhöhungen und der Emission von Anleihen einschließlich Wandel-, Hybrid- und High Yield-Anleihen sowie strukturierten Produkten. Desweiteren berät er bei Liability Management Transaktionen. L
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Dr. Andreas Meyer ist Rechtsanwalt in Königstein im Taunus und ist als Syndikusrechtsanwalt bei einer deutschen Großbank in Frankfurt a.M. tätig. Zuvor war er Rechtsanwalt in internationalen Anwaltssozietäten in Frankfurt a.M. und London. Er berät vor allem in Fragen des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Dazu gehört insbesondere die Begleitung internationaler Kapitalmarkttransaktionen wie Aktien- und Anleiheemissionen sowie die Beratung zu damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Kapitalmarktaufsichtsrechts. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Beratung des M&A-Geschäfts. Er ist Autor von Veröffentlichungen im Bereich des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts und referiert regelmäßig bei Fachseminaren zu kapitalmarktrechtlichen Themen. Von 2013 bis 2018 war er Mitglied der Consultative Working Group des Corporate Finance Standing Committee der ESMA. Dr. Asmus Mihm ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht. Er ist Of Counsel in der internationalen Steuerpraxis von Allen & Overy LLP. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der steuerlichen Strukturierung komplexer grenzüberschreitender Unternehmenskäufe und Finanzierungen sowie von Immobilien- und Kapitalmarkttransaktionen. Er veröffentlicht regelmäßig zu Themen aus diesen Bereichen und zur Besteuerung von Kapitalmarktprodukten. Er ist seit Jahren Dozent beim Weiterbildungsstudiengang LL.M. Unternehmensteuerrecht an der Universität zu Köln und Mitglied des Beirats der Zeitschrift „Recht der Finanzinstrumente“. Andreas Mildner ist seit November 2016 promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Frankfurter Büro von Hogan Lovells im Kapitalmarktrecht-Team von Professor Dr. Michael Schlitt tätig. Professor Dr. Peter O. Mülbert ist seit Oktober 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und seit Januar 2001 Direktor des dortigen Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens. Der Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen liegt im Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Bankvertragsrecht. Er ist Mitglied des Redaktionsbeirats der WM, Mitherausgeber von ZHR und NZG, Research Member des European Corporate Governance Institute (ECGI), Mitglied des Academic Board des European Banking Institute (EBI) sowie Mitglied des Vorstands der Bankrechtliche Vereinigung e.V. und des Beirats des Deutsche Kreditmarkt-Standards e.V. Dr. Robert Müller, Rechtsanwalt, ist Director & Associate General Counsel der Deutsche Bank AG in Frankfurt a.M.; zuvor war er für die Bank mehrere Jahre in London tätig. Er beriet die Geschäftsbereiche Debt Capital Markets und Equity Capital Markets sowie den Bereich Treasury vor allem in Fragen des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts. Dazu gehört insbesondere die Begleitung internationaler Kapitalmarkttransaktionen wie Aktienund Anleiheemissionen. Während seiner Tätigkeit in London betreute er hauptsächlich das Kapitalmarktgeschäft in den Märkten in Osteuropa, Asien und dem Mittleren Osten. Er ist Verfasser eines Kommentars zum Wertpapierprospektgesetz, Co-Autor des Handbuchs Bank- und Kapitalmarktrecht sowie diverser weiterer Veröffentlichungen, insbesondere im Bereich des Kapitalmarktrechts. Heute leitet er den Bereich Litigation & Regulatory Enforcement in Deutschland. Peter Nägele, Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. sowie Attorney at Law (New York), berät seit mehr als 25 Jahren Unternehmer und Unternehmen bei der Lösung komplexer Situationen, der Bewältigung von behördlichen Verfahren sowie beim Umgang mit Reputationsrisiken und persönlichen Herausforderungen, seit 2016 als Inhaber von PN Executive Advice. Bis 2015 war er Mitglied im Management Board des Geschäftsbereichs Energie der Siemens AG und dessen General Counsel. Zuvor hat er als Partner internationaler AnLI
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waltssozietäten Mandanten bei Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengängen und öffentlichen Übernahmen, sowie bei wirtschaftsstrafrechtlichen Fragen und im Bereich Compliance beraten. Joanna M. Pabélick, LL.M. (Düsseldorf), ist als Rechtanwältin im Bereich Capital Markets und Structured Finance in Luxemburg tätig. Zuvor war sie unter anderem viele Jahre im Luxemburger Büro von Clifford Chance sowie als Syndikusrechtsanwältin bei der Deutsche Postbank AG in der Zentrale in Bonn beschäftigt. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind internationale und nationale Kapitalmarkttransaktionen. Neben allgemeinen bankrechtlichen Fragestellungen berät sie im Bereich der strukturierten Finanzierungen, insbesondere Verbriefungstransaktionen, Akquisitionsfinanzierungen, Immobilienfinanzierungen und begleitet Banken und international tätige Konzerne bei Wertpapieremissionen und Börsennotierungen der Gesellschaften (IPO). Sie ist unter anderem Mitglied der Association Luxembourgoise des Juristes de Droit Bancaire (ALJB). Philipp von Ploetz ist Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von SZA Schilling, Zutt & Anschütz im Bereich Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht. Zuvor war er Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Linklaters (2000 bis 2004) sowie im Moskauer (2004 bis 2006) und Frankfurter (2007 bis 2014) Büro von Clifford Chance. Philipp von Ploetz ist insbesondere in der Beratung von Unternehmen, Banken und Investoren bei verschiedensten Konstellationen nationaler und internationaler Kapitalmarkttransaktionen sowie strukturierten Finanzprodukten tätig. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt hierbei auf der Beratung grenzüberschreitender Transaktionen mit Schwellenländern, insbesondere China, Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Daneben zählen zu seinem Tätigkeitsbereich M&A-Transaktionen, öffentliche Übernahmen und Verschmelzungen börsennotierter Unternehmen sowie die Beratung zu kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten. Dr. Achim Schäcker leitet seit August 2009 das Aktienkapitalmarktgeschäft der HSBC in Deutschland und Österreich. Zuvor war er seit Januar 2005 in gleicher Position bei Credit Suisse tätig. Davor arbeitete er sechs Jahre im Investment Banking der Dresdner Kleinwort Wasserstein in Frankfurt a.M., zuletzt als Head of Equity Capital Markets Germany, und vier Jahre für Paribas in London. Er verfügt über weitreichende Erfahrung bei internationalen Aktienkapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengängen, Kapitalerhöhungen, vollvermarkteten Sekundärplatzierungen, Wandelschuldverschreibungen bzw. Umtauschanleihen und Block-Trade-Transaktionen. Professor Dr. Michael Schlitt, Rechtsanwalt, ist seit 2011 Partner im Frankfurter Büro von Hogan Lovells und Leiter Kapitalmarktrecht Deutschland sowie Leiter Capital Markets & Securities (Corporate) Europa. Er verfügt über umfassende Erfahrung bei internationalen Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Platzierungen von Wandel-, Options-, Umtausch-, Hybridanleihen und High Yield Bonds sowie Block-Trade-Transaktionen und öffentlichen Übernahmen. Er berät Investmentbanken und international tätige Konzerne auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts sowie des Aktien-, Übernahme- und Umwandlungsrecht. Michael Schlitt ist Honorarprofessor an der Universität zu Köln und Verfasser zahlreicher Aufsätze und Buchbeiträge, Co-Autor und Co-Herausgeber verschiedener Kommentare und Handbücher zum Kapitalmarkt-, Aktienund Übernahmerecht. Alle relevanten unabhängigen Publikationen wie z.B. Juve, Chambers Global, IFLR, Legal 500 und Who’s Who Legal bezeichnen Michael Schlitt als einen der führenden Anwälte im Bereich Kapitalmarktrecht. Susanne Schröter ist Director im Bereich Equity Capital Markets der Deutsche Bank AG in Frankfurt a.M. Ihr Aufgabengebiet umfasst neben der Strukturierung und Umsetzung LII
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von Wandel- und Umtauschanleihen auch die Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen, Kapitalerhöhungen und Umplatzierungen in Deutschland und Österreich. Zuvor war sie im Bereich Equity und Debt Capital Markets bei Morgan Stanley und Standard Chartered Bank beschäftigt. Susanne Schröter hat Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim studiert. Dr. Christoph Schücking ist ein bei der BHF-BANK in Frankfurt a.M. ausgebildeter Bankkaufmann und seit 1981 als Rechtsanwalt mit Schwerpunkten in den Bereichen Bankund Gesellschaftsrecht und seit 2000 auch als Notar in der Sozietät CMS Hasche Sigle (früher Peltzer & Riesenkampff) in Frankfurt a.M. tätig. Er ist Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und Gesellschafterausschüsse. Professor Dr. Andreas Schumacher ist Steuerberater, Partner von Flick Gocke Schaumburg in Bonn und Honorarprofessor der Universität Mannheim. Seine praktischen Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Unternehmens- und Konzernsteuerrecht, insbesondere bei nationalen und internationalen Umstrukturierungen, Unternehmenskäufen und -verkäufen. Er ist Autor zahlreicher steuerrechtlicher Veröffentlichungen. Dr. Oliver Seiler, LL.M. (Cornell), Rechtsanwalt und Partner, ist seit 2016 bei Latham & Watkins LLP in Frankfurt a.M. tätig. Davor war er von 2001 bis 2016 bei Allen & Overy LLP tätig und leitete zuletzt, davon ab 2003 als Partner, den Bereich Equity Capital Markets und war Co-Head ECM/EMEA. Von 1997 bis 2001 war er als Associate bei Hengeler Mueller tätig. Oliver Seiler verfügt über weitreichende Erfahrung bei internationalen Kapitalmarkttransaktionen, insbesondere bei Kapitalerhöhungen (Bezugsrechtsemissionen), Börsengängen, Wandelschuldverschreibungen bzw. Umtauschanleihen und Block-TradeTransaktionen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Praxis liegt im Aktien- und Übernahmerecht. Oliver Seiler ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen in diesen Bereichen sowie CoAutor einer Reihe rechtlicher Handbücher und Gesetzeskommentare. Dr. Bernd Singhof, LL.M. (Cornell), ist Rechtsanwalt und Syndikus der Commerzbank AG in Frankfurt a.M. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bilden das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. In Group Legal ist er u.a. für Unternehmensfinanzierungen (insbes. Aktienemissionen), Unternehmensakquisitionen (M&A) und Strukturmaßnahmen zuständig und hat zahlreiche solcher Transaktionen begleitet. Zuvor war er bei der Dresdner Bank AG (Dresdner Kleinwort) sowie als geschäftsführender Assistent eines Instituts für internationales Bankrecht tätig. Er ist Mitglied des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins und publiziert zu den genannten Rechtsgebieten regelmäßig. Carsten Stäcker ist seit 2017 Partner und Leiter Equity Advisory bei PricewaterhouseCoopers (PwC) in Frankfurt a.M. und berät Unternehmen und deren Eigentümer insbesondere bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen. Zuvor war er 24 Jahre in leitenden Positionen im Bereich Equity Capital Markets bei der Deutsche Bank AG sowie bei der MainFirst Bank AG in Frankfurt und London tätig. Als Spezialist für internationale Aktienplatzierungen hat er zahlreiche Unternehmen erfolgreich an die Börse geführt und verfügt über umfangreiche Erfahrungen insbesondere bei IPOs, Kapitalerhöhungen, Block-Trades sowie Wandel- und Umtauschanleihen. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Carsten Stäcker Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Hans Stamm, Bankkaufmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, berät seit mehr als 20 Jahren überwiegend im Bereich internationales Finanz- und Kapitalmarktrecht und Finanzsteuerrecht. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit umfasst die rechtliche und steuerliche Strukturierung und Transaktionsbegleitung von Finanzprodukten und Fonds im LIII
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Bereich Alternative Investments (insbesondere im Bereich Kreditfonds und sonstige Private Market Fonds). In den Jahren 2000 bis 2009 war er als Partner bei Clifford Chance LLP, seit 2010 ist er als Partner bei der Sozietät Dechert LLP in München tätig. Steffen Steup ist Richter am Landgericht und seit 2015 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Wiesbaden, tätig. Er war von Juni 2003 bis Mai 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dr. Stefan Sulzer, LL.M. (Michigan), ist Head Legal United States & Canada bei Alcon Laboratories, Inc. in Fort Worth, Texas, USA. Bevor er 2011 zu Alcon stieß, war er bei Novartis International AG in Basel, Schweiz, als Head Corporate Finance Legal für die kapitalmarktrechtlichen Angelegenheiten der Novartis-Gruppe zuständig. Er ist sowohl in New York als auch in Zürich als Anwalt zugelassen. Stefan Sulzer verfasste zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich Kapital- und Finanzmarktrecht. Er nimmt außerdem Lehraufträge an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität St. Gallen (Executive M.B.L.-Programm) wahr. Thomas Thurner ist Managing Director im Bereich Equity Capital Markets bei Morgan Stanley in London. Er fokussiert sich auf die Betreung von Kunden in Deutschland und Österreich. Dabei begleitete er zahlreiche internationale Aktienemissionen, insbesondere Börsengänge, Kapitalerhöhungen, Block-Trade-Transaktionen und Wandel- bzw. Umtauschanleihen. Thomas Thurner ist seit 2004 in verschiedenen Positionen im Investment Banking tätig. Christoph Trapp ist Rechtsanwalt und leitet in der Rechtsabteilung der Commerzbank AG in Frankfurt a.M. den Bereich Unternehmens- und Aufsichtsrecht. Seine Tätigkeitsgebiete sind das Gesellschafts-, Aufsichts- und Kapitalmarktrecht. Er ist für die gesellschafts- und aufsichtsrechtlichen Angelegenheiten der Commerzbank AG verantwortlich, betreut die M&A Transaktionen der Bank und berät das Geschäftsfeld Corporates und Markets bei Kapitalmarkttransaktionen im Aktienbereich. Christoph F. Vaupel, LL.M. (corporate) (NYU), Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York), ist seit 1991 als Rechtsanwalt tätig. Er ist spezialisiert auf Aktienkapitalmarkttransaktionen, d.h. Börsengänge, Kapitalerhöhungen und öffentliche Übernahmen. Darüber hinaus berät er Organe börsennotierter Unternehmen in wertpapierrechtlichen und strategischen Fragen. Ende 2011 übernahm er die Leitung der deutschen Kapitalmarktpraxis von Taylor Wessing. Zuvor war er knapp 17 Jahre bei Linklaters tätig. Er ist Verfasser zahlreicher Aufsätze und Buchbeiträge zu kapitalmarktrechtlichen Fragen und regelmäßig Referent bei Fachseminaren. Dr. Christian Weber, Maître en droit, ist seit 2009 Chefsyndikus der Hauck & Aufhäuser Privatbankiers AG in Frankfurt a.M. Zuvor war er insgesamt mehr als 13 Jahre in den Rechtsabteilungen der Dresdner Bank AG, der Investmentbank Dresdner Kleinwort und der Commerzbank AG tätig. Neben allgemeinen bankrechtlichen Aufgabenstellungen liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Bereich. Er hat zahlreiche nationale und internationale Kapitalmarkttransaktionen und Strukturmaßnahmen begleitet. Dr. Philippe A. Weber, LL.M. (EUI), ist Rechtsanwalt und Partner bei Niederer Kraft Frey AG in Zürich. Er berät regelmäßig Unternehmen, Banken und Investoren bei der Strukturierung und Umsetzung anspruchsvoller Kapitalmarkt- und M&A-Transaktionen, bei der Einhaltung börsen- und übernahmerechtlicher Vorschriften sowie bei FremdfinanLIV
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zierungen jeder Art. Er ist Mitherausgeber von CapLaw und publiziert regelmäßig zu kapitalmarktrechtlichen Themen. Seine Dissertation wurde mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages ausgezeichnet. Dr. Thomas Werlen, LL.M. (Harvard), zugelassener Rechtsanwalt in New York und Zürich, ist seit 2012 als Partner bei der international führenden Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan tätig. Seit 2016 ist er Managing Partner von Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan (Schweiz) GmbH in Zürich. Zwischen 2006 und 2011 war er Group General Counsel von Novartis und in dieser Position verantwortlich für die Rechtsangelegenheiten des Konzerns. Seit 2007 war er auch Mitglied der Geschäftsleitung. Vor seinem Einstieg bei Novartis war Thomas Werlen bei verschiedenen schweizerischen und internationalen Anwaltskanzleien tätig, zuletzt von 2001 bis 2005 als Partner von Allen & Overy in London. Thomas Werlen ist Mitherausgeber von CapLaw und hat mehrere Bücher und Artikel im Bereich des Wirtschafts- und Finanzrechts verfasst. Seit 1996 ist er als Dozent im Bereich Finanz- und Gesellschaftsrecht an der Universität Zürich und St. Gallen tätig. 2013 wurde er von der Universität St. Gallen zum Privatdozenten und 2017 zum Co-Direktor des Executive M.B.L.-HSG ernannt. Er ist ebenso Mitglied des Expertenpanels von P.R.I.M.E. Finance (Panel of Recognised International Market Experts in Finance) und der Berufungskommission von SIX Swiss Exchange AG. Dr. Ann-Katrin Wilczek, Rechtsanwältin, ist in der Rechtsabteilung der Credit Suisse in Frankfurt tätig und für den Bereich Investment Banking & Capital Markets verantwortlich. Von 2005–2009 war sie als Rechtsanwältin bei Allen & Overy LLP und von 2001–2005 bei Ashurst LLP tätig. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Gesellschafts-, Kapitalmarktund Aufsichtsrecht. Karsten Wöckener, LL.M. (Suffolk University Boston), ist seit 2004 Rechtsanwalt, Solicitor (England and Wales) und seit 2014 Partner im Frankfurter Büro von White & Case LLP. Er berät Emittenten und Konsortialbanken zu Fremd- und Eigenkapitalprodukten und deren Platzierung über den internationalen Kapitalmarkt. Dies umfasst insbesondere die Beratung bei der Begebung von Schuldverschreibungen, einschließlich Wandel- und Umtauschanleihen, Hybrid- und High Yield-Anleihen sowie Börsengängen und Kapitalerhöhungen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der bankaufsichtsrechtlichen Beratung im Zusammenhang mit Kapitalmarkttransaktionen sowie der Beratung zu Derivaten. Thomas Wohlgefahrt ist als Director im Aktienkapitalmarktgeschäft der HSBC in Deutschland und Österreich tätig. Bevor er 2008 zur HSBC stieß, war er neun Jahre im Bereich Investment Banking bei der DZ BANK in Frankfurt a.M. tätig. Er verfügt über weitreichende Erfahrung bei internationalen Aktienkapitalmarkttransaktionen, insbesondere Börsengängen, Kapitalerhöhungen, vollvermarkteten Sekundärplatzierungen, Wandelschuldverschreibungen bzw. Umtauschanleihen und Block-Trade-Transaktionen. Dr. Christoph Wolf, LL.M. (LSE), Maître en Droit, Rechtsanwalt, war von 1998 bis Ende 2000 als Anwalt bei Feddersen Laule im Bereich Corporate, Schwerpunkt Cross-border M&A tätig. Von 2001 bis 2011 war er in der Rechtsabteilung von Morgan Stanley für rechtliche Fragen in den Bereichen „Investmentbanking“ und „Global Capital Markets“ in Frankfurt a.M. verantwortlich. Seit Oktober 2011 ist er Partner im Frankfurter Büro von Baker McKenzie. Er leitet dort die Kapitalmarktgruppe und verfügt über vielseitige Erfahrung bei internationalen Kapitalmarkt- (Börsengängen, Wandel- und Umtauschanleihen, Kapitalerhöhungen und Block-Trades) und M&A-Transaktionen. Neben dem Kapitalmarktrecht liegen seine Tätigkeitsschwerpunkte im Übernahmerecht und im Aktienrecht. LV
Literaturverzeichnis Spezialliteratur ist bei den einzelnen Beiträgen nachgewiesen. Achleitner, Handbuch Investment Banking, 3. Aufl. 2002 Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), Wertpapierprospektgesetz/Vermögensanlagengesetz: WpPG/VermAnlG, 3. Aufl. 2017 Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019 Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Aufl. 2015 Bankrechts-Handbuch, herausgegeben von Schimansky/Bunte/Lwowski, 5. Aufl. 2017 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 38. Aufl. 2018 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001 Beck’scher Bilanz-Kommentar, Handels- und Steuerbilanz, herausgegeben von Ellrott/Förschle/ Grottel/Kozikowski/Schmidt/Winkeljohann, 11. Aufl. 2018 Beck’sches Handbuch der AG, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Börsengang, herausgegeben von Müller/Rödder, 2. Aufl. 2009 Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum WpPG und zur EU-ProspektVO, 2. Aufl. 2017 Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, in Hellner/Steuer (Hrsg.), Bankrecht- und Bankpraxis (Loseblatt) Bürgers/Körber (Hrsg.), Aktiengesetz, 4. Aufl. 2017 Canaris, Emissionsgeschäft, in Staub (Begr.), Großkomm. HGB, 3. Aufl., 2. Bearbeitung 1981, Rz. 2236 ff. Claussen, Bank- und Börsenrecht, 5. Aufl. 2014 Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2017 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 2014 f. Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014 Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016 Friedl/Hartwig-Jacob, Schuldverschreibungsgesetz, 2012 Fuchs (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 2016 Gericke, Handbuch für die Börsenzulassung von Wertpapieren, 1992 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, 1973–1994 Groß, Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2016 Großkommentar zum Aktiengesetz, herausgegeben von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff.; herausgegeben von Hirte/Mülbert/Roth, 5. Aufl. 2015 ff. Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013 Happ/Groß (Hrsg.), Aktienrecht, 4. Aufl. 2015 LVII
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LIX
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.E. a.F. AAOIFI ABCP ABl. ABl. EU ABO ABS Abs. AcP ADHGB ADR ADTV AEUV AG AGB AIA EU
AICPA AIF AIFM AIFMD AIM AktG ALB Alt. Am. J. Comp. Law AMEX Anh. AnlV Anm. AnsFuG AnSVG AnwBl AO APM Art. ARUG AStG Aufl. AWG AWV
anderer Ansicht am Ende alte Fassung Accounting and Auditing Organisation for Islamic Financial Institutions Asset-Backed Commercial Paper EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft(en) EU Amtsblatt der Europäischen Union Accelerated Bookbuilding Offering Asset-Backed Securities Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch American Depositary Receipts Average Daily Trading Volume Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten American Institute of Certified Public Accounts Alternative Investment Fund Alternative Investment Fund Manager Alternative Investment Fund Managers Directive Alternative Investment Market Aktiengesetz Allgemeine Bedingungen für kapitalbindende Lebensversicherungen Alternative American Journal of Comparative Law American Stock Exchange Anhang Anlageverordnung Anmerkung Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz Anlegerschutzverbesserungsgesetz Anwaltsblatt Abgabenordnung Alternative Performance Measures Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Außensteuergesetz Auflage Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung LXI
Abkürzungsverzeichnis
BaFin BAG BankA BankG BankV BAnz BAWe BayLfSt BB BBl BBV BC Bd. BdB BDSG BeckRS BEG Begr. BEHG BEHV BEHV-FINMA Beil. BelWertV betr. BFH BFW BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BilReG BIP BIS BIV-FINMA BIZ BKR BMF BMJ BOCHK BörsG BörsO FWB BörsZulV BRAO BR-Drucks. bspw. LXII
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bank-Archiv (Zeitschrift) Bankengesetz Verordnung über die Banken und Sparkassen Bundesanzeiger Bundesaufsichtsamt für denWertpapierhandel Bayerisches Landesamt für Steuern Betriebs-Berater (Zeitschrift) (Schweizerisches) Bundesblatt BeraterBrief Vermögen (Zeitschrift) Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Band Bundesverband deutscher Banken Bundesdatenschutzgesetz Beck-Rechtsprechung (Schweizerisches) Bundesgesetz über Bucheffekten Begründung (Schweizerisches) Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel Eidgenössische Börsenverordnung Börsenverordnung der FINMA Beilage Beleihungswerteermittlungsverordnung betreffend Bundesfinanzhof Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V. Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bruttoinlandsprodukt Bank for International Settlements Verordnung der FINMA über die Insolvenz von Banken und Effektenhändlern Bank für internationalen Zahlungsausgleich Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz Bank of China Hongkong Börsengesetz Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache beispielsweise
Abkürzungsverzeichnis
BStBl. BT-Drucks. BuB BV BVerfG BVerfGE BVI bzgl. bzw.
Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Bankrecht und Bankpraxis (Zeitschrift) Bundesverfassung (Schweiz) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen der amtlichen Sammlung des BVerfG Bundesverband Investment und Asset Management bezüglich beziehungsweise
c.i.c. culpa in contrahendo CapLaw Swiss Capital Markets Law (Zeitschrift) CBRC China Banking Regulatory Commission CCP Central Counterparty CCZ Corporate Compliance Zeitschrift CD&A Compensation Discussion and Analysis CDO Collateralized Debt Obligation CEINEX China Europe International Exchange CEO Chief Executive Officer CESR Committee of European Securities Regulators CFB Corporate Finance Biz (Zeitschrift) CFFEX China Financial Futures Exchange CFL Corporate Finance Law (Zeitschrift) CFO Chief Financial Officer/Collateralized Financial Obligation CFTC US Commodity Futures Trading Commission CHF Schweizer Franken CIBM China Interbank Bond Markt CLO Collateralized Loan Obligation CMBS Commercial Mortgage Backed Securities CMLJ Capital Markets Law Journal (Zeitschrift) CMU Central Money Markets Unit CNY (s. auch RMB) Renminbi, chinesische Volkswährung CO Companies Ordinance CoCo-Bonds Contingent Convertible Bonds COSI Strukturierte Produkte mit Pfandbesicherung CP Commercial Paper CR Computer und Recht (Zeitschrift) CRR Capital Requirements Regulation CSMAD Criminal Sanctions for Market Abuse Directive CSRC China Securities Regulatory Commission CSSF Commission de Surveillance du Secteur Financier d.h. D&O DAV DAX DB DBA DBG
das heißt Directors and Officers Deutscher Anwaltverein Deutscher Aktienindex Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen (Schweizerisches) Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer LXIII
Abkürzungsverzeichnis
DCGK DeckRegV DelVO DepotG DGAP DIP DiskE Diss. DLT DM DMP DNotZ DOJ DRS DSGVO DStR DStZ DSWR DTB DurchfVO DVFA DZWir
Deutscher Corporate Governance Kodex Deckungsregisterverordnung Delegierte Verordnung Depotgesetz Deutsche Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität Debt Issuance Program Diskussionsentwurf Dissertation Distributed Ledger Technology Deutsche Mark Disclosing Market Participant Deutsche Notar-Zeitschrift U.S. Department of Justice Deutsche Rechnungslegungsstandards Datenschutzgrundverordnung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Datenverarbeitung – Steuern – Wirtschaft – Recht (Zeitschrift) Deutsche Terminbörse Durchführungs-Verordnung Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EBA EBIT EBITDA ECFR EDGAR-System EEA E-FIDLEG EFSF EFSM EG EGAktG EGBGB EGV EHUG
European Banking Authority Earnings Before Interests and Taxes Earnings Before Interests, Taxes, Depreciation and Amortisation European Company and Financial Law Review (Zeitschrift) Electronic Data Gathering, Analysis and Retrieval-System European Economic Area Entwurf zum Finanzdienstleistungsgesetz (Schweiz) European Financial Stability Facility European Financial Stabilisation Mechanism Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über elektronisches Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einlagensicherungsgesetz European Insurance and Occupational Pensions Authority Verordnung 2015/760 über europäische langfristige Investmentfonds European Master Agreement European Market Infrastructure Regulation European Medium Term Note(s) Entwurf zum Obligationenrecht (Schweiz) Emerging Portfolio Fund Research Erbschaft-Steuerberater (Zeitschrift) Verordnung über die Eigenmittel und Risikoverteilung für Banken und Effektenhändler
EinSiG EIOPA ELTIF-VO EMA EMIR EMTN E-OR EPFR ErbStB ERV
LXIV
Abkürzungsverzeichnis
ESI ESM ESMA ESRB EStG ETF ETH EU EuGH EuGVÜ EuGVVO Eurex EURIBOR EuSEF-VO EuVECA-VO EUWAX EuZW EWHC EWiR EWR EZB f., ff. FamFG FAQ FASB FAZ FB FCA FCPA FDI FDIA FFG FG FGO FIC FIDLEG FIDLEV FiMaNoG FinAnV FinfraG FinfraV FinfraV-FINMA FINIG FINMA
Entry Standard Index European Stability Mechanism European Securities and Markets Authority European Systemic Risk Board Einkommensteuergesetz Exchange Traded Fund digitale Geldeinheit und Kryptowährung Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen European Exchange, elektronische Terminbörse European Interbank Offered Rate Verordnung Nr. 346/2013 über Europäische Fonds für soziales Unternehmertum Verordnung Nr. 345/2013 über Europäische Risikokapitalfonds European Warrant Exchange Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäische Zentralbank folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Frequently Asked Questions Financial Accounting Standards Board Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanz Betrieb (Zeitschrift) Financial Conduct Authority Foreign Corrupt Practices Act Foreign Direct Investments Federal Deposit Insurance Act Finanzmarktförderungsgesetz Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fixed Income and Currency Finanzdienstleistungsgesetz (Schweiz) Ausführungsverordnung zum FIDLEG Finanzmarktnovellierungsgesetz Finanzanalyseverordnung Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (Schweiz) Eidgenössische Finanzmarktinfrastrukturverordnung Finanzmarktinfrastrukturverordnung der FINMA Finanzinstitutsgesetz (Schweiz) Eidgenössische Finanzmarktaufsicht LXV
Abkürzungsverzeichnis
FINMAG FinMin FINRA FMA FMFG FMStBG
Fn. FR FRN FRUG FS FSA FSB Fv FWB GBP GDV GebO GEM GenG GesKR GesR GesRZ GewO GewStDV GewStG GG ggf. G/H/E/K gl.M. GmbH GmbHG GmbHR GoA GPR GrEStG Großkomm. GS GStB GuV GV GWB GWG GWR LXVI
Finanzmarktaufsichtsgesetz (Schweiz) Finanzminister Financial Industry Regulatory Authority Finanzmarktaufsichtsbehörde (Österreich) Finanzmarktförderungsgesetz Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ Fußnote Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Floating Rate Notes Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Financial Services Authority Financial Stability Boards Freiverkehr Frankfurter Wertpapierbörse Britische Pfund Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Gebührenordnung Growth Enterprise Market Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Schweizerische Zeitschrift für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie Umstrukturierungen Gesellschaftsrecht Der Gesellschafter (Zeitschrift) Gewerbeordnung Gewerbesteuerdurchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff gleiche Meinung Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Grunderwerbsteuergesetz Großkommentar Gedenkschrift Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift) Gewinn- und Verlustrechnung Generalversammlung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis
h.M. Hdb. HFA HFR HGB HKD HKEx HKFRS HKMA HKSCC HKSE Hrsg. HRV
herrschende Meinung Handbuch Hauptfachausschuss Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Hongkong Dollar Hong Kong Exchanges and Clearing Limited Hong Kong Financial Reporting Standrads Hong Kong Monetary Authority Hong Kong Securities Clearing Company Hong Kong Stock Exchange Herausgeber Handelsregisterverordnung
i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.H.v. i.S.d. i.S.v. i.V.m. IAASB IAS IASB IBL ICA ICBC ICMA ICO idgF IDW IDW PH IDW PS IDW RH IDW RS IDW S IDW S1 IFAC IFD IFLR IFRIC IFRS IKB insb. InsO InvG InvMaRisk
in der Fassung in der Regel im Einzelnen im engeren Sinne in Höhe von im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit International Auditing and Assurance Standards Board International Accounting Standards International Accounting Standards Board Internet Based Listing Investment Company Act Industrial and Commercial Bank of China International Capital Market Association Initial Coin Offering in der gültigen Fassung Institut derWirtschaftsprüfer IDW Prüfungshinweise IDW Prüfungsstandards IDW Rechnungslegungshinweise IDW Stellungnahmen zur Rechnungslegung IDW Standards Bewertungsgrundsätze des Instituts der Wirtschaftsprüfer International Federation of Accountants Initiative Finanzstandort Deutschland International Financial Law Review International Financial Reporting Interpretations Committee International Financial Reporting Standards Deutsche Industriebank insbesondere Insolvenzordnung Investmentgesetz Mindestanforderungen an das Risikomanagement für Investmentgesellschaften LXVII
Abkürzungsverzeichnis
InvStG IOSCO IPMA IPO IPR IPRax IPRG IRZ ISDA ISDA-MA ISE ISIN ISRE ISRS IStR ITF ITRB IUP IWB IWF IWRZ
Investmentsteuergesetz International Organization of Securities Commissions International Primary Markets Association Initial Public Offering Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Schweiz) Zeitschrift für internationale Rechnungslegung International Swaps and Derivatives Association International Swaps and Derivatives Association Master Agreement International Securities Exchange International Securities Identification Number International Standard on Review Engagements International Standard on Related Services Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Intention to Float IT-Rechtsberater (Zeitschrift) Obligationen mit überwiegender Einmalverzinsung („intérêt unique prédominant“) Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Internationaler Währungsfonds Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht
JbFStR JPS JStG Jura JW JZ
Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Joint Policy Statement Regarding Listing of Overseas Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
k.A. KAG KAGB KAMaRisk
keine Angabe (Schweizerisches) Bundesgesetz über Kollektivanlagen Kapitalanlagegesetzbuch Mindestanforderungen an das Risikomanagement für Kapitalverwaltungsgesellschaften Kapitalmarktinformations-Haftungsgesetz Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommanditgesellschaft oder Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Kapitalmarktgesetz (Österreich) kleine und mittlere Unternehmen Konkursordnung Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Zeitschrift für internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Key Performance Indicators
KapInHaG KapMuG KfW KG KGaA KMG KMU KO Komm. KonTraG KoR KÖSDI KPIs LXVIII
Abkürzungsverzeichnis
KR KSA KStG KSzW KTS KuMaKV KVStG KWG
Kotierungsreglement der SIX Kreditrisiko-Standard-Ansatz Körperschaftsteuergesetz Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der Kurs- und Marktpreismanipulation Kapitalverkehrsteuergesetz Kreditwesengesetz
LBO LFMR LG LGX LIBOR lit. LMK LoE LSE LVwVfG
Leveraged Buyout Law and financial markets review (Zeitschrift) Landgericht Luxembourg Green Exchange London Interbank Offered Rate litera Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring Letter of Engagement London Stock Exchange Landesverwaltungsverfahrensgesetz
M&A m.E. m.w.N. MAC MaKonV
Mergers and Acquisitions meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Material Adverse Change Clause Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der Marktmanipulation Marktmissbrauchsverordnung Mindestanforderungen an das Risikomanagement Management’s Discussion and Analysis Monatsschrift für Deutsches Recht Markets in Financial Instruments Directive Markets in Financial Instruments Regulation Million Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Marktmissbrauchverordnung Ministerium für Finanzen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Memorandum of Understanding Milliarde Main Refinancing Operations Market Sounding Beneficiary Market Sounding Recipient Multilateral Trading Facility Medium Term Note(s) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Kommentar
MAR MaRisk MD&A MDR MiFID MiFIR Mio. MittBayNot. MMVO MOF MoMiG MoU Mrd. MRO MSB MSR MTF MTN MünchHdb. GesR MünchKomm.
LXIX
Abkürzungsverzeichnis
n.F. NAFMII NASD NASDAQ NaStraG NAV NDRC NJOZ NJW Nr. NRW NSC NSMIA NVwZ NWB NYSE NZA NZG NZM NZZ
neue Fassung National Association of Financial Market Institutional Investors National Association of Securities Dealers National Association of Securities Dealers Automated Quotation Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung Net Asset Value National Development and Reform Commission Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Nouveau Système de Cotation National Securities Market Improvement Act Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht New York Stock Exchange Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Züricher Zeitung
o.Ä. o.g. ÖBA ÖCGK OECD OeKB OFAC OFD OFR OGAW OGH OLG OR ORA OTC OTF OwiG
oder Ähnliches oben genannt österreichisches BankArchiv Österreichischer Corporate Governance Kodex Organisation for Economic Cooperation and Development Oesterreichische Kontrollbank Office of Foreign Asset Control Oberfinanzdirektion Operating and Financial Review Organismus für gemeinsame Anlage in Wertpapieren Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Schweizerisches Obligationenrecht Obligation Remboursable Par action Over the Counter Organised Trading Facility Ordnungswidrigkeitengesetz
PboC PCAOB PDIE PEO PfandBarwertV PfandBG PFIC PFO PIE
People’s Bank of China Public Company Accounting Oversight Board Pre-Deal Investor Education Principal Executive Officer Pfandbrief-Barwertverordnung Pfandbriefgesetz Passive Foreign Investment Company Principal Financial Officer Public Interest Entities
LXX
Abkürzungsverzeichnis
PIK PIPE Plc PORTAL-System POS POSI POW PrKlG ProspektRL ProspVO/ ProspektVO PSLRA
Payment-in-kind Public Investment into Public Entities Public limited company Private Offerings, Resales and Trading through Automated Linkages Proof of Stake Public Offering of Securities Insurance Proof of Work Preisklauselgesetz EU-Prospektrichtlinie EU-Prospektverordnung Private Securities Litigation Reform Act
Q&A QDIIs QIB
Questions and Answers Qualified Domestic Institutional Investors Qualified Institutional Buyers
RAB RAG
Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren (der Schweiz) Recht der Finanzinstrumente (Zeitschrift) Rechtsdienstleistungsgesetz Referentenentwurf Regierung/Regulation Regierungsentwurf Real Estate Investment Trust Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen Request for Proposal Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reglement für die Handelszulassung von internationalen Anleihen Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Richtlinie betr. Kotierung von ausländischen Gesellschaften Richtlinie betr. Ad hoc-Publizität Richtlinie Corporate Governance Richtlinie betr. Dekotierung von Beteiligungsrechten, Derivaten und Exchange Traded Products Richtlinie betr. Darstellung von komplexen finanziellen Verhältnissen im Kotierungsprospekt (Richtlinie komplexe finanzielle Verhältnisse) Richtlinie betr. Offenlegung von Management-Transaktionen Richtlinie Rechnungslegung Richtlinie betr. Regelmeldepflichten Richtlinie betr. Streuung von Beteiligungsrechten Richtlinie betr. Verfahren für Beteiligungsrechte Richtlinie betr. Verfahren Exchange Trade Products
RdF RDG RefE Reg. RegE REIT REITG RfP RGZ RIA RIW RL RLAG RLAhP RLCG RLD RLKV RLMT RLR RLRMP RLST RLVB RLVETP
LXXI
Abkürzungsverzeichnis
RLVF Richtlinie betr. Verfahren für Forderungsrechte RMB (s. auch CNY) Renminbi, chinesische Volkswährung RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift ROHG Reichsoberhandelsgericht Rspr. Rechtsprechung Rz. Randzahl S. s. SA SAFT SAG SAM SBVg SCBP SchiedsVZ SchVG/SchuldVG/ SVG SDR SE SEA SEC SEEG SEPA SEStEG SFAS SFC SFO SIX SJZ SOFFEX SoFFin sog. Sonderbeil. SOR SOX SPAC SPO SPV SR SRO SSE Stbg StBJb. SteuerStud StG LXXII
Seite siehe Securities Act Simple Agreement for Future Tokens Sanierungs- und Abwicklungsgesetz Système automatisé de marché Schweizerische Bankiervereinigung Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance Zeitschrift für Schiedsverfahren Schuldverschreibungsgesetz Special Drawing Rights Societas Europaea Securities Exchange Act Securities and Exchange Commission Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft Single Euro Payments Area Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften Statement of Financial Accounting Standards Securities and Futures Commission Securities and Futures Ordinance SIX Swiss Exchange Schweizerische Juristen-Zeitung Swiss Options and Financial Futures Exchange Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so genannt Sonderbeilage Securities Offering Reform Sarbanes-Oxley Act Special Purpose Acquisition Company Secondary Public Offering Special Purpose Vehicle Systematische Rechtssammlung Self-regulatory Organizations Shanghai Stock Exchange Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Steuer und Studium (Zeitschrift für Aus- und Weiterbildung im Steuerrecht) (Schweizerisches) Bundesgesetz über die Stempelabgaben
Abkürzungsverzeichnis
StGB StHG StMBG StuB StudZR StV SUSMI SVSP SZSE SZW
Strafgesetzbuch (Schweizerisches) Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz Unternehmensteuern und Bilanzen (Zeitschrift) Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg (Schweizerische) Verordnung über die Stempelabgaben Substantial U.S. Market Interest Schweizerischer Verband für Strukturierte Produkte Shenzhen Stock Exchange Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht
TAN TecDAX Teilbd. TERP TISE TransPuG TUG
Transaktionsnummer Technologie-Werte Deutscher Aktienindex Teilband Theoretical Ex Rights Price The International Stock Exchange Transparenz- und Publizitätsgesetz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz
u.a. u.Ä. u.E. u.U. UAbs. Ubg UEK UEV UG UMAG UMSG UmwG UmwSt UmwStG Unterabs. UR US USA US GAAP USD UStB UStG UTP
unter anderem und Ähnliches unseres Erachtens unter Umständen Unterabsatz Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Schweizerische Übernahmekommission Verordnung der Schweizerischen Übernahmekommission Unternehmergesellschaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts OGAW-V-Umsetzungsgesetz Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuer Umwandlungssteuergesetz Unterabsatz Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) United States United States of America US Generally Accepted Accounting Principles US-Dollar Der Umsatz-Steuer-Berater (Zeitschrift) Umsatzsteuergesetz Universal Trading Platform
v. v.H. VAG vdp
vom vom Hundert Versicherungsaufsichtsgesetz Verband deutscher Pfandbriefbanken LXXIII
Abkürzungsverzeichnis
VegüV VerkProspG VermAnlG VermVerkProspV VersR vgl. VGR VO Vor VorstAG VorstOG VR VStG VStV VW VWAP VwGO VwVfG WEG WiB WiKG WiSt WKN WKSI WM WpAIV WpAV WPg WpHG WPO WpPG WpÜG WpÜG-AngebV/ WpÜG-AV WuB WuM
Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften Verkaufsprospektgesetz Vermögensanlagengesetz Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verordnung Vorbemerkung Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Verwaltungsrundschau (Zeitschrift) (Schweizerisches) Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer Verrechnungssteuerverordnung Versicherungswirtschaft (Zeitschrift) Volume Weighted Average Price Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Gesetz über dasWohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift) Wertpapier-Kennnummer Well-Known Seasoned Issuers Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WpÜG-Angebotsverordnung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft & Mietrecht (Zeitschrift)
XBRL
eXtensible Business Reporting Language
z.B. z.T. ZAG ZBB ZbstA ZfbF ZfgK
zum Beispiel zum Teil Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zinsbesteuerungsabkommen Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen
LXXIV
Abkürzungsverzeichnis
ZfPW ZGR ZHR ZIA Ziff. ZinsO ZIP ZIS zit. ZKW ZPO ZRA ZRD ZRETP ZSR ZSteu ZVglRWiss ZwVwV zzgl. ZZP
Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zentraler Immobilien Ausschuss Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zivilprozessordnung Zusatzreglement Anleihen Zusatzreglement (der SIX) für die Kotierung von Derivaten Zusatzreglement Exchange Traded Products Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Steuern und Recht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zwangsverwalterverordnung zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess
LXXV
1. Teil Einführung §1 Kapitalmarkttransaktionen aus Sicht des Finanzberaters A. Primäremissionen . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . II. Wesentliche Gründe für die Einschaltung eines Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wandel der Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . 2. Hoher Arbeitsaufwand und Informationsbedarf . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationsasymmetrie und potenzielle Interessenkonflikte . . . III. Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kenntnis geeigneter Finanzierungsprodukte . . . . . . . . . . . . . 2. Umfassendes Verständnis von Banken und Investoren . . . . . . . . 3. Bewertungskompetenz . . . . . . . . 4. Transaktionserfahrung und Marktverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . V. Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs . . . . . . . . . . . . 1. IPO-Vorbereitung . . . . . . . . . . . a) Strategische und organisationale Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalmarktspezifische Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorbereitung der IPO-Transaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. IPO-Durchführung . . . . . . . . . . a) Start der Durchführungsphase und Vorauswahl der Führungsbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung des Beauty Contests und Mandatierung der Banken . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgewählte Überlegungen zur Durchführungsphase . . . . . . . .
_ _ _ _ _ _ _ _ _ __ __ __ _ _ __ _ _ _
1.1 1.1
1.4 1.5 1.7 1.8 1.9
1.12 1.12 1.13 1.15 1.17 1.19 1.20 1.23 1.27 1.30 1.38 1.43 1.43 1.49 1.56
VI. Besonderheiten bei der Beratung von Fremdkapitaltransaktionen . 1. Einführung zu möglichen Kapitalmarktinstrumenten . . . . . . . . . . 2. Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erforderliche Qualifikation und Fachkenntnisse des Finanzberaters a) Umfassende Kenntnis der Finanzprodukte . . . . . . . . . . . b) Umfassendes Verständnis von Banken und Investoren . . . . . . c) Preisbildungskompetenz . . . . . d) Transaktionserfahrung . . . . . . e) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . .
_ _ _ _ _ __ __ __ _ _ _ _ _ __ _ _ _ __ __
1.65 1.65 1.88 1.89 1.89 1.90 1.91 1.93 1.95
B. Sekundäremissionen . . . . . . . . . 1.101 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . 1.101 II. Aufgabenspektrum des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertrauliche Transaktionsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . 2. Identifizierung günstiger Platzierungsfenster . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung eines kompetitiven Bankenauswahlprozesses . . . . . . 4. Unterstützung des Kunden bei Preisfestlegung und Zuteilung . .
. 1.106 . 1.108 . 1.114 . 1.117 . 1.127
III. Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Transaktionserfahrung und Marktkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kenntnis von Banken und Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umfassendes Verständnis der relevanten Instrumente . . . . . . . . IV. Kompetitive Prozessführung bei der Transaktionsdurchführung . 1. Aktienplatzierungen . . . . . . . . . a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . b) Prozessüberlegungen . . . . . . .
. . . .
1.128 1.129 1.134 1.138 1.142 1.143 1.144 1.145 1.149
Stäcker/Hoffmann-Becking/Albrecht/Kolodinski | 1
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
__ _
2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht . 1.158 a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . 1.161 b) Prozessüberlegungen . . . . . . . . 1.165
__ _
3. Equity-linked Anleihen . . . . . . . . 1.173 a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . 1.179 b) Prozessüberlegungen . . . . . . . . 1.183
A. Primäremissionen I. Vorbemerkungen 1.1
Als Primäremission wird im Folgenden eine erstmalige Ausgabe von Wertpapieren oder Schuldtiteln eines Unternehmens sowie deren breitgestreute Platzierung und Notierung an einem börslich organisierten Kapitalmarkt bezeichnet. Sie stellt höchste Anforderungen an eine sorgfältige Planung und umfassende Vorbereitung sowie an eine zielgerichtete und gut koordinierte Durchführung, um im Wettbewerb um das Kapital der Anleger den gewünschten Erfolg zu erzielen. Zugleich bedeutet eine Primäremission für ein Unternehmen regelmäßig eine Zäsur der bisherigen internen Abläufe sowie der externen Darstellung der Unternehmensentwicklung. Im Vorfeld sind oft neue Strukturen, Prozesse, Systeme und Funktionen zu etablieren, die eine Einhaltung der rechtlichen und regulatorischen Vorschriften gewährleisten und zugleich die Anforderungen internationaler Investoren an Transparenz und Publizität erfüllen. Das unternehmerische Handeln wird Gegenstand eines externen Urteils, das sich an der Kursentwicklung des Wertpapiers ablesen lässt und die Perzeption bei Kunden, Lieferanten und Beschäftigten beeinflusst.
1.2
Für die Beurteilung und Auswahl der geeigneten Finanzierungsform und insbesondere bei der Vorbereitung und Durchführung einer Primäremission greifen Unternehmen zunehmend auf die Unterstützung durch einen unabhängigen Finanzberater zurück1. Das Spektrum der im Markt auftretenden Finanzberater ist grundsätzlich recht heterogen. Es reicht von Einzelpersonen mit besonderen Kenntnissen in bestimmten Finanzierungsprodukten über lokale „Boutiquen“ mit zum Teil sehr unterschiedlichen Leistungsprofilen bis zu großen und international tätigen Beratungshäusern. Zumeist verfügen die verantwortlich handelnden Personen über langjährige Praxiserfahrungen aus einer vorherigen Tätigkeit im Kapitalmarkt- und Finanzierungsbereich einer internationalen Investmentbank2. Nicht jeder Finanzberater deckt die gesamte Bandbreite der Primäremissionen und ihrer möglichen Alternativen mit hinreichender Kompetenz ab, so dass Unternehmen in unterschiedlichen Phasen der Entscheidungsfindung bzw. bei bereits getroffener Vorentscheidung für eine bestimmte Finanzierungsmaßnahme auf Anbieter mit besonderen Produktkenntnissen oder spezifischen Aufgabenschwerpunkten zurückgreifen. Dessen ungeachtet wird in den weiteren Ausführungen der Begriff „Finanzberater“ übergreifend und produktunabhängig verwendet.
1 Dabei variieren oft die Aufgabenstellung und der Umfang der Einbindung von Finanzberatern, und nicht immer wird die Tätigkeit eines Finanzberaters nach außen offen erkennbar, so dass keine zuverlässigen und produktübergreifenden Statistiken vorliegen. Jedoch dürfte z.B. bei den Börsengängen in Westeuropa in den vergangenen Jahren nach Angaben von Marktteilnehmern bei etwa 60 bis 70 % der Transaktionen ein unabhängiger Finanzberater eingebunden gewesen sein. 2 Eingehend zu den erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen eines Finanzberaters s. Rz. 1.12 bis 1.19.
2 | Stäcker
Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
In früheren Jahren erfolgte die erstmalige Finanzierung über den Kapitalmarkt in der Regel durch eine Eigenkapitalaufnahme im Rahmen eines Börsengangs (Initial Public Offering oder kurz IPO). Mittlerweile wird eine erste Inanspruchnahme des organisierten Kapitalmarkts auch häufiger über eine Anleiheemission3 realisiert. Zunächst war dieser Weg überwiegend größeren Unternehmen vorbehalten, die Anleihen mit Volumina von mehreren Hundert Millionen Euro im Wege der Fremdemission über Bankenkonsortien und ausschließlich oder weit überwiegend bei institutionellen Investoren im In- und Ausland platzierten4. Ausgehend von einer Mittelstandsinitiative der Börse Stuttgart und der Einführung des Handelssegments „Bondm“ im Mai 2010 und gefolgt von ähnlichen Marktsegmenten anderer deutscher Börsen eröffnete sich auch klassischen Mittelstandsunternehmen zunehmend die Möglichkeit einer Finanzierung über börsengehandelte Unternehmensanleihen, die sich mit geringeren Emissionsvolumina und Anleihestückelungen insbesondere an Privatanleger und kleinere institutionelle Anleger im Inland wendeten5. Als Alternative zu Anleihen haben sich in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auch Schuldscheine als Instrumente der erstmaligen Kapitalmarktfinanzierung etabliert6, auch wenn es sich hierbei nicht um Wertpapiere handelt7. Anleihen als Primäremissionen (oder auch erstmaligen Schuldscheinemissionen) folgt in vielen Fällen ein IPO als nächster Schritt8.
1.3
II. Wesentliche Gründe für die Einschaltung eines Finanzberaters Mit der Einbindung eines qualifizierten Finanzberaters sichert sich ein Unternehmen spezialisiertes externes Knowhow und personelle Ressourcen, die gewöhnlich nur temporär für die Auswahl, Vorbereitung und Durchführung anspruchsvoller Finanzierungen benötigt werden. Dies gilt insbesondere für sehr zeit- und arbeitsintensive Transaktionen wie ein IPO oder eine erstmalige Anleiheemission, bei denen ein Emittent definitionsgemäß Neuland betritt und eine Vielzahl externer Informationen erhält, die für ihn ohne entsprechendes Fachwissen kaum objektiv einzuschätzen und nur schwer zu bewerten sind. Zudem unterliegen Form und Art der Finanzierungsprodukte, die Rahmenbedingungen der Kapitalmärkte und die Präferenzen von Investoren einem kontinuierlichen Wandel. In diesem Umfeld gilt es für Unternehmen, die Entscheidung für eine individuell geeignete und realistisch umsetzbare Finanzierungsmaßnahme zu treffen, die Transaktion zielgerichtet vorzubereiten und erfolgreich abzuschließen. 3 Mögliche weitere Anleiheformen, wie etwa Wandel- und Umtauschanleihen (Pre-IPO Convertible bzw. Pre-IPO Exchangeable Bond), spielen dagegen in der Praxis der erstmaligen Kapitalmarktinanspruchnahme nur eine untergeordnete Rolle. 4 Dabei handelte es sich sowohl um familiengeführte Unternehmen (zu Beispielen s. Rz. 1.65) als auch um Beteiligungsgesellschaften von Private Equity Fonds, die häufig als hochverzinsliche High Yield-Anleihen (dazu eingehend § 17) begeben wurden. 5 Die Begebungen von Unternehmensanleihen in den Mittelstandssegmenten erfolgten oft als Eigenemission der Unternehmen, wobei Banken lediglich als Selling-Agent ohne Übernahmeverpflichtung fungierten (s. hierzu auch Rz. 15.2). 6 S. Börsen-Zeitung v. 6.4.2018, Nr. 66, S. 11; Becker, Börsen-Zeitung v. 3.3.2018, Nr. 44, S. 6. 7 Zur rechtlichen Einordnung des Schuldscheins als Darlehen s. Rz. 16.3; für eine umfassende Darstellung von Schuldscheindarlehen s. den Beitrag von Mülbert/Bernauer, § 26. 8 Größere deutsche Unternehmen, die den öffentlichen Kapitalmarkt vor ihrem IPO zunächst über eine Anleihe in Anspruch nahmen, waren beispielsweise Hella KGaA (Anleihe 2009/IPO 2014), Hapag-Lloyd AG (2010/2015), KION GROUP AG (2011/2013) oder SCHAEFFLER AG (2012/2015).
Stäcker | 3
1.4
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
1. Wandel der Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt
1.5
Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 als Höhepunkt der globalen Finanzkrise ergaben sich durchweg nur relativ kurze Phasen („Emissionsfenster“), in denen kapitalsuchende Unternehmen auf investitionsbereite Anleger trafen und ihre geplanten Finanzierungstransaktionen ohne externe Störungen erfolgreich umsetzen konnten. Insbesondere Börsengänge wurden immer wieder durch erhebliche Ausschläge der Volatilität infolge einer erhöhten Verunsicherung bzw. eines kurzfristigen Vertrauensverlusts der Anleger erheblich beeinträchtigt. Investorenpräferenzen in Bezug auf Assetklassen, Investmentprodukte, Anlageregionen oder -sektoren verändern sich fortlaufend und in zunehmend kürzeren Zeitabständen. Sie finden ihren Niederschlag in – zum Teil massiven – Umlenkungen der globalen Kapitalströme9. Primäremissionen in einem schwankenden Kapitalmarktumfeld erfordern vom Emittenten ein zeitnahes und spezifisches Verständnis der Marktentwicklungen und des Verhaltens der relevanten Investoren.
1.6
Gleichzeitig unterliegen die rechtlichen und regulatorischen Voraussetzungen der Kapitalmarktinanspruchnahme einem anhaltenden Veränderungs- und Reformprozess. Zum einen werden nationale Standards auf europäischer und internationaler Ebene fortlaufend harmonisiert. Zum anderen wurden in den vergangenen Jahren mit der Absicht eines verbesserten Anlegerschutzes nach den Marktverwerfungen der Finanzkrise die Voraussetzungen eines Kapitalmarktzugangs für Unternehmen zunehmend anspruchsvoller geregelt. Allerdings hat sich die 2015 gestartete Initiative der europäischen Kapitalmarktunion u.a. auch zum Ziel gesetzt, insbesondere kleinen und mittleren Emittenten den Zugang zum Kapitalmarkt durch ein der geringeren Unternehmensgröße angemessenes regulatorisches Umfeld wieder zu erleichtern10. Die konkrete Ausgestaltung einzelner Maßnahmen hierzu muss noch abgewartet werden. Auch vor diesem Hintergrund bleibt die stets aktuelle Kenntnis der regulatorischen Rahmenbedingungen der Kapitalmarktinanspruchnahme eine wichtige Entscheidungsgrundlage des Unternehmens für die Auswahl einer geeigneten Finanzierungsform. 2. Hoher Arbeitsaufwand und Informationsbedarf
1.7
Gerade in Finanzierungsmärkten mit schnell wechselnden Rahmenbedingungen müssen Unternehmen mit einer breiten Anzahl alternativer Finanzierungsprodukte vertraut sein, um über zuverlässige Finanzierungsquellen zu verfügen und individuell geeignete Finanzierungen auswählen, strukturieren und erfolgreich platzieren zu können. Die Nutzung eines oder mehrerer Kapitalmärkte schafft Zugang zu weiteren Investorenklassen, erfordert aber auch ein ständiges Verfolgen der jeweiligen Marktbewegungen, um ein solides Finanzierungsprofil zu wahren und benötigte Liquidität rechtzeitig generieren zu können. Auch 9 Der US-Datenanbieter Emerging Portfolio Fund Research (EPFR) erhebt regelmäßig die Mittelzu- und -abflüsse von Fondsgesellschaften in verschiedenen Assetklassen. Beispielsweise liegen die wöchentlichen Zu- bzw. Abflüsse globaler Aktienfonds regelmäßig oberhalb von 10 Mrd. US$, in Phasen starker Marktbewegungen auch deutlich darüber. So folgte etwa einem monatlichen Rekordzufluss im Januar 2018 von rd. 103 Mrd. US$ in der ersten Februarwoche ein Rekordabfluss von rd. 31 Mrd. US$. 10 S. „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ in der Mitteilung der EU-Kommission COM (2015) 468 vom 30. September 2015, der bis Ende 2019 umgesetzt werden soll. Ein zentraler Baustein ist hierbei die Ersetzung der aus dem Jahr 2003 stammenden Prospektrichtlinie durch eine überarbeitete Prospektverordnung bis Juli 2019.
4 | Stäcker
Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
nimmt der Arbeitsaufwand zu in einem Umfeld, in dem der Finanzbereich des Unternehmens nicht nur mit einer zahlenmäßig beschränkten Gruppe von Banken in Kontakt steht, sondern mit verschiedenen Kapitalgebern mit differenzierten Informationsbedürfnissen und Anforderungen zusammenarbeitet. Die Einbindung eines externen Finanzberaters hilft dem Unternehmen, durch zusätzliches Fachwissen und unter Schonung interner Ressourcen diese vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen sowie die individuellen Anforderungen einer Finanzierungsmaßnahme zu erfüllen. 3. Informationsasymmetrie und potenzielle Interessenkonflikte Es liegt in der Natur einer Primäremission, dass zwischen dem Unternehmen und den transaktionsbegleitenden Emissionsbanken gewöhnlich eine erhebliche Diskrepanz in Bezug auf die spezifische Produkt- und Marktkenntnis besteht. Gleichzeitig können die Interessen und Prioritäten von Unternehmen und Emissionsbanken hinsichtlich der Auswahl und Bewertung für die langfristige Finanzierungsstrategie optimaler Alternativen deutlich auseinanderfallen. Dies gilt beispielsweise im Fall bereits bestehender Kreditverbindungen sowie im Hinblick auf die zum Teil deutlich abweichenden Leistungsprofile und Qualifikationen der Banken in Bezug auf die Realisierung einzelner Finanzierungsalternativen. Gerade bei Kapitalmarkttransaktionen ergibt sich darüber hinaus ein inhärentes Konfliktpotential aus der Doppelfunktion der transaktionsbegleitenden Banken als gleichzeitiger Vertragspartner und Interessenvertreter der Verkäufer- wie auch der Käuferseite. Durch Hinzuziehung eines qualifizierten und unabhängigen Finanzberaters erhält das Unternehmen wertvolles Knowhow zur Aufhebung von Informationsasymmetrien und zur Lösung bzw. Vermeidung von Interessenkonflikten11. Die Erhöhung der Marktund Prozesstransparenz ermöglicht eine objektive Bewertung geeigneter Finanzierungsprodukte und unterstützt die Erreichung der mit der Emission angestrebten Ziele.
1.8
III. Aufgabenspektrum des Finanzberaters Zentrale Funktion des Finanzberaters ist die Vertretung der Unternehmens- und Eigentümerinteressen durch fachkundige Beratung und aktive Unterstützung bei der Auswahl und objektiven Bewertung alternativer Finanzierungsoptionen, der Erfüllung der mit der Finanzierungsmaßnahme verbundenen internen Voraussetzungen und externen Anforderungen sowie der erfolgreichen Durchführung der Finanzierungstransaktion am Kapitalmarkt. Demzufolge lassen sich im Hinblick auf eine Primäremission – unabhängig ob bei der Begebung einer Anleihe oder der Durchführung eines Börsengangs – folgende übergeordnete Aufgabenschwerpunkte des Finanzberaters festhalten:
1.9
1) Analyse der Finanzierungserfordernisse des Unternehmens und Erarbeitung zielführender Finanzierungsmaßnahmen sowie deren Bewertung unter Berücksichtigung möglicher Umsetzungsrisiken und Kosten
1.10
2) Ausarbeitung von Zeit- und Maßnahmenplänen für die Vorbereitung und Durchführung der gewählten Finanzierung(en) 3) Beratung und Unterstützung bei den internen Vorbereitungsmaßnahmen des Unternehmens auf den Kapitalmarkt und die Transaktion 11 Beispielsweise zu den unterschiedlichen Interessen der Parteien im Konsortialvertrag s. Rz. 32.22 ff.
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4) Auswahl und Mandatierung bestmöglich qualifizierter Banken und weiterer Dienstleister für die erfolgreiche Durchführung der Transaktion 5) Entlastung der unternehmenseigenen Ressourcen durch Unterstützung bei Transaktionssteuerung und Projektmanagement 6) Vorbereitung wichtiger Prozessentscheidungen, laufende Beratung in Bewertungsfragen, Kostenkontrolle sowie Management von Konflikten 7) Koordination der beteiligten externen Parteien und Sicherstellung der Leistungserbringung sowie objektive Leistungsmessung als Grundlage der Vergütung 8) Begleitung und Unterstützung des Emittenten nach der Transaktion im Zweitmarkt
1.11 Aufgrund der in jedem Unternehmen individuellen Voraussetzungen und Erfordernisse
sowie der unterschiedlichen persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen ergeben sich für den Finanzberater abweichende Aufgabenstellungen und Schwerpunkte. Insofern ist der Leistungskatalog stets für jeden Einzelfall zu entwickeln und mit Fortschritt der Transaktion flexibel anzupassen. Zudem unterstreicht die über die letzten Jahre stark gestiegene Zahl missglückter IPOs, dass sich die Ansprüche an das erforderliche Leistungsspektrum eines Finanzberaters insbesondere bei der Begleitung erfolgreicher Börsengänge deutlich erhöht haben. Zur tieferen Veranschaulichung des besonderen Aufgabenspektrums des Finanzberaters bei IPOs wird auf die Ausführungen in Rz. 1.20 ff. verwiesen.
IV. Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters 1. Kenntnis geeigneter Finanzierungsprodukte
1.12 Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der theoretisch verfügbaren Finanzierungsoptionen
stellt an einen Finanzberater den Anspruch detaillierter Kenntnisse einer breiten Palette von Finanzierungsprodukten und -märkten, um das Unternehmen in Bezug auf seine individuellen Handlungsoptionen objektiv und umfassend beraten zu können. Auf der Fremdkapitalseite umfasst dies sowohl Kredit- als auch Anleihemarktprodukte, darüber hinaus sollte idealerweise auch Vertrautheit mit Spezialfinanzierungen, wie z.B. Leasingoder Forderungsfinanzierungen, gegeben sein. Analog dazu muss der Finanzberater auf der Eigenkapitalseite nicht nur die spezifischen Details von Börsengängen beherrschen, sondern sollte zudem auch über die notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen zur Beurteilung alternativer Maßnahmen der Eigenmittelaufnahme verfügen, wie bspw. die Beteiligung eines Finanzinvestors auf Zeit (Private Equity). 2. Umfassendes Verständnis von Banken und Investoren
1.13 Unabdingbar für den Finanzberater ist eine profunde und stets aktuelle Kenntnis der pro-
duktspezifischen Leistungsfähigkeit der für eine Transaktionsbegleitung in Frage kommenden Banken12. Überdies ist auch ein genaues Verständnis der Arbeitsweise und internen Entscheidungsabläufe der Konsortialbanken erforderlich. Diese stehen vor der Herausforderung, beiden Seiten der Transaktion zugleich gerecht werden zu müssen: dem Unternehmen, das sie mit der Platzierung seiner Emission beauftragt und den institutionellen
12 Zu den Kriterien und dem Verfahren der Auswahl von Konsortialbanken beim Börsengang s. Rz. 1.46 ff.
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Investoren, die tägliche Kernkunden des Handelsgeschäfts der Banken sind. Zudem stehen die Konsortialbanken auch untereinander in einem Konkurrenzverhältnis. Aus den unterschiedlichen Interessen der Parteien ergeben sich Konfliktpotenziale, die ein erfahrener Finanzberater vorausschauend identifizieren, adressieren und professionell zu lösen im Stande sein muss. Institutionelle Investoren als die entscheidende Käuferschicht größerer Primäremissionen13 bilden keine homogene und klar definierte Einheit. Vielmehr handelt es sich um eine vielschichtige Gruppe internationaler professioneller Anleger mit individuellen Hintergründen und Strategien sowie sich fortlaufend verändernden Investmentpräferenzen. Das Management des Unternehmens muss sich sehr frühzeitig und eingehend mit der Frage befassen, wer die potentiellen Zielinvestoren14 für die Emission sind und welche qualitativen und quantitativen Kriterien diese Investoren ihren Portfolioentscheidungen zugrunde legen. Dabei unterscheiden sich Anforderungen und Vorgehensweisen bei Primäremissionen fundamental von Sekundäremissionen bzw. Investments in bereits notierte Wertpapiere. Einen entscheidenden Wertbeitrag kann hierbei ein im internationalen Kapitalmarktgeschäft versierter Finanzberater leisten, der die aktuellen Entwicklungen im institutionellen Kapitalmarktgeschäft eng verfolgt und einschätzen kann. Probleme bei der Platzierung von Primäremissionen oder gar ein Scheitern der Gesamttransaktion liegen seltener an der Nichterfüllung rechtlicher oder regulatorischer Voraussetzungen, sondern am Ende vor allem daran, dass sich der Emittent nicht ausreichend intensiv oder zu spät mit der Herangehensweise und den Erwartungen der zu Beginn des Prozesses weitestgehend anonymen Käuferschaft auseinandergesetzt hat.
1.14
3. Bewertungskompetenz Mit dem Vorstehenden zusammenhängend besteht die Notwendigkeit, dass der Finanzberater ein umfassendes theoretisches und vor allem auch praktisches Fachwissen für die Marktbewertung eines geeigneten Kapitalmarktprodukts für das Unternehmen besitzt. Dies ist zunächst schon elementar für eine zuverlässige Entscheidung für oder gegen eine Primäremission, bevor die zeit- und kostenintensive Vorbereitung einer Transaktion angestoßen wird. Während ein Unternehmen etwa bei einem Bankkredit unmittelbar mit dem finanzierenden Kreditinstitut über Preise und Konditionen verhandelt, erfolgt die Preisfindung einer Primäremission letztendlich erst am Schluss des Prozesses durch das Feedback einer breiten Investorengruppe in der Vermarktungsphase. Ein frühes und kontinuierlich zu überprüfendes, marktnahes Bewertungsverständnis bleibt damit für eine verlässliche Finanzplanung des Unternehmens unentbehrlich. Im Vergleich zu einer Anleiheemission haben nicht ausreichend fundierte Wertvorstellungen als Entscheidungsgrundlage eines Börsengangs noch weitreichendere Konsequenzen, da hier der Wert des Gesamtunternehmens betroffen ist. Ungeplante Anpassungen an den tatsächlich im Markt erzielbaren Ak13 Von den unter Rz. 1.3 erläuterten „Mittelstandsanleihen“ abgesehen, richten sich Primäremissionen in Form von Anleihen mit Stückelungen oder Mindesterwerbsbeträgen von 100 000 Euro regelmäßig an institutionelle Anleger. Auch bei IPOs spielen Privatinvestoren seit vielen Jahren nur eine untergeordnete Rolle: Zwischen 2012 bis 2017 erwarben sie bei den 32 IPOs deutscher Unternehmen mit jeweils mehr als 50 Mio. Euro Emissionsvolumen, die sich als öffentliches Angebot auch an Retailanleger richteten, im Durchschnitt nur 1,6 % der angebotenen Aktien. Lediglich der Börsengang der Voltabox AG im Oktober 2017 bildete mit einem Retailanteil von 10,2 % eine größere Ausnahme. 14 Zur Bedeutung der Zielinvestoren s. näher Rz. 1.34 f.
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1.15
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
tienwert durch eine Reduzierung des Angebotspreises sind für das Unternehmen mit nachhaltigen Opportunitätskosten durch erhöhte Anteilsverwässerung und/oder geringeren Eigenmittelzufluss verbunden. Im schlimmsten Fall führen nicht erzielbare Wertvorstellungen zu einem Scheitern der Gesamttransaktionen mit der Konsequenz, dass geplante Wachstumsinvestitionen nicht realisiert werden können oder andere strategische Schritte des Emittenten verschoben werden müssen. Darüber hinaus belastet ein Abbruch einer Kapitalmarkttransaktion oft auch die Reputation eines Unternehmens.
1.16 Die in Aussicht gestellte Bewertung eines Kapitalmarktprodukts bzw. der voraussichtlich
zu erzielende Platzierungspreis einer Aktie sind Kernelement der Bewerbung von Investmentbanken um eine Führungsrolle in der Begleitung der Transaktion und spielen oft eine entscheidende Rolle bei der Zusammenstellung des Emissionskonsortiums durch das Unternehmen bzw. seine Eigentümer. Dementsprechend muss der Finanzberater über die fachliche Kompetenz und die praktische Erfahrung verfügen, die von potentiellen Führungsbanken vorgestellten Bewertungsverfahren und -ergebnisse unter Einbeziehung der tatsächlichen Verhältnisse am Kapitalmarkt sowie aus dem Blickwinkel der potenziellen Investoren auf ihre Realisierbarkeit beurteilen zu können. Dies ist insbesondere wichtig, weil Banken im intensiven Wettbewerb um attraktive Mandate zur Begleitung von Primäremissionen durchaus einen Anreiz haben, über die Höhe der präsentierten Bewertung zu konkurrieren (ohne diese jedoch für die spätere Platzierung zu garantieren). Der Finanzberater muss Transparenz und Vergleichbarkeit der Bewertungsansätze herstellen, um dem Unternehmen objektive Entscheidungen zu ermöglichen und Enttäuschungen im späteren Transaktionsverlauf zu vermeiden. Gleichzeitig erlaubt die Einbeziehung eines kompetenten Beraters den Banken, im Auswahlverfahren auf eher marketingorientierte Bewertungsdarstellungen zu verzichten. 4. Transaktionserfahrung und Marktverständnis
1.17 Primäremissionen sind stark regulierte und technisch komplexe Transaktionsverfahren,
die insbesondere mit dem Start der Durchführungsphase15 einem eng getakteten Zeitplan folgen. Unterschiedliche Prozessschritte, Aufgaben und Abläufe müssen parallel bewältigt und synchronisiert werden. Neben den eigenen Gesellschaftern und Organen ist dabei regelmäßig eine Vielzahl spezialisierter externer Dienstleister eingebunden mit unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten und Verantwortlichkeiten: Die Führungsbanken (d.h. die Globalen Koordinatoren und Bookrunner) und die nachgeordneten Mitglieder des Emissionskonsortiums, die Rechtsberater des Unternehmens und des Konsortiums, der Abschlussprüfer des Unternehmens sowie Kommunikations- und Investor Relations-Agenturen. Für das Unternehmen bzw. das unweigerlich im Zentrum des Verfahrens stehende Management bedeutet die Erfüllung der inhaltlichen und zeitlichen Ansprüche aller eingebundenen Parteien eine erhebliche Belastung zusätzlich zu dem nicht vernachlässigbaren operativen Tagesgeschäft. Die Unterstützung der Transaktionssteuerung sowie die Koordination der Abläufe und der beteiligten Parteien verlangt von einem Finanzberater, dass er die spezifischen Details des Emissionsprozesses einwandfrei beherrscht. Dazu ist eine umfangreiche Praxiserfahrung aus vergleichbaren Transaktionen unabdingbar. Der Finanzberater muss die Aufgaben, Sichtweisen und Erfordernisse der beteiligen Parteien exakt kennen und in der Lage sein, mit ihnen (nicht: gegen sie) als professioneller Partner 15 Zur Begründung einer Trennung der unternehmensinternen Transaktionsvorbereitung und der Durchführungsphase s. insbesondere Rz. 1.21 f.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
„auf Augenhöhe“ zu arbeiten. Nur so kann er seine Aufgabe erfüllen, die Komplexität des Gesamtprozesses zu reduzieren und die Effizienz der Transaktion entscheidend zu erhöhen. Die bei Primäremissionen inhärente Informationsasymmetrie sowie die potenziellen Zielund Interessenkonflikte (s. auch Rz. 1.8) erschweren dem Unternehmen oft die objektive Evaluierung einer Vielzahl von Informationen, die im Laufe des Transaktionsprozesses als Grundlage wichtiger Entscheidungen des Managements heranzuziehen sind. Hierbei geht es insbesondere um transaktionsspezifische Fragestellungen oder Aussagen der Konsortialbanken zu laufenden Veränderungen im Kapitalmarkt- oder Bewertungsumfeld, die das Unternehmen nicht ohne spezielles Wissen eigenständig beurteilen kann. Bei der Wertung dieser Informationen und der Einschätzung der Konsequenzen von Entscheidungen bzw. ihrer Alternativen unterstützt der Finanzberater das Management mit einer unabhängigen zweiten Meinung oder Empfehlung. Dies setzt allerdings voraus, dass der Finanzberater selbst über ein umfassendes und aktuelles Kapitalmarktverständnis und SektorKnowhow verfügt.
1.18
5. Unabhängigkeit Selbstverständliche Anforderung an den Finanzberater ist seine vollständige institutionelle und persönliche Unabhängigkeit. Das bedeutet konkret, dass er keine Geschäfte betreibt, welche die Objektivität seiner Beratungsleistung in Frage stellen. Dies könnte z.B. gegeben sein, wenn der Finanzberater selbst als Konsortialbank im Emissionsgeschäft tätig ist und bei anderen Transaktionen wiederum auf das Wohlwollen bestimmter Banken angewiesen sein könnte, etwa im Hinblick auf die Positionierung in Emissionskonsortien. Darüber hinaus darf er keine Eigeninteressen verfolgen, welche die Entscheidungen in Bezug auf die Auswahl und die Umsetzung der Finanzierungsmaßnahme beeinflussen, z.B. durch das eigene Angebot konkurrierender Finanzierungsprodukte. Diese Unabhängigkeit ist nicht nur eine notwendige Basis für die uneingeschränkt objektive Vertretung der Interessen des Unternehmens und seiner Eigentümer. Sie ist ebenso Grundvoraussetzung für die Akzeptanz des Finanzberaters als Transaktionsbeteiligter durch die weiteren bei der Primäremission beteiligten Parteien und Dienstleister, deren Mandatierung, Leistungsbeurteilung und Vergütung er in der Regel beeinflusst oder zwischen denen er in Konfliktsituationen im Verlauf des Transaktionsprozesses vermittelt.
1.19
V. Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs Trotz einer gestiegenen Bedeutung von Anleiheemissionen für eine erste Finanzierung über den Kapitalmarkt (s. auch Rz. 1.3), verdeutlicht der Begriff „Börsengang“ sowie der im angelsächsischen Sprachraum dafür übliche Terminus „Initial Public Offering“, dass als klassischer Fall der ersten Kapitalmarktinanspruchnahme ein öffentliches Angebot von Aktien verstanden wird. Ein IPO ist regelmäßig ein Paradigmenwechsel in der Unternehmensgeschichte, der durch die dauerhafte Aufnahme neuer Miteigentümer eine im Vergleich zur Anleiheemission wesentlich größere Dimension erreicht. Grundsätzlich eröffnet der Börsengang dem Unternehmen aber auch völlig andere Möglichkeiten der Wachstumsfinanzierung durch zusätzliches Eigenkapital sowie den Zugang zu einem wesentlich breiteren Spektrum an Fremdfinanzierungprodukten.
1.20
Angesichts der hohen Komplexität eines Börsengangs und der Fülle der damit für das Unternehmen verbundenen Aufgaben und Herausforderungen empfiehlt sich ein frühzeitiger
1.21
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§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
Start der internen IPO-Vorbereitung. Die eigentliche Durchführung des Börsengangs sollte erst angestoßen werden, wenn das Unternehmen und seine Gesellschafter eine klare IPO-Strategie definiert haben und alle erforderlichen internen Maßnahmen in Bezug auf das Unternehmen und die Herstellung seiner Kapitalmarktfähigkeit abgeschlossen sind. Als Startpunkt der Durchführungsphase ist dabei die Auswahl der Globalen Koordinatoren bzw. Bookrunner als Führungsbanken des Emissionskonsortiums zu verstehen. Die Trennung von IPO-Vorbereitung und -Durchführung erlaubt dem Unternehmen, auch in einem volatilen Kapitalmarktumfeld zeitnah auf günstige Rahmenbedingungen reagieren zu können und quasi „auf Knopfdruck“ mit einer möglichst kurzen, klar strukturierten und transparenten Durchführungsphase den Erfolg des Börsengangs zu maximieren16. Die folgende Übersicht veranschaulicht die Ziele und Kernaufgaben in den zeitlich getrennten Phasen:
1.22
IPO-Vorbereitung (intern) Klar definierte IPO-Strategie Kapitalmarktorientierung der Unternehmensstruktur, der internen Prozesse, Systeme und der Corporate Governanc Beseitigung etwaiger Hindernisse (insbesondere in rechtlicher und steuerlicher Hinsicht) Belastbare Equity Story Prospektfähige Finanzzahlen und Daten Kenntnis der Zielinvestoren und ihrer Erwartungen Flexibilität und Handlungsfreiheit für die IPO-Umsetzung
Strategische und organisatorische Vorbereitung Kapitalmarktspezifische Vorbereitung Vorbereitung der IPO-Transaktion
Zeitbedarf
Kernaufgaben
Wesentliche Ziele
Phase
Wesentliche Ziele und Kernaufgaben in der Vorbereitung und Durchführung eines Börsengangs
~ 12–18 Monate
IPO-Durchfühung (extern) Schnelle IPO-Umsetzung bei günstigen Kapitalmarktbedingungen Minimierung der Transaktionsrisiken Sicherung der vollen Leistung aller Beteiliger Informationstransparenz und eigene Kontrolle im Prozessverlauf Effizienter Einsatz der eigenen Ressourcen Überzeugende Positionierung und Vermarktung bei den Zielinvestoren Vorauswahl der Führungsbanken Beauty Contest und Mandatierung
Strukturierung des Angebots Due Diligence und Dokumentation Research-Reports
~ 4–5 Wochen
~ 8–14 Wochen
Vermarktung Roadshow & Bookbuilding Preisfestsetzung & Zuteilung
~ 3–4 Wochen
1. IPO-Vorbereitung
1.23 Erfahrungsgemäß werden Umfang und Zeitbedarf einer gründlichen IPO-Vorbereitung
unterschätzt, ebenso deren hoher Nutzen. Unternehmen neigen nicht selten dazu, die Planung eines Börsengangs erst dann konkret anzugehen, wenn die Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt attraktive Bewertungen und intensives Investoreninteresse an Aktien verspre16 Zu den Zielsetzungen und Vorteilen einer Entlastung der IPO-Durchführungsphase s. auch Rz. 1.42 sowie Rz. 1.57 ff.
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chen. Oft wird die Entscheidung zum Börsengang durch proaktive Kontaktaufnahme durch Banken ausgelöst, die aufgrund aktuell günstiger Marktverhältnisse eine zügige Durchführung anregen. Dabei ist zu beachten, dass sich konkurrierende Banken im wettbewerbsintensiven Kapitalmarktgeschäft zuweilen schwertun, mit Hinweis auf einen noch nicht optimalen internen Vorbereitungsstand des Unternehmens einen Börsengang zu einem späteren Zeitpunkt zu empfehlen und damit ein möglicherweise lukratives Mandat zur Begleitung des IPOs zu gefährden. Das Unternehmen riskiert in einem solchen Fall, dass anfänglich unterschätzte Aufgaben oder nicht erkannte Sachverhalte die geplante schnelle Realisierung des Börsengangs verhindern und dass sich die Schwerpunkte der Bankenarbeit im Prozess zulasten einer optimalen Positionierung und Vermarktung der Aktie verschieben, was in der Regel wiederum zu einer Verminderung der erzielbaren Bewertung führt. Die internen Vorbereitungsmaßnahmen eines IPO lassen sich drei Aufgabenfeldern zuordnen:
1.24
1) Optimierung des Unternehmens und seiner Strukturen in strategischer und organisationaler Hinsicht 2) Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Anforderungen als börsennotiertes Unternehmen am Kapitalmarkt 3) Spezifische Vorbereitung der IPO-Transaktion Naturgemäß sind Umfang und Schwerpunktsetzung der Aufgabenfelder bei jedem Unternehmen unterschiedlich. Insofern haben die einzelnen Maßnahmen abweichende zeitliche Vorläufe und sind zudem interdependent. Übergeordnetes Ziel jeder IPO-Vorbereitung ist jedoch stets die Schaffung eines attraktiven Angebots für die Investoren am Aktienmarkt. Insofern stehen alle Maßnahmen quasi unter dem Primat der Kundenorientierung am anspruchsvollen Investor als langfristigem Partner für die weitere Unternehmensentwicklung. Kernaufgabe des Finanzberaters ist hierbei, die Sensibilität des Managements für die besonderen Herausforderungen des spezifischen Börsengangs zu erhöhen, ein tieferes Verständnis für erfolgskritische Themen und Prioritäten des Prozesses zu schaffen und die Phase der internen Vorbereitung zu koordinieren und aktiv zu unterstützen.
1.25
Als Startpunkt der IPO-Vorbereitung empfiehlt sich eine sorgfältige Analyse des Status Quo, die Diskussion der spezifischen IPO-Ziele des Unternehmens und die Entwicklung eines Zeit- und Maßnahmenplans für die jeweiligen Aufgabenbereiche. Unter Berücksichtigung der zeitlichen Vorläufe der identifizierten Maßnahmen schafft sich das Unternehmen so eine eigene Transparenz, Kontrolle und Flexibilität auf dem Weg zur vollständigen Börsenreife.
1.26
a) Strategische und organisationale Vorbereitung Den größten Zeitbedarf erfordert die Schaffung oder Anpassung gesellschaftsrechtlicher Strukturen, die gesetzlichen Vorgaben wie auch Kapitalmarkterfordernissen genügen müssen. Investoren erwarten eine klare und transparente Unternehmensstruktur, die eine externe Analyse und Abschätzung der künftigen Entwicklung erleichtert. Des Weiteren sollten geeignete strategische Maßnahmen zur Verbreiterung des Geschäftsmodells (z.B. durch Zukauf neuer Geschäftsfelder), zur Verbesserung der Marktposition (z.B. durch Übernahme eines Wettbewerbers) oder zur Schärfung des Geschäftsprofils (z.B. durch Stäcker | 11
1.27
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
Trennung von Randaktivitäten) frühzeitig umgesetzt werden. Durch die damit verbundene erhöhte Komplexität in der Darstellung des Zahlenwerks sowie einen noch nicht ausreichend nachweisbaren Integrationserfolg reduziert sich die positive Auswirkung dieser Maßnahmen auf die Gesamtbewertung des Unternehmens umso mehr, je kürzer vor dem IPO sie durchgeführt werden.
1.28 In den meisten Unternehmen ist die Einrichtung moderner und reibungslos integrierter
Funktionen im Finanzbereich eine selbstverständliche Grundlage der erfolgreichen Planung und Steuerung der Unternehmensentwicklung und somit in weiten Teilen unabhängig von einer Börsennotierung. Durch die erweiterten Publizitäts- und Berichtspflichten im Zuge eines Börsengangs und die darüber hinausgehenden Informationsansprüche der neuen Investoren ergeben sich jedoch besondere Anforderungen an Art, Umfang und Detailgrad der künftig erforderlichen Informationen sowie an die Geschwindigkeit, mit der diese für die interne Analyse und die externe Berichterstattung zur Verfügung stehen müssen. Die Funktionen, Prozesse und Systeme17 des Emittenten sind auf ihre Eignung und Leistungsfähigkeit für kapitalmarktorientierte bzw. börsennotierte Unternehmen zu überprüfen und zu bewerten. Dies sowie die Umsetzung notwendiger oder empfehlenswerter Verbesserungsmaßnahmen erfordert in der Regel das Knowhow und die aktive Unterstützung einer erfahrenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder eines spezialisierten Beraters. Dabei empfiehlt sich auch – sofern getrennten Organisationen zugehörig – die enge Einbindung des Finanzberaters, der beurteilen kann, welche Daten und Informationen für die Investoren zur Analyse des Unternehmens und seiner Branche von besonderer Bedeutung sind. Grundlage hierfür ist u.a. ein Benchmarking der Berichterstattung vergleichbarer notierter Wettbewerber18 und die Analyse der Bewertungsmodelle, die Research-Analysten und institutionelle Anleger für diese Vergleichsunternehmen zugrunde legen.
1.29 In Bezug auf die Qualität und Belastbarkeit der intern generierten Zahlen und Daten ist zu bedenken, dass diese in der späteren Vermarktung des Börsengangs und zur Unterlegung der Equity Story (s. dazu Rz. 1.31 ff.) nur dann verwendet werden können, wenn sie den strengen Anforderungen des Wertpapierprospekts als Haftungsgrundlage standhalten. § 15 Abs. 4 WpPG19 verlangt die inhaltliche Konsistenz aller im Zusammenhang mit dem Börsengang verwendeten Informationen mit den im Prospekt enthaltenen Angaben. Das Verbot einer selektiven Offenlegung (selective disclosure) umfasst somit auch alle wesentlichen Daten und Zahlen, die durch das Unternehmen etwa im Rahmen der Präsentationen bei den Konsortialanalysten oder bei potenziellen Investoren verwendet werden. Besondere Sorgfalt ist bei Zahlen geboten, die nicht durch die IFRS definiert sind, wie etwa bei Adjustierungen und Bereinigungen von Ergebniszahlen zur besseren Vergleichbarkeit oder im 17 Zu nennen sind hier vor allem externes und internes Berichtswesen, Planung und Controlling, Liquiditäts- und Working Capital-Management, Internes Kontrollsystem und Risikomanagement, IT-Systeme und -Sicherheit, Steuern, IT, Recht und Compliance. 18 Zur Auswahl der Vergleichsunternehmen s. Rz. 1.32. 19 Im Zuge der geplanten EU-Kapitalmarktunion wurde 2017 die Prospektverordnung (Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12 ff.) verabschiedet, wodurch die bisherigen Regelungen des WpPG in weiten Teilen ersetzt werden. Anstelle von § 15 WpPG gilt ab 21.7. 2019 Art. 22 VO 2017/1129.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
Hinblick auf spezifische Daten zu Geschäftsbereichen oder Regionen, die nicht in der Segmentberichterstattung des Anhangs zum Konzernabschluss enthalten sind20. b) Kapitalmarktspezifische Vorbereitung Ziel der kapitalmarktbezogenen Maßnahmen ist die Vorbereitung des Unternehmens und insbesondere des Managements auf die spezifischen Erwartungen der Investoren an ein aus ihrer Sicht attraktives IPO (Going Public) sowie auf die Anforderungen des Kapitalmarkts an das börsennotierte Unternehmen im Zweitmarkt (Being Public).
1.30
Der diesbezügliche wichtigste Vorbereitungsschritt ist die sorgfältige Entwicklung und kontinuierliche Überprüfung der Equity Story des Unternehmens. Dabei sind das Geschäftsmodell, die Strategie und die Stärken und Schwächen aus dem Blickwinkel institutioneller Investoren zu betrachten und der individuelle Charakter der Beteiligung am Unternehmen herauszuarbeiten. Der Fokus der Equity Story kann dabei grundsätzlich zwischen den Parametern Rendite und Wachstum variieren, die in Abhängigkeit vom vorliegenden Kapitalmarktumfeld sehr unterschiedlichen Stellenwert haben können. Bei der näheren Beurteilung eines spezifischen Investments legen Investoren finanzielle und qualitative Kriterien zugrunde. Als finanzielle Kriterien werden im Allgemeinen das Wachstum von Umsatz und Ergebnis (zumeist branchenabhängig auf der Ebene von EBITDA, EBIT oder Nettoergebnis), die Rentabilität (wie z.B. Return on Investment oder Return on Capital Employed), die Profitabilität (Ergebnismargen) bzw. das Wachstum der Profitabilität verwendet. Des Weiteren können für Investoren die Cashflow-Stärke und Dividendenrendite sowie bilanzielle Größen, wie insbesondere der Verschuldungsgrad, von hoher Relevanz sein. Unter den qualitativen Kriterien hat für die meisten Investoren die persönliche Einschätzung des Managements des Unternehmens den höchsten Stellenwert (s. dazu auch Rz. 1.35). Weitere wichtige qualitative Faktoren sind die Beurteilung der Strategie und ihrer bisherigen Umsetzung, die Stärke der Marke, die Höhe bzw. Veränderung der Marktanteile sowie insbesondere die Corporate Governance des Unternehmens (s. Rz. 1.36). Im Hinblick auf die Erwartungen zur Kommunikation nach dem IPO legen Investoren zudem besonderes Augenmerk auf die Investor Relations-Funktion (s. Rz. 1.37).
1.31
Investoren steht jederzeit eine Vielzahl alternativer Beteiligungsmöglichkeiten zur Verfügung. Daher muss das Unternehmen die Entwicklung der eigenen Equity Story stets im Kontext zu geeigneten Vergleichsunternehmen sehen, d.h. börsennotierten Wettbewerbern oder auch Unternehmen mit einem ähnlichen Investmentprofil. Wichtig ist dabei die Heranziehung der richtigen Vergleichsunternehmen, die aus Sicht der professionellen Anleger auch als solche akzeptiert werden. Ebenso müssen für ein Benchmarking die für das betreffende Unternehmen tatsächlich relevanten Kriterien und Größen zugrunde gelegt werden. Das Unternehmen und der Finanzberater sollten hierzu ausreichend Zeit einplanen und die Equity Story immer wieder kritisch hinterfragen. Sie ist im Lichte der unternehmenseigenen Entwicklungen und externer Einflussgrößen, wie Absatzmärkte und Vergleichsunternehmen, fortwährend abzustimmen und weiter zu verfeinern. Schwachstellen sind herauszuarbeiten sowie plausible Strategien und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dabei ist stets auf die Konsistenz mit der eigenen Finanzhistorie und der Finanzplanung zu achten.
1.32
20 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch auf die im Juli 2016 in Kraft getretenen „Leitlinien zu alternativen Leistungskennzahlen“ der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) hinzuweisen (ESMA/2015/ 1415de).
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1.33 Die zur Untermauerung der Equity Story und zur Positionierung des Unternehmens bei
den Investoren verwendeten unternehmensinternen Daten und Zahlen (Key Performance Indicators oder kurz KPIs) müssen faktisch für den Wertpapierprospekt verwendbar sein21. Damit werden sie auch Gegenstand einer Validierung bzw. eines Abgleichs durch den Abschlussprüfer des Unternehmens im Rahmen des von den Konsortialbanken eingeforderten Comfort Letters22. Eine frühe Einbeziehung und laufende Abstimmung der KPIs mit dem Abschlussprüfer ist sehr zu empfehlen, um eine Schwächung der Equity Story durch eine nur eingeschränkt mögliche Verwendung der Daten in der Aktienvermarktung oder zeitintensive Zusatzarbeiten zur Herstellung des Comforts zu verhindern. Die gilt insbesondere für den Fall, dass als KPIs sogenannte „Alternative Leistungskennzahlen“ (Alternative Performance Measures oder kurz APM) verwendet werden sollen, die sich nicht aus den Abschlüssen des Emittenten ergeben23. Analog ist darauf zu achten, dass für relevante externe Daten, wie z.B. Marktgrößen, -wachstumsraten oder -anteile, objektive Quellen herangezogen werden, die von den potenziellen Investoren nachvollzogen werden können.
1.34 Vergleichbar mit einer sorgfältigen Markt- und Kundenanalyse bei der Einführung neuer
Produkte sollte sich das Management des Unternehmens intensiv mit den für die eigene Aktie in Frage kommenden Zielinvestoren auseinandersetzen. Neben einer hohen Affinität zu IPOs verfügen diese potentiellen Käufer regelmäßig über ein detailliertes Branchenverständnis sowie Erfahrungen mit Vergleichsunternehmen aus dem eigenen Portfolio. Bei der Klassifizierung nach Art, Investmentstil und Herkunft der Zielinvestoren sind die Besonderheiten des spezifischen Investmentprofils genauso zu berücksichtigen wie die vom Unternehmen geplanten Transaktionsparameter (v.a. Emissionsgröße und Börsenplatz). Für größere Börsengänge deutscher Unternehmen sind die relevanten Zielinvestoren ganz überwiegend an den wesentlichen europäischen Finanzplätzen in London, Frankfurt, Zürich und Paris sowie in New York und Boston zu finden24. Erfahrungsgemäß wird der Erfolg eines Börsengangs bereits in weiten Teilen durch 10 bis 20 institutionelle Kerninvestoren getragen25. Bei der Analyse potenzieller Zielinvestoren ist neben der Erfassung möglicher Kerninvestoren auch die Identifikation und Einbeziehung von Meinungsbildnern wichtig. Dies sind nicht notwendigerweise die Investoren, die selbst die größten Orders tätigen. Ihr Verhalten und ihre Einstellung zu einem spezifischen Sektor und einem konkreten IPO können jedoch erheblichen Einfluss auf andere Investoren und deren Interesse an der Transaktion haben. Die frühe und intensive Auseinandersetzung mit der Denkweise und den Entscheidungsprozessen der Zielinvestoren ist für das Unternehmen ein wichtiger erster Schritt zur erfolgreichen Vermarktung seiner Aktie und hilft dem Verständnis der laufenden Erwartungen und Ansprüche des Kapitalmarkts an das später börsennotierte Unternehmen.
21 S. § 15 Abs. 4 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 22 Abs. 4 VO 2017/1129) sowie Rz. 1.29. 22 Eingehend zum Comfort Letter s. § 34. 23 S. hierzu Rz. 36.98a; zur Definition von APM und ihrer Verwendung im Prospekt eingehend Rz. 36.52a ff. 24 Im Durchschnitt aller 29 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (ohne Private Placements), die im Rahmen einer Privatplatzierung gemäß Rule 144A des US Securities Act von 1933 (eingehend hierzu Rz. 45.82 ff.) auch institutionellen Anlegern in den USA offenstanden, erwarben deutsche Investoren 25,1 %, UK-Investoren 35,3 % und US-Investoren 20,9 % der platzierten Aktien. 25 Im Durchschnitt aller 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 mit einem Emissionsvolumen von jeweils mehr als 50 Mio. Euro (ohne Private Placements) erwarben die zehn größten Investoren insgesamt 55,9 % und die 20 größten 73,4 % der jeweils platzierten Aktien.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
Trotz der insgesamt recht positiven Kursentwicklung der IPOs der vergangenen Jahre26 werden Börsengänge von Investoren stets besonders kritisch betrachtet, da eine akkurate Einschätzung des Investmentrisikos in Ermangelung historischer Daten naturgemäß schwerfällt. Anders als bei börsennotierten Unternehmen existieren insbesondere keine Erfahrungswerte, wie der Emittent am Aktienmarkt agieren wird, mit welchem Erfolg er seine Strategie und Ziele realisiert und mit welcher Zuverlässigkeit er die Erwartungen der Anleger erfüllt. Im Gegensatz zu Private-Equity-Gesellschaften verhalten sich Kapitalmarktinvestoren im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer Eigentümerrechte in der Regel deutlich passiver und sind insofern auf die Wertorientierung des Managements und deren Kontrolle durch den Aufsichtsrat angewiesen. Daher ist für sehr viele institutionelle Investoren die eigene Beurteilung des Managements das wichtigste Kriterium für eine Teilnahme an einem IPO. Zwar ist die persönliche Vorstellung des Unternehmens durch das Management Sinn und Zweck der Investorengespräche auf der Roadshow, allerdings finden diese erst in der Endphase des IPO-Prozesse statt und zielen in erster Linie darauf ab, die tatsächliche Teilnahmebereitschaft der Investoren an einer konkreten Transaktion zu sichern. Aus Sicht vieler Investoren ist allein die Roadshow für eine hinreichende Einschätzung der Unternehmensführung kaum geeignet, zumal der direkte zeitliche Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Wertpapierprospekts dem Management sehr enge Beschränkungen in Bezug auf seine Aussagen und Angaben auferlegt. Erforderlich und inzwischen zu einem Marktstandard geworden ist vielmehr eine mehrstufige und deutlich früher beginnende Interaktion, die relevanten Investoren eine Gelegenheit gibt, das Unternehmen und dessen Erfolgsverantwortliche kennenzulernen. Ein solcher früher Investorendialog im IPO-Prozess wird üblicherweise als „Early Look Meeting“, „Pilot Fishing“ oder auch „Pre-Sounding“ bezeichnet. Er startet in der Regel kurz nach der Analystenpräsentation (d.h. rd. fünf bis sechs Wochen vor Beginn des Bookbuildings), häufig aber auch schon deutlich früher27. Inhaltlich geht es bei diesen ersten Treffen nicht um eine Diskussion von Bewertungsfragen oder Details der geplanten Transaktion, sondern vornehmlich um ein unmittelbares Verständnis des jeweiligen Markt- und Wettbewerbsumfelds, des Geschäftsmodells und der Unternehmensstrategie sowie des verantwortlichen Managements. Gleichzeitig lässt ein konstruktives Feedback der professionellen Investoren oft auch hilfreiche Rückschlüsse auf eine Optimierung des IPOs zu, beispielsweise im Hinblick auf eine Feinjustierung der Equity Story oder die Strukturierung des Angebots. Als Startpunkt einer auf Langfristigkeit ausgerichteten Beziehung hilft ein mehrstufiger Investorendialog, Unsicherheiten zu reduzieren, Vertrauen zu schaffen und mit einer auf fundamentaler Überzeugung basierenden Investmentscheidung im späteren IPO die Grundlage für eine erfolgreiche Transaktion zu einer fairen Bewertung zu legen28. 26 Die ungewichtete durchschnittliche Kursperformance der 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) lag drei Monate nach der jeweiligen Handelsaufnahme bei 9,9 % (bzw. 8,1 % relativ zum DAX Index). 22 der 32 IPOs hatten in diesem Zeitraum eine positive Kursperformance erzielt; 20 IPOs hatten sich sogar besser als der DAX entwickelt. 27 Je nach Größe, Art und internem Vorbereitungsstand eines Unternehmens kann der Beginn solcher Dialoge durchaus schon ein Jahr vor dem angestrebten IPO-Termin sinnvoll sein. Die genannten Kommunikationsbeschränkungen des Managements und die Bindung an strenge Publizitätsrichtlinien gelten allerdings grundsätzlich bereits ab Beginn der IPO-Durchführung mit der Mandatierung der Führungsbanken. 28 Zur Bedeutung eines frühen Kontakts mit der Unternehmensführung als Voraussetzung einer Beteiligung an einem IPO s. beispielsweise die Aussagen der Fondsmanager Björn Glück, Lupus Alpha Asset Management AG, Börsen-Zeitung v. 3.5.2017, Nr. 60, S. B 62 und Lorenzo Carcano/ Stefan Meyer, Metzler Asset Management GmbH, Börsen-Zeitung v. 1.7.2017, Nr. 124, S. 13.
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§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
1.36 Zu den kapitalmarktorientierten Vorbereitungsmaßnahmen zählt auch die rechtzeitige Pla-
nung und Etablierung einer den gesetzlichen Anforderungen sowie den Erwartungen der Investoren genügenden Coporate Governance29. Insbesondere die Auswahl und Zusammensetzung des Aufsichtsrats kann dabei erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Die Qualifikation und Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder sowie ihre spezifische Erfahrung mit dem Emittenten und dessen Geschäftsmodell spielen für institutionelle Investoren eine nicht zu unterschätzende und über die letzten Jahre immer wichtiger werdende Rolle bei der qualitativen Beurteilung des Unternehmens. Gewöhnlich sind die neuen Investoren nach dem IPO in einer Minderheitsposition und sehen den Aufsichtsrat als einen wichtigen unabhängigen Vertreter ihrer Interessen. Daher wird auch die Besetzung des Aufsichtsrats erst kurz vor der Durchführung des IPO regelmäßig kritisch hinterfragt. Persönliche Erfahrungen und Netzwerk des Finanzberaters können hilfreich sein, frühzeitig Kontakte zu externen und aus Sicht des Kapitalmarkts anerkannten Aufsichtsratskandidaten herzustellen.
1.37 Mit dem Börsengang muss das Unternehmen im Rahmen seiner Investor Relations-Ar-
beit den anspruchsvollen Anforderungen der bestehenden und potenziellen Investoren sowie der Research-Analysten der Banken an die laufende Kommunikation und regelmäßige Interaktion gerecht werden. In den Aufgabenbereich der Investor-Relations-Abteilung fällt meist auch die Erfüllung der umfangreichen Folgepflichten des börsennotierten Unternehmens30. Aufbau und organisatorische Anbindung der Investor-Relations-Abteilung als wichtige Querschnittsfunktion zwischen Unternehmensstrategie, Finanzwesen, Recht und Unternehmenskommunikation sollten frühzeitig geplant werden. Für Emittenten stellt die personelle Besetzung der Investor Relations-Funktion regelmäßig eine Herausforderung dar: Erfahrene externe Spezialisten in bestehenden Arbeitsverhältnissen lassen sich nur schwer gewinnen, solange das IPO noch nicht durchgeführt ist, während interne Mitarbeiter meist nicht über eine hinreichende Kapitalmarkterfahrung verfügen. Überlegenswert ist in vielen Fällen, eine Person aus dem Unternehmen, etwa aus dem Strategie- oder Finanzbereich, durch eine frühzeitige und enge Einbindung in die IPO-Vorbereitung für die Anforderungen zu entwickeln. Darüber hinaus können spezialisierte Investor Relations-Agenturen Unterstützung leisten und bestimmte Aufgaben extern übernehmen. Zum Teil verfügen Finanzberater über Kontakte zu erfahrenen Fachleuten, die als temporäre Mitarbeiter den Aufbau und die Funktion des Investor Relations-Bereichs sicherstellen, bis eine dauerhafte qualifizierte Personalausstattung erfolgt ist. c) Vorbereitung der IPO-Transaktion
1.38 Unter Zugrundelegung der eigenen Ziele des Börsengangs und mit Einbeziehung der Er-
kenntnisse und Erfahrungen aus dem Fortschritt der unternehmensinternen sowie der kapitalmarktspezifischen Maßnahmen gewinnt die nähere Planung der IPO-Transaktion selbst an Bedeutung. Hierunter fallen zum einen die Überlegungen zur Ausgestaltung
29 Der 2002 von der durch das Bundesministerium der Justiz eingesetzten Regierungskommission verabschiedete Deutsche Corporate Governance Kodex in der derzeit geltenden Fassung vom 7.2.2017 beinhaltet Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften in Bezug auf Aktionäre und Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat, Transparenz, Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Der Corporate Governance Kodex hat selbst zwar keinen Gesetzescharakter, jedoch zwingt § 161 AktG börsennotierte Gesellschaften zur Abgabe und Veröffentlichung einer jährlichen Entsprechenserklärung. 30 Zu den kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten des börsennotierten Unternehmens s. eingehend § 38.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
des IPOs, insbesondere in Bezug auf Emissionsgröße und -struktur. Zum anderen können bereits einige Schritte eingeleitet und Aktivitäten vorgezogen werden, die einer Erhöhung der Effizienz und Geschwindigkeit der IPO-Durchführungsphase dienen. Nichtsdestotrotz bleibt es wichtig, vor dem Börsengang auch alternative Optionen identifiziert und bewertet zu haben, für den Fall, dass kurzfristig verschlechterte Kapitalmarktverhältnisse keine Platzierung der Aktien zu sinnvollen Konditionen erlauben. Insbesondere Private Equity-Gesellschaften verfolgen daher regelmäßig mehrgleisige Exit-Strategien für ihre Portfoliogesellschaften, bei denen parallel zu einem Börsengang auch ein Verkauf des Unternehmens an einen Wettbewerber (Trade Sale) oder an einen anderen Private Equity-Investor (Secondary Sale) vorbereitet wird31. Das Angebotsvolumen des geplanten IPOs wird zum einen von dem zu deckenden Eigenmittelbedarf des Unternehmens durch Ausgabe neuer Aktien im Wege einer Kapitalerhöhung (Primary Shares) bestimmt sowie andererseits von der Verkaufsabsicht der Altaktionäre durch Umplatzierung bestehender Aktien (Secondary Shares). Das Volumen der Kapitalerhöhung und die Verwendung der dem Unternehmen zufließenden Mittel müssen konsistent mit der Equity Story sein und die finanzwirtschaftlichen Motive des IPOs unterstreichen. Die Höhe der Umplatzierung hängt dagegen stark von den Interessenlagen der bestehenden Aktionäre ab32. Die angestrebte Gesamtgröße des Börsengangs ist für das Unternehmen bereits in der Vorbereitungsphase von Bedeutung. Einerseits beeinflusst sie die Selektion der Zielinvestoren, für deren Portfoliogröße das IPO hinreichend relevant und die zu erwartende Handelsliquidität ausreichend ist. Andererseits ist das Volumen des Börsengangs wichtig für die Auswahl der am besten geeigneten Führungsbanken sowie die Bestimmung der optimalen Syndikatsstruktur.
1.39
Angesichts der Kursschwankungen an den Kapitalmärkten und insbesondere eines häufig kurzfristigen Stimmungswandels der Investoren in Bezug auf ihre Investitionsbereitschaft in Börsengänge (IPO Sentiment) ist die Schnelligkeit der IPO-Durchführung immer mehr zu einem kritischen Erfolgsfaktor geworden. Es empfiehlt sich daher, im weiteren Verlauf der unternehmensinternen Vorbereitung einen umfassenden Zeit- und Maßnahmenplan für die Durchführungsphase vorzubereiten, das interne Projektteam zu bestimmen und dessen Aufgaben zu definieren sowie bereits einige arbeitsintensive Maßnahmen konkret anzugehen. Die Zeitfenster, in denen Börsengänge im Jahresverlauf durchgeführt werden können, werden grundsätzlich durch die Vorlagezeitpunkte des aktuellen Jahresbzw. Zwischenabschlusses beeinflusst, der Kernelement sowohl des Wertpapierprospekts als auch der Präsentation des Unternehmens gegenüber den Konsortialanalysten ist. Mit dem Abschlussprüfer des Unternehmens sollte daher rechtzeitig die Möglichkeit der Beschleunigung der einzelnen Arbeitsschritte zur Verkürzung des Zeitbedarfs der Abschlussaufstellung (Fast Close) besprochen sowie die Erfordernisse in Bezug auf Datenbeschaffung und Entscheidungsprozesse diskutiert werden.
1.40
31 Zum sog. „Dual Track“-Verfahren s. eingehend § 4 A. 32 Insbesondere im Falle einer aktiven Managementfunktion eines Altaktionärs oder seiner besonderen Bedeutung für den künftigen Erfolg, z.B. in der Forschung und Entwicklung, sehen Investoren große Umplatzierungsanteile eines IPOs recht kritisch, weil damit Unternehmensinsider ihre Beteiligung in einem Zeitpunkt reduzieren, der für die neuen Investoren der Einstieg in eine aussichtsreiche Zukunftsinvestition bedeuten soll. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, deren Equity Story auf ein attraktives Wachstum abstellt. Sie akzeptieren jedoch grundsätzlich den – in Einzelfällen sogar vollständigen – Verkauf von Beteiligungen im Rahmen eines IPOs durch Venture Capital- oder Private Equity-Investoren als Grundlage deren Geschäftsmodells.
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§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
1.41 Die Erstellung des Wertpapierprospekts ist regelmäßig eine der zeit- und arbeitsinten-
sivsten Tätigkeiten der Durchführungssphase. Eine Reihe von Prospektabschnitten erfordert bei der Erstellung die enge Einbindung bzw. unmittelbare Mitwirkung des Managements. Daneben enthält der Prospekt jedoch auch zahlreiche Informationen und grundsätzliche Angaben, die aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens zusammenzuführen sind33. Eine mithilfe des Finanzberaters und der Rechtsberater des Emittenten durchdachte Vorstrukturierung und Diskussion des Prospekts sowie die Erstellung von Entwürfen insbesondere für solche Prospektteile, die über einen gewissen Zeitraum aktuell bleiben bzw. bis zum Zeitpunkt der Prospektveröffentlichung nur fortgeschrieben werden müssen, sind sehr empfehlenswert. Vor allem die überzeugende Beschreibung der Unternehmensstrategie und der Wettbewerbsstärken als zentrale Elemente der Equity Story erfordern in hohem Maße eine direkte und zeitintensive Beteiligung des Managements an der Formulierung des Prospekts. Aufgrund der erforderlichen Aktualität des Prospekts und der Mithaftung der Konsortialbanken wird die Prospekterstellung immer zentraler Gegenstand der gemeinsamen Arbeit von Unternehmen, Banken und den jeweiligen Rechtsberatern während der IPO-Durchführungsphase bleiben. Gleichwohl kann eine gute interne Vorbereitung zu einem wesentlichen Zeitgewinn während der Startphase der IPO-Durchfürung beitragen. Gleiches gilt in Bezug auf die Due Diligence durch die Banken und ihre Rechtsberater34. Anhand von Checklisten lassen sich weite Teile der Due Diligence antizipieren und effizient gestalten. Ebenso sollte vorab die Einrichtung des – in der Regel elektronischen – Datenraums sorgfältig geplant und vorbereitet werden. Eine recht zeitaufwändige Tätigkeit ist zudem die Erstellung der Managementpräsentation, mit der allen involvierten Parteien zu Beginn der IPO-Umsetzung ein umfassender Einblick in das Geschäftsmodell, die Strategie, Geschäftsfelder, Marktverhältnisses, Kunden- und Wettbewerbsstruktur sowie die Finanzdaten des Unternehmens (s. hierzu auch Rz. 1.56).
1.42 Die vorausschauende Entlastung der IPO-Durchführung von grundsätzlich erforderli-
chen Tätigkeiten und transaktionsbezogenen Standardaufgaben verfolgt drei wichtige Zielsetzungen. Erstens: eine Verkürzung der Zeitspanne zwischen der Entscheidung zum Start der IPO-Durchführung und dem Zeitpunkt der Preisfestsetzung der Aktien. Diese dient zum einen der Verringerung des Marktrisikos sowie zum anderen der frühen Sicherung der Investorenaufmerksamkeit durch die Vermeidung eines „Mitschwimmens“ in einer Masse zeitgleich konkurrierender Börsengänge. Zweitens: eine zeitliche Entzerrung der unvermeidlichen Belastung für das Management, das während der IPO-Umsetzung das operative Tagesgeschäft nicht aus den Augen verlieren darf. Und drittens: die Möglichkeit einer besseren Schwerpunktsetzung auf die Positionierung des Unternehmens bei den Zielinvestoren und auf die optimale Vermarktung der Aktien. 2. IPO-Durchführung a) Start der Durchführungsphase und Vorauswahl der Führungsbanken
1.43 Mit der IPO-Durchführung beginnt für das Unternehmen ein eng verzahnter, arbeitsrei-
cher und kostenintensiver Prozess. Insofern ist das richtige Timing für den Start der Durchführungsphase von hoher Relevanz. Neben der abgeschlossen internen Vorbereitung 33 Zu den Anforderungen an den Prospektinhalt s. näher Rz. 36.23 ff. 34 Zum Gegenstand, der Organisation sowie der rechtlichen Einordnung der Due Diligence bei Kapitalmarkttransaktionen s. § 33.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
sollten dafür folgende Faktoren positiv eingeschätzt werden können bzw. keine erheblichen Belastungen erwarten lassen:
1.44
Entscheidungsfaktoren für den Start der IPO-Durchführung
Günstige Wirtschaftsentwicklung mit Aussicht auf attraktives Wachstum
Wachstumsaussichten in den westlichen internationalen Volkswirtschaften Entwicklung von Rohstoffpreisen und Währungskursen Zinsumfeld und Entwicklung wichtiger Preisindikatoren
Branchenzyklus erlaubt angemessene Werterzielung und bietet attrakive Aussichten für Investoren
Aktuelle Phase des Branchenzyklus und Ausblick Relevante Trends in Zulieferer- und Kundenmärkten Positionierung, Geschäftsentwicklung der Wettbewerber, Konsolidierungstendenzen der Branche
Positiver Aktienmarkt mit Aufnahmebereitschaft für neue Equity Stories
Performance relevanter internationaler Aktien- und Sektorenindizes Kursentwicklung, Bewertungsrelationen, Gewinnwachstum und -aussichten bei Vergleichsunternehmen Zu-/Abflüsse in institutionellen Aktienfonds und IPO-Sentiment
Aktienmarkt
Makroumfeld
Kriterien (Beispiele)
Sektor
Faktoren
Auch eine optimale interne Vorbereitung und günstige Rahmenbedingungen können das Risiko nicht eliminieren, dass ein Börsengang abgebrochen oder verschoben werden muss. Exogene Faktoren, wie bspw. unerwartete politische Ereignisse oder Naturkatastrophen, die zu einem kurzfristigen Stimmungswandel und erhöhter Risikoaversion der Investoren führen, lassen sich nicht prognostizieren und für die Frage des richtigen IPO-Timings heranziehen. Der Emittent sollte daher grundsätzlich auch in der Durchführungsphase alternative Szenarien berücksichtigen und für das Unternehmen Optionen planen und aufbauen für den Fall, dass der Kapitalmarkt kein sinnvolles IPO zulässt.
1.45
Nach der Entscheidung zur Durchführung des Börsengangs sollten Emittent und Finanzberater eine Vorauswahl möglicher Führungsbanken für das IPO (Globale Koordinatoren bzw. Bookrunner; zur Differenzierung der Rollen s. Rz. 1.54) treffen. Ausgehend von den unternehmenseigenen Zielen des Börsengangs und der angestrebten IPO-Struktur (s. Rz. 1.38 f.) ist eine sorgfältige Analyse vorzunehmen, welche Banken grundsätzlich für die Führung der konkreten Transaktion in Frage kommen und somit für das Bankenauswahlverfahren (Beauty Contest) eingeladen werden sollten. Angesichts unterschiedlicher und sich laufend verändernder Qualifikationen liegt eine besondere Herausforderung des Emittenten darin, die transaktionsspezifische Leistungsfähigkeit der einzelnen Banken objektiv und aktuell beurteilen zu können. Dies gilt auch für die Leistungsbereitschaft, denn gleichzeitig ist nicht jedes IPO für eine qualifizierte Investmentbank hinreichend attraktiv, was nicht ausschließlich eine Funktion von IPO-Volumen und möglicher Vergütung ist. Die Vorauswahl sollte daher die umfangreichen Fachkenntnisse und zeitnahen Erfahrungen des Finanzberaters im Emissionsgeschäft und Aktienmarkt einbeziehen. Mögliche Kriterien bei der Vorauswahl lassen sich wie folgt gliedern:
1.46
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1.47
Parameter bei der Vorauswahl relevanter IPO-Führungsbanken Bankspezifisch
Unternehmens- und transaktionsspezifisch
Qualität des Equity Research und des institutionellen Vertriebs (Equity Sales) aus Investorensicht
Größe, Reputation und Wachstumsprofil des Emittenten
Stärke des Aktienresearch im betreffenden Sektor und grundsätzliche Einschätzung seiner Attraktivität Zugang zu den relevanten Zielinvestoren und Platzierungskraft sowie Stärke im Aktienhandel
Sektorzuordnung und Wettbewerbsumfeld
Sektorspezifische Erfahrung der Equity Capital Markets und Corporate Finance Teams Track Record der Bank bei IPOs allgemein und bei Aktienemissionen im Sektor Konkurrierende Mandate und potenzielle Konflikte sowie Kapazitätsauslastung der relevanten Teams
Geplantes IPO-Volumen und relativer Free Float Verteilung der Zielinvestoren und Vermarktungsschwerpunkte (In-/Ausland; institutionell/Retail) Börsenplatz und Handelssegment Bestehende Bankbeziehungen und potenzielles Folgegeschäft
1.48 Darüber hinaus können im Einzelfall weitere Aspekte relevant sein, wie etwa die Fähigkeit
und Bereitschaft einer Bank, eine im Vorfeld des IPO erforderliche Refinanzierung ausstehender Bankkredite oder Anleihen zu begleiten, oder die zusätzliche Qualifikation der Bank als M&A-Berater im Falle eines Dual Track-Verfahrens35. Um die Durchführbarkeit des Bankenauswahlverfahrens in einem angemessenen Zeitraum und mit einem für das Unternehmen tragbaren organisatorischen Aufwand zu gewährleisten, sollte die Anzahl der für den Beauty Contest einzuladenden Banken entsprechend beschränkt werden36. b) Durchführung des Beauty Contests und Mandatierung der Banken
1.49 Die Ansprache der vorausgewählten Banken repräsentiert den externen Startpunkt der
IPO-Durchführung. Sie sollte stets zeitgleich37 und auf Basis sorgfältig vorbereiteter und für alle Banken einheitlicher Unterlagen und Informationen erfolgen, um objektiv vergleichbare Ergebnisse des Beauty Contests zu gewährleisten. Auf Basis einer vorab zu unterzeichnenden Vertraulichkeitsvereinbarung erhalten die Banken ein Request for Proposal (RfP). Zumeist umfasst das RfP einen spezifischen Fragenkatalog, den Entwurf des Mandatierungsschreibens, Hinweise zum organisatorischen und zeitlichen Ablauf des Auswahlverfahrens sowie Informationen und Unterlagen zum Unternehmen und seinen IPO-Planungen, soweit diese für eine aussagekräftige Bewerbung der Banken erforderlich sind.
1.50 Bei größeren IPOs ist es üblich, dass die Banken zunächst eine schriftliche Unterlage erstellen, nach deren Auswertung durch das Unternehmen und den Finanzberater eine persönliche Vorstellung und mündliche Präsentation des Banken-Teams erfolgt, das den
35 Näher zum Dual Track-Verfahren s. § 4 A. 36 Die geeignete Anzahl der einzuladenden Banken hängt vom Einzelfall und der Eindeutigkeit der Vorauswahl ab. Für einen Börsengang, bei dem der Emittent die Führung des Bankenkonsortiums durch zwei gemeinsame Bookrunner anstrebt, ist die Vorauswahl von sechs bis sieben Banken als ausreichend anzusehen. 37 Angemessen erscheint in der Regel ein zeitlicher Vorlauf von zwei Wochen vor der Einreichung schriftlicher Bankenbewerbungen und drei Wochen vor nachfolgenden mündlichen Präsentationen der jeweiligen Bankenteams.
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Börsengang begleiten soll. Diese Vorgehensweise erlaubt vorab eine vergleichende Betrachtung der eingereichten Unterlagen aller Banken und hat den Vorteil, dass in der mündlichen Präsentation konkrete Punkte diskutiert und Fragen des Unternehmens beantwortet werden können, die in den schriftlichen Darlegungen nicht ausreichend behandelt wurden38. Über die Überprüfung der Kompetenz und Erfahrung der einzelnen Bankenteams hinaus können sich die IPO-Beteiligten des Unternehmens hier auch ein eingehendes persönliches Bild von den jeweiligen Personen machen, mit denen sie in den folgenden Monaten sehr intensiv zusammenarbeiten würden. Im Hinblick darauf sollte der Emittent den Anspruch erheben, dass bei der Präsentation insbesondere die Team-Mitglieder anwesend sind, die hauptsächlich mit der Mandatsdurchführung betraut sein sollen39. Zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit und einer unbeeinflussten Meinungsbildung sind die Research-Analysten grundsätzlich nicht persönlich in die Bewerbung der Banken um ein IPO-Mandat eingebunden40. Gleichwohl haben sie eine ganz zentrale Bedeutung für den IPO-Erfolg durch ihre entscheidende Rolle bei der Positionierung der Equity Story und Vermarktung der Aktien – sowohl intern gegenüber dem Vertriebsbereich (Equity Sales) als auch extern bei den institutionellen Zielinvestoren – und bleiben darüber hinaus im Zweitmarkt enge Begleiter des dann börsennotierten Unternehmens. Daher sollte der Emittent ein hohes Interesse daran haben, den Research-Analysten einer Bank schon sehr frühzeitig persönlich zu kennen. Inhaltlich geht es dabei nicht um die Beurteilung oder Bewertung des eigenen Unternehmens durch den Analysten, sondern vielmehr um dessen Einschätzung und Erwartungen in Bezug auf den betreffenden Sektor sowie seine Herangehensweise in der Research-Arbeit. Üblicherweise erfolgt die Organisation eines solchen Gesprächstermins separat durch die Research-Leitung der Bank unter Einbeziehung der Compliance-Abteilung. Zum 1.7.2018 hat die britische Finanzaufsicht FCA neue Leitlinien zur Verfügbarkeit von Informationen bei Börsengängen in Großbritannien eingeführt41. U.a. wurden dabei die Restriktionen in Bezug auf einen direkten Kontakt zwischen potentiellen Emittenten und Research-Analysten im Vorfeld eines IPOs erheblich verschärft. Hintergrund dieser Änderungen ist die Vermutung, dass Analysten sich im Hinblick auf ein mögliches IPO-Mandat ihrer Bank zu positiven Aussagen gegenüber dem Unternehmen veranlasst sehen könnten und damit ihre Unabhängigkeit beeinflusst wäre. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass professionelle Research-Analysten die Unabhängigkeit ihrer Meinungsbildung schon deshalb stets mit hohem Eigeninteresse schüt38 Für die mündlichen Präsentationen von sechs bis sieben Banken sowie die Nachbesprechungen zwischen Unternehmen, Eigentümern und Finanzberater ist erfahrungsgemäß ein Zeitbedarf von zwei bis drei Tagen zu anzusetzen. 39 Gerade bei kleineren Börsengängen oder in Zeiten hoher Emissionsaktivität steht ein Emittent bei der Mandatsvergabe oft vor der Entscheidung zwischen dem „A-Team einer B-Bank“ oder dem „B-Team einer A-Bank“. 40 Ausgehend von der 2003 getroffenen Vereinbarung führender Investmentbanken mit den USBehörden zur Trennung von Investment Banking und Aktienresearch („Global Analyst Research Settlement“, s. näher unter https://www.sec.gov/news/press/2003-54.htm) haben die Banken strenge interne Vorschriften und Compliance-Prozesse zur Sicherung der Integrität des Aktienresearch implementiert. Rechtlich geregelt ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Offenlegungspflicht möglicher Interessenkonflikte der Bank (s. dazu Delegierte Verordnung (EU) 2016/958 der Kommission vom 9.3.2016 zur Ergänzung der Europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II, RL 2014/65/EU). 41 Financial Conduct Authority (FCA), Policy Statement PS17/23 („Reforming the availability of the information in the UK equity IPO process“) vom 26.10.2017, abrufbar unter https:// www.fca.org.uk/publication/policy/ps17-23.pdf.
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1.51
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
zen, weil diese ein Kernelement ihrer persönlichen Reputation bei den Investoren und damit ihres beruflichen Erfolgs und Marktwertes bildet. Grundsätzlich jedoch wird Emittenten durch solche Restriktionen eine eigene Einschätzung des Aktienresearch einer Bank und insbesondere einzelner Analysten als zentrale Bindeglieder zu den Investoren erheblich erschwert. Es bleibt derzeit noch abzuwarten, ob und inwieweit die geänderten Leitlinien der FCA auch von anderen EU-Ländern übernommen bzw. von Banken automatisch auch für IPOs außerhalb Großbritanniens angewendet werden. Ungeachtet dessen ist die Bedeutung einer objektiven Unterstützung des Emittenten durch einen erfahrenen Finanzberater bei der externen Einschätzung des Aktienresearch einer Bank weiter gestiegen.
1.52 Vor der Vergabe einer Führungsrolle an eine Bank ist es von besonderer Bedeutung, eine
klare und umfassende Mandatsvereinbarung (Letter of Engagement oder kurz LoE) getroffen zu haben. Der LoE beschreibt die geplante Transaktion sowie die damit verbundenen Leistungen und Verpflichtungen der beteiligten Parteien (d.h. Emittent, im IPO verkaufende Aktionäre sowie Führungsbanken). Er wird später durch einen umfassenden Übernahmevertrag (Underwriting Agreement) ersetzt, der als das für Aktienemissionen relevante Vertragswerk zwischen den beteiligten Parteien und ihren Rechtsberatern im Laufe der IPO-Durchführung verhandelt und regelmäßig erst kurz vor Abschluss der Aktienplatzierung unterzeichnet wird42. Ganz offensichtlich ist die Verhandlungsposition des Emittenten vor einer Mandatszusage am besten und schwächt sich mit Fortschritt der IPO-Durchsetzung kontinuierlich ab. Ein späteres Auswechseln einer Führungsbank im laufenden Prozess ist stets problematisch bzw. nur unter Inkaufnahme erheblicher zeitlicher Verzögerungen denkbar. Zudem wäre dadurch auch mit negativen Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens sowie auf die von den Investoren wahrgenommene Qualität des IPOs (und damit auf die Unternehmensbewertung) zu rechnen. Insofern ist es für den Emittenten sehr empfehlenswert, sich möglichst früh mit den Inhalten des Übernahmevertrages auseinanderzusetzen, klare Positionen zu den entscheidenden Regelungen zu formulieren und diese erforderlichenfalls bereits im Rahmen der LoE-Verhandlungen durchzusetzen. Darüber hinaus wird der Finanzberater auch dabei unterstützen, die von den Führungsbanken im IPO-Prozess zu erbringenden Leistungen vollständig im LoE festzulegen, für einen effizienten und stets transparenten IPO-Prozess zweckmäßige Pflichten und Regeln zu implementieren sowie ein zielführendes Vergütungsmodell zu definieren. Aus Sicht des Unternehmens und seiner Gesellschafter muss die Mandatsvereinbarung insgesamt so gestaltet werden, dass sie geeignete und hinreichende Anreize zur Erbringung einer optimalen Leistung durch das gesamte Bankenkonsortium schafft und auf einen nachhaltigen IPO-Erfolg über den Zeitpunkt der Handelsaufnahme der Aktien hinaus hinwirkt.
1.53 Ein zentraler Verhandlungspunkt der Mandatsvereinbarung ist stets die Höhe und Struk-
tur der Bankenprovision. Sie bemisst sich regelmäßig als ein Prozentsatz des Emissionsvolumens, der deutlich mit der Größe des Börsengangs variiert. Zudem hängt die Höhe der Provision auch von der Struktur des Bankenkonsortiums sowie von der Anzahl der involvierten Banken und deren jeweils zu erfüllender Rolle ab. Für IPOs mit einem Emissionsvolumen von weniger als 1 Mrd. Euro sind in Deutschland Größenordnungen zwischen 2,5 % und 4,5 % üblich, oberhalb von 1 Mrd. Euro etwa 2,0 bis 2,5 %43. Im Markt 42 Eingehend zum Übernahmevertrag bei Aktienemissionen und seinen Inhalten § 29. 43 Bei den 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) lag die Bankenprovision im Durchschnitt bei 3,1 % und variierte wie folgt nach Emissionsgrößenklassen: 50 bis 200 Mio. Euro (acht IPOs): 3,7 %; 201 bis 400 Mio. Euro (neun IPOs): 3,3 %; 401 Mio. bis 1 Mrd. Euro (sieben IPOs): 2,9 %; und oberhalb von 1 Mrd. Euro (acht IPOs): 2,3 %.
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durchgesetzt hat sich eine Aufteilung der Provision in eine Basisvergütung (Base Fee), die bei erfolgreicher Platzierung der Aktien gezahlt wird, sowie eine leistungsabhängige Vergütung (Incentive Fee)44, die durch den Emittenten bzw. die umplatzierenden Aktionäre nach freiem Ermessen und in Abhängigkeit von ihrer Zufriedenheit mit der durch die einzelnen Konsortialbanken erbrachten Leistung ausgeschüttet werden kann. Um einen bestmöglichen Wirkungsgrad der Gesamtvergütung zu erreichen, ist neben ihrer absoluten Höhe und Aufteilung insbesondere die Vereinbarung von transparenten, zielführenden und erreichbaren qualitativen und quantitativen Kriterien für die Auszahlung der Incentive Fee wichtig. Die erzielbare absolute Vergütung sollte individuell für jede Bank des Konsortiums so bemessen und strukturiert werden, dass diese über den gesamten Verlauf der Transaktion hinweg motiviert ist, die ihr jeweils zugewiesenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen sowie – in der Zusammenarbeit mit dem Gesamtkonsortium – den Erfolg des Börsengangs sicherzustellen45. Die Festlegung der für eine spezifische Transaktion optimalen Provisionshöhe und ihrer geeigneten Strukturierung sowie die Messung und nachvollziehbare Beurteilung der Leistung der einzelnen Banken erfordern eine hohe Kompetenz und umfassende praktische Erfahrungen des Finanzberaters. Gleiches gilt für die Etablierung zielführender Regelungen zur Kostenverteilung zwischen Emittent, Altgesellschaftern und Banken. Die Auswahl der Führungsbank(en) ist indirekt auch eine Vorentscheidung über den Umfang und die Struktur des Bankenkonsortiums. Angesichts individueller Mindestvergütungen, die Banken für die Erfüllung einer spezifischen Rolle in einem IPO-Konsortium erwarten, sind der Größe und Zusammensetzung des Konsortiums durch das geplante Emissionsvolumen und das dadurch verfügbare absolute Provisionsbudget Grenzen gesetzt. Eine Differenzierung der Rollenverteilung zwischen den Konsortialbanken ergibt sich grundsätzlich aus der Frage, ob eine Bank als Bookrunner die Möglichkeit hat, Aktienorders von institutionellen Investoren im Bookbuilding direkt in das Orderbuch einzugeben. Nachgeordnete, oft kleinere Banken ohne Bookrunner-Funktion werden dagegen oftmals zur Abdeckung spezifischer Investorenklassen oder bestimmter Regionen engagiert. Da institutionelle Investoren ihre Orders nahezu ausschließlich über die Bookrunner leiten, haben nachgeordnete Banken tendenziell einen geringeren Anreiz zu einer engagierten Vermarktungsleistung. Zudem ist die Qualität dieser Leistung für einen Emittenten auch nicht ohne Weiteres so transparent wie bei einem Bookrunner. Insofern hat sich die Anzahl der nachgeordneten Banken in den vergangenen Jahren verringert46. Bei den Börsengängen deutscher Unternehmen in den vergangenen Jahren wurden bis zu sieben Bookrunner mandatiert47. Eine allgemeingültige Aussage zu der „richtigen“ Anzahl von 44 Bei den 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) wurde in 31 Fällen eine Incentive Fee vereinbart, die im Durchschnitt einen Anteil von 36,7 % an der Gesamtprovision hatte. 45 Für die Verteilung der Provision innerhalb des Konsortiums haben sich über die Festlegung von Underwriting-Quoten eine Reihe spezifischer Mechanismen und Steuerungsgrößen etabliert, die an dieser Stelle nicht detailliert erläutert werden können. Als Stichworte seien z.B. Fachbegriffe wie designations, selling fee cap, praecipuum oder shared economics erwähnt. 46 Bei den 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) waren von 2012 bis Mitte 2015 (16 IPOs mit durchschnittlich 640,5 Mio. Euro Emissionsvolumen) durchschnittlich 2,0 Nicht-Bookrunner engagiert; bei den anderen 16 IPOs ab Mitte 2015 (durchschnittliches Emissionsvolumen 766,7 Mio. Euro) waren es 0,8. 47 Die durchschnittliche Anzahl der Bookrunner bei den 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) verteilt sich nach Höhe des jeweiligen Emissionsvolumens wie folgt: 50–200 Mio. Euro: 2,3 Bookrunner; 201–400 Mio. Euro: 3,8 Bookrunner; 401–1.000 Mio. Euro: 5,1 Bookrunner und über 1 Mrd. Euro: 5,4 Bookrunner.
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Bookrunnern für eine bestimmte Emissionsgröße lässt sich jedoch nicht ableiten. Grundsätzlich ist die Mandatierung mehrerer Bookrunner zweckmäßig, etwa um deren unterschiedliche Vertriebsstärken und individuellen Kompetenzschwerpunkte in einem gemeinsamen Führungsteam zu verbinden und gleichzeitig eine konstruktive Wettbewerbssituation zwischen den Bookrunnern im Verlauf der IPO-Durchführung zu schaffen. Allerdings erfordert eine geringere Differenzierung der Bankenrollen innerhalb des Konsortiums gleichzeitig auch eine eindeutige Zuordnung und klare Koordination der Aufgaben. Die Verteilung der Führungsverantwortung auf zu viele Banken erschwert die Zurechenbarkeit (und Vergütung) ihrer individuellen Leistung, birgt das Risiko einer Verwässerung von Informationen und Rückmeldungen an den Emittenten und kann die volle Entfaltung des Leistungspotentials des Gesamtkonsortiums verhindern. Zudem sollte vermieden werden, dass die entscheidenden Investoren in der Vermarktung parallel durch eine breite Gruppe von Banken angesprochen werden48, die jeweils für sich eine transaktionsentscheidende Funktion geltend machen. Daher erhalten ausgewählte Banken aus der Gruppe der Bookrunner regelmäßig eine zusätzliche Funktion als sog. (Gemeinsame) Globale Koordinatoren49. Diese übernehmen die Organisation und Abstimmung der einzelnen Arbeitsabläufe in der Durchführungsphase, steuern die Zusammenarbeit der Konsortialbanken untereinander und fungieren als zentrale Ansprechpartner des Emittenten. In den Händen der Globalen Koordinatoren liegt somit die Gesamtverantwortung für die erfolgreiche Durchführung des IPOs.
1.55 Auswahlkriterien für die Besetzung nachgeordneter Positionen des Konsortiums (Co-Lead
Manager und Co-Manager) sind insbesondere die Qualität und Investorenakzeptanz des Research-Produkts sowie regionale, sektor- oder investorenspezifische Vermarktungskompetenzen. Zu beachten ist dabei, dass größere Banken im Falle einer erfolglosen Bewerbung um eine Führungsrolle regelmäßig nicht als Co-Lead oder Co-Manager zur Verfügung stehen. Da nachgeordnete Konsortialbanken keine aktive Rolle in der Strukturierung des Börsengangs, bei der Dokumentation oder im Prozessmanagement übernehmen, ist ihre Mandatierung und Prozesseinbindung erst kurz vor der Analystenpräsentation50 erforderlich. Gleichwohl sollte der Emittent schon bei der Auswahl der Führungsbanken fundierte Vorstellungen über die Zielgröße und -struktur seines Konsortiums entwickelt haben. Insgesamt sollten dessen Umfang und Struktur eine optimale Positionierung und Vermarktung des IPOs bei allen relevanten Investoren sicherstellen und eine angemessene Breite der Research-Abdeckung des Unternehmens im Zweitmarkt gewährleisten51. Um den nachgeordneten Banken die Möglichkeit und den Anreiz zur Einbringung ihrer vollen Leistungskraft im Rahmen der ihnen zugewiesenen Rollen zu geben, ist auch 48 Zu Ablauf und Koordination der institutionellen Vermarktung s. Rz. 1.61 f. 49 Bei den 32 deutschen IPOs der Jahre 2012 bis 2017 (Emissionsvolumen > 50 Mio. Euro; ohne Private Placements) waren (mit Ausnahme von HelloFresh SE im November 2017) bei allen Transkationen mit mehr als 250 Mio. Euro Emissionsvolumen mindestens zwei und höchstens drei Globale Koordinatoren (Joint Global Coordinators) mandatiert. Bei kleineren IPOs haben hingegen sehr häufig ein oder zwei Banken diese Funktion. 50 Zur Bedeutung der Analystenpräsentation in der IPO-Vermarktung s. Rz. 1.60. 51 Zu berücksichtigen sind hierbei künftig insbesondere die Auswirkungen der Europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II, RL 2014/65 EU), die am 3.1.2018 in Kraft trat. Durch die grundlegende Änderung der zuvor üblichen Vergütungsmodelle für die Research-Dienstleistungen der Banken durch die Investoren ist mittelfristig von einer Reduzierung des verfügbaren Research-Angebots bzw. von nachhaltigen Veränderungen der aktuellen Marktstrukturen auszugehen, die insbesondere kleinere und mittlere Emittenten betreffen werden.
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für diese auf eine transparente und zielorientierte Vergütungsstruktur zu achten und die im IPO erbrachte Leistung durch den Finanzberater objektiv beurteilen und bemessen zu lassen. c) Ausgewählte Überlegungen zur Durchführungsphase Die praktische Arbeit der IPO-Durchführung beginnt im Allgemeinen mit einer Auftaktveranstaltung (IPO-Kickoff), die meist am Verwaltungssitz oder einem wesentlichen Produktionsstandort des Emittenten stattfindet. Die Teilnahme aller involvierten Parteien und ihrer Transaktionsteams52 erfordert eine gute inhaltliche, logistische und zeitliche Planung und Vorabstimmung. Ziel des IPO-Kickoffs ist u.a. die gemeinsame Verständigung aller Beteiligten auf einen detaillierten Zeitplan, eine genaue Aufgabenverteilung innerhalb der einzelnen Arbeitsgruppen, die Etablierung einer parteiübergreifenden Prozessorganisation53 sowie die Festlegung von Informationswegen und Berichtsrhythmen. Ein sehr wichtiger Bestandteil des Kickoffs ist die Managementpräsentation, in der die Unternehmensführung insbesondere Geschäftsmodell, Marktumfeld und Wettbewerbsstärken, Strategie sowie die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Grundlagen der Equity Story des Emittenten vorstellt. Zu diesem Zeitpunkt zeigen sich die Vorteile der in der Vorbereitungsphase getroffenen Maßnahmen und geleisteten Arbeiten (s. Rz. 1.27 bis 1.42). Im Idealfall treffen die Banken und ihre Rechtsberater auf ein Unternehmen, das die Abläufe und inhaltlichen Erfordernisse der IPO-Durchführung bereits antizipiert hat und in Bezug auf die Datenqualität und -verfügbarkeit sowie die interne Prozessorganisation die Voraussetzungen für eine hoch effiziente und schnelle Bewältigung der anstehenden Aufgaben bietet.
1.56
Grundsätzlich können die in der IPO-Durchführung zu bewältigenden Aufgaben zwei übergeordneten Arbeitsbereichen zugeordnet werden: Zum einen dem Bereich Dokumentation mit dem Wertpapierprospekt als zentralem Produkt; zum anderen dem Bereich Marketing mit den Research-Reports der Konsortialanalysten als wesentlicher Grundlage in der Vermarktung der Aktie bei institutionellen Investoren54. Die Bearbeitung beider Bereiche erfolgt zeitlich parallel unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Due Diligence und intensiven Gesprächen mit der Unternehmensführung. Die ersten zentralen Meilensteine im Rahmen dieser Arbeitsstränge sind einerseits die Einreichung des ersten Prospektentwurfs bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie andererseits die Präsentation des Unternehmens vor den Research-Analysten des Bankenkonsortiums. Der Zeitrahmen zur Erreichung diese Meilensteine ist sehr flexibel und ohne
1.57
52 Neben dem Emittenten, seinen Gesellschaftern, dem Finanzberater sowie den Corporate FinanceTeams der Führungsbanken sind dies regelmäßig die Rechtsberater des Unternehmens sowie des Bankenkonsortiums, der Abschlussprüfer des Emittenten und der PR-/IR-Berater. Je nach Größe des Börsengangs und Anzahl der Führungsbanken können dabei durchaus 40 oder mehr Personen teilnehmen. 53 In IPO-Prozessen hat sich die Aufteilung der Tätigkeiten auf Arbeitsgruppen (Working Groups) etabliert, die wiederum an eine Steuerungsgruppe (Steering Committee) mit Vertretern von Emittent, Gesellschaftern, Finanzberater und Führungsbanken berichten. Darüber hinaus bietet sich die Einrichtung einer internen Lenkungsgruppe aus Emittent, Gesellschaftern und Finanzberater an, die den Prozessfortschritt und die Erreichung von Meilensteinen überwacht sowie wesentliche Entscheidungen im Rahmen des Steering Committee vorbereitet und damit die fortlaufende Kontrolle des Emittenten über den IPO-Prozess gewährleistet. 54 Zur inhaltlichen Interdependenz von Prospekt und Marketingmaterialien s. Rz. 1.29. Zur Doppelfunktion des Prospekts als rechtliche Voraussetzung des IPOs sowie als Vertriebsdokument s. auch Rz. 36.13.
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§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
feste Vorgaben. Die Prospekteinreichung sowie die Analystenpräsentation markieren jedoch jeweils den Beginn einer Kette nachfolgender Schritte und Handlungen innerhalb rechtlich bzw. marktseitig vorgegebener Zeitrahmen, die jeweils nicht oder nur unwesentlich beeinflusst oder verkürzt werden können. Für die Prüfung des Wertpapierprospektes durch die BaFin sieht das WpPG (bzw. ab Juli 2019 die neue Prospektverordnung) enge Fristen vor, wobei sich grundsätzlich eine frühzeitige inhaltliche und zeitliche Vorabstimmung des Billigungsverfahrens mit der BaFin empfiehlt55. Auch in Bezug auf die Vermarktung und den Vertrieb der Aktien ist eine Mindestzeitspanne zu berücksichtigen, um zum einen den Analysten ausreichend Zeit zur Erstellung aussagekräftiger Research-Studien sowie zur Präsentation dieser Studien bei institutionellen Investoren (Pre-Deal Investor Education oder kurz PDIE56) zu geben und zum anderen eine hinreichende Angebots- und Bookbuilding-Phase zu erlauben57.
1.58
Vereinfachte Darstellung der wesentlichen Aufgabenbereiche und Meilensteine in der Durchführungphase
Dokumentation
Erstellung Prospektentwurf
Marketing
Einreichung BaFin
Erstellung & Vorbereitung Analystenpräsentation
Veröffentlichung Prospekt Prüfung, Kommentierung und Billigung durch BaFin (ca. 4–6 Wochen)
Erstellung Research
(ca. 4 Wochen)
Analystenpräsentation
Pre-Deal Investor Education
Preissetzung, Zuteilung & Handelsaufnahme
Vermarktung der Aktien, Roadshow & BookBuilding (ca. 2 Wochen
(ca. 2 Wochen)
Intention to Float & Versand Research
1.59 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine signifikante Beschleunigung bzw. Ver-
kürzung der IPO-Durchführung nur am Anfang des Prozesses erreicht werden kann (in der vorstehenden Darstellung angedeutet durch die Schraffierung), d.h. in der Zeitspanne zwischen der Mandatierung der Banken und der Prospekteinreichung bzw. der Analystenpräsentation. Das Ausmaß dieses für den IPO-Erfolg möglicherweise entscheidenden Zeitgewinns hängt unmittelbar von der Qualität und dem Umfang der bereits erläuterten Vor55 § 13 Abs. 2 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 20 Abs. 2 UAbs. 1 VO 2017/1129); s. erläuternd dazu auch Rz. 36.81. 56 Dazu näher Rz. 1.61. Der Pre-Deal Investor Education (PDIE) unmittelbar voraus geht zwingend eine Pressemitteilung des Emittenten über den beabsichtigten Börsengang, die allgemein als „Intention to Float“ (ITF) bezeichnet wird und den Konsortialbanken die rechtliche Grundlage zur konkreten Ansprache der Investoren im Rahmen der PDIE gibt. In der Vergangenheit wurde die PDIE oft auch als „Pre-Marketing“ bezeichnet. Um den Charakter der Information der Investoren durch die unabhängigen Research-Analysten anstelle einer primären Verkaufsabsicht zu unterstreichen, hat sich inzwischen der Begriff PDIE durchgesetzt. 57 Für den Zeitraum von der Analystenpräsentation bis zu Preisfestsetzung am Ende des Bookbuilding-Verfahrens sollten rund sieben bis acht Wochen eingeplant werden.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
bereitungsmaßnahmen ab, die allen beteiligten Parteien eine schnellere Abarbeitung der erforderlichen Aufgaben ohne Einschränkungen der Prospektqualität oder des Vermarktungserfolges erlauben. In der Regel übernehmen neben dem Emittenten auch die emissionsbegleitenden Banken die Haftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit des Wertpapierprospekts58. Die Reduzierung des potentiellen Haftungsrisikos durch sorgfältige Erstellung des Prospekts sowie weitreichende Due Diligence hat für die Führungsbanken und ihre Rechtsberater einen entsprechend hohen Stellenwert. In der Konkurrenz um knappe personelle und zeitliche Ressourcen der beteiligten Parteien wird die erste Prospekteinreichung gegenüber der Vorbereitung und Optimierung der in etwa zeitgleich stattfindenden Analystenpräsentation die höhere Priorität erhalten, insbesondere wenn in der frühen Durchführungsphase unvorhergesehene Umstände den Zeitplan belasten. Zudem hätte die erforderliche Überarbeitung eines in der Beurteilung der BaFin unzureichenden Prospektentwurfs erhebliche Verzögerungen im Gesamtzeitplan zur Folge59. Die Konsequenzen einer nicht optimal vorbereiteten Analystenpräsentation sind dagegen nicht unmittelbar erkennbar, sondern zeigen sich meist erst am Ende des Prozesses in einer schwächeren Investorennachfrage und einer niedrigeren Aktienbewertung. Das Management sollte sich gleichwohl bewusst sein, dass die Präsentation des Unternehmens vor den Research-Analysten des Bankenkonsortiums bereits die entscheidende Grundlage für die erfolgreiche Vermarktung des Börsengangs bildet. Defizite in der Darstellung oder eine nicht ausreichende Überzeugung von der Qualität des Unternehmens, seines Managements und seiner Equity Story spiegeln sich zwangsläufig in den Research-Reports wider und verringern damit die Mittel der Analysten, ihre Kollegen im Vertrieb (Equity Sales) sowie die institutionellen Investoren im Rahmen der PDIE mit einem fundierten Urteil für den Börsengang zu begeistern und deren Fragen überzeugend beantworten zu können. Das Management sollte daher unbedingt auch darauf achten, umfassende und kritische Frage- und Antwortenkataloge vorzubereiten sowie interne Probedurchläufe der Analystenpräsentation einzuplanen.
1.60
Unabhängig von etwaigen vorangegangenen Investorengesprächen des Managements (s. Rz. 1.35) beginnt die breite Ansprache potentieller Investoren mit dem Versand der Research-Reports und der anschließenden bis zu zweiwöchigen Pre-Deal Investor Education, in der die Analysten der Konsortialbanken ihre Studien direkt bei institutionellen Anlegern vorstellen und das Profil des möglichen Investments diskutieren. Je nach Umfang des Konsortiums und internationaler Ausrichtung der Vermarktung kann so durchaus eine mittlere dreistellige Zahl möglicher Investoren erreicht werden. Das Feedback dieser Institutionen gibt grundsätzlichen Aufschluss über den Umfang und die regionale Verteilung des Interesses an dem IPO sowie über das Bewertungsniveau, auf dem dieses Interesse besteht. Damit dient es neben einer zielgerichteten Planung der ManagementRoadshow vor allem der Ableitung einer angemessenen Preisspanne für das Angebot der Aktien im Rahmen des Bookbuilding-Verfahrens. Aus Sicht des Emittenten ist von hoher Bedeutung, dass alle potentiellen Investoren adressiert werden, detailliertes und
1.61
58 Die Mitübernahme der Prospekthaftung durch die Konsortialbanken (durch eine entsprechende Nennung im sog. Responsibility Statement des Prospekts) ist keine gesetzliche Vorgabe, sie wird jedoch von potentiellen Investoren als ein Qualitätsmerkmal gewertet und erfolgt insofern v.a. aus Marketinggesichtspunkten. Detailliert zur Prospekthaftung s. den Beitrag von Mülbert, § 41. 59 Gemäß § 13 Abs. 3 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 20 Abs. 4 UAbs. 2 VO 2017/1129) beginnt die Billigungsfrist in diesem Fall erneut. S. dazu auch die Empfehlungen in Rz. 36.81.
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§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
aussagekräftiges Feedback von ihnen eingeholt und dieses sorgfältig ausgewertet und richtig analysiert wird60. Dabei sind insbesondere die Mitarbeiter der Banken aus dem Equity Sales und dem Equity Syndicate61 gefordert, zu denen ein Emittent oft keinen unmittelbaren Zugang hat. Der Finanzberater hat in diesem Zusammenhang eine anspruchsvolle und zentrale Kontrollfunktion und unterstützt das Management mit einer objektivierten zweiten Meinung zur Interpretation des Investorenfeedbacks. Entscheidend ist zudem, dass sich alle Banken des Konsortiums im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben und in koordinierter Weise für eine optimale Durchführung und hohe Ergebnisqualität der Pre-Deal Investor Education einsetzen. Dies muss für den Emittenten sichtbar und überprüfbar sein62 und sollte ein wichtiges Kriterium für der Bemessung der Incentive Fee (s. Rz. 1.53) darstellen.
1.62 Gewöhnlich im direkten Anschluss an die Festlegung der Preisspanne, in der Aktien in-
teressierten Investoren zum Kauf angeboten werden und der Billigung und Veröffentlichung des Wertpapierprospekts beginnt die eigentliche Vermarktungsphase des IPOs mit der Roadshow des Managements bei den für den IPO-Erfolg relevanten institutionellen Investoren sowie dem Start des Bookbuildings durch Öffnung des Orderbuchs63. Das Verständnis für den zielführenden Aufbau des Orderbuchs sowie die Ableitung zutreffender Rückschlüsse aus der Breite und Dynamik des Nachfragevolumens zu einem gegebenen Zeitpunkt erfordern umfangreiche Erfahrung sowie Fachkenntnis. Grundsätzlich können frühe Ordereingänge positive Impulse für die Gesamtnachfrage geben und damit auch zu einem höheren Platzierungspreis führen. Besonders wichtig ist die Gewinnung der Kerninvestoren und Meinungsbildner, so dass sich für den Emittenten hier die Erfolge einer frühen Interaktion auszahlen können (s. Rz. 1.34 f.), weil diese Investoren in der Lage sind, aufgrund ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Unternehmen eine schnellere Entscheidung zu treffen. Hat das Orderbuch erst einmal die kritische Hürde 60 Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf mögliche Kerninvestoren und Meinungsbildner (s. Rz. 1.34). 61 Das Equity Syndicate fungiert bei Aktienplatzierungen als Schnittstelle zwischen den Marktbereichen (Equity Research, Sales und Trading), deren Kunden die Investoren sind und dem Corporate Finance- bzw. Equity Capital Markets-Team, das den Emittenten in der IPO-Durchführung betreut. Darüber hinaus koordiniert das Equity Syndicate die Zusammenarbeit der Konsortialbanken untereinander und ist für das Bookbuilding, die Preisfestsetzung und die Zuteilung der Aktien an die Investoren zuständig. 62 Ansatzpunkte des Finanzberaters sind hier u.a. die Abstimmung der Marketingpläne der einzelnen Analysten in zeitlicher und regionaler Hinsicht sowie die Vorgabe eines einheitlichen Feedback-Formulars, das durch die Sales-Mitarbeiter auszufüllen ist. Wichtige Aufgabe ist die Überwachung des täglichen Rücklaufs in aussagekräftiger Qualität, so dass mit der Auswertung des kumulierten Gesamtfeedbacks aus der PDIE eine substantiierte Grundlage für die Ableitung der Bookbuildung-Spanne geschaffen wird. 63 Abweichend von dieser Reihenfolge wurde im Jahr 2005 beim Börsengang der Conergy AG erstmals das sog. Decoupled Bookbuilding angewandt, bei dem die Vermarktung und die Roadshow eine Woche vor der Festlegung der Preispanne und dem Start des Bookbuilding (und damit dem rechtlichen Beginn des Öffentlichen Angebots) lagen. Der wesentliche Zweck dieses Verfahren bestand in der Absicht, mögliche negative Einflüsse eines volatilen Marktumfelds durch eine verkürzte Bookbuilding-Phase zu vermindern sowie aufbauend auf einer bereits laufenden Management-Roadshow und eines vorliegenden Unvollständigen Verkaufsprospekts eine bessere Entscheidungsgrundlage für die Festlegung der Preisspanne zu erhalten. Seitdem wurde das Decoupled-Verfahren in Europa in verschiedenen Ausgestaltungsformen häufiger angewandt, hat sich jedoch nicht als Standard für IPOs durchgesetzt.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
von 100 bis 200 % des Angebotsvolumens überschritten, steigt die Nachfrage meist sehr rasch weiter an64 – zum einen durch Investoren, die auf einen schnellen Kursgewinn spekulieren, zum anderen auch durch fundamental von der Equity Story überzeugte Investoren, die ihre Order in Erwartung einer rationierten Zuteilung erhöhen oder „inflationieren“. Zwischen Emittent, Finanzberater und Bookrunnern sollte frühzeitige und eindeutige Klarheit bestehen über die Planung des Orderbuchaufbaus, die Klassifikation der Zielinvestoren in einem qualitativen Ranking, die Strategie der Ordergenerierung, die Schaffung vollständiger und jederzeitiger Transparenz65 für den Emittenten sowie alternative Maßnahmen im Falle ungünstiger Marktentwicklungen oder bei einer Verfehlung gesetzter Zwischenziele. Am Ende des Bookbuildings ergibt sich aus dem Orderbuch ein Gleichgewichtspreis von Aktienangebot und -nachfrage. Dieser repräsentiert jedoch nur einen theoretischen Maximalpreis66, da sich nur bei einem weiteren Nachfrageüberhang im Zweitmarkt eine positive Kursentwicklung einstellen kann. Wird ein solcher Kursanstieg nicht erreicht, gerät die Aktie oft in der Folge unter zunehmenden Druck, weil auch solche Investoren verkaufen, die sich mit fundamentaler Überzeugung im IPO engagiert hatten. Dabei besteht die Gefahr einer wachsenden Verunsicherung und eines selbstverstärkenden Kursverfalls aus im Wesentlichen „technischen“ Gründen. Die Festlegung des richtigen Platzierungspreises muss daher mit großer Sorgfalt sowie unter Berücksichtigung diverser Kriterien und Faktoren erfolgen. Dazu zählen vor allem die richtige Interpretation der Ordergrößen (ohne Inflationierung), die Analyse der Preissensitivität wichtiger Kerninvestoren sowie eine entsprechende Erfahrung mit dem Zweitmarktverhalten der einzelnen Investoren. Der richtige Platzierungspreis schafft für die IPO-Investoren ausreichenden Anreiz, ihre zugeteilte Aktienposition in Erwartung weiterer Kurssteigerungen weiter auszubauen (oder zumindest zu halten) und motiviert andere Anleger, sich im Zweitmarkt zu engagieren. Insofern ist die Preisfestlegung eine in hohem Maße qualitative Entscheidung, bei der die Bookrunner im Vergleich zum Emittenten über signifikante Wissens- und Erfahrungsvorteile verfügen und gleichzeitig durch Interessenkonflikte beeinflusst werden. Das erforderliche fundierte Know-how vorausgesetzt, kann der Finanzberater die Preisentscheidung im Sinne des Unternehmensinteresses objektivieren und optimieren.
1.63
In direktem Zusammenhang mit der Preisfestlegung steht die Zuteilung der Aktien an die Investoren (Allocation). Sie bietet Emittenten und ihren bisherigen Gesellschaftern die – faktisch einmalige – Chance, das Grundgerüst der künftigen Aktionärsstruktur in wesent-
1.64
64 In diesem Zusammenhang sind Art und Umfang der Informationen, die Banken an Investoren über den Status des Orderbuchs im laufenden Bookbuilding weitergeben, kritisch zu hinterfragen. Inzwischen ist es zum Standard geworden, Investoren zu informieren, sobald das Ordervolumen das Angebot übersteigt (sog. „Coverage Message“), um so der Nachfrage ein zusätzliches Momentum zu geben bzw. die Preissensitivität der Investoren zu vermindern. Leider hat sich damit aber auch die Neigung von Investoren verstärkt, erst nach Erhalt einer solchen Information in entscheidendem Umfang zu ordern. Demgegenüber wird das Ausbleiben einer Coverage Message während der ersten Tage des Bookbuildings regelmäßig als Signal einer problematisch verlaufenden Transaktion verstanden. 65 Dazu werden für das Management mindestens einmal täglich nach Börsenschluss Telefon- oder Videokonferenzen zur Analyse des Orderbuchs angesetzt. Darüber hinaus ist der Finanzberater oft auch direkt an das elektronische Bookbuilding-System angeschlossen und kann wesentliche Entwicklungen unmittelbar verfolgen. 66 Dies gilt häufig auch für den Fall, dass der Börsengang am oberen Ende der Preisspanne überzeichnet ist.
Stäcker | 29
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
lichem Maße selbst zu bestimmen. Analog zur Preisfestlegung besteht auch bei der Zuteilung ein Interessenkonflikt der Konsortialbanken. Gerade bei erfolgreichen IPOs, die aufgrund hoher Nachfrage einen schnellen Gewinn versprechen, stehen die Banken unter dem Druck von ertragreichen Investorenkunden, diese bei der Zuteilung nicht leer ausgehen zu lassen67. Dagegen wird der Emittent vornehmlich an einer Zuteilung an fundamental ausgerichtete und langfristig orientierte Investoren interessiert sein68. Seit Januar 2018 unterliegen die Konsortialbanken besonderen Pflichten in Bezug auf den Umgang mit Interessenkonflikten bei der Zuteilung von Wertpapieren69. Danach sind u.a. die Ziele und Kriterien der Zuteilung im Vorfeld der Platzierung zwischen Emittent und Konsortialbanken zu vereinbaren. Dem Emittenten werden weitergehende Mitsprache- und Kontrollrechte bei der Zuteilung eingeräumt. Um eine eigene Position entwickeln zu können und gut vorbereitet in die Gespräche mit den Globalen Koordinatoren zu gehen, sollten sich Unternehmen und Eigentümer gemeinsam mit ihrem Finanzberater rechtzeitig mit der Zuteilung befassen.
VI. Besonderheiten bei der Beratung von Fremdkapitaltransaktionen 1. Einführung zu möglichen Kapitalmarktinstrumenten
1.65 Der erstmalige Zugang zum Kapitalmarkt ist nicht nur über einen Börsengang möglich,
sondern insbesondere auch über die Begebung von Fremdkapitaltiteln wie z.B. Anleihen. Häufig ist dies für viele Unternehmen wie z.B. Familienunternehmen lange Zeit der einzige Zugang, solange keine Öffnung der Aktionärsstruktur für Externe geplant ist70. Eine Anleihe oder vergleichbare Fremdkapitalinstrumente sind in diesen Fällen für viele Unternehmen der Einstieg in den breiten Kapitalmarkt und häufig der erste Schritt zur öffentlichen Kapitalmarktkommunikation.
1.66 Bevor es zu einer Entscheidung hinsichtlich einer Transaktion am Kapitalmarkt kommt,
sind zunächst grundsätzliche Fragen zu beantworten: Was ist der gesamte Kapitalbedarf? Zu welchem Zeitpunkt soll die Emission erfolgen? Wie sind die strukturellen Anforderungen an die Finanzierung (Eigen- oder Fremdkapital, Laufzeit, Tilgung etc.)? Soll es sich um ein privates oder öffentliches Instrument handeln? Dies kann im Abgleich mit der mitteloder langfristigen Unternehmensplanung und Strategie abgeleitet werden und stellt die Basisentscheidung der Finanzierung bzw. des Finanzierungsprogrammes dar.
67 Zum Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Höhe von Erlösen von einzelnen Investorenkunden und der Bevorzugung bei der Aktienzuteilung in IPOs s. die umfangreiche Untersuchung der britischen Financial Conduct Authority (FCA), Occasional Paper No. 15, „Quid pro quo? What factors influence IPO allocations to investors?“, zuletzt aktualisiert am 18.10.2016, abrufbar unter https://www.fca.org.uk/publication/occasional-papers/occasional-paper-15.pdf. 68 Vielfach besteht bei Emittenten die Ansicht, dass Hedge Funds grundsätzlich an einem kurzfristigen Handelsgewinn orientiert sind und daher bei der Aktienzuteilung eines IPO nicht berücksichtigt werden sollten. Unabhängig von sehr unterschiedlichen Investmentstrategien von Hedge Funds zeigt auch die praktische Erfahrung, dass diese Auffassung keine Allgemeingültigkeit hat und vielmehr eine individuelle Differenzierung der Institutionen in jedem einzelnen IPO erforderlich und sinnvoll ist. 69 S. insbesondere Art. 40 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 vom 25.4.2016 zur Ergänzung der Europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II, RL 2014/65/EU). 70 Beispiele hierfür sind u.a. Bertelsmann, Haniel, Otto, Phoenix oder Würth.
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Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
Nach der grundsätzlichen Ausformulierung des Finanzierungsprogrammes, folgt im nächsten Schritt die wichtige Analyse der möglichen Finanzierungsinstrumente hinsichtlich ihrer Attraktivität und Eignung für das Finanzierungsprogramm. Neben den privat platzierten Instrumenten (z.B. Bankkredit), gibt es inzwischen eine Vielzahl von alternativen Kapitalmarktprodukten (z.B. Schuldscheindarlehen, Anleihen, institutionelle Kredite oder Sonderformen der Anleihen wie die Floating Rate Note oder eine Hybridanleihe). Da diese Instrumente im Detail sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und die jeweiligen Marktsegmente sich durchaus unterschiedlich entwickeln, muss bei jeder Finanzierung neu entschieden werden, welches Instrument für den jeweiligen Finanzierungsbedarf den Anforderungen am besten gerecht wird. Noch bevor man eine Bank für eine Platzierung mandatiert, ist es daher sinnvoll, alle möglichen Optionen zusammen mit einem unabhängigen Berater zu prüfen. Das Abgleichen der Anforderungen des Unternehmens mit den Möglichkeiten des Kapitalmarktes zur fundierten Auswahl des richtigen Instrumentes ist essentiell und hat im Zweifel eine größere Auswirkung auf die Finanzierungsstruktur des Unternehmens als die spätere Optimierung einzelner Vertragsdetails oder Konditionen während der Begebung eines einzelnen Instrumentes.
1.67
Im Gegensatz zum klassischen Bankkredit ist eine Finanzierung über den Kapitalmarkt i.d.R. in einem hohen Maß standardisiert und soll eine große Zahl von Investoren ansprechen. Häufige Gründe für die Wahl einer Kapitalmarktfinanzierung aus Unternehmenssicht sind:
1.68
1) Zugang zu neuen Investorengruppen, Diversifizierung der Finanzierungsquellen 2) Endfällige Finanzierung, keine Tilgung während der Laufzeit 3) Keine finanziellen Covenants; während der Laufzeit werden keine Kreditkennzahlen wie z.B. der Verschuldungsgrad oder der Zinsdeckungsgrad regelmäßig geprüft 4) Längere Laufzeiten als der Bankkredit; Laufzeiten von 10 Jahren und mehr sind bei einzelnen Instrumenten möglich Trotz der Standardisierung gibt es am Kapitalmarkt viele Sonderformen, um den Bedürfnissen der Unternehmen bzw. Investoren gerecht zu werden. Sicherlich wird der Markt weitere Innovationen und Sonderformen auch in Zukunft sehen. Insofern ist der nachfolgende Überblick beschränkt auf häufig genutzte Formen der Kapitalmarktfinanzierung und lässt außerdem die Equity-linked Anleihen (z.B. Options- und Wandelanleihen) an dieser Stelle außen vor (s. dazu Rz. 1.173 ff.).
Hoffmann-Becking | 31
1.69
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
1.70
Überblick Kapitalmarktfinanzierungen Klassische Anleihe
Öffentliche Instrumente/Anleihen Sonderformen
Private Instrumente (breit platziert)
Investment Grade
High-Yield
Floating Rate Note
Retail-/Mittelstands-/Anleihe
Hybridanleihe
Schuldschein
Institutioneller Kredit
Volumen (Mio. Euro)
≥ 200–250
≥ 200–250
≥ 150
≥ 50–100
≥ 150
≥ 25
≥ 150
Laufzeiten1 (Jahre)
3–10
5–7
5–7
3–5
≥ 60/unbegrenzt
3–10
5–7
Externes Rating
Externes Rating Baa3/BBBoder besser
Externes Rating Ba1/BB+ oder schlechter
Bankenrating, optional externes Rating
Externes Rating
Fälligkeit
Endfällig
Endfällig
Endfällig
Endfällig
Endfällig
Endfällig, Tilgungsstrukturen möglich
Endfällig, Tilgungsstrukturen möglich
Finanzielle Covenants
Keine
Keine
Keine
Keine
Keine
i.d.R. wie beim Bankkredit
Keine/reduzierte Covenants
Reporting
Öffentlich, quartalsweise
Öffentlich, quartalsweise
Öffentlich, quartalsweise
Öffentlich, Öffentlich, quartalsweise oder quartalsweise halbjährlich
Privat2, quartalsweise oder halbjährlich
Privat2, quartalsweise
Institutionelle Investoren
Retail-Investoren, Institutionelle und RetailPrivatbanken, Vermögensverwalter Investoren
Sparkassen,Volksbanken, Versicherungen, internat. Geschäftsbanken
Kreditfonds, CLOs
Investoren
Institutionelle Institutionelle und und Retail-Investoren Retail-Investoren
Kein Rating/Rating i.d.R. UnterExternes Rating, von Creditform, nehmen mit alle Stufen Euler Hermes Investment Grade
Stückelung
Ab 50.000 €– 100.000 €
Ab 50.000 €– 100.000 €
Ab 50.000 €– 100.000 €
Ab 1.000 €
Ab 50.000 €– 100.000 €
Ab 500.000 €
Ab ca. 5 Mio.
Verzinsung
Festzins
Festzins
Variabler Zins
Festzins
Festzins
Festzins oder variabler Zins
Variabler Zins
Anmerkungen 1 Übliche Laufzeiten 2 D.h. Finanzinformationenwerden nur innerhalb des Kreditgeberkreises bereitgestellt
1.71 Wie in der oben stehenden Tabelle aufgezeigt, gibt es diverse Unterscheidungsmerkmale für die Instrumente. Im Detail sind dies folgende Merkmale:
1.72 Volumen: Klassische Anleihen werden bevorzugt mit einem Volumen von mehr als
200 Mio. Euro begeben, damit die Liquidität zum täglichen Handel im Sekundärmarkt ausreichend hoch ist. Schuldscheine oder Retail-/Mittelstandsanleihen können dagegen mit niedrigeren Volumina begeben werden, da die Investoren dort weniger Wert auf die Möglichkeit zum Kauf oder Verkauf legen und eher die Wertpapiere bis zur Fälligkeit halten wollen. Schuldscheine und institutionelle Kredite können nicht über Börsen gehandelt werden, sondern werden bei Bedarf zwischen den Parteien direkt oder indirekt über die Handelsabteilungen von Banken übertragen71.
1.73 Laufzeiten: Die üblichen Laufzeiten für klassische Kapitalmarktprodukte sind zwischen
drei und zehn Jahren, es gibt aber auch Papiere mit kürzeren oder längeren Laufzeiten. Das hängt von dem zum jeweiligen Zeitpunkt vorherrschenden Investoreninteresse für bestimmte Laufzeiten ab.
71 Inzwischen gibt es daneben erste elektronische Plattformen für den Sekundärhandel von Krediten und Schuldscheinen. Diese sind aber derzeit noch in der Aufbauphase und es bleibt abzuwarten, inwiefern diese den Handel über eine Bank ersetzen werden.
32 | Hoffmann-Becking
Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
In einem besonders guten Marktumfeld und hoher Nachfrage nach Anleihen durch die Investoren gibt es die Möglichkeit, sog. Hybridanleihen zu platzieren. Diese haben eine sehr lange oder ewige Laufzeit und sind damit wirtschaftlich dem klassischen Eigenkapital sehr nahe. Je nach Ausgestaltung, werden diese bilanziell teilweise als Eigenkapital anerkannt und werden bei der Ratinganalyse durch die großen Agenturen unter bestimmten Bedingungen (teilweise) als Eigenkapital gewertet72. Im Gegensatz zum echten Eigenkapital sind die Kosten jedoch durch den vereinbarten Zinssatz fixiert. Wie bei klassischen Fremdkapitaltiteln ist der Festzins i.d.R. steuerlich abzugsfähig. Aus Unternehmenssicht kann daher die implizite Mischung von Fremd- und Eigenkapital in einem Produkt in Form der Hybridanleihe sehr interessant sein. Das ist besonders dann der Fall, wenn kein echtes Eigenkapital aufgenommen werden kann oder soll (weil z.B. in einem Familienunternehmen keine Änderung der Gesellschafterstruktur angestrebt ist) oder die Aufnahme des relativ teuren Hybrids die Kapitalstruktur bzw. das Kreditrisiko in der Weise optimiert, dass das verbleibende Fremdkapital dadurch billiger wird und in Summe somit ein attraktiver durchschnittlicher Zinssatz erreicht werden kann.
1.74
Rating: Ein externes Rating durch eine Rating Agentur (z.B. S&P, Moody’s oder Fitch) ist ein wichtiges Instrument für die Investoren zur Einschätzung des Kreditrisikos und des notwendigen Preises für das Risiko. Es wird bei der Platzierung von klassischen Anleihen daher zur Unterstützung während der Vermarktung genutzt. Zwar gibt es einige Anleihen ohne ein externes Rating der großen Agenturen, dies kann jedoch negative Auswirkung auf das Investoreninteresse bei der Vermarktung haben. Demzufolge verzichten nur wenige große Unternehmen mit einem sehr bekannten Profil und Namen auf ein Rating, da sie nicht unbedingt auf die Unterstützung durch ein Rating beim Verkauf angewiesen sind.73
1.75
Das jeweilige Anleihen- und/oder Unternehmensrating wird grob in zwei Klassen geteilt: Investment Grade74 für Unternehmen mit einem relativ geringen und Non-Investment Grade75 für Unternehmen mit einem relativ höheren Ausfallrisiko. Je nachdem welches Rating erreicht wird, hat das eine Auswirkung auf den geforderten Zinssatz und auf die Dokumentation der Anleihe. Anleihen aus dem Non-Investment Grade Bereich benötigen wegen des höheren möglichen Ausfallrisikos eine höhere Verzinsung und werden deswegen High-Yield Bonds genannt. Neben der höheren Verzinsung ergeben sich deutlich umfangreichere Anforderungen an die Strukturierung, Offenlegung von Informationen und Verpflichtungen und Zusagen, um dem erhöhten Absicherungsbedürfnis der Investoren gerecht zu werden. Entsprechend wichtig ist es, vorab zusammen mit einem unabhängigen Berater zu analysieren, welches Rating bei welcher Agentur erreicht werden kann und welche Auswirkung dies für den Emittenten auf die Struktur, den Prospekt oder den Preis einer Anleihe haben kann.
1.76
Abweichend von den klassischen Anleihen haben sog. Mittelstands- oder Retail-Anleihen etwas geringere Anforderungen an die Ratinganalyse und die Dokumentation. In Deutschland, der Schweiz und Österreich wurden in den vergangenen Jahren an den Börsen Segmente entwickelt, die mittelständischen Unternehmen eine einfache Möglichkeit zur Be-
1.77
72 Je nach Ausgestaltung wird ein Hybrid z.B. durch S&P oder Moody’s mit 50 % als Eigenkapital gewertet. Die verbleibenden 50 % gelten für die Ratinganalyse dann weiter als Fremdkapital. 73 Beispiele für Anleihen ohne Rating in Deutschland gibt es z.B. von Sixt, ProSiebenSat.1 Media oder Fraport. 74 BBB-/Baa3 oder besser. 75 BB+/Ba1 oder schlechter.
Hoffmann-Becking | 33
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
gebung von Anleihen ermöglichen soll (z.B. Bondm an der Stuttgarter Börse). Um die teilweise recht hohen Kosten für die eher kleineren Transaktionen zu reduzieren, gibt es dort die Möglichkeit, ein Rating durch deutsche Agenturen (z.B. Creditreform oder Euler Hermes) zu nutzen. Diese Ratings sind jedoch von internationalen institutionellen Anlegern bisher nicht in gleicher Weise wie die Ratings der dominierenden US-Agenturen anerkannt. Der Verkauf dieser Mittelstandsanleihen erfolgt folglich wesentlich stärker an Privatinvestoren, als dies bei der klassischen Anleihe der Fall ist.
1.78 Beim Schuldschein wird ein anderer Weg für das Rating genutzt. Falls das Unternehmen
selber kein Rating durch eine Agentur hat, stellt die arrangierende Bank den Investoren nach Bedarf während der Syndizierungsphase einmalig die eigene Kredit- bzw. Ratinganalyse über den Emittenten zur weiteren Verwendung zur Verfügung. Für einen großen Teil der Investoren wie z.B. Sparkassen und Volksbanken ist das eine gute Basis für die Kreditentscheidung und ein zusätzliches externes Rating wird nicht mehr verlangt.
1.79 Fälligkeit: Nahezu alle Kapitalmarktinstrumente benötigen keine Tilgungen während der
Laufzeit, sondern sind erst am Ende komplett zurück zu zahlen. Nur vereinzelt haben Instrumente wie der Schuldschein und der institutionelle Kredit eine Struktur mit laufender Tilgung. Das kann sich je nach Kapitalmarktumfeld natürlich ändern. In schlechten Zeiten legen Investoren mehr Wert auf laufende Tilgung als in einem allgemein guten Umfeld mit stabilen Wachstumsperspektiven.
1.80 Finanzielle Covenants: Die bei Bankkrediten weit verbreitete regelmäßige76 Messung der
operativen Performance des Unternehmens und des Kreditrisikos durch Kenngrößen (z.B. maximaler Verschuldungsgrad, minimaler Zinsdeckungsgrad oder minimale Eigenkapitalquote, „Financial Covenants“) fällt bei der Anleihe mit wenigen Ausnahmen weg. Das ist einer der wesentlichen Vorteile für den Emittenten bei der Finanzierung durch Anleihen. Zusammen mit der endfälligen Tilgung, gibt es dem Unternehmen Zeit und Freiheitsgrade, sich während der Laufzeit weiter zu entwickeln. Den Investoren bleibt während der Laufzeit damit im Wesentlichen nur die Möglichkeit, durch Kauf- oder Verkaufsentscheidungen auf ggf. auftretende Veränderungen des Kreditrisikos zu reagieren.
1.81 Bei Schuldscheinen wird ebenso vereinzelt auf Financial Covenants bei gutem bis sehr gutem Rating (Investment Grade) verzichtet. Allerdings werden vor Begebung des Schuldscheines die bereits bestehenden Finanzierungsinstrumente des Unternehmens und deren Verträge betrachtet. Sollten diese Financial Covenants enthalten, wollen die SchuldscheinInvestoren häufig diese in gleicher Weise in der Schuldschein-Dokumentation aufgenommen haben.
1.82 Reporting: Beim Reporting zeigt sich am deutlichsten der Unterschied zwischen dem öf-
fentlichen Anleihenformat und dem eher privaten Schuldschein oder institutionellen Kredit. Kreditnehmer müssen grundsätzlich den Kreditgebern regelmäßig Auskunft zum Geschäftsverlauf geben und stellen entsprechende Finanzinformationen (z.B. Quartalsberichte und Jahresabschluss) den Investoren zur Verfügung. Das gilt für alle Instrumente und damit auch für eine Anleihe. Allerdings sind die Investoren in der Anleihe dem Unternehmen wegen des täglichen Handels namentlich nicht bekannt, so dass das Reporting öffentlich zur Verfügung gestellt werden muss und damit gleichzeitig für andere Personen zugänglich ist.
76 I.d.R. quartalsweise oder zumindest halbjährlich.
34 | Hoffmann-Becking
Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
Im Gegensatz zur Anleihe kennt das Unternehmen jeden einzelnen Investor im Schuldschein oder institutionellen Kredit und kann die Finanzinformationen direkt an die Investoren verteilen77. Die Finanzinformationen des Emittenten können somit vertraulich innerhalb des bekannten Investorenkreises bleiben.
1.83
Investoren: Investoren für klassische Anleihen sind in der Mehrheit institutionelle AssetManager wie Pensionsfonds oder Versicherungen. Bei sog. Mittelstandsanleihen treten diese ebenso auf, jedoch verschiebt sich der Schwerpunkt eher Richtung Privatinvestoren, Vermögensverwalter und Privatbanken. Um den Kleinanlegern den Einstieg zu erleichtern, beträgt die Stückelung bei diesen Anleihen in der Regel 1.000 Euro pro Wertpapier im Vergleich zu typischerweise deutlich höheren Nennbeträgen von 50.000–100.000 Euro bei klassischen Anleihen.
1.84
Der Schuldschein ist ein Produkt welches ursprünglich aus dem Sparkassen und Volksbanken Sektor kommt und hauptsächlich durch Landesbanken in Tranchen ab 500.000 Euro an lokale Sparkassen syndiziert wird. In den letzten Jahren hat sich die Investorenbasis erweitert und internationale und nationale Geschäftsbanken sind zusammen mit Versicherungen hinzugekommen.
1.85
Eine gänzlich andere Gruppe spricht der sog. institutionelle Kredit an. Dieser kommt häufig bei Private Equity Transaktionen mit einem Non-Investment Grade Rating und relativ hoher Verschuldung zum Einsatz und wird bei internationalen Kredit Fonds oder CLOs78 platziert. Diese Fonds sind bereit, ein etwas höheres Risiko für eine höhere Verzinsung zu akzeptieren.
1.86
Verzinsung: Anleihen sind üblicherweise Produkte mit einer festen Verzinsung und geben somit den Unternehmen die Gelegenheit, den Zinssatz über die gesamte Laufzeit zu fixieren. Der Nachteil einer festen Verzinsung ist jedoch die geringere Flexibilität einer vorzeitigen Rückzahlung. Je nach Ausgestaltung kann eine Anleihe nicht oder nur mit Zahlung einer vereinbarten Entschädigung in Form eines Aufschlages (sog. Make-Whole Call) vorzeitig gekündigt und zurückgeführt werden. Um dem entgegen zu wirken, gibt es als Abwandlung der klassischen Anleihe die sog. Floating Rate Note, die Vorteile einer Anleihe mit einem variablen Zins verbindet. Schuldscheine sind ebenfalls bevorzugt festverzinslich, einzelne Tranchen können jedoch mit einer variablen Verzinsung platziert werden. Der institutionelle Kredit ist ein Produkt mit variabler Verzinsung.
1.87
2. Aufgabenspektrum des Finanzberaters Die in Rz. 1.9–1.11 beschriebenen Aufgaben gelten bei Eigen- und Fremdkapitaltransaktionen gleichermaßen. Gerade die Analyse der Finanzierungserfordernisse und die Erarbeitung des Kataloges der zielführenden Maßnahmen (Punkte 1 und 2) sollten ergebnisoffen die möglichen Eigenkapital- und Fremdkapitallösungen nebeneinander stellen. Einzig der Punkt 6, laufende Beratung in Bewertungsfragen, ist etwas anders bei Fremdkapitaltrans77 Häufig erfolgt die Verteilung von Informationen bzw. allgemein der Dialog mit den Investoren über einen sog. Agenten. Das kann einer der Investoren oder aber die arrangierende Bank sein, die während der Laufzeit gegen eine gesonderte Vergütung diese Aufgabe übernimmt. 78 Collateralized Loan Obligation (CLO) sind Verbriefungen, die durch besicherte Kredite gedeckt sind; diese werden in der Regel von einer Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle, SPV) verwaltet.
Hoffmann-Becking | 35
1.88
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
aktionen. Dort steht nicht die Unternehmensbewertung, sondern die Konditionierung und wirtschaftliche Ausgestaltung des einzelnen Instrumentes im Vergleich zu anderen Transaktionen am Markt im Vordergrund. 3. Erforderliche Qualifikation und Fachkenntnisse des Finanzberaters a) Umfassende Kenntnis der Finanzprodukte
1.89 Die Kenntnis der Grundlagen und Ausgestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Finanzpro-
dukte ist wesentliche Voraussetzung zur fundierten Beratung. Die Produkte unterscheiden sich in vielen einzelnen Details, die gründlich gegeneinander abzuwägen und mit den Zielen der Finanzierung abzugleichen sind. Der Berater braucht innerhalb des Teams Erfahrung mit möglichst jedem Produkt und aufgrund der Dynamik des Marktes idealerweise auf Basis von kürzlich erfolgten vergleichbaren Transaktionen. b) Umfassendes Verständnis von Banken und Investoren
1.90 Die Leistungsfähigkeit und der Zugang der Banken zu bestimmten Investorengruppen für
die einzelnen Produkte sind sehr unterschiedlich. Es gibt kaum eine Bank, die alle Produkte gleichermaßen gut für den Kunden platzieren kann. Der Berater sollte entsprechend gegenüber dem Unternehmen Empfehlungen aussprechen können, welche Bank z.B. einen Schuldschein oder aber einen High-Yield Bond bei welchen Investoren, mit welchen Volumen und zu welchem Preis platzieren kann. Es kann durchaus sinnvoll sein, verschiedene Banken für verschiedene Produkte zu mandatieren und nicht nur mit einer Hausbank bei allen Themen zusammen zu arbeiten. Daneben kann es ebenso sinnvoll sein, Banken in Konsortien mit komplementären Fähigkeiten zu kombinieren. c) Preisbildungskompetenz
1.91 Eine mandatierte Bank für eine Anleihen-Transaktion hat auf den ersten Blick nur einen
Kunden, nämlich das emittierende Unternehmen. Daneben pflegt eine Bank aber häufig gute und vielfältige Geschäftsbeziehungen zu den potentiellen Investoren und möchte diesen in Zukunft regelmäßig weitere Anleihen von anderen Unternehmen verkaufen. Die Bank wird daher versuchen, eine für beide Kundengruppen attraktive Transaktion zu strukturieren. Das ist auf Basis offensichtlich unterschiedlicher Interessenslagen von Käufer und Verkäufer einer Anleihe nicht immer einfach und kann in einzelnen Fällen zu Ungunsten der einen oder anderen Seite erfolgen. Insbesondere Unternehmen die nur unregelmäßig Kapitalmarktransaktionen platzieren, können gegenüber den aus Bankensicht häufig auftretenden Investoren ins Hintertreffen geraten (s. hierzu auch Rz. 1.8).
1.92 Ein Berater kann hier bei der Konditionierung und Strukturierung des Instrumentes hel-
fen, Transparenz zu schaffen. Schon in der frühen Phase der Mandatierung der Bank(en) sollte einvernehmlich ein Preismechanismus, eine relevante Wettbewerbsgruppe und ein möglicher Investorenmix festgelegt werden. Diese Grundparameter sollten regelmäßig anhand aktueller Marktdaten überprüft und ggf. angepasst werden. Die Transparenz sollte bis zum finalen Bookbuilding beibehalten werden, so dass der Emittent einen guten Einblick in den Prozess hat und dadurch einen starken Einfluss auf die finalen Entscheidungen zu Themen wie Preis/Zinssatz, Volumen, Laufzeit und Allokation auf die Investoren nehmen kann. 36 | Hoffmann-Becking
Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen | § 1
d) Transaktionserfahrung Insbesondere Anleihen-Transaktionen sind trotz des hohen Grades der Standardisierung komplexe technische Prozesse, die in teilweise kurzen Zeiträumen mit Hilfe von vielen verschiedenen Parteien wie z.B. Anwälten, Banken, Wirtschaftsprüfern, Aufsichtsbehörden und verschiedenen Parteien innerhalb des Unternehmens bewältigt werden müssen. Deswegen kann die Prozessführung und Koordination durch einen erfahrenen Finanzberater eine wertvolle Unterstützung für das Unternehmen sein. Dieser Berater sollte entsprechend umfangreiche vergleichbare Erfahrung aus anderen Prozessen haben, denn nur so kann er den Gesamtüberblick behalten und die nächsten Schritte planen und steuern. Der Finanzberater muss die Aufgaben, Sichtweisen und Forderungen der einzelnen Parteien kennen und zu einem Gesamtprojektplan zusammenführen.
1.93
Neben der Prozessführung ist die Entwicklung der richtigen Credit Story zum Verkauf der Anleihen ein Element, bei dem ein erfahrener Berater einen wichtigen Wertbeitrag leisten kann. Bei einer erstmaligen Emission muss eine entsprechende „Geschichte“ für den Markt entwickelt werden, um eine ausreichende und qualitativ hochwertige Nachfrage zu generieren. Dies kann natürlich alternativ erst zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit den mandatierten Banken geschehen. Vorteilhaft ist es aber, die Grundlagen der Credit Story vorab als Teil der Einladung zur Bankenauswahl an die potentiellen Arrangeure zu senden. Ein schlüssiges und klares Konzept führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der verschiedenen Angebote der Banken und erleichtert im Anschluss deutlich die Entscheidung und die jeweilige Begründung der Entscheidung zu Selektion und Mandatierung einer einzelnen Bank.
1.94
e) Unabhängigkeit Die Fähigkeiten der Banken bei den einzelnen Produkten sind sehr unterschiedlich und können sich im Laufe der Zeit durch Personalentscheidungen oder aber Anpassung der Strategie der jeweiligen Bank ändern. Z.B. sind Landsbanken historisch tendenziell relativ stärker bei der Begebung von Schuldscheinen und US-Investmentbanken z.B. bei HighYield Bonds. Das kann Auswirkungen auf mögliche Empfehlungen im Rahmen eines Beratungsmandates der jeweiligen Bank haben. Es liegt in der Natur der Sache, eher Produkte zu empfehlen, die man selber erfolgreich platzieren kann.
1.95
Die Vergütung einer Bank für die erfolgreichen Arrangierung oder Platzierung eines Instrumentes (direkt und indirekt)79 sind meistens deutlich höher als die ansonsten zu erzielende Beratungsgebühr. Teilweise wird die Beratungsleistung an sich sogar nicht gesondert vergütet, sondern ist durch die eigentlich später anfallende Finanzierungsvergütung bei erfolgreicher Platzierung pauschal abgegolten. Damit die wesentlichen Entscheidungen der Finanzierung des Unternehmens ohne entgegengesetzte Eigeninteressen des Beraters getroffen werden können, sollte der Berater vollständig unabhängig sein. Seine Interessen sollten mit denen des Kunden gleich laufen und seine Vergütung sollte alleine über eine Beratungsgebühr und nicht über verdeckte oder offene Quersubventionierung aus anderen Produkten erfolgen.
1.96
79 Vergütung der Banken kann vielfältig erfolgen, nicht nur durch die offensichtlichen Gebühren, sondern auch durch attraktive Cross-Selling Möglichkeiten wie z.B. bestimmte zusätzliche Rollen bei der Betreuung oder Platzierung oder aber durch Verkauf von anderen sehr profitablen Produkten wie z.B. Derivaten.
Hoffmann-Becking | 37
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Primäremissionen
1.97 Die Inanspruchnahme des Fremdkapitalmarktes im Rahmen einer Primäremission ist eine
zentrale Entscheidung für die Entwicklung eines Unternehmens und daher gründlich vorzubereiten. Als wichtige Weichenstellung der künftigen finanziellen Aufstellung des Unternehmens muss überlegt werden, ob (1) der Gang an den Kapitalmarkt für das Unternehmen geeignet ist, (2) ob der gewählte Zeitpunkt der richtige ist, (3) welches Instrument in Frage kommt und wie die Strukturierung und Ausgestaltung des Instrumentes sein soll sowie (4) über welchen Platzierungsweg die Emission erfolgen soll. Die Unterstützung durch einen erfahrenen externen und unabhängigen Berater kann zur Beantwortung dieser Fragestellungen sehr hilfreich und wertschaffend sein.
1.98–1.100 Einstweilen frei.
B. Sekundäremissionen Schrifttum: Young/Blomfield, The role of the independent adviser, in Corporate Governance for Main Market and AIM Companies, 2012, 19. Kapitel, S. 145 ff.
I. Vorbemerkungen 1.101
Im vorliegenden Kapitel bezeichnet der Begriff Sekundäremission die Platzierung von Aktien oder Equity-linked Anleihen von bereits an der Börse notierten Gesellschaften. Hierbei kann es sich um die Platzierung neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung (vgl. § 5 und § 6), um die Umplatzierung von bestehenden Aktien durch Anteilseigner der Gesellschaft (vgl. § 7), oder um die Platzierung von Options- oder Wandelanleihen bzw. Umtauschanleihen in Aktien der Gesellschaft (vgl. § 10, § 11 und § 12) handeln. Die Zusammenfassung dieser Transaktionsformen unter dem Begriff der Sekundäremission grenzt sie damit in erster Linie von der Primäremission ab, welche die erstmalige Platzierung von Aktien im Rahmen eines Börsengangs bezeichnet (vgl. Rz. 1.1).
1.102
Im Gegensatz zum Börsengang ergibt sich bei der Sekundäremission die Herausforderung, dass die Vorbereitung und Durchführung der Transaktion parallel zum laufenden Handel in den an der Börse bereits notierten Aktien stattfindet. Damit stellt eine solche Maßnahme hohe Anforderungen an eine sorgfältige Strukturierung und Planung, eine strikt vertrauliche Vorbereitung sowie eine reibungslose und schnelle Durchführung. Der Erfolg einer solchen Transaktion hängt maßgeblich davon ab, dass der Aktienkurs nicht durch ein vorzeitiges Bekanntwerden der Transaktionsabsicht negativ beeinflusst wird („Leakage Risiko“), dass der Platzierungspreis nicht durch eine Marktabschwächung während der Platzierung beeinträchtigt wird („Marktrisiko“) und, dass der Platzierungsabschlag nicht aufgrund mangelnden Wettbewerbs aus Sicht des Emittenten sub-optimal ausfällt.
1.103
In den letzten Jahren bedienen sich Emittenten und Verkäufer von Sekundäremissionen zunehmend der Unterstützung eines unabhängigen Finanzberaters, wenn es darum geht, solche Maßnahmen vorzubereiten und durchzuführen. Dem unabhängigen Finanzberater kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, an der Seite des Emittenten bzw. Verkäufers die Transaktion gemeinsam mit dessen Rechtsberater unter Wahrung größtmöglicher Vertraulichkeit vorzubereiten. Die Mandatierung der Platzierungsbanken erfolgt dann im Allgemeinen kurz vor Durchführung der eigentlichen Transaktion nach einem kompetitiven Auswahlprozess, bei dem qualifizierte Banken ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen und abhängig von der gewählten Transaktionsstruktur Marktrisiken durch 38 | Hoffmann-Becking/Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
Abgabe einer Übernahmegarantie übernehmen können. Im Ergebnis fokussieren sich die Banken bei dieser Prozessführung vor allem auf ihre Kernkompetenz Risiko Management und Vermarktung und erzielen somit im Allgemeinen bessere Resultate im Vergleich zum nicht kompetitiven Prozess. Aufgrund der Herausforderung, die Transaktion vertraulich und weitgehend ohne Einbindung der in Frage kommenden Platzierungsbanken vorzubereiten und sie dann in einem verhältnismäßig kurzen Zeitfenster an die ausgewählte Bank zu übergeben, ist es notwendig, dass der begleitende unabhängige Finanzberater über qualifiziertes Personal mit hohem Spezialwissen und langjähriger Praxiserfahrung im Konsortialgeschäft verfügt und durch kontinuierliche Transaktionserfahrung Marktnähe demonstrieren kann. Das Aufgabenspektrum und die erforderlichen Qualifikationen des Finanzberaters werden in den nachfolgenden Rz. 1.106 ff. und 1.128 ff. dieses Kapitels ausführlich beschrieben und erläutert.
1.104
Der Einsatz eines unabhängigen Finanzberaters kommt im Grunde für alle Formen von Sekundäremissionen in Frage. Dabei kann der unabhängige Finanzberater einerseits für die emittierende Gesellschaft im Rahmen von Kapitalerhöhungen mit oder ohne Bezugsrecht oder der Begebung von Wandelanleihen tätig sein, oder aber er berät bestehende Aktionäre bei der Strukturierung und Vorbereitung von Aktienplatzierungen oder der Begebung von Umtauschanleihen. Damit lässt sich der Anwendungsbereich der unabhängigen Finanzberatung im Rahmen von Sekundäremissionen in die drei Kategorien Aktienplatzierung (Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht und Umplatzierung bestehender Aktien), Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht sowie Equity-linked Anleihen (Options- und Wandelanleihen bzw. Umtauschanleihen) unterteilen. Die kompetitive Prozessführung für alle drei Kategorien wird in Rz. 1.143 ff. eingehend behandelt.
1.105
II. Aufgabenspektrum des Finanzberaters Das Aufgabenspektrum des unabhängigen Finanzberaters in der Transaktionsbegleitung ist vielfältig und deckt die gesamte Bandbreite der für eine solche Transaktion erforderlichen Entscheidungen ab. Die Rolle des unabhängigen Finanzberaters kann dabei vor allem in der objektiven Beratung des Kunden bei Strukturierung, Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme gesehen werden. Die genaue Aufgabenstellung des Finanzberaters kann von Transaktion zu Transaktion stark variieren und hängt von den Bedürfnissen des Kunden, der Art der Kapitalmaßnahme und auch dem vorherrschenden Kapitalmarktumfeld ab.
1.106
Grundsätzlich kann allerdings zwischen den Prozessschritten (1) vertrauliche Transaktionsvorbereitung, (2) Identifizierung und Auswahl möglicher Platzierungsfenster, (3) Durchführung eines kompetitiven Bankenauswahlprozesses und (4) Unterstützung des Kunden bei Preisfestlegung und Zuteilung der Aktien unterschieden werden80.
1.107
1. Vertrauliche Transaktionsvorbereitung Je nach Art der Transaktion kann die Vorbereitungszeit zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen betragen. Zielsetzung der Vorbereitung ist es, einerseits Entscheidungsgrundlagen (wie z.B. Unternehmensbewertungen, Finanzierungsanalysen, Marktanalysen 80 Zur Rolle unabhängiger Berater bei Aktientransaktionen s. auch Young/Blomfield in Corporate Governance, S. 147 f.
Albrecht/Kolodinski | 39
1.108
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
und Rating-Analysen) zu schaffen und andererseits die für die Transaktion erforderliche rechtliche Dokumentation (wie z.B. Übernahmevertrag, Term Sheet und/oder Wertpapierprospekt) und ggf. erforderliche Vermarktungsmaterialien (wie z.B. Investorenpräsentation) soweit vorzubereiten, dass die Platzierungsbanken bei Übernahme der Transaktion nur noch finale Anpassungen vornehmen müssen, bevor die Transaktion in die Vermarktung gehen kann.
1.109
Um eine Beeinträchtigung des Aktienkurses in der Vorbereitungsphase zu vermeiden, ist strikte Vertraulichkeit während der Vorbereitungsarbeiten höchstes Gebot. Aus diesem Grund ist es ratsam, den Kreis der in den Prozess involvierten Parteien so klein wie möglich zu halten. Ein breit angelegter Bankenauswahlprozess mit einer Vielzahl eingeladener Banken kann das Risiko erhöhen, dass Informationen zur Transaktion bereits im Vorfeld an die Öffentlichkeit gelangen und damit den Platzierungserfolg beeinträchtigen. Der Emittent bzw. Verkäufer befindet sich also in dem Dilemma, zur Wahrung der Vertraulichkeit nur aus einem kleinen Kreis von vertrauten Banken eine Begleitbank auszuwählen, ohne gleichzeitig durch frühzeitige Festlegung auf eine Führungsbank und Verzicht auf Wettbewerbskräfte die Konditionen der Transaktion zu beeinträchtigen.
1.110
Dementsprechend gehen Emittenten bzw. Verkäufer, die eine Sekundäremission planen, in den letzten Jahren vermehrt dazu über, die Transaktion mit Hilfe eines unabhängigen Finanzberaters vorzubereiten.
1.111
Bei komplexeren Transaktionsstrukturen, wie beispielsweise einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht, ist es unter Umständen ratsam, eine mögliche Platzierungsbank als sog. Dokumentationsbank in die Vorbereitung einzubinden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Transaktion die Erstellung eines Wertpapierprospekts erfordert, der aufgrund der für die Platzierungsbanken entstehenden Prospekthaftung eine frühzeitige Einbindung und Durchführung von Due Diligence auf Bankenseite erfordert.
1.112
Bei Transaktionsstrukturen mit weniger komplexen Dokumentationsanforderungen, wie beispielsweise einer Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht oder einer Umplatzierung von Aktien, kann bei entsprechender Erfahrung des unabhängigen Finanzberaters auf die Einbindung einer Dokumentationsbank verzichtet werden.
1.113
Die Trennung von Vorbereitung und Durchführung der Transaktion erlaubt dem Emittenten bzw. Verkäufer die Wahrung größtmöglicher Vertraulichkeit und Flexibilität bis kurz vor Beginn der Vermarktungsphase. So ermöglicht ihm eine final vorbereitete Dokumentation und Kommunikation, kurzfristig auf günstige Marktbedingungen reagieren zu können und den Vermarktungsprozess unter Wahrung von Wettbewerb mit Platzierungsbanken zu starten. 2. Identifizierung günstiger Platzierungsfenster
1.114
In Zeiten erhöhter Marktvolatilität stellt das Erkennen und die Auswahl des bestmöglichen Zeitpunktes für die Platzierung eine besondere Herausforderung dar. Hierzu bedarf es der Analyse von relativen sowie absoluten Markttrends und Handelsaktivitäten, der Risikoübernahmebereitschaft von Banken und des Investorensentiments. In diesem Zusammenhang ist die Rolle des unabhängigen Finanzberaters die objektive Beurteilung der Situation an den Kapitalmärkten und bei den Banken, um an der Seite des Kunden und unter Berücksichtigung seiner individuellen Ziele, den bestmöglichen Zeitpunkt für die 40 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
Durchführung der Transaktion zu ermitteln. Um dieser wichtigen Aufgabe gerecht zu werden, ist eine umfassende und langjährige Markterfahrung und ein kontinuierlicher Dialog mit den Entscheidungsträgern auf Banken- und Investorenseite unabdingbar. Bei der Identifizierung günstiger Platzierungsfenster ist eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich einerseits um unternehmensspezifische Daten, Verfügbarkeit von aktuellen Finanzinformationen und Restriktionen im zeitlichen Zusammenhang mit Ergebnisveröffentlichungen („Blackout Perioden“) oder zeitliche Begrenzungen aus der Herbeiführung von Gremienbeschlüssen („Mikrokriterien“) und andererseits, um makroökonomische Daten wie beispielsweise die Veröffentlichung volkswirtschaftlicher Frühindikatoren und Entscheidungen von Notenbanken zur Zinspolitik („Makrokriterien“). Hinzu kommen andere marktrelevante Ereignisse wie beispielsweise politische Wahlen oder Feiertage und Urlaubsphasen. Diese Aspekte können in der Regel vorausschauend im Planungsprozess berücksichtigt werden und definieren die für eine Platzierung in Frage kommenden Tage einer bestimmten Zielperiode.
1.115
Darüber hinaus sind jedoch noch Ereignisse zu berücksichtigen, die sich einer langfristigen Planung entziehen und die Aufnahmefähigkeit des Marktes kurzfristig beeinflussen können. Dazu zählen vor allem stark von den Investorenerwartungen abweichende Ereignisse, wie plötzliche Naturkatastrophen oder politische Konflikte, die zu deutlichen Kursschwankungen und damit zur Beeinträchtigung des Platzierungsvorhabens führen können oder konkurrierende Transaktionen, die kurzfristig das Investoreninteresse ablenken können. Da im Allgemeinen nicht alle Aspekte im Einklang stehen, ist es Aufgabe des Finanzberaters, eine Abwägung der unterschiedlichen Marktbedingungen vorzunehmen und zusammen mit dem Emittenten bzw. Verkäufer ein zielgerechtes Platzierungsfenster zu bestimmen.
1.116
3. Durchführung eines kompetitiven Bankenauswahlprozesses Nach Identifizierung des Platzierungsfensters müssen vor der eigentlichen Umsetzung der Transaktion noch die Platzierungsbanken ausgewählt und mandatiert werden. Dabei ist aus Sicht des Kunden nicht nur die Wahl der für die Durchführung am besten geeigneten Bank(en) von Relevanz, sondern auch die Verhandlung der Bankenvergütung sowie abhängig von der Transaktionsstruktur die Absicherung des Marktrisikos zu kompetitiven Konditionen.
1.117
Zu diesem Zweck erscheint die Durchführung eines kompetitiven Auswahlprozesses mit einer begrenzten Anzahl vorausgewählter potentieller Platzierungsbanken, die aufgrund ihrer Qualifikationen für die Transaktion als Platzierungsbanken in Frage kommen, bestens geeignet, um optimale Konditionen für den Kunden zu erzielen. Dieser Prozess wird dabei nach objektiven Gesichtspunkten durch den unabhängigen Finanzberater in Abstimmung mit dem Kunden strukturiert, vorbereitet und durchgeführt.
1.118
Die Gestaltung des kompetitiven Prozesses hängt in hohem Maß von der Komplexität der Transaktion ab. Im einfachen Fall handelt es sich um die Platzierung von Aktien, mit einer liquiden Handelsaktivität und einer breiten Informationsbasis durch Veröffentlichungen von Research Analysten möglicher Platzierungsbanken. In diesem Fall kann der kompetitive Prozess auf eine einfache Auktion reduziert werden, bei dem die potentiellen Platzierungsbanken kurzfristig um die Abgabe eines Preises für ein vorgegebenes Volumen und eine definierte Vergütung gebeten werden. Das wesentliche Auswahlkriterium für die Mandatsvergabe kann in einem solchen Fall der höchste gebotene Preis sein.
1.119
Albrecht/Kolodinski | 41
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
1.120
Anders gestaltet sich die Aufgabe der Prozessstrukturierung in sehr komplexen Transaktionen (beispielsweise Equity-linked Anleihen) oder Situationen (beispielsweise Restrukturierungen). Wesentliche Aufgabe der Prozessstrukturierung ist in solch einem Fall zunächst, die Komplexität der Transaktion bzw. der Situation zu reduzieren. Dazu bietet es sich an, mit einer kleinen Anzahl von Banken in einem konsultativen Prozess zunächst die Rahmendaten der Transaktion so zu bestimmen, sodass bei finaler Auswahl der Platzierungsbanken der Fokus auf den Preis gelegt werden kann, wobei Wertbeiträge einzelner Banken im Rahmen der Transaktionsvorbereitung bei der Bankenauswahl berücksichtigt werden können.
1.121
Für die Angebotsabgabe im Auswahlprozess kommen in Abhängigkeit vom Finanzierungsinstrument und von der Transaktionsstruktur unterschiedliche Parameter in Betracht, wobei zwischen Preis-, Vergütungs-, Strukturierungs- und Risikoparametern unterschieden werden kann.
1.122
Unter Preisparametern können in diesem Zusammenhang alle absoluten und relativen Preisgebote zusammengefasst werden, die im Rahmen eines kompetitiven Prozesses erfragt werden. Unter einem absoluten Preisparameter versteht man in diesem Zusammenhang beispielsweise einen Mindestpreis („Back-stop“) im Rahmen einer Aktienplatzierung, während ein relativer Preisparameter beispielsweise die prozentuale Abweichung von einem Referenzwert darstellt (z.B. der Abschlag auf den letzten XETRA-Schlusskurs vor Beginn des Bookbuildings bei einer Umplatzierung von Aktien oder der Abschlag auf den Aktienkurs ex-Bezugsrechtswert bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht).
1.123
Unter Vergütungsparametern versteht man Angebote der Banken in Bezug auf die Vergütung. Diese können wiederum in Form eines absoluten Betrages oder in Form einer relativen Vergütung im Vergleich zu einem Referenzwert ausgeschrieben werden. Als Referenzwert wird bei einer relativen Vergütungsstruktur in der Regel der erzielte Platzierungserlös (brutto) herangezogen. In diesem Zusammenhang ist es beispielsweise auch denkbar, dass die Vergütung eine anteilige Partizipation am „Upside“-Potenzial über dem als Backstop garantierten Mindestpreis vorsieht. Eine solche Upside-Partizipation sieht in der Regel vor, dass der Differenzbetrag zwischen dem garantierten Mindestpreis und dem tatsächlich erzielten Platzierungspreis zwischen Platzierungsbank(en) und Kunde aufgeteilt wird.
1.123a Unter Strukturierungsparametern können alle Themenfelder zusammengefasst werden,
welche die strukturelle Ausgestaltung der Transaktion betreffen. Die Abfrage ausgewählter Strukturierungsparameter kann dabei helfen die Transaktionsstruktur flexibel unter Berücksichtigung von Markt- und Risikoeinschätzungen der eingeladenen Banken zu optimieren. Theoretisch kann dabei ein sehr breites Spektrum an Strukturierungsalternativen zur Diskussion gestellt werden. In der Praxis ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Angebotserstellung auf Bankenseite und die Angebotsauswertung auf Kundenseite üblicherweise unter hohem Zeitdruck erfolgt. Dementsprechend sollte einer Abfrage von Strukturierungsparametern stets eine sorgfältige Abwägung vorausgehen, inwieweit der Nutzen der zusätzlichen Flexibilität die erhöhte Komplexität in Angebotserstellung und -auswertung rechtfertigt. Im Rahmen der Strukturierungsparameter sind beispielsweise Abfragen denkbar, welche eine Anpassung der Transaktion hinsichtlich Platzierungsvolumen (insbes. Aktienanzahl), Syndikatsstruktur (insbes. Anzahl der Banken und Underwritingquoten), Vermarktungsstrategie (insbes. vertrauliche Einbindung von ausgewählten Investoren vor dem eigentlichen Bookbuilding („Wallcrossing“) und Definition von Zielinvestoren) und/oder Transaktionsstruktur (insbes. Stillhaltefristen für die abgebenden Aktionäre („Lock-up“) und nachträgliche Erhöhungsoptionen bei guter Investorennachfrage). 42 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
Risikoparameter umfassen in diesem Zusammenhang insbesondere Form und Volumen des Risikotransfers. Verbleibt das Risiko für eine erfolgreiche Durchführung der Transaktion beim Kunden und wird nicht zu einer Bank transferiert, spricht man von einer Transaktion auf „Best Efforts“-Basis. Dabei verpflichtet sich die beauftragte Bank die zu platzierenden Wertpapiere im Auftrag und im besten Interesse des Kunden zu verkaufen. Findet ein Risikotransfer statt, kann hinsichtlich der Form des Risikotransfers im Wesentlichen zwischen (a) dem Kauf der zur Disposition stehenden Wertpapiere durch die Platzierungsbanken im Rahmen eines sog. „Bought Deals“ und (b) der Vermarktung mit Übernahmegarantie („Mindestpreis“) durch die Banken unterschieden werden. Darüber hinaus kann es sinnvoll erscheinen, von Banken auch Angebote für Teilbeträge der Transaktion zu erfragen. Eine Differenzierung der Konditionen nach Volumen erlaubt es Banken, ein ihrer Risikopräferenz entsprechendes Preis/Volumen-Angebot zu unterbreiten und für den Emittenten die Konditionen durch Aufteilung der Transaktion auf zwei oder mehr Banken weiter zu optimieren.
1.124
Ein kompetitiver Auswahlprozess lässt sich sowohl für einfache Transaktionsstrukturen wie die Umplatzierung von Aktien, als auch für komplexere Strukturen wie die Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht oder Equity-linked Anleihen effizient und effektiv durchführen.
1.125
Die Objektivität und Erfahrung des Finanzberaters kommt im Bankenauswahlprozess an verschiedenen Stellen zum Tragen. Für den Erfolg einer Auktion ist ein reibungsloser und zügiger Ablauf des gesamten Auktionsprozesses von höchster Bedeutung. Dieser umfasst die Einholung der Vertraulichkeitserklärungen teilnehmender Banken über die Entgegennahme und Auswertung der Angebote und das Führen eventueller Nachverhandlungen bis hin zur Mandatierung der ausgewählten Bank(en) und Übergabe von Dokumentationsund Vermarktungsunterlagen. Bei der Auswahl der zur Auktion einzuladenden Banken gilt es, die erzielbare Wettbewerbssituation und die größtmögliche Wahrung der Vertraulichkeit sorgfältig abzuwägen. Bei der Auswahl der in den Prozess einzuladenden Banken kann der Finanzberater vor allem bei der Einschätzung der transaktionsspezifischen Qualifikationen einer Bank und der handelnden Personen behilflich sein. Aspekte wie Fähigkeit zur Vermarktung der Aktie, Investorenzugang, „Track Record“ bei vergangenen Transaktionen und Risikoübernahmebereitschaft sind dabei wichtige Kriterien.
1.126
4. Unterstützung des Kunden bei Preisfestlegung und Zuteilung Nach Auswahl und Mandatierung der Platzierungsbank(en) geht das Transaktionsrisiko bei entsprechenden Vereinbarungen weitgehend auf diese über. Zur Minimierung des Marktrisikos werden die ausgewählte(n) Bank(en) im Allgemeinen bestrebt sein, schnellstmöglich in die Vermarktung der Wertpapiere überzugehen. In dieser Phase der Transaktionsdurchführung beschränkt sich das Aufgabenspektrum des Finanzberaters in erster Linie darauf, den Platzierungsprozess für den Kunden zu überwachen und ihm bei ggf. noch zu treffenden Entscheidungen beratend zur Seite zu stehen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Entscheidungen zu sämtlichen Aspekte der externen Kommunikation (Marktkommunikation zum Status des Bookbuilding Prozesses sowie Pressemitteilungen) und der Preisfindung (insbesondere finale Platzierungskonditionen und Zuteilungsentscheidung). Letzteres ist insbesondere dann von Relevanz, wenn eine Partizipation des Kunden an einem möglichen Aufpreis („Upside“) gegenüber den im kompetitiven Auswahlprozess vereinbarten Mindestkonditionen vereinbart wurde.
Albrecht/Kolodinski | 43
1.127
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
III. Erforderliche Qualifikationen und Fachkenntnisse des Finanzberaters 1.128
Die unabhängige Beratung von Kunden bei Kapitalmarkttransaktionen stellt eine Vielzahl von Anforderungen an den Finanzberater. Im Vordergrund stehen dabei insbesondere (a) die Unabhängigkeit seiner Beratertätigkeit sowie (b) eine umfassende Erfahrung aus vergangenen Transaktionen und damit verbunden die Kompetenz, Transaktionen vor Mandatierung von Banken zu strukturieren, Transaktionsvorbereitungen durchzuführen und den Markt für eine Transaktion einzuschätzen. Darüber hinaus setzt die Beratung bezüglich Strukturierung und Umsetzung von Kapitalmarkttransaktionen unabdingbar voraus, dass (c) der Finanzberater über ein breites Netzwerk mit Banken, institutionellen Investoren und Rechtsanwälten verfügt und aus einem kontinuierlichen Dialog mit diesen Marktteilnehmern stets in der Lage ist, die aktuellsten Marktentwicklungen in seine Beratungsdienstleistung einfließen zu lassen. Unabdingbar ist schließlich (d) ein tiefes Verständnis der relevanten Finanzinstrumente und Kapitalmarktprodukte. 1. Unabhängigkeit
1.129
Unabhängigkeit der Beratungstätigkeit ist absolute Voraussetzung für eine objektive Beratung. Unabhängigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die erbrachte Beratungsleistung nicht durch gegenläufige Interessen des Finanzberaters beeinflusst wird. Dabei kann zwischen transaktionsspezifischen und institutionsspezifischen Interessenkonflikten unterschieden werden.
1.130
Unter transaktionsspezifischen Interessenkonflikten können insbesondere solche Situationen zusammengefasst werden, in denen der Finanzberater selbst Transaktionsrisiken übernimmt (insbesondere in Form von Übernahmegarantien) und/oder als Platzierungsbank auch den Kundeninteressen der Investoren verpflichtet ist.
1.131
Institutionsspezifische Interessenkonflikte können immer dann entstehen, wenn der Finanzberater neben seiner Beratungsfunktion auch andere Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden unterhält, die seine Meinungsbildung beeinflussen können (beispielweise Kreditfinanzierung) oder wenn Geschäftsbeziehungen zu anderen Gesellschaften den Willen der Bank zum Abschluss einer Transaktion entgegen stehen können (beispielsweise konkurrierende Platzierung von Aktien eines anderen Kunden, dem eine höhere Priorität eingeräumt wird).
1.132
Die folgende Abbildung zeigt in einer vereinfachten Darstellung das Spannungsfeld von involvierten Parteien mit teilweise gegenläufigen Interessen, dem die Platzierungsbanken von Kapitalmarkttransaktionen üblicherweise ausgesetzt sind.
44 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1 Verschiedene Interessen im Rahmen von Kapitalmarkttransaktionen
1.133
Konsortialbanken
Gesellschaft/Verkäufer
Bankenvergütung aus Transaktionen Zukünftige Mandate (M&A, Finanzierung) Reputation und League Tables
Investoren
Einzelne Investoren generieren signifikante Kommissionen im Handel auf Bankenseite Interessenkonflikte können entstehen, wenn Investoren andere Preisvorstellungen als die Gesellschaft oder verkaufende Aktionäre haben
Bankinterne Prozesse
Komplexe Entscheidungsfindung auf Bankenseite mit Vielzahl an Gremien (bspw. für Risikoübernahme und Bewertung) Interne Rechtsabteilung und Compliance Prozess
Die Abstinenz von solchen Interessenkonflikten ist Grundvoraussetzung für eine unbefangene Beratung bei der Vorbereitung und Durchführung von Sekundäremissionen mit einem Finanzberater und hilft dem Kunden bei einer eigenständigen Meinungsbildung auf Basis einer möglichst objektiven Beurteilung der Situation. 2. Transaktionserfahrung und Marktkompetenz Eine Sekundäremission mit kompetitivem Auswahlprozess wird in der Regel überwiegend vom Finanzberater in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden und dem mandatierten Rechtsberater vorbereitet. Die Platzierungsbanken werden dann in der Regel im Rahmen eines kompetitiven Auswahlprozesses wenige Stunden vor der Platzierung der Transaktion am Markt in den Prozess eingebunden und wenige Minuten vor dem eigentlichen Beginn der Platzierung mandatiert.
1.134
Komplexe Prozessabläufe, die Beteiligung einer Vielzahl unterschiedlicher Prozessparteien, umfassende regulatorische Anforderungen sowie in der Regel ein enger Zeitplan erfordern ein hohes Maß an Prozesserfahrung vom Finanzberater, damit er eine reibungslose Durchführung der Transaktion gewährleisten kann. Detailkenntnisse des Platzierungsprozesses und der bankinternen Entscheidungs- und Legitimierungsprozesse sind ebenfalls unerlässlich, um mögliche Friktionen bei der „Übergabe“ der Transaktion an die ausgewählte(n) Platzierungsbank(en) zu vermeiden.
1.135
Neben der für die Transaktionssteuerung entscheidenden prozessualen Erfahrung kommt auch der Fähigkeit des Finanzberaters, die Aufnahmefähigkeit des Marktes und die Risikoübernahmebereitschaft der Banken zuverlässig einschätzen zu können, eine wesentliche Bedeutung zu, wenn es nach der Vorbereitung der Transaktionen darum geht, den richtigen Zeitpunkt für eine Transaktion zu ermitteln und die richtigen Banken für den Auswahlprozess zu identifizieren. Diese Marktkompetenz gewinnt ein Finanzberater insbesondere aus regelmäßigen Kapitalmarkttransaktionen, einem kontinuierlichen Dialog mit den für Kapitalmarktplatzierungen in Frage kommenden Banken und einem unabhängigen Dialog mit Schlüssel-Investoren, die regelmäßig auf der Nachfrageseite bei Kapitalmarkttransaktionen beteiligt sind.
1.136
Albrecht/Kolodinski | 45
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
1.137
Neben der Fach- und Marktkenntnis, die der Finanzberater in die Strukturierung, Vorbereitung und Durchführung von Transaktionen einbringt, sind auch die Urteils- und Überzeugungsfähigkeit des Finanzberaters wichtige Kriterien für seine Leistungsfähigkeit, da die richtige Situationseinschätzungen und die Überzeugung von im Prozess beteiligten Parteien häufig entscheidend zum Erfolg einer Transaktion beitragen. 3. Kenntnis von Banken und Investoren
1.138
Eng verbunden mit dem Qualifikationskriterium Transaktionserfahrung und Marktkompetenz ist auch das Kriterium einer genauen Kenntnis der relevanten Banken und Investoren.
1.139
Bei der Kenntnis der Banken geht es vor allem um die Einschätzung der relevanten Qualifikationen einer Bank für die erfolgreiche Platzierung einer Transaktion. Dazu zählen Aspekte wie die Vermarktungsstärke in der spezifischen Aktie, Zugang zu relevanten Investoren, Produktexpertise, die Qualifikationen der handelnden Personen, aber auch der „Track Record“ bei vergangenen Transaktionen und letztlich die Kapitalstärke und Risikoübernahmebereitschaft der Bank. Da die transaktionsspezifische Situation in hohem Maß das geforderte Leistungsprofil für eine Bank vorgibt, ist die Aufgabe des Finanzberaters den Kreis der potentiellen Banken anhand relevanter Leistungskriterien einzugrenzen. Dies kann einerseits mit Hilfe formeller Befragung („Request for Proposal“) und objektiver Kriterien (wie beispielsweise Ranglisten und Handelsstatistiken) sowie andererseits auf der Basis von Erfahrungswissen aus früheren Transaktionen erfolgen. Wobei dieses Erfahrungswissen zur Leistungsfähigkeit von Banken aus aktuellen Mandaten des Finanzberaters und die detaillierte Kenntnis der spezifischen Qualifikationen der Banken zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit von besonderer Bedeutung sind, da diese einem steten Wandel unterliegen.
1.140
Darüber hinaus ist es für einen reibungslosen Transaktionsprozess unabdingbar, dass der Finanzberater mit den internen Prozessen zur Entscheidungsfindung und Legitimation der Banken sowie den daraus resultierenden Dokumentationsanforderungen und Informationsbedürfnissen vertraut ist. Bei Sekundäremissionen unter Einbindung eines unabhängigen Finanzberaters bleibt den Banken mitunter nur ein sehr kurzer Zeitraum, um die Entscheidungsfindung zur Angebotsabgabe abzuschließen. Unter Berücksichtigung, dass solche Transaktionen im Allgemeinen auch der Zustimmung durch ein bankinternes Risiko-Komitee bedürfen, ist es daher unbedingt erforderlich, dass die im Rahmen des Auswahlprozesses zur Verfügung gestellten Informationen umfassend die Anforderungen der Banken erfüllen und eine schnelle Entscheidungsfindung erlauben.
1.141
Den institutionellen Investoren kommt im Rahmen von Aktienplatzierungen natürlich ebenfalls eine hohe Bedeutung zu, weil sie letztendlich die für den Erfolg einer solchen Transaktion notwendigen Käufer sind. Aufgrund dieser Schlüsselrolle trägt die zuverlässige Schätzung potenzieller Nachfrage institutioneller Investoren für die im Rahmen der Transaktion angebotenen Wertpapiere maßgeblich zur Entscheidungsfindung der Banken bei, an einer solchen Transaktion teilzunehmen. Banken unterhalten aufgrund ihrer Handelsplattform (Research, Sales und Trading) einen kontinuierlichen Dialog mit Investoren, der es ihnen ermöglicht, das Investoreninteresse an einzelnen Wertpapieren zu antizipieren. Es liegt in der Natur einer unabhängigen Beratung, dass dieser direkte Zugang zu institutionellen Investoren über eine Kundenbeziehung fehlt. Dementsprechend ist es wichtig, dass der Finanzberater einen unabhängigen Dialog mit Schlüssel-Investoren unterhält, 46 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
der ihm Einblicke in das vorherrschende Sentiment der verschiedenen Investorengruppen und deren aktuellen Investitionskriterien erlaubt, um sich ein unabhängiges Bild von den Erfolgsaussichten einer Transaktion machen zu können. Darüber hinaus kann ein Finanzberater aus einer kontinuierlichen Beratung bei verschiedenen Transaktionen („Deal Flow“) wertvolle Einblicke in das Investorenverhalten gewinnen und dieses Erfahrungswissen in seine Beratungsleistung einbringen. 4. Umfassendes Verständnis der relevanten Instrumente Selbstverständliche Grundvoraussetzung für die Arbeit als unabhängiger Finanzberater ist ein umfassendes Verständnis der finanzwirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Aspekte der relevanten Kapitalmarktprodukte. Für eine objektive Meinungsbildung als Entscheidungsgrundlage ist es notwendig, dass der Finanzberater in der Lage ist, sämtliche Implikationen aus der Transaktion für den Kunden zu erfassen, zu kommunizieren und umfassend zu beurteilen. Dabei kann im Wesentlichen zwischen Implikationen in finanzieller, bilanzieller, steuerlicher, rechtlicher, prozessualer und kommunikativer Hinsicht unterschieden werden. Diese müssen nicht nur gegenüber dem Kunden erläutert und vertreten, sondern auch in Zusammenarbeit mit den anderen Prozessparteien (in der Vorbereitung insbesondere mit dem Rechtsberater und dem Wirtschaftsprüfer des Kunden) als Grundlage zur Ableitung von Handlungsalternativen erarbeitet werden.
1.142
IV. Kompetitive Prozessführung bei der Transaktionsdurchführung Je nach Art der Transaktion und Marktsituation ist die Gestaltung des kompetitiven Bankenauswahlprozesses zu variieren, um die Ziele des Emittenten in vollem Umfang zu erreichen. Im Folgenden werden Grundformen der Prozessführung für die eingangs definierten Transaktionskategorien (1) Aktienplatzierung, (2) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht und (3) Equity-linked Anleihen erläutert.
1.143
1. Aktienplatzierungen Die Aktienplatzierung im Sinne dieses Kapitels umfasst die Platzierung von neuen Aktien der Gesellschaft (Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht) oder von bestehenden Aktien aus dem Bestand von Großaktionären (Umplatzierung) im Rahmen einer Privatplatzierung bei institutionellen Investoren (insbesondere Investmentfonds, Kreditinstitute, Pensionsfonds, Versicherungen). Im Gegensatz zu einem öffentlichen Angebot von Aktien, welches sich an ein breites Investorenpublikum einschließlich Privatanlegern richtet, erfordert die Privatplatzierung, die sich an einen begrenzten Kreis institutioneller Anleger richtet, nicht die Erstellung und Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts und ist deshalb hinsichtlich Dokumentation und Due Diligence-Anforderungen der Banken weniger umfangreich (zur Prospektpflicht vgl. auch § 36). Charakteristisch für prospektfreie Aktienplatzierungen ist in der Regel auch, dass das Platzierungsvolumen ein überschaubares Vielfaches des täglichen Handelsvolumens der Aktie ausmacht und eine ausreichend breite institutionelle Investorenbasis mit dem Unternehmen vertraut ist. Damit eignet sich diese Transaktionskategorie bestens für eine Auswahl der Platzierungsbanken im Wege eines kompetitiven Prozesses. Im Folgenden werden die wichtigsten Zielsetzungen im Rahmen einer Aktienplatzierung beschrieben und die daraus ableitbaren Prozessgestaltungsmöglichkeiten erläutert.
Albrecht/Kolodinski | 47
1.144
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
a) Zielsetzung
1.145
Das primäre Ziel jeder Aktienplatzierung ist die Maximierung des Veräußerungserlöses bzw. die Minimierung des Platzierungsabschlags. Unter dem Preismaximierungsziel ist auch die Frage der Optimierung der Bankenvergütung zu subsumieren, da für den Emittenten letztlich der Nettoerlös aus der Transaktion relevant ist. Diese Maxime gilt sowohl für die Platzierung neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung, als auch für die Umplatzierung bestehender Aktien durch Großaktionäre der Gesellschaft. Mit dem Ziel der Preismaximierung sind als weitere Ziele Transaktionssicherheit bzw. Risikominimierung und die Gewährleistung größtmöglicher Vertraulichkeit eng verbunden. Transaktionssicherheit kann beispielsweise durch den gezielten Verkauf des Aktienpaketes an eine Bank bzw. Gruppe von Banken erzielt werden. Dabei muss der Emittent bzw. Verkäufer jedoch in der Regel einen Platzierungsabschlag in Kauf nehmen. Preismaximierung kann durch eine breite Vermarktung der zu verkaufenden Aktien bei Investoren erzielt werden, wobei durch starke Überzeichnung des angebotenen Volumens Preiswettbewerb zwischen Investoren entstehen soll, der zur Preismaximierung führt („Best Efforts Platzierung“). Mit einer breiten Vermarktung einer Transaktion bei Investoren trägt der Emittent bzw. Verkäufer jedoch das Marktänderungsrisiko und das Ergebnis der Vermarktung ist mit Unsicherheit verbunden. Damit stehen Preismaximierung und Transaktionssicherheit in einem gewissen Zielkonflikt. Je nach der Risikoneigung des Verkäufers und abhängig von der Marktlage wird bei der jeweiligen Aktienplatzierung das eine oder andere Ziel im Vordergrund stehen.
1.146
Die Zielsetzung größtmöglicher Vertraulichkeit ergibt sich, da ein vorzeitiges Bekanntwerden des Platzierungsvorhabens zu einer Preisbeeinträchtigung führen und damit den Platzierungspreis negativ beeinflussen kann.
1.147
Als weitere Ziele einer Aktienplatzierung werden häufig die Verbreiterung der Investorenbasis durch Gewinnung neuer Investoren, die Erhöhung der Liquidität im Handel der Aktie und eine positive Kursentwicklung nach Abschluss der Transaktion genannt.
1.148
Damit unterteilt sich die Zielsetzung des Kunden bei einer Aktienplatzierung in die beiden wesentlichen Kernziele Optimierung der Platzierungserlöse und Minimierung der Transaktionsrisiken, welche beide eine sorgfältige Transaktionsvorbereitung und eine reibungslose Transaktionsdurchführung voraussetzen (s. auch wirtschaftlicher Hintergrund bei der Umplatzierung von Aktien in Rz. 7.5 ff.). b) Prozessüberlegungen
1.149
Der Transaktionsprozess einer Aktienplatzierung unter Beteiligung eines unabhängigen Finanzberaters lässt sich in drei wesentliche Prozessschritte unterteilen: 1) Vertrauliche Transaktionsvorbereitung, 2) kompetitive Bankenauswahl und 3) Vermarktungsphase.
1.150
Bei der Transaktionsvorbereitung für eine Aktienplatzierung sind im ersten Schritt Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, die als Basis für die Strukturierung der Transaktion und des Transaktionsprozesses dienen. Nach Festlegung der Transaktionsstruktur sind die rechtliche Dokumentation sowie erforderliche Vermarktungsmaterialien vorzubereiten, der Transaktionsprozess festzulegen und das genaue „Timing“ zu bestimmen, bevor an48 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
schließend die Bankenauswahl durchgeführt und schließlich die Transaktion in den Markt gebracht wird. Bei der Transaktionsstrukturierung für eine Aktienplatzierung stehen die Zielinvestoren in erster Linie im Fokus. Je breiter der Kreis der Zielinvestoren und je höher das erwartete Interesse der Zielinvestoren ausfällt, desto eher lässt sich der Zielkonflikt zwischen Preismaximierung und Transaktionssicherheit überwinden. Gestaltungselemente der Transaktionsstruktur umfassen beispielsweise das Transaktionsvolumen, die regionale Vermarktbarkeit der Aktien (insbesondere die Einbeziehung von US-Investoren), die Unterstützung der Vermarktung durch das Management der Gesellschaft mit Investorengesprächen („Roadshow“), die Durchführung der Transaktion während oder außerhalb des aktiven Börsenhandels und die Festlegung der Vermarktungsperiode.
1.151
Bei der Strukturierung der Transaktion und des Transaktionsprozesses besteht ein wesentlicher Wertbeitrag des unabhängigen Finanzberaters darin, dass er den oben beschriebenen Zielkonflikt zwischen Preismaximierung und Transaktionssicherheit entweder auflöst oder zumindest in eine für den Kunden optimale Relation führt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Transaktion so strukturiert und der Transaktionsprozess so gestaltet wird, dass eine oder mehrere Banken ermittelt wird oder werden, die bereit sind, einerseits eine Übernahmegarantie abzugeben (Transaktionssicherheit) und andererseits im Preiswettbewerb einen optimalen Übernahmepreis zu bieten (Preismaximierung). Als Transaktionsprozess eignet sich hierfür insbesondere das Auktionsverfahren.
1.152
Zur reibungslosen Durchführung der Transaktion in einem kompetitiven Prozess ist die Dokumentation für die Platzierung sorgfältig und nah am Marktstandard vorzubereiten. Unterstützende Vermarktungsmaterialien sind kurz und prägnant zu formulieren. Im Interesse der Vertraulichkeit und zur Gewinnung maximaler Flexibilität werden diese Unterlagen in der Regel mit Unterstützung des Finanzberaters und des Rechtsberaters erstellt, so dass sie am Platzierungstag nur noch zu finalisieren sind.
1.153
Der Finanzberater identifiziert dann in enger Abstimmung mit dem Kunden passende Zeitfenster für die Bankenauswahl sowie die anschließende Platzierung und bereitet gemeinsam mit der Gesellschaft und dem Rechtsberater einen minutiösen Zeitplan zur Taktung des Bankenauswahlprozesses, der eventuellen Einholung relevanter Gremienbeschlüsse auf Kundenebene, der Erfüllung von Publizitätspflichten und der eigentlichen Aktienplatzierung vor.
1.154
Nach Abschluss der Vorbereitungsphase und Identifizierung eines optimalen Platzierungsfensters kann der Auswahlprozess für die Mandatierung der Platzierungsbank(en) gestartet werden. Aufgrund des üblichen Bestrebens auf Bankenseite, die nach Mandatierung eingegangene Risikoposition schnellstmöglich abzubauen, hat es sich in Europa bewährt, den Auswahlprozess schnell durchzuführen und so zu terminieren, dass die mandatierten Banken bereits kurz nach Ende des Börsenhandels die Möglichkeit haben, mit der Vermarktung bei institutionellen Investoren in Europa und den USA zu beginnen und die Platzierung vor Öffnung des Börsenhandels am nächsten Morgen abzuschließen. Bei der Durchführung des Auswahlprozesses sind von den eingeladenen Banken zunächst Erklärungen zu unterzeichnen, welche die Vertraulichkeit des Prozesses sicherstellen sollen. Erst danach erhalten die Banken das Einladungsschreiben mit dem Namen des Emittenten, dem genauen Prozessablauf und die vollständige Dokumentation. Die Einräumung einer kurzen Antwortzeit für die Abgabe der Bankenangebote ist einerseits aus Vertraulichkeits-
1.155
Albrecht/Kolodinski | 49
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
gründen notwendig (Leakage-Risiko) und dient andererseits einem möglichst schnellen Start der Vermarktung nach Börsenschluss.
1.156
1.157
Neben der eigentlichen Vorbereitung und Durchführung des Auswahlprozesses unterstützt der Finanzberater den Kunden auch bei der Auswertung der eingehenden Angebote und den finalen Verhandlungen mit den zu mandatierenden Banken. Nach Vertragsunterzeichnung beginnt die Vermarktungsphase, in der die Platzierungsbank(en) die Aktien institutionellen Investoren zum Kauf anbieten. Gleichzeitig wird die Platzierung öffentlich kommuniziert, um so die Hintergründe der Transaktion zu erläutern und ggf. Publizitätspflichten nachzukommen. Wie bereits geschildert, wird die Vermarktungsphase im Allgemeinen über Nacht abgeschlossen, so dass das Orderbuch bereits vor Eröffnung des Börsenhandels am folgenden Tag geschlossen werden kann. In dieser Phase des Transaktionsprozesses beschränkt sich das Aufgabenspektrum des unabhängigen Finanzberaters in erster Linie darauf, den Vermarktungsprozess für den Kunden zu überwachen und ihm bei ggf. noch zu treffenden Entscheidungen beratend zur Seite zu stehen. Diese umfassen je nach Transaktionsstruktur die Kommunikation mit Investoren zum aktuellen Stand des Bookbuilding, die finale Preisfestsetzung und Zuteilung von Aktien, die weitere öffentliche Kommunikation zur Transaktion sowie die Entscheidung von diskretionären Kompensationsbestandteilen der Bankvergütung. Schematische Darstellung einer Aktienplatzierung mit unabhängigem Finanzberater Vor Einbindung der Platzierungsbanken Vorbereitung Vorbereitung der Dokumentation – Vertraulichkeitserklärung – Einladungsschreiben – Gebots-Formular – Übernahme- oder Platzierungsvertrag – Legal Opinions der Rechtsanwälte Kommunikation – Hintergründe für das Sales Force Briefing der Banken – Ad hoc- & Pressemitteilungen
Bankenauswahlprozess
Nach Einbindung der Banken Vermarktung
Unterzeichnung der Vertraulichkeitserklärung
Veröffentlichung von Ad hocMeldung und Pressemitteilungen
Versendung der Auktionsunterlagen inkl. Dokumentations-, Kommunikations- und Vermarktungsmaterialien
Platzierung der Aktien bei Investoren durch die Platzierungsbanken
Einreichung der verbindlichen Gebote durch eingeladene Banken
Üblicherweise Schließung des Bookbuildings vor Eröffnung des Börsenhandels
Auswertung der Gebote Auswahl und Mandatierung der Platzierungsbank(en)
Vermarktungsmaterialien – Gegebenenfalls Unterlagen für Investoren Calls des Managements
2–3 Wochen
3–4 Stunden
10–15 Stunden
2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht
1.158
Die Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht ist ein Sonderfall der Aktienplatzierung. Dabei handelt es sich um die Ausgabe neuer Aktien durch die Gesellschaft, wobei den Aktionären aufgrund aktienrechtlicher Vorschriften ein Bezugsrecht auf die neuen Aktien einzuräumen 50 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
ist. Die aktienrechtlichen Vorgaben zur Durchführung einer Bezugsrechtsemission sind wesentliche Determinanten für die Gestaltung der Transaktion. Sie sehen unter anderem eine mindestens zweiwöchige Bezugsfrist für die Aktionäre vor, bieten jedoch Handlungsspielräume bezüglich des Zeitpunktes für die Festlegung des Bezugspreises (s. auch § 5). Die Durchführung einer Bezugsrechtskapitalerhöhung dient in der Regel der Wachstumsfinanzierung (z.B. für Akquisitionen) oder der Bilanzstärkung (z.B. im Restrukturierungsfall). Je nach Hintergrund der Kapitalmaßnahme können sich sehr unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte für einen unabhängigen Finanzberater in der Strukturierung, Vorbereitung und Durchführung der Transaktion ergeben, wobei der Fokus entweder auf die Preisoptimierung und/oder die Erzielung von Transaktionssicherheit gerichtet sein kann.
1.159
Im Folgenden werden die wichtigsten Zielsetzungen im Rahmen einer Bezugsrechtskapitalerhöhung beschrieben und die daraus ableitbaren Prozessgestaltungsmöglichkeiten erläutert.
1.160
a) Zielsetzung Auch für die Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht ist anzunehmen, dass die Maximierung des Platzierungserlöses das Primärziel ist. Da den Aktionären der Gesellschaft jedoch ein Bezugsrecht auf die neuen Aktien zusteht, wird unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten grundsätzlich argumentiert, dass die Höhe des Bezugspreises bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung für den Aktionär irrelevant ist. Jedoch gibt es zahlreiche Gründe, die es sinnvoll erscheinen lassen, einen möglichst hohen Bezugspreis anzustreben, wie beispielsweise Maximierung des Emissionserlöses bei einem begrenzten genehmigten Kapital zur Ausgabe neuer Aktien, Minimierung der Verwässerung für nicht partizipierende Aktionäre und das Ansehen der Gesellschaft am Kapitalmarkt.
1.161
Bedingt durch die aktienrechtlichen Vorgaben, dass den Aktionären ein Bezugsrecht zusteht und eine zweiwöchige Bezugsfrist einzuräumen ist, ergibt sich für die Gesellschaft eine erhebliche Beeinträchtigung der Transaktionssicherheit bei Durchführung einer solchen Kapitalerhöhung. Das Bezugsrecht ist ein Recht, jedoch keine Verpflichtung des Aktionärs, die neuen Aktien zu kaufen, weshalb die Transaktion während der zweiwöchigen Bezugsfrist großen Marktänderungsrisiken ausgesetzt ist. Deshalb streben Emittenten bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen in der Regel eine Übernahmegarantie durch ein Bankenkonsortium an und nehmen dabei zum Teil erhebliche Preisabschläge in Kauf.
1.162
Wie bei der Aktienplatzierung ist auch für die Bezugsrechtskapitalerhöhung größtmögliche Vertraulichkeit eine Zielsetzung, die unter das Preismaximierungsziel subsumiert werden kann, da ein vorzeitiges Bekanntwerden des Emissionsvorhabens zu einer Beeinträchtigung des Marktpreises führen kann, was auch den Bezugspreis negativ beeinflussen würde.
1.163
Damit unterteilt sich die Zielsetzung des Emittenten bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht in die beiden wesentlichen Kernziele Optimierung der Emissionserlöse und Minimierung der Transaktionsrisiken. Zur maximalen Zielerreichung ist eine sorgfältige Transaktionsvorbereitung und eine reibungslose Transaktionsdurchführung notwendig.
1.164
b) Prozessüberlegungen Der Transaktionsprozess einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht unter Beteiligung eines unabhängigen Finanzberaters lässt sich in fünf wesentliche Prozessschritte unterteilen: Albrecht/Kolodinski | 51
1.165
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
1) Vorbereitungsphase 1 (ohne Banken), 2) Auswahl einer Prozessbank, 3) Vorbereitungsphase 2 (mit Prozessbank) zur Finalisierung der Dokumentation, 4) kompetitiver Bankenauswahlprozess und 5) Vermarktungsphase.
1.166
Bei der Transaktionsvorbereitung für eine Bezugsrechtskapitalerhöhung sind im ersten Schritt Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, die als Basis für die Strukturierung der Transaktion und des Transaktionsprozesses dienen. Nach Festlegung der Transaktionsstruktur sind der Datenraum, die rechtliche Dokumentation sowie erforderliche Vermarktungsmaterialien vorzubereiten, der Transaktionsprozess festzulegen und der genaue Zeitplan zu bestimmen, bevor anschließend die Bankenauswahl durchgeführt und schließlich die Transaktion in den Markt gebracht wird.
1.167
Die Vorbereitungsphase 1 beinhaltet sämtliche Prozessschritte, die grundsätzlich auch ohne die Mandatierung einer Platzierungsbank erfolgen können. Dazu gehören beispielsweise die Ermittlung des Kapitalbedarfs, ggf. die Herbeiführung einer für die Kapitalmaßnahme erforderlichen Genehmigungslage der Gesellschaft, die Vorbereitung einer Management Präsentation für die Einbindung der Banken in den Prozess, das Herausarbeiten der „Equity Story“, die Erstellung einer Entwurfsfassung des Wertpapierprospekts sowie die Vorbereitung des Datenraumes. Diese Prozessschritte können zunächst vertraulich auf Gesellschaftsebene zusammen mit dem unabhängigen Finanzberater und dem mandatierten Rechtsberater durchgeführt werden.
1.168
In einem nächsten Schritt wird dann eine Prozessbank zusammen mit deren eigenem Rechtsberater zur weitgehenden Finalisierung des Wertpapierprospekts und zur Durchführung einer umfassenden Due Diligence mandatiert. Um einen vertraulichen Vorbereitungsprozess zu gewährleisten, empfiehlt es sich, dabei entweder auf eine vertraute Bank zurückzugreifen oder aber einen fokussierten Auswahlprozess mit einer kleinen Anzahl potentieller Platzierungsbanken durchzuführen, welche die Gesellschaft gut kennen und in der Lage sind, sich auf Basis der in der Vorbereitungsphase 1 erarbeiteten Unterlagen zügig in den laufenden Prozess einzufügen.
1.169
Gemeinsam mit der mandatierten Prozessbank finalisieren Gesellschaft, Rechtsberater und Finanzberater dann in der Vorbereitungsphase 2 die rechtliche Dokumentation einschließlich eines Wertpapierprospekts und führen eine detaillierte Due Diligence durch. Darüber hinaus wird als Grundlage der späteren Vermarktung eine Roadshow Präsentation entwickelt, die auf der durch die Gesellschaft in Kooperation mit dem unabhängigen Finanzberater vorbereiteten Management Präsentation basiert. Ziel dieses Prozessschrittes ist die weitgehende Finalisierung der für die Kapitalmaßnahme erforderlichen Dokumentation und Vermarktungsunterlagen. Die Einbindung einer Prozessbank in den Vorbereitungsprozess dient, wie bereits geschildert, insbesondere dazu, der Bank eine umfassende Due Diligence zu ermöglichen und die Transaktionsunterlagen detailliert zu prüfen und zu kommentieren, so dass eine grundsätzliche Bereitschaft der Bank zur Abgabe einer Übernahmegarantie erzielt wird.
1.170
Nach Abschluss der Vorbereitungsarbeiten kann der Auswahlprozess der weiteren Konsortialbanken erfolgen, wobei unter dem Gesichtspunkt der maximalen Zielerreichung von Preisoptimierung und Transaktionssicherheit ein klassischer Auktionsprozess durchgeführt werden kann. Dazu erhalten ausgewählte Banken nach Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung ein Einladungsschreiben mit genauem Prozessablauf, die vollständigen Transaktionsunterlagen 52 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
sowie die Möglichkeit zur Durchführung fokussierter Due Diligence. Aufgrund des Umfangs der Transaktionsunterlagen, der Durchführung von Due Diligence sowie der Notwendigkeit von Vorbereitung und Durchführung bankinterner Genehmigungsprozesse ist zwischen Einladung und Bereitschaft zur Abgabe eines Angebots einer Bank ein längerer Zeitraum einzurechnen, was die Notwendigkeit höchster Vertraulichkeit des Prozesses unterstreicht. Bei der Durchführung der Auktion durch den Finanzberater wird von den eingeladenen Banken ein Angebot für einen Mindestbezugspreis und das Garantievolumen erfragt. Anschließend unterstützt der Finanzberater den Kunden bei der Auswertung der eingegangenen Angebote. In Abhängigkeit vom Ergebnis wird dann der Mindestbezugspreis für die Kapitalerhöhung festgelegt, die erfolgreichen Konsortialbanken ausgewählt und deren jeweiliges Garantievolumen festgelegt. Nach der Mandatierung des Konsortiums startet die Vermarktungsphase, die bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht durch die zweiwöchige Bezugsfrist zeitlich definiert ist. In dieser Zeit besteht für die Gesellschaft die Möglichkeit, die Kapitalmaßnahme bei bestehenden und potentiellen Investoren während einer Roadshow zu vermarkten und dadurch Nachfrage für die neuen Aktien zu generieren. In dieser Phase des Transaktionsprozesses beschränkt sich das Aufgabenspektrum des Finanzberaters in erster Linie darauf, den Vermarktungsprozess für den Kunden zu überwachen und ihm bei ggf. noch zu treffenden Entscheidungen beratend zur Seite zu stehen. Diese umfassen insbesondere Roadshowplanung, externe Kommunikation (Medien), Marktkommunikation, Platzierung nicht bezogener Aktien, Bring Down Due Diligence und Entscheidung bezüglich diskretionärer Bestandteile der Bankenvergütung. Schematische Darstellung einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht mit unabhängigem Finanzberater Vor Einbindung der Platzierungsbanken Vorbereitung
Bankenauswahlprozess
Vorbereitung der Dokumentation
Unterzeichnung der Vertraulichkeitserklärung
– Erforderliche Genehmigungslage
Versendung der Auktionsunterlagen inkl. Dokumentations-, Kommunikations- und Vermarktungsmaterialien
– Prospekt – Management Präsentation – Übernahmevertrag – Vertraulichkeitserklärung – Einladungsschreiben und Gebots-Formular – Legal Opinions der Rechtsanwälte Mandatierung einer Prozessbank
Einreichung der verbindlichen Gebote durch eingeladene Banken Auswertung der Gebote Auswahl und Mandatierung der Plazierungsbank(en)
Nach Einbindung der Banken Vermarktung Due Diligence der Banken Kommentierung des Prospektes durch die Banken Veröffentlichungen von Ad hocMeldung und Pressemitteilungen Veröffentlichung des Bezugsangebotes Bezugsfrist und Bezugsrechtshandel Gegebenenfalls Platzierung von nicht bezogenen Aktien im Rahmen eines „Rump Placements“
Kommunikation – Hintergründe für das Sales Force Briefing der Banken – Ad hoc- & Pressemitteilungen Vermarktungsmaterialien – Roadshow Unterlagen
2–3 Monate
1–2 Tage
2–3 Wochen
Albrecht/Kolodinski | 53
1.171
1.172
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
3. Equity-linked Anleihen
1.173
Als Equity-linked Anleihen werden die Finanzierungsinstrumente Options- und Wandelanleihe sowie Umtauschanleihen bezeichnet. Bei Options- oder Wandelanleihen von Unternehmen werden bei Optionsausübung bzw. Wandlung neue Aktien ausgegeben, was beim Emittenten zu einer Erhöhung des Eigenkapitals führt. Bei Umtauschanleihen bezieht sich das Umtauschrecht auf Aktien aus dem Bestand von Anteilseignern der Gesellschaft (zur Begriffsbestimmung von Equity-linked Emissionen s. auch Rz. 10.3 ff.).
1.174
Equity-linked Anleihen können als hybride Finanztitel bezeichnet werden, da sie sich aus Fremd- und Eigenkapitalkomponenten zusammensetzen (Anleihe und Kaufoption für Aktien).
1.175
Wandel- und Umtauschanleihen können auch als Pflichtwandelanleihen strukturiert werden, die am Laufzeitende automatisch in neue Aktien wandeln und deshalb eine höhere Eigenkapitalcharakteristik aufweisen als optionale Wandelanleihen. Die Emission einer Pflichtwandelanleihe hat dementsprechend auch eher den Charakter einer Kapitalerhöhung (Terminverkauf von Aktien) mit ähnlichen Implikationen für die Transaktionsdurchführung wie bei einer Aktienplatzierung.
1.176
Equity-linked Anleihen sind sehr flexible und individuell strukturierbare Finanzierungsinstrumente, was einerseits einen breiten Einsatz ermöglicht, andererseits allerdings zu Komplexität bei Strukturierung und Preisfindung führen kann. Equity-linked Anleihen werden in der Regel über eine prospektfreie Privatplatzierung im Wege eines beschleunigten Bookbuilding bei institutionellen Investoren platziert, so dass sich die Dokumentation weitgehend auf die Anleihebedingungen und den Übernahmevertrag beschränkt. Damit eignet sich auch diese Transaktionskategorie für eine Bankenauswahl mittels eines kompetitiven Prozesses (zum beschleunigten Bookbuilding-Verfahren bei Equity-linked Emissionen s. auch Rz. 10.78 ff. und Rz. 11.22).
1.177
Bei Equity-linked Emissionen liegen die Aufgabenschwerpunkte des Finanzberaters in der Beratung bei der Strukturierung und der Schaffung von Transparenz in der Preisfindung sowie der Vorbereitung und Durchführung der Transaktion mit dem Ziel der Preisoptimierung und Transaktionssicherheit.
1.178
Im Folgenden werden die wichtigsten Zielsetzungen im Rahmen einer Equity-linked Anleiheemission beschrieben und die daraus ableitbaren Prozessgestaltungsmöglichkeiten erläutert. a) Zielsetzung
1.179
Bei der Emission von Equity-linked Anleihen ist die Optimierung der Konditionen das primäre Ziel, wobei beispielsweise bei der Wandelanleihe als Parameter die Kuponhöhe, die Höhe der Wandlungsprämie, der Referenzpreis für die Wandlungsprämie, aber beispielsweise auch das Emissionsvolumen in Frage kommen können. Je höher die Eigenkapitalcharakteristik einer Equity-linked Anleihe ist, desto wichtiger ist aus Emittentensicht das Ziel Transaktionssicherheit.
1.180
Im Fall einer Pflichtwandelanleihe können weitere wichtige Zielsetzungen der Strukturierung eine eigenkapitalähnliche Einstufung des Instruments von den Rating-Agenturen, eine vorteilhafte steuerliche Behandlung und eine bilanzielle Verbuchung als Eigenkapital sein. 54 | Albrecht/Kolodinski
Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1
Darüber hinaus ergibt sich für Equity-linked Anleihen, wie bei anderen Sekundäremissionen auch, die Wahrung von Vertraulichkeit als weiteres Ziel, welches unter das Preisoptimierungsziel subsumiert werden kann, da ein vorzeitiges Bekanntwerden des Emissionsvorhabens zu einer Preisbeeinträchtigung führen kann.
1.181
Damit unterteilt sich die Zielsetzung des Emittenten bei der Begebung einer Equity-linked Anleihe in die wesentlichen Kernziele Optimierung der Konditionen und Minimierung der Transaktionsrisiken. Zur maximalen Zielerreichung ist eine sorgfältige Transaktionsvorbereitung und eine reibungslose Transaktionsdurchführung notwendig.
1.182
b) Prozessüberlegungen Der Transaktionsprozess einer Platzierung von Equity-linked Anleihen lässt sich in die drei bereits von der Aktienplatzierung bekannten Prozessschritte unterteilen:
1.183
1) Vertrauliche Transaktionsvorbereitung, 2) kompetitive Bankenauswahl und 3) Vermarktungsphase. Bei der Transaktionsvorbereitung von Equity-linked Anleihen sind im ersten Schritt Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, die als Basis für die Strukturierung der Anleihebedingungen sowie des Transaktionsprozesses dienen. Nach Vorbereitung der rechtlichen Dokumentation sowie erforderlicher Vermarktungsmaterialien ist der genaue Zeitplan zu bestimmen, die Bankenauswahl durchzuführen und schließlich die Transaktion in den Markt zu bringen.
1.184
Bei der Strukturierung einer Equity-linked Anleihe steht zunächst der Zweck der Begebung der Anleihe im Vordergrund. Aufgrund der Flexibilität des Instruments kann es beispielsweise als „vergünstigte“ Aufnahme von Fremdkapital, zur Monetarisierung von Unternehmensbeteiligungen oder auch zur Beschaffung von „Quasi-Eigenkapital“ (Pflichtwandelanleihe) genutzt werden.
1.185
Um die spätere Durchführung der Transaktion so reibungslos wie möglich zu gestalten, muss die Dokumentation der Platzierung, welche auf eine Vermarktung über die Preisparameter Wandlungsprämie und Kuponhöhe abzielt, sorgfältig und nah am Marktstandard vorbereitet werden.
1.186
Bei komplexeren Equity-linked Strukturen, wie beispielsweise einer Pflichtwandelanleihe, kann die Strukturierung mitunter sehr vielschichtig sein, da eine Reihe von Nebenzielen zu beachten sind (wie beispielsweise Rating-Einstufung, steuerliche Implikationen und bilanzielle Behandlung) ohne die Vermarktbarkeit der Anleihe zu beeinträchtigen. Eine höhere Komplexität der ausgewählten Struktur impliziert häufig auch, dass die Preisfindung aus Kundensicht schwerer nachvollziehbar und die Attraktivität der Konditionen weniger transparent erscheinen. Aufgabe des Finanzberaters bei der Strukturierung einer Equitylinked Anleihe ist daher insbesondere auch die Vor- und Nachteilhaftigkeit verschiedener Strukturierungsalternativen zu analysieren und zu beurteilen sowie Transparenz in die Preisfindung zu bringen.
1.187
Bei Equity-linked Maßnahmen, die beispielsweise auch die Erstellung eines Wertpapierprospekts oder Offering Memorandums einschließen können, ist zu überlegen, eine po-
1.188
Albrecht/Kolodinski | 55
§ 1 | Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen
tentielle Platzierungsbank in der Rolle einer Strukturierungs- oder Dokumentationsbank (analog zur Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht) in die Transaktionsvorbereitung einzubeziehen.
1.189
Nach Festlegung der Struktur für die Equity-linked Anleihe können die Dokumentation (Term Sheet, Anleihebedingungen und Übernahmevertrag sowie weitere Nebendokumente) zusammen mit dem Rechtsberater des Emittenten weitgehend vorbereitet und erforderliche Vermarktungsmaterialien in Abstimmung mit der Gesellschaft erstellt werden.
1.190
Nach Abschluss der Vorbereitungsphase und Identifizierung eines optimalen Platzierungsfensters kann der Auswahlprozess der Platzierungsbank(en) durch den Finanzberater gestartet werden. Der Auswahlprozess kann dabei in Abhängigkeit von der Komplexität der Equity-linked Anleihe entweder in Anlehnung an den Auswahlprozess bei einer Aktienplatzierung oder bei einer dokumentierten Kapitalerhöhung strukturiert und durchgeführt werden. Preisparameter bei einer Equity-linked Anleihe sind in der Regel die Wandlungsprämie und der Kupon sowie der Referenzpreis für die Wandlungsprämie. Sorgfältige Vorbereitung der Transaktion und ein reibungsloser Ablauf des Bankenauswahlverfahrens sind auch hier für den Transaktionserfolg entscheidend.
1.191
Der Finanzberater unterstützt den Kunden im Bankenauswahlverfahren auch bei der Auswertung der eingehenden Angebote (insbesondere im Hinblick auf Konditionen und Vergleichbarkeit) und den finalen Verhandlungen mit den zu mandatierenden Banken.
1.192
Ggf. kann der unabhängige Finanzberater auch einen „Valuation Letter“ zur Angemessenheit der festgestellten finanziellen Bedingungen der Equity-linked Anleihe abgeben.
1.193
Nach Abschluss der Bankenauswahl und Mandatierung der Platzierungsbank(en) beginnt die Vermarktungsphase, in der die Equity-linked Anleihen institutionellen Investoren zum Kauf angeboten werden. Gleichzeitig wird die Transaktion öffentlich kommuniziert, um die Hintergründe und Transaktionsparameter zu publizieren und ggf. entstandenen Publizitätspflichten nachzukommen. In dieser Vermarktungsphase beschränkt sich das Aufgabenspektrum des unabhängigen Finanzberaters in erster Linie darauf, den Vermarktungsprozess für den Kunden zu überwachen und ihm bei ggf. noch zu treffenden Entscheidungen zur Seite zu stehen. Diese umfassen je nach Transaktionsstruktur die Kommunikation mit Investoren zum aktuellen Stand des Bookbuilding, die finale Festlegung der Platzierungskonditionen, die Zuteilung von Wertpapieren, die weitere öffentliche Kommunikation zur Transaktion sowie die Entscheidung bzgl. diskretionärer Kompensationsbestandteile der Bankvergütung.
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Kapitalmarkttransaktionen – Sekundäremissionen | § 1 Schematische Darstellung einer Begebung von derivativen Instrumenten mit unabhängigem Finanzberater Vor Einbindung der Platzierungsbanken Vorbereitung Vorbereitung der Dokumentation – Vertraulichkeitserklärung – Einladungsschreiben – Gebots-Formular – Anleihebedingungen und ggf. Prospekt – Übernahmevertrag – Legal Opinions der Rechtsanwälte Kommunikation – Hintergründe für das Sales Force Briefing der Banken – Ad hoc- & Pressemitteilungen
Bankenauswahlprozess Unterzeichnung der Vertraulichkeitserklärung Versendung der Auktionsunterlagen inkl. Dokumentations-, Kommunikations- und Vermarktungsmaterialien Einreichung der verbindlichen Gebote durch eingeladene Banken Auswertung der Gebote Auswahl und Mandatierung der Platzierungsbank(en)
Nach Einbindung der Banken Vermarktung Due Diligence der Banken Veröffentlichung von Ad hocMeldung und Pressemitteilungen Platzierung der Wertpapiere bei Investoren durch die Platzierungsbanken Gegebenenfalls Platzierung von Aktien aus Leerverkäufen („Delta Hedge“) Üblicherweise Schließung des Bookbuildings vor Eröffnung des Börsenhandels
Vermarktungsmaterialien – Term Sheet – Unterlagen für Investoren Calls des Managements
2–3 Wochen
3–4 Stunden
10–15 Stunden
Albrecht/Kolodinski | 57
1.194
2. Teil Aktienemissionen §2 Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . II. Marktumfeld für Aktienemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungen des Marktumfeldes und der Transaktionsvolumina . . 2. Einfluss wesentlicher regulatorischer Entwicklungen auf das Aktienemissionsgeschäft . . . . . . 3. Konzentrationsprozess der Investmentbanken . . . . . . . . . . 4. Transaktionsstrukturen und Formen des Risikotransfers . . . . 5. Bedeutung der League Table . . . III. Aktienemissionen – Grundlagen . 1. Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . . . . . . . 2. Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Emissionskonzept . . . . . . . . . . . a) Art des Angebots . . . . . . . . . . b) Herkunft der Aktien . . . . . . . . c) Aktienart und -gattung . . . . . . d) Streubesitz . . . . . . . . . . . . . . e) Halteverpflichtung . . . . . . . . . f) Bedeutung einer Indexzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . g) Emissionskonsortium . . . . . . . h) Transaktionsarten/Underwriting . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vollvermarktete Platzierung bb) Accelerated Bookbuilding . . cc) Agency Trade . . . . . . . . . dd) Einbindung derivativer Strukturen . . . . . . . . . . . . ee) Exkurs: Dual Track . . . . . . i) Struktur des Risikotransfers . . . aa) Bought Deal . . . . . . . . . . bb) Backstop . . . . . . . . . . . . . cc) Best-effort . . . . . . . . . . . . 4. Vermarktungsprozess/Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung der Zielinvestorengruppen . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.1 2.3 2.3 2.7
2.10 2.11 2.19 2.20 2.20 2.21 2.23 2.23 2.24 2.28 2.30 2.31 2.32 2.33 2.35 2.35 2.36 2.37 2.38 2.40 2.41 2.41 2.42 2.44 2.45 2.45
b) Emissionszeitpunkt . . . . . . . c) Research Reports . . . . . . . . d) Pre-Deal Investor Education . e) Roadshow . . . . . . . . . . . . . f) Preisermittlungsverfahren . . aa) Bookbuilding-Verfahren bb) Festpreisverfahren . . . . cc) Auktionsverfahren . . . . g) Zuteilung der Aktien . . . . . h) Greenshoe/Mehrzuteilungsoption . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
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IV. Aktienemissionen – Produktarten 1. Initial Public Offering . . . . . . . . a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . . . b) Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . c) Emissionskonzept . . . . . . . . . d) Vermarktungsprozess/Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unterstützung nach Notizaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . . . . . b) Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . c) Emissionskonzept . . . . . . . . . aa) Bezugsfrist und Bezugsrechtshandel . . . . . . . . . . bb) Bezugsverhalten der Großaktionäre . . . . . . . . . . . . cc) Bezugspreis/Kursabschlag . . dd) Modelle der Bezugspreisfestlegung . . . . . . . . . . . . ee) Emissionskonsortium . . . . ff) Underwriting/Subunderwriting . . . . . . . . . . . . . . d) Vermarktungsprozess und begleitende Marketingmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Platzierung nicht-bezogener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.46 2.47 2.48 2.51 2.52 2.52 2.53 2.54 2.55 2.56 2.57 2.57 2.57 2.58 2.59 2.60 2.63 2.65 2.65 2.66 2.67 2.68 2.70 2.71 2.72 2.74 2.75 2.76 2.77
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 59
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank 3. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . . . . . b) Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . . c) Emissionskonzept . . . . . . . . . d) Vermarktungsprozess/Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfall „Kombinierte Kapitalerhöhung“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung der Struktur . . . . .
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2.78 2.78 2.79 2.80 2.81 2.83 2.83
b) Motive einer „Kombinierten Kapitalerhöhung“ . . . . . . . . 5. Platzierung von bestehenden Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses . . . . . . b) Dokumentation und Due Diligence . . . . . . . . . . . . . c) Emissionskonzept . . . . . . . d) Vermarktungsprozess/Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonderfall Eigene Aktien . . .
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2.84 2.85 2.85 2.86 2.87 2.88 2.89
Schrifttum: Breuer/Schweizer, Gabler Lexikon Corporate Finance, 2. Aufl. 2011; Schlitt, CFL 2010, 304; Arbeitskreis, CFL 2011, 377; Schlitt/Schäfer, Quick to Market – Aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit Blocktrade-Transaktionen, AG 2004, 345; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen der Umsetzung der Transparenzrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie auf Aktien- und Equity-Linked-Emissionen, AG 2007, 227; Schlitt/Seiler, Aktuelle Rechtsfragen bei Bezugsrechtsemissionen, WM 2003, 2175.
I. Vorbemerkung 2.1
Das globale Aktienemissionsgeschäft besitzt für die internationalen Investmentbanken traditionell eine sehr große Bedeutung. Dies bezieht sich sowohl auf die Ertrags- als auch auf die Reputationskomponente dieses Geschäftsfeldes, da Börsengänge (Initial Public Offering bzw. IPO), (Bar-)Kapitalerhöhungen mit und ohne Bezugsrecht und die Platzierung von bestehenden Aktienpaketen (als vollvermarktete Sekundärplatzierung oder als beschleunigtes Bookbuilding-Verfahren (Accelerated Bookbuilding) im Rahmen sog. „Blocktrades“) meist eine sehr hohe Öffentlichkeitswirkung erzielen. Ferner stehen Aktienemissionen regelmäßig in enger Beziehung zu anderen Investmentbanking-Produkten oder generieren Folgegeschäft für die Banken. So können große M&A-Transaktionen beispielsweise eine (Bezugsrechts-) Kapitalerhöhung erfordern oder ein IPO kann eine Neustrukturierung der gesamten Fremdkapitalseite erfordern. Banken, die Portfoliounternehmen von Finanzinvestoren an die Börse begleitet haben, erhöhen ihre Chancen, auch das Mandat für die typischerweise angestrebte mittelfristige Veräußerung der Restbeteiligung zu erhalten1. Außerdem führen Umplatzierungserlöse von Altgesellschaftern im Rahmen des Börsengangs häufig auch zu Geschäftsansätzen für die Private Banking Abteilung der jeweiligen Banken. Der dem Aktienemissionsgeschäft oftmals inhärente hohe Risikotransfer (underwriting) rückt diese Transaktionen in den Fokus der höchsten bankinternen Entscheidungsebenen.
2.2
Auch für ein Unternehmen hat die Erhöhung des Eigenkapitals eine herausgehobene Bedeutung. Der potenzielle Einfluss auf den Aktienkurs als ein wichtiger Maßstab für die Unternehmensentwicklung und Bemessungsgrundlage für Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, 1 Z.B. Evonik Industries AG – IPO im April 2013 und anschließende Umplatzierungen durch CVC-Capital im März, Mai, Juli und November 2015, sowie im Mai 2016; KION GROUP AG – IPO im Juni 2013 und anschließende Umplatzierungen durch Goldman Sachs Capital Partners und KKR im Januar, Juni und November 2014, sowie Februar und März 2015; Delivery Hero – IPO im Juni 2017 und anschließende Umplatzierung durch Luxor Capital Group im Januar 2018.
60 | Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson
Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
die höhere Renditeerwartung sowie die erforderliche Einbeziehung weiterer Organe der Gesellschaft (Aufsichtsrat oder Hauptversammlung) grenzen eine Aktienemission deutlich von anderen Finanzierungsinstrumenten ab. Die erfolgreiche Umsetzung einer Eigenkapitalmaßnahme verbessert daher häufig die Geschäftsbeziehung zwischen der Gesellschaft und der begleitenden Bank.
II. Marktumfeld für Aktienemissionen 1. Entwicklungen des Marktumfeldes und der Transaktionsvolumina Seit Beginn der Finanzkrise in 2008 haben sich die Rahmenbedingungen für Aktienplatzierungen am deutschen Kapitalmarkt verändert. Die Volatilität der Aktienkurse hatte phasenweise deutlich zugenommen; dominiert durch volkswirtschaftliche und (makro-) politische Nachrichten bzw. Entscheidungen. In den von Unsicherheit geprägten Marktphasen gab es kaum Börsengänge in Deutschland.
2.3
Die Zeit nach der Finanzkrise ist vor allem durch die extrem lockere Geldpolitik geprägt. Seit September 2008 hat die Europäische Zentralbank die Zinsen sukzessive bis auf 0 % gesenkt und bis einschließlich Dezember 2017 zudem im Rahmen ihres Quantitative Easing Programmes neben weiteren Instrumenten auch hohe Volumina an Staats- und Unternehmensanleihen aufgekauft2. Dies führte nicht nur für Unternehmen zu attraktiven Refinanzierungsfazilitäten, sondern bewirkte auch auf Investorenseite ein Ansteigen der Liquidität sowie einer Ausweitung der Bewertungsmultiplikatoren für Eigenkapital. In diesem äußerst positiven Umfeld erreichten neben den Europäischen auch die deutschen Aktienmärkte im Jahr 2018 neue Höchststände (DAX am 23.1.2018 mit 13.596,89 Punkten Intraday). Auch signifikante politische Ereignisse wie der Ausgang des Referendums zum Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union in 2016 hatten geringere negative Auswirkungen auf die Märkte als zunächst erwartet. Während diesem „Bullenmarkt“ seit Beendigung der Finanzkrise hat parallel die Bankenregulierung stark zugenommen. Neben Entwicklungen durch Basel IV beeinflussen vor allem die Volcker Rule (Volcker) seit dem 21.7.2015, die EU Market Abuse Regulation (MAR, VO Nr. 596/2014) seit dem 3.7.2016 sowie die neue Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II, RL 2014/65/EU), die seit 3.1.2018 gilt, das tägliche Geschäft mit Aktienemissionen (s. Rz. 2.7–2.9).
2.4
Die Gesamtvolumina aller deutschen Aktienemissionen bewegten sich seit 2012 zwischen rund 13 Mrd. Euro und 28 Mrd. Euro. Hierbei war ähnlich wie im gesamteuropäischen Marktumfeld zu beobachten, dass einige Produkte anfälliger auf die Marktentwicklung reagierten als andere: während Börsengange aufgrund schwieriger Marktverhältnisse verschoben (z.B. Hapag Lloyd oder Evonik) und/oder umstrukturiert wurden (z.B. Osram), konnten Bezugsrechtskapitalerhöhungen bereits börsennotierter Unternehmen selbst in unsicheren Marktphasen durchgeführt werden. Neben großvolumigen Bezugsrechtskapitalerhöhungen im Bankensektor, die seit 2010 (Deutsche Bank in 2010 und 2017, Commerzbank in 2011 und 2013, Aareal Bank in 2011, Credit Suisse in 2015 und 2017) die Emissionstätigkeit für große Kapitalerhöhungen in Deutschland dominierten und aufgrund des Abschlags des Ausgabepreises gegenüber dem Börsenkurs einen ausreichenden Sicherheitspuffer während der Vermarktungsphase boten, sind auch regelmäßig Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht aufgrund ihres äußerst kurzen Markrisikos in sich kurzfris-
2.5
2 Main refinancing operations (MRO) der Europäischen Zentralbank seit März 2016 auf 0 %.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 61
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
tig öffnenden „risk on“ Phasen selbst in generell überwiegend fragilen Märkten möglich gewesen (z.B. ThyssenKrupp im Juli 2011, Deutsche Börse im September 2015 sowie Stabilus im Juli 2016).
2.6
Seit 2012 haben sich die Transaktionsvolumina aufgrund des stabileren Marktumfeldes weiter diversifiziert. So haben die Volumina an Blocktrades aufgrund der gestiegenen Sekundärmarktlevels in diesem Zeitraum zugenommen. Auch das Umfeld für Börsengänge hat sich mit dem Gesamtmarktumfeld signifikant verbessert. Somit sind seit 2012 auch wieder Börsengänge im Volumen von über 1 Mrd. Euro möglich (z.B. Telefonica Deutschland im Oktober 2012, innogy SE im Oktober 2016). Bezugsrechtskapitalerhöhungen nach 2012 wurden außerhalb des Bankensektors vor allem für Akquisitionszwecke eingesetzt (z.B. Telefonica Deutschland im September 2014, Deutsche Wohnen im Juni 2015). Volumen deutscher Eigenkapitaltransakionen 2008 bis 2017 Euro Mrd. 25 20 15 10 5 0
2008 2008 2009 2009 2010 2010 2011 2011 2012 2012 2013 2013 2014 2014 2015 2015 2016 2016 2017 2017 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen
Börsengänge
Quelle: Dealogic
2. Einfluss wesentlicher regulatorischer Entwicklungen auf das Aktienemissionsgeschäft 2.7
Ab dem 3.1.2018 trat die Neuregelung der europäischen Finanzmärkte die sog. Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II, RL 2014/65/EU) in Kraft. Sie regelt u.a. die bei Aktienemissionen erforderlichen Offenlegungspflichten der involvierten Investmentbanken. Ziel von MiFID II ist, neben dem verstärkten Investorenschutz, insbesondere eine Erhöhung der Sicherheit, der Transparenz und der Effizienz bei Wertpapiergeschäften im Markt. Jegliche Kommunikation seitens der Bank gegenüber Kunden soll transparent, fair und nicht irreführend sein. Investmentbanken, die gegenüber Kunden innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes („EEA“) Emissionsgeschäft erbringen sind im Rahmen von MiFID II dazu verpflichtet, dem Emittenten umfassend und so früh wie möglich potenziell anfallende Kosten und Gebühren im Rahmen der jeweiligen Transaktion transparent offenzulegen. Ebenfalls kann es erforderlich sein, dass ein sog. Zielmarkt für bestimmte Wertpapieremissionen mit dem Emittenten abgestimmt und festgehalten wird. Außerdem ist die Schlüsselung der Zuteilung von Aktien an einzelne Investoren im Rah62 | Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson
Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
men von Aktienemissionen transparent zu kommunizieren und mit den Zielen des Emittenten abzustimmen. Hierbei ist die Bank verpflichtet, Zuteilungen an Investoren zu begründen. Ebenfalls wesentlichen Einfluss auf das Aktienemissionsgeschäft hat die EU Market Abuse Regulation („MAR“, VO Nr. 596/2014) seit dem 3.7.2016. Insbesondere wurde hier der Anwendungsbereich des Begriffs der Insiderinformation ausgeweitet und neue Regelungen zur Weitergabe und Dokumentation von Insiderinformation im Rahmen des Market Soundings festgesetzt. Die Investmentbank muss klar feststellen, inwiefern im Rahmen des Market Soundings Insiderinformationen offengelegt werden. Zudem muss von Investoren eine ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden, sofern beabsichtigt wird, diesen Investoren Insiderinformationen zur Verfügung zu stellen. Es ist verpflichtend, Investoren zu dokumentieren und fortan nicht mehr in Market Soundings zu involvieren, die nicht an diesen Aktivitäten partizipieren möchten. Sollten Insiderinformationen im Rahmen von Market Soundings tatsächlich weitergegeben werden (z.B. im Rahmen von Pre-Sounding Aktivitäten, wie sie im IPO Prozess üblich sind), müssen diese Gespräche protokolliert bzw. mitgeschnitten und im Anschluss aufbewahrt werden. Die MAR hat ebenfalls Auswirkungen auf den Rückkauf von Aktien sowie Stabilisierungsmaßnahmen (z.B. im Rahmen von IPOs), insbesondere wurden den Emittenten strengere Dokumentationspflichten und Veröffentlichungspflichten auferlegt, gleichzeitig wurden auch sog. „Safe Harbour“ Regelungen definiert, unter denen diese Prozesse MAR konform durchgeführt werden können.
2.8
Die Volcker Rule („Volcker“) ist zentraler Bestandteil des Dodd-Frank Acts, einer US-Regelung, die seit dem 21.7.2015 gilt und zur Verbesserung der Finanzstabilität in den USA beitragen soll, indem verhindert wird, dass Banken spekulativen Anlagetätigkeiten, z.B. im Eigenhandel, nachgehen. Bis auf wenige Ausnahmen ist es somit Banken untersagt, kurzfristig mit Wertpapieren, Derivaten und Warenterminkontrakten für eigene Rechnung zu handeln. Demnach sind Eigengeschäfte beispielsweise ausschließlich zum Zwecke der Absicherung eigener Risiken zulässig. Zudem sollen Beteiligungen von Banken an Hedgefonds und Private Equity-Gesellschaften stark eingeschränkt werden. Beispielsweise werden Investitionen durch Banken in sog. „Covered Funds“ beschränkt. Hierdurch entstehen Berührungspunkte im Aktiengeschäft, die somit neu geregelt wurden. Z.B. gibt es für Underwriting Tätigkeiten der Investmentbanken eine sog. „Underwriting Ausnahme“, die Underwriting Aktivitäten abseits des normalen Tagesgeschäft einschränkt. Auch sind hiervon Hedging Aktivitäten betroffen, für die keine Ausnahmeregelung in dieser Form besteht.
2.9
3. Konzentrationsprozess der Investmentbanken Seit vielen Jahren wird der Aktienemissionsmarkt in Deutschland von internationalen Investmentbanken dominiert. Da die Platzierung der Aktien überwiegend bei internationalen Investoren erfolgt, haben Banken mit einer weltweiten Vermarktungsplattform eindeutige Wettbewerbsvorteile. Auch bei Börsengängen liegt der Anteil der Privatanleger an der Gesamtnachfrage meist nunmehr lediglich im niedrigen einstelligen Prozentbereich und hat damit die Bedeutung eines breiten Zugangs zu Privatanlegern durch die begleitenden Banken in den Hintergrund gedrängt. Darüber hinaus führt der von Emittenten zunehmend in Form von „Hard Underwriting“-Strukturen durchgesetzte Risikotransfer bei größeren Transaktionen zum automatischen Ausschluss zahlreicher Marktteilnehmer. So werden mittlerweile bei großvolumigen Blocktrades mit hohem Underwriting-Risiko i.d.R. ausschließlich Banken angesprochen, die eine hinreichende Bilanzgröße, internationale ErfahSchäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 63
2.10
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
rung mit vergleichbaren Transaktionen und entsprechende Risikoneigung aufweisen. Die Risikokomponente solcher Transaktionen zeigte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach in den hohen Verlusten einiger Banken, die nach öffentlich zugänglichen Informationen teilweise zweistellige Euro-Millionenbeträge ausmachten. Aufgrund der Volatilität der Transaktionsvolumina in Deutschland und der begrenzten Größe des Marktes (z.B. im Vergleich mit Großbritannien) ist eine Vielzahl internationaler Banken dazu übergegangen, einen Großteil der relevanten Teams in London zu konzentrieren. Im Hinblick auf den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union bleibt abzuwarten, ob es langfristig zu einer Verschiebung der relevanten Teams aus London heraus kommt.
4. Transaktionsstrukturen und Formen des Risikotransfers 2.11 Die zunehmende Risikoinanspruchnahme der Investmentbanken, die sich insbesondere bei
Blocktrades, aber auch bei Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht zeigt, hat die Banken verstärkt nach Möglichkeiten des Risikotransfers suchen lassen. Eine weitere Methodik des Risikotransfers ist das sog. „Subunderwriting“. Hierbei geben die Investmentbanken ihr Underwriting-Risiko an andere Marktteilnehmer gegen Weiterreichung eines Teils ihrer Provision ab. Diese Marktteilnehmer können z.B. nicht im Konsortium vertretene Banken, institutionelle Investoren (insbesondere Hedgefonds) oder bestehende Aktionäre der Gesellschaft sein. Da die „Subunderwriter“ zumeist nicht durch direkte vertragliche Vereinbarungen mit dem Emittenten oder durch sonstige rechtliche Reglementierungen gebunden sind, können sie mit ihrer Risikoposition im Allgemeinen freier und flexibler umgehen. Insbesondere bei größeren Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht, die ein „Hard Underwriting“ zum Bezugs- bzw. einem Mindestpreis und damit ein Marktrisiko der Investmentbanken über mehrere Wochen hinweg beinhalteten, wurde von den Konsortialbanken oftmals auf einen Risikotransfer via Subunderwriting zurückgegriffen. Ein ähnliches Modell zur Reduzierung des Transaktionsrisikos für den Emittenten wurde im Rahmen eines innovativen „Hard Underwritten IPO“ auch vereinzelt auf Börsengänge übertragen (s. auch Rz. 2.62).
2.12 Auch bei den Transaktionsarten wurden von den Investmentbanken in den letzten Jahren
innovative Strukturen entwickelt und im deutschen Markt eingeführt. Um in einem volatilen Marktumfeld die Zeitspanne des Risikos für die Unternehmen (bei „best effort“ Transaktionen) bzw. die Konsortialbanken (bei Transaktionen mit „hard underwriting“) zu minimieren, wurde z.B. bei verschiedenen Bezugsrechtskapitalerhöhungen eine Vorabplatzierung3 durchgeführt. Dabei wurde das gesamte Emissionsvolumen im Wege eines Accelerated Bookbuildings i.d.R. innerhalb von 1 bis 2 Tagen an institutionelle Anleger platziert. Direkt im Anschluss erfolgte die eigentliche Bezugrechtskapitalerhöhung, wobei der Bezugspreis dem Platzierungspreis aus der Vorabplatzierung entsprach. Die Zuteilung der Aktien in der Vorabplatzierung steht bei solchen Transaktionsstrukturen unter dem Vorbehalt, dass nur diejenigen Aktien geliefert werden, die nicht im Rahmen der sich der Vorabplatzierung anschließenden (und aufgrund des daher ja bereits erfolgten Verkaufs sämtlicher Aktien in erster Linie rechtlich erforderlichen) Bezugsrechtsphase von bestehenden Aktionären bezogen werden (Clawback). Der Clawback stellt somit de facto eine zweiwöchige Put Option dar, die der institutionelle Investor bei Erteilung einer Order in der Vorabplatzierung bereit ist zu schreiben. Um den Clawback zu reduzieren, ist es er3 Beispiele sind die Bezugsrechtsemissionen von HeidelbergCement AG (2009), Continental AG (2010) und Volkswagen AG (2010). Eine Sonderform dieser Vorabplatzierungsstruktur war die Kapitalerhöhung der RWE AG (2011).
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
forderlich, dass ein oder mehrere Großaktionäre bereit sind, auf ihre Bezugsrechte zu verzichten, um es den Banken zu ermöglichen, einen Teil des Volumens in der Vorabplatzierung sicher (d.h. ohne Clawback) zuteilen zu können. Die Reduktion der Risikoperiode und die Vermarktung der Aktien durch ein Accelerated Bookbuilding führen darüber hinaus zu einem Emissionspreis für die neuen Aktien, der relativ nahe am Marktpreis liegt und damit deutlich über dem entsprechenden Bezugspreis in einer „klassischen“ Bezugsrechtsemission. Seit Juni 2017 ermöglicht zudem eine aktualisierte VO 2017/1129 (Prospektverordnung) die prospektfreie Zulassung von neuen Aktien auf bis zu 20 % des bestehenden Grundkapitals innerhalb von 12 Monaten anstatt zuvor 10 %4. Durch diese Novellierung ist es für Emittenten möglich, innerhalb dieser Zeit beispielsweise zwei Kapitalerhöhungen unter vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss (jeweils bis zu 10 % des Grundkapitals nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) durchzuführen, sofern die betreffende Ermächtigung zwischen den Transaktionen erneuert wurde. Diese Novellierung ist besonders im Kontext mit Akquisitionsfinanzierungen interessant, da der Emittent durch mehrere Kapitalerhöhungen nach Übernahmeankündigung (und meist vor Closing der Transaktion) bereits Teile der Brückenfinanzierung ablösen kann.
2.13
Stärker als Bezugsrechtsemissionen sind Börsengänge von einer erhöhten Marktvolatilität und einer damit einhergehenden schwächeren Risikoneigung der Investoren negativ betroffen. Neben der fehlenden Erfahrung der Investoren mit dem IPO-Kandidaten, erhöht die relativ lange Vermarktungsphase das Risiko, die Preisvorstellungen der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter nicht realisieren zu können. Um dieses Risiko zu reduzieren, schlagen Konsortialbanken regelmäßig vor, institutionelle Kerninvestoren frühzeitig zu identifizieren und in die Vermarktung einzubinden5. Bei diesen Kerninvestoren unterscheidet man in „Cornerstone“ Investoren, die ihre Zeichnung bereits im Vorfeld der öffentlichen Vermarktung verbindlich abgeben, in den Wertpapierprospekt aufgenommen werden und damit Zuteilungssicherheit genießen, sich aber i.d.R. auch einem Lock-up unterwerfen sowie „Anchor“ Investoren, die frühzeitig in der Bookbuildingphase im Rahmen einer sog. „Lead Order“ einen signifikanten Betrag zeichnen, ohne jedoch Zuteilungssicherheit zu haben und auch typischerweise keinem Lock-up unterliegen. Hierbei ist es auch möglich, dass ein ursprünglich im Rahmen einer Cornerstone Rolle angesprochener Investor sich letztendlich „lediglich“ als Anchor Investor engagiert. Diese insbesondere bei asiatischen IPOs häufig anzutreffende Einbindung von institutionellen Kerninvestoren fördert das Vertrauen der anderen Investoren in den IPO-Kandidaten sowie das Momentum in der Nachfrage während des Bookbuildings.
2.14
Ein weiteres Instrument zur Reduktion der Risiken eines IPO-Prozesses ist in speziellen Fällen die Einbindung von Pre-IPO Investoren. Ein bis zwei Jahre im Vorfeld eines geplanten IPO fließen über die Beteiligung neuer Investoren am Eigenkapital oder über PreIPO-Wandelanleihen zusätzliche Mittel in das Unternehmen, welche die Flexibilität hinsichtlich des Emissionszeitpunktes erhöhen6.
2.15
4 Aktien, die im gleichen Zeitraum durch Wandlung entstehen, werden entsprechend angerechnet. 5 Ein prominentes Beispiel ist der IPO der Glencore International AG (2011). 6 Ein Beispiel ist die seitens des japanischen Versicherungsunternehmens Meiji Yasuda gezeichnete 300 Mio. Euro Pflichtwandelanleihe der Talanx AG (2010). Ebenfalls prominent war das Pre-IPO Investment seitens Temasek in die Evonik AG (2013).
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§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
2.16 Bei börsennotierten Unternehmen mit geringem Streubesitz und niedriger Handelsliquidi-
tät besteht i.d.R. eine zwangsläufige Begrenzung der maximalen Transaktionsgröße bei Aktienplatzierungen. Um den Platzierungserlös zu optimieren und zusätzliche Nachfrage durch die Ansprache möglichst breiter Investorengruppen generieren zu können, wurden sog. „Combined Offerings“ in Form von kombinierten Angeboten aus Aktienplatzierung und Umtauschanleihe mit derselben Aktie als Basiswert durchgeführt7.
2.17 Insbesondere bei Veräußerungen von Privatpersonen stellt das innovative Produkt der
synthetischen Umtauschanleihe eine interessante Alternative zu einem Direktverkauf dar. Als Emittent einer synthetischen Umtauschanleihe fungiert i.d.R. eine Bank nach Erwerb einer Kaufoption auf die der Umtauschanleihe unterliegenden Aktien. Der Investor erwirbt daher eine Umtauschanleihe mit dem Bonitätsrisiko der Bank und der Verkäufer erhält die Optionsprämie unabhängig von einem möglichen späteren Umtausch8.
2.18 Auktionsprozesse, bei denen sich eine kleine Gruppe vorausgewählter Investmentbanken
sehr zeitnah über ein verbindliches Angebot als Konsortialführer zu qualifizieren sucht, bilden ein weiteres Modell am Aktienmarkt. Auktionen wurden bisher insbesondere bei Blocktrades und Equity-linked Emissionen, aber auch bei Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht angewandt9. Der Emittent profitiert dabei von dem enormen Wettbewerbsdruck unter den Investmentbanken und erzielt so den bestmöglichen Bezugspreis für seine neuen Aktien. Die Übertragbarkeit des Auktionsprozesses auf den IPO-Prozess, d.h. eine Festlegung der Preisspanne verbunden mit der Auswahl der Führungsbanken erst unmittelbar vor dem offiziellen Vermarktungsstart der Transaktion, ist eine modelltheoretisch interessante Variante, deren praktische Umsetzbarkeit und konkrete Vorteilhaftigkeit sich aufgrund des komplexeren Gesamtprozesses eines Börsengangs jedoch als sehr fragwürdig erwiesen hat. Ausschließlich bei größeren IPOs von Gesellschaften mit transparentem Geschäftsmodell sind die grundsätzlichen Voraussetzungen für ein sog. „Competitive IPO“ überhaupt gegeben, da nur bei diesen IPOs einerseits der Anreiz zur Abgabe eines attraktiven Angebots für die Investmentbanken durch das Transaktionsvolumen gegeben und andererseits die Risiken bei der Durchführung der Due Diligence annähernd beherrschbar erscheinen10. Im deutschen Markt hat es bisher kein „Competitive IPO“ gegeben und auch im europäischen Umfeld konnte sich dieses Modell aufgrund zahlreicher negativer Erfahrungen nicht durchsetzen11. Kernpunkt der Kritik an diesem Modell ist, dass es einen inhärenten Anreiz schafft, ehrliche Beratung der Banken hinsichtlich der angemessenen Preisspanne gegen 7 Z.B. die Combined Offerings der Bayer AG in Covestro AG (2017), Deutsche Wohnen SE in Deutsche Wohnen SE (2017), Haniel Finance Deutschland GmbH in Metro AG (2015). 8 Beispiel für ein erfolgreiches Combined Offering mit einer Synthetischen Umtauschanleihe ist die 641 Mio. Euro-Monetarisierung von ca. 7,6 Mio. Q-Cells Aktien der Ströher Finanzholding im April 2006. 9 So führten z.B. die Deutsche Lufthansa AG (2004) sowie die Deutsche Bank AG (2010) einen Auktionsprozess zur Determinierung des Bezugspreises und zur Auswahl der Konsortialbanken durch. Zu den rechtlichen Aspekten s. § 5 sowie Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175. 10 So geschehen bei dem IPO der französischen Pages Jaunes S.A. im Juni 2004. 11 Beim „Competitive IPO“ des französischen Satellitenbetreibers Eutelsat im Dezember 2005 musste die Preisspanne erst gesenkt, die Emission dann um einen Monat verschoben und die Preisspanne ein zweites Mal gesenkt werden. Ähnliche Erfahrungen musste die UK Reiseagentur Hogg Robinson bei ihrem Börsengang im Oktober 2006 machen. Ferner führte das IPO von Inmarsat zu einer Untersuchung der UK Regulierungsbehörde FSA, die darüber besorgt war, dass der Druck der Bookrunner-Auswahl vor Mandatsvergabe zu „unterstützenden“ Bewertungsstudien durch die Research-Analysten der beteiligten Banken führen könnte.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
eine „mandatsvergabefreundliche“ Bewertungseinschätzung einzutauschen, welche Investoren am Ende nicht mittragen und dann von der Transaktion Abstand nehmen.
5. Bedeutung der League Table Die jeweilige League Table Position der einzelnen Investmentbanken spielt eine wichtige Marketingrolle, insbesondere bei der Akquisition von großvolumigen Transaktionen. In einem zunehmend homogeneren Wettbewerbsumfeld haben jedoch auch bestehende Kreditbeziehungen zwischen Emittent und Bank bei der Vergabe von InvestmentbankingMandaten weiterhin eine starke Bedeutung. Viele Unternehmen haben den Kreis der Hausbanken im Rahmen der Finanzkrise erneuert, erweitert und internationalisiert. Bei der Entscheidung, welche der Kernbanken die Transaktion maßgeblich strukturiert und ggf. das Bankenkonsortium führt, bilden die League Table Positionen bei Eigenkapitalmarkttransaktionen sowie die hinsichtlich der beteiligten Research und Sales Abteilungen neben der Preiskomponente auch weiterhin das zentrale Auswahlkriterium. Dies führte bisweilen zu einem „Einkaufen“ von League Table Positionen durch teils bewusste Inkaufnahme von teilweise verlustreichen Geschäften im Blocktrade-Bereich. Bei der Auswahl der Investmentbanken für großvolumige IPOs werden häufig spezialisierte Beratungsunternehmen (IPO-Adviser) hinzugezogen. Dieses Phänomen lässt sich seit einigen Jahren auch vereinzelt bei Kapitalerhöhungen beobachten.
2.19
III. Aktienemissionen – Grundlagen 1. Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses Eine der Kernaufgaben der begleitenden Investmentbank(-en) ist die Koordination des Gesamtprozesses und der zahlreichen daran beteiligten Parteien. Ein regelmäßiger und strukturierter Informationsaustausch von Arbeitsgruppen und Entscheidungsträgern muss kontinuierlich über den gesamten Prozess hinweg gewährleistet werden, um etwaige Probleme frühzeitig zu erkennen und Fehlentwicklungen umgehend entgegen zu steuern. Der Umfang dieser Tätigkeit und damit verbunden auch die jeweilige Projektstruktur hängen stark von der konkreten Transaktionsform und der Art des Angebotes ab. Während bei einer Privatplatzierung bestehender Aktien mittels eines eintägigen Accelerated Bookbuildings die Komplexität des Gesamtprozesses und die Anzahl der beteiligten Parteien recht überschaubar ist, stellt sich ein öffentliches Angebot im Rahmen eines IPO meist als planungs- und steuerungsintensivste Transaktion dar.
2.20
2. Dokumentation und Due Diligence Die Anforderungen der Banken im deutschen Markt an die Due Diligence (s. § 33). und Dokumentation haben sich aufgrund der starken Internationalisierung des Geschäfts den US-amerikanischen Standards zunehmend angeglichen. Bei der Dokumentation von prospektbasierten Aktienemissionen haben sich Underwriting Agreement (§ 29), Comfort Letter (§ 34), Disclosure und Legal Opinion (§ 35) nach internationalen Standards durchgesetzt, wenngleich einige kleinere deutsche Banken weniger strenge Dokumentationsanforderungen akzeptieren und dies partiell sogar als Wettbewerbsvorteil in der Mandatsakquisition einsetzen. Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 67
2.21
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
2.22 Zumindest bei Business und Financial Due Diligence haben sich bisher noch keine einheitlichen Standards herausgebildet, so dass je nach begleitender Bank, Transaktionsart und Emittent ein unterschiedlich umfangreicher Prüfungsprozess durchlaufen wird. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Sektor Teams der Investmentbanken zu, da bei diesen Teams das industriespezifische Knowhow liegt, das für die Qualität der Due Diligence ausschlaggebend ist. Besonders bei prospektpflichtigen Transaktionen (vor allem bei Börsengängen) ist der Umfang des Due Diligence Prozesses am höchsten und erfordert einen hohen Arbeitsaufwand für alle Parteien. Die Heranziehung von externen Beratern ist dabei oftmals Gegenstand kontroverser Diskussionen. Während sich auf der juristischen Seite die Mandatierung internationaler Anwaltskanzleien jeweils für den Emittenten und die Banken durchgesetzt hat, werden zusätzliche Wirtschaftsprüfer oder sonstige externe Sachverständige für die Business und Financial Due Diligence (z.B. Marktforschungsinstitute zur Quantifizierung von Marktvolumina und -stellung) nur in besonderen Fällen herangezogen. Gerade auf Seite des Emittenten sind die Ressentiments gegenüber weiteren externen Beratern aufgrund der zusätzlichen Kosten und Koordinationserfordernisse oftmals recht ausgeprägt.
3. Emissionskonzept a) Art des Angebots
2.23 Für die optimale Vermarktung einer Emission bildet die richtige Strukturierung des Angebots einen der zentralen Erfolgsfaktoren. Hierbei kommt sowohl ein öffentliches Angebot in Deutschland unter Einbeziehung von Privatanlegern in Verbindung mit einer Privatplatzierung bei internationalen institutionellen Investoren als auch eine ausschließliche Privatplatzierung bei institutionellen Investoren zumeist mit Fokus auf Europa in Betracht. Eine zusätzliche Nachfragekomponente durch die Einbeziehung einer Privatplatzierung in den USA bei sog. „QIBs“ (qualified institutional buyers) gemäß Rule 144A unter dem US Securities Act von 1933 hat sich bei zahlreichen Aktienplatzierungen als entscheidender Erfolgsfaktor erwiesen. Die Entscheidung über die Einbeziehung einer 144A-Platzierung in das Emissionskonzept muss jedoch unter Berücksichtigung einer Kosten-Nutzen-Analyse bei jeder Transaktion individuell und zeitnah vor der Platzierung entschieden werden. Dies erfordert eine gute Markt- und Investoreneinschätzung durch die begleitenden Investmentbanken. Zahlreiche führende US-Investoren können grundsätzlich über ihre jeweiligen ausländischen Tochtergesellschaften (i.d.R. via London) an rein europäischen Platzierungen teilnehmen, jedoch mit deutlich weniger Volumen, da somit nicht alle Fonds dieser US-Investoren Aktien in ihr Depot aufnehmen können. Die Bedeutung der Privatanleger als Nachfragekomponente für deutsche Aktienemissionen hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Aufgrund der geringeren Flexibilität, dem längeren Zeitraum, in dem die Emission einem Marktänderungsrisiko ausgesetzt ist und den höheren Kosten sind öffentliche Angebote mittlerweile fast nur noch bei IPOs und Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht zu beobachten. Dass die Aktien im Rahmen des Börsengangs häufig in einem zweiten EU-Land öffentlich angeboten werden, dient jedoch i.d.R. der Vereinfachung der Dokumentation. Es ist dadurch ausreichend, einen englischsprachigen Prospekt mit deutscher Zusammenfassung zu veröffentlichen. b) Herkunft der Aktien
2.24 Bei Aktienemissionen kann sich das Angebot grundsätzlich entweder auf bestehende oder auf neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung beziehen. Emissionen mit einer Kombination
68 | Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson
Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
sind möglich und kommen insbesondere bei IPOs häufig vor. Für die Vermarktung spielt die Herkunft der Aktien aufgrund ihres Einflusses auf die Equity Story bzw. den Investment Case eine zentrale Rolle. Bei einer Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe neuer Aktien erwartet der Kapitalmarkt eine überzeugende Aussage zur konkreten Mittelverwendung. Die Rentabilität der geplanten Mittelverwendung hat aufgrund der Kapitalerhöhung direkten Einfluss auf eine mögliche Gewinnverwässerung pro Aktie. Ohne klar kommunizierte Verwendung des Emissionserlöses kann es zu einer negativen Reaktion des Kapitalmarktes kommen, in Abhängigkeit vom Volumen der Transaktion und z.B. des M&A Track Records der Emittentin. Zudem können vermeintlich überkapitalisierte Gesellschaften schnell Ziel von Übernahmen werden. Bei der Abgabe von bestehenden Aktien durch einen Großaktionär hingegen können beispielsweise die Fokussierung des Beteiligungsportfolios oder etwaige einhergehende Veränderungen in der Geschäftsbeziehung beider Parteien für den Kapitalmarkt ausreichend akzeptable Verkaufsgründe darstellen, um ausschließlich die künftige operative Performance der Gesellschaft in das Zentrum der Equity Story zu stellen. Gerade bei der Abgabe von Finanzinvestoren wird der Verkauf ihrer Beteiligungen über die Börse mittlerweile zunehmend als ein natürlicher Schritt angesehen12. Bei einer Aktionärsstruktur mit weiteren Großaktionären können seitens der Investoren kritische Fragen zu möglichen weiteren Blockverkäufen aus dem Aktionärskreis aufkommen, denen vorab pro-aktiv entgegengewirkt werden sollte. Die Beseitigung eines immanenten Aktienüberhangs durch eine Platzierung (ggf. in Verbindung mit einer Lock-up Vereinbarung hinsichtlich der verbleibenden Aktien) kann jedoch auch ein starkes positives Momentum für die entsprechende Emission sein und den weiteren Kursverlauf der Aktie im Sekundärmarkt positiv beeinflussen.
2.25
Eine gewisse Zwischenstellung nimmt die Veräußerung von eigenen Aktien der Gesellschaft (treasury stocks) ein, da hierbei zwar keine neuen Aktien entstehen, der Mittelzufluss aber der Gesellschaft vollständig zugutekommt, das Eigenkapital erhöht und die eigenen Aktien bei der vorherigen Berechnung wichtiger Aktienkennzahlen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis meist von den ausstehenden Aktien abgezogen wurden. Diese Transaktion ist somit wirtschaftlich einer Kapitalerhöhung im Wesentlichen gleichgestellt. Die platzierten Aktien müssen jedoch nicht zum Handel zugelassen werden, da sie üblicherweise bereits zugelassen sind (z.B. wenn die Aktien zuvor im Markt zurückkauft und nicht eingezogen wurden).
2.26
Bei Börsengängen präferiert der Markt i.d.R., dass ein möglichst hoher Anteil der zu platzierenden Aktien aus einer Kapitalerhöhung stammt, somit die Erlöse dauerhaft im Unternehmen verbleiben und zum Wachstum der Gesellschaft beitragen, es sei denn die Gesellschaft verfügt bereits vor dem Börsengang über eine optimale Kapitalisierung.
2.27
c) Aktienart und -gattung Unter Vermarktungsgesichtspunkten besteht kein Unterschied zwischen einem Angebot von Inhaber- und Namensaktien. Selbst vinkulierte Namensaktien, welche insbesondere noch bei deutschen Versicherungs- und Fluggesellschaften anzutreffen sind, stellen grund12 Z.B. Evonik Industries AG – IPO im April 2013 und anschließende Umplatzierungen durch CVC-Capital im März, Mai, Juli und November 2015, sowie im Mai 2016; KION GROUP AG – IPO im Juni 2013 und anschließende Umplatzierungen durch Goldman Sachs Capital Partners und KKR im Januar, Juni und November 2014, sowie Februar und März 2015; Delivery Hero – IPO im Juni 2017 und anschließende Umplatzierung durch Luxor Capital Group im Januar 2018.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 69
2.28
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
sätzlich kein Hindernis bei der Vermarktung dar, da mit den Zustimmungs- und Einschränkungsrechten i.d.R. derart umgegangen wird, dass sie den täglichen elektronischen Börsenhandel nicht behindern und es praktisch zu keinem Widerspruch bei der Übertragung von Aktien kommt.
2.29 Bei der Vermarktung von Vorzugsaktien differenzieren die Investoren in Abhängigkeit
der Größe des Unternehmens, dem Volumen des Streubesitzes, der Existenz von dominierenden Aktionären, dem Dividendenvorteil und der Corporate Governance. Bei kleineren Emittenten kann sich der Ausschluss des Stimmrechts negativ auf das Investoreninteresse auswirken. Zahlreiche Gesellschaften, die historisch bedingt über Vorzugsaktien verfügten, haben schließlich ihre Vorzugsaktien abgeschafft. Seit einigen Jahren liegt der Anteil der Unternehmen im HDAX13, die diese Aktiengattung (s. nachfolgende Analyse) teilweise in Kombination mit ebenfalls börsennotierten Stammaktien haben, nur noch bei einer Größenordnung von ungefähr 10 %. Jedoch existieren insbesondere bei Großunternehmen zahlreiche Beispiele, dass das fehlende Stimmrecht nur begrenzten Einfluss auf die Bewertung durch Investoren hat14. 26 %
12 %
1998 74 %
Stamm- und Vorzugsaktien
10 %
8%
2003 88 %
2007
10 %
2012 92 %
90 %
2017 90 %
Nur Stammaktien
Quelle: HSBC
Der letzte deutsche Börsengang, bei dem Vorzugsaktien emittiert wurden, war das IPO der Schaeffler AG in 2015. Im Rahmen dieser Transaktion wurden lediglich stimmrechtslose Vorzugsaktien platziert und gelistet, während die Stammaktien und somit 100 % der Stimmrechte nicht gelistet wurden und im Familienbesitz blieben. Während einige Investoren stets Vorbehalte gegenüber dieser Struktur haben, kommt es vor allem auf die Historie der Gesellschaft und Gesellschafterfamilie an, um bei Investoren das Vertrauen für eine langfristige zukünftige Entwicklung der Gesellschaft zu gewinnen. Bei Privatisierungen und Börsengängen von Gesellschaften in Familienbesitz werden regelmäßig alternative Strukturen diskutiert, mit denen die Altgesellschafter eine (teilweise) Monetisierung ihrer Anteile bzw. eine weitere Finanzierung des Wachstums realisieren können, ohne die Kontrolle durch eine mögliche Verwässerung zu verlieren. Neben möglichen Strukturen wie z.B. einer Struktur mit Vorzugs- und Stammaktien ist auch die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)15 eine viel diskutierte Alternative. d) Streubesitz
2.30 Die Höhe des Streubesitzes (free float) spielt eine große Rolle bei der Bewertung einer Aktie, da zwischen Free Float und Liquidität einer Aktie eine signifikant positive Korrelation
13 Der HDAX umfasst die Werte aller 110 Unternehmen des DAX, MDAX und TecDAX. 14 Z.B. handeln die Vorzugsaktien der Henkel AG & Co. KGaA und der Sartorius AG aufgrund des höheren Free Float über den Stammaktien der gleichen Gesellschaft. 15 So z.B. gewählt beim Börsengang der DWS Group GmbH & Co. KGaA in 2018.
70 | Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson
Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
besteht. Die Marktkapitalisierung des Free Float und das Handelsvolumen bilden die entscheidenden Kriterien für die Aufnahme einer Aktie in einen Index (s. Rz. 2.32). Die Bedeutung des Free Float für die Attraktivität einer Aktie kann dazu führen, dass das Ziel einer entsprechenden Verbreiterung des Streubesitzes oftmals als zusätzlicher zentraler Investment Case für eine Aktienplatzierung herangezogen wird. Institutionelle Investoren investieren regelmäßig nur in solche Aktien, die sowohl eine ausreichende Liquidität als auch eine kritische Größe bei der Marktkapitalisierung des Free Float aufweisen. e) Halteverpflichtung Investoren erwarten bei Aktienemissionen regelmäßig eine Halteverpflichtung (Lock-up), um vor etwaigen negativen Kurseffekten durch unmittelbar folgende Verkäufe geschützt zu sein. Hierbei wird sowohl eine weite Formulierung der Halteverpflichtung (z.B. Einbeziehung von Derivaten) als auch ein breiter Kreis der sich Verpflichtenden (Gesellschaft sowie Großaktionäre) präferiert. Ein Lock-up sollte unter Marketinggesichtspunkten i.d.R. mindestens drei bis sechs Monate betragen. Bei Börsengängen kann eine längere Verpflichtung der Altaktionäre und im Besonderen des Managements die Aufnahmebereitschaft der Investoren deutlich fördern. Zu unterscheiden ist zwischen „Hard Lock-up“ und „Soft Lock-up“-Vereinbarungen, wobei Letztere sich zunehmend als Marktstandard etabliert haben. Bei einem Soft Lock-up kann der Bookrunner in bestimmten Fällen (z.B. Finanzierung einer wertgenerierenden Akquisition oder bei einer sehr positiven Aktienkursentwicklung) einer vorzeitigen Aufhebung der Halteverpflichtung zustimmen.
2.31
f) Bedeutung einer Indexzugehörigkeit Die Attraktivität einer Aktie steigt mit der Aufnahme in einen Aktienindex. Dies geht primär zurück auf ein gesteigertes Investoreninteresse durch die zunehmende „Benchmark“Orientierung vieler institutioneller Investoren. Zahlreiche Fonds bilden einen bestimmten Index, welchen sie zuvor als ihre „Benchmark“ festgelegt haben, zu einem ganz überwiegenden Teil nach. Eigene Kauf- und Verkaufsentscheidungen limitieren sich auf ein Mindestmaß, um den sog. „Tracking Error“, also die Abweichung vom Benchmarkindex, möglichst gering zu halten. Passive Fonds, auch Indexfonds genannt, verzichten praktisch gänzlich auf eigene Anlageentscheidungen und bauen einen bestimmten Index komplett nach. Darüber hinaus ergeben sich durch eine Indexaufnahme positive Imageeffekte für die Gesellschaft, die i.d.R. zu einer deutlich erhöhten Kapitalmarkt-Visibilität bei Wirtschaftspresse und Research-Analysten führen. Die gestiegene Visibilität der Aktie zieht wiederum ein verstärktes Interesse auch von Seiten der Retailinvestoren nach sich. Eine mögliche Indexaufnahme (oder die Verhinderung eines Herausfallens aus einem Index) durch Erhöhung des Free Floats und der Liquidität einer Aktie kann insofern ein weiteres Motiv für die Platzierung bestehender oder neuer Aktien sein.
2.32
g) Emissionskonsortium Die richtige Auswahl der transaktionsbegleitenden Bank(en) ist insbesondere bei großvolumigen und komplexen Aktienemissionen eine wichtige Voraussetzung für den Gesamterfolg der Transaktion. Den buchführenden Konsortialführern (meist Global Coordinator oder Bookrunner genannt) kommt aufgrund ihrer dominierenden Rolle bei der Strukturierung und Koordination des Prozesses dabei die entscheidende Bedeutung zu. Sowohl nachrangig folgende Co-Bookrunner, (Senior) Co-Lead Manager, als auch Co-Manager haSchäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 71
2.33
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
ben, unabhängig von ihrer Underwriting-Quote, kaum Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesamttransaktion und werden i.d.R. nur recht begrenzt Nachfrage generieren können, da institutionelle Investoren in einem Bookbuilding-Verfahren ihre Order meist direkt an den oder die Bookrunner geben und die weiteren Syndikatsbanken i.d.R. primär über ihr Marketing Mehrwert für die Transaktion schaffen. Für die Auswahl des Konsortialführers kommen zahlreiche Kriterien, wie z.B. nachgewiesene Expertise bei vergleichbaren Transaktionen, internationale Platzierungsstärke bei allen relevanten Anlegergruppen und eine entsprechende Research-Kredibilität in Frage. Bei Blocktrades wird oftmals der League Table Position der Investmentbanken, ihrem Anteil am Handelsvolumen in der zu platzierenden Aktie und insbesondere ihrer Risikobereitschaft hinsichtlich einer Preisgarantie eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Häufig werden diese Mandate im Rahmen einer Auktion an die Bank(en) vergeben. D.h. auf Basis einer weitgehend standardisierten Dokumentation bzw. bereits vorab abgestimmter Verträge werden verschiedene Banken kurz vor der geplanten Platzierung vertraulich angesprochen. Die selektierten Banken werden aufgefordert, ein Gebot hinsichtlich des Backstop-Preises (vgl. Rz. 2.42) bzw. des garantierten Preises bei einem Bought Deal abzugeben. Die Bank(en) mit dem höchsten Gebot und der besten Platzierungsexpertise erhält bzw. erhalten dann den Platzierungsauftrag.
2.34 Während bei großvolumigen IPOs und Privatisierungen aufgrund der besonderen politischen
Komponente noch die größten Konsortien anzutreffen sind, werden zahlreiche Secondary Offerings unabhängig von der Transaktionsgröße von einem recht kleinen Syndikat oder von einer einzigen Bank begleitet. h) Transaktionsarten/Underwriting aa) Vollvermarktete Platzierung
2.35 Eine vollvermarktete Emission ist die Transaktionsart mit den umfangreichsten Vermarktungsaktivitäten und beinhaltet unter Umständen auch eine gezielte PR-Kampagne des Emittenten, Investor Education Aktivitäten der Banken, eine mehrtägige, zumeist einbis zweiwöchige Management-Roadshow und die Ordergenerierung durch ein (meist) paralleles Bookbuilding. In aller Regel handelt es sich bei einer vollvermarkteten Platzierung um ein öffentliches Angebot, wodurch die Einbeziehung von Retailanlegern ermöglicht wird, und erfordert dementsprechend einen Prospekt. bb) Accelerated Bookbuilding
2.36 Das „Accelerated Bookbuilding“ ist ein Schnellverfahren zur Aktienplatzierung und stellt
eine flexible Sonderform des Bookbuilding-Prozesses dar (vgl. Rz. 2.52). In Abhängigkeit von dem Angebotsvolumen und der Aufnahmebereitschaft der Investoren kann das Orderbuch in einem Accelerated Bookbuilding theoretisch bereits nach wenigen Minuten geschlossen werden. Üblicherweise ist es jedoch auch bei einer sehr erfolgreich verlaufenden Transaktion mindestens eine Stunde geöffnet, um allen Investoren eine Chance auf Teilnahme einzuräumen. Mehrtägige Accelerated Bookbuildings sind relativ selten und werden i.d.R. nur bei sehr großen Platzierungen, die auch eine Einbindung von US-Investoren beinhalten, herangezogen. Ziel des Accelerated Bookbuilding ist es, mit höchster Flexibilität auf ein sich kurzfristig öffnendes zeitliches Fenster („per Knopfdruck“) reagieren zu können und den Kursdruck auf die Aktie durch die zügige Abwicklung zu minimieren.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
cc) Agency Trade Bei einem Agency Trade fungiert die Investmentbank im Hintergrund, indem sie für den Verkäufer über eine bestimmte Zeit in Abhängigkeit von der Liquidität und relativen Stärke der Aktie kleinere Blöcke des Gesamtpakets in den Markt gibt. Ein Agency Trade läuft i.d.R. sehr diskret ab und kann von dem Verkäufer auf täglicher Basis mitgesteuert werden. Nachteilig wirkt sich für den Veräußerer beim klassischen Agency Trade der ungewisse Gesamtpaketpreis und die lange Veräußerungsphase von oftmals mehreren Wochen bzw. Monaten aus. Des Weiteren müssen Aktienanzahl und Liquidität in einem angemessenen Verhältnis stehen, so dass sich meist nur „Blue Chip“-Werte für einen Agency Trade in nennenswertem Volumen eignen. Dieses Geschäft ist sehr stark handelsorientiert und unterscheidet sich daher in der Einbindung der Investmentbank und sonstiger Berater sowie etwaiger Due Diligence Anforderungen deutlich von allen anderen aufgezeigten Transaktionsarten.
2.37
dd) Einbindung derivativer Strukturen Die Einbindung von derivativen Produkten wie Optionen oder Umtauschanleihen kann dem Verkäufer eine gezielte Feinsteuerung seines Verkaufes ermöglichen. Die individuelle Motivlage und konkrete Ausgestaltung derivativer Strukturen sind mannigfaltig. Liegt der aktuelle Aktienkurs beispielsweise unter der Mindestpreisvorstellung des Verkäufers, kann durch eine partielle Platzierung der zum Verkauf stehenden Aktien – verbunden mit dem gleichzeitigen Verkauf einer Call-Option mit einem höheren Basispreis für die nicht direkt platzierten Aktien – der Mindestverkaufskurs für das gesamte Paket (Ausübung der CallOption unterstellt) erreicht werden. Der Verkäufer vereinnahmt in jedem Fall die entsprechende Optionsprämie und hat die Chance, die unterliegenden Aktien in Abhängigkeit von dem künftigen Börsenkurs zu einem höheren Preis zu veräußern.
2.38
Neben dem Erreichen einer Mindestpreisvorstellung geht eine gleichzeitige Platzierung von Aktien und Begebung einer Umtauschanleihe in Aktien derselben Gesellschaft (combined offering) oftmals auf eine zu geringe Liquidität der Aktie im Verhältnis zu der Gesamtzahl der zu veräußernden Aktien zurück. Mit einem Combined Offering können unterschiedliche Investorengruppen (Equity, Fixed Income, Equity-linked und Hedgefonds Investoren) angesprochen, eine höhere Gesamtnachfrage generiert und i.d.R. der Kursdruck auf die Aktie insgesamt reduziert werden.
2.39
ee) Exkurs: Dual Track Ein sog. Dual Track, also die parallele Vorbereitung sowohl einer Aktienplatzierung als auch einer M&A-Transaktion für den Verkauf eines Unternehmens bzw. eines großen Anteilspakets, ist eine besondere Herausforderung für die beteiligten Banken und erfordert weit höhere Abstimmungstätigkeiten als eine entsprechende alleinige Aktienplatzierung. Dual Tracks können sowohl bei IPOs als auch bei Sekundärplatzierungen auftreten. Sind für die beiden konkurrierenden Produkte (Aktienemission und M&A) unterschiedliche Banken mandatiert, steigert dies den Erfolgs- und Zeitdruck der Banken zusätzlich, birgt aber gleichzeitig die Gefahr, dass eine objektive Beratung durch Interessenkonflikte der Investmentbanken erschwert wird. Zusätzlich gestaltet sich die Synchronisierung der beiden Prozesse deutlich schwieriger und gefährdet damit den eigentlichen Mehrwert der parallelen Prozesse. Auch eine konsistente Datenaufbereitung, Kommunikation und Nutzung von einzelnen Synergien zwischen den Prozessen, z.B. bei der Due Diligence oder Erstellung des Informationsmemorandums/des Prospekts, werden erschwert. ÜberSchäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 73
2.40
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
wiegend arbeiten deshalb die mandatierten Banken bei Dual Tracks gleichberechtigt an beiden Transaktionssträngen (zu den Einzelheiten s. § 4 A). i) Struktur des Risikotransfers aa) Bought Deal
2.41 Bei einem Bought Deal kauft die Investmentbank dem Verkäufer sein Aktienpaket zu ei-
nem grundsätzlich vertraulich vereinbarten festen Preis ab, unabhängig von der späteren Verwertung am Markt. Das Wiederveräußerungsrisiko, aber auch das gesamte „Upside“Potenzial, liegen bei der Bank. Dieses Geschäft besitzt für die Investmentbanken besondere Attraktivität aufgrund der meist kurzen Transaktionsdauer, geringen Vorbereitungsarbeit und der beachtlichen Gewinnmarge im Erfolgsfall bei gleichzeitig hoher Reputationswirkung (League Table Position). Auf der anderen Seite ist dieses Geschäft sehr wettbewerbsintensiv geworden mit Garantiepreisen nahe am Marktkurs, wodurch es zu einem der riskantesten und teilweise verlustträchtigsten Geschäftsfelder für die Investmentbanken geworden ist. Bought Deals sind überwiegend im Bereich der Platzierung bestehender Aktienpakete über ein Accelerated Bookbuilding anzutreffen und werden oftmals als „Overnight“-Auktionen vom Verkäufer strukturiert. bb) Backstop
2.42 Bei einer Backstop-Struktur garantiert die Investmentbank dem Verkäufer bzw. Emittenten einen Mindestpreis für die zur Platzierung anstehenden Aktien bei gleichzeitiger Partizipation des Verkäufers am „Upside“-Potenzial (sog. „Upside Sharing“, üblicherweise mit hohem Anteil zugunsten des Verkäufers). Die Bank ist durch eine mit dem finalen Platzierungspreis steigende Provision incentiviert, einen möglichst hohen Verkaufspreis am Markt zu erzielen. Backstop-Strukturen sind überwiegend im Bereich von Platzierungen über ein Accelerated Bookbuilding anzutreffen, sowohl bei bestehenden Aktienpaketen als auch bei prospektfreien Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechtes. Hinsichtlich der Höhe des Backstop-Preises wird zumeist Vertraulichkeit vereinbart, um eine Präjudizierung des Marktes zu vermeiden.
2.43 Vollvermarktete Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht, bei denen die konsortialführenden
Investmentbanken dem Emittenten im Rahmen eines „Hard Underwriting“ den Bezug der neuen Aktien zu einem Mindestbezugspreis garantiert, verbunden mit der Möglichkeit einer späteren Anhebung dieses Mindestbezugspreises unmittelbar vor Beginn der Bezugsperiode, sind streng genommen eine Unterform der Backstop-Struktur. cc) Best-effort
2.44 Bei einer Best-effort-Struktur erfolgt regelmäßig kein Risikotransfer zwischen Verkäufer
und Investmentbank. Die konsortialführenden Investmentbanken sind bei dieser Transaktion insofern regelmäßig durch eine mit dem finalen Platzierungspreis steigende Provision incentiviert, einen möglichst attraktiven Verkaufspreis für den Verkäufer bzw. Emittenten am Markt zu erzielen. IPOs und vollvermarktete Sekundärplatzierungen sind klassische Beispiele für Best-effort Strukturen, gleichzeitig sind jedoch auch Best-effort-Strukturen bei Accelerated Bookbuildings bestehender Aktien sowie bei Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht weit verbreitet. Somit bleibt nur das sog. Settlement Risiko bei der Bank, d.h. das Kontrahentenrisiko zwischen zeichnenden Investoren und der Bank.
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4. Vermarktungsprozess/Platzierung a) Bestimmung der Zielinvestorengruppen Bei einer Aktienemission sollte die Investmentbank möglichst früh im Prozess konkrete Zielinvestorengruppen definieren und ihre Vermarktungsaktivitäten konsequent daran ausrichten. Üblicherweise orientiert sich die Investmentbank bei der Bestimmung der Zielgruppen an den Kerninvestoren von Vergleichsunternehmen sowie dem geplanten Platzierungsvolumen. Darüber hinaus kann eine besondere Interessenlage des Emittenten berücksichtigt werden, wenn beispielsweise eine verstärkte Verankerung der Aktie in bestimmten Ländern angestrebt wird. In den letzten Jahren haben sich verschiedene europäische Unternehmen für einen Börsengang im Ausland entschieden. Neben der Erhöhung des Bekanntheitsgrades in den für das jeweilige Unternehmen wichtigen Absatzmärkten ist meist auch ein besseres IPO-Umfeld in der entsprechenden Region ausschlaggebend gewesen16. Eine Einbeziehung von (deutschen) Retailanlegern im Rahmen eines öffentlichen Angebots oder US-Investoren hat die weitreichendsten Konsequenzen für die Ausgestaltung des Angebots und muss entsprechend frühzeitig eingeplant werden, da sie jeweils besondere Dokumentationserfordernisse nach sich zieht. Bei einer Bezugsrechtsemission spielen die bestehenden Aktionäre der Gesellschaft eine besondere Rolle als Zielgruppe. Meist finden – unter Berücksichtigung der Insider-Thematik – im Vorfeld der Transaktion Sondierungen über das entsprechende Bezugsverhalten der Großaktionäre statt. Für die emissionsbegleitenden Banken gilt es hierbei vor allem, die gesetzlichen Regelungen unter MAR und MiFID II zu beachten.
2.45
b) Emissionszeitpunkt Mit zunehmender Volatilität der Märkte, kürzer werdenden Sektorzyklen und schnellerer Sektorrotation im Anlageverhalten internationaler Investoren gewinnt das richtige Timing einer Aktienemission entscheidend an Bedeutung. Unternehmen in zyklischen Branchen, wie z.B. der Stahlerzeugung, der Chemie oder dem Finanzsektor, sind beispielsweise besonders anfällig für kurzfristige Veränderungen des Marktsentiments, wodurch eine bis dato erfolgversprechende Emission eine Woche später praktisch undurchführbar werden kann. Die Abschätzung des richtigen zeitlichen Fensters für die Emission und die gezielte Nutzung eines günstigen Marktumfeldes zeichnen eine erfolgreiche Investmentbank aus. Durch die zunehmend hohe Liquidität im Markt hat auch die Volatilität abgenommen und die Märkte wurden entsprechend weniger anfällig für makroökonomische Trigger Events (wie z.B. der BREXIT). In diesen Marktphasen haben Emittenten und Investmentbanken insofern eine deutlich höhere Flexibilität, was die Exekution von Eigenkapitalemissionen angeht. Weiterhin zu beachten sind sog. „Quiet Periods“ vor Veröffentlichung von Jahres-, Halbjahres- und Quartalsberichten, in denen keine Platzierungen im Markt erfolgen sollten.
2.46
c) Research Reports Aktienemissionen können grundsätzlich sowohl mit als auch ohne „dealbezogenen“ Research Reports der Investmentbanken durchgeführt werden. Während im Gegensatz zu den USA Börsengänge in Europa regelmäßig mit entsprechenden begleitenden Analysen der Kon16 Beispiele sind die IPOs von Elster Group SE in den USA (2010), L’Occitane International S.A. in Hong Kong (2010), Prada S.p.A. in Hong Kong (2011) sowie X-FAB Silicon Foundries SE in Frankreich (2017).
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 75
2.47
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
sortialbanken vermarktet werden, findet dieses Instrument aufgrund der zunehmenden Verschärfung der rechtlichen Richtlinien (z.B. Blackout-Regelung) bei vollvermarkteten Kapitalerhöhungen und Sekundärplatzierungen mittlerweile kaum noch Verwendung. Insbesondere bei „Blue Chip“-Werten behindert das Fehlen dealbezogener Research-Studien den Vermarktungsprozess nicht, da die Investoren mit dem Investment Case i.d.R. ausreichend vertraut sind. d) Pre-Deal Investor Education
2.48 Das Marketing der Banken direkt im Vorfeld des IPOs, auch „Pre-Deal Investor Educati-
on“ (PDIE) genannt, hat zum Ziel, erste Vermarktungsschritte für die Aktie unmittelbar vor Schaltung des offiziellen Angebots einzuleiten und eine möglichst genaue Investoreneinschätzung zum „fairen“ Preis der Aktie und zum möglichen Nachfragevolumen der jeweiligen Investoren zu erlangen. Die PDIE wird durch die Sales Force und die Research Analysten der beteiligten Banken hauptsächlich auf Basis der Research Reports vorgenommen. Ansprechpartner sind internationale institutionelle Investoren. Das so gewonnene Feedback fließt in die Preisspanne des Bookbuildings und in die Planung der Roadshow ein.
2.49 Je nach Marktlage und IPO-Kandidat hat sich das vorgeschaltete Pre-Sounding (auch
Pilot Fishing genannt) als erste Vorstufe der Vermarktung in der Praxis bewährt. Ziel des Pre-Sounding ist ein frühzeitiger Dialog mit wenigen ausgewählten Investoren hinsichtlich des Geschäftsmodells und der Positionierung sowie eine erste Markteinschätzung zur Bewertung. Das Pre-Sounding basiert ausschließlich auf später im Prospekt veröffentlichten Informationen. Das Pre-Sounding kann sowohl vom Management in „One-on-One“ Meetings als auch von mit dem Investment Case sehr gut vertrauten Investmentbankern durchgeführt werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass das Feedback hinsichtlich der Positionierung und des Sektor-Appetits i.d.R. sehr aussagekräftig ist. Zur späteren Bewertung der Aktie kann das Pre-Sounding zumeist jedoch nur erste Indikationen liefern.
2.50 Teilweise wird das unverbindliche Pre-Sounding der Investoren ersetzt bzw. ergänzt durch
die Suche nach Anchor – oder Cornerstone Investoren, die auch im Vorfeld der öffentlichen Vermarktung angesprochen werden, aber frühzeitig konkrete Zeichnungen abgeben sollen. e) Roadshow
2.51 Im Rahmen einer durch die Investmentbanken organisierten dealbezogenen Roadshow präsentiert das Management der Gesellschaft, dessen Aktien platziert werden sollen, ihr Unternehmen vor internationalen Investoren. Sowohl im Rahmen von Gruppenpräsentationen als auch in sog. „One-on-One“ Gesprächen erläutert das Management sein Geschäftsmodell und wirbt mit der Equity Story für die laufende Emission. f) Preisermittlungsverfahren aa) Bookbuilding-Verfahren
2.52 Anhand des Bookbuilding-Verfahrens werden die Kauforders der Investoren unter Be-
rücksichtigung der konkreten Mengen- und Preisvorstellungen in einem (elektronischen) Orderbuch gesammelt und zu einem einheitlichen Preis zugeteilt. Der Grundgedanke die-
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
ses Verfahrens ist es, die Investoren in die Preisfindung einzubeziehen und somit Preis und Volumen marktgerecht zu optimieren. Dem Bookrunner kommt im Rahmen des Bookbuilding neben der Sammlung der Orders die zentrale Rolle bei der Analyse der Nachfrage mit anschließender Preisfindung und Zuteilung zu. Bei einem IPO wird eine auf Basis des Investor Education-Feedbacks ermittelte Preisspanne vorgegeben, die aufgrund des noch fehlenden Marktpreises mit durchschnittlich 15–20 % im Vergleich zu einer Sekundärplatzierung wesentlich breiter gefasst ist. Bei Sekundärplatzierungen muss der Bookrunner nicht zwingend eine feste Preisspanne vorgeben, sondern kann sich auf einen Mindestpreis beschränken oder ganz auf eine Präjudizierung des Marktes verzichten. bb) Festpreisverfahren Das Festpreisverfahren war jahrelang die klassische Platzierungs- und Preisermittlungsmethode bei deutschen Börsengängen. Es ist jedoch seit Mitte der 1990er Jahre fast vollständig durch das Bookbuilding-Verfahren abgelöst worden und nur noch vereinzelt bei IPOs am deutschen Kapitalmarkt anzutreffen17. Obgleich auch im Rahmen des Festpreisverfahrens eine Feinabstimmung durch entsprechende Pre-Marketing-Aktivitäten möglich ist, erfordert die vorab erfolgte exakte Festschreibung des Emissionspreises eine „Punktlandung“. Der zentrale Nachteil dieses Verfahrens ist daher seine erheblich geringere Flexibilität. Auch wiegt der von Befürwortern des Verfahrens aufgeführte, vermeintliche psychologische Vorteil einer festen Preisvorgabe (gegenüber der „Unsicherheit“ einer Preisspanne) den Vorteil des Bookbuildings, den Preis am Ende des Prozesses innerhalb der vorgegebenen Spanne variabel an die Nachfrage anpassen zu können, nicht annähernd auf. Vereinzelt ist das Festpreisverfahren auch bei einem „notleidenden“ IPO als Alternative zu einer Herabsetzung der Preisspanne zu beobachten gewesen18.
2.53
cc) Auktionsverfahren Im Rahmen des Auktionsverfahrens wird der Ausgabepreis wie bei einer Versteigerung ermittelt, wobei es sehr unterschiedliche konkrete Gestaltungsformen gibt. Im Bereich von IPOs kam das Auktionsverfahren in Deutschland bisher nur bei sehr wenigen Börsengängen zur Anwendung19. Problematisch bei diesem Verfahren ist, dass zwar der kurzfristig maximale, aber nicht zwangsläufig der „richtige“ Gleichgewichtspreis ermittelt wird. Eine gezielte Steuerung der Zuteilung im Hinblick auf eine stabile Aktionärsstruktur und Generierung von Kaufinteresse im Sekundärmarkt durch bewusste Unterzuteilung an institutionellen Investoren, um diese zu weiteren Käufen im Sekundärmarkt zu veranlassen, kann nicht dargestellt werden, da die Qualität der Investoren unberücksichtigt bleibt. Die Gefahr eines „Overpricings“ mit entsprechend negativem und stark volatilem Kursverlauf im Nachmarkt (after-market) ist insofern sehr hoch20.
17 So z.B. bei dem IPO der Naga Group AG im Juni 2017. 18 So z.B. bei dem letztendlich gescheiterten IPO der Nordsee AG im Juni/Juli 2001. 19 So beim IPO der Trius AG im März 2000 und beim IPO der Hydrotec Gesellschaft für Wassertechnik AG im September 2001. 20 Nicht zuletzt deshalb wurde in dem Prospekt des im Rahmen eines modifizierten Auktionsverfahrens strukturierten IPOs der Google Inc. (August 2004) explizit auf die einhergehenden substanziellen Preisrisiken hingewiesen.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 77
2.54
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
g) Zuteilung der Aktien
2.55 Die richtige Zuteilung der Aktien im Rahmen des Bookbuilding-Verfahrens ist eine wich-
tige Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung des Aktienkurses im Sekundärmarkt. Dies erfordert eine präzise Kenntnis der Investoren sowie eine Einschätzung zum erwarteten Verhalten jedes Anlegers im After-Market durch den Bookrunner. Berücksichtigung finden somit neben den Preis- und Mengengeboten der Investoren auch die Qualitätseinstufung jedes einzelnen institutionellen Investors mit dem Ziel, die Aktie in einem stabilen Aktionärskreis fest zu verankern, gleichzeitig aber auch eine ausreichende Liquidität im Sekundärmarkt zu ermöglichen. Bei Privatanlegern werden i.d.R. einheitliche Schlüssel verwendet, die durchaus eine Differenzierung zulassen (z.B. Bevorzugung einer bestimmten Region, Frühzeichnerrabatte etc.). Seit Einführung von MiFID II gelten besondere Transparenzpflichten der Banken gegenüber dem Emittenten, die die Zuteilung der Aktien an institutionelle Investoren maßgeblich beeinflussen können. Investmentbanken werden hierdurch verpflichtet, Vorschläge zur Allokation einzelner Investoren und Investorengruppen gegenüber dem Kunden plausibel darzulegen und diese mit dem Emittenten abzustimmen. Hierdurch soll Interessenkonflikten zwischen Bank und Emittent vorgebeugt werden. h) Greenshoe/Mehrzuteilungsoption
2.56 Mittels einer Mehrzuteilungsoption räumt der Emittent bzw. Verkäufer den Konsortial-
banken die Option ein, ein bestimmtes Volumen an Mehrzuteilungen über die Basistransaktion hinausgehend zeitgleich zum Pricing bei Investoren zu platzieren. Marktüblich sind dabei ca. 10–15 % der Basistransaktion. Die Aktien werden i.d.R. durch eine Wertpapierleihe21 eines oder mehrerer Altaktionäre zur Verfügung gestellt, die bei positiver Aufnahme der Emission im Sekundärmarkt nach einer Frist von maximal 30 Tagen entweder durch Zurückführung aus Kapitalerhöhung oder nachträglicher „Umwandlung“ der Leihe in einen Verkauf glattgestellt wird (s. auch Rz. 3.84 f.). Dieses Vorgehen bezeichnet man als „Ziehen bzw. Ausüben des Greenshoe“. Alternativ erfolgt bei Sekundärmarktkursen unterhalb des Platzierungspreises die Rückführung der Leihe durch einen vom Konsortialführer vorgenommenen Rückkauf von Aktien im Rahmen der Marktstabilisierung22. Der Greenshoe ist im internationalen Kapitalmarkt bei Aktienplatzierungen Standard.
IV. Aktienemissionen – Produktarten 1. Initial Public Offering a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses
2.57 Ein IPO ist regelmäßig die planungs- und steuerungsintensivste Aktienemissionsart (s.
auch § 3, § 4). Dies beruht auf der langen Projektlaufzeit von ca. 4–6 Monaten und auf dem vielschichtigen Gesamtprozess inklusive der Erstellung des Prospekts und der Research Reports, Vorbereitung der Managementpräsentation des Unternehmens, Abstimmung der Kommunikationsrichtlinien durch Unternehmen und Konsortialbanken sowie der Ausarbeitung und Umsetzung etwaiger unternehmensspezifischer Mitarbeiterbetei21 Bei genauer juristischer Betrachtung handelt es sich um ein Wertpapierdarlehen. 22 Zum Thema Marktstabilisierung vgl. auch Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 355 ff. (im Zusammenhang mit Block Trades).
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
ligungs-Programme. Der Kreis der beteiligten Personen ist bei einem IPO regelmäßig sehr hoch und erfordert eine entsprechende klare und detaillierte Projektstruktur. b) Dokumentation und Due Diligence Aufgrund der haftungsrechtlichen Komponente des für einen IPO benötigten Prospekts und der Tatsache, dass ein Börsenkandidat i.d.R. in der Vergangenheit nur sehr begrenzt im Fokus des Kapitalmarkts stand, fallen die Anforderungen der Banken an die Qualität der Dokumentation und die Intensität der Due Diligence bei einem IPO tendenziell sehr hoch aus. Dabei bildet die Transparenz und Informationstiefe von bereits gelisteten Wettbewerbern bzw. vergleichbaren Unternehmen mit entsprechend regelmäßiger Finanzkommunikation sowie breiter Research-Coverage den Maßstab, um das Vertrauen des Kapitalmarkts in den IPO-Kandidaten zu gewinnen. Vor dem Hintergrund des Deutsche Telekom III-Urteils ist die Frage der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft oder abgebende Gesellschafter individuell zu prüfen23.
2.58
c) Emissionskonzept Der Börsengang ist ein sehr bedeutender und i.d.R. einmaliger Schritt in der Unternehmensgeschichte. Mit ihm werden die Weichen für die weitere Unternehmensentwicklung insbesondere mit Blick auf die Kapitalbasis und die künftigen Finanzierungsmöglichkeiten gestellt. Durch die Wahl des Emissionskonzeptes und der Zuteilung an die Investoren beim Pricing wird die Aktie entscheidend im Kapitalmarkt verankert. Spätere Korrekturen der Positionierung der Gesellschaft bedürfen tendenziell eines höheren materiellen und immateriellen Aufwandes. Eine solche Repositionierung der Aktie ist meist nur mittels einer Sekundärplatzierung in Verbindung mit einer Aktualisierung und Aufwertung der Equity Story erfolgreich.
2.59
d) Vermarktungsprozess/Platzierung Das Geschäftsmodell und die Strategie eines IPO-Kandidaten ist für den Kapitalmarkt ex ante meist weit weniger visibel als die von bereits gelisteten Gesellschaften. Dementsprechend intensiv gestaltet sich der Vermarktungsprozess mit Pre-Deal Investor Education, Roadshow- und Bookbuilding-Phase. Die breite, aber gleichzeitig gezielte Ansprache aller relevanten Investorengruppen bedarf einer klar definierten Kommunikationsstrategie mit dem Ziel, einen Spannungsbogen aufzubauen. Spätestens bei der Platzierung kommt dabei die Rolle der Investmentbank als Intermediär deutlich zum Tragen. Sie muss bei der Preisfestlegung und der finalen Zuteilung der Aktien zahlreiche unterschiedliche Interessenlagen von Investoren, Gesellschaft und (verkaufenden) Altgesellschaftern in Einklang bringen. So kann beispielsweise eine zu fokussierte Zuteilung an wenige institutionelle Investoren zu Problemen bei der Liquidität der Aktie im Sekundärmarkt führen.
2.60
Beim IPO-Preisbildungsprozess mittels eines Bookbuilding gibt es seit März 2005 ein alternatives Modell24. Das sog. Decoupling-Verfahren entkoppelt den Bookbuilding-Prozess
2.61
23 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem sog. Telekom III-Urteil vom 31.5.2011 eine viel diskutierte Entscheidung gefällt. So muss der abgebende Aktionär bei einer reinen Umplatzierung alter Aktien die Gesellschaft vom Prospekthaftungsrisiko freistellen, das diese im Außenverhältnis gegenüber Anlegern übernimmt. S. hierzu auch Schlitt, CFL 2010, 304; Arbeitskreis, CFL 2011, 377; im Einzelnen Rz. 33.10. 24 Das erste sog. „Decoupled IPO“ war der Börsengang der Conergy AG im März 2005.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 79
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
von dem offiziellen Start der Vermarktung. Im traditionellen Verfahren wird das Bookbuilding zeitgleich mit der Veröffentlichung des Prospekts und dem Beginn der Management-Roadshow auf Basis einer fixierten Preisspanne gestartet. Demgegenüber verschiebt das Decoupled-Verfahren den Beginn des Bookbuildings um einige Tage nach hinten, mit dem Ziel, das erste Feedback von der Roadshow sowie etwaige Marktveränderungen in die Festsetzung der Preisspanne einfließen zu lassen. Ferner sollen längere kritische Diskussionen über die Angemessenheit der Preisspanne in den Medien begrenzt und die Wahrscheinlichkeit einer nachträglichen Anpassung der Preisspanne minimiert werden. Empirische Belege für eine Vorteilhaftigkeit des Decoupling Modells hinsichtlich Pricing und Sekundärmarkthandel lassen sich jedoch nicht ableiten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Stärke des Investment Case, das allgemeine Marktumfeld sowie die Überzeugungskraft des Managements letztendlich die entscheidenden Faktoren für den Erfolg einer Transaktion bleiben.
2.62 Ein weiteres innovatives Modell zur Reduzierung des Transaktionsrisikos für den Emitten-
ten stellt das „Hard Underwritten IPO“ dar25. Bei diesem in der Praxis aber nur selten anzutreffenden Modell garantiert die Bank die Durchführung des Börsengangs zum unteren Ende der Preisspanne vor Beginn der Vermarktung und sendet somit ein starkes Signal in den Markt. Die Bank sichert ihre Risikoposition dabei durch ein Subunderwriting an interessierte Investoren ab. Aufgrund des notwendigen Subunderwriting Prozesses mit anderen Investoren erfordert die Umsetzung jedoch einen hohen Aufwand in der Vorbereitung sowie ein breites Spektrum an liquiden börsennotierten Vergleichswerten. e) Unterstützung nach Notizaufnahme
2.63 Ein Börsengang sollte als erster Schritt des Unternehmens am Kapitalmarkt verstanden
werden, dem bei entsprechender Unternehmensentwicklung weitere folgen werden. Hierfür ist eine nahtlose Aufnahme einer kontinuierlichen Investor Relation-Arbeit der Gesellschaft erforderlich. Gerade bei der Kommunikation mit Investoren oder den Vorbereitungen für die erste Hauptversammlung kann die Investmentbank als Partner zur Seite stehen. Im Sekundärmarkt benötigt die Aktie zur Liquiditätsunterstützung oftmals einen Designated Sponsor, dessen Rolle die begleitende Bank im Allgemeinen übernimmt. Eine regelmäßige und umfangreiche Begleitung der Aktie durch Research-Studien ist ein wichtiger Faktor, kann von den Banken aber aufgrund der Unabhängigkeit der Analysten nicht garantiert werden.
2.64 Aufgrund des zunehmenden Anteils ausländischer Investoren im Aktionärskreis, welche
sehr heterogene und teilweise offensive Strategien verfolgen (u.a. Hedgefonds), steigt der Bedarf an Unterstützung bei der Kapitalmarktkommunikation und der laufenden Analyse der Handelsaktivitäten in der Aktie bei vielen Unternehmen stark an. Darüber hinaus erfordert die Teilnahme am fortlaufenden Handel der Deutschen Börse eine ausreichende Liquidität des Aktienhandels und enge Spreads zwischen Kauf- und Verkaufskursen. Insbesondere Unternehmen mit kleinem Free Float benötigen häufig die Unterstützung eines Market Makers, um die Anforderung zu erfüllen. Hierauf reagierten zahlreiche Banken mit dem Aufbau von Corporate Broking Teams, die diesen insbesondere im UK-Kapitalmarkt verankerten Service auch in Deutschland anbieten.
25 Beispielsweise der IPO der RHM Plc an der London Stock Exchange im Juli 2005.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
2. Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses Eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht weist oftmals eine ähnlich tiefschichtige Projektstruktur wie ein IPO auf (s. auch § 5). Der Gesamtprozess, bei dem sich die Bildung von Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themenfeldern wie Prospekt/Dokumentation, Equity Story und Marketing/Kommunikation empfiehlt, dauert mit i.d.R. 3–4 Monaten nur unwesentlich kürzer als der eines Börsengangs. Aus Vermarktungsgesichtspunkten ist eine Kapitalerhöhung auf Grundlage eines genehmigten Kapitals gegenüber einem Direktbeschluss der Hauptversammlung, der deutliche Nachteile bei der zeitlichen und strukturellen Flexibilität aufweist, grundsätzlich zu bevorzugen26. Kapitalerhöhungen auf Basis eines Direktbeschlusses kommen bei deutschen Publikumsgesellschaften äußerst selten vor und sind meist entweder Teil eines umfangreichen Sanierungs- bzw. Refinanzierungspaketes oder einer sehr großen Akquisitionsfinanzierung.
2.65
b) Dokumentation und Due Diligence Nach der Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU (RL zur Änderung der Prospektrichtlinie) in deutsches Recht und der entsprechenden Anpassung der Verwaltungspraxis der BaFin und Deutscher Börse ist für Bezugsrechtsemissionen im Jahr 2012 eine Verschärfung gegenüber der zuvor in Deutschland herrschenden Praxis eingetreten, die reine Bezugsrechtsemissionen prospektfrei zuließ. Vor dem Hintergrund der europäischen Regelung ist auch für reine Bezugsrechtsemissionen an Altaktionäre ein Prospekt erforderlich. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an Dokumentation und Due Diligence für Bezugsrechtsemissionen im Allgemeinen.
2.66
c) Emissionskonzept Bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung sind die Parameter des Emissionskonzepts aufgrund gesetzlicher Regelungen bereits großteils determiniert. Dies betrifft insbesondere die Mindestlänge der Bezugsfrist und die zeitlichen Vorgaben bei der Festlegung des Bezugspreises. Gestaltungsspielraum besteht bei der Ansprache von US-Aktionären, die aufgrund deutschen Rechts grundsätzlich nicht von ihrem Bezugsrecht ausgeschlossen werden können, faktisch es aber erst der Schaffung besonderer dokumentarischer Voraussetzungen bedarf, um eine begrenzte Anzahl aktiv anzusprechen (QIBs – Qualified Institutional Buyers). Diese Einbeziehung kann eine wichtige Determinante für den Erfolg der Transaktion sein. US-Investoren können dazu neigen, bei mangelnder eigener Gestaltungsfreiheit über die Nutzung ihrer Bezugsrechte ihr Engagement in einer Aktie umgehend zu reduzieren oder vollständig aufzulösen. Dies kann insbesondere bei Gesellschaften mit einer starken US-Aktionärsbasis einen enormen Druck auf den Aktienkurs bewirken, der gerade innerhalb der Bezugsfrist kritisch werden kann.
2.67
aa) Bezugsfrist und Bezugsrechtshandel Die mindestens zweiwöchige Bezugsfrist der Aktionäre im Rahmen einer Bezugsrechtskapitalerhöhung ist aktienrechtlich vorgegeben (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG), nicht jedoch 26 Zudem besteht bei einem Hauptversammlungsbeschluss ein Anfechtungsrisiko, vgl. Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 81
2.68
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
die Verpflichtung des Unternehmens, einen Handel der Bezugsrechte zu ermöglichen und folglich auch nicht die Dauer der Handelsperiode der Bezugsrechte. Diese beträgt entsprechend der Marktusance i.d.R. acht Handelstage, so dass in den letzten beiden Tagen der Bezugsfrist kein regulärer Rechtehandel an der Börse mehr stattfindet. Während institutionelle Investoren in diesen beiden Tagen noch im OTC-Markt27 Bezugsrechte handeln können, greifen bei nahezu allen Privatanlegern die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der deutschen Kreditinstitute. Zum Schutz der Kleinaktionäre sehen die AGB einen Zwangsverkauf am letzten Handelstag vor, sofern bis dato keine konkrete Weisung des Privatanlegers vorliegt. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Privatanleger für seine Anteilsverwässerung in jedem Falle entschädigt wird und die Bezugsrechte nicht wertlos ausgebucht werden müssen. Der sog. Bezugsrechtsregulierer (rights trading agent) wickelt den börslichen Bezugsrechtshandel ab, indem er i.d.R. jeweils einmal täglich mittags auf Basis der Kauf- und Verkaufsorder einen Kurs für das Bezugsrecht ermittelt. Bei der Abwicklung des Bezugsrechtshandels ist große Erfahrung des Rights Trading Agent gefordert, um auch bei hohen Abgabevolumina, beispielsweise bedingt durch den oben beschriebenen Zwangsverkauf der Privatanleger am letzten Handelstag, einen ausgeglichenen Handel der Bezugsrechte nahe an ihrem theoretischen Wert zu ermöglichen. Seit 2005 ist auch die fortlaufende Notierung von Bezugsrechten an der Frankfurter Wertpapierbörse möglich28.
2.69 Nur wenige, meist kleine Kapitalerhöhungen fanden ohne offiziellen börslichen Bezugs-
rechtshandel statt. (Klein-)Anleger sind in diesem Fall gezwungen, eine ggf. erwünschte Verwertung ihrer Bezugsrechte vor dem automatischen Verkauf am letzten Handelstag durch einen Teilverkauf ihrer Aktien und anschließende Ausübung der Bezugsrechte zu realisieren, wobei den meisten Kleinanlegern diese Handlungsoption i.d.R. nicht bewusst ist. Relativiert wird dieser Aspekt jedoch bei „At-Market“-Bezugsrechtsemissionen, da in diesem Fall aufgrund des fehlenden Kursabschlages zum aktuellen Marktkurs die Bezugsrechte praktisch keinen Wert besitzen. Allerdings weisen die meisten Kapitalerhöhungen nach dem TransPuG-Modell (vgl. Rz. 2.72) selbst bei „marktnaher“ späterer Bezugspreisfestlegung einen gewissen Discount auf. bb) Bezugsverhalten der Großaktionäre
2.70 Die frühzeitige Abstimmung des späteren Bezugsverhaltens etwaiger Großaktionäre im
Vorfeld der Transaktion ist unter dem Aspekt der Transaktionssicherheit dringend zu empfehlen. Das Bezugsverhalten der Großaktionäre hat i.d.R. einen hohen Einfluss auf das Emissionskonzept, insbesondere mit Blick auf die Bezugspreisfestlegung und die begleitenden Marketingmaßnahmen. Eine aktive Feinsteuerung des Verwässerungsgrades der Großaktionäre ist im Rahmen der Transaktion gut darstellbar, bedarf jedoch einer gezielten Koordination, um die Kapitalerhöhung nicht nachteilig zu beeinflussen. Die Handlungsalternativen der Großaktionäre reichen dabei von der mittelintensiven vollständigen Ausübung der Bezugsrechte über die mittelneutrale Operation Blanche29 bis hin zum mittelgenerierenden kompletten Bezugsrechtsverkauf. Die Realisierung des Wertes der Bezugsrechte für den Altaktionär erfolgt entweder über eine Platzierung von Bezugsrechten
27 OTC: Abk. für „Over-the-Counter“, steht für den außerbörslichen bilateralen Handel. 28 Beispielsweise wurden bei der Bezugsrechtskapitalerhöhung der Volkswagen AG (2010) die Bezugsrechte im fortlaufenden Handel auf Xetra und dem Parkett der Börse Frankfurt gehandelt. 29 Bei einer Operation Blanche verwertet ein Aktionär einen bestimmten Anteil seiner Bezugsrechte (oder bestehende Aktien) und verwendet den Erlös zum Bezug neuer Aktien aus der Kapitalerhöhung, ohne zusätzliche finanzielle Mittel aufzuwenden.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
oder von Aktien („alter Aktien“ inklusive des Bezugsrechts oder „neuer Aktien“ ohne Bezugsrecht30). Das Abgeben einer Bezugsgarantie durch einen Großaktionär oder von außenstehenden Investoren hat sich gerade bei Sanierungskapitalerhöhungen bewährt, um dem Kapitalmarkt zu signalisieren, dass dem Unternehmen der Emissionserlös sicher zufließt und jeder Spekulation eines möglichen Scheiterns der Kapitalerhöhung die Basis entzogen ist. Entsprechend reduziert sich in diesen Fällen der sonst nach Veröffentlichung der Kapitalerhöhung übliche Druck auf den Aktienkurs meist merklich. Wenn Großaktionäre sich nicht oder nur sehr eingeschränkt an einer Bezugsrechtsemission beteiligen wollen, jedoch auch nicht auf einen Mittelzufluss aus der Verwertung der Bezugsrechte bestehen, bietet sich ein Vorabplatzierungsmodell zur Maximierung des Emissionspreises an. Da hier der Bezugspreis nahe am Marktpreis festgelegt wird, können die Großaktionäre ihre Bezugsrechte an die Konsortialbanken abtreten und ermöglichen somit die Reduktion des Clawbacks auf die vorab platzierten Aktien31. cc) Bezugspreis/Kursabschlag Der endgültigen Festlegung des Bezugspreises geht meist eine intensive Diskussion zwischen der Gesellschaft und dem Bankenkonsortium voraus, teilweise unter Berücksichtigung der manchmal unterschiedlichen Interessenlage im Aktionärskreis oder eines etwaigen externen Garantiegebers. Bei der Bezugspreisfestlegung spielen Faktoren wie die Mittelverwendung, die historische Kursentwicklung und Volatilität der Aktie, die generelle Verfassung der Kapitalmärkte, das mit der Aktionärsstruktur verbundene erwartete Bezugsverhalten sowie die Wahl des Modells eine determinierende Rolle. In den letzten Jahren belief sich der Kursabschlag bei traditionellen deutschen Kapitalerhöhungen auf ca. 20–35 % zum TERP (theoretical ex rights price). Dieser Abschlag ist unter Risikogesichtspunkten entscheidender als der Abschlag zum aktuellen Aktienkurs, da der TERP die Verwässerung durch das Bezugsverhältnis mathematisch berücksichtigt und insofern die aussagekräftigere Größe ist, den relevanten Kurs nach Abtrennung des Bezugsrechts während der Bezugsfrist abzuschätzen. Die Höhe des Bezugspreisabschlags beeinflusst nicht die Vermögensposition des Altaktionärs, da er wirtschaftlich durch den Wert des Bezugsrechts entsprechend kompensiert wird.
2.71
dd) Modelle der Bezugspreisfestlegung Bei der Bezugspreisfestlegung bieten sich grundsätzlich drei alternative Modelle. Seit dem Inkrafttreten des Transparenz- und Publizitätsgesetzes (TransPuG) im Juli 2002 kann eine finale Festlegung des Bezugspreises auch erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist erfolgen32. Ziel dieser Novellierung war es, durch Reduzierung des Marktschwankungsrisikos das Instrument der Bezugsrechtskapitalerhöhung in volatileren Märkten wieder attraktiver werden zu lassen. Diese Methode hat sich in der Praxis zumindest bei großvolumigen Kapitalerhöhungen deutscher Blue-Chip Werte nicht nachhaltig durchsetzen können. Dies kann primär auf zwei inhärente Nachteile des Modells zurückgeführt werden. Zum einen 30 Z.B. wurde im Rahmen der Bezugsrechtsemission der Aareal Bank (2011) eine Operation Blanche durch eine Platzierung von „neuen Aktien“ für den Hauptgesellschafter Aareal Holding durchgeführt. 31 Beispielsweise verzichteten bei der Bezugsrechtskapitalerhöhung in Vorzugsaktien der Volkswagen AG (2010) die Stammgroßaktionäre auf ihre Bezugsrechte und ermöglichten somit eine marktnahe Vorabplatzierung. 32 Zu den Einzelheiten in rechtlicher Hinsicht Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177 ff.
Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 83
2.72
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
steht das TransPuG-Modell in seiner „reinen“ Form einem transparenten Bezugsrechtshandel im Wege und führt daher zu einer faktischen Benachteiligung der Retailanleger. Ausschließlich institutionelle Investoren können nämlich bei dieser Struktur noch auf den veröffentlichten Bezugspreis nach Ende des offiziellen Rechtehandels dispositiv reagieren (vgl. Rz. 2.68). Gewichtiger dürfte jedoch zum anderen sein, dass die Transaktionssicherheit des TransPuG-Modells meist geringer ist als die des klassischen Modells. Bei einer klassischen Kapitalerhöhung mit einem hohen Bezugspreisabschlag steht der Mittelzufluss der Gesellschaft mit einer hohen Sicherheit vor Beginn der Transaktion bereits fest, da nur ein außergewöhnlich starker Kursrückgang unterhalb des Bezugspreises die Transaktion gefährden könnte. Das TransPuG-Modell bietet grundsätzlich eine höhere Angriffsfläche für Short-Selling innerhalb der Bezugsfrist, da sich der Bezugskurs an dem aktuellen Börsenkurs bzw. einem Durchschnittskurs während der Bezugsfrist orientiert. Neben dem Bezugspreis steht auch die Anzahl der bezogenen Aktien sowie das Ergebnis einer etwaigen Platzierung nicht-bezogener Aktien ex-ante noch nicht fest33.
2.73 Bei dem klassischen Modell wird der endgültige Bezugspreis zeitnah vor Beginn der Be-
zugsfrist festgelegt. Eine Variation des Modells besteht in der vorherigen Veröffentlichung eines durch das Konsortium garantierten Mindestpreises, verbunden mit einem potenziellen „Step-up“34, der unmittelbar vor Beginn der Bezugsperiode eine zeitnahe Erhöhung des Bezugspreises in Abhängigkeit von der dann herrschenden Kapitalmarktsituation und der Aufnahme der Kapitalerhöhungsabsicht bei den Investoren ermöglicht. Vorteilhaft an diesem Modell ist die klare Kalkulierbarkeit des Mittelzuflusses vor Start der Kapitalerhöhung und die höhere Transaktionssicherheit. Nachteilig wirkt sich die fehlende Flexibilität einer zeitnahen Preisfestlegung aus, die i.d.R. zu einem höheren Abschlag des Bezugspreises führt. In der Praxis ist zu beobachten, dass bei Kapitalerhöhungen mit Bezugsrecht zunehmend Elemente des klassischen und des reinen TransPuG-Modells miteinander kombiniert werden35. Die dritte Variante ist die bereits beschriebene Festlegung des Bezugspreises im Wege eines Accelerated Bookbuildings im Rahmen einer Vorabplatzierung (s. Rz. 2.12). ee) Emissionskonsortium
2.74 Die Aufgabe der Mitglieder des Konsortiums unterhalb der Bookrunner besteht fast aus-
schließlich in der Übernahme des Underwriting-Risikos entsprechend ihrer Quote. Sie sind i.d.R. nicht an der Erstellung des Prospekts und der Dokumentation beteiligt. Aufgrund der besonderen Struktur von Bezugsrechtsemissionen liegen die Anforderungen an die Co-Bookrunner, Co-Lead Manager und Co-Manager i.d.R. nicht in der Abdeckung
33 So zeigten die ersten TransPuG-Kapitalerhöhungen selbst bei einem Kursabschlag für die neuen Aktien deutlich niedrigere Bezugsquoten. Anstatt der üblichen über 99 % wurden bei der Kapitalerhöhung der Ersol Solar Energy AG im Juli 2007 trotz eines substanziellen Abschlags von rund 10 % nur 83 % der Bezugsrechte ausgeübt. Auch bei der Kapitalerhöhung der MOLOGEN AG im Juli 2012 wurden lediglich 81 % der Bezugsrechte ausgeübt, allerdings wurde bei dieser Kapitalerhöhung auf einen Abschlag verzichtet. 34 Wie beispielsweise bei der Bezugsrechtskapitalerhöhung der Deutsche Bank AG (2010) sowie der Bezugsrechtskapitalerhöhung der Dufry AG (2015) praktiziert. 35 So wurde der Bezugskurs bei der Kapitalerhöhung der Premiere AG (September 2007) in der Mitte der Bezugsfrist, aber noch zwei Tage vor Ende des Bezugsrechtshandels festgelegt. Dieses Modell stellt im Ergebnis quasi eine um eine Woche verkürzte klassische Bezugsrechtskapitalerhöhung dar.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
spezieller Investorensegmente oder in der Erstellung zusätzlicher Research Reports wie bei einem IPO. Oftmals basiert ihre Position einzig auf ihrer langjährigen Beziehung zum Emittenten. ff) Underwriting/Subunderwriting Unter Risikogesichtspunkten liegt die Präferenz der Banken bei einem möglichst späten und „weichen“ Underwriting, das ihnen zum einen durch einen hohen Abschlag des Bezugspreises vom TERP einen ausreichenden Sicherheitspuffer verschafft und ihnen zum anderen im Falle sog. „Force Majeur Events“36 entsprechende Ausstiegsklauseln belässt. Anderseits wird durch eine im Vorfeld garantierte Kapitalerhöhung dem Markt signalisiert, dass die Mittel dem Unternehmen sicher zufließen werden. Diese positive Signalwirkung hat sich in der Vergangenheit bei zahlreichen Kapitalerhöhungen bewährt. Zur Steuerung ihres Underwriting-Risikos greifen mittlerweile Banken auch am deutschen Markt auf das Subunderwriting-Modell zurück (vgl. Rz. 2.11).
2.75
d) Vermarktungsprozess und begleitende Marketingmaßnahmen Bis vor wenigen Jahren wurden nur selten begleitende Marketingmaßnahmen im nennenswerten Umfang bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen durchgeführt. Mittlerweile hat sich die Vollvermarktung mit einer mehrtägigen internationalen Roadshow und der aktiven Einbindung der Sales Force der Banken bewährt und ist praktisch Marktstandard geworden. Die dadurch zusätzlich generierte Nachfrage kann ggf. entstehenden Abgabedruck kompensieren, wenn aktuelle Aktionäre ihre Bezugsrechte nicht ausüben wollen oder keine zusätzlichen Mittel investieren können.
2.76
e) Platzierung nicht-bezogener Aktien Eine nennenswerte Platzierung nicht-bezogener Aktien (rump placement) kommt in Deutschland aufgrund des klassischen Bezugsrechtsmodells mit stark werthaltigen Bezugsrechten, die bei Nichtausübung verfallen, praktisch kaum vor. Da die Bezugsquoten dieser Kapitalerhöhungen traditionell bei über 99 % liegen, beschränkt sich die Verwertung nicht-bezogener Aktien regelmäßig auf relativ wenige Stücke. Diese werden meist durch den Konsortialführer nach Ende der Bezugsfrist im regulären Börsenhandel auf Weisung der Gesellschaft verwertet. Verkäufe von Seiten nicht vollständig beziehender Großaktionäre werden i.d.R. im Vorfeld der Transaktion oder über den Bezugsrechtshandel abgewickelt. Beim TransPuG-Modell hingegen kommt der Platzierung nicht-bezogener Aktien mittels eines Bookbuildings eine zentrale Rolle zu und kann je nach Struktur sogar die Basis für die Bezugspreisfestlegung bilden (vgl. Rz. 2.72).
2.77
3. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses Die Schaffung der aktienrechtlichen Grundlage dieses Instruments in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Jahr 1994 eröffnete börsennotierten Gesellschaften völlig neue Möglichkeiten der 36 Beispielsweise werden einschneidende makroökonomische Börsenentwicklungen durch terroristische Anschläge oder Kriegsausbrüche in die Definition von Force Majeur Events einbezogen.
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2.78
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
Unternehmensfinanzierung. Diese bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung ist zwar auf bis zu 10 % des Grundkapitals beschränkt, kann aber ähnlich flexibel gestaltet und umgesetzt werden wie eine Platzierung bestehender Aktien. Die Zeichnung und Börseneinführung der neuen Aktien kann dabei von der eigentlichen Platzierung getrennt werden und zeitlich nachgelagert erfolgen (s. auch § 6). b) Dokumentation und Due Diligence
2.79 Da die Aktien aus einer Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht i.d.R. prospektfrei angeboten und zugelassen werden, kann die Due Diligence zumeist erheblich fokussierter vorgenommen und die Dokumentation insgesamt recht schlank gehalten werden. Sofern zur zusätzlichen Ansprache von US-Investoren eine Platzierung nach Rule 144A vorgesehen ist, erhöhen sich die Anforderungen an Due Diligence und Dokumentation geringfügig. c) Emissionskonzept
2.80 Das Angebot von bis zu 10 % neuer Aktien wird gelegentlich durch zusätzliche Aktien aus Altbesitz erhöht. Das früher notwendige und teilweise recht umständliche Konstrukt der Wertpapierleihe für die neuen Aktien entfällt mittlerweile durch die Erleichterungen in Form der nichtöffentlichen Antragstellung zur Börsenzulassung neuer Aktien. d) Vermarktungsprozess/Platzierung
2.81 Die Platzierung von neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht erfolgt
i.d.R. über ein Accelerated Bookbuilding im Rahmen einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren. Theoretisch möglich, wenngleich wenig zielführend, wäre auch eine Vollvermarktung der Transaktion mit Einbeziehung von Retailanlegern im Rahmen eines öffentlichen Angebots. Eine Platzierung außerhalb der Handelszeiten an einen einzelnen Investor ist rechtlich darstellbar37, wenn ein Interesse der Gesellschaft dargelegt werden kann. Bei einem Accelerated Bookbuilding hingegen werden zahlreiche institutionelle Investoren angesprochen und aufgrund der vorherigen Ankündigung kann jeder sonstige Aktionär zum gleichen Zeitpunkt Aktien im Sekundärmarkt zu nahezu identischen Konditionen erwerben. Dies kann von der Gesellschaft als zusätzliche argumentatorische Rechtfertigung für den Bezugsrechtsausschluss herangezogen werden.
2.82 Bei der Preisfestlegung verlangt das Aktienrecht, dass der Ausgabebetrag der neuen Ak-
tien den Börsenkurs nicht wesentlich unterschreitet. In der Praxis hat sich entsprechend der herrschenden Meinung hierfür ein Abschlag von drei bis fünf Prozent als Obergrenze herausgebildet. Je nach Ermächtigung der Emittentin ist jedoch die Basis dieses drei- bis fünfprozentigen Abschlags zu prüfen (s. Rz. 6.32 f.). Herangezogen werden sowohl der Schlusskurs vor Veröffentlichung der Transaktion, der Zeitpunkt der Preisfeststellung als auch ein gewichteter Durchschnittskurs über die Bookbuilding-Dauer, wobei diese Werte sehr stark voneinander abweichen können.
37 Beispielsweise der Erwerb von knapp 10 % neuer Aktien der Hochtief AG durch Qatar Holding im Jahre 2010.
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Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 2
4. Sonderfall „Kombinierte Kapitalerhöhung“ a) Darstellung der Struktur Eine „Kombinierte Kapitalerhöhung“ setzt sich aus der Kombination zweier paralleler Kapitalerhöhungen, jeweils eine mit und eine ohne Bezugsrecht, zusammen. Die genaue zeitliche Abfolge der Durchführung der Kapitalerhöhungen kann prinzipiell beliebig gestaltet werden. In der Praxis haben sich verschiedene Varianten herausgebildet. So stört beispielsweise eine mittels Accelerated Bookbuildings durchgeführte Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht im Anschluss an die Bezugskapitalerhöhung nicht den Bezugsrechtshandel durch die Platzierung und reduziert gleichzeitig die Komplexität der Gesamttransaktion, da keine neuen Aktien cum Bezugsrecht an die Investoren ausgegeben werden. Ferner können etwaige nicht-bezogene Aktien im anschließenden Bookbuilding mitverwertet werden. Eine interessante Variante der „Kombinierten Kapitalerhöhung“ liegt in der vereinheitlichten Festlegung der beiden Ausgabepreise der neuen Aktien nahe am aktuellen Marktpreis. Der Bezugspreis wird per Bookbuilding-Verfahren vor Beginn der Bezugsfrist ermittelt, wodurch der theoretische Bezugsrechtswert gegen null tendiert. Für die Aktien, die mit Bezugsrecht ausgegeben werden, ist jedoch eine Clawback-Zuteilung erforderlich. Eine Sonderform dieser Struktur ist die Kombination einer Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht und einer Ausgabe von bestehenden eigenen Aktien mit Bezugsrecht, die wirtschaftlich einer „Kombinierten Kapitalerhöhung“ gleichzusetzen ist.
2.83
b) Motive einer „Kombinierten Kapitalerhöhung“ In einer kombinierten Transaktion generiert die Gesellschaft bei gleicher Anzahl ausgegebener neuer Aktien theoretisch einen höheren Emissionserlös als mittels einer reinen klassischen Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht. Der Effekt geht bei der zunächst geschilderten Variante oben mit nachgelagerter Platzierung auf den geringeren Kursabschlag des bezugsrechtsfreien Anteils von bis zu 10 % des Grundkapitals zurück, während bei der nachfolgend beschriebenen Clawback-Struktur aufgrund der Vorabplatzierung im Rahmen eines Accelerated Bookbuildings mit nur kurzem Marktrisiko eine Preisfestlegung für die Gesamttransaktion nahe dem aktuellen Kurs möglich ist. Weiterhin ermöglicht die Transaktionsstruktur einer solchen Platzierung, die Aktie bei neuen Investorengruppen zu verankern und kann zusätzlich der Verwertung von bestehenden Aktien eines Anteilseigners oder von im Bestand der Gesellschaft befindlichen eigenen Aktien dienen.
2.84
5. Platzierung von bestehenden Aktien a) Planung und Strukturierung des Gesamtprozesses Die Platzierung von bestehenden Aktien bietet dem Verkäufer und der Investmentbank den größten Freiheitsgrad bei der konkreten Ausgestaltung (s. auch § 7). Diese Platzierungen zeichnen sich i.d.R. durch eine sehr kurze Gesamtlaufzeit des Projekts von teilweise wenigen Tagen oder gar Stunden aus. Der Kreis der beteiligten Personen ist meist überschaubar und damit auch der Strukturierungs- und Koordinierungsaufwand für die Bank. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Einschätzung der Aufnahmefähigkeit des Marktes und der Wahl des richtigen Timings. Dabei sollten neben den strikten rechtlichen Anforderungen hinsichtlich Insider-Handel nicht zuletzt aus Reputationsgründen auch mögliche „Quiet periods“ der Gesellschaft im Vorfeld der Veröffentlichung von Jahres- und Quartalsabschlüssen beachtet werden, insbesondere, wenn der Verkäufer im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten ist. Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson | 87
2.85
§ 2 | Aktienemissionen aus Sicht der Investmentbank
b) Dokumentation und Due Diligence
2.86 Die Anforderungen an die Dokumentation und die Due Diligence sind bei diesen Block-
trades meist wesentlich geringer als bei allen anderen Aktienemissionsarten, soweit es sich nicht um eigene Aktien handelt. Sofern kein freiwilliges Informationsmemorandum erstellt wird, welches nur äußerst selten erfolgt, kann das Vertragswerk auf ein Minimum reduziert und die Due Diligence sehr fokussiert umgesetzt werden. c) Emissionskonzept
2.87 Obwohl der Freiheitsgrad bei der Ausgestaltung des Emissionskonzepts sehr groß ist, wird
abgesehen von Agency Trades bei kleineren Blöcken in hoch liquiden Aktien in den allermeisten Fällen auf ein eintägiges, in Ausnahmefällen auf ein zweitägiges Accelerated Bookbuilding zurückgegriffen. Dabei ist eine Bought Deal-Struktur oder die Vereinbarung eines „Backstop“-Preises zugunsten des Verkäufers eine vermehrt anzutreffende Variante. Eine umfangreiche Vollvermarktung inklusive Informationsmemorandum bzw. Prospekt kommt nur äußert selten in Betracht. In diesem Fall wäre jedoch zu prüfen, ob die Gesellschaft von einer möglichen Prospekthaftung bzw. Kosten der Prospekterstellung durch den Verkäufer freizustellen ist. Bei der angebotenen Aktienanzahl ist im Allgemeinen eine Struktur zu präferieren, bei der der Verkäufer entweder seine Beteiligung vollständig veräußert oder eine „natürliche“, für den Kapitalmarkt leicht nachvollziehbare Grenze (z.B. 25 % oder 50 % + eine Aktie) nach der Platzierung erreicht. Sofern es weitere Großaktionäre gibt, sollten diese idealerweise ihre Halteabsichten pro-aktiv dem Markt kommunizieren, um möglichen Investorenbedenken hinsichtlich eines weiteren „Overhangs“ in der Aktie entgegenzuwirken. d) Vermarktungsprozess/Platzierung
2.88 Aus marketingtechnischer Sicht ist bei der Veräußerung eines Aktionärs grundsätzlich zu
unterscheiden, ob es sich um eine strategische oder eine Finanzbeteiligung handelt. Der Erklärungs- und Kommunikationsbedarf gegenüber dem Kapitalmarkt ist bei einer strategischen Beteiligung ungleich höher. Möglichen Irritationen und Befürchtungen hinsichtlich etwaiger negativer Auswirkungen auf das operative Geschäft der Gesellschaft ist in einem solchen Fall pro-aktiv entgegenzuwirken. Daher ist die Einbeziehung des Managements der Gesellschaft zu empfehlen, um Unstimmigkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen und eine einheitliche und klare Kommunikationsleitlinie zu implementieren. e) Sonderfall Eigene Aktien
2.89 Bei der Platzierung von eigenen Aktien (treasury stocks) ist aus rechtlicher Sicht wie bei
einer Kapitalerhöhung zu verfahren. Der Wortlaut des Verwendungsbeschlusses der Hauptversammlungs-Ermächtigung ist dahingehend zu überprüfen, ob er eine entsprechende Platzierung unter Ausschluss des Bezugsrechts gestattet (s. auch § 8). Die Platzierung der Aktien muss „at market“ erfolgen. Weiterhin bedarf es einer klaren und einheitlichen Kommunikation der Gesellschaft im Hinblick auf die Hintergründe, warum vorher zurückgekaufte Aktien nun wieder neu ausgegeben werden sollen und weshalb der damalige Rückkaufsgrund nun eventuell obsolet geworden ist.
88 | Schäcker/Wohlgefahrt/Johannson
§3 Börsengang I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Vorbereitung des Börsengangs . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsformwahl . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Umwandlungsmaßnahmen . . 2. Vorbereitung der Gesellschaft . . a) Herstellung der „Kapitalmarktreife“ . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungsgestaltung . . . . . . . . c) Ausgestaltung der Aktien und des Grundkapitals . . . . . . . . d) Management- und Mitarbeiterbeteiligungsprogramm . . . . . . 3. Emissionskonzept . . . . . . . . . . a) Emissionsform; Auswahl der Konsortialbanken . . . . . . . . . b) Emissionszeitpunkt . . . . . . . . c) Platzierungsformen . . . . . . . aa) Öffentliches Angebot und Privatplatzierung . . . . . . bb) Privatplatzierung und anschließende Börsenzulassung . . . . . . . . . . . . . . cc) Umplatzierung bei Abspaltung und Börsenzulassung d) Emissionsstruktur . . . . . . . . e) Marktschutz . . . . . . . . . . . . 4. Begleitende Vermarktung . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Publicity Guidelines . . . . . . . c) Research Guidelines . . . . . . . d) Kauf- und Halteanreize . . . . . 5. Due Diligence . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidung über den Börsengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
_ __ __ _ __ _ __ ___ _ _ __ __ __ __ _ _ _
3.1 3.3 3.4 3.5 3.7 3.8
3.9 3.10 3.13 3.18 3.23
3.24 3.27a 3.28 3.28
3.29a 3.30 3.32 3.36 3.40 3.40 3.45 3.48 3.51 3.53 3.55 3.56
2. Kapitalerhöhung zum Börsengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalschutzbestimmungen . . . . a) Verdeckte Sacheinlage . . . . . . . b) Nachgründung . . . . . . . . . . . 4. Börsengang von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten des Vorstands bei der Ermittlung des Emissionspreises c) Vorrechte der Aktionäre der Muttergesellschaft . . . . . . . . . IV. Durchführung des Börsengangs 1. Platzierungsverfahren . . . . . . . a) Bestimmung der Angebotsspanne und Bookbuilding . . . b) Zeichnung und Zuteilung der Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kursstabilisierung; Greenshoe . 2. Börsenzulassungsverfahren und Notierungsaufnahme . . . . . . . . a) Markteinführungspublizität . . b) Zulassungsantrag; notwendige Veröffentlichungen . . . . . . . . V. Maßgebliche Rechtsbeziehungen 1. Emittent, abgebende Aktionäre und Emissionsbanken . . . . . . . a) Mandatsvereinbarung . . . . . . b) Übernahmevertrag . . . . . . . . c) Vereinbarung über die Kostenund Risikoverteilung . . . . . . . 2. Emissionskonsortium . . . . . . . 3. Rechtsbeziehungen zu den Anlegern . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
__ __ _ _ _ _ __ _ __ __ _ _ __ _ __ _ _
3.59 3.61 3.61 3.65 3.67 3.68 3.71 3.72 3.74 3.75 3.76 3.79 3.84 3.87 3.87 3.91 3.92 3.93 3.95 3.99
. 3.101 . 3.102 . 3.106
VI. Anhang: Zeitplan . . . . . . . . . . . 3.108
Schrifttum: Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III Urteil“ des BGH, Thesen zum Umgang mit dem „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH v. 31. Mai 2011, NJW 2011, 2719 bei künftigen Börsengängen, CFL 2011, 377; Arnold/Aubel, Einlagenrückgewähr, Prospekthaftung und Konzernrecht bei öffentlichen Angeboten von Aktien, ZGR 2012, 113; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017; Baums/Hutter, Die Information des Kapitalmarkts beim Börsengang (IPO), FS Ulmer, 2003, S. 778; Bezzenberger, Der Greenshoe und die Angemessenheit des Aktienausgabebetrags beim Börsengang, AG 2010, 765; Bezzenberger/Bezzenberger, Kapitalaufbringung und verdeckte Sacheinlage bei der Aktienplatzierung durch Emissionsbanken, FS Hopt, 2010, S. 391; Brandner/Bergmann, Zur Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger, FS Peltzer, 2001, S. 17; Busch, Aktien- und
Singhof/Ch. Weber | 89
§ 3 | Börsengang börsenrechtliche Aspekte von Force Majeure-Klauseln in Aktienübernahmeverträgen, AG 2001, 1277; Busch, Aktuelle Rechtsfragen des Bezugsrechts und Bezugsrechtsausschlusses beim Greenshoe im Rahmen von Aktienemissionen, AG 2002, 230; Busch/Groß, Vorerwerbsrechte der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse?, AG 2000, 503; Cichy/Heins, Tracking Stocks: Ein Gestaltungsmittel für deutsche Unternehmen (nicht nur) bei Börsengängen, AG 2010, 181; Fleischer, Börseneinführung von Tochtergesellschaften, ZHR 165 (2001), 513; Fleischer, Marktschutzvereinbarungen beim Börsengang, WM 2002, 2305; Fleischer, Empfiehlt es sich im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland, das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Kapitalmarktrechtliches Teilgutachten F für den 64. Deutschen Juristentag 2002; Fleischer/ Bedkowski, Aktien- und kapitalmarktrechtliche Probleme des Pilot Fishing bei Börsengängen und Kapitalerhöhungen, DB 2009, 2195; Fleischer/Thaten, Einlagenrückgewähr und Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft bei der Platzierung von Aktien, NZG 2011, 1081; Fredebeil, Aktienemissionen, 2002; Frese, Kredite und verdeckte Sacheinlage – Zur Sondersituation von Emissionsbanken, AG 2001, 15; Fuchs, Der Schutz der Aktionäre beim Börsengang der Tochtergesellschaft, in Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, 2001, S. 259; Gebhardt, Prime und General Standard: Die Neusegmentierung des Aktienmarkts an der Frankfurter Wertpapierbörse, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 2; Groß, Verdeckte Sacheinlage, Vorfinanzierung und Emissionskonsortium, AG 1993, 108; Groß, Bookbuilding, ZHR 162 (1998), 318; Groß, Kursstabilisierung – Zur Reichweite der Safe Harbour-Regeln der §§ 14 Abs. 2 und 20a WpHG, GS Bosch, 2006, S. 49; Habersack, „Holzmüller“ und die schönen Töchter, WM 2001, 545; Habersack, Die Umplatzierung von Aktien und das Verbot der Einlagenrückgewähr, FS Hommelhoff, 2012, S. 303; Hein, Rechtliche Fragen des Bookbuilding nach deutschem Recht, WM 1996, 1; Hoffmann-Becking, Neue Formen der Aktienemission, FS Lieberknecht, 1997, S. 25; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen – Recht und Praxis in der EG, in Deutschland und in der Schweiz, 1991; Hopt, Emissionsgeschäft und Emissionskonsortien – Recht und Praxis in Deutschland und in der Schweiz, FS Kellermann, 1991, S. 181; Korfsmeyer, Die Bedeutung von lock-up agreements bei Aktienemissionen, FB 1999, 205; Krämer/Gillessen/Kiefner, Das „Telekom III“-Urteil des BGH – Risikozuweisungen an der Schnittstelle von Aktien- und Kapitalmarktrecht, CFL 2011, 328; Kunold/Schlitt, Die neue EUProspektrichtlinie, BB 2004, 501; Lutter, Das Vor-Erwerbsrecht/Bezugsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften an der Börse, AG 2000, 342; Lutter, Noch einmal: Zum Vorerwerbsrecht der Aktionäre beim Verkauf von Tochtergesellschaften über die Börse, AG 2001, 349; Lutter/ Drygala, Rechtsfragen beim Gang an die Börse, FS Raisch, 1996, S. 230; Mertens, Aufteilung von Kosten gemischter Aktienplatzierungen zwischen Gesellschaft und Aktionären, AG 2015, 881; Meyer, Neue Entwicklungen bei der Kursstabilisierung, AG 2004, 289; Mülbert/Wilhelm, Haftungsübernahme als Einlagenrückgewähr – Überlegungen zu § 57 AktG im Nachgang zu Telekom III, FS Hommelhoff, 2012, S. 747; Parmentier, Ad-hoc-Publizität bei Börsengang und Aktienplatzierung, NZG 2007, 407; C. Schäfer, Vereinbarungen bei Aktienemissionen, ZGR 2008, 455; C. Schäfer, Prospekthaftung bei öffentlicher Umplatzierung von Aktien – Zur richtigen Verteilung der Risiken, ZIP 2010, 1877; Frank A. Schäfer/Mimberg, Verkaufsbeschränkungen bei der Emission von Wertpapieren, FS Hadding, 2004, S. 1063; Schulz, Strategien zum Umgang mit eigenen Anteilen bei der Vorbereitung eines Börsengangs, ZIP 2015, 510; Schulz, Aktienemissionen nach der Europäischen Prospektverordnung, WM 2018, 212; Schlitt, Die neuen Marktsegmente der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57; Schlitt, Die öffentliche Umplatzierung von Aktien, CFL 2010, 304; Schlitt/Beck, Spezielle Probleme bei stillen Beteiligungen im Vorfeld des Börsenganges, NZG 2001, 688; Schlitt/Grüning, Exit von Private Equity Investoren über die Börse – IPO als Alternative zu Trade Sale und Secondary Buyout –, CFL 2010, 68; Schlitt/Ries, Preisbestimmungsverfahren bei Aktienemissionen, FS Schwark, 2009, S. 241; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen der Umsetzung der Transparenzrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie auf Aktien- und Equity-Linked-Emissionen, AG 2007, 227; Schlitt/Schäfer, Finanzmarktkommunikation anlässlich von Kapitalmarktransaktionen, FS Hopt, 2010, S. 2469; Schlitt/Singhof/ Schäfer, Aktuelle Rechtsfragen und neue Entwicklungen im Zusammenhang mit Börsengängen, BKR 2005, 251; Schnorbus, Die Stellung der Emissionsbank bei Aktienemissionen, AG 2004, 113; Seiler/Kehler, Research Reports bei Börsengängen unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und Reformvorhaben, CFL 2012, 340; Siebert, Die Haftung der Mitglieder eines Übernahmekonsortiums nach den Regeln der verdeckten Sacheinlage, NZG 2006, 366; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, 1998; Singhof, „Market Sounding“ nach der Marktmissbrauchsver-
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Börsengang | § 3 ordnung, ZBB 2017, 193; Singhof/Schlitt, How Lufthansa boosted its rights offer pricing, IFLR 8/2004, 15; Technau, Rechtsfragen bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen („Underwriting Agreements“) im Zusammenhang mit Aktienemissionen, AG 1998, 445; Timm/Schöne, Zwingende gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder eines Übernahmekonsortiums?, ZGR 1994, 113; Tröger, Kapitalschutz fünf Jahre nach „Telekom III“, FS Baums, 2017, S. 1249; Westermann/Paefgen, Kritische Überlegungen zum Telekom-III-Urteil des BGH und seinen Folgen, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1363; Willamowski, Bookbuilding, 2000; Wink, Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft bei der Umplatzierung von Aktien und das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG, AG 2011, 569.
I. Einleitung Nach der Krise der Finanz- und Kapitalmärkte, die das Aktienemissionsgeschäft vorübergehend stark belastet hat, haben in den vergangenen Jahren in Europa und den Vereinigten Staaten zahlreiche Unternehmen erfolgreich einen Börsengang abgeschlossen. Im internationalen Vergleich ist die Zahl an Unternehmen, die in Deutschland an die Börse gehen, jedoch nach wie vor gering1. Dabei sind für die Unternehmen mit dem erstmaligen öffentlichen Angebot (initial public offering – IPO) und der Börseneinführung ihrer Aktien (going public) zwar tiefgreifende rechtliche Veränderungen, vor allem aber wesentliche Vorteile2 verbunden. Der Fortentwicklung des Unternehmens dient nicht nur die regelmäßig mit dem Börsengang verbundene Eigenkapitalaufnahme, die für Investitionen oder zum Abbau von Schulden genutzt werden kann. Der Sekundärhandel mit den Aktien erhöht zusammen mit der Kapitalmarktpublizität des Unternehmens auch zukünftig die Bereitschaft zur Investition. Nur eine börsennotierte Aktiengesellschaft kann daher die im Aktiengesetz angelegten, erweiterten Möglichkeiten der „Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt“ wirklich ausschöpfen.
3.1
Für den Erfolg der Börseneinführung sind eine Vielzahl sachlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Faktoren entscheidend. Dies bedarf sorgfältiger Vorbereitung durch das Unternehmen, die begleitende Emissionsbank sowie die involvierten Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwaltskanzleien. Da für die zu platzierenden Aktien noch kein Börsenpreis besteht, birgt das IPO ein erhöhtes Risiko, dass die zügige Platzierung der Emission beim Publikum nicht reibungslos gelingt. Dies macht sie besonders anfällig für makroökonomische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Die Emissionsbank muss daher darauf bedacht sein, nur in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht „kapitalmarktreife“ Unternehmen mit einer schlüssigen Equity Story (Rz. 3.40 ff.) an die Börse zu führen. Wesentlich sind außerdem der „richtige“ Ausgabepreis für die Aktien sowie eine vollständige und richtige Information der Anleger in einem umfangreichen Wertpapierprospekt über das Unternehmen, sein Geschäftsmodell und die damit verbundenen Risiken. Die mit einer Börseneinführung zusammenhängenden gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Aspekte sollen nachfolgend – soweit möglich im Kontext der zeitlichen Abläufe – dargestellt werden (vgl. den Zeitplan im Anhang, Rz. 3.108).
3.2
1 Vgl. FAZ v. 2.3.2018, Nr. 52, S. 25 („Suche nach Börsenkandidaten“). Die Zurückhaltung besteht vor allem bei mittelständischen Unternehmen bzw. Familienunternehmen, so dass rd. 70 % der Börsengänge aus dem Eigentum von Finanzinvestoren stammen; s. FAZ v. 10.10.2015, Nr. 235, S. 29 („Plötzlich wollen alle an die Börse“). 2 Zu den Vor- und Nachteilen Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 20 Rz. 12 ff. u. 31 ff.
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§ 3 | Börsengang
II. Rechtliche Vorbereitung des Börsengangs 3.3
Die Vornahme der wesentlichen vorbereitenden Maßnahmen für die Börseneinführung der Aktien nimmt regelmäßig mehrere Monate in Anspruch3. In dieser Vorbereitungsphase werden alle gesellschafts-, kapitalmarktrechtlichen und vertraglichen Grundlagen des Börsengangs geschaffen und die Emissionsstruktur festgelegt. Flankiert wird dieser Prozess von der Überprüfung der in rechtlicher, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht für das Unternehmen bedeutsamen Verhältnisse (due diligence) und einer ersten (Vor-)Vermarktung der Aktie unmittelbar vor dem öffentlichen Angebot (pre-deal investor education – PDIE).
1. Rechtsformwahl 3.4
Die grundlegende Entscheidung über die Rechtsform, in der das Unternehmen den Börsengang beschreitet, ist durch börsenrechtliche Regelungen beschränkt. Das Erfordernis der „freien Handelbarkeit“ der zuzulassenden Wertpapiere (§ 34 Nr. 1b BörsG i.V.m. § 5 Abs. 1 BörsZulV) lässt allein die Rechtsformen der Aktiengesellschaft (AG), der Europäischen Gesellschaft (SE)4 und der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) zu. Hinzu kommt die zwingend börsennotierte Immobilien-Aktiengesellschaft (REIT-AG) (näher § 24)5. Der Rechtsformwechsel in eine börsenfähige Rechtsform wird häufig erst im Jahr des Börsengangs vorgenommen. Nicht selten ist außerdem der „Betrieb“, der Gegenstand des Börsengangs sein soll, noch Teil eines anderen Unternehmens6. Unabhängig von der Entscheidung über die Rechtsform sind in diesem Fall noch Umwandlungsmaßnahmen zu vollziehen. a) Grundlagen
3.5
Die ganz überwiegende Zahl der Börsenkandidaten entscheidet sich für die Rechtsform der AG. Sie stellt die „reinste“ Form einer Kapitalgesellschaft dar, die besonders gut als „Kapitalsammelbecken“ dienen kann. Von ihrer Grundkonzeption ist sie als Publikumsgesellschaft mit offenem, in seiner Zusammensetzung wechselndem Gesellschafterkreis angelegt. Gleichzeitig unterliegt sie weitgehend zwingenden Vorschriften (Grundsatz der Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG)7. Gegenüber der KGaA bietet sie den Vorteil internationaler Bekanntheit und übersichtlicher unternehmensverfassungsrechtlicher Strukturen. Charak3 Zu den Kosten des Börsengangs Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 20 Rz. 50 ff.; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 220 ff. 4 Die Europäische Gesellschaft ist bislang nur vereinzelt von Börsenkandidaten genutzt worden; vgl. Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v. 22.12.2004, BGBl. I 2004, 3675. Überlegungen, GmbH- und KG-Anteile börsenmäßig handelbar zu machen, konnten sich nicht durchsetzen; krit. etwa Hommelhoff, ZHR 153 (1989), 181; Claussen, GmbHR 1989, 495. 5 Vgl. Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (REIT-Gesetz – REITG) v. 28.5.2007, BGBl. I 2007, 914. Zu den Besonderheiten beim Börsengang einer REIT-AG Götze/Hütte, NZG 2007, 332 und § 24. Als praktisches Beispiel s. etwa den Prospekt der Prime Office AG v. 7.6.2011. 6 Börsengänge von sog. Special Purpose Acquistion Vehicles (SPAC), also Zweckgesellschaften, die mit dem Emissionserlös aus dem Börsengang erst einen operativen Geschäftsbetrieb erwerben, haben sich in der Praxis noch nicht durchgesetzt; s. dazu § 4 C, Rz. 4.155 ff. 7 Zur Funktion im Zusammenhang mit dem Kapitalmarktrecht Hirte, ZGR-Sonderheft 13, 1998, S. 61, 74 ff. (i.E. für teleologische Reduktion bei börsennotierten Gesellschaften).
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Börsengang | § 3
teristisch für die AG ist die „Trennung von Kapital und Management“8. Die AG verfügt über drei notwendige Organe, deren Zuständigkeiten scharf gegeneinander abgegrenzt sind. Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Ihm obliegt die Geschäftsführung (§ 77 Abs. 1 AktG) und Vertretung der Gesellschaft (§ 78 Abs. 1 AktG). Bei Ausübung seiner Leitungsfunktion ist er grundsätzlich nicht an die Weisungen anderer Gesellschaftsorgane gebunden. Allerdings hat der Aufsichtsrat, dem die Überwachung der Geschäftsführung zukommt9, einen Katalog von Geschäften aufzustellen, die seiner Zustimmung bedürfen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Er bestellt auch den Vorstand (§ 84 AktG). Eine weitere wichtige Aufgabe des Aufsichtsrats besteht in der Prüfung und Billigung der Jahres- und Konzernabschlüsse (§ 171 AktG). Satzungsänderungen (§ 179 Abs. 1 Satz 1 AktG), Kapitaländerungen (§§ 71, 182 ff. AktG) und andere gesetzlich geregelte Strukturmaßnahmen (z.B. §§ 293, 319 f. AktG) bedürfen einer Beschlussfassung durch die Hauptversammlung der Gesellschaft (vgl. § 119 Abs. 1 AktG)10. Die Hauptversammlung wählt die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat (§ 101 Abs. 1 AktG) und kann damit nur mittelbar auf die Besetzung des Vorstands und seine Geschäftspolitik Einfluss nehmen. Außerdem beschließt sie alljährlich über die Gewinnverwendung (§ 174 Abs. 1 AktG), die Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (§ 120 AktG) sowie die Bestellung des Abschlussprüfers (§ 318 Abs. 1 Satz 1 HGB). Wenngleich sich die Mehrheit der börsennotierten Unternehmen für die Rechtsform der AG entschieden hat, kann die Rechtsform der KGaA in besonderen Situationen eine bedenkenswerte Alternative sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Altgesellschafter trotz ihrer grundsätzlichen Entscheidung, weitere Gesellschafter aufzunehmen, ihren Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft erhalten möchte11. Dies macht die KGaA insbesondere für mittelständische Unternehmen attraktiv. Die KGaA wird vor allem dadurch geprägt, dass sich in ihr notwendig zwei Gesellschaftergruppen, der oder die persönlich unbeschränkt haftenden Komplementäre und die am Grundkapital beteiligten Kommanditaktionäre, gegenüberstehen. Zu einer häufig anzutreffenden Gestaltungsoption gehört es in diesem Zusammenhang, dass sich der Komplementär in der Satzung das Recht ausbedungen hat, seinen Geschäftsanteil in Kommanditaktien umzuwandeln12. Hierdurch kann Altgesellschaftern die Möglichkeit eröffnet werden, zu gegebener Zeit nach dem Börsengang über die Umplatzierung der fungiblen Kommanditanteile ganz oder teilweise als Gesellschafter auszuscheiden. Wie die AG verfügt auch die KGaA über drei notwendige Organe. Der Komplementär führt die Geschäfte der Gesellschaft und vertritt sie 8 Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 2 Rz. 6. 9 Bei kapitalmarktorientierten Unternehmen muss der Aufsichtsrat mit mindestens einem unabhängigen Finanzexperten besetzt sein; vgl. § 100 Abs. 5 AktG i.V.m. § 264d HGB; vgl. hierzu Gruber, NZG 2008, 12. 10 Zur Vorlagepflicht bei Maßnahmen von herausragender Bedeutung vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158; eingegrenzt durch die Urteile des BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, AG 2004, 384, und II ZR 154/02 – Gelatine, WM 2004, 1085. 11 Zur börsennotierten KGaA ausführlich Wieneke/Fett in Schütz/Bürgers/Riotte (Hrsg.), KGaA, 2004, § 10. Aufgrund ihrer strukturellen Vorteile für den Großaktionär – Wahrung des Einflusses auf die Geschäftsführung bei gleichzeitiger Flexibilität hinsichtlich der Eigenkapitalaufnahme – hat die Rechtsform KGaA in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen; vgl. den Börsengang der DWS Group GmbH & Co. KGaA (DWS) im März 2018 (www.dws.com) sowie die Hauptversammlungsbeschlüsse über den Formwechsel in eine KGaA der Fresenius Medical Care AG v. 30.8.2005, der Drägerwerk AG v. 11.5.2007 oder der KSB AG v. 10.5.2017. 12 Zu dieser und weiteren Möglichkeiten der Satzungsgestaltung vgl. Schlitt, Die Satzung der KGaA, 1999, S. 149 ff. und passim.
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3.6
§ 3 | Börsengang
nach außen (§ 278 Abs. 2 AktG i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 114 ff., 125 ff. HGB). Im Unterschied zum Vorstand der AG wird der Komplementär allerdings nicht zum Geschäftsführer bestellt, diese Befugnisse ergeben sich vielmehr bereits aus seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung. Diese kann ihm grundsätzlich weder durch den Aufsichtsrat noch durch die Hauptversammlung entzogen werden. Komplementär kann eine juristische Person, etwa eine GmbH, sein (sog. kapitalistische KGaA)13. Der Aufsichtsrat der KGaA hat gegenüber dem Aufsichtsrat einer AG weitergehende Kompetenzen, da er grundsätzlich die Beschlüsse der Kommanditaktionäre ausführt (§ 287 Abs. 1 AktG). Gegenüber dem geschäftsführenden Komplementär sind seine Befugnisse allerdings insoweit beschnitten als er – neben der fehlenden Personalkompetenz – nicht das Recht hat, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung zu erlassen oder bestimmte Maßnahmen der Geschäftsführung seiner Zustimmung zu unterwerfen. Wie in der AG handelt es sich bei der Hauptversammlung um die Versammlung der Aktionäre. Eine bedeutsame Einschränkung erfährt die Position der Kommanditaktionäre jedoch dadurch, dass Satzungsänderungen und weitere wesentliche Grundlagenbeschlüsse der Zustimmung des Komplementärs bedürfen (§ 285 Abs. 2 Satz 1 AktG). Zwar steht diesem Zustimmungsvorbehalt des Komplementärs ein Widerspruchsrecht der Hauptversammlung bei über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehenden Handlungen gegenüber (§ 278 Abs. 2 AktG i.V.m. § 164 Satz 1 HGB), die Satzung kann ein solches Widerspruchsrecht jedoch wirksam ausschließen14. b) Umwandlungsmaßnahmen
3.7
Befindet sich das Unternehmen, dessen Börsengang angestrebt wird, noch nicht in der Rechtsform der AG oder KGaA, ist im Vorfeld des Börsengangs ein Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) durchzuführen15. Häufig sind vor dem Börsengang aber auch Vermögensübertragungen erforderlich, weil die Struktur der Unternehmensgruppe verändert und Betriebsteile auf den Börsenkandidaten übertragen werden sollen. Denkbar sind dabei die Übertragungen der den Betrieb ausmachenden Vermögensteile im Wege der Einzeloder Gesamtrechtsnachfolge. Bei der Einzelrechtsnachfolge werden die Aktiva und Passiva des Unternehmens nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf die AG bzw. KGaA übertragen16. Existiert letztere noch nicht, bedarf es einer Gründung der Gesellschaft nach den Gründungsvorschriften des Aktienrechts (§§ 23 ff. AktG). Werden dabei Sacheinlagen gemacht, sind besondere Feststellungen in der Satzung notwendig (§ 27 AktG). Des Weiteren ist eine Gründungsprüfung vorgesehen, deren Inhalt sich auf die Werthaltigkeit der Sacheinlagen zu beziehen hat (§§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Bereits aus steuerlichen Gründen (vgl. hierzu eingehend § 9) werden die Altgesellschafter jedoch regelmäßig eine Umwandlung nach Maßgabe der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (UmwG) anstreben. Sind die Vermögenswerte des Unternehmens noch nicht in einer eigenen Rechtseinheit separiert, können diese im Wege der Spaltung auf eine bestehende oder neu zu gründende Gesellschaft übertragen werden (§§ 123 ff. UmwG). An Spaltungsformen kennt das UmwG neben der (das gesamte Vermögen betreffenden) Aufspaltung die Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) und die Abspaltung (§ 123 13 Vgl. BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96 – Schukraft Spezialtiefbau KGaA, BGHZ 134, 392 = AG 1997, 370; vgl. hierzu statt anderer Ihrig/Schlitt, ZHR Sonderheft 67 (1998), 33; Wichert, AG 2000, 268. 14 Vgl. Schlitt, Die Satzung der KGaA, 1999, S. 157 f. 15 Zum Numerus Clausus der Gründungsformen der SE vgl. Austmann in MünchHdb. AG, § 84 Rz. 1 ff.; 83; Casper in Spindler/Stilz, AktG, Art. 2, 3 SE-VO Rz. 6 ff. 16 Dazu etwa Schlitt in Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl. 2017, Anh. § 173, passim.
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Abs. 2 UmwG). Sie unterscheiden sich dadurch, dass im Falle der Abspaltung den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers Anteile der übernehmenden AG oder KGaA gewährt werden, während diese Anteile im Falle der Ausgliederung der übertragende Rechtsträger selbst erhält. Regelmäßig wird eine Ausgliederung vorgenommen, der sich ein IPO der neuen Tochtergesellschaft anschließt (vgl. Rz. 3.67 ff.). Aber auch die Abspaltung kann einen geeigneten Weg für den Börsengang eines Geschäfts- oder Unternehmensbereichs darstellen, der aus dem Konzernverbund einer bereits börsennotierten Gesellschaft entlassen und dekonsolidiert werden soll (vgl. Rz. 3.30 f. sowie § 4 B, Rz. 4.45 ff.). Mit Wirksamwerden der Spaltung gehen die betroffenen Vermögensteile einschließlich ihrer Verbindlichkeiten im Wege der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger über (vgl. § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG).
2. Vorbereitung der Gesellschaft Zur Vorbereitung des Börsengangs sollte frühzeitig damit begonnen werden, die Anforderungen des Kapitalmarkts in der Gesellschaft wirtschaftlich, rechtlich und organisatorisch umzusetzen17:
3.8
a) Herstellung der „Kapitalmarktreife“ Die Erwartungen an einen Börsenkandidaten sind vielfältig und können je nach Branche, Marktsegment und Investorenkreis unterschiedlich sein. Über die rechtlichen Anforderungen an die Zulassung der Aktien hinaus (vgl. Rz. 3.87 ff.) werden an das Unternehmen stets wirtschaftliche und organisatorische Mindestanforderungen gestellt. Die Kapitalmarktreife der Gesellschaft wird dabei regelmäßig an der Dauer des Unternehmens18, dem Jahresumsatz, der Ertragskraft sowie der Umsatz- und Ertragsentwicklung gemessen. Weitere wichtige Kriterien sind die Wettbewerbsposition des Unternehmens und seine Strategie. Eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung der Kapitalmarktreife spielen schließlich die Wachstums- und Ertragsaussichten, wobei deren Bedeutung branchenabhängig schwanken kann. Während in traditionellen Branchen eine kontinuierliche Umsatz- und Ertragsentwicklung in den zurückliegenden Jahren bedeutsam sein kann, qualifizieren sich Unternehmen der Wachstums- und Technologiebranchen weniger durch die aktuelle Ertragslage als durch ihr Wachstumspotenzial. Branchenunabhängig sind jedoch hohe Anforderungen an die Qualifikation des Managements und die innere Organisation des Unternehmens zu stellen. Sofern noch nicht vorhanden, ist die Einrichtung eines modernen Standards entsprechenden Risikomanagement- und -überwachungssystems (§ 91 Abs. 2 AktG)19 zur frühzeitigen Erkennung bestandsgefährdender Risiken ebenso erforderlich wie der Aufbau eines leistungsfähigen Rechnungswesens und Controllings. Besondere Anforderungen werden an das Rechnungswesen gestellt20, weil spätestens mit dem Börsen17 Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Börsengangs kommunaler AGs Schlitt, FB 1999, 440. 18 Im regulierten Markt (§ 3 Abs. 1 BörsZulV) wird vorausgesetzt, dass der Emittent mindestens drei Jahre als Unternehmen besteht, was aber für die Zulassung letztlich fast nie entscheidend ist; dazu und zu den Ausnahmen nach Abs. 2 Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 1–12 BörsZulV Rz. 4 ff. 19 Zu Einzelheiten Hüffer/Koch, AktG, § 91 Rz. 6 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rz. 29 ff. 20 Ausführlich dazu auch Frey, DStR 1999, 294; zu Fragen der IFRS-Überleitungsrechnung Küting/Dürr/Zwirner, KoR 2002, 1.
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3.9
§ 3 | Börsengang
gang die Bilanzierung nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS für den Konzernabschluss verpflichtend ist21 und grundsätzlich IFRS-Konzernabschlüsse für die letzten beiden Geschäftsjahre im Wertpapierprospekt enthalten sein müssen (vgl. Anhang I Ziff. 20.1. Abs. 2 VO Nr. 809/200422. Davon unberührt bleiben die gesetzlichen Pflichten zur Erstellung und Veröffentlichung eines Einzelabschlusses nach HGB als Grundlage der Kapitalerhaltung, Besteuerung und Dividendenermittlung. Insoweit hat der großen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) ermöglichte Einzelabschluss nach internationalen Standards neben dem HGB-Jahresabschluss rein informativen Charakter (vgl. § 325 Abs. 2b Nr. 3 HGB). Neben der Schaffung „börsenfähiger Strukturen“ ist das Unternehmen auf das „being public“ vorzubereiten, insbesondere also Vorkehrungen für die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten zu schaffen (vgl. § 38). b) Satzungsgestaltung
3.10 Neben der Beachtung der wirtschaftlichen und organisatorischen Anforderungen an einen
Börsenkandidaten empfiehlt es sich, in der Satzung der Gesellschaft zusätzlich zur Kapitalausstattung (vgl. Rz. 3.13 ff.) einige weitere kapitalmarktorientierte Anpassungen vorzunehmen. Hinzu kommen Verschärfungen, die von der börsennotierten AG (§ 3 Abs. 2 AktG) von Gesetzes wegen zu beachten sind (vgl. etwa §§ 110 Abs. 3, 134 Abs. 1 Satz 2, 171 Abs. 2 Satz 2 AktG)23. Unterschätzt werden häufig die Bedeutung und die Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Unternehmensgegenstand. Der Unternehmensgegenstand legt fest, mit welchen unternehmerischen Aktivitäten die AG den Gesellschaftszweck verfolgt und verfolgen darf24. Um hierbei hinreichende Flexibilität zu haben, werden regelmäßig nur der Kernbereich definiert und ansonsten Tätigkeitsaufgaben beispielhaft aufgeführt. Wichtig ist auch die Möglichkeit, durch Beteiligungsunternehmen zu handeln, und nur eine kapitalistische Beteiligungsverwaltung zu betreiben. Sofern die Satzung nicht bereits eine entsprechende Regelung enthält, sollte die Gesellschaft stets von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Anspruch der Aktionäre auf Verbriefung ihrer Anteile auszuschließen (§ 10 Abs. 5 AktG). Der Ausschluss des Verbriefungsanspruchs ermöglicht die Girosammelverwahrung des gesamten Kapitals in Form einer oder mehrerer Globalurkunden. Die Aktionäre erhalten anstelle effektiver Aktienurkunden Miteigentumsanteile an den Globalurkunden über die Einbuchung ihrer Anteile in die bei ihren Kreditinstituten unterhaltenen Depots (vgl. §§ 5 f. DepotG). Außerdem ist eine von
21 Vgl. § 315a Abs. 1 HGB i.V.m. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. EG Nr. 243 v. 11.9.2002, S. 1 = NZG 2002, 1095; Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12. 2004, BGBl. I 2004, 3166; s. auch Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 315a Rz. 3 f. 22 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 v. 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, ABl. EG Nr. 149 v. 30.4.2004. Die Regelungen der VO Nr. 809/2004 werden durch noch zu erlassende delegierte Rechtsakte der EU-Kommission abgelöst werden, s. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1129 v. 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017. 23 Zu den spezifischen Anforderungen an die Satzung der REIT-AG s. Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, BB 2007, 1345. 24 Vgl. Sailer-CoceaniWiesner in MünchHdb. AG, § 9 Rz. 10 ff.
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§ 60 Abs. 2 Satz 3 AktG abweichende Regelung der Gewinnberechtigung zu empfehlen (§ 60 Abs. 3 AktG)25. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung in der Telekommunikation empfiehlt es sich auch, von den durch das Namensaktiengesetz (NaStraG)26 und das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG)27 geschaffenen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Ferner sind die durch die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie eingeführten Regelungen zu beachten28. So kann durch entsprechende Regelung in der Satzung die Durchführung von Aufsichtsratssitzungen im Wege von Video- oder Telefonkonferenzen auch für den Fall erlaubt werden, dass ein oder mehrere Mitglieder des Gremiums einem solchen Verfahren widersprechen (§ 108 Abs. 4 AktG). Ferner können in der Satzung bestimmte Fälle vorgesehen werden, in denen die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats an der Hauptversammlung im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen darf (§ 118 Abs. 3 Satz 2 AktG). Die Satzung kann auch eine Übertragung der Hauptversammlung in Ton und Bild zulassen (§ 118 Abs. 4 AktG)29. Denkbar wäre es auch, über eine entsprechende Satzungsregelung die aktive Teilnahme der Aktionäre an den künftigen Publikums-Hauptversammlungen auf elektronischem Weg (§ 118 Abs. 1 Satz 2 AktG) oder auch nur eine sog. elektronische Briefwahl (§ 118 Abs. 2 AktG) zuzulassen. Um einen geordneten Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten, empfiehlt es sich ferner, in der Satzung die Ermächtigung des Versammlungsleiters vorzusehen, das Frage- und Rederecht der Aktionäre zeitlich angemessen zu beschränken (§ 131 Abs. 2 Satz 2 AktG30). Werden für die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung Stimmrechtsvertretern durch die Gesellschaft31 benannt, ist eine Regelung des Inhalts in die Einladung aufzunehmen, dass die Vollmacht auch in einer in der Einladungsbekanntmachung näher bestimmten elektronischen Form (E-Mail, Internet) erteilt werden kann (§ 134 Abs. 3 Satz 4 AktG)32. 25 Zur möglichen Einführung einer Sachdividende (§ 58 Abs. 5 AktG) Holzborn/Bunnemann, AG 2003, 671; Lutter/Leinekugel/Rödder, ZGR 2002, 204; Schnorbus, ZIP 2003, 509. 26 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v. 18.1.2001, BGBl. I 2001, 123; vgl. hierzu Goedecke/Heuser, BB 2001, 369; Hüther, AG 2001, 68; Seibert, ZIP 2001, 53. 27 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz – TransPuG) v. 19.7.2002, BGBl. I 2002, 2681; vgl. hierzu Ihrig/Wagner, BB 2002, 789. 28 Richtlinie 2007/36/EG v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EG Nr. 184, S. 17, umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479; vgl. hierzu statt anderer Seibert, ZIP 2008, 2145 und zu den Auswirkungen auf die Hauptversammlungs-Praxis Drinhausen/Keinath, BB 2009, 2322. 29 Allg. zu Rechtsfragen bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften Ihrig/Wagner in FS Spiegelberger, 2009, S. 722. 30 Eingefügt durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802; vgl. hierzu statt anderer Seibert, WM 2005, 157; Spindler, NZG 2005, 825; Koch, ZGR 2006, 769. Zur Begrenzung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der Hauptversammlung s. auch Angerer, ZGR 2011, 27; Hemeling, AG 2004, 262. 31 In Ziff. 2.3.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex wird dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft die Bestellung eines Stimmrechtsvertreters für die weisungsgebundene Stimmrechtsausübung empfohlen („soll“). 32 In diesem Fall ist es denkbar, dass die nicht anwesenden Aktionäre ihre Weisungen während der Hauptversammlung noch ändern (vgl. auch Ziff. 2.3.2 Deutscher Corporate Governance Kodex a.E.); vgl. dazu Habersack, ZHR 165 (2001), 172, 182 ff.; Mimberg, ZGR 2003, 21, 48 ff.
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§ 3 | Börsengang
3.12 Beachtung ist schließlich dem Deutschen Corporate Governance Kodex33 zu schenken.
Dessen Empfehlungen („soll“) und Anregungen („sollte“), die sich an börsennotierte Unternehmen richten, enthalten Standards für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Gemäß § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden; Abweichungen von den Empfehlungen sind zu begründen (sog. Entsprechenserklärung; „comply or explain“)34. Die Einhaltung oder das Abweichen von Anregungen des Kodex ist dagegen nicht erklärungsbedürftig. Bei der Umsetzung der Empfehlungen des Kodex im Vorfeld des Börsengangs sollte bedacht werden, dass ein Großteil der Regelungen in die Geschäftsordnungen für Vorstand und Aufsichtsrat integriert werden kann. Eine Satzungsänderung ist regelmäßig nicht erforderlich und sollte im Hinblick auf eine höhere Flexibilität bei etwa notwendigen Anpassungen in der Zukunft vermieden werden35. c) Ausgestaltung der Aktien und des Grundkapitals
3.13 Im Vorfeld des Börsengangs ist über die Ausgestaltung der künftig börsennotierten Aktien
und deren Gattung zu entscheiden (vgl. § 23 Abs. 3 Nr. 4 und 5 AktG). Die Aktien können entweder als Nennbetragsaktien oder als Stückaktien ausgegeben werden (Aktienform – § 8 Abs. 1 AktG). Nennbetragsaktien müssen mindestens auf einen Euro lauten; auch der auf die einzelne Stückaktie entfallende Anteil des Grundkapitals darf einen Euro nicht unterschreiten (§ 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 AktG). Dieser Mindestbetrag stellt nach dem Verbot der Unterpariemission (§ 9 Abs. 1 AktG) die Untergrenze der Einlagepflicht der Aktionäre dar. Der wesentliche Vorteil der Stückaktie liegt darin, dass der auf eine Stückaktie entfallende Anteil des Grundkapitals anders als ein Nennbetrag (§ 8 Abs. 2 Satz 4 AktG) nicht auf volle Euro lauten muss und dieser Betrag nicht die Aktienurkunde selbst kennzeichnet, sondern durch Division der Grundkapitalziffer durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien anhand der Satzung ermittelt wird. So können Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln auch ohne Ausgabe neuer Aktien durchgeführt werden (§ 207 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AktG). Auch eine ordentliche Kapitalherabsetzung ist möglich, ohne dass die Aktienurkunden unrichtig werden (vgl. § 222 Abs. 4 AktG). Da die Nennbetragsaktie auch im Hinblick auf eine Börsennotierung keine erkennbaren Vorteile bietet – für den Börsenwert der Aktie ist ein Nennbetrag, abgesehen von der Stückelung, letztlich ohne Belang –, haben sich wohl alle Emittenten seit Einführung der Stückaktie36 für diese Aktienform entschieden. 33 Verfügbar unter www.dcgk.de; s. dazu statt anderer Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337; Krieger, ZGR 2012, 160; Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018. 34 Dazu etwa Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365; Lutter, ZHR 166 (2002), 249; Seibt, AG 2002, 249; Semler/Wagner, NZG 2003, 553. Zur beim IPO häufig umstrittenen Aufnahme in den Prospekt vgl. § 24 Rz. 30 (1. Aufl.). Die Entsprechenserklärung ist Bestandteil einer „Erklärung zur Unternehmensführung“ sein, die von börsennotierten Gesellschaften in den Lagebericht aufzunehmen ist; vgl. § 289a HGB. 35 Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex versteht sich als sog. Standing Commission, die jährlich die Empfehlungen und Anregungen des Kodex einer Prüfung unterzieht und evtl. notwendige Anpassungen vornimmt. Zur Reaktion der Unternehmen auf solche Änderungen Ihrig/Wagner, BB 2003, 1625. 36 Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) v. 25.3.1998, BGBl. I 1998, 590.
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Das Aktienrecht lässt darüber hinaus grundsätzlich die Wahl zwischen Inhaberaktien und Namensaktien (Aktienart – § 10 Abs. 1, 2 AktG). Selten ist die Ausgabe beider Aktienformen. In früheren Jahren hatte die weit überwiegende Zahl der börsennotierten Gesellschaften Inhaberaktien ausgegeben. Später war ein deutlicher Trend in Richtung der Namensaktie zu beobachten, dessen Gründe in der internationalen Verbreitung der Namensaktie und ihren Vorteilen bei der Investor-Relations-Arbeit zu finden waren. Soweit eine spätere Börsennotierung in den USA in Betracht kommt, empfiehlt sich die Einführung der Namensaktie wegen dortiger Vorgaben bereits anlässlich des nationalen Börsengangs. Die Namensaktie ermöglicht des Weiteren eine Kontaktaufnahme zu den Aktionären, deren Namen und Adressen durch die Führung des Aktienregisters bekannt sind (vgl. §§ 67 Abs. 1, 68 Abs. 3 AktG)37. Schließlich kann nur die Übertragung von Namensaktien satzungsmäßig von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig gemacht werden (§ 68 Abs. 2 AktG). Diese Einführung vinkulierter Namensaktien kann insbesondere dem Zweck dienen, auf die künftige Zusammensetzung des Aktionärskreises Einfluss nehmen zu können. Für die börsennotierte Gesellschaft ist die Bedeutung eines solchen Zustimmungserfordernisses jedoch regelmäßig gering; vinkulierte Namensaktien werden nur dann zum regulierten Markt zugelassen, wenn das Zustimmungserfordernis nicht zu einer Störung des Börsenhandels führt, was in der Regel nicht zu besorgen ist (§ 34 Nr. 1b BörsG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BörsZulV).
3.14
Der Aktiengattung nach handelt es sich bei börsennotierten Aktien regelmäßig um Stammaktien. Stammaktien sind voll gewinnberechtigt und gewähren jeweils das gleiche Stimmrecht (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AktG)38. Daneben besteht die Möglichkeit, die zum Handel an einer Börse zuzulassenden Aktien als Vorzugsaktien auszugeben, die mit einem Vorzugsrecht bei der Verteilung des Bilanzgewinns ausgestattet sind. Die (effektive) Gewährung eines solchen Dividendenvorzugs ist Voraussetzung dafür, dass die Aktien ohne Stimmrecht ausgegeben werden können (§§ 12 Abs. 1 Satz 2, 139 Abs. 1, 140 AktG)39. Aus Sicht der Gesellschaft und ihrer Großaktionäre kann die Einführung von Vorzugsaktien dazu dienen, die Mehrheitsverhältnisse in der Hauptversammlung auch über den Börsengang hinweg zu
3.15
37 Allerdings werden nicht selten anstelle der tatsächlich Berechtigten auf deren Wunsch die Namen von Depotbanken in das Aktienregister eingetragen (sog. Legitimationsaktionäre); vgl. Uwe H. Schneider/Müller-von Pilchau, AG 2007, 181. Die Satzung kann jedoch bestimmen, unter welchen Voraussetzungen solche Eintragungen zulässig sind; vgl. § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG, eingefügt durch das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1666; s. dazu Diekmann/Merkner, NZG 2007, 921; Uwe H. Schneider/Müller-von Pilchau, WM 2011, 721. Denkbar ist eine Satzungsregelung, nach der eine Eintragung als Legitimationsaktionär ab einem bestimmten Schwellenwert nicht mehr zulässig ist (ab ca. 0,5 bis 2 %; vgl. Begr. RegE z. Risikobegrenzungsgesetz, BTDrucks. 16/7438); vgl. z.B. § 3a der Satzung der Allianz SE (bis zu 0,2 % bzw., unter bestimmten Voraussetzungen, bis einschließlich 3 %). 38 Zum Einsatz von Tracking Stocks bei Börsengängen Cichy/Heins, AG 2010, 181. Soweit ersichtlich einziges Beispiel in Deutschland ist der Börsengang der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Die an der Börse gehandelten A-Aktien repräsentieren lediglich den Hafenumschlagbetrieb, die S-Aktien die Immobilien. Alleiniger Inhaber der S-Aktien ist die Stadt Hamburg, vgl. den Wertpapierprospekt v. 19.10.2007, S. 43, 186 ff. 39 § 140 Abs. 1 AktG stellt klar, dass den Vorzugsaktionären alle weiteren Mitgliedschaftsrechte erhalten bleiben. Wird der Vorzugsbetrag bei nachzahlbaren Vorzugsaktien in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt und dieser Rückstand im nächsten Jahr nicht neben der dann zahlbaren Vorzugsdividende wieder aufgeholt, lebt das Stimmrecht bis zur Aufholung der Rückstände wieder auf (Recht auf Nachzahlung – §§ 139 Abs. 1, 140 Abs. 2 AktG); näher Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 140 Rz. 13 ff.
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erhalten40. Seit geraumer Zeit ist jedoch auch bei bereits länger börsennotierten Gesellschaften ein Trend hin zur Stammaktie als einheitlicher Aktiengattung zu beobachten41. Ein Grund hierfür ist sicherlich in der geringen Akzeptanz der Vorzugsaktie bei ausländischen institutionellen Investoren und dem entsprechenden Kursabschlag zu sehen42. Die Entscheidung der meisten Emittenten für die Stammaktie als einheitliche Aktiengattung dürfte jedoch auch dadurch beeinflusst worden sein, dass sich das Gewicht eines Unternehmens in einem Aktienindex der Deutsche Börse AG nach dem Streubesitz einer einzigen Aktiengattung bemisst. Bei der getrennten Betrachtung der unterschiedlichen Aktiengattungen wird jeweils nur die größere bzw. liquidere Gattung in den Auswahlindex aufgenommen43.
3.16 Neben der Entscheidung über die Ausgestaltung und Gattung der zu platzierenden Aktien
kommt der Herstellung eines geeigneten Grundkapitals eine wichtige Funktion für den Erfolg eines Börsengangs zu. Wesentliche Faktoren für eine kapitalmarktorientierte Anpassung des Grundkapitals sind der Unternehmenswert und der Kreis der potentiellen Investoren. Wenn in die Festlegung des Emissionspreises auch eine Vielzahl anderer Überlegungen einfließen können44, kommt dem im Rahmen einer Unternehmensbewertung ermittelten Ertragswert doch eine entscheidende Bedeutung bei der Preisfindung zu. Der angestrebte Investorenkreis hat sodann Einfluss auf die Höhe und Stückelung des Grundkapitals45. Sollen institutionelle Investoren und Privatanleger gleichermaßen angesprochen werden, empfiehlt es sich, die Gesellschaft mit einem Grundkapital und einer Aktienzahl auszustatten, die eine Platzierung an eine Vielzahl von Anlegern zu einem überschaubaren Emissionspreis ermöglicht. Der anteilige Betrag des Grundkapitals liegt gewöhnlich bei einem Euro pro Aktie. Häufig sind zur Herstellung eines geeigneten Grundkapitals im Vorfeld des Börsengangs Kapitalerhöhungsmaßnahmen, etwa aus Gesellschaftsmitteln, und/oder ein Aktiensplit notwendig.
3.17 Um die Handlungsfähigkeit des Vorstands zu erhöhen, kann sich im Vorfeld des Börsen-
gangs die Einräumung weiterer kapitalmarktüblicher Ermächtigungen empfehlen. Ein bedingtes Kapital46 kann bis zu einem Volumen von 10 % des Grundkapitals dazu dienen,
40 Vgl. zuletzt den Börsengang der Schaeffler AG, Wertpapierprospekt v. 7.10.2015, S. 26 f. Gemäß § 139 Abs. 2 AktG dürfen Vorzugsaktien allerdings nur bis zur Hälfte des Grundkapitals ausgegeben werden. Zu anderen Gestaltungsmöglichkeiten von „Preferred Shares“ Loges/Distler, ZIP 2002, 467. 41 So haben etwa die Hauptversammlungen und die gesonderten Versammlungen der Vorzugsaktionäre der METRO AG am 4.7.2000, der SAP AG v. 3.5.2001, der HeidelbergCement AG am 7.5.2002, der MAN AG am 17.5.2002 und der Fresenius Medical Care AG am 30.8.2005 über die Umwandlung der Vorzugs- in Stammaktien beschlossen; dazu auch Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859; Senger/Vogelmann, AG 2002, 193. 42 Vgl. allg. Feddersen in FS Ulmer, 2003, S. 105; zum Kursabschlag Jung/Wachtler, AG 2001, 513; Bergheim/Traub, DStR 1993, 1260, 1264. 43 Vgl. u.a. Kapitel 4.1.1.1 und 4.1.1.2 des Leitfadens zu den Aktienindizes der Deutschen Börse vom März 2017 (Version 8.2.0); verfügbar unter www.deutsche-boerse.com. S. auch den Überblick über die Indizes bei Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.61 ff. 44 Zu Fragen der Unternehmensbewertung im Rahmen von Börsengängen ausführlich Kohl in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 1 ff. 45 Gewisse Mindestwerte werden in § 2 Abs. 1 und 3 BörsZulV vorgegeben: Mindestmarktkapitalisierung von 1,25 Mio. Euro, Mindeststückzahl 10.000. 46 Soweit dem Börsengang einer AG oder KGaA eine formwechselnde Umwandlung vorausgegangen ist, ist zu beachten, dass die h.M. von der Unzulässigkeit eines bedingten Kapitals in der Gründungssatzung ausgeht; vgl. Lutter in KölnKomm. AktG, § 192 Rz. 2. Die (Alt-)Aktionäre sollten mithin nach Wirksamwerden der Umwandlung, jedoch noch vor dem Börsengang im Rahmen einer Vollversammlung über ein solches bedingtes Kapital beschließen.
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im Rahmen einer Management- oder Mitarbeiterbeteiligung gewährte Aktienoptionen zu unterlegen (§ 192 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG). Sofern eine Ermächtigung zur Ausgabe von Wandel- und/oder Optionsanleihen eingeräumt werden soll (§ 221 AktG), dient dieses oder ein weiteres bedingtes Kapital der Sicherung der entsprechenden Wandlungs- und Optionsrechte (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG)47. Stets empfiehlt es sich, die Gesellschaft mit einem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG) auszustatten. Ein solches, auf maximal 50 % des Grundkapitals begrenztes genehmigtes Kapital erhöht die Flexibilität bei der weiteren Kapitalbeschaffung ebenso wie bei künftigen Akquisitionen. Zu diesem Zweck ist das Bezugsrecht der Aktionäre für den gesetzlich erlaubten Fall auszuschließen, dass Aktien in einer Zahl von bis zu 10 % des Grundkapitals börsenpreisnah ausgegeben werden (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG)48. Um den Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen zu ermöglichen, wird der Bezugsrechtsausschluss über eine Ermächtigung zur Ausgabe der neuen Aktien gegen Sacheinlagen dargestellt (§§ 205 Abs. 1, 203 Abs. 2 Satz 1 AktG)49. Darüber hinaus kann ein genehmigtes Kapital nützlich sein, wenn im Rahmen des Börsengangs oder in naher Zukunft ein Belegschaftsaktienprogramm geplant ist. Schließlich sollte sich die Gesellschaft eine auf 10 % des Grundkapitals begrenzte Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien einräumen lassen (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG)50. d) Management- und Mitarbeiterbeteiligungsprogramm Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Vorbereitung der Gesellschaft auf den Börsengang ist die Einführung von Management- und Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen51. Die Erwartungshaltung gegenüber solchen Vergütungskomponenten ist regelmäßig nicht nur bei den Angestellten des Unternehmens hoch; auch potentielle Investoren interessieren sich häufig dafür, dass zumindest für das Management und die weiteren Führungskräfte über Vergütungsmodelle ein Anreiz zur Wertsteigerung geschaffen wird. Branchenabhängig spielt dabei auch die Frage der Mitarbeiterbindung eine Rolle. Schließlich dienen attraktive Beteiligungsprogramme auch der Mitarbeitergewinnung nach dem Börsengang.
3.18
Unterschieden werden muss zwischen „klassischen“ Belegschaftsaktienprogrammen und Beteiligungsprogrammen für das Management und die weiteren Führungskräfte. Belegschaftsaktien werden zumeist in der Weise ausgegeben, dass den Mitarbeitern neue oder bestehende eigene Aktien mit einem – steuerlich determinierten (§ 3 Nr. 39 EStG) – Abschlag auf den Börsenpreis bzw. Emissionspreis im Rahmen des Börsenganges mit einer ein- bis zweijährigen (arbeitsrechtlichen) Veräußerungssperre angeboten werden (vgl. auch Rz. 3.35 zum Friends & Family-Programm). Für diese Zwecke stehen entweder ein genehmigtes Kapital oder zuvor zurück erworbene eigene Aktien zur Verfügung. Bei der
3.19
47 Ausführlich zu Wandelanleiheemissionen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254; Singhof, ZHR 170 (2006), 673; Seibt, CFL 2010, 165 und unten § 11. 48 Üblich und als zulässig anerkannt ist ein möglicher Abschlag auf den aktuellen Kurs in Höhe von 3–5 %; vgl. Seibt, CFL 2011, 74; Rz. 6.32. 49 Vgl. BGH v. 23.8.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465; zust. Bungert, NJW 1998, 488. 50 Dies ist ungeachtet des Umstands zu empfehlen, dass es unüblich wäre, wenn die Gesellschaft zeitnah zum Börsengang ein Aktienrückkaufprogramm ankündigt oder durchführt. Zu Einzelheiten der Ermächtigung Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19c ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 93 ff. 51 Vgl. hierzu statt anderer Harrer (Hrsg.), Mitarbeiterbeteiligungen und Stock-Option-Pläne, 2. Aufl. 2004; Kessler/Sauter, Handbuch Stock Options, 2003.
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§ 3 | Börsengang
Ausgabe der Aktien an die Mitarbeiter wird das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen; einer weitergehenden sachlichen Rechtfertigung bedarf es hierfür aufgrund der aus dem Gesetz erkennbaren Intention des Gesetzgebers, die Beteiligung von Mitarbeitern an ihrem Unternehmen zu fördern (§§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 202 Abs. 4, 203 Abs. 4 AktG), nicht52.
3.20 Die Beteiligung des Vorstands bzw. der Geschäftsführer sowie weiterer Führungskräfte der
Gesellschaft und ihrer Tochtergesellschaften wird dagegen in der Regel über die Ausgabe von Aktienoptionen (stock options) umgesetzt. Besonderheit solcher Vergütungs- und Anreizsysteme ist, dass zunächst nur Bezugsrechte auf Aktien an die Teilnahmeberechtigten ausgegeben werden. Nach Ablauf einer Wartezeit – gesetzlich vorgeschrieben sind mindestens vier Jahre – und Erreichen eines zuvor von der Hauptversammlung der Gesellschaft definierten Erfolgsziels können dann Aktien der Gesellschaft erworben werden (§§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG)53. Der Preis, zu dem diese Aktien erworben werden können, richtet sich bei bereits börsennotierten Gesellschaften regelmäßig nach einem näher zu definierenden Durchschnittskurs zum Zeitpunkt der Ausgabe der Bezugsrechte. Wird ein solches Aktienoptionsprogramm im Rahmen eines Börsengangs aufgelegt, bietet es sich an, den Emissionspreis als Bezugspreis festzulegen. Bei Ausübung der Bezugsrechte können diese aus einem bedingten Kapital oder eigenen Aktien bedient werden, sofern entsprechende Ermächtigungen vorhanden sind54.
3.21 Aktienoptionen sind in der jüngeren Vergangenheit in die Kritik geraten. Der Grund hierfür ist jedoch weniger in diesem Instrument selbst als in dessen Umsetzung zu suchen. Die häufig nur wenig ambitionierten Erfolgsziele haben in Richtung möglicher Investoren die falsche Botschaft gesendet. Gerade im Falle eines Börsengangs ist es daher von besonderer Bedeutung, Erfolgsziele zu definieren, die erkennen lassen, dass sich der Vorstand und die weiteren Führungskräfte der Gesellschaft auch bei dieser variablen Vergütungsform an ihren unternehmerischen Erfolgen messen lassen (langfristige Anreizwirkung)55. Neben ei-
52 Vgl. BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98 – adidas, BGHZ 144, 290, 292 = AG 2004, 475. Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit einer Kombination von Kapitalerhöhung und Rückerwerb unter Einschaltung einer Bank s. auch Richter/Gittermann, AG 2004, 277. 53 Geändert durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31.7. 2009, BGBl. I 2009, 2509; s. dazu Hoffmann-Becking/Krieger, Beil. zu NZG Heft 26/2009, S. 1, 11 f. Zum Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 6.3.1998, BGBl. I 1998, 786, das eine Belieferung von Stock Options aus bedingtem Kapital ermöglichte, vgl. Baums in FS Claussen, 1997, S. 3; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 237 ff.; Lutter, ZIP 1997, 1; Martens, AG Sonderheft 1997, 83, 87 ff. 54 Zur – ohne entgegenstehenden Hauptversammlungsbeschluss nach § 286 Abs. 5 HGB individualisierten – Offenlegung der Vorstandsvergütung im Anhang vgl. §§ 285 Nr. 9a, 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB. Das Sondererfordernis der Individualisierung wurde eingefügt durch das Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz – VorstOG) v. 3.8.2005, BGBl. I 2005, 2267; s. dazu Fleischer, DB 2005, 1611; van Kann, DStR 2005, 1496. 55 Vgl. Ziff. 4.2.3 Abs. 2 des Deutschen Corporate Governance Kodex: „Variable Vergütungsbestandteile haben grundsätzlich eine mehrjährige Bemessungsgrundlage, die im Wesentlichen zukunftsbezogen sein soll. Sowohl positiven als auch negativen Entwicklungen soll bei der Ausgestaltung der variablen Vergütungsteile Rechnung getragen werden. Sämtliche Vergütungsteile müssen für sich und insgesamt angemessen sein und dürfen insbesondere nicht zum Eingehen unangemessener Risiken verleiten. Die Vergütung soll insgesamt und hinsichtlich ihrer variablen Vergütungsteile betragsmäßige Höchstgrenzen aufweisen. Die variablen Vergütungsteile sollen auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter bezogen sein. Eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder der Vergleichsparameter soll ausgeschlossen sein.“
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nem festen Kursziel bietet es sich daher an, den Vergleich mit anderen Branchenunternehmen oder einer sog. Peer-Group zu suchen (benchmarking). Dies könnte etwa dadurch geschehen, dass der Kurs der eigenen Aktien an der Performance eines Branchen-Index gemessen wird. Auch ein Eigeninvestment in Aktien als Bedingung für den Erwerb der Bezugsrechte ist grundsätzlich geeignet, den Anlegern gegenüber zu dokumentieren, dass das Management an den Erfolg des Unternehmens glaubt und ausreichend motiviert ist, eine Steigerung des Shareholder Value herbeizuführen. Nach der Intention des Gesetzgebers sollen Aufsichtsratsmitglieder nicht zum Bezug von Aktienoptionen (vgl. § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) sowie von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen (vgl. § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) berechtigt sein. Die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern an Aktienoptionsprogrammen ist auch dann nicht zulässig, wenn zur Bedienung der Bezugsrechte anstelle von bedingtem Kapital eigene Aktien eingesetzt werden56. Nichts anderes kann für gleichermaßen gesicherte Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen gelten. Fraglich bleibt auch, ob variable Vergütungskomponenten „virtuell“ eine Teilnahme an einer positiven Aktienkursentwicklung ermöglichen können, ohne zum Bezug von Aktien zu berechtigen57. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH bleibt insoweit eine gewisse rechtliche Unsicherheit58. Vorzugswürdig dürfte nach wie vor eine dividendenabhängige Tantieme oder eine Orientierung an wirtschaftlichen Kennzahlen des Unternehmens sein59. Dies entspräche auch der Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex, eine erfolgsorientierte Vergütung an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung auszurichten (Ziff. 5.4.6 Abs. 2). Allerdings ist in der Praxis ein Trend zu beobachten, den Aufsichtsratsmitgliedern „zur Stärkung der Unabhängigkeit“ nur noch eine feste Vergütung zu zahlen60. 56 BGH v. 16.2.2004 – II ZR 316/02, BGHZ 158, 122 = AG 2004, 265; vgl. hierzu Fuchs, WM 2004, 2233; Habersack, ZGR 2004, 721; Meyer/Ludwig, ZIP 2004, 940; Richter, BB 2004, 949; E. Vetter, AG 2004, 234; Wiechers, DB 2004, 696. 57 Derartige Vergütungselemente werden, je nach Ausgestaltung, als Phantom Stocks oder Stock Appreciation Rights bezeichnet; vgl. zu Gestaltungsmöglichkeiten für das Management näher Portner in Harrer (Hrsg.), Mitarbeiterbeteiligungen und Stock-Option-Pläne, 2. Aufl. 2004, Rz. 276 ff. 58 Vgl. das obiter dictum in BGH v. 16.2.2004 – II ZR 316/02, BGHZ 158, 122, 129. Die Übertragbarkeit der entscheidenden Urteilsgründe ablehnend Fuchs, WM 2004, 2233, 2239; Richter, BB 2004, 949, 956; E. Vetter, AG 2004, 234, 237; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 177 ff.; Marsch-Barner in FS Röhricht, 2005, S. 401, 416 f.; a.A. Paefgen, WM 2004, 1169, 1173; Habersack, ZGR 2004, 721, 731 f. 59 Denkbar ist eine Ausrichtung an technischen Kennziffern, Umsatz- und Kostengrößen, Ertragszahlen oder unternehmenswertbasierten Zahlen. Zu den Gestaltungsmöglichkeiten vgl. die Studien des Deutschen Aktieninstitut e.V., Heft 20, Aufsichtsratsvergütung bei deutschen börsennotierten Unternehmen, und Heft 23, Empfehlungen zur Aufsichtsratsvergütung – Ein Modell; s. auch Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 33 Rz. 27; Gehling, ZIP 2005, 549; Habersack, ZGR 2004, 721, 732 ff.; Krieger in FS Röhricht, 2005, S. 349. Nach Ziff. 5.4.6 Abs. 3 Satz 1 des Deutschen Corporate Governance Kodex soll die Vergütung im Corporate Governance-Bericht an die Hauptversammlung individualisiert und aufgegliedert nach Bestandteilen ausgewiesen werden. Dagegen sieht das Gesetz nur den Ausweis der Gesamtbezüge vor (§§ 285 Nr. 9a, 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB). 60 Vgl. etwa die HV-Beschlüsse von Allianz, E. ON und Siemens in der Hauptversammlungssaison 2011; dazu Martinius/Zimmer, BB 2011, 3014. Auch der Deutschen Corporate Governance Kodex enthält seit 2012 keine Empfehlung mehr, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats neben einer festen eine erfolgsorientierte Vergütung erhalten sollen.
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3.22
§ 3 | Börsengang
3. Emissionskonzept 3.23 Einen wesentlichen Teil der Vorbereitung des Börsengangs nimmt die Erarbeitung einer
attraktiven, auf den Emittenten abgestimmten Börseneinführungsstrategie ein. Dieses Emissionskonzept bildet die Grundstruktur des IPO. Neben der rechtlichen Strukturierung der Gesellschaft (Unternehmens- und Kapitalstruktur; vgl. Rz. 3.13 ff.) wird das Emissionskonzept von einer Reihe marktbezogener Faktoren geprägt, die für die Aufnahmebereitschaft des Kapitalmarkts von Bedeutung sind. Auf der Basis der Unternehmensinformation sowie der Analyse des Investorenpotentials und der Nachfrageschätzung sind das Emissionsvolumen, der „richtige“ Emissionszeitpunkt (timing), regionale Schwerpunkte der Emission (Börsenplatz und Marktsegment) und notwendige Marktschutzvorkehrungen zu bestimmen. a) Emissionsform; Auswahl der Konsortialbanken
3.24 Regelmäßig schaltet der Emittent in die Vorbereitung des Börsengangs und den eigentlichen Platzierungsvorgang eine oder mehrere Emissionsbanken ein (Fremdemission). Die Begleitung der Börsenzulassung der Aktien durch ein Kreditinstitut, ein Finanzdienstleistungsinstitut oder Unternehmen mit Sitz im Ausland i.S.d. §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 53b Abs. 1 Satz 1 KWG ist für den regulierten Markt ohnehin gesetzlich zwingend vorgesehen (§ 32 Abs. 2 BörsG). Die vornehmliche Aufgabe der Emissionsbanken ist jedoch die erfolgreiche Platzierung der Aktien beim anlagebereiten Publikum. Ohne ihre Einbindung hätte der Emittent nicht den für einen erfolgreichen Börsengang erforderlichen Zugang zu institutionellen und privaten Anlegern. Es überrascht daher nicht, dass die Eigenemission des Emittenten, also die direkte Platzierung der Aktien bei den Anlegern, als Emissionsform für Börsengänge keine Rolle spielt. Dies hat sich auch durch die Möglichkeit einer Internet-Emission nicht geändert61. Die damit verbundene Erwartung, zumindest einen Teil der Emission als kostengünstigere Eigenemission durchführen zu können, hat sich nicht erfüllt. Selbst Unternehmen, die bereits vor dem IPO einen überragenden Bekanntheitsgrad aufweisen, können insoweit nicht auf die Unterstützung von Emissionsbanken verzichten. Allenfalls kann versucht werden, über ergänzende (direkte) Zeichnungsfunktionalitäten den Investorenkreis zu erweitern62.
3.25 Wegen der Transaktionsgröße und des mit der Emission verbundenen Risikos werden in
einen Börsengang regelmäßig mehrere Banken eingeschaltet (Emissionskonsortium; vgl. Rz. 3.102 ff. und eingehend § 32). Grundsätzlich kann die Fremdemission hinsichtlich
61 Näher zur Internet-Emission Assmann in FS Schütze, 1999, S. 15; Spindler, NZG 2000, 1058; Fleischer, Gutachten, F 86 ff.; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 10 ff.; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 259 f. Die gesetzlich vorgeschriebene Publizität kann fast ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgen, vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 7 WpPG, der auf Art. 14 der Richtlinie 2003/71/EG v. 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EG Nr. 345 v. 31.12.2003, S. 64–89 („EU-Prospektrichtlinie“) zurückgeht (Gesetz zur Umsetzung der Prospektrichtlinie – Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 22.6.2005, BGBl. I 2005, 1698. Allerdings muss einem Anleger auf Verlangen eine Papierversion des Prospekts kostenlos zur Verfügung gestellt werden (§ 14 Abs. 5 WpPG). 62 Vgl. die Zeichnungsfunktionalität DirectPlace der Deutsche Börse AG, durch die gezielt RetailInvestoren, Family Offices und Vermögensverwalter eingebunden werden sollen (www.deutscheboerse.de).
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der Verteilung des wirtschaftlichen Risikos der Aktienplatzierung unterschiedlich ausgestaltet werden63. Die Eckpunkte dieses Gestaltungsrahmens bilden die bloße Absatzvermittlung (best-efforts underwriting), bei dem von den Emissionsbanken nur nachhaltige Unterbringungsbemühungen geschuldet sind (Begebungskonsortium), und die Festübernahme (hard underwriting), die von den Emissionsbanken die Übernahme der Aktien auf eigene Rechnung und Risiko verlangt (Übernahmekonsortien)64. Soweit zum Börsengang auch eine Kapitalerhöhung durchgeführt wird, ist eine Festübernahme zum Nominalwert allerdings zwingend erforderlich, weil die neuen Aktien verbindlich gezeichnet und die Mindesteinlagen erbracht werden müssen, um sie ausgeben zu können (§§ 189, 191, 188 Abs. 2 i.V.m. §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG). Nach dieser Maßgabe sind in der deutschen Praxis Einheitskonsortien als kombinierte Übernahme- und Begebungskonsortien üblich65. Die Mitglieder dieses Konsortiums übernehmen einheitlich im eigenen Namen und für eigene Rechnung die Übernahme und Platzierung der gesamten Emission. Durch die inhaltliche Ausgestaltung des Übernahmevertrags und die Unterzeichnung des Preisfestsetzungsvertrags über die effektive Anzahl zu übernehmender Aktien und den Platzierungspreis nach Abschluss des Bookbuildings wird der effektive Zeitraum für ein Hard Underwriting der Aktien durch die Emissionsbanken allerdings erheblich reduziert (vgl. näher Rz. 3.76 und 3.99 ff.). Teilweise wird darin gar eine faktische Wiederannäherung an das Begebungskonsortium gesehen66. Richtig daran ist, dass die Größe und Eigenkapitalausstattung der übernehmenden Emissionsbanken bei dieser Gestaltung an Bedeutung für ihre Teilnahmefähigkeit verliert67. Die Emissionsbanken müssen den Emittenten von ihren Stärken, ihrem Platzierungskonzept und ihren vorläufigen Bewertungsvorstellungen regelmäßig im Rahmen eines strukturierten Auswahlprozesses (beauty contest) überzeugen68. Auf dessen Grundlage wird zunächst nur die (konsortialführende) Bank (global coordinator) ausgewählt, die den gesamten Börsengang beraten und logistisch abwickeln soll69. Dabei unterstützt sie auch die Erstellung des Wertpapierprospekts (vgl. § 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG, § 3 Abs. 1, 3 i.V.m. § 5 WpPG), übernimmt im Rahmen der Preisermittlung durch ein Bookbuilding die Erfassung und Auswertung der Kaufaufträge der Investoren im elektronischen Orderbuch (bookrunner) und betreut das Zulassungsverfahren (vgl. Rz. 3.76 und 3.87 ff.). Regelmäßig macht ihre Platzierungsquote 60–80 % des Gesamtvolumens aus. Maßgebliche Kriterien für ihre Auswahl sind daher vor allem ihre nachhaltige Platzierungskraft bei Neuemissionen aufgrund ihrer anerkannten Research- und Vertriebsexpertise und ihrem Zugang zu institutionellen und privaten Anlegern (sales force), ihre langjährige Emissionserfahrung (track record) sowie ggf. eine Kapitalmarktbetreuung nach dem Börsengang (corporate brokerage). Zu letz63 Vgl. eingehend Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 23 ff.; Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 10 ff.; Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 35 ff.; Singhof, Außenhaftung, S. 45 ff. 64 Zu den bankaufsichtsrechtlichen Grundlagen nach § 1 KWG Brandt in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 15.6 ff. 65 Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 24; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 184; Singhof, Außenhaftung, S. 50; Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 11. 66 Groß in BuB, Rz. 10/280. 67 Vgl. Groß in BuB, Rz. 10/279 f. 68 S. auch Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 14 ff. Zur im Zusammenhang mit der Bewerbung um das Mandat häufig abzuschließenden Vertraulichkeitsvereinbarung Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.84 ff. 69 Näher zu den Aufgaben Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 7 ff.; Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 38 ff.
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§ 3 | Börsengang
terem gehört auch die Übernahme der Funktion eines Betreuers (designated sponsor), der zur Herstellung der erforderlichen Liquidität in der Aktie verpflichtet ist, indem er im elektronischen Handel verbindliche Preislimits für den An- und Verkauf von Aktien zur Verfügung stellt und damit temporäre Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage überbrückt70.
3.27 Die weitere Zusammensetzung des Emissionskonsortiums hängt von der Größe der Emis-
sion, der Platzierungsform und der regionalen Gewichtung ab. Je nach Verteilung der Aufgaben und der Übernahmequoten unter den Konsortialbanken können dabei „mehrstufige“ Emissionskonsortien entstehen (vgl. auch Rz. 3.102 ff.)71. In Abstimmung mit dem Emittenten wählt der Konsortialführer die Mitglieder des Emissionskonsortiums (co-lead manager/co-managers) regelmäßig aus dem Kreis der Banken aus, die im Rahmen des Auswahlprozesses bereits überzeugt und ihre Teilnahmebereitschaft erklärt haben. Alternativ ist denkbar, die Auswahl der Konsortialbanken in einem modifizierten Auktionsverfahren (bidding process) vorzunehmen, um den Wettbewerb um die Teilnahme am Emissionskonsortium zu stärken72. Zu diesem Zweck werden nicht nur die konsortialführenden Banken, sondern mehrere vorausgewählte Banken in die Investor Education (vgl. Rz. 3.42) eingebunden. Sie müssen in einem kurzen Auktionsverfahren die Investorenreaktionen analysieren und einen Vorschlag für eine angemessene Preisspanne für das Bookbuilding präsentieren. Auf dieser Grundlage werden die Banken für das Emissionskonsortium ausgewählt und ggf. ihre besonderen Funktionen festgelegt. Zugleich soll damit eine möglichst exakte Einschätzung der Aufnahmebereitschaft des Marktes innerhalb einer bestimmten Preisspanne erreicht werden, um eine Herabsetzung der Preisspanne aufgrund mangelnder Nachfrage während des Angebots zu vermeiden (vgl. Rz. 3.76). Anders als bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen bereits börsennotierter Unternehmen73 hat sich ein solches Verfahren bei Börsengängen bislang allerdings nicht durchgesetzt. Der Emittent kann andererseits auch ein Interesse daran haben, bestimmte Hausbanken in das Emissionskonsortium aufzunehmen, die nicht aktiv in die Platzierung eingeschaltet sind. Diese Banken tragen eine Übernahmeverpflichtung (Underwriting-Quote), ohne dass ihnen im Rahmen der Platzierung tatsächlich Aktien zugeteilt werden. b) Emissionszeitpunkt
3.27a
Börsengänge erfordern eine recht lange Vorbereitungszeit und können nur mit bedingter zeitlicher Flexibilität durchgeführt werden. Letzteres hängt damit zusammen, dass über ein Kalenderjahr hinweg grundsätzlich nur vier „Zeitfenster“ für das abschließende öf70 Ausführlich dazu Gebhardt, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 14, S. 3, 16 f. 71 Vgl. auch Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 27 f. zu großen internationalen Emissionen, bei denen entweder regional abgegrenzte Konsortien oder ein „globales Konsortium“ ohne Aufteilung in regionale Tranchen und mit weltweiter Platzierungsberechtigung gebildet werden können. Zusätzlich können Banken ohne eigene Übernahmeverpflichtung mit regional begrenztem Vertriebsauftrag eingebunden sein (selling group). Zum Teil werden auch Übernahmerisiken ähnlich einer Unterbeteiligung an Banken weitergegeben, die nicht Mitglieder des Emissionskonsortiums sind (sub-underwriting); s. auch Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.19 m.w.N.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 266 f. 72 Vgl. den Börsengang der France Telecom-Tochtergesellschaft Pages Jaunes, IFR June 19, 2004, S. 19; Singhof/Schlitt, IFLR August 2004, S. 15, 16. 73 Zu dem ersten Auktionsverfahren im Zusammenhang mit einer Bezugsrechtskapitalerhöhung in Deutschland Singhof/Schlitt, Börsen-Zeitung Nr. 115 v. 18.6.2004, S. 12.
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fentliche Angebot der Aktien bestehen. Die für die Vermarktung der neuen Aktien erforderliche hohe Transparenz von Finanzinformationen ist jeweils nur relativ kurze Zeit nach Veröffentlichung des geprüften Jahresabschlusses bzw. der prüferisch durchgesehenen Quartalsabschlüsse gegeben. Hinzu kommt, dass der Wirtschaftsprüfer seine von den begleitenden Emissionsbanken verlangte Bestätigung über die im Finanzteil des Prospekts abgedruckten Finanzangaben (comfort letter) mit den Aussagen zur Zeitperiode nach dem Stichtag des letzten geprüften oder prüferisch durchgesehenen Abschlusses (change period) nur abgibt, wenn seitdem weniger als 135 Tage vergangen sind (s. ausführlich Rz. 34.35)74. In diesem starren Korsett wird das richtige timing zusätzlich erschwert durch Kapitalmarktschwankungen, die eine Verschiebung (bis zum nächsten Quartalsabschluss) erforderlich machen können oder potentiell „konkurrierende IPOs“, die im selben Zeitfenster die Platzierung planen. c) Platzierungsformen aa) Öffentliches Angebot und Privatplatzierung Die Platzierung der Aktien bei dem anlagewilligen Publikum kann auf unterschiedliche Weise vorgenommen werden. Emittenten werden dabei vor allem die mit einem öffentlichen Angebot an einen unbestimmten Kreis von Anlegern (vgl. § 2 Nr. 4 WpPG) verbundene Börseneinführung der Aktien in Deutschland anstreben. Für die Börsenzulassung muss der Börsenplatz ausgewählt werden75. Unter den deutschen Börsenplätzen hat die Frankfurter Wertpapierbörse die größte Bedeutung. Das einheitliche Marktsegment „Regulierter Markt“ wird dort in zwei nach Maßgabe von § 42 Abs. 1 BörsG autonom geschaffene Teilbereiche General Standard und Prime Standard unterteilt. Sie unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich der Zulassungsfolgepflichten76. Nach den Vorstellungen der Frankfurter Wertpapierbörse ist der General Standard auf kleinere oder mittlere Unternehmen ausgerichtet, die überwiegend nationale Investoren ansprechen und an geringeren Folgekosten der Börsennotierung interessiert sind. Dagegen soll den Unternehmen im Prime Standard aufgrund der an internationalen Standards orientierten Transparenzpflichten der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt erleichtert werden. Nur die Aufnahme in den Prime Standard ist daher für die ganz überwiegende Zahl der Börsenkandidaten empfehlenswert. Dies gilt umso mehr, als nur die Zulassung im Prime Standard die (mittelfristige) Aufnahme in einen der immer wichtiger werdenden Aktien- bzw. Auswahlindizes ermöglicht77. Für kleinere und mittlere Unternehmen (small and midcaps) hat die FWB außerdem im Rahmen des Freiverkehrs (§ 48 BörsG) das Segment „Scale“ geschaffen, das einen vereinfachten und kostengünstigeren Zugang zum Kapitalmarkt bieten soll (vgl. Rz. 37.67 ff.)78. 74 Vgl. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 218. 75 Näher Schanz, Börseneinführung, § 11 Rz. 17 ff., 77 ff.; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 1 ff. 76 Ausführlich Gebhardt, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 14, S. 3; Schlitt, AG 2003, 57. 77 Vgl. Gebhardt, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 14, S. 3, 15. 78 Näher dazu Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.57 ff.; Rubner/Pospiech, NJW Spezial 2017, 143. Vorläufer war der von der FWB ebenfalls im Rahmen des Freiverkehrs (§ 48 BörsG) eingerichtete „Entry Standard“. Zu dessen rechtlichen Rahmenbedingungen Harrer/Müller, WM 2006, 653; Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147. Zum 1.7.2012 wurden die Rahmenbedingungen geändert; vgl. Open Market Rundschreiben der Deutsche Börse AG v. 8.6.2012 und die AGB der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der FWB (Stand: 15.11.2012).
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3.28
§ 3 | Börsengang
3.29 Nur in Ausnahmefällen ist auch ein öffentliches Angebot im Ausland oder gar eine so-
fortige Notierung an einem oder mehreren ausländischen Börsenplätzen attraktiv (dual or multiple listing). Die ausländischen Regularien können die Komplexität des Börsengangs deutlich erhöhen und den Zeitablauf der Emission beeinflussen. Wesentliche Erleichterungen für grenzüberschreitende Emissionen in der EU hat insoweit die Umsetzung der EUProspektrichtlinie gebracht. Nach Prospektprüfung und -billigung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats haben die Prospekte gemeinschaftsweite Gültigkeit, sofern die zuständigen Behörden der in das öffentliche Angebot oder die Börsenzulassung einbezogenen Mitgliedstaaten (Aufnahmestaaten) auf Antrag des Anbieters oder Zulassungsantragstellers von der für die Prospektbilligung zuständigen Behörde benachrichtigt werden (Notifizierung, §§ 17 ff. WpPG; zukünftig Art. 24 ff. VO 2017/1129). Die zuständige Behörde des Aufnahmestaats hat dann keine eigenständige Prüfungskompetenz, sondern erhält nur eine Bescheinigung über die Billigung, eine Kopie des Wertpapierprospekts und auf Verlangen eine Übersetzung der Zusammenfassung des Prospekts in der jeweiligen Landessprache (vgl. §§ 18, 17 Abs. 3 i.V.m. 19 Abs. 4 WpPG)79. Hinsichtlich der Prospektsprache besteht die Wahl, den Prospekt entweder in einer von der oder den Behörden der Aufnahmestaaten anerkannten Sprache oder in Englisch zu erstellen (vgl. § 19 Abs. 3 WpPG). Dies hat dazu geführt, dass ein (zusätzliches) öffentliches Angebot insbesondere in Luxemburg häufig nur deshalb vorgenommen wird, um den Prospekt in jedem Fall in Englisch erstellen und so (mit Ausnahme der deutschen Zusammenfassung) Übersetzungen vermeiden zu können (s. am Ende dieser Rz.)80. Besonders aufwendig ist die Registrierung von Aktien bei der US Securities and Exchange Commission (SEC) und die fortlaufende Erfüllung der Registrierungsfolgepflichten (vgl. § 45). Den mit einem Dual Listing in den USA assoziierten Vorteilen der Erschließung zusätzlicher Kapitalquellen, Senkung der Volatilität der Aktie, Ausweitung der Handelszeiten und Bekanntheit in ausländischen Zielmärkten steht ein erheblicher Verwaltungs- und Kostenaufwand gegenüber, der nur bei großen Emissionen zu rechtfertigen ist81 und zuletzt kaum mehr zu beobachten war. Auch in diesen Fällen blieben die Handelsumsätze im amerikanischen Markt erheblich hinter den Erwartungen zurück, so dass nach der Erleichterung des Delisting durch die SEC ein gegenläufiger Trend zu beobachten ist82. Im Ausland werden daher regelmäßig Privatplatzierungen, also die Veräußerung aufgrund individueller Ansprache bei ausländischen institutionellen Investoren (vgl. § 2 Nr. 6 WpPG), vorzuziehen sein. Wenngleich dies unter rechtlichen Gesichtspunkten in anderen EU-Mitgliedstaaten prospektfrei möglich ist (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 WpPG), wird hierfür ausnahmslos eine englischsprachige Übersetzung des Wertpapierprospekts (international offering circular) bei den an-
79 Regelmäßig wird der Antrag zusammen mit der Einreichung des Prospekts zur Billigung gestellt, da die Frist zur Übermittlung an die zuständige Behörde des Aufnahmestaats dadurch auf einen Werktag nach Billigung des Prospekts reduziert wird (§ 18 Abs. 1 Satz 2 WpPG). 80 Wolf in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 19 Rz. 22. Allerdings scheint die BaFin in jüngerer Vergangenheit auch ohne ein dergestalt „konstruiertes“ öffentliches Angebot in zwei EU-Mitgliedstaaten die Erstellung des Prospekts in Englisch zu akzeptieren, wenn die Unternehmensgruppe des Emittenten als hinreichend „international“ angesehen wird, z.B. aufgrund der erwarteten internationalen Aktionärsbasis post IPO, dem Anteil der im Ausland erwirtschafteten Erträge, der intern verwendeten „Reporting-Sprache“, der Anzahl ausländischer Tochtergesellschaften und der Bedeutungslosigkeit der Retail-Nachfrage für den Börsengang. 81 S. auch Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 72; Schanz, Börseneinführung, § 14 Rz. 1 ff. 82 Vgl. FAZ Nr. 167 v. 21.7.2005, S. 19 („Der Gang an ausländische Börsen hat sich selten gelohnt“); zu den Erleichterungen auch Erchinger/Melcher, DB 2007, 1123.
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gesprochenen Investorenkreisen verteilt. Durch eine solche Privatplatzierung kann insbesondere bei großen Emissionen die Investorenbasis maßgeblich erweitert werden. Dies gilt in besonderem Maße bei Einbeziehung instutioneller Investoren in den USA (qualified institutional buyers) nach Rule 144A of the Securities Act of 1933 (ausführlich dazu § 45)83. Der Umfang der internationalen Privatplatzierungen ist durch internationale Verkaufsbeschränkungen (selling restrictions) im Übernahmevertrag einzugrenzen84. bb) Privatplatzierung und anschließende Börsenzulassung Angesichts der erwähnten zeitlichen Beschränkungen und der starken Abhängigkeit von externen wirtschaftlichen Umständen, die zu einer kurzfristigen Verschiebung des Börsengangs führen können, werden teilweise Transaktionsstrukturen entwickelt, die eine größere Transaktionssicherheit in einem volatilen Umfeld bewirken sollen. Gemeinsam ist den Varianten, dass der Zeitraum verringert werden soll, in dem der Emittent mit seinen Börsenplänen am Markt exponiert ist85.
3.29a
Eine Möglichkeit der Strukturierung besteht darin, bereits vor der öffentlichen Bekanntmachung der Börsenpläne (intention to float) vertraulich einen Großteil der zum Verkauf stehenden Aktien bei institutionellen Investoren privat zu platzieren (vertrauliche Privatplatzierung mit anschließender Börsenzulassung)86. Ggf. kann die Vorabplatzierung auch genutzt werden, ein größeres Aktienpaket bei einem strategischen Investor zu platzieren, der auch post IPO längerfristig beteiligt bleiben will87. Im Rahmen des eigentlichen Angebots im Rahmen des IPO muss dann nur noch ein vergleichsweise geringes Volumen platziert werden. Rechtlich ist diese Transaktionsvariante nicht problematisch. Sie erfordert allerdings einen erhöhten Dokumentationsaufwand und bereits früh in der Vorbereitung des Börsengangs eine sehr hohe Dichte der Unternehmensinformationen, da sichergestellt werden muss, dass die für die Privatplatzierung(en) verwendeten Informationen nicht wesentlich von dem erst später zu veröffentlichenden „Börsenzulassungsprospekt“ abweichen88. Außerdem muss die erforderliche Streuung des Aktienbestands erreicht werden (nach § 9 BörsZulV also grundsätzlichen ein free float von 25 %). Dabei ist jedoch nicht der Anteil der frei handelbaren Aktien vom Grundkapital, sondern das Gesamtvolumen des Streubesitzes entscheidend, das hinreichende Handelbarkeit der Aktie erwarten lässt. Die Börse hat daher bei Börsengängen auch schon Zulassungen erteilt, in denen der Streubesitz nur 10–15 % betrug89.
3.29b
Eine andere Strukturierungsvariante ist die öffentlich angekündigte Privatplatzierung bei institutionellen Anlegern mit anschließender Börsenzulassung der Aktien90. Die stark nachgelassene Bedeutung der „Retail-Nachfrage“ für den Erfolg eines Börsengangs hat zu der Überlegung geführt, dass in einem volatilen Marktumfeld bestimmte, zu deren
3.29c
83 Dazu auch Greene et al., US Regulation of the International Securities and Derivatives Markets, 10th ed. 2012, § 4.03.; Bungert/Paschos, DZWir 1995, 133, 137 ff. 84 Ausführlich dazu Schäfer/Mimberg in FS Hadding, 2004, S. 1063. 85 Vgl. Ernst/Groß, Börsen-Zeitung Nr. 206 v. 26.10.2013, S. 13. 86 Beispiel ist der Börsengang der HELLA KGaA Hueck & Co. 87 Beispiel ist die Beteiligung von Weichai Power im Rahmen des Börsengang der Kion AG. 88 Ernst/Groß, Börsen-Zeitung Nr. 206 v. 26.10.2013, S. 13. 89 Vgl. Ernst/Groß, Börsen-Zeitung Nr. 206 v. 26.10.2013, S. 13 mit den Beispielen Talanx (11,5 %) und Deutsche Anningten 16 %). 90 Beispiele sind die Börsengänge Senvion (2016), Schaeffler (2015), ADO Properties (2015), Evonik (2013), Jost (2017).
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Schutz errichtete Regeln verzichtbar sind und eine alternative Gestaltung daher die Flexibilität des Börsengangs erhöhen könnte. Namentlich kann durch die fehlende Geltung der 6-Tage-Mindestfrist für das öffentliche Angebot (§ 14 Abs. 1 Satz 4 WpPG) und der Nachtragspflicht (§ 16 WpPG; zukünftig Art. 23 VO 2017/1129) in zeitlicher Hinsicht und bei der Veränderung der Angebotsbedingungen (Preisspanne für das Bookbuilding und Angebotsvolumen) flexibler nachjustiert werden. Potentieller Nachteil könnte sein, dass die Grundlage der Privatplatzierungen ein nicht gebilligtes International Offering Memorandum ist, das nicht dem Prospekthaftungsregime der §§ 21 ff. WpPG (s. zukünftig auch Art. 11 VO 2017/1129), sondern der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung unterliegt. cc) Umplatzierung bei Abspaltung und Börsenzulassung
3.30 Einen Sonderfall eines Börsengangs stellt die Abspaltung eines Konzerngeschäftsbereiches
auf ein bestehendes oder neues Unternehmen dar (Abspaltung zur Aufnahme oder Neugründung; § 123 Abs. 2 UmwG), die mit der Börsenzulassung der Aktien dieses Unternehmens verbunden wird91 (vgl. im Einzelnen § 4 B, Rz. 4.45 ff.). Die Aktionäre der abspaltenden Gesellschaft erhalten dabei von der aufnehmenden Gesellschaft als Gegenleistung für den abgespaltenen Geschäftsbereich nach einem bestimmten Zuteilungsverhältnis neue (börsennotierte) Aktien der Tochtergesellschaft nach Maßgabe ihrer Beteiligung an der abspaltenden Gesellschaft. Die Aktien werden den Berechtigten entweder ohne besonderen Auftrag (Girosammelverwahrung) oder jedenfalls gegen Vorlage der als Berechtigungsnachweis dienenden Gewinnanteilsscheine (Eigenverwahrung) über einen Treuhänder zugeteilt (Depotgutschrift).
3.31 Damit ist für den Börsengang keine (Um-)Platzierung der Aktien durch Emissionsbanken
erforderlich. Ohne entsprechende Aktivitäten kann mit Notierungsaufnahme jedoch ein starker Abgabedruck durch „unfreiwillige“ Aktionäre entstehen, die die neue Beteiligung „zu Geld machen wollen“. Dies würde den Börsenkurs der Aktie stark belasten. Außerdem kann das festgesetzte Zuteilungsverhältnis zu Teilrechten führen, deren Ausgleich von den Banken durch An- und Verkauf zu vermitteln ist. Teilweise wird daher eine – ggf. auch durch umfassende Marketing-Aktivitäten unterstützte – Umplatzierung der neuen Aktien durch ein Emissionskonsortium mit dem Börsengang durch Abspaltung verbunden (marketed redistribution). Dieses Umplatzierungsverfahren setzt bereits vor der Aufnahme des Börsenhandels ein, um Angebot und Nachfrage mit dem ersten Handelstag der Aktie möglichst zum Ausgleich zu bringen und eine „geordnete“ Aufnahme des Handels sicherzustellen. Die berechtigten Aktionäre und potentiellen Investoren werden dazu in einer öffentlichen Umplatzierungsbekanntmachung aufgefordert, innerhalb einer bestimmten Frist und Preisspanne Verkaufs- und Kaufangebote abzugeben. Die Angebote werden in getrennten Büchern elektronisch erfasst (book of supply and book of demand), ausgewertet und anschließend zusammengeführt (order matching). Damit ergibt sich die Anzahl der angebotenen Aktien erst aus den bis Fristende eingegangenen Verkaufsangeboten. Um die angebotenen neuen Aktien für die Umplatzierung auch zu sichern und den Verkauf der (berechtigenden) Aktien der abspaltenden Gesellschaft zu verhindern, müssen die berechtigten Aktionäre, die die neuen Aktien zum Verkauf anbieten, ihre Aktien durch Mitteilung an ihre Depotbank sperren lassen. Zu diesem Zweck wird den gesperrten Aktien eine gesonderte Wertpapierkennnummer bzw. ISIN zugewiesen, die ihre börsenmäßige Liefer91 Beispiele sind die Abspaltungen des gewerblichen Immobilienfinanzierungsgeschäfts der HVB Group auf die Hypo Real Estate AG und der Chemiesparte („Lanxess“) aus dem Bayer Konzern sowie die geplante Abspaltung der Beleuchtungssparte („Osram“) aus dem Siemens Konzern.
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barkeit vor Abschluss der Umplatzierung ausschließt. Folgt hieraus ein Angebotsüberhang, wird jedes Verkaufsangebot mit einem einheitlichen Anteil berücksichtigt. Im Fall eines Nachfrageüberhangs entspricht die Zuteilung grundsätzlich dem Verfahren beim gewöhnlichen IPO (vgl. Rz. 3.82 f.). d) Emissionsstruktur Die Kombination einer Platzierung bereits bestehender Aktien aus dem Bestand der Altaktionäre und neuer Aktien aus einer Kapitalerhöhung der Gesellschaft bildet den Regelfall eines Börsengangs. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird die Emission ausschließlich mit Aktien der Altaktionäre durchgeführt92. Dahingehende gesetzliche Vorgaben bestehen zwar nicht. Steht jedoch die Unternehmensfinanzierung nicht im Vordergrund, kann mit Ausnahme von Privatisierungen oder der Ablösung von Fremdkapitalgebern auf der Gesellschafterebene (Private Equity Investoren) der negative Eindruck des „Kassemachens“ entstehen.
3.32
Im Rahmen der Emissionsstruktur werden die Anzahl der zu platzierenden Aktien, die Aufteilung des Emissionsvolumens auf die Aktien aus dem Altbestand der verkaufenden Aktionäre93 und der neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung sowie der Umfang der für die Stabilisierung in den ersten 30 Tagen nach der Notierungsaufnahme benötigten Mehrzuteilung und die Herkunft der hierfür ggf. benötigten Aktien (greenshoe) festgelegt (vgl. Rz. 3.84 f.). Im engen Zusammenhang damit stehen die kapitalmarktorientierte Strukturierung und Einteilung des nominalen Grundkapitals vor dem Börsengang (vgl. Rz. 3.13 ff.). Ziel ist es, einen Streubesitz (free float) zu erreichen, der ein ausreichendes Handelsvolumen in der Aktie nach Notierungsaufnahme ermöglicht und damit die Gefahr zufälliger Kursentwicklungen mindert94. Für die Zulassung zum regulierten Markt ist vorgesehen, dass der Streubesitz 25 % des Gesamtnennbetrags bzw. bei nennwertlosen Aktien der Stückzahl der zuzulassenden Aktien beträgt (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BörsZulV). Nach den Erwartungen des Kapitalmarkts sollte ein Anteil des Streubesitzes am Grundkapital von 30 % bei einer Mindestmarktkapitalisierung von rund 100 Mio. Euro jedoch nicht unterschritten werden. Solange der Begriff des Streubesitzes mit Ausnahme der Sonderregelung in § 11 Abs. 1 REITG nicht legal definiert ist, wird man eine nähere Konkretisierung in Anlehnung an die Regelwerke der Börsen vorzunehmen haben.
3.33
Außerdem wird eine Verteilung des Emissionsvolumens auf bestimmte Investorengruppen angestrebt. Sie beruht auf der Analyse des Investorenpotentials und der Nachfrageschätzung der emissionsbegleitenden Banken, die zur Begrenzung des Rückflusses in den Markt auch von qualitativen Erwägungen getragen wird (langfristige Anlagestrategie)95.
3.34
92 Vgl. Groß in BuB, Rz. 10/288; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68 (zum „Exit-IPO“). Aus der Praxis sind beispielhaft die Börsengänge der Deutsche Postbank AG, Verkaufsprospekt v. 18.6.2004, S. 3, der Gagfah S.A., Wertpapierprospekt v. 6.10.2006, S. 37 sowie der SHW Holding AG, Wertpapierprospekt v. 16.6.2011, S. 47 zu nennen. 93 Vgl. Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 242 zu Treupflichtfragen. Kommt unter den abgabebereiten Aktionären eine Einigung über die Verteilung des Altbestands nicht zustande, bleibt nur eine Verteilung unter den Interessenten nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung. 94 Schlitt in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, § 23 Rz. 22 m.w.N. 95 Näher Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.43; Willamowski, Bookbuilding, S. 31 f.; Willamowski, WM 2001, 653, 657 ff.
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Börsengänge ehemals staatlicher Unternehmen sind durch begleitende Vermarktung und anlegerorientierte Maßnahmen in besonderem Maße auf die Akzeptanz und Aufnahme bei Privatanlegern (retail tranche) ausgerichtet worden. Marktumfeld und Eignung des Geschäftsmodells für die gezielte Ansprache von Privatanlegern sind im Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Hierfür eignen sich in besonderem Maße Unternehmen, die schon vor dem Börsengang einen breiten Kundenkreis im Retailbereich aufweisen und aufgrund ihres Geschäfts keinen starken zyklischen Schwankungen ausgesetzt sind.
3.35 Andererseits sollen häufig Mitarbeiter und Geschäftspartner, von denen die Bereitschaft zu
dauerhafter Anlage erwartet wird, durch die Bereitstellung bevorrechtigter Zuteilung stärker an das Unternehmen gebunden werden (friends & family). Zu diesem Zweck wird einem ausgewählten Personenkreis bis zu einem bestimmten Höchstvolumen die Zuteilung zu den allgemeinen oder reduzierten Angebotskonditionen zugesichert. Rechtlich ist diese „Bevorzugung“ grundsätzlich nicht zu beanstanden96, wenn bestimmte Vorgaben beachtet werden. Insbesondere ist neben der zwingenden Darstellung des Programms im Prospekt (Anhang III Ziff. 5.2.3 lit. d) VO Nr. 809/2004) auch die Offenlegung der Ausübungsquote empfehlenswert, weil mangelnde „Zuteilungstransparenz“ in der Vergangenheit Anlass für Kritik war. Soweit der reservierte Anteil nicht in Anspruch genommen wird, ist er für die Zuteilung an das Publikum zur Verfügung zu stellen. Seit 2000 geben (freiwillige) „Grundsätze für die Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger“ hierfür Grundregeln vor, die zunehmend an Akzeptanz gewonnen haben (s. dazu Rz. 3.83)97. Für solche Friends & Family-Programme sollten nicht mehr als 5 % des Emissionsvolumens reserviert werden98. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Aktien aus bevorrechtigter Zuteilung nicht zum Streubesitz zu zählen sind, sofern und solange eine Sperrfrist von mindestens sechs Monaten vereinbart worden ist99.
e) Marktschutz
3.36 Ein wesentlicher Aspekt des Emissionskonzepts ist der „rücksichtsvolle Umgang“ mit Ak-
tien des Emittenten während eines bestimmten Zeitraums von sechs bis zwölf Monaten nach Notierungsaufnahme. Konkret geht es darum, eine reibungslose Platzierung des festgelegten Volumens sicherzustellen und eine möglichst stabile und kontinuierliche Entwicklung des Börsenkurses der Aktie nicht durch die Emission zusätzlicher Aktien und einen daraus resultierenden Angebotsüberhang am Markt zu belasten100. Hierauf vertrauen die neuen Investoren im Rahmen des Börsengangs. Ein entsprechendes „Wohlverhalten“ stärkt damit das Standing des Emittenten am Kapitalmarkt. Aber auch der Reputation der Konsortialbanken wäre ein signifikantes Abrutschen des Börsenkurses wegen weiterer
96 Escher-Weingart, AG 2000, 164, 170; krit. aber auch Willamowski, WM 2001, 653, 662. 97 Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Grundsätze für die Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger v. 7.6.2000, ZBB 2000, 287 m. Anm. Köndgen; dazu auch Willamowski, WM 2001, 653, 662 ff. 98 Zu weitgehend Willamowski, WM 2001, 653, 662 („maximal 10 %“); vgl. zu den Quoten auch Escher-Weingart, AG 2000, 164, 166. 99 Vgl. Kapitel 2.3 des Leitfadens zu den Aktienindizes der Deutschen Börse vom März 2017 (Version 8.2.0); abrufbar unter www.deutsche-boerse.com. Str. ist, ob dies auch für § 9 BörsZulV gilt; dafür Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 1–12 BörsZulV Rz. 18; a.A. Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarkrechts-Kommentar, § 9 BörsZulV Rz. 3. 100 Zu weiteren ökonomischen Grundlagen Fleischer, WM 2002, 2305, 2306 f.; Fleischer, Gutachten, F 81 f.; Bruchner/Pospischil in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, Rz. 11.39 f.
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Emissionen abträglich. Üblich sind Marktschutzvereinbarungen (lock-up agreements) im Übernahmevertrag oder in einem separaten Vertrag101. Die mit dem notwendigen Marktschutz zusammenhängenden Pflichten betreffen Emittent und Altaktionäre gleichermaßen. Eine Verpflichtung von Aktionären kraft mitgliedschaftlicher Treuepflicht, eine Marktschutzvereinbarung einzugehen, dürfte gleichwohl kaum oder nur in seltenen Ausnahmefällen zu begründen sein102. Rechtlich grundsätzlich unproblematisch sind Haltevereinbarungen der Altaktionäre mit dem Emittenten und/oder den Konsortialbanken, wonach sie ihre Aktien für einen bestimmten Zeitraum nach Notierungsaufnahme nicht oder nur mit Einwilligung der konsortialführenden Bank veräußern und auch keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die einer Veräußerung wirtschaftlich entsprechen. Gleiches gilt – im Rahmen ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht – für die vertraglich übernommene Verpflichtung der Altaktionäre, einer Kapitalerhöhung des Emittenten im Rahmen eines Hauptversammlungsbeschlusses nicht zuzustimmen. Als Veräußerungsverbot können Haltevereinbarungen allerdings nicht mit dinglicher Wirkung ausgestattet werden (§ 137 Satz 1 BGB)103. Zur Absicherung der lediglich schuldrechtlichen Verpflichtung bieten sich die Zuteilung einer separaten Wertpapierkennnummer bzw. ISIN und die Verwahrung auf einem Sperrdepot104 sowie die Vereinbarung einer Vertragstrafe (in Höhe des Differenzbetrags zwischen Emissions- und Verkaufspreis)105 an. In der Praxis hat sich das nicht durchgesetzt. Somit kommen bei abredewidriger Veräußerung nur Schadensersatzansprüche des Emittenten oder der Emissionsbanken in Betracht; ein Schadensersatzanspruch der neuen Aktionäre lässt sich dogmatisch kaum begründen106.
3.37
In den Mandatsvereinbarungen und Übernahmeverträgen sind außerdem Verpflichtungen des Emittenten üblich, zeitweise auf Kapitalmaßnahmen und die Begebung von Wertpapieren mit Options- oder Wandlungsrechten auf Aktien der Gesellschaft zu verzichten (Verwässerungsschutz). Die Zulässigkeit dieser Zusage unterliegt gewissen aktienrechtlichen Zweifeln107. Jedenfalls wird man wegen der Satzungsautonomie einen Hauptversammlungsbeschluss als verbandsrechtliche Grundlage verlangen müssen, wenn die Zusage sich über die Ausnutzung genehmigten Kapitals (§ 202 AktG) oder die Ermächtigung zur Begebung von Wandel- und Optionsanleihen (§ 221 AktG) durch Vorstand und Aufsichtsrat auch auf ordentliche Kapitalerhöhungen erstrecken soll108. Zwar wird auch insoweit teilweise eingewandt, die Aktiengesellschaft dürfe sich nicht ihrer Entscheidungsfreiheit
3.38
101 Vgl. Korfsmeyer, FB 1999, 205; Fleischer, WM 2002, 2305; Fleischer, Gutachten, F 81 ff.; Fenchel, DStR 2002, 1355; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.98 ff. 102 Im Ergebnis übereinstimmend Bruchner/Pospischil in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, Rz. 11.41 ff.; Fleischer, WM 2002, 2305, 2313; Fredebeil, Aktienemissionen, S. 245 f., 257; Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 251 f.; weniger restriktiv Korfsmeyer, FB 1999, 205, 210 f. 103 Zur Bedeutung der Durchsetzbarkeit s. auch Spindler, DStR 2002, 1576, 1579. 104 So auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8017, S. 79 zum 4. FinanzmarktförderungsG. Zu den aufgegebenen Plänen des Gesetzgebers, die Zulassungsstelle mit weitergehenden Rechten zur Sicherstellung der Durchsetzung von Veräußerungsverboten auszustatten Fleischer, Gutachten, F 84 f.; Fleischer, WM 2002, 2305, 2308. 105 Unter dem Gesichtspunkt des § 137 Satz 1 BGB kritisch Fredebeil, Aktienemissionen, S. 256 f.; s. auch Korfsmeyer, FB 1999, 205, 209 (Begrenzung der Vertragsstrafe auf 10–20 % des vom abgebenden Aktionär erzielten Verkaufserlöses). 106 Vgl. Fleischer, WM 2002, 2305, 2310 ff.; Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 246 ff. 107 Picot/Land, DB 1999, 570, 573; Technau, AG 1998, 446, 457. 108 Fleischer, WM 2002, 2305, 2314.
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zur Vornahme von Kapitalmaßnahmen begeben109. Jedoch wird eine bestimmte, im Interesse der Gesellschaft liegende Selbstbindung der Gesellschaft für einen überschaubaren Zeitraum als zulässig anzusehen sein, weil sie nur eine konsequente Folge der Entscheidung für den Börsengang darstellt110. Gänzlich unbedenklich sind Vereinbarungen, die nur ein öffentliches Angebot neuer Aktien mit entsprechend breiter Streuung der Aktien von der Zustimmung der konsortialführenden Bank abhängig machen, nicht aber Privatplatzierungen (z.B. Sachkapitalerhöhungen) ausschließen, insbesondere wenn der Erwerber eine den Verpflichtungen der Altaktionäre entsprechende Vereinbarung eingeht111.
3.39 Eine Verpflichtung zum Abschluss von Marktschutzvereinbarungen aufgrund von Zulas-
sungsbedingungen besteht auch für den Prime Standard nicht112. Im Wertpapierprospekt ist jedoch Auskunft über Lock-up-Vereinbarungen zu geben; dabei sind die beteiligten Parteien, der Inhalt und die Ausnahmen der Vereinbarung sowie der maßgebliche Zeitraum anzugeben (Anhang III Ziff. 7.3. VO Nr. 809/2004). Diese Prospektpublizität ist nicht auf Veräußerungsverbote zwischen Emittent und Aktionären beschränkt, sondern erfasst auch die relevanten Vereinbarungen des Emittenten und der Altaktionäre mit den Konsortialbanken113.
4. Begleitende Vermarktung a) Grundlagen
3.40 Die Vermarktung der Aktien wird im Wesentlichen auf der Grundlage der von der kon-
sortialführenden Bank erstellten Equity Story vorgenommen. Sie dient der Darstellung der wesentlichen Kaufargumente für die Aktie bei potentiellen Investoren (investment case). Die Herausforderung besteht darin, das Unternehmen gut zu positionieren, z.B. aufgrund seiner führenden Position in einem attraktiven Markt, interessanter Wachstumsperspektiven, Vorteilen gegenüber Wettbewerbern oder seiner nachhaltigen Profitabilität. Weitere wesentliche Faktoren sind eine überzeugende Verwendung der aus dem Börsengang zufließenden Mittel sowie die erwartete Liquidität in der Aktien nach dem Börsengang (free float). Zugleich bietet eine überzeugende Equity Story die Chance, durch eine professionelle Publizität im Vorfeld des Börsengangs positive Erwartungen für eine auch zukünftig transparente und aktionärsfreundliche Informationspolitik zu wecken. Dabei lassen sich die Emittenten häufig neben der konsortialführenden Bank von einer hierauf spezialisierten Marketingagentur beraten. Für den Verlauf dieser Vermarktungsphase sind drei wesentliche Ereignisse herauszustellen:
3.41 Aus der Erfahrung der schwierigen Börsenjahre 2001 bis 2003 hat sich in geeigneten Fällen
die Praxis herausgebildet, das Unternehmen noch vor oder zeitgleich mit der Analysten-
109 Technau, AG 1998, 446, 457; Lutter in KölnKomm. AktG, § 182 Rz. 15 ff. 110 Fleischer, WM 2002, 2305, 2314; s. allgemein auch Wiedemann in Großkomm. AktG, § 179 Rz. 8. 111 Vgl. Technau, AG 1998, 446, 457; Fleischer, WM 2002, 2305, 2314; zu weiteren Einschränkungen auch Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 186. 112 Schlitt, AG 2003, 59, 62. 113 Vgl. zur alten Rechtslage § 32 Abs. 1 Nr. 2 BörsG i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 14 BörsZulV, § 51 Abs. 1 Nr. 2 BörsG, jeweils a.F. Dazu bereits kritisch Fleischer, Gutachten, F 84; Fleischer, WM 2002, 2305, 2310. Regelmäßig wurden die Vereinbarungen mit den Konsortialbanken jedoch freiwillig publiziert bzw. von einer analogen Anwendung der gesetzlichen Publizitätspflicht ausgegangen; vgl. Fredebeil, Aktienemissionen, S. 244 („Marktstandard“).
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präsentation unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgewählten Investoren vorzustellen (pilot fishing oder early look investor meetings). Dadurch kann die Erfolgswahrscheinlichkeit des Börsengangs insbesondere bei schwierigen Geschäftsmodellen erhöht werden, indem Investorenerwartungen schon frühzeitig bei der Entwicklung der Equity Story und einer realistischen Bewertung im Verhältnis zu bereits börsennotierten Unternehmen mit vergleichbarem Geschäftsmodell (peer group) berücksichtigt werden114. Diese Vorstufe zur Vermarktung, die anfangs nur sparsam in ausgewählten Fällen eingesetzt wurde, ist inzwischen als fester Bestandteil von Börsengängen etabliert. Allerdings sollte eine Beteiligung von 10–15 „Kerninvestoren“ (key investors) nicht überschritten werden. Typischerweise unterzeichnen die Investoren Vertraulichkeitserklärungen vor den Pilot FishingMeetings mit den Investmentbanken oder dem Vorstand des Emittenten, um die Geheimhaltung des in der Frühphase befindlichen IPO sicherzustellen115. Rund zwei Monate vor der geplanten Börseneinführung präsentiert der Vorstand sein Unternehmen bei Finanzanalysten (Analystenpräsentation), auf deren Grundlage diese ihre Unternehmensanalyse vornehmen. Die Analystenpräsentation muss konsistent mit dem später zu veröffentlichenden Wertpapierprospekt sein und kann aus insiderrechtlichen Gründen auf der Website des Unternehmens zu veröffentlichen sein. Diese Unternehmensstudien (research reports) wiederum dienen der Kontaktaufnahme der konsortialführenden Bank mit institutionellen Investoren. Die Finanzanalysten erläutern den institutionellen Investoren ihre Finanzanalysen (investor education, früher: pre-marketing). Die institutionellen Investoren geben daraufhin erste Preisindikationen für die Aktie. So kann zu einem relativ frühen Zeitpunkt die Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft des Kapitalmarkts für die Aktien des Börsenkandidaten festgestellt werden116. Die Öffentlichkeit erfährt von der Vorbereitung eines Börsengangs in der Regel durch eine Pressemitteilung des Emittenten, dass vorbehaltlich günstiger Marktbedingungen in näherer Zukunft ein Börsengang durchgeführt werden soll (intention to float)117. Sofern auch Privatanleger auf die Börseneinführung aufmerksam gemacht und für den Kauf der Aktie gewonnen werden sollen, kann eine breit angelegte Werbe- und Imagekampagne den Börsengang unterstützen (z.B. durch Werbeanzeigen in der Presse, Werbespots, Informationsbroschüren (flyer) für Kunden, Informationen auf der Web Page). Insgesamt war die Entwicklung in114 Vgl. Fleischer/Bedkowski, DB 2009, 2195, 2195 f.; Schlitt/Schäfer in FS Hopt, 2010, S. 2469, 2475 ff.; ausführlich zur Vermarktungsphase Borsche/Fröhlich in Deutsche Börse AG, Praxishandbuch Börsengang, 2006, S. 307 ff. 115 Vgl. auch Fleischer/Bedkowski, DB 2009, 2195, 2199; Schlitt/Schäfer in FS Hopt, 2010, S. 2469, 2477. Vgl. auch Singhof, ZBB 2017, 193, 198 f. zur Vereinbarkeit mit Art. 11 VO Nr. 596/2014 („Market Soundings“) sowie den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen). Die insiderrechtliche Zulässigkeit eines Pilot Fishing ist sorgfältig zu prüfen, wenn die Muttergesellschaft selbst ein börsennotiertes Unternehmen ist und die Informationen über die an die Börse strebende Tochtergesellschaft Insiderinformationen über die Muttergesellschaft darstellen können. Jedenfalls ist eine frühzeitige Information über die Börsenpläne der Tochtergesellschaft in einer Presse- oder Ad-hoc-Mitteilung empfehlenswert; so vgl. etwa die Presseinformation der Siemens AG v. 28.3.2011 über den geplanten Börsengang von Osram; verfügbar unter www.siemens.com. Ähnliche Fragen sind bei einem „Re-IPO“ einer bereits börsennotierten Gesellschaft mit sehr geringem free float zu berücksichtigen. 116 Ausführlich Willamowski, Bookbuilding, S. 56 ff. 117 Zu den inhaltlichen Anforderungen s. Schlitt/Schäfer in FS Hopt, 2010, S. 2469, 2477 f. Aufgrund der Volatilität der Märkte werden die Pläne oft auch erst kurz vor dem tatsächlichen Börsengang bekannt gegeben und die Pressearbeit reduziert, Harrer/Mößle, Börsen-Zeitung Nr. 85 v. 4.5.2011, S. 2.
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3.42
§ 3 | Börsengang
soweit in den vergangenen Jahren jedoch rückläufig, weil die Börsengänge ganz überwiegend ausschließlich auf institutionelle Investoren zielten und die Nachfrage von Privatanlegern für den Erfolge keine Rolle spielte.
3.43 Die Preisspanne für die Aktien wird regelmäßig am Ende der Investor Education in einer
Pressemitteilung bekannt gegeben und im Rahmen einer Pressekonferenz zusammen mit den weiteren Eckdaten der Emission und dem Prospekt vorgestellt. Hieran schließt sich unmittelbar das Bookbuilding an (vgl. Rz. 3.76). Gleichzeitig führt der Vorstand zusammen mit Vertretern der konsortialführenden Banken rund zwei Wochen vor der Börseneinführung und während des öffentlichen Angebots an den wichtigen nationalen und internationalen Finanzplätzen eine Roadshow vor institutionellen Investoren durch.118 In diesen Marketingveranstaltungen werden die Gesellschaft und ihr Geschäftskonzept den Investoren im Rahmen von Präsentationen und anschließenden Fragerunden mit dem Vorstand (Q&A-sessions) vorgestellt. Zumindest begleitend wird immer häufiger auch eine sog. Net Roadshow durchgeführt, bei der einem eng umgrenzten institutionellen Investorenkreis die Möglichkeit eröffnet wird, sich die relevanten Roadshow-Unterlagen auf einer geschützen Website im Internet anzusehen. Mit ausgewählten Investoren werden zudem Einzelgespräche mit dem Management vereinbart (one-on-ones).
3.44 Anders als im anglo-amerikanischen Kapitalmarktrecht (vgl. dazu § 45)119 sind Marketing-
aktivitäten des Emittenten und der emissionsbegleitenden Banken im deutschen Recht erst seit wenigen Jahren spezielleren gesetzlichen Regeln unterworfen (vgl. § 15 WpPG; zukünftig Art. 22 VO 2017/1129)120. Die Anleger sollen in zeitlicher Nähe zur Emission in ihrer Anlageentscheidung nicht unangemessen beeinflusst werden und ihre Anlageentscheidung auf Grundlage der Prospektangaben treffen. Während der Vorbereitung des Börsengangs muss daher insbesondere sichergestellt sein, dass (i) keine Informationen verbreitet werden, die den Angaben im Wertpapierprospekt als dem zentralen Dokument des Börsengangs widersprechen (Konsistenzgebot, vgl. § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 sowie Abs. 4 WpPG), (ii) Werbeanzeigen als solche klar erkennbar sind (§ 15 Abs. 3 Satz 1 WpPG) und einen Hinweis enthalten, dass ein Prospekt veröffentlicht wurde oder zur Veröffentlichung ansteht und wo die Anleger ihn erhalten können (§ 15 Abs. 2 WpPG), (iii) alle Anlegergruppen, an die sich das Angebot richtet, gleich informiert werden (Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung, § 15 Abs. 5 Satz 2 WpPG)121. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Emission sowie die sie betreffenden Veröffentlichungen und Marketingaktivitäten nicht gegen ausländische Kapitalmarktregeln verstoßen. Entsprechend der internationalen Kapitalmarktpraxis stimmen die Beteiligten regelmäßig „Publizitäts- und Research-Richtlinien“ für die Information des Kapitalmarkts beim Börsengang ab, die unter anderem der Einhaltung dieser gesetzlichen Pflichten dienen.
118 Vgl. Schlitt/Schäfer in FS Hopt, 2010, S. 2469, 2483 f.; Willamowski, Bookbuilding, S. 71 ff. 119 Vgl. Baums/Hutter in FS Ulmer, 2003, S. 779. 120 Vor Inkrafttreten des WpPG am 1.7.2005 sahen die Going-Public-Grundsätze der Deutsche Börse AG in Form der freiwilligen Selbstregulierung bestimmte Verhaltens- und Handlungsempfehlungen im Zusammenhang mit Börsengängen vor; abgedruckt in NZG 2002, 513 (ursprüngliche Fassung); eingehend dazu Meyer, WM 2002, 1864; Schlitt/Smith/Werlen, AG 2002, 478. 121 Näher Berrar in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 15 Rz. 31 ff.; Schäfer/Ernst in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 7 Rz. 3 ff.; Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 15 WpPG Rz. 15 ff.; Schlitt/Schäfer in FS Hopt, 2010, S. 2469, 2470 ff.
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b) Publicity Guidelines Die Öffentlichkeitsarbeit des Emittenten im Vorfeld eines Börsengangs und bis zu 40 Tage nach Abschluss der Platzierung (settlement/closing) wird regelmäßig in sog. Publizitäts- oder Kommunikationsrichtlinien (publicity guidelines) gewissen Beschränkungen unterworfen. Danach sind sämtliche Veröffentlichungen nach Inhalt und Verteilerkreis zwischen der konsortialführenden Bank und dem Emittenten in einem dafür eingerichteten Komitee (clearing committee) abzustimmen. Wesentlich sind insoweit die restriktiven Regelungen des US-Rechts, die sowohl bei internationalen Börsengängen als auch bei Börsengängen ohne Privatplatzierung in den USA zum Tragen kommen. In beiden Fällen liegt der Schwerpunkt der Bestimmungen angesichts des im US-Recht sehr weit ausgelegten Begriffs des Angebots (offer) auf der Sicherstellung, dass die Aktien nicht im Rahmen von Werbekampagnen, Analystengesprächen, Pressemitteilungen und -konferenzen oder sonstigen Veröffentlichungen in Kommunikationsmedien jeglicher Art in den USA angeboten werden (no general solicitation or general advertising) (näher § 45). Besondere Bedeutung hat das Internet als grenzüberschreitendes Informationsmedium erlangt, das als begleitendes Informationsmedium zum Börsengang stark genutzt wird. Notwendig ist es jedenfalls, den Zielmarkt einzugrenzen (Marktortprinzip) und damit die Auslösung eines nicht beabsichtigten öffentlichen Angebots oder ein unzulässiges „Konditionieren des Marktes“ in einem anderen Staat zu verhindern. Dem dienen regelmäßig spezielle Hinweise, Haftungsausschlüsse (disclaimer) und Zugangsbeschränkungen.
3.45
Auch nach deutschem Recht ist in der Öffentlichkeitsarbeit eines Börsenkandidaten maßgeblich darauf zu achten, dass nicht durch Erklärungen oder sonstige Handlungen vorzeitig ein öffentliches Angebot und damit die Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts (§ 3 Abs. 1 WpPG) ausgelöst wird. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass „Werbemaßnahmen, Veröffentlichungen und Informationen, in denen auf die Möglichkeit zum Erwerb der Wertpapiere hingewiesen wird“, kein öffentliches Angebot i.S.v. § 2 Nr. 4 WpPG darstellen, soweit damit noch nicht die „Möglichkeit zum Kauf“ verbunden ist122. Ein öffentliches Angebot mit der Pflicht zur vorherigen Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts wird erst im Rahmen des Bookbuilding gemacht, wenn die Essentialia des Vertrags (insbesondere der Preisrahmen) mit der Aufforderung zur Abgabe von Zeichnungsangeboten veröffentlicht werden (vgl. Rz. 3.76)123. In inhaltlicher Hinsicht muss darauf geachtet werden, dass alle Informationen, die von der Gesellschaft veröffentlicht werden, richtig und nicht irreführend sind sowie nicht mit den Prospektangaben im Widerspruch stehen. Insoweit ist den Regelungen in § 15 Abs. 3 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 4124 WpPG ein über Werbeanzeigen hinausgehendes allgemeines Richtigkeits- und Konsis-
3.46
122 Begr. RegE WpPG, BT-Drucks. 85/05, S. 61; Groß, Kapitalmarktrecht, § 2 WpPG Rz. 10; Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 2 Rz. 44. Vgl. zum alten Recht (§ 1 VerkProspG) die Bekanntmachung des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel zum Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz vom 6.9.1999, BAnz Nr. 177 v. 21.9.1999, S. 16180, Ziff. I 2d; Baums/Hutter in FS Ulmer, S. 779, 788 ff.; Lenz/Ritz, WM 2000, 904, 905; Heidelbach in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 1 VerkProspG Rz. 8 f. 123 Vgl. Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 2 Rz. 43. 124 Entgegen dem von Abs. 3 abweichenden Wortlaut in Abs. 4 („übereinstimmen“) ist darin kein weitergehendes Kongruenzgebot zu sehen; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 257 Fn. 90; Schäfer/Ernst in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 7 Rz. 7 Fn. 7 und i.E. wohl auch Berrar in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 15 Rz. 40 Fn. 62.
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tenzgebot zu entnehmen, das sich auch in einer zurückhaltenden Formulierung veröffentlichter Informationen niederschlagen sollte. Ganz unterlassen sollte die Gesellschaft die Veröffentlichung von Aussagen in Bezug auf Gewinnprognosen, Gewinnschätzungen etc., um zu verhindern, dass diese zusammen mit einem Bericht des unabhängigen Abschlussprüfers in den Prospekt aufgenommen werden müssen125. Unabhängig davon ist die Verbreitung wesentlicher Informationen, die nicht im Prospekt enthalten sind, ausgeschlossen (vgl. § 15 Abs. 4 WpPG)126. Dies soll vor allem der Gleichbehandlung der Investoren dienen, nicht aber die in Deutschland übliche Verteilung weiterer vertriebsbezogener Unterlagen beschränken, die durch prägnante Kernaussagen das Interesse des Kapitalmarktes wecken sollen (Imagebroschüren, Präsentationsunterlagen, Werbeveröffentlichungen etc.)127. Für Werbung bestehen allerdings besondere, weitergehende Vorgaben. Sie muss als solche klar erkennbar sein (§ 15 Abs. 3 Satz 1 WpPG)128. Erforderlich ist außerdem, dass jede Werbeanzeige im Vorfeld des Börsengangs unabhängig von ihrer Verbreitungsform (Art. 34 VO Nr. 809/2004) auch einen Hinweis auf die Verfügbarkeit des Prospekts enthält (§ 15 Abs. 2 WpPG; s. auch Rz. 3.44)129. Das Publikum soll die Möglichkeit haben, sich vor der Anlageentscheidung umfassend zu informieren. Ein solcher Hinweis auf die Erhältlichkeit des (deutschsprachigen) Prospekts sollte indes auch in der englischsprachigen Übersetzung des gebilligten Prospekts (international offering circular) nicht fehlen, die zur Platzierung der Aktien bei ausländischen institutionellen Investoren verteilt wird130.
3.47 Neben diesen besonderen, auf den Börsengang zugeschnittenen Regelungen unterliegen
auch Börsenkandidaten dem allgemeinen Verbot der Marktmanipulation (Art. 12 VO Nr. 596/2014), wenn der Antrag auf Zulassung gestellt oder – hinreichend konkret – öffentlich angekündigt worden ist (Art. 2 Abs. 1 lit. (a) VO Nr. 596/2014). Gleiches gilt für die Ad-hoc-Veröffentlichungsplicht, die ebenfalls mit der Stellung des Antrags auf Zulassung begründet wird (Art. 17 VO Nr. 596/2014; s. auch Rz. 3.91). Danach ist die Gesellschaft verpflichtet, Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, unverzüglich („so bald wie möglich“) zu veröffentlichen131.
125 Vgl. Anhang I Ziff. 13 VO Nr. 809/2004; näher Meyer in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/ Singhof/Wolf, FK-WpPG, Anh. I Ziff. 13 EU-ProspektVO Rz. 13 ff.; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 258; Veil, AG 2006, 690. 126 Zur Stillhaltefrist (quiet period), die in Ziff. 5 der Going-Public-Grundsätze enthalten war, vgl. die 1. Aufl. § 3 Rz. 46 sowie Meyer, WM 2002, 1864, 1872; Schlitt/Smith/Werlen, AG 2002, 478, 486 ff.; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 258. 127 Übereinstimmend im Zusammenhang mit den Going-Public-Grundsätzen Schlitt/Smith/Werlen, AG 2002, 478, 487; Meyer, WM 2002, 1864, 1872. Eine Erstreckung der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung auf vertriebsbezogene Werbeveröffentlichungen ist abzulehnen. So aber die Empfehlung des 64. Deutschen Juristentages 2002, NZG 2002, 1006; nach altem Recht bejahend Assmann in Assmann/Lenz/Ritz, 2001, § 13 VerkProspG Rz. 13 f.; abl. J. Hüffer, Das Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz, 1996, S. 153; Meyer, WM 2003, 1301, 1304 ff. 128 Zur Legaldefinition der Werbung s. Art. 2 Nr. 9 VO Nr. 809/2004. Für die „Aufsicht über Werbeanzeigen“ ist die Behörde des jeweiligen Herkunftsmitgliedstaates zuständig; kritisch Kunold/Schlitt, BB 2004, 501, 511; M. Weber, NZG 2004, 360, 365. 129 Zu den Einzelheiten Berrar in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 15 Rz. 25 ff.; Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 15 WpPG Rz. 15 ff. Für einen weitergehenden Hinweis, dass die tatsächliche Anlageentscheidung auf Grundlage des Prospekts getroffen wird; Schäfer/Ernst in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 7 Rz. 27. 130 Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 257. 131 Ausführlich Parmentier, NZG 2007, 407.
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c) Research Guidelines Einem ähnlichen Zweck wie die Publizitäts-Richtlinien dienen die Research-Richtlinien (research guidelines), die auf Basis einer separaten Annahmeerklärung (acceptance letter) verbindliche Regelungen für die Erstellung und Verteilung von Unternehmensanalysen (research reports) der Emissionsbanken enthalten. Es entspricht in Deutschland – anders als etwa in den USA132 – allgemeiner Praxis, bereits im Rahmen des Börsengangs eine erste Unternehmensstudie zu erstellen (connected research). In diesem Research-Bericht nimmt der unabhängige Analyst der emissionsbegleitenden Bank auf Grundlage der in der Analystenpräsentation und dem üblichen Follow-up Conference Call zur Verfügung gestellten Unternehmensinformationen und insbesondere der Finanzzahlen eine Bewertung des Emittenten und der Aktien vor und gibt eine Prognose für die Entwicklung des Börsenkurses ab. Adressaten sind qualifizierte Anleger (§ 2 Nr. 6 WpPG)133.
3.48
Gesetzliche Vorgaben für „Finanzanalysen“ sind in Art. 20 VO Nr. 596/2014 i.V.m. der Delegierten Verordnung (EU) 2016/958 sowie § 85 Abs. 1 WpHG enthalten. Im Vergleich zu alten Rechtslage (§ 34b WpHG a.F. i.V.m. der Finanzanalyseverordnung134) wird das Recht nur fortgeschrieben135. Finanzanalysen werden als Anlagestrategieempfehlungen oder Anlageempfehlungen i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Nr. 34 bzw. 35 VO Nr. 596/2014 angesehen (s. auch Art. 36 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565). Danach besteht insbesondere die Verpflichtung, die Finanzanalyse mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erbringen136, Verantwortliche und mögliche Interessenkonflikte aus wechselseitigen Beteiligungen sowie begleitende oder vorbereitende Mandate der Emissionsbanken offen zu legen. Um die Objektivität der Darstellung und Unabhängigkeit des Analysten bzw. Interessenkonflikte zu vermeiden, sind bestimmte organisatorische Maßnahmen zu ergreifen (§ 85 Abs. 1 WpHG, Art. 37 DelVO 2017/565)137. Weitergehende, gesetzlich nicht geregelte Usancen internationaler Emissionen werden in den ResearchRichtlinien abgebildet138. Die Verteilung von Research Reports wird insbesondere einer zeitlichen Begrenzung unterworfen, um zu verhindern, dass Anleger in zeitlicher Nähe zur Emission in ihrer Anlageentscheidung maßgeblich beeinflusst werden139. Untersagt wird die Verteilung von emissionsbegleitenden Unternehmensstudien während einer Stillhaltefrist von regelmäßig zwei Wochen vor dem öffentlichen Angebot bis zum Ablauf von 30 bzw., bei Börsengängen mit US-Privatplatzierung, 40 Kalendertagen nach dem Closing
3.49
132 Baums/Hutter in FS Ulmer, 2003, S. 779, 787. 133 Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 179. S. aber auch Meyer, WM 2002, 1864, 1872 zur teilweise anderen Praxis in der Vergangenheit. 134 Verordnung über die Analyse von Finanzinstrumenten (Finanzanalyseverordnung – FinAnV) v. 17.12.2004, BGBl. I 2004, 3522, geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Finanzanalyseverordnung v. 20.7.2007, BGBl. I 2007, 1430. 135 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 255. Eingehend zur alten Rechtslage Koller in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 85 WpHG Rz. 1; Seiler/Kehler, CFL 2012, 340, 341 ff. 136 Research-Berichte unterliegen nicht der börsengesetzlichen Prospekthaftung; vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 25. Zur Haftung für Research Reports ausführlich Meyer, AG 2003, 610. 137 Näher Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 225. 138 Seiler/Kehler, CFL 2012, 340, 343; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 225a ff. Zu den früheren Vorgaben der „außer Kraft getretenen“ Going-Public-Grundsätze (Ziff. 6) vgl. Meyer, WM 2002, 1864, 1872 f.; Schlitt/Smith/Werlen, AG 2002, 478, 488. 139 Meyer/Poetzel in KölnKomm. WpHG, § 33 Rz. 80.
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des Angebots (black-out period)140. Soweit eine Veröffentlichung in dem Zeitraum davor zulässig ist (restricted period), darf der Emittent nach dem allgemeinen Konsistenzgebot (§ 15 Abs. 4 WpPG) den Analysten nur solche für die Beurteilung des Emittenten oder der Aktien wesentlichen Informationen über sein Geschäft sowie seine Finanz- und Ertragslage zur Verfügung stellen, die auch im Prospekt enthalten sein werden. Der Sicherstellung der sachlichen Richtigkeit und Konsistenz mit den Prospektangaben dienen bestimmte Prüfungsprozesse unter Einbindung des Emittenten und der emissionsbegleitenden Rechtsanwaltskanzleien (review procedure). Darüber hinaus wird in den Research-Richtlinien regelmäßig die Verpflichtung vorgesehen, den Empfängern von Unternehmensanalysen (oder zumindest denen, die eine Zuteilung erhalten) auch ein Exemplar des Prospekts bzw. der englischsprachigen Übersetzung zuzusenden. Aus den zur Verfügung gestellten Informationen selbst entwickelte Erkenntnisse, Prognosen und Zukunftserwartungen des unabhängigen Analysten sind von dem Konsistenzgebot unmittelbar nicht erfasst141, jedoch sollten sie als solche klar gekennzeichnet sein (outsider’s view). Hinsichtlich der Prognosen (forecasts) enhalten die internen Regularien der Investmentbanken regelmäßig Selbstbeschränkungen für den relevanten Prognosezeitraum (z.B. laufendes Geschäftsjahr plus zwei weitere Geschäftsjahre). Grundsätzlich untersagt wird die Aufnahme von Empfehlungen (investment recommendations) ebenso wie von Preisvorstellungen (target price) oder Ertragserwartungen pro Aktie (earnings per share). Eingeschränkt ermöglicht werden aber Beschreibungen der Methoden zur Bewertung vergleichbarer Unternehmen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (valuation discussions). Trotz dieser Einschränkungen gegenüber herkömmlichen Finanzanalysen darf dem Emittenten im Rahmen des Prüfungsprozesses zum Teil nur ein Entwurf des Research Reports ohne die Bewertungsdiskussion und Zusammenfassung (redacted research) übermittelt werden (Art. 37 Abs. 2 lit. f) DelVO 2017/565).
3.50 Daneben sollen die Regeln in den Research Guidelines vor allem auch verhindern, dass die
Erstellung und Verteilung von Research-Berichten mit ausländischen, insbesondere angloamerikanischen Kapitalmarktregeln nicht in Einklang stehen (vgl. dazu § 45). Dem dienen u.a. der generelle Ausschluss der Versendung der Unternehmensanalysen in bestimmte, von der internationalen Privatplatzierung ausgeschlossene, Staaten, der Ausschluss elektronischer Verteilung von Unternehmensanalysen, zusätzliche Einschränkungen für die Verteilung der Unternehmensanalysen im Rahmen von Roadshows und an die Presse sowie entsprechende, im Research-Bericht abzudruckende Haftungsausschlüsse sowie Hinweise über die von der Verteilung ausgeschlossenen Staaten, allgemeine Weitergabeoder Vervielfältigungsverbote, die Unabhängigkeit des Analysten von der Gesellschaft sowie den Ausschluss eines öffentlichen Angebots (legend). d) Kauf- und Halteanreize
3.51 Zum Teil werden bestimmte Börsengänge über die begleitende Vermarktung hinaus durch
konkrete anlegerorientierte Maßnahmen auf eine möglichst hohe Akzeptanz und Aufnahme bei Privatanlegern ausgerichtet. Als gängigste Kaufanreize (retail incentives) kommen beispielsweise Preisnachlässe für alle Privatkunden bzw. ein Früh- oder Spätzeichnerrabatt (early or late order discount) in Betracht. Zum Teil wird auch Alt- oder Neukunden
140 Zu den Möglichkeiten einer Verkürzung oder Aufgabe der Blackout Periode Seiler/Kehler, CFL 2012, 340, 347 f. 141 Wie hier Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 15 WpPG Rz. 34.
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eine bevorrechtigte Zuteilung angeboten (preferential allocation)142. Die mit einem Preisnachlass verbundene Bevorzugung der Privatanleger gegenüber institutionellen Anlegern mit dem Ziel der Beeinflussung der Aktionärsstruktur ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dient dem Interesse der Gesellschaft an einer weitgestreuten Platzierung der Aktien und findet regelmäßig die Zustimmung des vor dem Börsengang noch geschlossenen Aktionärskreises. Damit widerspricht sie insbesondere nicht einer vermeintlichen Neutralitätspflicht des Vorstands, der sich seine Aktionäre nicht aussuchen dürfe143. Auch das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG) wird nicht verletzt, weil es nur zur Gleichbehandlung der Aktionäre verpflichtet, die bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Maßnahme Aktien besitzen. Alternativ zu einem Preisnachlass ist daran zu denken, den Anleger zum Halten der neu erworbenen Aktien über einen bestimmten Zeitraum (von 12–24 Monaten) durch eine „Treueprämie“ in Form von später gewährten Gratisaktien (bonus shares) zu bewegen. Allerdings bietet sich dies nur an, wenn der Großaktionär die Gratisaktien zur Verfügung stellt, da dieser gegenüber den Aktionären des Börsenkandidaten nicht dem Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG unterliegt. Bei Ausgabe neuer Aktien durch den Emittenten wäre von den Begünstigten zumindest der geringste Ausgabebetrag zu leisten (§ 9 Abs. 1 AktG). Wenn das für die Ausgabe der Aktien erforderliche genehmigte Kapital bereits vor dem Börsengang geschaffen wurde, könnte der Hauptversammlungsbeschluss zwar nicht mehr angefochten werden; das in § 255 Abs. 2 AktG niedergelegte Verbot der Aktienausgabe zu einem unangemessenen Ausgabebetrag ist aber auch bei Ausnutzung des genehmigten Kapitals von den Organen zu beachten144.
3.52
5. Due Diligence Die vorbereitenden Maßnahmen im Rahmen eines geplanten Börsengangs werden regelmäßig von einer eingehenden Untersuchung und Analyse des Unternehmens begleitet (due diligence – vgl. eingehend § 33)145. Derartige Prüfungshandlungen erfüllen gleich mehrere Zwecke für die am Börsengang Beteiligten. Ganz grundsätzlich dient eine Due Diligence dem Zweck, Feststellungen zur Börsenreife eines Unternehmens zu treffen und in diesem Zusammenhang auch die Planzahlen zu plausibilisieren. Eine eingehende Analyse des Unternehmens ermöglicht es der konsortialführenden Bank auch, die Unternehmensbewertung für die Festlegung der Preisspanne mit den gewonnenen Erkenntnissen zu untermauern. Anhand der im Rahmen der Due Diligence erlangten Informationen kann zudem überprüft werden, ob die in dem Prospekt gemachten Angaben vollständig und richtig sind. Hiervon profitieren die Prospektverantwortlichen – der Emittent ebenso 142 Bestimmte Bevorzugungskriterien wurden in der Vergangenheit aber auch von Konkurrenten und der Wettbewerbszentrale unter wettbewerbsrechtlichen Gründen angegriffen, so insbesondere die Bevorzugung von Teilnehmern an einer Internet-Umfrage; M. Weber, NJW 2000, 2061, 2068. 143 Vgl. etwa Hopt in Großkomm. AktG, § 93 Rz. 122; Hopt in FS Lutter, 2000, S. 1361, 1376; ablehnend Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rz. 40; Krieger in Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht, 2001, S. 289, 303 f. (sämtlich zu Übernahmekonstellationen); differenzierend Singhof in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1261, 1271 ff. (im Zusammenhang mit Aktionärsvereinbarungen bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen). 144 Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267, 269 f. 145 Eingehend hierzu Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 130 ff.; Schanz, Börseneinführung, § 8 Rz. 1 ff.
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§ 3 | Börsengang
wie die Konsortialbanken – in der Weise, dass imageschädigende Feststellungen nach Abschluss der Platzierung weitgehend ausgeschlossen werden können. Dies gilt auch für die verkaufenden Aktionäre146. Den Konsortialbanken hilft eine angemessene Due Diligence darüber hinaus, eine Prospekthaftung (§§ 21, 23 Abs. 1 WpPG) zu vermeiden. Nach § 23 Abs. 1 WpPG kann nicht aus Prospekthaftung in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Prospekts nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ob sich aus diesem Verschuldensmaßstab eine Pflicht der Emissionsbanken zur Durchführung einer eingehenden Due Diligence herleiten lässt, erscheint zweifelhaft147. Jedenfalls unterstützt die Durchführung angemessener Untersuchungen einen in einem Prospekthaftungsprozess nach § 23 Abs. 1 WpPG zu führenden Entlastungsbeweis nachhaltig.
3.54 Die im Rahmen einer Due Diligence durchzuführenden Untersuchungen und Analysen
sollten sich auf sämtliche wertbestimmenden Faktoren des Unternehmens und seiner wesentlichen Tochtergesellschaften beziehen. Stets werden daher die wesentlichen rechtlichen Verhältnisse einer eingehenden Prüfung unterzogen (legal due diligence). Hierzu zählen neben den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen (s. dazu Rz. 3.4 ff., 3.8 ff., 3.61 ff.) auch die wesentlichen vertraglichen Vereinbarungen, öffentlich-rechtlichen Genehmigungen und Erlaubnisse sowie die Patente und Lizenzen, die der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zugrunde liegen. Im Rahmen der Business oder Commercial Due Diligence wird, ausgehend von einer Betrachtung des wirtschaftlichen Umfelds und der Wettbewerbssituation, die Geschäftstätigkeit des Börsenkandidaten einer Analyse unterzogen. Hierbei kommt es im Wesentlichen darauf an, die Zukunftsaussichten der von der Gesellschaft angebotenen Waren und/oder Dienstleistungen zu bewerten. Der Plausibilitätsprüfung des Business Plans der Gesellschaft kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Die Jahresabschlussunterlagen und Zwischenberichte des laufenden Geschäftsjahres des Unternehmens, insbesondere soweit sie in den Prospekt aufzunehmen sind, sind Gegenstand einer finanziellen Unternehmensanalyse (financial due diligence). Neben den vorgenannten Prüfungshandlungen kann, je nach Geschäftstätigkeit und Risiken derselben, eine Überprüfung weiterer Faktoren zweckmäßig sein. In Betracht kommen z.B. besondere steuerliche Sachverhalte, technische Anforderungen und mögliche Umweltrisiken. Mit der Durchführung der Due Diligence-Untersuchung beauftragen die Konsortialbanken regelmäßig externe Experten wie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater (vgl. auch Rz. 3.97). Teilweise wird die konsortialführende Bank auch selbst tätig, vor allem im Rahmen einer Business und Financial Due Diligence. Entscheidende Bedeutung in organisatorischer Hinsicht kommt der Vorbereitung des Unternehmens zu, insbesondere also der Einrichtung eines Datenraums (data room). Management und Führungskräfte der nachfolgenden Ebenen müssen zudem in ausreichendem Maße für Auskünfte zur Verfügung stehen.
146 Verkaufende Aktionäre können mangels ausdrücklicher Erklärung im Prospekt regelmäßig nicht als Prospektverantwortliche i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 1 WpPG qualifiziert werden; denkbar ist jedoch, in ihnen in bestimmten Konstellationen Veranlasser des Prospekts i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 2 WpPG zu sehen; vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 35. 147 Vgl. zum Meinungsstand Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 81; Hamann in Schäfer/ Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rz. 222 ff.
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Börsengang | § 3
III. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen Die Durchführung eines Börsengangs bedarf neben der Umwandlung oder Umstrukturierung des Emittenten in eine „börsenfähige“ Aktiengesellschaft (vgl. Rz. 3.8 ff.) weiterer gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen. Nach der grundsätzlichen Entscheidung über die Börseneinführung sind vor allem die Kapitalerhöhung zum Börsengang durchzuführen und ggf. Vorkehrungen hinsichtlich der aktienrechtlichen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln zu treffen. Im Zusammenhang mit der Börseneinführung einer Tochtergesellschaft ergeben sich gesellschaftsrechtliche Zuständigkeits- und Teilhabefragen.
3.55
1. Entscheidung über den Börsengang Meistens wird die grundsätzliche Entscheidung über den Börsengang und den Beginn der notwendigen Vorbereitungsarbeiten von allen Gesellschaftern mitgetragen. In einem geschlossenen Gesellschafterkreis kann die Verständigung hierüber auch ohne förmlichen Beschluss erfolgen. Davon abgesehen sind regelmäßig vorbereitende Gesellschafter- oder Hauptversammlungsbeschlüsse erforderlich, in denen eine implizite Zustimmung zum Börsengang zu sehen ist148. Zu denken ist an den Gesellschafterbeschluss über den Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) in die Aktiengesellschaft149 (vgl. §§ 217, 233, 240 UmwG), die Hauptversammlungsbeschlüsse über die Neuordnung des Grundkapitals vor dem Börsengang (z.B. Aufhebung von Vorzügen, § 141 AktG und Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, §§ 207 ff. AktG), die ordentliche Kapitalerhöhung zum Börsengang (§§ 182, 186 Abs. 3 AktG) bzw. die Schaffung des hierfür auszunutzenden genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG)150 sowie gegebenenfalls über notwendige Satzungsänderungen (§ 179 AktG).
3.56
Das aktienrechtliche Problem, ob die grundsätzliche Entscheidung über den Börsengang in die alleinige Befugnis des Vorstands fällt oder der Mitwirkung der Hauptversammlung bedarf, hat daher häufig keine praktische Bedeutung151. Jedenfalls bei einem größeren Aktionärskreis mit u.U. divergierenden Interessen152 sollte der Vorstand die Entscheidung der Hauptversammlung gem. § 119 Abs. 2 AktG (freiwillig) einholen und sich ermächtigen lassen, die Zulassung des Grundkapitals der Gesellschaft zum Börsenhandel zu beantragen und alle weiteren zur Durchführung des Börsengangs erforderlichen Maßnahmen zu treffen153. Jedoch sind die mit dem Börsengang verbundenen Veränderungen für die Gesellschaft (insbesondere die börsen- und wertpapierhandelsrechtliche Publizität) keine „Strukturänderungen“, die einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung
3.57
148 Vgl. Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 240; Lutter in FS Zöllner, 1998, S. 363, 379; anders wohl Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459, 460. 149 Zum Umgang mit eigenen Anteilen bei der Vorbereitung des Börsengang s. Schulz, ZIP 2015, 510. 150 Vgl. das Muster von Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, § 16.01. 151 Es ist auch nicht Sache der Zulassungsstelle, aktienrechtliche Voraussetzungen aktiv zu prüfen; zutr. Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 59. 152 Dazu Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 240. 153 So etwa im Fall des Börsengangs der Deutsche Postbank AG, bei dem allerdings nur eine Beteiligungsgesellschaft der Deutsche Post AG die Aktien vor dem IPO hielt; vgl. den Verkaufsprospekt v. 18.6.2004, S. 4.
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§ 3 | Börsengang
i.S.d. „Holzmüller“/„Gelatine“-Rechtsprechung begründen154. Daran hat auch das Gesetz zur „kleinen Aktiengesellschaft“155 nichts geändert. Durch die erweiterte kapitalmarktrechtliche „Regulierung“ wird nicht in die Vermögens- und Verwaltungsrechte der Aktionäre eingegriffen156, sondern vielmehr die Verkehrsfähigkeit ihrer Aktien gesteigert. Beim Schutz der Minderheitsaktionäre besteht auch kein wesentlicher Unterschied zwischen der börsennotierten und der privaten Aktiengesellschaft. Abzulehnen ist daher auch der Beschluss des 67. DJT, der „Wechsel von der nicht börsennotierten Gesellschaft zur börsennotierten Gesellschaft (Börsengang) sollte […] von der Hauptversammlung beschlossen werden“157.
3.58 Aktienrechtliche Probleme ergeben sich auch aus der gestiegenen Bedeutung der Beteiligungs-
finanzierung durch Venture Capital- oder Private Equity-Investoren, die mittelfristig Wertsteigerung aus ihrem Investment durch einen Börsengang erzielen wollen. In den zugrundeliegenden Verträgen werden diesen Investoren häufig Börseneinführungsrechte eingeräumt, die ihnen die Möglichkeit eröffnen sollen, den Börsengang bei Eintritt der Börsenreife gegenüber den anderen Gesellschaftern und der Gesellschaft durchzusetzen (demand registration right) oder jedenfalls an einem Börsengang mit der eigenen Beteiligung vorrangig teilzunehmen (piggyback right)158. Dies ist aktienrechtlich nicht zweifelsfrei. Eine Verpflichtung zur Börseneinführung wird unabhängig von der Frage, ob eine grundlegende interne Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung anzunehmen ist oder eine Leitungsentscheidung des Vorstands vorliegt (§ 76 Abs. 1 AktG), mit der Verbandsautonomie der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren sein159. Dagegen kann der Vorstand im Vorgriff auf das Emissionskonzept grundsätzlich vertraglich einen Anspruch bestimmter Aktionäre auf bevorrechtigte Teilnahme bei der Veräußerung begründen160. Auch insoweit kann er jedoch im Verhältnis zu den übrigen Aktionären weitergehenden Bindungen unterliegen. Stimmen sie der Auswahl der bevorrechtigt abgebenden Aktionäre nicht zu, zwingt der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) bei einem für das Emissionskonzept zu großen Angebot an Platzierungsaktien, eine pro-rata-Aufteilung auf die abgabebereiten Aktionäre vorzunehmen161.
154 Vgl. Habersack, AG 2005, 137, 147 f.; Hopt in FS Drobnig, 1998, S. 525, 536 f.; Halasz/Kloster, ZBB 2001, 474, 479; Drinhausen in Hölters, AktG, § 119 Rz. 21; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 82 ff.; Kubis in MünchKomm. AktG, § 119 Rz. 80; i.E. auch Schanz, Börseneinführung, § 6 Rz. 54; a.A. Fuchs in Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht, 2001, S. 259, 269; Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 241; Lutter in FS Zöllner, 1998, S. 363, 378 f.; Picot/Land, DB 1999, 570, 571; Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459, 466; Schlitt in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, § 23 Rz. 130; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rz. 37. 155 Gesetz v. 2.8.1994, BGBl. I 1994, 1961; dazu Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1. 156 Dies lässt sich für die in meldepflichtiger Höhe am gezeichneten Kapital oder an den Stimmrechten beteiligten Aktionäre auch nicht aus der Publizität nach Anhang I Ziff. 18.1. VO Nr. 809/2004 herleiten. 157 Vgl. 67. DJT Erfurt 2008, Beschlüsse Abt. Wirtschaftsrecht („Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?“), Ziff. III.2.1., www.djt.de. 158 Eingehend Baums/Möller in FS Buxbaum, 2000, S. 33, 79. 159 Vgl. auch Winkler, Rechtsfragen der Venture Capital-Finanzierung, 2004, S. 220 ff.; anders Baums/Möller in FS Buxbaum, 2000, S. 33, 81 f., die unter der Prämisse der Zuständigkeit der Hauptversammlung eine Selbstbindungsmöglichkeit annehmen. 160 Winkler, Rechtsfragen der Venture Capital-Finanzierung, 2004, S. 224 ff.; zust. Schlitt/Ries in Hdb. Private Equity, 2010, § 16 Abschn. 3.2. 161 Vgl. Lutter/Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 242; zust. Baums/Vogel in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, Rz. 9.58; Schlitt in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, § 23 Rz. 136.
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Börsengang | § 3
2. Kapitalerhöhung zum Börsengang Da Gegenstand des Börsengangs in der Regel bestehende und neue Aktien sind, um auch der Gesellschaft frisches Kapital zuzuführen, wird kurz vor der Handelsaufnahme eine Kapitalerhöhung durchgeführt (zur zeitlichen Abfolge vgl. Rz. 3.79). Dafür stehen grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung: die ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) oder die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG) gegen Bareinlagen162. Beide Maßnahmen bedürfen der Beschlussfassung der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§§ 182 Abs. 1 bzw. 202 Abs. 2 AktG). Da die aus der Kapitalerhöhung entstehenden Aktien bei neuen Investoren platziert werden sollen, ist das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen (§§ 186 Abs. 3 Satz 2 bzw. 203 Abs. 2 AktG). Hierfür bedarf es eines schriftlichen Vorstandsberichts, in dem die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses bzw. der Ermächtigung des Vorstands hierzu darzustellen ist (§§ 186 Abs. 4 Satz 2 bzw. 203 Abs. 1 und 2 AktG). Die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist regelmäßig anzunehmen, weil die mit dem Börsengang verbundene langfristige Erschließung des Kapitalmarkts im Gesellschaftsinteresse liegt und nur auf diese Weise Aktien geschaffen werden können, deren Platzierung der Gesellschaft einen vollen Mittelzufluss bringen und zum notwendigen Streubesitz (§ 9 BörsZulV) beitragen; das Interesse des Unternehmens an der erstmaligen Börseneinführung überwiegt insoweit die Bezugsinteressen der Aktionäre163. Sofern die Aktien der Gesellschaft bereits im Freiverkehr gehandelt werden und/oder sie über einen unüberschaubaren Aktionärskreis verfügt, kann es ausnahmsweise aber auch ratsam sein, zum Börsengang eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht (ausführlich § 5) durchzuführen164. Platzierungsaktien in hinreichendem Umfang müssen dann neben der Abgabe aus dem Altbestand durch den unwiderruflichen Verzicht der Großaktionäre auf die Ausübung ihres Bezugsrechts zur Verfügung gestellt werden, während die übrigen neuen Aktien im Rahmen eines Bezugsangebots (§ 186 Abs. 2 AktG) den bestehenden Aktionären zum Bezug angeboten werden. Der Bezugspreis wird in diesem Fall im Rahmen eines Bookbuildings-Verfahrens festgelegt und spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist bekannt gemacht (§ 186 Abs. 2 Satz 2 AktG)165.
3.59
Da die Entscheidung über den Börsengang in aller Regel von sämtlichen Altgesellschaftern getragen wird, sind diese Beschlüsse in der Praxis weitgehend unproblematisch; die Altgesellschafter verzichten regelmäßig im Rahmen einer Vollversammlung nicht nur auf die Einhaltung der Einberufungsformalitäten verzichtet werden (§ 121 Abs. 6 AktG)166, sondern auch auf ihr Bezugsrecht und die mit dem Bezugsrechtsausschluss verbundenen
3.60
162 Ausführlich zu beiden Varianten Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.1 ff. und 43.1 ff. Denkbar ist auch die Veräußerung eigener Aktien im Rahmen des Börsengangs s. Schulz, ZIP 2015, 510, 515 f. 163 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 31; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 119f; s. auch BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239, 244 = AG 1994, 276 zur Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses bei Erschließung neuer Börsenplätze durch die bereits börsennotierte Gesellschaft. Die gleichen Maßstäbe müssen bei einem Börsenkandidaten vor dem IPO angelegt werden. Zu eng Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 159; Lutter/ Drygala in FS Raisch, 1996, S. 239, 243 f. 164 Vgl. den Börsengang der CompuGroup Holding AG, Wertpapierprospekt v. 20.4.2007. 165 Näher dazu Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.51 ff. 166 Näher zur Vollversammlung Hüffer/Koch, AktG, § 121 Rz. 19 ff.; Than in FS Hadding, 2004, S. 683. Eine zusätzliche Verzichtserklärung der Aktionäre ist entbehrlich, wird in der Praxis aber oftmals eingeholt.
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§ 3 | Börsengang
formalen Anforderungen. Die Durchführung der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital bietet zwar organisatorische Vorteile, die angesichts eines ohnehin engen Zeit- und Maßnahmenplans im Vorfeld eines Börsengangs bedeutsam sein können. Diese sind in der Regel jedoch nicht entscheidend. Ebenso spielt es keine Rolle, dass die ordentliche Kapitalerhöhung anders als eine Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital, über die der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheidet, innerhalb von maximal sechs Monaten nach Beschlussfassung der Hauptversammlung durchzuführen ist167. Selbst bei einer Verschiebung des Börsengangs behindert dies nicht, da die außerordentliche Hauptversammlung als Vollversammlung auch auf den letzten Tag der Bookbuildingphase terminiert werden kann, so dass sie noch rechtzeitig abgesetzt werden kann und es zu keiner Beschlussfassung kommt. In der überwiegenden Zahl der Börsengänge wird daher eine ordentliche Kapitalerhöhung gewählt. Dies hat auch den Vorteil, dass das genehmigte Kapital, das für zukünftige Kapitalmaßnahmen zur Verfügung steht, nicht bereits durch die IPO-Kapitalerhöhung reduziert wird. Je nach zeitlicher Abfolge kann der Beschluss über die ordentliche Kapitalerhöhung noch einen Höchstbetrag („bis zu“) oder einen festen Betrag für die nominale Erhöhung vorsehen. Der Beschluss über die ordentliche Kapitalerhöhung und seine Durchführung können auch gemeinsam zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (§ 188 Abs. 4 AktG).
3. Kapitalschutzbestimmungen a) Verdeckte Sacheinlage
3.61 Im Vorfeld eines Börsengangs besteht bei dem Unternehmen häufig ein hoher Finanzie-
rungsbedarf für das weitere Wachstum, der vielfach durch Fremdmittel von Gesellschaftern oder Banken gedeckt wird. Naheliegend ist es dann, diese Fremdmittel zumindest teilweise mit dem Erlös des Emittenten aus dem Börsengang zurückzuführen168. Werden dabei auch Kreditforderungen der Emissionsbanken erfüllt, die im Rahmen der Barkapitalerhöhung die neuen Aktien zum Zwecke der Weiterplatzierung gezeichnet haben, birgt diese Vorgehensweise allerdings das Risiko einer verdeckten Sacheinlage.
3.62 Eine verdeckte Sacheinlage liegt vor, wenn eine Geldeinlage eines Aktionärs bei wirtschaftlicher Betrachtung und auf Grund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten ist (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AktG)169. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers führt diese abstrakte Umschreibung im Gesetz das bisherige Begriffsverständnis fort. Es geht darum, dass die strengen Sacheinlagevorschriften nicht vermieden werden sollen, indem der Sacheinlagevorgang in eine Geldzahlung (Bareinlage) und ein gegenläufiges, den Mittelzufluss bei der Gesellschaft wieder aufhebendes Umsatzgeschäft (Sachleistung) aufgespalten wird. Die genaue Erfassung des Tatbestands der verdeckten Sacheinlage ist gleichwohl nach wie vor streitig170.
167 Vgl. Lutter in KölnKomm. AktG, § 182 Rz. 7. 168 Zu besonderen Problemen bei der Beendigung von stillen Beteiligungen vor dem IPO Schlitt/ Beck, NZG 2001, 688; Singhof in Singhof/Seiler/Schlitt, Mittelbare Gesellschaftsbeteiligungen, 2004, Rz. 274 ff. 169 Eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.9. 2009, BGBl. I 2009, 2479. S. zur Reform der Kapitalaufbringung durch das ARUG Bayer/ Schmidt, ZGR 2009, 805. 170 Zu den Einzelheiten Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rz. 23 ff.; Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 27 Rz. 51 ff., jeweils m.w.N.
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Börsengang | § 3
In der Regel kann aber insbesondere die Erforderlichkeit einer (konkludenten) „Abrede“ der Beteiligten offen bleiben, weil sie aufgrund eines sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Leistung und Rückfluss vermutet und diese Vermutung (regelmäßig) nicht widerlegt wird171. Rechtsfolge einer verdeckten Sacheinlage ist, dass die Bareinlagepflicht (in Höhe des im Zeichnungsschein festgelegten Ausgabebetrags der Aktien) mangels Erfüllungswirkung der Zahlung zwar bestehen bleibt, der Wert des Vermögensgegenstands im Zeitpunkt der Handelsregisteranmeldung jedoch angerechnet wird (Differenzhaftung/Anrechnungslösung, § 27 Abs. 3 Satz 3 AktG). Die Wirksamkeit der Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung bleiben vom dem Tatbestand der verdeckten Sacheinlage unberührt (§ 27 Abs. 3 Satz 3 AktG)172. Es liegt auf der Hand, dass die uneingeschränkte Anwendung dieser Grundsätze trotz der begrüßenswerten Korrektur der nach altem Recht drastischen Folgen nicht geboten ist, wenn Emissionsbanken zugleich auch Kreditgeber des Emittenten sind. Eine Privilegierung wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Emissionsbanken anerkannt, die im Rahmen einer Barkapitalerhöhung mit mittelbarem Bezugsrecht der Aktionäre (§ 186 Abs. 5 AktG) Aktien als „fremdnützige Treuhänder“ ohne wirtschaftliches Eigeninteresse zugunsten der bezugsberechtigten Aktionäre der Emittentin zeichnen173. Hier wird nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Betrachtung bei der Frage, ob eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, nicht auf die Bank, sondern nur auf die Aktionäre abgestellt174. Werden daher Mittel aus der Kapitalerhöhung von der Gesellschaft zur Tilgung von Forderungen der Emissionsbanken benutzt, liegt grundsätzlich keine verdeckte Sacheinlage vor. Die Privilegierung der Emissionsbanken besteht allerdings nur insoweit, als sie ihre Rolle als technische Abwicklungsstelle wahrnehmen. Dazu zählt auch die Verwertung nicht bezogener Aktien, nicht jedoch die Wahrnehmung der Rechte aus diesen Aktien oder ihr Erwerb im Wege des „Selbsteintritts“175. Schädlich ist auch, wenn die Emissionsbank bei der Weiterveräußerung nicht bezogener Aktien die Differenz zwischen dem Ausgabebetrag und dem Emissionspreis einbehält (Mehrerlös)176. 171 Vgl. BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107, 109 f. = NZG 2003, 168. Ein sachlicher Zusammenhang ist anzunehmen, wenn die Darlehensforderung bereits im Zeitpunkt der Barkapitalerhöhung bestanden hat und somit zum Gegenstand einer Sacheinlage hätte gemacht werden können. Er kann aber auch gegeben sein, wenn die Forderung erst nach der Aktienübernahme begründet wird; vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, WM 1990, 222, 226 f. Der zeitliche Zusammenhang hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Jedenfalls bei einem Zeitraum von mehr als neun Monaten ist er nicht mehr gegeben; BGH v. 4.3. 1996 – II ZR 89/95, BGHZ 132, 133, 139. In der Praxis wird zumindest in den ersten sechs Monaten nach der Übernahme der Aktien vorsorglich von einer Tilgung/Zinszahlung abgeraten; näher Frese, AG 2001, 15, 17. 172 Zu den Einzelheiten Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rz. 31 ff. 173 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90 – BuM III, BGHZ 118, 83, 96 f. = AG 1992, 312; zustimmend u.a. Groß, AG 1993, 108, 115 f.; Singhof, Außenhaftung, S. 227 ff.; Timm/Schöne, ZGR 1994, 113, 114; vor der Entscheidung bereits Lutter/Gehling, WM 1989, 1445, 1447; ablehnend etwa Priester in FS Brandner, 1996, S. 97, 106 f. Zu einem anderen Ansatz – Privilegierung für („normale“) laufende Kreditgeschäfte – Frese, AG 2001, 15, 18 ff. 174 Vgl. BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91 – Co op, BGHZ 122, 180, 186 f.; dazu Assmann/Sethe, ZHR 158 (1994), 646. 175 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = AG 1992, 312; differenzierend zur Wahrnehmung eigener Rechte Schnorbus, AG 2004, 113, 120 f. 176 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 98 = AG 1992, 312; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 29/94 – BuM IV, NJW 1995, 2486.
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3.63
§ 3 | Börsengang
3.64 Die Reichweite dieser Privilegierung ist in verschiedener Hinsicht noch ungeklärt. Fraglich
ist bei einem IPO insbesondere, ob sie auch auf eine Aktienübernahme aus einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts zu erstrecken ist. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sich die vom BGH genannten Rechtfertigungsgründe für die Nichtanwendung der Grundsätze zwanglos übertragen lassen177. Die tragende Erwägung der lediglich „transitorischen Funktion“ der Emissionsbank178 als Bindeglied zwischen Emittent und Kapitalmarkt trifft auch auf die bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung uneingeschränkt zu. Dafür spricht bereits, dass der BGH die Treuhänderstellung auch dann bejaht, wenn die Altaktionäre ihr (mittelbares) Bezugsrecht nicht ausüben und die Emissionsbank die Aktien (einschließlich einer freien Spitze) unmittelbar frei am Markt platziert179. Es wird daher nicht verlangt, dass der eigentliche Aktionär (Erwerber) im Zeitpunkt der vorübergehenden Übernahme der Aktien bereits feststeht. Die Privilegierung kann nach dieser Maßgabe bei einem IPO auch nicht davon abhängen, dass die Zeichnung erst nach Abschluss des Bookbuilding stattfindet, so dass die Banken von Anfang an mit einem Lieferanspruch der Investoren belastet sind180. Erforderlich ist nur, dass im Zeitpunkt der Zeichnung ex ante eine zügige Weiterplatzierung unproblematisch erschien. Eine vertragliche Absicherung verlangt der BGH für diese Einschätzung nicht. Zudem soll die Privilegierung auch erhalten bleiben, wenn die Platzierung aufgrund unvorhersehbarer Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt nicht gelungen ist und die Banken sich weiterhin um die Unterbringung der Aktien bemühen181. Schädlich kann daher nur die Aufgabe der Weiterplatzierung als integralem Teil des Erwerbs sein182. b) Nachgründung
3.65 Bis 2002 hat die sog. Nachgründung (§ 52 AktG) die unternehmerische Handlungsfreiheit
der jungen, börsennotierten Aktiengesellschaften ganz erheblich eingeschränkt183. Meist sind sie schon kurz nach ihrem Entstehen darauf angewiesen, Erwerbsgeschäfte mit gesellschaftsfremden Dritten zu tätigen, für die eine 10 % ihres Grundkapitals übersteigende Gegenleistung zu erbringen ist. Die erheblichen Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss solcher Rechtsgeschäfte mit qualifizierter Zustimmung der Hauptversammlung führten zu kaum hinnehmbaren Erschwernissen. Wurde die Bestimmung innerhalb der ersten zwei Jahre seit Gründung der Gesellschaft nicht beachtet, waren der nachgründende
177 Näher Frese, AG 2001, 15, 22 ff.; Parmentier, ZInsO 2008, 8, 13 f.; Schnorbus, AG 2004, 113; s. auch Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 36; Siebert, NZG 2006, 366, 367 sowie i.E. Bezzenberger/Bezzenberger in FS Hopt, 2010, S. 391, 409 ff.; s. auch Brandt in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.776; offen lassend Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.62. 178 Pointiert Schnorbus, AG 2004, 113, 118. 179 Vgl. BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 98 = AG 1992, 312. 180 Wie hier Frese, AG 2001, 15, 23 f.; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 91; unzutreffend a.A. Hein, WM 1996, 1, 6, der insoweit auch von einer falschen Prämisse hinsichtlich der Abwicklung der Kapitalerhöhung ausgeht. 181 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 = AG 1992, 312. 182 Die beschriebenen Grundsätze können auch gegen die pauschale Subordination von „Gesellschafterdarlehen“ nach § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 InsO eingewandt werden, die anderenfalls zum Tragen kommen könnte, wenn eine Emissionsbank auch Kreditgeberin des Emittenten ist und aufgrund der Zeichnung der neuen Aktien vorübergehend mit mehr als 10 % an dem Emittenten beteiligt ist; näher Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 111 f. 183 S. nur DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2000, 443; Werner, NZG 2000, 231.
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Börsengang | § 3
Vertrag und die Geschäfte zu seiner Ausführung bis zu einer etwaigen Heilung schwebend unwirksam (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 2 AktG)184. Mit der Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Erwerbsgeschäfte mit Gründern und maßgeblich beteiligten Aktionären (mit einer Beteiligung von mehr als 10 % des Grundkapitals) sind diese Probleme aber weitgehend beseitigt worden (§ 52 Abs. 1 AktG)185. Für den verbleibenden Anwendungsbereich sind eine Reihe von Fragen, die im Rahmen der Reform nicht aufgegriffen worden sind, nach wie vor von Bedeutung. Kritikwürdig ist etwa, dass (kapitalmarktreife) Unternehmen dem Nachgründungsrecht unterworfen werden, die sich wirtschaftlich betrachtet nicht in einer typischen Gründungssituation befinden. Nach h.M. ist § 52 AktG gemäß § 245 Abs. 2 i.V.m. § 220 Abs. 3 Satz 2 bzw. § 197 UmwG auch beim Formwechsel einer GmbH oder Personengesellschaft in die Aktiengesellschaft anwendbar186. Jedenfalls bei einem Formwechsel einer GmbH, deren Kapitalaufbringungsregeln sich nicht wesentlich von denen des Aktiengesetzes unterscheiden, erscheint dies nicht sachgerecht187. Dagegen ist es bei der Verwendung eines AG-Mantels für den Börsengang angemessen, die Zwei-Jahres-Frist des § 52 AktG mit der Reaktivierung des Mantels erneut beginnen zu lassen (wirtschaftliche Neugründung)188. Überwiegend wird auch angenommen, dass die aktienrechtlichen Nachgründungsvorschriften auf Sachkapitalerhöhungen der jungen Aktiengesellschaft entsprechend anzuwenden sind189. Dies überzeugt nicht, weil das Schutzsystem des § 183 AktG den Wert der Sacheinlage in gleichem Maße wie die Sachkapitalgründungsvorschriften der §§ 27, 32 ff. AktG sicherstellt und auch der Schutz der (übrigen) Aktionäre vor einflussreichen Gründern und sonstigen Aktionären die Anwendung von § 52 AktG nicht rechtfertigt. Die Praxis muss sich gleichwohl vorsorglich hieran orientieren.
3.66
4. Börsengang von Tochtergesellschaften Der Börsengang von Tochtergesellschaften hat als Instrument der Konzernfinanzierung und -gestaltung zunehmend an Bedeutung gewonnen190. Dem Vorstand der Muttergesellschaft wurde in Zeiten haussierender Börsen mit rasch steigenden Kursen teilweise vorgeworfen, die Aktien der Tochtergesellschaft weit unter Wert angeboten und die Aktionäre damit einer nicht unbeträchtlichen Wertverwässerung ausgesetzt zu haben. Gesellschaftsrechtlich 184 Zur Heilung ausführlich Weißhaupt, ZGR 2005, 726. 185 Für entsprechende teleologische Reduktion zuvor bereits Binz/Freudenberg, DB 1992, 2281, 2282, 2283; weitergehend DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2000, 443, 444. 186 Hüffer/Koch, AktG, § 52 Rz. 10; Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 52 Rz. 9, jeweils m.w.N. 187 Vgl. Martens, ZGR 1999, 548, 552 ff.; Bröcker, ZIP 1999, 1029, 1040 f. 188 Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 52 Rz. 24; Heidinger in Spindler/Stilz, AktG, § 52 Rz. 38; Grooterhorst, NZG 2001, 145, 148; Priester, DB 2001, 467, 468; Reichert, ZGR 2001, 554, 559; a.A. Dormann/Fromholzer, AG 2001, 242, 243; Werner, ZIP 2001, 1403. 189 OLG Oldenburg v. 20.6.2002 – 5 W 95/02, AG 2002, 620; Baums, Regierungskommission Corporate Governance, Rz. 195; Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 52 Rz. 10; Heidinger in Spindler/Stilz, AktG, § 52 Rz. 48; Hüffer/Koch, AktG, § 52 Rz. 11 u. § 186 Rz. 5; Pentz in MünchKomm. AktG, § 52 Rz. 73 ff.; Grub/Fabian, AG 2002, 614, 617; Krieger in FS Claussen, 1997, S. 223, 227 f.; a.A. Bork/Stangier, AG 1984, 320, 322 f.; Mülbert, AG 2003, 136, 139 ff.; Reichert, ZGR 2001, 554, 577 ff. 190 Zu den Motiven Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 517 ff.; Bruchner/Pospischil in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, Rz. 11.5 ff.; Hoffmann in Lutter/Scheffler/ Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, Rz. 10.4 ff.
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3.67
§ 3 | Börsengang
stellen sich vor diesem Hintergrund auf der Ebene der Muttergesellschaft Fragen der Zuständigkeitsordnung und der Organpflichten (Hauptversammlung – Vorstand) sowie des Bedürfnisses für einen angemessenen Aktionärsschutz (Bezugs- oder Vorerwerbsrecht). a) Zuständigkeit der Hauptversammlung
3.68 Umstritten ist, ob die Börseneinführung einer Tochtergesellschaft einen mitgliedschaftlich relevanten Eingriff mit der Folge einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit in der Muttergesellschaft nach Maßgabe der „Holzmüller“/„Gelatine“-Grundsätze191 darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Börsengang als reine Abgabe von Aktien aus dem Bestand der Muttergesellschaft oder als Kombination einer Veräußerung von bestehenden Aktien und neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung strukturiert wird. Indessen wird man solche Veräußerungsfälle von einer Vorlagepflicht nach den „Holzmüller“/„Gelatine“-Grundsätzen mangels eines Mediatisierungseffekts in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen grundsätzlich auszunehmen haben192. Nichts anderes kann bei der im Rahmen des Börsengangs üblichen Teilabgabe gelten, selbst wenn diese zu einem Absinken unter eine aktienrechtlich relevante Beteiligungsgrenze führt193. Auch der Schutz vor einer nachhaltigen Schwächung des Wertes der Beteiligung der Aktionäre der Muttergesellschaft durch grundlegende Entscheidungen des Vorstands legt eine Zustimmungspflicht nicht nahe, da die Gesellschaft eine entsprechende Gegenleistung erhält, und der Vorstand zur Vermeidung der Verschleuderung von Gesellschaftsvermögen die unten dargestellten Grundsätze zu beachten hat (Rz. 3.71)194. Eine Mitwirkung der Aktionäre kommt daher nur ganz ausnahmsweise in Betracht, wenn der Vorstand nach Abgabe der Beteiligung nicht mehr in der Lage ist, den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand auszufüllen bzw. die Grenze des Gesamtvermögensgeschäfts (§ 179a AktG) erreicht wird195.
3.69 Geboten ist ein Individualschutz der Aktionäre vor Eingriffen in ihre Mitgliedschaftsrechte und ihr darin verkörpertes Vermögensinteresse daher nur dann, wenn der Vorstand in einer den Börsengang vorbereitenden Umstrukturierung außerhalb des Umwandlungs-
191 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122, 138 = AG 1982, 158; konkretisierend BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 – Gelatine, AG 2004, 384 = ZIP 2004, 993 m. Anm. Altmeppen; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001; Bungert, BB 2004, 1345; Fleischer, NJW 2004, 2335; Fuhrmann, AG 2004, 339; Götze, NZG 2004, 585; Habersack, AG 2005, 137; Koppensteiner, Der Konzern 2004, 381; Simon, DStR 2004, 1482 u. 1528. Aus dem unübersichtlichen Schrifttum vor dem „Gelatine“-Urteil zusammenfassend Schlitt in Semler/ Stengel, UmwG, 3. Aufl. 2012, Anh. § 173 Rz. 29 ff.; Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211; Hüffer in FS Ulmer, 2003, S. 279; zur Rechtsfolgenseite Seiler/Singhof, Der Konzern 2003, 313. 192 Klargestellt durch BGH v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, NZG 2007, 234 = AG 2007, 203; zuvor bereits Habersack, AG 2005, 137, 145 ff.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, vor § 311 AktG Rz. 43; Groß, AG 1994, 266, 271 f., 275 f.; Schlitt in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, § 23 Rz. 140; Hüffer/ Koch, AktG, § 119 Rz. 23; a.A. OLG Stuttgart v. 14.5.2003 – 20 U 31/02, AG 2003, 527, 532. 193 Vgl. LG München I v. 8.6.2006 – 5 HK O 5025/06, ZIP 2006, 2036, 2040; Habersack, AG 2005, 137, 147 f.; Drinhausen in Hölters, AktG, § 119 Rz. 21; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rz. 37. 194 A.A. Bungert, BB 2004, 1345, 1350; mit anderer Begründung Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 231 (Ausübung der Mitgliedschaftsrechte auch in ihrer mediatisierten Form teilweise oder ganz nicht mehr möglich). 195 Vgl. BGH v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, NZG 2007, 234 = AG 2007, 203; Habersack, AG 2005, 137, 145 f.
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gesetzes seine grundsätzlich gegebenen Geschäftsführungsbefugnisse übermäßig in Anspruch nimmt, d.h. wesentlich in die Rechte der Aktionäre eingreift. Maßgeblich hierfür sind die von der Rechtsprechung zuletzt herausgestellten quantitativen und qualitativen Eingriffsschwellen, wobei es auf die qualitativen Aspekte nicht mehr ankommt, wenn bereits die quantitative Schwelle klar nicht erreicht wird196. In qualitativer Hinsicht muss der Kernbereich der unternehmerischen Tätigkeit der Muttergesellschaft betroffen sein bzw. ihre Unternehmensstruktur von Grund auf geändert werden. In quantitativer Hinsicht muss die Maßnahme nach der Klarstellung des BGH in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft das konkrete Ausmaß im entschiedenen „Holzmüller“-Fall selbst erreichen. Danach sind 80 % der im Schrifttum anerkannten Kennzahlen (Bilanzsumme, Eigenkapital, Ergebnis vor Steuern, Unternehmenswert o.Ä.) zu erreichen197. Ist ausnahmsweise eine Hauptversammlungszuständigkeit anzunehmen, bedarf der Vorstand der Muttergesellschaft vor der Emission der Aktien der Tochtergesellschaft der Zustimmung der eigenen Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals198. Vorsorglich ist dann im Rahmen der Vorbereitung des Beschlusses auch von einer entsprechenden Berichtspflicht des Vorstands auszugehen199.
3.70
b) Pflichten des Vorstands bei der Ermittlung des Emissionspreises Der Vorstand der Muttergesellschaft ist verpflichtet, die Preisfindung zusammen mit den emissionsbegleitenden Banken auf Grundlage eines der Marktlage angemessenen Verfahrens vorzunehmen. Aus seiner grundsätzlichen Sorgfaltspflicht (§ 93 Abs. 1 AktG) folgt, dass er Gesellschaftsvermögen nicht „verschleudern“ darf und Geschäftschancen im Gesellschaftsinteresse nach Kräften wahrnehmen muss200. Bei Verletzung dieser Pflichten droht die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz (§ 93 Abs. 2 AktG). Unter den bekannten Verfahren wird allerdings nahezu immer das Bookbuilding anzuwenden sein, das sich 196 Vgl. BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 – Gelatine, AG 2004, 384, 389. 197 Bejaht man – anders als hier vertreten – bei einem Börsengang eine Zustimmungspflicht nach „Holzmüller“/„Gelatine“ müsste nicht nur die Bedeutung der Tochtergesellschaft für den Konzern, sondern auch das Volumen der Kapitalerhöhung bzw. Anteilsabgabe „wesentlich“ sein; vgl. Kubis in MünchKomm. AktG, § 119 Rz. 81; Bungert, BB 2004, 1345, 1351 m.w.N.; Schlitt in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, § 23 Rz. 140; s. auch Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 558; unzutreffend a.A. Wackerbarth, AG 2002, 13, 16 ff. (Hauptversammlungsbeschluss analog § 186 Abs. 3 AktG bei erstmaliger Beteiligung Dritter an 100 %-Tochter). Praktisch waren damit Börsengänge von Tochtergesellschaften von wenigen Ausnahmen abgesehen auch nach dieser Ansicht keine zustimmungspflichtige „Holzmüller“-Maßnahmen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des „Gelatine“-Urteils hat die TUI AG auf ihrer Hauptversammlung darauf verzichtet, einen Beschluss über die Zustimmung zum geplanten Börsengang ihrer Tochtergesellschaft Hapag Lloyd zu fassen; Handelsblatt Nr. 97 v. 19.5.2004, S. 15. 198 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 – Gelatine, AG 2004, 384, 388. 199 Vgl. Kubis in MünchKomm. AktG, § 119 Rz. 51; differenzierend Weißhaupt, AG 2004, 585, 588 ff.; eher abl. Hüffer/Koch, AktG, § 119 Rz. 27 m.w.N., jedoch mit Empfehlung an die Praxis, Bericht zu erstellen. 200 Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 528 m.w.N. Zum Maßstab des § 93 AktG im Zusammenhang mit dem Börsengang von Tochterunternehmen auch Busch/Groß, AG 2000, 503, 507; Fuchs in Hoffmann-Becking/Henze, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 259, 283; Habersack, WM 2001, 545, 549; Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 239.
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3.71
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als das am meisten geeignete Verfahren herausgestellt hat (vgl. Rz. 3.76). Dabei kann der Vorstand von Rechts wegen nicht verpflichtet sein, immer nur den höchsten Emissionserlös zu erzielen, sondern muss auch auf die reibungslose Platzierung des Emissionsvolumens, die Kursstabilität und eine nachhaltig positive Kursentwicklung am Sekundärmarkt bedacht sein201. Dies gilt auch in einem haussierenden Markt, der nicht selten zu übersteigerten Kursphantasien neigt, die in einem mittelfristigen Zeithorizont vom Markt wieder korrigiert werden. Allgemein ist dem Vorstand ein breites unternehmerisches Ermessen einzuräumen (Beurteilungs- und Prognosespielraum). Bei drohenden Fehlentwicklungen kann er verpflichtet sein, korrigierend einzugreifen202. Stellt er im Rahmen des Bookbuilding etwa fest, dass die festgesetzte Preisspanne „am Markt“ nicht bestätigt wird, ist ggf. eine Erhöhung der Preisspanne erforderlich203. Umgekehrt kann er aber bei zu geringer Nachfrage auch eine Herabsetzung der Preisspanne vornehmen, solange der niedrigere Preis noch in dem skizzierten Sinne angemessen ist. Dies entspricht insgesamt dem Rechtsgedanken des § 255 Abs. 2 AktG, der für die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss die Festsetzung eines unangemessen niedrigen Ausgabebetrags untersagt. Werden im Rahmen des Börsengangs nicht nur Beteiligungsaktien der Muttergesellschaft, sondern – wie gewöhnlich – auch neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung emittiert, sollte daher die notwendige Abstimmung mit dem Vorstand der Tochtergesellschaft angesichts des vergleichbaren Pflichtenprogramms im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung nicht problematisch sein. c) Vorrechte der Aktionäre der Muttergesellschaft
3.72 Die oben erwähnte Diskussion um eine Platzierung von Aktien der Tochtergesellschaft
beim Publikum „unter Wert“ hat zu dem Vorschlag geführt, dass die Aktionäre der Muttergesellschaft durch Einräumung eines Vorrechts am Börsengang der Tochter zu beteiligen sind204. Das Grundanliegen dieser Ansicht ist, die mit der (angeblich regelmäßig) zu billigen Abgabe von Aktien der Tochtergesellschaft verbundene Vermögenseinbuße der Aktionäre der Muttergesellschaft zu verhindern. Begründet wird dies für die neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung der Tochtergesellschaft mit einem (verlängerten) Bezugsrecht analog § 186 Abs. 1 AktG und für die bestehenden Aktien mit einem treupflichtgestützten Vorerwerbsrecht unmittelbar aus der Mitgliedschaft. Dies kann dogmatisch nicht überzeugen und kommt auch in den „Holzmüller“/„Gelatine“-Entscheidungen nicht zum Ausdruck205. Nach seinem Zweck sichert das Bezugsrecht den Aktionären die Chance, ihren Anteil an Stimmenmacht und Vermögenssubstanz bei entsprechendem zusätzlichen Kapitaleinsatz zu erhalten. Es garantiert damit nur den Besitzstand der unmittelbaren Beteiligung im 201 Vgl. Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 533 f.; Fuchs in Hoffmann-Becking/Henze, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 259, 280 ff. (dort auch zur qualitativen Auswahl potentieller Investoren mit einem einschätzbaren, nicht auf kurzfristige Spekulationsgewinne ausgerichteten Anlageverhalten). 202 Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 538 f.; zust. Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 239. 203 Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 536 ff. 204 Lutter, AG 2000, 342, 343 ff.; Lutter, AG 2001, 349, 350 ff. (einschränkend); für ein „Zuteilungsprivileg“ Becker/Fett, WM 2001, 549, 555 f. 205 Ablehnend LG München I v. 8.6.2006 – 5 HK O 5025/06, ZIP 2006, 2036, 2040; Busch/Groß, AG 2000, 503; Fleischer, ZHR 164 (2001), 513, 514 ff.; Fuchs in Hoffmann-Becking/Henze, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2001, S. 259, 271 ff.; Habersack, WM 2001, 545, 546 ff.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, vor § 311 AktG Rz. 44; Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 237 f.; Trapp/Schick, AG 2001, 381, 388 ff.
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Börsengang | § 3
Verhältnis zum gesamten Aktienkapital, jedoch keine Erhaltung einzelner, besonders wertvoller Aktiva des Gesellschaftsvermögens206. Eine Analogie zu § 186 Abs. 1 AktG scheidet damit aus. Auch aus der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern lassen sich zwar Schutzpflichten, nicht jedoch zusätzliche Teilhaberechte herleiten207. Unabhängig von einer rechtlichen Pflicht kann es sich gleichwohl empfehlen, die Möglichkeit der bevorrechtigten Zuteilung von Aktien der Tochtergesellschaft an Aktionäre der Muttergesellschaft in Einzelfällen in Erwägung zu ziehen208. Eine solche Maßnahme kann eine nicht zu unterschätzende positive Öffentlichkeitswirkung haben. Da andererseits eine uneingeschränkte proportionale Bevorrechtigung den Erfolg der Emission gefährden könnte209, ist dies sinnvoll zu beschränken. Auch bietet es sich an, statt einer festen Zuteilungsquote210 eine nicht näher definierte Bevorrechtigung der Aktionäre der Muttergesellschaft bei der Zuteilung zu versprechen und die Höhe der bevorrechtigten Zuteilung nach Abschluss des Bookbuilding festzulegen (Begrenzung auf eine Höchstzahl von Aktien je Order) und nach Maßgabe der Zuteilungsgrundsätze211 zu veröffentlichen (vgl. auch Rz. 3.83).
3.73
IV. Durchführung des Börsengangs Wesentliche Schritte bei der Durchführung des Börsengangs sind die Platzierung der Aktien bei dem anlagebereiten Publikum und das Börsenzulassungsverfahren. Sie bilden das Kernstück der Aktienemission.
3.74
1. Platzierungsverfahren Im Rahmen des Platzierungsverfahrens kommt der Ermittlung des richtigen Emissionspreises eine herausragende Bedeutung für den Erfolg des Börsengangs zu. Seinen Abschluss bilden Zeichnung und Zuteilung der Aktien durch die Konsortialbanken. Diese nehmen jedoch auch nach Notierungsaufnahme noch die bei einer erstmaligen Börseneinführung besonders wichtige Funktion der Kursstabilisierung wahr.
3.75
a) Bestimmung der Angebotsspanne und Bookbuilding Als geeignetes Verfahren zur Ermittlung des richtigen Emissionspreises hat sich das Bookbuilding212 etabliert. Der wesentliche Vorteil dieses Verfahrens ist darin zu sehen, dass die Investoren in den Preisfindungsprozess eingebunden werden. Dabei wird zunächst in der 206 207 208 209 210
Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 67. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 5a. So beim Börsengang der CropEnergies AG, Wertpapierprospekt v. 15.9.2006, S. 30. Zu praktischen Schwierigkeiten bei der Abwicklung Busch/Groß, AG 2000, 503, 509. Wenn ein bestimmtes Verhältnis angegeben wird, muss sich der Vorstand vorbehalten, ein anderes Verhältnis vorzuschlagen, wenn dies im Interesse des Erfolges des Angebots geboten erscheint; vgl. Tagesordnung der Hauptversammlung der BDAG Balcke-Dürr AG im Zusammenhang mit dem IPO der Nordex AG, BAnz v. 2.2.2001. 211 „Grundsätze für die Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger“ der Börsensachverständigenkommission v. 7.6.2000, ZBB 2000, 287 m. Anm. Köndgen. 212 Zum Bookbuilding-Verfahren ausführlich Groß, ZHR 162 (1998), 318, 320 ff.; Hein, WM 1996, 1; Schlitt/Ries in FS Schwark, 2009, S. 241, 242; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 82 ff.; Willamowski, Bookbuilding, passim.
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3.76
§ 3 | Börsengang
Pre-Marketing-Phase (investor education) eine Preisspanne für die Aktien, die Gegenstand der Emission sind, ermittelt (vgl. Rz. 3.42 f.). Das eigentliche Bookbuilding beginnt am Werktag nach Bekanntgabe der am Ende des Pre-Marketing festgesetzten Preisspanne und Veröffentlichung des gebilligten Wertpapierprospekts (s. Rz. 3.90). Die potentiellen Investoren werden zudem im Wege eines in der Finanzpresse veröffentlichten „Verkaufsangebots“ aufgefordert, Angebote zum Erwerb der Aktien einzureichen (sog. OrderTaking-Phase). Die Aufforderung zur Abgabe von Kaufangeboten (§ 145 BGB) stellt zugleich das öffentliche Angebot i.S.v. § 2 Nr. 4 WpPG (zukünftig Art. 2 lit. d) VO 2017/ 1129) dar213. Beim IPO ist eine Order-Taking-Phase von sieben bis zehn Tagen üblich. Eine gesetzliche Mindestdauer für das öffentliche Angebot besteht aber nicht. Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 WpPG (zukünftig Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 VO 2017/1129) ist nur erforderlich, dass zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Prospekts und dem Abschluss des Angebots eine Frist von mindestens sechs Werktagen liegen muss214. Die Aufträge können innerhalb der angegebenen Preisspanne auch limitiert werden. Sämtliche bei den Konsortialbanken eingehenden Angebote werden von diesen an die konsortialführende Bank gemeldet, die die Funktion des sog. Bookrunner wahrnimmt. Sie werden dort im sog. Orderbuch elektronisch gesammelt. Das Orderbuch wird unmittelbar nach Ende der Bookbuilding-Periode ausgewertet und der einheitliche Kaufpreis für die angebotenen Aktien festgelegt215. Ziel einer solchen Analyse muss es nicht ausschließlich sein, den höchsten Preis zu ermitteln, zu dem die Gesamtemission platziert werden kann. Regelmäßig werden im Rahmen der Preisfestsetzung auch andere Kriterien, etwa der Investorentyp und dessen Anlageorientierung, berücksichtigt (vgl. Rz. 3.34). Vertragliche Grundlage der Preisfestsetzung ist der Preisfestsetzungsvertrag (vgl. Rz. 3.100). Teilweise wurde in geeigneten Fällen ein modifiziertes Bookbuilding-Verfahren zur Preisfindung eingesetzt. Abweichend vom herkömmlichen Modell wird dabei zu Beginn des Bookbuilding noch keine Preisspanne veröffentlicht. Dies geschieht regelmäßig erst in der zweiten Hälfte oder gegen Ende der bei institutionellen Investoren durchgeführten Roadshow (decoupled bookbuilding). Die eigentliche Angebotsfrist wird hierdurch auf wenige Tage verkürzt. Dieses Verfahren soll es ermöglichen, unabhängig von einer öffentlich geführten Preisdiskussion auf Basis der im Prospekt enthaltenen Darstellungen und der Resonanz der insitutionellen Investoren auf der Roadshow eine angemessene Preisspanne zu finden, die dann als von der BaFin (nach Vorabstimmung taggleich) zu billigender Nachtrag zum Prospekt veröffentlicht wird216. Erreicht werden soll damit eine höhere Transaktionssicherheit, da auch die Kursentwicklungen von bereits börsennotierten Unternehmen, die als Vergleichs213 Zur zivilrechtlichen Einordnung des „Verkaufsangebots“ als invitatio ad offerendum Groß, ZHR 162 (1998), 318, 323. 214 Anders die Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 85/05, S. 76; wie hier Berrar in Berrar/Meyer/ Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 14 Rz. 28 und jetzt auch Groß, Kapitalmarktrecht, § 14 WpPG Rz. 3. 215 Zu Möglichkeiten der Änderung des „Verkaufsangebots“ im Wege eines von der BaFin zu billigenden Nachtrags zum Prospekt (§ 16 WpPG; zukünftig Art. 23 VO 2017/1129), z.B. Änderung der Preisspanne, Verlängerung der Angebotsfrist, Reduzierung der Anzahl der angebotenen Aktien, und den zivilrechtlichen Folgen vgl. Groß, ZHR 162 (1998), 318, 325 ff. Da die Investoren bis zum Vertragsschluss nicht gebunden sind, hat das gesetzliche Widerrufsrecht aufgrund der Veröffentlichung eines Nachtrags (§ 16 Abs. 3 Satz 1 WpPG; zukünftig Art. 23 Abs. 2 VO 2017/1129) in der Regel keine eigenständige Bedeutung (s. Rz. 3.82). Der Wertpapierprospekt enthält regelmäßig Hinweise auf die Änderungsmöglichkeit. 216 Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 261; Schlitt/Ries in FS Schwark, 2009, S. 241, 246; s. auch Braun/Krug, Börsen-Zeitung Nr. 47 v. 9.3.2005, S. 2; FAZ Nr. 218 v. 19.9.2006, S. 23 („Börsenkandidaten halten mit Preis hinterm Berg“).
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parameter für den Börsenkandidaten dienen (peer group), länger berücksichtigt werden können. Allerdings sind die Erfahrungen mit dem Verfahren unterschiedlich, zumal sich aus den Angaben zum erwarteten Nettoemissionserlös im Wertpapierprospekt (Anhang III Ziff. 3.4. und Ziff. 8. VO Nr. 809/2004) durchaus eine Preisindikation ableiten lässt. Auch wird der anfangs noch tolerierte zusätzliche Verzicht auf die Nennung des Höchstvolumens der angebotenen Aktien von der BaFin abgelehnt. Möglich ist es allerdings, die zunächst angegebene Höchstzahl der angebotenen Aktien aus der Kapitalerhöhung zum Börsengang nach Auswertung der Resonanz der institutionellen Investoren in dem Nachtrag zum Prospekt zu reduzieren und von einer außerordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft einen entsprechend niedrigeren Kapitalerhöhungsbeschluss fassen zu lassen217. Anstelle der Ermittlung des Emissionspreises im Wege eines Bookbuilding-Verfahren ist es grundsätzlich denkbar, das früher übliche Festpreisverfahren218 durchzuführen. Bei diesem Verfahren werden die Aktien den Anlegern zu einem vorher festgelegten festen Preis angeboten. Dieser Preis wird im Wesentlichen auf Grundlage einer Unternehmensbewertung ermittelt; teilweise spielen auch erste, in Vorgesprächen mit Investoren gewonnene Erkenntnisse eine Rolle. Entscheidender Nachteil dieses Verfahrens ist, dass zu keinem Zeitpunkt ermittelt wird, zu welchem Preis der Markt bereit ist, die angebotenen Aktien zu erwerben. Dies birgt das Risiko von Fehleinschätzungen in sich. Vorsorglich wird daher ein Abschlag von 10–15 % festgelegt (pricing discount), der den Emissionserlös reduziert.
3.77
Wenngleich dieses Verfahren in der Praxis von Börsengängen nahezu bedeutungslos geblieben ist219, kann der Emissionspreis schließlich auch in einem Auktionsverfahren220 ermittelt werden. Die Investoren benennen ohne Vorgabe einer Preisspanne ein Preislimit und die Anzahl der Aktien, die sie zu diesem Preis beziehen wollen. Ausgehend vom höchsten Gebot wird solange zugeteilt, bis sämtliche Aktien verteilt sind. Das niedrigste Gebot, das berücksichtigt wird, stellt bei diesem Verfahren den Emissionspreis dar. Damit wird die Nachfrage stärker berücksichtigt, der tendenziell hohe Verkaufspreis kann sich aber nachteilig auf die Kursstabilität im Sekundärmarkt auswirken221.
3.78
217 Wie hier Schlitt/Ries in FS Schwark, 2009, S. 241, 247 f. – vgl. etwa den Wertpapierprospekt der Versatel AG v. 11.4.2007, S. 35. In diesem Zusammenhang können auch die wesentlichen Eckpunkte des Zeitplans nach Billigung und Veröffentlichung des Prospekts offen gehalten werden („frühestens am […], und spätestens am […]“). 218 Vgl. nur Groß in BuB, Rz. 10/260 f.; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 529 f.; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 74 ff. Zur Anwendung kam das Verfahren beim Börsengang der MIFA Mitteldeutsche Fahrradwerke AG im Mai 2004, vgl. den Verkaufsprospekt v. 4.5.2004, S. 11. 219 Vgl. nur den Verkaufsprospekt der Trius AG v. 6.3.2000, S. 20. Diskussionen über ein solches Verfahren gab es, nachdem die Google Inc. angekündigt hatte, bei ihrem Börsengang eine sog. „Dutch Auction“ durchführen zu wollen. In einem solchen Verfahren werden die Investoren aufgefordert, verbindlich den höchsten Preis zu benennen, zu dem sie die Aktien erwerben würden. Für weitere Beispiele eines Auktionsprozesses vgl. „Der Google-Börsengang ist nicht die erste Aktienauktion“ in FAZ Nr. 112 v. 14.5.2004, S. 29; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 260 f. 220 Vgl. nur Groß in BuB, Rz. 10/270 ff.; Schlitt/Ries in FS Schwark, 2009, S. 241, 248 f.; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 92 ff. Zu einem modifizierten Auktionsverfahren (Kombination der Vorteile des Bookbuilding und der Auktionierung) Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 535. Die Praxis hat dies nicht angenommen. 221 Vgl. Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 532; FAZ Nr. 160 v. 13.7.2004, S. 21, zum Auktionsverfahren der Google Inc. mit entsprechender Warnung in der Registrierungsdokumentation für die SEC.
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§ 3 | Börsengang
b) Zeichnung und Zuteilung der Aktien
3.79 Die neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung zum Börsengang werden von einer oder meh-
reren Konsortialbanken nach Maßgabe ihrer Verpflichtungen im Übernahmevertrag gezeichnet (vgl. Rz. 3.99 und § 29). Es handelt sich um eine aufschiebend bedingte Verpflichtung zum Abschluss eines Zeichnungsvertrages nach § 185 AktG222. Formbedürftig ist nur die Zeichnungserklärung, die nach § 185 AktG durch schriftliche Erklärung mit gesetzlich vorgegebenem Mindestinhalt (Zeichnungsschein) abzugeben ist. Dieser Zeichnungsschein223, der außer einer notwendigen Befristung keine Bedingungen enthalten darf (§ 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 2 AktG), wird der Gesellschaft von den zeichnenden Konsortialbanken regelmäßig erst kurz vor der geplanten Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung bei dem zuständigen Handelsregister ausgehändigt. Im Gegenzug verpflichtet sich die Gesellschaft, die Anmeldung umgehend nach der Übergabe der Zeichnungsunterlagen vorzunehmen224. Ist die erstmalige Notierungsaufnahme für einen Montag vorgesehen, wird die Durchführung der Kapitalerhöhung regelmäßig an dem vorangehenden Freitag Vormittag in das Handelsregister eingetragen, um noch am Freitag Nachmittag die Zulassung der Aktien zu erhalten und diese am Samstag rechtzeitig zu veröffentlichen (§ 52 BörsZulV)225. Um dies sicherzustellen, empfiehlt sich eine frühzeitige Abstimmung der einzureichenden Kapitalerhöhungsdokumente und des Zeitplans mit dem zuständigen Registergericht.
3.80 In der Praxis des Börsengangs erfolgt die Zeichnung der neuen Aktien durch die Konsor-
tialbanken (schon aufgrund des noch nicht feststehenden Emissionspreises) zu pari, d.h. zum Nennbetrag (Nennbetragsaktien) oder zum anteiligen Betrag des Grundkapitals (Stückaktien), § 9 Abs. 1 AktG. Im Übernahmevertrag verpflichtet sich die zeichnende Bank, die Differenz zwischen dem Emissionspreis und dem Nennbetrag bzw. anteiligen Betrag des Grundkapitals (abzüglich Provision und Kosten) mit Abschluss der Platzierung am sog. Abrechnungstag zwei Tage nach Handelsaufnahme (closing) an die Gesellschaft abzuführen. Dieses sog. zweistufige Verfahren bietet den Vorteil einer Begrenzung des Risikos der Banken auf den geringsten Ausgabebetrag und verhindert eine unnötige Bindung von Liquidität. Es wird nach ganz überwiegender Meinung für aktienrechtlich zulässig gehalten226 und stößt auch in der Praxis der Registergerichte auf keine bekannten Be-
222 Zum Zustandekommen des Zeichnungsvertrags Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 4, 23. 223 Muster für einen Zeichnungsschein finden sich bei Groß in BuB, Rz. 10/328 f. 224 Ein Anspruch des Zeichners auf tatsächliche Durchführung der Kapitalerhöhung wird aus dem Zeichnungsvertrag indessen nicht begründet; Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 24. Zur Rückabwicklung der Zeichnung bei Eintritt einer Force Majeure Busch, WM 2001, 1277, 1278 ff. 225 Nach diesem Zeitplan wird der endgültige Emissionspreis spätestens am Sonntag festgelegt, anschließend ad hoc (vgl. Art. 17 VO Nr. 596/2014) und am Montag auch nach § 8 Abs. 1 Satz 6 WpPG in einer nach § 14 Abs. 2 WpPG zulässigen Art und Weise (d.h. in einer Wirtschafts- oder Tageszeitung mit bundesweiter Verbreitung sowie auf der Internetseite des Unternehmens) veröffentlicht. Zukünftig ist der endgültige Emissionspreis nach Art. 17 Abs. 2 VO 2017/1129 gemäß den Bestimmungen des Art. 21 Abs. 2 VO 2017/1129 (d.h. in elektronischer Form z.B. auf der Website des Emittenten) der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. 226 Vgl. Wiedemann, WM 1979, 990, 991; Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 32; Priester in FS Brandner, 1996, S. 97, 110 ff.; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.64; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 48; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 106; Lutter in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 107; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 202; anders etwa Schippel in FS Steindorff, 1990, S. 249, 255 ff.
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Börsengang | § 3
denken227. Die Einzahlung der Einlage wird auf einem zins- und provisionsfreien Kapitalerhöhungskonto vorgenommen, das beim Konsortialführer eingerichtet wird. Hierüber erteilt er die für die Handelsregisteranmeldung erforderliche Einzahlungsbestätigung (§§ 188 Abs. 2, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 37 Abs. 1 AktG). Der Zeichnungsschein wird regelmäßig durch die konsortialführende Bank ausgefertigt. Diesem Verfahren liegen praktische und rechtliche Aspekte zugrunde. Insbesondere bei großen Konsortien228 würde die Ausfertigung eines eigenen Zeichnungsscheins durch sämtliche Konsortialbanken angesichts des engen Zeitplans – Unterzeichnung, Übergabe an die Gesellschaft und Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung erfolgen regelmäßig innerhalb weniger Stunden – vermeidbare Risiken entstehen lassen. Andererseits gilt es, die Zeichnung des Konsortialführers „für ein unter seiner Führung stehendes Bankenkonsortium“ zu vermeiden, um eine nur teilschuldnerische Haftung der Konsortialbanken sicherzustellen (vgl. Rz. 3.103). Entweder zeichnet die konsortialführende Bank die neuen Aktien vollständig im eigenen Namen (und z.T. für Rechnung der anderen Konsortialbanken) oder in Höhe ihrer Konsortialquote im eigenen und im Übrigen stellvertretend für die jeweils anderen Konsortialmitglieder in Höhe der individuellen, im Zeichnungsschein anzugebenden Quote (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. Rz. 3.103)229. Dann entstehen isolierte Einzelverpflichtungen der Emissionsbanken insgesamt, so dass eine gesamtschuldnerische Haftung nicht in Betracht kommt. Eine Ausstellung mehrerer (Teil-)Globalurkunden ist hierfür wegen des rein deklaratorischen Charakters der Verbriefung der Aktien nicht erforderlich230. Eine stellvertretende Zeichnung kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn auf die durch die Konsortialmitglieder gezeichneten Aktien anteilig jeweils weniger als 3 % der Stimmrechte entfallen und hierdurch eine Stimmrechtsmitteilung nach § 33 Abs. 2 WpHG vermieden werden kann231. 227 Hieran vermochte auch die Entscheidung des BayObLG v. 27.2.2002 – 3 Z BR 35/02, AG 2002, 510, nichts zu ändern, die zunächst für Verunsicherung in Teilen der Praxis gesorgt hatte. Mit der Entscheidung waren dem Registergericht umfangreiche Prüfungsbefugnisse in Bezug auf ein schuldrechtlich vereinbartes Agio zugebilligt worden. Zum Unterschied zwischen korporativem Aufgeld und schuldrechtlich vereinbarter Zuzahlungspflicht vgl. Becker, NZG 2003, 510; Hermanns, ZIP 2003, 788; Schorling/Vogel, AG 2003, 86. Damit kann auch vereinbart werden, zunächst nur ein Viertel des Nennbetrags oder anteiligen Betrags des Grundkapitals einzuzahlen (§ 36a Abs. 1 AktG). 228 Bei dem Börsengang der Deutsche Postbank AG bestand das Konsortium ausweislich des Verkaufsprospekts v. 18.6.2004 – außer der selbst nicht zur Zeichnung zugelassenen Emittentin – aus nicht weniger als 20 Emissionsbanken. 229 Vgl. Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 205; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.427; Singhof, Außenhaftung, S. 234 ff. Zur unbestrittenen Zulässigkeit der Stellvertretung bei der Zeichnung Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 5; Lutter in KölnKomm. AktG, § 185 Rz. 12. 230 Singhof, Außenhaftung, S. 234 f.; unzutreffend Timm/Schöne, ZGR 1994, 113, 142 f.; vgl. hierzu auch Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 73 ff. 231 Eine solche Stimmrechtsmitteilung besitzt einen zweifelhaften Informationswert und ist erklärungsbedürftig, um Missverständnisse über eine länger angelegte Beteiligung des Konsortialführers zu vermeiden. Nach derzeitiger Ansicht der BaFin kommt die Ausnahmeregelung des § 36 Abs. 3 Nr. 1 WpHG für Emissionsbanken aber leider generell nicht in Betracht. Die Ausnahme für Aktien, die sich im Handelsbestand des Kreditinstituts befinden, ist auf 5 % der Stimmrechte beschränkt, § 36 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenz-
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3.81
§ 3 | Börsengang
3.82 Nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung erhalten die konsortialführende
Bank oder – bei Zeichnung in offener Stellvertretung – die Mitglieder des Konsortiums die ihrer Quote232 entsprechende Anzahl an Aktien und erwerben zunächst das Eigentum an diesen233. Diese Aktien sind zur Bedienung des durch die jeweilige Konsortialbank vermittelten Bezugs bestimmt und werden den Investoren nach Schließung des Orderbuchs und Preisfestlegung zum vereinbarten Zeitpunkt zugeteilt. Mit der Zuteilung der Aktien kommt ein Kaufvertrag zwischen dem Investor, der die Aktien geordert hat, und der Konsortialbank zustande (vgl. Rz. 3.106)234. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Anleger daher auch die Möglichkeit, seinen Auftrag zum Erwerb von Aktien aus der Emission zu widerrufen oder abzuändern (§ 145 letzter Halbsatz BGB)235; mit Zuteilung ist er jedoch an den Erwerb der Aktien gebunden236. Eine gesetzliche Widerrufsmöglichkeit besteht aber u.U. auch noch nach Vertragsschluss, wenn kurz vor Ende der Angebotsfrist ein von der BaFin gebilligter Nachtrag zum Prospekt (§ 16 WpPG; zukünftig Art. 23 VO 2017/1129) veröffentlicht worden ist (s. auch Rz. 3.90). Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 WpPG (zukünftig Art. 23 Abs. 2 VO 2017/1129) können die Investoren, die vor der Veröffentlichung des Nachtrags eine auf den Erwerb oder die Zeichnung der Wertpapiere gerichtete Willenserklärung abgegeben haben, innerhalb von zwei Werktagen nach Veröffentlichung des Nachtrags widerrufen. Voraussetzung für das Widerrufsrecht ist jedoch, dass der neue Umstand oder die Unrichtigkeit, die Gegenstand des Nachtrags sind, vor dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots und vor der Lieferung der Aktien eingetreten sind. Die Belieferung und Abrechnung (closing) wird zwei Tage nach Notierungsaufnahme vorgenommen.
3.83 Bei Zuteilung der Aktien durch die Konsortialbanken werden die von der Börsensachver-
ständigenkommission herausgegebenen Zuteilungsgrundsätze weithin beachtet237. Sie enthalten Empfehlungen für das Zuteilungsverfahren bei Aktienemissionen, die ein öffentliches Angebot von Aktien an Privatanleger zum Inhalt haben. Ziel ist es, Transparenz
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233
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richtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10 auf Aktienemissionen Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227. Dass es einer effektiveren Ausnahmeregelung für den Aktienerwerb im Rahmen von Emissions- und Platzierungsgeschäften bedarf, ist auf europäischer Ebene grds. erkannt worden; s. zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG („Transparenzrichtlinie“) sowie der Richtlinie 2007/ 14/EG DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2012, 770, 770 f. Die Zuteilungsquote, über die der Konsortialführer am Ende der Bookbuilding-Periode auf Grundlage der von der jeweiligen Konsortialbank vermittelten Investorennachfrage entscheidet, kann von der der Konsortialbank im Rahmen der Einladung mitgeteilten UnderwritingQuote abweichen; vgl. Groß in BuB, Rz. 10/263a und 10/321d. Hinsichtlich der Aktien aus dem Bestand der Altaktionäre wird i.d.R. ein Zwischenerwerb der Emissionsbanken ausgeschlossen und diesen nur Verfügungsbefugnis (§ 185 BGB) erteilt. Das Eigentum an den Aktien wird dann im Rahmen der Belieferung unmittelbar von den Altaktionären auf die Investoren übertragen. Gleiches gilt für die neuen Aktien, die die konsortialführende Bank in eigenem Namen, aber für Rechnung des Konsortiums gezeichnet hat. Vgl. hierzu Groß in BuB, Rz. 10/266 f.; Schanz, Börseneinführung, § 10 Rz. 102 f.; jeweils m.w.N. S. auch Hein, WM 1996, 1, 4. Zu dem im „Verkaufsangebot“ regelmäßig veröffentlichten Rücktrittsrecht der Emissionsbanken bis zur effektiven Belieferung (force majeure) Busch, WM 2001, 1277, 1280. Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium für Finanzen (Hrsg.), Grundsätze für die Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger v. 7.6.2000, ZBB 2000, 287 m. Anm. Köndgen; hierzu eingehend Schuster/Rudolf in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Rz. 240; Brandner/Bergmann in FS Peltzer, 2001, S. 17; Willamowski, WM 2001, 653, 662 ff.; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.524 ff.
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Börsengang | § 3
über das Zuteilungsverfahren herzustellen. In den Grundsätzen wird allerdings klargestellt, dass mit ihnen kein Eingriff in die Freiheit des Emittenten verbunden sein soll, in eigenem Ermessen die Anlegergruppen zu bestimmen, bei denen die Emission platziert werden soll238. Konsequent enthalten die Zuteilungsgrundsätze daher im Wesentlichen Veröffentlichungspflichten des Emittenten, denen er durch entsprechende Angaben im Verkaufsangebot oder, soweit es um die Bekanntgabe nach Zuteilung geht, in einer Presseveröffentlichung sowie auf seiner Internet-Homepage nachkommen muss (Art. 3 und 4). Zeitlich sind diese Veröffentlichungspflichten in solche, die vor Beginn der Angebotsfrist (Art. 3), und solche, die nach dem Abschluss der Zuteilung (Art. 4) zu erfüllen sind, aufgeteilt. Dabei sind insbesondere die folgenden Angaben über das Zuteilungsverfahren zu machen: Das im Falle einer Überzeichnung vorgesehene Zuteilungsverfahren239; der prozentuale Anteil der Emission, der für ein Friends & Family-Programm reserviert ist bzw. zugeteilt wurde; Aussagen darüber, ob und ggf. in welchem Umfang Organmitglieder und deren Angehörige an der Emission teilnehmen dürfen bzw. auf diesen Personenkreis zugeteilt wurde; das für die Zuteilung an Privatanleger angewendete Verfahren und die Ausübung des Greenshoe. Sofern, was üblich ist, vor dem Beginn der Angebotsfrist noch keine Vereinbarungen zwischen Emittent und Konsortialführer über das Zuteilungsverfahren getroffen worden sind, ist auch diese Tatsache bekannt zu machen. c) Kursstabilisierung; Greenshoe In der Folge eines Börsengangs kann es zu erheblichen Schwankungen des Börsenkurses der neu emittierten Aktie kommen. Nicht selten versuchen Anleger die kurz zuvor erworbenen Aktien wieder zu veräußern, um auf diese Weise von einem Anstieg des Börsenkurses zu profitieren. Das Angebot kann also vorübergehend die Nachfrage erheblich übersteigen; deutliche Kursverluste bis hin zu einem Kurseinbruch drohen. Derartige Kursschwankungen haben ihre Ursache weder in der wirtschaftlichen Situation des Emittenten noch sind sie Ergebnis einer „gesunden“ Marktentwicklung. Daher war bereits in der Vergangenheit anerkannt, dass entsprechend internationaler Marktpraxis die Konsortialbanken in einem bestimmten Zeitraum ab Notierungsaufnahme Maßnahmen einleiten dürfen, um drohendem Kursausschlägen entgegenzuwirken240. Solche Stabilisierungsmaßnahmen durch ein oder mehrere Wertpapierdienstleistungsunternehmen als Stabilisierungsmanager (vgl. näher § 39) werden heute – als Ausnahme zu den Verboten von Insidergeschäften und Marktmanipulation – durch die MarktmissbrauchsVO (VO Nr. 569/ 2014)241 geregelt, die durch die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1052 ergänzt wird242. 238 Zum (nicht bestehenden) Recht auf Zuteilung Brandner/Bergmann in FS Peltzer, 2001, S. 17, 19. 239 In Betracht kommen nach Art. 12 die folgenden Zuteilungsverfahren oder eine Kombination hieraus: Losverfahren, Zuteilung nach Ordergröße, Zuteilung anhand einer bestimmten Quote, Zuteilung nach dem Zeitpunkt des Eingangs des Kaufangebots oder Auswahl nach anderen sachgerechten Kriterien. 240 Vgl. Bosch in BuB, Rz. 10/342; Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 5 VO Nr. 596/2014 Rz. 5; Schäfer, WM 1999, 1345; Schwark in FS Kümpel, 2001, S. 484, 493 ff. 241 Verordnung (EU) Nr. 569/2014 v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG, ABl. L 173 v. 12.6.2014. 242 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2016/1052 v. 8.3.2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 durch technische Regulierungsstandards für die auf Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen anwendbaren Bedingungen, ABl. L 173 v. 30.6.2016 („VO (EU)
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3.84
§ 3 | Börsengang
3.85 Neben den allgemein zulässigen Stabilisierungsmaßnahmen (vgl. Art. 5 Abs. 4 VO Nr. 569/
2014 i.V.m. Art. 5 DelVO 2016/1052) erhalten Mehrzuteilung und Greenshoe „als ergänzende Kursstabilisierungsmaßnahmen“ (Art. 8 DelVO 2016/1052) einen ausdrücklichen „Safe Harbour“. Danach stellt eine Mehrzuteilung („Überzeichnung“ – overallotment facility) dann keinen Verstoß gegen das Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation dar, wenn diese durch eine Greenshoe-Vereinbarung, die zum Erwerb ausstattungsgleicher Aktien vom Emittenten oder Altaktionären berechtigt, abgesichert ist. Den Emissionsbanken wird dafür im Übernahmevertrag das Recht eingeräumt, innerhalb der „Zeichnungsfrist“ eine größere Zahl von Aktien an Anleger zum Emissionspreis zu verkaufen, als es dem Basis-Platzierungsvolumen entspricht. Die hierfür erforderlichen Aktien stammen aus einem Wertpapierdarlehen (§ 607 BGB) von Altaktionären. Sinkt der Aktienkurs nach Zuteilung unter den Emissionspreis, kaufen die Emissionsbanken innerhalb von 30 Kalendertagen nach Notierungsaufnahme Aktien im Markt zurück (Art. 5 Abs. 1 DelVO 2016/ 1052), um das Wertpapierdarlehen zurückzuführen. Für den Fall, dass eine Stabilisierung aufgrund eines steigenden Aktienkurses nicht erforderlich ist, lassen sich die Emissionsbanken vorzugswürdig von den Aktionären eine Kaufoption zum Emissionspreis einräumen (greenshoe option). Alternativ kann diese Option vom Emittenten – ohne Verstoß gegen § 255 Abs. 2 AktG – durch eine Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital gewährt werden243. Der für die Ausübung der Greenshoe-Option vorgesehene Zeitraum muss sich mit dem Stabilisierungszeitraum decken (Art. 8 lit. e) DelVO 2016/1052). Die Absicherung einer Mehrzuteilung durch die Greenshoe-Option darf 15 % des ursprünglichen Angebots nicht überschreiten (Art. 8 lit. d) DelVO 2016/1052). Auf die Mehrzuteilungsoption, die Greenshoe-Vereinbarung sowie deren Bedingungen ist im Wertpapierprospekt hinzuweisen (Art. 6 Abs. 1 lit. e) DelVO 2016/1052 und Anhang III Ziff. 5.2.5. VO Nr. 809/2004). Unverzüglich nach Ausübung der Greenshoe-Option ist die Öffentlichkeit in allen angemessenen Einzelheiten zu unterrichten, insbesondere über den Zeitpunkt der Ausübung und die Zahl der Aktien (vgl. Art. 8 lit. f) DelVO 2016/1052). Hierzu bietet sich eine Veröffentlichung in einer Wirtschafts- oder Tageszeitung mit bundesweiter Verbreitung sowie ggf. eine Bekanntgabe auf der Homepage des Emittenten im Internet an (vgl. aber die weitergehenden Anforderungen an eine „angemessene Bekanntgabe“ nach Art. 1 lit. b) DelVO 2016/1052)244. Die Meldung von Kursstabilisierungsmaßnahmen – hier also insbesondere der Rückkauf von Aktien im Markt – ist innerhalb einer Woche nach Ablauf des Stabilisierungszeitraums in angemessener Weise bekannt zu geben (Art. 6 Abs. 3 DelVO 2016/ 1052). Üblicherweise werden beide Mitteilungen miteinander verbunden.
Nr. 2016/1052“). Was die darin geregelten Bedingungen für die Stabilisierung betrifft, bestehen keine wesentlichen Unterschiede zu der zuvor geltenden Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 v. 22.12.2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG („Marktmissbrauchsrichtlinie“) v. 28.1.2003 – Ausnahmeregelungen für Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen, ABl. EG Nr. 336 v. 23.12.2003, S. 33; vgl. hierzu Meyer, AG 2004, 289, 294 ff.; Leppert/Stürwald, ZBB 2004, 302, 309 ff.; Groß in GS Bosch, 2006, S. 49; Singhof in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 22 Rz. 8 ff. 243 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, NZG 2009, 589; ebenso zuvor Busch, AG 2002, 230; Groß, ZIP 2002, 160; Meyer, WM 2002, 1106; Schanz, BKR 2002, 439 gegen die Vorinstanz KG v. 22.8. 2001 – 23 U 6712/99, AG 2002, 243; einschränkend Bezzenberger, AG 2010, 765, 772. In dem Anfechtungsprozess über den Bestätigungsbeschluss des ursprünglich angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses hatte dass Kammergericht seine Auffassung später aufgegeben; vgl. KG v. 16.11.2006 – 23 U 55/03, ZIP 2007, 1660. 244 Regelmäßig enthalten die Wertpapierprospekte einen Hinweis auf den Veröffentlichungsort; Singhof in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 22 Rz. 26.
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Börsengang | § 3
Ungedeckte Mehrzuteilungen (naked shorts) werden – anders als bisher – in Höhe von bis zu 5 % des ursprünglichen Angebots gem. Art. 8 lit. b) DelVO 2016/1052 ausdrücklich gestattet. Damit gilt für Mehrzuteilungen eine Obergrenze von insgesamt 20 % des ursprünglichen Angebots. Trotz des damit bei Rückkäufen im Markt für die Emissionsbanken verbundenen Verlustpotentials sind Naked Shorts auch zu einem festen Bestandteil deutscher Börsengänge geworden.
3.86
2. Börsenzulassungsverfahren und Notierungsaufnahme a) Markteinführungspublizität Zentrales Informationsdokument im Rahmen der Börseneinführung und wesentliche Voraussetzung für die Zulassung der Aktien ist der Wertpapierprospekt (§ 5 WpPG; zukünftig Art. 6 VO 2017/1129)245. Er ist immer dann zu veröffentlichen, wenn Aktien öffentlich angeboten werden und keiner der in § 3 Abs. 2 und 3 WpPG sowie in § 4 Abs. 1 WpPG geregelten Ausnahmetatbestände (z.B. Angebot an ausschließlich qualifizierte Anleger, Mindeststückelung i.H.v. 100.000 Euro) einschlägig ist (§ 3 Abs. 1 WpPG)246.
3.87
Der Prospekt muss über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Beurteilung der angebotenen und zuzulassenden Aktien wesentlich sind, Auskunft geben und richtig und vollständig sein. Die zur Beurteilung des Emittenten und der angebotenen Aktien notwendigen Angaben müssen dabei in leicht analysierbarer und verständlicher Form in dem Prospekt enthalten sein (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WpPG; zukünftig Art. 6 Abs. 2 VO 2017/1129). Welche Angaben hierfür notwendig sind, wird in § 5 WpPG, der VO Nr. 809/2004 (Anhänge I und III) sowie den verbliebenen §§ 1–12 BörsZulV247 geregelt (vgl. ausführlich Rz. 36.14 ff.)248. Außerdem sind die ergänzenden Empfehlungen der ESMA für eine europaweit konsistente Umsetzung der VO Nr. 809/2004 zu berücksichtigen, die erheblichen Einfluss auf die Verwaltungspraxis haben249. Wesentliche Bestandteile des Prospekts sind neben den Einzelheiten des Angebotes die Angaben über die Personen, die für den Inhalt des Prospekts die Verantwortung übernehmen, die Risikofaktoren, bestimmte allgemeine Angaben über die Aktien und den Emittenten, das Kapital, die Geschäftstätigkeit und die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten (operating and financial review), seine Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane sowie den jüngsten Geschäftsgang und die Geschäftsaussichten (Trendinformationen). Neben den geprüften historischen Finanzinformationen grundsätzlich für die letzten drei Geschäftsjahre (Anhang I Ziff. 20.1., 20.3.–20.5. VO Nr. 809/2004) und ggf. den Zwischenfinanzinformationen
3.88
245 Nach früherem Recht waren streng genommen zwei Prospekte zu veröffentlichen, ein Verkaufsprospekt und ein Börsenzulassungsprospekt (bzw. Unternehmensbericht für die Zulassung zum geregelten Markt), vgl. 2. Aufl. § 3 Rz. 86; zu den Anforderungen an den einheitlichen Wertpapierprospekt Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 251 ff.; s. auch Kunold/ Schlitt, BB 2004, 501; M. Weber, NZG 2004, 360. 246 Zukünftig werden die Ausnahmeregelungen in Art. 1 Abs. 4 und 5 VO 2017/1129 geregelt sein. 247 Dazu näher Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 8 Rz. 11 ff. 248 Im Zuge der Novellierung des Wertpapierprospektregimes werden die Regelungen der VO Nr. 809/2004 einschließlich ihrer Anhänge durch noch zu erlassende delegierte Rechtsakte der EU-Kommission abgelöst werden, s. Art. 13 Abs. 1 VO 2017/1129. 249 ESMA update of the CESR’s recommendations for the consistent implementation of the European Commission’s Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive, ESMA 2011/81 of 23 March 2011.
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§ 3 | Börsengang
für das laufende Geschäftsjahr (Anhang I Ziff. 20.6. VO Nr. 809/2004) müssen Pro-FormaFinanzinformationen in den Prospekt aufgenommen werden, wenn es infolge einer Unternehmenstransaktion, deren Auswirkungen noch nicht in den historischen Finanzangaben abgebildet sind, zu einer bedeutenden Brutto-Veränderung der Verhältnissses des Emittenten gekommen ist (vgl. Anhang I Ziff. 20.2., Anhang II VO Nr. 809/2004)250. Relevant werden kann für Börsenkandidaten auch die Aufnahme zusätzlicher Prospektangaben (insbesondere einer Beschreibung des Geschäftsplans), wenn sie ihr Geschäft seit weniger als drei Jahren betreiben (start ups)251.
3.89 Der Aufbau des Wertpapierprospekts ist weitestgehend freigestellt (Art. 25 Abs. 3 VO
Nr. 809/2004); lediglich Inhaltsverzeichnis, Zusammenfassung und Risikofaktoren müssen den übrigen Angaben vorangestellt werden (Art. 25 Abs. 1 und 2 VO Nr. 809/2004)252. In der Zusammenfassung müssen die sog. Schlüsselinformationen des § 5 Abs. 2a WpPG und die in § 5 Abs. 2b WpPG genannten Warnhinweise enthalten sein (§ 5 Abs. 2 WpPG). Die Zusammenfassung darf jedoch nur als Einführung zu dem Prospekt verstanden werden, worauf ausdrücklich hinzuweisen ist (s. auch Rz. 3.107)253. Der Prospekt ist vom Emittenten und den Konsortialbanken als Zulassungsantragsteller zu unterzeichnen (§ 5 Abs. 3 WpPG i.V.m. § 32 Abs. 2 BörsG). Wenn zwischen der Billigung des Prospekts und der Notierungsaufnahme bzw. dem Ende des öffentlichen Angebots eine wesentliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts festgestellt wird oder ein wichtiger neuer Umstand eintritt, ist ein von der BaFin gebilligter Nachtrag zum Prospekt nach Maßgabe von § 14 WpPG (zukünftig Art. 21 VO 2017/1129) zu veröffentlichen (§ 16 WpPG; zukünftig Art. 23 VO 2017/1129; vgl. auch Rz. 3.82)254.
3.90 Die Veröffentlichung des Prospekts für die Zulassung zum regulierten Markt darf erst
erfolgen, wenn dieser gebilligt wurde (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WpPG; zukünftig Art. 20 Abs. 1 VO 2017/1129). Sofern der Emittent seinen Sitz in Deutschland hat, liegt die Zuständigkeit für die Billigung bei der BaFin (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpPG)255. Sie entscheidet hierüber nach Abschluss einer Vollständigkeitsprüfung des Prospekts einschließlich einer Prüfung der Kohärenz und Verständlichkeit der vorgelegten Informationen. Die Billigungsfrist im Rahmen eines IPO beträgt 20 Werktage (§ 13 Abs. 2 Satz 2 WpPG; zukünftig Art. 20
250 Näher zu den Anforderungen an Finanzinformationen in Wertpapierprospekten Meyer, Accounting 2006, 11; Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 253 f. 251 Vgl. ESMA 2011/81, para. 135–139; dazu auch Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 254; Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, Art. 23 EU-ProspektVO Rz. 46 ff. 252 Die Abweichungen von der in den Anhängen der VO Nr. 809/2004 vorgegebenen Reihenfolge sind der BaFin in einer Überkreuz-Checkliste kenntlich zu machen; s. Singhof in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, Art. 25 EU-ProspektVO Rz. 14 ff. 253 Die VO 2017/1129 widmet sich in ihrem Art. 7 sehr umfassend der Prospektzusammenfassung. So wird u.a. geregelt, dass die Zusammenfassung eine maximale Länge von sieben DIN-A4-Seiten umfassen und aus vier Abschnitten bestehen soll. 254 Näher Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 256. Der Nachtrag ist innerhalb von höchstens sieben Werktagen nach Eingang bei der BaFin zu billigen (§ 16 Abs. 1 Satz 3 WpPG). Zukünftig wird die Frist für die Billigung des Nachtrags höchstens fünf Arbeitstage betragen (Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 VO 2017/1129). 255 Hat der Emittent seinen Sitz in einem anderen Land des EWR, ist die dortige Heimatbehörde für die Billigung des Prospekts unabhängig davon zuständig, in welchen Ländern des EWR die Aktien öffentlich angeboten oder zum Börsenhandel zugelassen werden sollen. Zur Notifizierung s. Rz. 3.29.
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Börsengang | § 3
Abs. 3 VO 2017/1129). Nach Ablauf der Frist tritt jedoch keine Billigungsfiktion ein256. In der Praxis wird stets ein „mehrstufiges Prüfungsverfahren“ durchgeführt, in dem der Prospekt dreimal zur Prüfung eingereicht wird, um die Billigung nach Berücksichtigung der Kommentare der BaFin zügig zu erhalten257. Da bei Durchführung eines BookbuildingVerfahrens der Emissionspreis erst nach dem die Prospektpflicht auslösenden öffentlichen Angebot festgelegt wird, enthält der zu billigende Prospekt lediglich die Preisspanne (zum decoupled bookbuilding s. auch Rz. 3.76) und den gesetzlich vorgeschriebenen Hinweis, auf welche Weise der Emissionspreis ermittelt wird (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpPG; zukünftig Art. 17 Abs. 1 lit. b) VO 2017/1129). Nach seiner Billigung ist der Prospekt bei der BaFin zu hinterlegen und unverzüglich, spätestens einen Werktag vor Beginn des öffentlichen Angebots zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 WpPG; zukünftig Art. 21 Abs. 1 VO 2017/1129). Nach der Praxis der BaFin muss zwischen dem Tag der Veröffentlichung des Prospekts und dem Beginn des öffentlichen Angebots kein Werktag verstreichen258. Da nach § 14 Abs. 2 WpPG (zukünftig Art. 21 Abs. 2 VO 2017/1129) auch die Veröffentlichung des Prospekts auf der Internetseite des Emittenten zu den erlaubten Veröffentlichungsarten gehört, kann der Prospekt bereits am Tag der Billigung veröffentlicht werden und das öffentliche Angebot am darauf folgenden Tag beginnen259. Daneben wird der Prospekt regelmäßig auch im Wege der Schalterpublizität durch Bereithaltung bei dem Emittenten und den Konsortialbanken veröffentlicht. Der Emissionspreis wird unverzüglich nach Festlegung ad hoc (Art. 17 VO Nr. 596/2014) und zusammen mit dem Emissionsvolumen in einer nach § 14 Abs. 2 WpPG (zukünftig Art. 21 Abs. 2 VO 2017/1129) zulässigen Art und Weise (§ 8 Abs. 1 Satz 6 WpPG; zukünftig Art. 17 Abs. 2 VO 2017/ 1129) bekannt gemacht. Anders als bei einer Veränderung der Preisspanne260 bedarf die Veröffentlichung des Emissionspreises damit keines zu billigenden Nachtrags zum Prospekt nach § 16 WpPG (zukünftig Art. 23 VO 2017/1129). b) Zulassungsantrag; notwendige Veröffentlichungen Bevor die Aktien des Emittenten an der Börse gehandelt werden können, bedürfen sie der Zulassung (vgl. zum Börsenzulassungsverfahren näher § 37). Sollen die Aktien zum Börsenhandel im regulierten Markt zugelassen werden, ist der Zulassungsantrag vom Emittenten zusammen mit einem Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder einem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 KWG tätigen Unternehmen zu stellen261. Das Institut oder Unternehmen muss an einer inländischen Wertpapierbörse mit dem Recht zur Teilnahme am Handel zugelassen sein und ein haftendes Eigenkapital im Gegenwert von mindestens 730 000 Euro nachweisen (§ 32 Abs. 2 BörsG). Der Zulassungsantrag bedarf der Schriftform. Er muss Firma und Sitz der Antragsteller sowie Art und 256 So früher § 8a Abs. 1, 2. Alt. VerkProspG a.F. 257 Der Zeitplan sollte unter Berücksichtigung der Zeiten für die drei Einreichungen und die Einarbeitung der erhaltenen Kommentare frühzeitig mit der BaFin abgestimmt werden; zum Verfahrensablauf ausf. Berrar in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 16 Rz. 40 ff. Vgl. auch das Muster für den Billigungsantrag bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, § 16.02 lit. c. 258 Dies entspricht der Praxis der Zulassungsstelle der Frankfurter Wertpapierbörse nach altem Recht. 259 S. hierzu auch Apfelbacher/Metzner, BKR 2006, 81, 84. 260 Kritisch zur diesbezüglichen Nachtragspflicht bei einer Abweichung von weniger als 20 % Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 261. 261 Vgl. das Muster bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, § 16.02 lit. d.
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3.91
§ 3 | Börsengang
Betrag der zuzulassenden Wertpapiere angeben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 BörsZulV). Dem Zulassungsantrag ist ein nach den Vorschriften des WpPG gebilligter Prospekt beizufügen (§ 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG, § 48 Abs. 2 Satz 1 BörsZulV). Darüber hinaus sind auf Verlangen weitere Dokumente, insbesondere ein Handelsregisterauszug, ein Nachweis über die ordnungsgemäße Veröffentlichung der letzten drei Jahresabschlüsse, die Satzung sowie Nachweise über die der Emission zugrunde liegenden Beschlüsse, d.h. Hauptversammlungsprotokolle, Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse, vorzulegen262. Eine Veröffentlichung des Zulassungsantrags im (elektronischen) Bundesanzeiger oder einem Börsenpflichtblatt ist nicht mehr erforderlich263. Sollen die Aktien nicht nur im jeweiligen Standard-Segment (General Standard), sondern im Teilbereich mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) zugelassen werden, können beide Anträge gemeinsam gestellt werden264. In beiden Fällen entscheidet die Geschäftsführung der Börse über die Anträge (§ 32 Abs. 1 BörsG). Die Zulassung darf frühestens an dem auf das Datum der Einreichung des Zulassungsantrags folgenden Handelstag erfolgen. Die Einführung der Aktien (Aufnahme der Notierung im regulierten Markt) ist frühestens an dem auf die erste Veröffentlichung des Prospekts folgenden Werktag möglich (§ 52 BörsZulV). In der Praxis des Börsengangs stellt dies kein Problem dar. Nach Stellung des Zulassungsantrags ist der Börsenkandidat grundsätzlich verpflichtet, Insiderinformationen ad hoc zu veröffentlichen (vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 5 VO Nr. 596/2014). Diese Ad-hoc-Publizitätspflicht beginnt jedoch regelmäßig erst mit Veröffentlichung des Wertpapierprospekts und tritt somit neben die Nachtragspflicht (§ 16 WpPG; zukünftig Art. 23 VO 2017/1129)265.
V. Maßgebliche Rechtsbeziehungen 3.92 Im Rahmen des Börsengangs gehen Emittent, abgebende Altaktionäre, emissionsbegleitende Banken und Anleger verschiedene, komplexe Rechtsbeziehungen ein.
1. Emittent, abgebende Aktionäre und Emissionsbanken 3.93 Im Verhältnis zwischen dem Emittenten, den abgebenden Aktionären und den Emissions-
banken sind die gegenseitigen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs sowie die Verteilung des Emissions- und Haftungsrisikos zu regeln. Maßgebend sind dafür im wesentlichen zwei verschiedene Vertragswerke.
3.94 Die Regelungen für die Zusammenarbeit während der Emissionsvorbereitung sind Gegenstand einer Mandatsvereinbarung zwischen dem Emittenten, den abgebenden Aktionären
262 Vgl. die Aufzählung in § 48 Abs. 2 Satz 2 BörsZulV. In der Regel werden die dort genannten Dokumente unaufgefordert mit dem Zulassungsantrag eingereicht. 263 Vgl. noch § 49 BörsZulV a.F. vor Inkrafttreten des FRUG. Das Erfordernis, auch ein überregionales Börsenpflichtblatt zu benennen, in dem der Antrag veröffentlicht werden soll, war bereits mit der Umstellung auf den (elektronischen) Bundesanzeiger entfallen; vgl. Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, 2553; s. hierzu Seibert/Decker, DB 2006, 2446; Liebscher/Scharff, NJW 2006, 3745. 264 Zur Segmentierung der Frankfurter Wertpapierbörse und deren Auswirkungen auf die Börsenzulassung vgl. Gebhardt, WM 2003, Sonderbeil. Nr. 2, S. 3; Schlitt, AG 2003, 57. 265 Näher Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 256, 262; Parmentier, NZG 2007, 407, 413 ff.
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Börsengang | § 3
und der konsortialführenden Emissionsbank, die den Börsengang von Beginn an begleitet (letter of engagement). Nur ganz ausnahmsweise wird insbesondere bei größeren Börsengängen eine Mandatsvereinbarung auch mit nachgeordneten Emissionsbanken (Co-Leads) abgeschlossen. Die Übernahme und Platzierung der Aktien durch die Emissionsbanken bildet den Abschluss des mehrmonatigen Börseneinführungsprozesses. Es entspricht daher allgemeiner Praxis, den Übernahmevertrag (underwriting agreement) mit sämtlichen emissionsbegleitenden Banken erst unmittelbar vor Beginn des Bookbuilding abzuschließen (vgl. Rz. 3.99). Eine Verpflichtung zum Abschluss des Übernahmevertrages ist mit der Mandatsvereinbarung nicht verbunden266. a) Mandatsvereinbarung Die Mandatsvereinbarung wird als entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) mit Aufnahme der Vorbereitung des Börsengangs abgeschlossen, um das Gesamtprojekt auf eine gesicherte rechtliche Grundlage zu stellen267. Die Beteiligung des Emittenten ist selbst dann erforderlich, wenn die Aktienemission im Rahmen des IPO ausnahmsweise nur aus dem Bestand der Altaktionäre dargestellt wird. Denn jedenfalls die damit verbundene Börsenzulassung der Aktien im regulierten Markt bedarf grundsätzlich der Mitwirkung der Gesellschaft (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 BörsG), und die Erstellung des Wertpapierprospekts ist angesichts der detaillierten Anforderungen an seinen Inhalt (s. Anhänge I und III VO Nr. 809/2004]) ohne Unterstützung der Gesellschaft nicht möglich. Die abgebenden Aktionäre, die im Zuge des Börsengangs im Rahmen der Haupttranche oder aufgrund der den Emissionsbanken für den Greenshoe gewährten Kaufoption Aktien verkaufen (vgl. Rz. 3.85), werden regelmäßig Vertragspartner sowohl der Mandatsvereinbarung als auch des Übernahme- und Preisfestsetzungsvertrags (vgl. Rz. 3.99 f.)268. Aus Sicht der Emissionsbanken ist es auch von Vorteil, wenn die unternehmerisch beteiligten Aktionäre selbst dann vertraglich in den Börsengang eingebunden werden, wenn sie ausnahmsweise keine Abgabe von Aktien planen. Gleiches gilt unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten für die Einbindung von Gesellschaftern einer Beteiligungsgesellschaft, die unmittelbar die Aktien an dem Emittenten hält.
3.95
Umfang und Detaillierungsgrad der Mandatsvereinbarungen sind unterschiedlich; u.U. genügt es – ähnlich der früher üblichen „Offerte“ – die Mandatierung der Bank sowie Provisionen und Kostentragung festzulegen. Regelmäßig werden die konkreten Aufgaben und Dienstleistungen der (konsortialführenden) Emissionsbank beschrieben. Dies sind u.a. die umfassende Beratung im Zusammenhang mit der Strukturierung des Gesamtprojekts und dem Emissionskonzept, die Erstellung der Equity Story, die Begleitung der Vermarktung einschließlich der Koordinierung der Research-Aktivitäten und der Öffentlichkeitsarbeit, die Planung und Durchführung der Roadshow, die Unterstützung des Emittenten bei der Erstellung des Wertpapierprospekts sowie i.d.R. des englischsprachigen Prospekts (international offering circular), die Mitwirkung bei der Preisfindung für die Aktien, die Durchführung des Angebots und die gemeinsame Betreibung des Börsenzulassungsverfahrens.
3.96
266 Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.420; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 133; nicht eindeutig C. Schäfer, ZGR 2008, 455, 461. 267 Vgl. zum Inhalt Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 20 Rz. 54 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.89 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 132; Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 21 ff. 268 Die a.A. von Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 57 entspricht nicht der Praxis.
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§ 3 | Börsengang
3.97 Wesentlich ist die Verantwortung des Emittenten für die Erstellung des Prospekts und
seine diesbezüglichen weiteren Informations- und Mitwirkungspflichten. Er ist verpflichtet, die Informationen, die die Emissionsbanken für die Due Diligence und die Unterstützung bei der Erstellung des Prospekts für erforderlich halten, zur Verfügung zu stellen. Angesichts des späten Abschlusses des Übernahmevertrags bietet es sich an, in die Mandatsvereinbarung vorgreifend grundsätzliche Prinzipien aufzunehmen, die im Übernahmevertrag ausführlicher geregelt, aber bei der Verhandlung nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden sollen269. Zu denken ist vor allem an die ausschließliche Verantwortung des Emittenten für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts im Verhältnis zu den Emissionsbanken und ihre entsprechende Haftungsfreistellung270. Von den Rechtsanwälten des Emittenten und der Emissionsbanken wird die Erstellung von Rechtsgutachten zu den rechtlichen Verhältnissen der Gesellschaft und deren Darstellung im Prospekt (legal opinions) und von Bestätigungen, dass die Ergebnisse der Untersuchungen im Prospekt angemessen wiedergegeben werden (disclosure letters), erwartet (vgl. eingehend § 35). Der Abschlussprüfer des Emittenten gibt eine Bestätigung über die im Finanzteil des Prospekts enthaltenen Finanzangaben ab (comfort letter; vgl. eingehend § 34). Weitergehend verlangen Private Equity Häuser im Rahmen des Auswahlprozesses für die konsortialführenden Banken immer häufiger, dass der Mandatsvereinbarung ein Term Sheet mit bereits ausformulierten Gewährleistungen und Haftungsfreistellungsregelungen des Übernahmevertrags angehängt wird271. Dadurch soll die spätere, häufig sehr intensive Verhandlung dieser Bestimmungen des Übernahmevertrags vorgezogen werden. Natürlich muss dies unter dem Vorbehalt stehen, dass die Ergebnisse der Due Diligence die Aufnahme zusätzlicher Regelungen erforderlich machen können.
3.97a
In jüngerer Zeit überwiegend zu beobachten ist die Vereinbarung, dass die Gesellschaft eine IPO-Versicherung abschließen wird, deren Deckungssumme z.B. mindestens 25 % des Bruttoemissionserlöses der Transaktion beträgt und die u.a. vorsieht, dass (a) die konsortialführende Bank und ggf. weitere Konsortialbanken unmittelbar Begünstigte der Versicherung sind oder anderweitig sichergestellt ist, dass die Konsortialbanken auch dann von der Versicherung profitieren, wenn die Gesellschaft insolvent ist, (b) alle Prospekthaftungsansprüche einschließlich etwaiger Ansprüche wegen fehlerhafter Finanzberichterstattung abgedeckt sind, und (c) weder in ihrem Mandatsschreiben (mit Ausnahme eines etwaigen Bezugs zu einer Haftungsbeschränkung aufgrund Gesetzes und/oder der allgemeinen Geschäftsbedingungen für Wirtschaftsprüfer) noch in dem Comfort Letter (mit Ausnahme des Verweises auf berufsständische Abschlussprüfungsstandards) ein ausdrücklicher Haftungsausschluss zugunsten des Abschlussprüfers besteht. Dies macht die sonst übliche Versicherung der Comfort Letter-Haftung entbehrlich, deren Abschluss regelmäßig teurer ist.
3.98 Als Gegenleistung wird von den Emissionsbanken regelmäßig eine wenige Prozentpunkte
des Emissionsbetrags umfassende Provision ausbedungen. Teilweise wird vorgegeben, dass diese Gesamtprovision unter den Emissionsbanken in einem bestimmten Verhältnis auf die Bestandteile Verkaufsprovision (selling fee – Vergütung der tatsächlichen Verkäufe), Übernahmeprovision (underwriting fee – Vergütung des Übernahmerisikos) und Managementprovision (management fee – Vergütung der Transaktionsvorbereitung) zu verteilen ist. Regelmäßig wird eine solche Aufteilung zusätzlich mit einer Vorabzuweisung eines be269 Näher Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 136 ff. 270 Nach Bedarf können aber auch weitere Bestimmungen dieser Art, z.B. über den Marktschutz (Rz. 3.36 ff.) und die Stabilisierung nach Preisfestsetzung (Rz. 3.84 ff.), hinzutreten. 271 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 136.
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Börsengang | § 3
stimmten Teils der Managementprovision an die Konsortialführer verbunden, da sie die (Haupt-)Last der Vorbereitung des Börsengangs tragen (praecipuum). Unabhängig davon, dass die Konsortialführer die Nachfrage häufig nahezu alleine generieren, findet sich teilweise auch eine Begrenzung ihres Anteils an der Verkaufsprovision in den Vereinbarungen (z.B. auf 80 %). Um den einfachen Konsortialmitgliedern einen Anreiz für eigene Vertriebsbemühungen zu geben, sollte die Begrenzung dann jedenfalls aufstockbar sein (soft cap). Üblich ist es, darüber hinaus eine sog. Erfolgsprovision (incentive fee) zu vereinbaren, deren Zahlung im Ermessen des Emittenten bzw. der abgebenden Aktionäre liegt. Sie soll geleistet werden, wenn diese mit der Abwicklung des Börsengangs zufrieden waren. Außerdem erhalten die Banken nach Maßgabe der jeweiligen Vereinbarungen Ersatz ihrer Aufwendungen (§ 670 BGB). Für den Fall, dass es vor Abschluss des Übernahmevertrags zu einem marktbedingten oder sonst begründeten Abbruch des Börsengangs kommt, werden auch die diesbezüglichen Folgen in der Mandatsvereinbarung geregelt (z.B. Kostenerstattung; Aufwandsentschädigung – break-up fee). b) Übernahmevertrag Es entspricht allgemeiner Praxis, den Übernahmevertrag unmittelbar vor Billigung des Prospekts und nicht erst vor Zeichnung der neuen Aktien am Ende der BookbuildingPeriode abzuschließen. Dies ist insofern von Vorteil, weil damit die maßgeblichen Voraussetzungen der Wertpapierübernahme, die Gewährleistungen und Verpflichtungen und den „Ablaufplan“ für die weitere Abwicklung der Transaktion verbindlich geregelt sind, bevor die Emissionsbanken mit Veröffentlichung des öffentlichen Angebots im Außenverhältnis Verantwortung übernehmen272. Die statt dessen teilweise gewählte Lösung, in diesem Zeitpunkt nur ein sog. Launch Agreement abzuschließen, das die Voraussetzungen für den späteren Abschluss eines anhängenden, „ausverhandelten“ Übernahmevertrags regelt, bringt keine erkennbaren Vorteile273. Ungeachtet seines in der zeitlichen Abfolge des Börsengangs späten Abschlusses enthält der Übernahmevertrag die wesentlichen, auch über den abgeschlossenen Börsengang fortwirkenden Vereinbarungen zwischen dem Emittenten und dem Emissionskonsortium (vgl. eingehend § 29)274. Namensgebend sind die Hauptleistungspflichten der Emissionsbanken bzw. des Emissionskonsortiums, die für das übliche Einheitskonsortium (vgl. Rz. 3.25) darin bestehen, die Emission zu übernehmen, zu platzieren und zu bezahlen. Hinsichtlich der neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung des Emittenten übernehmen die Emissionsbanken die schuldrechtliche Verpflichtung, unter bestimmten, im Übernahmevertrag näher aufgeführten (aufschiebenden) Bedingungen eine formgebundene Zeichnungserklärung (§ 185 AktG) abzugeben, die auf die erstmalige Begründung einer Mitgliedschaft zielt. Nach seiner Rechtsqualität ist der Übernahmevertrag daher ein eigenständiger Verpflichtungsvertrag zum Abschluss eines korporationsrechtlichen Beitrittsvertrags (Zeichnungsvertrag; vgl. Rz. 3.79)275. Hinsichtlich der Über272 Zutreffend Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, Rz. 8.110 f.; dem folgend Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 155. 273 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 155. 274 Vgl. dazu auch Fredebeil, Aktienemissionen, S. 143 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.104 ff.; Singhof, Außenhaftung, S. 45 ff. 275 Zum Verhältnis von Übernahme- und Zeichnungsvertrag Singhof, Außenhaftung, S. 60 f. und 173 ff. Die Pflichten der Banken stehen insgesamt unter dem Vorbehalt des Nichteintritts bestimmter nachteiliger Ereignisse bei der Gesellschaft (material adverse change) oder allgemein in den wirtschaftlichen oder politischen Verhältnissen (force majeure); eingehend Busch, WM 2001, 1277.
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3.99
§ 3 | Börsengang
nahme der alten, bereits existierenden Aktien der abgebenden Aktionäre zur Weiterveräußerung im eigenen Namen handelt es sich um einen Rechtskauf (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB)276. In beiden Fällen werden die Aktien unter Ausschluss der gesamtschuldnerischen Haftung sowie des Gesamthandseigentums der Emissionsbanken übernommen277. Außerdem erwarten die Banken, dass die Gesellschaft und die abgebenden Aktionäre umfangreiche verschuldensunabhängige Gewährleistungen (representations and warranties) und Verpflichtungen (undertakings) eingehen und sie von der (Prospekt-)Haftung freistellen (indemnification). Ergänzt wird die Übernahme durch Elemente einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung nach §§ 675, 611 BGB278, insbesondere da die Emissionsbanken sich z.B. verpflichten, die Aktien zu platzieren und gemeinsam mit dem Emittenten das Verfahren zur Börsenzulassung zu betreiben279. Damit enthält der Übernahmevertrag unterschiedliche vertragstypische Elemente (Vertrag sui generis)280. In jüngerer Vergangenheit wird zum Teil – soweit eine US-Platzierung unter Beteiligung von US-Banken vorgesehen ist – zusätzlich zur Haftungsfreistellung der Emissionsbanken durch die Gesellschaft im Übernahmevertrag ein sog. Contribution Agreement abgeschlossen. Diese Vereinbarung unterliegt dem Recht des US-Bundesstaats New York und soll für den Fall der Unwirksamkeit der Haftungsfreistellung anch US-Recht als „Auffangregelung“ sicherstellen, dass die Parteien zu einem internen Schadensausgleich in dem Maße „beitragen“, dass dem wirtschaftlichen Zweck der Haftungsfreistellungsregelung soweit wie möglich Rechnung getragen wird.
3.100
Der Abschluss des Übernahmevertrags spätestens vor Zeichnung der Aktien und Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung und das Bedürfnis, die Preisfestsetzung so nahe wie möglich an die Aufnahme des Börsenhandels zu legen, bringen es mit sich, dass die Vereinbarung über den Emissionspreis und die Anzahl der platzierten Aktien in einen kurzen Preisfestsetzungsvertrag (pricing agreement) ausgelagert wird, der als ausverhandelter Entwurf dem Übernahmevertrag als Anhang beigefügt ist. Eine Verpflichtung zum Abschluss des Preisfestsetzungsvertrags ergibt sich aus dem Übernahmevertrag nicht. Erst mit Preisfestsetzung kommt es zum eigentlichen Hard Underwriting der Emissionsbanken281. c) Vereinbarung über die Kosten- und Risikoverteilung
3.101
Für eine reine Umplatzierung hat der BGH entschieden, dass die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch einen Emittenten eine unzulässige Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AktG) an den abgebenden Aktionär darstellt, soweit ihr keine kompen276 S. nur Groß in BuB, Rz. 10/290; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.104, 8.132. 277 Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit Timm/Schöne, ZGR 1994, 113, 122 ff. und eingehend Singhof, Außenhaftung, S. 169 ff. 278 Canaris in Großkomm. HGB, Bankvertragsrecht, Rz. 2244; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 190; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.104; Singhof, Außenhaftung, S. 61. 279 Die Erlangung der Börsenzulassung wird nicht als Erfolg geschuldet; wie hier Groß in BuB, Rz. 10/307; a.A. nur Schücking in MünchHdb. GbR, § 32 Rz. 88. 280 Vgl. zu den Regelungsbereichen im Einzelnen § 29 sowie Technau, AG 1998, 445; Groß in BuB, Rz. 10/308e ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.114 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 158 ff.; Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 57 ff. sowie das Muster von Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, § 16.02 lit. a. 281 Zutreffend Busch, WM 2001, 1277.
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Börsengang | § 3
sierende Gegenleistung gegenübersteht282. Eine Kompensation könne grundsätzlich nur durch eine Freistellungsvereinbarung erreicht werden, in der der abgebende Aktionär die Gesellschaft von deren Prospekthaftung im Außenverhältnis freistellt. Nach wirtschaftlicher Betrachtung profitiere nur der abgebende Aktionär von der Platzierung, „weil er die unmittelbaren Vorteile aus dem Geschäft, insbesondere den Erlös, erzielt“. Ein Eigeninteresse der Gesellschaft an der Umplatzierung sei unbeachtlich, wenn hierfür nicht „konkrete, bilanziell messbare Vorteile“ angeführt werden können283. Dies hat mit unterschiedlicher Schärfe berechtigte Kritik erfahren284. In den typischen IPO-Fällen, in denen sowohl neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung der Gesellschaft als auch Aktien aus dem Besitz von Aktionären im Zuge einer erstmaligen Börsenzulassung platziert werden (primary and secondary IPO), hat auch die Gesellschaft an seiner Durchführung ein erhebliches Interesse285. In der Praxis sind die Beteiligten dazu übergegangen, Kosten und Risiken zwischen Gesellschaft und abgebendem Aktionär in einer Vereinbarung über die Kosten- und Risikoverteilung (cost/risk-sharing agreement) quotal entsprechend dem prozentualen Anteil am Emissionserlös aufzuteilen286. Wenn der Anteil neuer Aktien am Angebotsvolumen (deutlich) überwiegt, sollte nach dem „Veranlassungsprinzip“ auch eine Zuweisung sämtlicher Risiken und Kosten an die Gesellschaft möglich sein287. Dies ist jedenfalls dann sachgerecht, wenn ein Altaktionär nur im Rahmen der üblichen Mehrzuteilung und Greenshoe-Option die Aktien bereitstellt, da hier nicht der Verkauf dieser Aktien im Vordergrund steht, sondern die erfolgreiche Durchführung des Börsengangs durch die Ermöglichung von Stabilisierungsmaßnahmen unterstützt wird (s. Rz. 3.84 ff.)288. Am Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung haben auch die begleitenden Emissionsbanken ein Interesse. Auf ihre Haftungsfreistellung durch die Gesellschaft wirkt sich die BGH-Rechtsprechung zwar nicht unmittelbar aus289, es wird jedoch vertreten, dass die „sichere Kenntnis“ von einem Verstoß gegen § 57 AktG auf ihre Haftungsfreistellung „durchschlage“290. Dies 282 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Dritter Börsengang, NZG 2011, 829 = AG 2011, 548 („DT 3 Urteil“). 283 Zu Vorstehendem BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Dritter Börsengang, NZG 2011, 829, 830 ff. 284 Zusammenfassend Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 184 ff.; s. im Einzelnen: Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH, CFL 2011, 377; Arnold/ Aubel, ZGR 2012, 113, 131 ff.; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328; Habersack in FS Hommelhoff, 2012, S. 303, 306 ff.; Mertens, AG 2015, 881; Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747, 749 ff.; Westermann/Paefgen in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1363; Wink, AG 2011, 569; Nodoushani, ZIP 2011, 97, 103 ff.; zuvor bereits Schlitt, CFL 2010, 304. Zur Rechtslage in Österreich Kalss, CFL 2011, 404; überwiegend zustimmend dagegen Tröger in FS Baums, 2017, S. 1249. 285 Vgl. Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH, CFL 2011, 377, 378. 286 Vgl. Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 143 ff.; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1084; Krämer/ Gillessen/Kiefner CFL 2011, 328, 334 ff.; Wink AG 2011, 569, 578 f.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 185; offen lassend, aber in der Tendenz ebenso Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 Rz. 22d. 287 Vgl. Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH CFL 2011, 377, 379; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 185. 288 Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 145 f.; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1085; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328, 336; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.21c; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 185. 289 Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 148 f.; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1085; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328, 340; Wink, AG 2011, 569, 579; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 186. 290 Fleischer, ZIP 2007, 1969, 1976.
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§ 3 | Börsengang
ist abzulehnen291, wird aber auch nicht relevant werden, da die Emissionsbanken in jedem Fall die auf der Offenlegung einer entsprechenden Vereinbarung oder im Rahmen der Due Diligence und zusätzlicher Vorsorge (z.B. durch eine IPO Versicherung, s. Rz. 3.97a) bestehen werden.
2. Emissionskonsortium 3.102
Die rechtliche Grundlage für die unter den Emissionsbanken bestehenden Beziehungen bildet der Konsortialvertrag (agreement among underwriters; vgl. eingehend § 32). Das hierdurch entstehende Emissionskonsortium ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 BGB)292. Dies gilt unabhängig davon, dass die Vertragsgestaltung eine bemerkenswerte Abstimmung auf das durchzuführende Einzelgeschäft aufweist und so stark vom normativen Bild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gelöst worden ist, dass man sie schon als „gesellschaftsrechtliche Typendehnung“293 bezeichnet hat. Entscheidend ist, dass die unabdingbaren Tatbestandsmerkmale der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Gesellschaftszweck und der diesbezüglichen Förderungspflicht bereits in § 705 BGB genannt sind294. Gesellschaftszweck ist die Übernahme und Platzierung der Aktien295. Regelmäßig tritt das Emissionskonsortium zwar auch nach außen auf (Außenkonsortium)296, doch wird man mangels Vertretungsmacht der konsortialführenden Banken für das Emissionskonsortium eher von einem Innenkonsortium auszugehen haben297.
3.103
Für die Rechtsposition der Konsortialmitglieder entscheidend sind die vertragliche Ausgestaltung der Alleingeschäftsführung (und -vertretung298) durch den Konsortialführer, die Pflichten- und Risikoverteilung unter den Emissionskonsorten, die Vermögensordnung (kein Gesamthandsvermögen; weitgehender Ausschluss der Gewinn- und Verlustbeteiligung) und Haftungsverteilung (quotal) sowie die Beendigung des Emissionskonsortiums299. Der darüber hinaus teilweise aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis übernommene ausdrückliche Ausschluss der Qualifizierung des Emissionskonsortiums als Gesellschaft („no partnership“) im Konsortialvertrag erscheint zweifelhaft und trägt auch bei 291 C. Schäfer, ZIP 2010, 1877, 1883; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 158. 292 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = AG 1992, 312; Canaris in Großkomm. HGB, Bankvertragsrecht, Rz. 2248; Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 49; Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 24; Singhof, Außenhaftung, S. 63 ff. m.w.N.; Westermann, AG 1967, 285, 291; zweifelnd nur Groß in BuB, Rz. 10/37; Grundmann in FS Boujong, 1996, S. 159; 164 f.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.193 f. 293 Westermann, AG 1967, 285; Singhof, Außenhaftung, S. 72 ff. 294 Vgl. Singhof, Außenhaftung, S. 88 ff. 295 Timm/Schöne, ZGR 1994, 113, 117 ff.; Singhof, Außenhaftung, S. 67 ff. 296 Groß in BuB, Rz. 10/321b. 297 C. Schäfer, ZGR 2008, 455, 492; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 37 Rz. 6; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 236; s. auch Singhof, Außenhaftung, S. 242 f. zu den regelmäßig geringen außenbezogenen Aktivitäten des Konsortiums. 298 Meistens ist insoweit keine „organschaftliche“ Vertretung des Konsortiums vorgesehen, sondern es werden rechtsgeschäftliche Einzelvollmachten zum Abschluss des Übernahmevertrags etc. erteilt. Zur Vermeidung der Beschränkungen des § 181 BGB werden insoweit häufig nicht der Konsortialführer selbst, sondern dessen Mitarbeiter bevollmächtigt. 299 Vgl. R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.316 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 246 ff.; Singhof, Außenhaftung, S. 87 ff., 155 ff. (Folgen des Ausfalls eines Konsorten).
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Börsengang | § 3
eventuellen Vertragslücken nichts zur Verbesserung der Rechtslage der Emissionsbanken bei300. Die zur Optimierung des Emissionsgeschäfts ausgenutzte vertragliche Gestaltungsfreiheit ist im BGB vorgegeben und widerspricht nicht der gesellschaftsrechtlichen Qualifizierung. Entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung301 kann auch eine Teilschuldabrede (pro rata-Haftung der Banken entsprechend ihrer Beteiligungs- bzw. UnderwritingQuote) wirksam getroffen werden und verstößt nicht gegen § 185 Abs. 3 AktG oder die aktienrechtlichen Kapitalschutzvorschriften302. Eine zwingende gesamtschuldnerische Haftung kommt nur nach § 69 Abs. 2 AktG in Betracht, wenn das Bankenkonsortium als Gesellschaft bürgerlichen Rechts selbst Zeichner der Aktien ist303. Die Zeichnung des Konsortialführers „für ein unter seiner Führung stehendes Bankenkonsortium“ wird in der Praxis aber nach dem Urteil des BGH vermieden (vgl. Rz. 3.81). Nach der zeitlichen Abfolge lädt die konsortialführende Bank die übrigen Konsortialmitglieder erst dann in einem ausführlichen Einladungsschreiben (invitation telex) und/oder einem Informationsmemorandum (syndicate briefing book) ein, sich an dem Emissionskonsortium zu beteiligen, wenn die wesentlichen Vorbereitungshandlungen für den Börsengang und Geschäftsführungshandlungen für das noch zu bildende Emissionskonsortium bereits abgeschlossen sind304. Die Emissionsbanken können ihre Teilnahme auf der Grundlage des fertigen Emissionskonzepts, Prospekts und des ausverhandelten Übernahmevertrags nach Maßgabe des beigefügten Konsortialvertrags in einer vorgegebenen Einverständniserklärung (acceptance letter) zusagen oder aber ablehnen305. Für die Unterzeichnung von Konsortialvertrag sowie Übernahme- und Preisfestsetzungsvertrag wird mit dem Einladungsschreiben vom Konsortialführer eine besondere Vollmacht eingeholt. Das Emissionskonsortium wird somit regelmäßig erst sehr spät gebildet.
3.104
Beraten indessen mehrere Emissionsbanken (Konsortialführer) den Emittenten während der mehrmonatigen Vorbereitungsphase, sind sie bereits zuvor als Gesellschaft bürgerlichen Rechts verbunden. Rechtsgrundlage für die gesellschaftsrechtliche Verbindung während dieser Zeit ist regelmäßig eine gemeinsame Absichtserklärung (memorandum of understanding), in der die Grundsätze für das Zusammenwirken bei der Beratung des Emittenten sowie Investor Education, Marketing und Roadshow, Bookbuilding, Preisfindung und Allokation an Investoren u.Ä. niedergelegt sind. Auch ohne entsprechende Vereinbarung kann ein Gesellschaftsvertrag zwischen den Konsortialführern durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Die Bildung des Konsortiums mit allen Emissionsbanken zur
3.105
300 Vgl. Singhof, Außenhaftung, S. 75 f. Angesichts der komplexen individuellen Ausgestaltung ist eine Vertragslücke nicht durch den Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht, sondern durch eine auf den objektivierten mutmaßlichen Willen der Vertragschließenden abstellende, ergänzende Vertragsauslegung zu schließen; speziell für das Personengesellschaftsrecht BGH v. 24.9. 1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192, 193; vgl. auch allg. Ellenberger in Palandt, BGB, § 157 Rz. 5 f. Davon ist bei Emissionskonsortien auch ohne die Negierung des Gesellschaftsverhältnisses auszugehen; a.A. Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 86. 301 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 ff. = AG 1992, 312. 302 Eingehend dazu Singhof, Außenhaftung, S. 169 ff.; ablehnend auch Groß, AG 1993, 108, 116 ff.; Timm/Schöne, ZGR 1994, 113. 303 Vgl. Singhof, Außenhaftung, S. 196 ff. 304 Bei den entsprechenden Verhandlungen muss der Konsortialführer schon die Interessen der späteren Konsortialmitglieder wahrnehmen. Umgekehrt haften diese jedoch mangels eines Zurechnungsgrundes nicht für mögliche vorvertragliche Sorgfaltspflichtverletzungen des Konsortialführers; vgl. Schwintowski, Bankrecht, Kap. 23 Rz. 43, 52. 305 Vgl. Singhof, Außenhaftung, S. 86 ff.
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§ 3 | Börsengang
Platzierung ist in diesem Fall jedoch nicht als Beitritt zu einer bereits bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter Mitübernahme bestehender Verbindlichkeiten306 zu sehen.
3. Rechtsbeziehungen zu den Anlegern 3.106
Unmittelbare kaufvertragliche oder sonstige vorvertragliche Rechtsbeziehungen der Anleger entstehen mit den (in aller Regel zum Emissionskonsortium gehörenden) Banken, die ihnen die emittierten Aktien veräußern307. Nur zwischen der jeweiligen Bank und dem Anleger kommt ein Kaufvertrag zustande. Die veräußernde Bank muss dabei die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der §§ 63 ff. WpHG beachten308. Aus anderen Rechtsgründen, insbesondere aus dem Übernahmevertrag, werden das Emissionskonsortium bzw. die (anderen) Emissionsbanken den Anlegern nicht verpflichtet309. Auch haben die Anleger keinen Anspruch auf gleichmäßige Behandlung ihrer Kaufangebote. Allenfalls müssen die einzelnen Emissionsbanken dafür Sorge tragen, dass die Zuteilung nach sachlichen Kriterien erfolgt (vgl. bereits Rz. 3.82 f.). Mit dem Erwerb der Aktien wird der Anleger an dem Emittenten als Aktionär beteiligt. Seine korporative Rechtsposition bestimmt sich zukünftig nach Aktiengesetz und Satzung des Emittenten. Dem sind keine schuldrechtlichen Beziehungen im Zuge der bezugsrechtsfreien Emission vorgelagert310. Da die veräußernden Banken die übernommenen Aktien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung veräußern, kommen auch zwischen den abgebenden Altaktionären und den Anlegern keine vertraglichen Rechtsbeziehungen zustande. Lediglich die Übertragung des Eigentums an den Aktien wird unmittelbar in diesem Verhältnis – ohne Zwischenerwerb der Emissionsbanken – vorgenommen.
3.107
Kommt es zur Prospekthaftung gem. §§ 21 ff. WpPG (§§ 44 ff. BörsG a.F.; vgl. zukünftig auch Art. 11 VO 2017/1129), entsteht zwischen den Prospektverantwortlichen als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB) und den Anlegern ein gesetzliches Schuldverhältnis (s. ausführlich zur Prospekthaftung § 41)311. Prospektverantwortliche für den Wertpapierprospekt sind neben dem Emittenten die sonstigen Unterzeichner des Prospekts sowie diejenigen, die gem. Anhang III Ziff. 1.1. VO Nr. 809/2004 als für den Inhalt des Prospekts Verantwortliche aufgeführt werden (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpPG). Für den regulierten Markt ist die Unterzeichnung des Wertpapierprospekts durch die Emissionsbanken als Zulassungsantragsteller zwingend vorgeschrieben (§ 5 Abs. 3 Satz 2 WpPG i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 BörsG). Sie sind daneben nicht auch Prospektveranlasser i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpPG, da ihr Interesse an der vergleichsweise niedrigen Erfolgsprovision nicht die Qualität eines eigenen wirtschaftlichen Interesses an dem Börsengang erreicht312. 306 S. dazu BGH v. 7.4.2003 – II ZR 56/02, NZG 2003, 577. 307 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.4.1984 – 6 U 239/82, WM 1984, 586, 587, 597; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 192. 308 S. auch Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 42 f. 309 Anderes ergibt sich nur bei der Bezugsrechtsemission, bei der der Übernahmevertrag als Vertrag zu Rechten der bezugsberechtigten Aktionäre (§ 328 BGB) ausgestaltet sein muss; statt anderer Singhof, Außenhaftung, S. 61 ff. 310 Hopt, Verantwortlichkeit, Rz. 41. 311 Dazu Seiler/Singhof in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, Vor §§ 21 ff. – § 25 Rz. 15 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 271. 312 Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 35; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Band 6, Rz. 274; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.210; unklar, aber offenbar a.A. Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 53.
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Börsengang | § 3
Auch die abgebenden (Groß-)Aktionäre trifft nach h.M. in der Regel keine Prospekthaftung als Prospektveranlasser, da sie zwar das erforderliche eigene wirtschaftliche Interesse an dem Börsengang haben, aber üblicherweise nicht auch maßgeblich auf den Inhalt des Prospekts Einfluss nehmen313. Das Haftungsregime blieb durch die Umsetzung der EUProspektrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie und den damit einhergehenden Reformen des Börsengesetzes unberührt. Neu eingeführt wurde zuletzt eine beschränkte Haftung für die Zusammenfassung des Prospekts (§ 23 Abs. 2 Nr. 5 WpPG). Diese Haftung ist jedoch kaum relevant, da sie voraussetzt, dass die Zusammenfassung irreführend, unrichtig oder widersprüchlich ist, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird. Auch die neue EU-Prospektverordnung (VO 2017/1129) enthält in Art. 11 nur die allgemeine Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten eine Prospekthaftung des Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans, des Anbieters oder des Zulassungsantragstellers sicherstellen314.
VI. Anhang: Zeitplan Datum
Maßnahme
T–140
Kick-off Meeting
T–139
Ggf. Umstrukturierung der Emittentin Beginn Due Diligence/Prospekterstellung
T–60
1. Prospekteinreichung bei der BaFin
T–55
Analystenpräsentation
3.108
T–54
Pilot Fishing/Early Look Investor Meetings (in geeigneten Fällen)
T–35
2. Prospekteinreichung bei der BaFin Pressemitteilung („Intention to float“)
T–28
Verteilung Research Reports Versand Syndicate Briefing Memorandum an Konsortialbanken
T–27
Beginn Research Black-out Beginn Investor Education
T–21
(außerordentliche) Hauptversammlung (einschl. Beschlussfassung über genehmigtes Kapital)
T–16
3. Prospekteinreichung bei der BaFin (endgültige Fassung ohne Preisrange)
T–14
Ende Investor Education/„Feedback Presentation“ für Emittentin
T–13
Festlegung und Bekanntgabe Preisspanne (Ad-hoc-Meldung/Pressemitteilung)
313 Vgl. Habersack in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 29 Rz. 29; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.210; Seiler/Singhof in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 21 Rz. 91 ff.; Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 45 BörsG Rz. 9. 314 Vgl. Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG, ABl. L 168, S. 12. Zum ähnlich lautenden Art. 6 EU-Prospektrichtlinie Kunold/Schlitt, BB 2004, 501, 511.
Singhof/Ch. Weber | 153
§ 3 | Börsengang Datum
Maßnahme
T–12
Unterzeichnung Übernahmevertrag/Konsortialvertrag oder „Launch Agreement“ (s. auch unten T–1) Stellung Zulassungsantrag bei der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) Prospektbilligung durch BaFin/Passporting Abgabe Legal Opinions/Disclosure Letters/Comfort Letter Veröffentlichung des Prospekts auf der Homepage der Emittentin
T–11
IPO-Pressekonferenz (vormittags) Beginn Management Roadshow Beginn Bookbuilding
T–2
Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse über Ausnutzung des genehmigten Kapitals oder außerordentliche Hauptversammlung (Beschluss über ordentliche Kapitalerhöhung) Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister (nachmittags)
T–1
Abgabe Legal Opinions/Disclosure Letters/Bring-Down Comfort Letter (ggf. hier Unterzeichnung Übernahmevertrag/Konsortialvertrag) Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister (vormittags) Ende Roadshow/Bookbuilding – Preisfestsetzung und Zuteilung Unterzeichnung Preisfestsetzungsvertrag Ad-hoc-Meldung über den Emissionspreis Börsenzulassung der Aktien durch FWB (nachmittags)
T
Notierungsaufnahme
T+2
Abgabe Legal Opinions/Disclosure Letters/Bring-Down Comfort Letter Settlement
T+30
Ende Stabilisierungszeitraum/Ausübungsfrist Greenshoe
T+42
Ende Research Black-out Periode
154 | Singhof/Ch. Weber
§4 Börsengang (Sonderkonstellationen) A. I. 1. 2.
3.
II. 1.
2.
III. 1. 2. 3.
B. I. II. III. 1. 2.
Dual Track . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschreibung . . . . . . . . . . . . . b) Verbindung von Vor- und Nachteilen . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorteile eines Dual Tracks . bb) Nachteile eines Dual Tracks cc) „Dual Track light“ . . . . . . Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . a) Triple Track . . . . . . . . . . . . . b) Competitive IPO . . . . . . . . . . Durchführung des Dual Tracks . . Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verdeckter und offener Dual Track . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessoptimierung . . . . . . . . aa) Berater . . . . . . . . . . . . . . bb) Due Diligence . . . . . . . . . cc) Dokumentation . . . . . . . . Besonderheiten in der Dokumentation des M&A-Tracks . . . . . . . a) Vertraulichkeitserklärung . . . . . b) Process Letter . . . . . . . . . . . . c) Unternehmens- bzw. Beteiligungskaufvertrag . . . . . . . . . . Entscheidungsfindungsprozess . . Gründe für die Entscheidung zum Verkauf im M&A-Track . . . . . . . Gründe für die Entscheidung zum Börsengang . . . . . . . . . . . . . . . Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahl des „richtigen“ Zeitpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Risiken bei der Wahl des Zeitpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . Spin-Off . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffliche Abgrenzung . . . . . . Umsetzung eines Spin-Offs im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturmerkmale und idealtypischer Ablauf eines Spin-Offs . . . . Vergleich mit anderen Strukturalternativen . . . . . . . . . . . . . . . .
__ __ _ __ __ __ __ _ __ __ _ __ _ __ _ _ _ _ __ __ _ _ _
4.1 4.1 4.1 4.2 4.2
4.3 4.4 4.6 4.8 4.9 4.9 4.10 4.11 4.11 4.11 4.13 4.14 4.16 4.18 4.20 4.21 4.23 4.24 4.25 4.25 4.28 4.31 4.31 4.36 4.45 4.45 4.48 4.53 4.53 4.58
IV. Motive für einen Spin-Off . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . 2. Motive aus Sicht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . 3. Motive aus Sicht der Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalmarktbezogene Motive V. 1. 2. 3.
Vorbereitung eines Spin-Offs Strukturelle Vorüberlegungen Erstellung eines Zeitplans . . . Weitere Vorbereitungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . .
.. .. .. .. .. .. .. .. ..
VI. Wesentliche Aspekte der Durchführung eines Spin-Offs . 1. Gesellschaftsrechtliche Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagenvertrag . . . . . . . . b) Spaltungs- und Übernahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhaltliche Ausgestaltung . bb) Formale Anforderungen . c) Spaltungsbericht . . . . . . . . . d) Spaltungsprüfung (Spaltungsprüfungsbericht) . . . . . . . . . e) Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit eines Wertpapierprospekts nach den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes . 3. Handelsregisteranmeldung und Handelsregistereintragung . . . . . 4. Nachhaftung und Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . .
__ _ __ __ _ _ _ __ __ __ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _
4.61 4.61 4.62 4.66 4.69 4.74 4.75 4.76 4.82 4.83 4.83 4.84 4.87 4.88 4.91 4.94
4.97 4.100 4.104 4.107 4.109
VII. Steuerrechtliche Implikationen eines Spin-Offs . . . . . . . . . . . 4.113 VIII. Angebotsüberhang und Flowback-Management . . . . . . 1. Definition, Signifikanz und Wirkung des Flowbacks bei einem Spin-Off . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positive Transaktionseffekte in Bezug auf die Flowback-Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Negative Transaktionseffekte in Bezug auf die Flowback-Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rolle der Investmentbank beim Flowback-Management . . . . . . .
4.114 4.116 4.119 4.123 4.127
Maassen/Wilczek/Göhring/Borsche/Thurner/Harrer | 155
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track 5. Diskussion einzelner Investorengruppen und Verhaltensmuster bei Spin-Offs . . . . . . . . . . . . . . 6. Wesentliche Maßnahmen des Flowback-Managements . . . . . . . a) Präventive Maßnahmen zur Reduktion des Angebotsüberhangs b) Reaktive Maßnahmen zur Steuerung eines Angebotsüberhangs . aa) Teilweiser Rückkauf der Aktien durch die Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . bb) Einstieg eines strategischen Investors . . . . . . . . . . . . . cc) „Reverse Bookbuilding“ als geordnetes Abwickeln von (Über-)Angebot und Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . .
_ _ _ _ _ _ _ _ __ __ _
4.131 4.133 4.133 4.135 4.136 4.137
4.138
C. Special Purpose Acquisition Company (SPAC) . . . . . . . . . . . 4.155 I. 1. 2. 3. 4.
Einführung . . . . . . . . . Begriff . . . . . . . . . . . . . Der Markt für SPACs . . . Typische Ausgestaltungen Lebenszyklus eines SPACs
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
4.155 4.155 4.156 4.157 4.160
II. Kapitalmarktrechtliche Aspekte 1. Auswahl der Wertpapierbörse . . 2. Marktsegmente der Wertpapierbörsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertpapiere (Units) . . . . . . . . . 4. Wertpapierprospekt . . . . . . . . . a) Prospektbilligung oder Notifizierung . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertpapierprospekt . . . . . . . 5. Mindestexistenz . . . . . . . . . . . 6. Übernahmerecht . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Gesellschaftsrechtliche Aspekte . Hauptversammlung . . . . . . . . . Mindestnennbetrag . . . . . . . . . Selbständige Optionsrechte . . . . Aktienrückerwerb . . . . . . . . . . Auflösung/Liquidation . . . . . . . Fehlende Attraktivität von Unternehmen mit Sitz in Deutschland .
__ __ _ __ __ __ __ __ _ _ _ _
. 4.162 . 4.162 . 4.164 . 4.167 . 4.169 . . . . . . . . . .
4.169 4.170 4.175 4.177 4.178 4.180 4.181 4.182 4.185 4.187
. 4.189
IV. Steuerrechtliche Aspekte . . . . . . 4.190 V. US-amerikanische Aspekte . . . . . 4.192 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . 4.194
A. Dual Track Schrifttum: Diehl/Bozicevic, Dual Track-Prozesse – Die bevorzugte Exit-Alternative für Finanzinvestoren, AG 2006, R493; Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012; Feldhaus/Veith, Frankfurter Kommentar zu Private Equity, 2009; Geyrhalter/Zirnbigl/Strehle, Haftungsrisiken aus dem Scheitern von Vertragsverhandlungen bei M&A-Transaktionen, DStR 2006, 1559; Gran, Abläufe bei Mergers & Acquisitions, NJW 2008, 1403; Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015; Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, 2010; Krüger/Pape, Managementgarantien in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 870; Menke, „Dual Track“ – das neue Zauberwort im Private Equity, M&A Review Mai 2005; C. Schäfer, Prospekthaftung bei öffentlicher Umplatzierung von Aktien, ZIP 2010, 1877; Schlitt, Die öffentliche Umplatzierung von Aktien, CFL 2010, 304; Schlitt/Grüning, Exit von Private Equity Investoren über die Börse, CFL 2010, 68; Seibt/Wunsch, Managementgarantien bei M&A-Transaktionen, ZIP 2008, 1093; Thomas, Unternehmensverkauf im Dual Track-Verfahren – Eine spieltheoretische Betrachtung, FB 2009, 30; Weber, Dual track and competitive IPOs, Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SE-CA) Yearbook 2007, 77; Werder/König, Rechtliche, steuerliche und praktische Aspekte eines „Dual Track-Exits“ durch einen LBO-Fund, CFL 2011, 241.
I. Überblick 1. Allgemeines
4.1
Dual Track bezeichnet eine besondere Transaktionsform, bei der zeitgleich eine Aktienplatzierung und eine M&A-Transaktion zum Verkauf eines Unternehmens oder großer Anteils156 | Maassen/Wilczek/Göhring/Borsche/Thurner/Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
pakete vorbereitet werden1. Sowohl ein Börsengang als auch eine Platzierung von Aktien eines bereits börsennotierten Unternehmens können in einen Dual Track-Prozess integriert werden. Die Entscheidung, auf welchem Weg der Verkauf erfolgen soll, wird im Laufe einer solchen parallelen Vorbereitung unter Berücksichtigung der Angebotssituation und der aktuellen Marktgegebenheiten getroffen. Wesentliche Ziele des Dual Track-Verfahrens sind die Erhöhung der Transaktionssicherheit und die Maximierung des Verkaufserlöses. 2. Zweck a) Beschreibung Ein Dual Track wird zumeist von einem Finanzinvestor oder einem strategischen Investor initiiert. Für einen Finanzinvestor ist ein Investment grundsätzlich temporär angelegt, das er nach Zeitablauf mit möglichst hoher Wertsteigerung erfolgreich monetarisieren will2. Für einen solchen Ausstieg (exit) sind grundsätzlich zwei Optionen möglich, die bei einem Dual Track miteinander verbunden und parallel vorbereitet werden. Zum einen kann der Ausstieg eines Finanzinvestors durch den Verkauf seiner Anteile an einem Portfoliounternehmen an einen strategischen Investor (trade sale) oder an einen Finanzinvestor (secondary buy out) erfolgen. Zum anderen kann der Investor seine Anteile an dem Unternehmen im Rahmen eines Börsengangs (IPO – initial public offering) oder, sofern das Unternehmen bereits börsennotiert ist, im Rahmen eines öffentlichen Angebots (SPO – secondary public offering) veräußern, wobei Letzteres in der Praxis selten ist. Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren sich auf den Dual Track im Zusammenhang mit einem Börsengang. Die Verbindung beider Ausstiegswege setzt allerdings voraus, dass sowohl die Kapitalmärkte aufnahmebereit sind als auch eine realistische Chance für eine M&A-Lösung besteht3.
4.2
b) Verbindung von Vor- und Nachteilen Ein Dual Track zielt darauf ab, größtmögliche Transaktionssicherheit zu haben und einen maximalen Verkaufserlös zu erzielen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kombination der beiden Ausstiegsvarianten naturgemäß die Komplexität des Verkaufsprozesses, die Beanspruchung des Managements und damit die Kosten des Verfahrens maßgeblich erhöht.
4.3
aa) Vorteile eines Dual Tracks Das Dual Track-Verfahren bringt durch die parallele Vorbereitung zweier alternativer Ausstiegsvarianten insbesondere eine wesentlich höhere Flexibilität mit sich. Durch die tendenziell späte Entscheidung, sich auf einen der beiden Tracks zu fokussieren, besteht 1 Beispiele sind die Dual Track-Börsengänge der Praktiker AG (2005), MTU AG (2007), Tognum AG (2007), HHLA AG (2007), Versatel AG (2007), Kabel Deutschland AG (2010), Norma Group (2011), SHW (2011), Verkauf als Dual Track von Europcar (2006), ista Deutschland GmbH (2007), Evonik AG (2008), Unitymedia GmbH (2009), Takko Holding GmbH (2010), Kabel BW GmbH (2011), WMF AG (2012), Grohe (2013), Springer Science & Business Media AG (2013), Douglas (2015), Armacell (2015), BSN Medical (2016) und Office First (2016). 2 Die Haltedauer beträgt i.d.R. zwischen 3 und 7 Jahren; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 1; Weinheimer in Hölters, Hdb. Unternehmenskauf, 8. Aufl. 2015, Rz. 12.116; Feldhaus in Feldhaus/Veith, Frankfurter Komm. Private Equity, 2009, Kap. 1 Rz. 289 (Haltedauer von 5–8 Jahren). 3 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 74.
Maassen/Wilczek | 157
4.4
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track
auch bei mangelnder Nachfrage auf der M&A- oder der Kapitalmarktseite die Möglichkeit, die Transaktion selbst unter erschwerten Voraussetzungen erfolgreich zu Ende zu führen4. Dies reduziert z.B. die Abhängigkeit von den Kapitalmarktverhältnissen und einem möglicherweise geringen Kreis von möglichen Kaufinteressenten auf der M&A-Seite. Somit trägt ein Dual Track-Verfahren zum gewünschten Ziel der erhöhten Transaktionssicherheit bei5.
4.5
Ein weiterer Vorteil besteht in der besseren Verhandlungsposition gegenüber den Investoren aufgrund der Möglichkeit eines Hinweises auf den jeweils anderen Track6. Denn durch das Offenhalten mehrerer Exit-Optionen kann der verkaufende Aktionär auf mögliche Kaufinteressenten Druck ausüben7. Die Offenlegung, dass ein Dual Track durchgeführt wird, führt in der Regel zu Wettbewerb zwischen den verschiedenen Investorengruppen, was sich positiv auf den erzielbaren Preis und ggf. auch für nicht erlösrelevante Zugeständnisse (z.B. Standort- und Beschäftigungszusagen) auswirken kann8. Denn mögliche Kaufinteressenten müssen befürchten, dass im Fall eines erfolgreichen IPOs das Unternehmen nur noch durch ein öffentliches Übernahmeangebot erworben werden kann. Die Kosten einer nachträglichen Übernahme sind indes deutlich höher anzunehmen9, so dass sich der Druck auf die Kaufinteressenten erhöht10. bb) Nachteile eines Dual Tracks
4.6
Ein wesentlicher Nachteil des Dual Track-Prozesses besteht indessen in der hohen Komplexität, die der Parallellauf der Verfahren mit sich bringt11. So muss das Management der Gesellschaft u.a. verschiedene Präsentationen für die beiden Tracks erstellen, die Due Diligence und Unternehmensbewertung begleiten sowie an Verkaufsverhandlungen mitwirken12. Die hierdurch gebundenen Ressourcen stehen nicht mehr für die (erfolgreiche) Fortführung des operativen Tagesgeschäfts zur Verfügung. Die Komplexität wird noch gesteigert, wenn der M&A-Prozess wie häufig als kompetitives Auktionsverfahren mit mehreren Kaufinteressenten strukturiert ist13.
4.7
Außerdem werden durch den Parallellauf beider Prozesse erhebliche Kosten verursacht, die letztlich i.d.R. nur bei größeren Transaktionen mit einer realistischen Chance der Umsetzung eines jeden einzelnen Tracks gerechtfertigt sind14. 4 König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 33; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.3; Weber in Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SE-CA) Yearbook 2007, 77; vgl. auch Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 33. 5 König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 33. 6 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.3.3. 7 Werder/König, CFL 2011, 241, 242. 8 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.2.2. 9 Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493. 10 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 78. 11 Zu den Vor- und Nachteilen auch Feldhaus in Feldhaus/Veith, Frankfurter Komm. Private Equity, 2009, Kap. 1 Rz. 290; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 74; König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 33 ff.; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493. 12 Werder/König, CFL 2011, 241, 244. 13 Weber in Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SE-CA) Yearbook 2007, 80; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 78. 14 Vgl. dazu Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493; Menke, M&A Review, Mai 2005, Standpunkt; Weber in Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SE-CA) Yearbook, 2007, 79.
158 | Maassen/Wilczek
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
cc) „Dual Track light“ Vor dem Hintergrund des erhöhten Zeit- und Kostenaufwands durch die parallele Vorbereitung beider Verfahren kann alternativ der M&A-Track gegenüber dem IPO-Verfahren zeitlich zurückgestellt werden. Dabei wird zu Beginn kein formaler Verkaufsprozess in Form eines Auktionsverfahrens aufgesetzt, sondern es werden im weiteren Verlauf nur „opportunistisch“ Angebote von möglichen Kaufinteressenten eingeholt15. Die Kaufinteressenten erhalten in diesem Fall i.d.R. nur Unterlagen, die auch den Emissionsbanken für die Abgabe ihres Angebots zur Begleitung des Börsengangs zur Verfügung stehen, anstatt eigens einen Vendor Due Diligence Report und ein umfangreiches Informationsmemorandum für den M&A-Track zu erstellen16.
4.8
3. Abgrenzung a) Triple Track Neben dem Dual Track ist die Gestaltung als sog. Triple Track möglich, bei dem zusätzlich zu den genannten Verfahren die Refinanzierung der Eigenkapital-Beteiligung des verkaufswilligen Investors vorbereitet wird. Sollten sowohl der M&A-Prozess als auch der IPO-Prozess scheitern, kann über die fremdfinanzierte Rückführung von Eigenkapital bereits vor dem eigentlichen Exit der Wertzuwachs des Unternehmens teilweise realisiert und zumindest ein partieller „wirtschaftlicher“ Exit erzielt werden17. Ob ein Triple Track sinnvoll ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (insbesondere den Bedingungen der bestehenden Finanzierung sowie von gesellschafts- und steuerrechtlichen Aspekten). Dabei ist auch zu beachten, inwiefern die Vorbereitung eines dritten Tracks das Management der Gesellschaft zusätzlich belastet und sich die Komplexität gegenüber einem Dual Track weiter erhöht18.
4.9
b) Competitive IPO In der Literatur finden sich darüber hinaus Überlegungen zu einem sog. Competitive IPO, bei dem nicht ein Verkaufsprozess parallel vorbereitet wird, sondern nur der IPO und eine Preisoptimierung durch Wettbewerb zwischen den Konsortialbanken betrieben wird. Ein solcher Wettbewerb könnte durch einen auktionsähnlichen Prozess bei der Auswahl der Emissionsbanken geschaffen werden19. Ein solcher kompetitiver Prozess zum späten Zeitpunkt der Preisfestsetzung kommt beim IPO in der Praxis praktisch nicht vor.
15 16 17 18
Werder/König, CFL 2011, 241, 243. Werder/König, CFL 2011, 241, 243. Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 2. Zu der Möglichkeit der Vorbereitung eines sog. Leveraged Recaps (leveraged recapitalisation) parallel zur Vorbereitung von IPO- und M&A-Transaktion vgl. Werder/König, CFL 2011, 241, 242, Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 2. 19 Dazu Weber in Swiss Private Equity & Corporate Finance Association (SE CA) Yearbook 2007, 77.
Maassen/Wilczek | 159
4.10
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track
II. Durchführung des Dual Tracks 1. Ablauf a) Verdeckter und offener Dual Track
4.11 Der Dual Track-Prozess kann sowohl als verdeckter als auch als offener Prozess ausgestal-
tet werden. Beim verdeckten Dual Track (hidden dual track) wissen ein Großteil der an der Vorbereitung des M&A-Tracks und des IPO-Prozesses beteiligten Personen nicht von dem parallel laufenden anderen Track. Alternativ wird lediglich den an der Vorbereitung des M&A-Prozesses Beteiligten sowie den dort angesprochenen Investoren kommuniziert, dass parallel ein IPO vorbereitet wird. Diese (partielle) Offenlegung reduziert zum einen das Risiko des Verkäufers, bei einer Absage des M&A-Prozesses aufgrund von Verletzung von Pflichten aus dem durch die Aufnahme von konkreten Vertragsverhandlungen begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB) von den Kaufinteressenten auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden, da kein schutzwürdiges Vertrauen vorliegt20. Zum anderen kann allein auf Grundlage dieser Offenlegung ein Wettbewerb zum IPO-Track geschaffen und damit der potentielle Verkaufserlös maximiert werden. Dem steht der mögliche Nachteil gegenüber, dass je nach zeitlicher Taktung die Nachricht über den Abbruch des IPO-Tracks nach Entscheidung für den M&A-Track etwaig noch laufende Preisverhandlungen negativ beeinflussen kann21. Für eine vollständige Offenlegung des Dual Tracks gegenüber allen Beteiligten spricht, dass ein Abbruch des IPO-Prozesses ohne vorherige Kommunikation des parallel geführten M&A-Prozesses zu Verstimmungen der im Zuge der IPO-Vorbereitung angesprochenen Investoren führen kann, so dass diese sich künftigen IPO-Vorhaben möglicherweise weniger aufgeschlossen zeigen.
4.12 Auch bei grundsätzlicher Transparenz innerhalb des Kreises der Beteiligten besteht nicht
immer Kenntnis über die Einzelheiten und offengelegten Informationen des jeweils anderen Tracks. Insbesondere kann es sich empfehlen, indikative Angebote von Kaufinteressenten sowie vorläufige Einschätzungen von angesprochenen Investoren für die Preisfestsetzung im IPO nicht den Beteiligten im anderen Track zu früh bekannt zu geben, um eine vorzeitige Fokussierung auf einen der beiden Tracks zu vermeiden22. Ansonsten könnte bereits vor der eigentlichen Entscheidungsfindung einem Track verfrüht der Vorzug gewährt werden und dabei ein wesentliches Ziel des Dual Track-Verfahrens, nämlich die Maximierung des Verkaufserlöses, nicht erreicht werden. b) Prozessoptimierung
4.13 Um den komplexen Prozess eines Dual Tracks zu optimieren, sind sowohl der zeitliche Ablauf als auch die einzelnen Prozessschritte ideal aufeinander abzustimmen. aa) Berater
4.14 Die Steuerung des Dual Track-Prozesses übernehmen zumeist eine oder mehrere Invest-
mentbanken. Häufig agieren diese Investmentbanken gleichzeitig als Konsortialführer des möglichen IPOs und übernehmen, insbesondere im offenen Dual Track, auch die Koor-
20 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.3.2; s. auch Geyrhalter/Zirnbigl/Strehle, DStR 2006, 1559, 1562. 21 Diehl, Going Public 2006, 66, 67. 22 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.2.
160 | Maassen/Wilczek
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
dination des M&A-Prozesses23. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt darin, durch Teams mit unterschiedlichem Fokus eine intensive Durchleuchtung des Unternehmens zu ermöglichen, gleichzeitig den Koordinationsaufwand zwischen den Beteiligten möglichst gering zu halten und Synergien zwischen den beiden Tracks zu maximieren24. Es kommt aber auch vor, dass beide Prozesse von verschiedenen Beteiligten betreut oder die Aufgaben zwischen Finanzberatern und Investmentbanken aufgeteilt werden, um den Wettbewerb sowie Erfolgs- und Zeitdruck der Beteiligten zusätzlich zu steigern. Zur Vermeidung eines ungewünschten Informationsaustauschs kann es sich bei einem verdeckten Verfahren unter Umständen empfehlen, bei den Investmentbanken, die an beiden Tracks beteiligt sind, sog. „Chinese Walls“ zu errichten, die eine grundsätzliche Trennung der für den jeweiligen Prozess tätigen Teams gewährleisten. Allerdings ist dies nicht der Regelfall, und eine vollständige Trennung ist im Hinblick auf die Optimierung des Prozesses i.d.R auch nicht sinnvoll. Vielmehr wird zumeist ein Lenkungsausschuss (steering commitee) gebildet, der die übergeordnete Koordination übernimmt und durch seine Zusammensetzung gewährleistet, dass Informationen über beide Tracks nur einem kleinen Kreis von Personen zugänglich gemacht werden25.
4.15
bb) Due Diligence Sowohl für Zwecke des M&A-Prozesses als auch zur Vorbereitung des IPOs ist ein Datenraum (dataroom) zur Durchführung der Due Diligence26 (im M&A-Prozess insbesondere bei Auktionsverfahren durch den Verkäufer (vendor due diligence) oder durch den potenziellen Erwerber (buy side due diligence), im IPO-Prozess durch die Konsortialbanken und Berater der Banken und des Emittenten) zusammen zu stellen27. Bei den Datenräumen handelt es sich zumeist um eine elektronische Dokumentensammlung (electronic oder virtual data room). Vom Ausgangspunkt her empfiehlt sich, den Datenraum für beide Tracks gleich auszustatten, um auf gleicher Informationsgrundlage vergleichbare Preisindikationen für beide Tracks zu erhalten28. Allerdings sind bestimmte Einschränkungen zu berücksichtigen. So kann der Nutzung identischer Datenräume entgegenstehen, dass im M&AProzess (auch) Wettbewerber der Gesellschaft angesprochen werden, denen Geschäftsgeheimnisse zunächst nicht zugänglich gemacht werden sollen. Eine gestaffelte Bereitstellung der vorhandenen Informationen nach ihrer Bedeutung und Sensibilität hilft in solchen Situationen weiter29. Im Falle eines elektronischen Datenraums erhalten die Wettbewerber und ihre Berater dann nur für einen Teilbereich der gesamten Datenmenge eine Zugangsberechtigung, während für den IPO-Track sämtliche Dokumente einsehbar sind30. Bei der M&A-Transaktion kann eine Risikoallokation im Hinblick auf fehlende Informationen ggf. 23 König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 35; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493, R494. 24 Diehl, Going Public 2006, 66. 25 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.4; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493, R494. 26 Ausführlich zur Due Diligence s. § 33. 27 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3. 28 König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 34; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76. 29 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3; dazu auch Rz. 33.39. 30 Vgl. Werder/König, CFL 2011, 241, 250; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3.
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4.16
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track
über umfangreiche Gewährleistungen im Kaufvertrag oder über den Kaufpreis erfolgen. Dagegen sind Umfang und Inhalt der Due Diligence der Konsortialbanken beim IPO angesichts der möglichen Haftung für einen unrichtigen oder unvollständigen Prospekt (§ 21 ff. WpPG) in der Praxis nicht abdingbar; bei fehlerhaftem Prospekt haften die Banken, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht gekannt haben und diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (sog. Due Diligence Defense)31.
4.17 Umgekehrt ist darauf zu achten, dass Kaufinteressenten im M&A-Prozess möglichst keine
weitergehenden Informationen erhalten als die später im IPO-Prospekt enthaltenen. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 WpPG müssen alle wesentlichen Informationen, die Investoren mitgeteilt werden, in den Prospekt bzw. einen Nachtrag aufgenommen werden. Als problematisch erweisen sich insbesondere Informationen über die zukünftige geschäftliche Entwicklung des Unternehmens wie Business-Pläne. Sie werden üblicherweise nicht in den Prospekt aufgenommen, da sie als reine Planzahlen grundsätzlich keine wesentlichen Tatsachen darstellen und ihre Aufnahme das Prospekthaftungsrisiko (unnötig) erhöhen würde32. Um Gewinnprognosen in den Prospekt aufnehmen zu können, muss die ordnungsgemäße Erstellung von den Wirtschaftsprüfern der Gesellschaft bestätigt werden. Erhalten die Kaufinteressenten im M&A-Prozess gleichwohl aus wirtschaftlichen Erwägungen solche Informationen, sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass sie keine Möglichkeit zur Zeichnung von Aktien im Zuge des IPOs erhalten, sollte letztlich die Entscheidung zu Gunsten des IPOTracks ausfallen; andernfalls könnte nach § 15 Abs. 5 WpPG die Verpflichtung bestehen, den Informationsvorsprung durch Veröffentlichung eines Nachtrags zum Prospekt auszugleichen33. Dies sollte außerdem durch eine Standstill-Vereinbarung in den Vereinbarungen mit den M&A Investoren vertraglich abgesichert werden (s. Rz. 4.22). cc) Dokumentation
4.18 Bei der Erstellung der Verkaufsunterlagen und Dokumentation für beide Tracks lassen sich
Synergiepotentiale nutzen. So können Teile des Informationsmemorandums für den M&ATrack Grundlage für die Darstellung im Wertpapierprospekt sein und umgekehrt. Allerdings ist die stärker werbende Zielsetzung des Informationsmemorandums bei der Erstellung des eher rechtlich determinierten Prospektinhalts zu berücksichtigen34. Eine unreflektierte Übernahme der Darstellung im Informationsmemorandum verbietet sich daher. Gleichzeitig sollten Widersprüche zwischen beiden Dokumenten vermieden werden, um im Falle eines Börsengangs dem Einwand zu entgehen, der Prospekt sei unrichtig oder unvollständig35.
4.19 Ebenso kann die für den M&A-Prozess erstellte Management-Präsentation in vielen Teilen auch Grundlage der bei einem IPO benötigten Analysten-Präsentation sein36. Beide
31 Zu unterschiedlichem Zweck und Umfang der IPO Due Diligence Werder/König, CFL 2011, 241, 249. 32 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76; S. Schäfer/Ernst in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2012, § 7 Rz. 21; ähnlich Meyer in Berrar/Schnorbus/Meyer, FK-WpPG, 2. Aufl. 2017, § 5 Rz. 27. 33 Werder/König, CFL 2011, 241, 247. 34 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3. 35 S. auch Rz. 4.17; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.1.3. 36 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
Präsentationen beinhalten die wesentlichen Vorzüge des Unternehmens mit Erläuterungen des Managements und überschneiden sich inhaltlich stark. In Ergänzung zu der Analysten-Präsentation enthält die Management-Präsentation für den M&A-Track üblicherweise eine detaillierte Diskussion des Business-Plans. 2. Besonderheiten in der Dokumentation des M&A-Tracks Bedingt durch die zweigleisige Vorbereitung und dem damit notwendigerweise verbundenen Abbruch eines der beiden Tracks im weiteren Verlauf sind besondere vertragliche Vereinbarungen in der Dokumentation unabdingbar. Insbesondere in der Vertraulichkeitsvereinbarung, dem Process Letter und dem Kaufvertrag sind die Besonderheiten des Dual Track-Verfahrens zu reflektieren.
4.20
a) Vertraulichkeitserklärung Die Kaufinteressenten verpflichten sich zu Beginn des M&A-Tracks zur Vertraulichkeit37. Von der Vertraulichkeitserklärung sind alle im Zuge der Vorbereitung des Verkaufs zur Verfügung gestellten Informationen umfasst. Dazu zählen insbesondere das Informationsmemorandum, Informationen aus der Management-Präsentation, etwaige Vendor Due Diligence Reports und die zur Verfügung gestellten Unterlagen im Datenraum.
4.21
Die Vertraulichkeitserklärung enthält auch den Hinweis auf das Verbot von Insidergeschäften nach der MAR (Art. 14 lit. a VO Nr. 596/2014), das mit Fortschreiten der IPO-Vorbereitung Anwendung findet (sofern es nicht aufgrund von börsennotierten anderen Wertpapieren von Gesellschaft oder Konzerngesellschaften bereits vorher gilt), da nicht auszuschließen ist, dass bestimmte, im M&A-Track offen gelegte Informationen – wie z.B. Informationen zum Business-Plan – als Insiderinformation zu qualifizieren sind38. Die Vertraulichkeitsvereinbarung enthält außerdem i.d.R. eine sog. Standstill-Vereinbarung, wonach sich der Kaufinteressent für eine bestimmte Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Verkaufsprozess oder dessen Absage dazu verpflichtet, keine Käufe oder Verkäufe in Aktien der Gesellschaft vorzunehmen (d.h. auch nicht an einem möglichen IPO zu partizipieren)39.
4.22
b) Process Letter Neben der Vertraulichkeitsvereinbarung wird bei der Durchführung eines kompetitiven Auktionsverfahrens unter den Kaufinteressenten ein Prozessbrief (process letter) erstellt, der das vorgesehene Verfahren und den Zeitplan für die M&A-Transaktion beschreibt40. Aus Sicht des verkaufenden Aktionärs und zur Vermeidung von Haftungsansprüchen ist es wichtig, dass er sich im Process Letter (und ggf. auch bereits in der Vertraulichkeits37 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.43; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.1; Gran, NJW 2008, 1409, 1410. 38 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.1; vgl. dazu Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.32. 39 Zur Notwendigkeit einer solchen Vereinbarung s. Rz. 4.17; Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 77; vgl. auch Werder/König, CFL 2011, 241, 247 („ein Zeitraum von 6 Monaten ist ausreichend“); Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.1. 40 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.1.
Maassen/Wilczek | 163
4.23
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track
vereinbarung) jederzeitige Änderungen des Verfahrensablaufs, des Zeitplans und auch die völlige Absage des Verkaufs vorbehält41. Andernfalls könnte ein Kaufinteressent nach Abbruch des M&A-Tracks Schadensersatzansprüche nach culpa in contrahendo geltend machen (§ 311 Abs. 2 BGB), wenn er im berechtigten Vertrauen auf das Zustandekommen der Transaktion Aufwendungen getätigt hat. Eine vergleichbare Regelung sollten die Gesellschaft und der verkaufende Aktionär auch mit den Konsortialbanken treffen, z.B. im Mandatsbrief oder bereits in der Vertraulichkeitsvereinbarung. c) Unternehmens- bzw. Beteiligungskaufvertrag
4.24 Bei einer Entscheidung zugunsten des M&A-Tracks wird außerdem ein Unternehmens-
bzw. Beteiligungskaufvertrag mit dem Erwerber geschlossen. Bei diesem wird bisweilen eine Kaufpreisanpassungsklausel für den Fall eines später erfolgenden Börsengangs diskutiert. Sie verpflichtet den Erwerber, den Verkäufer an einem etwaigen höheren Mehrerlös im Fall eines Börsengangs der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Frist partizipieren zu lassen42. So soll der erhöhte Aufwand des Dual Track-Verfahrens kompensiert werden43 und zudem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch das Dual Track-Verfahren bereits die Grundlage für einen späteren Börsengang gelegt wurde, auf die der Erwerber zurück greifen kann.
III. Entscheidungsfindungsprozess 1. Gründe für die Entscheidung zum Verkauf im M&A-Track
4.25 Aus Sicht des Verkäufers ist die Durchführung eines Trade Sales oder Secondary Buy-Outs
in besonderem Maße attraktiv, wenn er primär an einer vollständigen Lösung von seiner Beteiligung interessiert ist. Preislich ist dem M&A-Track i.d.R. der Vorzug zu geben, wenn ein Aufschlag (premium) auf den anhand eines Vergleichs mit den Wettbewerbern (peer group) festgestellten aktuellen Unternehmenswert erzielt werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein strategischer Investor die Anteile erwirbt und ein hohes Interesse hat, sein Unternehmen durch den Zuerwerb des Portfoliounternehmens produktund technologiemäßig zu arrondieren44. Anders als im IPO-Prozess kann allerdings ein treuhänderischer Kaufpreiseinbehalt erforderlich sein, um mögliche Ansprüche des Käufers zu sichern.
4.26 Aus Sicht der Gesellschaft kann die M&A-Lösung vorteilhaft erscheinen, wenn der Kauf-
interessent ein strategischer Investor ist, so dass Synergien und möglicherweise auch Skalierungseffekte durch die Kombination beider Unternehmen geschaffen werden können45. Allerdings spricht aus Gesellschaftssicht vor allem bei einem Secondary Buy-Out die mögliche Erhöhung ihrer Verschuldung aus einer erneuten Finanzierungsrunde, für die die Mitwirkung der finanzierenden Banken gesichert werden muss, gegen die M&A-Lösung46.
Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.2. S. dazu Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.3. Dazu Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.2.3. Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 75. Vgl. dazu auch Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.2. 46 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 75. 41 42 43 44 45
164 | Maassen/Wilczek
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
Dem gegenüber besteht für das Management im Rahmen eines Verkaufs im M&A-Prozess häufig die Chance, sich zu attraktiven Konditionen am Unternehmen zu beteiligen47. Je nachdem, welche Garantien des Managements (management warranties) von Seiten des Erwerbers verlangt werden, kann ein Verkauf jedoch auch nachteilig erscheinen48.
4.27
2. Gründe für die Entscheidung zum Börsengang Aus Sicht des verkaufenden Aktionärs setzt ein Börsengang voraus, dass er bereit ist, entsprechend der Markterwartung zunächst einen substanziellen Anteil an der Gesellschaft zu behalten und diesen nach näherer Maßgabe einer Lock up-Vereinbarung zunächst nicht zu veräußern49. Das durch den IPO dokumentierte Vertrauen des verkaufenden Aktionärs auf eine spätere Wertsteigerung kann sich, sofern er nach dem IPO noch wesentlich an dem Unternehmen beteiligt bleibt, positiv auf den erzielbaren Preis auswirken50. Preislich kann allerdings gegen einen Börsengang sprechen, dass der veräußernde Aktionär das Marktrisiko trägt und der Angebotspreis häufig zumeist etwas unter dem aktuellen fairen Unternehmenswert liegt. Ein solcher „IPO Discount“ ist zumeist erforderlich, um der nicht vorhandenen Kapitalmarkthistorie des Emittenten Rechnung zu tragen sowie Investoren Zuversicht in Bezug auf eine angemessene Sekundärmarkt-Performance der Aktie zu geben51. Dem steht wiederum gegenüber, dass der veräußernde Aktionär bei einer sukzessiven Abgabe seiner Anteile u.U. auch von einem möglicherweise später gestiegenen Börsenkurs profitieren kann. Aus Sicht des veräußernden Aktionärs ist auch das Prospekthaftungsrisiko zu bedenken52.
4.28
Für die Gesellschaft bietet sich ein Börsengang an, wenn sie neben dem Verkauf ihrer Anteile durch einen Investor ihrerseits weiterer Finanzmittel bedarf. Sie kann in diesem Fall durch das Angebot neuer Aktien ihr Kapital erhöhen und sich zugleich den Zugang zum Kapitalmarkt für künftige Finanzierungen eröffnen53. Weiter bringt ein Börsengang für die Gesellschaft den Vorteil mit sich, dass ihre Aktien künftig breiter gestreut sind. Dadurch kann das Unternehmen eigenständiges Profil gewinnen und eine größere Unabhängigkeit von den Anteilseignern erlangen, statt wie bei einem Trade Sale in einem anderen Konzern aufzugehen. Aufgrund der kapitalmarktrechtlichen Transparenzvorschriften kann zudem das Vertrauen von Investoren gewonnen und dadurch auch das operative Geschäft gestärkt werden54. Ein börsennotiertes Unternehmen ist zudem häufig generell at-
4.29
47 Ellrott in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 1 Rz. 4, I Rz. 24; vgl. auch Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.1.2; Seibt/Wunsch, ZIP 2008, 1093, 1094. 48 Ellrott in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 1 Rz. 31; Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.2; zu den Managementgarantien auch Seibt/Wunsch, ZIP 2008, 1093; Krüger/Pape, NZI 2009, 870. 49 Ellrott in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 1 Rz. 2; Feldhaus in Feldhaus/Veith, Frankfurter Komm. Private Equity, 2009, Kap. 1 Rz. 292. Die Dauer des Veräußerungsverbots variiert, häufig sind es sechs Monate, es werden aber bei bestimmten Eigentümerkonstellationen auch längere Lock-ups vereinbart. 50 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 78. 51 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.3.2. 52 Vgl. dazu BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, AG 2011, 548; Arbeitskreis Deutsche Telekom IIIUrteil, CFL 2011, 377 ff.; Schlitt, CFL 2010, 304 ff.; Werder/König, CFL 2011, 241, 247; C. Schäfer, ZIP 2010, 1877. 53 Schlitt/Ries in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 16, 2. 54 Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.2.
Maassen/Wilczek | 165
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track
traktiv für qualifizierte Mitarbeiter, und kann zur Incentivierung der Mitarbeiter ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm anbieten. Dem steht eine mögliche Volatilität des Kapitalmarkts und die Kosten und der Aufwand für die Einhaltung der Zulassungsfolgepflichten entgegen55. Zu beachten ist außerdem, dass sich durch einen eventuell zu bewirkenden Formwechsel der Gesellschaft sowie eine etwaige Umstellung des Rechnungswesens auf internationale Rechungslegungsstandards (IFRS) der Zeit- und Kostenaufwand für die Transaktion zusätzlich erhöht.
4.30 Aus Sicht des Managements wird die mit einem Börsengang regelmäßig schon aufgrund
des größeren Aktionärskreises verbundene stärkere Unabhängigkeit bei der Geschäftsführung attraktiv erscheinen. Außerdem unterliegt das Management nach dem regelmäßig erfolgenden Formwechsel in eine Aktiengesellschaft, anders als noch als Geschäftsführer einer GmbH (§ 37 Abs. 1 GmbHG), aufgrund der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung nicht mehr den Weisungen der Gesellschafterversammlung; vielmehr leitet der Vorstand einer AG die Geschäfte eigenverantwortlich (§ 76 Abs. 1 AktG). Zudem wird die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens erhöht und möglicherweise das Standing, auch des Managements, im Markt verbessert56. 3. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt a) Wahl des „richtigen“ Zeitpunktes
4.31 Die Entscheidung, welcher der beiden Tracks letztlich durchgeführt werden soll, wird ten-
denziell möglichst weit hinausgeschoben, der Zeitpunkt ist aber einzelfallabhängig und bestimmt sich aufgrund des Verlaufs des M&A-Tracks bzw. der Verhältnisse am Kapitalmarkt. Je weiter der Prozess fortgeschritten ist, desto eher können die Beteiligten ein verlässliches Gefühl für die Unternehmensbewertung durch interessierte Investoren gewinnen und sich bis zum letztmöglichen Zeitpunkt die Flexibilität des Dual Tracks bewahren57. Abzuwägen sind dagegen der erhöhte Aufwand für das Management und die damit verbundene Auslastung der Ressourcen sowie die Frage, inwieweit sich die Transaktionskosten mit weiterem Zeitfortschritt erhöhen. Zudem ist zu beachten, dass sich die Prozesse nach Abschluss der Due Diligence voneinander entfernen und der IPO-Track zeitlich nicht nach Belieben gestreckt oder verkürzt werden kann, da ein beliebiges Verschieben des Emissionszeitpunktes im Hinblick auf die Fristen für die Einreichung und Prüfung des Prospekts und insbesondere darin aufzunehmende Finanzzahlen nicht möglich ist58. Die zeitliche Orientierung findet daher i.d.R. eng am IPO-Track statt, was auch bei der Disziplinierung aller Beteiligten helfen kann.
4.32 Sofern sich die Argumente für und gegen die einzelnen Tracks bereits relativ früh erkennen
lassen, kann der passende Entscheidungszeitpunkt nach der ersten Investorenansprache in Early Investor Meetings oder späterem Pilot Fishing sein, wenn die Equity Story eine erste Validierung durch den Markt erfahren hat, auf deren Grundlage erste Preiserwartungen abgeleitet werden können. Dies kann zeitlich so gestaltet werden, dass auch indikative Angebote (non-binding/indicative offers) möglicher Kaufinteressenten im M&A-Track vorliegen, so dass eine erste Gegenüberstellung der Preisvorstellungen erfolgen kann.
55 56 57 58
Simmat/Schneider in Schlitt/Grüning, CFL Schlitt/Grüning, CFL Schlitt/Grüning, CFL
Jesch/Striegel/Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 3.2. 2010, 68, 78. 2010, 68, 76; vgl. auch Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 33. 2010, 68, 77.
166 | Maassen/Wilczek
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Dual Track | § 4
Ein weiterer maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt wird häufig dann vorliegen, wenn die Finanzanalysen (research reports) der Konsortialbanken vorliegen, aber bevor diese an Investoren verteilt werden und die Gesellschaft ihre Absicht zum Börsengang ankündigt hat (intention to float, ITF)59. Zu diesem Zeitpunkt können die Banken die in den Research Reports aufgenommenen Bewertungsspannen in ihre Einschätzung einfließen lassen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die Finanzanalysten in ihren Bewertungen einen etwaigen IPO-Discount des Marktes nicht berücksichtigen. Auf der M&A-Seite liegen zum Zeitpunkt der ITF bereits i.d.R. bindende Angebote der Kaufinteressenten im M&A-Prozess vor, so dass diese mit den Preisindikationen des IPO-Tracks verglichen werden können.
4.33
Wenn im Zeitpunkt der Vorlage der Research Reports beide Tracks bewertungsmäßig noch eine realistische Alternative darstellen, zumal weil die Bewertungsspannungen üblicherweise weit sind, kann es sich empfehlen, die Investor Education abzuwarten, bei der auf der Grundlage der Research Reports Bewertungsüberlegungen mit den Investoren validiert werden, die schließlich die Grundlage für die Bestimmung der Bookbuilding Spanne bilden.
4.34
Aus rechtlicher Sicht gibt es allerdings auch noch nach Billigung des für den IPO-Track erforderlichen Wertpapierprospekts keinen Anlass, das Trade Sale-Verfahren aufzugeben60. Denn es besteht keine Verpflichtung, bei Vorbereitung eines IPOs diesen auch tatsächlich durchzuführen. Zwar ist der Prospekt unmittelbar nach seiner Billigung zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 1 WpPG). Eine Pflicht zur Durchführung des Bookbuildings ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Im Einzelfall wird daher der Dual Track bis in die Bookbuilding-Phase, also nach Veröffentlichung des Wertpapierprospekts für Zwecke des IPOs, fortgeführt. Ein Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt hat den Vorteil, dass bereits exklusive Verhandlungen mit dem aussichtsreichsten Kaufinteressenten auf der M&A-Seite geführt werden konnten und die Quantität und Qualität der Orders im Bookbuilding dem gegenüber gestellt werden können. Eine Entscheidung wird allerdings spätestens dann herbeigeführt werden müssen, wenn die mit dem IPO häufig verbundene Kapitalerhöhung der Gesellschaft oder ein Formwechsel in eine AG (oder KGaA) in das Handelsregister eingetragen werden soll.
4.35
b) Risiken bei der Wahl des Zeitpunktes Bei der Abwägung ist zu beachten, dass ein zu langes Zuwarten auch negative Implikationen nach sich ziehen kann. Wird nach der Ankündigung des Börsengangs doch der M&ATrack gewählt, können die angesprochenen IPO-Investoren auf die unerwartete Absage des Börsengangs verstimmt reagieren und in der Folge, sollte es doch noch zu einem IPO des Unternehmens kommen, keine Bereitschaft mehr zeigen, sich mit der Aktie auseinanderzusetzen61. Ebenso kann ein später Abbruch des IPO-Verfahrens mangels Nachfrage oder wegen eines schlechten Marktumfeldes negative Konsequenzen auf den noch laufenden M&A-Track haben und die bisherigen Preisverhandlungen nachteilig beeinflussen62. Ein Abbruch in letzter Minute kann darüber hinaus zu Irritationen am Markt 59 Dies wird häufig als „Point of no return“ angesehen; vgl Simmat/Schneider in Jesch/Striegel/ Boxberger, Hdb. Private Equity, 2010, § 17, 4.1.5; König in Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2. Aufl. 2012, VIII 2 Rz. 36; Thomas, FB 2009, 30, 34; Diehl, Going Public 2006, 66; vgl. auch Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493. 60 Werder/König, CFL 2011, 241, 244. 61 Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76. 62 Zu den Konsequenzen eines Hinauszögerns auch Schlitt/Grüning, CFL 2010, 68, 76; Werder/ König, CFL 2011, 241, 244; Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493, R494.
Maassen/Wilczek | 167
4.36
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
führen und Imageschäden auf Seiten des Verkäufers und des Unternehmens nach sich ziehen63. Umgekehrt können Kapitalmarktinvestoren den Abbruch des M&A-Tracks während der Vermarktungsphase negativ bewerten und ihre Preisvorstellungen nach unten korrigieren64.
4.37–4.44 Einstweilen frei.
B. Spin-Off Schrifttum: Bartsch, Unternehmenswertsteigerung durch strategische Desinvestitionen, 2005; Betsch/Groh/Lohmann, Corporate Finance, 2. Aufl. 2000; Blasche, Schlussbilanz und 8-Monats-Frist des § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG, RNotZ 2014, 464; Dauner-Lieb/Simon (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Umwandlungsgesetz (zit.: KK-UmwG), 2009; Fleischer, Börseneinführung von Tochtergesellschaften, ZHR 165 (2001), 513; Happ (Hrsg.), Konzern- und Umwandlungsrecht, 2011; Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2017; Lutter, Umwandlungsgesetz, 5. Aufl. 2014; Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, 5. Aufl. 2017; Schlitt/Ries, Spin-Off – Ein Instrument für alle Fälle?, Platow Recht 2012, Nr. 126, S. 7; Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 7. Aufl. 2016; Seibt/v. Bonin/Isenberg, Prospektfreie Zulassung von Aktien bei internationalen Aktientausch-Transaktionen mit gleichwertigen Dokumentenangaben (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 WpPG), AG 2008, 565; Semler/Stengel (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, 4. Aufl. 2017; Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, Loseblatt, 165. Aktualisierung, 2017.
I. Einleitung 4.45 Der Spin-Off ist eine Sonderform der Börseneinführung von Konzerneinheiten. Als sol-
che hat er historisch eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Die Gründe hierfür sind in erster Linie die im Vergleich zu anderen Strukturvarianten hohe Komplexität bei der praktischen Durchführung, der ausbleibende Mittelzufluss bei der Konzernmutter sowie der mit Anfechtungsrisiken behaftete Zeitplan des Spin-Offs. Gerade bei stabilem Kapitalmarktumfeld haben Unternehmen daher in der Vergangenheit der Direktplatzierung von Anteilen einer Tochtergesellschaft im Wege des Börsengangs oftmals den Vorzug gegeben.
4.46 Von den 27 erfolgreichen Börseneinführungen von Konzerneinheiten zwischen 1997 und
2000 erfolgten gerade einmal zwei im Wege des Spin-Offs (Celanese/Hoechst und Takkt/ Gehe/Haniel)65. Auch in den Jahren bis zur Finanzkrise erhöhte sich diese Zahl mit den Spin-Offs Hypo Real Estate/Hypo Vereinsbank (2003) und Lanxess/Bayer (2005) nur unwesentlich. Seit 2013 gewinnt der Spin-Off als Strukturalternative, vor allem zur strategischen Neuausrichtung von Konzerneinheiten, jedoch zunehmend an Bedeutung. Die SpinOffs von Siemens/Osram (2013), Immofinanz/Buwog (2014), E.ON/Uniper (2016) sowie die Aufspaltung von Metro/Ceconomy (2017) sind hierfür prominente Beispiele.
4.47 Einstweilen frei.
63 Thomas, FB 2009, 30, 36; Werder/König, CFL 2011, 241, 244. 64 Diehl/Bozicevic, AG 2006, R493. 65 Studie des Arbeitskreises „Finanzierung“ der Schmalenbach Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. zum Thema „Börseneinführung von Konzerneinheiten“, zfbf 55 (August 2003), S. 519, 520.
168 | Maassen/Wilczek/Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
II. Begriffliche Abgrenzung Der Begriff Spin-Off bezeichnet die (verhältniswahrende) Auskehrung von Anteilen einer Tochtergesellschaft an die Aktionäre der Muttergesellschaft66, bei der weder der Muttergesellschaft noch der Tochtergesellschaft im Zuge der Transaktion liquide Mittel zufließen. Über den Spin-Off kann die Tochtergesellschaft (vollständig) aus dem Konzern herausgelöst werden, und es entstehen zwei voneinander unabhängige Unternehmen (Mutter- und früheres Tochterunternehmen), die zum Eintragungszeitpunkt des Spin-Offs im Handelsregister (wenigstens indirekt) einen identischen Aktionärskreis aufweisen67.
4.48
Abzugrenzen ist der Spin-Off insbesondere vom Equity Carve-Out (auch Sub-IPO genannt). Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass Anteile der Tochtergesellschaft im Zuge eines Börsengangs an neue Investoren veräußert werden68. Die Anteile können dabei aus einer Kapitalerhöhung der Tochtergesellschaft, aus dem bisherigen Anteilsbesitz der Muttergesellschaft oder aus beiden Quellen stammen. In Abhängigkeit hiervon kommt es zu einem Mittelzufluss bei der Mutter- und/oder Tochtergesellschaft. Der Equity CarveOut führt – abhängig vom relativen Veräußerungsanteil und unter Berücksichtigung von Verwässerungseffekten durch eine etwaige Kapitalerhöhung – nicht notwendigerweise zur Aufhebung des bestehenden Konzernverbundes69. Vielmehr bleibt in der Regel die bisherige Muttergesellschaft zunächst mehrheitlich an der Tochtergesellschaft beteiligt70 und wird unter Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt ihre Beteiligung weiter reduzieren.
4.49
Neben den zuvor dargestellten Grundtypen wird in der juristischen und betriebswirtschaftlichen Literatur noch eine Vielzahl von Varianten dieser beiden Grundformen diskutiert. Hierzu zählen insbesondere der Spin-Out, der Sell-Off und der Split-Off. Der Spin-Out ist eine Variante des Equity Carve-Outs, bei dem es zur Umplatzierung einer Aktienmehrheit an der Tochtergesellschaft und damit zur Auflösung des ursprünglichen Konzernverbunds kommt71. Demgegenüber führt der Sell-Off zur Auflösung des Konzernverbundes aufgrund außerbörslicher Veräußerung der Anteile der Tochtergesellschaft im Zuge einer klassischen M&A-Transaktion72. Der Split-Off ist schließlich eine Unterform des SpinOffs, bei der die bisherigen Aktionäre der Muttergesellschaft das Angebot erhalten ihre Anteile an der Muttergesellschaft gegen Anteile der Tochtergesellschaft zu tauschen73. Vom Sell-Off einmal abgesehen, der als reine M&A-Transaktion eine Sonderrolle einnimmt, ist die Praxisrelevanz der übrigen Gestaltungsvarianten recht unbedeutend. Übersichtsartig lassen sich die verschiedenen Gestaltungsvarianten wie folgt darstellen:
4.50
66 67 68 69 70 71 72 73
Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 519 m.w.N.; Bartsch, Unternehmenswertsteigerung, S. 36. Bartsch, Unternehmenswertsteigerung, S. 36 m.w.N. Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 518. Achleitner, Handbuch Investmentbanking, S. 361; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 518; Betsch/ Groh/Lohmann, Corporate Finance, S. 362. Achleitner, Handbuch Investmentbanking, S. 361; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 518; Betsch/ Groh/Lohmann, Corporate Finance, S. 362. Achleitner, Handbuch Investmentbanking, S. 361; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 518. Achleitner, Handbuch Investmentbanking, S. 358; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 519. Achleitner, Handbuch Investmentbanking, S. 360; Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 519.
Göhring/Borsche/Thurner | 169
170 | Göhring/Borsche/Thurner
– kein Verkauf erforderlich – Trennung von Mutterund Tochtergesellschaft in einem Schritt – weitgehend unabhängig von der Kapitalmarktverfassung
– Flowback-Management – unsicherer Zeitbedarf wegen potentieller Anfechtungsrisiken – hohe Komplexität in der Vorbereitung
Pro
Contra
– abhängig vom Interesse strategischer Investoren oder Finanzinvestoren – ggf. bestehende Finanzierungsrestriktionen
– Trennung von Mutterund Tochtergesellschaft in einem Schritt – (eher) unabhängig von der Verfassung der Aktienmärkte
– geringerer Komplexitätsgrad ggü. Spin-Off
– geringerer Komplexitätsgrad ggü. Spin-Off
– Trennung der Mutter- und – abhängig von der Verfas- – abhängig von der Verfassung der Aktienmärkte sung der Aktienmärkte Tochtergesellschaft ist abhängig vom Tauschverhal- – vollständige Trennung ten der Aktionäre von Mutter- und Tochtergesellschaft meist nur in mehreren Schritten
– kein Verkauf erforderlich – weitgehend unabhängig von der Kapitalmarktverfassung
– Siemens/VDO; Thyssen/ Inoxum
– k.A. – Siemens/Infineon; Deutsche Telekom/T-Online; Deutsche Post/Deutsche Postbank; Metro/Praktiker; Telefónica/Telefónica D; Bayer/Covestro; RWE/ Innogy
– vollständige Trennung von – mehrheitlicher Verkauf Mutter- und Tochtergevon Anteilen an der sellschaft durch außerTochtergesellschaft über börslichen Verkauf aller die Börse gegen Barmittel Anteile an Tochtergesell– ggf. auch Mittelzufluss bei schaft an strategischen Tochtergesellschaft über Käufer/Finanzinvestor Kapitalerhöhung – i.d.R. keine vollständige Trennung von Mutterund Tochtergesellschaft in einem Schritt – Dekonsolidierung von Mutter- und Tochtergesellschaft
– teilweiser Verkauf von Anteilen an der Tochtergesellschaft über die Börse gegen Barmittel – ggf. auch Mittelzufluss bei Tochtergesellschaft über Kapitalerhöhung – i.d.R. keine vollständige Trennung von Mutterund Tochtergesellschaft in einem Schritt – i.d.R. keine unmittelbare Dekonsolidierung
– optionaler (teilweiser) Tausch von Aktien der Mutter- in Aktien der Tochtergesellschaft – vollständige Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaft möglich – kein Mittelzufluss bei Muttergesellschaft – Dekonsolidierung abhängig vom Tauschverhalten der Aktionäre möglich
Sell-Off
Spin-out
Sub-IPO
Split-Off
– k.A. Präzedenz-Fälle – Metro/Ceconomy; E.ON/ in Deutschland Uniper; Immofinanz/ BUWOG; Siemens/Osram; Bayer/Lanxess; HVB/HRE; Hoechst/Celanese
– (verhältniswahrende) Verteilung von Aktien der Tochtergesellschaft an Aktionäre der Muttergesellschaft – vollständige Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaft möglich – kein Mittelzufluss bei der Muttergesellschaft – Dekonsolidierung von Mutter- und Tochtergesellschaft möglich
Spin-Off
Equity Carve Out
4.51
Kurzbeschreibung
Spin-Off
Abbildung 1: Begriffliche Abgrenzung eines Spin-Offs
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass in der Vergangenheit auch eine Sachdividendenlösung als Alternative zur klassischen Spin-Off-Struktur diskutiert und im Einzelfall umgesetzt wurde74. In dieser Variante werden die Aktien der Tochtergesellschaft im Wege der Sachdividende an die Aktionäre der Muttergesellschaft ausgeschüttet, wodurch es wie beim Spin-Off auch zu einer vollständigen Entflechtung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft kommen kann75. Da die Sachdividende indessen regelmäßig einer entsprechenden Satzungsermächtigung bedarf (§ 58 Abs. 5 AktG) und zudem bei der Muttergesellschaft ein hinreichender Bilanzgewinn in Höhe des Verkehrswerts der Aktien der Tochtergesellschaft nebst ausreichender Mittel für die Begleichung der an der Quelle erhobenen Kapitalertragssteuer (zzgl. Solidaritätszuschlag) vorhanden sein muss (s. hierzu auch Rz. 9.14 ff.), kommt eine solche Lösung jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht76.
4.52
III. Umsetzung eines Spin-Offs im Überblick 1. Strukturmerkmale und idealtypischer Ablauf eines Spin-Offs Die Muttergesellschaft besteht in ihrer Ausgangsstruktur vor der Durchführung des SpinOffs in der Regel aus einer Vielzahl von Teilbereichen. Die im Zuge des Spin-Offs herauszulösenden Unternehmensteile sind daher oftmals noch ausschließlich der Muttergesellschaft zugeordnet bzw. noch nicht in einer singulären Tochter(kapital)gesellschaft organisiert. In dieser Konstellation vollzieht sich der Spin-Off in zwei Schritten:
4.53
In einem ersten Schritt (auch als Separierung bezeichnet) werden sämtliche abzuspaltenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten auf eine neu zu gründende bzw. bestehende Tochtergesellschaft übertragen. Die Separierung kann grundsätzlich auf zwei verschiedenen Wegen durchgeführt werden. Es können die betroffenen Vermögensgegenstände/-verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die Tochtergesellschaft übertragen werden. Im Hinblick auf die zu übertragenden Rechtsverhältnisse handelt es sich dabei um eine Vertragsübernahme, die eine Zustimmung der jeweiligen Vertragspartner voraussetzt77. Insoweit dürfte sich dieser Weg in erster Linie dann anbieten, wenn die notwendigen Zustimmungen der (wesentlichen) Gläubiger und Vertragspartner gesichert erscheinen, die Einholung ohne zu großen – auch zeitlichen – Aufwand möglich ist, und es sich insgesamt um eine überschaubare Anzahl von Einzelübertragungen handelt78.
4.54
Sollte die Einzelrechtsübertragung nicht praktikabel oder nicht hinreichend gesichert erscheinen, hat die Muttergesellschaft alternativ die Möglichkeit, die herauszulösenden Vermögensgegenstände/-verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse im Wege der Gesamtrechtnachfolge durch eine Ausgliederung nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (§§ 123 ff. UmwG) auf die Tochtergesellschaft zu überführen (s. allgemein Rz. 3.7). Allerdings ist zu bedenken, dass die Ausgliederung, anders als im Regelfall die Einzelrechts-
4.55
74 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126, S. 7. 75 So wurden im Jahr 2012 Aktien an der Lotto 24 AG an die Aktionäre der Tipp 24 SE im Wege der Sachdividende ausgeschüttet. 76 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126, S. 7. 77 Schlitt in Semler/Stengel, UmwG, Anh. § 173 Rz. 82. 78 Einzelrechtsübertragung kann sich z.B. anbieten, wenn Assets im Ausland belegen sind; näher Schlitt in Semler/Stengel, UmwG, Anh. § 173 Rz. 3.
Göhring/Borsche/Thurner | 171
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
übertragung, die Beteiligung der Hauptversammlung der Muttergesellschaft voraussetzt. Dies bedeutet, dass die Aktionäre der Muttergesellschaft durch das Instrument der Anfechtungsklage die Möglichkeit haben, die Ausgliederung zu verhindern bzw. erheblich zu verzögern.
4.55a
Welche der beiden Varianten der Separierung vorzugswürdig ist, muss die Unternehmensführung der Muttergesellschaft in Abhängigkeit von den konkreten Rahmenbedingungen im Einzelfall entscheiden. Insgesamt ist aber zu bedenken, dass der vorbereitende Schritt der Separierung signifikante Auswirkungen auf den Zeitplan und die Durchführbarkeit des eigentlichen Spin-Offs haben kann und deshalb frühzeitig in die Abwägung der Entscheidung und die Planung einbezogen werden sollte (s. hierzu im Detail Rz. 4.76 ff.).
4.56 Nach Abschluss der Separierung kann nun in einem zweiten Schritt die eigentliche Ab-
spaltung erfolgen. Hierfür stehen nach §§ 123 ff. UmwG verschiedene Varianten zur Verfügung. In aller Regel kommt es zu einer Abspaltung zur Aufnahme bzw. einer Abspaltung zur Neugründung gemäß § 123 Abs. 2 UmwG (s. hierzu auch Rz. 3.7 u. Rz. 3.30). Hierfür wird eine neue Tochtergesellschaft (A) in der Form der Aktiengesellschaft gegründet bzw. als Vorratsgesellschaft durch die Muttergesellschaft erworben. Tochtergesellschaft (A) fungiert als übernehmender Rechtsträger im Zuge der Abspaltung. Abspaltungsgegenstand ist der in der Tochtergesellschaft (B) gebündelte Teilkonzern. Die eigentliche Abspaltung erfolgt dann durch Übertragung aller oder eines Teils der von der Muttergesellschaft gehaltenen Anteile an der Tochtergesellschaft (B) auf Tochtergesellschaft (A). Tochtergesellschaft (A) führt zu diesem Zweck eine Kapitalerhöhung durch und gibt im Gegenzug neue Aktien an die Aktionäre der Muttergesellschaft aus. Die Aktionäre der Muttergesellschaft erhalten dabei neue Aktien der Tochtergesellschaft (A) im Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligungsquote an der Muttergesellschaft (verhältniswahrende Umwandlung). Gleichzeitig werden die Aktien der Tochtergesellschaft an der Börse zugelassen. Bei vollständiger Übertragung der Anteile an Tochtergesellschaft (B) an die Aktionäre der Muttergesellschaft, kommt es zur vollständigen Entflechtung des bestehenden Konzernverbundes mit der Muttergesellschaft und einer damit einhergehenden Dekonsolidierung der Tochtergesellschaft (A) (und somit auch deren nunmehriger Tochtergesellschaft (B)) bei gleichzeitiger eigenständiger Positionierung der Tochtergesellschaft (A) am Kapitalmarkt. Übersichtsartig lässt sich die Grundstruktur wie folgt darstellen:
4.57 Abbildung 2: Grundstruktur eines Spin-Offs Ausgangsstruktur (nach Separierung)
Schritt 1: Nach Erwerb/Gründung einer Tochtergesellschaft
Aktionäre
Aktionäre
Mutter AG
Sonstige Beteiligungen
Schritt 2: Nach Durchführung des Spin-Offs
Mutter AG
Tochtergesellschaft (B)
Sonstige Beteiligungen
Tochtergesellschaft (B)
Aktionäre 100 %
100 % Mutter AG
Tochtergesellschaft (A)
100 % Sonstige Beteiligungen
100 % Tochtergesellschaft (A) 100 % Tochtergesellschaft (B)
2. Vergleich mit anderen Strukturalternativen
4.58 Im Vergleich zu anderen Strukturalternativen wie dem Equity Carve-Out oder der Direkt-
veräußerung im Rahmen einer M&A-Transaktion ist der Spin-Off aufgrund der Vorgaben 172 | Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
des Umwandlungsrechts mit einer Reihe von zusätzlichen formalen Vorgaben und Dokumentationsanforderungen verbunden (s. hierzu Rz. 4.74 ff. und 4.83 ff.)79. Zudem sieht das Umwandlungsrecht eine Nachhaftung der Muttergesellschaft für Altverbindlichkeiten (§ 133 UmwG) und Sicherheitsleistung gegenüber den Gläubigern (§§ 125, 22 UmwG) vor (s. hierzu Rz. 4.109 ff.)80, so dass jedenfalls im Hinblick auf die Haftungsverhältnisse die Zielsetzung der vollständigen Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaft nicht (sofort) erreicht werden kann. Ferner kommt es beim Spin-Off in der Regel weder bei der Tochter- noch bei der Muttergesellschaft zu einem entsprechenden Mittelzufluss. Gleichzeitig sinkt die Marktkapitalisierung der Muttergesellschaft aufgrund der Herauslösung der Tochtergesellschaft aus dem Konzernverbund81. Das kann beispielsweise Auswirkungen auf die Indexzugehörigkeit der Muttergesellschaft oder die Attraktivität für größere internationale Investoren haben82. Anders als beim klassischen Börsengang (s. hierzu § 3) wird der Börsenkurs der Tochtergesellschaft beim Spin-Off oftmals durch einen entsprechenden Angebotsüberhang (sog. „Flowback“, vgl. dazu Rz. 4.114 ff.) negativ beeinflusst. Dieser entsteht dadurch, dass die Aktionäre der Muttergesellschaft im Zuge des Spin-Offs Aktien der Tochtergesellschaft in ihr Wertpapierdepot eingebucht erhalten (näher Rz. 3.30)83, einige dieser Aktionäre die Aktien aber unmittelbar wieder über den Markt verkaufen, da sie eine Beteiligung an der Tochtergesellschaft entweder nicht weiter halten wollen oder aufgrund bestimmter Anlagekriterien nicht halten können/dürfen (Rz. 3.31). Tritt dieses Phänomen in größerem Umfang auf, gerät der Börsenkurs der Tochtergesellschaft in Folge des Angebotsüberhangs unter Umständen technisch stark unter Druck (s. hierzu Rz. 4.114 ff.).
4.59
Gleichwohl bietet der Spin-Off gegenüber anderen Strukturvarianten auch eine Reihe von Vorteilen. Dort wo ein Unternehmensverkauf mangels spezifischer Nachfrage nicht möglich erscheint, oder die voraussichtliche Bewertung der Tochtergesellschaft an den Kapitalmärkten aufgrund des jeweiligen Börsenumfelds nicht den Erwartungen der Muttergesellschaft entspricht bzw. die Platzierung von Aktien bei neuen Investoren mit entsprechend großen Risiken verbunden ist, bietet der Spin-Off für die Muttergesellschaft eine strukturelle Alternative, sich von diesen allgemeinen Marktparametern zu entkoppeln und erfolgreich die Trennung von der Tochtergesellschaft in (einem) Schritt zu vollziehen. Der Spin-Off kann also ein Instrument zur Steigerung der Transaktionssicherheit sein, welches die vollständige Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaft in einem singulären Transaktionsschritt auch bei einem unsteten Börsenumfeld ermöglicht. Ob der Spin-Off die geeignete Strukturalternative darstellt, muss die Unternehmensführung der Muttergesellschaft in Abhängigkeit von den konkreten Rahmenbedingungen im Einzelfall entscheiden.
4.60
79 80 81 82 83
Schlitt/Ries, Schlitt/Ries, Schlitt/Ries, Schlitt/Ries, Schlitt/Ries,
Platow Platow Platow Platow Platow
Recht Recht Recht Recht Recht
2012, 2012, 2012, 2012, 2012,
Nr. 126, Nr. 126, Nr. 126, Nr. 126, Nr. 126,
S. 7. S. 7. S. 7. S. 7. S. 7.
Göhring/Borsche/Thurner | 173
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
IV. Motive für einen Spin-Off 1. Überblick
4.61 Die Motive bei der Börseneinführung einer Tochtergesellschaft im Allgemeinen und der
Durchführung eines Spin-Offs im Besonderen sind vielfältig84. Grundsätzlich muss zwischen der Motivlage auf Seiten der Muttergesellschaft, sowie der Motivlage auf Seiten der Tochtergesellschaft differenziert werden. In der Regel ist es eine Kombination verschiedener Motive, die letztendlich zur Entscheidung pro oder contra Spin-Off führen. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Spin-Off-Entscheidung wegen des Zustimmungserfordernisses der Hauptversammlung mit einem erheblichen Ressourcenaufwand sowohl auf Seiten der Muttergesellschaft als auch der Tochtergesellschaft verbunden ist (ansonsten entsprechen die Herausforderungen weitestgehend denjenigen eines IPOs; s. hierzu § 3). Zudem wird die Entscheidung in aller Regel von einer Reihe externer (Kapitalmarktumfeld, Unternehmensbewertung aus Investorensicht etc.) und interner Faktoren (Fokus auf Kernstrategie und Abgabe nicht unmittelbar relevanter Geschäftseinheiten, Wertschöpfung durch zwei getrennte Einheiten, Kapitalbedarf, Buchwerte, Steuern etc.) getrieben, die in Abhängigkeit von der Perspektive der jeweiligen Beteiligten unterschiedlich bewertet werden können. 2. Motive aus Sicht der Muttergesellschaft
4.62 Ausgangspunkt der meisten Spin-Off-Überlegungen ist das Ziel der strategischen Repositionierung des Konzerns durch Konzentration auf bestimmte Geschäftsbereiche unter Optimierung der einhergehenden konzernrechtlichen Reorganisation.
4.63 Die Muttergesellschaft in ihrer Ausgangsstruktur vor der Abspaltung besteht in der Regel
aus einer Vielzahl von Teilbereichen. Dies erschwert zum einen oftmals die „faire“ Allokation von finanziellen Mitteln und Management-Ressourcen, zum anderen geht nicht selten der Fokus auf das wesentliche Kerngeschäft der Muttergesellschaft verloren oder wird gestört. Ein sich stetig änderndes Gesamtmarktumfeld im Kontext eines Industriezyklus oder technischer Innovationen kann zudem dazu führen, dass bisher synergetisch kompatible Teilbereiche durch neue Entwicklungen und Trends Synergien einbüßen, so dass eine Neuausrichtung der Bereiche erforderlich wird.
4.64 Der Kapitalmarkt reflektiert diese Gemengelage bewertungsseitig in der Regel dadurch,
dass die Börsenbewertung einen Konglomeratsabschlag oder Holding Discount aufweist, oder dass das Kerngeschäft mit anderen Bewertungsmultiplikatoren bewertet wird als derjenige Konzernteil, der abgespalten werden soll. Der Spin-Off kann insofern zur Fokussierung der Muttergesellschaft auf das Kerngeschäft beitragen und es der Muttergesellschaft so ermöglichen, sich von Geschäftsbereichen zu trennen, die beispielsweise aufgrund ihrer Größe oder ihres wirtschaftlichen Profils nicht (mehr) die erforderlichen finanziellen oder personellen Ressourcen erhalten. Investoren begrüßen in der Regel eine Reduktion des Komplexitätsgrades, vor allem im Zusammenspiel mit weiteren möglichen Effizienzoder Kostenreduktionsinitiativen. Nebenbei entlastet der Spin-Off die Muttergesellschaft finanziell insoweit, als die Kapitalbeschaffung der abgespaltenen Gesellschaft nunmehr über den Kapitalmarkt statt im Konzerninnenverhältnis stattfindet. 84 Dazu ausführlicher Studie des Arbeitskreises „Finanzierung“ der Schmalenbach Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. zum Thema „Börseneinführung von Konzerneinheiten“, zfbf 55 (August 2003), S. 515 ff.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
Demgegenüber spielen Motive wie die Abwehr feindlicher Übernahmen oder die Vorbereitung von Unternehmensübernahmen durch Verselbstständigung bestimmter Unternehmensteile eine eher untergeordnete Rolle, da diese Motive allein in aller Regel nicht ausreichend sein werden, um den mit dem Spin-Off verbundenen Aufwand in Kauf zu nehmen und gerade im Falle der Abwehr feindlicher Übernahmen weder in zeitlicher noch in organisatorischer Hinsicht hinreichende Flexibilität bieten, um kurzfristig auf solche Situationen zu reagieren.
4.65
3. Motive aus Sicht der Tochtergesellschaft Auch für die Tochtergesellschaft kann der Spin-Off von strategischem Vorteil sein. So ermöglicht ihr der Spin-Off eine eigenständige Positionierung am Kapitalmarkt. Vor allem innovative, stark wachsende Unternehmen erhalten auf diesem Weg zusätzliches Wertsteigerungspotential an den Kapitalmärkten und tendenziell bessere Finanzierungsbedingungen, da ihre Börsenbewertung relativ betrachtet eher höher ausfällt als noch im Konzernverbund mit der Muttergesellschaft (Ausweitung der Multiplikator-basierten Bewertung). Der Spin-Off sichert also das Wachstum der Tochtergesellschaft dauerhaft und unabhängig von der finanziellen Situation der Muttergesellschaft85. Gleichsam führt der Spin-Off zur Verbesserung der organisatorischen Transparenz, v.a. in Bezug auf Profitabilität einzelner Segmente, präzisere Kostenallokation sowie interne Organisationsstrukturen. Klare Zuordenbarkeit von bilanzwirksamen Aktivitäten, Kostenerfassung von operativen Teilbereichen und die damit verbundene genauere Erfassung der Wirtschaftlichkeit der abgespaltenen Gesellschaft werden gerade auf der Anlegerseite grundsätzlich positiv aufgenommen. Zudem führt die Eigenständigkeit zu einem höheren Identifikationsgrad und öffentlicher Visibilität des abgespaltenen Unternehmens als eigenständige börsennotierte Gesellschaft.
4.66
Durch die Abspaltung erhält aber auch das Management der Tochtergesellschaft die Möglichkeit, sich ein eigenständiges Profil jenseits der traditionellen Konzernbindung zu erarbeiten. Es erhält Selbständigkeit und Visibilität in der Öffentlichkeit. Gleichzeitig erhöht die Eigenständigkeit die Innovationskraft und die Attraktivität für gut qualifiziertes Fachpersonal, für welches man mit Hilfe der Börsennotierung über Mitarbeiteraktien und Aktienoptionsprogramme Anreizprogramme schaffen kann (s. hierzu auch Rz. 3.18 ff.). Dies sollte zur Steigerung der Motivation auf Mitarbeiterseite beitragen.
4.67
Schließlich können sich der Spin-Off und die damit verbundene Eigenständigkeit auch auf der Kundenseite und gegenüber Wettbewerbern positiv auswirken. Die rechtliche und finanzwirtschaftliche Trennung von der Muttergesellschaft ermöglicht oftmals Zugang zu neuen Kundengruppen, die bisher mit der Muttergesellschaft in direktem Konkurrenzverhältnis standen (v.a. in der Dienstleistungs- bzw. Zulieferbranche).
4.68
4. Kapitalmarktbezogene Motive Die langfristige Wertschöpfung eines Spin-Offs, sowohl für die Mutter- als auch für die Tochtergesellschaft, lässt sich aus Investorensicht deutlich quantifizieren. Bei den SpinOffs der letzten Jahre zeigt die historisch absolute und relative Kursentwicklung nach dem Spin-Off eine überdurchschnittlich positive Kursentwicklung gegenüber dem Gesamtmarkt. 85 Schanz, Börseneinführung, § 15 Rz. 3.
Göhring/Borsche/Thurner | 175
4.69
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
4.70 Abbildung 3: Absolute und relative Kursperformance ab getrennter Notierung 1 Monat
1 Jahr
Absolut
Relativ ggü. DAX
Absolut
Relativ ggü. DAX
Hypovereinsbank
41,6 %
32,4 %
22,7 %
4,3 %
Hypo Real Estate
38,7 %
29,5 %
154,7 %
136,2 %
Bayer
13,0 %
9,5 %
47,1 %
12,1 %
Lanxess
8,1 %
4,6 %
65,4 %
30,4 %
Hoechst
15,7 %
25,9 %
(15,0 %)
(28,2 %)
Celanese
3,8 %
13,9 %
26,9 %
13,7 %
(7,2 %)
(12,3 %)
(0,4 %)
(25,4 %)
5,0 %
(0,2 %)
42,5 %
17,5 %
Siemens
8,1 %
3,1 %
21,8 %
(2,5 %)
Osram
22,3 %
17,3 %
45,8 %
21,6 %
E.ON
(11,3 %)
(12,7 %)
27,8 %
7,2 %
Uniper
10,0 %
8,7 %
119,0 %
98,4 %
Metro
15,0 %
(11,4 %)
N.A.
N.A.
Ceconomy
0,8 %
4,3 %
N.A.
N.A.
HVB/Hypo Real Estate
Bayer/Lanxess
Hoechst/Celanese
Immofinanz/BUWOG Immofinanz BUWOG Siemens/Osram
E.ON/Uniper
Metro/Ceconomy
(Quelle: Eigene Berechnungen)
4.71 Hierzu tragen vor allem eine effizientere Kapitalstruktur sowie eine optimierte Bewer-
tungsmethodik bei. Die Anpassung bzw. Änderung der Unternehmensbewertung der Muttergesellschaft von Seiten der Investoren und Research-Analysten basiert vielfach auf einem Wechsel von der eher allgemein angelegten Gruppenbewertung („Sum-of-the-Parts“) zu einer spezifischeren Discounted Cash-Flow- oder Multiplikatoren-basierten Bewertung. Der damit verbundene Wegfall (bzw. die Reduktion) des Konglomeratsabschlages ergibt einen einfach quantifizierbaren Bewertungsvorteil. Darüber hinaus wird verdecktes Wertpotential der Tochtergesellschaft durch die Abspaltung zwar präzise abgegrenzt und gehoben, wertmäßig jedoch nicht realisiert, da es beim steuerneutralen Spin-Off weder zu einem Eigentümerwechsel, noch zu einer Veräußerung auf Cash-Basis kommt. Der Spin-Off von unterbewerteten Unternehmensteilen lässt somit genügend weiteres Bewertungspotential und dementsprechend Kursphantasie im Sekundärmarkt zu.
4.72 Der Spin-Off kann durch gezielte Allokationen von Aktiva und Passiva (z.B. Pensions-
verbindlichkeiten, Rückstellungen für Altlasten etc.) zwischen Muttergesellschaft und
176 | Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
Tochtergesellschaft zu einer Optimierung der jeweiligen Kapitalstrukturen der beteiligten Gesellschaften beitragen. Bei der Abspaltung der Lanxess AG aus dem Vermögen der Bayer AG kam es beispielsweise zu einer deutlichen Verringerung von Zyklizitätsrisiken für die Bayer AG bei gleichzeitiger Positionierung der Lanxess AG als zyklisches Spezialchemieunternehmen bei risikofreudigeren Investoren. E.ON SE wiederum hat mit dem Spin Off der Uniper SE unter anderem Kritikpunkte von Aktionären in Bezug auf mögliche Altlasten für Nuklearverbindlichkeiten adressiert. Auch im Hinblick auf das „Return of Shareholder Value“-Prinzip können die meisten abspaltenden Unternehmen ihre Gesamtkapitalkosten deutlich senken und in weiterer Folge oftmals außerordentliche bzw. fortlaufend höhere Dividenden generieren. So zeigt der Spin-Off von O2 aus dem Vermögen der British Telecom, dass der Spin-Off für die Muttergesellschaft eine erweiterte Flexibilität bei der Dividendenausschüttung darstellt und eine Repositionierung der Tochtergesellschaft weg von defensiveren Investorengruppen hin zu Risiko- bzw. Wachstumsinvestoren ermöglicht. Auch das jüngste Beispiel Metro/ Ceconomy weist auf eine gezielte Maximierung des Shareholder Returns hin.
4.73
V. Vorbereitung eines Spin-Offs Aufgrund der Komplexität des Spin-Offs und der notwendigen Verzahnung zwischen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Aspekten sowie Vermarktungsaspekten, kommt der Vorbereitung des Spin-Offs in struktureller und zeitlicher Hinsicht besondere Bedeutung zu. Da es sich beim Spin-Off im Kern zunächst einmal um den Börsengang einer Tochtergesellschaft handelt (s. hierzu allgemein Rz. 3.67 ff.), sind grundsätzlich die aus der Vorbereitung eines klassischen Börsengangs bekannten Parameter, wie Due Diligence, Prospekterstellung, Dealmarketing etc.86 zu beachten. Dies alles ist jedoch eingekleidet in einen gesellschaftsrechtlichen Kontext, der gegenüber den üblichen Strukturen des klassischen Börsengangs eine erhöhte Komplexität und zeitliche Unwägbarkeiten aufweist. Anders als für einen klassischen Börsengang (s. hierzu Rz. 3.68 f.) ist für einen Spin-Off beispielsweise die Zustimmung der Hauptversammlung der abspaltenden Muttergesellschaft erforderlich. Hierfür sind vorbereitende Schritte wie die Erstellung des Spaltungsberichts und die Ladung zur Hauptversammlung in die Vorbereitungen einzuflechten. Beachtenswert ist hierbei die ggf. determinierende Wirkung der Aussagen eines Spaltungsberichts (gesellschaftsrechtliche Basis) auf die meist nachgelagerte Prospekterstellung (kapitalmarktrechtliche Basis). In der Regel wird die Muttergesellschaft also gut beraten sein, zunächst die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zu strukturieren und dann die kapitalmarktrechtlichen Aspekte hieran zu orientieren und in einem – auch vermarktungstechnisch optimierten – Gesamtkonzept zusammenzuführen.
4.74
1. Strukturelle Vorüberlegungen Am Anfang des Prozesses sollten zunächst einige grundlegende Vorüberlegungen angestellt werden. Insbesondere ist hier die bereits angesprochene Notwendigkeit von vorbereitenden Umstrukturierungsmaßnahmen wie der Separierung zu bedenken (s. hierzu Rz. 4.53 ff.). Die abzuspaltende Einheit sollte grundsätzlich bereits in einer Tochtergesell86 Zur Rolle der Konsortialbanken in diesem Prozess s. Emde/König in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Kap. B Rz. 174 ff.
Göhring/Borsche/Thurner | 177
4.75
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
schaft gebündelt sein, da sich anderenfalls das erforderliche Zeitfenster erheblich vergrößert. Ferner sollte die Tochtergesellschaft einem eigenständigen Rechnungskreis angehören und über etablierte Rechnungswesen- und Controllingfunktionen, adäquate Headquarterfunktionen (oder entsprechende „at arm’s length“-Dienstleistungsvereinbarungen – ggf. auch mit der Muttergesellschaft) sowie ein erfahrenes Management verfügen, welches insbesondere auch den Anforderungen des Kapitalmarktes gerecht wird. Ferner ist grundsätzlich das zweijährige Spaltungsverbot für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien gemäß § 141 UmwG zu beachten. Demnach kann eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien in einem Zeitraum von zwei Jahren nach ihrer Eintragung im Handelsregister grundsätzlich nicht als übertragender Rechtsträger an einer Abspaltung teilnehmen. Die Regelung dient in erster Linie dem Schutz der Gläubiger und Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers87. Maßgeblich ist insoweit der Eintragungszeitpunkt der Abspaltung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers; vorbereitende Schritte zur Spaltung innerhalb dieses Zweijahreszeitraums sind hingegen durchaus zulässig88. § 141 UmwG gilt auch für durch Formwechsel entstandene Rechtsträger89. Insoweit ist die Vorschrift auch dann zu beachten, wenn es bei der Konzernmutter einen Rechtsformwechsel in eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien im Vorfeld der geplanten Abspaltung gab. Der Verstoß gegen § 141 UmwG hat jedoch lediglich zur Folge, dass das zuständige Handelsregister mit der Eintragung der Abspaltung beim übertragenden Rechtsträger bis zum Ablauf der Zweijahresfrist warten müsste90. 2. Erstellung eines Zeitplans
4.76 Die Erstellung des Zeitplans für die Abspaltung wird maßgeblich von der Achtmonatsfrist
der §§ 125 Satz 1, 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG bestimmt (s. hierzu auch Rz. 9.38). Die Vorschrift besagt, dass bei der Eintragung der Abspaltung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers eine Schlussbilanz vorliegen muss, deren Stichtag nicht länger als acht Monate vor der Anmeldung der Abspaltung zurückliegen darf. Streitig ist insoweit, ob eine Gesamtbilanz auch über das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers vorgelegt werden muss91 oder ob eine Teilbilanz über das abzuspaltene Vermögen genügt92. Die Praxis wählt sowohl aus steuerlichen als auch aus Kosten- und Vereinfachungsgründen als Stichtag der Schlussbilanz den ordentlichen Bilanzstichtag93, d.h. regelmäßig den 31. Dezember. Die Handelsregisteranmeldung der Abspaltung muss in diesem Fall also bis spätestens zum 31. August des Folgejahres erfolgen94. Zur Fristwahrung ist der Eingang einer wirksamen
87 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 6.2; Simon in KK-UmwG, § 141 Rz. 1; Schwab in Lutter, UmwG, § 141 Rz. 4. 88 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01, Rz. 6.3. 89 Diekmann in Semler/Stengel, UmwG, § 141 Rz. 8; Schwab in Lutter, UmwG, § 141 Rz. 10; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 141 UmwG Rz. 1; Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 6.3; Simon in KK-UmwG, § 141 Rz. 8 m.w.N. 90 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 6.3; Simon in KK-UmwG, § 141 Rz. 16; Schwab in Lutter, UmwG, § 141 Rz. 19; a.A. Diekmann in Semler/Stengel, UmwG, § 141 Rz. 17. 91 Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 17 UmwG Rz. 50 ff. m.w.N. zum Streitstand. 92 So etwa Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 17 Rz. 23. 93 Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 17 Rz. 18; Blasche, RNotZ 2014, 464, 465. 94 Zur Fristberechnung näher Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 17 Rz. 17 m.w.N.
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Registeranmeldung notwendig, diese muss jedoch nicht ohne Weiteres zur Eintragung führen können, so dass die Nachreichung von Unterlagen grundsätzlich möglich ist95. Gleichwohl muss aber für die Wahrung der Frist die Einreichung der wesentlichen Umwandlungsdokumentation, d.h. insbesondere des Umwandlungsvertrags und der Umwandlungsbeschlüsse, als erforderlich angesehen werden96. Zudem ist im Hinblick auf die ordnungsgemäße Information der Gesellschafter der Muttergesellschaft die aus §§ 125 Satz 1, 63 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 UmwG resultierende Sechsmonatsfrist für die Zwischenberichtspflicht zu beachten. Liegt der letzte Jahresabschluss des übertragenden Rechtsträgers zum Zeitpunkt des Abschlusses, bzw. der Aufstellung des Spaltungsvertrags bereits mehr als sechs Monate zurück, so trifft den übertragenden Rechtsträger die Pflicht zur Aufstellung einer Zwischenbilanz. Bei einem Abschlussstichtag der Muttergesellschaft zum 31. Dezember bedeutet dies, dass die Muttergesellschaft eine Zwischenbilanz erstellen muss, soweit der Spaltungs- und Übernahmevertrag nach dem 30. Juni aufgestellt bzw. abgeschlossen wird97. Erstellt die Muttergesellschaft im Rahmen ihrer regulären Finanzberichterstattung – wie für Prime Standard notierte Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierbörse üblich – einen Halbjahresfinanzbericht i.S.d. § 115 WpHG (vorher § 37w WpHG a.F.), so ist dies nach §§ 125 Satz 1, 63 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 6 UmwG ausreichend98.
4.77
Darüber hinaus wird der Zeitplan ganz maßgeblich vom Fristenregime des Aktiengesetzes bestimmt. Neben den gesetzlichen bzw. satzungsbedingten Ladungs- und Anmeldefristen (§ 123 AktG) hat hier vor allem die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG maßgeblichen Einfluss99. Die Rechtsfolgen der Abspaltung (vgl. § 131 UmwG) treten erst mit Eintragung der Abspaltung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers ein100. Die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG wird in der Praxis regelmäßig dazu führen, dass – sofern Widerspruch in der Hauptversammlung zu Protokoll gegeben wurde – die Eintragung der Abspaltung im Handelsregister der Muttergesellschaft nicht vor Ablauf eines Monats nach Beschlussfassung durch die Hauptversammlung erfolgen wird. Diesen Zeitraum zuzüglich eines Sicherheitspuffers von einigen Tagen für die Zustellung etwaiger Anfechtungsklagen wird der zuständige Registerrichter regelmäßig abwarten, um sicher zu gehen, dass keine Anfechtungsklagen gegen den Spaltungsbeschluss der Hauptversammlung erhoben wurden, die eine Eintragung der Spaltung verhindern würden. Daran ändert auch die gemäß §§ 125 Satz 1, 16 Abs. 2 UmwG erforderliche Negativerklärung der Vertretungsorgane der beteiligten Rechtsträger im Hinblick auf die Nichtvorlage von Anfechtungsklagen nichts. Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 UmwG lässt sich zwar grundsätzlich schließen, dass es den Vertretungsorganen der Muttergesellschaft unbenommen bleibt, die Handelsregisteranmeldung bereits vor Ablauf der Monatsfrist vorzunehmen. Allerdings bleiben sie verpflichtet, auch nach der Anmeldung über etwaige An-
4.78
95 Blasche, RNotZ 2014, 464, 467; Decher in Lutter, UmwG, § 17 Rz. 13; Simon in KK-UmwG, § 17 Rz. 43. 96 Blasche, RNotZ 2014, 464, 467; Lanfermann in Kallmeyer, UmwG, § 17 Rz. 26; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 17 UmwG Rz. 45; Decher in Lutter, UmwG, § 17 Rz. 13; Simon in KK-UmwG, § 17 Rz. 43. 97 Diekmann in Semler/Stengel, UmwG, § 63 Rz. 14. 98 Vgl. Diekmann in Semler/Stengel, UmwG, § 63 Rz. 18a. 99 Dazu ausführlich Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.109 ff. 100 So allgemein für alle Strukturänderungen nach dem UmwG: Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.171.
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§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
fechtungsklagen Mitteilung zu machen (§§ 125 Satz 1, 16 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 UmwG), so dass die Negativerklärung erst nach Fristablauf wirksam abgegeben werden kann101. Insbesondere in den Fällen, in denen bereits Widerspruch zu Protokoll erklärt wurde (§ 245 Nr. 1 AktG), ist eine Handelsregisteranmeldung daher erst unmittelbar nach Ablauf der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG zu erwarten.
4.79 Kommt es aber zu Anfechtungsklagen gegen den Abspaltungsbeschluss der Hauptver-
sammlung der Muttergesellschaft, so hat dies erhebliche Auswirkungen auf den zeitlichen Ablauf der Abspaltung. Die Erhebung der Anfechtungsklage führt bereits grundsätzlich zu einer faktischen Registersperre102, da die Registergerichte in der Praxis bei Anhängigkeit einer Anfechtungsklage zur Aussetzung des Eintragungsverfahrens nach §§ 21 Abs. 1, 381 FamFG neigen103. Durch die erforderliche Negativerklärung verstärkt sich dieser Effekt bei der Abspaltung hin zu einer formalen Registersperre (§ 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG)104. Bis zu einer Entscheidung über eine Anfechtungsklage in der Hauptsache vergehen nicht selten ein bis zwei Jahre. Dementsprechend sehen die §§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 UmwG ein besonderes gerichtliches Freigabeverfahren für den Fall der Spaltung vor, welches es dem OLG am Gesellschaftssitz ermöglicht, durch Beschluss vor allem im Falle der Unzulässigkeit oder offensichtlichen Unbegründetheit der Anfechtungsklage105 festzustellen, dass die Erhebung der Klage der Handelsregistereintragung der Spaltung nicht entgegensteht (§§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1, Satz 7 UmwG). Diese Vorschrift stellt insoweit inhaltlich eine §§ 246a, 319 Abs. 6 AktG vergleichbare Regelung dar106. Der Beschluss des OLG ist unanfechtbar (§§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 9 UmwG), um das Freigabeverfahren zu beschleunigen107. Liegen die Voraussetzungen für dessen Durchführung vor, so soll eine Entscheidung des Prozessgerichts spätestens 3 Monate nach Antragsstellung erfolgen (§§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 5 Halbsatz 1 UmwG). Verzögerungen sind zulässig, müssen aber durch unanfechtbaren Beschluss begründet (§§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 5 Halbsatz 2 UmwG)108 werden. Selbst wenn man dies berücksichtigt, liegt die zu erwartende Gesamtverfahrensdauer bis zur rechtskräftigen Freigabeentscheidung in der Regel bei rund 3–5 Monaten109.
4.80 Schließlich ist bei der zeitlichen Planung der Abspaltung auch der kapitalmarktrechtliche Gesamtkontext zu berücksichtigen. Aus kapitalmarktrechtlicher Sicht wird der Spin-Off wie ein regulärer Börsengang strukturiert. Dementsprechend wird für die Zwecke der Börsenzulassung der Aktien der Tochtergesellschaft, aber auch für die Zwecke der Vermarktung des in der Regel im Zuge des Spin-Offs entstehenden Angebotsüberhangs von Aktien der Tochtergesellschaft (s. hierzu Rz. 4.114 ff.) ein Prospekt nach den Regeln des Wert-
101 Vgl. BGH v. 5.10.2006 – III ZR 283/05, NJW 2007, 224, 225; Decher in Lutter, UmwG, § 16 Rz. 18; Marsch-Barner in Kallmeyer, UmwG, § 16 Rz. 25. 102 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126, S. 7. 103 Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.172. 104 Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.173. 105 Hierzu näher Decher in Lutter, UmwG, § 16 Rz. 26 ff.; Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 16 Rz. 21 ff. 106 Decher in Lutter, UmwG, § 16 Rz. 33; Stratz in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 16 UmwG Rz. 5; s. ferner Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.175. 107 Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 16 Rz. 24. 108 Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, § 16 Rz. 24. 109 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126, S. 7.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
papierprospektgesetzes (WpPG) und der Verordnung (EG) Nr. 809/2004110 (EU-Prospektverordnung) zu erstellen sein. In diesem Kontext sind u.a. die in dem Wertpapierprospekt enthaltenen Finanzangaben durch einen marktüblichen Comfort-Letter der Wirtschaftsprüfer der Tochtergesellschaft zu bestätigen. Der allgemeinen Marktpraxis folgend ist hier die „135-Tage-Regel“ zu beachten (s. hierzu Rz. 34.35 ff.). D.h. die Transaktion sollte spätestens 135 Tage nach den letzten testierten Abschlüssen bzw. den einer prüferischen Durchsicht unterzogenen Zwischenabschlüssen der Tochtergesellschaft abgeschlossen sein, damit die Finanzangaben noch eine hinreichende Grundlage für den Wertpapierprospekt darstellen können. Hinzu kommt die meist fehlende Finanzhistorie der abgespaltenen Einheit, welche unter großem Aufwand gegebenenfalls nachträglich erstellt werden muss (sog. Carve-out Financials oder Combined Financials). Auch dies ist entsprechend bei der zeitlichen Planung zu berücksichtigen. Basierend auf den vorhergehenden Überlegungen könnte ein indikativer Zeitplan für einen Spin-Off wie folgt ausgestaltet sein:
110 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABl. EG Nr. L 149, S. 1.
Göhring/Borsche/Thurner | 181
4.81
1–2 Monate
Due Diligence Vorbereitung Datenraum Aufsetzen der NewCo Beginn der Prospekterstellung Erstellung der Finanzinfornationen der NewCo
Phase I Vorbereitung
182 | Göhring/Borsche/Thurner 2–3 Monate
Fertigstellen des Abspaltungs- und Übernahmevertrages, Abspaltungsbericht Durchführen der Spaltungsprüfung Vorbereitung der Hauptversammlung
Phase II Fertigstellen der erforderlichen Dokumente
Abbildung 4: Indikativer Zeitplan des Spin-Offs
2 Monate
Einladung zur Hauptsammlung Nachlauffrist
Phase III Ladungs-/Nachlauffristen
1 Monat
Vorbereitung Marketing-Maßnahmen Vorbereitung Flowback-Strategie Prospektbilligung durch BaFin Eintragung der Abspaltung in das Handelsregister Börsenzulassung der Aktien
Gesamtaufwand 7–8 Monate (ohne Berücksichtigung möglicher Anfechtungsklagen)
Phase IV Durchführung
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
3. Weitere Vorbereitungsmaßnahmen Neben der bereits angesprochenen Prospekterstellung und der damit im Zusammenhang stehenden Notwendigkeit eines Due Diligence Prozesses, der in Umfang und Betrachtungstiefe der Due Diligence für einen klassischen Börsengang entspricht, ist vor allem die Frage nach dem übertragenden und übernehmenden Rechtsträger zu beantworten. Während die Muttergesellschaft als übertragender Rechtsträger ebenso feststeht wie die abzuspaltende Tochtergesellschaft, muss der übernehmende Rechtsträger regelmäßig noch in Gestalt einer neu zu gründenden bzw. zu erwerbenden (Vorrats-) Aktiengesellschaft durch die Muttergesellschaft bereitgestellt werden. Da die Neugründung einer Tochtergesellschaft mit höherem zeitlichen und organisatorischem Aufwand verbunden ist, wird sich der Erwerb einer Vorrats-Aktiengesellschaft als 100 %-ige Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft regelmäßig als effizientere und kostengünstigere Variante darstellen. Ist die Tochtergesellschaft als übernehmender Rechtsträger einmal errichtet, so ist eine für den Spin-Off möglichst ideale Kapitalstruktur zu finden. In der Regel bedeutet dies, dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft nur mit dem gesetzlichen Mindestkapital ausstattet und erst im Zuge der Abspaltung bei der aufnehmenden Tochtergesellschaft eine Sachkapitalerhöhung vornimmt, deren unmittelbar Begünstigte die Anteilsinhaber der Muttergesellschaft sind. Für diese Zwecke ist neben den abspaltungsspezifischen Prüfungshandlungen auch eine ergänzende Sacheinlageprüfung auf Ebene der Tochtergesellschaft in den Planungen zu berücksichtigen.
4.82
VI. Wesentliche Aspekte der Durchführung eines Spin-Offs 1. Gesellschaftsrechtliche Dokumentation Im Folgenden soll kurz auf die wichtigsten im Zusammenhang mit der Abspaltung erforderlichen Dokumente und ihre wesentlichen Inhalte eingegangen werden. Der Kanon dieser Dokumente wird in erster Linie von den Vorgaben des Umwandlungsgesetzes bestimmt. Dies betrifft vor allem den Spaltungs- und Übernahmevertrag, den Spaltungsbericht, den Spaltungsprüfungsbericht, sowie die spaltungsbedingten gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse. Gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber im Einzelfall möglicherweise sinnvoll, ist schließlich der sog. Grundlagenvertrag, der parallel zum eigentlichen Spaltungs- und Übernahmevertrag zwischen dem übertragenden und übernehmenden Rechtsträger geschlossen werden kann. Die gesellschaftsrechtliche Dokumentation sollte auch mit Blick auf die wechselseitige Beziehung mit der kapitalmarktbezogenen Dokumentation (Börsenzulassungsprospekt) und Kommunikation erstellt werden. Hierbei ist auch insbesondere auf die Haftung der Organe zu achten (für die gesellschaftsrechtliche Dokumentation ist der Vorstand des übertragenden Rechtsträgers verantwortlich, während der Vorstand des übernehmenden Rechtsträgers die Haftung für den Börsenzulassungsprospekt trägt). Dieser Umstand birgt mögliche Interessenskonflikte, für die ein sachgerechter Ausgleich gefunden werden muss.
4.83
a) Grundlagenvertrag Ein Grundlagenvertrag ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, kann aber als Vertrag sui generis in Ergänzung des Spaltungs- und Übernahmevertrages der Klarstellung etwaiger Beziehungen zwischen der übertragenden Muttergesellschaft und der übernehmenden Tochtergesellschaft dienen. Göhring/Borsche/Thurner | 183
4.84
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
4.85 Der Abschluss eines Grundlagenvertrages ist regelmäßig dann indiziert, wenn es zwischen
der Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft umfangreichen Regelungsbedarf zu Haftungsfragen, wie z.B. im Bereich des Bodenschutzrechts, der Produkthaftung, des Beihilferechts oder des Kartellrechts gibt und/oder trotz der zukünftigen Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft dennoch die Notwendigkeit für eine (wenigstens vorübergehende) Kooperation zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft durch zeitweise Nutzung gemeinsamer Ressourcen (z.B. im Bereich der IT o.ä.) besteht. Soweit ersichtlich haben in der Vergangenheit lediglich Bayer und Lanxess die Notwendigkeit zum Abschluss eines Grundlagenvertrags gesehen. Ein Grund für den Abschluss eines solchen Grundlagenvertrages war damals, dass beim Durchlaufen des Separierungsprozesses für den LanxessKonzern die Gewährleistungsverpflichtungen für die Bayer AG weitgehend ausgeschlossen wurden und insbesondere keine Regelungen in den Bereichen der Umwelthaftung, Produkthaftung oder Haftung für Kartellverstöße getroffen wurden.
4.86 Ebenso wie der Spaltungs- und Übernahmevertrag bedarf der Grundlagenvertrag grundsätzlich der notariellen Form, denn das Beurkundungserfordernis der §§ 125 Satz 1, 6 UmwG bezieht sich auch auf sämtliche Nebenabreden, soweit diese nach Gesetz oder Parteiwillen untrennbar mit der Spaltung verbunden sind111. Hiervon ist beim Grundlagenvertrag auszugehen, da dieser in der Regel erst mit tatsächlicher Durchführung der Spaltung wirksam wird. b) Spaltungs- und Übernahmevertrag
4.87 Der Spaltungs- und Übernahmevertrag ist die zentrale Vertragsgrundlage der Abspaltung.
Die verpflichtenden gesetzlichen Mindestinhalte des Vertrags ergeben sich aus § 126 UmwG. Neben den in § 126 Abs. 1 UmwG geregelten Mindestangaben können sich aufgrund der Rechtsform der beteiligten Rechtsträger weitere zwingende Anforderungen ergeben112. Daneben bleibt es den Parteien selbstverständlich unbenommen, weitere ergänzende individualvertragliche Regelungen zu treffen113. aa) Inhaltliche Ausgestaltung
4.88 Im Kern wird im Spaltungs- und Übernahmevertrag der Vermögensübergang von der
Muttergesellschaft (übertragender Rechtsträger) auf die übernehmende Tochtergesellschaft gegen Gewährung von Anteilen der Tochtergesellschaft an die Aktionäre der Muttergesellschaft vereinbart. Zentrale Komponenten des Vertrages sind nach § 126 Abs. 1 Nr. 1–11 UmwG neben der Bezeichnung der zu übertragenden Vermögensteile (Nr. 9; in der Regel der Anteil an der Tochtergesellschaft), der konkrete Spaltungsstichtag (Nr. 6), die Folgen der Spaltung für die Arbeitnehmer (Nr. 11), sowie das Verhältnis, in dem neue Aktien des übernehmenden Rechtsträgers an die Aktionäre der Muttergesellschaft gewährt werden (Nr. 3).
111 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 5.1; Stratz in Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, UmwStG, § 6 UmwG Rz. 4; Schröer in Semler/Stengel, UmwG, § 6 Rz. 5; Drygala in Lutter, UmwG, § 6 Rz. 3. 112 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 4.1; Simon in KK-UmwG, § 126 Rz. 80 ff. 113 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 4.2; Simon in KK-UmwG, § 5 Rz. 229 ff.
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Bei der Spaltung gilt grundsätzlich das Anteilsgewährungsgebot des § 123 UmwG114. Wie sich aus § 123 Abs. 1 bis 3 UmwG ergibt, erfolgt die Spaltung „gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften“. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts bestehen Ausnahmen hierzu nur in engen Grenzen115. Die Anteilsgewährung vollzieht sich bei der Spaltung zur Aufnahme auf eine Kapitalgesellschaft im Regelfall durch eine Kapitalerhöhung auf Seiten des übernehmenden Rechtsträges116. Für diesen stellt sich die Vermögensübertragung regelmäßig als Sacheinlage dar117, die gemäß §§ 142 Abs. 1 UmwG, 183 Abs. 3 AktG stets auch einer Sacheinlageprüfung zu unterziehen ist. Die Bestimmung des konkreten Verhältnisses mit dem die Aktionäre der Muttergesellschaft an der Sachkapitalerhöhung partizipieren ist in der Regel unproblematisch, da sämtliche aus der Sachkapitalerhöhung resultierenden Aktien (einschließlich ggf. der von der Muttergesellschaft gehaltenen Aktien) den Aktionären der Muttergesellschaft zustehen und dementsprechend den Aktionären im Verhältnis ihrer bisher bestehenden Beteiligung an der Muttergesellschaft zu gebucht werden.
4.89
Einstweilen frei.
4.90
bb) Formale Anforderungen In formaler Hinsicht bedarf der Spaltungs- und Übernahmevertrag gemäß §§ 125 Satz 1, 6 UmwG der notariellen Beurkundung. Das Beurkundungserfordernis bezieht sich auf den Vertrag selbst sowie sämtliche Anlagen und Nebenabreden, soweit diese nach Gesetz oder Parteiwillen untrennbar mit der Spaltung verbunden sind118. Für die Entwurfsaufstellung, wie sie in verschiedenen Stadien der Abspaltung notwendig ist, genügt hingegen die Schriftform (§§ 125 Satz 1, 4 Abs. 2 UmwG)119.
4.91
In zeitlicher Hinsicht ist darauf zu achten, dass der Entwurf des Spaltungs- und Übernahmevertrages spätestens einen Monat vor dem Tag der Zustimmung durch die Hauptversammlung des übertragenden Rechtsträgers dem zuständigen Betriebsrat zuzuleiten ist (§ 126 Abs. 3 UmwG)120. Die Monatsfrist beginnt von neuem, soweit nach der Übermittlung an den Betriebsrat Änderungen am Vertrag vorgenommen werden121. Insoweit ist es üblich, das Vorhaben mit dem Betriebsrat bereits vor der eigentlichen Zuleitung des Spaltungs- und Übernahmevertrages abzustimmen, um Änderungen während der Monatsfrist möglichst zu vermeiden.
4.92
Schließlich ist der Spaltungs- und Übernahmevertrag vor Einberufung der Hauptversammlung beim Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers einzureichen (§§ 125 Satz 1,
4.93
114 Sickinger in Kallmeyer, UmwG, § 123 Rz. 4; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 126 UmwG Rz. 65, 66. 115 Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 126 UmwG Rz. 67 m.w.N. 116 Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 126 UmwG Rz. 69.2. 117 Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 126 UmwG Rz. 69.2. 118 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 5.1; Stratz in Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, UmwStG, § 6 UmwG Rz. 4; Schröer in Semler/Stengel, UmwG, § 6 Rz. 5; Drygala in Lutter, UmwG, § 6 Rz. 3. 119 Simon in Happ, Konzern- und Umwandlungsrecht, 10.01 Rz. 5.3. 120 Zur Konstellation, dass ein Gesamtbetriebsrat besteht, s. Schröer in Semler/Stengel, UmwG, § 126 Rz. 108. 121 Einschränkend Priester in Lutter, UmwG, § 126 Rz. 97 („wesentliche Arbeitnehmerinteressen berührende Änderungen“).
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61 UmwG) und gemeinsam mit weiteren Unterlagen wie dem Spaltungs- und Spaltungsprüfungsbericht sowie den Jahresabschlüssen und Lageberichten der beteiligten Rechtsträger für die letzten drei Geschäftsjahre ab dem Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung gemäß §§ 125 Satz 1, 63 UmwG in den Geschäftsräumen des übertragenden Rechtsträgers auszulegen. c) Spaltungsbericht
4.94 Die Vorstände der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften haben als deren Vertretungs-
organe jeweils einen schriftlichen Spaltungsbericht anzufertigen, in dem sie die Spaltung im Einzelnen rechtlich und wirtschaftlich erläutern (§§ 125 Satz 1, 8, 127, 135 UmwG). Der Bericht kann – und wird in der Regel auch – gemeinsam erstattet werden (§§ 125 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 a.E., 127 Satz 1 a.E., 135 UmwG). Durch den Bericht sollen die Aktionäre der Mutter- und der Tochtergesellschaft über die geplante Maßnahme informiert und auf die Beschlussfassung in den jeweiligen Hauptversammlungen vorbereitet werden122. Der Spaltungsbericht ist den Aktionären spätestens mit der Einberufung der Hauptversammlung, die über die Spaltung beschließen soll, zugänglich zu machen (vgl. §§ 125 Satz 1, 63 UmwG). Wird der Spaltungsbericht nicht oder nicht formgemäß erstattet, oder entspricht er inhaltlich nicht den gesetzlichen Anforderungen, so ist der darauf beruhende Hauptversammlungsbeschluss zur Abspaltung innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung anfechtbar (§§ 125 Satz 1, 14 UmwG, 243 Abs. 4 AktG).
4.95 Der Spaltungsbericht hat insbesondere auf folgende Themen einzugehen: (i) rechtliche
und wirtschaftliche Gründe der Spaltung, (ii) rechtliche, steuerliche und wirtschaftliche Auswirkungen der Spaltung auf die beteiligten Rechtsträger, (iii) Zuteilungsverhältnis, (iv) Regelungen des Spaltungsvertrages, (v) Beschreibung der Mitgliedschaft beim übernehmenden Rechtsträger, (vi) Beschreibung der rechtlichen Verhältnisse des übernehmenden Rechtsträgers und dessen vertragliche Beziehungen zum übertragenden Rechtsträger sowie (vii) Auswirkungen auf die Arbeitnehmer123. In den Spaltungsbericht müssen Tatsachen nicht aufgenommen werden, deren Bekanntwerden geeignet wäre, einem der beteiligten Rechtsträger einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen (§§ 125 Satz 1, 8 Abs. 2 UmwG). Mit dieser Regelung soll den beteiligten Rechtsträgern ermöglicht werden, die Offenlegung von – ansonsten für die Bewertung der Spaltung relevanten – Geschäftsgeheimnissen zu vermeiden. Allerdings ist in dem Spaltungsbericht in diesem Fall eine Begründung aufzunehmen, warum die Offenlegung bestimmter Tatsachen unterblieben ist.
4.96 Ein Spaltungsbericht ist entbehrlich, wenn alle Anteilsinhaber der beteiligten Gesellschaf-
ten hierauf notariell verzichten oder sich alle Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden (§§ 125 Satz 1, 8 Abs. 3 UmwG)124. Diese Ausnahmeregelungen sind in der Regel nur bei konzerninternen Umstrukturierungen relevant. In der typischen Spin-Off-Struktur hingegen, bei der die Muttergesellschaft selbst eine (börsennotierte) Publikumsgesellschaft ist, sind diese Ausnahmeregelungen aufgrund der Diversifizierung der Aktionärsstruktur von untergeordneter Bedeutung. Darüber hinaus ist gemäß § 143 UmwG dann, wenn die Abspaltung aus dem Vermögen einer bestehenden Aktiengesellschaft durch Neugründung einer oder mehrerer Aktiengesellschaf-
122 Gehling in Semler/Stengel, UmwG, § 127 Rz. 1. 123 Dazu jeweils ausführlich Gehling in Semler/Stengel, UmwG, § 127 Rz. 14 ff.; Sickinger in Kallmeyer, UmwG, § 127 Rz. 5 ff.; Schwab in Lutter, UmwG, § 127 Rz. 17 ff. 124 Näher Gehling in Semler/Stengel, UmwG, § 8 Rz. 68 ff.
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ten erfolgt und die neuen Aktien im Verhältnis der Beteiligung der Aktionäre an der übertragenden Aktiengesellschaft ausgegeben werden (sog. verhältniswahrende Spaltung zur Neugründung), keine Erstellung eines Spaltungsberichts erforderlich. Diese Möglichkeit wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 11.7.2011 neu geschaffen125. Gleichwohl wurden die meisten Spin-Offs seither als Abspaltung zur Aufnahme vollzogen, so dass auch diese Ausnahmeregelung in den typischen Spin-OffKonstellationen eine eher untergeordnete Rolle spielt. d) Spaltungsprüfung (Spaltungsprüfungsbericht) Der Spaltungsvertrag – nicht der Spaltungsbericht – ist durch einen oder mehrere sachverständige Prüfer (Spaltungsprüfer) zu prüfen (§§ 125 Satz 1, 9 UmwG). Die jeweiligen Spaltungsprüfer für die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften werden auf Antrag ihrer jeweiligen Vertretungsorgane von dem Landgericht, in dessen Bezirk die übertragende Gesellschaft ihren Sitz hat, bestellt (§§ 125 Satz 1, 10 UmwG). Die Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften können auch gemeinsam einen Antrag auf Bestellung eines gemeinsamen Spaltungsprüfers stellen126. Die Entscheidung, ob ein gemeinsamer Prüfer oder jeweils gesonderte Prüfer bestellt werden, liegt jedoch beim zuständigen Gericht127. Zum Prüfer kann nur bestellt werden, wer entsprechend der handelsrechtlichen Vorschriften auch zum Abschlussprüfer des Jahresabschlusses der beteiligten Gesellschaften bestellt werden kann (§§ 125 Satz 1, 11 UmwG, §§ 319 ff. HGB). Schon aus möglichen Interessenkonfliktgründen greift man üblicherweise bei der Bestellung des/der Spaltungsprüfer(s) nicht auf die Abschlussprüfer der beteiligten Gesellschaften zurück.
4.97
Die Spaltungsprüfer haben jeweils einen schriftlichen Prüfungsbericht zu erstatten, in dem sie zu dem im Spaltungsvertrag vorgeschlagenen Zuteilungsverhältnis der Anteile, also dem Verhältnis, in dem die Aktionäre der Muttergesellschaft Aktien der Tochtergesellschaft erhalten, Stellung nehmen (§§ 125 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwG). Der Spaltungsprüfungsbericht muss auch Aussagen zu den zur Ermittlung des Beteiligungsverhältnisses angewandten Bewertungsmethoden enthalten (§§ 125 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwG). Der Bericht schließt mit der Erklärung, ob das vorgeschlagene Beteiligungsverhältnis angemessen ist (§§ 125 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 1 UmwG). Darüber hinaus prüfen die Spaltungsprüfer die Vollständigkeit und Richtigkeit des Spaltungsvertrages128. Der Spaltungsprüfungsbericht ist den Aktionären spätestens mit der Einberufung der Hauptversammlung, die über die Spaltung beschließen soll, zugänglich zu machen (vgl. §§ 125 Satz 1, 63 UmwG).
4.98
Der Spaltungsprüfungsbericht ist grundsätzlich in den gleichen Fällen wie der Spaltungsbericht entbehrlich. Insbesondere ist bei einer verhältniswahrenden Spaltung zur Neugründung unter Beteiligung von Aktiengesellschaften keine Spaltungsprüfung erforderlich (§ 143 UmwG; s. hierzu Rz. 4.96). Allerdings ist die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 2 UmwG, nach der keine Prüfung erforderlich ist, wenn sich die Anteile des übertragenden Rechtsträgers in der Hand des übernehmenden Rechtsträgers befinden, aufgrund der aus-
4.99
125 BGBl. I 2011, 1338; vgl. Fronhöfer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 125 UmwG Rz. 33. 126 Zeidler in Semler/Stengel, UmwG, § 10 Rz. 7. 127 Zeidler in Semler/Stengel, UmwG, § 10 Rz. 7. 128 Zu möglichen weiteren Berichtspflichten ausführlich Zeidler in Semler/Stengel, UmwG, § 12 Rz. 14 m.w.N.
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drücklichen Anordnung des § 125 Satz 1 UmwG nicht anwendbar, so dass in solchen Fällen grundsätzlich eine Spaltungsprüfung stattzufinden hat129. e) Beschlüsse
4.100
Die Anteilsinhaber der beteiligten Rechtsträger müssen dem Spaltungsvertrag bzw. seinem Entwurf in notariell beurkundeter Form zustimmen (§§ 125 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Der Zustimmungsbeschluss erfordert eine Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals der beteiligten Rechtsträger (vgl. §§ 125, 65 UmwG). Durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag können höhere Mehrheiten vorgesehen werden. Verfügt einer der beteiligten Rechtsträger über mehrere Aktiengattungen, so ist für jede dieser Gattungen ein gesonderter Beschluss einzuholen, für den jeweils das Mehrheitserfordernis des § 65 Abs. 1 UmwG gilt (§§ 125 Satz 1, 65 Abs. 2 UmwG). Zur Vorbereitung der Beschlussfassung sind vor allem mit Blick auf den Spaltungs- und Übernahmevertrag, den Spaltungsbericht und den Spaltungsprüfungsbericht strenge Offenlegungs- und Informationspflichten (§§ 125, Satz 1 63 UmwG) zu beachten.
4.101
Die Beschlussfassung auf Ebene der Tochtergesellschaft ist regelmäßig unproblematisch, da sich deren Anteile zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch vollständig im Besitz der Muttergesellschaft befinden. Bei der Muttergesellschaft handelt es sich hingegen regelmäßig um eine (börsennotierte) Publikumsgesellschaft, wodurch die erforderlichen Mehrheiten in Abhängigkeit von der konkreten Aktionärsstruktur nicht als gesichert angesehen werden können. Zudem kommt aufgrund dieser Konstellation ein Verzicht auf Anfechtungsklagen gegen den Zustimmungsbeschluss regelmäßig nicht in Betracht (zu den zeitlichen Implikationen im Hinblick auf Anmeldung und Eintragung der Abspaltung im Handelsregister s. Rz. 4.76 ff.).
4.102
Neben den Zustimmungsbeschlüssen kommen bei den beteiligten Rechtsträgern noch eine Reihe weiterer notwendiger oder wenigstens zweckdienlicher Beschlüsse in Betracht. Insbesondere ist hier der Sachkapitalerhöhungsbeschluss auf Ebene der Tochtergesellschaft zu nennen. Die Abspaltung vollzieht sich bei der Tochtergesellschaft regelmäßig als Sachkapitalerhöhung (s. hierzu Rz. 4.89). Hierfür gelten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Aktiengesetzes (§§ 182 ff. AktG). Insbesondere hat bei der Sachkapitalerhöhung grundsätzlich eine Sacheinlageprüfung durch einen oder mehrere externe Prüfer stattzufinden (§ 183 Abs. 3 AktG). Von einer Prüfung der Sacheinlage kann unter den Voraussetzungen des § 183a i.V.m. § 33a AktG abgesehen werden. Eine Prüfung ist demnach vor allem dann entbehrlich, wenn es sich bei den einzubringenden Vermögensgegenständen um an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 11 WpHG) notierte Wertpapiere handelt, die mit dem gewichteten Durchschnittspreis der letzten drei Monate vor Einbringung bewertet wurden bzw. wenn durch einen entsprechenden Sachverständigen eine Ermittlung des Zeitwerts nach anerkannten Bewertungsgrundsätzen innerhalb der letzten 6 Monate vor Einbringung erfolgt ist (§ 33a Abs. 1 AktG). Wurde auf die Prüfung der Sacheinlage verzichtet, kann sie gemäß § 183a Abs. 3 AktG gleichwohl auf Antrag von Aktionären, die gemeinsam mindestens 5 % des Grundkapitals bei Beschlussfassung innehaben, nachgeholt werden. Ein entsprechender Antrag kann nur bis zur Eintragung der Durchführung der Sachkapitalerhöhung erfolgen. Die Eintragung darf wiederum nicht vor Ablauf von vier 129 Kritisch hierzu Fronhöfer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 125 UmwG Rz. 35, 42 ff.; § 9 UmwG; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 9 UmwG Rz. 7 ff., 39; Sagasser in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, § 18 UmwG Rz. 164.
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Wochen nach Bekanntgabe des Kapitalerhöhungsbeschlusses gemäß § 183a Abs. 2 AktG erfolgen. Ferner sind auf Ebene der Tochtergesellschaft regelmäßig die Nachgründungsvorschriften des § 52 AktG zu beachten (s. hierzu Rz. 3.65). Soweit der übernehmende Rechtsträger neu gegründet bzw. als Vorratsgesellschaft erworben wurde, sind zum Zeitpunkt der Abspaltung typischerweise noch keine zwei Jahre seit der Eintragung des übernehmenden Rechtsträgers im Handelsregister vergangen. Zudem wird die Gegenleistung im Zuge der Sacheinlage regelmäßig 10 % des Grundkapitals übersteigen. Insoweit sind die besonderen Informations- und Berichtspflichten des § 52 AktG zu beachten. Kommt es schließlich im Zuge der Abspaltung zu einer Änderung des Unternehmensgegenstandes beim übertragenden bzw. übernehmenden Rechtsträger, so ist dies durch entsprechende satzungsändernde Beschlüsse nachzuvollziehen.
4.103
2. Notwendigkeit eines Wertpapierprospekts nach den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes Um einen eigenständigen Kapitalmarktauftritt der Tochtergesellschaft zu erreichen und den Aktionären der Muttergesellschaft und ggf. hinzutretenden Neuaktionären der Tochtergesellschaft handelbare Aktien bieten zu können, geht der Spin-Off regelmäßig mit der gleichzeitigen Börsenzulassung des gesamten Grundkapitals der Tochtergesellschaft einher. Hier ist grundsätzlich die Prospektpflicht des § 3 Abs. 4 WpPG zu beachten (s. hierzu ausführlich § 36). Das bedeutet, dass für die erstmalige Zulassung des Grundkapitals des übernehmenden Rechtsträgers an einem organisierten Markt ein Wertpapierprospekt in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes und der EU-Prospektverordnung zu erstellen ist130. Dieser ist in der Regel auch die Grundlage für die Vermarktung eines etwaigen Angebotsüberhangs (s. hierzu Rz. 4.114 ff.).
4.104
Die Prospekterstellung ist mit einem nicht unerheblichen zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden, der die mit dem Spin-Off verbundene strukturelle und dokumentationsbedingte Komplexität weiter erhöht. Gleichzeitig steht mit dem Spaltungs- und Übernahmevertrag, dem Spaltungsbericht, dem Spaltungsprüfungsbericht sowie einem ggf. zu erstellenden Sacheinlageprüfungsbericht bereits eine umfangreiche Informationsgrundlage zur Verfügung. Nach der Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 2 Nr. 4 WpPG könnte daher im Falle der Spaltung unter bestimmten Voraussetzungen auf die Erstellung eines Wertpapierprospekts verzichtet werden. Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung ist aber, dass ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben, dem eines Prospekts gleichwertig sind131. Vergleicht man die vorhandene Abspaltungsdokumentation mit dem typischen Aufbau eines Wertpapierprospekts, so gelangt man zum Ergebnis, dass wenigstens im Bereich der Risikofaktoren, der Finanz- und Geschäftsinformationen und der Darstellung und Analyse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage Lücken bestehen, die die von § 4 Abs. 2 Nr. 4 WpPG geforderte Vergleichbarkeit zweifelhaft erscheinen lassen132. Insoweit ist davon
4.105
130 Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 3 Rz. 55. 131 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126 S. 7; zur Verschmelzung: Schlitt in Assmann/Schlitt/ von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 15; Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/ Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 79. 132 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126 S. 7; zur Verschmelzung: Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 17; Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/ Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 79; a.A. Groß, Kapitalmarktrecht, § 4 WpPG Rz. 14.
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auszugehen, dass die Spaltungsdokumentation wenigstens um Angaben zu diesen Punkten ergänzt werden müsste, um dem Kriterium der Vergleichbarkeit zu genügen133. Selbst unter diesen Voraussetzungen ist eine Vergleichbarkeit jedoch noch zweifelhaft, denn die inhaltliche Aktualität der Spaltungsdokumentation endet aufgrund der Auslegungspflicht ab dem Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung (§§ 125 Satz 1, 63 UmwG) spätestens im Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung, während der Wertpapierprospekt zum Billigungszeitpunkt unmittelbar vor Zulassung des Grundkapitals des übertragenden Rechtsträgers dem Kohärenzgebot des § 5 Abs. 1 WpPG entsprechend muss134. Insoweit müsste die Spaltungsdokumentation auch nach dem Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung bis zum Zeitpunkt der Börsenzulassung der Aktien der Tochtergesellschaft, welche wegen der genannten Anfechtungsrisiken mit zeitlicher Verzögerung erfolgen kann, aktualisiert werden135. In der Praxis wird daher von der Ausnahmereglung des § 4 Abs. 2 Nr. 4 WpPG kein Gebrauch gemacht, sondern zusätzlich zu der eigentlichen Spaltungsdokumentation ein den Vorgaben des Wertpapierprospektgesetzes und der EU-Prospektverordnung entsprechender Wertpapierprospekt erstellt.
4.106
Der Wertpapierprospekt spielt nicht nur als Zulassungs- sondern auch als Angebotsdokument für die Vermarktung eines etwaig entstehenden Angebotsüberhangs im Rahmen des Spin-Offs eine wichtige Rolle (s. nachfolgend Rz. 4.114 ff.)136. Zwar ist der Wertpapierprospekt in diesen Fällen rechtlich unter Umständen (z.B. im Falle der reinen Privatplatzierung bei qualifizierten Investoren) entbehrlich. Allerdings ist es im Interesse aller Beteiligten, dass die Vermarktung eines etwaigen Angebotsüberhangs auf Basis eines einheitlichen und aktuellen Vermarktungsdokuments erfolgen kann. Der Wertpapierprospekt ist ein solches Vermarktungsdokument, das zudem noch den Vorteil bietet, nicht den allgemeinen Prospekthaftungsregeln (s. hierzu Rz. 41.159 ff.), sondern den spezialgesetzlichen Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes (s. hierzu Rz. 41.20 ff.) zu unterfallen. Darüber hinaus ist bei internationaler Vermarktung auch für etwaige Investoren ein den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes und der EU-Prospektverordnung entsprechend gestalteter Prospekt leichter zu vermitteln. Insoweit spricht auch die Notwendigkeit einer sekundären Vermarktung der Aktien der Tochtergesellschaft regelmäßig für die Erstellung eines Wertpapierprospekts im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes. Hinzu kommt, dass zum Zwecke der Umplatzierung des Angebotsüberhangs sowie für einen internationalen Kapitalmarktauftritt des abgespaltenen Tochterunternehmens regelmäßig eine englischsprachige Version des Wertpapierprospektes erforderlich und ausreichend ist – die Spaltungsdokumentation hingegen primär in deutscher und nicht notwendigerweise in englischer Sprache vorliegen muss. 3. Handelsregisteranmeldung und Handelsregistereintragung
4.107
Die Spaltung ist beim Handelsregister jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften zur Eintragung anzumelden. Bei der Spaltung zur Aufnahme ist das Vertretungsorgan der 133 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126 S. 7; zur Verschmelzung: Schlitt in Assmann/Schlitt/ von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 17; Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 55; Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 79; Seibt/v. Bonin/Isenberg, AG 2008, 565, 570. 134 Zur Verschmelzung: Groß, Kapitalmarktrecht, § 4 WpPG Rz. 15; Schnorbus in Berrar/Meyer/ Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 80. 135 Schlitt/Ries, Platow Recht 2012, Nr. 126 S. 7. 136 Zur Verschmelzung: Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 81.
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übernehmenden Gesellschaft hinsichtlich der Eintragung auch in das Register der übertragenden Gesellschaft anmeldeberechtigt (§ 129 UmwG). Bei der Spaltung zur Neugründung hat das Vertretungsorgan der übertragenden Gesellschaft neben der Anmeldung beim eigenen Handelsregister auch die übernehmende Gesellschaft bei dem Gericht, in dessen Bezirk diese ihren Sitz haben soll, zur Eintragung anzumelden (§ 137 UmwG). Der Handelsregisteranmeldung sind gemäß § 125 Satz 1 i.V.m. § 17 UmwG grundsätzlich die folgenden Dokumente als Anlagen beizufügen: (i) Spaltungsvertrag, (ii) Spaltungsbeschlüsse, (iii) ggf. erforderliche Zustimmungserklärungen einzelner Anteilsinhaber, (iv) Spaltungsbericht (bzw. Verzichtserklärungen), (v) Spaltungsprüfungsbericht (bzw. Verzichtserklärungen), (vi) ggf. Nachweis über rechtzeitige Zuleitungen an den Betriebsrat sowie (vii) beim Register des übertragenden Rechtsträgers dessen letzte Bilanz (Schlussbilanz)137. In der Anmeldung haben die jeweiligen Vertretungsorgane zudem zu erklären, dass eine Klage gegen die Wirksamkeit des Spaltungsbeschlusses nicht oder nicht fristgemäß erhoben, bzw. rechtskräftig abgewiesen oder zurückgenommen wurde (§ 125 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 2 UmwG; s. hierzu Rz. 4.78). Insoweit gilt das Prinzip der formalen Registersperre138. Die Spaltung wird mit der Eintragung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers wirksam und darf dort daher erst eingetragen werden, nachdem sie im Register des übernehmenden Rechtsträgers eingetragen worden ist (§ 130 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Die Eintragung im Register des übernehmenden Rechtsträgers muss mit dem Vermerk versehen werden, dass die Spaltung erst mit Eintragung im Register des übertragenden Rechtsträgers wirksam wird, sofern die Eintragung nicht am selben Tag erfolgt (§ 130 Abs. 1 Satz 2 UmwG).
4.108
4. Nachhaftung und Sicherheitsleistung Jedenfalls im Hinblick auf die Haftungsverhältnisse wird die mit dem Spin-Off verbundene Zielsetzung der vollständigen Trennung von Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft aufgrund der gesetzlichen Nachhaftungsregelungen und Sicherheitsleistungsverpflichtungen der Muttergesellschaft nur eingeschränkt erreicht.
4.109
Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG haften die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die vor dem Wirksamwerden der Spaltung bestehenden Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft (Altschulden) gesamtschuldnerisch139. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung von Altschulden zu Neuschulden ist somit die Eintragung der Spaltung in das Handelsregister der Muttergesellschaft140. Es kommt für die Nachhaftung nach § 133 UmwG weder auf die Entstehung noch auf die Fälligkeit der Ansprüche an141. Ausreichend ist vielmehr, dass die Ansprüche gegen die übertragende Gesellschaft begründet sind, also zum maßgeblichen Zeitpunkt der rechtliche Grund für die Ansprüche gelegt ist142. Gemäß
4.110
137 Zur Möglichkeit der Nachreichung s. Rz. 4.76 sowie Blasche, RNotZ 2014, 464, 467; Decher in Lutter, UmwG, § 17 Rz. 13; Simon in KK-UmwG, § 17 Rz. 43. 138 Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.173. 139 Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es sich bei der Nachhaftung nach § 133 UmwG entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift tatsächlich um eine gesamtschuldnerische Haftung i.S.d. §§ 421 ff. BGB oder um eine bloß akzessorische Haftung des übernehmenden Rechtsträgers handelt, vgl. Sagasser in Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, § 18 UmwG Rz. 73 ff.; Vossius in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 133 UmwG Rz. 25. 140 Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 11. 141 Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 12. 142 Dazu ausführlich Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 13 ff.
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§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
§ 133 Abs. 3 Satz 1 UmwG haften diejenigen Rechtsträger, denen die jeweiligen Verbindlichkeiten im Spaltungs- oder Übernahmevertrag nicht zugewiesen sind, grundsätzlich nur für Verbindlichkeiten, die vor Ablauf von fünf Jahren nach Bekanntmachung der Eintragung der Spaltung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers fällig werden und daraus Ansprüche gegen den jeweiligen Rechtsträger festgestellt sind oder Vollstreckungshandlungen vorgenommen oder beantragt werden. Abweichend davon beträgt die Enthaftungsfrist für Versorgungsansprüche nach dem Betriebsrentengesetz jedoch ausnahmsweise zehn Jahre (§ 133 Abs. 3 Satz 2 UmwG)143.
4.111
Für Verpflichtungen aus vom übertragenden Rechtsträger ausgegebenen Instrumenten mit eigenkapitalähnlichem Charakter, die keine Stimmrechte gewähren, wie etwa stimmrechtslose Vorzugsaktien, Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen oder Genussrechte (vgl. § 23 UmwG), gilt für die Nachhaftung die Sonderregelung des § 133 Abs. 2 UmwG. Auch hier haften grundsätzlich alle an der Spaltung beteiligten Rechtsträger gesamtschuldnerisch (vgl. Satz 1). Ansprüche aus § 133 Abs. 2 UmwG verjähren innerhalb von fünf Jahren nach Bekanntmachung der Eintragung der Spaltung im Handelsregister des übertragenden Rechtsträgers144.
4.112
Gläubigern der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften ist zudem gemäß §§ 125 Satz 1 i.V.m. 22 UmwG Sicherheit zu leisten, soweit sie innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung der Spaltung im Handelsregister der Gesellschaft, deren Gläubiger sie sind, ihren Anspruch anmelden und glaubhaft machen, dass durch die Spaltung die Erfüllung ihrer Forderung gefährdet wird. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 UmwG ist zur Sicherheitsleistung allerdings nur der Rechtsträger verpflichtet, gegen den sich der zu sichernde Anspruch richtet, d.h. der, dem dieser im Rahmen der Spaltung zugewiesen wurde145.
VII. Steuerrechtliche Implikationen eines Spin-Offs 4.113
In den Fällen des Spin-Offs wird in der Regel die Steuerneutralität der Abspaltung für den übertragenden Rechtsträger und seine Gesellschafter angestrebt. Die umwandlungssteuerrechtlichen Vorgaben schränken den Gestaltungsspielraum der Beteiligten in dieser Hinsicht jedoch stark ein und lassen gerade beim übertragenden Rechtsträger die Steuerneutralität oftmals fraglich erscheinen. Die steuerliche Behandlung des Spin-Offs richtet sich in erster Linie nach den Vorschriften des § 15 i.V.m. §§ 11 bis 13 und 19 Umwandlungssteuergesetz („UmwStG“). § 15 UmwStG regelt die Aufspaltung, Abspaltung und Vermögensübertragung als Teilübertragung auf eine andere Körperschaft146. Liegen die Voraussetzungen des § 15 UmwStG vor, sind die Vorschriften der §§ 11–13 UmwStG sinngemäß anzuwenden147. Siehe zur Steuerneutralität der Abspaltung im Einzelnen Rz. 9.44 ff.
143 144 145 146 147
Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 77a. Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 76. Seulen in Semler/Stengel, UmwG, § 133 Rz. 123. Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 15 UmwStG Rz. 1. Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, § 15 UmwStG Rz. 3.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
VIII. Angebotsüberhang und Flowback-Management Beim Spin-Off kommt es regelmäßig nach Wirksamwerden der Abspaltung zu einem Angebotsüberhang in Aktien der Tochtergesellschaft, da einige der Aktionäre aufgrund ihrer jeweiligen Anlagevorschriften eine Beteiligung an der Tochtergesellschaft entweder nicht weiter halten wollen oder dürfen und ihre Aktien daher unmittelbar über den Markt abverkaufen wollen. Dabei mag es auch eine Rolle spielen, dass die Aktien „unfreiwillig“ und ohne Einsatz neuer monetärer Mittel, also quasi „kostenlos“, bezogen werden und teilweise nicht in das Investitionskonzept des jeweiligen Investors passen. Tritt ein Angebotsüberhang in größerem Umfang auf, gerät der Börsenkurs der Tochtergesellschaft unter Umständen massiv unter Druck (s. hierzu auch Rz. 3.31). Eine entscheidende Aufgabe der beratenden Investmentbank ist es, diesen potentiellen Angebotsüberhang möglichst frühzeitig zu identifizieren, zu quantifizieren, zu steuern und nach Möglichkeit Investoren zu finden, die diesen Überhang aufnehmen, um so negative Effekte auf den Börsenkurs der Aktie des übernehmenden Rechtsträgers zu vermeiden.
4.114
Das gezielte Flowback-Management ist vermutlich die größte kapitalmarktbezogene Herausforderung bei einem Spin-Off. Die relativ komplexe Quantifizierung bedarf einer oder mehrerer Investmentbanken, die nicht nur die Transaktionsdynamik im Kapitalmarktkontext abschätzen können, sondern vor allem mit den betroffenen Investoren in täglichem Kontakt stehen und deren Motive und mögliche Verhaltensweisen entsprechend antizipieren können. Die daraus gewonnenen qualitativen wie quantitativen Erkenntnisse sollten ein solides Fundament für ein gezieltes Flowback-Management liefern.
4.115
1. Definition, Signifikanz und Wirkung des Flowbacks bei einem Spin-Off Unter dem Begriff „Flowback“ in Bezug auf eine Kapitalmarkttransaktion versteht man den Rückfluss von bzw. die Abgabe erhaltener Aktien durch Aktionäre der Muttergesellschaft, die auf dem Wege der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage Aktien des übernehmenden Rechtsträgers erhalten, über den Finanzmarkt. Das Ausmaß des Flowbacks bzw. die Kursperformance der Tochtergesellschaft über die ersten Handelstage und -wochen nach Notierungsaufnahme wird häufig als Qualitätskriterium des Transaktionserfolges gewertet und sollte daher frühzeitig vor Transaktionsdurchführung in seiner Signifikanz abgeschätzt und durch transaktionsbegleitende Maßnahmen möglichst minimiert bzw. optimiert werden. Das jeweilige Größenverhältnis des Flowbacks im Vergleich zur Gesamttransaktion, dessen Motive sowie die zeitliche Abfolge sind von Transaktion zu Transaktion verschieden, jedoch wird in der Praxis auf relevante Fallbeispiele zurückgegriffen, um bestimmte Verhaltensmuster der wesentlichen Investorengruppen als Maßstab für den Flowback-Effekt bei geplanten Spin-Offs anzusetzen. Bei den jüngsten Spin-Offs in Deutschland lag der Gesamt-Flowback im Betrachtungszeitraum bis drei Monate nach Notierungsaufnahme jeweils bei etwa 20–30 % der neu ausgegebenen Aktien.
4.116
In der Regel ist der Angebotsüberhang weitgehend unabhängig von der jeweiligen Bewertung der neuen Aktien, da der zugrundeliegende Bewertungsmaßstab stets durch objektiv nachvollziehbare Kriterien definiert wird. Häufig ist der Flowback somit von subjektiven oder anlegerpsychologischen sowie investorspezifischen Anlagekriterien geprägt. Eine wesentliche Bedeutung kommt hierbei der Aktionärsstruktur der abgespaltenen Gesellschaft zu (langfristig orientierte Anleger oder spekulative Investoren wie etwa Hedgefonds, Sektor-Spezialisten oder Generalisten, lokale oder internationale Investoren, Privatanleger etc.). Eine zunehmend höhere Spezialisierung der globalen Investorenbasis führt tenden-
4.117
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§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
ziell zu verstärktem Abgabedruck, da die neu bezogenen Aktien vielfach nicht mehr exakt einem bestimmten Industriethema bzw. den spezifischen Wertschöpfungsprämissen des jeweiligen Investmentfonds zugeordnet werden können. Das Fallbeispiel Bayer, die investorenseitig eher der Pharmaindustrie zugeordnet wird, und ihrer abgespaltenen ChemieTochter Lanxess implizierte eine bedeutende Investorenrotation von Pharma-Spezialisten zu Chemie-Investoren. Diese Sektor-Spezialisten agieren in der Regel zwar oft auf derselben Fondsplattform, treffen jedoch unabhängig voneinander Investmententscheidungen und mussten somit durch aktives Flowback-Management adressiert werden. Vor allem globale Investmenthäuser verfügen zunehmend über spezialisierte Industrie-Fonds, die eine präzise Analyse von möglichen Sektor-Dynamiken im Spin-Off unverzichtbar machen. Unabhängig von der Sektor-Dynamik spielt die relative Marktkapitalisierung der abgespaltenen Gesellschaft eine wesentliche Rolle (Small- oder Large-Cap). Vor allem internationale Fonds müssen aus Risikogesichtspunkten auf eine Mindestgröße und ausreichend Handelsliquidität achten. Darüber hinaus wird die entsprechende Indexgewichtung vor allem von Generalisten- oder Indextracker-Fonds als Investitionskriterium genommen, wobei sich Investoren meist auf einen großen Länderindex oder den jeweils führenden Industrie-Index beziehen (z.B. MSCI oder Dow Jones EuroStoxx-Index-Serien). Kleinere Spin-Off-Kandidaten erleiden somit oftmals und teils ungerechtfertigt einen Selektionsnachteil.
4.118
In zeitlicher Hinsicht materialisiert sich der Angebotsüberhang erfahrungsgemäß vor allem in den ersten zwei Handelswochen nach Notierungsaufnahme der Aktien der Tochtergesellschaft. Neben Investoren, die den Verkauf bereits bei Zuteilung der neuen Aktien einleiten, gibt es eine beachtlich große Gruppe an Aktionären, die länger zur Entscheidungsfindung brauchen oder bewusst abwarten, bis die Aktie im Handelsverlauf einen geeigneten Ausstiegskurs bietet. Hieran sollte sich die Planung der entsprechenden Maßnahmen zur Flowback-Minimierung orientieren. Ähnlich wie beim Börsengang müssen diese Maßnahmen mit großer Sorgfalt als vermarktungsspezifisches Gesamtkonzept definiert und gemeinsam mit den Vorständen der beteiligten Gesellschaften, evtl. Investor RelationsTeams und PR-Abteilungen sowie den entsprechenden Beratern als separater Arbeitsblock umgesetzt werden. Dabei sollten das zeitgerechte und effiziente Kalibrieren des Überangebotes und die Maximierung der Nachfrage bei Handelsaufnahme im Fokus stehen. Die beratenden Investmentbanken werden in der Regel die Umplatzierung der neuen Aktien („Marketed Redistribution“; s. hierzu auch Rz. 3.31) sowie die Einschätzung der jeweiligen Verhaltensweisen bzw. Anlagestrategien der größten Investoren in der abspaltenden Gesellschaft übernehmen, aktiver Input eines deshalb rechtzeitig zu etablierenden Investor Relations-Teams ist jedoch unabdingbar. 2. Positive Transaktionseffekte in Bezug auf die Flowback-Dynamik
4.119
Im Projektablauf sollten bereits vor der Handelsaufnahme ausreichende Maßnahmen implementiert werden, um Angebot und Nachfrage am ersten Handelstag möglichst auszugleichen und eine „geordnete Aufnahme“ des Handels sicherzustellen. Dabei kommt den folgenden „natürlichen“ Aspekten der Spin-Off-Dynamik eine prozesserleichternde Bedeutung zu:
4.120
Ein Großteil der bestehenden Aktionäre der Muttergesellschaft sollte die Transaktion unterstützend aufnehmen, wobei eine positive Entscheidung der in der Hauptversammlung vertretenen Investoren hierbei die grundsätzlich positive Einstellung der Investorenmehrheit unterstreicht. Bestehende Aktionäre kennen bereits das Anlageprofil der Tochterge194 | Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
sellschaft sowie meist auch deren Management aus Interaktion mit der Muttergesellschaft. In der Regel verfügen sie auch über eine realistische Ersteinschätzung der „fairen“ Bewertung sowie des möglichen Wertsteigerungspotentials nach der Abspaltung. Viele Spin-Off Kandidaten werden sowohl von Researchanalysten wie auch engagierten Investoren durch eine separate Segmentbewertung („sum-of-the-parts-Bewertung“) erfasst. In Bezug auf die geographischen Aspekte eines Spin-Offs löst die Transaktion meist keine geographischen Veränderungen, wie etwa den Wechsel der Nominationswährung oder des Börsenplatzes aus, was den Interessen bestehender, vielfach geographisch orientierter Investoren entgegenkommen sollte. Ein Trend zum länderübergreifenden Spin-Off konnte in Europa bisher eher nur sehr vereinzelt beobachtet werden. In jüngster Praxis werden vereinzelt Spin-Offs (wie auch Sub-IPOs) asiatischer Geschäftsbereiche in Hong Kong bzw. Singapur konzeptionell erwogen. Solch ein Schritt würde einen neuen Investorenkreis ansprechen müssen, implizit zu erhöhtem Flowback führen und sich daher nur dann als attraktive Alternative anbieten, wenn entweder eine bedeutende Wertsteigerung herbeigeführt wird (Listing von wesentlichen Vergleichsunternehmen an einer internationalen Börse, besseres Sektorverständnis der jeweils regionalen Investoren etc.) oder wenn die Unternehmenspositionierung in einem vielversprechenden regionalen Wachstumsmarkt verbessert werden kann.
4.121
Als weiterer positiver Faktor zur Flowbackminimierung sollte auch die subjektiv größere Sicherheit in Bezug auf Kapitalstruktur, Management Track-Record und Geschäftsstrategie der Tochtergesellschaft im Vergleich zu Börsenkandidaten aus dem klassischen IPO-Bereich gesehen werden. Investoren schätzen hierbei den „Leumund“ der Muttergesellschaft als Qualitätssiegel.
4.122
3. Negative Transaktionseffekte in Bezug auf die Flowback-Dynamik Trotz der vielschichtigen positiven Dynamik um den Flowback, muss in der Praxis besonderes Augenmerk auf Negativfaktoren im Kontext eines möglichen Angebotsüberhangs gelegt werden.
4.123
Eine unzureichend große Marktkapitalisierung der abgespaltenen Tochtergesellschaft bzw. zu geringe Handelsliquidität stellt meist eine wesentliche Hürde für eine reibungslose Platzierung dar. Besonders internationale Investoren sind in Abhängigkeit von ihren internen Compliance- und Risikomanagementsystemen eng an Mindestliquiditätsanforderungen gebunden. Neu bezogene Aktien mit zu geringer Marktkapitalisierung und zu geringem Handelsumsatz können nicht im Portfolio behalten werden. Zudem wird der Spin-Off von Investoren oftmals auch als „letztbeste“ Alternative zu einem erfolglosen strategischen Verkauf oder Börsengang gesehen. Die Qualität der Tochtergesellschaft als eigenständige Börsenstory wird implizit als unzureichend angesehen. Regelmäßig kritisieren Investoren in diesem Kontext unzureichend differenzierte Investitionsmerkmale oder, in drastischeren Fällen, minderqualifiziertes Management.
4.124
Einen eher technisch relevanten Aspekt stellt die Thematik der Indexaufnahme bzw. des -ausschlusses dar. Indexfonds müssen bei Indexanpassungen ihre jeweilige Beteiligung kürzen oder komplett abgeben, solange die Tochtergesellschaft nicht in denselben Index aufgenommen wird wie die Muttergesellschaft, was aufgrund der relativen Größenverhältnisse meist sehr unwahrscheinlich ist. Indexmitgliedschaften spielen nicht nur für spezialisierte Indextracker-Investoren, sondern auch für das breitere Investorenspektrum aus Signaling-
4.125
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§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
Gesichtspunkten für die Anlageentscheidung eine wesentliche Rolle. Im schlimmsten Fall tritt mit einer möglichen Indexabstufung der Muttergesellschaft sowie der Nichtaufnahme der Tochtergesellschaft ein doppelt negativer Effekt ein.
4.126
Abschließend sollte die Relevanz des Sektorfokus seitens der Investoren hervorgehoben werden. Investitionsentscheidende Aspekte wie die mögliche Zyklizität des Subsektors, negative Nachfragetrends, unzureichend starke Positionierung der abgespalteten Tochtergesellschaft gegenüber bereits börsennotierten Konkurrenten oder größeren Konglomeraten werden im Zweifel eher negativ eingeschätzt und es wird oftmals auf zeitintensive fundamentale Analysen geänderter Werttreiber verzichtet. 4. Rolle der Investmentbank beim Flowback-Management
4.127
Aufgrund des fehlenden Underwriting-Erfordernisses und des geringeren Distributionsaufwandes werden beim Spin-Off meist nur ein bis zwei Investmentbanken mandatiert. Bei der Auswahl der Investmentbanken ist nicht nur auf die Qualität des Corporate Financeund Sektorteams, sondern vor allem auch auf Qualifikationen im Kapitalmarktzugang zu achten. Auswahlkriterien sollten vor allem der Marktanteil im Handel der Aktie oder die Qualität des Research-Analysten (auch und besonders im Sektor des abgespaltenen Unternehmens) darstellen, denn die jeweiligen Sektorexperten der Corporate Finance- aber auch der Kapitalmarkt-, Handels- und Aktienresearch-Teams tragen wesentlich zur bestmöglichen Positionierung der Tochtergesellschaft im Aktienmarkt bei.
4.128
Das Verfassen einer einführenden Aktienresearch-Analyse („transaction research“) zählt zu den Kernaufgaben der beratenden Banken. Hierbei wird eine umfassende Beschreibung der Geschäftstätigkeit des abgespaltenen Unternehmens, der Investitionshighlights, der wesentliche Sektortrends sowie einführende Bewertungsüberlegungen erstellt. Diese ResearchAnalyse dient als wesentliches Instrument zur Minimierung des Angebotsüberhangs. Je nach Sektorrelevanz wird die abgespaltene Gesellschaft nicht vom dem bereits publizierenden Analysten der abspaltenden Gesellschaft betreut, sondern von dem bestqualifizierten Sektoranalysten der jeweiligen Bank(en). Die Research-Analysten müssen in strenger Übereinstimmung der jeweiligen rechtlichen Aspekte informiert werden bei gleichzeitig größtmöglichem Informationsgehalt. Hierbei bietet sich wie bei einem Börsengang eine mehrstündige Analystenpräsentation an (s. hierzu Rz. 3.42). Hieran nehmen nicht notwendigerweise nur die Analysten der beratenden Banken teil. Vielmehr ist es sinnvoll auch Analysten anderer Banken einzuladen, um so bereits frühzeitig den Grundstein für eine erfolgreiche Investor-Relationsarbeit zu legen und zu vermeiden, dass andere Banken „unsolicited research“ auf Basis abweichender Informationen veröffentlichen.
4.129
Ähnliche Bedeutung kommt der Detailanalyse der jeweiligen Aktionärsbasis der Muttergesellschaft zu. Nur wenige europäische Gesellschaften haben Namensaktien ausgegeben, somit müssen Investoren unter der Meldeschwelle von 3 % mittels extern angebotener Aktionärs-Identifizierungs-Services oder kürzlich erstellter Hauptversammlungsanmeldungen nachvollzogen werden, um eine genaue Einschätzung der Aktionärsstruktur zu bekommen. Die Ergebnisse werden in der Regel extrapoliert, um eine verlässliche Einschätzung des gesamten Streubesitzes zu bekommen und mögliche Flowback-Trends frühzeitig darzustellen.
4.130
Des Weiteren sollte regelmäßig qualitatives Investorenfeedback zur Mutter- und Tochtergesellschaft über Handels- und Research-Experten der Investmentbank ausgewertet werden und den jeweiligen Managementteams zugänglich gemacht werden. Zusätzlich zu den täg196 | Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
lichen Routinegesprächen mit den größten Investoren der Muttergesellschaft können auch kürzlich erfolgte Roadshows oder systematisch durchgeführte Investoren-Befragungen und regelmäßiges Feedback von Aktienhändlern wie auch Research-Analysten unter Wahrung der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen erwogen werden. 5. Diskussion einzelner Investorengruppen und Verhaltensmuster bei Spin-Offs Die jeweiligen Verhaltensmuster einzelner Investoren/-gruppen sind im Wesentlichen vom entsprechenden Einzelfall abhängig und eine genaue Quantifizierung des Flowback-Effektes ist dadurch ex ante nur bedingt darstellbar. Trotzdem lassen sich aus vergangenen Spin-Offs gewisse Verhaltensmuster ableiten, die sich als Analyse-Tool zusätzlich zu den Direktgesprächen mit Investoren durchaus eignen. Zusammenfassend lassen sich hier für einzelne Investorengruppen die folgenden typischen Verhaltensmuster herausarbeiten:
4.131
Abbildung 5: Verhaltensmuster typischer Investorengruppen
4.132
1.
Strategische Investoren/Gründerfamilien (wie etwa Familienholdings, Private Equity-Beteiligungen oder im Sektor tätige Gesellschaften): – Regelmäßig binäre Ansicht über die Attraktivität des Spin-Offs, pro-aktive frühzeitige Diskussion der beabsichtigten Strategie empfehlenswert – Wichtige Signalwirkung und Leitfunktion für institutionelle Investoren – Problematik des „Overhang-Risikos“ (impliziter Druck durch möglichen Aktienverkauf), sollte präzise im Marketing und im Zuge der Veröffentlichungen kommuniziert werden – Ggf. Vereinbarung eines Veräußerungsverbots auf die neuen Aktien (sog. „Lock-Up“) als Mittel, um das implizite Risiko eines Blockverkaufes größerer Aktienpakete zu minimieren – Nicht aufgenommene Aktien können unter Umständen durch Direktansprache interessierter Investoren bereits vor der Handelsaufnahme platziert werden (sog. „reverse bookbuilding“, s. Rz. 4.138)
2.
Privatanleger („Retail-Investoren“): – Anteilsmäßig meist sehr kleine Gruppe. Im Durchschnitt stellen Privatinvestoren weniger als 10 % der Aktionäre deutscher DAX-Werte dar – In der Regel unelastisches Investitionsverhalten, d.h. nicht von relativer Bewertung oder der jeweiligen Sekundärmarktstimmung, sondern stark von der jeweiligen Sektoraffinität getrieben – „Brand effect“; der abgebenden Gesellschaft sehr wichtig – Kleinere Verkäufe, die auch längerfristig stattfinden können (sog. „wait and see“-Taktik) – Gezielte Medienkampagnen können helfen, den Flowback-Effekt bei Privatanlegern zu minimieren, aufgrund der geringen Größe sollten jedoch nicht allzu viel Zeit und Kosten aufgewandt werden
3.
Indextracker: – Relativ einfach zu quantifizieren, da an strenge Kriterien gebunden – Investoren, die die Aktie nur aufgrund der Index-Replikation halten, werden die neuen Aktien vollständig verkaufen müssen – Streubesitz, Größe der absoluten Marktkapitalisierung und die Handelsliquidität sind wesentliche Entscheidungsmerkmale für die Indexrelevanz
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§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off – Indextracker verkaufen in der Regel sofort nach der Handelsaufnahme. Die Neuaufnahme in einen mitunter kleineren Index der abgespaltenen Gesellschaft erfolgt meist jedoch auf jährlicher oder quartalsmäßiger Basis, daher sind negative Auswirkungen wahrscheinlich 4.
US-Investoren: – Unterliegen in der Regel keinen Restriktionen in Bezug auf Sektor oder Wahl des Börsenplatzes – Jedoch auf relative Größe orientiert, da viele US-Fonds Minimalanforderungen haben und zu kleine oder illiquide Werte nicht halten dürfen – Primär bewertungsgetrieben
5.
Britische Investoren: – Etwas weniger an Mindestgröße gebunden als bspw. US-Investoren, betreiben meist mehrere Subfonds auf einer Fondsplattform, in denen Aktien der Tochtergesellschaft relativ flexibel gehalten werden können – Lediglich kleinere britische Fonds sind in der Regel weniger flexibel
6.
Regionale Investoren: – Kein eindeutiger Trend beobachtbar; Qualität des Investitionsprofils als Hauptkriterium – Meist etwas skeptischer ggü. neuen Aktien als internationale Investoren
7.
Sektorspezialisten: – Fokus fast ausschließlich auf den relativen Vorteilen der Investitionsmerkmale bzw. auf den etwaigen Vorteilen in der Technologie oder im Management – Relative Größe der Marktkapitalisierung oder Mindest-Handelsvolumina in der Regel unproblematisch
8.
Globale Hedge Fonds: – Ähnlich wie bei Sektorspezialisten; Allerdings ist Liquidität sehr wichtig, um schnell größere Positionen auf- bzw. abbauen zu können
6. Wesentliche Maßnahmen des Flowback-Managements a) Präventive Maßnahmen zur Reduktion des Angebotsüberhangs
4.133
Die wichtigste präventive Maßnahme zur Minimierung des Angebotsüberhangs ist neben der Detailanalyse des Flowback-Risikos vor allem die gezielte Vermarktung der neuen Aktien. Dabei geht die Vermarktungsstrategie in zwei Richtungen: Zum einen müssen bestehende Aktionäre bereits frühzeitig überzeugt werden, die neue Aktie zu (be)halten, relative Vorteile der beiden getrennten Investitionsprofile zu erkennen und die Bewertung als attraktiv zu erachten. Darüber hinaus müssen neue Investoren gezielt angesprochen werden, um wiederum bereits vor der Aufnahme des Börsenhandels, aber auch fortlaufend im Sekundärmarkt genügend Nachfragekapazität bereitzustellen.
4.134
Gegenwärtige und zukünftige Investoren sollten durch das Management der Muttergesellschaft sowie der Tochtergesellschaft mit separaten Roadshows angesprochen werden. Die erste Roadshow mit bestehenden Aktionären sollte hierbei bereits kurz vor der Zustimmung der Hauptversammlung der Muttergesellschaft durchgeführt werden, um frühzeitig die Transaktionsvorteile zu positionieren. Dabei sollten sowohl das Management der Mut198 | Göhring/Borsche/Thurner
Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off | § 4
tergesellschaft, wie auch das zukünftige Führungsteam der Tochtergesellschaft, sofern bereits bestimmt, gemeinsam an Investorenmeetings teilnehmen. Analysten der betreuenden Banken sollten zu diesem Zeitpunkt bereits proaktiv im Investorendialog eingesetzt werden. Ferner muss auch die Kommunikationsstrategie der Mutter- und Tochtergesellschaften speziell auf den Spin-Off und in Richtung institutioneller sowie Privatanleger abgestimmt sein. Hierbei empfiehlt es sich in der Regel bestehende PR-Agenturen oder die unternehmensinterne PR-Abteilung durch spezialisierte Finanz-PR-Anbieter zu unterstützen. b) Reaktive Maßnahmen zur Steuerung eines Angebotsüberhangs Präventive Maßnahmen der Minimierung des Angebotsüberhangs sollten stets mit reaktiven Maßnahmen zur Steuerung des Angebotsüberhangs kombiniert werden. Zu diesen reaktiven Maßnahmen zählen in erster Linie das organisierte Management des Angebotsüberhangs und der Nachfragedynamik im Wege des Bookbuilding (sog. „reverse bookbuilding“), die Einbeziehung eines möglichen strategischen Investors sowie die Möglichkeit eines partiellen Aktienrückkaufes durch die Muttergesellschaft.
4.135
aa) Teilweiser Rückkauf der Aktien durch die Muttergesellschaft Ein Rückkauf von Aktien der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft beeinflusst die mit der Durchführung des Spin-Offs bezweckte Entflechtung von Mutter- und Tochtergesellschaft. Insoweit kommt eine solche Maßnahme nur als punktuelle, zeitlich flexible Maßnahme mit Stabilisierungseffekt in Betracht. Diese Maßnahme muss dementsprechend vorab und unter Einhalten der marktüblichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen (Einhalten von „Quiet-Perioden“, sowie der insider- und marktmanipulationsrechtlichen Vorgaben) von der Muttergesellschaft kommuniziert werden. Der teilweise Rückkauf sollte nur als kurzfristige Stabilisierungsmaßnahme positioniert werden, da Investoren der intuitiv gegenteiligen Signalwirkung eher skeptisch gegenüberstehen werden. Als wesentlicher Vorteil gilt jedoch, dass keine gesonderten Autorisierungen seitens der Aktionäre der Muttergesellschaft benötigt werden, da durch die Muttergesellschaft kein Rückkauf eigener Aktien stattfindet.
4.136
bb) Einstieg eines strategischen Investors Durch die Teilnahme eines strategischen Investors (Industrieunternehmen, Private Equity Investoren, selektive institutionelle Investoren, Pensionskassen oder sog. Sovereign Wealth Funds) als zukünftiger Kernaktionär an der Aufnahme des Angebotsüberhangs wird grundsätzlich eine sehr positive Signalwirkung erzielt. Darüber hinaus kann der Angebotsüberhang gezielt minimiert werden. Interessierte Investoren sollten möglichst frühzeitig in die Vorbereitungen des Spin-Offs mit dem Ziel einbezogen werden, exklusive und vertrauliche Verhandlungen bereits vor der Zustimmung der Hauptversammlung der Muttergesellschaft aufzunehmen. Größtmögliche positive Wirkung wird erzielt, wenn der Einstieg des Investors gemeinsam mit dem Spin-Off veröffentlicht wird. Um die Signalwirkung noch weiter zu verstärken, sollte sich der Investor idealerweise einer Halteverpflichtung von einem Jahr unterziehen. Da die größenmäßige Erfassung des Flowbacks vor dem Beginn der Handelsaufnahme nur schwer feststellbar ist, empfiehlt es sich, mit dem strategischen Investor eine Mindestbeteiligung zu vereinbaren, die mit Hilfe der beteiligten Investmentbank im Zweifelsfall auch im Sekundärmarkt über Zeit aufgebaut werden kann. Dem strategischen Investor kann abhängig von der jeweiligen Beteiligungsgröße auch ein Aufsichtsratsmandat zugesprochen werden. Göhring/Borsche/Thurner | 199
4.137
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – Spin-Off
cc) „Reverse Bookbuilding“ als geordnetes Abwickeln von (Über-)Angebot und Nachfrage
4.138
Beim „Reverse Bookbuilding“ werden berechtigte Aktionäre der Muttergesellschaft und potentielle neue Investoren durch eine öffentliche Umplatzierungsbekanntmachung dazu aufgefordert, innerhalb einer gewissen Frist und einer von der Muttergesellschaft festgesetzten Preispanne vor der Handelsaufnahme verbindlich Verkaufs- bzw. Kaufangebote abzugeben. Die beratenden Banken werden hierbei die Aufnahme der Angebote („book of supply“) und Nachfrage („book of demand“) getrennt abwickeln und die anschließende Zusammenführung („order matching“) umsetzen (s. hierzu auch Rz. 3.31). Obwohl diese Maßnahme durchaus dem Bookbuilding in einem Börsengang gleicht, treten in der Praxis häufig umsetzungstechnische Herausforderungen auf. Die Sicherung der neuen angebotenen Aktien sollte hierbei näher erläutert werden. Berechtigte Aktionäre, die neue Aktien zum Verkauf anbieten, müssen diese über Mitteilung an die Depotbank sperren. Durch Ausgabe einer gesonderten WKN bzw. ISIN soll eine Veräußerung vor Abschluss der Umplatzierung vermieden werden. Bei Angebotsüberhang wird jedes Verkaufsangebot mit einem einheitlichen Anteil berücksichtigt. Bei Nachfrageüberhang entspricht die Zuteilung der eines normalen Börsenganges. Für das „reverse bookbuilding“ gibt es in der jüngeren Vergangenheit einige relevante Beispiele, jedoch wird diese Maßnahme von einigen Experten durchaus als negativ gesehen. Vor- und Nachteile eines solchen Verfahrens lassen sich wie folgt darstellen:
4.139
Abbildung 6: Vor- und Nachteile eines Reverse Bookbuildings Vorteile des Reverse Bookbuildings:
Nachteile des Reverse Bookbuildings:
– Preisspanne wird durch die Muttergesellschaft (also dem „Verkäufer“) festgesetzt – Signalwirkung, dass der Flowback professionell vorab adressiert wird
– Unsicherheit bei der Preisfindung, da die Anzahl der Aktien nicht festgelegt ist – Könnte weitere Verkäufe nach der Angebotsfrist als Folge haben – „Overhang“-Thematik: Anzahl der vorab absorbierten Aktien wird im Prospekt angegeben, somit besteht eine erhöhte Transparenz – Zeitlich inflexibel und somit in einem potentiell schlechten Marktumfeld kein perfekter Auktionsprozess, weil mit vielen Unsicherheiten behaftet. Beispiele Syngenta und Celanese, wo nur sehr wenige Investoren dieses Angebot angenommen hatten
4.140–4.154 Einstweilen frei.
C. Special Purpose Acquisition Company (SPAC) Schrifttum: Harrer/Janssen, Rechtliche Aspekte von Special Purpose Acquisition Companies in Deutschland, FB 2009, 46; Just, Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) – Börsengang durch die Hintertür?, ZIP 2009, 1698; Kramer/Winkeler, IPOs von Mantelgesellschaften sind auf dem Vormarsch, Börsen-Zeitung vom 2.4.2008, S. 2; Lacey, SPACs prove tough sell, International Financing Review 1736, 31.05.–06.06.08; Röder/Walkshäusl, SPACs: Struktur, Performance und Bewertung, FB 2008, 641; Selzner, SPAC Transaktionen in Deutschland – Unternehmensübernahmen durch Special Purpose Acquisition Companies, ZHR 174 (2010), 318; Simmat/Siebert, SPAC – Eine neue AssetKlasse in Europa, CFL 2010, 13; v. Illberg/Neises, IPOs von SPACs, Going Public 2008 Sonderheft „Kapitalmarktrecht“, S. 54 ff.
200 | Göhring/Borsche/Thurner/Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
I. Einführung 1. Begriff Börsengänge von SPACs148 (Special Purpose Acquisition Companies) waren u.a. aufgrund der volatilen Marktverhältnisse und der niedrigen Zinsen im Trend der Zeit und hatten auch in Deutschland vor einigen Jahren u.a. mit den Börsengängen der Germany1 Acquisition Limited an den Regulierten Markt der Euronext Amsterdam im Sommer 2008 und der Helikos SE an den Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse Anfang 2010 Bedeutung gewonnen, die jedoch wieder deutlich zurückgegangen ist. Die erfolgreiche Vermarktung und Platzierung erfolgt zu einem erheblichen Teil durch ein geeignetes Management und renommierte Sponsoren, dem die Anleger zutrauen, eine attraktive Akquisition erfolgreich durchzuführen.
4.155
2. Der Markt für SPACs In den USA sind SPACs bereits seit den 1980er Jahren bekannt und machten teilweise mit ca. einem Viertel aller Börsengänge einen beachtlichen Teil der IPOs in den USA aus149, wobei die Notierung im Regelfall an der American Stock Exchange [AMEX] erfolgte. In Europa sind SPACs vor allem an der London Stock Exchange (Main Market und Alternative Investment Market [AIM]) notiert. Außerhalb Großbritannien wurden bisher nur wenige SPACs notiert, davon zwei Gesellschaften (Helikos SE150, European Cleantech I SE151) im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse, einige Gesellschaften im regulierten Markt der Euronext in Amsterdam (Germany1 Acquisition Limited152, Liberty International Acquisition Company153, Pan-European Hotel Acquisition Company N.V.154) und Paris (Mediawan S.A.) oder an der Borsa Italiana in Mailand (Italy 1 Investment S.A.155, Crescita S.p.A., Innova Italy 1 S.p.A.).
148 Dazu allgemein auch Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Kapitel 15.493; Simmat/ Siebert, CFL 2010, 13 ff.; Just, ZIP 2009, 1698 ff.; Kramer/Winkeler, Börsen-Zeitung vom 2.4. 2008, S. 2; v. Illberg/Neises, Going Public 2008 Sonderheft „Kapitalmarktrecht“, S. 54 ff.; Harrer/Janssen, FB 2009, 46 ff.; Röder/Walkshäusl, FB 2008, 641. Zu den ökonomischen Rahmenbedingungen vgl. Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 14, 16. Lacey, SPACs prove tough sell, International Financial Review, 1736, 31.05.–06.06.08, Schanz, NZG 2011, 1407 ff. 149 Vgl. nur Korzilius, Going Public 2008 Sonderheft „Kapitalmarktrecht“ S. 10; Riemer, Washington University Law Review, Vol. 85 (2007), S. 931 ff.; Selzner, ZHR 174 (2010), 318 ff. 150 Vgl. Wertpapierprospekt der Helikos SE vom 11.1.2010 mit Notierung im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse. 151 Vgl. Wertpapierprospekt der European Cleantech I SE vom 1.10.2010 mit und Notierung im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse. 152 Vgl. Wertpapierprospekt der Germany1 Acquisition Limited vom 2.7.2008 mit Nachtrag vom 14.7.2008 und Notierung im Regulierten Markt der Euronext Amsterdam. 153 Vgl. Wertpapierprospekt der Liberty International Acquisition Company vom 25.1.2008 und Notierung im Regulierten Markt der Euronext Amsterdam. 154 Vgl. Wertpapierprospekt der Pan-European Hotel Acquisition Company N.V. vom 12.6.2007 und Notierung im Regulierten Markt der Euronext Amsterdam. 155 Vgl. Wertpapierprospekt der Italy 1 Investment S.A. vom 24.12.2010 mit Nachtrag vom 24.1. 2011 und Notierung im Regulierten Markt der Mailänder Wertpapierbörse.
Harrer | 201
4.156
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
3. Typische Ausgestaltungen
4.157
Kennzeichnend für einen SPAC, auch sog. „Blank Check Company“ genannt, ist, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Börsengangs über keine operative Geschäftstätigkeit verfügt und der im Rahmen des IPOs erzielte Emissionserlös für einen (oder mehrere) noch nicht konkretisierten Unternehmenserwerb(e), der – wenn überhaupt – nur sehr allgemein, z.B. sektoral oder geografisch, bestimmt wird, verwendet werden soll. Die Initiatoren des SPACs (Sponsoren) und das Management beteiligen sich zu bevorzugten Bedingungen.
4.158
Beim Börsengang eines SPACs werden anfänglich miteinander verknüpfte VerbundWertpapiere (sog. Units) begeben, die aus einer Stammaktie (sog. Ordinary Shares) und in der Regel einem Optionsrecht (sog. Warrants) bestehen, wobei die beiden Wertpapiere kurze Zeit nach Aufnahme der Notierung getrennt gehandelt werden. Die Warrants sind in der Regel nach Erwerb eines Zielobjekts oder spätestens innerhalb eines Höchstzeitraums von häufig vier Jahren nach dem Börsengang ausübbar und berechtigen dazu, weitere Aktien zu einem festgelegten Ausgabebetrag zu erwerben. Das für die Durchführung des Börsengangs und die Umsetzung der Equity Story verantwortliche Management beteiligt sich im Rahmen eines Börsengangs selbst substantiell an der Gesellschaft, so dass das Managementteam häufig mit bis zu 20 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Der Emissionserlös wird mit Ausnahme der für den laufenden Geschäftsbetrieb erforderlichen Mittel (i.d.R. weniger als 5 % des Emissionserlöses) dem Einfluss des Managements entzogen und bei einem Treuhänder zweckgebunden für die Durchführung der geplanten Unternehmensakquisition hinterlegt und verzinst.
4.159
Weiterhin besteht eine Verpflichtung des Managements, nach Konkretisierung der Erwerbsabsicht die Durchführung der geplanten Akquisition der Hauptversammlung der Gesellschaft zur Beschlussfassung vorzulegen. Eine die Durchführung der Transaktion156 ablehnende Minderheit der Aktionäre (in der Regel bis zu maximal 30 % der „freien“ Aktionäre) hat die Möglichkeit, ihre Aktien auf die Gesellschaft gegen anteilige Rückgewähr des in Treuhandverwaltung befindlichen Vermögens zu übertragen. Lehnt eine Mehrheit der freien Aktionäre die Akquisition ab und kommt es innerhalb des vorgegebenen Akquisitionszeitraums von typischerweise 18–24 Monaten nicht zu einem anderen Unternehmenserwerb, wird die Gesellschaft plangemäß liquidiert und das vorhandene Vermögen, das im Wesentlichen aus dem Treuhandvermögen besteht, wird anteilig auf die Aktionäre verteilt. Im Falle des Erwerbs einer Zielgesellschaft wird der Emittent als operative Gesellschaft oder als Holding-Gesellschaft fortgeführt157. Eine derartige Akquisition hat für die Veräußerer der Zielgesellschaft den Vorteil, kostengünstig und kurzfristig, weitgehend unabhängig von Marktbedingungen und Platzierungsverhältnissen eine Börsennotierung zu erreichen. 4. Lebenszyklus eines SPACs
4.160
Das nachfolgende Schaubild stellt den Lebenszyklus eines SPACs im 18–24 Monatszeitraum dar:
156 Sog. Business Combination. 157 Sog. De-spacing.
202 | Harrer
Ganz überwiegender Teil des Emissionserlöses wird treuhänderisch verwaltet
Treuhandkonto
Börsengang des SPAC
Beteiligung des Managements und der Sponsoren mit Risikokapital
Abstimmung der Aktionäre in Hauptversammlung
Auswahl einer anderen Zielgesellschaft
Ankündigung der Akquisition einer Zielgesellschaft
Investor erwirbt Aktien und Optionsscheine (Warrants)
Ablehung der Mehrheit
Zustimmung der Mehrheit Ab Ei lehn nz u eli ng nv du es rc to h r
Einzelinvestor erhält Auszahlung seines Anteils am Treuhandvermögen
Rückzahlung2
Einzelinvestor bleibt an der börsennotierten Gesellschaft beteiligt
De-Spacing1
Grundsätzlich können ablehnende Investoren (i.d.R. bis zu 30 %) ihren SPAC-Anteil ausbezahlt bekommen, ohne dass die Akquisition nicht durchgeführt wird. 2) Im Falle der Auflösung wird das Treuhandvermögen an die Aktionäre zurückgezahlt. 1)
er / f d ns- st lau itio sfri b A us ion q t Ak uida q i L
Automatische Liquidation nach 18–24 Monaten, wenn keine Durchführung einer Akquisition erfolgt
Keine Akquisition
Ablehung der Akquisition
Zustimmung zur Akquisition
Zustimmung durch Einzelinvestor
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
Harrer | 203
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
4.161
Bei den europäischen Börsengängen von SPACs gibt es sowohl Unternehmen, die eine Akquisition erfolgreich abgeschlossen haben, als auch Gesellschaften, die inzwischen nicht mehr börsennotiert sind und aufgelöst wurden. Die Germany1 Acquisition Limited hat am 10.9.2009 die AEG Power Solutions B.V. von einem Private Equity Investor erworben, ist inzwischen in 3W Power S.A.158 umfirmiert und hat ihren Unternehmenssitz von Guernsey nach Luxemburg verlegt und die Notierung ihrer Aktien an der Euronext beendet, die seit November 2010 im Regulierten Markt an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert sind159. Die Helikos SE hat am 26.7.2011 die exceet Group AG erworben und firmiert nun als exceet Group SE160. Die Liberty Acquisition Holdings (International) Company hat im Juni 2009 die Unterzeichnung eines Kaufvertrages zum Erwerb der Pearl Group Limited und der Opal Reassurance Limited bekanntgegeben161, der die Hauptversammlung im Juli 2009 zustimmte162, und firmierte im September 2009 in Phoenix Group Holdings um163. Demgegenüber hat die Pan-European Hotel Acquisition Company im Mai 2009 mangels Durchführung einer erfolgreichen Akquisition ihre Notierung an der Euronext Amsterdam eingestellt und wurde liquidiert164.
II. Kapitalmarktrechtliche Aspekte 1. Auswahl der Wertpapierbörse
4.162
Für einen Börsengang von SPACs kommen Wertpapierbörsen in Europa und den USA in Betracht165. In Europa haben Emittenten in der Vergangenheit neben der Frankfurter Wertpapierbörse auch die Wertpapierbörse in Amsterdam und die London Stock Exchange gewählt, wobei an den europäischen Wertpapierbörsen zwischen EU-Regulierten 158 Wertpapierprospekt der 3W Power Holdings S.A. vom 16.11.2010, Notierung im Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse, sowie im Handelssegment Bond des Freiverkehrs an der Baden-Württembergischen Börse Stuttgart (Begebung von Schuldverschreibungen); nach Zulassung zum Handel am Regulierten Markt durch die Deutsche Börse AG, Wechsel von Open Market zu Reguliertem Markt der Frankfurter Wertpapierbörse am 17.12.2010. 159 S. Pressemitteilung v. 23.7.2009: „Germany 1 kündigt Erwerb von AEG Power Solutions an“; Pressemitteilung v. 12.4.2010: „Germany1 Acquisition Ltd changes its name to 3W Power Holdings Limited and starts trading under that name on April 19“; Pressemitteilung v. 7.5.2010: „3W Power Holdings Limited (formerly Germany1 Acquisition Ltd) announces the finalization of its migration to Luxembourg and notifies its shareholders of its Annual General Meeting to take place on June 1, in Luxembourg“; „AEG ohne Börsenpower“, Börsen-Zeitung v. 25.2.2012, S. 9; Pressemitteilung v. 19.12.2011 „Delisting der 3W Power S.A. Aktien von der NYSE/Euronext in Amsterdam wirksam“. 160 S. Pressemitteilung v. 27.7.2011: „Helikos SE vollendet Zusammenschluss mit exceet“. 161 S. Pressemitteilung v. 29.6.2009: „Liberty Acquisition Holdings (International) Company, Liberty International, Pearl Group and Pearl Group Lenders sign definitive agreements“. 162 S. Pressemitteilung v. 24.7.2009: „Liberty Acquisition Holdings (International) Company announces shareholder approval of the acquisition of Pearl Group Limited and Opal Ressurance Limited“. 163 S. Pressemitteilung v. 2.7.2009: „Completion of acquisition by Liberty Acquisition Holdings (International) Company“. 164 S. Pressemitteilung v. 25.2.2009: „PEHAC to propose early liquidation at EGM to be held in March 2009 and announces preliminary annual results 2008“; Pressemitteilung v. 16.3.2009: „PEHAC announces time line for possible delisting“; Pressemitteilung v. 17.3.2009: „Shareholders approve early liquidation of PEHAC“. 165 Vgl. Rz. 4.156; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 50–67.
204 | Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
und nicht EU-Regulierten Märkten gewählt werden kann166. Unabhängig davon stellt sich die Frage des Sitzes des Emittenten. In der Vergangenheit wurden als Emissionsvehikel typischerweise Gesellschaften mit Sitz z.B. in Guernsey, den Cayman Islands oder Delaware gewählt167, da Gesellschaften nach den dort anzuwendenden Rechtsvorschriften ein hohes Maß an gesellschaftsrechtlicher Flexibilität aufweisen und außerdem einer für Anleger vorteilhaften Besteuerung unterliegen. Es gab jedoch auch Börsengänge von SPACs mit Sitz in Luxemburg (Helikos SE, European Cleantech I SE, Italy Investment S.A.) und in den Niederlanden (Pan-European Hotel Acquisition Company).
4.163
2. Marktsegmente der Wertpapierbörsen Grundsätzlich ist bei Wertpapierbörsen zwischen den nicht EU-Regulierten Märkten (z.B. Open Market [Quotation Board] und KMU-Segment Scale der Frankfurter Wertpapierbörse, Alternative Investment Market [AIM] in London, Euronext in Paris) und den EU-Regulierten Markten (z.B. General Standard und Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse, Main Market in London) zu differenzieren, die sich hinsichtlich der anwendbaren Rechtsvorschriften deutlich unterscheiden168.
4.164
Der Handel im Open Market (Freiverkehr) setzt – anders als im regulierten Markt – kein öffentlich-rechtliches Zulassungsverfahren voraus; vielmehr ist der Freiverkehr rein privatrechtlich organisiert. Es finden die von dem privatrechtlichen Träger der jeweiligen Börse, z.B. der Deutsche Börse AG (und nicht der Frankfurter Wertpapierbörse) erlassenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Freiverkehr an der jeweiligen Wertpapierbörse Anwendung169. Träger des Freiverkehrs (Open Market) an der Frankfurter Wertpapierbörse ist die Deutsche Börse AG170.
4.165
Die Frankfurter Wertpapierbörse hat den regulierten Markt in den Teilbereich General Standard mit den gesetzlichen Mindestanforderungen und den Teilbereich Prime Standard mit weiteren Zulassungsfolgepflichten, die international üblichen Transparenzanforderungen gerecht werden sollen, eingeteilt171. Zulassungsfolgepflichten für den Prime Standard sind Quartalsmitteilungen, internationale Rechnungslegungsstandards (International Financial Reporting Standards [IFRS]), Vorlage eines Unternehmenskalenders und Durchführung mindestens einer jährlichen Analystenkonferenz sowie Veröffentlichungen von Ad-hoc-Mitteilungen in englischer Sprache.
4.166
166 Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 1 ff.; Deutsche Börse Listing Guide, 2009, 1.1. 167 Die Germany1 Acquisition Limited hatte ihren Sitz auf Guernsey und die Liberty International Acquisition Company auf den Cayman Islands. 168 Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 1 ff.; Deutsche Börse Listing Guide, 2009, 1.1.; Riess/Steinbach in Deutsche Börse AG, Praxishdb. Börsengang, 2006, S. 259 ff. 169 Vgl. dazu Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse vom 3.1.2018. Hinsichtlich SPAC s. auch Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 16. 170 § 1 Abs. 2 RL FrV FWB. 171 Vgl. dazu §§ 45 ff. BörsO FWB (General Standard); §§ 48 ff. BörsO FWB (Prime Standard). Vgl. auch Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 10 ff.; Deutsche Börse Listing Guide, 2009, 1.1; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.41–7.57.
Harrer | 205
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
3. Wertpapiere (Units)
4.167
Beim Börsengang eines SPACs gibt es hinsichtlich der ausgegebenen Wertpapiere einige Besonderheiten. Es werden anfänglich miteinander verknüpfte Verbund-Wertpapiere (sog. Units) begeben, die aus einer Stammaktie (sog. Ordinary Shares) und in der Regel einem Optionsrecht (sog. Warrants) bestehen, wobei die beiden Wertpapiere kurze Zeit nach Aufnahme der Notierung strukturbedingt getrennt gehandelt werden. Die Warrants sind in der Regel nach Erwerb eines Zielobjekts oder spätestens innerhalb eines Höchstzeitraums von häufig vier Jahren nach dem Börsengang ausübbar und berechtigen dazu, weitere Aktien zu einem festgelegten Ausgabebetrag zu erwerben. Aus Sicht der Deutsche Börse AG ist hinsichtlich der Zulassung der Wertpapiere streng zwischen den zunächst zu emittierenden Verbund-Wertpapieren (Units) und den später getrennt handelbaren Aktien (Shares) und Optionsrechte (Warrants) zu unterscheiden.
4.168
Derartige Verbund-Wertpapiere (Units) wurden in Deutschland im Jahre 1994 schon einmal im Falle der britischen Redland Plc172 (mit einer Verbundaktie bestehend aus einer Namensaktie der Redland Plc und eines Inhaber-Genussscheins der Redland (International) GmbH) zum amtlichen Handel der Frankfurter Wertpapierbörse verwendet. 4. Wertpapierprospekt a) Prospektbilligung oder Notifizierung
4.169
Sollen Wertpapiere an einem regulierten Markt in Deutschland zugelassen werden, ist hierfür ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gebilligter Wertpapierprospekt erforderlich173; sofern nicht die Billigung durch eine zuständige ausländische Aufsichtsbehörde eines anderen Staates des Europäischen Wirtschaftsraums erfolgt und eine Notifizierung an die BaFin nach § 17 Abs. 3 WpPG174 vorgenommen wird. Über die Zulassung der Wertpapiere zum Handel im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse auf der Grundlage eines gebilligten oder notifizierten Prospekts entscheidet die Geschäftsführung der Frankfurter Wertpapierbörse175. b) Wertpapierprospekt
4.170
Kernstück des Zulassungsverfahrens ist der Wertpapierprospekt (vgl. §§ 1 ff. WpPG). Seit Umsetzung der EU-Prospektrichtlinie in deutsches Recht durch das Wertpapierprospektgesetz findet das Wertpapierprospektgesetz vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen (vgl. § 1 Abs. 2 WpPG) Anwendung auf die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung von Prospekten für Wertpapiere, die öffentlich angeboten oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden sollen (vgl. § 1 Abs. 1 WpPG). Der Wertpapierprospekt muss in leicht analysierbarer und verständlicher Form sämtliche Angaben enthalten, die im Hinblick auf den Emittenten und die öffentlich angebotenen oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen Wertpapiere notwendig sind, um dem Publikum ein zu172 Vgl. Wertpapierprospekt der Redland PLC, Reigate, Surrey, Vereinigtes Königreich, vom Dezember 1994 für die Zulassung von Verbundaktien zum Amtlichen Markt der Frankfurter Wertpapierbörse. 173 Vgl. § 1 Abs. 1 WpPG. Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 105–116; § 36 Rz. 1 ff. 174 Sog. „Passporting“. Vgl. dazu Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, WpPG, 2009, § 17 Rz. 38–41. 175 Vgl. § 45 Abs. 5 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse für General Standard und § 48 Abs. 3 für Prime Standard.
206 | Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
treffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte zu ermöglichen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 WpPG). Insbesondere muss der Prospekt Angaben über den Emittenten und über die Wertpapiere, die öffentlich angeboten oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden sollen, enthalten (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 WpPG). Der Prospekt muss in einer Form abgefasst sein, die sein Verständnis und seine Auswertung erleichtern (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 WpPG). Der Prospektinhalt bestimmt sich seit Umsetzung der EU-Prospektrichtlinie 2003/71/EG durch das Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz in deutsches Recht am 1.7.2005 nach dem Wertpapierprospektgesetz, das seither mehrfach geändert wurde. Nach § 7 WpPG bestimmen sich die in einen Prospekt aufzunehmenden Mindestangaben nach der Verordnung der EU-Kommission zur Durchführung der Prospektrichtlinie Nr. 809/2004176 in der jeweils geltenden Fassung.
4.171
Bei SPACs ergeben sich hinsichtlich der Prospektgestaltung einige Besonderheiten. Die EUProspektverordnung sieht keine Mindestexistenz des Emittenten vor177. Für das vorgeschriebene Tätigsein der Gesellschaft reicht die Durchführung der im Unternehmensgegenstand der Satzung festgelegten Vorbereitungsmaßnahmen für den erst nach dem Börsengang geplanten Unternehmenserwerb aus. Bei einem SPAC handelt es sich jedoch um eine sog. Start-up Gesellschaft178, für die nach der EU-Prospektverordnung spezielle Angaben im Prospekt zu machen sind, die die Empfehlungen des European Securities and Markets Authority179 konkretisiert werden. Danach sind im Grundsatz der Geschäftsplan und die strategischen Ziele der Gesellschaft einschließlich der zugrunde liegenden Annahmen in dem Prospekt darzustellen, wobei jedoch kein Geschäftsplan mit Planzahlen und kein Bewertungsgutachten eines unabhängigen Sachverständigen aufgenommen werden müssen.
4.172
Der Prospekt muss außerdem verständliche Formulierungen über die Darstellung und Ausgestaltung der verschiedenen begebenen Wertpapiere, das für die Gesellschaft geltende Rechtssystem (z.B. das Recht von Guernsey, den Cayman Islands oder Delaware) sowie auf die spezielle Situation des SPAC abgestimmte Risikofaktoren z.B. hinsichtlich des Fehlens historischer Finanzinformationen, die wesentlichen Beziehungen zu nahestehenden Personen180 und das Bestehen etwaiger Interessenkonflikte und bestehenden Marktschutzvereinbarungen181 mit dem Management und den Sponsoren darstellen.
4.173
Hinsichtlich des Prospektinhalts ist bei der Begebung von Wertpapieren durch eine neu gegründete Gesellschaft darauf zu achten, dass die geprüften historischen Finanzinforma-
4.174
176 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABI. EU Nr. L 215 v. 16.6.2004, S. 3 ff. („VO Nr. 809/2004“). 177 Vgl. zu den Zulassungsanforderungen Rz. 37.13 ff. 178 Vgl. Artikel 23 Abs. 1, Anhang XIX VO Nr. 809/2004. 179 Vgl. §§ 135–139 der Empfehlungen der European Securities and Markets Authority (ESMA) („ESMA update of the CESR recommendations for the consistent implementation of the European Commission’s Regulation on Prospectuses No. 809/2004 (20. März 2011) implementing the Prospectus Directive); Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 329, 330. 180 Sog. Related Parties Transactions. 181 Sog. Lock Up.
Harrer | 207
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
tionen sowie Bestätigungsvermerke der Wirtschaftsprüfer aufzunehmen sind, die die letzten drei Geschäftsjahre abdecken bzw. einen entsprechend kürzeren Zeitraum, während dessen der Emittent tätig war182. Erforderlich ist somit zunächst die Aufnahme der Eröffnungsbilanz und ggf. eines Zwischenabschlusses der Gesellschaft. 5. Mindestexistenz
4.175
Die Einbeziehung von SPACs in das Quotation Board des Open Market ist nur möglich, wenn die Aktien zum Handel an einem von der Deutschen Börse AG anerkannten inoder ausländischen börsenmäßigen Handelsplatz zugelassen sind183. Eine Aufnahme in das KMU-Segment Scale des Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse scheidet u.a. wegen der erforderlichen Mindestexistenz des Emittenten von zwei Jahren aus184. Die Aufnahme in den Freiverkehr anderer deutscher Wertpapierbörsen richtet sich nach den jeweiligen Regelwerten für den Freiverkehr. Auch die Zulassung zum Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse ist für SPACs möglich. Im Grundsatz muss im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse der Emittent zuzulassender Aktien mindestens drei Jahre als Unternehmen bestanden und seine Jahresabschlüsse für die drei den Antrag vorangegangenen Geschäftsjahre entsprechend den hierfür geltenden Vorschriften offengelegt haben (vgl. § 3 Abs. 1 BörsZulV). Die Geschäftsführung kann jedoch abweichend davon auch Aktien zulassen, wenn dies im Interesse des Emittenten und des Publikums liegt (vgl. § 3 Abs. 2 BörsZulV). Die Geschäftsführung trifft hierbei eine Ermessensentscheidung, die nur hinsichtlich ihrer fehlerfreien Ausübung gerichtlich überprüfbar ist. Bei der Zulassung von SPACs hat sich die Frankfurter Wertpapierbörse in der Vergangenheit entschieden, ihr Ermessen im Einzelfall für eine Zulassung zum Regulierten Markt auszuüben, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind185: Der Emissionserlös ist auf ein verzinsliches Treuhandkonto einzuzahlen, der Verwendungszweck des Emissionserlöses wird im Prospekt detailliert dargestellt und das SPAC weist nach, dass die Gesellschaft zeitlich befristet ist und im Falle ihrer Auflösung das Treuhandvermögen an die Anleger ausgeschüttet wird, und es sichergestellt ist, dass die Gesellschafter mit einer Mehrheit von mindestens 50 % über die Verwendung des Treuhandvermögens entscheiden.
4.176
Für die Annahme dieses Ausnahmetatbestandes gab es überzeugende Gründe aufgrund einer Abwägung der Interessen des Emittenten und des Publikums186 bzw. einer Abwägung der Interessen des Emittenten gegen Interessen des Publikums187. Nach der EU-Koordinierungsrichtlinie (RL 79/279/EWG)188 ist eine Ausnahme bereits zulässig, wenn die Abweichung im Interesse der Gesellschaft oder der Anleger wünschenswert ist und erforderliche Informationen für die Anleger verfügbar sind. So ist bei einer richtlinienkonformen Auslegung lediglich das Interesse des Emittenten erforderlich, und es erfolgt keine Abwägung und es ist keine kumulative Interessenlage notwendig. Das Interesse des Emittenten wird 182 183 184 185 186
Vgl. Anhang 1 Ziffer 20.1 VO Nr. 809/2004. Vgl. § 12 (1), (2) BörsO FWB. Vgl. § 17 (1)(c) BörsO FWB. Deutsche Börse Listing Guide, Ziffer 1.1.3. Vgl. Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 20. Vgl. Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 BörsZulV Rz. 3; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 1–12 BörsZulV Rz. 6; Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 330. 187 Vgl. Regierungsbegründung zur Börsenzulassungsverordnung, BR-Drucks. 72/87, S. 71. 188 Vgl. Art. 44 der Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. EG Nr. L 66 v. 16.3.1979, S. 21–32. Dazu Simmat/Siebert, CFL 2010, 11, 13, 18.
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Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
durch Stellung des Zulassungsantrags dokumentiert und das Interesse des Publikums an einer Notierung in einem organisierten Markt auf Grundlage eines von der BaFin gebilligten Wertpapierprospekts besteht vor dem Hintergrund bestehender Anlagealternativen im Ausland. Zudem ist bei der Beurteilung zu beachten, dass es vor dem Inkrafttreten des Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetzes am 1.11.2007 für den durch dieses Gesetz abgeschafften „geregelten Markt“ keine Mindestexistenz gab und somit die Zulassung von Unternehmen auch ohne Mindestexistenz zu einem „organisierten Markt“ möglich war. 6. Übernahmerecht Bei dem Erwerb einer Zielgesellschaft kann es dadurch, dass ein Erwerber (d.h. der Verkäufer der Zielgesellschaft) die Kontrolle über eine an einem regulierten Markt notierte SPAC Gesellschaft erwirbt, zur Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots zum Erwerb von Aktien kommen189. Das kann zur Anwendung von nationalem Übernahmerecht, z.B. des deutschen Wertpapierübernahmegesetzes190 führen, wenn die Gesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat oder im europäischen Wirtschaftsraum ihren Sitz hat. Die EUÜbernahmerichtlinie (RL 2004/25/EG)191 wurde in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, z.B. hinsichtlich der Höhe für das Vorliegen eines Kontrollerwerbs oder hinsichtlich von Ausnahmen von der Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebots, in unterschiedlicher Weise umgesetzt, so dass eine Prüfung auf Grundlage des konkreten Sachverhalts erforderlich ist192. Die Anwendung übernahmerechtlicher Vorschriften kann für die Strukturierung des Erwerbs der Zielgesellschaft eine erhebliche Bedeutung haben.
4.177
III. Gesellschaftsrechtliche Aspekte Obwohl auch das deutsche Aktienrecht für die Ausgestaltung eines SPAC grundsätzlich geeignet erscheint, ergibt sich für die charakteristischen Ausstattungsmerkmale, die sich für SPAC herausgebildet haben, ein erheblicher Anpassungsbedarf. Zu diesen Merkmalen gehören u.a. die Zustimmung der Hauptversammlung zu der Unternehmensakquisition, der Mindestnennbetrag der Aktien, die Managementbeteiligung einschließlich der Begebung von selbständigen Optionsrechten193, das Rückübertragungsrecht von Aktien bei Ablehnung der Akquisition sowie die Verteilung des Gesellschaftsvermögens bei Nichtdurchführung einer „Business Combination“ und der damit verbundenen Auflösung.
4.178
Im europäischen Gesellschaftsrecht enthält die sog. zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie (RL 77/91/EWG)194 Rahmenbedingungen für die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten.
4.179
189 Vgl. Simmat/Siebert, CFL 2010, 18, 20. 190 Vgl. § 35 WpÜG zur Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots und § 37 WpÜG zur Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots. 191 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 192 Vgl. Simmat/Siebert, CFL 2010, 18, 20, 44. 193 Sog. „nackte“ Optionsrechte (naked warrants). 194 S. Art. 1 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschaften sowie Dritter für die Gründung der
Harrer | 209
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
1. Hauptversammlung
4.180
Bei den üblichen SPAC Strukturen ist die Zustimmung der Hauptversammlung zur Durchführung der Unternehmensakquisation erforderlich, die auch nach deutschem Recht umsetzbar ist. Das Hauptversammlungserfordernis wird bei deutschen Aktiengesellschaften in einer Reihe von Fallgestaltungen einer „Business Combination“ wie z.B. dem Unternehmenserwerb über eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage (vgl. §§ 182, 183 AktG) aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bereits zwingend bestehen. Zudem kann der Vorstand bei Fragen der Geschäftsführung verlangen, dass die Hauptversammlung hierüber entscheidet195. 2. Mindestnennbetrag
4.181
Das deutsche Aktienrecht sieht zwingend einen Mindestnennbetrag von 1 Euro je Aktie vor196, bei nennwertlosen Stückaktien muss auf jede Aktie mindestens ein anteiliger Betrag des Grundkapitals i.H.v. 1 Euro entfallen (vgl. § 8 Abs. 3 AktG). In wirtschaftlicher Hinsicht würde der Mindestausgabebetrag je Aktie von 1 Euro die gewünschte Beteiligung des Management-Teams an der Gesellschaft von ca. 20 % des Grundkapitals vor dem Hintergrund des üblicherweise geringen Kapitaleinsatzes durch das Management erheblich erschweren (vgl. § 8 Abs. 2 AktG). Die bei ausländischen Gesellschaften häufig zulässigen Pennystock-Aktien mit einem nominalen Nennbetrag von z.B. 0,01 der jeweiligen Landeswährung sind deshalb für SPACs geeigneter. 3. Selbständige Optionsrechte
4.182
Selbständige Optionsrechte197 werden bei SPACs neben den Aktien (Shares) als Teil der verbundenen Wertpapiere (Units) begeben. Selbständige Optionsrechte verbriefen ein Bezugsrecht (Optionsrecht) auf Aktien des Emittenten, werden aber eigenständig, ohne Verbindung mit einem anderen Finanzierungsinstrument (typischerweise Wandel- oder Optionsanleihen) ausgegeben. Die aktienrechtliche Zulässigkeit der Begebung von selbstständigen Optionsrechten ist streitig, wird aber von einer starken Meinung bejaht198. Dennoch werden sie in Deutschland nur selten zu Finanzierungszwecken verwendet. Verschiedene
195 196 197
198
Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG) – ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1. 1977, S. 1 (sog. Kapitalrichtlinie). S. auch Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 18. Vgl. § 119 Abs. 2 AktG. S. auch Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 334; Just, ZIP 2009, 1698, 1702. Vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 AktG. Zur Frage der Einlageleistung bei Zahlung auf ein Treuhandkonto Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 332, 333. Sog. nackte Optionen (naked warrants). Vgl. dazu Rz. 27.75 ff.; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 221 Rz. 75; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.13; Schlitt/Kammerlohr in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, Rz. 12.13. Zu Units Selzner, ZHR 174 (2010), 317, 328, 343. So Hirte in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 298 ff.; Schlitt/Kammerlohr in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, Rz. 12.13; Apfelbacher/ Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Rz. 27.75 ff.; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.13; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 36 ff.; Schanz, NZG 2011, 1407, 1411; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150, 153; Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256 ff.; Fuchs, AG 1995, 433 ff.; Paefgen, AG 1999, 67 ff.; Roth/Schoneweg, WM 2005, 677, 680 ff.
210 | Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
Gerichte und andere Autoren199 haben die Zulässigkeit der Begebung selbständiger Optionsrechte und die Möglichkeit der Schaffung eines bedingten Kapitals verneint. Hält man selbständige Optionsrechte für zulässig, ist nach überwiegender Meinung § 221 AktG entsprechend anwendbar200. Selbständige Optionsrechte sind in Deutschland zweifelsfrei für Zwecke der Mitarbeiterbeteiligung zulässig und betragsmäßig auf 10 % des Grundkapitals beschränkt. Der mögliche Kreis der Empfänger besteht dann jedoch nur aus Vorstandsmitgliedern und Arbeitnehmern (nicht aber Aufsichtsratsmitgliedern oder Co-Investoren)201, was den für SPACs marktüblichen Rahmen unpraktikabel einengt.
4.183
Gegenüber den bestehenden rechtlichen Unsicherheiten in Deutschland bieten ausländische Rechtsordnungen flexiblere und rechtssichere Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verwendung von Optionsrechten.
4.184
4. Aktienrückerwerb Die Rückübertragung der Aktien von Aktionären, die die Akquisition ablehnen, ist wegen des Volumens von bis zu 30 % des Grundkapitals nicht durch den Rückerwerb eigener Aktien darstellbar. Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG ist der Erwerb eigener Aktien bei einer deutschen Gesellschaft auf 10 % des Grundkapitals beschränkt. Der Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist nur zulässig, wenn er notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und der Erwerb zur Einziehung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG ist ebenfalls betragsmäßig nicht beschränkt, sieht aber die für SPACs nicht praktikablen Einhaltung des Verfahrens zur Herabsetzung des Grundkapitals mit einer damit verbundenen Wartefrist von sechs Monaten vor, so dass eine entsprechende Ausgestaltung der Satzung mit der Möglichkeit der Kapitalherabsetzung durch die Einziehung von Aktien den Bedürfnissen für einen SPAC nicht genügen würde202. Die geänderte zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie (RL 77/91/EWG)203 enthält auf europarechtlicher Ebene Regelungen zum Erwerb eigener Anteile und sieht eine Gültigkeit der Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien durch die Hauptversammlung
199 Vgl. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, DB 2002, 2638; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41, 43; LG Braunschweig v. 11.3.1998 – 22 O 234/97, NZG 1998, 387, 388. Ebenso Florstedt in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 221 Rz. 496; Zimmer, DB 1999, 999, 1001; Lutter, ZIP 1997, 7; Rosener in FS Bezzenberger, 2000, S. 745, 750 ff. 200 Dazu Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 216; so Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 313; Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256; Kuntz, AG 2004, 480, 483 ff.; Fuchs, AG 1995, 433, 439 ff.; Wohlfarth/Brause, WM 1997, 397, 398 ff. 201 Vgl. § 192 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 AktG. Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 192 Rz. 21. 202 Vgl. §§ 237 ff. AktG. Zum Opt out bei SPAC Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 337, 338. 203 Vgl. Zweite Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG), ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1 geändert durch Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals. ABl. EG Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32.
Harrer | 211
4.185
§ 4 | Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC
von 5 Jahren sowie für jeden Mitgliedstaat die Möglichkeit vor, den Umfang der Ermächtigung auf über 10 % des Kapitals auszuweiten204.
4.186
Dementsprechend bieten ausländische Rechtsordnungen flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten mit flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten für den Erwerb eigener Anteile. 5. Auflösung/Liquidation
4.187
SPACs Strukturen sehen für den Fall der Nichtdurchführung eines Unternehmenserwerbs innerhalb von 18–24 Monaten die Auflösung der Gesellschaft und die Verteilung des Liquidationserlöses an die Aktionäre vor. Im Falle einer Liquidation der Gesellschaft nach Zeitablauf sind bei einer deutschen Aktiengesellschaft die zwingenden Gläubigerschutzvorschriften einzuhalten (vgl. § 272 ff. AktG) und das Vermögen darf erst ein Jahr nach dem dritten Gläubigeraufruf verteilt werden, die einer schnellen Auflösung der Gesellschaft entgegenstehen würde205. Im Falle einer Liquidation nehmen die Wertpapiere des Managements und der Sponsoren üblicherweise nicht an der Ausschüttung des Liquidationserlöses teil.
4.188
Demgegenüber bieten einzelne ausländische Rechtsordnungen flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten mit einem geringeren Aktionsschutz. 6. Fehlende Attraktivität von Unternehmen mit Sitz in Deutschland
4.189
Aufgrund der oben genannten Aspekte des deutschen Gesellschaftsrechts gab es bisher keine deutschen Gesellschaften, die als Vehikel für SPACs verwendet wurden und es ist zu erwarten, dass auch in Zukunft ausländische Gesellschaften verwendet werden, da im Kapitalmarkt bereits etablierte Produkte häufig nur im zwingend erforderlichen Umfang landesspezifische Anpassungen erfahren, um die Vermarktung gegenüber international tätigen Investoren zu vereinfachen und die Komplexität und Innovation zu reduzieren. Auch die Verwendung alternativer Gestaltungen wie z.B. die Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe durch einen SPAC mit Sitz in Deutschland anstelle von Aktien ist aus verschiedenen Gründen nicht praktikabel206.
IV. Steuerrechtliche Aspekte 4.190
Bei der Auswahl des Sitzes der SPAC Gesellschaft spielen insbesondere steuerliche Aspekte eine bedeutsame Rolle. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung von zusätzlichen Transaktionskosten durch Kapitalverkehrssteuern, sondern auch um eine attraktive, d.h. möglichst niedrige, Besteuerung von Gewinnen auf Ebene der SPAC Gesellschaft und die Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen und/oder der EU Mutter-Tochter-Richtlinie in Bezug auf die Erträge aus den Zielgesellschaften. Zusätzlich wäre es zumindest mit Hinblick auf bestimmte Investorengruppen wünschenswert, wenn bei Ausschüttungen der SPAC Gesellschaft keine Quellensteuer anfiele. Gegen die Wahl einer deutschen Gesellschaft sprechen dabei in erster Linie die hohe Quellensteuer auf Ausschüttungen von 25 % (zzgl. Zuschlagssteuern) und dass Gewinne auf Ebene der 204 Vgl. § 1 RL 2006/68/EG. S. auch Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 19. 205 Vgl. § 272 Abs. 1 AktG. S. auch Selzner, ZHR 174 (2010), 318, 345; Schanz, NZG 2011, 1407, 1412. 206 S. dazu Simmat/Siebert, CFL 2010, 13, 22.
212 | Harrer
Börsengang (Sonderkonstellationen) – SPAC | § 4
SPAC Gesellschaft bestenfalls zu max. 95 % steuerbefreit sind. Deutsche Fondsvehikel sind zwar vollständig steuerbefreit, eignen sich allerdings nicht als SPAC Gesellschaft wegen der regulatorischen Anforderungen, insbesondere an die Risikomischung. Demgegenüber können sich für Emittenten mit Sitz im Ausland bei sorgfältiger Auswahl des Sitzes des Emittenten günstigere steuerliche Rahmenbedingungen ergeben. Es gibt z.B. in Luxemburg einige, zum Teil regulierte Investmentgesellschaften, die eine Reihe von Steuerprivilegien genießen, aber in Bezug auf die regulatorischen Anforderungen ausreichend flexibel sind.
4.191
V. US-amerikanische Aspekte In den Vereinigten Staaten von Amerika enthält Rule 149 des US Securities Act of 1933207 bestimmte Regelungen über SPACs, die dort als Blank Check Companies bezeichnet werden. Die Regelungen beziehen sich unter anderem auf die Hinterlegung des Erlöses auf einem Treuhandkonto und die erforderlichen Offenlegungen hinsichtlich dieser Gesellschaft im Registration Statement. Waren SPACs in der Vergangenheit üblicherweise an der AMEX notiert, können seit einer Änderung des Regelwerks der New York Stock Exchange208 jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auch an der New York Stock Exchange notiert werden.
4.192
Bei einer Notierung an der New York Stock Exchange muss der gesamte Marktwert mindestens 100 Mio. US$ betragen, von denen mindestens 80 Mio. US$ im Streubesitz gehalten werden. Der Emissionserlös muss zu mindestens 90 % auf einem Treuhandkonto eines unabhängigen Verwalters gehalten werden und der Fair Market Value des/der zu erwerbenden Zielunternehmen(s) muss mindestens 80 % des Treuhandvermögens betragen. Weiterhin bedarf der Vollzug einer Akquisition der Zustimmung einer Mehrheit der Aktionäre und den ablehnenden Aktionären muss ein Rückgaberecht ihrer Aktien gegen anteilige Auszahlung des Treuhandvermögens zustehen. Schließlich ist ein SPAC nach der Anforderung der NYSE nach spätestens drei Jahren zu liquidieren, wenn bis dahin keine Unternehmensakquisition erfolgt ist.
4.193
VI. Zusammenfassung SPACs stellen eine interessante Anlageform für Investoren dar, die auch in Zukunft insbesondere bei volatilen Märkten und niedrigem Zinsniveau eine Rolle bei der Unternehmensfinanzierung spielen könnten. Da SPACs zum Zeitpunkt des Börsengangs über keine operative Geschäftstätigkeit verfügen und der im Rahmen des IPOs erzielte Emissionserlös für einen (oder mehrere) noch nicht konkretisierten Unternehmenserwerb(e) verwendet werden soll, geben sie dem Management eine hohe Flexibilität bei Akquisitionen, den Sponsoren attraktive Bedingungen und Investoren aufgrund der Handelbarkeit der Wertpapiere und des Erfordernisses der Zustimmung der Hauptversammlung bei Unternehmensakquisitionen und der Verwahrung des wesentlichen Teils der Emissionserlöses auf einem Treuhandkonto im Vergleich zu Private Equity Investitionen eine relativ große Sicherheit. 207 Rule 419 of the U.S. Securities Act of 1933. Dazu auch Riemer, Special Purpose Acquisition Companies, Washington University, Law Review Volume 85, 930 ff. 208 Vgl. Section 102.06 des Listing Manuals der New York Stock Exchange for Acquisition Companies.
Harrer | 213
4.194
§5 Bezugsrechtsemissionen I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für Bezugsrechtsemissionen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formen von Bezugsrechtsemissionen . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordentliche Kapitalerhöhung oder genehmigtes Kapital . . . . b) Festbetragskapitalerhöhung oder „Bis-zu“-Kapitalerhöhung c) Direkte Platzierung oder mittelbare Platzierung . . . . . . . . d) Vorwegplatzierung mit partiellem Claw-Back . . . . . . . . . . . e) Festpreisemission oder Bookbuilding . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ablauf einer Bezugsrechtsemission . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Abfolge . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.
5.
6.
7. 8. 9.
Bezugsrecht der Aktionäre . . . . Bedeutung des Bezugsrechts . . . Entstehen des Bezugsrechts . . . . Mittelbares Bezugsrecht . . . . . . Inhalt des Bezugsrechts . . . . . . a) Bezugsrecht und Bedingungen der Kapitalerhöhung . . . . . . . b) Gattungsbezugsrecht . . . . . . . c) Konzerndimensionales Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezugsberechtigte . . . . . . . . . . a) Eigene Aktien . . . . . . . . . . . b) Aktien mit Sicherungsrechten . c) Aktien im Depot . . . . . . . . . . d) American Depository Receipts (ADRs) . . . . . . . . . . . . . . . . Einschränkungen des Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übertragbarkeit . . . . . . . . . . b) Faktische Erschwerungen . . . . c) Ausschluss von Aktionären aus bestimmten Jurisdiktionen . Nichtausübung oder Verzicht auf Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . Nachbezugsrecht . . . . . . . . . . . Ausübung von Bezugsrechten . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 | Herfs
_ _ _ _ _ _ _ _ __ __ __ __ __ __ __ _ _ __ _ _ __ __
5.1 5.1 5.8 5.9
5.11 5.12 5.14 5.15 5.18 5.18 5.19 5.26 5.26 5.28 5.30 5.37 5.38 5.39 5.41 5.42 5.42 5.43 5.44 5.45 5.46 5.46 5.48
b) Ausübung gegen Erbringung einer Sacheinlage . . . . . . . . . III. Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . 1. Beschlussinhalt . . . . . . . . . . . . a) Erhöhungsbetrag . . . . . . . . . b) Art der auszugebenden Aktien . c) Bezugsverhältnis . . . . . . . . . . d) Ausgabebetrag und Bezugspreis e) Weitere Bestandteile des Kapitalerhöhungsbeschlusses . . f) Beschlussmehrheit . . . . . . . . . 2. Zeichnung . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur und Inhalt des Zeichnungsvertrags . . . . . . . . b) Zeichnung zum Nennbetrag oder zum Bezugspreis . . . . . . 3. Die Einzahlung des Kapitalerhöhungsbetrags . . . . . . . . . . a) Kapitalerhöhungskonto . . . . . b) Einzahlungsbestätigung . . . . . c) Verwendung des Ausgabebetrages zur Tilgung von Bankverbindlichkeiten . . . . . . 4. Anmeldung und Eintragung . . . 5. Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, Freigabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Platzierungsverfahren . . . . . 1. Bezugsangebot . . . . . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung . . . . . . . . . . . . . 2. Bezugsfrist . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung des Bezugspreises 4. Bezugsrechtshandel . . . . . . . 5. Greenshoe-Option . . . . . . . . 6. Verwertung nicht bezogener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rücktrittsrechte . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
_ __ __ __ __ _ _ _ __ _ __ _ __ ___ __ _ __ _ _ _
5.54 5.55 5.56 5.57 5.64 5.66 5.67 5.70 5.74 5.76 5.76 5.79 5.80 5.80 5.82 5.83 5.85 5.87
5.95 5.95 5.95 5.100 5.101 5.102 5.106 5.108
. . 5.111 . . 5.114
5.49
V. Vertragliche Absprachen . . . . . 5.117
5.50 5.51 5.53 5.53
VI. Prospektpflichten . . . . . . . . . . 5.119 VII. Informationspflichten nach WpHG, Insiderverbote nach der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . 5.123
Bezugsrechtsemissionen | § 5 Schrifttum: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Band 5, 6. Aufl. 1997; Baums/Drinhausen/Keinath, Anfechtungsklagen und Freigabeverfahren. Eine empirische Studie, ZIP 2011, 2329; Bayer, Delisting: Korrektur der Frosta-Rechtsprechung durch den Gesetzgeber, NZG 2015, 1169; Becker, Aktienrechtliches und handelsrechtliches Agio, NZG 2003, 510; Berrar/Wiegel, Auswirkungen des vereinfachten Prospektregimes auf Bezugsrechtskapitalerhöhungen, CFL 2012, 97; Bücker, Umsetzung einer ordentlichen Kapitalerhöhung in Teilschritten, NZG 2009, 1339; Bungert/Paschos, Börsennotierung und Emission deutscher Wertpapiere in den USA, DZWir 1995, 221; Busch, Aktien- und börsenrechtliche Aspekte von Force Majeure in Klauseln in Aktienübernahmeverträgen, WM 2001, 1277; Busch, Aktuelle Rechtsfragen des Bezugsrechts und Bezugsrechtsausschlusses beim Greenshoe im Rahmen von Aktienemissionen, AG 2002, 230; Busch, Eigene Aktien in der Kapitalerhöhung, AG 2005, 429; Butzke, Kapitalmaßnahmen, in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Aufl. 2011, L Rz. 3 ff.; Butzke, Zur Entstehung des Bezugsanspruchs bei der Kapitalerhöhung der Aktiengesellschaft als selbständiges Gläubigerrecht, Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 59; Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, Regelungsvorschläge zu ausgewählten Rechtsfragen bei Debt-to-Equity Swaps von Anleihen, WM 2014, 1309; Findeisen, Kapitalmaßnahmen börsennotierter Unternehmen im Zeichen der Finanzmarktkrise, ZIP 2009, 1647; Frese, Kredite und verdeckte Sacheinlagen – Zur Sondersituation von Emissionsbanken, AG 2001, 15; Gehling, Bezugspreis und faktischer Bezugsrechtsausschluss, ZIP 2011, 1699; Groß, Die Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting, AG 2015, 812; Groß, Der Inhalt des Bezugsrechts nach § 186 AktG, AG 1993, 449; Groß, Verdeckte Sacheinlagen, Vorfinanzierung und Emissionskonsortium, AG 1993, 108; Groß-Langenhoff, Rechtsprobleme bei der Kapitalerhöhung in der Aktiengesellschaft, StudZR 2007, 43; Heidenhain/Meister (Hrsg.), Münchener Vertragshandbuch Bd. 1, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2011; Herrler/Reymann, Die Neuerungen im Aktienrecht durch das ARUG, DNotZ 2009, 914; Hoffmann-Becking, Neue Formen der Aktienemission, FS Lieberknecht, 1999, S. 25; Holzmann/Eichstädt, Die „Bis zu“-Kapitalerhöhung im System der Kapitalmaßnahmen des Aktiengesetzes, DStR 2010, 277; Kort, Aktien aus vernichteten Kapitalen, ZGR 1994, 291; Krause, Atypische Kapitalerhöhungen im Aktienrecht, ZHR 181 (2017), 641; Krug, Gestaltungsfragen bei marktpreisnahen Bezugsemissionen, BKR 2005, 302; Kuntz/Stegemann, Grundfragen des faktischen Bezugsrechtsausschlusses, ZIP 2016, 2341; Meul/Ritter, Die verborgenen Lücken des Freigabeverfahrens, AG 2017, 841; von Oppen/Menhart/Holst, Die Ermittlung des Platzierungspreises bei einer 10 %-Kapitalerhöhung im beschleunigten Bookbuilding-Verfahren, WM 2011, 1835; Pfüller/ Flatten, Aktienübernahmeverträge und Platzierungsrisiko, FB 2001, 388; Priester, Vorausleistungen auf die Kapitalerhöhung nach MoMiG und ARUG, DStR 2010, 494; Priester, Schuldrechtliche Zusatzleistungen bei Kapitalerhöhung im Aktienrecht. Zulässigkeit – Registerprüfung – Bilanzierung, FS Röhricht, 2005, S. 462; Rittig, Der gekreuzte Bezugsrechtsausschluss in der Höchstbetragskapitalerhöhung, NZG 2012, 1292; Schäfer, Vereinbarungen bei Aktienemissionen, ZGR 2008, 456; Schäfer, Schuldrechtliches Agio im Aktienrecht – Kapitalaufbringung ad libitum?, ZIP 2016, 953; Schlitt/Schäfer, Aktuelle Entwicklungen bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen, CFL 2011, 410; Schlitt/Seiler, Aktuelle Rechtsfragen bei Bezugsrechtsemissionen, WM 2003, 2175; Schnorbus, Die Rechtsstellung der Emissionsbank bei der Aktienemission, AG 2004, 113; Schnorbus/Plassmann, Bilanzierung eines schuldrechtlichen Agios als andere Zuzahlung gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, ZIP 2016, 693; Schröer/ Hensel, Reguläre Kapitalerhöhung, in Semler/Volhard/Reichert (Hrsg.), Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 922; Seibt/Voigt, Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken, AG 2009, 133; Seibt/Westphal, Auf dem Weg zu einem „Neuen Sanierungsgesellschaftsrecht“?, ZIP 2013, 2333; Seifert, Das „TransPuG“, NZG 2002, 608; Trapp/Schlitt/Becker, Die CoMEN-Transaktion der Commerzbank und die Möglichkeit ihrer Umsetzung durch andere Emittenten, AG 2012, 57; Vaupel/Reers, Kapitalerhöhungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften in der Krise, AG 2010, 93; Wieneke, Die Stellung des Inhabers von ADRs in der Hauptversammlung der Gesellschaft, AG 2001, 508; Wieneke, Praxisfragen im Zusammenhang mit Bezugsangeboten bei börsennotierten Gesellschaften, GWR 2017, 239; Winter, Die Anfechtung eintragungsbedürftiger Strukturbeschlüsse „de lege lata“ und „de lege ferenda“, FS Ulmer, 2003, S. 699.
Herfs | 215
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
I. Allgemein 1. Gründe für Bezugsrechtsemissionen 5.1
Eine Bezugsrechtsemission ist die gängigste Form der Eigenkapitalfinanzierung von bereits börsennotierten Unternehmen. Das gilt für alle Rechtsordnungen. Im angelsächsischen Raum spricht man im Falle einer Kapitalerhöhung, an der die bestehenden Aktionäre im Verhältnis ihrer Beteiligung teilnehmen dürfen, von einem „rights offering“1. Jede Kapitalerhöhung ist potentiell mit einem Gerechtigkeitsproblem verbunden, weil Aktionäre eine Verwässerung ihrer Stimmrechtsposition und/oder ihrer vermögensrechtlichen Position befürchten müssen, wenn das Unternehmen und seine Verwaltungsorgane das Eigenkapital erhöhen wollen. Diese Interessenkollision versucht das Gesetz über die Gewährung eines Bezugsrechts für Altaktionäre zu lösen. Jedem Aktionär steht nach § 186 Abs. 1 AktG ein Bezugsrecht zu. Das gilt für die Kapitalerhöhung durch Beschluss der Hauptversammlung, wie für die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§ 203 Abs. 1 AktG).
5.2
Mit Bezugsrechtsemissionen sind vor allem zwei Probleme verbunden: Die lange Vorbereitungszeit und der hohe Abschlag auf den Bezugspreis. Die „Fenster“, in denen Kapitalmarktplatzierungen möglich sind, werden immer kürzer, teilweise reduzieren sie sich auf wenige Wochen2. Die Vorbereitung einer Bezugsrechtsemission, inklusive der Due Diligence für die Banken und der Prospekterstellung für die Einreichung bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)3, dauert in der Regel zwei Monate, die Prüfungsphase bei der BaFin nochmals etwa fünf bis sechs Wochen. Die Mindestbezugsfrist (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG) beträgt zwei Wochen, sodass es rund vier Monate dauert, bis die Aktien geliefert werden können4. Dieser Zeitraum verlängert sich bei der Ausgabe von Aktien aufgrund eines ordentlichen Kapitalerhöhungsbeschlusses der Hauptversammlung um die Einberufungsfrist einschließlich redaktioneller Vorlauffristen. Bei wichtigen Kapitalmaßnahmen ist mit Anfechtungsklagen zu rechnen, sodass sich die Vorlaufphase um den Zeitraum verlängert, der erforderlich ist, um bei Anfechtungsklagen die Eintragung des Beschlusses durch das Gericht freigeben zu lassen5. Seit es im Freigabeverfahren keine Beschwerde mehr gibt, beträgt die durchschnittliche Dauer der Freigabeverfahren etwas mehr als 100 Tage6. Während dieses Zeitraums trägt der Emittent das Risiko von Marktpreisänderungen. Um dieses Risiko zu reduzieren und die Vorbereitungszeit zu verkürzen, versuchten Emittenten, Bezugsrechtsemissionen so zu strukturieren, dass sie ohne Prospekt durchgeführt werden konnten. Bis zum 1.7.2012 wurden prospektfreie Emissionen auch von der BaFin unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert7, mit der Änderung der Prospektverordnung (VO Nr. 486/2012 v. 30.3.2012) ist dieser Weg versperrt. Das Kursänderungsrisiko während der Bezugsfrist kann reduziert werden, wenn der Bezugspreis erst drei Tage vor Ende der Bezugsfrist festgesetzt wird (§ 186 Abs. 2 Satz 2 AktG). Wird 1 „Rights issues are the common way for listed issuers to raise capital“ ESMA (European Securities and Market Authority) – Final Report v. 4.10.2011 on technical advice on possible delegated acts concerning Prospective Directive as amended by Directive 2010/73/EU – ESMA 2011/323 Rz. 292; Berrar/Wiegl, CFL 2012, 97 ff. 2 Berrar/Wiegl, CFL 2012, 97, 98. 3 Eine prospektfreie Bezugsrechtsemission ist seit 1.7.2012 nicht mehr möglich; vgl. Rz. 5.119 ff. 4 Berrar/Wiegl, CFL 2012, 97, 98; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 141. 5 S. zu möglichen Problemen im Freigabeverfahren, Meul/Ritter, AG 2017, 841. 6 Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2330, 2342. 7 Vgl. hierzu Angersbach/v. d. Chevallerie/Ulbricht, ZIP 2009, 1302 ff.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
der Bezugspreis zu Beginn der Bezugsfrist oder schon beim Hauptversammlungsbeschluss festgesetzt, kann die Platzierung der Kapitalerhöhung nur sichergestellt werden, wenn ein hoher Abschlag auf den zum Zeitpunkt der Festlegung des Bezugskurses geltenden Aktienkurs festgelegt wird. Diese Erlösminderung entspricht einer Stillhalteprämie für das während der Bezugsfrist bestehende Kursänderungsrisiko8. Die Festsetzung des Bezugspreises am Beginn der Bezugsfrist mit Abschlag führt tendenziell dazu, dass sich der Kurs während des Bezugsangebots dem Bezugspreis annähert9. Die kurzfristige Nutzung von günstigen Marktbedingungen ist daher bei einer Bezugsrechtsemission nicht möglich. Bezugsrechtsemissionen werden zur großvolumigen Eigenkapitalaufnahme, etwa zur Ablösung von Zwischenfinanzierungen für Akquisitionen, zur Verbesserung von Bilanzstrukturen oder zur Füllung der „Kriegskasse“, wenn weitere Akquisitionen geplant sind, durchgeführt10. Ist der Kapitalbedarf groß und/oder will der Emittent eine günstige Marktsituation für eine großvolumige Kapitalerhöhung nutzen, insbesondere, wenn ausreichendes, genehmigtes Kapital zur Verfügung steht, ist die Bezugsrechtsemission oft die einzige Möglichkeit, die Kapitalerhöhung rechtssicher und ohne größere Verzögerungsrisiken durchzuführen. Eine bezugsrechtsfreie Emission lässt sich ohne Anfechtungsrisiko nur in Höhe von 10 % des Grundkapitals durchführen (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG)11. Bei größeren bezugsrechtsfreien Emissionen bedarf der Bezugsrechtsausschluss der sachlichen Rechtfertigung, die im Rahmen einer Anfechtungsklage gerichtlich überprüft werden kann (s. dazu Rz. 6.12). Da bei einer Barkapitalerhöhung immer auch eine Bezugsrechtsemission möglich ist, wird sich der Bezugsrechtsausschluss nur schwer rechtfertigen lassen.
5.3
Bezugsrechtsemissionen können als Sanierungskapitalerhöhungen auch Teil eines umfassenden Rekapitalisierungs- und Restrukturierungskonzepts sein, das dadurch notwendig geworden ist, dass auslaufende Finanzierungen nicht verlängert oder bereits bestehende Finanzierungen aufgrund der Verletzung von Financial Covenants gekündigt werden können. Die Kapitalerhöhung ist dann regelmäßig mit dem Neuabschluss von Kreditverträgen verbunden, die oft unter der Bedingung der Durchführung der Kapitalerhöhung stehen und ggf. mit der Begebung weiterer Finanzierungsinstrumente, wie der Begebung von An-
5.4
8 Martens, ZIP 1992, 1677, 1687; Busch, AG 2002, 230, 234. 9 Die Mechanik der Bezugsrechtsemissionen eröffnet Aktionären, aber auch Dritten, eine Spekulationsmöglichkeit auf Kosten der Gesellschaft. Während der Bezugsfrist können Aktien leer verkauft werden, gleichzeitig kann sich der Leerverkäufer durch den Erwerb von Bezugsrechten gegen Kurssteigerungen absichern. Für diese Sicherung muss normalerweise eine Prämie gezahlt werden. Bei einer Bezugsrechtsemission fungiert die Gesellschaft als kostenloser Stillhalter. 10 Beispiele: Kapitalerhöhung TeleColumbus, 2015, mit einem Volumen von 382,7 Mio. Euro: Die Gründe der Gesellschaft für das Angebot sind die „geplante Rückzahlung der ausstehenden Finanzverbindlichkeiten aus EBFA für die Primacom Akquisition in Höhe von EUR 125 Mio. … sowie die teilweise Finanzierung der Pepcom Akquisition in Höhe von EUR 215 Mio.“; Kapitalerhöhung Vonovia SE (ehemals Deutsche Annington Immobilien SE), 2015, mit einem Volumen von 2,25 Mrd. Euro zur Finanzierung der 1,9 Mrd. Euro teuren Südewo-Übernahme; Kapitalerhöhung Hapag-Lloyd, 2017, im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zusammenschluss von Hapag-Lloyd und UASC, mit einem Volumen von rund 352 Mio. Euro; Kapitalerhöhung Deutsche Bank AG, 2017, mit einem Volumen von 8 Mrd. Euro zur Verbesserung der Kapitalstruktur; Kapitalerhöhung Commerzbank AG, 2013, mit einem Volumen von 2,5 Mrd. Euro zur Rückzahlung der Stillen Einlagen des Bankrettungsfonds SoFFin und der Allianz; Kapitalerhöhung Drillisch AG, 2017 mit einem Volumen von 106,4 Mio. Euro im Rahmen der Übernahme der Drillisch AG durch United Internet AG. 11 Zu dieser Form der Kapitalerhöhung Seibt, CFL 2011, 74.
Herfs | 217
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
leihen und, sofern notwendig, mit Forderungsverzichten oder einem Debt-Equity-Swap von Altgläubigern verbunden sind12. Der Kapitalerhöhung kann zum Ausgleich von Verlusten eine Kapitalherabsetzung vorgeschaltet sein. Der Emissionserlös wird zur Rückführung von bestehenden Finanzverbindlichkeiten verwendet. Da die Platzierung unter schwierigen Bedingungen stattfindet, wird oft eine „Bis-zu“-Kapitalerhöhung durchgeführt (vgl. dazu Rz. 5.13 und Rz. 5.63), wobei die von den Finanzgläubigern geforderte Mindesteigenkapitalzufuhr als Mindestbetrag festgesetzt wird. Der Bezugspreis wird oft einen „deep discount“ auf den Börsenkurs aufweisen, um überhaupt die Aktien platzieren zu können13.
5.5
Eine Bezugsrechtsemission kann auch genutzt werden, um einen neuen Investor an einer Publikumsgesellschaft zu beteiligen. In den USA werden solche Transaktionen als PIPE (Private Investment into Public Entities) bezeichnet. Will der neue Investor eine Beteiligung von mehr als 10 % erlangen, gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Im sog. Zwei-Schritt-Modell wird eine börsenkursnahe Emission mit Bezugsrechtsausschluss aus genehmigtem Kapital mit einer unmittelbar nachfolgenden Bezugsrechtsemission kombiniert. Durch den ersten Schritt kann dem Investor eine Beteiligung von bis zu 9,1 % vermittelt werden, mit der er an der Bezugsrechtsemission teilnimmt. Hier können ihm weitere, nicht bezogene Aktien angeboten werden oder andere Aktionäre können Bezugsrechte verkaufen14. Auf diese Weise lässt sich eine Mindestbeteiligungsquote sicherstellen. Kommt es dem Investor darauf nicht an, kann die Gesellschaft nur eine Bezugsrechtskapitalerhöhung beschließen und in dem Beschluss vorsehen, dass alle neuen Aktien, für die Bezugsrechte nicht ausgeübt werden, dem Investor zu gleichen Bedingungen zur Zeichnung angeboten werden15. Ggf. kann die Kapitalerhöhung mit der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen an den Investor kombiniert werden, um die gewünschte Beteiligungshöhe steuern zu können16.
5.6
Eine andere Variante für die Gewinnung neuer Investoren im Rahmen einer Bezugsrechtskapitalerhöhung ist die Übernahme von Bezugsrechten im Rahmen des mittelbaren Bezugsrechts (Rz. 5.30 ff.) durch die Emissionsbanken von Altaktionären, die ihre Bezugsrechte nicht ausüben wollen. Die Emissionsbank übt dann die Bezugsrechte gegen sich selbst aus, platziert dann die auf die Bezugsrechte entfallenden Aktien und leitet den Erlös an den Aktionär weiter. Der Emittent erhält den Bezugspreis. Die Emissionsbank selbst 12 Beispiel: Bezugsrechtskapitalerhöhung der Singulus Technologies AG vom 20.9.2016. Der Kapitalerhöhung waren ein Kapitalschnitt und der Tausch einer Anleihe in Aktien im Wege der Sachkapitalerhöhung vorangegangen. Zum Debt-to-Equity Swap von Anleihen: Cahn/Hutter/ Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1309. 13 Zu Sanierungskapitalerhöhungen: Seibt/Westphal, ZIP 2013, 2333 (mit empirischen Daten aufgrund einer Expertenbefragung); Seibt/Voigt, AG 2009, 133 ff.; Seibt, Der Konzern 2009, 261 ff.; Vaupel/Reers, AG 2009, 93 ff.; Findeisen, ZIP 2009, 1647 ff. Beispiele aus jüngster Zeit sind die Singulus Technologies AG 2016, IKB 2008, Conergy 2008, Premiere 2009, Continental 2010, HeidelbergCement 2009, Heidelberger Druckmaschinen 2010, Commerzbank 2011, vgl. zur Commerzbank Transaktion, mit der insbesondere die stillen Einlagen der SoFFin abgelöst wurden, Trapp/Schlitt/Becker, AG 2012, 57 ff. 14 Hierzu Seibt, Der Konzern 2009, 261, 271; Schlitt, CFL 2011, 410, 415. 15 So z.B. der geplante Einstieg der Admiral Participations, hinter der der Finanzinvestor Apollo stand, im Rahmen der Kapitalerhöhung Infineon 2009. Zur Frage, inwieweit einem solchen Investor Kostenerstattung gewährt oder eine break-up fee gezahlt werden kann, Seibt, Der Konzern 2009, 261, 271. 16 Vgl. Bezugsangebot der Heidelberg Pharma AG vom 6.11.2017.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
verdient die vereinbarte Provision auf die platzierten Aktien17. Dieses Verfahren erleichtert es den Aktionären, den Wert ihrer Bezugsrechte zu realisieren. Es kann auch genutzt werden, damit Aktionäre wenigstens teilweise ihre Bezugsrechte ausüben können. Die Aktionäre nutzen dann den Erlös aus dem Bezugsrechtsverkauf an die Bank zur Ausübung der zurückbehaltenen Bezugsrechte18. Dieses Vorgehen nennt man „operation blanche“19. Eine Bezugsrechtsemission kann auch genutzt werden, um bei einer Sacheinlage durch einen Aktionär einen Bezugsrechtsausschluss zu vermeiden. Wird eine sog. einheitliche gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung durchgeführt, erbringt der Einleger den für alle Aktionäre einheitlichen Bezugspreis durch Sacheinlage, die übrigen Aktionäre durch Bareinlage (vgl. dazu Rz. 5.54)20. Eine Verwässerung der Beteiligungsquote der übrigen Aktionäre wird dadurch vermieden.
5.7
Eine Bezugsrechtsemission mit Sacheinlage wird auch für die Umsetzung einer Aktiendividende genutzt, die in letzter Zeit von einigen großen Dax-Gesellschaften angeboten wurde21. Mit der Aktiendividende räumen Gesellschaften ihren Aktionären ein Wahlrecht ein, statt der Bardividende eine Dividende in Form von Aktien zu erhalten. Dies schont die Liquidität der Gesellschaft und ist für Aktionäre attraktiv, die eine positive Kursentwicklung erwarten22. Entgegen dem Wortsinn der „Aktiendividende“ werden nicht bestehende eigene Aktien ausgeschüttet, sondern neue Aktien ausgegeben, die durch eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage entstehen. Die Kapitalerhöhung erfolgt aus genehmigtem Kapital23. Mit dem Gewinnverwendungsbeschluss erhält jeder Aktionär einen Dividendenanspruch, den er ganz oder teilweise an die das Angebot abwickelnde Emissionsbank abtreten kann, die die abgetretenen Ansprüche dann gegen Ausgabe von neuen Aktien in die Gesellschaft einbringt, die dadurch von der Auszahlungspflicht befreit wird. Das Kapital ist durch die Verminderung der Passiva der Gesellschaft aufgebracht24. Obwohl eine Sachkapitalerhöhung durchgeführt wird, ist kein Bezugsrechtsausschluss erforderlich. Jeder Aktionär, der gewinnbezugsberechtigt ist, hat nach Gewinnverwendungsbeschluss einen Auszahlungsanspruch und ist daher auch bezugsberechtigt. Während der Bezugsfrist kann jeder Aktionär seinen Auszahlungsanspruch ganz oder teilweise gegen Aktien tauschen. Das Bezugsverhältnis bestimmt dabei, wie viele Aktien und der darauf entfallenden Dividendenansprüche erforderlich sind, um eine neue Aktie zu erhalten. Der Bezugspreis bestimmt, wie viele Dividendenansprüche abgetreten werden müssen, um eine Aktie zu erwerben. Der Bezugspreis wird aufgrund eines im Kapitalerhöhungsbeschluss zu bestimmenden Referenzpreises (Durchschnittsbörsenkurs über eine bestimmte Periode) ermittelt.
5.7a
17 Vgl. im Ganzen Frese, AG 2001, 15, 21; zum Rechtscharakter des Erwerbs der Bezugsrechte insbesondere Rz. 5.46. 18 Vgl. hierzu Frese, AG 2001, 15, 20 Fn. 58. 19 Ausführlich hierzu Nippel/Schieber/Schweizer, WiSt 2010, 430 ff. 20 S. auch OLG Jena v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, AG 2007, 31; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 183 Rz. 17; zum gekreuzten Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhung mit Stamm- und Vorzugsaktien Rittig, NZG 2012, 1292. 21 Vgl. z.B. das Bezugsangebot der Deutschen Lufthansa AG vom 8.5.2017. Erstmalig angeboten wurde die Aktiendividende von der Deutschen Telekom im Jahr 2013, die es danach jedes Jahr angeboten hat, vgl. Bezugsangebot Deutsche Telekom vom 17.5.2013. 22 Bei der Deutschen Telekom lag die Annahmequote 2017 bei 50 % (vgl. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646). 23 Ausführlich zu den rechtlichen Aspekten der Aktiendividende, Krause, ZHR 181 (2017), 641, 647 ff. 24 Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646 m.w.N.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
Die Bestimmung kann gemäß § 186 Abs. 2 Satz 3 AktG auch am Ende der Bezugsfrist erfolgen25. Obwohl die Gesellschaft ein Bezugsangebot für neue Aktien veröffentlicht, ist entgegen der allgemeinen Regel (vgl. Rz. 5.24 ff.) kein Wertpapierprospekt für das Angebot der neuen Aktien erforderlich. Die Ausnahme von der Prospektpflicht ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 1 Nr. 4 WpPG, der eine Befreiung für die Ausschüttung von Aktien anstelle einer Bardividende vorsieht26.
2. Formen von Bezugsrechtsemissionen 5.8
Obwohl Bezugsrechtsemissionen zwingend immer dem Schema folgen, dass die neuen Aktien den bestehenden Aktionären angeboten werden, lassen sich doch verschiedene Formen unterscheiden27. Es kann danach unterschieden werden, wie die Aktien begeben werden, wie die Zeichnung, Übernahme und Platzierung erfolgen soll, ob die Bezugsemission mit einer bezugsrechtsfreien Tranche kombiniert wird und wie der Bezugspreis festgelegt wird. a) Ordentliche Kapitalerhöhung oder genehmigtes Kapital
5.9
Die neuen Aktien, die den Aktionären zum Bezug angeboten werden, können entweder aus einer von der Hauptversammlung beschlossenen Kapitalerhöhung gemäß § 182 AktG stammen (sog. Direktbeschluss) oder aus einem genehmigten Kapital gemäß § 202 AktG. Die Entscheidung wird sich danach richten, wieviel Eigenkapital aufgenommen werden soll oder im Falle von Sanierungskapitalerhöhungen muss, und ob ein ausreichendes genehmigtes Kapital vorhanden ist. Eine Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital ist auch bei Bezugsrechtsemissionen auf maximal 50 % des Grundkapitals beschränkt und setzt eine Ermächtigung in der Satzung voraus28. Ist eine ausreichende Ermächtigung vorhanden, empfiehlt es sich, die Kapitalerhöhung für die Bezugsrechtsemission auf der Grundlage des genehmigten Kapitals von Vorstand und Aufsichtsrat beschließen zu lassen. Dieses Vorgehen bietet mehr Flexibilität, weil eine günstige Marktlage abgewartet und die Transaktion nicht durch opponierende Aktionäre gestört werden kann. Aktionäre können allenfalls versuchen, durch Maßnahmen im vorläufigen Rechtsschutz die Umsetzung der Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse mit dem entsprechenden Schadensersatzrisiko zu stoppen29. Bei einem Kapitalerhöhungsbeschluss durch die Hauptversammlung besteht auch bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung ein erhebliches Anfechtungsrisiko30, obwohl bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung eigentlich nicht in Rechte der Aktionäre eingegrif25 Vgl. Bezugsangebot Deutsche Lufthansa vom 8.5.2017. 26 Krause, ZHR 181 (2017), 641, 649 m.w.N.; Schlitt/Schäfer in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 20. 27 Vgl. dazu auch Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 41.1 ff. 28 Kritisch zu dieser Grenze Vaupel/Reers, AG 2010, 93. Das im Zusammenhang mit der Bankenkrise geschaffene Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat diese Grenze aufgegeben. § 7b FMStBG sah vor, dass durch die Hauptversammlung zusätzliches genehmigtes Kapital geschaffen werden kann, wenn dies im Zusammenhang mit einer Rekapitalisierung nach § 7 FMStBG erfolgt. 29 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Commerzbank/Mangusta II, AG 2006, 38. Vgl. auch von Oppen/Menhart/Holst, WM 2011, 1835, 1841 ff.; Bayer in MünchKomm. AktG, § 203 Rz. 171 m.w.N.; Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 37.2 ff. 30 Alle Sanierungskapitalerhöhungen in den Jahren 2008 und 2009, die von der Hauptversammlung beschlossen wurden, sind angefochten worden (IKB 2008; Premiere 2009; Conergy 2008); s. hierzu Seibt, Der Konzern 2009, 261, 263.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
fen werden kann, zumindest wenn den Aktionären eine Verwertung der Bezugsrechte ermöglicht wird31. Die Durchführung eines Freigabeverfahrens gemäß § 246a AktG, auch nach Begrenzung des Verfahrens auf eine Instanz, führt zu einer Verzögerung der Durchführung der Kapitalerhöhung von mindestens drei Monaten (vgl. Rz. 5.89 ff.)32. Solange eine Anfechtung möglich ist, werden weder die Gesellschaft noch die Emissionsbanken ein Bezugsangebot veröffentlichen. Selbst wenn es gelingt mit den Aktionären, die Widerspruch eingelegt haben, einen Vergleich abzuschließen, verzögert sich die Durchführung der Kapitalerhöhung um die Anfechtungsfrist und den Zeitraum, der zum Abschluss eines Vergleichs erforderlich ist33. Auch in zeitlicher Nähe zu einer Hauptversammlung ist die Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht aus genehmigtem Kapital nicht subsidiär gegenüber der ordentlichen Kapitalerhöhung34. Die Nutzung des genehmigten Kapitals wird der Vorstand schon damit rechtfertigen können, dass eine Ankündigung einer Kapitalerhöhung mit langer Vorlauffrist, wie sie bei Direktbeschluss der Hauptversammlung zwingend ist, zu negativen Kursauswirkungen führen kann35, auch wenn der Bezugspreis noch nicht im Kapitalerhöhungsbeschluss, sondern gemäß § 186 Abs. 2 AktG erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist festgesetzt werden soll.
5.10
Bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital werden oft zwei Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat gefasst: Ein Grundsatzbeschluss, in dem das maximale Volumen, die Art der Kapitalerhöhung (Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht), die übernehmende Bank, Platzierungszeitraum und eventuell ein Mindestpreis festgelegt wird. Dieser Beschluss wird veröffentlicht und erlaubt danach Marktsondierungen, um die Nachfrage und den erforderlichen Abschlag auf den Börsenkurs zu ermitteln. In einem weiteren Konkretisierungsbeschluss werden dann Preis, Volumen und Bezugszeitraum und alle weiteren Details festgelegt (zum Inhalt des Kapitalerhöhungsbeschlusses vgl. Rz. 5.56 ff.)
5.10a
b) Festbetragskapitalerhöhung oder „Bis-zu“-Kapitalerhöhung Im Kapitalerhöhungsbeschluss, sei er auf der Grundlage eines genehmigten Kapitals oder eines Direktbeschlusses, kann der Kapitalerhöhungsbetrag fixiert oder nur als Höchstbetrag festgelegt werden. Das Volumen der Kapitalerhöhung wird dann erst zum Ende der Bezugsfrist festgelegt, wenn die Zeichnung durch die Aktionäre und eine etwaige Plat31 LG Frankfurt a.M. v. 2.10.2007 – 3-5 O 177/07, AG 2007, 824. 32 Ein Monat Anfechtungsfrist plus Zustellung und Entscheidung innerhalb von drei Monaten, gemäß § 246a Abs. 3 Satz 6 AktG. Zu Risiken im Freigabeverfahren bei Kapitalerhöhungen, Meul/Ritter, AG 2017, 841. 33 Die Dauer hängt von der Zahl der Kläger ab. Bei der Kapitalerhöhung IKB 2008 dauerte die Einigung vier Monate, bei der Kapitalerhöhung Conergy 2008 drei Wochen. Vgl. Seibt, AG 2009, 133, 134. 34 Ein solches Rangverhältnis wird insbesondere bei Bezugsrechtsausschluss diskutiert. „Die unterschiedliche Begründungs- und Kontrolldichte […] könne zu dem Ergebnis führen, dass die an strengere Voraussetzungen geknüpfte Erhöhungsform gewählt werden müsse, sofern sie im konkreten Fall gangbar sei“, so LG Heidelberg v. 26.6.2001 – 11 O 175/00 KfH, AG 2002, 300 f. (MLP), ablehnend OLG Karlsruhe v. 28.8.2002 – 7 U 137/01, NZG 2002, 959, 960 = AG 2003, 444, 445 in der Berufungsentscheidung. Ausführlich zu dieser Thematik, aber im Ergebnis auch ablehnend, Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 163 ff. 35 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 43.28; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 144.
Herfs | 221
5.11
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
zierung nicht bezogener Aktien abgeschlossen ist. Dadurch kann das Emissionsvolumen in Abhängigkeit von der tatsächlichen Nachfrage festgelegt werden (vgl. zur Zulässigkeit Rz. 5.59 ff.). Bei einer Festbetragskapitalerhöhung scheitert dagegen die Kapitalerhöhung, wenn nur eine Aktie nicht innerhalb der Zeichnungsfrist gezeichnet wird36. Eine Durchführung im reduzierten Umfang ist nicht zulässig37. Um das Scheitern der Kapitalerhöhung bei Unsicherheit über die Nachfrage zu verhindern, muss eine Festbetragskapitalerhöhung mit einem „hard underwriting“ der Emissionsbanken verbunden sein, ggf. abgesichert durch Festbezugserklärungen von Großaktionären38. Das Platzierungsrisiko liegt dann mit Abschluss des Übernahmevertrags allein bei den Banken39. Bei einer „Bis-zu“Kapitalerhöhung ist das Risiko, dass nicht platzierbare Aktien bei den Emissionsbanken verbleiben, praktisch ausgeschlossen. Die Emissionsbanken verpflichten sich lediglich, die Aktien nach bestem Bemühen zu platzieren („best efforts underwriting“)40. Bei Sanierungskapitalerhöhungen mit ungewisser Nachfrage ist daher die „Bis-zu“-Kapitalerhöhung die bevorzugte Emissionsstruktur41. Der Nachteil dieser Struktur ist, dass mit einem offenen Emissionsvolumen das Signal verbunden sein kann, dass der Emittent hinsichtlich der Platzierbarkeit des Emissionsvolumens unsicher ist („negative signalling effect“)42. c) Direkte Platzierung oder mittelbare Platzierung
5.12 Bezugsrechtsemissionen werden in der Regel über die Einschaltung von Emissionsbanken
abgewickelt, die die Aktien mit der Verpflichtung zeichnen sie den Aktionären zum Bezug anzubieten. Gemäß § 186 Abs. 5 AktG gilt ein solch mittelbares Bezugsrecht nicht als Ausschluss des Bezugsrechts. Die Aktionäre erhalten einen eigenständigen Zuteilungsanspruch gegen die eingeschaltete Emissionsbank43 (vgl. Rz. 5.34). Der Vorteil für den Emittenten liegt darin, dass ein Zeichner für den gesamten Kapitalerhöhungsbetrag von vornherein feststeht. Das Emissionskonsortium bietet die von ihm gezeichneten Aktien mit einem mit der Gesellschaft vereinbarten Aufgeld den Aktionären zum Bezug an. Das Emissionskonsortium übernimmt die gesamte Abwicklung der Emission und erhält dafür eine Provision. Für die Gesellschaft ist die Kapitalerhöhung bereits mit der Übernahme der Aktien durch das Emissionskonsortium durchgeführt. Die Kapitalerhöhung kann nicht mehr scheitern. Die Banken tragen dann allerdings das Risiko, dass neue Aktien nicht bezogen werden, für die sie zumindest den geringsten Ausgabebetrag zahlen müssen (vgl. zum sog. zweistufigen Verfahren s. unter Rz. 5.79). Emittenten werden darauf drängen, dass die Emissionsbanken sich verpflichten, für alle gezeichneten Aktien den vereinbarten Bezugspreis zu zahlen, unabhängig davon, inwieweit das Bezugsrecht ausgeübt wird (hard underwriting). Die Bank trägt dann das volle Verwertungsrisiko der nicht bezogenen Aktien, das sonst bei der Gesellschaft liegt. Bei Emissionen, bei denen große
36 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 135; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.11; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 55. 37 Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 40. 38 Findeisen, ZIP 2009, 1647, 1649; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 145; Beispiele für Bezugsemissionen mit Festübernahme sind Continental (2010) und Kuka (2010) jeweils mit Festübernahmezusagen von Großaktionären sowie Commerzbank AG, Gildemeister AG, Klöckner SE und HCI Capital AG (alle 2011). 39 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410. 40 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 411; z.B. Bezugsrechtemission Porsche SE 2011. 41 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 135. 42 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 145; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 412. 43 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 f. = AG 1992, 312.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
Nachfrage nach den jungen Aktien im Markt erwartet wurde, haben die Emittenten versucht, im Vorfeld einer Bezugsrechtsemission eine Auktion zwischen potentiell interessierten Banken zu starten, in der die Banken aufgefordert werden, einen festen Bezugspreis zu garantieren. Der Höchstbietende erhält dann das Mandat für die Durchführung der Bezugsrechtsemission44. Damit sollen Abschläge auf den Börsenkurs, die aus Sicht der Emissionsbanken das Platzierungsrisiko verringern, auf ein Mindestmaß reduziert werden. In Zeiten mit unsicherer Nachfrage und vor allem bei Sanierungskapitalerhöhungen werden Emissionsbanken nicht bereit sein, solch ein wirtschaftliches Risiko zu übernehmen. Es bleibt dann nur der Weg über eine „Bis-zu“-Kapitalerhöhung (s. Rz. 5.59 ff.). Nach überwiegender Meinung kann auch bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung ein nur mittelbares Bezugsrecht eingeräumt werden45 (s. Rz. 5.63). Hält man § 186 Abs. 5 AktG in diesem Fall für nicht anwendbar, kann die Emissionsbank zur Erleichterung der Abwicklung direkt von den einzelnen Aktionären als Abwicklungsstelle eingesetzt werden46.
5.13
d) Vorwegplatzierung mit partiellem Claw-Back Um in Zeiten mit unsicherer Nachfrage und hoher Volatilität das Übernahmerisiko weiter zu reduzieren, haben Banken eine Struktur entwickelt, bei der ein Teil oder alle neue Aktien bereits vor Beginn der Bezugsfrist platziert werden. Diese Platzierung kann innerhalb weniger Tage im Rahmen eines Bookbuilding-Verfahrens erfolgen. So kann ein marktgerechter Bezugspreis ermittelt werden und hohe Discounts auf den Börsenkurs wegen der langen Preisbindung (vgl. Rz. 5.2) vermieden werden. Mit der Ankündigung der Kapitalerhöhung kann dann ggf. schon die vollständige Platzierung gemeldet werden47. Bei dieser Struktur verzichten ein oder mehrere Großaktionäre auf ihr Bezugsrecht, so dass die darauf entfallenden Aktien privat platziert werden können48. Es können aber auch Aktien, für die noch Bezugsrechte ausgeübt werden können, unter dem Vorbehalt des Bezugsrechts zugeteilt werden. Es wird bei der Zuteilung ein entsprechender Rücktrittsvorbehalt („claw-back“) vereinbart49. Der Verzicht der Großaktionäre auf Bezugsrechte erfolgt in der Form, dass die betreffenden Aktionäre ihre Bezugsrechte an die Emissionsbanken entgeltlos abtreten. Der Platzierungserlös fließt an den Emittenten. Den Investoren, denen die Aktien vorab zugeteilt werden, müssen die Aktien innerhalb der üblichen Frist von zwei Handelstagen geliefert werden, auch wenn das Bezugsangebot noch nicht durchgeführt ist. 44 So z.B. bei den Bezugsrechtsemissionen der Hypo Vereinsbank AG und Deutsche Lufthansa AG im Jahr 2004; zu diesem Verfahren vgl. Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 259. 45 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.12 (Fn. 3); Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 136; Findeisen, ZIP 2009, 1647, 1649; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 411. 46 Vgl. Bezugsangebot der Escada AG in der FAZ v. 6.10.2003. Der Kapitalerhöhungsbeschluss muss dann vorsehen, dass das Bezugsrecht nur ausgeübt werden kann, wenn eine bestimmte Bank als Abwicklungsstelle eingesetzt wird. 47 Vgl. ad-hoc Meldung der Continental AG v. 6.1.2010 zur Kapitalerhöhung 2010 und ad-hoc Meldung Volkswagen AG v. 23.3.2010, bei der die Kapitalerhöhung angekündigt und gleichzeitig mitgeteilt wurde, dass der Bezugspreis im Rahmen einer Vorabplatzierung ermittelt wird. Am 25.3.2010 konnte der Bezugspreis bekannt gegeben werden, der nur 2,5 % unter dem Börsenkurs lag, und mitgeteilt werden, dass alle Aktien bereits vorab platziert waren, 27,2 % allerdings vorbehaltlich Ausübung von Bezugsrechten. 48 So bei Continental und Volkswagen bei der Kapitalerhöhung 2010 (s. vorstehende Fn.). 49 S. ad-hoc Meldung der Volkswagen AG v. 25.3.2010. Grundsätzlich wird es für möglich gehalten, zwischen 25–50 % des Gesamtvolumens einer Kapitalerhöhung mit Claw-Back Right zu platzieren.
Herfs | 223
5.14
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
Sonst müssten diese Investoren bis zum Abwicklungstag des Bezugsangebots das Preisänderungsrisiko tragen. Deshalb wird unmittelbar nach Abschluss der Vorabplatzierung die Durchführung der Kapitalerhöhung eingetragen, sodass die Aktien geliefert werden können. Steht die Zuteilung noch unter dem Vorbehalt der Rückforderung, können die Aktien auch aus einem Wertpapierdarlehen eines Großaktionärs geliefert werden, allerdings mit dem Risiko für den Verleiher, dass u.U. nur eine Barkompensation erfolgt, weil der Investor, der zurückliefern muss, seine Aktien bereits verkauft hat. Werden institutionelle Investoren zum Testen des Marktinteresses vor der eigentlichen Bekanntgabe der Kapitalerhöhung angesprochen, wirft das Probleme hinsichtlich Insiderrecht und ad-hoc Pflicht auf50. e) Festpreisemission oder Bookbuilding
5.15 Bis zur Neufassung des § 186 Abs. 2 AktG durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz
vom 19.7.2002, waren Bezugsrechtsemissionen immer Festpreisemissionen. Nach § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG a.F. war das Bezugsangebot unter Angabe des „für die Aktien zu leistenden Entgelts“ bekannt zu machen. Die herrschende Meinung hat aus dieser Formulierung gefolgert, dass nicht nur eine Berechnungsmethode, sondern ein betragsmäßig fixer Ausgabebetrag festgelegt werden musste. Dies führte bei Festlegung des Bezugspreises wegen der langen Bindungsfrist zu einem hohen Sicherheitsabschlag (vgl. Rz. 5.2). In der Praxis wurden daher Konstruktionen gesucht, um diesen Abschlag zu minimieren. Bei einigen Transaktionen wurde nur ein Höchstbetrag für den Bezugspreis festgesetzt, der dann unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Festsetzung eines niedrigeren Preises nach Durchführung des Bookbuildings im Rahmen der parallel angebotenen bezugsrechtsfreien Tranche) ermäßigt wurde51. Vgl. zur Ermittlung des Bezugspreises Rz. 5.102 ff.
5.16 Die neue Fassung des § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG ermöglicht auch die Anwendung des sog.
Bookbuilding-Verfahrens bei Bezugsrechtsemissionen als Preisfindungsmethode52. § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG erlaubt dem Emittenten zunächst lediglich die Grundlagen für die Bezugsfestlegung zu veröffentlichen und den endgültigen Bezugspreis drei Tage vor Ende der Bezugsfrist bekannt zu machen. Es braucht keine mathematische Formel für die Berechnung des Bezugspreises angegeben zu werden. Es reicht die Angabe, dass ein Bookbuilding-Verfahren durchgeführt wird53 (vgl. Rz. 5.104 ff. zur Frage, ob eine Preisspanne angegeben werden muss). Die Mechanik des Bookbuildings (vgl. dazu Rz. 2.52) funktioniert nur, wenn ein Preiswettbewerb zwischen den interessierten Anlegern entsteht. Sie geben Gebote ab, die von dem Emittenten angenommen oder abgelehnt werden können. Der Preiswettbewerb setzt voraus, dass keiner der potenziellen Investoren einen Anspruch auf Berücksichtigung seines Angebots hat. Bei der Bezugsrechtsemission hat der Bezugsberechtigte im Ergebnis mit Eintragung der Kapitalerhöhung einen Anspruch auf Erwerb der neuen Aktien54. Wird der Bezugspreis aber erst gegen Ende der Bezugsfrist festgelegt55, ist es möglich, dass Aktionäre, die nur bereit sind, bis zu einem bestimmten Preis zu
50 Ausführlich zu Problemen der Vorabplatzierung, Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 413 ff. 51 S. etwa Verkaufsprospekt/Börsenzulassungsprospekt der Deutschen Telekom AG v. 25.6.1999, S. 10. 52 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 23; Krug, BKR 2005, 302, 303; Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 41.17; Seibert, NZG 2002, 608, 612; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 261. 53 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 412. 54 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 51. 55 Zum Veröffentlichungszeitpunkt ausführlich Krug, BKR 2005, 302, 303 f.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
zeichnen, tatsächlich nicht zum Zuge kommen. Dadurch kann auch hier ein Preiswettbewerb entstehen, der zur Preisermittlung genutzt werden kann56. Allerdings ist die Obergrenze für den Bezugspreis unabhängig von der Nachfrage aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen der Börsenkurs57. Das Bookbuilding-Verfahren zum Zweck der Preisfindung ist letztlich nur sinnvoll, wenn die Aktien im Rahmen einer Roadshow allen potenziell interessierten Investoren angeboten werden. Zuteilungen an Nichtaktionäre können aber nur mit einem Rücktrittsvorbehalt gemacht werden („claw-back“), damit alle Aktionäre, die Bezugsrechte ausüben, bedient werden können (s. Rz. 5.14). Von der flexiblen Preisfestsetzung haben in letzter Zeit verstärkt Small- und Mid-Cap Emittenten Gebrauch gemacht58. Auch in den Jahren nach Änderung des § 186 Abs. 2 AktG sind die meisten Bezugsrechtsemissionen als Festpreisemissionen durchgeführt worden59. Offensichtlich ist den Emittenten ein fester Platzierungserlös wichtiger als eine möglichst marktnahe Preisfestsetzung. Dient die Emission einem bestimmten Zweck, etwa Ablösung einer Finanzierung oder Finanzierung einer Akquisition, muss der Emittent Sicherheit haben, dass er diesen Zweck auch erreicht60. Durch die Vergabe des Bankenmandats im Auktionsverfahren wurde versucht, den Abschlag auf den Börsenkurs zu minimieren (vgl. Rz. 5.12). Zur Verminderung des Preisabschlags bei Festpreisemissionen haben einige Emittenten das sog. „Step-up“Verfahren genutzt. Bei dieser Struktur wird vor Beginn der Bezugsfrist ein vorläufiger Bezugspreis im Wege der Ad-hoc-Mitteilung über die geplante Kapitalerhöhung bekannt gemacht. Durch Bekanntgabe des Preises soll das Vertrauen der Emissionsbanken auf die Platzierbarkeit der neuen Aktien an Investoren signalisiert werden. Auf dieser Grundlage wird dann eine Roadshow bei ausgewählten Investoren durchgeführt. Ist das Interesse groß genug, kann dann kurz vor Beginn der Bezugsfrist der Bezugspreis noch einmal erhöht werden61.
5.17
3. Ablauf einer Bezugsrechtsemission a) Beteiligte Zwischen dem Emittenten und den Emissionsbanken werden die Bedingungen der Aktienübernahme, der Platzierung und Abwicklung vereinbart. Die Emissionsbanken können als reine Abwicklungsstelle i.S.d. § 186 Abs. 5 AktG eingeschaltet werden, sie können aber 56 Vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/270. 57 Übersteigt der Bezugspreis den Börsenkurs, kann darin ein sog. faktischer Bezugsrechtsausschluss zu sehen sein, vgl. dazu Rz. 6.7; im Einzelnen Groß, AG 1993, 449, 454 ff.; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 177. 58 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 411. Beispiele sind Hapag-Lloyd AG (2017), Schuler AG (2011), Deutsche Wohnen (2011), Roth & Rau AG (2008). 59 So z.B. Deutsche Bank (2017), Singulus Technologies AG (2016), SGL Carbon (2016), Vonovia SE (2015), telecolumbus AG (2015); Continental AG (2010); Kuka AG (2010); Deutsche Bank AG (2010); Porsche SE (2011); Premiere AG (2007) wählte einen variablen Bezugspreis, wobei der Bezugspreis am achten der vierzehn Tage dauernden Bezugsfrist als gewichteter Durchschnittskurs der ersten acht Tage der Bezugsfrist abzüglich eines Abschlags festgesetzt und bekannt gemacht wurde; Deutsche Wohnen AG (2011) wählte den Durchschnittskurs während der Bezugspreis bis zur Preisfeststellung vier Tage vor Ende der Bezugsfrist. S. auch Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 41.8. 60 S. z.B. Bezugsangebot Klöckner & Co. SE, veröffentlicht im Bundesanzeiger v. 7.9.2009. 61 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 411; Beispiele sind Allianz AG 2003 (Erhöhung von 30 Euro auf 38 Euro), Münchener Rück 2003 (Erhöhung von 75 Euro auf 78 Euro); Deutsche Bank 2010 (Erhöhung von 31,80 Euro auf 33 Euro).
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5.18
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
auch eine Preisgarantie übernehmen (vgl. Rz. 5.11 ff.). Aktionäre können in die Vereinbarung über die Durchführung der Bezugsrechtsemission einbezogen sein, wenn sie entweder auf Bezugsrechte verzichten oder Bezugsrechte an die Emissionsbanken verkaufen, die dann die bezogenen Aktien an Dritte platzieren (s. Rz. 5.6) oder eine Festbezugserklärung62 abgeben. Emittent, Emissionsbanken und ggf. Altaktionäre schließen zunächst eine Mandatsvereinbarung und später einen Übernahmevertrag (s. dazu Rz. 5.117)63. b) Zeitliche Abfolge
5.19 Die zeitliche Abfolge einer Bezugsrechtsemission mit Festpreis sieht in der Regel wie folgt aus:
– Ankündigung der Kapitalerhöhung durch ad-hoc Meldung gemäß Art. 17 VO Nr. 596/ 2014 (MAR), – Kapitalerhöhungsbeschluss durch Hauptversammlung oder durch Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund genehmigten Kapitals, – Unterzeichnung des Übernahmevertrages mit den Emissionsbanken, – Veröffentlichung des Bezugsangebots und des Wertpapierprospekts, – Einbuchung der Bezugsrechte, – Bezugsrechtshandel, – Ende der Bezugsfrist und Zahlung des Bezugspreises, – Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister, – Zulassung der neuen Aktien an den Wertpapierbörsen, an denen die Altaktien gehandelt sind, – Lieferung der Aktien im Girosammelverkehr und Handelsaufnahme64.
5.19a
Die Absicht, eine Kapitalerhöhung durchzuführen, muss grundsätzlich durch ad-hoc Meldung gemäß Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) veröffentlicht werden65. Die Planung und Durchführung einer Kapitalerhöhung ist ein typisches Beispiel für einen gestreckten Geschehensablauf i.S.d. Art. 7 Abs. 3 VO Nr. 596/2014 (MAR). Der Entscheidungsprozess durchläuft mehrere Stufen der Prüfung und Vorbereitung. Wegen der hohen Kursrelevanz empfiehlt sich möglichst frühzeitig eine Selbstbefreiung gemäß Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/ 2014 (MAR) zu beschließen66. Nach der Ankündigung der Kapitalerhöhung durch ad-hoc, die bei Direktbeschluss spätestens bei Verabschiedung der Einladung zur Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat oder bei Nutzung eines genehmigten Kapitals mit dem 62 Ein Aktionär kann sich wirksam gegenüber der AG verpflichten, Aktien aus einer bevorstehenden Kapitalerhöhung zu zeichnen. § 185 Abs. 3 AktG wird analog angewandt. Vgl. hierzu OLG Frankfurt a.M. v. 4.4.2001 – 9 U 173/00, NZG 2001, 758; Hergeth/Eberl, NZG 2005, 205; Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 31. 63 Ausführlich zu den abzuschließenden Vereinbarungen Schäfer, ZGR 2008, 455 ff. 64 Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.94 ff. mit detailliertem Zeitplan. 65 BaFin, Emittentenleitfaden (2013), IV.2.2.4 (S. 53); Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 107 Rz. 142. 66 Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 107 Rz. 142.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
Grundsatzbeschluss (s. Rz. 5.12) erfolgen muss, sind Marktsondierungen und Gespräche mit Aktionären und anderen Investoren möglich. Vor der Veröffentlichung erfordern solche Sondierungen die Einhaltung der Regeln von Art. 11 VO Nr. 596/2014 (MAR). Dieses sog. „Wallcrossing“ kann problematisch sein, wenn nach den Sondierungen der Plan, eine Kapitalerhöhung durchzuführen, aufgegeben wird. Investoren verlangen dann eine Veröffentlichung, die sie von jedem potentiellem Insiderwissen (hier „der Plan“) befreit („Cleansing“), um Risiken aus Art. 11 Abs. 7 VO Nr. 596/2014 (MAR) zu entgehen. Sofern die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital erfolgt, werden Kapitalerhöhungsbeschluss und Unterzeichnung des Übernahmevertrages zeitgleich erfolgen, in der Regel erfolgt die Unterzeichnung zu Beginn des Bezugsangebots67. Die Emissionsbanken können sich einerseits im Übernahmevertrag keinen Anspruch auf Durchführung der Kapitalerhöhung einräumen lassen (§ 187 Abs. 2 AktG) und deshalb den Kapitalerhöhungsbeschluss abwarten wollen68, auf der anderen Seite werden Vorstand und Aufsichtsrat nur bereit sein die Kapitalerhöhung zu beschließen, wenn die Emissionsbanken die Abwicklung zugesagt haben. Dies gilt insbesondere in dem Fall, in dem die Banken einen Bezugspreis garantiert haben (hard underwriting, vgl. Rz. 5.11 ff.)69. Der Übernahmevertrag, der die Verpflichtung der Emissionsbanken enthält, die jungen Aktien den Aktionären zum Bezug anzubieten, darf wiederum nicht später abgeschlossen werden als der Zeichnungsvertrag, weil andernfalls ein Fall des Bezugsrechtsausschlusses vorliegen würde70.
5.20
Die Kapitalerhöhung kann bei mittelbarem Bezugsrecht und festem Bezugspreis auch vor Beginn des Bezugsangebotes durchgeführt werden. Dies hat den Vorteil, dass schon im Bezugsangebot existierende und ggf. auch zugelassene Aktien angeboten werden können. Lange war das die bevorzugte Vorgehensweise, da angesichts der starren Preisfestsetzungsregel in § 186 AktG a.F. ein Hinausschieben der Durchführung keinen wirtschaftlichen Sinn ergab71. Die Emissionsbanken, vor allem wenn es sich um ein internationales Konsortium handelt, ziehen aber mittlerweile ein Hinausschieben der Durchführung auch in diesem Fall vor, weil es ihnen bei Veränderung der Marktverhältnisse eine Rücktrittsmöglichkeit erlaubt (vgl. dazu Rz. 5.114).
5.21
Der Übernahmevertrag und der Zeichnungsvertrag sind streng voneinander zu unterscheiden. Der Übernahmevertrag geht der Zeichnung voraus. Der Übernahmevertrag begründet nur die Verpflichtung der Emissionsbanken, einen Zeichnungsvertrag mit der Gesellschaft über die jungen Aktien abzuschließen. Im Übrigen enthält er detaillierte Regelungen über die Aufgaben der Emissionsbanken, Platzierung und Börsenzulassung der Aktien, Rücktrittsklauseln, Haftungsfreistellungen sowie Regeln über Provision und Auslagen (vgl. dazu ausführlich § 29). Der Zeitpunkt des Abschlusses des Übernahmevertrags hängt vom Typ der Bezugsrechtsemission ab. Bei einer Festpreisemission liegt der Abschluss des Übernahmevertrags in der Regel vor dem Beginn der Bezugsfrist. Wird der Bezugspreis über ein Bookbuilding ermittelt und die Kapitalerhöhung erst nach Ende der Bezugsfrist durchgeführt, kann der Übernahmevertrag auch erst bei der endgültigen Preisfestsetzung
5.22
67 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/325; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410; Schäfer, ZGR 2008, 455, 474 f. 68 Vgl. hierzu Hüffer/Koch, AktG, § 187 Rz. 6; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 185 Rz. 49. 69 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 208. 70 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 47; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 208; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2184; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 70. 71 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2184.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
geschlossen werden. Der Abschluss des Übernahmevertrags bedeutet für die Banken die Übernahme des Platzierungsrisikos. Bankaufsichtsrechtlich ist die Abgabe von Platzierungsgarantien im Rahmen von Aktienemissionsverträgen als Kredit im Handelsbuch der Banken zu behandeln und mit Eigenkapital zu unterlegen72. Schon aus diesem Grund wollen die Banken die Frist zwischen der Übernahme der Aktien und der Weitergabe an die Aktionäre möglichst kurz halten, um das Platzierungsrisiko auf wenige Tage zu beschränken73.
5.23 Der Zeichnungsvertrag selbst kann vor dem Beginn der Bezugsfrist abgeschlossen werden,
wenn die Emissionsbanken und die Gesellschaft die Kapitalerhöhung schon vor Beginn der Bezugsfrist durchführen wollen, um existierende Aktien anbieten zu können. Da aber mit der Zeichnung der Zeichnungsbetrag mit Eigenkapital unterlegt werden muss, werden die Banken eine Zeichnung erst gegen Ende der Bezugsfrist bevorzugen. Dies gibt ihnen auch die Möglichkeit, bei unerwarteten Ereignissen oder Störungen der Finanzmärkte vom Übernahmevertrag noch zurück zu treten und die Emission abzubrechen (vgl. dazu Rz. 5.114).
5.24 Spätestens einen Werktag vor dem Beginn des Bezugsrechtshandels und vor der Veröffentlichung des Bezugsangebots, muss ein Wertpapierprospekt veröffentlicht werden74. Die Zulassung der Aktien zum Handel an der Wertpapierbörse, an der auch die Altaktien zugelassen sind, kann erst erfolgen, wenn die Durchführung der Kapitalerhöhung eingetragen ist und die Aktien entstanden sind. Die Zulassung kann auf Grundlage des Angebotsprospekts beantragt werden.
5.24a
Mit der Einführung des Record Date in Deutschland (s. § 58 Abs. 4 Satz 2 AktG) erfolgt die Einbuchung von Bezugsrechten nach den Vorgaben von Clearstream als zentraler Depotbank75 in drei Schritten: – Ex Date: erster Tag nach der Kapitalerhöhung, an dem die Aktien ohne Bezugsrechte notieren; – Record Date: Tag, an dem der Bestand der Aktien als Basis für die Einbuchung der Bezugsrechte ermittelt wird (mindestens einen Tag nach dem Ex-Date); – Payment Date: Einbuchung der Bezugsrechte (einen Tag nach Record Date). Das Record Date muss im Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegt werden (vgl. dazu Rz. 5.71).
5.25 Der Bezugsrechtshandel beginnt am Ex-Date, unabhängig davon, dass die Einbuchung
der Bezugsrechte erst zwei Tage später erfolgt76. Die Bezugsfrist kann auch auch schon vor dem Record Date beginnen. Möglich ist also folgender Ablauf: Veröffentlichung (einschließlich Wertpapierprospekt), danach Veröffentlichung des Bezugsangebots, danach Ex-
72 Vgl. hierzu Rundschreiben 13/99 der BaFin; dazu Pfüller/Flatten, FB 2001, 388 ff. 73 Pfüller/Flatten, FB 2001, 388, 392. 74 Vgl. dazu Rz. 5.119 ff. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG (BGBl. I 2012, 1375) besteht eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts bei allen Bezugsrechtemissionen, unabhängig davon, ob ein Bezugsrechtshandel eingerichtet wird, vgl. zu den Änderungen Berrar/Wiegel, CFL 2012, 97 ff. 75 Clearstream, Kundeninformation Verwahrungsdienstleistungen, Record Tag Deutschland, November 2015, (http://www.clearstream.com/blob/74206/ad3596cd71c2835b1859f7887e5b2a46/kunden information-record-tag-deutschland-data.pdf); Wieneke, GWR 2017, 239 ff. 76 Wieneke, GWR 2017, 239, 241.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
Date und Beginn der Bezugsfrist. Das Record Date fällt dann auf den zweiten Tag der Bezugsfrist, was den Zeitraum zwischen Bekanntmachung und Durchführung verkürzt und das Kursänderungsrisiko verringert77 (vgl. dazu Rz. 5.2). Die Lieferung der jungen Aktien kann erst nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung, Zulassung der neuen Aktien zum Handel und Notierungsaufnahme erfolgen. Die Verkürzung der Frist zwischen Ende der Bezugsfrist und Lieferung macht das Bezugsangebot für die Aktionäre attraktiver, die dann sehr spät zeichnen und zahlen können und kurz nach Zahlung über die bezogenen Aktien verfügen können, um das Preisänderungsrisiko möglichst gering zu halten.
II. Bezugsrecht der Aktionäre 1. Bedeutung des Bezugsrechts Das in § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG normierte Bezugsrecht gewährt jedem Aktionär einen Anspruch, an einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen in einem seiner bisherigen Beteiligungsquote entsprechenden Umfang teilzuhaben. Dieser Anspruch muss vom Aktionär geltend gemacht werden, d.h. der Aktionär wird nicht automatisch an der Verteilung der neuen Aktien beteiligt. Der Aktionär ist auch nicht verpflichtet zusätzliche Aktien zu zeichnen; das widerspräche § 54 Abs. 1 AktG. Er kann höchstens verpflichtet sein, eine erforderliche Kapitalerhöhung nicht zu blockieren78. Das Bezugsrecht gewährt dem Aktionär einen Anspruch gegen die Gesellschaft auf Abschluss eines Zeichnungsvertrages zu den im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzten Bedingungen, bzw. im Falle des mittelbaren Bezugsrechts einen Anspruch auf Abschluss eines Kaufvertrags mit der die Kapitalerhöhung zeichnenden Bank79.
5.26
Zweck des Bezugsrechts ist es, sicherzustellen, dass jeder Aktionär trotz der Kapitalerhöhung seine bisherige Beteiligungs- und Stimmrechtsquote aufrechterhalten kann. Außerdem soll eine wirtschaftliche Verwässerung der bestehenden Beteiligung verhindert werden80. Wirtschaftlich stellt das Bezugsrecht eine werthaltige Option dar (solange der Bezugspreis unter dem Börsenkurs liegt), deren Wert dem Vermögensverlust aus der Verwässerung des Altaktienbestands entspricht. Die Aktionäre können ihr Bezugsrecht ausüben und die neuen Aktien im Verhältnis der eigenen Beteiligungsquote erwerben oder den Wert des Bezugsrechts durch Verkauf realisieren. Der Erlös gleicht den Vermögensverlust im Aktienbestand durch die Kursverwässerung aus81. Die Regelungen des § 186 AktG zum Bezugsrecht sind zwingend. Sie können durch die Satzung weder beschränkt noch erweitert werden82.
5.27
77 Wieneke, GWR 2017, 239, 241. 78 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – Girmes, BGHZ 129, 136 = AG 1995, 368. 79 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 4; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 5; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 61. 80 Vgl. statt vieler Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 2; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 6; zur Kritik an diesen beiden Funktionen, vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.42. 81 Nippel/Schieber/Schweizer, WiSt 2010, 430. 82 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 95; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 3 f.; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 48 u. 60.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
2. Entstehen des Bezugsrechts 5.28 Von dem allgemeinen Bezugsrecht, das untrennbar mit der Aktie verbunden ist und nicht
selbständig übertragen werden kann, ist der konkrete Bezugsanspruch zu unterscheiden, der ein selbständiges und übertragbares Recht ist. Nach h.M. entsteht das Bezugsrecht mit Wirksamkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses83, es sei denn, es ist im Erhöhungsbeschluss ausgeschlossen oder bereits kraft Gesetzes nicht zur Entstehung gekommen, z.B. bei einer Kapitalerhöhung zum Zweck einer Verschmelzung oder Spaltung (§§ 69 Abs. 1, 142 Abs. 1 UmwG), bei einer bedingten Kapitalerhöhung und wegen des automatischen Rechtserwerbes bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln. Das Entstehen des Bezugsanspruchs ist von der Eintragung des Erhöhungsbeschlusses im Handelsregister nicht abhängig, da dieser Anspruch nur auf Abschluss eines Zeichnungsvertrages gerichtet ist und nicht bereits den endgültigen Bezug junger Aktien sichert84. Lediglich die Erfüllung des Bezugsanspruchs setzt die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister voraus, die noch aus vielfältigen Gründen scheitern kann.
5.29 Die h.M. über den Zeitpunkt der Entstehung des Bezugsrechts deckt sich nicht mit der Praxis. In der Praxis wird das Bezugsrecht erst am Ex-Date von der Aktie getrennt. Von diesem Tag an notieren die Aktien ex-Bezugsrechte (vgl. Rz. 5.24). Ab diesem Tag kann auch der Bezugsrechtshandel beginnen. Das Ex-Date liegt entweder unmittelbar vor Beginn der Bezugsfrist oder am ersten Tag der Bezugsfrist. Rein faktisch entsteht der Bezugsanspruch als selbständig handelbares Recht also erst zum Beginn der Bezugsfrist85.
3. Mittelbares Bezugsrecht 5.30 Wie bereits oben dargestellt (Rz. 5.12), finden Bezugsrechtsemissionen von Publikums-
gesellschaften fast ausschließlich unter Einschaltung eines Kreditinstituts bzw. eines Konsortiums mehrerer Kreditinstitute statt. Die Aktionäre haben dann keinen direkten Anspruch gegen den Emittenten auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags, sondern gegen die Emissionsbank auf Abschluss eines Kaufvertrags86. Nach h.M. kann ein mittelbares Bezugsrecht auch bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung eingeräumt werden87, obwohl § 186 Abs. 5 AktG seinem Wortlaut und seiner Systematik nach wohl davon ausgeht, dass eine feste Anzahl von Aktien von dem Kreditinstitut übernommen wird, die dann den Be-
83 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 6; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 14; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, AktG, § 186 Rz. 6; kritisch Butzke in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 59 ff.: bei vielen Gestaltungen stehen zum Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch nicht alle Parameter fest, die für ein selbständig übertragbares Bezugsrecht erforderlich sind, z.B. der Bezugspreis, wenn der Preis gemäß § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG erst am Ende der Bezugsfrist festgelegt wird. 84 Ekenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 19. 85 Wieneke, GWR 2017 239, 240. Wieneke hält den Tag der Veröffentlichung des Bezugsangebots für maßgeblich. Butzke in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 59. Nach Butzke ist der Beginn der Bezugsrist daher der maßgebliche Zeitpunkt für die Entstehung des konkreten Bezugsanspruchs. 86 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 47. 87 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.12 (Fn. 3); Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 136; Findeisen, ZIP 2009, 1647, 1649; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 411.
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zugsberechtigten angeboten wird. Bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung übernehmen die Emissionsbanken kein Platzierungsrisiko, sondern zeichnen nur in Höhe der tatsächlichen Nachfrage. Sie übernehmen nur eine Abwicklungsfunktion und könnten daher auch in der Bezugserklärung von dem jeweiligen Aktionär bevollmächtigt werden, als ihr Vertreter in eigenem Namen zu zeichnen (Vertretungsmodell)88. Auf der anderen Seite wird die Rechtsposition der bezugsberechtigten Aktionäre beim mittelbaren Bezugsrecht allein durch die Ausgestaltung der Kapitalerhöhung als „Bis-zu“-Beschluss nicht beeinträchtigt89. Die Gleichstellung von mittelbarem und direktem Bezugsrecht beruht aber gerade auf dem Gedanken, dass durch Zwischenschaltung von unter staatlicher Aufsicht stehenden Kreditinstituten die Rechte der Aktionäre gesichert erscheinen90. Da die jungen Aktien unmittelbar von dem eingeschalteten Emissionskonsortium gezeichnet werden, liegt formal ein Bezugsrechtsausschluss vor91. Das Gesetz befreit aber dieses Verfahren von den strengen materiellen und förmlichen Anforderungen an einen Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 5 AktG), wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
5.31
(1) Das mittelbare Bezugsrecht muss im Hauptversammlungsbeschluss festgesetzt werden. Der Beschluss muss ausdrücklich das direkte Bezugsrecht ausschließen und festlegen, dass die jungen Aktien von einem oder mehreren Kreditinstituten i.S.v. § 1 Abs. 1 KWG mit der Verpflichtung übernommen werden sollen, die Aktien den Aktionären zum Bezug anzubieten92. Das mittelbare Bezugsrecht kann sich auch nur auf einen Teil der Kapitalerhöhung beschränken. Für einen Teil der Kapitalerhöhung kann das Bezugsrecht auch direkt gewährt werden. Hat die Gesellschaft z.B. einen Großaktionär, kann diesem ein Direktbezugsrecht eingeräumt werden, da die Abwicklung über Emissionsbanken insoweit keinen Vorteil bringt. Dadurch kann die Provision der Emissionsbanken reduziert werden93.
5.32
(2) Mittler des Bezugsrechts können nur Kreditinstitute i.S.v. § 1 Abs. 1 KWG oder gleichgestellte Unternehmen i.S.v. § 53 Abs. 1 KWG (Zweigstellen von Kreditinstituten im Ausland) oder Unternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des europäischen Wirtschaftsraums gemäß § 53b Abs. 1 und 7 KWG sein. Finanzdienstleistungsinstitute gemäß § 1 Abs. 1a KWG und Finanzunternehmen gemäß § 1 Abs. 3 KWG sind nicht zugelassen. Wenn die Emission von einem Konsortium übernommen wird, muss jeder Konsorte ein zugelassenes Kreditinstitut i.S.v. § 186 Abs. 5 AktG sein94. Die übernehmenden Kreditinstitute können im Hauptversammlungsbeschluss bereits bezeichnet werden, müssen sie aber nicht. Fehlt eine konkrete Festlegung, entscheidet der Vorstand95. Sollen andere als Bezugsmittler fungieren, z.B. der Großaktionär, gilt die Privilegierung des § 186 Abs. 5
5.33
88 89 90 91 92 93 94 95
So Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 91. Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 136. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.58 ff. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 44; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = AG 1991, 270. LG Koblenz v. 12.3.1996 – 6 U 470/96, NZG 1998, 552 f.; OLG Düsseldorf v. 24.3. 2000 – 16 U 70/99, AG 2001, 51, 53. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 45; Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 37; als h.M. bezeichnet in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/299. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 46; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 69. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 49; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 96; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.58; Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 37 f.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
AktG nicht mehr. Es müssen dann alle Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsauschluss eingehalten werden96.
5.34 (3) Das Kreditinstitut muss sich gegenüber der Gesellschaft verpflichten, die neuen Aktien
den Aktionären zum Bezug anzubieten. Diese Pflicht zum Angebot muss als Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB ausgestaltet sein97. Die Aktionäre erhalten einen unmittelbaren Bezugsanspruch gegen das übernehmende Emissionskonsortium. Der Hauptversammlungsbeschluss muss daher die Verwaltung anweisen, die Zeichnungsverträge mit den Emissionsbanken nur Zug um Zug gegen Übernahme der Verpflichtung durch die Banken abzuschließen, sämtliche Aktien, für die kein Direktbezug vorgesehen ist, an die Bezugsberechtigten weiterzugeben98. Die Emissionsbanken fungieren insoweit als fremdnützige Treuhänder für die Aktionäre99. Die Vereinbarung über die Pflicht zwischen den Emissionsbanken und der Gesellschaft, den Aktionären die Aktien zum Bezug anzubieten, ist kein Zeichnungsvertrag, da sich die Emissionsbanken noch nicht bindend zur Zeichnung der neuen Aktien verpflichtet haben, sondern in der Regel noch ein Rücktrittsrecht unter bestimmten engen Voraussetzungen haben100 (vgl. dazu Rz. 5.114 ff.).
5.35 Die Zeichnung der Aktien durch die Emissionsbanken wird in der Regel erst am Ende der
Bezugsfrist erfolgen (vgl. Rz. 5.22). Handelt es sich um ein „hard underwriting“ und eine Kapitalerhöhung mit hohem Volumen, bei der die Emissionsbank mehr als 30 % der Aktien hält, ist eine Befreiung vom Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG erforderlich. Insbesondere in Sanierungssituationen mit einem sehr geringen Börsenkurs und hohem Finanzierungsbedarf kann diese Situation auftauchen. Die Befreiungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 37 Abs. 1 und 2 WpÜG i.V.m. §§ 8 ff. WpÜG-AngebV. Der Befreiungsantrag kann auf § 37 Abs. 1, 2. und 3. Alt. WpÜG gestützt werden.101 Die Emissionsbanken zeichnen die Aktien nur, um die technische und praktische Abwicklung zu erleichtern und um der Gesellschaft das Platzierungsrisiko abzunehmen. Zielsetzung der Zeichnung ist nicht die Ausübung der Kontrolle (2. Alternative). Die Emissionsbanken planen, die gezeichneten Aktien unmittelbar nach Zeichnung an die Aktionäre weiter zu platzieren. Da die Zeichnung in der Regel erst gegen Ende der Bezugsfrist erfolgt, halten die Emissionsbanken die Aktien nur vorübergehend für wenige Tage bis zur endgültigen Abwicklung (Settlement) (3. Alternative). Die Emissionsbanken halten nur die nicht platzierbaren Aktien länger. Der verbleibende Teil wird aber nicht über 30 % liegen. Die Befreiung wird in der Regel mit der Auflage erteilt, dass die Emissionsbanken die Stimmrechte aus den neuen Aktien nicht ausüben und dass die Beteiligung innerhalb einer Frist wieder unter 30 % fällt. Die BaFin hält den Antrag auf Befreiung auch schon vor Abschluss des Übernahmevertrags, 96 Grund für die Beschränkung ist, dass nur Kreditinstitute und gleichgestellte Institute der Bankaufsicht unterliegen. Das Gesetz geht davon aus, dass nur bei solchen, der Aufsicht unterliegenden Unternehmen, das Bezugsrecht genauso gesichert ist, wie bei einem unmittelbaren Bezug; vgl. Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 38. 97 BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = AG 1991, 270; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96; BGH v. 5.4.1993 – I ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186; OLG Düsseldorf v. 24.3.2000 – 16 U 70/99, AG 2001, 51, 52 f. 98 Formulierungsmuster bei Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 113 (Zeichnungsschein) und Form V. 114 (Kapitalerhöhungsbeschluss); Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/299; Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 37. 99 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 = AG 1992, 312; Groß, AG 1993, 108, 115; Priester in FS Brandner, 1996, S. 97, 102 f. 100 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 185 Rz. 13. 101 Schlitt in MünchKomm. AktG, § 37 WpÜG Rz. 42.
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der in der Regel erst kurz vor Beginn der Bezugsfrist unterzeichnet wird (vgl. Rz. 5.22), für zulässig i.S.d. § 8 Satz 2 WpÜG-AngebV (Glaubhaftmachung), wenn sich die Pflicht zur Zeichnung aus der Mandatsvereinbarung ergibt. Im Fall einer Zeichnung durch ein Bankenkonsortium lässt sich die Problematik vermeiden, wenn jede Emissionsbank quotal zeichnet (dazu Rz. 5.78) und unter der Schwelle von 30 % bleibt. Haben die Emissionsbanken auch Darlehen gewährt, was oft in Sanierungssituationen der Fall ist, versuchen die Banken in der Regel, nicht mehr als 10 % zu zeichnen, um eine Umqualifizierung ihrer Darlehen in nachrangige Gesellschafterdarlehen zu vermeiden (§ 135 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 5 InsO). Entsprechend können auch Meldeschwellen gemäß § 33 WpHG ausgelöst werden, es sei denn, es liegt die Ausnahme des § 36 Abs. 1 WpHG vor (Handelsbestand)102. Die Tatsache, dass die Aktien nur für wenige Tage gehalten werden, spielt keine Rolle103. Die Ausnahmeregelung in § 36 Abs. 3 Nr. 1 WpHG gilt nur für Clearstream als zentraler Abwicklungsstelle104.
5.36
4. Inhalt des Bezugsrechts Das Bezugsrecht begründet das Recht jedes Aktionärs, auf sein Verlangen einen seinem Anteil am Grundkapital entsprechenden Anteil der neuen Aktien zeichnen zu können (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dieser einfache Grundsatz wirft aber abhängig von den konkreten Umständen einige schwierige Detailfragen auf.
5.37
a) Bezugsrecht und Bedingungen der Kapitalerhöhung Das Bezugsrecht begründet keinen Anspruch auf Zuteilung von Aktien zu einem bestimmten Ausgabebetrag, etwa zum geringsten Ausgabebetrag105, sondern nur das Recht auf Teilhabe zu den beschlossenen Bedingungen. Es besteht auch kein Anspruch darauf, dass die neuen Aktien mit gleichen Rechten ausgestattet sind, wie die alten. Der Emittent kann z.B. ohne Verletzung des Bezugsrechts an Inhaber von Stammaktien stimmrechtslose Vorzüge ausgeben, wenn dies die einzigen Aktien sind, die im Rahmen der Kapitalerhöhung ausgegeben werden sollen106.
5.38
b) Gattungsbezugsrecht Nicht ganz eindeutig ist die Rechtslage, wenn bereits verschiedene Gattungen bestehen und neue Aktien verschiedener Gattungen ausgegeben werden sollen. Der praktisch wichtigste Fall ist das Bestehen von Vorzugs- und Stammaktien. Folgende Fälle sind zu unterscheiden: – Es sollen nur Vorzugs- oder nur Stammaktien ausgegeben werden. 102 Durch die Gesetzesänderung mit Wirkung vom 3.1.2018 wurde mit geringen Änderungen § 21 WpHG zu § 33 WpHG und § 23 WpHG zu § 36 WpHG. 103 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 33 WpHG Rz. 21. 104 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 36 WpHG Rz. 45; BaFin, Konsultation 12/2018 des Emittentenleitfaden, Ziff. I. 2.6.4. 105 RG v. 11.4.1911 – VII 313/10, RGZ 76, 138, 141; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 4. 106 Vgl. nur RG v. 8.4.1908 – I 595/07, RGZ 68, 235, 249; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 4; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 104; jeweils m.w.N.
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5.39
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
– Es sollen Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben werden, wobei aber die Stammaktionäre nur Stammaktien, und die Vorzugsaktionäre nur neue Vorzugsaktien erhalten sollen.
5.40 Der erste Fall ist unproblematisch. Die Aktionäre beider Gattungen haben ein Bezugsrecht
auf die neuen Aktien107. Die Zulässigkeit der Beschränkung des Bezugsrechts auf eine Gattung bei Ausgabe mehrerer Gattungen im zweiten Fall ist umstritten. Nach herrschender Meinung hat bei Ausgabe verschiedener Gattungen jeder Aktionär ein Bezugsrecht an einem entsprechenden Teil (sog. Mischbezugsrecht)108. Nach anderer Ansicht soll dagegen, soweit die Kapitalerhöhung für die verschiedenen Aktiengattungen verhältniswahrend erfolgt, den Aktionären ein Bezugsrecht jeweils nur für Aktien der bisher gehaltenen Gattung zustehen (sog. Gattungsbezugsrecht)109. Stamm- wie Vorzugsaktionäre bleiben dann am gesamten Kapital im gleichen Umfang wie bisher beteiligt. Nur für die überschießenden Spitzen sei das Mischbezugsrecht anzuwenden110. Da das Bezugsrecht in erster Linie den Status Quo sichern soll, scheint das Gattungsbezugsrecht der methodisch richtige Ansatz zu sein111. Gleichwohl empfiehlt es sich für die Praxis vorsorglich das Bezugsrecht auf Aktien der jeweils anderen Gattung auszuschließen112. Ein solch gekreuzter Bezugsrechtsausschluss wird ganz überwiegend als ohne Weiteres zulässig angesehen (vgl. Rz. 6.25)113. c) Konzerndimensionales Bezugsrecht
5.41 Als Mitte und Ende der 90er Jahre Konzerne vermehrt einzelne Tochtergesellschaften an
der Börse einführten, kam die Frage auf, ob Aktionären der Muttergesellschaft ein Bezugsrecht bei Kapitalerhöhung der Tochtergesellschaften und/oder ein Vorerwerbsrecht beim Börsengang von Tochtergesellschaften zusteht114. Ein solches konzerndimensionales Bezugsrecht wird aber überwiegend abgelehnt115. Das Bezugsrecht des § 186 Abs. 1 AktG bezieht sich sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seinem Sinn (Wahrung der Beteiligungsquote) auf eine Kapitalerhöhung in der Gesellschaft selbst. Auch über Treuepflichten lässt sich ein solches Bezugsrecht nicht begründen, weil Treuepflichten der AG oder ihrer Organe Schutzpflichten, aber keine zusätzlichen Teilhaberrechte, begründen116.
107 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 45.8; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 48; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 8; Groß, AG 1993, 449, 451. 108 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 4; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 15; Münch, DB 1993, 769, 772; Rittig, NZG 2012, 1292, 1293. 109 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 49; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 69 f.; eingehend Groß, AG 1993, 449, 451 ff.; Frey/Hirte, DB 1989, 2465, 2466. 110 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 69 f.; Frey/Hirte, DB 1989, 2465, 2466. 111 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 105; Bezzenberger in FS Quack, 1991, S. 153, 161 ff.; Frey/ Hirte, DB 1989, 2465, 2466 ff.; Groß, AG 1993, 449, 452. 112 Wie hier Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.52; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 105; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 6; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 50. 113 LG München v. 2.4.1992 – 5 HKO 8840/91, WM 1992, 1151, 1154; ausführlich Rittig, NZG 2012, 1292; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.52; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 105, 119d; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 16; Münch, DB 1993, 769, 773 f.; zum Bezugsrechtsausschluss vgl. auch § 6. 114 Lutter, AG 2000, 342 ff. 115 Busch/Groß, AG 2000, 503 ff.; Fleischer, ZHR 65 (2001), 513, 541 ff.; Habersack, WM 2001, 545 ff.; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 11 ff.; Überblick über Meinungsstand bei Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 5a. 116 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 5a; Habersack, WM 2001, 545, 548 f.
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5. Bezugsberechtigte a) Eigene Aktien Bezugsberechtigt ist grundsätzlich jeder Aktionär. Die Gesellschaft hat für eigene Aktien kein Bezugsrecht (§ 71b AktG). Gleiches gilt für Aktien der Gesellschaft, die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmen oder einem Dritten für Rechnung eines solchen Unternehmens gehören (§§ 71d Satz 1 u. 4, 71b AktG)117. Das Bezugsrecht von eigenen Aktien lebt wieder auf, wenn die Gesellschaft die eigenen Aktien an Dritte verkauft118. Insoweit besteht Einigkeit. Strittig ist, ob die auf eigene Aktien entfallenden Bezugsrechte den übrigen Aktionären anwachsen119 oder ob die Bezugsrechte nur ruhen und die darauf entfallenden Aktien vom Emittenten verwertet werden können, wenn die eigenen Aktien nicht vor Beginn der Bezugsfrist verkauft werden120. Praktische Auswirkung hat das bei der Festlegung des Bezugsverhältnisses, das sich aus dem Verhältnis alte Aktien zu neuen Aktien ergibt. Hält man die Anwachsung für richtig, müssen bei der Festlegung des Bezugsrechtsverhältnisses die eigenen Aktien von den alten Aktien abgezogen werden. Dies entspricht der herrschenden Meinung und wohl auch der Praxis. Diese Auffassung ist nur nicht konsistent mit der Praxis, dass Bezugsrechte aufgrund des Bestands am Record Date berechnet werden und am Tag danach eingebucht werden (s. Rz. 5.24a). Werden eigene Aktien nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss verkauft und lebt damit das Bezugsrecht wieder auf, stimmt das Bezugsverhältnis am Record Date nicht mehr. Die Praxis löst dieses Problem damit, dass der Emittent sich verpflichtet, zwischen Kapitalerhöhungsbeschluss und Record Date oder, falls später, Beginn der Bezugsfrist keine eigene Aktien zu verkaufen121. Zur Sicherung müssen die eigenen Aktien daher mit Beschlussfassung eine eigene Wertpapierkennnummer erhalten, weil sie nur noch mit „Ex-Bezugsrecht“ gehandelt werden können und bis zum Ex-Date mit den anderen Aktien nicht fungibel sind122. Dieses Problem entsteht nicht, wenn man der zweiten Auffassung folgt. Für diese Auffassung spricht auch, dass bei Rechtsverlust wegen Verletzung von Meldepflichten nach § 20 Abs. 7 AktG und § 44 WpHG der Verlust 117 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 9; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 9; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 36; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 98; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 65 ff.; a.A. Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 29, für Aktien, die von einer abhängigen Gesellschaft gehalten werden. In diesem bestehe ein Bezugsrecht, das zwar nicht ausgeübt, jedoch veräußert werden könne. 118 Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 3; Wiesner in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 36 f.; Lutter in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 71b Rz. 17; Oechsler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 71b Rz. 17. 119 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 9; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 10. 120 Busch, AG 2005, 429, 32 ff.; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.46. 121 So z.B. Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 22; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177. 122 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177, die darauf hinweisen, dass zur Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Bemessung des Bezugsverhältnisses sichergestellt werden müsse, dass bis zum Ende der Bezugsfrist keine eigenen Aktien verkauft oder weitere eigene Aktien hinzuerworben werden. Die gesonderte Wertpapierkennnummer ist der beste Weg, dies sicherzustellen. Der Erwerb eigener Aktien nach Kapitalerhöhungsbeschluss ist praktisch nicht relevant. Ein ähnliches Problem ergibt sich auch hinsichtlich des Bezugs von Dividenden. Allerdings wird in diesem Fall der Zeitraum zwischen Gewinnverwendungsbeschluss und Dividendenzahlung nur wenige Tage betragen.
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5.42
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
des Bezugsrechts wie ein Verzicht oder eine Nichtausübung behandelt wird. Die auf den betreffenden Aktionär entfallenden Bezugsrechte bzw. jungen Aktien können anderweitig verwertet werden123. b) Aktien mit Sicherungsrechten
5.43 Besteht ein Nießbrauch und/oder ein Pfandrecht an Aktien, erstreckt sich dieses nicht
auf das Bezugsrecht. Bezugsberechtigter ist deshalb allein der Aktionär. Bei Ausübung des Bezugsrechts ist der Aktionär jedoch auf Verlangen verpflichtet, an den neuen Aktien einen Nießbrauch/ein Pfandrecht mit einer Quote zu bestellen, die dem Verhältnis zwischen dem Wert der neuen Aktien und dem Wert des Bezugsrechts entspricht. Bei Veräußerung des Bezugsrechts ist auf Verlangen ein Nießbrauch/Pfandrecht am Erlös zu bestellen124. Dagegen ist der Sicherungseigentümer auch Inhaber des Bezugsrechts. c) Aktien im Depot
5.44 Befinden sich Aktien im Depot, steht das Bezugsrecht allein dem Depotkunden zu. Die
depotführende Bank ist verpflichtet, den Depotkunden auf das Bezugsrecht und die Bedingungen seiner Ausübung hinzuweisen, wenn hierüber eine Mitteilung in den „Wertpapiermitteilungen“ erfolgt ist. Diese Verpflichtung ist in Nr. 15 Abs. 1 Satz 1 AGB-WP-Geschäfte konkretisiert. Sie ist ohne Weisung des Aktionärs grundsätzlich weder zur Ausübung noch zur Verwertung des Bezugsrechts berechtigt oder gar verpflichtet125. Etwas anderes ergibt sich allerdings in der Regel aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken. Hiernach hat die Bank sämtliche zum Depotbestand gehörenden Bezugsrechte zu verkaufen, soweit der Kunde bis zum Ablauf des vorletzten Tages des Bezugsrechtshandels keine Weisung erteilt126.
d) American Depository Receipts (ADRs)
5.45 Hat die Gesellschaft für US Investoren Aktien vertretende Zertifikate, z.B. American De-
pository Receipts (ADRs), ausgegeben, ist die die ADR-Zertifikate ausgebende Depotbank (depository bank) Eigentümerin der bei der Hinterlegungsbank (custodian bank) hinterlegten Aktien und damit auch Inhaberin der Bezugsrechte127. Die Depotbank ist allerdings in 123 Zu § 28 WpHG a.F. Kremer/Osterhaus in KölnKomm. WpHG, § 28 Rz. 61; Opitz in Schäfer/ Hamann, § 28 WpHG Rz. 44; für § 20 Abs. 7 AktG Bayer in MünchKomm. AktG, § 20 Rz. 64; Hüffer in FS Boujong, 1996, S. 277, 292 f.; ausführlich zur gesamten Problematik Busch, AG 2005, 429 ff. Das Problem würde auch nicht entstehen, wenn man davon ausgeht, dass der konkrete Bezugsanspruch erst mit Beginn der Bezugsrechtsfrist und nicht schon mit dem Kapitalerhöhungsbeschluss entsteht. So mit beachtlichen Argumenten Butzke in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 59. 124 Hierzu sowie zu den weiteren Pflichten zwischen Aktionär und Nießbraucher bzw. Pfandgläubiger ausführlich Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 40 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 10 f.; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 71 ff.; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 31 f. 125 RG v. 7.10.1925 – I 481/24, RGZ 111, 345, 348; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 13; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 47; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 9. 126 Zum Ganzen vgl. Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 37; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 19. 127 Harrer/King, IStR 1999, 188, 191; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 25.
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der Regel aus dem Depotvertrag verpflichtet, die Rechte und Ansprüche aus den Aktien so weit wie möglich auf die ADR-Inhaber zu übertragen128.
6. Einschränkungen des Bezugsrechts a) Übertragbarkeit Das konkrete Bezugsrecht ist übertragbar und handelbar, während das allgemeine Bezugsrecht ein unselbständiges, nicht übertragbares Mitgliedschaftsrecht ist129. Die Übertragbarkeit des Bezugsrechts kann durch die Satzung oder durch Beschluss der Hauptversammlung nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden130. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann. Dann muss als geringerer Eingriff auch der Ausschluss oder die Beschränkung der Verfügungsbefugnis möglich sein. Hierzu müssen dann allerdings die förmlichen Regeln des Bezugsrechtsausschlusses beachtet werden131.
5.46
Hat die Gesellschaft vinkulierte Aktien, erstreckt sich die Vinkulierung auch auf das Bezugsrecht für die jungen Aktien, um der Gesellschaft den Einfluss auf ihren Mitgliederstand zu erhalten132. Der Kapitalerhöhungsbeschluss kann jedoch die freie Übertragung der Bezugsrechte erlauben. Umgekehrt kann auch dann, wenn die Aktien der Gesellschaft bisher frei übertragbar waren, im Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegt werden, dass die jungen Aktien nur vinkuliert ausgegeben werden und dass die Vinkulierung bereits das Bezugsrecht erfassen soll133.
5.47
b) Faktische Erschwerungen Liegt zwar rein formal kein Bezugsrechtsausschluss vor, wird aber die Ausübung des Bezugsrechts durch faktische Erschwerungen wesentlich behindert, steht dies einem Bezugsrechtsausschluss gleich. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein unangemessen hoher Bezugspreis134, insbesondere ein über dem Börsenpreis liegender Bezugspreis, oder 128 Wieneke, AG 2001, 504, 508; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177; Harrer/King, IStR 1999, 188, 191; nach Harrer/King sollen die Depotbanken die Bezugsrechte bestmöglich verwerten. 129 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 6. 130 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 8; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 100; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 18; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 9; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 186 Rz. 26, 28; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 63. Zum Anspruch auf Bezugsrechtshandel s. Rz. 5.107. 131 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 100; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 23; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 9; a.A. Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 29, der nur Einschränkungen nach § 68 Abs. 2 AktG für zulässig hält. 132 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.48; Sailer-Coceani in MünchHdb. AG, § 14 Rz. 18; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 22; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 29; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 9; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 63. 133 Im Ergebnis unstreitig; vgl. nur Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 100; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 22; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 29; Rebmann in Heidel, AktG, § 186 Rz. 9; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 63. 134 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 43; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 140; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 123; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 144; Kuntz/Stegemann, ZIP 2016, 2341, 2344 ff.; Groß, AG 1993, 449, 455 ff.
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5.48
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
ungewöhnlich hohe Nennbeträge135 festgesetzt werden, den Aktionären zusätzliche oder unnötig belastende Pflichten auferlegt werden, etwa im Zusammenhang mit dem Nachweis der Aktionärsstellung136, oder aber das Bezugsverhältnis willkürlich so gewählt wird, dass eine vermeidbar hohe Anzahl von Spitzen entsteht, etwa um sie bei institutionellen Anlegern zu platzieren137. Bei hohem Abschlag auf den Börsenkurs wird auch die Nichteinrichtung eines Bezugsrechtshandels als eine faktische Erschwerung der Bezugsrechtsausübung angesehen (vgl. Rz. 5.107). Solche Erschwerungen werden überwiegend nur dann als zulässig angesehen, wenn die besonderen materiellen und förmlichen Erfordernisse des Bezugsrechtsausschlusses gewahrt werden138. Teilweise werden solche Gestaltungen wegen eines Verstoßes der Gesellschaft gegen die Treuepflicht für anfechtbar gehalten139. Ein über dem Börsenkurs liegender Bezugspreis muss aber nicht immer eine faktische Erschwerung des Bezugsrechts darstellen, insbesondere dann, wenn der innere Wert der Aktie über dem Börsenkurs liegt. Eine solche Konstellation kann sich insbesondere bei Verhandlungen über den Einstieg eines neuen „Anchor Shareholders“ bei volatilem Börsenkurs ergeben. Ist mit ihm ein Preis verhandelt worden, zu dem er bereit ist, Aktien zu erwerben, muss dieser Preis als Bezugspreis festgesetzt werden können. Der Investor wird nicht einen Preis zahlen, der über dem inneren Wert der Aktie liegt140. Liegt der Börsenkurs unter dem geringsten Ausgabebetrag, wie es bei Sanierungskapitalerhöhungen der Fall sein kann, und muss deshalb der Bezugspreis über dem Börsenkurs festgesetzt werden, so kann diese Festsetzung keinen Bezugsrechtsauschluss darstellen141. Allerdings wird man in dieser Situation versuchen, zur besseren Platzierbarkeit eine Kapitalherabsetzung vorzuschalten, um den Börsenkurs zu erhöhen. Vgl. dazu auch Rz. 6.7. c) Ausschluss von Aktionären aus bestimmten Jurisdiktionen
5.49 Es kann auch erforderlich sein, einzelne Aktionäre von der Ausübung von Bezugsrechten
auszuschließen, um Prospekt- oder Registrierungspflichten in anderen Jurisdiktionen zu vermeiden. Das gilt insbesondere für Registrierungspflichten in den USA, die schon durch das Angebot von Aktien an Aktionäre mit Sitz in den USA ausgelöst werden können. Es ist anerkannt, dass ein Ausschluss vom Bezugsangebot für Aktionäre mit Wohnsitz in den USA nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 53a AktG verstößt, weil so die teure und mit erheblichen Haftungsrisiken verbundene Registrierung des Prospekts in den USA vermieden wird. Das Bezugsrecht kann für diese Aktionärsgruppe schon im Kapitalerhöhungsbeschluss ausgeschlossen werden142. Üblicher ist es aber zur Vermeidung
135 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 43; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 140; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 143. 136 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 140. 137 Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 122; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177; vgl. BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167, 170 f. = AG 1999, 517. 138 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 43; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 142; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 121; Kuntz/Stegemann, ZIP 2016, 2341, 2344. 139 So z.B. Groß, AG 1993, 449, 454 ff., der nur die Festsetzung eines zu hohen Bezugspreises als eine Form des faktischen Bezugsrechtsausschlusses anerkennt. 140 Gehling, ZIP 2011, 1699 ff.; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 138; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 42. 141 Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 96. 142 Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 97; Bungert/Paschos, DZWir 1995, 221 ff.; Kuntz/Stegemann, ZIP 2016, 2341, 2344 ff.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
von Registrierungspflichten, das Bezugsangebot nicht in den Ländern zu veröffentlichen, in denen das Bezugsangebot eine zusätzliche Prospektpflicht auslöst. Das Bezugsangebot wird dann auf der Website des Emittenten hinter einen Filter gestellt und ist nur dann zugänglich, wenn ein Wohnsitz in Deutschland eingegeben wird. Das Bezugsrecht wird dann nicht ausgeschlossen und kann von den betreffenden Aktionären ausgeübt oder verwertet werden. Die Ausübung wird durch die fehlende Information nur erschwert. Darin wird aber kein faktischer Bezugsrechtsauschluss gesehen143.
7. Nichtausübung oder Verzicht auf Bezugsrecht Ein Aktionär kann gegenüber der AG auf sein Bezugsrecht verzichten oder durch Nichtausübung verfallen lassen. In beiden Fällen erlischt das Bezugsrecht, ohne dass es den anderen Aktionären zuwächst. Dies gilt auch dann, wenn der Bezugsrechtsverzicht schon vor der Kapitalerhöhung erklärt wird144. Die Gesellschaft kann die Aktien bestmöglich verwerten, allerdings nicht zu einem Preis unterhalb des Bezugspreises. Sind die frei gewordenen Aktien nicht zum Bezugspreis zu platzieren, müssen sie wieder allen Aktionären zu dem niedrigeren Preis zum Bezug angeboten werden145. Dieses Problem wird vermieden, wenn die Emissionsbanken den Bezugspreis für alle neuen Aktien garantieren.
5.50
8. Nachbezugsrecht Das deutsche Recht kennt, anders als einige ausländische Gesetze, kein Nachbezugsrecht auf Aktien, für die Bezugsrechte nicht ausgeübt worden sind. Ein Nachbezugsrecht kann aber im Kapitalerhöhungsbeschluss oder Bezugsangebot begründet werden. Häufig wird ein solches Nachbezugsrecht auch in Vergleichsvereinbarungen mit anfechtenden Aktionären vereinbart und dann im Bezugsangebot umgesetzt146. In der Regel muss der Bezugspreis für den Überbezug bis zum Ende der Bezugsfrist eingezahlt werden. Aufgrund des Gleichbehandlungsgebots müssen angemeldete Überbezugsorders quotal berücksichtigt werden, wenn es keinen wichtigen Grund für eine andere Behandlung gibt. Der Bezugspreis für nicht berücksichtigte Orders muss zurückgezahlt werden. Das Verfahren muss im Bezugsangebot erläutert werden147.
5.51
Auch gibt es nach deutschem Recht keine Regelung, die bestimmten Aktionären ein vorrangiges Bezugsrecht auf bestimmte Aktien einräumt, während die übrigen Aktionäre nur ein nachrangiges Bezugsrecht für den Fall erhalten, dass die vorrangig berechtigen Aktionäre von ihrem Bezugsrecht keinen Gebrauch machen. Dies ist z.B. in Art. 29 Abs. 2 lit. b RL 77/91/EWG (Zweite Kapitalrichtlinie der EG)148 für den Fall vorgesehen, dass bei Ausgabe von Aktien verschiedener Gattungen, den Aktionären kein direktes Bezugsrecht auf die Aktien der jeweils anderen Gattung eingeräumt wird. Ein solches Nachbezugsrecht kommt ohnehin nur in Betracht, wenn man entgegen der herrschenden Meinung von ei-
5.52
143 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.51; Kuntz/Stegemann, ZIP 2016, 2341, 2343. 144 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 27; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 137. 145 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 28. 146 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 137 mit Beispielen (Fn. 51). 147 Schlitt, CFL 2011, 410, 412. 148 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates v. 13.12.1976, ABl. EG Nr. 26 v. 31.1.1977, S. 1–13.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
nem Gattungsbezugsrecht ausgeht149. Selbst dann fehlt es für die Einräumung eines Nachbezugsrechts jedoch an einer gesetzlichen Regelung150.
9. Ausübung von Bezugsrechten a) Form
5.53 Das Bezugsrecht wird durch die Bezugserklärung ausgeübt. Das ist eine einseitige, empfangsbedürftige und formlose Erklärung, die der Aktionär gegenüber der AG oder beim mittelbaren Bezugsrecht gegenüber der Emissionsbank abgibt. Beim Direktbezugsrecht wird die AG durch die Bezugserklärung verpflichtet, mit dem Aktionär einen Zeichnungsvertrag abzuschließen. Der Aktionär ist hingegen auch nach Abgabe der Bezugserklärung nicht verpflichtet, einen Zeichnungsvertrag abzuschließen. Ansonsten wäre § 185 AktG überflüssig151. b) Ausübung gegen Erbringung einer Sacheinlage
5.54 In einem Kapitalerhöhungsbeschluss kann auch vorgesehen werden, dass im Rahmen einer
Bezugsrechtsemission ein Aktionär (meistens ein Großaktionär) Aktien gegen Leistung einer Sacheinlage beziehen kann. Der Beschluss wird dann so gefasst, dass die neuen Aktien zu einem bestimmten Bezugsverhältnis und einem einheitlichen Bezugspreis ausgegeben werden, aber teils gegen Sacheinlage, teils gegen Bareinlage bezogen werden können152. Der Vorteil dieses Vorgehens soll darin liegen, dass es sich nicht um eine gesonderte Bar- und Sachkapitalerhöhung mit jeweils gekreuztem Bezugsrechtsausschluss handelt, sondern um einen einheitlichen Kapitalerhöhungsvorgang ohne Bezugsrechtsausschluss. Durch die Barkomponente wird es den übrigen Aktionären ermöglicht, eine Verwässerung ihrer Beteiligungsquote zu vermeiden153. Strittig ist, ob auf einen solchen Beschluss § 255 Abs. 2 AktG anwendbar ist und der Beschluss mit der Begründung angefochten werden kann, die Sacheinlage sei überbewertet worden. Da wegen der Einheitlichkeit des Beschlusses ein Bezugsrechtsausschluss nicht erforderlich ist, ist § 255 Abs. 2 AktG seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Da aber die Sacheinlage bewertet werden muss, um feststellen zu können, ob der Bezugspreis durch diese Einlage voll erbracht ist, besteht ein Schutzbedürfnis der übrigen Aktionäre. Ob dieser Schutz nur über die Anfechtung gemäß § 255 Abs. 2 AktG zu bewirken ist oder auch auf andere Weise – etwa über §§ 255 Abs. 1, 243 Abs. 1, 53a AktG – hat die Rechtsprechung noch nicht endgültig entschieden154.
5.54a
Eine Bezugsrechtskapitalerhöhung mit Sacheinlage findet auch bei der sog. „Aktiendividende“ statt. Den Aktionären wird die Möglichkeit eröffnet, nach einem Gewinnverwendungsbeschluss ihren Auszahlungsanspruch ganz oder teilweise gegen Ausgabe neuer Aktien einzubringen (s. Rz. 5.7a). 149 Vgl. hierzu Rz. 5.30 f. 150 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 70 hält es für möglich, den Aktionären der jeweils anderen Gattung ein Bezugsrecht zweiter Hand anzubieten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Aktionäre auch einen Anspruch hierauf haben. 151 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.57. 152 S. OLG Jena v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, AG 2007, 31. 153 So Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 81; ausführlich zum Ganzen Lappe, BB 2000, 731 ff. 154 Für analoge Anwendbarkeit von § 255 Abs. 2 AktG, OLG Jena v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, AG 2007, 31; dagegen Lappe, BB 2000, 731 ff.
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III. Kapitalerhöhung Die Kapitalerhöhung kann durch die Hauptversammlung oder bei ausreichendem genehmigten Kapital durch Vorstand und Aufsichtsrat beschlossen werden (vgl. Rz. 5.9 ff.). Beschlussinhalte und technische Abwicklung unterscheiden sich bei beiden Formen nicht wesentlich.
5.55
1. Beschlussinhalt Der wesentliche Inhalt der Kapitalerhöhung muss bereits im Hauptversammlungsbeschluss bestimmt werden, die Festlegung von Einzelheiten kann der Verwaltung überlassen werden. Zum zwingenden Inhalt gehören die Festsetzung des Erhöhungsbetrags und die Art der auszugebenden Aktien (Inhaber- oder Namensaktien, Vorzugsaktien und Stück- oder Nennbetragsaktien, bei Nennbetragsaktien auch deren Nennbetrag). Zum fakultativen Inhalt gehören der Ausgabebetrag, der Beginn der Gewinnberechtigung und die Festlegung der Durchführungs- bzw. Bezugsfristen155. Die Festlegung des Record Date, d.h. der Tag, an dem der Bestand der Aktien als Basis für die Einbuchung der Bezugsrechte ermittelt wird (vgl. Rz. 5.24a), ist nicht zwingender Bestandteil des Kapitalerhöhungsbeschlusses. Er kann auch im Vorstand aufgrund der Ermächtigung zur Festlegung der Einzelheiten der Kapitalerhöhung, die üblicherweise im Kapitalerhöhungsbeschluss enthalten ist, bestimmt werden156.
5.56
a) Erhöhungsbetrag Für die Festlegung des Erhöhungsbetrags, der zwingender Inhalt des Kapitalerhöhungsbeschlusses ist, gibt es drei Varianten:
5.57
– Konkrete Bestimmung des Kapitalerhöhungsbetrags, – Festlegung eines Höchstwerts, – Festlegung eines Mindest- und Höchstwerts157. Die Festlegung eines fixen Kapitalerhöhungsbetrags hat den Nachteil, dass dieser Betrag bei der Übernahme der Aktien erreicht werden muss, sonst ist die Kapitalerhöhung gescheitert158. Gemäß § 185 Abs. 1 Nr. 4 AktG müssen die Zeichnungsscheine einen Zeitpunkt angeben, bis zu dem die Durchführung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister 155 Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 5–16.; Muster für Beschlüsse: Hoffmann-Becking in Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2009, Form. X 25 ff.; Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 106, 111, 114. 156 Wieneke, GWR 2017, 239, 241. 157 KG v. 6.12.2010 – 23 AktG 1/10, AG 2011, 171; OLG München v. 22.9.2009 – 31 Wx 110/09, AG 2010, 88 (zur Frage der Befristung und Ausnutzung in Tranchen); Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 12; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 55; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 41; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 135 ff. (zur „Bis-zu“-Kapitalerhöhung im Zusammenhang mit Sanierungen); Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 5; Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 106 Anm. 7. 158 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 55, m.w.N.; so schon RG v. 26.6. 1914 – II 109/14, RGZ 85, 205, 207.
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eingetragen sein muss. Ist diese Frist überschritten, wird die Zeichnung unverbindlich. Dies bedeutet, dass bei einer Kapitalerhöhung mit einem Fixbetrag das Scheitern der Kapitalerhöhung riskiert wird, wenn nur eine einzige neue Aktie nicht platziert werden kann159. Dieses Problem kann vermieden werden, wenn die Kapitalerhöhung über eine Emissionsbank oder ein Emissionskonsortium durchgeführt wird, das schon vor dem Beginn des Bezugsangebots die Aktien fest zeichnet. Eine Festbetragskapitalerhöhung wird bei Publikumsgesellschaften daher nur bei Einschaltung von Kreditinstituten und mittelbarem Bezugsrecht gemäß § 186 Abs. 5 AktG in Betracht kommen (vgl. dazu Rz. 5.30 ff.).
5.59 Wenn wegen der Marktlage oder dem Risikoprofil des Emittenten nicht sicher ist, ob alle Aktien gezeichnet werden, empfiehlt sich, statt eines Kapitalerhöhungsbeschlusses mit einem festen Erhöhungsbetrag einen „Bis-zu“-Kapitalerhöhungsbeschluss zu fassen. Ein solcher Höchstbetrag kommt insbesondere bei Sanierungskapitalerhöhungen in Betracht160. Die Kapitalerhöhung wird dann nur insoweit durchgeführt, wie Zeichnungen vorliegen.
5.60 Eine Höchstbetragskapitalerhöhung kann mit einem Mindestbetrag kombiniert werden.
Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Kapitalerhöhung nicht in einem unzureichenden Umfang durchgeführt werden muss. Die Kapitalerhöhung scheitert dann, wenn der Mindestbetrag nicht erreicht wird. Zwingend erforderlich ist die Angabe eines Mindestbetrags nicht161.
5.61 Wird kein fester Erhöhungsbetrag bestimmt, muss festgelegt werden, nach welchen Kri-
terien sich der genaue Erhöhungsbetrag bestimmt, in der Regel Anzahl der Zeichnungen in einer bestimmten Frist, wobei die Zeichnungen auch von Dritten kommen können, wenn der Beschluss dies vorsieht. Das Volumen kann auch von dem erzielbaren Bezugspreis und dem angestrebten Bruttoemissionserlös abhängig gemacht werden162. Der Kapitalerhöhungsbeschluss muss eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Kapitalerhöhung durchgeführt sein muss. Der Vorstand darf nicht nach freiem Ermessen über den Zeitpunkt der Kapitalerhöhung und den Erhöhungsbetrag entscheiden. Damit wäre die Grenze zum genehmigten Kapital überschritten163. Die Durchführungsfrist sollte sechs Monate be-
159 Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 40; Schröer/Hensel in Semler/Volhard, ArbHdb. HV, § 22 Rz. 31. 160 Zu Sanierungskapitalerhöhungen vgl. Seibt/Voigt, AG 2009, 133 ff.; Vaupel/Reers, AG 2010; 93 ff.; Findeisen, ZIP 2009, 1647 ff.; Seibt, Der Konzern, 2009, 261 ff. 161 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 55; LG Hamburg v. 2.12.1993 – 405 O 162/93, AG 1995, 92, 93; Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 113 Anm. 6. 162 Formulierungsbeispiel bei Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 136 Fn. 41; Schlitt, CFL 2011, 410, 412 mit Hinweis auf Kapitalerhöhungsbeschluss der Heidelberger Druckmaschinen AG vom 29.7. 2010: „Die endgültige Anzahl der neu auszugebenden Stückaktien – und damit der endgültige nominelle Kapitalerhöhungsbetrag – aus dieser Kapitalerhöhung ist auf diejenige Höchstanzahl beschränkt, die sich aus der Division des angestrebten Bruttoemissionserlöses in Höhe von rund Euro 420 Millionen durch den gemäß lit. b) vom Vorstand und Aufsichtsrat endgültig festzusetzenden Bezugspreis ergibt“. 163 OLG München v. 22.9.2009 – 31 Wx 110/09, AG 2010, 88; zum Urteil des OLG München Holzmann/Eichstädt, DStR 2010, 277 ff.; Bücker, NZG 2009, 1339 ff.; LG Hamburg v. 2.12. 1993 – 405 O 162/93, AG 1995, 92, 93; OLG Hamburg v. 29.10.1999 – 11 U 71/99, AG 2000, 326, 327 hält feste Frist nicht für erforderlich, sondern Vorgaben durch die HV für die Durchführung der Kapitalerhöhung für ausreichend; Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 12; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 56.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
ginnend mit dem Kapitalerhöhungsbeschluss nicht überschreiten164. Allerdings kann bei Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses mit anschließendem Freigabeverfahren die Frist zu kurz sein. Zudem müssen die kapitalmarktrechtlichen Vorgaben, die Emissionen nur in bestimmten Zeitfenstern nach der Veröffentlichung des letzten (Zwischen)Abschlusses zulassen, berücksichtigt werden. Bei Anfechtungsklagen sollte sich die Frist verlängern, am besten wird in diesem Fall die 6 Monatsfrist oder eine etwas kürzere Frist an den Zeitpunkt der Freigabeentscheidung oder der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses angeknüpft. Auch dann steht der Zeitpunkt der Durchführung nicht im Ermessen des Vorstands165. Bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung ist eine Ausübung in Tranchen auch innerhalb der Durchführungsfrist nicht zulässig, es sei denn, der Hauptversammlungsbeschluss sieht das ausdrücklich vor166.
5.62
Nach herrschender Auffassung kann auch bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung entgegen des Wortlauts von § 186 Abs. 5 AktG ein mittelbares Bezugsrecht eingeräumt werden (vgl. Rz. 5.30).
5.63
b) Art der auszugebenden Aktien Im Kapitalerhöhungsbeschluss sollte die Gattung der auszugebenden Aktien angegeben werden. Bei Fehlen dieser Angaben gelten die Bestimmungen der Satzung167. Hat eine Gesellschaft Stückaktien, so sind auch die neuen Aktien notwendigerweise Stückaktien. Der auf sie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals ist nicht in den Beschluss aufzunehmen. Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 5 AktG muss sich die Zahl der Aktien in demselben Verhältnis erhöhen wie das Grundkapital, d.h. der anteilige Betrag des Grundkapitals muss für die alten und neuen Aktien identisch sein. Deshalb muss auch die Anzahl der neuen Aktien nicht zwingend im Beschluss angegeben werden, weil sie sich durch Division des Kapitalerhöhungsbetrags durch den rechnerischen Nennbetrag der alten Stückaktien bestimmen lässt168.
5.64
Hat eine Gesellschaft verschiedene Aktiengattungen, sind verschiedene Gestaltungsformen möglich. Der Kapitalerhöhungsbeschluss kann vorsehen, dass nur eine Gattung von Aktien neu ausgegeben wird. Hat eine Gesellschaft Stamm- und Vorzugsaktien, kann sie im Rahmen einer Kapitalerhöhung nur neue Stammaktien ausgeben. In diesem Fall haben sowohl die Stamm- wie auch die Vorzugsaktionäre ein Recht zum Bezug der neuen Stammaktien169. Die Gesellschaft kann aber auch proportional neue Stamm- und Vorzugsaktien ausgeben, damit das Verhältnis von Stamm- und Vorzugsaktien auch nach der Kapitalerhö-
5.65
164 OLG München v. 22.9.2009 – 31 Wx 110/09, AG 2010, 88; Holzmann/Eichstädt, DStR 2010, 277, 280; Peifer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rz. 37; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 16; Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207, 214; Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 23; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 44. 165 Bücker, NZG 2009, 1339, 1340; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 94 mit Hinweis auf die Frist des § 234 Abs. 3 Satz 2 AktG für Kapitalherabsetzungen, die während der Rechtshängigkeit von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gehemmt ist; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 17. 166 OLG München v. 22.9.2009 – 31 Wx 110/09, AG 2010, 88; Holzmann/Eichstädt, DStR 2010, 277, 280; Bücker, NZG 2009, 1339, 1340; Priester, NZG 2010, 81, 85 f.; zur Abgrenzung Kapitalerhöhung und genehmigtes Kapital, Priester in FS Wiedemann, 2002, S. 1161, 1164. 167 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 28; Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 13. 168 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, ZIP 2009, 1566, 1570; Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 13a. 169 Groß, AG 1993, 449, 451; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 70.
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hung gewahrt bleibt. Da Unsicherheit darüber besteht, ob Aktionäre nur ein Gattungsbezugsrecht haben (vgl. dazu Rz. 5.39 f.), empfiehlt es sich bei Ausgabe von Stammund Vorzugsaktien, im Kapitalerhöhungsbeschluss einen gekreuzten Bezugsrechtsausschluss vorzusehen. Der Kapitalerhöhungsbeschluss muss dann bestimmen, um welche Grundkapitalbeträge die einzelnen Gattungen erhöht werden und gleichzeitig das Bezugsrecht der Stammaktionäre auf Vorzugsaktien bzw. das der Vorzugsaktionäre auf Stammaktien ausschließen (vgl. auch Rz. 6.25)170. c) Bezugsverhältnis
5.66 Der Kapitalerhöhungsbeschluss muss zwingend das Bezugsverhältnis festlegen, d.h. be-
stimmen, wie viele alte Aktien zum Bezug einer neuen Aktie berechtigen171. Es errechnet sich durch Division der Zahl der alten Aktien durch die Zahl der neuen Aktien. Ist das Grundkapital nicht durch den Faktor teilbar, um den es erhöht werden soll, ergeben sich freie Spitzen. Für diese freien Spitzen muss zur Erleichterung der Durchführung der Kapitalerhöhung das Bezugsrecht ausgeschlossen werden, weil sonst die Einbuchung der Bezugsrechte durch Clearstream nicht erfolgen kann172. Das Bezugsverhältnis darf allerdings nicht willkürlich so bemessen werden, dass eine vermeidbar hohe Anzahl von Spitzen entsteht, etwa um diese bei institutionellen Aktionären zu platzieren. Wird das Grundkapital um weniger als 100 % erhöht, können Bezugsrechte auf Bruchteile von Aktien entstehen. Die Emissionsbanken organisieren in diesem Fall einen Spitzenausgleich, so dass Aktionäre weitere Bezugsrechte hinzuerwerben oder veräußern können. Ist ein Spitzenausgleich nicht möglich, könnte dies als faktische Erschwerung des Bezugsrechts gewertet werden173. Maßgeblich für die Bestimmung des Bezugsverhältnisses ist das Record Date. Dieser Tag liegt gewöhnlich einen Tag nach dem „Ex-Date“, d.h. einen Tag, nachdem die Altaktien „Ex-Bezugsrecht“ gehandelt werden (vgl. Rz. 5.24a). Das Record Date kann auch nach dem Beginn der Bezugsfrist liegen174. Da das Bezugsrechtsverhältnis im Kapitalerhöhungsbeschluss festzulegen ist, kann ein Problem entstehen, wenn sich die Zahl der bezugsberechtigten Aktien nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss noch erhöhen kann. Das kann entweder durch den Verkauf nicht bezugsberechtigter eigener Aktien (vgl. dazu Rz. 5.42) oder durch die Ausübung von Optionsrechten aus Wandelschuldverschreibungen oder Optionsplänen geschehen. Lässt sich eine Erhöhung der bezugsberechtigten Aktien nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss nicht ausschließen, muss mit einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung gearbeitet werden. Das Bezugsverhältnis muss dann auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ausstehenden Aktien und des Zielbetrags, den die Gesellschaft
170 S. Formulierungsvorschlag bei Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 32; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 30; Peifer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 186 Rz. 27 u. 94; Näheres auch unten § 6. 171 Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 106 Anm. 8, V.111 Anm. 7. 172 Vgl. Rz. 6.15; Formulierungsvorschlag für Bezugsrechtsausschluss und Vorstandsbericht bei Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 55. 173 Vgl. hierzu BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98 – Hilgers, BGHZ 142, 167, 170 f. = AG 1999, 517. Der BGH hat entschieden, dass der Mehrheitsaktionär aufgrund seiner Treuepflicht gegenüber den Minderheitsaktionären verpflichtet ist, bei einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung den rechnerischen Nennbetrag so zu wählen, dass das Entstehen unverhältnismäßig hoher Spitzen vermieden wird. Vgl. hierzu mit Beispielen Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.45; s. auch J. Vetter, AG 2000, 193, 201 ff.; zur Festlegung des Bezugsverhältnisses bei Kapitalerhöhung Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177; Hölters/Favoccia in MünchVertragsHdb. GesR, Form V. 106 Anm. 8, V.111 Anm. 7. 174 Wieneke, GWR 2017, 239, 241. Vgl. Rz. 5.25.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
erreichen will, errechnet werden. Der Höchstbetrag, der über dem Zielbetrag liegt, muss dem Kapitalerhöhungsbetrag entsprechen, der entstehen kann, wenn für alle Aktien, die noch bezugsberechtigt werden können, das Bezugsrecht im festgesetzten Verhältnis in voller Höhe ausgeübt wird175. d) Ausgabebetrag und Bezugspreis Im Kapitalerhöhungsbeschluss sind der Ausgabebetrag bzw. Bezugspreis festzusetzen. Ausgabebetrag und Bezugspreis müssen nicht zwingend identisch sein. Der Ausgabebetrag ist der Betrag, der bei der Zeichnung zu zahlen ist, der Bezugspreis ist der Preis, den die Aktionäre bei der Ausübung ihres Bezugsrechts zu bezahlen haben. Ausgabebetrag und Bezugspreis können beim mittelbaren Bezugsrecht auseinanderfallen. Die Emissionsbanken zeichnen die Aktien zu einem bestimmten fixen Betrag, in der Regel dem geringsten Ausgabepreis. Der Bezugspreis entspricht dem Marktpreis abzüglich Platzierungsabschlag bei einer Festpreisemission (vgl. Rz. 5.15) oder er wird später marktnah aufgrund eines Bookbuilding-Verfahrens bestimmt. Fallen beim mittelbaren Bezugsrecht Ausgabebetrag und Bezugspreis auseinander, müssen die Emissionsbanken dann vertraglich verpflichtet werden, die Differenz an die Gesellschaft abzuführen, ggf. abzüglich der Provision (vgl. Rz. 5.117). Zu unterscheiden ist zwischen dem korporativen Agio, d.h. der Differenz zwischen dem geringsten Ausgabebetrag und dem im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzten Ausgabebetrag, und einem schuldrechtlichen Agio, d.h. der schuldrechtlich vereinbarten Differenz zwischen Ausgabebetrag und höherem Bezugspreis. Das korporative Agio ist vor Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung in voller Höhe einzuzahlen (§§ 188 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG). Bilanziell ist es in die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen und unterliegt dann der Ausschüttungssperre nach § 150 Abs. 3 und 4 AktG. Die Einzahlung des schuldrechtlichen Agios richtet sich nach den Vereinbarungen zwischen AG und Zeichner. §§ 188 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG finden keine Anwendung176. Strittig ist, ob ein schuldrechtliches Agio auch im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien vereinbart werden kann und wenn ja, ob es in der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB mit der Folge der Ausschüttungssperre nach § 150 Abs. 3 und 4 AktG eingestellt werden muss177 oder auch den freien Rücklagen gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zugeführt werden kann178. Grundsätzlich besteht Wahlfreiheit, welche Form des Agios gewählt wird179. Die herrschende Meinung erlaubt den Ausweis des schuldrechtlichen Agio in den freien Rücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB180. Das schuldrechtliche Agio wird vor allem bei Einschaltung von Emissionsbanken genutzt, um die Vorauszahlung des Agios durch die zeichnenden Banken zu vermeiden (sog. zweistufiges Verfahren s. Rz. 5.79). Allerdings ist zum Ausweis eines schuldrechtlichen Agio 175 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.45. 176 OLG München v. 27.9.2006 – 7 U 1857/06, ZIP 2007, 126, 129 = AG 2007, 292, 294; Nichtannahmebeschluss des der Revision gegen das Urteil des OLG München v. 15.10.2007 – II ZR 249/06, AG 2008, 122 = ZIP 2008, 26; LG Mainz v. 18.9.1986 – 12 HO 53/85, AG 1987, 91 = ZIP 1986, 1323 ff.; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 182 Rz. 55; ausführlich zur gesamten Problematik Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693 ff. 177 Adler/Dürig/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Band 5, 6. Aufl. 1997, § 272 HGB Rz. 90 ff.; Schäfer, ZIP 2016, 953 ff. m.w.N.; Becker, NZG 2003, 510 ff. 178 Ausführlich m. umfassenden Nachweisen Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693 ff. 179 OLG München v. 27.9.2006 – 7 U 1857/06, ZIP 2007, 126, 129 = AG 2007, 292, 294; Priester in FS Röhricht, 2005, S. 462 ff. 180 Ausführlich Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693, 699 ff. m.w.N.
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5.67
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
eine ausdrücklich Feststellung im Kapitalerhöhungsbeschluss erforderlich, dass die Differenz zwischen Nominalwert und Bezugspreis- oder Ausgabebetrag (d.h. dem vom Zeichner einzuzahlenden Gesamtbetrag) als freie Zuzahlung nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu erbringen ist181.
5.68 Grundsätzlich ist die Hauptversammlung für die Festsetzung des Ausgabebetrags zustän-
dig. Wie sich im Umkehrschluss aus § 182 Abs. 3 AktG ergibt, muss die Hauptversammlung aber keinen festen Ausgabebetrag angeben und kann die nähere Bestimmung dem Vorstand oder dem Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats überlassen182. Sie kann auch ein bestimmtes Verfahren vorschreiben, an das die Verwaltung bei der Bestimmung des Ausgabebetrags gebunden ist, etwa Durchführung eines Bookbuilding-Verfahrens oder Angabe eines Höchst- und eines Mindestbetrags festlegen. Die Hauptversammlung kann den geringsten Ausgabebetrag als Mindestausgabebetrag vorsehen und den Vorstand ermächtigen, die neuen Aktien zu pari oder über pari auszugeben183. Wird der Ausgabebetrag nicht konkret durch die Hauptversammlung festgelegt, ist grundsätzlich der Vorstand im Rahmen seiner Finanzierungsverantwortung für die Festlegung zuständig. Es ist allerdings nicht klar, ob der Vorstand die Aktien zwingend zum geringsten Ausgabebetrag auszugeben hat oder auch einen darüber gehenden Ausgabepreis festlegen darf oder sogar muss184. Der Vorstand muss ggf. den Willen der Hauptversammlung durch Auslegung ermitteln. Um Rechtsunsicherheit zu vermeiden, sollte der Ausgabebetrag daher im Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegt werden185.
5.69 Der Ausgabebetrag darf den Nennwert bzw. den auf die einzelnen Stückaktien fallenden
Anteil am Grundkapital nicht unterschreiten. Ansonsten ist er bei Gewährung eines Bezugsrechts nach unten nicht begrenzt. Anders als beim Ausschluss des Bezugsrechts kann also ein erheblicher Abschlag auf den Börsenkurs vorgesehen werden. Wird der Ausgabebetrag weit über dem zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Börsenkurs festgesetzt, kann darin ein faktischer Bezugsrechtsausschluss liegen (vgl. Rz. 5.48). e) Weitere Bestandteile des Kapitalerhöhungsbeschlusses
5.70 Der Kapitalerhöhungsbeschluss sollte den Beginn der Gewinnberechtigung bestimmen.
Ohne Angabe des Zeitpunkts für den Beginn der Gewinnberechtigung sind die neuen Aktien gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 AktG nur zeitanteilig ab Eintragung der erfolgten Kapitalerhöhung gewinnberechtigt186. Die Gewinnberechtigung kann sich bei einer Bezugsrechtsemission auch auf ein schon abgelaufenes Geschäftsjahr beziehen, sofern über die Gewinnverwendung noch nicht beschlossen wurde187. Das empfiehlt sich auch, weil sonst die
181 Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693, 701 m.w.N. 182 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 Rz. 64; Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 24; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 30. 183 OLG Hamburg v. 29.2.1999 – 11 U 71/99, AG 2000, 326, 327. 184 Zur Diskussion: Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 25 m.w.N.; für Ausgabe mit Aufgeld Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 182 Rz. 58 ff.; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 23. 185 Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 57 hält den Beschluss für anfechtbar, wenn ein höherer Ausgabebetrag gewollt war, im Beschluss aber nicht festgesetzt wurde. 186 Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 15; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 182 Rz. 63; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 25; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 34. 187 Hüffer/Koch, AktG, § 60 Rz. 10; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 60 Rz. 28; Busch in MarschBarner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.15; a.A. Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 25; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 182 Rz. 63.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
neuen Aktien bis zur Beschlussfassung über die Gewinnverwendung für das abgelaufene Geschäftsjahr eine andere ISIN/WKN erhalten müssen188. Folgende weitere Fristen können im Hauptversammlungsbeschluss festgelegt werden:
5.71
– Ist das Volumen der Kapitalerhöhung nur durch Mindest- und/oder Höchstbetrag festgelegt, muss zur Abgrenzung vom genehmigten Kapital eine Frist bestimmt werden, in der die Kapitalerhöhung durchgeführt werden muss (vgl. Rz. 5.61). In anderen Fällen ist nicht zwingend eine Durchführungsfrist festzusetzen. – Die Hauptversammlung kann die Bezugsfrist bestimmen. Diese muss mindestens zwei Wochen betragen (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG). Bei fehlender Angabe gilt diese Mindestfrist. – Der Hauptversammlungsbeschluss kann eine Nachfrist für die Zeichnung der innerhalb der Bezugsfrist nicht gezeichneten Aktien setzen. Die Hauptversammlung kann auch bestimmen, wer innerhalb dieser Nachfrist zeichnen kann. Dies müssen nicht zwingend die Aktionäre sein, sondern können auch Dritte, z.B. bestimmte Investoren sein. (zum Nachbezugsrecht vgl. Rz. 5.51 f.). – Die Hauptversammlung kann auch eine Verfallsfrist bestimmen, nach deren Ablauf die Zeichnungen unverbindlich werden. Solch eine Frist ist zwingender Inhalt des Zeichnungsscheins (§ 185 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Enthält der Hauptversammlungsbeschluss keine Regelung, bestimmt der Vorstand die Verfallfrist189. – Der Hauptversammlungsbeschluss kann die Fälligkeit der Einlagen regeln, sofern diese nicht bei Eintragung der Durchführung voll eingezahlt werden sollen. – Der Hauptversammlungsbeschluss kann den Record Date festlegen, d.h. den Tag, an dem der Bestand der Aktien für die Einbuchung des Record Date festgesetzt wird. Die Festlegung des Record Date kann aber auch vom Vorstand aufgrund der Ermächtigung zur Festlegung der Einzelheiten der Kapitalerhöhung bestimmt werden190. Die Durchführung der Kapitalerhöhung erfordert eine Satzungsänderung, weil die Satzungsbestimmung über Höhe und Zusammensetzung des Grundkapitals angepasst werden muss. Es handelt sich bei dieser Anpassung aber nur um eine Fassungsänderung191. Diese Änderung erfordert einen Beschluss, sofern die Befugnis zur Satzungsänderung nicht dem Aufsichtsrat gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG übertragen worden ist192. Handelt es sich um eine Festbetragskapitalerhöhung mit mittelbarem Bezugsrecht, kann die entsprechende Satzungsänderung bereits durch die Hauptversammlung beschlossen werden. Bei einer „Bis-zu“-Kapitalerhöhung sollte eine Ermächtigung gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG in den Hauptversammlungsbeschluss aufgenommen werden, sofern der Aufsichtsrat nicht bereits durch die Satzung zu Fassungsänderungen ermächtigt ist193. 188 Seibt, CFL 2011, 74, 78; Sickinger/Kuthe in MünchenerAnwaltshdb. Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 33 Rz. 32. 189 Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 14; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 10; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 36. 190 Wieneke, GWR 2017, 239, 241; vgl. Rz. 5.24a. 191 BayObLG v. 5.10.1973 – 3 Z 14/72, AG 1974, 24, 26; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 179 Rz. 107; Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 11. 192 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 188 Rz. 8. 193 Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 16.
Herfs | 247
5.72
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
5.73 Schließlich sollte in die allgemeine Ermächtigung aufgenommen werden, dass der Vorstand – ggf. mit Zustimmung des Aufsichtsrats – berechtigt ist, weitere Einzelheiten der Kapitalerhöhung und ihrer Durchführung festzusetzen194.
f) Beschlussmehrheit
5.74 Die Kapitalerhöhung ist eine Satzungsänderung. Wie sonstige Satzungsänderungen bedarf
der Beschluss daher neben der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 2 AktG) grundsätzlich einer Kapitalmehrheit, die mindestens Dreiviertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfassen muss (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine Sonderregelung gibt es für Unternehmen des Finanzsektors gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 FMStBG. Danach bedarf es für die Kapitalerhöhung nur der einfachen Stimmenmehrheit195. Die Satzung kann vorsehen, dass für einen Kapitalerhöhungsbeschluss die einfache Kapitalmehrheit genügt (§ 182 Abs. 1 Satz 2 AktG). Nicht ganz eindeutig ist die Rechtslage, wenn die Satzung – wie es oft der Fall ist – vorsieht, dass alle Beschlüsse mit einfacher Stimmen- bzw. Kapitalmehrheit gefasst werden, soweit nicht Gesetz oder Satzung zwingend etwas anderes vorsehen. Teilweise wird vertreten, dass eine einfache Mehrheit nur dann ausreichend ist, wenn die Satzungsklausel ausdrücklich den Kapitalerhöhungsbeschluss erfasst196. Wegen dieser Unsicherheit kann es sich empfehlen, eine größere Mehrheit zu verlangen. Ist in der Satzung das Mehrheitserfordernis für Kapitalerhöhungen auf einfache Mehrheit reduziert worden, so gilt dies auch für das mittelbare Bezugsrecht, obwohl es sich formal um einen Bezugsrechtsauschluss handelt, für den ansonsten zwingend eine Dreiviertelmehrheit erforderlich ist (§ 186 Abs. 3 Satz 3 AktG)197. Für die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien kann die erforderliche Kapitalmehrheit nur herauf-, jedoch nicht herabgesetzt werden (§ 182 Abs. 1 Satz 2 AktG).
5.75 Komplizierter wird die Rechtslage, wenn Aktien verschiedener Gattungen bestehen. Soweit
die unterschiedlichen Gattungen stimmberechtigt sind, muss jede Gattung einen Sonderbeschluss fassen (§ 182 Abs. 2 Satz 1 AktG). Der Sonderbeschluss bedarf einer Mehrheit von Dreiviertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals sowie der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Aktionäre der jeweiligen Gattung (§ 182 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 AktG). Für den praktisch wichtigsten Fall, dass neben den Stammaktien stimmrechtslose Vorzugsaktien bestehen, gilt hinsichtlich des Erfordernisses eines Sonderbeschlusses und der Kapitalmehrheiten Folgendes: – Werden nur Stammaktien ausgegeben und erhalten die Vorzugsaktien hierauf ein Bezugsrecht, ist kein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre erforderlich198. – Werden neue Vorzugsaktien ausgegeben, die gegenüber den bestehenden Vorzugsaktien Vorrang haben oder ihnen gleichstehen, und erhalten die Vorzugsaktionäre ein Bezugs194 Krieger in MünchHdb. AG, § 56 Rz. 35. 195 Zum FMStBG Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541 ff.; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, AktG, § 182 Rz. 13a. 196 Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 8; Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 18; a.A. (generelle Änderung der Mehrheitserfordernisse für Satzungsänderungen ausreichend) Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 17; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 16 f.; Butzke in Obermüller/Werner/Winden, HV der Aktiengesellschaft, L Rz. 10. 197 Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 22 Rz. 34. 198 Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 27; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 182 Rz. 23; Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 19; Schröer/Hensel in Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV, § 20 Rz. 22. Zum Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre vgl. Rz. 5.39 f.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
recht, ist ein Sonderbeschluss nur dann entbehrlich, wenn die Satzung den Vorbehalt enthält, dass solche Vorzugsaktien ohne Zustimmung der Vorzugsaktionäre ausgegeben werden dürfen (§ 141 Abs. 2 AktG). – Werden Vorzugsaktien ausgegeben, die bei der Gewinnverteilung den bestehenden Vorzugsaktien nachrangig sind, bedarf es keines Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre.
2. Zeichnung a) Rechtsnatur und Inhalt des Zeichnungsvertrags Der Zeichnungsvertrag hat eine Doppelnatur. Zum einen ist er schuldrechtlicher Vertrag mit Zahlungs- und Lieferpflichten, zum anderen ist er ein korporationsrechtliches Rechtsgeschäft, das auf Einräumung einer Mitgliedschaft in einer Gesellschaft gerichtet ist199. Zu unterscheiden sind die Zeichnungserklärung, der Zeichnungsschein und der Zeichnungsvertrag. Im Fall der Einschaltung von Emissionsbanken und des mittelbaren Bezugsrechts kommt der Zeichnungsvertrag zwischen einer oder mehreren der Emissionsbanken und der AG zustande. Für die spätere Übertragung der Aktien auf die Aktionäre gelten die Vorschriften über die Zeichnung nicht. Der Zeichnungsvertrag kommt zustande durch Abgabe der Zeichnungserklärung durch die Emissionsbanken. Die Zeichnungserklärung ist die Annahme des Angebots der Gesellschaft, das in dem Kapitalerhöhungsbeschluss und der Zulassung der Emissionsbanken zur Zeichnung zu sehen ist200. Die Zeichnungserklärung ist formgebunden (Zeichnungsschein) und muss den Anforderungen von § 185 Abs. 1 AktG entsprechen. Der Zeichnungsschein ist bloße Beweisurkunde und kein Wertpapier201.
5.76
Aus dem Zeichnungsvertrag folgt die Verpflichtung des Zeichners zur Zahlung der Bareinlage für die gezeichneten Aktien. Die Gesellschaft verpflichtet sich, dem Zeichner im festgelegten Umfang Mitgliedsrechte zuzuteilen, wenn die Kapitalerhöhung durchgeführt wird. Der Zeichnungsvertrag gibt den Emissionsbanken keinen Anspruch gegen die Gesellschaft auf tatsächliche Durchführung der Kapitalerhöhung. Die Durchführung der Kapitalerhöhung hat satzungsändernden Charakter und kann daher nicht Gegenstand von schuldrechtlichen Verpflichtungen sein202. Der Gesellschaft steht es frei, die Kapitalerhöhung abzubrechen203.
5.77
Wird mehr als eine Bank zur Abwicklung der Emission eingeschaltet, stellt sich die Frage, ob das Emissionskonsortium aus dem Zeichnungsschein als BGB-Gesellschaft204 auf Zahlung der Bareinlage haftet oder die einzelnen Konsortialmitglieder auf ihre jeweilige Übernahmequote. Der BGH hat entschieden, dass aus Gründen der Kapitalerhaltung und Kapitalaufbringung die Beschränkung der Haftung in der BGB-Gesellschaft im Falle einer Beteiligung an einer AG unzulässig und unwirksam ist205. Im entschiedenen Fall hatte der
5.78
199 200 201 202 203
Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 4; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 Rz. 29. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/315. Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 185 Rz. 4. Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207, 217, 228 f.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/316. OLG Schleswig v. 20.2.2003 – 5 U 160/01, NZG 2004, 1006; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 185 Rz. 34; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 174. 204 Vgl. Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.193; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 184; Groß, AG 1993, 108, 116. 205 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = AG 1992, 312; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 204; Groß, AG 1993, 108, 116.
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§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
Konsortialführer „für ein unter seiner Führung stehendes Bankenkonsortium“ gezeichnet. Diese gesamtschuldnerische Haftung entspricht jedoch nicht dem Willen der einzelnen Mitglieder des Bankenkonsortiums206. Im Übernahmevertrag werden die Emissionsbanken ausdrücklich vereinbaren, dass sie nicht als Gesamtschuldner haften. Der Ausschluss der gesamtschuldnerischen Haftung im Übernahmevertrag ist daher nicht mit der Zeichnung der Emissionsbanken als BGB-Gesellschaft vereinbar. Das Emissionskonsortium darf nur eine BGB-Innengesellschaft sein. Nach außen darf bei der Zeichnung nicht das Konsortium als solches, sondern nur seine einzelnen Mitglieder in Erscheinung treten. Sollen nicht alle Emissionsbanken einzeln zeichnen, der Konsortialführer gegenüber der Gesellschaft aber auch nicht alleine für die gesamte zu zahlende Bareinlage haften, muss der Konsortialführer daher im Auftrag und in Vertretung der jeweils anderen Konsortialmitglieder zeichnen207. Obwohl der Zeichnungsschein nur von dem Konsortialführer unterschrieben wird, liegen rechtlich einzelne Zeichnungen der Konsortialmitglieder entsprechend ihrer im Übernahmevertrag festgesetzten Quote vor. Verschiedentlich wird empfohlen, die Quoten im Zeichnungsschein anzugeben, um jegliche Gefahr einer gesamtschuldnerischen Haftung des Konsortialführers auszuschließen208. Eine andere, vor allem bei kleineren Emissionen genutzte Möglichkeit des Schutzes vor gesamtschuldnerischer Haftung besteht darin, dass der Konsortialführer sämtliche Aktien in eigenem Namen, aber teils für Rechnung der anderen Emissionsbanken zeichnet. Die anderen Emissionsbanken sind dann verpflichtet, dem Konsortialführer die ihnen gemäß Übernahmequote gezeichneten Aktien zum Bezugspreis abzukaufen209. Der Konsortialführer kann sich vor einem Ausfall einer Emissionsbank dadurch schützen, dass er den Zeichnungsschein erst dann unterzeichnet, wenn die anderen Mitglieder des Emissionskonsortiums ihren Anteil des bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung zu zahlenden Zeichnungsbetrags auf ein Konto beim Konsortialführer eingezahlt haben. Dieses Vorgehen hat bei ausländischen Banken als Mitglieder des Emissionskonsortiums den Vorteil, dass keine Nachweise für eine wirksame Bevollmächtigung des Konsortialführers zur Zeichnung vorgelegt werden müssen210. b) Zeichnung zum Nennbetrag oder zum Bezugspreis
5.79 Gemäß §§ 188 Abs. 2, 36a AktG sind nach Zeichnung sofort mindestens ein Viertel des
Nennbetrags bzw. des anteiligen Betrags vom Grundkapital und das gesamte Aufgeld einzuzahlen. Zeichnen die Emissionsbanken zum Bezugskurs, müssen sie die Kapitalerhöhung fast komplett vorfinanzieren. Erfolgt die Zeichnung bereits vor dem Beginn der Bezugsfrist, haben sie den Kapitalerhöhungsbetrag für den Zeitraum der Bezugsfrist und der Abwicklung vorzufinanzieren. Zudem müsste der Bezugspreis dann schon im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzt werden, was einen hohen Sicherheitsabschlag erfordern würde (vgl. Rz. 5.2). Aber auch bei Kapitalerhöhungen aus genehmigten Kapital wird der Erhöhungsbeschluss schon vor Beginn der Bezugsfrist gefasst. Auf jeden Fall muss er so rechtzeitig gefasst werden, dass die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung so erfolgt, dass spätestens zwei Tage nach Zuteilung die neuen Aktien an die Investoren gelie-
206 Schäfer, ZGR 2008, 455, 473. 207 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/316b; bei der Zeichnung ist generell Stellvertretung zulässig; vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 185 Rz. 5; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.118. 208 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/316b; Schäfer, ZGR 2008, 455, 473; Meyer in MarschBarner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.118. 209 Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.119. 210 Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.119.
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fert werden können. Soll der Preis gemäß § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG am Ende der Bezugsfrist festgelegt werden, ist eine Abwicklung in diesem Zeitraum nicht mehr möglich, wenn erst bei Preisfestsetzung der Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst wird und die Aktien innerhalb von zwei Tagen geliefert werden sollen. Um dies zu vermeiden und die Kosten der Emission nicht weiter zu erhöhen, hat sich das sog. zweistufige Verfahren durchgesetzt. Dabei werden die Aktien von den Emissionsbanken zu pari gezeichnet. Gleichzeitig besteht eine durch den Übernahmevertrag festgesetzte Verpflichtung, den Unterschiedsbetrag zwischen dem Endbetrag bzw. anteiligen Betrag des Grundkapitals und dem Bezugspreis am Ende der Platzierung an die Gesellschaft abzuführen211. Das Agio ist also nicht korporativ, sondern schuldrechtlich vereinbart212 (vgl. Rz. 5.67). Gegen diese Praxis, die auch die unmittelbare Verrechnung der Provisionen und sonstiger Kosten mit dem Platzierungserlös erlaubt, ist eingewandt worden, dass dadurch die gläubigerschützende Volleinzahlungspflicht des § 36a AktG umgangen wird. Der Gläubigerschutz wird aber nicht beeinträchtigt. Die Emissionsbanken zeichnen die Aktien erst, wenn der Platzierungserlös von den Investoren eingegangen ist, sofern die Banken nicht selbst den Platzierungserlös garantiert haben. Wenn die neuen Aktien nach der Platzierung in den Verkehr kommen, ist das schuldrechtliche Agio geleistet213. Das schuldrechtliche Agio bei einer mittelbaren Bezugsrechtsemission im zweistufigen Verfahren ist bilanziell als Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB zu buchen („Betrag, der bei Ausgabe von Anteilen über den Nennbetrag oder rechnerischen Wert hinaus erzielt wird“) und unterliegt daher dem Ausschüttungsverbot nach § 150 Abs. 2 und 3 AktG. Die aktienrechtliche und bilanzielle Behandlung sind zu trennen214.
3. Die Einzahlung des Kapitalerhöhungsbetrags a) Kapitalerhöhungskonto Die Banken haben bei Zeichnung im einstufigen Verfahren den gesamten Ausgabebetrag, der dem Bezugspreis entspricht, im zweistufigen Verfahren 25 % des Ausgabebetrags, d.h. den auf die jungen Aktien entfallenden anteiligen Betrag am Grundkapital auf ein Sonder211 Vgl. hierzu Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 31 ff.; Schnorbus, AG 2004, 113, 124 mit zahlreichen Nachweisen zur Zulässigkeit (Fn. 118); Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.121. 212 Zur Zulässigkeit des schuldrechtlichen Agios BGH v. 15.10.2007 – II ZR 2490/06, AG 2008, 122; Vorinstanz OLG München v. 27.9.2006 – 7 U 1857/2006, AG 2007, 292; Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693, 703; Schäfer, ZGR 2008, 455, 476; instruktiv zur gesamten Thematik Becker, NZG 2003, 510 ff. und Priester in FS Röhricht, 2005, S. 467 ff., der auch davon ausgeht, dass ein Wahlrecht zwischen korporativem und schuldrechtlichem Agio besteht. 213 Schnorbus, AG 2004, 113, 124; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.121. 214 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung von Unternehmen, Teilband 5, 6. Aufl. 1997, § 272 HGB Rz. 90; mit ausführlicher Übersicht über die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693; Becker, NZG 2003, 510, 516; Vatter in Spindler/Stilz, AktG, § 9 Rz. 41; abweichend davon wird teilweise auch ein bilanzielles Wahlrecht angenommen, s. Entscheidung des OLG München v. 27.9.2006 – 7 U 1857/2006, AG 2007, 292; Haberstock, NZG 2008, 220 ff. Dann muss aber ausdrücklich vereinbart werden, dass eine Zuzahlung in die freie Rücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gemacht wird. Das wird für den Mehrerlös bei Aktienplatzierungen nicht vereinbart. Für Wahlfreiheit bei der Bilanzierung auch Priester in FS Röhricht, 2005, S. 467, 475 f.
Herfs | 251
5.80
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
kapitalerhöhungskonto der Gesellschaft zu zahlen. Im Übernahmevertrag wird geregelt, wann der restliche Teil des Ausgabebetrags zu zahlen ist. Meistens erfolgt die Zahlung zusammen mit dem Mehrplatzierungserlös am Abrechnungstag oder Closing. Das Kapitalerhöhungskonto kann bei der zeichnenden Emissionsbank geführt werden. Dies widerspricht nach herrschender Meinung nicht den Kapitalaufbringungsgrundsätzen. Es besteht kein Grund für die Annahme, dass andere Institute grundsätzlich weniger insolvenzanfällig wären als die an der Kapitalerhöhung beteiligte Bank. Die Gesellschaft erhält daher in Gestalt der Gutschrift auf dem Kapitalerhöhungskonto den gleichen Vermögenszufluss, den sie durch eine Gutschrift bei einem anderen Kreditinstitut erhalten hätte215. Um die Mindestreservepflicht des Konsortialführers zu senken, belastet der Konsortialführer die anderen Konsorten mit dem anteiligen Erhöhungsbetrag entsprechend der Übernahmequote auf sog. Anteilskonten216.
5.81 Es ist gängige Praxis, dass die Gesellschaft für die Zeit von der Einzahlung durch die
Zeichnerbank bis zum Abrechnungstag, d.h. bis zum Eingang des gesamten Emissionserlöses, keine Zinsen erhält. Auch dies verstößt nach herrschender Meinung nicht gegen den Grundsatz der Kapitalaufbringung oder der freien Verfügbarkeit des eingezahlten Betrags217. Die zeichnende Bank erhält für ihre Einzahlung die jungen Aktien, ohne aus diesem Aktienbesitz einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen zu können. Müsste sie das „Sonderkonto“ Kapitalerhöhung schon in der Zeit zwischen der Zeichnung und der Abrechnung des Emissionserlöses verzinsen, wäre dies ein Aufwand, den sie der Gesellschaft als Kosten der Emission in Rechnung stellen müsste. Für die Gesellschaft wäre die Verzinsung also letztlich ein „Nullsummenspiel“218. Weiter ist es übliche Praxis und manchmal auch ausdrücklich im Übernahmevertrag vereinbart, dass die Gesellschaft den eingezahlten Betrag vor dem Abrechnungstag nicht von dem Sonderkonto abziehen darf. Auch dies widerspricht nicht dem Grundsatz der freien Verfügbarkeit des eingezahlten Betrags. Mit der Vereinbarung des Nichtabziehens hat die Gesellschaft bereits über den Betrag im Sinne eines „Stehenlassens“ verfügt219.
b) Einzahlungsbestätigung
5.82 Über die Einzahlung erteilt die kontoführende Bank, in der Regel der Konsortialführer,
gemäß §§ 188 Abs. 2, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 37 Abs. 1 AktG eine Einzahlungsbestätigung. Für deren inhaltliche Richtigkeit haftet die bestätigende Bank gemäß § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG220. Durch die gesetzlich angeordnete Einzahlung zumindest der Mindesteinlage vor Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung und damit vor Begebung der neuen Aktien, muss das Emissionskonsortium vorleisten. Dies stößt insbesondere bei angelsächsischen Banken immer wieder auf Vorbehalte, weil in der angelsächsischen Praxis Closing und Begebung der Aktien zusammenfallen. Das Vorleistungsrisiko kann vermindert werden, wenn die Einzahlungsbestätigung den Vorbehalt enthält, der Betrag stehe un215 Henze in Großkomm. AktG, § 54 Rz. 95; Überblick über den Meinungsstand zur Führung des Kontos bei einer der an der Kapitalerhöhung beteiligten Banken bei Cahn, ZHR 176 (2002), 278, 299; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.65 u. 42.103. 216 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.65. 217 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 34; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/ 317a. 218 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 34. 219 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 34. 220 Zur Reichweite dieser Haftung Röhricht in FS Boujong, 1996, S. 457, 465.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
ter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung bzw. Durchführung der Kapitalerhöhung zur freien Verfügung des Vorstandes221. Bei einem Zeichnungsschein ist ein solcher Vorbehalt nicht erforderlich, weil er aufgrund seiner Befristung bei Nichtdurchführung der Kapitalerhöhung automatisch unverbindlich wird. c) Verwendung des Ausgabebetrages zur Tilgung von Bankverbindlichkeiten Soll der Ausgabebetrag zur Tilgung von Bankverbindlichkeiten verwendet werden, die gegenüber einer oder mehrerer Emissionsbanken bestehen, kann eine verdeckte Sacheinlage vorliegen. In Sanierungssituationen kann die Verlängerung von Kreditlinien von der Teilrückführung bestehender Linien durch eine Kapitalerhöhung abhängen. Oft sind dann die kreditgebenden Banken auch in die Abwicklung der Kapitalerhöhung eingeschaltet, weil sie am besten die mit der Sanierung verbundenen Risiken einschätzen können. Es ist unstreitig, dass ein Fall der sog. verdeckten Sacheinlage vorliegt, wenn die Gesellschaft den von einem Zeichner erhaltenen Bareinlagebetrag zur Tilgung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber dem Bareinleger verwendet. Es handelt sich hier um den klassischen Fall der Umgehung der Sacheinlagevorschriften durch ein Hin- und Herzahlen222. Die Bareinlage gilt dann als nicht geleistet und die Gesellschaft hat Anspruch auf Erbringung der Sachleistung, d.h. Einbringung der Darlehensforderung223. Nach herrschender Ansicht in der Literatur224 und in der Rechtsprechung225 liegt keine verdeckte Sacheinlage vor, wenn eine Emissionsbank im Rahmen einer Kapitalerhöhung mit mittelbarem Bezugsrecht Aktien zeichnet und mit dem von den Banken ausgezahlten Ausgabebetrag ein Darlehen einer oder mehrerer Emissionsbanken getilgt wird. Der BGH hat die Privilegierung der Emissionsbank damit begründet, dass diese lediglich eine Abwicklungsfunktion habe und kein wirtschaftliches Eigeninteresse mit der (kurzfristigen) Gesellschafterstellung verfolge. Die Emissionsbanken handeln als fremdnützige Treuhänder226. Richtiger ist es wohl nicht, auf die Treuhandfunktion abzustellen, sondern darauf, dass die Emissionsbanken die Aktien nur vorübergehend halten wollen. Sie wollen nicht Aktionäre werden, sondern eine Dienstleistung für den Emittenten erbringen. Deshalb ist eine teleologische Reduktion der Kapitalerhaltungsvorschriften gerechtfertigt227.
5.83
Voraussetzung für diese Privilegierung ist aber nach Auffassung des BGH, dass die Banken keine Rechte aus den Aktien wahrnehmen und keine Aktien erwerben. Sofern Bezugsrechte nicht ausgeübt werden oder Restquoten verbleiben, ist dies nach Ansicht des BGH insoweit unschädlich, als die nichtbezogenen Aktien nach Weisung des Vorstandes der Emittentin verwertet werden228. Nach diesen Grundsätzen kann die Rückführung von
5.84
221 Zur Zulässigkeit dieses Vorbehalts Lutter in FS Heinsius, 1991, S. 497, 512 ff.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/317 a.E.; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.103. 222 Vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 ff. 223 Vgl. Frese, AG 2001, 15, auch mit Hinweis auf Haftung der Berater in diesem Zusammenhang. 224 Vgl. Frese, AG 2001, 15, 20; Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 35; Schnorbus, AG 2004, 113, 118 ff.; Schäfer, ZGR 2008, 455, 479 ff. 225 BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, WM 1995, 1409 = MDR 1995, 1129. 226 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 f. = AG 1992, 312. 227 Schnorbus, AG 2004, 113, 123. 228 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = AG 1992, 312.
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Bankschulden im Zusammenhang mit einem mittelbaren Bezugsrecht in zwei Fällen problematisch sein: – Die Banken haben gegenüber dem Emittenten einen bestimmten Bezugspreis garantiert und müssen diesen zahlen, unabhängig von der Ausübung von Bezugsrechten (hard underwriting s. Rz. 5.11). Sie tragen alleine das Verwertungsrisiko. Insofern fungieren die Banken hier nicht mehr als reine Abwicklungsstelle, sondern sie haben ein eigenes wirtschaftliches Interesse. – Die Emissionsbank erwirbt Bezugsrechte von Altaktionären und versucht dann, die bezogenen Aktien im Markt zu platzieren („operation blanche“, vgl. Rz. 5.6). Auch hier übernimmt die Bank eine über die Abwicklung hinausgehende Funktion, indem sie selbst Bezugsrechte (gegen sich selbst) ausübt und Aktien verwertet. Beide Konstellationen werden aber nach überwiegender Meinung in der Literatur als unschädlich für die Privilegierung der Emissionsbanken angesehen229. Dies wird damit begründet, dass das eigene Risiko der Banken erst entsteht, wenn die Platzierung teilweise fehlgeschlagen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Bezugsfrist schon abgelaufen und die Kapitalerhöhung durchgeführt230. Es fehlt allerdings Rechtsprechung zu dieser Frage. Wegen der Rechtsfolge der verdeckten Sacheinlage – Bareinlage gilt als nicht geleistet und die Gesellschaft hat Anspruch auf Erbringung der Sacheinlage, d.h. Einlage der Kreditforderungen – sollte die Kapitalerhöhung so strukturiert werden, dass das Risiko der verdeckten Sacheinlage auf jeden Fall vermieden werden kann. Zur Vermeidung bieten sich folgende Wege an: (i) Syndizierung des Kredits oder Weiterübertragung der Kredittranche durch diejenige Gläubigerbank, die Emissionsbank werden will, (ii) Trennung der Zahlungsströme, d.h. für die Kreditrückführung wird nur der Emissionserlös verwendet, der auf die nicht an der Kreditfinanzierung beteiligten Banken entfällt, oder nur der Mehrerlös aus dem schuldrechtlichen Agio, (iii) bei hard underwriting Pflicht der Banken, Gewinn aus der späteren Verwertung der nicht platzierten Aktien an den Emittenten abzuführen, um die dauerhafte Treuhandfunktion zu dokumentieren231, (iv) Verzicht auf Sondertilgung bei Kapitalerhöhung, die meistens in Kreditverträgen vorgesehen ist, was aber zumindest in Sanierungssituationen von den kreditfinanzierenden Banken nicht gewollt sein wird, (v) ausreichender zeitlicher Abstand zwischen Kapitalerhöhung und Tilgung, (vi) im Fall des Verkaufs von Bezugsrechten für Altaktionäre, Verpflichtung der Banken, den wirtschaftlichen Wert des Bezugsrechts über den Bezugspreis hinaus an den Altaktionär auszukehren, um fehlendes Eigeninteresse und Treuhänderstellung zu dokumentieren232.
229 Groß, AG 1993, 108, 116 f.; Frese, AG 2001, 15, 20 ff.; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.66; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 146; Rechtsprechung zu diesen Fragen gibt es nicht. Allerdings hat das OLG Düsseldorf im Urteil v. 22.12.1993 – 6 U 175/89 als Vorinstanz zu BGH v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, WM 1995, 1409, entschieden, dass die Treuhänderstellung der Emissionsbanken erhalten bleibt, wenn sie im Rahmen des Bezugsangebots Bezugsrechte handeln, Bezugsrechte selbst erwerben und diese dann weiterverkaufen. 230 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.66; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 146 f. 231 Parmentier, ZInsO 2008, 9, 13; in diese Richtung auch Frese, AG 2001, 15, 22. 232 So Frese, AG 2001, 15, 22; insgesamt zu Risikovermeidungsstrategien bei Kreditrückzahlung: Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.66; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 147.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
4. Anmeldung und Eintragung Nach Zeichnung, Zahlung des Ausgabebetrages und Ausstellung der Einzahlungsbestätigung kann die Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung angemeldet werden. In der Praxis werden in der Regel die Anmeldung und Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung (§ 188 AktG) und der Kapitalerhöhungsbeschluss (§ 184 AktG) miteinander verbunden. Dadurch können die Eintragungskosten reduziert werden233. Eine separate Anmeldung des Kapitalerhöhungsbeschlusses kann sich aber dann empfehlen, wenn man mit der Eintragung der Durchführung bis zum Ende der Bezugsfrist warten will (vgl. Rz. 5.21), aber schon im Bezugsangebot auf die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses hinweisen will. Eine solche Vorabanmeldung reduziert auch das Durchführungsrisiko, weil der Handelsregisterrichter den Kapitalerhöhungsbeschluss schon geprüft hat und nur noch das Vorlegen des Zeichnungsscheins und der Einzahlungsbestätigung durchsehen muss. Eine zügige Eintragung ist dann gesichert.
5.85
Das Registergericht hat neben den formalen Voraussetzungen der Eintragung zu überprüfen, ob der gesamte Kapitalerhöhungsvorgang mit Gesetz und Satzung vereinbar ist234.
5.86
5. Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, Freigabeverfahren Sofern die Kapitalerhöhung durch die Hauptversammlung beschlossen wird, kann dieser Beschluss angefochten werden. Gründe für eine Anfechtung können formale Fehler bei der Einladung sein, Verstöße gegen das Informationsrecht, insbesondere fehlende Beantwortung von Fragen, und eventuell ein sog. faktischer Bezugsrechtsausschluss, falls der Bezugspreis über dem Börsenpreis und inneren Wert der Aktie liegt (vgl. Rz. 5.48). Das Anfechtungsrisiko ist bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung wesentlich geringer als bei einem Bezugsrechtsausschluss, weil der Bezugsrechtsausschluss sachlich gerechtfertigt werden muss und diese sachliche Rechtfertigung der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Eine Anfechtungsklage gegen einen Kapitalerhöhungsbeschluss bewirkt keine rechtliche Registersperre. Seit der Einführung des Freigabeverfahrens auch für Kapitalerhöhungsbeschlüsse in § 246a AktG durch das UMAG235, tritt aber wohl eine faktische Registersperre ein, weil der Registerrichter auf die Möglichkeit des Freigabeverfahrens verweisen und das Eintragungsverfahren nach §§ 21, 381 FamFG bis zu einer Freigabeentscheidung aussetzen wird, statt selbst eine Abwägung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage gegen das Eintragungsinteresse der Gesellschaft vorzunehmen, da ihm das Spruchrichterprivileg fehlt236. Selbst wenn ein Registerrichter bereit wäre einzutragen, würde das dem Emittenten nicht helfen. Die Folgen einer erfolgreichen Anfechtungsklage nach Eintragung ohne Freigabebeschluss des Prozessgerichts sind gravierend. Mangels Bestandskraft der Eintragung werden mit Rechtskraft des Anfechtungsurteils die jungen Aktien vernichtet, allerdings nach h.M. nicht mit Rückwirkung. An die Stelle der vernichteten 233 Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 18. 234 BayObLG v. 9.4.2002 – 3Z BR 39/02, AG 2002, 397, 398, wonach auch das Vorliegen einer gesonderten Aufpreisvereinbarung überprüft werden kann und entsprechende Dokumente angefordert werden können. 235 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 280. 236 Hüffer/Koch, AktG, § 243 Rz. 53; Verse, NZG 2009, 1127; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 134 Fn. 14.
Herfs | 255
5.87
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
Aktien treten Barabfindungsansprüche der Anleger gegen die Gesellschaft, die nur durch eine neue – ebenfalls wieder anfechtungsträchtige – Sachkapitalerhöhung in Aktien „rückverwandelt“ werden können237. Um eine Rückabwicklung in dieser Form überhaupt praktisch durchführbar machen zu können, müssen die jungen Aktien bei Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses eine eigene Wertpapierkennnummer erhalten, die eine Vermischung potenziell anfechtungsbehafteter und mangelfreier Stücke in der Girosammelverwahrung verhindert238. Die jungen Aktien sind dann mit den übrigen Aktien nicht fungibel, was zu geringerer Liquidität führt. Erst bei endgültiger rechtskräftiger Entscheidung könnten alle Aktien wieder eine identische Wertpapierkennnummer haben. Die emissionsbegleitenden Banken werden daher darauf bestehen, dass der Weg über das Freigabeverfahren beschritten wird, weil von dem Makel der Vernichtbarkeit bedrohte Aktien – insbesondere, wenn sie girosammelverwahrt sind – für den Kapitalmarkt nicht akzeptabel sind.
5.88 Anfechtungskläger können daher auch bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen den Vollzug
des Kapitalerhöhungsbeschlusses verzögern, obwohl hier eine Verletzung von Aktionärsrechten in der Regel nur schwer denkbar ist. Die Klagen werden in der Regel rechtsmissbräuchlich sein239, insbesondere wenn ein konkreter Finanzierungsbedarf gedeckt werden muss (Rückzahlung einer Kreditlinie, Finanzierung einer Akquisition). Wenn das Interesse des Emittenten an einer schnellen Durchführung der Kapitalmaßnahme groß genug ist, wird der Emittent versuchen, eine Klagerücknahme mit dem Kläger zu vereinbaren, was oft mit irgendwie gearteten Zuwendungen an den Kläger verbunden ist240. Der Gesetzgeber hat versucht, in zwei Gesetzesnovellen zum Aktiengesetz rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklagen zu erschweren und den Rechtsschutz der Emittenten zu verbessern. Der erste Schritt war das am 1.11.2005 in Kraft getretene UMAG241, das ein Freigabeverfahren bei Anfechtung von Kapitalmaßnahmen oder Unternehmensverträgen in das Aktiengesetz einführte, wie es das Umwandlungsgesetz für Umwandlungen vorsieht242. Dieser Schutz wurde durch das am 1.9.2009 in Kraft getretene ARUG243 noch einmal verbessert, insbesondere wurde das Freigabeverfahren auf eine Instanz beschränkt, ein Bagatellforum eingeführt und die Freigabevoraussetzungen abgesenkt244.
5.89 Im Fall von Anfechtungsklagen gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss muss der Emittent
daher ein Freigabeverfahren gemäß § 246a AktG anstrengen, um die Kapitalerhöhung durchführen zu können, wenn er sich nicht mit den Klägern vergleichen will. Über den Freigabeantrag entscheidet das OLG, in dessen Bezirk der Emittent seinen Sitz hat (§ 246a Abs. 1 Satz 3 AktG). Gibt das OLG dem Freigabeantrag statt, stellt es durch rechtskräftigen Beschluss fest, dass die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Kapitalerhöhungs237 Vgl. hierzu Winter in FS Ulmer, 2003, S. 699, 702 ff.; Kort, ZGR 1994, 292, 314 ff. 238 Winter in FS Ulmer, 2003, S. 699, 706. 239 S. dazu auch LG Frankfurt a.M. v. 2.10.2007, das als eines der ersten Gerichte die Klage eines Berufsklägers für sittenwidrig erklärt und den Berufskläger wegen Rechtsmissbrauchs zu Schadensersatz verurteilt hat (LG Frankfurt a.M. v. 2.10.2007 – 3-5 O 177/07, AG 2007, 824). 240 S. z.B. Vergleich TeleColumbus, Bundesanzeiger v. 14.10.2015. 241 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 280. 242 BGBl. I 2005, 2802 ff. 243 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 244 Zur Änderung des Beschlussmängelrechts durch das ARUG vgl. Verse, NZG 2009, 1127 ff.; Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2330 ff. Zu Problemen beim Freigabeverfahren Meul/ Ritter, AG 2017, 841.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
beschluss der Eintragung ins Handelsregister nicht entgegensteht und etwaige Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Wirksamkeit der Eintragung unberührt lassen. Der Anfechtungskläger hat nur noch einen Schadensersatzanspruch, wenn sich die Anfechtungsklage nach Eintragung als begründet erweist (§ 246a Abs. 4 Satz 1 AktG). Der Schaden wird nur in den Prozesskosten für das Freigabeverfahren bestehen. Bei fehlerhaften Kapitalerhöhungen ist auch ein Verwässerungsschaden möglich, der bei Kleinstaktionären jedoch gering ausfallen wird. Naturalrestitution im Sinne der Beseitigung der Wirkung der Eintragung kann der Antragsgegner nicht verlangen (§ 246a Abs. 4 Satz 2 AktG). Der Beschluss soll innerhalb von drei Monaten nach Antragsstellung ergehen (§ 246a Abs. 3 Satz 6 AktG). Das Registergericht ist im Umfang der Entscheidung an den Beschluss im Freigabeverfahren gebunden (§ 246a Abs. 3 Satz 5 AktG). Soweit keine anderweitigen Eintragungshindernisse bestehen, hat das Registergericht daher die Eintragung vorzunehmen.
5.90
Ein Freigabebeschluss kann unter folgenden Fällen ergehen:
5.91
– die Anfechtungsklage ist unzulässig oder offensichtlich unbegründet (§ 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG), – der Kläger weist nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags durch Urkunden nach, dass er seit Einberufung Aktien im Nennwert oder einen anteiligen Betrag am Grundkapital von mindestens 1 000 Euro gehalten hat (sog. Bagatellquorum, § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG)245; – das Vollzugsinteresse der Gesellschaft überwiegt nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile, die durch die mit der Klage geltend gemachten Mängel für den Kläger entstehen können, es sei denn, es liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß vor (sog. Interessenabwägungsklausel, § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG). Die Interessenabwägungsklausel wurde durch das ARUG modifiziert. Gegenüberzustellen sind das wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre an der Eintragung und die wirtschaftlichen Nachteile, die für den Kläger durch eine Freigabe entstehen können. Bei dieser Abwägung sind auf Seiten der Gesellschaft alle nicht vernachlässigbaren wirtschaftlichen Nachteile einzubeziehen, einschließlich Zinseffekte oder Kosten einer neuen Hauptversammlung. Es ist nicht erforderlich, dass die Gesellschaft auf die Kapitalmaßnahme „dringend angewiesen“ ist. Auf der Seite des Klägers sind nur dessen eigene wirtschaftliche Nachteile zu berücksichtigen, nicht die der Aktionärsgesamtheit246. Bei einer Kapitalmaßnahme, insbesondere einer Bezugsrechtsemission, sollte diese Abwägung immer zugunsten der Gesellschaft ausgehen. Bei Überwiegen des Vollzugsinteresses darf die Freigabe nur dann nicht erfolgen, wenn das Gericht die „besondere Schwere des Rechtsverstoßes“ feststellt. Erfasst werden sollen nur Fälle, in denen es für die Rechtsordnung unerträglich wäre, den Beschluss umzusetzen. Gemeint sind Verletzungen elementarer Aktionärsrechte, die durch Schadensersatz nicht angemessen zu kompensieren wären, wie z.B. Abhaltung einer „Geheimversammlung“ oder „absichtliche Verletzungen des Gleichbehandlungsverbots“247. Bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung einer börsennotier245 Zu Problemen im Zusammenhang mit dem Nachweis des Bagatellquorums Kraft, NZG 2016, 1370 ff. 246 Vgl. zur Interessenabwägung OLG Köln v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17, Rz. 41, AG 2018, 126. 247 OLG Köln v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17, Rz. 51, AG 2018, 126; OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 174/13, II. 2; Dörr in Spindler/Stilz, AktG, § 246a Rz. 28 f.
Herfs | 257
5.92
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
ten Gesellschaft sind solche Fälle eigentlich nicht denkbar. Selbst wenn der Bezugspreis zu hoch festgesetzt worden wäre (Fall des faktischen Bezugsrechtsausschlusses, vgl. Rz. 5.48), wäre dieser Nachteil durch eine Schadensersatzleistung zu kompensieren. Eigentlich sollte daher bei einer Bezugsrechtskapitalerhöhung das Freigabeverfahren immer erfolgreich sein, wenn die Hauptversammlung sorgfältig vorbereitet wurde. Die Angriffe werden sich auf Verletzungen der Informationspflichten stützen, insbesondere mangelnde Erläuterung der Gründe für die Kapitalerhöhung248. Trotz dieser Gesetzesänderungen sind Emittenten vor Überraschungen im Freigabeverfahren nicht gefeit, bis sich eine verlässliche Anwendungspraxis herausgebildet hat. Der Begriff des „besonders schweren Rechtsverstoßes“ ist eine neue Rechtsfigur, die durch die Rechtsprechung noch nicht konkretisiert worden ist. Da es im Freigabeverfahren nur eine Instanz gibt, wird es zu dieser Frage auch keine Entscheidung des BGH geben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gerichte diesen Begriff eng auslegen und auch Informationsmängel als „schweren Rechtsverstoß“ werten. Schon die Nachbesserungen des ARUG bei der Interessenabwägungsklausel waren erforderlich geworden, weil Gerichte den Begriff „wesentlicher Nachteil“ entgegen den Intentionen des Gesetzgebers zu eng ausgelegt hatten und Unklarheit bestand, ob eine Freigabe auch bei voraussichtlich erfolgreicher Anfechtungsklage ergehen durfte249.
5.93 Neben der Präzisierung der Abwägungsklausel wollte das ARUG durch die Beschränkung
auf eine Instanz das Freigabeverfahren beschleunigen, um den Hebel, den die Kläger über eine Verzögerung der Durchführung der Maßnahme erzielen können, zu reduzieren. Tatsächlich konnte die Verfahrensdauer des Freigabeverfahrens von durchschnittlich 152 Tagen vor ARUG auf 108 Tage reduziert werden250, für dringende Kapitalerhöhungen ist das allerdings immer noch zu lang. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass die Änderung der Abwägungsklausel durch das ARUG keine Auswirkung auf die Ergebnisse der Freigabeverfahren hatte. Die Gerichte tun sich offensichtlich nach wie vor schwer, unter Berufung auf ein vorrangiges Vollzugsinteresse dem Freigabeantrag stattzugeben. In nur 25 % der untersuchten Fälle erfolgte eine Freigabe auf Grundlage der Interessenabwägungsklausel, obwohl nach der Systematik des Gesetzes das Vollzugsinteresse die am einfachsten zu begründende Grundlage für eine Freigabeentscheidung ist251.
5.94 Obwohl mit dem Freigabeverfahren in der Form, die es durch das ARUG erhalten hat, ein
wirksames Mittel zur Verfügung steht, Kapitalmaßnahmen umzusetzen, sind die Zahl der Anfechtungsklagen gegen Kapitalmaßnahmen nicht nachhaltig zurückgegangen252. Das liegt wohl daran, dass das Erpressungspotential der Kläger immer noch hoch ist. Da die Klagefrist einen Monat beträgt und das Freigabeverfahren durchschnittlich mehr als 100 Tage dauert, liegen zwischen Hauptversammlung und Eintragung mehr als vier Monate (s. Rz. 5.2). So lange werden viele Emittenten nicht warten wollen, zumal sich in letzter Zeit die Marktverhältnisse schnell ändern und ein günstiges „Fenster“ für eine Kapital-
248 Vgl. Vergleich der Premiere AG (heute Sky) zum Kapitalerhöhungsbeschluss v. 26.2.2009, veröffentlicht am 9.4.2009 im Bundesanzeiger. Bei dem Kapitalerhöhungsbeschluss handelte es sich um eine „Bis-zu“-Bezugsrechtskapitalerhöhung, s. Vergleich TeleColumbus im Zusammenhang mit Bezugsrechtskapitalerhöhung zur Finanzierung einer Akquisition und Ablösung einer Brückenfinanzierung, in dem in der Vergleichsvereinbarung ein Überbezugsrecht für die Aktionäre gewährt wurde (Bundesanzeiger v. 14.10.2015). 249 Verse, NZG 2009, 1127, 1129 f. 250 Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2330, 2342. 251 Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2330, 2349. 252 Vgl. empirische Untersuchung bei Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2330, 2338.
258 | Herfs
Bezugsrechtsemissionen | § 5
markttransaktion oft nur für wenige Wochen besteht. Emittenten werden sich daher nach wie vor oft gezwungen sehen, einen Vergleich zu suchen. Dem Emittenten bietet nur das mögliche Schadensersatzrisiko der Kläger Schutz. Rechtsmissbrauch liegt bei Bezugsrechtsemissionen nahe253.
IV. Platzierungsverfahren 1. Bezugsangebot a) Inhalt Im Fall des Direktbezugs hat der Vorstand durch eine Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) den Ausgabebetrag oder die Grundlagen seiner Festlegung und eine Bezugsfrist bekannt zu geben (§ 186 Abs. 2 AktG). Im praktisch wichtigeren Fall des mittelbaren Bezugsrechts (vgl. dazu Rz. 5.30 ff.) trifft die Emissionsbanken bzw. die Emissionsunternehmen die Pflicht, die neuen Aktien den Aktionären zum Kauf anzubieten (§ 186 Abs. 5 AktG). Die Aktionäre als Begünstigte des mittelbaren Bezugsrechts haben umgekehrt einen Anspruch gegen die Emissionsbanken auf Abgabe eines den Vorgaben des Kapitalerhöhungsbeschlusses entsprechenden Verkaufsangebots254. Der Emittent selbst ist zur Abgabe eines Bezugsangebots nicht verpflichtet. Er hat das Bezugsangebot lediglich in den Gesellschaftsblättern nach § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG bekannt zu machen255. Die Kosten der Bekanntmachung hat der Emittent zu tragen256. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bezugsangebots muss der Kapitalerhöhungsbeschluss durch die Hauptversammlung bzw. im Falle der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals der Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat bereits gefasst sein257. Zudem wird in der Regel der Übernahmevertrag zwischen dem Emittenten und der Emissionsbank bereits abgeschlossen sein258.
5.95
Das Bezugsangebot enthält die Bedingungen, unter denen die Aktionäre die neuen Aktien von den Emissionsbanken erwerben können. Es stellt ein Vertragsangebot i.S.v. § 145 BGB dar, das spätestens mit der Bekanntgabe nach § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG wirksam wird259. Das Bezugsangebot muss so ausgestaltet sein, dass durch bloße Annahmeerklärung gegenüber der Emissionsbank ein Kaufvertrag zustande kommt260. Das Vertragsangebot muss daher alle „essentialia negotii“ enthalten. Dies sind zunächst einmal der Erhöhungsbetrag, das Bezugsverhältnis und der Bezugspreis bzw. die Grundlagen seiner Festlegung gemäß § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG (dazu Rz. 5.102). Aufgrund des Verweises des § 186 Abs. 5 Satz 2
5.96
253 Vgl. LG Frankfurt a.M. v. 2.10.2007 – 3-5 O 177/07, AG 2007, 824. 254 BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = AG 1991, 270; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 = AG 1992, 312; OLG Düsseldorf v. 24.3.2000 – 16 U 70/99, ZIP 2000, 2025, 2027. 255 OLG Düsseldorf v. 24.3.2000 – 16 U 70/99, ZIP 2000, 2025, 2027; Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.61 f.; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 102. 256 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 52. 257 Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rz. 48; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.62. 258 Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rz. 48; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.62. 259 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 51. 260 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 51.
Herfs | 259
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
AktG auf § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG, ist auch die Bezugsfrist bekannt zu machen. Das Bezugsangebot kann weitere Modalitäten für die Ausübung des Bezugsrechts vorsehen, etwa dass der Aktionär die Annahme schriftlich erklären sowie seine Aktionärsstellung z.B. durch Vorlage eines Gewinnanteilsscheins nachweisen muss261.
5.97 Rechtlich nicht zwingend, aber Praxis der Emissionsbanken ist es, in das Bezugsangebot
auch weitere Angaben aufzunehmen, die für den Aktionär bei der Entscheidung über die Ausübung seines Bezugsrechts von Bedeutung sein können. Dazu gehören Angaben über den Stand des Kapitalerhöhungsverfahrens, d.h., ob die Kapitalerhöhung durch Vorstand, Aufsichtsrat bzw. Hauptversammlung beschlossen wurde oder ob der Erhöhungsbeschluss bzw. die Durchführung der Kapitalerhöhung bereits eingetragen ist, und wenn nicht, wann die Eintragung der Durchführung erfolgen soll. In diesem Zusammenhang ist auch auf etwaige Rücktrittsrechte der Emissionsbanken hinzuweisen (vgl. dazu Rz. 5.114). Sofern vorgesehen, sind Angaben über den Bezugsrechtshandel und die Möglichkeit der Veräußerung der Bezugsrechte zu machen (vgl. dazu Rz. 5.106). Weitere sinnvolle Angaben sind: Art und Zeitpunkt der Lieferung der Aktien, Beginn des Börsenhandels mit den neuen Aktien. Beginn des Handels „Ex-Bezugsrecht“ für die alten Aktien, Depotbankenprovisionen, Record Date, d.h. der für die Bestimmung des Aktienbestands für die Einbuchung der Bezugsrechte maßgebliche Tag (vgl. Rz. 5.24a), Verwertung nicht bezogener Aktien. Da gleichzeitig ein Prospekt veröffentlicht werden muss (vgl. Rz. 5.119 ff.), empfiehlt sich ein Hinweis darauf, dass das Bezugsrecht nur nach Lektüre dieses Prospekts ausgeübt werden sollte. Üblich ist auch ein Hinweis auf Stabilisierungsmaßnahmen der Emissionsbanken, ob im Rahmen eines Greenshoe (vgl. Rz. 5.108) oder in anderer Form durch Kaufund Verkauf von Aktien262. Im Fall von Sanierungskapitalerhöhungen ist es Praxis geworden, auch Risikohinweise in das Bezugsangebot aufzunehmen, obwohl dies rechtlich nicht zwingend geboten ist263. Oft findet sich ein Hinweis auf die Möglichkeit der Kündigung des Übernahmevertrags durch die Konsortialbanken vor Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung (s. Rz. 5.116) und die sich daraus ergebenden Folgen für die Aktionäre, insbesondere, wenn die Aktionäre im Vertrauen auf den Bezug von neuen Aktien weitere Dispositionen getroffen haben264.
5.98 Um Verstöße gegen ausländische Kapitalmarktvorschriften zu verhindern, sollten auch
Verkaufsbeschränkungen aufgenommen werden, insbesondere für Verkäufe der Aktien in den USA. Das Bezugsangebot sollte nur im Inland veröffentlicht werden. Zwar richtet sich das Angebot nur an Aktionäre, es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass andere Rechtsordnungen ein Bezugsangebot den allgemeinen Beschränkungen für ein Angebot von Wertpapieren unterwerfen. Aktionäre im Ausland erhalten Informationen 261 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 51; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 217; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2191. 262 Vgl. z.B. Bezugsangebot Deutsche Wohnen AG, veröffentlicht im Bundesanzeiger v. 14.11. 2011; zu zulässigen Stabilisierungsmaßnahmen EU VO 2273/2003. Dazu ausführlich unter § 39. 263 Hierzu vgl. z.B. Bezugsangebot der Conergy AG, veröffentlicht im Bundesanzeiger v. 28.6. 2011. 264 Vgl. Bezugsangebot von SGL Carbon SE v. 29.11.2016. Es enthält auch einen Risikohinweis, dass Aktionäre sich angesichts der Volatilität des Aktienkurses vor Ausübung der Bezugsreche noch einmal über den aktuellen Börsenkurs informieren sollen. Der Börsenkurs war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bezugsangebots um die 9 Euro bei einem Bezugspreis von 6 Euro. Der Aktienkurs war aber in einer Abwärtsbewegung. Laut Mitteilung der Gesellschaft vom 14.12.2016 wurden die Bezugsrechte zu 99,4 % ausgeübt.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
über das Bezugsangebot und seine Modalitäten über die Clearingsysteme und die Depotbanken. Es ist daher üblich, dass das Bezugsangebot auf der Website nur hinter einem sog. Filter veröffentlicht wird, d.h., das Bezugsangebot kann nur eingesehen werden, wenn eine Adresse in Deutschland angegeben wird. Dasselbe gilt für die Veröffentlichung des Prospekts auf der Website (zwingend gemäß § 14 Satz 1 Abs. 2 Nr. 3 und Satz 2 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 VO 2017/1129265). Aktionären mit Sitz in den USA wird grundsätzlich eine Teilnahme an dem Bezugsangebot untersagt, weil ein Bezug von Aktien durch Aktionäre in den USA ein Verstoß gegen Wertpapiergesetze der USA darstellen kann (vgl. Rz. 5.49). Auch wenn das Bezugsangebot ein Vertragsangebot der Emissionsbanken ist, wird es inhaltlich durch den Emittenten bestimmt. Die Emissionsbanken können das Bezugsangebot nach Bekanntgabe durch die Gesellschaft gemäß § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG nicht mehr einseitig ändern266.
5.99
b) Haftung Obwohl die Emissionsbanken beim mittelbaren Bezugsrecht als Treuhänder für die Aktionäre handeln, haben die Aktionäre keine weiteren Ansprüche gegen die Emissionsbanken als den Erfüllungsanspruch aufgrund des Bezugsangebots. Insbesondere begründet das Bezugsangebot keine eigenständigen Aufklärungs- oder Beratungspflichten der Emissionsbanken, für die sie nach § 280 BGB haften267. Dies ergibt sich aus der reinen Abwicklungsfunktion, die die Emissionsbanken bei einem mittelbaren Bezugsrecht übernehmen. Unberührt hiervon bleiben aber Ansprüche aufgrund anderer Haftungsgrundlagen, wie z.B. Prospekthaftung, falls die Emissionsbanken gleichzeitig mit dem Bezugsangebot einen Prospekt veröffentlichen, sowie aufgrund der allgemeinen kapitalmarktrechtlichen Haftung wegen Marktmanipulation gemäß Art. 12 VO Nr. 596/2014 (MAR).
5.100
2. Bezugsfrist Im Bezugsangebot wird regelmäßig eine Frist bestimmt, innerhalb derer die Aktionäre das Angebot zum Bezug der Aktien annehmen können. Die Frist muss mindestens zwei Wochen betragen (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG)268. Das Erfordernis einer Fristsetzung ergibt sich 265 Die sollte auch nach Inkrrafttreten der neuen ProspektVO zulässig sein. Der Zugang zu dem in elektronischer Form veröffentlichten Prospekt darf nicht vom Abschluss eines Registrierungsverfahrens abhängig gemacht werden. Aber die Prospektverantwortlichen müssen trotzdem sicherstellen, dass die Wertpapiere nicht in Staaten angeboten werden, in denen die Voraussetzungen für ein öffentliches Angebot nicht erfüllt sind. Dazu gehört in der Regel die USA. Ob dies nun nur durch einen Hinweis zu Beginn des Dokuments erfolgt oder die Zugangsberechtigung durch die Eingabe einer Adresse dokumentiert werden soll, was dem Emittenten die Dokumentation der Einhaltung der Verkaufsbeschränkungen erleichtert. Eine Registrierungspflicht stellt das nicht da. Vgl. Rz. 36.89c. 266 OLG Karlsruhe v. 22.9.2000 – 10 U 38/00, AG 2002, 91, 92. 267 OLG Düsseldorf v. 5.4.1984 – 6 U 239/82, AG 1984, 188, 190; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 51; Hopt, Verantwortlichkeit der Emissionsbanken, 1991, S. 22 f. 268 Die Länge der Frist geht auf die Europarechtliche Vorgabe in Art. 29 Abs. 3 Satz 4 der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie vom 13.12.1976 zurück (Kapitalrichtlinie, ABl. EG Nr. 26 v. 31.1.1977, S. 1), abgedruckt in Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 206 ff.
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5.101
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
für das unmittelbare Bezugsrecht zwingend aus § 186 Abs. 2 AktG. Gemäß § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG gilt das auch für das mittelbare Bezugsrecht, da das Bezugsangebot „mit den Angaben gemäß Abs. 2 Satz 1“ bekannt zu machen ist269. Ist eine solche Frist einmal festgesetzt worden, ist sie verbindlich, auch wenn sie nicht von Anfang an erforderlich gewesen wäre270. Die Emissionsbanken können nicht einseitig davon abweichen. Eine verspätete Annahme stellt ein neues Angebot gemäß § 150 Abs. 1 BGB dar, über dessen Annahme die Emissionsbanken frei entscheiden können. Es handelt sich dann um die Verwertung von nicht bezogenen Aktien271.
3. Ermittlung des Bezugspreises 5.102
Nach früherem Recht musste das Bezugsangebot die Angabe des von den Aktionären zu zahlenden Entgeltes enthalten (vgl. Rz. 5.15). Es wurde diskutiert, ob ein ziffernmäßig genau bestimmter Ausgabebetrag erforderlich ist. Sinn der Regelung sei es, den Aktionären zu ermöglichen, finanziell zu disponieren. Diesem Interesse sei aber auch Rechnung getragen, wenn lediglich ein Höchstbetrag angegeben wird und der endgültige Bezugspreis am Ende der Bezugsfrist festgelegt wird272. Nach der Neufassung von § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG ist nunmehr ausreichend, wenn der endgültige Ausgabebetrag erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist in den Gesellschaftsblättern (Bundesanzeiger gemäß § 25 Satz 1 AktG) und über ein elektronisches Informationsmedium bekannt gemacht wird273. Im Bezugsangebot müssen nur die Grundlagen für die Festlegung des Bezugspreises angegeben werden (§ 186 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 AktG). Das Kursänderungsrisiko und damit der Abschlag auf den Börsenkurs sollte dadurch verringert werden. Der Gesetzgeber wollte aber auf eine Festlegung des Preises vor Ende der Bezugsfrist nicht völlig verzichten, damit den Anlegern ausreichend Zeit bleibt, um angesichts des dann feststehenden Bezugspreises zu überlegen, ob sie ihr Bezugsrecht ausüben wollen274. Anleger, die bereits vorher zeichnen wollen, können sich für den Fall eines unerwartet hohen Ausgabebetrags die Rücknahme ihrer Zeichnungserklärung vorbehalten275.
5.103
Der Gesetzeswortlaut spricht von drei „Tagen“ und nicht von Werktagen oder Börsentagen. Soll also der Bezugspreis im Bookbuilding-Verfahren ermittelt werden, ist es möglich, das Buch an einem Freitagabend zu schließen, den Ausgabepreis unmittelbar anschließend festzulegen und den Aktionären über ein elektronisches Informationsmedium bekannt zu machen. Für die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern ist die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erforderlich (§ 186 Abs. 2 Satz 2 AktG). Für die Bekanntmachung in einem elektronischen Informationsmedium ist die Veröffentlichung auf der 269 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2179. Bis zur Änderung der Bestimmungen in § 186 Abs. 2 und § 186 Abs. 5 AktG durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz im Jahre 2002 war offen, ob das Erfordernis der Fristsetzung auch für das mittelbare Bezugsrecht gilt (vgl. OLG Karlsruhe v. 22.9.2000 – 10 U 38/00, AG 2002, 91). 270 OLG Karlsruhe v. 22.9.2000 – 10 U 38/00, AG 2002, 91, 92. 271 OLG Karlsruhe v. 22.9.2000 – 10 U 38/00, AG 2002, 91, 92. 272 Busch, AG 2002, 230, 235; Butzke in Obermüller/Werner/Winden, HV der Aktiengesellschaft, L Rz. 4, Fn. 5; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 27. 273 Diese Regelung gilt auch für das mittelbare Bezugsrecht; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/9079, S. 18; dazu auch Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1276. 274 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 23. 275 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8769, S. 23.
262 | Herfs
Bezugsrechtsemissionen | § 5
Website ausreichend276. Diese Veröffentlichungen können bei ausreichender Vorbereitung kurzfristig erfolgen. Erfolgt die Bekanntgabe noch am Freitag bis 24 Uhr, ist es zulässig, die Bezugsfrist am Montag enden zu lassen. Die Zuteilung könnte dann an einem Dienstag erfolgen. Die Zeichner hätten über das Wochenende Zeit, sich zu überlegen, ob sie an ihrem Zeichnungsauftrag festhalten wollen. Das Kursrisiko ist dann auf einen Börsentag, den Montag, verringert. Dadurch kann der Risikoabschlag auf ein Minimum reduziert werden277. Unklar ist, ob die Hauptversammlung im Kapitalerhöhungsbeschluss nur den Ausgabebetrag festlegen muss, meistens den geringsten Ausgabebetrag, und die Festsetzung des endgültigen Bezugspreises komplett dem Vorstand und Aufsichtsrat überlassen kann278. Wird dann noch eine „Bis-zu“-Kapitalerhöhung gewählt, bei dem nur das angestrebte Emissionsvolumen angegeben wird, die Zahl der auszugebenden Aktien aber vom noch festzulegenden Bezugspreis abhängt, ist die Grenze zum genehmigten Kapital verwischt279. Unstreitig ist, dass für die Bestimmung des endgültigen Bezugspreises weder im Kapitalerhöhungsbeschluss noch im Bezugsangebot eine mathematische Formel angegeben werden muss, mit deren Hilfe der Ausgabebetrag rechnerisch ermittelt werden soll280. Um Anfechtungsrisiken zu vermeiden, empfiehlt es sich, einen Höchstpreis anzugeben und weitere Ermessensschranken für den Vorstand und ggf. den Aufsichtsrat bei der endgültigen Festsetzung des Bezugspreises festzulegen. Es bieten sich z.B. die Bezugnahme auf Durchschnittskurse während einer Referenzperiode, Verweis auf die Ergebnisse eines Bookbuilding-Verfahrens oder die Festlegung einer Preisspanne an281.
5.104
In der Praxis ist bei der Frage, ob im Kapitalerhöhungsbeschluss und Bezugsangebot ein Höchstbetrag oder eine Preisspanne für den Bezugspreis vorab festgelegt werden soll, zu berücksichtigen, dass vor dem Bezugsangebot ein Prospekt zu veröffentlichen ist (§ 14 Abs. 1 Satz 3 WpPG, vgl. auch Rz. 5.119 ff., ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 VO 2017/1129). Auch im Prospekt sind lediglich die Bedingungen der Preisfestsetzung oder ein Höchstpreis zu nennen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 17 Abs. 1 lit. b VO 2017/1129). Allerdings verlangt die BaFin im Prospekt eine Darstellung des erwarteten Emissionserlöses und der -kosten auf der Grundlage eines Höchstpreises oder dem
5.105
276 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 19a; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 72. 277 Seibert, NZG 2002, 608, 612; Busch, AG 2002, 230, 235; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.54; Krug, BKR 2005, 302, 303. 278 Formulierungsbeispiel für einen solchen Beschluss: „Der Bezugspreis je Stückaktie ist vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats unter Berücksichtigung der aktuellen Marktsituation und eines angemessenen Risikoabschlags bestmöglich, jedoch nicht unter € 1 je Stückaktie festzulegen.“ 279 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 137. 280 Schlitt, CFL 2011, 410, 411. 281 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 412; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 182 Rz. 16 ff.; s. z.B. Bezugsangebot Deutsche Wohnen AG, Bundesanzeiger v. 14.11.2011: „Der Bezugspreis pro Neuer Aktie wird voraussichtlich am 24. November nach Handelsschluss, unter Berücksichtigung des volumengewichteten Durchschnittskurses für die Inhaberaktie der Gesellschaft im elektronischen Handelssystem Xetra der Frankfurter Wertpapierbörse vom Beginn der Bezugsfrist am 15. November bis zum Handelsschluss am 24. November, wie im Finanzinformationsdienst Reuters dargestellt, abzüglich eines vom Vorstand der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Gesellschaft festzusetzenden Abschlags festgelegt werden. Die Festsetzung der Höhe des Abschlags wird unter Berücksichtigung einer zum Zeitpunkt der Preisfestsetzung vorzunehmenden Einschätzung der Volatilität des Kurses der Inhaberaktien der Gesellschaft sowie für die Gesellschaft spezifischer Marktrisiken erfolgen. Der Bezugspreis beträgt höchstens € 12,00 je Neuer Aktie.“
Herfs | 263
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
Mittelwert einer Preisspanne282. Auch wenn diese Verwaltungspraxis in Widerspruch zu der Regelung des § 186 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG steht, kommt der Emittent daher in der Praxis nicht daran vorbei, vor Beginn der Bezugsfrist einen Höchstbetrag oder eine Preisspanne zu nennen. Deshalb sollte er das bereits im Kapitalerhöhungsbeschluss und Bezugsangebot tun. Der Gesetzgeber hat es für ausreichend gehalten, wenn der Zeichner erst ein paar Tage vor Ende der Bezugsfrist über den tatsächlichen Ausgabebetrag informiert wird.
4. Bezugsrechtshandel 5.106
Das aufgrund eines Kapitalerhöhungsbeschlusses bestehende konkrete Bezugsrecht stellt ein selbstständig veräußerliches und übertragbares Recht dar (vgl. Rz. 5.28). Bei einer Festpreisemission, die mit einem Kursabschlag durchgeführt wird, hat das Bezugsrecht einen wirtschaftlichen Wert283. Wenn der Aktionär nicht bereit oder finanziell nicht in der Lage ist, neue Aktien zu beziehen, kann er sein Bezugsrecht veräußern und dadurch eine wirtschaftliche Verwässerung verhindern. Möglich ist auch eine Teilveräußerung, um so die Ausübung der restlichen Bezugsrechte zu finanzieren (vgl. Rz. 5.6). Die Übertragbarkeit des Bezugsrechts erlaubt die Einrichtung eines börsenmäßig abgewickelten Bezugsrechtshandels. Das Bezugsrecht ist als rechtlicher Bestandteil der in den Altaktien verkörperten Mitgliedschaft automatisch zum Börsenhandel zugelassen, wenn bereits die Altaktien an der Börse gehandelt werden284. Dies gilt auch für mittelbare Bezugsrechte. Vor Aufnahme des Handels müssen die Bezugsrechte jedoch an der Börse gemäß § 38 BörsG eingeführt werden, damit der Handel beginnen kann. Der Bezugsrechtshandel beginnt am ersten Tag der Bezugsfrist, erstreckt sich über die gesamte Bezugsfrist und endet mit Ablauf des drittletzten Tages der Bezugsfrist285. Wird ein Bezugsrechtshandel eingerichtet, ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 WpPG einen Werktag vor Beginn des Handels ein Prospekt zu veröffentlichen (vgl. Rz. 5.119 ff.), ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 VO 2017/1129. Mit Beginn der Bezugsfrist werden die alten Aktien „Ex-Bezugsrecht“ gehandelt, d.h. der Aktienkurs spiegelt den Verwässerungseffekt der Kapitalerhöhung wieder, der Wert der gleichzeitig eingebuchten Bezugsrechte gleichen diesen Effekt wertmäßig wieder aus.
5.107
Bei Festpreisemissionen mit Abschlag auf den Börsenkurs wird in der Regel ein Bezugsrechtshandel vom Emittenten eingerichtet. Im Übernahmevertrag werden die Emissionsbanken verpflichtet, die Bezugsrechte an der Börse einzuführen und für die Dauer der Bezugsfrist den Börsenhandel zu betreiben286. Der Aktionär hat aber keinen Anspruch auf Einrichtung eines organisierten Bezugsrechtshandels287. Das Bezugsrecht sichert nicht 282 Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 412; Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VerkProspG, § 8 WpPG Rz. 20 ff. 283 Zur Berechnung des Bezugsrechtswerts s. Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 222. 284 § 69 BörsZulV unterstellt dies; vgl. auch Beck/Röth in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, § 30 BörsG Rz. 10. 285 § 5 Abs. 2 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse. 286 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2181. 287 LG Hamburg v. 8.4.1999 – 11 U 62/99, AG 1999, 382; OLG Hamburg v. 8.4.1999 – 11 U 62/ 99, AG 1999, 519, 520 (dort allerdings nicht entscheidungserheblich); Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 7; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, § 186 Rz. 21; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.68; Seibt/Voigt, AG 2009, 133 142; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 17, der aber meint, dass sich aus Treuepflicht ein Pflicht zur Einrichtung eines Bezugsrechtshandels ergeben kann.
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
das Recht, durch Börsennotierung mit den Bezugsrechten Handel zu betreiben. Das Fehlen eines Bezugsrechtshandels schränkt auch nicht die Übertragbarkeit ein. Sofern die Bezugsrechte einen eigenen wirtschaftlichen Wert haben, bildet sich auch bei fehlender Einrichtung eines börsenrechtlichen Handels außerhalb der Börse ein Markt für die Bezugsrechte288. Allerdings muss dieser Markt bei geringer Liquidität nicht zwingend den Wert des Bezugsrechts widerspiegeln. Liegt der Bezugspreis weit unter dem Börsenkurs und hat somit das Bezugsrecht einen signifikanten wirtschaftlichen Wert, kann sich aber eine Pflicht des Emittenten zur Einrichtung eines Börsenhandels ergeben, um die Aktionäre nicht zur Ausübung ihres Bezugsrechtes zu zwingen. Der Gedanke, dass die Möglichkeit der Realisierung des Verkehrswerts nicht einfach durch Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat den Aktionären genommen werden kann, „liegt letztlich auch der Neuregelung des Delisting in § 39 BörsG zugrunde289“290. Die Sicherstellung der Realisierung des Bezugsrechtswerts, der ja ab Beginn der Bezugsfrist nicht mehr im Stammrecht verkörpert ist, muss abgewogen werden gegen die Kosten der Einrichtung eines Bezugsrechtshandels. Vor der Änderung der Prospektpflicht bei Bezugsangeboten (vgl. Rz. 5.119) fiel bei dieser Abwägung die Auslösung einer Prospektpflicht durch den Bezugsrechtshandel ins Gewicht291. Nachdem aber jetzt Bezugsrechtsemissionen immer prospektpflichtig sind, fallen durch Einrichtung eines Bezugsrechtshandels nur zusätzliche Provisionen für den Market Maker und die Einführung der Bezugsrechte in den Handel an der Börse an. Vereinzelt wird vertreten, dass der Verzicht auf einen Bezugsrechtshandel einen faktischen Bezugsrechtsausschluss darstellen könne292. Das könnte unter zwei Gesichtspunkten in Betracht kommen: Bei einem Bezugspreis weit unter dem Börsenkurs wird den Aktionären ohne Bezugsrechtshandel die Realisierung des Werts des Bezugsrechts erschwert. In Fällen, in denen nach dem Bezugsrechtsverhältnis auf eine Aktie nur Teilrechte entfallen, ist es den Aktionären ohne Handel nur schwer möglich, Bezugsrechte aufzukaufen, um Teilrechte nicht verfallen zu lassen. Um Anfechtungsrisiken zu reduzieren, empfiehlt sich zumindest in den Fällen, in denen das Bezugsrecht einen Wert hat oder in großem Umfang Spitzen entstehen, einen Bezugsrechtshandel vorzusehen, zumindest außerbörslich über die Zentralabwicklungsstelle, zumal es höchstrichterliche Entscheidungen zu dieser Frage bisher nicht gibt. Die Mehrkosten sind unerheblich. Ohne Bezugsrechtshandel erhalten die Anfechtungskläger ein zusätzliches Argument, das Verzögerungsrisiko erhöht sich293.
5. Greenshoe-Option Bei Börseneinführungen ist es üblich, dass den Emissionsbanken eine Mehrzuteilungsoder Greenshoe-Option eingeräumt wird (vgl. Rz. 3.84 f.)294. Sie dient dazu, den Kurs 288 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 31. 289 Zum Delisting: BT-Drucks. 18/6220, S. 84; zur Gesetzgebungsgeschichte Bayer, NZG 2015, 1169 ff.; Groß, AG 2015, 812 ff. 290 Für eine Pflicht zum Börsenhandel aufgrund dieses Gedankens bei hohem Abschlag auf den Börsenkurs; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.69; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 142. 291 So noch Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 142. 292 Vgl. zum faktischen Bezugsrechtsausschluss auch Rz. 6.7. 293 So auch Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 142. 294 Terminologisch ist zwischen der Mehrzuteilungsoption und der Greenshoe-Option zu unterscheiden. Die Mehrzuteilungsoption betrifft die Entscheidung der Banken, Aktien über den Betrag der Kapitalerhöhung hinaus zuzuteilen (i.d.R. 15 %). Diese Mehrzuteilung wird in
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5.108
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
der Aktie nach Platzierung zu stabilisieren295. Nach einer Platzierung kann ein Angebotsüberhang entstehen. Durch die Platzierung ist ein großer Teil der Nachfrage im Markt erst einmal gedeckt. Im Aftermarket stehen daher abgabewilligen Aktionären nur wenige potenzielle Käufer gegenüber. Die Emissionsbanken platzieren daher zunächst mehr Aktien als durch die Kapitalerhöhung geschaffen werden. Dazu leihen sich die Banken die Mehrzuteilungsaktien bei Altaktionären. Entsteht nach Platzierung ein Angebotsüberhang, kaufen die Emissionsbanken Aktien zurück und führen damit die Aktienleihe zurück. Ist genügend Nachfrage im Markt, kaufen die Emissionsbanken entweder den leihenden Altaktionären zum Platzierungspreis ab oder der Emittent gibt aus genehmigtem Kapital weitere Aktien an die Emissionsbanken aus, die damit die Leihe zurückführen. Bei Bezugsrechtsemissionen hingegen sind Mehrzuteilungen und Greenshoe-Optionen ungewöhnlich. Da bei Festpreisemissionen der Bezugspreis oft erheblich unter Börsenkurs festgelegt wird und das Bezugsrecht gehandelt werden kann, erfolgt der Nachfrageausgleich schon während des Bezugsrechtshandels296. Zudem steht eine Greenshoe-Option durch Ausgabe weiterer junger Aktien im Spannungsverhältnis zu der Erfordernis der Festlegung eines Bezugsverhältnisses297. Wird aber eine Bezugspreisemission nicht im Festpreisverfahren durchgeführt, sondern soll der Preis marktnah durch Bookbuilding bestimmt werden, kann eine Greenshoe-Option Sinn machen, um nach der Platzierung der jungen Aktien Kursschwankungen zu reduzieren298. Da hier das Bezugsrecht keinen Wert hat, kann Angebot und Nachfrage nicht durch den Bezugsrechtshandel zum Ausgleich gebracht werden. Stabilisierungsmaßnahmen sind dann für eine erfolgreiche Platzierung unerlässlich. Zur Zulässigkeit vgl. § 39.
5.109
Soll eine Greenshoe-Option bei einer Bezugsrechtsemission vorgesehen werden, bieten sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten: – Die Bezugsrechtsemission wird mit einer bezugsrechtsfreien Tranche kombiniert, die auch die Greenshoe-Option abdeckt. Der Bezugsrechtsausschluss ist unproblematisch, weil sich das Bezugsrechtsverhältnis aufgrund des Gesamtbetrags errechnet (Kapitalerhöhungsbetrag plus Mehrzuteilung). Die Banken decken die Mehrzuteilung zunächst durch eine Aktienleihe. Üben die Emissionsbanken die Greenshoe-Option bei stabiler Nachfrage aus, zeichnen sie die bezugsrechtsfreie Tranche und führen mit diesen Aktien die Leihe zurück. Bei Nichtausübung der Option verfällt die bezugsrechtsfreie Tranche. Der Bezugsrechtsausschluss ist unproblematisch, weil es für die Aktionäre gleichgültig
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298
der Regel durch eine Wertpapierleihe gedeckt. Die Greenshoe-Option bezeichnet das Recht der Banken, zusätzliche Aktien zu beziehen, um die Wertpapierleihe zurückzuführen. Diese Option kann nach 30 Tagen ausgeübt werden. Kritisch zu dieser Praxis KG v. 22.8.2001 – 23 U 6712/99, AG 2002, 243 ff.; hierzu Busch, AG 2002, 230 ff.; Groß, ZIP 2002, 160 ff.; Meyer, WM 2002, 1106 ff.; Meyer in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.68 ff. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/276; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.64. Das Bezugsverhältnis muss aufgrund des Kapitalerhöhungsvolumens und der Mehrzuteilung berechnet werden. Werden die mehrzugeteilten Aktien später zurückgekauft, ist das Bezugsrecht übererfüllt worden, was aktienrechtlich nicht zu beanstanden ist; vgl. Meyer in MarschBarner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.72; Busch, AG 2002, 230, 235; Bedenken bei Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10, 224 ff. Vgl. z.B. die Bezugsrechtsemission der Deutschen Telekom AG aus dem Jahr 1999; zur aktienrechtlichen Zulässigkeit einer Greenshoe-Option KG v. 16.11.2007 – 23 U 55/03, NZG 2008, 29 ff.; zu Greenshoe-Optionen bei Bezugsrechteemissionen s. Krug, BKR 2005, 302, 308 sowie Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.64.
266 | Herfs
Bezugsrechtsemissionen | § 5
ist, ob sie bei der Ausübung ihres Bezugsrechts neue oder alte Aktien erhalten. Der Bezugsrechtsausschluss wird durch das Bezugsverhältnis kompensiert299. – Die Greenshoe-Option wird von Altaktionären eingeräumt, etwa einem Großaktionär. Auch hier stellen sich keine Probleme hinsichtlich des Bezugsverhältnisses. Der Kapitalerhöhungsbetrag ist fix. Das Bezugsverhältnis wird auf der Grundlage des Gesamtbetrags der Aktien, die angeboten werden sollen, berechnet. Allerdings fließt dann der Erlös aus der Mehrzuteilung dem Großaktionär zu und nicht der Gesellschaft. – Die Gesellschaft fasst einen „Bis-zu“-Kapitalerhöhungsbeschluss, der volumenmäßig sowohl den eigentlich gewollten Kapitalerhöhungsbetrag als auch den Greenshoe-Betrag umfasst. Von Anfang an wird die Zeichnung in zwei Tranchen zugelassen (vgl. Rz. 5.62). Wie bei jeder „Bis-zu“-Kapitalerhöhung wird das Bezugsverhältnis auf der Grundlage des Höchstbetrags berechnet (vgl. Rz. 5.66). Die Emissionsbanken zeichnen zunächst den Basisbetrag als erste Tranche und decken die Mehrzuteilungen durch von Altaktionären geliehene Aktien ab. Entwickelt sich der Kurs positiv und müssen keine Aktien zurückgekauft werden, üben die Banken die Greenshoe-Option aus und zeichnen die zweite Tranche. Mit den zusätzlich gezeichneten jungen Aktien wird die Wertpapierleihe zurückgeführt. Werden Aktien im Markt zurückgekauft und mit diesen Aktien die Leihe zurückgeführt, wird die zweite Tranche nicht mehr gezeichnet. Eigentlich hätte sich dann zwar ein niedrigeres Bezugsverhältnis ergeben, da aber über die Leihe alle Bezugsrechte erfüllt werden konnten, ist dies ohne praktische Relevanz300. Anders als in Variante 1 wird hier ein formaler Bezugsrechtsausschluss vermieden. In allen Fällen werden den Aktionären im Rahmen des Bezugsangebots nicht nur junge, sondern auch bereits existierende (nämlich entliehene) Aktien angeboten. Solange die alten und jungen Aktien aber voll fungibel sind – d.h. es dürfen hinsichtlich der Gewinnberechtigung keine Unterschiede bestehen – ist die Erfüllung des Bezugsanspruchs durch Altaktien unproblematisch301.
5.110
6. Verwertung nicht bezogener Aktien In der Regel machen nicht alle Aktionäre von ihrem Bezugsrecht Gebrauch. Nicht oder nicht innerhalb der Ausübungsfrist ausgeübte Bezugsrechte wachsen den übrigen Aktionären nicht zu, sondern verfallen302. Nach Ziff. 15 Abs. 1 Satz 2 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte sind die Depotbanken auch ohne ausdrückliche Weisung des Aktionärs berechtigt und verpflichtet, am letzten Handelstag das Bezugsrecht für den Aktionär bestens zu veräußern. Bezugsrechte werden meistens aufgekauft, allerdings nicht immer ausgenutzt, etwa wenn Hedge Fonds sie als Sicherung für Short Selling gekauft haben, der Börsenpreis aber unter dem Bezugspreis plus Preis für das Bezugsrecht bleibt303. Der Übernahmevertrag wird für den Fall der Nichtausübung vorsehen, dass die Emissions299 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2182; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.72. 300 Hierzu Busch, AG 2002, 230, 235; zustimmend Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2182; Bosch/ Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/276. 301 Busch, AG 2002, 231, 235. 302 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 53; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.71; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 108. 303 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2183.
Herfs | 267
5.111
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
banken die nichtbezogenen Aktien bestmöglich und Interesse wahrend verwerten und den Verwertungserlös nach Abzug der Kosten an die Gesellschaft abzuführen haben304.
5.112
Die verbleibenden Aktien können entweder Aktionären oder außenstehenden Investoren angeboten werden. Die Aktionäre haben kein Bezugsvorrecht oder Nachbezugsrecht (vgl. Rz. 5.51 f.). Werden die verbliebenen Aktien allerdings den Aktionären angeboten, ist grundsätzlich der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten305. Der Vorstand kann den Emissionsbanken Vorgaben bei der Verwertung machen. Es kann auch von vorneherein im Hauptversammlungsbeschluss vorgesehen werden, dass nichtbezogene Aktien einem Dritten anzubieten sind, etwa einem Neuinvestor. Gerade bei Kapitalerhöhungen mit schwierigem Umfeld werden solche Back-stop Vereinbarungen oder Platzierungsgarantien mit interessierten Investoren abgeschlossen. Dies gibt ein positives Signal an Aktionäre und andere Investoren306.
5.113
Die Aktien sind bestmöglich zu verwerten. Bei der Veräußerung stellt der im Kapitalerhöhungsbeschluss bestimmte Ausgabebetrag die Untergrenze dar, andernfalls könnte das Bezugsrecht der Aktionäre ausgehöhlt werden. Der festgesetzte Ausgabebetrag kann daher nur unterschritten werden, wenn den bezugsberechtigten Aktionären ein erneutes Bezugsangebot zu dem niedrigeren Ausgabebetrag unterbreitet wird. Nur in Ausnahmefällen ist eine Unterschreitung denkbar, etwa wenn der Bezugspreis erkennbar mit Bezug auf einen Börsenkurs an einem definierten Stichtag bestimmt wurde und der Börsenkurs zum Zeitpunkt der Verwertung weiter gefallen ist307. Halten die Banken oder der Vorstand sich nicht an diese Vorgaben, können sie sich wegen Eingriffs in das Bezugsrecht schadensersatzpflichtig machen. Etwas anderes gilt allerdings im Fall eines „hard underwriting“. Die Emissionsbanken können dann die Aktien auch auf eigene Rechnung zum Bezugspreis erwerben. Mit diesem Erwerb ist die Verwertung abgeschlossen, der Emittent hat den vollen Platzierungserlös erhalten. Die Emissionsbanken sind danach frei, die übernommenen Aktien zu einem in ihrem Ermessen stehenden Preis weiter zu verkaufen.
7. Rücktrittsrechte 5.114
Bei internationalen Aktienemissionen ist es üblich, dass sich die Emissionsbanken für bestimmte Fälle ein Rücktrittsrecht im Übernahmevertrag vorbehalten308. Typischerweise stellt eine negative Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Emittenten (material adverse change) oder eine unvorhergesehene Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen 304 Vgl. Muster bei Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/325; vgl. BGH v. 19.6.1995 – II ZR 29/ 94, ZIP 1995, 1177 f. 305 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 53; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2183. 306 Z.B. Kapitalerhöhung Infineon 2009, bei der sich der Finanzinvestor Apollo verpflichtet hatte, nicht bezogene Aktien zu zeichnen. Auch mit Hilfe dieser Interessensbekundung konnten dann aber alle Aktien platziert werden, s. hierzu auch Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 415. 307 Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rz. 97; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 108. Wenn der zunächst festgesetzte Ausgabebetrag erkennbar auf der Basis des Börsenpreises kalkuliert worden ist, ist eine Verwertung bei Sinken des Börsenkurses auch zu einem niedrigeren Betrag möglich. So auch Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.71; zulässig ist bei Bookbuilding auch eine Verwertung am unteren Ende der Spanne; vgl. Schlitt/Seiler, WM 2003, 2183. 308 Vertragstechnisch sind die Rücktrittsgründe oft als Bedingungen für die weitere Vertragserfüllung ausgestaltet (vgl. Rz. 29.75).
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Bezugsrechtsemissionen | § 5
oder politischen Rahmenbedingungen (vgl. dazu Rz. 29.74 f., 31.78 ff.) einen Rücktrittsgrund oder eine Bedingung dar, aber auch das Fehlen von Bestätigungen zur Richtigkeit des Prospekts durch das Management („Officers’ Certificate“), die Wirtschaftsprüfer in Bezug auf die Finanzinformationen („Comfort Letter“) und die begleitenden Anwälte („Legal-“ und „Disclosure-Opinon“) können die Banken zum Rücktritt berechtigen309. Die Emissionsbanken wollen sich dadurch vor Veränderungen schützen, die eine Platzierung erschweren und ihr Platzierungsrisiko in unvorhergesehener Weise erhöhen. Das Bedürfnis für solche Rücktrittsrechte ist bei Festpreisemissionen mit einem hohen Abschlag auf den Börsenkurs weniger bedeutsam310. Wird die Bezugsrechtsemission aber im Bookbuilding vorgenommen und haben die Banken eine Preisgarantie übernommen, wollen die Emissionsbanken sich gegen Marktveränderungen schützen. Solche Rücktrittsrechte können im Hinblick auf die Bezugsrechte der Aktionäre problematisch sein. Beim mittelbaren Bezugsrecht handeln die Emissionsbanken als fremdnützige Treuhänder für die Aktionäre. Die Aktionäre erwerben mit Durchführung der Kapitalerhöhung einen Anspruch gegen die Emissionsbanken auf Lieferung der Aktien311, der ihnen durch einen Rücktritt genommen würde. Der Übernahmevertrag bei mittelbarem Bezugsrecht zwischen dem Emittenten und den Emissionsbanken ist aber ein Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB312. Gemäß § 328 Abs. 2 BGB können sich bei einem Vertrag zugunsten Dritter die Parteien vorbehalten, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung aufzuheben. Insofern können auch die Bezugsrechte unter einen solchen Vorbehalt gestellt werden, vorausgesetzt im Bezugsangebot ist auf diese Rücktrittsmöglichkeit deutlich hingewiesen worden313. Ist die Kapitalerhöhung aber durchgeführt und haben die Aktionäre ihr Bezugsrecht ausgeübt, kann ihnen der Anspruch auf Lieferung nicht mehr genommen werden. Die Banken tragen insoweit auch kein Risiko mehr. Bei der Ausübung des Rücktrittsrechts sind verschiedene Zeiträume zu unterscheiden: – Beim Rücktritt vor Zeichnung der neuen Aktien entfallen die Verpflichtungen der Emissionsbanken und das Bezugsrecht. – Ist der Zeichnungsschein schon unterschrieben, aber die Anmeldung der Durchführung noch nicht erfolgt, hat die Gesellschaft den Zeichnungsschein zurückzugeben314, der üblicherweise ohnehin nur eine Geltungsdauer von einem Tag hat. Bereits ausgeübte Bezugsrechte werden rückabgewickelt. – Erfolgt der Rücktritt nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung, können alle Aktionäre, die ihr Bezugsrecht bereits ausgeübt haben, die neuen Aktien zum Bezugspreis erwerben. Mit der Bezugserklärung ist ein Kaufvertrag zwischen Emissionsbanken und Bezugsrechtsinhaber zustande gekommen. Ein einseitiger Rücktritt des Bezugsrechtsinhabers ist nicht mehr möglich. Der Rücktritt vom Übernahmevertrag erfasst also die bezogenen Aktien nicht. Die restlichen Aktien müssen dann neu, ggf. zu geänderten Bedingungen, allen Aktionären angeboten werden. Ist ein neues Bezugs309 310 311 312
Schäfer, ZGR 2008, 455, 485. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/312. Vgl. hierzu Technau, AG 1998, 445, 452; Busch, WM 2001, 1277 ff. BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = AG 1991, 270; BGH v. 13.4.1992 – ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 = AG 1992, 312; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186. 313 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2184. Als Beispiel für Bezugsangebot mit entsprechendem Risikohinweis s. Bezugsangebot der Hapag-Lloyd Aktiengesellschaft vom 29.9.2017. 314 Ein Rücktritt vom Zeichnungsvertrag ist nicht möglich.
Herfs | 269
5.115
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
angebot nicht möglich, sind die Banken berechtigt, die Aktien freihändig bestmöglich zu verkaufen („fire sale“), wenn die Gesellschaft nicht einen anderen Käufer benennt315.
5.116
Ein Rücktritt hat erhebliche Folgen auf den Bezugsrechtshandel. Gehandelte, aber noch nicht ausgeübte Bezugsrechte verfallen. Da eine Rückabwicklung der Transaktionen im Rahmen des Bezugsrechtshandels nicht möglich ist, erleiden die Erwerber von Bezugsrechten einen Totalverlust. Auf diesen Umstand muss in dem Bezugsangebot ausdrücklich hingewiesen werden316.
V. Vertragliche Absprachen 5.117
Die Rechtsbeziehung zwischen dem Emittenten und den Emissionsbanken, ggf. auch einzelnen Altaktionären, wird im Übernahmevertrag geregelt (zu den Inhalten des Übernahmevertrags vgl. § 29). Bei einer Bezugsrechtsemission handelt es sich beim Übernahmevertrag um einen echten Vertrag zugunsten Dritter317, aus dem die Aktionäre einen unmittelbaren Anspruch auf Zuteilung von Aktien gegen die Emissionsbanken erlangen. Neben dieser unterschiedlichen Rechtsnatur unterscheidet sich der Übernahmevertrag bei Bezugsrechtsemissionen gegenüber Börseneinführungen oft auch hinsichtlich des Preisfestsetzungsverfahrens. In der Regel wird nicht das Bookbuilding-Verfahren zur Preisfestsetzung gewählt, sondern das Festpreisverfahren (vgl. Rz. 5.17). Die Emissionsbanken sind dann dazu verpflichtet, für alle neuen Aktien den Bezugspreis zu zahlen, unabhängig davon, ob sie die Aktien platzieren konnten. Weiter werden die Modalitäten der Zahlung geregelt (vgl. Rz. 29.88). Wenn das zweistufige Verfahren gewählt wird, muss die Pflicht zur Abführung des Mehrerlöses nach Abzug von Provisionen und Kosten geregelt werden (vgl. Rz. 5.79 f.). Hinzu kommen können Absprachen mit den Altaktionären, etwa Verzicht auf die Ausübung von Bezugsrechten oder Verkauf von Bezugsrechten mit Platzierungsverpflichtungen für die von den Banken bezogenen Aktien (operation blanche) oder Abschluss eines Wertpapierdarlehens, um den Bezugsrechtshandel zu erleichtern oder einen Greenshoe-Option zu ermöglichen. Inhalt des Übernahmevertrags können auch Absprachen mit Dritten sein, etwa wenn ein neuer Investor in die Gesellschaft aufgenommen werden soll, dem die nichtbezogenen Aktien zugeteilt werden können. Ebenfalls nur für die Bezugsrechtsemission relevant sind Absprachen über die Verwertung nicht bezogener Aktien (vgl. Rz. 5.111 ff.). Absprachen zu Greenshoe und Stabilisierung weichen von den für Börseneinführungen oder bezugsrechtsfreien Emissionen genutzten Mechanismen ab, um den Besonderheiten der Bezugsrechtsemission Rechnung zu tragen (vgl. Rz. 5.111 f.). Die Emissionsbanken sollten sich verpflichten, im Zusammenhang mit Stabilisierungsmaßnahmen, die von ihnen im Rahmen der Emission durchgeführt werden, dem Emittenten alle Informationen zur Verfügung zu stellen, damit dieser seinen gesetzlichen Veröffentlichungsund Mitteilungspflichten über Stabilisierungsmaßnahmen nachkommen kann. Der Emittent wird auch die Emissionsbanken verpflichten, über alle Eigengeschäfte der Banken in seinen Aktien während der Dauer der Bezugsrechtsemission Auskunft zu erteilen318. 315 Zum Ganzen Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.172; Schäfer, ZGR 2008, 455, 485 ff. 316 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2184; vgl. auch z.B. das Bezugsangebot der Hapag-Lloyd Aktiengesellschaft vom 29.9.2017. 317 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 = AG 1992, 312; Schäfer, ZGR 2008, 455, 472 ff. 318 Zu Stabilisierungsmaßnahmen s. allgemein § 39.
270 | Herfs
Bezugsrechtsemissionen | § 5
Oft werden im Zusammenhang mit Bezugsrechtsemissionen Platzierungsgarantien oder Back-Stop Vereinbarungen mit Altaktionären oder Neuinvestoren getroffen319. In Sanierungssituationen sind solche Vereinbarungen oft die Voraussetzung, dass sich Banken überhaupt zur Platzierung der Kapitalerhöhung bereitfinden. Auf jeden Fall vermindern solche Platzierungsgarantien den Abschlag auf den Börsenkurs320. Hier stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft solchen Investoren eine Kostenerstattung und/oder Provision als Gegenleistung für die Garantie bezahlen darf und ggf. auch eine break-up fee. Sofern sich die Provision, die an den Investor zu zahlen ist, an der Provision orientiert, die den Banken für die Platzierung gezahlt wird, dürfte dies keine verdeckte Sacheinlage in Form des Hin- und Herzahlens darstellen. Die Banken könnten auch ein Subunderwriting mit dem betreffenden Investor vereinbaren, für das sie eine Provision zahlen müssten, die wiederum der Gesellschaft belastet wird. Die direkte Vereinbarung zwischen Investor und Gesellschaft muss dann auch zulässig sein. Es liegt auch keine finanzielle Unterstützung i.S.d. § 71a AktG vor. Die Zahlung dient nicht primär der Finanzierung des Kaufpreises. Sie fällt gerade auch an, wenn der Investor gar keine Aktien übernehmen muss321. Die Gesellschaft darf auch Kostenersatz in pauschalierter Form leisten („break-up fee“), falls es gar nicht zur Transaktion kommt. Problematischer ist es, wenn die Fee auch in dem Fall gezahlt wird, in dem der Investor zeichnet, aber nicht die angestrebte Beteiligungshöhe erreicht, weil der Bezug höher als erwartet war. Hier dient die break-up fee auch dem Erwerb, weil aus Sicht des Investors die Höhe der Beteiligung und die resultierenden Gewinnaussichten nicht die aufgewandten Kosten decken322.
5.118
VI. Prospektpflichten Die Prospektpflichten bei einer Bezugsrechtsemission richten sich nach dem Wertpapierprospektgesetz323, das sowohl die Prospektpflicht für das öffentliche Angebot von Wertpapieren als auch für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt regelt (§ 1 Abs. 1 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 1 VO 2017/1129)324. Der Inhalt des Prospekts wird durch § 5 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 6 VO 2017/1129 und EU-Verordnungen geregelt325. Der Begriff des öffentlichen Angebots von Wertpapieren ist in § 2 Nr. 4 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 2 lit. d VO 2017/1129 näher erläutert. Seit Änderung des Wertpapierprospektgesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung 319 Zu Investorenvereinbarungen Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195 ff.; Kiem, AG 2009, 301 ff. Als Beispiel für eine Bezugsrechtskapitalerhöhung mit Back-Stop s. Bezugsangebot HapagLloyd Aktiengesellschaft vom 29.9.2017. 320 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 140. 321 Seibt, Der Konzern 2009, 260, 272. 322 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71a Rz. 43; Seibt, Der Konzern 2009, 260, 272. 323 Das Wertpapierprospektgesetz ist am 1.7.2005 in Kraft getreten und wurde mit Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/773 und zur Änderung des Börsengesetzes (Umsetzungsgesetz – BGBl. I 2012, 1375) geändert. 324 Zu den inhaltlichen Anforderungen an einen Wertpapierprospekt vgl. allgemein §§ 5 ff. WpPG, ab 21.7.2019 Art. 6 VO 2017/1129. 325 EU VO Nr. 809/2004 v. 29.4.2004, geändert durch EU VO 1787/2006 v. 4.12.2006, EU VO Nr. 211/2007 v. 27.2.2007, EU VO Nr. 1289/2008 v. 12.12.2008. Delegierte EU VO Nr. 311/ 2012 v. 21.12.2011 und Delegierte EU VO Nr. 486/2012 v. 30.3.2012. Zum 21.7.2019 wird die bisherige Prospektrichtlinie durch die VO 2017/1129 ersetzt, die bisher delegierten Verordnungen werden durch Technische Regulierungsstandards der ESMA in Form von delegierten Rechtsakten auf Grundlage des Art. 13 VO 2017/1129 ersetzt.
Herfs | 271
5.119
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
der Prospektrichtlinie326 stellt eine Bezugsrechtsemission von bereits notierten Aktien grundsätzlich ein öffentliches Angebot dar, auch wenn sich das Bezugsangebot nur an einen bestimmten Personenkreis wendet und unabhängig davon, ob ein Bezugsrechtshandel eingerichtet wird327. Eine Bezugsrechtsemission bedarf daher in jedem Fall eines Prospektes, es sei denn, es handelt sich um eine Kleinemission (= Gesamtbezugspreis unter 5 Mio. Euro), für die nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 WpPG das Gesetz nicht gilt (ab 21.7.2019 Art. 3 Abs. 2 a VO 2017, 1129, wobei die Grenze auf 8 Mio. Euro erhöht wird. In Deutschland ist geplant, in diesen Fällen die Anbieter zu verpflichten, ein sog. Wertpapier-Informationsblatt gemäß §§ 3a f. WpPG-E zu veröffentlichen (vgl. Rz. 36.6). Unter der noch geltenden ProspektVO ist es möglich, bei einer Bezugsrechtsemission lediglich an Altaktionäre – mit oder ohne Bezugsrechtshandel – von der verhältnismäßigen Angabepflicht gemäß Art. 26a EU VO 809/2004328 Gebrauch zu machen. Dies erlaubt die Veröffentlichung eines Prospekts mit reduziertem Inhalt329. Diese Möglichkeit gibt es in der neuen ProspektVO 2017/1129 nicht mehr. In der Praxis hatte diese Erleichterungsregelung ohnehin keine große Bedeutung.
5.120
Dies mag daran liegen, dass das Haftungsregime nach §§ 5 Abs. 1 und 21, 22 WpPG, wonach der Prospekt „sämtliche Angaben enthalten [muss], die […] notwendig sind, um dem Publikum ein zutreffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, […] zu ermöglichen“, nicht an das vereinfachte Prospektregime angepasst wurde330. Des Weiteren unterliegen internationale Bezugsrechtsemissionen, insbesondere sofern diese mit einer Privatplatzierung in den USA nach Rule 144A Securities Act von 1933 in der jeweils gültigen Fassung einhergehen, internationalen Standards, die möglicherweise eine vollständige Offenlegung im Prospekt erfordern. Auch internationale Investoren erwarten im Prospekt eine vollständige Offenlegung331.
5.121
Zuständig für die Billigung des Prospekts ist stets die BaFin (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Nr. 17 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. o VO 2017/1129). Nach seiner Billigung und spätestens einen Tag vor Beginn des öffentlichen Angebots bzw. vor der Einführung der Wertpapiere in den Handel hat der Emittent den Prospekt zu ver326 Richtlinie 2010/73/EU vom 24.11.2010 zu Änderung der Prospektrichtlinie 2003/71/EG ist am 31.12.2010 in Kraft getreten und mit Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (Umsetzungsgesetz – BGBl. I 2012, 1375) in nationales Recht umgesetzt worden. Das Umsetzungsgesetz und damit die Änderungen des WpPG sind am 1.7.2012 in Kraft getreten. Die RL 2003/71/EG wird zum 21.7.2019 gemäß Art. 46 Abs. 1 VO 2017/1129 aufgehoben. 327 S. auch BaFin Journal 09/12, S. 7; a.A. Leuering/Stein, NJW-Spezial 2012, 591, 592. 328 Erste Delegierte Verordnung (EU) 486/2012 der Kommission vom 30.3.2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004. 329 Im Rahmen der verhältnismäßigen Angabepflichten nach Art. 26a ProspektVO in Abstimmung mit den neuen Anhängen XXIII und XXIV ProspektVO muss nur noch der letzte geprüfte Jahresabschluss aufgenommen werden. Andere Angaben wie z.B. Erläuterung und Analyse der Finanzlage („operating and financial review“), ausgewählte Finanzinformationen, Kapitalausstattung, Sachanlagen, Forschung und Entwicklung können entfallen. Zudem sind verschiedene Informationen nur für den Zeitraum ab Stichtag des letzten geprüften Jahresabschlusses darzustellen. Es ist allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Beschränkung des Angebots auf Altaktionäre, zu dem Zweck lediglich der verhältnismäßigen Angabepflicht zu unterfallen, sinnvoll ist. 330 Zum Haftungsmaßstab bei Bezugsrechtsemissionen nach dem neuen Prospektregime s. Berrar/Wiegel, CFL 2012, 97, 105 f. 331 S. dazu Berrar/Wiegel, CFL 2012, 97, 107.
272 | Herfs
Bezugsrechtsemissionen | § 5
öffentlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 VO 2017/1129). Findet vor Einführung der Wertpapiere ein Bezugsrechtshandel im organisierten Markt statt, ist der gebilligte Prospekt mindestens einen Werktag vor Beginn des Bezugsrechtshandels zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 VO 2017/1129). Die Veröffentlichung des Prospekts regelt sich nach § 14 Abs. 2 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 2 VO 2017/1129, wonach eine (zusätzliche) Veröffentlichung auf der Internetseite des Emittenten nunmehr verpflichtend ist, sofern es sich nicht um einen reinen Zulassungsprospekt handelt. Der Veröffentlichungszeitraum bemisst sich gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 WpPG nach dem Zeitpunkt des endgültigen Schlusses des öffentlichen Angebots oder, falls dies später erfolgt, bis zur Einführung in den Handel an einem organisierten Markt. Einem Emittenten von Wertpapieren steht es offen, wie üblich einen einteiligen Prospekt zu veröffentlichen oder von der Möglichkeit eines dreiteiligen Prospekts, bestehend aus Registrierungsformular, Wertpapierbeschreibung und Zusammenfassung, nach § 12 Abs. 1 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 VO 2017/1129 Gebrauch zu machen. Durch diese sog. Prospekterstellung „auf Vorrat“, d.h. einer Voraberstellung und -billigung des Registrierungsformulars, kann ein Großteil der zeitintensiven Prospekterstellung vorverlagert werden. Dieses würde es dem Emittenten ermöglichen, zumindest bei Ausnutzung eines genehmigten Kapitals, kurzfristig auf günstige Marktkonditionen zu reagieren, da in diesem Fall nur noch die Wertpapierbeschreibung und die Zusammenfassung zu erstellen und zu billigen sind. Da die „Platzierungsfenster“ in letzter Zeit sehr eng sind, kann ein langer Vorlauf eine Emission unmöglich machen, weil sich nach Abschluss der Vorbereitung die Marktverhältnisse schon geändert haben (vgl. Rz. 5.2). Andererseits muss das Registrierungsformular zum Zeitpunkt der Bezugsrechtskapitalerhöhung noch aktuell sein. Zwischenzeitlich veröffentlichte Finanzberichte müssen daher durch einen Nachtrag gemäß § 16 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 23 VO 2017/1129 oder Darstellung in der Wertpapierbeschreibung in den Prospekt aufgenommen werden. Zudem muss das gebilligte Registrierungsformular gemäß § 14 Abs. 1 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 21 Abs. 1 VO 2017/1129 unverzüglich nach Billigung veröffentlicht werden. Sofern es sich bei dem Emittenten nicht um einen Daueremittenten handelt, wird die Veröffentlichung eines Registrierungsformulars vom Finanzmarkt im Zweifel als Indiz einer bevorstehenden Kapitalerhöhung gewertet und könnte somit zu einem Kursabfall führen. Die Verwendung eines dreiteiligen Prospekts dürfte daher im Ergebnis eher für solche Emittenten in Betracht zu ziehen sein, die als Daueremittenten von Schuldverschreibungen regelmäßig Prospekte veröffentlichen oder innerhalb eines Jahres die Durchführung mehrerer Kapitalmaßnahmen planen332.
5.122
VII. Informationspflichten nach WpHG, Insiderverbote nach der MAR Im Zusammenhang mit einer Bezugsrechtsemission sind Informationspflichten nach WpHG zu beachten. Nach Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, der Bezugsrechte gewährt, ist eine Mitteilung nach § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG über die Vereinbarung von Bezugs- und Zeichnungsrechten im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Nach Durchführung der Ausgabe der Aktien ist gemäß derselben Vorschrift eine Mitteilung über die Zahl der neu ausgegebenen Aktien ebenfalls im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Zum Ende des Monats, in dem die Kapitalerhöhung durchgeführt wurde, ist eine Mitteilung 332 S. dazu Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410, 417.
Herfs | 273
5.123
§ 5 | Bezugsrechtsemissionen
über die Gesamtzahl der Stimmrechte nach Kapitalerhöhung gemäß § 41 Abs. 2 WpHG über das Medienbündel gemäß § 3a WpAV und auf der Website zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung ist der BaFin mitzuteilen und nach Veröffentlichung dem Unternehmensregister zu übermitteln.
5.124
Das Zeichnen von Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung kann einen Erwerb i.S.v. Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014333 (MAR) darstellen. Umgekehrt gilt, dass auch das Anbieten von Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot darstellen kann334. Im Zusammenhang mit Bezugsrechtsemissionen kann diese Frage relevant werden, wenn ein neuer Investor über die Kapitalerhöhung beteiligt werden soll, der vorher Due Diligence gemacht und Zugang zu nicht öffentlichen Informationen erhalten hat (vgl. Rz. 5.5). Teilweise wird für diese Konstellation vertreten, dass eine Verwendung von Insiderinformationen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a VO Nr. 596/2014 (MAR) nicht vorliegen könne. Wegen der einheitlichen Preisfestlegung, die für alle Aktionäre gelte, könne der Investor kein Insiderwissen zur Erzielung von Sondervorteilen ausnutzen, so dass eine Schädigung des Kapitalmarkts und der Kapitalmarktteilnehmer auszuschließen sei335. Ob das so allgemein richtig ist, ist zweifelhaft. Immerhin ermöglicht die Kenntnis der Informationen dem Investor zu beurteilen, ob der festgesetzte Preis günstig ist. Für das Verwenden von Insiderinformationen reicht es aus, wenn das Geschäft, also hier das Zeichnen der Aktien, dem Verwender einen wirtschaftlichen Vorteil eröffnet, den er bei öffentlichem Bekanntwerden der Insiderinformation nicht hätte erlangen können336. Ist die Information positiv, wäre bei Bekanntwerden der Preis höher gewesen, so dass der Investor in diesem Fall einen Vorteil hat. In der Praxis kann dieses Problem allerdings kaum vorkommen, weil vor dem Bezugsangebot ein Prospekt veröffentlicht werden muss. Der Prospekt muss nach § 5 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 6 VO 2017/1129 alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um „dem Publikum ein zutreffendes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzanlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten […] zu ermöglichen“. Es kann deshalb nach der Veröffentlichung des Prospekts eigentlich keine Insiderinformationen mehr geben. Das Problem kann daher nur auftauchen bei nicht prospektpflichtigen Kleinemissionen oder bei einer zweistufigen Beteiligung mit Vorschaltung einer Platzierung von Aktien ohne Bezugsrecht (s. Rz. 5.5).
333 Zum alten Recht, das sich insoweit durch die MAR nicht geändert haben sollte: Mennicke in Fuchs, WpHG, § 14 Rz. 22; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, 6. Aufl. 2012, WpHG, § 14 Rz. 13. 334 Zum alten Recht Mennicke in Fuchs, WpHG, § 14 Rz. 22; Sickinger/Kuthe in Münchener Anwaltshdb. Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 33 Rz. 184; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, 6. Aufl. 2012, WpHG, § 14 Rz. 13. 335 Zum alten Recht Sickinger/Kuthe in Münchener Anwaltshdb. Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 33 Rz. 181. 336 Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 18.
274 | Herfs
§6 Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Bezugsrechts . . 2. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . 4. Faktischer Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . .
.. .. .. .. ..
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6.1 6.1 6.3 6.4 6.7
II. Bezugsrechtsausschluss bei der regulären Kapitalerhöhung . . . . 6.8 1. Materielle Voraussetzungen . . . . 6.8 a) Sachliche Rechtfertigung . . . . . 6.8 aa) Gesellschaftsinteresse . . . . . 6.9 bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 6.10 cc) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . 6.11 b) Verwässerungsschutz gemäß § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . 6.12 c) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . 6.14 aa) Barkapitalerhöhung . . . . . . 6.14 (1) Vermeidung von Spitzenbeträgen . . . . . . . . . . . . . 6.15 (2) Ausgabe von Belegschaftsaktien . . . . . . . . . . . . . . . 6.16 (3) Bedienung von Wandelund Optionsanleihen . . . . . 6.17 (4) Gewährung von Aktien als Voraussetzung für Kooperationen . . . . . . . . . . . . . 6.18 (5) Börseneinführungen . . . . . 6.19 (6) Optimierung der Platzierung/Sanierung . . . . . . . . 6.21 (7) Abwehrmaßnahmen . . . . . 6.23 (8) Gekreuzter Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . 6.25 (9) Gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . 6.26 bb) Sachkapitalerhöhung . . . . . 6.27 (1) Grundsätze . . . . . . . . . . . 6.27a (2) Aktiendividende . . . . . . . . 6.27b (3) Anfechtbarkeit der Sachkapitalerhöhung nach § 255 Abs. 2 AktG . . . . . . 6.28
2. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . a) Sinn und Zweck der Regelung . b) Kapitalgrenze 10 % . . . . . . . . . c) Ausgabebetrag . . . . . . . . . . . . d) Ungeschriebene Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zuwendungskriterien . . . . . . . 3. Formelle Voraussetzungen . . . . . a) Hauptversammlungsbeschluss . . b) Vorstandsbericht . . . . . . . . . . c) Vorbereitung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . d) Vorstandsbericht bei vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . e) Zulassungsverfahren . . . . . . . . 4. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . III. Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Siemens/Nold-Entscheidung . a) Folgen für die Sachkapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hauptversammlungsbeschluss . . . . . . . . . . . . bb) Ausnutzung des genehmigten Kapitals . . . . . . . . . . . b) Folgen für die Barkapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang der regulären Kapitalerhöhung? . . . . . . . . . . . . . . 3. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG beim genehmigten Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Stufenermächtigung und Anrechnungsklausel . . . . . . . . c) Greenshoe . . . . . . . . . . . . . . d) Marktsondierung . . . . . . . . . . 4. Formelle Voraussetzungen . . . . .
__ __ __ __ _ _ __ _ __ _ _ _ _ _ _ __ __ __
6.29 6.29 6.30 6.32 6.34 6.35 6.36 6.36 6.38 6.41 6.42 6.43 6.44 6.46 6.46 6.49 6.50 6.50 6.52 6.54 6.55
6.56 6.56
6.57 6.59 6.59a 6.60
Schrifttum: Bayer, Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und Vermögensschutz der Aktionäre nach § 255 Abs. 2 AktG, ZHR 163 (1999), 505; Bayer, Vorsorge und präventive Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmen, ZGR 2002, 588; Bayer, Materielle Schranken und Kontrollinstrumente beim Einsatz des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, ZHR 168 (2004), 132;
Krause | 275
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss Bezzenberger, Das Bezugsrecht der Aktionäre und sein Ausschluss, ZIP 2002, 1917; Bezzenberger, Der Greenshoe und die Angemessenheit des Aktienausgabebetrags beim Börsengang, AG 2010, 765; Born, Berichtspflichten nach Ausnutzung genehmigten Kapitals mit Ausschluss des Bezugsrechts, ZIP 2011, 1793; Bungert, Bezugsrechtsausschluss zur Plazierung neuer Aktien im Ausland, WM 1995, 1; Bungert, Die Liberalisierung des Bezugsrechtsausschlusses im Aktienrecht, NJW 1998, 488; Busch, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss bei Wandel- und Optionsanleihen, AG 1999, 58; Busch, Aktuelle Rechtsfragen des Bezugsrechts und Bezugsrechtsausschlusses beim Greenshoe im Rahmen von Aktienemissionen, AG 2002, 230; Cahn, Pflichten des Vorstands bei genehmigtem Kapital mit Bezugsrechtsausschluss, ZHR 163 (1999), 554; Decher, Bedeutung und Grenzen des Börsenkurses bei Zusammenschlüssen zwischen unabhängigen Unternehmen, FS Wiedemann, 2002, S. 787; Decher, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden Merger of Equals, FS Lutter, 2000, S. 1209; Gehling, Bezugspreis und faktischer Bezugsrechtsausschluss, ZIP 2011, 1699; Groß, Der Inhalt des Bezugsrechts nach § 186 AktG, AG 1993, 449; Groß, Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen: Offene Fragen bei der Anwendung des neuen § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, DB 1994, 2431; Groß, Bookbuilding, ZHR 1998, 318; Groß, Das Ende des so genannten „Greenshoe“?, ZIP 2002, 160; Habersack, Die Finanzierung der AG – gestern und heute, AG 2015, 613; Hein, Rechtliche Fragen des Bookbuildings nach deutschem Recht, WM 1996, 1; Heinsius, Bezugsrechtsausschluss bei der Schaffung von Genehmigten Kapital, FS Kellermann, 1990, S. 115; Henze, Schranken für den Bezugsrechtsausschluss, ZHR 167 (2003), 1; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986; Hoffmann-Becking, Neue Formen der Aktienemission, FS Lieberknecht, 1997, S. 25; Hoffmann-Becking, Ausgabebetrag bei Sacheinlagen, FS Wiedemann, 2002, S. 999; Ihrig, Geklärtes und Ungeklärtes zum Vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, Liber amicorum Wilhelm Happ, 2006, S. 109; Ihrig/Wagner, Volumengrenzen für Kapitalmaßnahmen der AG – Zu den aktienrechtlichen Höchstgrenzen bei Kapitalmaßnahmen, NZG 2002, 657; Kindler, Die sachliche Rechtfertigung des aktienrechtlichen Bezugsrechtsausschlusses im Lichte der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, ZHR 158 (1994), 339; Kindler, Bezugsrechtsausschluss und unternehmerisches Ermessen nach dem deutschen und europäischen Recht, ZGR 1998, 35; Kirchner-Sailer, Rechtsprobleme bei Einbringung und Verschmelzung, NZG 2002, 305; R. Krause, Die Gewährung von Aktien beim Unternehmenskauf, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 301; R. Krause, Atypische Kapitalerhöhungen im Aktienrecht, ZHR 181 (2017), 641; Krieger, Aktionärsklage zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, ZHR 163 (1999), 343; Krieger, Vorstandsbericht vor Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, FS Wiedemann, 2002, S. 1081; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 115; Lutter, Materielle und förmliche Erfordernisse eines Bezugsrechtsausschlusses, ZGR 1979, 401; Marsch-Barner, Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, AG 1994, 532; Martens, Der Ausschluss des Bezugsrechts: BGHZ 33, S. 175, FS Fischer, 1979, S. 437; Martens, Richterliche und gesetzliche Konkretisierungen des Bezugsrechtsausschlusses, ZIP 1994, 669; Martens, Die Bewertung eines Beteiligungserwerbs nach § 255 Abs. 2 AktG – Unternehmenswert kontra Börsenkurs, FS Bezzenberger, 2000, S. 267; Martens, Der Bezugsrechtsausschluss anlässlich eines ausländischen Beteiligungserwerbs, FS Steindorff, 1990, S. 150; Martens, Bewertungsspielräume bei Fusionen und fusionsähnlichen Strukturänderungen, FS Röhricht, 2005, S. 987; Mense/Klie, HV-Saison 2016: Aktuelle Trends und rechtliche Entwicklungen für die Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen, GWR 2016, 111; Meyer, Der „Greenshoe“ und das Urteil des Kammergerichts – Neue Entwicklungen bei der Ausgestaltung von Aktienplatzierungen, WM 2002, 1106; Paefgen, Justiziabilität des Verwaltungshandelns beim genehmigten Kapital, ZIP 2004, 145; Röhricht, Von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, ZGR 1999, 445; Schäfer, Zum Vorstandsbericht über die Inanspruchnahme eines genehmigten Kapitals und zu möglichen Folgen unvollständiger Berichterstattung, CFL 2011, 399; Schlitt/Schäfer, Alte und neue Fragen im Zusammenhang mit 10 %-Kapitalerhöhungen, AG 2005, 67; Schlitt/Seiler, Aktuelle Rechtsfragen bei Bezugsrechtsemissionen, WM 2003, 2175; Schlitt/Seiler/Singhof, Aktuelle Rechtsfragen und Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Wandelschuldverschreibungen, AG 2003, 254; Schockenhoff, Der rechtmäßige Bezugsrechtsausschluss, AG 1994, 45; Schwark, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss – Zur Auslegung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, FS Claussen, 1997, S. 357; Seibt/Voigt, Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken, AG 2009, 133; Sethe, Die Berichtserfordernisse beim Bezugsrechtsausschluss und ihre mögliche Heilung, AG 1994, 342; Sinewe, Die Relevanz des Börsenkurses im Rahmen des § 255 Abs. 2
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6 AktG, NZG 2002, 314; Stoll, Die Berichtspflicht im Nachgang zur Ausnutzung genehmigter Kapitalien, GWR 2011, 410; Technau, Rechtsfragen bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen („Underwriting Agreements“) im Zusammenhang mit Aktienemissionen, AG 1998, 445; Timm, Der Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital, DB 1982, 211; Tollkühn, Die Schaffung von Mitarbeiteraktien durch kombinierte Nutzung von genehmigten Kapital und Erwerb eigener Aktien unter Einschaltung eines Kreditinstituts, NZG 2004, 594; Trapp, Erleichterter Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG und Greenshoe, AG 1997, 115; Trölitzsch, Festlegung unterschiedlicher Ausgabekurse bei einem gekreutzen Bezugsrechtsausschluss, DB 1993, 1457; Vaupel/Reers, Kapitalerhöhungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften in der Krise, AG 2010, 93; Wegmann, Die „Aktiendividende“ der Deutschen Telekom AG, hv-magazin 2014, 24; Wettich, Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Hauptversammlungssaison 2014 und Ausblick auf 2015, AG 2014, 534; Winter/Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG, ZIP 2002, 1; Winter-Schieszl/Haberl, Scrip-Dividendenkonzept – Vorteile für Aktionär und Unternehmer, AG 2015, R8; Wirth/Arnold, Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien, ZGR 2002, 859; Zetzsche, Die Marktsondierung nach Art. 11 MAR – Pflichten der Sondierenden und der Marktgegenseite, AG 2016, 610.
I. Allgemeines 1. Bedeutung des Bezugsrechts Gesetzlicher Regelfall ist die Kapitalerhöhung, die jedem Aktionär Anspruch auf einen seiner bisherigen Beteiligungsquote entsprechenden Teil der neuen Aktien gewährt (§ 186 Abs. 1 AktG). Wird das Bezugsrecht ausgeübt, so verhindert es die Verwässerung des Kapital- und Stimmrechtsanteils des Aktionärs. Darüber hinaus transportiert das Bezugsrecht den Vermögenswert, der in der Ausgabe neuer Aktien zu günstigen Konditionen liegt. Diesen Vorteil kann der Aktionär durch Ausübung oder Veräußerung seines Bezugsrechts nutzen. Das Bezugsrecht gilt daher zu Recht als „elementarer Bestandteil der Mitgliedschaft des Aktionärs in der Gesellschaft“1. Es schützt vor Einflussverlust und Wertverwässerung. Entsprechendes gilt für das mittelbare Bezugsrecht gemäß § 186 Abs. 5 AktG.
6.1
Europarechtlich sieht Art. 72 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschafts-RL), der Art. 29 Abs. 1 der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie 77/91 vom 13.12.1976 übernommen hat, ein Bezugsrecht lediglich für die Kapitalerhöhung durch Bareinlagen vor. Dies steht jedoch Regelungen nationalen Rechts nicht entgegen, die ein Bezugsrecht auch bei Kapitalerhöhungen durch Sacheinlagen vorsehen und die Rechtmäßigkeit eines Bezugsrechtsauschlusses einer Inhaltskontrolle unterwerfen2. Gemäß Art. 72 Abs. 4 der Richtlinie darf das Bezugsrecht (für Barkapitalerhöhungen) nur durch Beschluss der Hauptversammlung beschränkt oder ausgeschlossen werden; dafür muss das Verwaltungs- oder Leitungsorgan der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Bezugsrechts erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs begründen3.
6.2
1 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 20 Rz. 14. 2 EuGH v. 19.11.1996 – C 42/95, Slg. 1996-I, 6017, 6034 = ZIP 1996, 2015, 2016. 3 Dazu u.a. EuGH v. 18.12.2008 – C 338/06, AG 2009, 283 ff.
Krause | 277
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
2. Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht 6.3
Kein gesetzliches Bezugsrecht besteht bei einer bedingten Kapitalerhöhung gemäß §§ 192 ff. AktG, bei Kapitalerhöhungen zur Durchführung einer Verschmelzung4 oder Spaltung (§§ 69 Abs. 1, 142 Abs. 1 UmwG) sowie bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Bei der bedingten Kapitalerhöhung wird das Bezugsrecht durch Vereinbarung zwischen dem Berechtigten und der Gesellschaft rechtsgeschäftlich begründet5; der Kreis der Bezugsberechtigten ergibt sich aus dem Zweck der Kapitalerhöhung, der im Kapitalerhöhungsbeschluss festzustellen ist (§§ 192 Abs. 2, 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Im Fall des § 192 Abs. 1 Nr. 1 AktG wird der Schutz der Altaktionäre durch ein Recht auf Bezug der vermittelnden Gläubigerrechte vorverlagert (§ 221 Abs. 4 AktG). §§ 69 Abs. 1, 142 Abs. 1 UmwG schließen die Anwendung von § 186 AktG aus, weil die neuen Aktien gerade nicht den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft gewährt werden sollen, sondern den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers; ein Bezugsrechtsausschluss durch Hauptversammlungsbeschluss ist daher nicht erforderlich. Aus anderen Gründen besteht auch bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kein Bezugsrecht der Aktionäre: § 212 Satz 1 AktG weist die neuen Aktien den Aktionären direkt zu; eines vermittelnden Bezugsrechts bedarf es nicht.
3. Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss 6.4
Bei der (regulären) Kapitalerhöhung kann das Bezugsrecht durch Beschluss der Hauptversammlung ausgeschlossen werden. Beim genehmigten Kapital kann der Ermächtigungsbeschluss entweder das Bezugsrecht unmittelbar ausschließen (§ 203 Abs. 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG) oder den Vorstand ermächtigen, über den Ausschluss zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 AktG). Der Bezugsrechtsausschluss ist bei Bar- und Sachkapitalerhöhungen möglich.
6.5
In jeder dieser Fallgruppen unterliegt der Bezugsrechtsausschluss engen formellen und materiellen Voraussetzungen.
6.6
Ein Sonderfall des Bezugsrechtsausschlusses ist in § 7 Abs. 3 FMStBG (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz) – geregelt6.
4. Faktischer Bezugsrechtsausschluss 6.7
Vom formellen Bezugsrechtsausschluss zu trennen ist der faktische Bezugsrechtsausschluss. Kennzeichnend dafür ist, dass zwar jeder Aktionär theoretisch einen seiner bisherigen Beteiligung entsprechenden Anteil der neuen Aktien zeichnen kann, der Bezug wird aber aus tatsächlichen Gründen so erschwert, dass er einem Ausschluss des Bezugsrechts gleicht oder nahe kommt. Dies kann an einem unangemessen hohen – bei börsennotierten Gesellschaften über dem Börsenkurs liegenden – Bezugspreis liegen7; Hintergrund dieser Gestaltung kann sein, einen sog. Backstop Investor zu gewinnen8. Aber auch hinderliche 4 Vgl. BFH v. 9.11.2010 – IX R 24/09, GmbHR 2011, 266: „Der verschmelzungsdurchführenden Kapitalerhöhung ist mithin ein Bezugsrechtsausschluss immanent.“ 5 Dazu ausführlich Lutter in KölnKomm. AktG, § 197 Rz. 3 ff. 6 Hierzu LG München v. 8.4.2010 – 5 HK O 12377/09 – Hypo Real Estate, AG 2010, 378 ff. 7 Gehling, ZIP 2011, 1699; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.95. 8 Hierzu Gehling, ZIP 2011, 1699 f.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Bezugsverhältnisse aufgrund eines ungewöhnlich hohen geringsten Ausgabebetrages9 oder die Verknüpfung des Bezugsrechts mit zusätzlichen Pflichten kommen in Betracht. Derartige Festsetzungen sind nur zulässig, wenn die formellen und materiellen Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss vorliegen10. Keinen faktischen Bezugsrechtsausschluss stellt es dar, wenn sich ein Bezugsangebot zwar gesellschaftsrechtlich an alle Aktionäre richtet, aber nur in Deutschland und ggf. ausgewählten ausländischen Jurisdiktionen veröffentlicht wird, um zusätzliche Anmelde- und Publikationserfordernisse zu vermeiden, die sich nach ausländischem Kapitalmarktrecht, etwa in Japan, Kanada oder den USA, ergeben würden. Zulässig sind auch flankierende Maßnahmen, mit denen der Emittent seine weltweite kapitalmarktrechtliche Compliance sicherstellt, etwa Regelungen in den sog. technischen Richtlinien, mit denen die Weiterleitung des Bezugsangebots durch die Depotbanken räumlich eingeschränkt wird11.
6.7a
II. Bezugsrechtsausschluss bei der regulären Kapitalerhöhung 1. Materielle Voraussetzungen a) Sachliche Rechtfertigung Wegen der Bedeutung des Bezugsrechts für die Aktionäre bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts einer besonderen sachlichen Rechtfertigung12. Der Bezugsrechtsausschluss muss „bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt“13 sein. Das mit dem Bezugsrechtsausschluss verfolgte Ziel muss dem Gesellschaftsinteresse dienen, zur Erreichung des Ziels muss der Bezugsrechtsausschluss das am besten geeignete Mittel sein, und die Interessen der Gesellschaft müssen die konkreten Nachteile für die Aktionäre überwiegen14. Damit gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der seine Grundlagen im Gleichheitssatz15 hat.
6.8
aa) Gesellschaftsinteresse Das Gesellschaftsinteresse wird durch den satzungsgemäßen Unternehmensgegenstand und den Zweck der Gesellschaft bestimmt. In diesem Rahmen ist Gesellschaftsinteresse alles, was zum Besten der Gesellschaft16 dient. Die Konkretisierung ist eine Frage unternehmerischer 9 Vgl. BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98 – Hilgers, ZIP 1999, 1444. 10 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 142; im Einzelnen Groß, AG 1993, 449, 454 ff.; ablehnend Gehling, ZIP 2011, 1699, 1700 f. (mit dem Hinweis, dass die Gesellschaftsorgane bei der Festsetzung des Bezugskurses durch aktienrechtliche Treuepflichten in ihrem Gestaltungsspielraum eingeschränkt sein können). 11 R. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 648 f. 12 Rodloff, ZIP 2003, 1076 ff.; relativierend Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1934 f. und Kindler, ZHR 158 (1994), 334, 358 ff. 13 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali + Salz, BGHZ 71, 40, 46; ebenso BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319, 321 = AG 1982, 252. 14 So die Formel im BGH-Urteil v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321 = AG 1982, 252 und im BGH-Urteil v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239, 244 = AG 1994, 276; vgl. auch LG Kiel v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, juris, Rz. 64. 15 Vgl. BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175, 186. 16 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 50.
Krause | 279
6.9
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
Wertung. Weder eine existenzielle Relevanz noch eine überragende Wichtigkeit der Entscheidung für die Gesellschaft sind erforderlich17. Bei der Sachkapitalerhöhung misst sich das Gesellschaftsinteresse an der Bedeutung der Sacheinlage für die Gesellschaft und der Notwendigkeit, dafür neue Aktien auszugeben. Bei der Barkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss sind neben dem Kapitalbedarf die Kosten, der Zeitaufwand sowie der mögliche Platzierungspreis einer Bezugsemission zu betrachten. Nicht genügt das Konzerninteresse, zugunsten des Mehrheitsaktionärs die Möglichkeit eines Squeeze-out zu schaffen18. bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit
6.10 Der Bezugsrechtsausschluss muss entweder das einzige oder „das am besten geeignete Mit-
tel“19 sein, um den Zweck der Maßnahme zu erreichen20. Ziel ist die größtmögliche Schonung der Altaktionäre. Könnte der Zweck auch durch eine Kapitalerhöhung mit gesetzlichem Bezugsrecht erreicht werden, fehlt es an der Erforderlichkeit. Geeignetheit und Erforderlichkeit sind einer wertenden Betrachtung zugänglich; Hauptversammlung und Verwaltung haben einen Beurteilungsspielraum. cc) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
6.11 Mittel und Zweck sind verhältnismäßig, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Maß-
nahme die Nachteile für die Aktionäre überwiegt. Nachteilig für die Aktionäre ist der Bezugsrechtsauschluss wegen der Verwässerungswirkung, die eine Einflussminderung und unter Umständen auch eine Wertminderung bedeuten kann. Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind daher insbesondere die Bedeutung des Stimmverlustes, die Höhe des Vermögensverlustes bei Ausgabe der jungen Aktien unter dem Börsenwert oder ihrem inneren Wert sowie Zukaufsmöglichkeiten zur Kompensation21. Je schwerer die Interessen der Aktionäre wiegen, desto dringender muss das Interesse der Gesellschaft an der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss sein. Dabei können auch quantitative Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Je mehr Aktionäre dem Bezugsrechtsausschluss zugestimmt haben, desto weniger Gewicht haben die Aktionärsinteressen. Maßgeblich ist stets der Einzelfall im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Der Verwaltung steht ein nicht unerhebliches Beurteilungsermessen22 zu. Sie muss „nach pflichtgemäßer kaufmännischer Prüfung der Überzeugung sein […], der Ausschluss sei das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen“23. In der Praxis haben sich insbesondere die unten (Rz. 6.14 ff.) dargestellten Fallgruppen herausgebildet. b) Verwässerungsschutz gemäß § 255 Abs. 2 AktG
6.12 Neben das Erfordernis sachlicher Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses tritt der be-
sondere Verwässerungsschutz aus § 255 Abs. 2 AktG. Nach dieser Vorschrift kann die An-
17 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 49; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 77. 18 OLG Schleswig v. 18.12.2003 – 5 U 30/03, AG 2004, 155, 158. 19 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321 = AG 1982, 252. 20 Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 84; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 27. 21 Hierzu Röhricht, ZGR 1999, 445, 475 f. 22 Dazu zusammenfassend Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 36. 23 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321 = AG 1982, 252.
280 | Krause
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
fechtung einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss24 auch darauf gestützt werden, „dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestnennbetrag, unter dem die neuen Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist.“ Ausgabebetrag ist bei der Barkapitalerhöhung der im Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 182 Abs. 3 AktG festgesetzte Betrag; fehlt eine solche Festsetzung, ist auf den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) abzustellen25. Barkapitalerhöhungen, die in den Anwendungsbereich des § 255 Abs. 2 AktG fallen, sind in der Praxis selten. Für diese Fälle wird verbreitet eine vollständige Unternehmensbewertung nach den Bewertungsgrundsätzen des Instituts für Wirtschaftsprüfer (IDW S1) gefordert, um den wahren inneren Wert des Unternehmens der Gesellschaft zu ermitteln26.
6.12a
Bei der entsprechenden Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG auf die Sachkapitalerhöhung tritt an die Stelle des Ausgabebetrages der Wert der Sacheinlage; der geringste oder ein anderer im Hauptversammlungsbeschluss festgesetzter Ausgabebetrag der Aktien spielt keine Rolle27. Vergleichsgröße ist der Wert der auszugebenden Aktien. Ob es bei börsennotierten Gesellschaften auch in diesen Fällen heute noch auf den inneren Wert der Aktien ankommt28, erscheint fraglich. Zwar lässt sich § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, der auf den Börsenkurs abstellt, nicht verallgemeinern29. Bei Sachkapitalerhöhungen zum Erwerb eines Unternehmens im Rahmen eines Anteilstausches ist aber der Börsenkurs der Aktien zulässigerweise zu berücksichtigen, da er aus Sicht des Verkäufers/Inferenten den zeitnah realisierbaren und damit relevanten Wert der ihm gezahlten Gegenleistung ausmacht30. Andernfalls wäre es für den Verkäufer der Sacheinlage besser, den Kaufpreis (ggf. als Vorschuss) in bar zu erhalten, um dafür über die Börse eine höhere Anzahl Aktien zu erwerben. Eine Unternehmensbewertung des Emittenten nach den Bewertungsgrundsätzen des Instituts für Wirtschaftsprüfer (IDW S1) sollte daher nicht erforderlich sein31.
6.12b
Hinsichtlich des Wertes der Sacheinlage sowie der zu ermittelnden Wertrelation ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
6.12c
– Eine Bewertung nach IDW S1 ist nicht erforderlich, soweit der Wert der Sacheinlage nach anderen Bewertungskriterien ermittelt werden kann32. 24 Dazu gehören nach h.M. auch die bedingte Kapitalerhöhung, Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 1, 4, sowie die Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung oder Spaltung, Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 516. 25 Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 17; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 519 f. Allerdings kann ein unangemessen niedriger (Mindest-)Ausgabebetrag dadurch geheilt werden, dass der Vorstand einen angemessenen Ausgabekurs festsetzt, K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 255 Rz. 12 f. a.E.; Scholz in MünchHdb. AG, § 48 Rz. 30. 26 Austmann in MünchHdb. AG, § 42 Rz. 187. 27 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali + Salz, BGHZ 71, 40, 50; Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 16; Hoffmann-Becking in FS Wiedemann, 2002, S. 999, 1004. 28 So BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali + Salz, BGHZ 71, 40, 51 („wirklicher, unter Einschluss stiller Reserven und des inneren Geschäftswerts zu ermittelnde[r] Wert.“); OLG Frankfurt a.M. v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, AG 1999, 231, 232 f. 29 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 26, 29. 30 Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267, 279 ff.; Martens in FS Röhricht, 2005, S. 987 ff.; Röhricht in Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, S. 191, 221; Sinewe, NZG 2002, 314, 316 f.; a.A. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 51; kritisch auch Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 13; vgl. auch Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 141. 31 OLG Frankfurt a.M. v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2010, 631, 637 Rz. 142. 32 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 48.
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§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
– Ist Sacheinlage eine börsennotierte Gesellschaft, wäre es verkürzt, das Umtauschverhältnis ausschließlich nach dem Verhältnis der Börsenkurse zu bestimmen, auch wenn dieser Maßstab bei einer share-for-share Übernahme durch §§ 5, 7 der WpÜG-Angebotsverordnung übernahmerechtlich den Mindestpreis markiert. – Verbundvorteile (Synergieeffekte), die den Wert der Sacheinlage für die Gesellschaft erhöhen33, können ebenso berücksichtigt werden wie strategische Effekte oder die Einmaligkeit der Erwerbschance („scarcity value“) für den Emittenten34. Bei der Ermittlung dieser Faktoren sowie deren Quantifizierung steht den Organen des Emittenten nach richtiger Ansicht eine gerichtlich nicht überprüfbare Entscheidungsprärogative zu.
6.13 Gleiches gilt für die Frage, welches „Umtauschverhältnis“ (noch) „angemessen“ ist. Leit-
linie ist die Anforderung, die Aktien bestmöglich abzugeben35. Dafür maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles36. Die Hauptversammlungsmehrheit – beim genehmigten Kapital Vorstand und Aufsichtsrat (s. Rz. 6.52) – hat bzw. haben einen breiten Entscheidungs- und Bewertungsspielraum. Dabei können u.a. herangezogen werden: – die Interessen der Gesellschaft an der Gewinnung neuer Aktionäre oder Aktiva; – die jeweils konkrete Verhandlungssituation, insbesondere ein zwischen gleichwertigen Parteien ausgehandeltes Umtauschverhältnis37;
– der Umfang einer potentiellen Wertverwässerung, der bei einer geringfügigen Kapitalerhöhung geringer ist als bei einer „Jumbo“-Kapitalerhöhung. c) Fallgruppen aa) Barkapitalerhöhung
6.14 Bei der Barkapitalerhöhung ist besonders kritisch zu prüfen, ob der Bezugsrechtsausschluss
im Einzelfall das am besten geeignete Mittel zur Verfolgung eines Gesellschaftsinteresses ist. Ein Bezugsrechtsausschluss kommt insbesondere in folgenden Fällen in Betracht: (1) Vermeidung von Spitzenbeträgen
6.15 Zur Vermeidung von „Spitzen“ ist es nach Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich
zulässig, das Bezugsrecht auszuschließen38. Neue Aktien werden von der Zuteilung an Altaktionäre ausgenommen, um glatte Bezugsverhältnisse zu ermöglichen. Die Glättung kann rechnerisch notwendig (z.B.: Erhöhung von 1.000 Euro auf 1.104 Euro: Bezugsverhältnis 10:1 sowie Ausgabe von vier Aktien unter Bezugsrechtsausschluss anstelle eines Bezugsverhältnisses von 9,6154 : 1) oder zur Erleichterung der Zeichnung im Interesse der Klein-
33 OLG Jena v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, AG 2007, 31, 35, OLG Frankfurt a.M. v. 7.12.2010 – 5 U 29/10, WM 2011, 116, 125 f. = AG 2011, 173; Stilz in Spindler/Stilz, AktG, § 255 Rz. 19. 34 Martens in FS Röricht, 2005, S. 987, 994. 35 Dazu insbes. Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 583 ff. 36 K. Schmidt in Großkomm. AktG, § 255 Rz. 12; Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 5; Stilz in Spindler/Stilz, AktG, § 255 Rz. 19. 37 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 48 m.w.N. 38 Vgl. nur BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 323 = AG 1982, 252; OLG Frankfurt v. 15.4.1986 – 5 U 191/84, WM 1986, 615, 617 = AG 1991, 206; OLG Stuttgart v. 20.12.2000 – 20 U 45/00, AG 2001, 200, 201; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 155; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 95.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
aktionäre gerechtfertigt sein (z.B.: Erhöhung von 1 000 Euro um 600 Euro auf 1 600 Euro: Statt Bezugsverhältnis 10:6 wird Bezugsverhältnis 2:1 sowie Bezugsrechtsausschluss für 100 Aktien festgesetzt)39. Der erste Fall führt zu sog. technischen Spitzen, der zweite Fall zu sog. gewillkürten Spitzen. Allerdings sind auch die technischen Spitzen gewillkürt, weil die Gesellschaft den Erhöhungsbetrag theoretisch so wählen könnte, dass Spitzen vermieden werden. Daraus folgt eine vorrangige Pflicht, den Erhöhungsbetrag so festzulegen, dass praktikable und glatte Bezugsverhältnisse ohne Spitzen entstehen40. Durch den Bezugsrechtsausschluss frei werdende Aktien sind bestmöglich für Rechnung der Gesellschaft zu verwerten. Die Frage, ob diese Spitzen im Sinne eines Nachbezugsrechts vorrangig den Altaktionären anzubieten sind, sollte sich in der Praxis nicht stellen41. Der Erhöhungsbetrag ist vielmehr so zu begrenzen, dass die Spitzen nicht ins Gewicht fallen. Keinen Fall bezugsrechtsloser „Spitzen“ stellt es dar, wenn ein Aktionär bei einer Bezugsrechtsemission nicht über die genau passende Zahl von Aktien verfügt, um „ohne Rest“ neue Aktien zu beziehen. Bei einem Bezugsverhältnis von 2:1 entstehen für diejenigen Aktionäre, die eine ungerade Zahl von Aktien halten, also nicht etwa bezugsfreie Spitzen von jeweils einer Aktie. Vielmehr entfällt in diesem Beispiel auch auf die jeweils letzte ungerade Aktie eines Aktionärs ein Bezugsrecht, welches dieser veräußern oder durch Zuerwerb weiterer Bezugsrechte so aufstocken kann, dass der Bezug einer ganzen neuen Aktie ermöglicht wird42. Nach richtiger Ansicht43 ist die Gesellschaft in diesen Fällen nicht verpflichtet, einen Bezugsrechtshandel zu organisieren. Auch ein faktischer Bezugsrechtsausschluss liegt darin grundsätzlich nicht; anders kann es liegen, wenn das gewählte Bezugsverhältnis sachlich nicht zu rechtfertigen ist.
6.15a
(2) Ausgabe von Belegschaftsaktien Die Beteiligung von Arbeitnehmern am Kapital der Gesellschaft oder mit ihr verbundener Unternehmen ist in §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 192 Abs. 2 Nr. 3, 202 Abs. 4, 203 Abs. 3 AktG als förderungswürdig anerkannt. Hieraus wird allgemein abgeleitet, dass auch der Bezugsrechtsausschluss zur Ausgabe von Belegschaftsaktien in angemessenem Umfang gerechtfertigt ist44. Verbreitet ist die Gestaltung, die neuen Aktien zunächst durch ein Kreditinstitut zeichnen zu lassen und nach einem Rückerwerb durch die Gesellschaft zu einem günstigen Kurs an die Arbeitnehmer zu veräußern45.
6.16
(3) Bedienung von Wandel- und Optionsanleihen Die Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen unter Bezugsrechtsausschluss bedarf sachlicher Rechtfertigung wie die Ausgabe von Aktien unter Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 AktG). Ist diese Hürde genommen, oder wurden Wandel- oder Optionsrechte unter Wahrung des Bezugsrechts der Aktionäre ausgegeben, ist die Bedienung dieser Rechte durch Aktiengewährung nicht nochmals an § 186 AktG zu messen. Dies gilt für das bedingte Kapital ohnehin (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) und muss auch für die Ausgabe von 39 40 41 42 43 44
Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, S. 62 f. Zutreffend Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.83. So aber Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 155. Abweichend Schlitt/Sailer, WM 2003, 2175, 2177. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 7 m.w.N. Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 156; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 96; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 323 = AG 1982, 252; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 292 = AG 2000, 475; i.E. auch Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 29. 45 Kritisch Tollkühn, NZG 2004, 594 ff.
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6.17
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
Aktien aus einer regulären Kapitalerhöhung oder aus genehmigtem Kapital gelten46. Anders ist die Rechtslage, wenn Aktien unter Bezugsrechtsausschluss ausgegeben werden, um Inhabern von Wandel- und Optionsanleihen zusätzliche Aktien als Ausgleich für eine (Wert-) Verwässerung ihrer Rechte zu gewähren, die durch eine andere Kapitalmaßnahme verursacht wird. In diesem Fall bedarf der Bezugsrechtsausschluss sachlicher Rechtfertigung nach den allgemeinen Regeln47. (4) Gewährung von Aktien als Voraussetzung für Kooperationen
6.18 Verlangt ein Partner als Voraussetzung für eine Kooperation eine Beteiligung, kann der
Ausschluss des Bezugsrechts gerechtfertigt sein, wenn die Zusammenarbeit im Interesse der Gesellschaft liegt48, insbesondere in Sanierungssituationen49. Die Vorteile der Zusammenarbeit, etwa die Förderung oder Sicherung der Stellung im Markt, sowie die Notwendigkeit der Ausgabe neuer Aktien an den Partner sind anhand der Besonderheiten des Einzelfalls zu prüfen. (5) Börseneinführungen
6.19 Den für eine (zusätzliche) Auslandsplatzierung erforderlichen Bezugsrechtsausschluss hält
der BGH für sachlich gerechtfertigt, wenn eine breite Streuung der neuen Aktien vorgenommen und der Ausgabekurs an den aktuellen Börsenkurs angelehnt wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob lediglich eine Erweiterung der Präsenz an Plätzen, an denen die Aktie bereits eingeführt ist, angestrebt wird, oder die Einführung an einer Börse erfolgt, an der die Aktie bisher nicht gehandelt wird50. Daraus wird man eine Privilegierung der Auslandsplatzierung gegenüber der Erweiterung der Börsenpräsenz im Inland ableiten können, soweit die Auslandsplatzierung im Einzelfall besondere Vorteile mit sich bringt, etwa eine Verbesserung des Profils und Standings der Gesellschaft auf dem Kapitalmarkt oder die Vorbereitung eines ausländischen Beteiligungserwerbs51.
6.20 Bei der erstmaligen Inlandsplatzierung ist es schwieriger, die Interessen der Altaktionäre
hinter die Finanzierungs- und Kapitalmarktinteressen der Gesellschaft zurücktreten zu lassen. Der Bezugsrechtsausschluss ist in diesen Fällen nicht schon dadurch gerechtfertigt, dass eine ausreichend breite Streuung der zuzulassenden Aktien (vgl. § 9 BörsZulV) nicht anders zu erreichen ist. Hinzutreten muss das überwiegende Interesse der Gesellschaft, für die konkret anstehende Finanzierung den Kapitalmarkt zu nutzen52.
(6) Optimierung der Platzierung/Sanierung
6.21 Noch nicht abschließend geklärt ist, inwieweit bestimmte Situationen am Kapitalmarkt
den Ausschluss des Bezugsrechts rechtfertigen können. Dabei geht es vor allem um die 46 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 30; zweifelnd Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 157 f. 47 Hierzu Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, S. 115. 48 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 323 = AG 1982, 252; Martens in FS Fischer, 1979, S. 437, 448. 49 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 119j; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 100. 50 BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239, 245 f. = AG 1994, 276. 51 Im Einzelnen Martens in FS Steindorff, 1990, S. 150, 160 f.; vgl. auch LG München I v. 3.5.1990 – 12 HKO 15563/89, AG 1991, 73, 74. 52 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 31; im Einzelnen Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, S. 118 ff.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Frage, ob das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann, wenn eine Bezugsrechtsemission nicht oder nicht zu optimalen Bedingungen platziert werden könnte. Nach h.M. kann allein die Absicht, einen gegenüber der Bezugsrechtsemission höheren Ausgabekurs zu erzielen, den Bezugsrechtsausschluss ebenso wenig rechtfertigen53 wie die vermutete fehlende Zeichnungsbereitschaft der Altaktionäre54. Außerhalb einer Sanierungssituation (dazu sogleich unter Rz. 6.22) kann der Ausschluss des Bezugsrechts allenfalls in Extremfällen durch den Vorteil gerechtfertigt sein, bei schwierigem Börsenumfeld Eigenmittel zügig (ohne die zweiwöchige Bezugsfrist nach § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG), ohne Platzierungsrisiko und ggf. ohne Prospektpflicht nach der Prospektverordnung zu schöpfen55. Liegt ein solcher Extremfall vor, steht der bezugsrechtsfreien Emission auch nicht die 10 %-Grenze des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG entgegen. Sicherer ist stets der Weg über § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. In Sanierungsfällen56 ist die „en bloc“-Vergabe neuer Aktien an einen Investor häufig das einzige erfolgversprechende und dann zulässige Mittel zur Rettung der Gesellschaft57. Eine Zuweisung der neuen Aktien an einen Großaktionär ohne weitere Begründung reicht aber auch in diesen Fällen nicht aus58. Der Bezugsrechtsausschluss ist beispielsweise gerechtfertigt, wenn ein sanierungswilliger Partner seinen Sanierungsbeitrag von einer abgesicherten Beteiligung abhängig macht59, oder bei Umwandlung von Fremdverbindlichkeiten in Eigenkapital (sog. Debt to Equity-Swap)60. Im Einzelfall kann es ausreichen, dass durch den Bezugsrechtsausschluss ein höherer Ausgabebetrag erreicht werden kann61.
6.22
(7) Abwehrmaßnahmen Da die Gesellschaft grundsätzlich kein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Aktionärsstruktur hat62, ist die bezugsrechtslose Kapitalerhöhung als Abwehrmaßnahme (durch Zuwendung neuer Aktien an einen erwünschten Aktionär oder durch Verwässerung der Beteiligung eines unerwünschten Aktionärs) nur dann zulässig, wenn andere Gesellschaftsinteressen als der bloße „Überfremdungsschutz“ auf dem Spiel stehen63. Auch die drohende Konzernierung reicht nicht64, zumal die Interessen der übri53 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 33; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 101; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 113; a.A. Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 119i; Timm, DB 1982, 211, 215. 54 OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292, 293; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 33; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 113. 55 Zur Bezugsrechtsemission vgl. § 5. 56 Z.B. HeidelbergCement (2003), SGL Carbon (2004), Escada (2003 und 2008), IKB (2008), Premiere (2008). 57 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444, 2446 = AG 1982, 252; LG Heidelberg v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257, 1258; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 95; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 143 f.; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 100; a.A. Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 113; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 541. 58 LG Frankfurt v. 13.10.2003 – 3/1 O 50/03, DB 2003, 2541. 59 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444, 2446 = AG 1982, 252. 60 Sydow/Beyer, AG 2005, 635, 637. 61 Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 95; vgl. LG München v. 8.4.2010 – 5 HKO 12377/09, AG 2010, 378, 382. 62 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 121. 63 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 32. 64 Martens in FS Fischer, 1979, S. 437, 452; a.A. wohl Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 161 und Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 32.
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6.23
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
gen Aktionäre durch die WpÜG-Regeln zum Übernahme- und Pflichtangebot angemessen geschützt sind. Anders ist es nur, wenn konkrete Nachteile zulasten der Gesellschaft (Schädigung, Vernichtung) drohen65.
6.24 Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots trifft den
Vorstand allerdings das Verhinderungsverbot der §§ 33, 33a WpÜG. § 33 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 WpÜG erlaubt Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Gesellschaft zugestimmt hat. Dies schließt die Ausgabe neuer Aktien aus genehmigtem Kapital mit Zustimmung des Aufsichtsrats ein66. Insoweit ist zu entscheiden, ob es im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt, die Kapitalerhöhung umzusetzen, obwohl sie geeignet ist, das Übernahmeangebot scheitern zu lassen und den eigenen Aktionäre damit die Chance zu nehmen, das Angebot anzunehmen. Eine Quantifizierung dergestalt, dass das Gesellschaftsinteresse diese Aktionärsinteressen „deutlich überwiegen“ müsse67, ist ebenso wenig zu fordern68 wie eine noch weiter gehende Pflicht des Aufsichtsrats zur Neutralität69. Auf berechtigte Integritätsinteressen des Bieters, die etwa betroffen sind, wenn sich das Angebot durch die Ausgabe der Aktien erheblich verteuern würde, muss aber Rücksicht genommen werden. (8) Gekreuzter Bezugsrechtsausschluss
6.25 Das Bezugsrecht ist nach bisher ganz h.M. „gattungsblind“: Auch dann, wenn bereits meh-
rere Gattungen bestehen, hat jeder Aktionär bei der Ausgabe verschiedener Gattungen ein Recht zum Bezug eines entsprechenden Anteils jeder Gattung70. Nach anderer Auffassung besteht nur ein Gattungsbezugsrecht, das sich jedenfalls bei verhältnismäßiger Aufstockung verschiedener Gattungen auf den Bezug neuer Aktien der bisher gehaltenen Gattung beschränkt71. Auf der Grundlage des von der bisher h.M. angenommenen „Mischbezugsrechts“ erhalten Stammaktionäre demgegenüber auch Vorzugsaktien und umgekehrt. Jedoch folgt aus dem Zweck des Bezugsrechts, jedenfalls aber aus der Wertung des § 216 Abs. 1 Satz 1 AktG, dass ein gekreuzter Bezugsrechtsausschluss, mit dem eine gattungsbezogene Zuteilung der neuen Aktien unter Wahrung des Verhältnisses der Gattungen zueinander festgesetzt wird, ohne Weiteres zulässig ist72. Angesichts des Streits zwischen Gattungs- und Mischbezugsrecht wird in der Praxis meist ein solcher Bezugsrechtsausschluss vorgesehen.
65 So BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175, 186; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 119k; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 120. 66 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 8 f.; ausführlich Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 142 f.; a.A. Bayer, ZGR 2002, 588, 614 und Hirte, ZGR 2002, 623, 647 (Erforderlichkeit eines Beschlusses nach § 33 Abs. 2 WpÜG). 67 So aber Schlitt in MünchKomm. WpÜG, § 33 Rz. 173; Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10 f. 68 Wie hier H. Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 33 Rz. 186 (ebenso für den Vorstand bei Rz. 178); Heyers, DB 2017, 231, 233. 69 Winter/Harbarth, ZIP 2002, 1, 10 f. 70 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 48 f.; Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859, 964; a.A. etwa Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 105. 71 Frey/Hirte, DB 1989, 2265, 2266 f.; Groß, AG 1993, 449, 451 f.; sowie Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 48 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 4 und 30. 72 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 119d; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 30; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 97; LG München I v. 2.4.1992 – 5 HKO 8840/91, AG 1993, 195 f.; zur Festlegung der Ausgabekurse Trölitzsch, DB 1993, 1457.
286 | Krause
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
(9) Gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung Kein Bezugsrechtsausschluss liegt vor, wenn im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzt wird, dass ein Teil der Aktien gegen Bar- und ein anderer gegen Sacheinlage ausgegeben und dabei bestimmt wird, welcher Aktionär die Sacheinlage leistet73. In diesem Fall hat jeder Aktionär entsprechend seiner Beteiligung Anteil an der Kapitalerhöhung; lediglich der Gegenstand der Einlage ist unterschiedlich. Sicherzustellen ist jedoch, dass der Ausgabebetrag der neuen Aktien für alle Aktionäre gleich ist und der Sacheinleger den Ausgabebetrag durch die Sacheinlage voll erbringt74. In der Praxis empfiehlt es sich gleichwohl, vorsorglich einen Ausschluss des Bezugsrechts vorzusehen, dazu aber zu erläutern, dass wirtschaftlich das Bezugsrecht der Aktionäre durch die vorgesehene Bezugsrechtsregelung voll gewahrt bleibt. Nicht abschließend geklärt sind die Rechtschutzmöglichkeiten im Fall einer (objektiven) Überbewertung der Sacheinlagen. Auch wenn sich ein (formaler) Bezugsrechtsausschluss durch die Kombination mit der Barkomponente vermeiden ließe, bleibt die Gefahr einer wirtschaftlichen Verwässerung, so dass die (analoge) Anwendung von § 255 Abs. 2 AktG naheliegt75.
6.26
bb) Sachkapitalerhöhung Das Erfordernis sachlicher Rechtfertigung gilt in gleicher Weise für die Sachkapitalerhöhung76, also insbesondere den Unternehmenserwerb. Dass in den wirtschaftlich vergleichbaren Fällen der Verschmelzung und der Ausgabe von Aktien aus bedingtem Kapital (§ 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG) kraft Gesetzes kein Bezugsrecht besteht (vgl. Rz. 6.3), spricht nicht dagegen.
6.27
(1) Grundsätze Bei Sachkapitalerhöhungen ist insbesondere kritisch, ob der Bezugsrechtsausschluss das am besten geeignete und damit für die Altaktionäre schonendste Mittel ist, um den Zweck der Maßnahme zu erreichen. Die Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss konkurriert insofern mit anderen Möglichkeiten, den Erwerb zu finanzieren, insbesondere einer kombinierten Bar-/Sachkapitalerhöhung ohne Bezugsrechtsausschluss oder einer Bar-Bezugsrechtsemission77. In Sanierungssituationen, in denen die Gesellschaft ein dringendes Interesse an der Tilgung einer Forderung hat, kann die Einbringung der Forderung gegen Ausgabe neuer Aktien unter Bezugsrechtsausschluss (debt equity swap) gerechtfertigt sein78. In 73 Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, S. 81; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 183; Groß, AG 1993, 449, 453; a.A. Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 183 Rz. 194; Lutter, ZGR 1979, 401, 406; einschränkend auch Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 186 Rz. 123. 74 Im Einzelnen Groß, AG 1993, 449, 453 f. 75 So OLG Jena v. 12.10.2006 – 6 W 452/06 – Carl Zeiss Meditec, ZIP 2006, 1989, 1993 ff.; offen lassend OLG Frankfurt v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, AG 1999, 231, 232 f.; a.A. Lappe, BB 2000, 313, 316 f. 76 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 46 f.: Bezugsrechtsausschluss sei jedenfalls dann nicht zu beanstanden, „wenn die Gesellschaft nach vernünftiger kaufmännischer Überlegung ein dringendes Interesse am Erwerb des Gegenstandes hat und zu erwarten ist, der damit angestrebte und allen Aktionären zugute kommende Nutzen werde den verhältnismäßigen Beteiligungs- und Stimmrechtsverlust der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegen.“ Großzügiger Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 122. 77 Zusammenfassend Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 120 f. 78 Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 117; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 35; Füchsel, BB 1972, 1533, 1538; strenger Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 169.
Krause | 287
6.27a
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
geeigneten Fällen kann auch die Wertung des (an sich nicht analogiefähigen) § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG fruchtbar gemacht werden, um einen Bezugsrechtsausschluss bei Sachkapitalerhöhungen zu rechtfertigen79. (2) Aktiendividende
6.27b
Gelegentlich findet sich in Ermächtigungsbeschlüssen zur Schaffung genehmigten Kapitals ein Bezugsrechtsausschluss zur Durchführung einer sogenannten Aktiendividende (scrip dividend80), bei der den Aktionären angeboten wird, ihren Dividendenanspruch wahlweise als Sacheinlage gegen Gewährung neuer Aktien aus genehmigtem Kapital einzulegen.
6.27c Grundsätzlich ist für diesen Fall der Sachkapitalerhöhung kein Bezugsrechtsausschluss erforderlich. Jeder Aktionär hat im Verhältnis seiner Beteiligung am Grundkapital die Möglichkeit, das Angebot der Aktiendividende gegen Einbringung seines Dividendenanspruchs anzunehmen81.
6.27d
Ein Bezugsrechtsausschluss ist auch nicht erforderlich, soweit Aktionäre für Teile des Dividendenanspruchs, der den Bezugspreis für eine ganze Aktie nicht erreicht (bzw. diesen übersteigt), auf den Bezug der Bardividende verwiesen werden und insoweit keine Aktien zeichnen können. Denn auch die Aktien, auf die diese „Dividendenspitzen“ entfallen, vermitteln ein Bezugsrecht. Es kann veräußert oder durch Zuerwerb weiterer Bezugsrechte (und korrespondierender Dividendenansprüche) so aufgestockt werden, dass der Bezug einer ganzen neue Aktie ermöglicht wird82.
6.27e
Nicht zulässig erscheint demgegenüber ein Bezugsrechtsausschluss gegenüber allen Aktionären mit dem Ziel, allen dividendenberechtigten Aktionären unter Wahrung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) neue Aktien zum Bezug gegen Einlage ihres Dividendenanspruchs anzubieten, ohne an die Beschränkungen des § 186 Abs. 1 AktG (Mindestbezugsfrist von zwei Wochen) und § 186 Abs. 2 AktG (Bekanntgabe des Ausgabebetrags spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist) gebunden zu sein. Die Geltung dieser Fristen ist zwingend; sie können nicht durch einen formellen Bezugsrechtsausschluss kombiniert mit der „freiwilligen“ Einräumung eines Rechts auf Bezug neuer Aktien abbedungen werden83. (3) Anfechtbarkeit der Sachkapitalerhöhung nach § 255 Abs. 2 AktG
6.28 Zu praktischen Schwierigkeiten führt die Anfechtbarkeit des Kapitalerhöhungsbeschlus-
ses nach § 255 Abs. 2 AktG (vgl. Rz. 6.12). Sie eröffnet dem Anfechtungskläger die Wertrüge; für die Gesellschaft ist dies der mit den größten Unwägbarkeiten verbundene Anfechtungsgrund84. Sachkapitalerhöhungen zum Zweck des Beteiligungserwerbs wurden daher in der Praxis häufig entweder durch Ausnutzung eines genehmigten Kapitals durch-
79 Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 112. 80 Allgemein Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 183 Rz. 5; Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a; R. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646; Wegmann, hv-magazin 2014, 24 f.; Wettich, AG 2014, 534, 535 f. 81 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 37; R. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 647. 82 Zum gesamten Thema vgl. R. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 648; vgl. auch bei Rz. 6.15a. 83 Kritisch auch Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a („nicht unbedenklich“); zur zweiwöchigen Bezugsfrist vgl. auch Art. 72 Abs. 3 Satz 2 RL 2017/1132 vom 14. Juli 2017 (GesellschaftsrechtsRL): Frist darf nicht kürzer sein als 14 Tage. 84 R. Krause, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 301, 302.
288 | Krause
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
geführt oder in Gestaltungen verlagert, in der sowohl die erwerbende Gesellschaft als auch die Zielgesellschaft auf eine NewCo verschmolzen (z.B. ThyssenKrupp) oder von ihr erworben (z.B. DaimlerChrysler85) werden. Im Freigabeverfahren (§ 246a AktG) sollte die beklagte Gesellschaft jedoch in der Regel gute Erfolgsaussichten haben. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile gemäß § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG streiten die mit einer Verzögerung verbundenen Nachteile für die antragstellende Gesellschaft und ihrer Aktionäre (mit Ausnahme der Kläger)86 gegen die Interessen der Anfechtungskläger, und nur diese87. Ein „besonders schwerer Rechtsverstoß“ i.S.v. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG dürfte bei bloßen Bewertungsmängeln nicht vorliegen88. Die Praxis sichert sich in diesen Fällen zusätzlich dadurch ab, dass die Wertrelation mit Ertragswerten unterlegt wird. die nach IDW S-1 (so Telefónica/E-Plus 2014 und TUI/Travel 2014) oder anderen branchenbezogenen fundamentale Bewertungsmethoden ermittelt werden (so Net Asset Value (NAV)-Verfahren bei Vonovia/Deutsche Wohnen 2015).
6.28a
2. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG a) Sinn und Zweck der Regelung Gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ist der Ausschluss des Bezugsrechts bei börsennotierten Gesellschaften „insbesondere dann zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet.“ Das Gesetz geht in diesen Fällen der Barkapitalerhöhung davon aus, dass weder ein relevanter Einflussverlust noch eine Wertverwässerung drohen89. Die Wertverwässerung ist schon deshalb zu vernachlässigen, weil die Ausgabe der Aktien zu einem Preis nahe am Börsenkurs erfolgt. Einen Einflussverlust kann jeder Aktionär durch Nachkauf über die Börse ausgleichen. Der Aktionär steht daher im Wesentlichen so, als habe er ein Bezugsrecht90.
6.29
b) Kapitalgrenze 10 % Die Kapitalgrenze von 10 % bezieht sich auf die Höhe des im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorhandenen gesamten Grundkapitals, und zwar auch dann, wenn nur ein Teil der Aktien börsennotiert ist. Zum Grundkapital zählen auch bereits ausgegebene Bezugsaktien (§ 200 AktG); im Übrigen ist der im Handelsregister eingetragene Betrag des Grundkapitals maßgeblich.
85 Dazu Decher in FS Lutter, 2000, S. 1209 ff. 86 J. Vetter in FS Maier-Reimer, 2010, S. 819, 826. 87 Hüffer/Koch, AktG, § 246a Rz. 21; Nachteile von mehreren Klägern, die das Quorum erreichen, sind aber zu kumulieren: Verse, NZG 2009, 1127, 1130, so auch Dörr in Spindler/Stilz, AktG, § 246a Rz. 33. 88 Jedenfalls dann, wenn man den Maßstab des OLG Köln v. 13.1.2014 – I-18 U 175/13, ZIP 2014, 263, 265 anlegt, wonach die Rechtsverletzung so gravierend sein muss, dass sie durch Schadensersatz nicht angemessen ausgeglichen werden kann. 89 Begr. Initiativentwurf, BT-Drucks. 12/6721, S. 10. 90 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6721, S. 10: „Das Gesetz unterstellt damit, dass in diesen Fällen stets ein Nachkauf zur Erhaltung der relativen Beteiligung über die Börse möglich ist.“ Vgl. auch Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267, 278: „faktisch bestehendes Bezugsrecht“.
Krause | 289
6.30
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
6.31 Die Frage, welche Grenzen für das wiederholte Ausschöpfen des 10 %-Volumens gelten, wird sich für die reguläre Kapitalerhöhung praktisch kaum stellen. Im Einzelfall kann die wiederholte Ausnutzung rechtsmissbräuchlich sein, insbesondere dann, wenn den Altaktionären aufgrund der zeitlichen Enge ein mehrmaliger Zukauf von jeweils bis zu 10 % nicht zumutbar ist. Nicht zu beanstanden ist jedoch, die 10 %-Grenze einmal jährlich in Anspruch zu nehmen91.
6.31a
Praktisch wichtiger ist die Frage der Anrechnung anderer Maßnahmen. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG findet bei der Veräußerung eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) sowie nach richtiger Ansicht92 auch bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) entsprechende Anwendung. Steht also das volle 10 %-Volumen für eine Kapitalerhöhung mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss zur Verfügung, wenn im gleichen Geschäftsjahr oder seit der letzten Hauptversammlung § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bereits für die Veräußerung eigener Aktien oder die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen genutzt worden ist? Das Gesetz enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Anrechnung erfolgen muss. Es kann daher nur die oben genannte Missbrauchskontrolle im Einzelfall geben93. Unzulässig dürfte es aber sein, zeitgleich mit einer das Volumen von 10 % voll ausschöpfenden bezugsrechtfreien Kapitalerhöhung eine Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8, § 202 Abs. 2 oder § 221 Abs. 2 AktG zu beschließen, die ebenfalls eine Ausgabe entsprechend § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vorsieht94. c) Ausgabebetrag
6.32 Der Ausgabebetrag darf den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreiten. Maßgeblich ist
der vom Vorstand unter Berücksichtigung des § 182 Abs. 3 AktG festgesetzte Ausgabebetrag, bei Platzierung über Emissionsbanken der vom Publikum zu leistende Bezugspreis95. Dieser Wert kann nach verbreiteter Auffassung zum einen mit einem Durchschnittskurs96 an den Tagen unmittelbar vor der Preisfestsetzung verglichen werden97; dabei wird häufig auf einen Zeitraum von drei bis fünf Börsenhandelstagen abgestellt. Auf dieser Grundlage werden Preisabschläge von 3 %–5 % für zulässig gehalten98.
91 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 126; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 152; Ihrig/ Wagner, NZG 2002, 657, 661; wohl auch Schwark in FS Claussen, 1997, S. 357, 376. 92 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84, 85; Busch, AG 1999, 58, 59 ff.; Groß, DB 1994, 2431, 2435 ff.; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 539; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 43a; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 33 f.; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 259 f., a.A. Begr. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 12/7848, S. 9 („§ 186 Abs. 3 Satz 4 passt für diese Finanzierungsinstrumente allerdings nicht.“). 93 Ebenso Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 126; ähnlich Reichert/Harbarth, ZIP 2003, 1441, 1443 f. 94 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.89; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 662; offen Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 126; a.A. Groß, DB 1994, 2431, 2432. Demgegenüber sind zeitgleiche Ermächtigungen mit einem Volumen von jeweils 10 % zulässig, wenn sie eine Anrechnungsklausel enthalten (s. unten Rz. 6.57). 95 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 30; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 535; Groß, DB 1994, 2431, 2433. 96 Vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d. 97 Z.B. Lutter, AG 1994, 429, 442; abgeschwächt auch Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d. 98 So bereits Ausschussbericht, BT-Drucks. 12/7848, S. 9; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 128; a.A. Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 162: empfiehlt 3 %.
290 | Krause
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Starre Grenzen sind jedoch rechtlich nicht vorgegeben. Sowohl bei fallenden Kursen als auch bei steigenden Kursen99 lässt sich die für eine bestmögliche Platzierung angemessene Marge häufig nur stichtagsbezogen (auf den Kurs am Tag oder im Zeitpunkt der Preisfeststellung100) ermitteln. Entscheidend ist der Gesichtspunkt des Kaufanreizes für die angesprochenen Investoren, der im Einzelfall durch sachliche Interessen der Gesellschaft gerechtfertigt sein muss101. Folgerichtig kann selbst bei stichtagsbezogener Betrachtung ein größerer Abschlag gerechtfertigt sein, wenn die Märkte so volatil sind, dass auch innerhalb der kurzen Abwicklungsfrist mit erheblichen Kursschwankungen zu rechnen ist. Eine weitere Folge ist, dass auch dann mit einem (aber nur mäßigen) Abschlag auf den Stichtagskurs emittiert werden darf, wenn gerade aufgrund der Kapitalerhöhung ein Kursanstieg zu erwarten ist, etwa wegen der Person des Investors102. Auch die Dividendenausstattung der jungen Aktien im Vergleich zu den Altaktien103 sind zu berücksichtigen.
6.32a
„Börsenpreis“ i.S.d. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG sind die Preise, die im regulierten Markt (§§ 32 ff. BörsG) oder im Freiverkehr (§ 48 BörsG) ermittelt werden104 unabhängig davon, ob im Parkett- oder elektronischen Handel. Abzustellen ist vorrangig auf den liquidesten Kurs105. Angesichts der Vereinheitlichung durch die Finanzmarktrichtlinie vom 21.4.2004 sollte jedenfalls auch die Preisfeststellung in anderen geregelten Märkten i.S.d. Art. 36 ff. der Finanzmarktrichtlinie genügen; ob auch andere Auslandsnotierungen ausreichen, erscheint vor diesem Hintergrund fraglich106.
6.33
d) Ungeschriebene Voraussetzungen Sinn und Zweck des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG haben zu der Frage geführt, ob es Ausnahmefälle gibt, in denen die Vorschrift nicht angewendet werden kann, obwohl ihre tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Man wird unterscheiden müssen: Nach der Gesetzesbegründung bedarf es unter den Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG „weder einer Interessenabwägung […] noch weiterer sachlicher Rechtfertigungsgründe“107. Ein besonderes Interesse der Gesellschaft am Ausschluss des Bezugsrechts ist daher nicht zu fordern108. Auch bleibt § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG anwendbar, wenn der innere Wert der Aktien über dem Börsenkurs liegt109. Auch eine breit gestreute Platzierung der jungen Aktien ist nicht gefordert (zu den sonstigen Zuwendungskriterien s. bei Rz. 6.35)110. 99 Habersack, AG 2015, 613, 617; zu fallenden Kursen auch Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 71; Trapp, AG 1997, 115, 120. 100 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39c; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.90; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 127. 101 So Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.91. 102 Habersack, AG 2015, 613, 617 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d. 103 Hierzu Groß, DB 1994, 2431, 2435. 104 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39b; Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 117; für die Einbeziehung des Freiverkehrs auch Habersack, AG 2015, 613, 617; a.A. Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 53 (Freiverkehr genügt nicht). 105 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 71. 106 Großzügiger Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 127 m.w.N.; differenzierend Bungert, WM 1995, 1, 16 (Gleichwertigkeit im Einzelfall zu prüfen); wie hier wohl Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39b. 107 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6721, S. 10. 108 Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1, 9. 109 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 72. 110 Heute h.M. vgl. Habersack, AG 2015, 613, 617 f.
Krause | 291
6.34
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
Andererseits kann der Markt so eng sein, dass den Aktionären ein Nachkauf von Aktien nicht oder nur zu überhöhten Kursen möglich ist. Ist den Altaktionären ein Nachkauf unzumutbar, so ist § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG trotz seines Wortlauts („ist insbesondere dann zulässig“) nicht anzuwenden111; es bleibt in diesen besonderen Ausnahmefällen bei den allgemeinen Anforderungen an die Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben112. In anderen Extremfällen (z.B. Bezugsrechtsausschluss allein zu dem Zweck, einem Aktionär Minderheitsrechte zu nehmen) kann Rechtsmissbrauch vorliegen113. Für die Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG ist in den Fällen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG allerdings kein Raum114. e) Zuwendungskriterien
6.35 Von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht geregelt wird die Frage, an wen die Zuteilung der
neuen Aktien erfolgen kann. Nach einer strengen Auffassung ist jede unterschiedliche Behandlung von Aktionären verboten, so dass grundsätzlich nur Dritte zur Zeichnung zuzulassen wären115. Richtigerweise wird man einen Bereich unternehmerischen Ermessens anerkennen müssen, der unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) auch die Zuteilung an einzelne Aktionäre zulässt. Kritisch sind insbesondere solche Zuteilungen, durch die die Machtverhältnisse in der Gesellschaft oder der Bestand von Minderheitsrechten beeinflusst werden könnten116.
3. Formelle Voraussetzungen a) Hauptversammlungsbeschluss
6.36 Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre kann nur durch Beschluss der Hauptversamm-
lung, und zwar gemäß § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG „im Beschluss“ über die Erhöhung des Grundkapitals ausgeschlossen werden. Der Bezugsrechtsausschluss muss sich eindeutig, allerdings nicht ausdrücklich aus dem Beschluss ergeben117. Ob Kapitalerhöhung und Bezugsrechtsausschluss derart untrennbar118 miteinander verbunden sind, dass sich eine Anfechtung nicht auf den Ausschluss des Bezugsrechts beschränken kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; von Bedeutung können insoweit die Formulierung des Beschlusses und entsprechende Erläuterungen im Vorstandsbericht sein119.
111 Ebenso Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 68; strenger Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1, 10 sowie Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 116 („unwiderlegliche Fiktion“). 112 Ebenso Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 129; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39g; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 150. 113 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6721, S. 10. 114 Ausführlich Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 28 f.; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 129; Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267, 278 sowie in FS Röhricht, 2005, S. 987, 993 ff.; a.A. Hüffer/Koch, AktG, § 255 Rz. 9 f., § 186 Rz. 39e (Anfechtbarkeit, wenn Börsenkurs hinter dem inneren Wert der Aktie zurückbleibt). 115 Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 124 f. 116 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 120/16, ZIP 2018, 1586, 1589 f.; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 129. 117 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 20; ähnlich Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 42.73. 118 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 20. 119 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 9.2.1993 – 5 U 31/92, AG 1993, 281, 283; vgl. auch OLG München v. 24.3.1993 – 7 U 3550/92, AG 1993, 283, 284. Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 145
292 | Krause
Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf neben der Stimmenmehrheit einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals. Anders als beim Kapitalerhöhungsbeschluss, der das gesetzliche Bezugsrecht unberührt lässt, kann die Satzung für die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss keine geringere Kapitalmehrheit vorsehen (§ 186 Abs. 3 Satz 2 AktG).
6.37
b) Vorstandsbericht Gemäß § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG hat der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für den Bezugsrechtsausschluss zugänglich zu machen. Obwohl § 126 BGB nach Sinn und Zweck nicht anwendbar ist120, empfiehlt es sich in der Praxis, den Bericht von (allen) Vorstandsmitgliedern unterzeichnen zu lassen. Der Bericht soll „die Hauptversammlung zuverlässig in die Lage versetzen, die Interessen der Gesellschaft an einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss gegenüber anderen Alternativen zu bewerten, die Nachteile für die ausgeschlossenen Aktionäre zu erkennen und beides gegeneinander abzuwägen“121.
6.38
Die inhaltlichen Anforderungen des Berichts folgen aus dessen Zweck. Insbesondere muss der Vorstandsbericht erläutern, dass die materiellen Voraussetzungen für den Bezugsrechtsausschluss im gegebenen Fall erfüllt sind, der Ausschluss des Bezugsrechts also unter Berücksichtigung der konkreten Umstände geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist122. Allgemeinplätze und abstrakte Umschreibungen sollten vermieden werden123. Die Anforderungen an den Bericht unterscheiden sich grundlegend, je nachdem, ob der Bezugsrechtsausschluss im Rahmen eines genehmigten Kapitals vorgesehen wird (dazu Rz. 6.50) oder die Hauptversammlung selbst eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss beschließt. Im zweiten Fall muss der Vorstand konkret und detailliert v.a. erläutern, dass der Ausschluss des Bezugsrechts das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen ist124. Gleiches gilt, wenn ausnahmsweise ein genehmigtes Kapital für ein konkretes Projekt und unter Ausschluss des Bezugsrechts beschlossen wird (so Telefónica/E-Plus 2014).
6.39
Nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG ist auch der Ausgabebetrag oder der vorgeschlagene Mindest- und/oder Höchstbetrag zu begründen. Darzulegen sind die Bewertungskriterien und Berechnungsgrundlagen. Wird bei Sacheinlagen – was zulässig ist125 – nur die Sacheinlage,
6.40
120 121 122 123
124 125
nimmt Regel/Ausnahme-Verhältnis an; a.A. Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 186 Rz. 140 (keine Teilanfechtung). OLG Frankfurt a.M. v. 13.11.2007 – 5 U 26/06, BeckRS 2011, 25412; KG v. 25.10.2004 – 23 U 234/03, ZIP 2005, 167 f. für den vergleichbaren Verschmelzungsbericht nach § 8 UmwG; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 132. BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 326 = AG 1982, 252. Zusammenfassend Sethe, AG 1994, 342, 351. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 24. Übertrieben und praxisfern ist allerdings die Anforderung des OLG München (v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, AG 2009, 450) an die Begründung des Bezugsrechtsausschlusses bei der Ermächtigung zur Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen gemäß §§ 221 Abs. 4, 186 Abs. 4 AktG (zum Ausschluss des Bezugsrechts für Spitzenbeträge und zugunsten der Inhaber von Wandlungs- und Optionsrechten oder von mit Wandlungspflichten ausgestatteten Wandelschuldverschreibungen). Vgl. BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319, 326 = AG 1982, 252; OLG München v. 24.3.1993 – 7 U 3550/92, AG 1993, 283. Verse, ZGR 2012, 875, 882; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 46; Hoffmann-Becking in FS Wiedemann, 2002, S. 999 ff.; a.A. Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 127.
Krause | 293
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
aber kein Ausgabebetrag festgesetzt, so dass die Aktien zum geringsten Ausgabebetrag ausgegeben werden126, muss die Angemessenheit der Wertrelation begründet werden. Diese Erläuterungen sind insbesondere wegen der Anfechtungsmöglichkeit nach § 255 Abs. 2 AktG wichtig. c) Vorbereitung der Hauptversammlung
6.41 Das Gesetz regelt die Vorbereitung der Hauptversammlung, in der über eine Kapitalerhö-
hung unter Bezugsrechtsausschluss beschlossen werden soll, nur unvollständig. Gemäß § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG muss der beabsichtigte Ausschluss des Bezugsrechts ausdrücklich und ordnungsgemäß (d.h. zusammen mit der Tagesordnung, § 124 Abs. 1 AktG) bekannt gemacht werden. Einhelliger Meinung entspricht es, dass darüber hinaus der Vorstandsbericht von der Einberufung der Hauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen ist und auf Verlangen jedem Aktionär unverzüglich und kostenlos eine Abschrift zu übersenden ist (§§ 175 Abs. 2, 179a Abs. 2, 293 f., 319 Abs. 3, 327c Abs. 3 und 4 AktG, 63, 230 Abs. 2 UmwG analog). Diese Pflichten entfallen jedoch, wenn der Bericht für denselben Zeitraum über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich ist (entsprechend § 175 Abs. 2 Satz 4 AktG)127. Analog § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG ist der wesentliche Inhalt des Berichts ferner bekannt zu machen; in der Praxis erfolgt in der Regel eine ungekürzte Bekanntmachung. Seit der Neuregelung durch das ARUG muss der Bericht nicht mehr in der Hauptversammlung ausgelegt werden. Es ist ausreichend, ihn beispielsweise auf elektronischem Wege „zugänglich zu machen“128. Im Zusammenhang mit öffentlichen Erwerbsangeboten gelten die Erleichterungen des § 16 Abs. 4 Satz 5 WpÜG. d) Vorstandsbericht bei vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG
6.42 Die Anforderungen an den Vorstandsbericht bei einer Maßnahme nach § 186 Abs. 3
Satz 4 AktG sind gering. Der Vorstand muss darlegen, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind und weshalb er den Ausschluss des Bezugsrechts vorschlägt129. Zu begründen sind die Erforderlichkeit und der Umfang der Kapitalmaßnahme sowie der vorgesehene Abschlag zum Börsenpreis130. Praktische Bedeutung hat § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vor allem beim genehmigten Kapital (dazu bei Rz. 6.56). e) Zulassungsverfahren
6.43 In den Fällen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG kann die Zulassung der neuen Aktien zum Bör-
senhandel in der Regel prospektfrei erfolgen (Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. a) VO 2017/1129 [EU-Prospektverordnung]).
126 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 178; zum Meinungsstand vgl. Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 31. 127 LG Düsseldorf v. 9.11.2007 – 39 O 33/07, EWiR 2008, 67; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rz. 20 (§ 293f Abs. 2 AktG analog). 128 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 85. 129 So ausdrücklich Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6721, S. 10. 130 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39 f.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
4. Prozessuale Fragen In der Praxis waren Mängel des Vorstandsberichts häufig Anfechtungsgrund. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die – nach h.M. von der Gesellschaft zu beweisende131 – sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses nach dem Abwägungsmaterial beurteilt, das im Vorstandsbericht genannt ist132. Auch durch mündliche Erläuterungen in der Hauptversammlung kann ein unzureichender Bericht nicht nachgebessert werden133. Im Anfechtungsprozess können die im Vorstandsbericht genannten Gründe lediglich erläutert und, soweit dies nicht auf die Unvollständigkeit des Berichts schließen lässt, vertieft werden134.
6.44
In Fällen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses hat die Gesellschaft lediglich darzutun, dass dem Gesetzeswortlaut des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG Rechnung getragen ist; dass der Bezugsrechtsausschluss gleichwohl widerrechtlich ist, muss hingegen der Anfechtungskläger darlegen und beweisen135.
6.45
III. Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital 1. Einführung An die Stelle eines Kapitalerhöhungsbeschlusses mit Bezugsrechtsauschluss kann die Ermächtigung des Vorstands treten, das Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu erhöhen (§ 202 i.V.m. § 203 Abs. 2 AktG). In aller Regel wird der Vorstand ermächtigt, über den Bezugsrechtsauschluss zu entscheiden; möglich ist aber auch, dass die Hauptversammlung bereits mit dem Ermächtigungsbeschluss das Bezugsrecht ausschließt. Die Entscheidung des Vorstands über den Ausschluss des Bezugsrechts bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG), die einem Aufsichtsratsausschuss übertragen werden kann136.
6.46
Das Volumen des genehmigten Kapitals darf insgesamt nicht mehr als 50 % des Grundkapitals betragen (§ 202 Abs. 2 Satz 1 AktG). Das Bezugsrecht darf in voller Höhe des genehmigten Kapitals ausgeschlossen werden. Für Sachkapitalerhöhungen und andere Fälle des Bezugsrechtsausschlusses folgen allerdings viele Emittenten den Empfehlungen institutioneller Stimmrechtsvertreter oder Proxy Advisors137 und sehen eine Begrenzung auf 10– 20 % des vorhandenen Grundkapitals vor.
6.47
Ausgehend von der Holzmann-Entscheidung vom 19.4.1982138 und der Deutsche BankEntscheidung vom 7.3.1994139 entsprach es der ganz h.M., dass auch ein genehmigtes Ka-
6.48
131 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 38; Lutter, ZGR 1979, 401, 412 ff.; a.A. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 48 ff. (dazu Henze, Aktienrecht, 5. Aufl. 2002, Rz. 984); OLG Frankfurt v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631. 132 OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292, 293; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 326 = AG 1982, 252. 133 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210, 211; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 24. 134 OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 f.; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 143; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 37. 135 Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 188; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 143. 136 OLG Frankfurt v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631, 634. 137 Vgl. beispielhaft IVOX Glass Lewis, Proxy Paper, Guidelines 2018, Germany, S. 17. 138 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319 = AG 1982, 252. 139 BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, BGHZ 125, 239 = AG 1994, 276.
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§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
pital mit Bezugsrechtsausschluss nur unter den strengen Voraussetzungen geschaffen werden kann, die für die reguläre Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss gelten. Bei einem direkten Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung müsse der Ausschluss des Bezugsrechts daher „das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen“140 sein; andernfalls war der Beschluss anfechtbar. Allenfalls marginale Erleichterungen galten, wenn der Vorstand lediglich ermächtigt wurde, über den Bezugsrechtsausschluss zu entscheiden141. Prüfungsmaßstab war auch insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit142.
2. Die Siemens/Nold-Entscheidung 6.49 Die Rechtslage hat sich mit der Siemens/Nold-Entscheidung vom 23.6.1997143, bestätigt in
der Adidas-Entscheidung vom 15.5.2000144, grundlegend geändert. Beiden Entscheidungen lag eine Sachkapitalerhöhung zugrunde. Nach neuer Rechtslage muss die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt wird, lediglich „im Interesse der Gesellschaft“145 liegen. Die inhaltlichen Anforderungen an den Vorstandsbericht wurden entsprechend abgesenkt. Dies gilt in gleicher Weise für die Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts wie für den Fall, dass die Hauptversammlung das Bezugsrecht selbst ausschließt146. a) Folgen für die Sachkapitalerhöhung aa) Hauptversammlungsbeschluss
6.50 Mit der Siemens/Nold-Entscheidung ist das genehmigte Kapital für die Praxis zu einem
flexiblen Instrument der Akquisitionsfinanzierung geworden, wenn als Gegenleistung Aktien ausgegeben werden. Bei Schaffung des genehmigten Kapitals muss insbesondere nicht mehr die Gesellschafts- und Aktionärsinteressen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewogen werden. Dies wirkt sich vor allem auf die Anforderungen an den Vorstandsbericht aus. Es genügt, dass die Maßnahme allgemein (abstrakt) umschrieben und damit deutlich wird, dass der Bezugsrechtsausschluss im Interesse der Gesellschaft liegt147.
140 BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239, 244 = AG 1994, 2767 im Anschluss an BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali + Salz, BGHZ 71, 40, 46. 141 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319, 325 = AG 1982, 252: Die Gesellschaft müsse darlegen, dass „nach der gegenwärtigen Lage und dem Stand der Pläne für ihre Zukunft konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, es könnte sich innerhalb der dem Vorstand eingeräumten Frist als notwendig und auch im Hinblick auf die Interessen der betroffenen Aktionäre als vertretbar erweisen, bei der Ausgabe neuer Aktien das Bezugsrecht auszuschließen.“ 142 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321 = AG 1982, 252: „Denn der Eingriff in die mitgliedschafts- und vermögensrechtliche Stellung der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre, um dessentwillen eine besondere sachliche Rechtfertigung notwendig ist, wiegt nicht minder schwer, wenn anstelle der Hauptversammlung die Verwaltung über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet.“ 143 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133 = AG 1997, 465. 144 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 = AG 2000, 475. 145 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 139 = AG 1997, 465. 146 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 136 f., 139 = AG 1997, 465. 147 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 139 = AG 1997, 465; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 295 = AG 2000, 475; zur Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen unter Bezugsrechtsausschluss zuletzt BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Bei der Beschreibung der möglichen Akquisitionsmaßnahmen empfiehlt sich eine Klarstellung, ob auch die Aufstockung bestehenden Anteilsbesitzes, der Erwerb von Wirtschaftsgütern, die einem Akquisitionsobjekt wirtschaftlich dienen (z.B. gewerbliche Schutzrechte) oder der Tausch einer zunächst begründeten Kaufpreisforderung in Aktien umfasst ist. Der Vorstandsbericht sollte ferner begründen, warum hierzu ein Bezugsrechtsausschluss vorgeschlagen wird148. Verbreitet sind Formulierungen wie die Folgende: „Die Gesellschaft soll […] in der Lage sein, eigene Aktien zur Verfügung zu haben, um diese als Gegenleistung im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen oder bei Erwerb von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Unternehmensbeteiligungen gewähren zu können. Der internationale Wettbewerb und die Globalisierung der Wirtschaft verlangen zunehmend diese Form der Gegenleistung. Die hier vorgeschlagene Ermächtigung soll der Gesellschaft daher die notwendige Flexibilität geben, um sich bietende Gelegenheiten zum Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen schnell und flexibel ausnutzen zu können. Bei Einräumung eines Bezugsrechts wäre der Erwerb gegen Gewährung von Aktien nicht möglich, und die damit für die Gesellschaft und ihre Aktionäre verbundenen Vorteile wären nicht erreichbar.“ Da der Ermächtigungsbeschluss kein konkretes Erwerbsobjekt nennt, fehlt auch der „Ausgabebetrag“, auf den eine Anfechtung nach § 255 Abs. 2 AktG gestützt werden könnte149. Die Anwendung von § 255 Abs. 2 AktG scheidet auch dann aus, wenn der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung das Bezugsrecht bereits ausschließt, aber über die Bedingungen der Aktienausgabe gemäß § 204 Abs. 1 AktG keine Festlegungen trifft150.
6.51
bb) Ausnutzung des genehmigten Kapitals Die Folgen, die sich aus Siemens/Nold für die Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss ergeben, sind zunehmend geklärt. Der Vorstand ist an die Zweckvorgaben des Ermächtigungsbeschlusses gebunden. In der Siemens/Nold-Entscheidung heißt es weiter, der Vorstand dürfe von der Ermächtigung nur Gebrauch machen, „wenn die Durchführung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt“151. Eine Lockerung der Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung, die aus dieser Formulierung abgeleitet worden ist152, folgt daraus aber nicht153. Die Gründe, die für Erleichterungen beim Ermächtigungsbeschluss sprechen, lassen sich nicht auf die Ausnutzung des genehmigten Kapitals übertragen. Wird durch Ausgabe neuer Aktien in das Bezugsrecht der Aktionäre eingegriffen (dabei kann es keinen Unterschied machen, ob das Bezugsrecht bereits durch die Hauptversammlung ausgeschlossen wurde oder lediglich eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss vorliegt154), ist daher eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt155. Die für die Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluss erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats gemäß §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204
148 149 150 151 152 153 154 155
06, AG 2007, 863; OLG Frankfurt a.M. v. 13.11.2007 – 5 U 26/06, BeckRS 2011, 25412; s. aber OLG München v. 15.5.2002 – 7 U 2371/01, AG 2003, 451, 453. Scholz in MünchHdb. AG, § 59 Rz. 63. Vgl. Koch in MünchKomm. AktG, § 255 Rz. 10. BGH v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, AG 2009, 446. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 140 = AG 1997, 465. Henze, ZHR 167 (2003), 1, 3; Kindler, ZGR 1998, 35, 59 f.; Hofmeister, NZG 2000, 713, 714. Zum Streitstand Kirchner/Sailer, NZG 2002, 305, 307; Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 149 f. Zutreffend insoweit Hirte in Großkomm. AktG, § 203 Rz. 64. Ebenso Hüffer/Koch, AktG, § 203 Rz. 35; Krieger in FS Wiedemann, 2002, S. 1081, 1084. Exemplarisch LG Kiel v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, BeckRS 2008, 12662.
Krause | 297
6.52
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
Abs. 1 Satz 2, 205 Abs. 2 Satz 2 AktG kann auf einen Aufsichtsratsausschuss übertragen werden156. Die Organe sind ferner an die Pflichten gebunden, die sich aus der entsprechenden Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG ergeben157. Es besteht aber ein Bereich unternehmerischen Ermessens, der ein breites Spektrum vertretbarer Entscheidungen zulässt158. Die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle sind durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (business judgement rule) markiert, der zumindest entsprechend anzuwenden ist, soweit es um Entscheidungselemente mit Prognosecharakter geht159. Trotz eines höheren Wertes der Sacheinlage dürfen die Aktien zum geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) ausgegeben werden (s. Rz. 6.40).
6.52a
Für die Frage, mit welchem Wert die auszugebenden Aktien anzusetzen sind, um dem Angemessenheitsmaßstab des § 255 Abs. 2 AktG gerecht zu werden, gelten die bei Rz. 6.12 dargelegten Maßstäbe. Der in der Siemens/Nold-Entscheidung betonte Zweck des genehmigten Kapitals, die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, schnell und flexibel handeln und bei sich bietenden Akquisitionschancen in Aktien zahlen zu können, ist ein weiteres Argument dafür, dass eine Fundamentalbewertung der Aktien nicht erforderlich ist, wenn der Emittent börsennotiert ist. Eine solche Bewertung wäre zeitlich kaum machbar, und es würde sich kaum ein Veräußerer finden, der einen Anrechnungswert je Aktie akzeptiert, der weit über dem Börsenkurs liegt. Im Vorstandsbericht zur Schaffung des genehmigten Kapitals empfiehlt sich daher folgender Hinweis, der auch auf den relevanten Zeitpunkt der Bewertung eingeht: „Bei der Bemessung des Werts der als Gegenleistung gewährten Aktien kann insbesondere der Börsenpreis von Bedeutung sein. Eine schematische Anknüpfung an einen Börsenpreis muss jedoch nicht erfolgen, insbesondere um einmal erzielte Verhandlungsergebnisse nicht durch Schwankungen des Börsenpreises infrage zu stellen.“
6.53 Die Verletzung des Bezugsrechts durch pflichtwidrige Ausnutzung des genehmigten Ka-
pitals kann zum Gegenstand einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage gemacht werden; der Abwehranspruch kann auch Grundlage einstweiligen Rechtsschutzes sein160. Nachträglich steht den Aktionären die allgemeine Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit der zugrunde liegenden Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse, zur Verfügung161. Für diese Feststellungsklage gilt § 246 Abs. 1 AktG nach Auffassung des OLG
156 OLG Frankfurt v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631. 157 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 141 = AG 1997, 465; Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 140. 158 Vgl. BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 – ARAG/Garmenbeck, BGHZ 135, 244, 253 = AG 1997, 377; auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 140 = AG 1997, 465; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 295 = AG 2000, 475; Busch, NZG 2006, 81, 84; vgl. auch Waclawik, ZIP 2006, 397, 403 ff. 159 Vgl. Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 53. 160 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 140 f. = AG 1997, 465; LG Kiel v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, BeckRS 2008, 12662; Rieckers in MünchHdb. AG, § 18 Rz. 8 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 203 Rz. 38; differenzierend zu Rechtsschutz und Kontrolle von Ermächtigungsbeschluss und Ausnutzung des genehmigten Kapitals Strauß, AG 2010, 192, 198 ff.; kritisch zur dogmatischen Herleitung Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 357. 161 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Magusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 269 = AG 2006, 38, 39; ebenso schon BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133, 140 = AG 1997, 465.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
Frankfurt am Main allenfalls mit der Maßgabe, dass für einen etwaigen Fristbeginn auf die den angegriffenen Verwaltungsbeschlüssen folgende Hauptversammlung abzustellen ist, weil erst auf dieser Hauptversammlung über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals zu berichten ist162. Die Wirksamkeit der eingetragenen Kapitalerhöhung bleibt von der Feststellungsklage unberührt163; jedoch sei die Gesellschaft aufgerufen, Abhilfe zu schaffen und einen bereits eingetretenen Schaden zu kompensieren. Andernfalls seien Sekundäransprüche gegeben oder könnten entsprechende Anträge in der Hauptversammlung gestellt werden, etwa auf Versagung der Entlastung, Abberufung gemäß § 103 AktG oder Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 AktG164. Auch Schadensersatzansprüche der Aktionäre werden durch einen rechtswidrigen Bezugsrechtsausschluss begründet; ersatzpflichtig ist die Gesellschaft165. b) Folgen für die Barkapitalerhöhung Die Grundsätze der Siemens/Nold-Entscheidung lassen sich auf die Barkapitalerhöhung übertragen. Der Ermächtigungsbeschluss ist daher unter erleichterten Voraussetzungen möglich166; bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals gilt das zur Sachkapitalerhöhung Gesagte (Rz. 6.52) entsprechend.
6.54
c) Vorrang der regulären Kapitalerhöhung? Nach richtiger Auffassung hat die (rechtsschutzintensivere) reguläre Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss keinen Vorrang vor einem entsprechenden genehmigten Kapital167. Ein genehmigtes Kapital darf daher auch dann ausgenutzt werden, wenn ausreichend Zeit besteht, für die betreffende Maßnahme einen Hauptversammlungsbeschluss herbeizuführen. Der Weg über das genehmigte Kapital steht auch dann offen, wenn bei der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung bereits absehbar ist, zu welchem Zweck das genehmigte Kapital genutzt werden soll. In diesem Fall müssen Einzelheiten der Maßnahme, etwa zur Bewertung des Gegenstandes der Sacheinlage, in dem Vorstandsbericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG nur dann genannt werden, wenn sie bereits feststehen168 (Beispiel Telefónica/E-Plus 2014). Soweit Verhandlungen mit Dritten noch nicht abgeschlossen sind, brauchen dazu keine spekulativen Angaben gemacht zu werden169. 162 163 164 165 166
OLG Frankfurt v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631. Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, AG 2006, 38, 40. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, AG 2006, 38, 40. Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 118 ff. Scholz in MünchHdb. AG, § 59 Rz. 31; Bungert, NJW 1998, 488, 490; Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 43.18. 167 OLG Karlsruhe v. 28.8.2002 – 7 U 137/01 – MLP, NZG 2002, 959, 960 = AG 2003, 444; dazu Hirte, EWiR 2003, 299; LG Düsseldorf v. 13.8.1998 – 31 O 104/97, AG 1999, 134, 135; LG Kiel v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, BeckRS 2008, 12662; ausführlich Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 163 ff.; Strauß, AG 2010, 192, 194. 168 Vgl. LG München v. 30.7.2009 – 5 HK O 16915/08, AG 2010, 47 („verbindliche Beschreibung der damit für die Altaktionäre verbundenen Risiken“); großzügiger Scholz in MünchHdb. AG, § 59 Rz. 31; ausführlich zu den Informationspflichten des Vorstandes Strauß, AG 2010, 192, 194 ff. 169 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98 – adidas, BGHZ 144, 290, 295 = AG 2000, 475; im Einzelnen R. Krause, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2003, S. 301, 307 ff.; zur Grenzziehung Strauß, AG 2010, 192, 195 f.
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6.55
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
3. Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG beim genehmigten Kapital a) Allgemeines
6.56 Auch beim genehmigten Kapital besteht die Möglichkeit des vereinfachten Bezugsrechts-
ausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. Er kann im Ermächtigungsbeschluss erfolgen; üblich ist aber eine Ermächtigung des Vorstands, das Bezugsrecht mit Zustimmung des Aufsichtsrats unter den Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auszuschließen (§§ 203 Abs. 2, 204 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die 10 %-Kapitalgrenze bezieht die überwiegende Praxis kumulativ auf das Grundkapital im Zeitpunkt der Eintragung der satzungsändernden Ermächtigung und bei Ausübung der Ermächtigung. Dafür sprechen § 203 Abs. 1 Satz 2 AktG, wonach beim genehmigten Kapital die „Ermächtigung der Satzung“ an die Stelle des Erhöhungsbeschlusses tritt170, sowie die Tatsache, dass der Vorstand auch bei Ausnutzung der Ermächtigung prüfen muss, ob zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vorliegen171. Für eine noch vorsichtigere Praxis, drittens auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung abzustellen, besteht keine Notwendigkeit. b) Stufenermächtigung und Anrechnungsklausel
6.57 Vorgezeichnet sind damit auch die Bedenken gegen eine sog. Stufenermächtigung, die ein
genehmigtes Kapital i.H.v. bis zu 50 % des Grundkapitals (§ 202 Abs. 3 AktG) mit der Ermächtigung verbindet, davon mehrfach unter den Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG Gebrauch zu machen, also in mehreren Tranchen von jeweils nicht mehr als 10 %. Da bei der regulären Kapitalerhöhung die Hauptversammlung in einem Beschluss das Bezugsrecht gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nur i.H.v. 10 % des Grundkapitals ausschließen kann, darf auch beim genehmigten Kapital die Ermächtigung nicht weiter reichen172. De lege lata widerspräche eine weitergehende Ermächtigung § 203 Abs. 1 Satz 2 AktG173. Rechtspolitisch wäre allerdings zu begrüßen, die 10 %-Grenze auch bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals für je eine jährliche Tranche gelten zu lassen, zumal nach der bis Mitte 2017 mit § 4 Abs. 2 Nr. 1 WpPG bestehenden Rechtslage eine Ausgabe neuer Aktien prospektfrei möglich war, soweit das Volumen über einen Zeitraum von zwölf Monaten weniger als 10 % der bestehenden Aktien derselben Gattung betrug. Die Anhebung dieser Grenze von 10 % auf 20 % durch Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. a) VO 2017/1129 (EU-Prospektverordnung) führt möglicherweise zu einer Belebung dieser Diskussion.
6.57a
Zu eng wäre es jedoch, eine Ermächtigung mit Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nur zuzulassen, soweit nicht ein zuvor beschlossenes gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bezugsrechtsfreies genehmigtes Kapital (oder eine entsprechende Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG bzw. § 221 Abs. 2 AktG) ausgenutzt, aufgehoben 170 Vgl. Groß, DB 1994, 2431, 2431. 171 Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 660. Ausschließlich auf diesen Zeitpunkt wollen abstellen Marsch-Barner, AG 1994, 532, 534; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 69. 172 OLG München v. 24.7.1996 – 7 U 6319/95, WM 1996, 1910, 1911 = AG 1996, 518; Martens, ZIP 1994, 669, 678; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39b; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 661; a.A. Groß, DB 1994, 2431, 2439; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 534; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 69; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, S. 234 ff. 173 Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 662; a.A. Groß, DB 1994, 2431, 2432.
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Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss | § 6
oder durch Fristablauf weggefallen ist174. Ebenso wie reguläre Kapitalerhöhungen gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG wiederholt beschlossen werden können, kann auch die Ermächtigung dazu wiederholt erteilt werden, auch wenn dies zu einer Kumulierung bestehender Ermächtigungen führt, sofern diese auf unterschiedlichen Hauptversammlungsbeschlüssen beruhen. Bei der Ausnutzung unterliegen Vorstand und Aufsichtsrat der auch sonst geltenden allgemeinen Missbrauchskontrolle. Konsequenterweise muss die Ermächtigung daher aus Rechtsgründen auch keine Anrechnungsklausel enthalten, die die Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nur insoweit zulässt, als nicht während der Laufzeit des genehmigten Kapitals von früher oder später beschlossenen Ermächtigungen zur Veräußerung eigener Aktien oder zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen unter vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss Gebrauch gemacht wird175. Eine Anrechnung ist auch für diese Ermächtigungen nur dann zu fordern, wenn sie von ein und derselben Hauptversammlung beschlossen werden. Die Praxis ist jedoch vorsichtiger und sieht regelmäßig die Anrechnung von Aktien vor, die während der Laufzeit der Ermächtigung in unmittelbarer oder sinngemäßer Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausgegeben oder aus eigenen Aktien veräußert werden oder auf die sich Bezugsrechte aus Wandeloder Optionsschuldverschreibungen beziehen, die während der Laufzeit der Ermächtigung entsprechend § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausgegeben werden.
6.58
c) Greenshoe Möglich ist auch ein Bezugsrechtsausschluss zur Abwicklung einer Mehrzuteilungsoption (greenshoe). Bei Börsengängen und größeren Kapitalerhöhungen veräußern die Konsortialbanken mehr Aktien, als zunächst für den Emittenten platziert werden sollen (over-allotment). Diese werden häufig von den Altaktionären im Wege eines Sachdarlehens gemäß § 607 BGB („Wertpapierleihe“) zur Verfügung gestellt. Gerät der Kurs in der Stabilisierungsphase unter Druck, wird eine entsprechende Anzahl von Aktien im Markt zurückerworben. Ist demgegenüber keine Stabilisierung erforderlich, verbleiben die Aktien im Markt; die Wertpapierleihe wird dann aus Aktien zurückgeführt, die von der Gesellschaft über eine Kapitalerhöhung geschaffen werden können176. Dafür kann ein genehmigtes Kapital unter vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG genutzt werden. Die Greenshoe-Aktien werden dabei zu dem Preis zur Verfügung gestellt, zu dem auch die Haupttranche ausgegeben wurde, obwohl der Börsenkurs bei Nutzung des Greenshoe gerade über dem ursprünglichen Platzierungspreis liegt, möglicherweise um mehr als 5 %. Dies ist nach herrschender Praxis unbedenklich177, weil der Beschluss des Vorstands zur Ausgabe beider Tranchen einheitlich gefasst wird („bis-zu“-Ausnutzungsbeschluss) und es für die Frage, ob der Börsenkurs „nicht wesentlich unterschritten“ wird, 174 So aber Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 662. Gleiches gilt für den Beschluss einer regulären Kapitalerhöhung gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG während der Laufzeit eines genehmigten Kapitals mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss. 175 A.A. Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 662; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 43.22; wie hier wohl Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 70, die allerdings auf die konkrete Ausnutzung zwischen zwei Hauptversammlungen abstellen; ähnlich Scholz in MünchHdb. AG, § 59 Rz. 34. 176 Zum Greenshoe allgemein Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 39 ff.; Hein, WM 1996, 1, 6 f. 177 So BGH v. 21.7.2008 – II ZR 1/07 – Senator, AG 2009, 446.
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6.59
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
allein auf den Zeitpunkt dieser Verwaltungsentscheidung ankommt, nicht aber darauf, wann die Greenshoe-Aktien in den Markt gelangen, vorausgesetzt, die zulässige Dauer der Stabilisierungsphase (30 Tage) wird nicht überschritten178. Es wird also lediglich der Zustand hergestellt, der bestehen würde, wenn die Emission von vornherein ausschließlich mit Aktien aus der Kapitalerhöhung durchgeführt worden wäre179. d) Marktsondierung
6.59a
Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG werden in der Regel durch Marktsondierungen vorbereitet, um das Interesse potentieller Investoren abzuschätzen180. Art. 11 VO Nr. 596/2014 (EU-Marktmissbrauchsverordnung [MAR]) sieht für die damit einhergehende Kommunikation zwischen Emittent und Anlegern (sog. wall crossing) eine Ausnahme vom Verbot der Offenlegung von Insiderinformationen gemäß Art. 14 lit. c) VO Nr. 596/2014 vor. Ergänzend sind die Marktsondierungsverordnung 2016/960 (MS-VO) sowie die Marktsondierungs-Durchführungsverordnung 2016/959 (MS-DVO) zu berücksichtigen. Im Rahmen ihrer Richtlinienkompetenz gemäß Art. 11 Abs. 11 VO Nr. 596/2014 hat ferner die ESMA Empfehlungen zum Umgang mit Sondierungen herausgegeben (ESMA-Richtlinien)181. Wesentliche Pflichten des Sondierenden (disclosing market participant – DMP) gemäß Art. 11 Abs. 3 bis 5 VO Nr. 596/2014 sind neben der umfangreichen Dokumentation (Art. 11 Abs. 5 VO Nr. 596/2014) die Einholung des Einverständnisses des Adressaten (market sounding recipient – MSR), dass dieser Insiderinformationen erhält (Art. 11 Abs. 5 lit. a) VO Nr. 596/2014), sowie dessen Aufklärung über die Verbote des Art. 14 VO Nr. 596/2014 (Art. 11 Abs. 5 lit. b)–d) VO Nr. 596/2014). Der Adressat ist ferner über den späteren Wegfall der Insiderqualität zu informieren (sog. cleansing), Art. 11 Abs. 6 Unterabs. 1 VO Nr. 596/2014.
6.59b
Das für Sondierungsempfänger faktisch geltende Regime ergibt sich aus den ESMA-Richtlinien. Sie müssen zum Umgang mit Marktsondierungen interne Verfahren einsetzen, umsetzen und unterhalten. Ihr Verhalten beim Erstkontakt ist zu dokumentieren, sie müssen eigenständig beurteilen, ob eine Insiderinformation vorliegt, und sämtliche Verfahrensschritte sind zu dokumentieren.
4. Formelle Voraussetzungen 6.60 Die formellen Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses beim genehmigten Kapital entsprechen im Wesentlichen den Voraussetzungen bei der regulären Kapitalerhöhung (vgl. § 203 Abs. 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 u. 4 AktG): Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf neben der Stimmenmehrheit einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Be-
178 Hein, WM 1996, 1, 7; Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 42; Busch, AG 2002, 230, 233; differenzierend Bezzenberger, AG 2010, 765 ff. Das Kammergericht (v. 16.11.2006 – 23 U 55/03, ZIP 2007, 1660, 1662) hat seine zunächst abweichende Auffassung (Anfechtbarkeit des Ermächtigungsbeschlusses nach § 255 Abs. 2 AktG, vgl. AG 2002, 243, 244) aufgegeben. 179 Zutreffend Technau, AG 1998, 445, 459; Busch, AG 2002, 230, 233; Meyer, WM 2002, 1106, 1112 f. 180 Allgemein zu diesem Thema Zetzsche, AG 2016, 610 ff. 181 ESMA/2016/1130, Guidelines on the Market Abuse Regulation – market sounding and delay of disclosure of inside information.
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schlussfassung vertretenen Kapitals; die Absicht, das Bezugsrecht auszuschließen oder dazu zu ermächtigen, muss ausdrücklich und ordnungsgemäß bekannt gemacht werden; der Vorstand hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht vorzulegen (dazu Rz. 6.50). Ein Ausgabebetrag braucht im Ermächtigungsbeschluss nicht festgelegt zu werden; er gehört zu den Bedingungen der Aktienausgabe, über die der Vorstand gemäß § 204 Abs. 1 AktG ohne Vorgaben durch die Hauptversammlung entscheiden kann182. Der Vorstandsbericht kann zum Ausgabebetrag etwa wie folgt formulieren (dazu auch Rz. 6.32): „Der Abschlag zum Börsenpreis bei der Veräußerung wird nach Möglichkeit weniger als 3 % und grundsätzlich weniger als 5 % betragen. Maßgeblicher Börsenpreis ist der aktuelle Börsenkurs zu der Zeit, zu der der Vorstand den Veräußerungspreis festsetzt. Da wegen der Volatilität der Märkte Kursschwankungen innerhalb kürzester Frist nicht auszuschließen sind, soll im Vorhinein nicht festgelegt werden, ob dabei eher auf einen aktuellen, wenige Tage umfassenden Durchschnittskurs oder auf einen aktuellen Kurs zu einem Stichzeitpunkt abzustellen ist. Dies ist im Einzelfall zu bestimmen. Der Vorstand wird bestrebt sein, einen möglichst hohen Veräußerungspreis zu erzielen und einen Abschlag zu dem Preis, zu dem die bisherigen Aktionäre Aktien über die Börse zukaufen können, möglichst niedrig zu bemessen.“ Um noch größere Flexibilität zu bewahren, kann sich der Vorstand auf folgende Festlegung beschränken: „Bei Ausnutzung der Ermächtigung wird der Vorstand den Abschlag im Rahmen der rechtlichen Vorgaben so niedrig bemessen, wie dies nach den zum Zeitpunkt der Platzierung vorherrschenden Marktbedingungen möglich ist.“ Eine Pflicht des Vorstandes, vor Ausnutzung des genehmigten Kapitals einen Bericht über den geplanten Bezugsrechtsausschluss zu erstatten, besteht nicht183. Es können jedoch Veröffentlichungspflichten gemäß Art. 17 VO Nr. 596/2014 (ad-hoc-Publizität) bestehen184. Ferner ist der Vorstand gehalten, auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung von sich aus über die getätigte Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss zu berichten und Rede und Antwort zu stehen185. Nach Auffassung des OLG Frankfurt am Main186 muss der zu erstattende Bericht jedenfalls die nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG geforderten Informationen (Grund für den Ausschluss des Bezugsrechts, Grund für den Ausgabebetrag der Aktien) nennen, um über die reine aktienrechtliche Zulässigkeit hinaus den Aktionären die Prüfung zu ermöglichen, ob der Vorstand wirtschaftlich sinnvoll im Interesse der Gesellschaft handelte. Die Angaben gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 3 AktG sind davon zu trennen187. Einer Begründung für den Bezugsrechtsausschluss bedarf es ausnahmsweise dann nicht, wenn sich diese aus dem – mitgeteilten – Zweck der Ka182 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 141 = AG 1997, 465; Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 520 f. 183 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, AG 2006, 36; OLG Köln v. 8.3.2007 – 18 W 71/06, BeckRS 2008, 01841; OLG Frankfurt v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631, 634. 184 Weitergehend Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 126 f. 185 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133 ff. – Siemens/Nold; BGH v. 10.10.2005, II ZR 148/03, BGHZ 164, 241 ff. – Mangusta/Commerzbank I. 186 OLG Frankfurt v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, AG 2011, 713 – Deutsche Bank; OLG Frankfurt v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, AG 2011, 713, 714; hierzu Born, ZIP 2011, 1793 ff. 187 Vgl. Kubis, DStR 2006, 188, 192; Bungert, BB 2005, 2757, 2758; Born, ZIP 2011, 1793, 1795 f.
Krause | 303
6.61
§ 6 | Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss
pitalerhöhung selbst ergibt188. Ein mündlicher Bericht im Rahmen der ohnehin geschuldeten Berichterstattung nach § 176 Abs. 1 Satz 2 AktG sollte genügen189; ein besonderer Tagesordnungspunkt ist nicht erforderlich190. Nach der zu recht kritisierten191 Entscheidung des OLG Frankfurt am Main soll ein Verstoß gegen diese Berichtspflichten nicht nur der Entlastung des Vorstands entgegenstehen, sondern auch die Anfechtbarkeit eines Beschlusses über die Schaffung neuen genehmigten Kapitals begründen.
6.62 Ein bestehendes genehmigtes Kapital kann nachträglich um die Ermächtigung ergänzt
werden, über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden192.Werden Ermächtigung zur Kapitalerhöhung und Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss in einem Beschluss miteinander verbunden, sollte daher auch eine Teilanfechtung nur der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss möglich sein193.
188 189 190 191 192 193
OLG Frankfurt v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, AG 2011, 713, 717. Scholz in MünchHdb. AG, § 59 Rz. 63. Born, ZIP 2011, 1793. Born, ZIP 2011, 1793, 1798 f.; Stoll, GWR 2011, 410, 412 f.; Schäfer, CFL 2011, 399. Allgemeine Meinung, Hüffer/Koch, AktG, § 203 Rz. 40. Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, S. 214 f.
304 | Krause
§7 Umplatzierungen bestehender Aktien I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . a) Blocktrade . . . . . . . . . . . . . b) Marketed Offering . . . . . . . . c) Paketverkauf . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftlicher Hintergrund . . a) Transaktionsziele . . . . . . . . . b) Gesichtspunkte für und wider einen Blocktrade . . . . . . . . . c) Transaktionsstruktur und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . 3. Verteilung des wirtschaftlichen Risikos bei einem Blocktrade zwischen Veräußerer und Investmentbank . . . . . . . . . . . a) Verkaufskommission . . . . . . b) Garantierter Mindestpreis . . . c) (Zwischen-)Erwerb durch die Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zeitplan für einen typischen Blocktrade . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlusserfordernisse . . . . . . IV. Einzelheiten des Übernahmevertrages für einen Blocktrade . 1. Vertragstypen: Kommission, (Zwischen-)Erwerb, Mischtypen 2. Bedeutung des Einflusses des Veräußerers auf die Zielgesellschaft/Mitwirkung der Zielgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelne Klauseln (Kommission) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
__ __ __ _ _ _ __ _ _ __ _ _ _ _
7.1 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.5 7.6 7.9
7.12 7.13 7.14 7.15 7.16 7.17 7.21 7.21
7.22 7.24
a) Gewährleistungen und Verpflichtungen . . . . . . . . . . . b) Insbesondere Haftungsfreistellung zugunsten der Bank c) Aufschiebende Bedingungen für die Kaufpreiszahlung . . . d) Kündigung . . . . . . . . . . . . e) Stabilisierung . . . . . . . . . . f) Modifikationen durch das Recht des Heimatstaates der Zielgesellschaft . . . . . . . . .
. . .
_ _ __ _
.
7.35
. .
V. Insiderrechtliche Aspekte . . . . 1. Insiderinformationen aus der Sphäre der Zielgesellschaft . . . . 2. Geplanter Blocktrade als Insiderinformation . . . . . . . . . 3. Unterstützung der Transaktion durch die Zielgesellschaft . . . . VI. Haftungsfragen . . . . . . . . 1. Prospekthaftung . . . . . . . . 2. Gewährleistungshaftung . . a) Ansprüche der Bank . . . . b) Ansprüche der Investoren 3. Keine Aufklärungspflicht . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
VII. Sonderfragen: Handelspflicht, Best Execution und Anzeigepflichten der Bank . . . . . . . . VIII. Folgepflichten für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.25 7.30 7.32 7.33 7.34
_ _ _ _ _ __ __ __ _ _
7.36 7.37 7.43 7.47 7.51 7.51 7.55 7.56 7.58 7.59
7.61 7.66
Schrifttum: Arbeitskreis zum Deutsche Telekom III-Urteil des BGH, Thesen zum Umgang mit dem „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH vom 31.05.2011, NJW 2011 S. 2179 bei künftigen Börsengängen, CFL 2011, 377; Assmann, Die Befreiung von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Börsenzulassungsprospekts nach § 45 Nr. 1 BörsZulVO und die Prospekthaftung: Eine Lücke im Anlegerschutz?, AG 1996, 508; Barnert, Mängelhaftung beim Unternehmenskauf zwischen Sachgewährleistung und Verschulden bei Vertragsschluss im neuen Schuldrecht, WM 2003, 416; Bühren, Auswirkungen des Insiderhandelsverbots der EU-Marktmissbrauchsverordnung auf M&A-Transaktionen, NZG 2017, 1172; Busch, Aktien- und börsenrechtliche Aspekte von Force Majeure-Klauseln in Aktienübernahmeverträgen, WM 2001, 1277; Ellenberger, Prospekthaftung im Wertpapierhandel, 2001; Fredebeil, Aktienemissionen, 2002; Frese, Kredite und verdeckte Sacheinlage – Zur Sondersituation von Emissionsbanken, AG 2001, 15; Gerke/Rasch, Ausgestaltung des Blockhandels an der Börse, Die Bank 1992, 193; Götz, Die unbefugte Weitergabe von Insidertatsachen, DB 1995, 1949; Greene und andere, U.S. Regulation of the International Securities and Derivatives Markets, 12th Edition 2017 (zit.: Greene, U.S. Securities Market); Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 13. Aufl. 2018; Hoffmann-Becking, Neue Formen der Akti-
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§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien enemission, FS Lieberknecht, 1997, S. 25; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 15. Aufl. 2017; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991; Hopt, Europäisches und deutsches Insiderrecht, ZGR 1991, 17; Hopt, Emissionsgeschäft und Emissionskonsortien – Recht und Praxis in Deutschland und in der Schweiz, FS Kellermann, 1991, S. 181; Huber, Die Praxis des Unternehmenskaufs im System des Kaufrechts, AcP 202 (2002), 179; JohnsonMcLaughlin, Corporate Finance and the Securities Laws, 5th Edition 2017; Klöhn, Die (Ir-)Relevanz der Wissenszurechnung im neuem Recht der Ad-hoc-Publizität und des Insiderhandelsverbots, NZG 2017, 1285; Klöhn, Die Spector-Vermutung und deren Widerlegung im neuen Insiderrecht, WM 2017, 2085; Krämer/Baudisch, Neues zur Börsenprospekthaftung und zu den Sorgfaltsanforderungen beim Unternehmenskauf – Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des LG Frankfurt am Main vom 7. Oktober 1997, WM 1998, 1161; Krämer/Gillesen/Kiefner, Das „Telekom III“-Urteil des BGH – Risikozuweisungen an der Schnittstelle von Aktien- und Kapitalmarktrecht, CFL 2011, 328; Larisch, Gewährleistungshaftung beim Unternehmens- und Beteiligungskauf, 2004; Liersch, Regulierung des Blockhandels an den organisierten Aktienmärkten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Deutschlands, 2002; Mertens, Die Information des Erwerbers einer wesentlichen Unternehmensbeteiligung an einer Aktiengesellschaft durch deren Vorstand, AG 1997, 541; Meyer, Neue Entwicklungen bei der Kursstabilisierung, AG 2004, 289; Meyer, Aspekte einer Reform der Prospekthaftung – Eine Würdigung der Verhandlungen des 64. deutschen Juristentages – Teil 1, WM 2003, 1301; Picot/Land, Going Public – Typische Rechtsfragen des Ganges an die Börse, DB 1999, 570; Carsten Schäfer, Prospekthaftung bei öffentlicher Umplatzierung von Aktien – zur richtigen Verteilung von Risiken, ZIP 2010, 1877; Schlitt, Die öffentliche Umplatzierung von Aktien, CFL 2010, 304; Schlitt/Schäfer, Quick to Market – Aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit Block-Trade-Transaktionen, AG 2004, 346; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen der Umsetzung der Transparenzrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie auf Aktien- und Equity-linked-Emissionen, AG 2007, 227; Schnorbus, Die Rechtsstellung der Emissionsbank bei der Aktienemission, AG 2004, 113; Seibt/Wollenschläger, Revision des Marktmissbrauchsrechts durch Marktmissbrauchsverordnung und Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Marktmanipulation, AG 2014, 593; Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, 2001; Singhof in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2014, Band 6, Emissionsgeschäft; Singhof, „Market Sounding“ nach der Marktmissbrauchsverordnung, ZBB 2017, 193; Stoffels, Grenzen der Informationsweitergabe durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft im Rahmen einer „Due Diligence“, ZHR 165 (2001), 362; Technau, Rechtsfragen bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen („Underwriting Agreements“) im Zusammenhang mit Aktienemissionen, AG 1998, 445; Tissen, Die Investorensuche im Lichte der EU-Marktmissbrauchsverordnung, NZG 2015, 1254; Wastl, Der Handel mit größeren Aktienpaketen börsennotierter Unternehmen, NZG 2000, 505; Weitnauer, Der Unternehmenskauf nach neuem Recht, NJW 2002, 2511; Willamowski, Bookbuilding, 2000; Wink, Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft bei der Umplatzierung von Aktien und Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG, AG 2011, 569; Wolf/Kaiser, Die Mängelhaftung beim Unternehmenskauf nach neuem Recht, DB 2002, 411.
I. Einleitung 1. Begriffsbestimmung 7.1
Umplatzierungen bestehender Aktien finden in der Praxis regelmäßig in Form eines sog. Blocktrade (Platzierung der Aktien im Kapitalmarkt mit beschleunigtem Bookbuilding) statt, ausnahmsweise auch in Form eines sog. Marketed Offering1 (Platzierung der Aktien im Kapitalmarkt mit öffentlichem Angebot/Vermarktung und nicht beschleunigtem Bookbuilding). Daneben können bestehende Aktien – außerhalb des Kapitalmarktes – im Rahmen eines Paketverkaufs umplatziert werden. 1 Die Verwendung der englischen Begriffe beruht dabei darauf, dass bei dieser Transaktionsform wie bei anderen Kapitalmarkttransaktionen die internationale (stark US-amerikanisch geprägte) Praxis der Investmentbanken eine besondere Rolle spielt.
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
a) Blocktrade Unter einem Blocktrade wird eine Veräußerung eines Paketes von Aktien2 an einer börsennotierten Gesellschaft im Rahmen einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren unter Einschaltung einer die Transaktion strukturierenden Investmentbank bzw. eines Bankenkonsortiums verstanden3. Charakteristisch für den Blocktrade ist das beschleunigte Bookbuilding4: die Veräußerung ist regelmäßig innerhalb weniger Stunden, längstens aber innerhalb weniger Tage abgeschlossen5. Sie erfolgt ohne Wertpapierprospekt bzw. ohne Angebotsunterlage6. Vertragliche Grundlage zwischen dem Verkäufer und den Investoren ist lediglich ein sog. Termsheet sowie ein zwischen Veräußerer (bzw. regelmäßig der Bank als Vertreter des Veräußerers) und Investor geführtes Telefonat. Der Veräußerer ist regelmäßig bereit, einen (geringen) Abschlag auf den aktuellen Börsenkurs hinzunehmen.
7.2
b) Marketed Offering Der Veräußerer und die begleitende Bank können die Transaktion auch als Marketed Offering, bei dem ein Wertpapierprospekt oder ein sonstiges Angebotsdokument verwendet wird, strukturieren. Die Abgrenzung zum Blocktrade im Einzelnen ist fließend, Mischformen mit oder ohne öffentliches Angebot der Aktien kamen in der Vergangenheit bisweilen vor7. Die breitere Vermarktung der Umplatzierung bei Investoren ermöglicht ein gegenüber dem Blocktrade deutlich längeres Bookbuilding über mehrere Tage oder Wochen; regelmäßig ist sie mit einer Investorenansprache durch das Management der Zielgesellschaft (road show) verbunden. Marketed Offerings haben aber nach Inkrafttreten des Wertpapierprospektgesetzes am 1.7.2005 praktisch an Relevanz verloren, da das Marketed Offering in der Regel als öffentliches Angebot bereits börsenzugelassener Aktien durchgeführt wird und daher – anders als vor Inkrafttreten des Wertpapierprospektgesetzes – nur auf der Grundlage eines gebilligten Wertpapierprospekts vorgenommen werden kann 2 Regelmäßig handelt es sich um Pakete von unter 10 %, ausnahmsweise bis zu 25 % des Grundkapitals. 3 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 346. 4 Zum Begriff des Bookbuilding Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/86, Willamowski, Bookbuilding. 5 Jüngere Beispiele für Blocktrades in Aktien deutscher Gesellschaften sind z.B. der Verkauf von Aktien der Siltronic AG durch die Wacker Chemie AG im März 2017, vgl. https://www.wacker. com/cms/media/de/documents/pressrelease-pdf/siltronic_bookbuilding.pdf (Abruf v. 20.6.2018); Verkauf von Covestro-Aktien durch Bayer im Februar 2017, vgl. http://www.presse.bayer.de/bay news/baynews.nsf/id/Bayer-will-Covestro-Anteil-reduzieren (Abruf v. 20.6.2018); Verkauf von Aktien der Hapag-Lloyd AG durch TUI, vgl. https://www.tuigroup.com/de-de/medien/presse informationen/ag-meldungen/2017/2017-07-10-tui-group-trennt-sich-vom-containergeschaeft-an teile-an-hapag-lloyd-ag-verkauft (Abruf v. 20.6.2018). 6 Deswegen werden Veräußerungen in Form von Blocktrades bisweilen auch als „Undocumented Secondary Offering“ bezeichnet, s. Greene, U.S. Securities Market, Volume One, Chapter IV § 10.4. Die Angebotsunterlage dann als „Informationsmemorandum“ bezeichnet, wenn es sich nicht um einen Prospekt im technischen Sinne handelt, zur Begrifflichkeit vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 26 ff. 7 Jedenfalls vor Inkrafttreten des WpPG am 1.7.2005 wurde dies in einzelnen Fällen so gemacht, Beispiel: Informationsmemorandum v. 15.2.2001 über den Verkauf von 7,1 Mio. Stückaktien (zuzüglich Mehrzuteilung) an der Techem AG aus dem Bestand von (BC European Capital) Fondsgesellschaften. Zu den Gründen für ein Marketed Offering eingehend: Ries in Grunewald/Schlitt, § 4 II.1 und Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 7 Rz. 20 f.
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7.3
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
(§ 3 Abs. 1 Satz 1 WpPG)8. Ein Marketed Offering wird in der Praxis aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwands und der Kosten daher nur in den Fällen vorkommen, in denen die geringere Marktgängigkeit der angebotenen Aktien, die Größe des Aktienpaketes oder die begrenzte Aufnahmefähigkeit des Marktes9 die breite Vermarktung der Aktien auf Basis eines öffentlichen Angebots erfordern. Veräußerer und Investmentbank werden daher regelmäßig dem Blocktrade und nur ausnahmsweise dem Marketed Offering den Vorzug geben. Schwerpunkt der folgenden Darstellung ist, entsprechend seiner höheren praktischen Relevanz, der Blocktrade. c) Paketverkauf
7.4
Im Unterschied zu den vorbeschriebenen Kapitalmarkttransaktionen, bei denen die Aktien an eine Investorenvielzahl veräußert werden, gibt es bei einem Paketverkauf lediglich einen (oder einzelne) Erwerber10. Es handelt sich also letztlich – vor allem unter dem Gesichtspunkt der Vertragsgestaltung aus Erwerbersicht – um eine M&A-Transaktion11; daher können andere Aspekte, z.B. Übernahmerecht und Kartellrecht, eine Rolle spielen, die für die unter a) und b) (Rz. 7.2 f.) betrachteten Kapitalmarkttransaktionen in aller Regel irrelevant sind. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist, ob der oder die Erwerber im Vorhinein feststehen und selbst mit dem Veräußerer den Kaufvertrag verhandeln (dann Paketverkauf, selbst wenn eine Mehrzahl von Erwerbern auftritt, wie etwa bei einem Leveraged Buy-Out oder einem Management Buy-Out) oder ob die Bank die Erwerber, die dann mit dem Veräußerer selbst typischerweise keinen Kontakt haben, erst in einem Bookbuilding ermittelt. Als weiteres Charakteristikum des Paketverkaufs wird der sog. Paketzuschlag, d.h. ein auf dem strategischen Interesse des Erwerbers beruhender, gegenüber dem Börsenkurs höherer Kaufpreis angesehen12. Obwohl auch beim Paketverkauf Investmentbanken (als Berater) eine zunehmende Rolle spielen, soll auf diesen wegen des fehlenden Kapitalmarktbezuges im Folgenden nicht weiter eingegangen werden13.
2. Wirtschaftlicher Hintergrund a) Transaktionsziele
7.5
Wie bei anderen Kapitalmarkttransaktionen auch zielt der Veräußerer im Rahmen eines Blocktrade in der Regel auf eine Optimierung des Erlöses und eine Minimierung der Risiken in Anbetracht der Marktbedingungen ab. 8 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 104. Ein Wertpapierprospekt wäre insbesondere nur dann nicht erforderlich, wenn sich das Marketed Offering in jedem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums an weniger als 150 Anleger (die nicht sog. qualifizierte Anleger sind) richtet, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpPG. 9 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 104. 10 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 347. 11 Dazu Semler in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, III. Teil: Unternehmenskauf, und Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis. 12 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 103; Wastl, NZG 2000, 505, 506. 13 Hinzuweisen ist aber darauf, dass nach bislang h.M. – anders als nach der hier vertretenen Auffassung – Paketverkäufe insiderrechtlich in Teilen anders bewertet werden als Block Trades, dazu Rz. 7.37 ff. und 7.48 ff.
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b) Gesichtspunkte für und wider einen Blocktrade Ausgangspunkt der Überlegungen für einen Blocktrade ist der Umstand, dass sich das zu veräußernde Paket wegen des im Markt ansonsten entstehenden Angebotsüberhanges entweder gar nicht oder jedenfalls nicht in der Nähe des aktuellen Börsenkurses kurzfristig über die Börse veräußern ließe: maßgeblich ist dabei die Liquidität der jeweiligen Aktie, bzw. dass ein Paketverkauf an einen einzelnen oder wenige Einzelinvestoren ausscheidet. Deswegen schaltet der Verkäufer die Investmentbank ein, die den Kontakt zu den Investoren herstellt.
7.6
Für einen Blocktrade spricht die Volatilität der Märkte14, die eine möglichst schnelle Platzierung am Markt bedingt. Je länger der Zeitraum zwischen Ankündigung der Transaktion und deren Abschluss ist, desto größer ist das Risiko einer nachteiligen Kursentwicklung15. Zudem sind die Kosten der Durchführung eines Blocktrade im Vergleich zu einem Marketed Offering (mit Erstellung eines Wertpapierprospekts und kostenträchtiger Roadshow) geringer. Vorteilhaft ist zudem das vergleichsweise niedrige Reputationsrisiko16 des Veräußerers, wenn sich die Transaktion wider Erwarten doch als nicht (erfolgreich) durchführbar herausstellen sollte. All dies hat in den letzten Jahren auch in Deutschland zur zunehmenden Verbreitung des Blocktrade geführt.
7.7
Demgegenüber ermöglicht allein ein Marketed Offering, für das ein Wertpapierprospekt erstellt werden muss, eine breite Platzierung. In der Praxis fand sich diese – nicht sehr häufige – Transaktionsstruktur vor allem bei direkten oder indirekten Privatisierungen17. Bei diesen ist es auch strukturell leichter, das Management der Zielgesellschaft für Marketingmaßnahmen im Rahmen einer sich über mehrere Tage oder Wochen hinziehenden Investorenansprache zu gewinnen. U.U. lässt sich auf diesem Wege zudem ein größeres Paket als im Wege des Blocktrade platzieren (s. zu den Unterschieden zum Blocktrade schon unter Rz. 7.3).
7.8
c) Transaktionsstruktur und -gestaltung Zwischen Veräußerer und Investmentbank wird bei einem Blocktrade ein sog. Übernahmevertrag18 abgeschlossen, der die Einzelheiten der Transaktion regelt. Vereinfacht dargestellt kann dabei zwischen drei Transaktionsformen unterschieden werden: einfache (Verkaufs-) Kommission (best efforts), Kommission mit Mindestpreisgarantie (back-stop) und (Zwischen-)Erwerb durch die Investmentbank (bought deal). Zur Verteilung des wirtschaftlichen Risikos s. Rz. 7.12 ff., zu Einzelheiten des Übernahmevertrages Rz. 7.21 ff.
14 Diese wurde in den letzten Jahren durch die zunehmende Bedeutung der sog. „Shortseller“ verstärkt. Der Shortseller spekuliert auf fallende Kurse in einer Aktie und gibt zu diesem Zweck geliehene Stücke in den Markt, die er im Folgenden bei tatsächlich fallenden Kursen günstiger zurückkaufen kann (auch als „Leerverkauf“ bezeichnet). 15 Vgl., auch zum Folgenden, Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 346. 16 U.U. entfällt dieses Risiko – je nach Transaktionsform, dazu Rz. 7.12 ff. und 7.21 – sogar weitgehend. 17 Für Deutschland z.B. Verkaufsprospekt der Deutsche Telekom AG v. 25.6.2000 über den Verkauf von 200 Mio. Stückaktien (zuzüglich Mehrzuteilung) aus dem Bestand der KfW („Deutsche Telekom III“). 18 Der bei Blocktrades häufig auch als „Platzierungsvertrag“ oder „Placement Agreement“ bezeichnet wird.
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7.9
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
7.10 Hinsichtlich der Wahl des optimalen Zeitpunktes für die Transaktion und der genauen
Struktur wird sich der Veräußerer regelmäßig eng mit der Investmentbank abstimmen, die hierzu besonderes Know-how hat. Erforderlich ist dabei insbesondere die Synchronisierung mit dem regelmäßigen Berichtswesen der Zielgesellschaft sowie mit sonstiger „Guidance“ der Zielgesellschaft dem Markt gegenüber, etwa in Form von Veröffentlichungen von Insiderinformationen nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) (sog. Adhoc-Mitteilungen) oder Pressemitteilungen. Aus Marktsicht und aus Sicht aller Beteiligten dürfte dabei regelmäßig eine Transaktion kurzfristig im Anschluss an eine diesbezügliche Veröffentlichung der Gesellschaft nahe liegen, da zu diesem Zeitpunkt die Transparenz im Markt in Bezug auf die Aktien in der Regel am höchsten ist19. In der Praxis wird zur Vermeidung von zusätzlichen Risiken zudem häufig ein Abstand von mindestens drei bis vier Wochen bis zum nächsten (regelmäßigen) Veröffentlichungstermin gelassen20.
7.11 Hinzuweisen ist darauf, dass es (an der Frankfurter Wertpapierbörse auf der Grundlage
von § 44c BörsO FWB a.F.) in der Vergangenheit spezielle Blocktrade-Börsensegmente gab, die zwischenzeitlich aber wegen ihrer geringen Bedeutung eingestellt und daher hier nicht weiter besprochen werden21.
3. Verteilung des wirtschaftlichen Risikos bei einem Blocktrade zwischen Veräußerer und Investmentbank 7.12 Grob lassen sich drei Formen der Risikoverteilung22 zwischen Veräußerer und Bank unterscheiden:
– Verkaufskommission (best efforts underwriting)23, – Verkaufskommission mit garantiertem Mindestpreis (back-stop) und – (Zwischen-)Erwerb durch die Investmentbank (bought deal). a) Verkaufskommission
7.13 Bei einer Verkaufskommission übernimmt die Bank die Aktien nicht selbst fest, sondern
verpflichtet sich lediglich, nach besten Kräften Erwerber zu finden (best efforts underwriting). Kernstück des sog. Übernahmevertrages zwischen Veräußerer und Bank ist in diesem Falle, dass eine bestimmte Höchstanzahl von Aktien zu einem noch festzusetzenden Preis an Investoren bis zu einem bestimmten Datum veräußert werden sollen. Die genaue Anzahl der Aktien und der Preis werden erst nach Vollendung des Bookbuildings in einem Preis-
19 Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.58. 20 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 103. 21 Grundlegend Gerke/Resch, Die Bank 1992, 193; vgl. auch Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 347 m.w.N., die auch auf das Problem der hierdurch u.U. erfolgenden (unerwünschten) Zersplitterung des Marktes hingewiesen hatten; vgl. auch das Xetra-Rundschreiben 179/08 der Frankfurter Wertpapierbörse v. 10.10.2008. 22 Vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/76 ff. und Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 184 f. 23 Dazu, dass es sich um eine Verkaufskommission handelt, vgl. Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, Rz. 24, 36; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/72.
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
festsetzungsvertrag festgelegt, auf dessen Abschluss kein Anspruch besteht24. Die Bank erhält dabei in der Regel einen festen Prozentsatz des Transaktionsvolumens als Kommission; Staffelungen der Kommission zum Zwecke der Incentivierung sind möglich. Zwar ist dabei das Risiko der Transaktion für die begleitende Bank am geringsten. Dem Veräußerer stehen aber andererseits die Früchte eines steigenden Kurses und einer erfolgreichen Platzierung mit Ausnahme der Bankenkommission voll zu, da die Bank im Gegensatz zu Transaktionen mit garantiertem Mindestpreis bzw. Bought Deals in der Regel keine zusätzliche Risikoprämie erhält. b) Garantierter Mindestpreis Veräußerer und Bank können im Übernahmevertrag auch bestimmen, dass die Bank für eine bestimmte Mindestanzahl von Aktien einen Mindestpreis (back-stop) derart garantiert, dass sie diese Stücke notfalls zu diesem Preis selbst erwirbt, soweit sie sie nicht bei Investoren platzieren kann. Der Mindestpreis stellt dabei einen Prozentsatz eines zuvor festgelegten Referenzwertes dar25; zentral für den Erfolg der Transaktion im Sinne einer Preisoptimierung ist, dass der Mindestpreis (zumindest bis zur Zuteilung, zur sog. „Nachhandelstransparenz“ s. Rz. 7.70) streng vertraulich behandelt wird, da ansonsten ein höherer Preis im Markt kaum durchsetzbar sein dürfte. Dabei werden Mindestanzahl und Mindestpreis ggf. unter die (aufschiebende) Bedingung gestellt, dass im Bookbuilding der Mindestpreis für eine bestimmte Anzahl Stücke erreicht wird. Je nach Strukturierung ist ein Preisfestsetzungsvertrag dann lediglich erforderlich, wenn die Mindestanzahl und/ oder der Mindestpreis überschritten werden, was der Regelfall sein dürfte. Bei dieser Gestaltung wird die Bank eine Risikoprämie verlangen, etwa in Form eines sog. BackstopHonorars und/oder einer gestaffelten höheren Kommission bei Überschreitung des Mindestpreises.
7.14
c) (Zwischen-)Erwerb durch die Bank Wenn der Veräußerer selbst keinerlei Risiko tragen möchte, ist für ihn die einfachste Variante die direkte Veräußerung an die Bank (bought deal): Diese trägt damit das Risiko der Weiterveräußerung in der Regel vollständig. Dem entspricht allerdings regelmäßig die Risikoprämie in Form eines erheblichen Preisabschlages. Der Gewinn bzw. Verlust26 der Bank ergibt sich dann aus dem bei der Weiterveräußerung erzielten Preis. Da die Banken (aus verschiedenen Gründen) die Aktien nicht lange auf eigenes Risiko halten, findet regelmäßig der zweite Abschnitt der Platzierung (wie oben a) und b), Rz. 7.13 und 7.14) durch ein unmittelbar anschließendes Bookbuilding mit Veräußerung an Investoren statt. 24 Regelmäßig wird vereinbart, dass bei Nichtzustandekommen des Preisfestsetzungsvertrages, z.B. weil im Bookbuilding nicht der von dem Veräußerer gewünschte Preis erreicht wird, lediglich bestimmte Klauseln des Übernahmevertrages fortbestehen. Diese betreffen insbesondere Kosten und Haftungsfreistellung. Dagegen hat keine der Parteien einen Anspruch auf Durchführung der Transaktion oder auf die Nicht-Durchführung gestützte Sekundäransprüche. 25 Die Bank wird eine solche Verpflichtung regelmäßig nur eingehen, wenn sie den Referenzpreis kennt, d.h. nach Abschluss des Handels an dem letzten für den Referenzpreis maßgeblichen Tag. Zur Zurückhaltung der Banken gegenüber einer verfrühten Unterzeichnung des Übernahmevertrages allgemein Busch, WM 2001, 1277 und Technau, AG 1998, 445, 447, jeweils m.w.N. 26 Banken haben bei derartigen Transaktionen schon erhebliche Verluste erlitten, vgl. z.B. MacDonald/Thompson, Reuters News v. 12.1.2004 zur Übernahme eines Infineon-Blocks durch die Citigroup: die begleitende Bank soll an der Transaktion um die 37,5 Mio. Euro verloren haben.
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7.15
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
II. Zeitplan für einen typischen Blocktrade 7.16 Nachfolgend soll ein grober Zeitplan für eine typische Blocktrade-Transaktion vorgestellt werden27: Tag x–2: Sowohl die Pressemitteilung des Veräußerers (oder Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) des Veräußerers bzw. der Zielgesellschaft)28 als auch Übernahmevertrag und Termsheet sollten vollständig vorbereitet sein Tag x–1: – Nach XETRA-Schluss: der relevante Vergleichskurs ist bekannt; kein weiterer Handel in der Aktie ist an diesem Tag möglich – Abschließende Entscheidung des Veräußerers und der Bank über die Transaktionsdurchführung – Unterzeichnung des Übernahmevertrages Tag x: Veröffentlichung der Pressemitteilung (oder Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 VO Nr. 596/ 2014 [MAR]) zum Beginn der Transaktion29 – Bookbuilding (mit Termsheet und telefonischer Investorenansprache) – Unterzeichnung des Preisfestsetzungsvertrages nach Abschluss des Bookbuilding – Zuteilung der Aktien an Investoren (= Bekanntgabe der jeweils erhaltenen Aktienzahl und des Preises) Veröffentlichung der Pressemitteilung (oder Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 VO Nr. 596/ 2014 [MAR]) zum erfolgreichen Abschluss der Transaktion30 Tag x+2: – Eigentumsübergang der Aktien auf die Investoren Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises und Auskehr des Erlöses (abzüglich der Kommission) an den Veräußerer
27 Annahmen: Die Zielgesellschaft ist nur in Deutschland börsennotiert; alle Tage sind Bankarbeitstage. 28 Eine Ad-hoc-Mitteilung der Zielgesellschaft nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) wird nur dann erforderlich sein, wenn zum einen die Zielgesellschaft Kenntnis von dem geplanten Blocktrade hat und zum anderen die Änderung des Aktionärskreises als kursrelevante Tatsache eingestuft wird; letzteres wird maßgeblich von der Anzahl und dem Wert der zu verkaufenden Aktien abhängen. S. dazu auch Rz. 7.69. 29 Je nach zeitlicher Gestaltung auch schon am Tag X-1 erforderlich oder zumindest möglich. Zu den insiderrechtlichen Aspekten und einer entsprechenden Veröffentlichungspflicht s. näher Rz. 7.43 ff. 30 Zur Erforderlichkeit von Ad-hoc-Mitteilungen siehe schon Fn. 29 und Rz. 7.67 ff.
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III. Beschlusserfordernisse Ist der Veräußerer in der Form einer Aktiengesellschaft organisiert, bedarf der Abschluss des Übernahmevertrages typischerweise eines Vorstandsbeschlusses. Soweit ein Preisfestsetzungsvertrag erforderlich ist, muss der Vorstand auch diesem zustimmen.
7.17
Inwiefern ein Aufsichtsratsbeschluss erforderlich ist, hängt von einem in Satzung oder Geschäftsordnung des Vorstands enthaltenem Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ab; zu beachten ist dabei, dass der Aufsichtsrat die Durchführung eines Blocktrades (wie jedes andere Geschäft) auch ohne entsprechende ausdrückliche Regelung ad hoc von seiner Zustimmung abhängig machen kann31. Dies bedeutet, dass bei nicht unbedeutenden Blocktrades oftmals die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich sein dürfte. Allerdings dürfte dabei die Festlegung einer Preisspanne ausreichen, so dass ein zweiter Beschluss im Falle des Abschlusses eines Preisfestsetzungsvertrages in der Regel entbehrlich ist32.
7.18
Nach der Gelatine-Entscheidung des Bundesgerichtshofes33, durch welche das Gericht die Holzmüller-Entscheidung34 präzisiert hat, dürfte in aller Regel für einen Blocktrade keine Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich sein: hierfür müsste jedenfalls der Transaktionswert weit mehr als einen Schwellenwert von 50 % des Vermögens des Veräußerers betragen35. Auch die Zustimmung der Hauptversammlung nach § 179a Abs. 1 AktG (Übertragung des Vermögens der Aktiengesellschaft im Ganzen oder eines wesentlichen Teils davon) dürfte für einen Blocktrade in aller Regel nicht relevant sein.
7.19
Ist der Veräußerer dagegen als GmbH organisiert, so sind nach der neueren Lehre außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen im Zweifelsfall den Gesellschaftern vorzulegen36. Hierzu dürften die meisten Blocktrades gehören.
7.20
IV. Einzelheiten des Übernahmevertrages für einen Blocktrade 1. Vertragstypen: Kommission, (Zwischen-)Erwerb, Mischtypen Die entscheidende Weichenstellung im Übernahmevertrag37 liegt bei der bereits – im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Hintergrund unter Rz. 7.12 ff. – angesprochenen Strukturierung als Kommission, als (Zwischen-)Erwerb der Bank oder als Mischtyp (garan31 Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rz. 39; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 29 Rz. 52. 32 Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 350 m.w.N. verweisen hierzu zu Recht auf die Parallele zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. In der Praxis wird diese Kompetenz oft ausdrücklich im ersten Aufsichtsratsbeschluss auf den Vorstand übertragen. 33 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, ZIP 2004, 993 = AG 2004, 384. 34 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158. 35 Nach der Entscheidung ist weiter unklar, welcher Parameter (z.B. Buchwert, Ertragswert etc.) entscheidend ist. 36 Vgl. die Nachweise bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rz. 7 ff. mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes; Zöllner/Noack selbst sind insofern eher vorsichtig und differenzieren nach Fallgruppen. 37 Zum Übernahmevertrag immer noch grundlegend: Technau, AG 1998, 445; vgl. auch Busch, WM 2001, 1277 und Schnorbus, AG 2004, 113, passim; vgl. auch Meyer in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.104 ff.
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7.21
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
tierter Mindestpreis) aus beidem. Dabei verdienen im strengen Sinne nur die Verkaufskommission und der Mischtyp die Bezeichnung „Übernahmevertrag“, da nur hier der Veräußerer in die Weiterveräußerung an Investoren und deren Risiken und Chancen (zumindest teilweise) eingebunden ist. Dagegen übernimmt die Bank beim (Zwischen-)Erwerb aufgrund eines Kaufvertrages das Weiterplatzierungsrisiko (und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten) in der Regel vollständig38. Dem entspricht, dass einem solchen Kaufvertrag für Übernahmeverträge gemeinhin grundlegende Klauseln typischerweise fehlen, insbesondere das Kündigungsrecht der Bank in bestimmten Fällen, etwa bei Eintreten einer wesentlichen nachteiligen Veränderung bei der Zielgesellschaft oder eines Force Majeure-Ereignisses. Zu den Einzelheiten zum Übernahmevertrag s. auch § 29.
2. Bedeutung des Einflusses des Veräußerers auf die Zielgesellschaft/ Mitwirkung der Zielgesellschaft 7.22 Je größer der Einfluss des Veräußerers auf die Zielgesellschaft ist, desto besser kann diese in
die Transaktion eingebunden werden. So ist die Mitwirkung der Zielgesellschaft an einem Marketed Offering mit Blick auf die Erstellung des regelmäßig erforderlichen Wertpapierprospekts, vor allem aber auf die Vermarktung regelmäßig unverzichtbar. Bei einem normalen Blocktrade wird die Zielgesellschaft dagegen nur ausnahmsweise zur Mitwirkung bereit sein, sei es durch die Übernahme von Gewährleistungen im Übernahmevertrag, sei es durch die Bereitstellung von Unterlagen für Zwecke einer Due Diligence. Je nach den Umständen des Einzelfalles lässt sich eine solche Mitwirkung auch aktienrechtlich mit Blick auf 38 Letztlich sind also das Risiko und die Verdienstmöglichkeiten der Bank anders strukturiert als es bei einem Übernahmevertrag typischerweise der Fall ist. Die Bank wird (nicht lediglich für eine juristische Sekunde) Eigentümer der Aktien, d.h. Aktionär. Für die hier an sich besprochenen Fälle der Umplatzierung bestehender Aktien ergeben sich daraus keine besonderen Probleme. Allerdings gibt es auch Platzierungen von Aktien im Wege eines beschleunigten Bookbuildings aus (regelmäßig unter 10 %igen) Kapitalerhöhungen, in denen die Bank für den Emittenten neu geschaffene Aktien am Markt platziert. Für diesen letzten Fall ergibt sich die Frage, ob mit Blick auf ihre lediglich transitorische Aktionärsstellung eine Privilegierung der Bank in Bezug auf die aktienrechtlichen Vorschriften zur Kapitalerhaltung zu bejahen ist, etwa wenn die Bank (oder ein Syndikatsmitglied) in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Transaktion Kredite an die Zielgesellschaft ausgereicht hatte. Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in der 3. Entscheidung zum Verfahrenskomplex „Beton- und Monierbau“, BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 = AG 1992, 312, welche eine Privilegierung der Emissionsbank im Rahmen der Kapitalaufbringungskontrolle begründet hatte. In der Literatur hat im Anschluss an Frese, AG 2001, 15, vor allem Schnorbus, AG 2004, 113, 116 eine grundsätzliche Privilegierung der Bank für solche Konstellationen hergeleitet. Schnorbus, AG 2004, 120 hält allerdings im Anschluss an den Bundesgerichtshof eine Rückausnahme (auch schon) für den Fall geboten, dass die Bank die Aktien zu „eigennützigen Zwecken“ veräußert, „etwa zur Realisierung eines Veräußerungserlöses“. Diese Rückausnahme überzeugt deswegen nicht, weil die von Schnorbus herausgearbeiteten zentralen Kriterien der Privilegierung, die transitorische Funktion der Bank als Abwicklungsund Zahlstelle sowie deren fehlendes wirtschaftliches Eigeninteresse an den Aktien auch hier vorliegen. Warum sich daran allein deswegen etwas ändern soll, weil die Bank aufgrund der (möglicherweise mehr vom Veräußerer als von ihr selbst) gewählten Transaktionsstruktur sogar ein höheres wirtschaftliches Risiko trägt, erscheint jedenfalls dann nicht überzeugend, wenn es beim lediglich transitorischen Erwerb mit kurzfristiger Weiterplatzierung an Dritte bleibt. Im Grunde muss man sich einen etwaigen Gewinn der Bank aus der Weiterplatzierung auch hier als Kommission vorstellen.
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
die eigenen Interessen der Zielgesellschaft, insbesondere die Vergrößerung des Streubesitzes (free float) sowie die Aufrechterhaltung eines möglichst hohen Aktienkurses, rechtfertigen39. Allerdings wird die Zielgesellschaft regelmäßig vor Veröffentlichung der Pressemitteilung/ Ad-hoc-Mitteilung unmittelbar vor Platzierungsbeginn noch gar nicht über die Durchführung des Blocktrades informiert worden sein (z.B. in Fällen, in denen ein Mehrheitsaktionär sich nur von einem Teil seiner Aktien im Wege eines Blocktrades trennen will). Insbesondere ist die Frage des Einflusses des Veräußerers auf die Zielgesellschaft auch für die bei vielen Blocktrades nicht unwesentliche US-Platzierung bedeutsam: Ist nämlich der Veräußerer ein „Affiliate“40, d.h. ein verbundenes Unternehmen der Zielgesellschaft, dann handelt es sich nach US-Recht regelmäßig um „Restricted Stock“, so dass die US-Platzierung komplizierter wird, da eine Ausnahme vom US-Registrierungserfordernis für die Aktien erforderlich ist41. Einzelheiten hierzu s. bei § 45.
7.23
3. Einzelne Klauseln (Kommission) Neben den Bestimmungen zu Platzierung, Verkauf, Eigentumsübergang und Lieferung der Aktien sind für den Übernahmevertrag zentral a) Gewährleistungen und Verpflichtungen (insbesondere des Veräußerers), b) Haftungsfreistellung, c) aufschiebende Bedingungen sowie d) Kündigungsrechte. Betrachtet werden sollen außerdem kurz die Fragen e) der Stabilisierung und f) der Modifikation durch das Recht des Heimatstaates der Zielgesellschaft.
7.24
a) Gewährleistungen und Verpflichtungen Der Umfang der Gewährleistungen und Verpflichtungen des Veräußerers variiert, je nach den Umständen, insbesondere den weiteren kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungen und Gegebenheiten, erheblich. Allerdings kann als gesichert gelten, dass ihr Umfang gegenüber denjenigen des Emittenten in einem Übernahmevertrag im Rahmen eines Börsenganges (IPO) regelmäßig wesentlich geringer ist, da typischerweise nur wenige Aussagen zur Situation der Zielgesellschaft gemacht werden. Dies beruht darauf, dass der Veräußerer, von Ausnahmen abgesehen, auf Informationen der Zielgesellschaft, wenn überhaupt, nur begrenzt Zugriff hat42. Die Bank ihrerseits muss aber mit Blick auf ihr Haftungs-43 39 Dazu mit Blick auf den Übernahmevertrag Schnorbus, AG 2004, 113, 124 m.w.N.; mit Blick auf die Bereitstellung von Unterlagen vgl. Mertens, AG 1997, 541 und Stoffels, ZHR 165 (2001), 352. Im Zuge der Entscheidung des BGH in der Rechtssache „Deutsche Telekom III“, BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, AG 2011, 548 ist die aktienrechtliche Zulässigkeit von Gewährleistungen durch die Zielgesellschaft in dieser Konstellation fraglich geworden. Regelmäßig wird die Zielgesellschaft Gewährleistungen nur übernehmen dürfen, wenn der Veräußerer sie von einer etwaigen Haftung freistellt. S. auch Rz. 7.28. Zu beachten ist zudem, dass das Insiderrecht einzuhalten ist, dazu Rz. 7.36 ff. 40 Nach den Definitionen in Rule 144 des Securities Act von 1933 ist dies regelmäßig schon dann der Fall, wenn der Veräußerer direkt oder indirekt 10 % der Aktien an der Zielgesellschaft hält. 41 Hierzu Greene, U.S. Securities Market, Volume One, Chapter IV § 4.04[3]. 42 Auch eine etwaige Vertretung im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft ändert hieran nichts, da das Aufsichtsratsmitglied allein dem Interesse der Zielgesellschaft verpflichtet ist und Geheimhaltungspflichten unterliegt. 43 Ein Haftungsrisiko besteht in diesem Zusammenhang insbesondere, wenn auch eine Platzierung in den USA erfolgt, s. dazu Rz. 7.54 sowie ausführlich § 45. Da der Veräußerer dem Haftungsrisiko gleichermaßen ausgesetzt ist, ist sein Interesse demjenigen der Bank parallel.
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7.25
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
und Reputationsrisiko sicherstellen, dass der Veräußerer gegenüber den Investoren keinen wesentlichen Informationsvorsprung hat; dahingehende Gewährleistungen umfassen typischerweise (zumindest), dass dem Veräußerer keine für die Bewertung der Aktien wesentlichen Informationen bekannt sind, die nicht öffentlich bekannt sind, und dass, ggf. nach bestem Wissen des Veräußerers, die Berichterstattung der Zielgesellschaft in ihren Abschlüssen und Zwischenabschlüssen sowie in Veröffentlichungen von Insiderinformationen und Pressemitteilungen im Einklang mit geltendem Recht steht und vollständig und richtig ist.
7.26 Weitere typische Gewährleistungen betreffen den Übernahmevertrag, die Situation des
Veräußerers und dessen Berechtigung zum Verkauf sowie lastenfreies Eigentum an den Aktien, deren ordnungsgemäße Ausgabe und vollständige Einzahlung, Zulassung zum Börsenhandel, Dividendenberechtigung und freie Übertragbarkeit sowie das Fehlen einer Nachschusspflicht.
7.27 Umfasst sind weiterhin in aller Regel die Einhaltung aller rechtlichen Mitteilungspflichten
sowie bestimmter Veräußerungs- und Angebotsverbote (selling restrictions), das Unterlassen kursbeeinflussender Maßnahmen und die Bindung öffentlicher Stellungnahmen des Veräußerers (bis zum Closing) an die Zustimmung der Bank. Falls der Veräußerer im Rahmen der Transaktion nicht seinen gesamten Aktienbestand an der Zielgesellschaft abgibt, wird außerdem regelmäßig eine detailliert geregelte Haltepflicht (lock-up) vereinbart44. Schließlich sind regelmäßig besondere Gewährleistungen und Verpflichtungen in Bezug auf die USA zu beachten, dazu § 45.
7.28 Darüber hinaus kann die Zielgesellschaft, wenn sie ausnahmsweise Partei des Vertrages ist, bestimmte Gewährleistungen bezüglich ihrer Lage, insbesondere zur Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Abschlüsse sowie ihrer sonstigen kapitalmarktrelevanten Verlautbarungen abgeben45. Allerdings erfordert das damit verbundene Haftungsrisiko der Zielgesellschaft, die ja andererseits aus der Transaktion selbst keinen Mittelzufluss erhält, eine diesbezügliche Haftungsfreistellung durch den Veräußerer46.
7.29 Soweit umgekehrt die Bank Gewährleistungen übernimmt, beschränken sich diese auf die
Einhaltung bestimmter Selling Restrictions in bestimmten Jurisdiktionen einschließlich der USA.
44 Diese beträgt regelmäßig sechs Monate. Der Lock-up ist für die Kursentwicklung der Aktien bedeutsam, da er sicherstellt, dass nicht weitere Stücke aus den Beständen des Veräußerers auf den Markt kommen (wodurch ein Angebotsüberhang entstehen könnte) und das Vertrauen des Veräußerers in die Kursentwicklung der Aktie dokumentiert. 45 Nach früher h.M. waren solche Gewährleistungen schon dann ohne Verstoß gegen die §§ 57 Abs. 1, 71a AktG zulässig, wenn die Transaktion (auch) im Interesse der Zielgesellschaft liegt, vgl. Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 37; Picot/Land, DB 1999, 570, 573 und Fredebeil, Aktienemissionen, S. 231 f.; etwas vorsichtiger Technau, AG 1998, 445, 457. 46 So dürfte der BGH in der Rechtssache „Deutsche Telekom III“, BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/ 09, AG 2011, 548, zu verstehen sein; vgl. dazu statt vieler Schlitt, CFL 2010, 304; Carsten Schäfer, ZIP 2010, 1877; Wink, AG 2011, 569 und Krämer/Gillesen/Kiefner, CFL 2011, 328 sowie Arbeitskreis zum Deutsche Telekom III-Urteil des BGH, CFL 2011, 377 (S. 379, s. Ziffer 7 a.a.O. zum Freistellungsanspruch).
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b) Insbesondere Haftungsfreistellung zugunsten der Bank Eine weitere zentrale Bestimmung ist die Freistellung der Bank und ihrer verbundenen Unternehmen für tatsächliche oder (von Investoren) behauptete47 Verstöße des Veräußerers gegen Gewährleistungen und Verpflichtungen.
7.30
Soweit es darüber hinaus – anders als bei einem Blocktrade, etwa bei einem Marketed Offering – einen Wertpapierprospekt gibt, erstreckt sich die Freistellung auch auf tatsächliche oder (von Investoren) behauptete Unrichtigkeiten oder Auslassungen im Wertpapierprospekt. Zur Haftung für den Wertpapierprospekt s. Rz. 7.51 ff. und ausführlich in § 41.
7.31
c) Aufschiebende Bedingungen für die Kaufpreiszahlung Entscheidend für die Bank ist, bis zuletzt, d.h. bis zum Closing, das Platzierungsrisiko nicht tragen zu müssen bzw. die Transaktion rückabwickeln zu können: Bis die Transaktion mit Übertragung der Aktien an die Investoren und deren Zahlung des Kaufpreises sowie die (unmittelbar anschließende) Weiterleitung des Erlöses durch die Bank an den Veräußerer abgeschlossen ist, „steht“ die Bank gewissermaßen zwischen dem Veräußerer und dem Kapitalmarkt. Deswegen wird die Pflicht der Bank zur Auskehr des Transaktionserlöses typischerweise unter die Bedingungen gestellt, dass (1) weder (a) eine wesentliche nachteilige Veränderung in den Verhältnissen der Zielgesellschaft eingetreten ist, die nach Einschätzung der Bank die Durchführung der Transaktion erheblich erschwert oder unmöglich macht (sog. „MAC“-Klausel, von material adverse change), noch (b) ein Umstand von Force Majeure eingetreten ist, d.h. eine wesentliche Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen, politischen oder Kapitalmarktsituation48, (2) auch zu diesem Zeitpunkt der Veräußerer sämtliche Verpflichtungen erfüllt hat und sämtliche Gewährleistungen richtig sind und (3) eine oder mehrere sog. Legal Opinions (dazu s. § 35) der (externen) Rechtsberater des Veräußerers und ggf. der (externen) Rechtsberater der Bank vorgelegt werden. Je nach Transaktionsstruktur kommen (4) die Abgabe eines sog. Comfort Letter des Wirtschaftsprüfers der Zielgesellschaft und sog. Disclosure Opinions der Rechtsberater (nämlich bei Verwendung eines Wertpapierprospekts) sowie (5) der Abschluss des Preisfestsetzungsvertrages hinzu. Zu beachten ist, dass die in (1) bis (4) genannten Bedingungen auch als Kündigungsgründe ausgestaltet werden können.
7.32
d) Kündigung Soweit diese Gründe nicht schon durch eine aufschiebende Bedingung nach c) erfasst sind, behält sich die Bank bis zum Zeitpunkt der Auskehr des Transaktionserlöses zudem das Recht der Kündigung aus bestimmten Gründen vor.
7.33
e) Stabilisierung Regelmäßig wird zudem vereinbart, dass die begleitende Bank im Rahmen des rechtlich Zulässigen berechtigt (aber nicht verpflichtet) sein soll, Stabilisierungsmaßnahmen zu er47 Genau genommen wird der Investor keinen Verstoß gegen den ihm ohnehin unbekannten Übernahmevertrag behaupten, sondern ein Verhalten, das, wenn es wirklich vorläge, einen solchen Verstoß darstellen würde. 48 Dazu ausführlich Busch, WM 2001, 1277.
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7.34
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
greifen49. Besonders effektiv ist dies, wenn der Veräußerer der Bank aus seinem sonstigen Bestand ein Recht zum Erwerb weiterer Aktien (sog. Greenshoe) eingeräumt hat und im Rahmen der Transaktion eine Mehrzuteilung erfolgt ist; bei Blocktrades ist dies indessen weitgehend unüblich. f) Modifikationen durch das Recht des Heimatstaates der Zielgesellschaft
7.35 Zu beachten ist, dass (falls es sich nicht um eine deutsche Aktiengesellschaft handelt) sich
aus zwingenden Normen des Rechts des Heimatstaates der Zielgesellschaft (leichte) Modifikationen des Transaktionsablaufes, etwa in Form besonderer, vorhergehender Mitteilungspflichten an Aufsichtsbehörden oder besonderer Offenlegungspflichten, ergeben können50. Idealerweise sollten diese Eingang in den Übernahmevertrag finden, um Klarheit über die gegenseitigen Rechte und Pflichten zu schaffen.
V. Insiderrechtliche Aspekte 7.36 Wie jede Transaktion im Zusammenhang mit möglichen Insiderinformationen (Art. 7 VO
Nr. 596/2014 [MAR]) unterfällt der Blocktrade den insiderrechtlichen Beschränkungen von Art. 8 VO Nr. 596/2014 (Insidergeschäfte) und Art. 10 VO Nr. 596/2014 (Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen). Zu unterscheiden ist dabei zwischen Insiderinformationen aus der Sphäre der Zielgesellschaft (1.) und dem geplanten Blocktrade als solchem (2.). Betrachtet werden soll auch die Unterstützung der Transaktion durch die Zielgesellschaft (3.).
1. Insiderinformationen aus der Sphäre der Zielgesellschaft 7.37 Der Veräußerer kann, etwa aufgrund seiner Beteiligung an der Zielgesellschaft, ihm nahe-
stehenden Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft oder vertraglicher Beziehungen zu ihr, Kenntnis über kursrelevante, nicht öffentlich bekannte Informationen haben, so z.B. Geschäftszahlen oder von der Gesellschaft geplante Transaktionen. Entschließt er sich aufgrund dieser Kenntnis zur Durchführung oder Vergrößerung der Transaktion, verstößt er gegen Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR)51. Dagegen fehlt es mangels Kausalität an der notwendigen Nutzung der Kenntnis der Insiderinformation, wenn der Entschluss 49 Nach Art. 5 VO Nr. 596/2014 (MAR) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. b) DelVO 2016/1052 (Delegierten Verordnung (EU) 2016/1052 der Kommission vom 8. März 2016) ist dies auch bei einer reinen Privatplatzierung zumindest dann zulässig, wenn solche Maßnahmen auf einen Zeitraum ab Bekanntgabe des Platzierungspreises bis zu 30 Tagen nach Zuteilung der Aktien beschränkt sind und entsprechend den Vorgaben Art. 6 DelVO 2016/1052 (Delegierten Verordnung (EU) 2016/1052) der Kommission vom 8. März 2016 ordnungsgemäß veröffentlicht werden; Einzelheiten s. § 39. 50 So ist etwa in Spanien bei bestimmten Transaktionsformen eine vorherige Information oder Genehmigung der Behörden erforderlich, s. Art. 2 und 5 del Real Decreto 1416/1991 vom 27. September 1991 und entsprechenden Anweisung vom 5. Dezember 1991. 51 Zum entscheidenden Begriff der „Nutzung der Insiderinformation“ nach Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) näher Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rz. 30; Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 16; vgl. auch Klöhn, WM 2017, 2085 (zum Begriff der Nutzung und der damit verbundenen Vermutung aus dem Spector-Urteil) und Klöhn, NZG 2017, 1285 (zur Problemstellung der Wissenszurechnung insbesondere in Konzernen).
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
zum Abbau der Beteiligung bereits feststand und der Veräußerer nachträglich von einer Insiderinformation erfährt, die seinen Entschluss zu bestärken vermag52; diese sog. Masterplan-Ausnahme gilt nach überwiegender Auffassung auch nach Inkrafttreten der MAR53. In der Praxis ist deswegen die ordnungsgemäße Dokumentation solcher Entschlüsse von großer Bedeutung.54 Zwar unterfallen nach deutschem Recht auch außerbörsliche Geschäfte dem Insiderhandelsverbot; zulässig sind sie allerdings, wenn auch der Erwerber Kenntnis von der Insiderinformation hat, sog. Face-to-face-Geschäfte, da es dann an einer „Nutzung“ fehlt55. Würde der Veräußerer den Erwerbern die Insiderinformation mitteilen, so schiede jedenfalls die Nutzung eines Wissensvorsprungs zu deren Nachteil nach Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) aus56.
7.38
Fraglich ist dagegen, ob der Veräußerer die Insiderinformation an den oder die Erwerber auch „befugt“, d.h. ohne Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR), weitergeben darf. Dies ist dann der Fall, wenn „die Offenlegung im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben“ erfolgt (Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014). Bei Blocktrades ist dies nach bislang h.M. nur dann der Fall, wenn es sich um den Erwerb eines Unternehmens oder einer nicht unerheblichen Beteiligung handelt57, was bei Blocktrades aus Investorensicht regelmäßig nicht der Fall sein wird. Danach wäre ein Veräußerer gezwungen, die Transaktion solange zu verschieben, bis die Insiderinformation (etwa durch Offenlegung oder Zeitablauf) ihre Relevanz verliert58 oder die Beteiligung im Wege eines Paketverkaufs zu veräußern.59
7.39
Diese Ansicht, die sich im Wesentlichen auf die im Rahmen eines Paketverkaufs (anders als beim Blocktrade) bestehende Aufklärungspflicht des Veräußerers nach § 311 Abs. 2 BGB bzw. § 241 Abs. 2 BGB stützt, erscheint indessen zu restriktiv. Ausgangspunkt ist dabei systematisch, dass es widersprüchlich wäre, ein bestimmtes Verhalten, auf das der Tatbestand des Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) zugeschnitten ist und das nach diesem
7.40
52 So zum alten Wortlaut von § 14 WpHG, der den Begriff „Ausnutzung“ statt „Nutzung“ in Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) enthielt, Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 VO Nr. 596/2014 Rz. 30; Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 23. 53 Klöhn, WM 2017, 2085, 2089; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 598. 54 Mennicke in Fuchs, WpHG, § 14 Rz. 58. 55 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 VO Nr. 596/ 2014 Rz. 40; Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 25; ausdrücklich so auch nach Inkrafttreten der MAR Bühren, NZG 2017, 1173. 56 So auch Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 25. 57 Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 14 WpHG Rz. 75 f. und Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 14 Rz. 164 ff., jeweils m.w.N.; Einzelheiten sind sehr umstritten, so soll z.B. nach Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 14 Rz. 168 der Erwerb von mindestens 3 % der (stimmrechtsbefugten) Anteile ausreichen; restriktiver Mertens, AG 1997, 541, 543, der die Weitergabe von Insiderinformationen durch einen Aktionär grundsätzlich ablehnt. Auch der (inzwischen formal nicht mehr in Kraft befindliche) Emittentenleitfaden der BaFin, S. 41, stellt auf „insbesondere (Hervorhebung des Verfassers) bei dem Erwerb von Stimmrechten ab den gesetzlichen Meldeschwellen“ ab, was 3 % der Stimmrechte bedeuten würde. Dies weist zumindest in die Richtung der hier vertretenen Ansicht. 58 Darauf verweisen Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 354. 59 Die ESMA hat sich diesbezüglich noch nicht geäußert.
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Tatbestand zulässig ist, anschließend – mit gegenteiligem Ergebnis – an dem Vorfeldtatbestand60 des Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) zu messen: Insofern wird man von (verdrängender) Gesetzeskonkurrenz ausgehen müssen. Materiell zu berücksichtigen ist weiter, dass das Insiderrecht „einen institutionellen Vorbehalt enthält, demzufolge die Weitergabe oder das Zugänglichmachen von Insiderinformationen als befugt zu betrachten sind, wenn dies zur Schaffung oder Aufrechterhaltung der Funktionsvoraussetzungen bestimmter Transaktionsformen oder rechtlicher Institute geboten ist“61. Die Transaktionsform des Blocktrade erlebt in den letzten Jahren angesichts unbeständiger Börsen und zunehmender Professionalisierung des Marktes eine große Verbreitung und hat sich zuletzt zu einer der häufigsten Transaktionsformen entwickelt: sie verdient damit zweifellos die Anerkennung ihrer Berechtigung. Vor diesem Hintergrund ist nicht einzusehen, warum ein Aktionär, der eine bestimmte Insiderinformation hat, zwecks Durchführung einer Veräußerung seiner Position im Rahmen eines Blocktrade nicht zur Offenlegung der Information gegenüber Erwerbern „befugt“ sein soll62. Der Schutzzweck der Norm gebietet dies jedenfalls nicht: Wer durch eine solche Transaktion geschädigt würde, ist nicht ersichtlich63. Dies wird auch durch Aussagen der ESMA bestätigt64.
7.41 In jedem Fall sollte der Investor vertraglich einer Verschwiegenheitspflicht unterworfen sowie auf seine insiderrechtlichen Verpflichtungen hingewiesen werden65.
7.42 Zu beachten ist, dass das derart erlangte Insiderwissen jedenfalls nicht zu anderweitigen
Transaktionen (außerhalb des Blocktrade) bezüglich der Zielgesellschaft verwendet werden darf66.
7.42a
Im Zusammenhang mit der Zurverfügungstellung von Insiderinformationen vor Beginn der Vermarktung des Blocktrades haben die platzierenden Banken zudem die – im Wesentlichen die bereits existierende Praxis der sog. Wallcrossing Scripts abbildenden – Vorschriften von Art. 11 VO Nr. 596/2014 (MAR) über Market Soundings zu beachten.67
2. Geplanter Blocktrade als Insiderinformation 7.43 Regelmäßig geht dem Beginn des Bookbuildings eine Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR)68 oder eine Pressemitteilung des Veräußerers bezüglich der geplan-
60 Dazu Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 39. 61 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 56. 62 Ähnlich, aber etwas enger Götz, DB 1995, 1949, 1950. 63 Selbst bei einer für den Kurs grundsätzlich positiven Information könnten etwa Privatanleger an dem Blocktrade auf Erwerberseite ohnehin nicht teilnehmen. 64 Vgl. das ESMA Consultation Paper, Draft Technical Standards On the Market Abuse Regulation vom 15. Juli 2014, Ziffer 67: „Undertaking a block trade can be compared to (and may amount to) a placing. Critically, as these involve very large blocks of instruments being offered at a discount to the prevailing market price, it may be necessary to sound out potential investors with inside information before proceeding with the block trade itself.“ 65 Götz, DB 1995, 1949, 1950 will für die Frage, ob „befugt“ gehandelt wurde, wesentlich auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung abstellen. 66 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 14 Rz. 165. 67 Vgl. dazu im Einzelnen Singhof, ZBB 2017, 193 ff.; Tissen, NZG 2015, 1254 ff. 68 Dann erforderlich, wenn der Veräußerer selbst börsennotiert ist und der Block Trade für den Veräußerer aufgrund seiner Bedeutung eine Insiderinformation darstellt.
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
ten Transaktion voraus. Selbst wenn keine Ad-hoc-Mitteilung des Veräußerers erforderlich ist, wird der Veräußerer die geplante Transaktion in der Regel im Wege einer Pressemitteilung ankündigen wollen, da ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung jedenfalls etwaige auf die Transaktion als solche gestützten insiderrechtlichen Bedenken entfallen. Eine Ad-hocMitteilung der Zielgesellschaft nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) wird nur dann erforderlich sein, wenn zum einen die Zielgesellschaft Kenntnis von dem geplanten Blocktrade hat und zum anderen die Änderung des Aktionärskreises als kursrelevante Tatsache eingestuft wird; letzteres wird maßgeblich auch von der Identität des veräußernden Aktionärs und der Höhe der zu verkaufenden Aktien abhängen (vgl. dazu auch unter Rz. 7.69). Ansonsten ist zu beachten, dass nennenswerte Veränderungen in der Aktionärsstruktur als Insiderinformation zu werten sind, wenn sie mit Rücksicht auf Marktenge und Volatilität der betroffenen Aktie zur Kursbeeinflussung geeignet sind69. Allerdings ist eine innere Absicht keine Insiderinformation, wie der Bundesgerichtshof in der sog. Scalping-Entscheidung70 unter Hinweis auf die gebotene richtlinienkonforme Auslegung festgestellt hat. Zentrales Argument des Bundesgerichtshofes ist dabei, dass schon begrifflich „selbst geschaffene Tatsachen“, um die es sich auch bei der Absicht zur Durchführung eines Blocktrade handelt, nicht als „Insidertatsachen“ eingestuft werden können. Diese Absicht ist für den Kurs zudem regelmäßig (wegen des drohenden Angebotsüberhanges) eine negative Meldung, so dass der Veräußerer bei der Mitteilung seiner Absicht an Erwerber auch nicht mit einer positiven Auswirkung auf den Kurs rechnen kann, die er anschließend „verwenden“ könnte.
7.44
Im Übrigen ergibt sich aus der hier (Rz. 7.40) vertretenen Ansicht im Wege des Erst-rechtSchlusses, dass in der Weitergabe der Information über den geplanten Blocktrade gerade kein „Verwenden“ eines Wissensvorsprunges liegt und die Weitergabe „befugt“ ist.
7.45
Aus diesen Gründen kann der Veräußerer diese Absicht auch von ihm eingeschalteten Dritten, nämlich externen Beratern und der begleitenden Bank mitteilen71. Soweit die Bank im Rahmen des Auftrags Investoren anspricht und damit die Veräußerungsabsicht des Verkäufers weitergibt, erfolgt dies jedenfalls dann „im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung“ i.S.v. Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR), wenn die besonderen Voraussetzungen für ein Market Sounding nach Art. 11 VO Nr. 596/2014 eingehalten worden sind, Art. 11 Abs. 4 VO Nr. 596/201472.
7.46
3. Unterstützung der Transaktion durch die Zielgesellschaft Nach h.M. ist die Weitergabe von Insiderinformationen zum Zweck der Durchführung einer Due Diligence an den verkaufenden Aktionär oder interessierte Investoren zur Förderung der Transaktion grundsätzlich unzulässig; allerdings macht die h.M. unter Beru69 So im Ergebnis wohl auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 13 Rz. 68; a.A. Liersch, Regulierung des Blockhandels an den organisierten Aktienmärkten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Deutschlands, S. 274 ff., insbesondere S. 276, der darlegt, dass Blocktrades im Allgemeinen die Eignung zur Kursbeeinflussung der Zielgesellschaft fehlen dürfte, während sie wegen der Hebelwirkung für verbundene Optionen zu bejahen sei. 70 BGH v. 6.11.2003 – 1 StR 24/03, ZIP 2003, 2354, 2356. 71 Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 354. 72 Für die Rechtslage vor Inkrafttreten der MAR vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 355 im Anschluss an Hopt, ZGR 1991, 17, 46.
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7.47
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
fung auf den Regierungsentwurf zum WpHG eine Ausnahme bei einem Unternehmenskauf oder bedeutenden Paketerwerb, nicht dagegen bei einer mit einem Blocktrade auf Erwerberseite allein verbundenen Finanzbeteiligung73.
7.48 Auch dies erscheint zu restriktiv. Denn ob die Informationsweitergabe „befugt“ i.S.d.
Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR), also im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben erfolgt ist, dürfte nur im Einzelfall zu entscheiden sein und muss letztlich davon abhängen, ob die Gesellschaft ein eigenes berechtigtes Interesse an ihr hat; ohne ein solches eigenes Interesse, eine entsprechende Interessenabwägung und ggf. weitere Vorsichtsmaßnahmen (insbesondere Vertraulichkeit) kann der Vorstand der Zielgesellschaft ohnehin bereits nach § 93 AktG Informationen nicht weitergeben. Bejaht der Vorstand aber nach der gebotenen gründlichen Prüfung ein solches Interesse, etwa mit Blick auf die mit einer erfolgreichen Transaktionsdurchführung verbundenen Vorteile für die Gesellschaft oder die der Gesellschaft im Falle eines Scheiterns der Transaktion drohenden Nachteile, so sollte eine solche Weitergabe auch bei einem Blocktrade als zulässig nach Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) angesehen werden; für diese Wertung spricht auch, dass die Bank mit der Platzierung und Findung eines angemessenen Platzierungspreises beauftragt ist und ihr dies u.U. nur auf der Grundlage einer umfangreichen Kenntnis der preisrelevanten Faktoren angemessen möglich ist74. Folgt man den oben zu Rz. 7.40, 7.45 angestellten Überlegungen, so gelten diese im Übrigen erst recht für die Zielgesellschaft.
7.49 Bei der Prüfung durch den Vorstand ist auch die Anzahl der Personen, denen gegenüber eine solche Offenlegung erfolgen soll, zu berücksichtigen: Je höher deren Zahl ist, desto schwerer dürfte die Rechtfertigung sein.
7.50 Andererseits muss die Zielgesellschaft aber auch die Instrumente der Ad-hoc-Mitteilung
und der Pressemitteilung in Erwägung ziehen: Soweit diese zur Zielerreichung geeignet sind, ohne berechtigte Interessen der Zielgesellschaft auf Geheimhaltung zu beeinträchtigen, ist diesen regelmäßig der Vorzug zu geben, da hierdurch alle Aktionäre und potenziellen Investoren gleichermaßen informiert werden. Zur Frage, inwiefern die Zielgesellschaft den Blocktrade als solchen bekannt geben muss, s. Rz. 7.69.
73 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 56; Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 14 WpHG Rz. 63; Einzelheiten sind auch hier sehr umstritten, so soll z.B. nach Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 14 Rz. 168, der Erwerb von mindestens 3 % der (stimmrechtsbefugten) Anteile ausreichen: Folgt man dem, muss auf Veräußererseite eine entsprechende Größenordnung aber auch für einen Blocktrade gelten, da es aus Sicht des Veräußerers nicht auf die gewählte Transaktionsform ankommen kann. Jedenfalls ließe sich eine Differenzierung bei einer Größenordnung von 3 % der Anteile nicht mit der Rechtsprechung zur Haftung des Veräußerers beim Unternehmenskauf (dazu Rz. 7.60) rechtfertigen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der (inzwischen formal außer Kraft getretene) Emittentenleitfaden der BaFin, S. 41, der „insbesondere (Hervorhebung des Verfassers) bei dem Erwerb von Stimmrechten ab den gesetzlichen Meldeschwellen“, d.h. ab 3 % der Stimmrechte, davon ausgeht, dass der Emittent Insiderinformationen an den möglichen Erwerber weitergeben darf. 74 Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, § 4 II.3. a); vgl. auch schon Götz, DB 1995, 1949, 1950; zu beachten ist aber auch, dass der Veräußerer mit Blick auf die ggf. eintretenden insiderrechtlichen Komplikationen nur im Ausnahmefall ein Interesse an einer solchen Weitergabe haben wird.
322 | Wolf
Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
VI. Haftungsfragen 1. Prospekthaftung Bei bereits erfolgter Börsenzulassung der vertragsgegenständlichen Aktien ohne öffentliches Angebot bedarf es keines Wertpapierprospekts. Dementsprechend unterliegen nach deutschem Recht weder der Veräußerer noch die Bank grundsätzlich einer börsenrechtlichen Prospekthaftung75.
7.51
Dagegen ist nunmehr § 21 WpPG mit der daran anknüpfenden börsenrechtlichen bzw. wertpapierrechtlichen Prospekthaftung aufgrund des Verweises in § 22 WpPG dann anzuwenden, wenn für ein Marketed Offering wegen eines öffentlichen Angebotes ein formeller Wertpapierprospekt erstellt wird, auch wenn ein solcher Prospekt für die Börsenzulassung der neuen Aktien nicht erforderlich wäre76, etwa weil es sich um bereits zugelassene Stücke handelt, wie typischerweise bei einem Blocktrade. In einem solchen Fall ist dann insbesondere auch das Telekom III-Urteil des BGH im Hinblick auf die Haftungsverteilung zwischen Gesellschaft und veräußerndem Aktionär zu beachten77.
7.52
Die ggf. für Platzierung des Blocktrades verwendete prospektähnliche Angebotsunterlage (oft als „Offering Memorandum“ oder „Information Memorandum“ bezeichnet), kann nach der Rechtsprechung des BGH eine börsenrechtliche bzw. wertpapierrechtliche Prospekthaftung ebenfalls nicht begründen, da sie weder für ein öffentliches Angebot noch für die Börsenzulassung der Aktien verwendet wird78. Auch eine Haftung als eine „den Börsenzulassungsprospekt ersetzende schriftliche Darstellung“ i.S.d. § 21 Abs. 4 WpPG kommt nach dem BGH nicht in Betracht79. Dagegen kann bei für die Platzierung von Aktien verwendeten prospektähnlichen Angebotsdokumenten dann die richterrechtlich entwickelte allgemeine Prospekthaftung eingreifen80, wenn es sich bei dem Angebotsdokument um einen Prospekt im Sinne der allgemeinen Prospekthaftung handelt. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH dann der Fall, wenn es sich um „eine marktbezogene schriftliche Erklärung, die für die Beurteilung der angebotenen Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Anschein eines solchen Inhalts erweckt und dabei tatsächlich oder zumindest dem von ihr vermittelten Eindruck nach den Anspruch erhebt, eine das Publikum umfassend informierende Beschreibung der Anlage zu sein“81.
7.53
Zudem ist zu beachten, dass in anderen Rechtsordnungen u.U. unabhängig von der Veröffentlichung eines Dokumentes eine „Prospekthaftung“ bestehen kann. Insbesondere un-
7.54
75 Dazu, dass es für die Anwendung der spezialgesetzlichen Prospekthaftung entscheidend ist, ob die zu platzierenden Aktien aufgrund eines Wertpapierprospekts zum Börsenhandel zugelassen wurden, Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 23 ff. 76 So auch schon vor der Neufassung des Prospekthaftungsrechts im WpPG zum 1.6.2012 mit detaillierter Begründung Groß, Kapitalmarktrecht, § 13 VerkProspG Rz. 4 und Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 2005, § 7 Rz. 18. 77 Vgl. dazu oben die Nachweise in Rz. 7.28, Fn. 46. 78 BGH v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, AG 2015, 351 = NJW 2015, 240; Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG, Rz. 27. 79 BGH v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, AG 2015, 351 = NJW 2015, 240; Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 27 m.w.N.; Schwark in Schwark/Zimmer, §§ 44, 45 BörsG Rz. 16; a.A. Krämer/ Baudisch, WM 1998, 1161, 1170; Meyer, WM 2003, 1301, 1303. 80 Ausführlich dazu Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch Kapitalanlagerecht, § 5 Rz. 26 ff.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/137; Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 350. 81 BGH v. 17.11.2011 – III ZR 103/10, NJW 2012, 758, 759 = AG 2012, 130.
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§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
terliegt der Vertrieb von Aktien in den USA der Haftung nach Rule 10b–5 zum Securities Exchange Act von 193482: Danach können Veräußerer und begleitende Bank für die Vollständigkeit und Richtigkeit der veröffentlichten kursrelevanten Informationen haften, und zwar unabhängig von der Form der Informationsweitergabe83. Einzelheiten s. bei § 45.
2. Gewährleistungshaftung 7.55 Betrachtet werden soll hier nur der Fall, dass nachträglich den Kurs der Aktien beeinträchtigende Umstände bekannt werden, die dem Veräußerer möglicherweise bekannt waren. a) Ansprüche der Bank
7.56 Soweit nicht im Übernahmevertrag enthaltene Gewährleistungen des Veräußerers verletzt sind, kommt keine vertragliche Haftung in Betracht. Dabei wird der Verkäufer – wie in Rz. 7.25 ausgeführt – regelmäßig keine weitreichenden Gewährleistungen übernommen haben. Insbesondere wird der Verkäufer eine etwaige Gewährleistung hinsichtlich des Nichtvorliegens von Insiderinformationen regelmäßig auf positive Kenntnis beschränken; genau diese Kenntnis ist in der Praxis vielfach nicht zu beweisen.
7.57 Auch gesetzliche Gewährleistungsansprüche dürften in der Regel ausscheiden. Einschlägig
sind beim Aktienerwerb, einem Kauf von Rechten, nach § 453 Abs. 1 BGB die §§ 434 ff. BGB über Sachmängelgewährleistung. Allerdings schlägt ein Mangel in der Beschaffenheit des zugrunde liegenden Unternehmens auf die Aktie als Kaufgegenstand nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB nach h.M. ohne ausdrückliche dahingehende Vereinbarung nur dann durch, wenn aufgrund der Anzahl der verkauften Aktien der Sache nach das Unternehmen als solches verkauft wird84, woran es bei einem Blocktrade typischerweise gerade fehlt.
b) Ansprüche der Investoren
7.58 Die Investoren erwerben die Aktien auf der Grundlage eines Termsheets am Telefon, so
dass keinerlei Gewährleistung des Verkäufers oder der Bank vereinbart ist. Hinsichtlich des Sachmängelgewährleistungsrechts ist auf die Ausführungen unter Rz. 7.57 zu verweisen.
3. Keine Aufklärungspflicht 7.59 Selbst wenn der Veräußerer ausnahmsweise Kenntnis von Umständen hat, die den Kurs der Aktien negativ beeinflussen könnten, ist er in Ermangelung einer dahingehenden Gewährleistung regelmäßig nicht nach § 311 Abs. 2 oder Abs. 3 (Drittbegünstigte) BGB zur Offenlegung dieser Kenntnis gegenüber der Bank oder den Investoren verpflichtet. Umso wichti-
82 Zum Haftungsregime in den USA, insbesondere zu Rule 10b–5 s. Johnson/McLaughlin, Corporate Finance and the Securities Laws, §§ 14.04, 14.05. 83 Deswegen ist eine diesbezügliche Gewährleistung des Verkäufers für die Bank zentral, s. Rz. 7.25; s. auch Rz. 7.28. 84 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 7, 23: es wird „eine Beteiligung von mindestens 80 % verlangt“; ausführlich Huber, AcP 202 (2002), 179, 226 ff.; Barnert, WM 2003, 416, 420; a.A. Larisch, Gewährleistungshaftung beim Unternehmens- und Beteiligungskauf, S. 189 ff. und Wolf/Kaiser, DB 2002, 411, 416 f.; die abweichende Ansicht ist im Ergebnis allerdings wegen schwieriger Differenzierungen oft unklar.
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Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
ger ist für die Bank die Aufnahme einer diesbezüglichen Gewährleistung in den Übernahmevertrag (zumindest, dass der Verkäufer keine Kenntnis von Insiderinformationen hat). Fehlt es an einer solchen Gewährleistung, besteht nach der Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht grundsätzlich nur insoweit, als es Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erfordern85. Parallel zum Gewährleistungsrecht ist auch insofern maßgeblich, dass die beim Unternehmenskauf von der Rechtsprechung mit Blick auf das unternehmerische Engagement des Käufers entwickelten Gesichtspunkte zur Herleitung einer Aufklärungspflicht86 nicht eingreifen: So fehlt es bei einem Blocktrade regelmäßig sowohl an einer berechtigterweise auf ein Vertrauensverhältnis begründeten Erwartungshaltung des Erwerbers87 als auch an überlegener Sachkunde einer Partei88 oder einer aufklärungsbedürftigen Irrtumserregung vor Vertragsschluss89. Solche Umstände liegen bei einem Verkauf von Aktien an die begleitende Bank (bought deal) oder an institutionelle, d.h. professionelle Investoren (best efforts underwriting) typischerweise nicht vor90.
7.60
VII. Sonderfragen: Handelspflicht, Best Execution und Anzeigepflichten der Bank Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 600/2014 (MiFIR) bestimmt, dass Wertpapierhandelsfirmen sicherstellen müssen, dass „ihre Handelsgeschäfte mit Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt, zugelassen sind oder an einem Handelsplatz gehandelt werden, an einem geregelten Markt oder gegebenenfalls im Rahmen eines MTF, OTF oder systematischen Internalisierers oder an einem Drittlandhandelsplatz, der gemäß Artikel 25 Absatz 4 Buchstabe a der Richtlinie 2014/65/EU als gleichwertig gilt, getätigt werden, sofern nicht zu deren Merkmalen gehört, a) dass sie auf nicht systematische Weise, ad hoc, unregelmäßig und selten getätigt werden, oder b) dass sie zwischen geeigneten und/oder professionellen Gegenparteien getätigt werden und nicht zum Prozess der Kursfestsetzung beitragen.“
7.61
Nach Auffassung der ESMA soll diese Regel grundsätzlich auch für Blocktrades gelten.91 Dies kann jedenfalls im Ergebnis nicht überzeugen. Denn ein Blocktrade im Rahmen eines Accelerated Bookbuilding zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er kein „Handelsgeschäft“ in diesem Sinn ist. Aufgrund des Volumens der zu verkaufenden Aktien erfolgt der Verkauf der Aktien gerade nicht auf einer Handelsplattform oder sonst als Teil der „Handelsaktivität“ der platzierenden Bank. Selbst wenn man Blocktrades grundsätzlich als Handelsgeschäft in diesem Sinne qualifizieren wollte, wäre für den typischen Blocktrade jedenfalls die Ausnahme in Art. 23 Abs. 1 lit. a) VO Nr. 600/2014 (MiFIR) einschlägig, nach der die Handelspflicht nicht für Geschäfte gilt, die „auf nicht systematische Weise, ad hoc, unregelmäßig und selten getätigt werden“.
7.62
85 S. etwa BGH v. 4.4.2001 – VIII ZR 32/00, WM 2001, 1118, 1119. 86 Zu diesen Gesichtspunkten Larisch, Gewährleistungshaftung beim Unternehmens- und Beteiligungskauf, S. 168 ff. 87 Zu diesem Kriterium BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 142/82, NJW 1983, 2493, 2494. 88 BGH v. 6.4.1981 – II ZR 84/80, NJW 1981, 1440, 1441. 89 BGH v. 15.1.1985 – X ZR 16/83, WM 1985, 673, 674. 90 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 351 f. 91 ESMA, „Questions and Answers On MiFID II and MiFIR transparency topics“, 7. Februar 2018, S. 23 („Block trades (accelerated book-building) and share buy backs on the other hand are secondary market transactions and therefore subject to the trading obligation for shares.“).
Wolf | 325
§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
7.63 Die Best Execution-Verpflichtung (früher § 33a WpHG a.F., jetzt in § 82 WpHG geregelt)
gilt weiterhin auch für Blocktrades. In der Praxis lassen sich die platzierenden Banken im Übernahmevertrag regelmäßig bestätigen, dass die Bank den Kundenauftrag gemäß einer ausdrücklichen Kundenweisung ausgeführt hat und damit die Verpflichtung der Bank zur Erzielung eines bestmöglichen Ergebnisses gegenüber dem Kunden als erfüllt gilt, § 82 Abs. 3 WpHG.
7.64 Bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte bestehen ggf. Anzeigepflichten, in Deutschland etwa nach §§ 2c, 24 KWG und §§ 7 Nr. 3, 17 VAG bei Erwerb des Eigentums von Aktien an einem Kreditinstitut oder einem Versicherungsunternehmen, die 10 % der Stimmrechte oder des Kapitals vermitteln. Diese Anzeigepflichten greifen aber nicht ein, wenn der Übernahmevertrag so strukturiert ist, dass die Bank als Vertreter des Veräußerers agiert und der Kaufvertrag – oder jedenfalls der Vertrag zur Übertragung des Eigentums an den Aktien – direkt zwischen dem Veräußerer und den Investoren zustande kommt92. Damit wird einem berechtigten Interesse der Bank Rechnung getragen; selbst bei großen Blocktrades dürfte von den Investoren keiner die 10 %-Schwelle erreichen.
7.65 Hierdurch kann, wenn denn der Block einmal 30 % oder mehr an den Stimmrechten der
Zielgesellschaft ausmachen sollte, zudem das Erreichen der Schwelle von 30 % nach § 29 Abs. 2 WpÜG durch die Bank vermieden werden, so dass auch kein Befreiungsantrag nach § 37 WpÜG erforderlich ist.
VIII. Folgepflichten für die Beteiligten 7.66 Hinzuweisen ist zunächst auf die Meldepflichten des Veräußerers nach §§ 33 ff. WpHG (für
die Bank ist in § 36 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vorgesehen, dass die Mitteilungspflicht erst bei Erreichen der 5 %-Schwelle eingreift, sofern es sich um „Handelsbestand“ handelt, was bei den transaktionsgegenständlichen Aktien regelmäßig der Fall ist; zudem ist für die Bank eine Meldung entbehrlich, wenn die relevante Schwelle binnen desselben Tages wieder unterschritten wird93), mit denen bestimmte Folgepflichten der Zielgesellschaft korrespondieren.
7.67 Der Veräußerer ist darüber hinaus nach Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) zur Ver-
öffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung verpflichtet, wenn er (1) als Emittent für seine Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bzw. an einem organisierten oder multilateralen Handelssystem in einem Mitgliedstaat beantragt oder erhalten hat, (2) der Verkauf geeignet ist, den Kurs dieser Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, und (3) sich der Entschluss zum Verkauf der Beteiligung hinreichend konkretisiert hat94 92 Zu dieser Struktur vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/72. 93 So die ständige Praxis der BaFin, s. dazu die frühere Mitteilung der BaFin „FAQ zu den §§ 21 ff. WpHG“, Stand 11.6.2007, abrufbar unter „www.bafin.de“, S. 4 von 10. 94 Nach der Kodifizierung der EuGH-Entscheidung in der Sache „Geltl“ v. 28.6.2012 – C-19/11 (Schrempp-Rücktritt), AG 2012, 555, in Art. 7 Abs. 2 VO Nr. 596/2014 (MAR) zu sog. „gestreckten Geschehensabläufen“ hat in der Praxis die Möglichkeit der Emittenten, die Veröffentlichung von Insiderinformationen nach Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/2014 (MAR) aufzuschieben noch mehr an Bedeutung gewonnen. Veröffentlichungspflichtige Insiderinformation können je nach den Umständen in gestreckten Geschäftsabläufen bereits relativ früh vorliegen: Um eine verfrühte Veröffentlichung an das Publikum zu vermeiden, die einem geplanten Blocktrade nachhaltig schaden könnte, ist dann die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/ 2014 (MAR) in der Regel das geeignete Mittel.
326 | Wolf
Umplatzierungen bestehender Aktien | § 7
und (4) kein Selbstbefreiungstatbestand nach Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/2014 (MAR) eingreift. Entscheidend für die Eignung zur Kursbeeinflussung sind regelmäßig das Volumen des zur Veräußerung stehenden Blocks sowie die wirtschaftliche Bedeutung der Beteiligung für den Emittenten insgesamt. Die Möglichkeit einer Selbstbefreiung besteht nach Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/2014 (MAR) dann, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (a) die unverzügliche Offenlegung wäre geeignet, die berechtigten Interessen des Emittenten oder Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate zu beeinträchtigen; (b) die Aufschiebung der Offenlegung wäre nicht geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen und (c) der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate kann die Geheimhaltung dieser Informationen sicherstellen. Darüber hinaus sind im Hinblick auf die Möglichkeit einer Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 VO Nr. 596/2014 (MAR) insbesondere die Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055, die ESMA-Guidelines vom 20. Oktober 2016 „MAR Leitlinien – Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“95 sowie die ergänzenden Bestimmungen der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung96 (WpAIV) zu beachten.
7.68
Für eine Verpflichtung der Zielgesellschaft zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung im Zusammenhang mit einem Blocktrade kommt es nach Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) darauf an, ob es sich beim dem Blocktrade um eine Insiderinformation handelt, die den Emittenten unmittelbar betrifft. Anders als bei übernahmeähnlichen Szenarien dürfte es bei einem typischen Blocktrade in Anbetracht der relativ geringen Größe des zu platzierenden Aktienpaketes (s. Rz. 7.2) an einer derartigen „unmittelbaren“ Betroffenheit regelmäßig fehlen97. Jedenfalls kann die Zielgesellschaft, auch wenn man der hier vertretenen Auslegung von „unmittelbar“ nicht folgt, erst dann zur Veröffentlichung der Veränderung in der Beteiligungsstruktur aufgrund des Blocktrades verpflichtet sein, wenn ihr die Veräußerung als solche, etwa durch eine Mitteilung des Veräußerers nach §§ 33 ff. WpHG, bekannt wird.
7.69
Zudem trifft nach Art. 26 VO Nr. 600/2014 (MiFIR)98 Wertpapierfirmen, hier also die begleitende Bank, die Pflicht, unter anderem die Bezeichnung und die Zahl der erworbenen oder veräußerten Finanzinstrumente, Volumen, Datum und Zeitpunkt des Abschlusses, den Kurs und Angaben zur Identifizierung der Kunden offenlegen (sog. Nachhandelstransparenz). Neu ist mit Inkrafttreten der MiFIR u.a., dass die Wertpapierfirmen in Bezug auf die Angaben zur Identifizierung der Kunden, bei denen es sich um juristische Personen handelt, eine Kennung für Rechtsträger (sog. Legal Entity Identifier), die zur Identifizierung von Kunden eingeführt wurde, verwenden müssen (Art. 26 Abs. 6 VO Nr. 600/ 2014 [MiFIR]). Art. 11 VO Nr. 600/2014 (MiFIR) gibt der Bundesanstalt für Finanzdienst-
7.70
95 Abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/system/files_force/library/esma-2016-1478_de.pdf (Abruf vom 20.6.2018). 96 Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz v. 13.12.2004 (BGBl. I 2004, 3376). 97 So im Ergebnis wohl auch der (inzwischen außer Kraft getretene) Emittentenleitfaden der BaFin, S. 53. 98 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 84.
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§ 7 | Umplatzierungen bestehender Aktien
leistungsaufsicht zudem die Möglichkeit, eine Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt zu erlauben, wenn Art und Umfang der Geschäfte dies gestatten. Ein typischer Beispielsfall hierfür sind Block Trades99. Aus Sicht der Banken ist eine verzögerte Veröffentlichung oft deswegen wünschenswert, weil eine sofortige Veröffentlichung des Block Trades bei nachfolgendem Weiterverkauf gegebenenfalls zu adversen Preiseffekten führen kann100. Bislang hat die BaFin im Hinblick auf Blocktrades aber keine entsprechende Allgemeinverfügung veröffentlicht.101 Weiteres zu kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten s. § 38.
99 Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31h WpHG Rz. 3. 100 Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 31g WpHG Rz. 13. 101 Stand Februar 2018.
328 | Wolf
§8 Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien I. 1. 2. 3. 4.
Einleitung . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . Ökonomische Wirkungen Gefahren . . . . . . . . . . . . Rechtstatsachen . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
II. Erwerb eigener Aktien . . . . . . . 1. Keine originäre Übernahme . . . a) Ausnahmsloses Verbot . . . . . b) Umgehungssituationen . . . . . 2. Zulässiger derivativer Erwerb . . a) Grundsätzliches Verbot . . . . . b) Ausnahmetatbestände . . . . . . c) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Erwerbsmodalitäten . . . . . . . . a) Erwerbsbegriff . . . . . . . . . . . b) Erwerb über die Börse . . . . . . c) Öffentliches Erwerbsangebot . d) Individualverträge . . . . . . . . e) Transferable Put Rights . . . . . 4. Besondere Konstellationen . . . . a) Umgehungsgeschäfte . . . . . . b) Erwerb durch Dritte . . . . . . . c) Inpfandnahme eigener Aktien
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
__ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ _
8.1 8.1 8.5 8.9 8.12 8.13 8.13 8.13 8.15 8.18 8.18 8.20 8.31 8.35 8.35 8.40 8.41 8.44 8.45 8.46 8.47 8.51 8.54
5. Ablauf eines Erwerbs eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbereitende Planung . . . . . . b) Hauptversammlungsbeschluss . . c) Veröffentlichungspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung d) Ausübungsbeschluss des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten . . . . . . . . . . f) Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechenschaftslegung . . . . . . . . 6. Die Behandlung des Bestands eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . a) Keine Rechte aus eigenen Aktien b) Keine Pflichten aus eigenen Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bilanzielle Behandlung . . . . . . III. Wiederveräußerung und Einziehung eigener Aktien . . . . . . . . . 1. Veräußerungspflichten, Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veräußerungsmodalitäten . . . . .
__ _ _ _ __ _ __ __ _ __
8.55 8.56 8.57 8.58 8.59 8.60 8.65 8.66 8.67 8.67 8.72 8.73 8.77 8.77 8.81
Schrifttum: van Aerssen, Erwerb eigener Aktien und Wertpapierhandelsgesetz – Neues von der Schnittstelle Gesellschaftsrecht/Kapitalmarktrecht, WM 2000, 391; Arnold, Stimmrechtsmitteilungen und -veröffentlichungen nach WpHG – alte und neue Probleme, AG 2000, R163; Arnold/Aubel, Einlagenrückgewähr, Prospekthaftung und Konzernrecht bei öffentlichen Angeboten von Aktien – Rezension des „Telekom III“-Urteils des BGH vom 31. Mai 2011, ZGR 2012, 113; Bayer, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, BB 2004, 1; Bayer/Hoffmann/Weinmann, Kapitalmarktreaktionen bei Ankündigung des Rückerwerbs eigener Aktien über die Börse, ZGR 2007, 457; Beeser, Inpfandnahme von Eigenaktien, AcP 159 (1960), 56; Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG, 2002; Bosse, Handel in eigenen Aktien durch die Aktiengesellschaft, WM 2000, 806; Bosse, Melde- und Informationspflichten nach dem Aktiengesetz und Wertpapierhandelsgesetz im Zusammenhang mit dem Rückkauf eigener Aktien, ZIP 1999, 2047; Bosse, Wesentliche Neuregelungen ab 2007 aufgrund des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes für börsennotierte Unternehmen, DB 2007, 39; Bosse, Zulässigkeit des individuell ausgehandelten Rückkaufs eigener Aktien („Negotiated repurchase“) in Deutschland, NZG 2000, 16; Bruckmeier/Zwirner/Künkele, Die Behandlung eigener Anteile – Das BilMoG kürzt das Steuersubstrat und fördert Investitionen in eigene Aktien, DStR 2010, 1640; Busch, Eigene Aktien in der Kapitalerhöhung, AG 2005, 429; Butzke, Gesetzliche Neuregelungen beim Erwerb eigener Aktien, WM 1995, 1389; Cahn, Die Auswirkungen der Richtlinie zur Änderung der Kapitalrichtlinie auf den Erwerb eigener Aktien, Der Konzern 2007, 385; Diekmann/Merkner, Die praktische Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, ZIP 2004, 836; Drygala, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach der Reform der Kapitalrichtlinie, Der Konzern 2007, 396; Escher-Weingart/Kübler, Erwerb eigener Aktien, ZHR 162 (1998), 537; Fleischer, Zulässigkeit und Grenzen von Break-Fee-Vereinbarungen im Aktienund Kapitalmarktrecht, AG 2009, 345; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Gottschalk, Die deliktische Haftung für
Arnold | 329
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen, DStR 2005, 1648; Grobecker/Michel, Rückkauf eigener Aktien: Die Grenzen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, DStR 2001, 1757; Habersack, Das Andienungs- und Erwerbsrecht bei Erwerb und Veräußerung eigener Anteile, ZIP 2004, 1121; Habersack, Die finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs – Überlegungen zu Zweck und Anwendungsbereich des § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG, FS Röhricht, 2005, S. 155; Habersack, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach MoMiG, FS Hopt, 2010, S. 725; Hirsch, Der Erwerb eigener Aktien nach dem KonTraG, 2004; Ihrig, Optionen auf eigene Aktien, FS Ulmer, 2003, S. 829; Kellerhals/Rausch, Die Liberalisierung von Aktienrückkäufen: Bundesdeutsche Erfahrungen, AG 2000, 222; Kessler/Suchan, Erwerb eigener Aktien und dessen handelsbilanzielle Behandlung, BB 2000, 2529; Kiem, Der Erwerb eigener Aktien bei der kleinen AG, ZIP 2000, 209; Koch, Der Erwerb eigener Aktien – kein Fall des WpÜG, NZG 2003, 61; Kocher, Sind Ermächtigungen der Hauptversammlung zur Verwendung eigener Aktien analog § 202 I AktG auf fünf Jahre befristet?, NZG 2010, 172; Kraft/Altvater, Die zivilrechtliche, bilanzielle und steuerliche Behandlung des Rückkaufs eigener Aktien, NZG 1998, 448; Kropff, Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen der Ausschüttungssperre in § 268 Abs. 8 HGB, FS Hüffer, 2010, S. 539; Kropff, Nettoausweis des Gezeichneten Kapitals und Kapitalschutz, ZIP 2009, 1137; Leuering, Der Rückerwerb eigener Aktien im Auktionsverfahren, AG 2007, 435; Lutter, Mindestumfang der Kapitalerhöhung bei der Verschmelzung zur Aufnahme oder Neugründung in Aktiengesellschaften, FS Wiedemann, 2012, S. 1097; Markwardt, Erwerb eigener Aktien: In der „Falle“ des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG?, BB 2002, 1108; Martens, Erwerb und Veräußerung eigener Aktien im Börsenhandel, AG 1996, 337; Mick, Aktien- und bilanzsteuerliche Implikationen beim Einsatz von Eigenkapitalderivaten beim Aktienrückkauf, DB 1999, 1201; Nuyken, Finanzielle Unterstützung bei Private-Equity-Transaktionen – Fallstudien zu § 71a AktG, ZIP 2004, 1893; Oechsler, Der ReE zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – Regelungsbedarf auf der Zielgeraden!, NZG 2001, 817; Oechsler, Die Änderung der Kapitalrichtlinie und der Rückerwerb eigener Aktien, ZHR 170 (2006), 72; Oechsler, Die neue Kapitalgrenze beim Rückerwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 2 Satz 2 AktG), AG 2010, 105; Paefgen, Eigenkapitalderivate bei Aktienrückkäufen und Managementbeteiligungsmodellen, AG 1999, 67; Paefgen, Die Gleichbehandlung beim Aktienrückerwerb im Schnittfeld von Gesellschafts- und Übernahmerecht, ZIP 2002, 1509; Pluskat, Der Rückerwerb eigener Aktien nach WpÜG – auch offiziell kein Anwendungsfall mehr, NZG 2006, 731; Reichert/Harbarth, Veräußerung und Einziehung eigener Aktien, ZIP 2001, 1441; Richter/Gittermann, Die Verknüpfung von Kapitalerhöhung und Rückererwerb eigener Aktien bei Mitarbeiterprogrammen, AG 2004, 277; Rieckers, Ermächtigung des Vorstands zu Erwerb und Einziehung eigener Aktien, ZIP 2009, 700; von Rosen/Helm, Der Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft, AG 1996, 434; Saria, Schranken beim Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, NZG 2000, 458; Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting – Macroton und die Folgen, ZIP 2004, 533; Schmid/Mühlhäuser, Rechtsfragen des Einsatzes von Aktienderivaten beim Aktienrückkauf, AG 2001, 493; Schockenhoff/Wagner, Ad-hoc-Publizität beim Aktienrückkauf, AG 1999, 548; Seibt, Gläubigerschutz bei Änderung der Kapitalstruktur durch Erhöhung des Fremdkapitalanteils, ZHR 171 (2007), 282; Singhof/Weber, Neue kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb eigener Aktien, AG 2005, 549; Stallknecht/Schulze-Uebbing, Der Rückerwerb eigener Aktien durch nicht börsennotierte Aktiengesellschaften, AG 2010, 657; Süßmann, Anwendung des WpÜG auf öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien, AG 2002, 424; Thömmes, Steht dem Tochterunternehmen aus dem Besitz von Aktien der Muttergesellschaft eine Dividende zu?, AG 1987, 34; Umnuß/Ehle, Aktienoptionsprogramme für Arbeitnehmer auf der Basis von § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG, BB 2002, 1042; J. Vetter, Die Gegenleistung für den Erwerb einer Aktie bei Ausübung einer Call Option, AG 2003, 478; Widder/Kocher, Die Behandlung eigener Aktien im Rahmen der Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG, AG 2007, 13; Wieneke, Der Einsatz von Aktien als Akquisitionswährung, NZG 2004, 61; Winter, Gesellschaftsrechtliche Schranken für „Wertgarantien“ der AG auf eigene Aktien, FS Röhricht, 2005, S. 709; Ziemons, Die Übernahme von Transaktionskosten und Prospektrisiken nach der BGH-Entscheidung „Dritter Börsengang“ der Telekom, GWR 2011, 404. Der Verfasser dankt herzlich Herrn Wiss. Mit. Dr. Nikolai Unmuth, LL.M. (USC), Stuttgart, für die Mitwirkung bei der Aktualisierung des Manuskripts für die 4. Auflage.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
I. Einleitung 1. Rechtsgrundlagen Die gesetzlichen Regelungen im Aktiengesetz über den Erwerb und die Wiederveräußerung eigener Aktien basieren inzwischen weitgehend auf europäischen Vorgaben1. Sie haben zu nicht unerheblichen Korrekturen durch den deutschen Gesetzgeber und einer Liberalisierung der Vorschriften über eigene Aktien geführt2. Das europäische Recht hat dabei nicht nur das Aktiengesetz, sondern auch kapitalmarktrechtliche Vorschriften beeinflusst3. Mit dem BilMoG4 hat sich die bilanzielle Behandlung des Erwerbs und der Veräußerung eigener Aktien geändert (vgl. dazu ausführlich Rz. 8.73 ff.). Mit dem ARUG5 hat der Gesetzgeber die Höchstfrist einer Hauptversammlungsermächtigung zum Erwerb eigener Aktien von 18 Monaten auf fünf Jahre verlängert6.
8.1
Der Erwerb eigener Aktien war schon vor Umsetzung der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie (RL 77/91/EWG) zulässig, wenn auch in weitaus selteneren Fallkonstellationen7. Insbesondere Art. 19 Abs. 1 RL 77/91/EWG hat die Handlungsmöglichkeiten einer Gesellschaft erweitert. Danach muss einer Gesellschaft der Erwerb eigener Aktien auch aufgrund eines Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung ermöglicht werden. Diese Vorgabe wurde in § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG umgesetzt8.
8.2
Im Aktiengesetz sind die Vorschriften über den Erwerb eigener Aktien verstreut. § 56 Abs. 1 AktG verbietet der Gesellschaft, eigene Aktien zu zeichnen, und zielt damit auf den originären Erwerb ab. Auch der derivative Erwerb ist geregelt. Durch ihn kommt es zwar zu einer Rückzahlung von Einlagen an die Aktionäre, was nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich verboten ist. § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG macht hiervon aber eine Aus-
8.3
1 Richtlinie 2017/1132/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46; zuvor Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976 (sog. Zweite Gesellschaftsrechtsrichtlinie oder Kapitalrichtlinie), ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1, geändert durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006, ABl. EU Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32, die Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012, ABl. EU Nr. L 315 v. 14.11.2012, S. 74, sowie die Richtlinie 2014/59/EU vom 15.5.2014, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 190. 2 Vgl. hierzu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 6 Rz. 55; Oechsler, ZHR 170 (2006), 72 ff. 3 Durch die Durchführungsverordnung (EG) 2273/2003 vom 22.12.2003 zur Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003, ABl. EG Nr. L 336 v. 23.12.2003, S. 33. Vgl. hierzu auch § 38. 4 Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 5 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 6 S. dazu Rz. 8.27, 8.29. Die Änderungen gehen zurück auf die Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12. 1976, ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1, geändert durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9. 2006, ABl. EU Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32; vgl. die Regierungsbegründung zum ARUG, BTDrucks. 16/11624, S. 1, 20, 25. Vgl. hierzu Cahn, Der Konzern 2007, 385; Oechsler, ZHR 170 (2006), 72. Dagegen wurden die mengenmäßigen Höchstgrenzen für den Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung von 5 % bzw. 10 % des Grundkapitals in § 71 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2, Nr. 8 Satz 1 AktG entgegen der insoweit geänderten Richtlinie 2006/68/EG beibehalten. Kritisch dazu Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 34. 7 § 71 AktG a.F. Vgl. hierzu die Kommentierung von Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 71. 8 Durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 30.4.1998, BGBl. I 1998, 786.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
nahme und nimmt die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien von einer verbotenen Einlagenrückgewähr ausdrücklich aus. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erwerb eigener Aktien sind in den §§ 71 ff. AktG geregelt. § 71 Abs. 1 AktG stellt dabei einen abschließenden Katalog an Ausnahmetatbeständen auf. Schließlich findet sich in § 215 Abs. 1 AktG die Vorschrift, dass eigene Aktien an der Erhöhung des Grundkapitals bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln teilnehmen.
8.4
Neben den aktienrechtlichen Vorschriften gelten für den Erwerb eigener Aktien besondere kapitalmarktrechtliche Vorschriften, insbesondere Art. 14 VO Nr. 596/20149 (im Rahmen des Insiderhandelsverbots), Art. 15 VO Nr. 596/2014 (Verbot der Marktmanipulation) sowie § 33 WpHG (Veröffentlichungspflicht bei Berühren von Beteiligungsschwellen). Für den Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen gelten die Verbote in Art. 14 und 15 VO Nr. 596/2014 allerdings bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 VO Nr. 596/2014 nicht.
2. Ökonomische Wirkungen 8.5
Der Erwerb eigener Aktien hat für die Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt nur mittelbare Bedeutung. Statt eines Zuflusses liquider Mittel an die Gesellschaft entstehen zunächst Kosten. Eigene Aktien haben aber diverse ökonomische Auswirkungen auf ein Unternehmen10. Zwei Folgen sind besonders bedeutsam: Zum einen beeinflussen eigene Aktien den Börsenkurs, zum anderen verändern sie das Eigenkapital. Werden eigene Aktien erworben, wirkt das wie eine Kapitalherabsetzung11.
8.6
Der Erwerb eigener Aktien kann zunächst als Mittel zur Kurspflege eingesetzt werden12. Mit dem Rückerwerb zuvor ausgegebener Aktien bekennt sich die Aktiengesellschaft zu ihrer eigenen Unternehmenspolitik. Sie signalisiert derzeitigen und potentiellen Aktionären, dass ihre Unternehmensleitung von der verfolgten Strategie und der Möglichkeit überzeugt ist, den Unternehmenswert zu steigern. Von dieser Wertsteigerung will die Gesellschaft durch den Erwerb eigener Aktien selbst profitieren. Das von einem solchen Rückkaufprogramm ausgehende Signal ist in der Regel stark, weil die Gesellschaftsorgane als „Insider“ über bessere Informationen als ein Außenstehender verfügen13. Der Erwerb eigener Aktien wird daher nicht selten als Zeichen einer Unterbewertung gesehen. Anleger reagieren darauf mit einer erhöhten Bereitschaft, Aktien zu kaufen14. Aufgrund der geringeren Zahl frei handelbarer Aktien verringert sich außerdem nach einem Erwerb eigener Aktien die Volatilität des Aktienkurses und damit in der Regel das Risiko eines Investments15. 9 10 11 12
Marktmissbrauchsverordnung (verbreitete Abkürzungen sind MAR und MMVO). Vgl. Hirsch, Der Erwerb eigener Aktien nach dem KonTraG, S. 37 ff. Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 4. Vgl. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 1 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 6; Rieckers, ZIP 2009, 700; Escher-Weingart/Kübler, ZHR 162 (1998), 537, 554; von Rosen/Helm, AG 1996, 434, 437. 13 Vgl. auch Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 6: Der Einsatz verfügbarer Mittel für den Aktienerwerb werde dabei als stärkeres Argument angesehen als die bloße Bekanntgabe der Einschätzung des Managements. 14 S. auch Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 460; Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222, 224, sog. „Signaling-Hypothese“. 15 Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222, 223.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Durch den Erwerb eigener Aktien verändert sich das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital. Zwar verändert sich die Höhe des Grundkapitals durch den Erwerb eigener Aktien nicht; jedoch verringert sich die von den Aktionären bereitgestellte Finanzausstattung. Im Gegenzug steigt die Bedeutung des vorhandenen Fremdkapitals. Hierdurch kann das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital und damit die Rentabilität auf das Eigenkapital verbessert werden (Leverage-Effekt)16. Als Nebenfolge führt der erhöhte Fremdkapitalanteil zu einer Disziplinierung des Managements, da es erhöhter Kontrolle ausgesetzt ist17. Weil durch den Erwerb eigener Aktien regelmäßig erstens der Aktienkurs steigt, zweitens die vorhandene Liquidität sinkt und drittens die Aktionärsstruktur beeinflusst wird, eignen sich eigene Aktien auch als Abwehrmittel gegen feindliche Übernahmen18. Bei Übernahmen durch die Gesellschaft als Bieterin (bei öffentlichen Übernahmen) oder Käuferin (bei private deals) werden eigene Aktien hingegen nicht selten als Akquisitionswährung verwendet19.
8.7
Der Rückerwerb eigener Aktien stellt im Übrigen eine Alternative zur Dividendenausschüttung (und zur Kapitalherabsetzung) dar, was für die Aktionäre gegenüber dem Bezug von Dividenden steuerlich vorteilhaft sein kann20. Außerdem fallen Dividendenzahlungen je Aktie nach einem Erwerb eigener Aktien (nicht zuletzt wegen der dann geringeren Anzahl dividendenberechtigter Aktien) regelmäßig höher aus. Des Weiteren verringern sich die Kosten der Gesellschaft für die Betreuung der Aktionäre, weil deren Zahl sinkt21.
8.8
3. Gefahren Der Erwerb eigener Aktien kann für die Gesellschaft mit Risiken und Gefahren verbunden sein22, deren Abwehr das Gesetz Rechnung tragen will. Grundsätzlich bestehen Gefahren der Kapitalunterdeckung, der Einlagenrückgewähr und des Doppelschadens. Damit das Kapital erhalten wird, ist der Erwerb eigener Aktien nur ausnahmsweise im Rahmen der §§ 71 ff. AktG zulässig. Dem Risiko einer durch diese Form der Einlagenrückgewähr verursachten Unterschreitung des Grundkapitals wird durch § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG begegnet. Danach darf die Gesellschaft eigene Aktien nur erwerben, wenn sie im Erwerbszeitpunkt eine (fiktive) Rücklage in Höhe der Erwerbsaufwendungen bilden könnte, ohne das Grundkapital oder eine nach Gesetz oder Satzung zu bildende Rücklage, die nicht zur
16 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 5; Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 460; zum damit verbundenen Effekt des Shareholder Value etwa Martens, AG 1996, 337, 338. 17 Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 460 unter Verweis auf Jensen, American Economic Association Papers and Proceedings 1986, 323, 324. 18 Ausführlich Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 10. 19 Deutsches Aktieninstitut, Der Erwerb eigener Aktien in Deutschland, 1999, S. 10; eingehend Wieneke, NZG 2004, 61; vgl. ferner Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 12. 20 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 8; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 5; Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222, 223. Dieser Vorteil blieb auch nach der Unternehmensteuerreform 2008 erhalten, weil die pauschale Abgeltungsteuer nur den Kursgewinn erfasst. Wendet die Gesellschaft z.B. 10 Mio. Euro auf, um Aktien zurückzuerwerben, müssen die Aktionäre hiervon nur den Teil versteuern, der ihrem Kursgewinn entspricht. Bei einer Ausschüttung von 10 Mio. Euro als Dividende unterliegt hingegen die Gesamtsumme der Versteuerung. 21 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 9; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 13; EscherWeingart/Kübler, ZHR 162 (1998), 537, 553; Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222, 224. 22 Ausführlich etwa von Rosen/Helm, AG 1996, 434, 437 ff.
Arnold | 333
8.9
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
Zahlung an die Aktionäre verwandt werden darf, zu mindern23. Die Gefahr eines Doppelschadens schließlich ergibt sich daraus, dass die Gesellschaft bei einer wirtschaftlich nachteiligen Situation (z.B. einem Produkthaftungsfall) neben ihrem unmittelbaren Schaden einen schadensbedingten Wertverlust der eigenen Aktien erleidet.
8.10 Für die Aktionäre besteht zudem die Gefahr der Ungleichbehandlung durch die Gesell-
schaft bei Erwerb oder Veräußerung von eigenen Aktien oder bei der Preisbildung. Eine Ungleichbehandlung etwa bei der Veräußerung käme einem Bezugsrechtsausschluss gleich24. Sie ist aktienrechtlich nicht zulässig. Eine Ungleichbehandlung der Aktionäre verstieße gegen das Gleichbehandlungsgebot aus § 53a AktG, auf den § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG ausdrücklich Bezug nimmt25. Organisationsrechtlich birgt der Erwerb eigener Aktien außerdem die Gefahr einer Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der AG. Durch einen hohen Anteil eigener Aktien könnte der Vorstand auf die Hauptversammlung und deren Entscheidungen im Eigeninteresse Einfluss nehmen26. Um das auszuschließen, stehen der Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Rechte zu (§ 71b AktG).
8.11 Eine weitere Gefahrenquelle besteht schließlich im Bereich des Kapitalmarktrechts. Der
Vorstand, der als zentrales Organ der Gesellschaft einen Informationsvorsprung hat, könnte etwa in Kenntnis eines Rückkaufprogramms Aktien für eigene Zwecke erwerben, um diese nach Bekanntwerden des Programms – zu einem höheren Kurs – zu veräußern27. Daneben könnte die Gesellschaft selbst den Aktienkurs manipulieren, indem sie eigene Aktien anonym zurückerwirbt und damit ein nicht bestehendes Handelsvolumen vortäuscht28. Diesen Gefahren wird durch die allgemeine Ad-hoc-Publizität und das Insiderrecht begegnet29.
4. Rechtstatsachen 8.12 Nahezu alle großen börsennotierten Gesellschaften in Deutschland haben von der Mög-
lichkeit Gebrauch gemacht, den Vorstand zum Erwerb eigener Aktien zu ermächtigen. Nicht immer werden jedoch die bestehenden Ermächtigungen ausgenutzt30. Sie werden oft als „Vorratsermächtigung“ begriffen, die standardmäßig zur Ausstattung einer AG gehören, die flexibel auf Entwicklungen reagieren möchte.
23 Die Rücklage muss infolge der Gesetzesänderungen des BilMoG (vgl. bereits Rz. 8.1) nicht mehr tatsächlich gebildet werden, vgl. Art. 5 Nr. 1 BilMoG. S. dazu Oechsler, AG 2010, 105 ff.; Rieckers, ZIP 2009, 700, 703. 24 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 16. 25 Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 461 f. 26 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 23; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 1. 27 Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 462 f. 28 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 25; Bayer, BB 2004, 1, 8. 29 Ausführlich bei Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457, 463 f. Von besonderer Bedeutung sind Art. 14 und 15 VO Nr. 596/2014. 30 So geht die Studie von Hackethal/Zdantchouk, abrufbar unter http://publikationen.ub.uni-frank furt.de/frontdoor/index/index/docId/4866, im Zeitraum von Mai 1998 bis April 2003 von 224 Ankündigungen zum Rückerwerb von Aktien aus.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
II. Erwerb eigener Aktien 1. Keine originäre Übernahme a) Ausnahmsloses Verbot Für die Zulässigkeit des Erwerbs eigener Aktien muss zwischen dem derivativen Erwerb bereits ausgegebener Aktien einerseits und dem originären Erwerb, d.h. der Übernahme neu ausgegebener Aktien, andererseits unterschieden werden. Nur der derivative Erwerb eigener Aktien ist im Rahmen der §§ 71 ff. AktG in begrenztem Umfang möglich. Hingegen ist die originäre Zeichnung eigener Aktien durch die Gesellschaft nach § 56 Abs. 1 AktG verboten. Das Selbstzeichnungsverbot dient dem Gebot der realen Kapitalaufbringung31. Es reicht denkbar weit und gilt unabhängig davon, auf welchem Weg die Übernahme erfolgt. Unzulässig sind daher die Übernahme von Aktien bei der Gründung, die Übernahme bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen, die Ausübung eines Umtauschrechts im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung und die Zeichnung bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital32. Das Verbot, eigene Aktien zu zeichnen, besteht jedoch nicht bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Eigene Aktien nehmen an dieser Kapitalerhöhung ausnahmsweise (§ 71b AktG) teil (§ 215 Abs. 1 AktG). Das Gebot der realen Kapitalaufbringung steht dem nicht entgegen, da bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kein neues Kapital zugeführt wird33.
8.13
Sollte eine Gesellschaft verbotswidrig (§ 56 Abs. 1 AktG) eigene Aktien zeichnen, verstieße die Zeichnung gegen § 134 BGB und wäre deshalb nichtig34. Das Handelsregister dürfte die Durchführung einer Kapitalerhöhung, bei der die Gesellschaft eigene Aktien gezeichnet hat, nicht in das Handelsregister eintragen. Wird die Durchführung gleichwohl eingetragen, werden die nichtigen Zeichnungserklärungen aber geheilt35. Auf die übernommenen eigenen Aktien sind dann die §§ 71b f. AktG analog anzuwenden; die eigenen Aktien sind also insbesondere innerhalb eines Jahres zu veräußern (§ 71c AktG)36.
8.14
b) Umgehungssituationen Neben dem allgemeinen Verbot, eigene Aktien zu zeichnen, begegnet § 56 AktG in Abs. 2 und Abs. 3 bestimmten Umgehungskonstruktionen. Abhängige oder in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen (unabhängig von der Rechtsform) dürfen gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG keine Aktien ihrer Muttergesellschaft übernehmen. Allerdings führt die Zeichnung von Aktien der Mutter nicht zur Nichtigkeit der Übernahme (§ 56 Abs. 2 Satz 2 AktG).
31 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 1; Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 1. 32 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 2; Henze in Großkomm. AktG, § 56 Rz. 7; Drygala in KölnKomm. AktG, § 56 Rz. 6. 33 Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 3; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.13. 34 Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 56 Rz. 11; Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 3; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 6; Drygala in KölnerKomm. AktG, § 56 Rz. 9; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.14; Ganske, DB 1978, 2461, 2463. 35 H.M.; vgl. etwa Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG, § 56 Rz. 15; Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 56 Rz. 14 ff.; Henze in Großkomm. AktG, § 56 Rz. 16; Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 5. 36 Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 6; Henze in Großkomm. AktG, § 56 Rz. 16.
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8.15
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
Das Registergericht kann gleichwohl die Eintragung in das Handelsregister ablehnen. Auch auf so erworbene eigene Aktien sind die §§ 71b f. AktG analog anzuwenden37.
8.16 § 56 Abs. 3 AktG erfasst Fälle, in denen ein Gründer (§ 29 AktG), Zeichner bei einer Ka-
pitalerhöhung gegen Einlagen (§ 185 AktG) oder Umtausch- bzw. Bezugsberechtigter (§ 198 AktG) Aktien im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Gesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens erwirbt38. Er ist rechtlich Eigentümer, hat das wirtschaftliche Risiko aber im Innenverhältnis ganz oder teilweise auf die Gesellschaft oder das mit ihr verbundene Unternehmen übertragen39. Beispielhaft seien Treuhandverhältnisse, Kommissionsgeschäfte und Kursgarantien genannt40. In all diesen Fällen bleibt der Erwerb wirksam41. Der Aktionär bleibt zur Leistung der Einlage und zu allen Nebenpflichten verpflichtet. Ihm stehen aus der Aktie aber keine Rechte zu, bis er sie für eigene Rechnung übernimmt (§ 56 Abs. 3 Satz 3 AktG).
8.17 Ein Fall des § 56 Abs. 3 AktG kann auch auftreten, wenn eine Gesellschaft eine Kapital-
erhöhung unter Einschaltung einer Emissionsbank durchführt. Bei diesem Weg zeichnet die Emissionsbank alle Aktien, um sie an Dritte weiterzugeben. Für den Fall, dass nicht alle Aktien weitergegeben werden können, enthält der Vertrag mit der Emissionsbank regelmäßig besondere Bestimmungen. Ein Eingreifen des § 56 Abs. 3 AktG kann dabei nur vermieden werden, wenn die Bank das mit der Aktienübernahme verbundene wirtschaftliche Risiko nicht auf die Gesellschaft abwälzt. Nicht zu empfehlen sind daher Regelungen, nach denen die Gesellschaft Mindererlöse der Bank bei der Aktienplatzierung zu erstatten oder nicht weitergegebene Aktien zurückzunehmen hat42.
2. Zulässiger derivativer Erwerb a) Grundsätzliches Verbot
8.18 Während die Übernahme neuer Aktien ausnahmslos verboten ist, besteht das Verbot, ei-
gene Aktien derivativ zu erwerben, nicht ausnahmslos. § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG bringt zum Ausdruck, dass der (vorübergehende oder dauerhafte) derivative Erwerb eigener Aktien unzulässig ist, sofern nicht die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausnahmeregelung erfüllt sind43. Die möglichen Ausnahmen sind abschließend in § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AktG aufgeführt.
8.19 Dieses grundsätzliche Verbot, eigene Aktien zu erwerben, ist historisch begründet44. Durch
die sukzessive Zulassung immer weiterer Ausnahmetatbestände hat sich das rechtspolitische Verständnis allerdings immer weiter von seiner ablehnenden Grundhaltung entfernt.
37 Drygala in KölnKomm. AktG, § 56 Rz. 31; Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 11. 38 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 6; Winter in FS Röhricht, 2005, S. 709, 713 ff.; Henze in Großkomm. AktG, § 56 Rz. 47 ff. 39 Hüffer/Koch, AktG, § 56 Rz. 12; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 6; Henze in Großkomm. AktG, § 56 Rz. 53. 40 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 6; Winter in FS Röhricht, 2005, S. 709, 712 ff. 41 Zu den Rechtsfolgen vgl. Drygala in KölnKomm. AktG, § 56 Rz. 66 ff.; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG, § 56 Rz. 51 ff. 42 Bungeroth in MünchKomm. AktG, § 56 Rz. 59. 43 Maul in Beck’sches Hdb. AG, § 3 Rz. 143; Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rz. 20. 44 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 26 ff.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Es überwiegt – seit der durch das KonTraG45 geschaffenen Möglichkeit eines zweckfreien Ermächtigungsbeschlusses (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) – inzwischen die Sichtweise, dass eine weitgehende Flexibilisierung zur Attraktivität des deutschen Finanzplatzes beiträgt46. b) Ausnahmetatbestände § 71 Abs. 1 AktG kennt acht verschiedene Ausnahmetatbestände. Liegen die Voraussetzungen eines solchen Tatbestands vor, ist ein Erwerb eigener Aktien zulässig. Untereinander unterscheiden sich die Ausnahmetatbestände danach, ob die Hauptversammlung über die Möglichkeit, eigene Aktien zu erwerben, entscheiden muss oder ob der Vorstand insoweit aus eigener Verantwortung handeln darf. Während die Ausnahmetatbestände in § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AktG Erwerbsvorgänge in der alleinigen Verantwortung des Vorstands regeln, erfordern die Nr. 6 bis 8 des § 71 Abs. 1 AktG einen Beschluss der Hauptversammlung. Im Einzelnen:
8.20
Nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist der Erwerb eigener, voll eingezahlter47 Aktien durch die Gesellschaft zulässig, wenn er notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. „Schaden“ kann dabei jede unfreiwillige Vermögenseinbuße der Gesellschaft sein48. Ob es sich um einen schweren Schaden handelt, ist anhand der Größe und Finanzkraft des Unternehmens sowie seiner sonstigen wirtschaftlichen Risiken zu bemessen49. Ein Schaden steht unmittelbar bevor, wenn sein Eintreten „in überschaubarer Zukunft“50 konkret zu erwarten ist51. Ein sofort bzw. mit Sicherheit drohender Schaden ist nicht erforderlich52. Dem Vorstand kommt bei der Einschätzung, ob der Gesellschaft in diesem Sinne ein Schaden droht, eine gerichtlich nicht voll überprüfbare Einschätzungsprärogative zu53. Schließlich muss der Erwerb objektiv notwendig (d.h. ohne vernünftige Alternative) und nicht nur geeignet sein, um einen drohenden, schweren Schaden abzuwenden54. Der Ausnahmetatbestand des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist durchweg restriktiv auszulegen, weil er seit dem nachträglich eingeführten § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eine Ausnahmekompetenz des Vorstands gegenüber der eigentlich zuständigen Hauptversammlung begründet55. Er findet deshalb nur bei besonderer Eilbedürftigkeit der Schadensabwehr Anwendung56 und hat (nicht zuletzt deshalb) kaum praktische Relevanz57. Nicht in Anspruch genommen werden kann die Schadensabwehr bei bloßen
8.21
45 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 30.4.1998, BGBl. I 1998, 786. 46 Singhof/Weber, AG 2005, 549, 550 f.; von Rosen/Helm, AG 1996, 434. 47 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 64; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 12. 48 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 7; näher zum Schadensbegriff Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 47 ff. 49 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 61; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 7. 50 BT-Drucks. 8/1678, S. 15. 51 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 7; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 110. 52 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 62. 53 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 106. 54 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 63; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 8; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11. 55 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 103; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 48. 56 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 107; s. auch Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11. 57 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
Kurspflegemaßnahmen58, weil durch einen Kursverlust nur der Aktionär, nicht aber die Gesellschaft betroffen ist59. Ob die Abwehr eines sog. „Baisseangriffs“ einen zulässigen Ausnahmefall darstellt, ist seit Einführung von § 20a WpHG – inzwischen: Art. 15 VO Nr. 596/2014 – fraglich geworden60, weil ein solcher Angriff als Verstoß gegen des Marktmanipulationsverbot von der BaFin zu verfolgen ist61. Zulässig kann der Erwerb eigener Aktien zur Kursstabilisierung dagegen im Rahmen eines IPO sein, falls die Aktienemission ansonsten zu scheitern droht und ein Beschluss nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG in der nötigen Kurzfristigkeit nicht eingeholt werden kann62. Ein weiterer umstrittener Anwendungsfall ist die Abwehr einer bevorstehenden feindlichen Übernahme durch den Erwerb eigener Aktien63. Der „Abkauf“ von Anfechtungsklagen im Rahmen des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG durch Erwerb von Aktien der Kläger durch die Gesellschaft ist zulässig, sofern die Voraussetzungen der Regelung vorliegen, insbesondere ein schwerer Schaden unmittelbar bevorsteht und der Abkauf zu seiner Abwendung notwendig ist64. Das ist beispielsweise denkbar, wenn ein Freigabeverfahren (§ 246a AktG) jedenfalls nicht zeitgerecht Abhilfe schaffen und die Anfechtungsklage eine wichtige Strukturmaßnahme verzögern würde65. Schließlich kann auch die Rückabwicklung einer Aktienemission nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG zulässig sein, wenn die Platzierung nicht erfolgreich verläuft und die Gesellschaft gegenüber der zeichnenden Bank im Übernahmevertrag zur Rücknahme der Aktien verpflichtet ist. Die Gegenmeinung, die hier im Vorfeld der Aktienemission einen Ermächtigungsbeschluss für den Fall eines Scheiterns der Emission fordert66, verlangt vom Vorstand in nicht gerechtfertigter Weise, die neuen Aktien vor ihrer Emission in ein schlechtes Licht zu stellen. Außerdem kann der Erwerb eigener Aktien von Schuldnern der Gesellschaft erlaubt sein, wenn er notwendig ist, um die Erfüllung der Ansprüche der Gesellschaft gegen sie zu gewährleisten67.
8.22 Die zweite Ausnahme vom Verbot, eigene Aktien zu erwerben, ist der Erwerb voll ein-
gezahlter68 Aktien zur Bedienung sog. Belegschaftsaktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG)69. Gerechtfertigt ist danach der Erwerb, wenn die Aktien Personen, die im Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen stehen oder standen, zum Erwerb angeboten werden sollen70. Die Norm begründet keinen Anspruch auf Schaffung von
58 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 10; s. auch Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11. 59 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11; s. auch Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 105; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 47; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 7. 60 Dafür aber Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 127; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 9; wie hier Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11. 61 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11; s. auch Singhof/Weber, AG 2005, 549, 565. 62 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 127. 63 Zum Streitstand ausführlich Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 115–124. 64 Vgl. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 130; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11 („in Ausnahmefällen“ zulässig); Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 10 (unzulässig, es sei denn, es droht ein schwerer Schaden, der nicht durch Freigabeverfahren abgewehrt werden kann). 65 Vgl. Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 11; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 10. 66 So etwa Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 133. 67 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 54; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.11; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 9. 68 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 72; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 13. 69 S. hierzu Richter/Gittermann, AG 2004, 277 ff.; Umnuß/Ehle, BB 2002, 1042 ff. 70 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 12; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 137, 139.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Belegschaftsaktien, sondern ermöglicht nur, anderweitig beschlossene Mitarbeiterprogramme zu vollziehen71. Wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt, dürfen die Mitarbeiterprogramme nur (derzeitige oder frühere) Arbeitnehmer erfassen, nicht jedoch Personen, die auf anderer vertraglicher Grundlage tätig sind, wie etwa Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder72. Weil bei ihnen eine größere Gefahr des Missbrauchs besteht, ist für Aktienoptionsprogramme zugunsten von amtierenden Organmitgliedern ein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich73. Für die Zulässigkeit des Erwerbs nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG genügt es, dass der Vorstand ein zugrunde liegendes Mitarbeiterprogramm zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ernsthaft beabsichtigt74. Gegen eine ernsthafte Absicht spricht etwa, wenn zwischen dem Erwerb und dem geplanten Angebot kein vernünftiger Zusammenhang erkennbar ist. Das ist z.B. der Fall, wenn die Anzahl der erworbenen Aktien in keinem Verhältnis zum Umfang steht, in dem derartige Angebote von Arbeitnehmern üblicherweise angenommen werden75. Dabei kann dem Umfang vergangener Programme eine Indizwirkung zukommen76. Der Erwerb bleibt rechtmäßig, auch wenn die ernsthafte Absicht eines Mitarbeiterprogramms nicht realisiert wird oder die Aktien nicht innerhalb der Jahresfrist des § 71 Abs. 3 Satz 2 AktG ausgegeben werden77. § 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG erlaubt den Erwerb eigener Aktien, wenn mit ihnen bestimmte vom Gesetz den Aktionären eingeräumte Abfindungsangebote erfüllt werden sollen78. Dafür maßgeblich ist die Absicht des Vorstands, die Aktien entsprechend zu verwenden. Diese Absicht kann schon dann bestehen, wenn die erforderlichen Hauptversammlungsbeschlüsse (z.B. nach § 293 AktG) zwar noch nicht gefasst sind, aufgrund der Mehrheitsverhältnisse aber schon feststehen79. Der Ausnahmetatbestand in § 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG ist notwendige Folge der gesetzlichen Abfindungsansprüche. Zulässig ist insbesondere die Befriedigung von Abfindungsansprüchen aufgrund eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrags, einer Eingliederung, einer Verschmelzung von Gesellschaften unterschiedlicher Rechtsform, einer Auf- oder Abspaltung sowie eines Formwechsels80. Nach der Gesetzgebungsgeschichte soll eine analoge Anwendung auf weitere Sachverhalte ausscheiden81. Das war jedoch beispielsweise beim Delisting zeitweise nicht einzusehen82. 71 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 137. 72 OLG Jena v. 30.7.2014 – 2 U 920/13, AG 2015, 160, 161; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 60; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 140; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 12. 73 § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG i.V.m. § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG; vgl. auch Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 140, 258. 74 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.36; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 142; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 68. 75 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 69; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 142. 76 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 142. 77 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 71. 78 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 14 ff.; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 87 ff. 79 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 15; a.A. (HV-Beschlüsse müssen gefasst sein) Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 14; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 105. 80 Vgl. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 151–162; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 15. 81 BT-Drucks. 12/6699, S. 177. 82 S. dazu etwa Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 96 f.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 152 ff.; Schlitt, ZIP 2004, 533, 537 (dort auch zur Frage, ob nicht in solchen Fällen eher eine Anwendung von § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG in Betracht kommt). Zum Delisting vgl. ausführlich § 40.
Arnold | 339
8.23
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
Da der BGH einen Abfindungsanspruch der Aktionäre beim Delisting inzwischen verneint83, dürfte sich diese konkrete Diskussion erledigt haben84. Sie zeigt aber nach wie vor, dass eine Analogie nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann85.
8.24 Auch der Erwerb eigener Aktien in Einkaufskommission durch ein Kreditinstitut (§ 71
Abs. 1 Nr. 4 2. Alt. AktG) ist eine notwendige Ausnahme, weil bei ihr gemäß § 383 HGB ein Durchgangserwerb des Kreditinstituts stattfindet86. Für den unentgeltlichen87 Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 1. Alt. AktG) wäre hingegen eine Ausnahmeregelung entbehrlich, weil hier schon das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG tatbestandlich nicht eingreift.
8.25 Ausnahmsweise ist der Erwerb eigener Aktien auch zulässig, soweit er durch Gesamt-
rechtsnachfolge erfolgt (§ 71 Abs. 1 Nr. 5 AktG). Dabei kann es sich um erbrechtliche Erwerbsvorgänge nach § 1922 BGB, um eine Rechtsnachfolge nach dem Umwandlungsgesetz (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 73, 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) oder um einen Vermögensübergang nach § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB (Anwachsung) handeln88.
8.26 Die Nr. 6 bis 8 des § 71 Abs. 1 AktG setzen einen Beschluss der Hauptversammlung vo-
raus (Rz. 8.20). Nach § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG darf die Gesellschaft eigene Aktien aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses zur Einziehung nach den Vorschriften über die Kapitalherabsetzung erwerben. Allerdings verlangt eine Kapitalherabsetzung, die zur Einziehung von Aktien führt, keinen separaten Ermächtigungsbeschluss nach § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG zum Erwerb der eigenen Aktien. Der Vorstand ist zur Einziehung bereits aus dem Kapitalherabsetzungsbeschluss nach § 237 AktG befugt, was immanent voraussetzt, dass dieser Beschluss bereits (vor dem Aktienerwerb) gefasst wurde89. § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG erfasst im Übrigen nur die Einziehung nach Erwerb durch die Gesellschaft (§ 237 Abs. 1 2. Alt. AktG), nicht aber die Zwangseinziehung (§ 237 Abs. 1 1. Alt. AktG)90.
8.27 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 7 AktG ist der Erwerb eigener Aktien zulässig, wenn es sich um ein
Kreditinstitut (§ 1 Abs. 1 KWG), ein Finanzdienstleistungsunternehmen (§ 1 Abs. 1a KWG) oder ein Finanzunternehmen (§ 1 Abs. 3 KWG) handelt und die Aktien zum Zwecke des Wertpapierhandels erworben werden91. Durch diese Ausnahmevorschrift wird auf Bedürfnisse des Over-the-counter-Market eingegangen, bei dem sog. Market Maker außerhalb der Börse den Handel von Aktien ermöglichen. Auch für die Bedienung von (Calloder Put-)Optionen spielt diese Ausnahme eine Rolle. Die Ermächtigung zum Handel mit Wertpapieren darf höchstens für fünf Jahre gelten92. Der Umfang der zulässigerweise zu erwerbenden Aktien ist im Beschluss auf 5 % des Grundkapitals zu beschränken, wobei die
83 BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, NJW 2014, 146 ff.; s. dazu u.a. Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 155. 84 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 15. 85 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 156; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 42. 86 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 17. 87 Näher zum Begriff der Unentgeltlichkeit Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 44. 88 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 80. 89 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 47; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19. 90 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 82. 91 Ausführlich bei Butzke, WM 1995, 1389, 1390 ff. 92 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 49. Die Frist wurde durch Art. 1 Nr. 6a des ARUG von 18 Monaten auf fünf Jahre verlängert (vgl. dazu bereits Rz. 8.1).
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Höchstgrenze am Ende jedes Tages eingehalten sein muss93. Der Hauptversammlungsbeschluss muss außerdem den Erwerbszweck („zum Zwecke des Wertpapierhandels“)94 und den niedrigsten und höchsten Gegenwert festlegen.95 Die größte praktische Bedeutung kommt der Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien durch einen Hauptversammlungsbeschluss ohne gesetzliche Zweckvorgabe gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG zu96. Von dieser Ermächtigung haben nahezu alle großen börsennotierten Aktiengesellschaften Gebrauch gemacht. Ihre Ermächtigungsbeschlüsse unterscheiden sich darin, dass sie entweder bestimmte Rückerwerbstatbestände benennen und den Vorstand ermächtigen, ohne weitere Befassung der Hauptversammlung eigene Aktien der Gesellschaft zu erwerben, oder dass sie auf die Aufzählung verzichten und den Vorstand generell zum Erwerb eigener Aktien ermächtigen97. Ausdrücklich ausgeschlossen ist auf diesem Weg nur der Handel in eigenen Aktien98. Zu allen anderen Zwecken darf ermächtigt werden99. Zulässig ist auch, dass die Hauptversammlung keinen bestimmten Zweck vorgibt100. In diesem Fall muss der Vorstand im Rahmen seiner allgemeinen Geschäftsleitungskompetenz (§ 76 Abs. 1 AktG) einen Zweck bestimmen101.
8.28
Für den Beschluss der Hauptversammlung stellt § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG formale Mindestanforderungen. Die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien darf höchstens für fünf Jahre gelten102; der Beschluss muss hierbei die Frist konkret bezeichnen. Dabei ist sowohl die Benennung eines Datums („bis zum 31.12.2015“) als auch die Angabe einer Zeitspanne („vom Tag der Beschlussfassung an für fünf Jahre“) möglich103. Die Wiederveräußerung kann auch nach Ablauf der Geltungsdauer erfolgen, d.h. die Gesellschaft darf die Aktien über den Ermächtigungszeitraum hinaus halten, solange der Erwerb innerhalb
8.29
93 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 113; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 19; Butzke, WM 1995, 1389, 1390; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19b. 94 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19b; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 111; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 87; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 49; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 19. 95 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 49; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19b. 96 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 16; Markwardt, BB 2002, 1108; Kessler/Suchan, BB 2000, 2529; Saria, NZG 2000, 458. 97 Vgl. zum Ganzen beispielsweise die Beschlüsse der Hauptversammlungen der RWE AG v. 20.4.2011, der MAN SE v. 1.4.2010 und der Linde AG v. 4.5.2012. 98 § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 AktG; dazu Bosse, WM 2000, 806 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19i; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 111 ff.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 212 ff.: Entstehungsgeschichte und genauer Inhalt dieser Ausnahmevorschrift liegen im Unklaren. Verhindert werden soll, dass die Gesellschaft durch Spekulationsgeschäfte mit eigenen Aktien Gewinne zu erzielen beabsichtigt. Der Gefahr einer Marktmanipulation durch Eigenhandel wird hingegen mit Art. 15 VO Nr. 596/2014 begegnet; s. hierzu § 38. 99 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19g; einen guten Überblick über mögliche Zweckbestimmungen bietet Hirsch, Der Erwerb eigener Aktien nach dem KonTraG, S. 34 ff. 100 So schon die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/9712, S. 13; aber auch LG Berlin v. 15.11. 1999 – 99 O 83/99, AG 2000, 328, 329 = NZG 2000, 944, 946; Bezzenberger in K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 71 Rz. 18; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 93; Gätsch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.25. 101 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 93. 102 Auch diese Frist wurde durch Art. 1 Nr. 6a des ARUG (vgl. Rz. 8.1) von 18 Monaten auf fünf Jahre verlängert. 103 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 20; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 125; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19e.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
des Ermächtigungszeitraums stattgefunden hat104. Genauso bezieht sich auch die Erwerbsschranke von 10 % des Grundkapitals ausschließlich auf das Erwerbsvolumen und beschränkt nicht etwa den Gesamtbestand, den die Gesellschaft halten darf105. Letzteres ist vielmehr gesondert in § 71 Abs. 2 AktG geregelt (Rz. 8.31). Der Ermächtigungsbeschluss nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG muss außerdem den Erwerbspreis bestimmen. Der Erwerbspreis muss aber nicht absolut festgesetzt werden, sondern kann in einer Erwerbsspanne mit höchstem und niedrigstem Gegenwert angegeben werden106. Diese Erwerbsspanne kann sich dabei am (zukünftigen) Börsenkurs der Gesellschaft orientieren107. Je nach Art des beabsichtigten Erwerbsgeschäfts können auch unterschiedliche Preisspannen vorgegeben werden. So kann zum Erwerb über die Börse ein Preisrahmen von bis zu 10 % über oder unter dem Börsenkurs zulässig sein108; bei öffentlichen Rückkaufangeboten wird hingegen auch ein Rahmen von 10–30 % vertreten109.
8.30 Im Ermächtigungsbeschluss ist regelmäßig neben der Ermächtigung zum Erwerb eigener
Aktien auch die Ermächtigung zur anschließenden Veräußerung der Anteile enthalten (s. dazu Rz. 8.81 ff.). Sowohl für den Erwerb als auch für die Veräußerung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 53a AktG zu beachten; er gilt bei einer Abwicklung über die Börse als gewahrt (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 und 4 AktG). Wenn die eigenen Aktien jedoch nicht über die Börse veräußert werden, sind § 186 Abs. 3, 4 und § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG entsprechend anzuwenden (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG), weil die Situation wirtschaftlich mit einem Bezugsrechtsausschluss vergleichbar ist. Das Recht zur Veräußerung außerhalb der Börse muss bereits im Ermächtigungsbeschluss zum Erwerb eigener Aktien enthalten sein; es erfordert jedoch einen sachlichen Grund und eine Beschlussmehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. c) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
8.31 Für einzelne der Ausnahmetatbestände des § 71 Abs. 1 AktG begründet § 71 Abs. 2 AktG
weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen. Bei den Ausnahmen gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG (Schadensabwehr), Nr. 2 (Belegschaftsaktien), Nr. 3 (gesetzliche Abfindungsangebote), Nr. 7 AktG (Wertpapierhandel) und Nr. 8 AktG (Ermächtigungsbeschluss) dürfen die von der Gesellschaft insgesamt gehaltenen eigenen Aktien den Schwellenwert von 10 % des Grundkapitals nicht überschreiten (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AktG)110. Nicht der Erwerb ei-
104 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 19; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19e. 105 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19e; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 21. 106 Es ist umstritten, ob das Erfordernis, auch einen Mindestpreis vorzugeben, sinnvoll ist. Dafür Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 109; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 199a; dagegen: Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 22. 107 OLG Hamburg v. 30.12.2004 – 11 U 98/04, ZIP 2005, 1074, 1078 = AG 2005, 355; LG Berlin v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, NZG 2000, 944, 945 = AG 2000, 328; ebenso Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 22; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19e; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 199. 108 10 %: LG Berlin v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, NZG 2000, 944, 945 = AG 2000, 328; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 22; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 20; Wieneke in Bürgers/ Körber, AktG, § 71 Rz. 32. 5 %: OLG Hamburg v. 30.12.2004 – 11 U 98/04, AG 2005, 355, 358. 109 10 %: OLG Hamburg v. 30.12.2004 – 11 U 98/04, AG 2005, 355, 358. 20–30 %: Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 20; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 199; vgl. ferner Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01 Rz. 9. 110 Näher dazu Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 308–315; Bezzenberger in K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 71 Rz. 51 ff.
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gener Aktien wird durch diese Vorschrift untersagt, sondern nur ihr Besitz beschränkt111. Zudem muss bei den von der Gesellschaft erworbenen Aktien der Ausgabebetrag in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 7 und 8 AktG voll geleistet sein (§ 71 Abs. 2 Satz 3 AktG). Auch wenn die aufgrund § 71 Abs. 1 Nr. 4 (unentgeltlicher Erwerb/Einkaufskommission), Nr. 5 (durch Gesamtrechtsnachfolge) oder Nr. 6 (Hauptversammlungsbeschluss zur Einziehung) AktG erworbenen eigenen Aktien der 10 %-Schwelle nicht unmittelbar unterfallen, sind solche eigenen Aktien bei einem Erwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 1–3, 7 und 8 AktG im Rahmen der für die Ausnahmen geltenden Höchstgrenze zu berücksichtigen. In die 10 %Grenze sind auch nach §§ 71d Satz 3, 71e Abs. 1 Satz 1 AktG zuzurechnende Aktien einzubeziehen112.
8.32
Werden Aktien unter Verstoß gegen eine geltende Höchstgrenze erworben, müssen die überzähligen Aktien gemäß § 71c Abs. 1 AktG innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb wieder veräußert werden. Aktien, die nach § 71 Abs. 1 Nr. 4–6 AktG zulässigerweise erworben wurden, müssen gemäß § 71c Abs. 2 AktG113 innerhalb von drei Jahren wieder veräußert werden, wenn durch sie die 10 %-Schwelle überschritten wird. Die jeweiligen Fristen sind nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB zu berechnen114.
8.33
Für den Erwerb eigener Aktien ist nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG die sog. hypothetische Kapitalgrenze zu beachten. Voraussetzung des Erwerbs ist, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbs eine (fiktive) Rücklage in Höhe der Erwerbsaufwendungen bilden könnte, ohne dadurch das Grundkapital oder eine nach Gesetz oder Satzung zu bildende Rücklage, die nicht zur Zahlung an die Aktionäre verwendet werden darf, zu vermindern115. Da der Vorstand vor dem Erwerb eigener Aktien davon überzeugt sein muss, die hypothetische Kapitalgrenze einzuhalten, ist ein pro forma Zwischenabschluss auf den Stichtag des geplanten Erwerbs aufzustellen116.
8.34
3. Erwerbsmodalitäten a) Erwerbsbegriff Ein Erwerb i.S.d. §§ 57 Abs. 1, 71 ff. AktG ist jedes dingliche Rechtsgeschäft, das eine Gesellschaft auf Dauer oder vorübergehend jedenfalls zum Mitinhaber einer Aktie macht, also die Übereignung gemäß den §§ 929 ff. BGB (bei verkörperten Aktien) oder die Übertragung 111 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 205; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 218; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 308; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 51. Eine Beschränkung ausschließlich des Erwerbs regelt § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1, s. Rz. 8.29. 112 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 53. 113 Abs. 2 kommt trotz seines vermeintlich weiteren Wortlauts nur für Fälle des § 71 Abs. 1 Nr. 4–6 AktG in Betracht, da nur für sie nicht schon § 71 Abs. 2 gilt, s. nur Hüffer/Koch, AktG, § 71c Rz. 4; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 27. 114 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 31. 115 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 21a; Oechsler, AG 2010, 105 ff.; Rieckers, ZIP 2009, 700, 703; Kropff in FS Hüffer, 2010, S. 539, 545 ff.; ferner OLG München v. 8.5.2012 – 31 Wx 155/ 12, ZIP 2012, 1075 f.: Auch eine Kapitalrücklage i.S.v. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB sei eine Rücklage i.S.v. § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG. 116 OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, AG 2010, 133, 134; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 21a.
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8.35
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
nach den §§ 398 ff., 413 BGB (bei Globalurkunden)117. Aus § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG könnte sich schließen lassen, dass das dem Erwerb zugrundeliegende Rechtsverhältnis (z.B. ein Kaufvertrag) nicht unmittelbar dem Erwerbsbegriff unterfällt. Nach dieser Vorschrift ist das Kausalgeschäft nichtig, wenn der dingliche Erwerb nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Ausnahmetatbestände erfüllt. Die besseren Argumente sprechen aber für die Annahme eines weiten Erwerbsbegriffs, nach dem auch jedes schuldrechtliche Rechtsgeschäft, das zum Erwerb führt, als Erwerb i.S.d. §§ 57 Abs. 1, 71 ff. AktG anzusehen ist118.
8.36 Kein Fall eines Erwerbs eigener Aktien liegt vor, wenn das dingliche Rechtsgeschäft nicht
Aktien, sondern andere Rechte betrifft, sofern diese anderen Rechte nicht zum Erwerb von Aktien verpflichten. Deshalb unterliegen der Erwerb von eigenen Schuldverschreibungen, auch wenn sie Wandel- oder Gewinnobligationen sind, von Genussscheinen, Dividendenscheinen oder Bezugsrechten nicht den Anforderungen der §§ 71 ff. AktG119. Der Vorstand darf derartige Rechte dann allerdings nur ausüben, wenn die Voraussetzungen für einen zulässigen Erwerb eigener Aktien vorliegen. Kein Erwerb liegt vor, wenn die Gesellschaft nur die Verfügungsbefugnis über eigene Aktien erlangt, jedoch nicht die Inhaberschaft (z.B. Verwaltungstreuhand, Legitimationsübertragung)120. Zulässig ist auch der Erwerb von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, die ihrerseits Aktien der erwerbenden Gesellschaft halten. Unzulässig ist ein solcher Erwerb nach h.M. nur dann, wenn das Vermögen der Zielgesellschaft (nahezu) ausschließlich aus Aktien der erwerbenden AG besteht121. Sofern das zu erwerbende Unternehmen von der erwerbenden Gesellschaft abhängig ist oder in ihrem Mehrbesitz steht, ist in jedem Fall § 71d Satz 2 AktG zu beachten.
8.37 Auch Vorverträge über den Erwerb eigener Aktien werden vom Erwerbsverbot erfasst122.
Bei Optionen muss differenziert werden123: Eine Call Option, die eine Gesellschaft lediglich zum Erwerb eigener Aktien berechtigt, nicht jedoch verpflichtet, unterfällt als solche nicht dem Erwerbsverbot124. Erfasst sind dagegen Put Optionen, da sie die Gesellschaft als Stillhalterin schon im Zeitpunkt des Optionserwerbs binden125.
117 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 74; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 4; Laubert in Hölters, AktG, § 71 Rz. 2. Zur fehlenden Sacheinlagefähigkeit eigener Aktien vgl. BGH v. 20.9. 2011 – II ZR 234/09 – Ision, AG 2011, 876: Dabei stehe der Verzicht auf den Rückerstattungsanspruch darlehensweise an die Gesellschaft überlassener Aktien dem Einbringen als Sacheinlage jedenfalls dann gleich, wenn der Verzicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Darlehensgewährung vereinbart worden sei. 118 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 4; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 32; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 73; Laubert in Hölters, AktG, § 71 Rz. 2; a.A. Mick, DB 1999, 1201, 1202 f.; Grobecker/Michel, DStR 2001, 1757, 1762 f.; Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493, 494. S. zum Streitstand Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 35. 119 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 25, 38 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 5; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 93 f. 120 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 42; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 6. 121 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 9; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 95; Lutter/ Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 44; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 5; Laubert in Hölters, AktG, § 71 Rz. 3; a.A. (für generelle Anwendbarkeit bei wechselseitigen Beteiligungen) Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, S. 151 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 44. 122 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 76. 123 Vgl. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 9; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 81 f.; Paefgen, ZIP 2002, 1509; Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493, 494 f. 124 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 9; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 4; Ihrig in FS Ulmer, 2003, S. 829, 843; J. Vetter, AG 2003, 478, 479. 125 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 9; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 4.
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Der BGH hat den Erwerbsbegriff auch für den Fall eines Schadensausgleichs in Form der Naturalrestitution relativiert126. Der Entscheidung lag eine Haftung der Gesellschaft für fehlerhafte Ad-hoc-Meldungen ihres Vorstands zugrunde. Die Übernahme eigener Aktien sei in dieser Situation nur eine zufällige Folge der kapitalmarktrechtlichen Naturalrestitution und als solche von der Gesellschaft hinzunehmen. Letztlich wertet der BGH die Interessen des geschädigten Aktionärs höher als das Risiko einer Kapitalunterdeckung127. Der Ansatz des BGH ist nicht unbedenklich, weil der Kapitalschutz völlig leerlaufen könnte, wenn die Naturalrestitution sehr große Aktienpakete erfasst.
8.38
Praktisch relevante Fälle des Erwerbs eigener Aktien sind der Erwerb über die Börse, über ein öffentliches Erwerbsangebot, durch Individualvertrag oder über Optionsrechte128. Von besonderer Bedeutung ist bei diesen Verfahren stets die Pflicht der Gesellschaft zur Gleichbehandlung aller Aktionäre (§ 53a AktG)129. Zur Wahrung der Gleichbehandlung ist den Aktionären nach h.M. grundsätzlich ein Andienungsrecht als umgekehrtes Bezugsrecht zu gewähren130.
8.39
b) Erwerb über die Börse Der am häufigsten gewählte Weg zum Erwerb eigener Aktien stellt die Order an der Börse dar131. Diese Erwerbsform wird auch gegenüber anderen Erwerbsformen privilegiert, weil bei ihr nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG die Gleichbehandlung aller Aktionäre i.S.v. § 53a AktG als gewährleistet gilt132. Der Erwerb über die Börse bietet zudem den Vorteil, dass er regelmäßig zu geringen Kosten vorgenommen werden kann und ohne Prämie erfolgt.
8.40
c) Öffentliches Erwerbsangebot Weitaus größeren Einfluss auf den Kapitalmarkt kann ein öffentliches Erwerbsangebot haben, weil hierdurch Aufmerksamkeit am Markt provoziert wird. Als Nachteil erweist sich jedoch, dass bei einem öffentlichen Erwerbsangebot meistens ein über dem Börsenkurs liegender Kaufpreis von der Gesellschaft bezahlt werden muss133.
8.41
Unterschiede in der Preisbildung bestehen zudem bei den beiden zur Verfügung stehenden Angebotsverfahren134. Der regelmäßig höchste Preis muss bei einem Festangebot
8.42
126 BGH v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270, 1273 = AG 2005, 609; s. auch Bayer in MünchKomm. AktG, § 57 Rz. 42. 127 Gottschalk, DStR 2005, 1648, 1651 ff. 128 Zu Besonderheiten in der kleinen AG Kiem, ZIP 2000, 209, 212 ff. 129 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 28; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19j; Paefgen, ZIP 2002, 1509. 130 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 223; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19k; Habersack, ZIP 2004, 1121, 1125; Paefgen, AG 1999, 67, 68 f.; a.A. Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 121, der ein subjektives Recht der Aktionäre verneint und deren Möglichkeit, an einem Aktienrückkauf teilzunehmen, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als ausreichend ansieht. Zweifelnd auch Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01 Rz. 10. Die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/9712, S. 13 f., deutet eher in Richtung eines subjektiven Andienungsrechts. 131 Vgl. etwa Stallknecht/Schulze-Uebbing, AG 2010, 657 f. 132 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 64. 133 S. auch Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 65. 134 Zu den verschiedenen Verfahren und zum Folgenden vgl. ausführlich Leuering, AG 2007, 435, 436 ff.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
(Fixed Price Tender Offer) bezahlt werden. Bei diesem Verfahren bietet die Gesellschaft den Aktionären den Kauf einer bestimmten Zahl von Aktien zu einem festgelegten Preis innerhalb der Angebotsfrist an. Sollten mehr Aktionäre das Angebot annehmen wollen (Überzeichnung), verlangt das Gleichbehandlungsgebot eine verhältnismäßige Verteilung auf alle Aktionäre135. Ein niedrigerer Preis für die Aktien kann in einer „holländischen Auktion“ (Dutch Auction Tender Offer) erzielt werden136. Hierbei bestimmt die Gesellschaft die Zahl der zu erwerbenden Aktien und einen Preisrahmen, innerhalb dessen sie zum Kauf bereit ist (z.B. 100 Stück zu je 95–100 Euro). Ziel ist es, dass sich die Aktionäre daraufhin mit niedrigeren Verkaufsangeboten unterbieten, wobei auch geringere Stückzahlen angeboten werden können. Umfasst das günstigste Angebot die gewünschte Anzahl an Aktien, kann die Gesellschaft zum niedrigsten Preis kaufen (z.B. 100 Stück zu 95 Euro). Bietet der Aktionär mit dem günstigsten Verkaufsangebot allerdings nur einen Teil der gewünschten Stückzahl zum Verkauf an (z.B. 60 Stück zu 95 Euro) und muss die Gesellschaft deshalb neben dem günstigsten auch das zweitgünstigste Angebot annehmen (z.B. 40 Stück zu 96 Euro), muss sie aufgrund des Gleichbehandlungsgebots beiden Aktionären den zweitniedrigsten Preis bezahlen (Einheitspreisverfahren – im Beispielsfall 96 Euro)137.
8.43 Die Frage, ob und inwieweit das WpÜG auf ein öffentliches Erwerbsangebot anzuwenden
ist138, stellt sich für die Praxis nicht mehr; seit 2006 wendet die BaFin das WpÜG nicht (mehr139) auf öffentliche Angebote zum Rückerwerb eigener Aktien an140. Diese Auffassung hat trotz ihrer fehlenden Verbindlichkeit in der Praxis entscheidende Bedeutung. d) Individualverträge
8.44 Eigene Aktien können auch über einen Individualvertrag erworben werden (negotiated
repurchase). Dies kann für die Gesellschaft insbesondere dann interessant sein, wenn sie ein größeres Aktienpaket von einem Großaktionär (oder einer Gruppe von Aktionären) erwerben kann. Ein Individualvertrag mit einzelnen Aktionären steht jedoch grundsätzlich im Konflikt mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz141. Zudem besteht – wenn gegenüber dem Börsenkurs eine Prämie vereinbart wird – ein gesteigertes Risiko einer verbotenen Einlagenrückgewähr142. Ein individuell ausgehandelter Rückkauf kann wegen dieser Risiken nur in Ausnahmefällen zulässig sein143. Erforderlich ist eine sachliche Rechtferti-
135 136 137 138 139 140
141 142 143
Vgl. dazu Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 65. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 15. S. auch Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 65. S. dazu Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 228 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 157 ff.; Pluskat, NZG 2006, 731 ff. mit zahlreichen Nachweisen; ferner Koch, NZG 2003, 61 ff.; Süßmann, AG 2002, 424 ff. Zum früheren Streit vgl. Lenz/Linke, AG 2002, 420; Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2592 f.; Oechsler, NZG 2001, 817, 818 f. Vgl. Schreiben der BaFin v. 9.8.2006, veröffentlicht unter http://www.bafin.de/SharedDocs/Ver oeffentlichungen/DE/Auslegungsentscheidung/WA/ae_060809_rueckerwerb.html. Dem folgend inzwischen auch die h.M., s. nur Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 26; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 157 ff.; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19k, 19l. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 70; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 127; Bosse, NZG 2000, 16, 17. Vgl. nur Bosse, NZG 2000, 16, 18; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 242. Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 173 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 127; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 70; Oechsler in MünchKomm.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
gung144. Zulässig kann ein Rückkauf etwa zur Auflösung von Patt-Situationen im Gesellschafterkreis oder zur Ermöglichung eines Generationenwechsels sein145. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes scheidet auch dann aus, wenn alle Aktionäre dem Erwerb zustimmen146. e) Transferable Put Rights Eine wichtige Möglichkeit, Aktien zurück zu erwerben, besteht in der Ausgabe spezieller Put Optionen an Aktionäre147. Der einzelne Aktionär wird berechtigt, innerhalb des Geltungszeitraums seine Aktien zu einem bestimmten Kaufpreis (Basispreis) an die Gesellschaft zu verkaufen. Um die Gleichbehandlung der Aktionäre zu gewährleisten, muss die Gesellschaft an alle Aktionäre entsprechend ihrer Beteiligungsquote übertragbare Andienungsrechte (transferable put rights) ausgeben, die die Aktionäre entweder selbst ausüben oder an Dritte veräußern können148. Die Aktien, die den Derivaten zugrunde liegen, müssen dabei wegen des strengen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG) grundsätzlich über die Börse zum dort ermittelten Preis zurückerworben werden,denn nur dann ist das individuelle Andienungsrecht gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG ausgeschlossen149. Andernfalls müsste das Andienungsrecht der Aktionäre in dem Hauptversammlungsbeschluss ausgeschlossen werden150. Die Differenz zwischen Basispreis und Börsenkurs wird zu einem Spekulationsgegenstand151. Dies kann für die Gesellschaft verschiedene Vorteile haben. Abgesehen von der Optionsprämie, die sie bei Ausgabe der Put Optionen verdienen kann152, wird sie vor allem Einfluss auf die Aktionärsstruktur nehmen können. Sie könnte etwa diejenigen Aktionäre zu einem Verkauf motivieren, die den Wert der Gesellschaft für gering erachten und mit der im Basispreis enthaltenen Prämie ausscheiden. Hingegen werden die Aktionäre, die den Wert der Aktie noch höher einschätzen als den Basispreis, ihre Optionsrechte weiterveräußern153.
144 145 146 147 148 149 150 151 152 153
AktG, § 71 Rz. 242 ff.; Leuering, AG 2007, 435, 436; Jäger, Aktiengesellschaft, 2004, § 29 Rz. 112; a.A. (generell unzulässig) Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19k; Nowotny in FS Lutter, 2000, S. 1513, 1519 f.; Huber in FS Kropff, 1997, S. 101, 113, 116; von Rosen/Helm, AG 1996, 434, 439. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 70; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 173 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 127. Vgl. Reg.Begr. BT-Drucks. 13/9712, S. 13; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 127; Stallknecht/Schulze-Uebbing, AG 2010, 657, 661 f.; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.43; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 244 f. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 169; s. auch Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG, 2002, Rz. 144, der auch eine Mehrheitsentscheidung der von der Veräußerung ausgenommenen Aktionäre genügen lassen will. S. Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493, 495 f.; aber auch Mick, DB 1999, 1201 ff. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 166. Paefgen, AG 1999, 67, 73 f. vertritt die Auffassung, Put Optionen müssten unter gewissen Voraussetzungen nicht allen Aktionären entsprechend ihrer Kapitalquote angeboten werden. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 246. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 246; Paefgen, AG 1999, 67, 69. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 16; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 166. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71 Rz. 167; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 16; Paefgen, AG 1999, 67, 73. Vgl. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 16, 246.
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8.45
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
4. Besondere Konstellationen 8.46 Die §§ 71a, 71d und 71e AktG behandeln besondere Fallkonstellationen des Aktien-
erwerbs durch der Gesellschaft nahestehende Personen. Der Grundgedanke ihrer Regelung ist (bis auf § 71a Abs. 1 AktG) einheitlich: Wenn einer Gesellschaft der Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 oder Abs. 2 AktG erlaubt ist, dürfen auch mittelbare Stellvertreter oder abhängige bzw. im Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen Aktien der Gesellschaft erwerben. a) Umgehungsgeschäfte
8.47 Nach § 71a Abs. 1 AktG ist es einer Gesellschaft verboten, Dritte zum Zweck des Erwerbs
von Aktien an der Gesellschaft zu finanzieren. Umstritten ist, welchen Schutzzweck die Norm verfolgt. Diskutiert wird § 71a Abs. 1 AktG unter anderem als Verbot des leveraged-buy-out bei Unternehmenserwerben bzw. -übernahmen, aber auch als ergänzende Kapitalschutzregelung154. Seit der Neufassung von Art. 23 Abs. 1 RL 77/91/EWG (Zweite Gesellschaftsrechtsrichtlinie)155 – inzwischen Art. 64 Abs. 1 RL 2017/1132/EU (Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts)156 – wird die Unterstützung Dritter im Hinblick auf einen Erwerb eigener Aktien von verfahrensrechtlichen Vorgaben abhängig gemacht, grundsätzlich aber für zulässig erachtet. Angesichts dieser Reform wird jedenfalls die Annahme fragwürdiger, § 71a Abs. 1 AktG bezwecke ein Verbot des leveraged-buy-out157.
8.48 § 71a Abs. 1 AktG enthält nach h.M. einen offenen Verbotstatbestand, formuliert also Re-
gelbeispiele158. Als Regelfälle werden der Gesellschaft die Gewährung eines Vorschusses, eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit untersagt. Der Begriff „Leistung einer Sicherheit“ erweitert den Anwendungsbereich des Verbots auf Fälle, bei denen die Gesellschaft wirtschaftliche Risiken eines Aktienerwerbers durch Aufwendung eigener Mittel übernimmt159. Stellen sich lediglich im Ergebnis Finanzierungserleichterungen ein, ist dies allerdings unschädlich160. Vielmehr müsste die Finanzierungserleichterung konkret bezwecken, den Aktienerwerb zu ermöglichen: Die von dem Verbot erfassten Rechtsgeschäfte sind nur dann nichtig, wenn sie zum Zweck des Erwerbs von Aktien der Gesellschaft geschlossen werden. Erforderlich ist nach dem BGH, dass „die Leistung der Gesellschaft objektiv dem Aktienerwerb dient, die Parteien des Finanzierungsgeschäfts dies wissen und die Zweckverknüpfung rechtsgeschäftlich zum Inhalt ihrer Vereinbarung machen“161. 154 Vgl. zur Diskussion eingehend (mit unterschiedlichen Begründungen und Gewichtungen) Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 1 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71a Rz. 6 ff.; Nuyken, ZIP 2004, 1893, 1895; Habersack in FS Röhricht, 2005, S. 155 ff.; Habersack in FS Hopt, 2010, S. 725, 732 ff.; Seibt, ZHR 171 (2007), 282 ff.; Drygala, Der Konzern 2007, 396 ff. 155 Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1, Art. 23 Abs. 1 neu gefasst durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006, ABl. EU Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32. 156 Richtlinie 2017/1132/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 157 Zuzustimmen ist hier Drygala, Der Konzern 2007, 396, 400. 158 Vgl. nur Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 19; Schröder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995, S. 174, 178 f.; a.A. (Enumerativprinzip) mit beachtlichen Argumenten Habersack in FS Hopt, 2010, S. 725, 743 ff. 159 S. nur Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 2. 160 Zuzustimmen ist hier Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71a Rz. 35. 161 BGH v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472, 475 Rz. 28 = AG 2017, 233; s. auch Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71a Rz. 14 mwN.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Eine von den Parteien gewollte Verknüpfung zwischen Finanzierungs- und Aktiengeschäft kann vermutet werden, wenn ein objektiver Sachzusammenhang und eine zeitliche Nähe zwischen Finanzierung und Aktienerwerb gegeben sind162. Die Nichtigkeit erfasst allerdings nicht das Erfüllungsgeschäft, so dass es zur Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB kommt, wenn die Finanzmittel bereits ausgezahlt wurden163. Umstritten ist im Schrifttum die Frage nach der Anwendbarkeit des § 71a Abs. 1 AktG auf sog. Break-Fee-Vereinbarungen, nach denen die Gesellschaft im Fall einer gescheiterten (freundlichen) Übernahme die Kosten einer Due Diligence oder die Beratungskosten des Erwerbers trägt. Nach überzeugender h.M. sind Break-Fee-Vereinbarungen mit § 71a Abs. 1 AktG vereinbar, weil sie nur im Fall des Scheiterns greifen und somit gerade keine Erwerbshilfe darstellen164. Sie werden nicht zum Zweck des Erwerbs geschlossen. Der Zusammenhang zwischen Leistung und Erwerb fehlt.165
8.49
Zwei wichtige Fallgruppen sind durch § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG vom Verbot ausgenommen166: Sofern die Gesellschaft im Erwerbszeitpunkt eine (fiktive) Rücklage in Höhe der Erwerbsaufwendungen bilden könnte167, müssen Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute im Rahmen der laufenden Geschäfte § 71a Abs. 1 AktG nicht beachten. Privilegiert sind außerdem auch Belegschaftsaktien, zu deren Erwerb die Gesellschaft ihre Arbeitnehmer unterstützen darf. Darüber hinaus gilt das Verbot nicht für Rechtsgeschäfte, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag (§ 291 AktG) besteht (§ 71a Abs. 1 Satz 3 AktG)168. Im faktischen Konzern dagegen ist § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG nach der überwiegenden Kommentarliteratur anwendbar169. Eine beachtliche Gegenauffassung vertritt jedoch, die Norm werde durch §§ 311 ff. AktG verdrängt170.
8.50
b) Erwerb durch Dritte Sowohl § 71a Abs. 2 AktG als auch § 71d AktG greifen Fallkonstellationen der mittelbaren Stellvertretung auf. Die Regelungen sind jedoch missglückt; ihr Verhältnis zueinan162 BGH v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472, 475 Rz. 28 = AG 2017, 233; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71a Rz. 14; s. auch Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 35; Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 3; Habersack in FS Hopt, 2010, S. 725, 740. 163 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 50 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 4. 164 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71a Rz. 43; Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 3; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 34; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 70; Fleischer, AG 2009, 345, 353 f.; a.A. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 29 m.w.N. 165 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 13. 166 S. hierzu Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 5 ff. 167 Die hypothetische Kapitalgrenze geht auch in § 71a Abs. 1 AktG auf das BilMoG (vgl. bereits Rz. 8.1) zurück, vgl. die Regierungsbegründung zum BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 21. 168 Dieser Ausnahmetatbestand wurde durch Art. 5 Nr. 6a des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) eingeführt. 169 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71a Rz. 22; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 49d; Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 6a. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71a Rz. 48; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71a Rz. 18; Laubert in Hölters, AktG, § 71a Rz. 9. 170 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rz. 82; Habersack in FS Hopt, 2010, S. 725, 742 f.; Krieger in MünchHdb. AG, § 70 Rz. 54; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 311 Rz. 119; Riegger, ZGR 2008, 233, 240 f.; wohl auch Fleischer, AG 1996, 494, 507.
Arnold | 349
8.51
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
der ist teilweise widersprüchlich171. Die h.M. löst diesen Widerspruch dahin auf, dass nach § 71a Abs. 2 AktG Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverträge (die Hauptfälle mittelbarer Stellvertretung) nichtig sind, wenn die Gesellschaft beim Erwerb dieser Aktien gegen § 71 Abs. 1 oder Abs. 2 AktG verstoßen würde172. Hingegen kommt § 71d Satz 1 AktG zur Anwendung, wenn die Gesellschaft die Aktien, die vom mittelbaren Stellvertreter erworben wurden, selbst hätte erwerben dürfen173. Das Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis ist dann mit der Folge wirksam, dass die Aktien, deren Inhaber der mittelbare Stellvertreter ist, der Gesellschaft zugerechnet werden.
8.52 Bei Konzernverhältnissen ist die Rechtslage eindeutiger. Tochtergesellschaften (genauer:
abhängige oder im Mehrheitsbesitz stehende Gesellschaften) dürfen Aktien ihrer Mutter dann erwerben, wenn ein solcher Erwerb auch für die Muttergesellschaft zulässig wäre. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen auf der Ebene der Mutter erfüllt werden, d.h. beispielsweise eine Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG wäre von der Muttergesellschaft, nicht aber von der Tochtergesellschaft zu beschließen174. Ist der Muttergesellschaft hingegen ein Erwerb eigener Aktien verboten, bleibt zwar das Erwerbsgeschäft der Tochter wirksam, nicht aber das Kausalgeschäft175. Der Verkäufer hat einen Rückforderungsanspruch nach §§ 812 ff. AktG, während die Tochtergesellschaft nach §§ 71d Satz 4, 71c Abs. 1 AktG zur Veräußerung verpflichtet ist.
8.53 Sofern der Aktienerwerb rechtmäßig war, lösen Aktien von Tochtergesellschaften und Ak-
tien von mittelbaren Stellvertretern dieselben Rechtsfolgen aus: Sie werden wie Aktien der Gesellschaft behandelt. So zählen sie für die Höchstgrenze von 10 %, die eine Gesellschaft an eigenen Aktien halten darf, mit. Wird diese Schwelle überschritten, muss die Muttergesellschaft, nicht die Tochter176, nach § 71c Abs. 2 und 3 AktG die Aktien der Tochtergesellschaft oder des mittelbaren Stellvertreters veräußern oder einziehen. Falls erforderlich muss die Muttergesellschaft auf die Tochter oder den mittelbaren Stellvertreter entsprechend einwirken. c) Inpfandnahme eigener Aktien
8.54 Nach § 71e Abs. 1 AktG wird die Inpfandnahme eigener Aktien durch die Gesellschaft
dem Eigenerwerb (§ 71 AktG) und dem Erwerb durch Dritte (§ 71d AktG) gleichgestellt. Die Gesellschaft darf deshalb eigene Aktien (unmittelbar oder mittelbar erworben) in Pfand nehmen, wenn sie dieselbe Anzahl an Aktien auch durch andere Rechtsgeschäfte erlangen dürfte. Hintergrund der Regelung ist zum einen die Vermeidung von Umgehungsgeschäften, weil die Inpfandnahme mangels Erlangung der rechtlichen Inhaberschaft nicht unter den Erwerbsbegriff fällt. Zum anderen liegt dem Gesetz die Vorstellung zugrunde, dass eigene Aktien als Sicherheit nur eingeschränkt tauglich sind177. Aus diesem
171 172 173 174 175 176
Hüffer/Koch, AktG, § 71d Rz. 8; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71d Rz. 89 ff. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 3 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 71d Rz. 9. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71d Rz. 3; Hüffer/Koch, AktG, § 71d Rz. 9, 11. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 35, 43. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 55; Hüffer/Koch, AktG, § 71d Rz. 16. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 8/1678, S. 17; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71d Rz. 63; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 60. 177 Vgl. Reg.Begr. zu § 68 AktG 1965 bei Kropff, S. 91 f. Die Plausibilität beider Hintergründe ist umstritten, s. nur Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71e Rz. 2; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71e Rz. 6.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
Grund werden von § 71e AktG nur rechtsgeschäftliche Pfandrechte erfasst178; gesetzliche Pfandrechte hingegen können die Position der Gesellschaft nur verstärken.
5. Ablauf eines Erwerbs eigener Aktien Der Erwerb eigener Aktien erfolgt in mehreren Schritten. Die wesentlichen Schritte sollen im Folgenden dargestellt werden.
8.55
a) Vorbereitende Planung Zunächst stellt der Vorstand eine interne Planung über den Erwerb eigener Aktien für die Gesellschaft auf. Dabei muss er insbesondere die ökonomischen Ziele definieren, die mit dem Erwerb eigener Aktien erreicht werden sollen. Von ihnen hängen die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Ausnahmetatbestände ab. Anschließend hat der Vorstand die bestehende Beschlusslage innerhalb der Gesellschaft zu prüfen um herauszufinden, welche gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen vor dem Erwerb eigener Aktien herbeizuführen sind. Insbesondere liegt es an ihm zu bestimmen, ob er einen Hauptversammlungsbeschluss herbeiführen muss oder aufgrund eigener Zuständigkeit weiter vorgehen kann (bei Letzterem entfallen b und c).
8.56
b) Hauptversammlungsbeschluss Sofern der Erwerb eigener Aktien nach den Nr. 6–8 des § 71 Abs. 1 AktG geplant ist, muss die Hauptversammlung hierüber entscheiden. Die Gesellschaft hat dementsprechend eine Hauptversammlung durchzuführen und die Ermächtigung (bzw. im Fall des § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG die Kapitalherabsetzung) auf die Tagesordnung zu setzen. In der Hauptversammlung ist zu beachten, dass bei einer beabsichtigten Veräußerung der eigenen Aktien außerhalb der Börse § 186 Abs. 3 und 4 AktG gilt. Der Vorstand hat in diesem Fall der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über die beabsichtigte Veräußerung vorzulegen und die Maßnahme zu begründen (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG). Außerdem darf ein solcher Beschluss nur mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gefasst werden179.
8.57
c) Veröffentlichungspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung Der Vorstandsbeschluss zur Befassung der Hauptversammlung mit der Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien ist grundsätzlich nicht veröffentlichungspflichtig180. Für eine Adhoc-Pflicht (Art. 17 VO Nr. 596/2014 [MAR], § 26 Abs. 1 WpHG) fehlt es in der Regel an der nötigen Kursrelevanz181. 178 Hüffer/Koch, AktG, § 71e Rz. 2; vgl. ferner Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71e Rz. 8, die im Anschluss an Beeser, AcP 159 (1960), 56 auch § 401 BGB unter § 71e AktG fallen lassen. 179 § 186 Abs. 3 Satz 2 AktG; die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. 180 S. Schockenhoff/Wagner, AG 1999, 548, 554; van Aerssen, WM 2000, 391, 401. 181 Vgl. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 225; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.64; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 160.
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8.58
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
d) Ausübungsbeschluss des Vorstands
8.59 Der Hauptversammlungsbeschluss ermächtigt nur generell zu einem Erwerb eigener Akti-
en. Hiervon zu unterscheiden ist die Ausübung der Ermächtigung, die in die Zuständigkeit des Vorstands fällt. In der Praxis besteht allerdings regelmäßig ein Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG)182. e) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten
8.60 Eine Ad-hoc-Mitteilungspflicht im Hinblick auf den Hauptversammlungsbeschluss besteht
grundsätzlich nicht. Dem Beschluss fehlt in der Regel die Eignung zur Kursbeeinflussung, da er nichts darüber aussagt, ob es tatsächlich zu einem Erwerb eigener Aktien kommt183. Anders kann dies sein, wenn der Ermächtigungsbeschluss von üblichen Routineermächtigungen abweicht184. Trifft der Vorstand185 im Anschluss die Entscheidung, den Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung auszuüben, d.h. eigene Aktien zu erwerben, muss er hierüber eine Ad-hoc-Mitteilung (Art. 17 VO Nr. 596/2014 [MAR], § 26 Abs. 1 WpHG) veröffentlichen, sofern die Entscheidung kursrelevant ist186. Das dürfte in der Praxis häufig der Fall sein. Weitere Mitteilungspflichten ergeben sich aus den allgemeinen Publizitätspflichten. § 71 Abs. 3 Satz 3 AktG a.F., der die Gesellschaft verpflichtete, unverzüglich die BaFin zu unterrichten, wenn ein Ermächtigungsbeschluss nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG gefasst wurde, ist durch das ARUG aufgehoben worden187.
8.61 Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG muss die Gesellschaft der BaFin und dem Unternehmens-
register mitteilen, dass sie durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise drei188, fünf oder zehn Prozent in Bezug auf eigene Aktien erreicht, überschreitet oder unterschreitet, und diese Information veröffentlichen. Neben § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG ist für eine Mitteilungspflicht nach § 33 WpHG kein Platz189. Gegen eine separate Mitteilungspflicht nach § 33 WpHG spricht, dass der Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Stimmrechte zustehen, § 33 WpHG aber entscheidend auf Stimmrechte abstellt190. Außerdem wäre § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG insoweit überflüssig, wenn die Gesellschaft über den Er-
182 Vgl. nur Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01 Rz. 3; Rieckers, ZIP 2009, 700. 183 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 225; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 160. 184 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 160, 162. 185 Dies gilt auch, wenn noch die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich ist, vgl. Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01 Rz. 28. 186 Emittentenleitfaden der BaFin v. 28.4.2009, IV.2.2.4., S. 57; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 226; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.64; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 552; Schockenhoff/Wagner, AG 1999, 548, 555 f.; Bosse, ZIP 1999, 2047, 2049. Ein Muster einer Ad-hoc-Mitteilung über die Ausnutzung der Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien findet sich bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01d. 187 Durch Art. 1 Nr. 6b. Zum ARUG vgl. bereits Rz. 8.1. S. auch Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.63; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 337. 188 Diese Schwelle gilt nur für Emittenten, deren Herkunftsstaat die Bundesrepublik Deutschland ist, § 26 Satz 2 a.E. WpHG. 189 Dies wird in der Literatur aber teilweise gefordert, vgl. Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.66. 190 So auch Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 165; vgl. ferner Widder/Kocher, AG 2007, 13, 15 ff.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
werb oder die Veräußerung nach § 33 WpHG Mitteilung machen müsste. Denn dann wäre bereits § 40 Abs. 1 Satz 1 AktG einschlägig. Seit dem TUG191 kann auch die Einziehung von Aktien Veröffentlichungspflichten nach § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG (bis 2.1.2018: § 26 Abs. 1 Satz 2 WpHG) auslösen192. Dies war nach alter Rechtslage noch unklar193. Ein weiteres Problem ist, ob Aktien, die von Tochterunternehmen des Emittenten gehalten werden, vom Emittenten als eigene Aktien zu veröffentlichen sind194. § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG erwähnt diese Pflicht nicht, obwohl aktienrechtlich diese Aktien als eigene Aktien des Emittenten zugerechnet werden (§ 71d AktG).
8.62
Durch das TUG wurde zudem § 26a WpHG eingeführt; die Regelung befindet sich inzwischen in etwas abgeänderter Form in § 41 WpHG. Die Gesellschaft hat gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 WpHG nach der Zu- oder Abnahme von Stimmrechten die Gesamtzahl der Stimmrechte und das Datum der Wirksamkeit der Zu- oder Abnahme unverzüglich, spätestens innerhalb von zwei Handelstagen in der in § 40 Abs. 1 Satz 1 WpHG, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 40 Abs. 3 Nr. 1 WpHG, vorgesehenen Weise zu veröffentlichen. Der Erwerb oder die Veräußerung eigener Aktien führt aber trotz gemäß § 71b AktG ruhender Stimmrechte nicht zu einer Veröffentlichungspflicht nach § 41 WpHG195. Eine Veröffentlichung nach § 41 WpHG ist dafür im Anschluss an die Einziehung eigener Aktien erforderlich, da sich durch die Einziehung die Gesamtzahl der Stimmrechte reduziert196.
8.63
Der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen stellt keinen Fall einer verbotenen Marktmanipulation (Art. 15 VO Nr. 596/2014 [MAR]) dar, wenn er in den Anwendungsbereich der Safe-Harbour-Regelung des Art. 5 VO Nr. 596/2014 fällt und die verfahrensrechtlichen Vorgaben dessen Abs. 1 bis 3 erfüllt, also insbesondere Transparenz wahrt197. Hierzu muss die Gesellschaft unter anderem noch vor Beginn des Handels alle Einzelheiten des Rückkaufprogramms vollständig offenlegen (Art. 5 Abs. 1 lit. a VO Nr. 596/2014). Höchste Hürde dürfte für die Praxis allerdings Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 596/2014 sein, nach dem einer der in Art. 5 Abs. 2 lit. a–c VO Nr. 596/2014 genannten Zwecke einziger Zweck des Rückkaufprogramms sein muss.
8.64
f) Erwerb Der Beschluss zum Erwerb eigener Aktien wird erst durch den konkreten Erwerb vollzogen (s. hierzu Rz. 8.35 ff.). 191 Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10. 192 Schwellenberührung „auf sonstige Weise“; s. die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/2498, S. 38; vgl. M. Arnold, AG 2007, R163, R166. 193 Vgl. Bosse, DB 2007, 39, 41. 194 Vgl. M. Arnold, AG 2007, R163, R166. 195 M. Arnold, AG 2007, R163, R166; Rieckers, ZIP 2009, 700, 705. 196 Rieckers, ZIP 2009, 700, 705. 197 Früher § 20a Abs. 3 WpHG; vgl. hierzu Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 15 VO Nr. 596/2014 Rz. 3; Art. 5 VO Nr. 596/2014 Rz. 39 ff.; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.68; zum alten Recht noch Singhof/Weber, AG 2005, 549; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 20a Rz. 239 ff. In § 38 wird näher auf die Marktmissbrauchsverordnung eingegangen.
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8.65
§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
g) Rechenschaftslegung
8.66 Nach § 71 Abs. 3 Satz 1 AktG hat der Vorstand in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 1 (Scha-
densabwehr) und Nr. 8 (Ermächtigungsbeschluss) AktG der nächsten Hauptversammlung über den Erwerb eigener Aktien Rechenschaft abzulegen. Durch den Bericht werden eine nachträgliche Beurteilung und Kontrolle durch die Aktionäre ermöglicht198. Die Hauptversammlung ist über Gründe und Zweck des Erwerbs, Zahl der erworbenen Aktien, auf sie entfallenden Anteil am Grundkapital sowie deren Gegenwert zu unterrichten. Beschließt die nächste Hauptversammlung über den Jahresabschluss, genügt es, wenn die von § 73 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangten Informationen gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 AktG in den Lagebericht aufgenommen werden199. Gleiches gilt gemäß §§ 71d Satz 4, 71 Abs. 3 AktG, wenn eine Tochtergesellschaft Aktien der Mutter erworben hat, wobei im Fall des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG der Schaden der Gesellschaft, nicht der Tochter drohen muss200.
6. Die Behandlung des Bestands eigener Aktien a) Keine Rechte aus eigenen Aktien
8.67 Einer Gesellschaft stehen gemäß § 71b AktG aus eigenen Aktien keine Rechte zu. Das
Gleiche gilt gemäß § 71d Satz 4 AktG für Aktien, die ein abhängiges bzw. im Mehrbesitz stehendes Unternehmen an der Gesellschaft hält sowie für Aktien, die ein Dritter für Rechnung der Gesellschaft oder für Rechnung eines abhängigen oder in Mehrbesitz stehenden Unternehmens hält201. Betroffen sind sowohl die Verwaltungs- (z.B. Stimmrecht, Anfechtungsbefugnis) als auch die Vermögensrechte (z.B. Dividendenrecht, Bezugsrecht)202. Sämtliche Mitgliedschaftsrechte ruhen. Werden die betroffenen Aktien an einen Dritten veräußert, leben alle Mitgliedschaftsrechte mit der Übertragung mit Wirkung ex nunc wieder auf203.
8.68 Aus dem Ruhen der Verwaltungsrechte folgt, dass eigene Aktien zwar zum Grundkapital
zählen204, bei vielen Hauptversammlungsbeschlüssen aber nicht die Ermittlung einer Abstimmungsmehrheit beeinflussen: Für eigene Aktien können weder Stimmen „abgegeben“ werden (§ 133 Abs. 1 AktG), noch zählen sie zum „bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapital“ (z.B. § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG)205. Überlässt der Vorstand eigene Aktien einem Dritten zum Zwecke der Ausübung von Stimmrechten, handelt er ordnungswidrig (§ 405 Abs. 3 Nr. 5 AktG)206. Werden die Stimmen aus eigenen Aktien trotz § 71b AktG
198 BGH v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 17 = AG 1987, 344; vgl. auch Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 34; Stallknecht/Schulze-Uebbing, AG 2010, 657, 661. 199 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 227; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.62; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 34. 200 Vgl. Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 36; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71d Rz. 24, die Ausnahmen für möglich halten. 201 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 19 ff. 202 Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 4; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 9. 203 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 7; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 17; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 9. 204 Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 4; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 7. 205 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 6, 8; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 10. 206 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 10; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 11.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
zur Beschlussfassung zugelassen und verändern sie das Beschlussergebnis, ist der gefasste Beschluss anfechtbar207. Die ruhenden Vermögensrechte führen dazu, dass eigene Aktien an der Ausschüttung von Dividenden nicht teilnehmen208. Dies bewirkt zugleich eine Erhöhung der Dividende für die übrigen Aktionäre209. Werden eigene Aktien wieder veräußert, kann der Rechtsnachfolger Dividenden nur für die Zeit nach der Veräußerung verlangen. Fraglich ist allerdings, ob auch Tochtergesellschaften (für die § 71b AktG aufgrund des Verweises in § 71d Satz 4 AktG gilt, s. Rz. 8.67) keine Dividende aus Aktien an ihrer Mutter erhalten sollen. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum nimmt das aufgrund des uneingeschränkten Verweises in § 71d Satz 4 AktG an210. Die überzeugende Gegenauffassung schränkt den Verweis hinsichtlich des Dividendenrechts zu Recht ein, weil durch den Entzug der Dividende Minderheitsgesellschafter und Gläubiger der Tochtergesellschaft beeinträchtigt werden und der umfassende Verweis auf einem Redaktionsversehen beruht211.
8.69
Umstritten ist die Frage, ob im Fall einer Kapitalerhöhung aus eigenen Aktien Bezugsrechte entstehen, die von der Gesellschaft (wegen § 71b AktG) zwar nicht ausgeübt, aber doch wirtschaftlich verwertet werden dürften. Dies setzt zunächst voraus, dass eine Kapitalerhöhung trotz vorhandener eigener Aktien überhaupt zulässig ist, obwohl die Veräußerung eigener Aktien der Gesellschaft Eigenkapital zuführen kann. Gewichtige Stimmen im Schrifttum halten eine Kapitalerhöhung aus diesem Grund aufgrund einer Analogie zu § 182 Abs. 4 AktG für unzulässig212. Diese Auffassung schränkt jedoch den Handlungsspielraum einer Gesellschaft unnötig ein. Mit den §§ 71 ff. AktG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass das Halten eigener Aktien bis zu einem gewissen Umfang auch ohne besondere Zweckbindung grundsätzlich zulässig ist. Die hiermit verbundene Liberalisierung des Rechts eigener Aktien wird durch eine Analogie zu § 182 Abs. 4 AktG untergraben, wenn die Gesellschaft stets gezwungen wäre, eigene Aktien zu veräußern, bevor sie neues Kapital aufnimmt. Deshalb spricht viel dafür, dass eigene Aktien kein Eintragungshindernis für eine Kapitalerhöhung darstellen213.
8.70
Folgt man der hier vertretenen Auffassung und hält eine Kapitalerhöhung trotz eigener Aktien für möglich, stellt sich die Frage nach den Bezugsrechten. An einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nehmen eigene Aktien bereits aufgrund von § 215 Abs. 1 AktG teil.214 Bei allen anderen Formen der Kapitalerhöhung steht der Gesellschaft nach
8.71
207 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 11. 208 Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71b Rz. 3; Thömmes, AG 1987, 34. 209 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 9; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71b Rz. 4. 210 Hüffer/Koch, AktG, § 71d Rz. 18; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71d Rz. 55; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71d Rz. 16; Laubert in Hölters, AktG, § 71 Rz. 14; Merkt in Großkomm. AktG, § 71d Rz. 72. 211 Thömmes, AG 1987, 34; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71d Rz. 58; Cahn in Spinder/Stilz, AktG, § 71d Rz. 54. 212 Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rz. 27; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, § 182 Rz. 67; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 182 Rz. 61; Rieder/Holzmann in Grigoleit, AktG, § 182 Rz. 29; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 182 Rz. 69. 213 Im Ergebnis ebenso Wiedemann in Großkomm. AktG, § 182 Rz. 86; Busch, AG 2005, 429, 430. 214 S. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 215 Rz. 2; M. Arnold in MünchKomm. AktG, § 215 Rz. 3.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
h.M. jedoch weder ein unmittelbares noch ein mittelbares Bezugsrecht zu215. Die rechnerisch auf die eigenen Aktien entfallenden Bezugsrechte sind auf die anderen Aktionäre zu verteilen216. Eine Mindermeinung will hingegen die „übriggebliebenen“ Aktien nicht auf die anderen Aktionäre verteilen, sondern zur freien Verfügung der Gesellschaft stellen217. Dies ist de lege lata aber nicht möglich. Dem Verlust an Verwaltungs- und Vermögensrechten für die Gesellschaft steht ein entsprechender Zuwachs dieser Rechte bei den übrigen Aktionären gegenüber. Dieser Zuwachs ist Ausgleich dafür, dass das Gesellschaftsvermögen aufgrund des Erwerbsaufwands für die eigenen Aktien verringert wurde218. b) Keine Pflichten aus eigenen Aktien
8.72 Da die Gesellschaft keine Rechte aus eigenen Aktien hat, treffen sie grundsätzlich auch
keine Pflichten219. Fällige Einlage- oder Nebenleistungspflichten erlöschen im Zeitpunkt des Erwerbs aufgrund von Konfusion220. Die Konfusion erfasst allerdings nur fällige Ansprüche. Werden eigene Aktien wieder veräußert, hat der Rechtsnachfolger auch die Pflichten zu erfüllen, die vor seinem Erwerb entstanden sind, aber erst danach fällig werden221. Halten Dritte Aktien, die der Gesellschaft zugerechnet werden, tritt ebenfalls keine Konfusion ein222. Dementsprechend hat ein Dritter, der für Rechnung der Gesellschaft Aktien zeichnet, nach § 56 Abs. 3 AktG Pflichten, aber keine Rechte aus eigenen Aktien223. c) Bilanzielle Behandlung
8.73 Für die bilanzielle Behandlung eigener Aktien kommt es nach den Gesetzesänderungen
des BilMoG224 nicht mehr darauf an, ob die erworbenen Aktien zur Weiterveräußerung oder zur Einziehung bestimmt sind. Im Zuge des BilMoG hat der Gesetzgeber in § 272 Abs. 1a HGB eine rechtsformunabhängige Vorschrift zur handelsbilanziellen Erfassung eigener Anteile geschaffen. Danach sind eigene Aktien unabhängig vom Erwerbszweck zu passivieren. Der Rückerwerb eigener Aktien ist einheitlich als Auskehrung frei verfügbarer Rücklagen zu verstehen225.
8.74 Eigene Aktien sind in der Höhe ihres Nennbetrags (bzw. bei Stückaktien mit ihrem rechnerischen Wert) in der Vorspalte offen vom Grundkapital abzusetzen (§ 272 Abs. 1a Satz 1 HGB). Unterscheidet sich der Nennbetrag oder der rechnerische Wert von den An-
215 Vgl. OLG Oldenburg v. 17.3.1994 – 1 U 151/93, WM 1995, 924, 926; Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 5; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 12; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 10; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71b Rz. 3. 216 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 16; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 12; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 10. 217 Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 33; Busch, AG 2005, 429, 434 ff. 218 So auch Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 10. 219 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 11; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 26. 220 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 26. 221 Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 6; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rz. 11; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 17; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 26. 222 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71b Rz. 28; Hüffer/Koch, AktG, § 71b Rz. 6. 223 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 15. 224 Vgl. zum BilMoG bereits Rz. 8.1. Zur bilanziellen Behandlung eigener Anteile nach dem BilMoG vgl. auch Bruckmeier/Zwirner/Künkele, DStR 2010, 1640 ff. 225 Vgl. die Regierungsbegründung zum BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 66.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
schaffungskosten, ist dieser Betrag mit den frei verfügbaren Rücklagen zu verrechnen (§ 272 Abs. 1a Satz 2 HGB). Übersteigen die Anschaffungskosten den Nennbetrag, ist die Differenz von den frei verfügbaren Rücklagen abzuziehen. Erwirbt die Gesellschaft die eigenen Aktien dagegen unter den Anschaffungskosten, würde eine Verrechnung dazu führen, dass sich die frei verfügbaren Rücklagen und damit der ausschüttungsfähige Gewinn erhöhen. Zum Kapitalschutz wird daher teilweise gefordert, der Differenzbetrag müsse in diesen Fällen in eine gebundene Rücklage eingestellt werden, die bei einer Veräußerung der eigenen Anteile zu einem höheren Betrag als den Anschaffungskosten ganz oder teilweise aufzulösen sei226. Eine andere Ansicht im Schrifttum nimmt die Erhöhung der Gewinnrücklagen hin, trägt dem Kapitalschutz dafür aber mit einer Ausschüttungssperre in Höhe des Nennbetrags der eigenen Anteile Rechnung.227 Anschaffungsnebenkosten sind als Aufwand für das entsprechende Geschäftsjahr zu erfassen (§ 272 Abs. 1a Satz 3 HGB). Im Umlaufvermögen sind eigene Aktien nicht mehr auszuweisen228. Bei der Veräußerung eigener Aktien ist die beim Erwerb vorgenommene Absetzung vom Grundkapital rückgängig zu machen (§ 272 Abs. 1b Satz 1 HGB).
8.75
Auch nach IFRS werden eigene Anteile durchgängig nicht im Umlaufvermögen aktiviert, sondern in Höhe der Anschaffungskosten vom Eigenkapital abgezogen229. In der Praxis werden Veränderungen oft bei den Gewinnrücklagen, anstatt beim Eigenkapital, erfasst230.
8.76
III. Wiederveräußerung und Einziehung eigener Aktien 1. Veräußerungspflichten, Einziehung Wenn eine Gesellschaft auf unzulässige Weise oder über das zulässige Maß hinaus eigene Aktien erworben hat, ist der dingliche Erwerb der Aktien zwar wirksam231, die Gesellschaft unterliegt dann aber der Pflicht, diese Aktien binnen Jahresfrist wieder zu veräußern (§ 71c AktG)232. Die Modalitäten der Veräußerungspflicht hängen davon ab, ob der Erwerb der Aktien von vornherein unzulässig war oder ob durch einen zulässigen Erwerb die Höchstgrenze von 10 % des Grundkapitals überschritten wurde233.
8.77
Von vornherein unzulässig erworbene Aktien sind gemäß § 71c Abs. 1 AktG innerhalb eines Jahres nach ihrem dinglichen Erwerb zu veräußern. Diese Veräußerungspflicht wird ausgelöst, wenn die Aktien unter Verstoß gegen § 56 Abs. 1 AktG wirksam gezeichnet oder entgegen § 71 Abs. 1 oder Abs. 2 AktG wirksam erworben wurden234. Nach einer Ansicht im Schrifttum soll § 71c Abs. 1 AktG darüber hinaus in analoger Anwendung zu ei-
8.78
226 Kropff, ZIP 2009, 1137, 1141. 227 Verse in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 67, 87 f.; ähnlich Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 239. 228 Die entsprechende Anordnung in § 265 Abs. 3 Satz 2 HGB a.F. wurde im Zuge des BilMoG aufgehoben. 229 Clemens in Driesch/Riese/Schlüter/Senger, Beck’sches IFRS-Hdb., 5. Aufl. 2016, § 12 Rz. 86. 230 Pawelzik in Heuser/Theile, IFRS-Hdb., 5. Aufl. 2012, Rz. 2871. 231 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 24. 232 Vgl. dazu RegBegr. BT-Drucks. 8/1678, S. 16. 233 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 6 ff. und 10 ff. 234 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71c Rz. 2 f.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 5 f.
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§ 8 | Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien
ner „unverzüglichen“ Veräußerungspflicht für Belegschaftsaktien führen, wenn diese nicht innerhalb der Jahresfrist des § 71 Abs. 3 Satz 2 AktG an die Arbeitnehmer ausgegeben wurden235. Nach einer zweiten Ansicht soll eine solche Pflicht zur umgehenden Veräußerung nicht unmittelbar mit Ablauf der Frist, sondern erst dann bestehen, wenn mit einer Ausgabe der Aktien an die Arbeitnehmer endgültig nicht mehr gerechnet werden kann236. Beide Ansichten sind bedenklich, weil sie zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber den Fallgruppen eines rechtswidrigen Erwerbs führen: Scheitert die Ausgabe von Belegschaftsaktien unmittelbar vor Ablauf der Jahresfrist, müsste die Gesellschaft ihre eigenen Aktien (unter Umständen nach weiteren Bemühungen, die Aktien bei den Mitarbeitern unterzubringen) unverzüglich veräußern, während im Fall eines rechtswidrigen Erwerbs noch mindestens ein Jahr für eine wirtschaftlich sinnvolle Veräußerung zur Verfügung stünde. Im Übrigen stellt § 71c Abs. 1 AktG explizit auf den rechtswidrigen Erwerb ab. Der Ablauf der Frist aus § 71 Abs. 3 Satz 2 AktG lässt den ursprünglich zulässigen Aktienerwerb allerdings nicht unzulässig werden237. Der Fall, in dem die Aktien rechtmäßig erworben, dann aber nicht binnen Jahresfrist an die Belegschaft ausgegeben wurden, passt daher methodisch besser zu § 71c Abs. 2 AktG, der Fälle des zulässigen Erwerbs regelt. Nach Ablauf der Frist des § 71 Abs. 3 Satz 2 AktG verbleiben deshalb nach überzeugender Auffassung analog § 71c Abs. 2 AktG zwei weitere Jahre zur Veräußerung der eigenen Aktien.
8.79 In den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 4–6 AktG kann es zu einem rechtmäßigen Erwerb eige-
ner Aktien kommen, für den die Höchstgrenze von 10 % des Grundkapitals unmittelbar nicht gilt. Aus § 71c Abs. 2 AktG folgt jedoch, dass die Gesellschaft auch hierdurch nicht langfristig einen Anteil eigener Aktien halten darf, der über die 10 %-Grenze hinausgeht. Nach § 71 Abs. 1 Nr. 4–6 AktG in zulässiger Weise erworbene Aktien sind deshalb innerhalb von drei Jahren in solcher Stückzahl zu verkaufen, dass die 10 %-Grenze wieder unterschritten wird238. Mit der h.M. ist § 71c Abs. 2 AktG auf Fälle zu erweitern, bei denen die Aktien aufgrund eines umwandlungsrechtlichen Pflichtangebots gemäß §§ 29 Abs. 1, 125, 207 Abs. 1 UmwG erworben wurden239.
8.80 Laufen die Veräußerungsfristen aus § 71c Abs. 1 und 2 AktG ab, ohne dass es zu einer
entsprechenden Veräußerung kommt, ist der Vorstand verpflichtet, die Aktien gemäß § 237 AktG einzuziehen (§ 71c Abs. 3 AktG)240. Dies kann mittels einer ordentlichen oder einer vereinfachten Kapitalherabsetzung geschehen. Verzögert der Vorstand diese Maßnahme (indem er z.B. auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung den Einziehungsbeschluss nicht auf die Tagesordnung setzt), handelt er ordnungswidrig (§ 405 Abs. 1 Nr. 4c AktG) und macht sich ggf. schadensersatzpflichtig241.
235 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71b Rz. 7; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71c Rz. 3. 236 Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 21; vgl. auch Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 23, § 71c Rz. 3. 237 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 23, § 71c Rz. 3; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 21. 238 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71c Rz. 9; Hüffer/Koch, AktG, § 71c Rz. 4. 239 Entsprechende Anwendung: Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71c Rz. 4; Hüffer/Koch, AktG, § 71c Rz. 4; Lutter in FS Wiedemann, 2002, S. 1097, 1108. Direkte Anwendung: Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71c Rz. 6; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, § 71c Rz. 13. 240 Zur Durchführung der Einziehung s. Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 42 ff. 241 Hüffer/Koch, AktG, § 71c Rz. 9.
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Erwerb und Wiederveräußerung eigener Aktien | § 8
2. Veräußerungsmodalitäten Wenn die Gesellschaft eigene Aktien freiwillig oder aufgrund von § 71c Abs. 1 und 2 AktG zu veräußern beabsichtigt, muss sie ein Erwerbsanrecht der Aktionäre242 und den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 53a AktG243 beachten. Dies hat Auswirkungen auf die Veräußerungsmodalitäten244. Die Veräußerung fällt in die alleinige Kompetenz des Vorstands245, die Zustimmung des Aufsichtsrats ist (außer in den Fällen des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) entbehrlich246.
8.81
Bei der Veräußerung ist vorrangig zu beachten, ob ein Bereicherungsausgleich stattfinden muss247. In den Fällen, in denen eine Veräußerungspflicht nach § 71c Abs. 1 AktG besteht, ist das dem Erwerb zugrundeliegende Rechtsgeschäft in der Regel nach § 71 Abs. 4 AktG nichtig, was gegenseitige Bereicherungsansprüche auslöst248.
8.82
Ist kein Bereicherungsausgleich durchzuführen, kann die Gesellschaft durch eine Veräußerung der eigenen Aktien an der Börse die Wahrung von Gleichbehandlung und Erwerbsanrecht gewährleisten. Möglich ist aber auch eine anderweitige Veräußerung gegen Baroder Sachleistung, sofern die Aktionäre gleich behandelt werden249. Wird hingegen durch die Veräußerungsart das Erwerbsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen, erfordert dies einen Hauptversammlungsbeschluss, der den Anforderungen der §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5, 186 Abs. 3 und 4 AktG genügen muss250.
8.83
242 Vgl. hierzu ausführlich Habersack, ZIP 2004, 1121 ff.; s. auch Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rz. 80; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 130 ff.; an der Annahme eines Bezugsrechts zweifelnd Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.54, da ein Erwerb auf 10 % des Grundkapitals beschränkt und ein Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bis zu einem Erhöhungsbetrag von 10 % grundsätzlich zulässig seien. 243 U. Huber in FS Kropff, 1997, S. 101, 117–120; Benckendorff, Erwerb eigener Aktien, S. 278 ff., auch S. 196 f.; T. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rz. 145 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 129; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.52. 244 Ausführlich zum Folgenden Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441 ff. 245 Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01 Rz. 3; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71c Rz. 15. 246 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.54. 247 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71c Rz. 16; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71c Rz. 8; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 31. 248 Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 24, § 71c Rz. 7; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, § 71c Rz. 31. 249 Markwardt, BB 2002, 1108, 1110. 250 Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441, 1442; Saria, NZG 2000, 458, 461. Zu den Berichtspflichten in einem solchen Fall vgl. insbesondere Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 13.01. Rz. 20 ff.
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§9 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . II. Emission von Aktien aus einer Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz der emittierenden Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bilanzierung nach HGB . . . . . b) Bilanzierung nach IFRS . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . a) Auswirkungen bei der emittierenden Aktiengesellschaft . . . b) Auswirkungen bei den Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
III. Platzierung bestehender Aktien an Tochtergesellschaften durch Verkauf oder Sachausschüttung . 1. Abbildung in der Handelsbilanz . a) Bilanzierung nach HGB . . . . . . b) Bilanzierung nach IFRS . . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . a) Auswirkungen bei der veräußernden Aktiengesellschaft . . aa) Freistellung eines Veräußerungsgewinns und Nichtabzugsfähigkeit eines Veräußerungsverlusts . . . . . . . bb) Steuerpflicht wegen vorausgegangener steuerwirksamer Teilwertabschreibung oder steuerwirksamer Abzüge . . cc) Eigenhandel von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen sowie Kapitalanlagen von Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . .
_ _ __ __ _ _ __ __ _ _ _ _
9.1 9.2 9.2 9.2 9.3 9.4 9.4 9.6
9.14 9.14 9.14 9.16 9.19 9.19
9.19
9.26
_
9.29
dd) Besteuerung eines Einbringungsgewinns nach § 22 UmwStG wegen einer vorangegangenen Einbringung . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen bei den Aktionären bzw. Erwerbern . . . . . . . IV. Aktienemission durch Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz . a) Bilanzierung nach HGB . . . . . . aa) Übertragende Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . bb) Übernehmende Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . b) Bilanzierung nach IFRS . . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . a) Auswirkungen bei der übertragenden Aktiengesellschaft . . aa) Grundsatz der Ertragsteuerneutralität bei Vorliegen von Teilbetrieben . . . . . . . bb) Gewinnrealisierung wegen des Börsenhandels . . . . . . b) Auswirkungen bei der übernehmenden Aktiengesellschaft . c) Auswirkungen bei den Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Erwerb und Veräußerung eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbildung in der Handelsbilanz . a) Bilanzierung nach HGB . . . . . . b) Bilanzierung nach IFRS . . . . . . 2. Steuerrechtliche Behandlung . . . a) Besteuerung des Erwerbs . . . . . b) Besteuerung der Veräußerung .
_ _ __ _ _ __ _ _ _ _ _ _ __ __ __ _
9.31 9.36 9.38 9.38 9.38 9.38 9.42 9.43 9.44 9.44 9.44 9.59 9.68 9.72 9.74 9.74 9.74 9.77 9.78 9.78 9.81
Schrifttum: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, Loseblatt; Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2013; Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 37. Aufl. 2018; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Kommentar, Loseblatt.
360 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
I. Vorbemerkung Aus steuerrechtlicher Sicht sind die Folgen einer Platzierung von Aktien davon abhängig, wie diese Aktien entstehen bzw. entstanden sind. Die nachfolgende Darstellung unterscheidet daher in Anlehnung an die vorstehenden Erläuterungen danach, ob
9.1
– die Aktien aus einer Kapitalerhöhung stammen (Abschn. II.; s. § 5, § 6 u. § 28 zur Aktiendividende), – bereits bestehende Aktien umplatziert werden (Abschn. III; s. § 7), – die Aktien durch Abspaltung entstehen (Abschn. IV; s. § 4 B, Rz. 4.45 ff.), oder – eigene Aktien erworben und wieder veräußert werden (Abschn. V.; s. § 8). Im Prospekt für die jeweilige Aktienplatzierung ist dabei – neben Hinweisen zur steuerlichen Behandlung der Gesellschaft – die steuerliche Behandlung der Aktionäre hinsichtlich des Erwerb und der Veräußerung der Aktien sowie der Besteuerung der Dividenden darzustellen.
II. Emission von Aktien aus einer Kapitalerhöhung 1. Abbildung in der Handelsbilanz der emittierenden Aktiengesellschaft a) Bilanzierung nach HGB Die Ausgabe von Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung stellt bei der emittierenden Aktiengesellschaft einen Vorgang der Kapitalbeschaffung dar, der ihren Gewinn nicht berührt. Nach Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister ist der Einlagebetrag als Grundkapital auszuweisen, soweit er darauf geleistet wurde; ein Agio ist als Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB auszuweisen. Kosten der Ausgabe der Aktien dürfen nicht von dem Agio gekürzt werden. Sie sind vielmehr als Aufwand zu erfassen1. Wenn zum Bilanzstichtag die Einlage bereits geleistet ist, während die Eintragung der Kapitalerhöhung noch aussteht, ist der Einlagebetrag als gesonderter Posten („Zur Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung geleistete Einlagen“) auszuweisen2.
9.2
b) Bilanzierung nach IFRS Auch nach IFRS berührt die Kapitalerhöhung nicht den Gewinn, sondern ist als Zugang beim gezeichneten Kapital und bei der Kapitalrücklage zu erfassen und in der Eigenkapitalveränderungsrechnung anzugeben (IAS 1.79, 1.106 ff.). Kosten im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung sind anders als nach HGB direkt vom Eigenkapital abzuziehen (IAS 32.35).
1 Vgl. Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 172. 2 Vgl. Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 51.
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9.3
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
2. Steuerrechtliche Behandlung a) Auswirkungen bei der emittierenden Aktiengesellschaft
9.4
Steuerlich stellt sich die Kapitalerhöhung als Einlage dar, die den Gewinn der Aktiengesellschaft nicht berührt (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 5 Abs. 1, 4 Abs. 1 EStG)3. Um sicherzustellen, dass eine etwaige spätere Wiederausschüttung dieser Einlagen bei den Aktionären nicht als Gewinnausschüttung behandelt wird, wird der nicht in das Nennkapital (Grundkapital) geleistete Betrag (Agio) bei der Aktiengesellschaft gemäß § 27 Abs. 1 KStG auf dem steuerlichen Einlagekonto ausgewiesen. Die Kosten der Kapitalerhöhung sind als Betriebsausgaben abziehbar4.
9.5
Bei jeder Leistung der Aktiengesellschaft an ihre Aktionäre (insbesondere Dividendenzahlung) ist zu prüfen, ob Gewinn ausgeschüttet oder eine Einlage zurückgezahlt wird. Letzteres ist nach der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG der Fall, wenn die Summe der Leistungen in einem Wirtschaftsjahr die steuerlichen Gewinnrücklagen (Eigenkapital in der Steuerbilanz abzüglich Nennkapital und steuerliches Einlagekonto) zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres übersteigt5. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG gehören Bezüge aus Anteilen an Kapitalgesellschaften nicht zu den Einnahmen, soweit für sie Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gelten. Daher muss die Aktiengesellschaft insoweit auch nicht Kapitalertragsteuer gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG einbehalten.
9.5a Dies gilt auch bei einer Aktiendividende, die steuerlich eine Barausschüttung – unter Be-
achtung der vorgenannten Verwendungsfiktion – mit nachfolgender Wiedereinlage darstellt. b) Auswirkungen bei den Aktionären
9.6
Die Entstehung der Bezugsrechte – soweit nicht gemäß § 186 Abs. 3 AktG ausgeschlossen – für die Altaktionäre ist weder im Betriebs- noch im Privatvermögen ein steuerpflichtiger Vorgang. Die Bezugsrechte sind Bestandteil des Aktionärsrechts und werden von seiner Substanz abgespalten. Daher sind die Anschaffungskosten bzw. der Buchwert der Altaktien in dem Umfang zu vermindern, der sich aus dem Verhältnis des Börsenkurses der Bezugsrechte zum Börsenkurs der Altaktien vor Bezugsrechtshandel ergibt6. Dieser Betrag wird dem Bezugsrecht als Anschaffungskosten zugeordnet, wenn die Anteile im Betriebsvermögen gehalten werden, einbringungsgeborene Anteile i.S.d. § 21 UmwStG a.F. vorliegen oder § 17 EStG anwendbar ist, d.h. wenn der Aktionär zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre mit mindestens 1 % im Privatvermögen beteiligt war. Bei sonstigen Anteilen im Privatvermögen gilt gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG ein Betrag von 0 Euro als Anschaffungskosten der Bezugsrechte.
9.7
Bei einer Veräußerung der Bezugsrechte durch den Aktionär erzielt dieser einen Gewinn oder Verlust in Höhe der Differenz zwischen Veräußerungserlös und dem von den Altaktien auf die Bezugsrechte abgespaltenen Betrag (im Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a 3 Vgl. Lang in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8 Abs. 3 KStG Teil B Rz. 13 ff. 4 Vgl. BFH v. 19.1.2000 – I R 24/99, BStBl. II 2000, 545; zur umsatzsteuerlichen Behandlung BFH v. 1.7.2004 – V R 32/00, BStBl. II 2004, 1022. 5 Zu Einzelheiten und Sonderfällen BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366. 6 Vgl. BFH v. 21.1.1999 – IV R 27/97, BStBl. II 1999, 638; BFH v. 19.12.2000 – IX R 100/97, BStBl. II 2001, 345.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
Satz 4 EStG ist somit der gesamte Veräußerungserlös steuerpflichtig). Dieser Gewinn ist im Betriebsvermögen und seit der Einführung der Abgeltungsteuer auch im Privatvermögen grundsätzlich immer steuerpflichtig. Im Privatvermögen ist – wie bei der Veräußerung der Aktien – nur noch dann Steuerfreiheit gegeben, wenn weder § 17 EStG noch § 21 UmwStG a.F. anwendbar ist und die Aktien vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden (§ 52 Abs. 28 Satz 11 EStG). Im Übrigen unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Anwartschaften auf solche Anteile gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG der Abgeltungsteuer von 25 % (§ 32d EStG). Auf Veräußerungsgewinne im Betriebsvermögen und bei Anteilen i.S.d. § 17 EStG oder § 21 UmwStG a.F. ist die Abgeltungsteuer nicht anwendbar.
9.8
Eine Anwendung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) bei Veräußerungen durch natürliche Personen, die nicht der Abgeltungsteuer unterliegen, bzw. des § 8b Abs. 2 KStG bei Veräußerungen durch Körperschaften (dazu sogleich Rz. 9.19), d.h. eine Steuerbefreiung von 40 % bzw. 95 % des Gewinns aus der Veräußerung eines Bezugsrechts erfolgt mangels Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht7. Eine Ausnahme gilt jedoch im Rahmen der Steuerpflicht nach § 17 EStG, da dort Bezugsrechte als Anwartschaften den Anteilen gleichgestellt sind und § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c EStG nur auf die Besteuerung nach § 17 EStG und nicht auf die Veräußerung von Anteilen abstellt8.
9.9
Im Falle der Teilnahme an der Kapitalerhöhung durch den Altaktionär wird der den Bezugsrechten zugeordnete Betrag neben dem Ausgabebetrag zu Anschaffungskosten der neuen Aktien. Der BFH hat die Ausübung des Bezugsrechts als Tauschvorgang bezeichnet9. Dennoch verneint die Finanzverwaltung bei Anteilen im Betriebsvermögen und bei Anteilen i.S.d. §§ 17 EStG, 21 UmwStG eine Veräußerung bei Ausübung des Bezugsrechts10. Auch im Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer liegt nach Verwaltungsauffassung keine Veräußerung vor11.
9.10
Eine Veräußerung der neuen Aktien ist wiederum im Betriebsvermögen immer und im Privatvermögen nach § 17 EStG bzw. nach den Regelungen zur Abgeltungsteuer steuerpflichtig. Ein Gewinn oder Verlust aus einer Veräußerung der neuen Aktien unterliegt bei natürlichen Personen im Betriebsvermögen oder im Rahmen des § 17 EStG den Regelungen des Teileinkünfteverfahrens (§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG), d.h. Gewinne sind grundsätzlich nur zu 60 % steuerpflichtig und Verluste sind nur zu 60 % abzugsfähig. Im Übrigen unterliegt der Gewinn gemäß §§ 20, 32d EStG der Abgeltungsteuer von 25 %. Bei körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgern, insbesondere Kapitalgesellschaften, ist § 8b Abs. 2 und 3 KStG anzuwenden, d.h., Gewinne sind zu 95 % freigestellt und Verluste sind nicht abzugsfähig (dazu Rz. 9.19 ff.).
9.11
Der entgeltliche Erwerb eines Bezugsrechts mit nachfolgender Teilnahme an einer Kapitalerhöhung ist entsprechend zu behandeln; die Anschaffungskosten der neuen Aktie entsprechen der Summe aus dem Kaufpreis für das Bezugsrecht und dem Ausgabebetrag. Im Falle des Bezugsrechtsausschlusses erwirbt der Zeichner die Aktien unmittelbar zum Ausgabebetrag.
9.12
7 8 9 10 11
Vgl. BFH v. 23.1.2008 – I R 101/06, BStBl. II 2008, 719 zu § 8b Abs. 2 KStG. Vgl. BFH v. 27.10.2005 – IX R 15/05, BStBl. II 2006, 671. Vgl. BFH v. 21.9.2004 – IX R 36/01, BStBl. II 2006, 12. Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 11.6.2007 – S 2244 A - 44 - St 215, DB 2007, 2175. Vgl. BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004:017, 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85, Rz. 110.
Schumacher | 363
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
9.13 Bei Aktiendividenden ist die zugrunde liegende Dividende grundsätzlich ein Kapital-
ertrag, der bei natürlichen Personen im Betriebsvermögen nach den Regelungen des Teileinkünfteverfahrens (§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG) zu 60 % steuerpflichtig ist. Im Privatvermögen unterliegt die Dividende gemäß §§ 20, 32d EStG der Abgeltungsteuer von 25 %. Bei körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgern ist die Dividende gemäß § 8b Abs. 4 KStG voll steuerpflichtig, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahrs weniger als 10 % des Grundkapitals betragen hat. Bei Vorliegen dieser Mindestbeteiligungsquote ist die Dividende grundsätzlich gemäß § 8b Abs. 1, 5 KStG zu 95 % steuerfrei (Ausnahmen regelt § 8b Abs. 7 u. 8; dazu Rz. 9.29 f.). Für gewerbesteuerliche Zwecke gilt diese Steuerfreiheit nur bei einer Beteiligungsquote von mindestens 15 % zu Beginn des Erhebungszeitraums (§ 8 Nr. 5 i.V.m. § 9 Nr. 2a GewStG).
9.13a
Soweit für die Dividende Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gelten (s. Rz. 9.5) gehört sie gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht zu den Einnahmen. Bei einer Beteiligung im Betriebsvermögen erfolgt in diesem Fall eine erfolgsneutrale Verrechnung der Ausschüttung mit dem Beteiligungsbuchwert12. Ein die Anschaffungskosten übersteigender Betrag unterliegt im Privatvermögen unter den Voraussetzungen des § 17 EStG dem Teileinkünfteverfahren (§ 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 3 Nr. 40 EStG) bzw. führen bei nach dem 31.12.2008 erworbenen und nicht unter § 17 EStG fallenden Anteilen zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage im Rahmen der Abgeltungsteuer bei einer späteren Veräußerung (negative Anschaffungskosten). Im Betriebsvermögen ist der entstehende Gewinn wie ein Veräußerungsgewinn zu behandeln13.
III. Platzierung bestehender Aktien an Tochtergesellschaften durch Verkauf oder Sachausschüttung 1. Abbildung in der Handelsbilanz a) Bilanzierung nach HGB
9.14 Die Veräußerung von Aktien an einer Tochtergesellschaft führt bei der Muttergesellschaft zu einem Gewinn oder Verlust in Höhe der Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und dem Buchwert dieser Aktien. Bei Auskehrung der Aktien durch Sachausschüttung nach § 58 Abs. 5 AktG dürften diese zum Verkehrswert zu bewerten sein, so dass eine Gewinnrealisierung erfolgt14.
9.15 Wenn die Tochtergesellschaft in den Konzernabschluss der Muttergesellschaft einbezogen ist und sämtliche Anteile an der Tochtergesellschaft veräußert werden, ist eine Endkonsolidierung vorzunehmen, um den Veräußerungserfolg aus Konzernsicht zu ermitteln15. Gleiches gilt, wenn ein Teil der Anteile veräußert wird und durch die Veräußerung die Voraussetzungen für die Konsolidierung entfallen. Bei einer teilweisen Veräußerung der Anteile kann es zu einem Übergang von der Vollkonsolidierung gemäß §§ 301 ff. HGB zur Equity-Konsolidierung gemäß § 312 HGB kommen (Übergangskonsolidie-
12 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937; BFH v. 16.3.1994 – I R 70/92, BStBl. II 1994, 527. 13 Zu § 8b Abs. 2 KStG vgl. BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 6; offen in BFH v. 28.10.2009 – I R 116/08, BStBl. II 2011, 898. 14 Vgl. Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 637. 15 Vgl. zu Einzelheiten Winkeljohann/Deubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 301 HGB Rz. 300 ff.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
rung)16. Wenn nach der Veräußerung auch kein maßgeblicher Einfluss i.S.d. § 311 HGB mehr besteht, sind die verbliebenen Anteile im Konzernabschluss mit den Anschaffungskosten zu bewerten17. b) Bilanzierung nach IFRS In einem IFRS Einzelabschluss kann die Bilanzierung von Anteilen an Tochterunternehmen gemäß IAS 27.10 zu Anschaffungskosten, in Übereinstimmung mit IFRS 9 oder aber auf der Grundlage der Equity-Methode erfolgen. Nach IFRS 9.3.2.12 ergibt sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Buchwert und dem erhaltenen Entgelt.
9.16
Im Konzernabschluss kommt es zu einer erfolgswirksamen Endkonsolidierung nach der Regelung des IFRS 10.25, sofern mit der Ausgabe der Anteile ein Verlust der Beherrschung aus der Sicht des Konzernmutterunternehmens verbunden ist. Erfolgt die Ausgabe der Anteile im Wege der Sachausschüttung ist IFRIC 17 anwendbar. Dies gilt auch dann, sofern die Eigentümer die Ausschüttung wahlweise als Barausgleich erhalten können. Ausgenommen vom Regelungsbereich der Interpretation sind Vorgänge, bei denen der Gegenstand der Ausschüttung vor und nach Durchführung der Transaktion von der gleichen Partei kontrolliert wird (sog. Common-Control-Transaktionen). Nach IFRIC 17 ist im Zeitpunkt des Dividendenbeschlusses eine Verbindlichkeit gegen das Eigenkapital einzubuchen. Die Verbindlichkeit ist mit dem beizulegenden Zeitwert des Ausschüttungsgegenstandes zu bewerten. Änderungen des Zeitwertes bis zum Vollzugstag sind erfolgsneutral gegen das Eigenkapital zu erfassen. Die Differenz zwischen dem Buchwert des Gegenstandes der Ausschüttung und seinem beizulegenden Zeitwert am Vollzugstag ist erfolgswirksam in der GuV zu erfassen.
9.17
Anteilsverkäufe ohne Beherrschungsverlust werden als reine Eigenkapitaltransaktionen dargestellt (IFRS 10.23). Diese Regelung findet auch dann Anwendung, wenn die Ausgabe der Anteile an einem Tochterunternehmen im Wege der Sachausschüttung erfolgt (IFRIC 17.7).
9.18
2. Steuerrechtliche Behandlung a) Auswirkungen bei der veräußernden Aktiengesellschaft aa) Freistellung eines Veräußerungsgewinns und Nichtabzugsfähigkeit eines Veräußerungsverlusts Nach § 8b Abs. 2 KStG bleiben Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften bei der Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Einkommens außer Ansatz, d.h. sind von der Besteuerung grundsätzlich freigestellt. Die Regelung gilt auch für Anteile an Organgesellschaften i.S.d. §§ 14, 17 oder 18 KStG.
9.19
Die Freistellung erfolgt gemäß § 8b Abs. 6 Satz 1 KStG auch insoweit, als der Veräußerungsgewinn einer Kapitalgesellschaft im Rahmen des Gewinnanteils aus einer Mitunternehmerschaft zugerechnet wird (weil die Anteile im Gesamthandsvermögen oder Sonder-
9.20
16 Hierzu Winkeljohann/Deubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 301 HGB Rz. 340 ff. 17 Zur Bestimmung dieser Anschaffungskosten nach dem Reinvermögen zu Konzernbilanzbuchwerten vgl. DRS 23.190 u. Winkeljohann/Deubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 301 HGB Rz. 351.
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§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
betriebsvermögen dieser Mitunternehmerschaft gehalten werden). Wenn die veräußernde Aktiengesellschaft Organgesellschaft i.S.d. § 14 KStG ist, wird § 8b Abs. 2 u. 3 KStG auf der Ebene der Organgesellschaft nach § 15 Nr. 2 KStG nicht angewendet. Vielmehr ist der Veräußerungsgewinn oder -verlust in dem zuzurechnenden Einkommen enthalten, und je nach Rechtsform des Organträgers ist bei diesem § 8b Abs. 2 KStG oder § 3 Nr. 40 EStG anzuwenden.
9.21 Auch die Einkommenserhöhung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei einer verdeckten Ge-
winnausschüttung (d.h. einer Veräußerung an die Aktionäre zu einem unangemessen niedrigen Preis) und die Gewinnrealisierung bei Auskehrung von Aktien durch Sachausschüttung i.S.d. § 58 Abs. 5 AktG18 sind von § 8b Abs. 2 KStG begünstigt19.
9.22 Ein Veräußerungsverlust ist gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bei der Ermittlung des Einkommens ebenfalls nicht zu berücksichtigen.
9.23 Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns sind die Veräußerungskosten gemäß § 8b
Abs. 2 Satz 2 KStG einzubeziehen. Gleichzeitig gelten gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG 5 % des Veräußerungsgewinns als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen20. Im Ergebnis werden daher nur 95 % des um die Veräußerungskosten verminderten Veräußerungsgewinns freigestellt.
9.24 Bei der Veräußerung der Beteiligung an einer Organgesellschaft wird ein aktiver oder passiver organschaftlicher Ausgleichsposten, der aufgrund von Abweichungen zwischen handelsrechtlicher Gewinnabführung und dem Steuerbilanzgewinn gebildet wurde, gemäß § 14 Abs. 4 KStG unter Anwendung des § 8b Abs. 2, 3 KStG gewinnwirksam aufgelöst.
9.25 Die (95 %ige) Freistellung eines Veräußerungsgewinns gilt wie die Nichtabzugsfähigkeit eines Veräußerungsverlusts auch für Zwecke der Ermittlung des Gewerbeertrags21, gemäß § 7 Satz 4 GewStG auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags einer Mitunternehmerschaft, an der Kapitalgesellschaften beteiligt sind. bb) Steuerpflicht wegen vorausgegangener steuerwirksamer Teilwertabschreibung oder steuerwirksamer Abzüge
9.26 Die Freistellung des Gewinns aus einer Veräußerung etc. gilt gemäß § 8b Abs. 2 Satz 4
KStG nicht, soweit der Anteil in der Vergangenheit steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist. Gleiches gilt gemäß § 8b Abs. 2 Satz 5 KStG für steuerwirksam vorgenommene Abzüge nach § 6b EStG und ähnliche Abzüge. Soweit der Gewinn geringer ist als die vorangegangene steuerwirksame Teilwertabschreibung oder der steuerwirksame Abzug, erfolgt keine Hinzurechnung.
9.27 Teilwertabschreibungen, die – insbesondere auch nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG – nicht
steuerwirksam waren, stehen der Freistellung nicht entgegen. Nach Auffassung der Fi-
18 Nachweise zum Meinungsstand hinsichtlich der Rechtsgrundlage für eine Gewinnrealisierung bei Klingebiel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Anhang zu § 8 Abs. 3 KStG „Sachdividende“. 19 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 21 u. 22. 20 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Pauschalierung BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224. 21 Vgl. Gesetzesbegr., BT-Drucks. 14/2683, S. 124.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
nanzverwaltung erfolgt – systematisch fragwürdig – auch insoweit die Besteuerung von 5 % des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG22. Wenn sowohl steuerwirksame als auch nicht steuerwirksame Teilwertabschreibungen vorgenommen wurden und der Gewinn geringer ist als die Summe dieser Teilwertabschreibungen, fällt ein Gewinn nur insoweit unter § 8b Abs. 2 Satz 4 KStG, als er die Höhe der nicht steuerwirksamen Teilwertabschreibungen übersteigt23.
9.28
cc) Eigenhandel von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen sowie Kapitalanlagen von Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen § 8b Abs. 7 KStG enthält Ausnahmen von der Anwendung des § 8b Abs. 1–6 KStG für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute, soweit Anteile gemäß § 1 Abs. 12 KWG dem Handelsbuch zuzurechnen sind, und für Anteile, die bei Finanzunternehmen i.S.d. Gesetzes über das Kreditwesen, an denen Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute zu mehr als 50 % beteiligt sind, zum Zeitpunkt des Zugangs zum Betriebsvermögen als Umlaufvermögen auszuweisen sind24.
9.29
Ebenfalls ausgenommen von der Anwendung des § 8b KStG sind gemäß § 8b Abs. 8 KStG Anteile, die bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen sowie Pensionsfonds den Kapitalanlagen zuzurechnen sind25. Grundsätzlich sind somit bei diesen Steuerpflichtigen gemäß § 8b Abs. 8 Satz 1 KStG sämtliche Bezüge und Gewinne i.S.d. § 8b KStG steuerpflichtig, während sämtliche Verluste abzugsfähig sind. Ausnahmen hiervon gelten, soweit in der Vergangenheit eine Teilwertabschreibung nach § 8b Abs. 3 KStG nicht abzugsfähig war oder die Anteile von einem verbundenen Unternehmen erworben wurden, bei dem der Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 2 KStG freigestellt war.
9.30
dd) Besteuerung eines Einbringungsgewinns nach § 22 UmwStG wegen einer vorangegangenen Einbringung Eine Veräußerung26 der als Gegenleistung für eine Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils unter dem gemeinen Wert erhaltenen Anteile27 führt gemäß 22 Vgl. OFD Koblenz v. 18.9.2006 – S 2324/2750a A - St 33 2, DStR 2006, 2033. 23 Vgl. BFH v. 19.8.2009 – I R 2/09, BStBl. II 2010, 760. 24 Aufgrund dieser Regelung – in Verbindung mit § 15 Abs. 4 EStG – können institutionelle Anleger weiterhin Verluste aus dem Aktienhandel und den korrespondierenden Termingeschäften steuerlich geltend machen. 25 Hintergrund sind die Besonderheiten der steuerlichen Gewinnermittlung bei diesen Steuerpflichtigen. Die mit Anteilen an Kapitalgesellschaften erzielten Gewinne und Verluste wirken sich auf die Höhe der steuerlich abzugsfähigen Beitragsrückerstattungen und Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen i.S.d. § 21 KStG aus. Die Freistellung dieser Gewinne bzw. Nichtabzugsfähigkeit dieser Verluste nach § 8b KStG führte daher zu steuerlichen Verlusten im Fall der Gewinnerzielung aus Anteilen an Kapitalgesellschaften und zu steuerlichen Gewinnen im Fall der Verlusterzielung aus solchen Anteilen. Diese unbefriedigende Rechtslage wurde durch die Einführung des § 8b Abs. 8 KStG beendet. 26 § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG enthält eine Vielzahl von Ersatztatbeständen zur Vermeidung von Besteuerungslücken, insbesondere im Hinblick auf Ketteneinbringungen. 27 Dazu gehören gemäß § 22 Abs. 7 UmwStG auch Anteile, auf die stille Reserven von erhaltenen Anteilen verlagert werden.
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9.31
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
§ 22 Abs. 1 UmwStG zu einer rückwirkenden Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns I beim Einbringenden. Der Einbringungsgewinn I entspricht der Differenz zwischen dem gemeinen Wert des eingebrachten Betriebsvermögens und dem bei der Einbringung angesetzten Buch- oder Zwischenwert (abzüglich Umwandlungskosten), vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr. Der Einbringungsgewinn I gilt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 UmwStG als nachträgliche Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile, mindert also den Gewinn aus der Anteilsveräußerung (auf den § 8b Abs. 2 KStG oder §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG anzuwenden ist)28.
9.32 Des Weiteren ist bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 und
2, Abs. 3 Satz 2 UmwStG auf Antrag zum Beginn des Wirtschaftsjahrs der Veräußerung – also nicht rückwirkend – und bei Nachweis der Entrichtung der Steuer auf den Einbringungsgewinn durch den Einbringenden ein „Erhöhungsbetrag“ gewinnneutral anzusetzen. Dies gilt jedoch nur, wenn das eingebrachte Betriebsvermögen entweder noch zum Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft gehört oder zum gemeinen Wert übertragen wurde, d.h. nicht bei einer Weiterübertragung unter dem gemeinen Wert29. Nach der Gesetzesbegründung soll aus dem Ansatz des Erhöhungsbetrags eine wirtschaftsgutbezogene Buchwertaufstockung bzw. bei erfolgter Weiterübertragung zum gemeinen Wert sofort abziehbarer Aufwand folgen30.
9.33 Das Konzept des Einbringungsgewinns I gilt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 5 UmwStG grund-
sätzlich nicht, soweit das eingebrachte Betriebsvermögen Anteile an Kapitalgesellschaften enthält; insoweit kommt die Regelung für den Anteilstausch in § 22 Abs. 2 UmwStG zur Anwendung (dazu Rz. 9.34 f.)31. Bei einer teilweisen Veräußerung der erhaltenen Anteile stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob alle erhaltenen Anteile anteilig § 22 Abs. 1 UmwStG auslösen oder ob ein Teil der erhaltenen Anteile veräußert werden kann, ohne dass ein Einbringungsgewinn I zu versteuern ist. Bei entsprechender Anwendung der Verwaltungsauffassung zu § 8b Abs. 4 KStG a.F.32 ist eine Identifizierung der Anteile, deren Veräußerung keinen Einbringungsgewinn I auslöst, möglich, wenn die für die übertragenen Anteile gewährten Anteile genau identifizierbar waren (z.B. auf Grund des Einbringungsvertrags), und die für die übertragenen Anteile gewährten Anteile nach Verkehrswertverhältnissen bemessen waren33. Vor dem Hintergrund der geänderten Systematik – nach § 8b Abs. 4 KStG a.F. war eine Einbringung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG grundsätzlich insgesamt schädlich, während nach § 22 Abs. 1 Satz 5 UmwStG die Miteinbringung von Anteilen grundsätzlich unschädlich ist – kann es auf die zu § 8b Abs. 4 KStG a.F. aufgestellten weiteren Voraussetzungen – insbesondere keine Einstufung als wesentliche Betriebsgrundlage – nach neuem Recht nicht mehr ankommen. 28 Bei einer teilweisen Veräußerung der erhaltenen Anteile erhöhen sich die Anschaffungskosten der veräußerten Anteile um den vollständigen Einbringungsgewinn I; vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 22.04. 29 Bei einer Weitereinbringung zum Buchwert versagt die Finanzverwaltung den Ansatz des Erhöhungsbetrags; vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 23.09. 30 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, S. 50; ebenso UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 23.08 u. 23.09. 31 Wenn bei Einbringung durch beschränkt Steuerpflichtige allerdings kein deutsches Besteuerungsrecht für die erhaltenen Anteile besteht, umfasst der Einbringungsgewinn I auch die stillen Reserven der mit eingebrachten Anteile. 32 Vgl. BMF v. 5.1.2004 – IV A 2 - S 2750a - 35/03, BStBl. I 2004, 44. 33 Zur Bestimmung dieser Anteile im Rahmen einer einheitlichen Kapitalerhöhung Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 22 UmwStG Rz. 53 m.w.N.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
Eine Veräußerung von unter dem gemeinen Wert eingebrachten Anteilen an einer Kapitalgesellschaft durch die übernehmende Gesellschaft innerhalb von sieben Jahren führt gemäß § 22 Abs. 2 UmwStG zu einer rückwirkenden Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns II beim Einbringenden, soweit die Veräußerung der eingebrachten Anteile beim Einbringenden im Einbringungszeitpunkt nicht nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei gewesen wäre.
9.34
Der Einbringungsgewinn II ist als Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen zu versteuern und entspricht der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem bei der Einbringung angesetzten Buch- oder Zwischenwert (abzüglich Umwandlungskosten), vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr. Der Einbringungsgewinn II gilt gemäß § 22 Abs. 2 Satz 4 UmwStG als nachträgliche Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile. Gemäß § 23 Abs. 2 Satz 3 UmwStG erhöht er bei Nachweis der Steuerentrichtung die Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile bei der übernehmenden Gesellschaft und mindert deren Gewinn aus der Anteilsveräußerung (auf den § 8b Abs. 2 KStG anzuwenden ist).
9.35
b) Auswirkungen bei den Aktionären bzw. Erwerbern Die Aktionäre sind von der Veräußerung durch die Aktiengesellschaft nur insoweit unmittelbar betroffen, als sie selbst die Anteile an der Tochtergesellschaft erwerben. Soweit dies zu einem Preis erfolgt, der unter dem Verkehrswert liegt, liegt der Bezug einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vor, die bei natürlichen Personen gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d EStG zu 40 % und bei Körperschaften gemäß § 8b Abs. 1, 5 KStG zu 95 % steuerlich freigestellt wird (s. Rz. 9.13, auch zur Einlagenrückgewähr). Entsprechendes gilt beim Erwerb der Anteile durch Sachausschüttung. Der Wert einer verdeckten Gewinnausschüttung oder Sachausschüttung erhöht die Anschaffungskosten des Erwerbers der Aktien, so dass diese als zum gemeinen Wert angeschafft gelten34.
9.36
Eine nachfolgende Veräußerung der Aktien durch den Erwerber ist im Betriebsvermögen und grundsätzlich auch im Privatvermögen steuerpflichtig (s. Rz. 9.11 ff.).
9.37
IV. Aktienemission durch Abspaltung 1. Abbildung in der Handelsbilanz a) Bilanzierung nach HGB aa) Übertragende Aktiengesellschaft Der Anmeldung der Abspaltung zum Register der übertragenden Aktiengesellschaft ist gemäß § 125 i.V.m. § 17 Abs. 2 UmwG eine Schlussbilanz der Aktiengesellschaft beizufügen, für die die Vorschriften über den Jahresabschluss entsprechend gelten. Diese Bilanz kann gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 UmwG auf einen Stichtag aufgestellt werden, der höchstens acht Monate vor der Anmeldung liegt (dieser Stichtag liegt einen Tag vor dem Spaltungsstichtag35). Dieser Bilanzstichtag entspricht dem steuerlichen Übertragungsstichtag (§ 2 Abs. 1 UmwStG). 34 Vgl. BMF v. 25.10.2004 – IV C 3 - S 2256 - 238/04, BStBl. I 2004, 1034, Rz. 34. 35 Vgl. IDW, RS HFA 42, FN-IDW 2012, 701, Rz. 11; UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 02.02.
Schumacher | 369
9.38
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
9.39 Da bei einer Abspaltung im Gegensatz zur Verschmelzung nur ein Teil des Vermögens der
Aktiengesellschaft übertragen wird, ist eine Gesamtschlussbilanz nur eingeschränkt aussagefähig. Sinnvoll ist vielmehr die Aufstellung von Teilschlussbilanzen für die zu trennenden Vermögensteile. Dem Gesetz kann allerdings keine Verpflichtung zur Aufstellung von Teilbilanzen entnommen werden36. Andererseits ist fraglich, ob allein die Aufstellung einer Teilbilanz für das zu übertragende Vermögen ausreicht37. Jedenfalls kann auf die Einreichung einer Gesamtbilanz verzichtet werden, wenn Teilbilanzen für das zu übertragende und das verbleibende Vermögen eingereicht werden38.
9.40 Die übertragende Aktiengesellschaft hat den abspaltungsbedingten Vermögensabgang in
ihrem dem Abspaltungsstichtag folgenden Jahresabschluss darzustellen39. Dieser gesellschaftsrechtliche Vorgang berührt nicht den Jahresüberschuss der AG40. Bei einem nach Buchwerten positiven Vermögenssaldo und damit einer abspaltungsbedingten Vermögensminderung bei der Aktiengesellschaft ist diese in der Ergänzung der Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 158 Abs. 1 AktG nach dem Posten „Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag“ gesondert als „Vermögensminderung durch Abspaltung“ auszuweisen. Ebenfalls in Ergänzung der Gewinn- und Verlustrechnung ist die Auflösung von Rücklagen und gegebenenfalls eine Kapitalherabsetzung auszuweisen (§§ 158 Abs. 1, 240 AktG). Die Abspaltung eines zu Buchwerten negativen Vermögenssaldos ist als andere Zuzahlung der Gesellschafter in der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB auszuweisen.
9.41 Auch in der Konzernbilanz ist die Abspaltung als gesellschaftsrechtliche Vermögensauskehrung unter Verrechnung mit dem Eigenkapital gesondert zu erfassen. bb) Übernehmende Aktiengesellschaft
9.42 Die übernehmende Aktiengesellschaft hat gemäß § 24 UmwG das Wahlrecht, das auf sie
übergehende Vermögen mit den Anschaffungskosten (Zeitwert) oder den in der Schlussbilanz der übertragenden Aktiengesellschaft angesetzten Werten (Buchwert) anzusetzen. Sie hat das Vermögen bereits vor Eintragung der Abspaltung auszuweisen, wenn das wirtschaftliche Eigentum auf sie übergegangen ist41. Der Vermögenszugang erhöht aufgrund der erfolgenden Kapitalerhöhung das Grundkapital und die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB. b) Bilanzierung nach IFRS
9.43 Für die Abspaltung von Vermögenswerten gelten hinsichtlich der Behandlung bei der
übertragenden Gesellschaft die Ausführungen zur Sachausschüttung in Rz. 9.17 entsprechend. Für die aufnehmende Gesellschaft stellt der Vermögenszugang eine Transaktion ge-
36 Vgl. IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 7. 37 Bejahend Widmann in Widmann/Mayer, § 24 UmwG Rz. 163 f.; differenzierend IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 8. 38 Vgl. IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 8. 39 Nach Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an dem abgespaltenen Vermögen ist ein Ausweis bei der übertragenden Aktiengesellschaft nicht mehr möglich. Anders als bei Verschmelzung genügt eine Erläuterung der Auswirkungen der Abspaltung im Anhang nicht; IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 20. 40 Vgl. IDW, RS HFA 43, FN-IDW 2012, 714, Rz. 11. 41 Zu den Voraussetzungen IDW, RS HFA 42, FN-IDW 2012, 701, Rz. 27.
370 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
gen Ausgabe von Eigenkapitalinstrumenten dar. Die übertragenen Vermögenswerte und Schulden sind mit ihren Zeitwerten anzusetzen (IFRS 3.18).
2. Steuerrechtliche Behandlung a) Auswirkungen bei der übertragenden Aktiengesellschaft aa) Grundsatz der Ertragsteuerneutralität bei Vorliegen von Teilbetrieben Grundvoraussetzung für die Ertragsteuerneutralität der Abspaltung von einer Aktiengesellschaft auf eine Aktiengesellschaft ist die Einstufung der übergehenden und verbleibenden Vermögensteile als Teilbetriebe. Denn eine Abspaltung wird nur unter folgenden Voraussetzungen gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 15 i.V.m. §§ 11 ff. UmwStG wie eine (Teil-)Verschmelzung ertragsteuerneutral behandelt42:
9.44
– Die in dem übergehenden Vermögen enthaltenen stillen Reserven unterliegen bei der übernehmenden Gesellschaft der Körperschaftsteuer und es wird außer Gesellschaftsrechten keine Gegenleistung gewährt (§ 11 Abs. 2 UmwStG). – Auf die übernehmende Aktiengesellschaft wird ein Teilbetrieb übertragen und bei der übertragenden Aktiengesellschaft verbleibt ein Teilbetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Als Teilbetrieb gilt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG auch ein Mitunternehmeranteil oder eine 100 %ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft („fiktive Teilbetriebe“). – Es liegt kein Missbrauchsfall i.S.d. § 15 Abs. 2 UmwStG vor. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt im Rahmen des § 15 UmwStG auch im reinen Inlandsfall der Teilbetriebsbegriff der europäischen Fusionsrichtlinie43. Ein Teilbetrieb ist danach „die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb, d.h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, darstellen“ (Art. 2 lit. j) der Fusionsrichtlinie). Die Auslegung dieses Begriffs ist streitig und durch den EuGH noch nicht geklärt. Nach der in einem obiter dictum geäußerten Auffassung des BFH44 entspricht der europäische Teilbetriebsbegriff tendenziell dem bisher auch im Umwandlungssteuerrecht angewendeten nationalen Teilbetriebsverständnis des § 16 EStG.
9.45
Bei Übertragung der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze liegt die erforderliche Selbständigkeit dann vor, wenn die dem Teilbetrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter in ihrer Zusammenfassung einer Betätigung dienen, die sich im Rahmen des Gesamtunternehmens von der übrigen Tätigkeit deutlich abhebt45. Das Vorliegen der erforderlichen wirtschaftlichen, sachlichen und personellen Selbständigkeit ist anhand des Gesamtbilds der Verhältnisse zu prüfen. Von Bedeutung sind hierbei z.B. ungleichartige betriebliche Tätigkeit, eigener Kundenstamm, selbständige Organisation, eigenes Personal, eigenes Anlagevermögen, räumliche Trennung und gesonderte Buchführung. Diesen Abgrenzungsmerkmalen kommt nach der Art des Betriebs unterschiedliches Gewicht zu und sie brauchen auch
9.46
42 Besonderheiten einer – nach dem UmwG derzeit nicht möglichen – grenzüberschreitenden Abspaltung von einer deutschen Aktiengesellschaft werden nachfolgend vernachlässigt. 43 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.02; zu den Gegenargumenten Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 123 ff. 44 Vgl. BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467, Rz. 30. 45 Vgl. BFH v. 13.12.1996 – VIII R 39/93, BStBl. II 1996, 409.
Schumacher | 371
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
nicht sämtlich vorliegen, da der Teilbetrieb nur eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb erfordert46. Insbesondere ist keine völlige organisatorische Trennung mit eigener Buchführung erforderlich47. Unwesentliche Überschneidungen in der Tätigkeit der Teilbetriebe und allgemeine Verwaltungsarbeiten, die für mehrere Teilbetriebe erbracht werden, stehen der Selbständigkeit der Teilbetriebe nicht entgegen48.
9.47 Auch bei reinen Holdinggesellschaften ohne eigene operative Tätigkeit können – neben
fiktiven Teilbetrieben in Form von Beteiligungen (dazu Rz. 9.52 ff.) – originäre Teilbetriebe existieren49. Dies setzt voraus, dass die Tätigkeit der Holding als gewerblich einzustufen ist, weil sie die einheitliche Leitung über mehrere Tochtergesellschaften ausübt (geschäftleitende Holding)50. In diesem Fall können auch Geschäftsfelder, die durch Beteiligungen an mehreren Tochtergesellschaften verkörpert werden, bei entsprechender organisatorischer Selbständigkeit Teilbetriebe darstellen.
9.48 Nach streitiger Auffassung der Finanzverwaltung müssen die Teilbetriebe bereits am steuerlichen Übertragungsstichtag (s. Rz. 9.38) vorliegen51. Auf Grundlage dieser Auffassung müssen Maßnahmen organisatorischer Art, die die notwendige Verselbständigung des Teilbetriebs herstellen, vor diesem Zeitpunkt getroffen werden.
9.49 Den Teilbetrieben müssen im Rahmen der Spaltung die wesentlichen Betriebsgrundlagen
zugeordnet werden52. Nach der für die Teilbetriebsabgrenzung bei Umwandlungsvorgängen allein maßgebenden funktionalen Betrachtungsweise stellen nur Wirtschaftsgüter, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und denen ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung zukommt, wesentliche Betriebsgrundlagen dar53. Hierzu gehören insbesondere die im Teilbetrieb genutzten Grundstücke54 und Produktionsanlagen55. Auch diese können jedoch im Einzelfall aufgrund geringer wirtschaftlicher Bedeutung für den Teilbetrieb unwesentlich sein56.
9.50 Nach streitiger Auffassung der Finanzverwaltung gehören darüber hinaus auch die (aktiven und passiven) Wirtschaftsgüter, die einem Teilbetrieb nach wirtschaftlichen Zusammenhang zuordenbar sind, zu diesem Teilbetrieb57. Diese Zuordnung soll wohl unter
46 Vgl. BFH v. 15.3.2007 – III R 53/06, BFH/NV 2007, 1661 m.w.N. 47 Vgl. BFH v. 24.8.1989 – IV R 120/88, BStBl. II 1990, 55; R 16 Abs. 3 Satz 2 EStR 2005. 48 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – IX R 1/86, BStBl. II 1989, 376; BFH v. 24.8.1989 – IV R 120/88, BStBl. II 1990, 55. 49 Vgl. Schießl in Widmann/Mayer, § 15 UmwStG Rz. 19. 50 Zu dieser Einstufung im Hinblick auf die wirtschaftliche Eingliederung im Rahmen einer Organschaft nach altem Recht BFH v. 17.12.1969 – I 252/64, BStBl. II 1970, 257; BFH v. 17.9.2003 – I R 95, 98/01, BFH/NV 2004, 808; allgemein in Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 90. 51 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.03; ein Teilbetrieb im Aufbau soll dabei nicht ausreichen. 52 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.07; offen in BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467. 53 Vgl. BFH v. 17.4.1997 – VIII R 2/95, BStBl. II 1998, 388 m.w.N. 54 Vgl. BFH v. 3.6.2003 – IX R 15/01, BFH/NV 2003, 1321 m.w.N.; im Einzelfall kann die Grundstücksverwaltung jedoch auch selbst einen Teilbetrieb darstellen; BFH v. 12.11.1997 – XI R 24/ 97, BStBl. II 1998, 690. 55 Vgl. BFH v. 12.6.1996 – XI R 56, 57/95, BStBl. II 1996, 527. 56 Vgl. BFH v. 13.12.2005 – XI R 45/04, BFH/NV 2006, 1453. 57 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.02.
372 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
Wertung des Nutzungszusammenhangs erfolgen58. Nur sonstiges Betriebsvermögen kann jedem der Teilbetriebe zugeordnet werden59. Die wesentlichen Betriebsgrundlagen und nach Auffassung der Finanzverwaltung auch die wirtschaftlich zuordenbaren Wirtschaftsgüter müssen mit dem jeweiligen Teilbetrieb übertragen werden bzw. bei ihm verbleiben, eine bloße Nutzungsüberlassung reicht nicht aus60. Wirtschaftsgüter, die von mehreren Teilbetrieben genutzt werden und für mehr als einen Teilbetrieb eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen, sind grundsätzlich ein Spaltungshindernis61. Die Finanzverwaltung verlangt in diesem Fall bei Grundstücken grundsätzlich eine zivilrechtliche reale Teilung, nur bei Unzumutbarkeit derselben soll eine ideelle Teilung (Bruchteilseigentum) ausreichen62. Richtigerweise ist es jedoch bei allen Wirtschaftsgütern ausreichend, wenn im Rahmen einer Spaltung nur das wirtschaftliche (Mit-) Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO an einer wesentlichen Betriebsgrundlage übertragen wird63. Dies kann z.B. durch die Einräumung eines Nutzungsrechts im Rahmen der Spaltung erreicht werden, wenn das Wirtschaftsgut nach Ablauf der unkündbaren Überlassungsdauer technisch oder wirtschaftlich abgenutzt ist64.
9.51
Als Teilbetrieb gilt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG auch ein Mitunternehmeranteil und eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die das gesamte Nennkapital der Gesellschaft umfasst. Diese fiktiven Teilbetriebe können somit selbst übertragenes bzw. zurückbleibendes Vermögen bei einer Abspaltung sein. Nach Auffassung der Finanzverwaltung können ihnen (nur) diejenigen Wirtschaftsgüter und Schulden zugeordnet werden, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit ihnen stehen65.
9.52
Ein Mitunternehmeranteil ist die Beteiligung an einer gewerblich tätigen oder gewerblich geprägten Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG (neben Personengesellschaften mit Gesamthandsvermögen insbesondere auch die atypisch stille Gesellschaft). Begünstigt ist auch die Abspaltung des Teils eines Mitunternehmeranteils66. Ein Mitunternehmeranteil ist ertragsteuerlich kein Bestandteil des Betriebs der übertragenden Körperschaft und kann daher auch keine wesentliche Betriebsgrundlage eines Teilbetriebs sein67.
9.53
Ein Mitunternehmeranteil umfasst neben dem Anteil an der Personengesellschaft auch das Sonderbetriebsvermögen. Sonderbetriebsvermögen sind Wirtschaftsgüter, die im Eigentum eines Gesellschafters (Mitunternehmers) stehen und dem Betrieb der Personengesellschaft (Sonderbetriebsvermögen I) oder der Beteiligung des Gesellschafters an der Personengesellschaft (Sonderbetriebsvermögen II) dienen68. Wenn Sonderbetriebsvermögen
9.54
58 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.09 Satz 3 zur Änderung des Nutzungszusammenhangs. 59 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.09. 60 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.07. 61 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.08. Mangels entsprechender Aussage zu Wirtschaftsgütern, die mehreren Teilbetrieben (nur) wirtschaftlich zuordenbar sind, können dies wohl einem der Teilbetriebe zugeordnet werden (evtl. nach der überwiegenden Nutzung). 62 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.08. 63 So grundsätzlich auch UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.07. 64 Vgl. BFH v. 2.6.1978 – III R 4/76, BStBl. II 1978, 507; zu Schutzrechten BFH v. 22.1.1988 – III B 9/87, BStBl. II 1988, 357 m.w.N. 65 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.11. 66 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.04. 67 Vgl. Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 15 UmwStG Rz. 166. 68 Vgl. Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 506 m.w.N.
Schumacher | 373
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
als wesentliche Betriebsgrundlage der Mitunternehmerschaft einzustufen ist, muss es mit dem Mitunternehmeranteil übertragen werden (bzw. mit ihm bei der übertragenden Körperschaft verbleiben). Bei einer Teilung eines Mitunternehmeranteils im Rahmen der Spaltung müssen nach Verwaltungsauffassung in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zu §§ 16, 34 EStG69 auch die wesentlichen Betriebsgrundlagen im Sonderbetriebsvermögen geteilt werden70.
9.55 Eine Beteiligung an einer (in- oder ausländischen) Kapitalgesellschaft gilt als Teilbetrieb,
wenn sie das gesamte Nennkapital umfasst (d.h. 100 % der Anteile, außer eigenen Anteilen, unabhängig davon, ob mit ihnen Stimmrechte verbunden sind). Die Anteile müssen nicht im zivilrechtlichen Eigentum der übertragenden Körperschaft stehen, wirtschaftliches Eigentum, z.B. aufgrund einer Stellung als Treugeber i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO reicht aus71.
9.56 Eine 100 %ige Beteiligung kann im Einzelfall auch eine wesentliche Betriebsgrundlage eines
originären Teilbetriebs darstellen. In diesem Fall verliert sie nach zweifelhafter Auffassung der Finanzverwaltung ihre Eigenschaft als eigenständiger fiktiver Teilbetrieb, weil das übrige Vermögen keinen Teilbetrieb mehr darstellt72. Die Einstufung als wesentliche Betriebsgrundlage dürfte in Anlehnung an die Rechtsprechung zu der Frage, wann eine Beteiligung notwendiges Betriebsvermögen darstellt, allenfalls dann erfolgen, wenn eine besondere wirtschaftliche Verflechtung derart besteht, dass die Kapitalgesellschaft eine wesentliche wirtschaftliche Funktion eines Teilbetriebs erfüllt73.
9.57 Wird die Teilbetriebsvoraussetzung nicht erfüllt, so sind §§ 11 Abs. 2, 13 Abs. 2
UmwStG nicht anwendbar. Es findet also nicht nur entsprechend § 11 Abs. 1 UmwStG eine Aufdeckung der stillen Reserven des übertragenen Vermögens bei der übertragenden Aktiengesellschaft statt, sondern auch eine Besteuerung der Aktionäre wegen eines Veräußerungsgewinns entsprechend § 13 Abs. 1 UmwStG unter Anwendung des § 3 Nr. 40 EStG (oder zukünftig der Abgeltungsteuer) bzw. des § 8b KStG. Die übrigen Vorschriften der §§ 11 bis 13 UmwStG sind hingegen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 UmwStG in jedem Fall anzuwenden. Insbesondere sind Verlust- und Zinsvorträge etc. der übertragenden Aktiengesellschaft gemäß § 15 Abs. 3 UmwStG nach dem Verhältnis der gemeinen Werte des übertragenen Vermögens zu dem bei der Aktiengesellschaft vor der Spaltung vorhandenen Vermögen zu mindern.
9.58 Wenn die Teilbetriebsvoraussetzung erfüllt ist, gilt – vorbehaltlich der nachfolgend er-
läuterten Missbrauchsvorschriften – auch § 11 Abs. 2 UmwStG entsprechend. Die übertragende Aktiengesellschaft kann auf Antrag einheitlich die Buchwerte des zu übertragenden Vermögens oder Zwischenwerte ansetzen (soweit keine andere Gegenleistung als Gesellschaftsrechte, insbesondere bare Zuzahlungen, gewährt wird)74. 69 Vgl. BFH v. 12.4.2000 – XI R 35/99, BStBl. II 2001, 27. 70 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.04. 71 Zivilrechtlich werden insoweit bei der Spaltung die Ansprüche gegen den Treuhänder zugeordnet. 72 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.06. 73 Vgl. BFH v. 3.3.1998 – VIII R 66/96, BStBl. II 1998, 383; s. auch Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 60 ff. 74 Zu Einzelheiten und den sonstigen Rechtsfolgen vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 73 ff. u. 176 ff.
374 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
bb) Gewinnrealisierung wegen des Börsenhandels § 15 Abs. 2 UmwStG enthält mehrere spezielle Missbrauchsvorschriften, deren Rechtsfolge jeweils die Nichtanwendung des § 11 Abs. 1 UmwStG auf das übertragene Vermögen ist. Da dieses dann nicht mit seinem Buchwert, sondern mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist, werden als Rechtsfolge die in ihm enthaltenen stillen Reserven bei der übertragenden Aktiengesellschaft besteuert. Unmittelbare Auswirkungen auf die übrigen Rechtsfolgen der Spaltung ergeben sich nicht. Insbesondere bleibt die Ertragsteuerneutralität bei den Aktionären (s. Rz. 9.72) erhalten75.
9.59
Bei der Abspaltung von einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine andere börsennotierte Aktiengesellschaft ist regelmäßig der Tatbestand des § 15 Abs. 2 Satz 3 u. 4 UmwStG erfüllt, so dass die anderen Fallgruppen des § 15 Abs. 2 UmwStG nachfolgend nur kurz angesprochen werden.
9.60
§ 15 Abs. 2 Satz 1 UmwStG betrifft den Erwerb oder die Aufstockung von fiktiven Teilbetrieben innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag durch Übertragung von Wirtschaftsgütern, die kein Teilbetrieb sind. Hintergrund der Regelung ist die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einzelne Wirtschaftsgüter auf Mitunternehmerschaften oder Kapitalgesellschaften ohne Aufdeckung der stillen Reserven zu übertragen76.
9.61
§ 15 Abs. 2 Satz 5 UmwStG stellt bei der Trennung von Gesellschafterstämmen für die Anwendung des § 11 Abs. 1 UmwStG die zusätzliche Bedingung auf, dass die Beteiligungen an der übertragenden Aktiengesellschaft mindestens fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag bestanden haben. Eine Trennung von Gesellschafterstämmen i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 5 UmwStG liegt nur vor, wenn nach vollzogener Abspaltung an keiner der beteiligten Körperschaften alle Aktionäre der übertragenden Aktiengesellschaft beteiligt sind77. Die Vorschrift betrifft somit bestimmte Konstellationen der nicht verhältniswahrenden Spaltung78.
9.62
Von entscheidender praktischer Relevanz ist die Vorbereitung der Veräußerung an außenstehende Personen79 durch die Spaltung (§ 15 Abs. 2 Satz 3 u. 4 UmwStG)80. Diese Regelung bezieht sich auf die Veräußerung von Anteilen an den an der Spaltung beteiligten Körperschaften (nicht etwa auf das Vermögen der Gesellschaften)81. Diese Körperschaften sind im Falle des Börsengangs durch Abspaltung die übertragende Aktiengesellschaft und die übernehmende Aktiengesellschaft.
9.63
Außenstehende Personen sind nur solche, die nicht an der übertragenden Aktiengesellschaft beteiligt sind. Veränderungen der Beteiligungsverhältnisse zwischen den bisherigen
9.64
75 76 77 78 79
Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.21 u. 15.33. Zu Einzelheiten vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 193 ff. Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.37. Zu Einzelheiten vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 248 ff. Das Tatbestandsmerkmal der „außenstehenden Person“ gilt über § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwStG hinaus auch für § 15 Abs. 2 Satz 3 u. 4 UmwStG; vgl. Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 15 UmwStG Rz. 231; ebenso wohl UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.22 u. 15.26; a.A. Schießl in Widmann/Mayer, § 15 UmwStG Rz. 295. 80 Der Vollzug einer Veräußerung durch die Spaltung i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ist hingegen nur in Ausnahmefällen überhaupt denkbar; vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 217 ff. 81 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.28.
Schumacher | 375
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
Aktionären erfüllen daher nicht den Tatbestand des § 15 Abs. 2 Satz 2–4 UmwStG82. Auch Umstrukturierungen innerhalb von verbundenen Unternehmen i.S.d. § 271 Abs. 2 HGB sind keine schädliche Veräußerung83.
9.65 Nach § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG ist von der Vorbereitung einer Veräußerung auszugehen,
wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Aktien an der übertragenden Aktiengesellschaft und der übernehmenden Aktiengesellschaft veräußert werden, die mehr als 20 % der Anteile ausmachen, die vor der Spaltung an der übertragenden Aktiengesellschaft bestanden haben. Nach Verwaltungsauffassung enthält § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG eine unwiderlegbare Vermutung84. Die Fünf-Jahres-Frist ist abschließend, so dass Veräußerungen nach ihrem Ablauf in jedem Fall unschädlich sind85.
9.66 Die Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG erfordert die Feststellung, wann die Ver-
äußerung von Anteilen die Quote von 20 % erfüllt. Dies ist – entsprechend dem Maßstab für die Minderung der Verlustvorträge etc. der übertragenden Aktiengesellschaft in § 15 Abs. 3 UmwStG – nach dem Verhältnis der gemeinen Werte des übertragenen Vermögens zu dem bei der Aktiengesellschaft vor der Spaltung vorhandenen Vermögen zu bestimmen86. Nach Auffassung der Finanzverwaltung können auch Veräußerungen, die die 20 %-Grenze nicht überschreiten, nach § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG schädlich sein, wenn bei Spaltung eine Veräußerungsabsicht bestand87.
9.67 Die ertragsteuerneutrale Spaltung börsennotierter Aktiengesellschaften mit einem
Streubesitz von über 20 % wird durch die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG faktisch verhindert88. Es kommt daher zur Aufdeckung der stillen Reserven des übertragenen Vermögens. Soweit Anteile an Kapitalgesellschaften übertragen werden, ist der Gewinn allerdings grundsätzlich gemäß § 8b Abs. 2 KStG freizustellen89. Wenn nur eine oder mehrere Beteiligungen abgespalten werden, keine der Ausnahmen von der Freistellung vorliegt und auch keine Besteuerung eines Einbringungsgewinns ausgelöst wird (dazu Rz. 9.26 ff. und Rz. 9.31 ff.), entsteht somit durch die Abspaltung nur ein körperschaftsteuer- und gewerbesteuerpflichtiger Gewinn in Höhe von 5 % der stillen Reserven der abgespaltenen Beteiligungen gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. b) Auswirkungen bei der übernehmenden Aktiengesellschaft
9.68 Die übernehmende Aktiengesellschaft hat die auf sie übergehenden Wirtschaftsgüter ge-
mäß §§ 15 Abs. 1, 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG mit dem Wert aus der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Aktiengesellschaft zu übernehmen. 82 Vgl. Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 15 UmwStG Rz. 231. 83 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.26, mit der Einschränkung, dass im Anschluss daran keine unmittelbare oder mittelbare Veräußerung an eine außenstehende Person erfolgen darf. 84 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.27 unter Bezug auf die Rechtsprechung des BFH vor SEStEG (BFH v. 3.8.2005 – I R 62/04, BStBl. II 2006, 391). Zur Erforderlichkeit einer geänderten Auslegung nach dem SEStEG vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 224. 85 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.32. 86 Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.29 mit Beispiel in Rz. 15.30. 87 Vgl. Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg v. 16.7.2014 – 35-S 1978b-2014#001, DB 2014, 2257. 88 Zu Beweislastfragen vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 243. 89 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 23.
376 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
Die übernehmende Aktiengesellschaft tritt gemäß § 15 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 UmwStG hinsichtlich des auf sie übertragenen Vermögens in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Aktiengesellschaft ein90. Körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Verlustvorträge, verrechendbare Verluste etc. der übertragenden Aktiengesellschaft gehen jedoch nicht über (§ 12 Abs. 3 i.V.m. §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 19 Abs. 2 UmwStG).
9.69
Das bei der übertragenden Aktiengesellschaft zum steuerlichen Übertragungsstichtag vorhandene Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG geht gemäß § 29 Abs. 3 KStG im Verhältnis der gemeinen Werte des übertragenen Vermögens zu dem bei der Aktiengesellschaft vor der Spaltung vorhandenen Vermögen über.
9.70
Soweit durch die Abspaltung Grundstücke übertragen werden oder durch die Übertragung von Anteilen an grundbesitzhaltenden Kapital- oder Personengesellschaften die Tatbestände des § 1 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG erfüllt werden (insbesondere bei Übertragung einer Beteiligung von mindestens 95 %), führt die Abspaltung zum Anfall von Grunderwerbsteuer (die Anwendung der Steuerbefreiung des § 6a GrEStG für die Umstrukturierung im Konzern ist in den Fällen der Aktienemission durch Abspaltung mangels Konzernverbund nicht möglich). Bei Abspaltung eines originären Teilbetriebs unterliegt die Vermögensübertragung nicht der Umsatzsteuer. In anderen Fällen liegt eine umsatzsteuerbare Leistung vor, die in bestimmten Fällen steuerbefreit ist (insbesondere Abspaltung von Beteiligungen; § 4 Nr. 8 lit. f UStG).
9.71
c) Auswirkungen bei den Aktionären Bei den Aktionären der übertragenden Aktiengesellschaft ist § 13 UmwStG anzuwenden, d.h. grundsätzlich liegt ein gewinnrealisierender (anteiliger) Tausch der Aktien an der übertragenden Aktiengesellschaft gegen Aktien an der übernehmenden Aktiengesellschaft vor (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Wenn die Teilbetriebsvoraussetzung erfüllt ist, können die im Inland steuerpflichtigen Aktionäre91 eine Besteuerung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 13 Abs. 2 UmwStG auf Antrag durch den Ansatz der Buchwerte bzw. Anschaffungskosten vermeiden (in diesem Fall treten die Aktien an der übernehmenden Aktiengesellschaft für steuerliche Zwecke gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG anteilig an die Stelle der Aktien an der übertragenden Aktiengesellschaft)92. Dies ist auch dann möglich, wenn auf der Ebene der übertragenden Aktiengesellschaft wegen § 15 Abs. 2 UmwStG eine Gewinnrealisierung erfolgt. Bei Anteilen, die in den Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer fallen, ist hiervon abweichend § 20 Abs. 4a EStG zu beachten. Nach § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG treten beim Tausch von Anteilen an Körperschaften aufgrund gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen, die von den beteiligten Unternehmen ausgehen, die übernommenen Anteile abweichend von § 13 UmwStG an die Stelle der bisherigen Anteile. Diese Regelung gilt gemäß § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG auch für die Abspaltung.
9.72
Bei einer Abspaltung besteht die Besonderheit, dass anders als bei einer Verschmelzung kein Anteilstausch vorliegt, sondern der Aktionär zusätzlich zu seinen Aktien an der über-
9.73
90 Z.B. auch Fortsetzung einer Organschaft, wenn durch die Abspaltung die Mehrheitsbeteiligung an einer Organgesellschaft nebst Gewinnabführungsvertrag übertragen wird; vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. Org. 07 i.V.m. Org. 02. 91 Für im Ausland steuerpflichtige Aktionäre gelten zudem die Besteuerungsregeln ihres Ansässigkeitsstaates unter Beachtung der Doppelbesteuerungsabkommen. 92 Soweit eine andere Gegenleistung gewährt wird (insb. bare Zuzahlung), erfolgt allerdings eine anteilige Gewinnrealisierung; vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.02.
Schumacher | 377
§ 9 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen
tragenden Aktiengesellschaft die Aktien an der übernehmenden Aktiengesellschaft erhält. Bei der entsprechenden Anwendung des § 13 UmwStG ist daher eine Aufteilung der Buchwerte bzw. Anschaffungskosten der Aktien erforderlich. Mangels gesetzlicher Regelung erfolgt dies nach Auffassung der Finanzverwaltung entsprechend dem in § 15 Abs. 3 UmwStG enthaltenen Aufteilungsschlüssel (Verhältnis der gemeinen Werte; dazu Rz. 9.57)93.
V. Erwerb und Veräußerung eigener Aktien 1. Abbildung in der Handelsbilanz a) Bilanzierung nach HGB
9.74 Seit der Neuregelung durch das BilMoG94 sind eigene Aktien in der Handelsbilanz nicht
auszuweisen, sondern mindern das Eigenkapital. Der Nennbetrag oder rechnerische Wert dieser Aktien ist gemäß § 272 Abs. 1a Satz 1 HGB als Kapitalrückzahlung offen vom Grundkapital abzusetzen. Weitergehende Einzelheiten werden in DRS 22 geregelt.
9.75 Die Differenz zwischen Kaufpreis und Nennbetrag oder rechnerischem Wert ist mit den frei verfügbaren Rücklagen zu verrechnen; ein über die freien Rücklagen hinausgehender Unterschiedsbetrag stellt Aufwand des Geschäftsjahres dar95.
9.76 Bei einer Veräußerung eigener Aktien entfällt gemäß § 272 Abs. 1b HGB in Höhe ihres Nennbetrags die offene Absetzung vom Grundkapital. Die Differenz zwischen Veräußerungserlös und Nennbetrag oder rechnerischem Wert ist bis zur Höhe des mit den frei verfügbaren Rücklagen verrechneten Betrags in die jeweiligen Rücklagen einzustellen; ein darüber hinausgehender Betrag ist in die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen. b) Bilanzierung nach IFRS
9.77 Wie nach HGB sind eigene Anteile nach IAS 32.33 in keinem Fall als finanzieller Ver-
mögenswert anzusetzen, sondern immer vom Eigenkapital abzuziehen. Der Kauf, Verkauf oder die Einziehung eigener Aktien wird daher nicht erfolgswirksam erfasst.
2. Steuerrechtliche Behandlung a) Besteuerung des Erwerbs
9.78 Vor Inkrafttreten des BilMoG stellten eigene Anteile nach h.M. Wirtschaftsgüter im bi-
lanzsteuerlichen Sinne dar. Der Erwerb eigener Aktien war daher auf Ebene der erwerbenden Aktiengesellschaft keine Ausschüttung oder Einlagenrückgewähr, sondern ein Anschaffungsvorgang, und beim Aktionär lag ein Veräußerungsgeschäft vor96.
93 94 95 96
Vgl. UmwSt-Erlass 2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.43. Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. Vgl. Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 133. Vgl. BFH v. 6.12.1995 – I R 51/95, BStBl. II 1998, 781; BFH v. 23.2.2005 – I R 44/06, BStBl. II 2005, 522; BMF v. 2.12.1998 – IV C 6 - S 2741 - 12/98, BStBl. I 1998, 1509 Rz. 16 ff.
378 | Schumacher
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Aktienemissionen | § 9
Die steuerlichen Folgen der handelsrechtlichen Verrechnung der eigenen Aktien mit dem Eigenkapital sind unklar und nur unzureichend gesetzlich geregelt97. Insbesondere ist streitig, ob eigene Aktien weiterhin als Wirtschaftsgüter einzustufen sind und ob die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Nennwert der eigenen Aktien trotz der Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG entsprechend der früheren Sichtweise der Finanzverwaltung98 mit dem Einlagekonto zu verrechnen ist, auch wenn dieses negativ wird. Nach h.M. und Auffassung der Finanzverwaltung folgt die steuerrechtliche Behandlung dem Handelsrecht. Danach sind auch in der Steuerbilanz der Erwerb eigener Anteile nicht als Anschaffungsvorgang, sondern wie eine Herabsetzung des Nennkapitals zu behandeln99. Danach stellt der über die Rückzahlung des herabgesetzten Nennkapitals hinausgehende Betrag eine Leistung der Gesellschaft an den veräußernden Anteilseigner dar, die nach den Grundsätzen des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zu einer Minderung des steuerlichen Einlagekontos führt, soweit sie den maßgebenden ausschüttbaren Gewinn übersteigt.
9.79
Beim Gesellschafter stellt hingegen der Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft ein Veräußerungsgeschäft dar, das nach allgemeinen Grundsätzen der Besteuerung unterliegt100.
9.80
b) Besteuerung der Veräußerung Nach h.M. und Auffassung der Finanzverwaltung ist die Veräußerung eigener Aktien steuerlich als Kapitalerhöhung zu behandeln, so dass keine Veräußerung von Anteilen vorliegt101. Danach erhöht ein den Nennbetrag übersteigender Betrag den Bestand des steuerlichen Einlagekontos.
97 Vgl. ausführlich Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 28 KStG Rz. 102 ff. 98 Vgl. BMF v. 2.12.1998 – IV C 6 - S 2741 - 12/98, BStBl. I 1998, 1509 Rz. 23; aufgehoben durch BMF v. 10.8.2010 – IV C 2 - S 2742/07/10009, BStBl. I 2010, 659. 99 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009, BStBl. I 2013, 1615, Rz. 9; a.A. mit Darstellung des Meinungsstands Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 129b; s.a. FG Münster v. 13.10.2016 – 9 K 1087/14 K,G,F, EFG 2017, 423, rkr. 100 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009, BStBl. I 2013, 1615, Rz. 20; BFH v. 6.12. 2017 – IX R 7/17, BFH/NV 2018, 576. 101 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009, BStBl. I 2013, 1685, Rz. 13.
Schumacher | 379
9.81
3. Teil Aktienverwandte Emissionen § 10 Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank I. Einführung . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . 2. Rolle der Investmentbank bei der Emission aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . 3. Märkte für aktienverwandte Instrumente . . . . . . . . . . . . . a) Marktentwicklung und Emissionsaktivität . . . . . . . b) Investoren . . . . . . . . . . . .
.. .. ..
__ _ _ __ __ _ _ _ _ __
10.1 10.3 10.7
. . 10.11 . . 10.11 . . 10.28
II. Strukturalternativen . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Optionale Wandel- bzw. Umtauschanleihe . . . . . . . . . . . a) Vollkuponwandelanleihe versus Teilkuponanleihe . . . . . . . . . . b) Verwässerungsneutrale Wandelanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtwandel- bzw. Pflichtumtauschanleihe . . . . . . . . . . . .
10.33 10.33 10.36 10.36 10.42 10.45
III. Bewertung aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . 10.55 1. Grundüberlegungen . . . . . . . . . 10.55
2. Wesentliche Bewertungsparameter . . . . . . . . . . a) Zinsniveau . . . . . . . . b) Bonität des Emittenten c) Laufzeit . . . . . . . . . . d) Wandelprämie . . . . . . e) Volatilität . . . . . . . . . f) Kosten der Aktienleihe g) Kündigungsrechte . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
IV. Platzierung aktienverwandter Instrumente . . . . . . . . . . . . . . 1. Emissionsvorbereitung . . . . . . a) Strukturierung . . . . . . . . . . . b) Dokumentation . . . . . . . . . . 2. Emissionsdurchführung . . . . . . a) Vermarktung . . . . . . . . . . . b) Preisfestsetzung und Zuteilung 3. Einfluss auf den Preis der zugrundeliegenden Aktien . . . . . . a) Gründe für Kursbeeinflussung b) Ausmaß der Kursbeeinflussung c) Maßnahmen zur Begrenzung des Kurseinflusses . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
__ __ __ __ __ __ __ _ __ _ _
10.59 10.59 10.60 10.61 10.62 10.64 10.66 10.67 10.69 10.69 10.69 10.74 10.78 10.78 10.82
. 10.84 . 10.84 . 10.86 . 10.89
Schrifttum: Achleitner, Handbuch des Investment Banking, 3. Aufl. 2002; Breuer/Schweizer, Gabler Lexikon Corporate Finance, 2. Aufl. 2012.
I. Einführung Equity-linked- oder aktienverwandte Instrumente haben sich neben der klassischen Kapitalmarktfinanzierung durch Aktien und Anleihen als hybride Zwischenform, mit sowohl Fremd- als auch Eigenkapitalcharakteristika, etabliert. Die erste Emission eines solchen Instruments war vermutlich die des Eisenbahnmagnaten J.J. Hill in den USA, der sich bereits 1881 zur Finanzierung seiner Aktivitäten einer Wandelanleihe bediente. Lange Zeit wurden aktienverwandte Instrumente als Sonderform festverzinslicher Instrumente gesehen.
10.1
Heute werden die verschiedenen Formen aktienverwandter Instrumente als weitgehend eigenständige Anlageklasse betrachtet. Das Volumen ausstehender aktienverwandter Instrumente per 31.12.2017 betrug weltweit rund 694 Mrd. Euro1. Das Volumen ausstehender
10.2
1 Dealogic.
Leopold/Schröter | 381
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
aktienverwandter Instrumente deutscher Unternehmen belief sich auf rund 25 Mrd. Euro per Jahresende 20172.
1. Begriffsbestimmung 10.3
Aktienverwandte Instrumente treten in einer Vielzahl unterschiedlicher Gestaltungsvarianten auf. Grundsätzlich handelt es sich um Anleihen, die dem Inhaber das Recht einräumen, anstelle der Tilgung der Anleihe in Geld die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Aktien zu fordern. Der Investor wird von diesem Recht Gebrauch machen, falls der Wert der ihm zustehenden Aktien den für die Anleihe vereinbarten Rückzahlungsbetrag übersteigt. Soweit es sich bei den zugrundeliegenden Wertpapieren um (neue) Aktien des Emittenten der Anleihe handelt, spricht man von Wandelanleihen (s. zu Wandelanleihen § 11). Im Gegensatz dazu liegen den sog. Umtauschanleihen bestehende Aktien fremder Unternehmen zu Grunde (s. zu Umtauschanleihen § 12).
10.4
Eine Sonderform der aktienverwandten Instrumente stellen die sog. Pflichtwandel- bzw. -umtauschanleihen dar, deren Wandlung in Aktien bereits bei der Emission verbindlich festgelegt wird. In der Regel sehen Pflichtwandelanleihen eine in Abhängigkeit des Aktienpreises bei Wandlung variable Zahl zu liefernder Aktien vor.
10.5
Aktienverwandte Instrumente können auch in Form sog. Optionsanleihen begeben werden. Bei diesen Instrumenten ist das Recht auf Erwerb neuer Aktien in Form eines Optionsscheins von der Anleihe trennbar und kann entsprechend separat als eigenständiges Instrument gehandelt werden. Die Begebung von Optionsanleihen hat seit den 80er Jahren zunehmend an Bedeutung verloren, aber ist in jüngster Vergangenheit bei Fremdwährungsemissionen aufgrund rechnungslegungstechnischer und dokumentationsbedingter Aspekte wieder zur Anwendung gekommen. So hat beispielsweise Siemens im Februar 2012 Optionsanleihen im Volumen von 3,0 Mrd. US-Dollar begeben und Brenntag diese Form im November 2015 mit einer 500 Mio. US-Dollar Emission genutzt.
10.6
Die Rechte und Pflichten des Emittenten und des Investors sind verbindlich in den sog. Anleihebedingungen geregelt. Diese geben u.a. Auskunft über Laufzeit und Verzinsung der Anleihe, Anzahl der zugrundeliegenden Aktien, Wandelrechte, Kündigungsrechte, Verwässerungsschutzklauseln sowie den Rang der Anleihe im Vergleich zu ausstehenden oder zukünftigen Verbindlichkeiten des Emittenten.
2. Rolle der Investmentbank bei der Emission aktienverwandter Instrumente 10.7
Aktienverwandte Instrumente sind flexible, individuell strukturierbare Finanzierungsinstrumente. Die Emission von Wandelanleihen ist an strenge gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen geknüpft, u.a. an einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschluss der Hauptversammlung (s. Rz. 11.25). Besteuerung und Bilanzierung von Wandel- und Umtauschanleihen hängen vielfach entscheidend von der konkreten Ausgestaltung ab; ebenso die Beurteilung einer Emission durch Rating-Agenturen im Hinblick auf die Einstufung der Anleihe als Fremdkapital- oder (zumindest teilweise) Eigenkapitalinstrument.
2 Dealogic.
382 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
Der Platzierungserfolg einer Anleihe und das Ausmaß einer möglichen negativen Kursbeeinflussung im Rahmen der Emission sind ebenfalls wesentlich von der Strukturierung der Anleihe abhängig.
10.8
Angesichts der vielschichtigen Fragestellungen und Überlegungen im Zusammenhang mit der Emission aktienverwandter Instrumente geht die Rolle der begleitenden Investmentbank weit über die eines reinen Platzeurs der Anleihe hinaus. Die Bank ist im Idealfall frühzeitig involviert und berät den Emittenten bei allen Aspekten der Vorbereitung, Strukturierung und Umsetzung einer Emission. Dies schließt ein:
10.9
– eine kritische Würdigung der einzuholenden Ermächtigung, die in der Regel wesentliche Vorgaben über zulässige Strukturen enthält und dem Emittenten, im Rahmen des rechtlich Zulässigen, möglichst hohe Flexibilität einräumen sollte, – Vorschläge und Beratung im Hinblick auf Strukturalternativen, die den Bedürfnissen des Emittenten entsprechen, sowie deren Beurteilung und Bewertung aus Kapitalmarktsicht, – Einschätzung der zu erwartenden Beurteilung der gewählten Struktur durch RatingAgenturen und ggf. Abstimmung mit Vertretern der Agenturen, – Diskussion möglicher steuerlicher und handelsbilanzieller Implikationen einer Emission, – ein indikatives marktgerechtes Pricing, zu dem die Anleihe bei Investoren platzierbar ist und welches eine adäquate Sekundärmarkt-Performance gewährleistet, – Beurteilung des Instruments im Vergleich zu alternativen Finanzierungsinstrumenten. Neben den genannten Dienstleistungen im Rahmen der Vorbereitung übernimmt die Bank die Anleihe mit der Aufgabe, diese – möglichst kursschonend – bei Investoren zu platzieren. Ferner übernimmt die Bank regelmäßig die Funktion eines Market-Makers im Anschluss an die Platzierung, um entsprechende Liquidität für den Handel der Anleihe sicherzustellen und veröffentlicht ggf. während der Laufzeit der Anleihe Analysen, die den entsprechenden Investoren zugehen und eine der Grundlagen für deren Investitionsentscheidung darstellen.
10.10
3. Märkte für aktienverwandte Instrumente a) Marktentwicklung und Emissionsaktivität Der Markt für aktienverwandte Instrumente hat sich mit einem weltweiten Volumen ausstehender Anleihen von derzeit rund 694 Mrd. Euro3 zu einer eigenständigen Anlageklasse entwickelt. Amerikanische Emittenten dominieren mit einem Marktanteil von rund 64 % nach wie vor den Markt, gefolgt von Emittenten aus Europa und Asien Pazifik, die mit jeweils rund 116 Mrd. Euro (17 %) bzw. 130 Mrd. Euro (19 %) des ausstehenden Anleihevolumens begeben haben (Stand 31.12.2017)4.
10.11
Die nachfolgenden Grafiken zeigen das Nominalvolumen ausstehender aktienverwandter Instrumente unterschiedlich jeweils nach Regionen und Branchen:
10.12
3 Dealogic. 4 Dealogic.
Leopold/Schröter | 383
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
10.13
Nominalvolumen weltweit ausstehender aktienverwandter Instrumente (in Mrd. Euro) Nach Region
Nach Branche Computer & Elektronik; 118,6; 17 %
Andere; 171,3; 25 % Europa; 116,4; 17 %
Gesundheit; 86,3; 12 %
Transport; 29,4; 4 % Automobilbranche; 31,0; 5 %
Asien, Pazifik; 130,2; 19 % US; 447,7; 64 %
Versorger & Energie; 38,5; 6 % Grund- und Rohstoffe; 40,2; 6 %
Finanzdienstleistung; 74,3; 11 % Telekom, Medien & Technologie; 48,9; 7 %
Immobilien; 55,7; 8 %
10.14 Die derzeit ausstehenden Emissionen aktienverwandter Instrumente decken alle wesentlichen Branchen ab. Einen besonders hohen Anteil am ausstehenden Volumen weltweit hat die Computer- und Elektronikbranche sowie die Gesundheitsbranche. Dieser Trend wird maßgeblich aus Amerika betrieben. In Europa liegen die Immobilien-, Gesundheits- und Finanzbranche vorne.
10.15 Aufschlussreich ist ferner der Vergleich der Bonität der Emittenten aktienverwandter In-
strumente in Europa und den USA. In den USA wurden aktienverwandte Instrumente traditionell von solchen Unternehmen genutzt, denen aufgrund der Bonität oder Unternehmensgröße der Zugang zu den Anleihemärkten im Wesentlichen verwehrt war. In der Zwischenzeit haben zahlreiche Emittenten hoher Bonität den Equity-linked Markt entdeckt.
10.16 In Europa wird der Markt dagegen eindeutig von Emittenten höherer Bonität geprägt. Der
Anteil nicht gerateter Emissionen ist dabei in den letzten fünf Jahren deutlich zurückgegangen. Für viele Emittenten ist trotz allem die Zugänglichkeit des Marktes für aktienverwandte Instrumente ohne Rating ein wesentliches Motiv bei der Auswahl des Finanzierungsinstruments.
384 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
10.17
Ausstehende Anleihen nach Bonität US
C 0,1 % CC 0,3 %
DD 0,0 %
CCC 1, 8 %
D 3,0 %
Europa AAA 0,1 %
AAA 2,3 % AA 7,6 %
NR 8,0 %
B 9,4 %
C 0,1 % A 22,2 %
BB 12,0 %
CC 0,0 % CCC 0,4 %
DDD 0,0 %
NR 23,0 %
AA 6,6 %
A 24,2 % B 5,1 % BB 9,1 %
BBB 31,5 %
BBB 33,3 %
Innerhalb Europas wird der Markt durch aktienverwandte Instrumente von Emittenten aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien mit mehr als 77 % des ausstehenden Nominalvolumens geprägt. Nominalvolumen ausstehender aktienverwandter Instrumente in Europa nach Ländern (in Mrd. Euro)
Niederlande; 3,1; 3 %
10.18
10.19
Andere; 10,1; 13 % Frankreich; 25,7; 25 %
Norwegen; 3,4; 3 % Schweiz; 4,1; 4 % Spanien 5,7; 6 %
Italien; 8,1; 7,8 %
Deutschland; 24,6; 24 % Großbritannien; 15,2; 15 %
Das Emissionsvolumen aktienverwandter Instrumente ist in den letzten Jahren in Europa nicht wesentlich gestiegen und auch die Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren waren zuletzt gering.
Leopold/Schröter | 385
10.20
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
10.21 Die Emissionsaktivität war in den vergangenen Jahren in den USA durchgängig höher als in Europa, jedoch in zuletzt abnehmendem Maße. In 2017 überholte Asien-Pazifik erstmalig die USA als aktivste Region bei der Emission aktienverwandter Instrumente.
10.22
Entwicklung der weltweiten Emissionsaktivität aktienverwandter Instrumente nach Regionen (in Mrd. Euro) 160 141,66
140
35,56
120 100 80 60
104,51
17,32 31,70
0
61,75
32,44 69,45
29,54
15,76
13,97 13,86
40 20
16,94
87,30
58,04
38,27
33,92
2004
2005
2006
73,66
14,24 39,45
2007
2008
69,74 24,62
82,65
77,19 15,12 26,21
15,82
48,54 8,87 18,85
29,30
35,87
2009
2010
78,54
80,71
24,40
22,05
22,95
22,51
21,85
21,80
35,74
34,64
35,96
2013
2014
2015
49,00 17,50 11,76
20,82
19,74
2011
2012
73,10
22,08
24,58 33,49 23,08
Asien Pazifik
US
88,78
25,44 2016
33,21 2017
Europa
10.23 Der europäische, insbesondere auch der deutsche Markt, war im Gegensatz zum US-
Markt lange von Umtauschanleihen dominiert, die dem Emittenten eine „gestreckte“ Veräußerung strategisch unbedeutender Beteiligungen zu attraktiven Konditionen ermöglicht haben. Auch spielen Umtauschanleihen mit einem Anteil von 18 % am ausstehenden Volumen in Europa einen wichtigen Anteil aus. In den USA war und ist der Anteil der Umtauschanleihen vergleichsweise gering.
10.24
Unterteilung ausstehender Umtausch- vs. Wandelanleihen US Umtauschanleihen 5%
Wandelanleihen 95 %
10.25–10.27 Einstweilen frei.
386 | Leopold/Schröter
Europa Umtauschanleihen 18 %
Wandelanleihen 82 %
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
b) Investoren Aktienverwandte Instrumente finden Anklang bei einer Vielzahl unterschiedlicher Investorengruppen. Unter den auf diese Anlageklasse spezialisierten Investoren lassen sich grundsätzlich die „Fundamentalen“ Investoren von den „Hedge Funds“ unterscheiden. Erstere investieren in aktienverwandte Instrumente in der Regel ohne einen gleichzeitigen Leerverkauf der zugrundeliegenden Aktie oder eine Absicherung gegen Bonitätsrisiken des Emittenten. Sie spekulieren auf eine positive Wertentwicklung der zugrundeliegenden Aktie und vertrauen auf eine zumindest gleichbleibende Bonität des Emittenten und die damit verbundene Absicherung des Verlustrisikos bei negativer Aktienkursentwicklung.
10.28
Demgegenüber versuchen Hedge Funds die mögliche Wertänderung der einem aktienverwandten Instrument immanenten Kaufoption durch den Leerverkauf von Aktien zu neutralisieren (delta hedging). Teilweise wird dabei gleichzeitig durch Kreditderivate das Risiko einer Verschlechterung der Bonität des Emittenten abgesichert. Durch die laufende Anpassung der Leerverkaufsposition über die Laufzeit der Anleihe (gamma trading) mit dem Ziel der Nachbildung der Kaufoption versuchen Hedge Funds, die erwartete höhere Volatilität verglichen mit der impliziten ursprünglich bezahlten Volatilität zu extrahieren und somit aktienkursunabhängig Gewinne zu erzielen.
10.29
Die Aktivität der Hedge Funds im Zusammenhang mit der Begebung von aktienverwandten Instrumenten kann eine der Quellen negativer Aktienkursentwicklung sein und gehört zu den von Unternehmen immer wieder vorgebrachten Bedenken im Zusammenhang mit der Platzierung aktienverwandter Instrumente. Dazu ist anzumerken, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren über das Ausmaß einer eventuellen Aktienkursbeeinflussung entscheidet. In den meisten Fällen lässt sich diese durch geeignete Gegenmaßnahmen auf ein Minimum reduzieren. Weitere Überlegungen in diesem Zusammenhang finden sich unter Rz. 10.84.
10.30
Neben den auf aktienverwandte Instrumente spezialisierten Investoren sind derartige Emissionen in vielen Fällen für eine Reihe weiterer Investoren von Interesse. Dazu zählen beispielsweise einkommensorientierte Aktienfonds, die indirekt durch aktienverwandte Instrumente in solche Aktien investieren können, die selbst keine Dividende zahlen. Die fehlende Dividende wird durch den Zinskupon ausgeglichen. Andere Aktienfonds bevorzugen in bestimmten Situationen das defensive Profil einer Wandel- oder Umtauschanleihe mit reduzierter Teilhabe an positiver Kursentwicklung bei gleichzeitiger Sicherheit des eingesetzten Kapitals gegenüber der direkten Aktieninvestition. Zu den potenziellen Interessenten gehören ferner Fixed Income Investoren, die sich mit der immanenten Aktienoption zusätzliche Renditechancen eröffnen.
10.31
Privatkunden spielen heutzutage bei der Platzierung von Wandel- und Umtauschanleihen praktisch keine Rolle mehr. Aufgrund der unter Rz. 10.78 ausführlich beschriebenen Praxis der beschleunigten Platzierung innerhalb weniger Stunden und der marktüblichen Stückelung von 100.000 Euro werden die Papiere in der Regel ausschließlich bei institutionellen Investoren untergebracht. Privatkunden sind über verwaltete Vermögen und indirekt über Investitionen in entsprechende Fonds beteiligt oder haben die Möglichkeit, entsprechende Papiere im Sekundärmarkt zu erwerben.
10.32
Leopold/Schröter | 387
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
II. Strukturalternativen 1. Überblick 10.33 Zu den wesentlichen Vorzügen aktienverwandter Instrumente zählt die Möglichkeit, indi-
viduellen Anforderungen des Emittenten durch eine maßgeschneiderte Strukturierung gerecht zu werden. In Folge dieser Eigenschaft gibt es eine Vielzahl abweichender Strukturalternativen mit jeweils individuellen Besonderheiten, aus der sich zahlreiche Möglichkeiten der Kategorisierung dieser Instrumente ergeben. Als hilfreich hat sich eine Gliederung herausgestellt, die sich am Fremd- bzw. Eigenkapitalcharakter der Anleihe orientiert. Die folgende Grafik veranschaulicht diese Überlegung.
10.34
Spektrum aktienverwandter Instrumente
Herkömmliche Wandelanleihen
Nachrangige Wandelanleihen
Verwässerungsneutrale Wandelanleihen
Wandelanleihen mit unbegrenzter Laufzeit Pflichtwandelanleihen
Anleihen
Aktien
Niedriger
Höher Eigenkapitalcharakter
10.35 Die verschiedenen Formen der Pflichtwandelanleihen weisen weitestgehend Eigenkapital-
charakter auf und werden auch von den Ratingagenturen – je nach Ausgestaltung und Kredit-Rating des Emittenten – weitgehend als Eigenkapital betrachtet. Von den Wandelund Umtauschanleihen ohne Pflichtwandlung verhalten sich die herkömmlichen Wandelanleihen am ehesten eigenkapitalähnlich, während die verwässerungsneutralen Wandelanleihen als Fremdkapitalsurrogat zu verstehen sind.
2. Optionale Wandel- bzw. Umtauschanleihe a) Vollkuponwandelanleihe versus Teilkuponanleihe
10.36 Optionale Wandel- bzw. Umtauschanleihen lassen sich entsprechend den obigen Überlegungen in folgende Grundtypen gliedern:
– Vollkuponanleihe: Wandel- oder Umtauschanleihe bei der die Rendite der Anleihe der jährlichen Kuponzahlung entspricht. Die Anleihe wird zu par emittiert und zu par getilgt. 388 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
– Teilkuponanleihe: Wandel- oder Umtauschanleihe bei der die Rendite der Anleihe die jährliche Kuponzahlung übersteigt. Die Anleihe wird zu par emittiert und über par getilgt. Die folgende Tabelle stellt die Grundtypen und ihre wesentlichen Eigenschaften einander gegenüber:
10.37
Grundtypen optimaler Wandel- und Umtauschanleihen Eigenschaften Barkupon Aufzinszung Fälligkeiten Effektive Wandelprämie
Emittenten Kündigungsrechte
Investoren Kündigungsrechte „Bond Floor“
Emissionsratio
Vollkuponanleihe
Teilkuponanleihe
Voll -3–7 Jahre
Anteilig Anteilig 5–15 Jahre
Konstant
Ansteigend
Kündbar zu Par nach anfänglicher Hard Call Protection Period, falls Aktienpreis 130 % des Wandelpreises erreicht
Kündbar zum aufgezinsten Rückzahlungsbetrag nach anfänglicher Hard Call Protection Period
Möglich
Meist vorhanden
Gering
Mittel
Aktienverkauf zu einer Prämie Geringste Emissionsrendite
Niedriger Barkupon Flexibilität zu kündigen und „billige Fremdkapitalfinanzierung“ zu realisieren
Diese idealtypischen Anleiheformen finden sich häufig in der dargestellten Kombination der Strukturelemente, können aber auch in abweichender Ausgestaltung vorkommen. Insbesondere die Teilkuponanleihe kann sowohl mit Soft Call als auch mit Hard Call ausgestattet sein und somit weniger oder mehr Fremdkapitalcharakter aufweisen.
10.38
Die Vollkuponwandel- oder -umtauschanleihe ist die gängigste und einfachste der dargestellten Strukturen. Das Laufzeitenspektrum erstreckt sich meist auf drei bis sieben Jahre; aufgrund des Niedrigzinsumfelds haben einige Emittenten zuletzt auch leicht längere Laufzeiten in Anspruch genommen. Die Anleihen haben oftmals an den Aktienpreis gekoppelte Kündigungsrechte für den Emittenten (soft call option), die aber erst nach einer bestimmten Mindestlaufzeit (call protection period) ausgeübt werden können.
10.39
Diese Struktur dient in erster Linie der möglichen Platzierung von Aktien über dem aktuellen Marktpreis bei vorgezogener Zuführung der Liquidität. Entscheidet sich der Investor zur Wandlung der Anleihe, so erhält er die ihm zustehende Anzahl der Aktien anstelle
10.40
Leopold/Schröter | 389
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
des Rückzahlungsbetrags der Anleihe. Die Wandlung erfolgt typischerweise zum Ende der Laufzeit, falls der Preis der zugrundeliegenden Aktie den Wandelpreis übersteigt. Eine vorzeitige Wandlung ist meist aus Investorensicht nicht sinnvoll.
10.41 Zu den Emissionsbeispielen jüngeren Datums durch deutsche Unternehmen zählen die folgenden Anleihen:
Ausgewählte Vollkuponwandelanleihen deutscher Emittenten (2017) Ausgabedatum
Emittent
Volumen Kupon (in Mio. Euro)
06/2017
Deutsche Post 1,000
0,05 %
2025
Ab 2023, keine 130 % Hürde
09/2017
Deutsche Wohnen
0,6 %
2026
Ab 2023, keine 130 % Hürde
08/2017
TAG Immobi- 262 lien
0,625 %
2022
Ab 2020, keine 130 % Hürde
800
Fälligkeit Emittenten Call Option
Investor Put Option
b) Verwässerungsneutrale Wandelanleihen
10.42 Als relativ neue Variante aktienverwandter Emissionen hat sich seit 2014 die verwässe-
rungsneutrale oder ‚equity-neutral‘ Wandelanleihe etabliert. Hierbei kauft der Emittent eine gegenläufige Option zu der im Rahmen einer Wandelanleiheemission (mit Barausgleich) an Investoren verkauften Option von einer Bank zurück. Da sich die beiden Optionen neutralisieren, kommt es unter keinen Umständen zur Ausgabe neuer Aktien und der Emittent emittiert ein synthetisches Fremdkapitalinstrument. Da insbesondere ‚Blue Chip‘ Emittenten unter bestimmten Bedingungen durch den Verkauf der der Wandelanleihe inhärenten Option mehr erlösen können, als sie der Bank für den Kauf der gegenläufigen Option zahlen müssen, ermöglicht die verwässerungsneutrale Wandelanleihe regelmäßig eine Kostenarbritrage gegenüber einer Standardanleihe. Diese Arbitrage entsteht im Wesentlichen dadurch, dass Equity-linked Investoren bereit sind, für die Option eine höhere implizite Volatilität zu bezahlen, als die Bank bei der Bewertung der gegenläufigen Option unterstellt. Voraussetzung hierfür sind u.a. eine hervorragende Bonität und attraktive Equity Story des Emittenten, ein hohes Handelsvolumen der Aktie sowie eine adäquate Laufzeit und Gröβe des Instruments. Daneben spielt das allgemeine Marktumfeld und die Angebots-/Nachfragesituation um Anleihe-und Equity-linked-Markt eine wichtige Rolle. Aus Investorensicht gleicht das Instrument einer Vollkuponwandelanleihe, wobei jedoch im Wandlungsfall der Wert der zugrundliegenden Aktien in Bar gezahlt wird und keine Lieferung von Aktien erfolgt.
10.43 Da eine Vielzahl an Faktoren zusammenspielen muss, um die gewünschte Arbitrage zu
ermöglichen, ist die Zahl der ausstehenden verwässerungsneutralen Wandelanleihen relativ überschaubar. Seit der ersten Transaktion von Fresenius SE im Jahr 2014 bis Ende 2017 wurden insgesamt 18 solcher Instrumente begeben. Das gesamte ausstehende Marktvolumen beläuft sich auf 10,1 Mrd. Euro.
390 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
10.43a
Verwässerungsneutrale Wandelanleihen 2017 Ausgabedatum
Emittent
Währung
Volumen
Fälligkeit
Kupon
Prämie
Jun-17 Mar-17 Feb-17 Jan-17 Jan-17
Carrefour BASF Vinci Fresenius Michelin
USD USD USD EUR USD
500 Mio. 850 Mio. 700 Mio. 500 Mio. 600 Mio.
Jun-23 Mar-23 Feb-22 Jan-24 Jan-22
0.000 % 0.925 % 0.375 % 0.000 % 0.000 %
20.0 % 25.0 % 22.5 % 45.0 % 28.0 %
Mit einer Ausnahme wurden sämtliche verwässerungsneutralen Wandelanleihen von Emittenten mit einem Investment Grade Credit Rating begeben, haben eine Laufzeit von im Durchschnitt 5–7 Jahren und üblicherweise ein Emissionsvolumen zwischen 400–600 Mio. Euro (vor möglicher Aufstockung).
10.43b
Bei der Strukturierung der verwässerungsneutralen Wandelanleihe stellt die Vermeidung von Abweichungen (‚Basis‘) zwischen den Anleihebedingungen der verwässerungsneutralen Wandelanleihe und der Optionsbestätigung der zusätzlich erworbenen Option eine Herausforderung für die begleitende Investment Bank dar. Abweichungen stellen für den Emittenten ein ökonomisches, aber auch rechtliches, buchhalterisches und steuerliches Risiko dar; sie können außerdem die Vermarktbarkeit des Instruments negativ beeinflussen. Durch strukturelle Weiterentwicklungen, wie etwa die Emission des verwässerungsneutralen Instruments von BASF im März 2017 im Format einer Optionsanleihe mit Barausgleich, konnten bei den jüngeren Transaktionen Abweichungen bei gleichzeitiger investorenfreundlicherer Ausgestaltung der Anleihebedingungen eliminiert werden.
10.44
3. Pflichtwandel- bzw. Pflichtumtauschanleihe Das Charakteristikum einer Pflichtwandel- bzw. Umtauschanleihe ist die bereits zum Emissionszeitpunkt bestehende Gewissheit über die Wandlung in Aktien. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Anleihen hat der Investor also kein Recht auf Wandlung von dem er – je nach Kursentwicklung – Gebrauch machen kann, sondern eine Verpflichtung, die vom Emittenten bei Laufzeitende auszugebenden Aktien anstelle einer etwaigen Rückzahlung des Nominalwerts anzunehmen. Lediglich die Anzahl der zur Tilgung erforderlichen Aktien ist bei Ausgabe der Anleihe in der Regel nicht festgelegt, sondern vom Kurs der zugrundeliegenden Aktie bei Laufzeitende abhängig.
10.45
Pflichtwandelanleihen sind insbesondere bei Finanzinstituten in den USA seit langem als Finanzierungsinstrument etabliert. In Europa hat die Daimler-Benz AG im Jahr 1997 als erste Gesellschaft eine solche Struktur verwendet. Seither haben 19 weitere deutsche Unternehmen eine Pflichtwandelanleihe ausgegeben, zuletzt Bayer i.H.v. 4.000 Mio. Euro im Jahr 2016. Das Gesamtvolumen an deutschen Pflichtwandelanleihen beträgt seit 1997 18,4 Mrd. Euro. Anstelle eines festen Kupons wird oft auch eine Kombination aus fixer Zahlung i.H.v. beispielsweise 4,25 % zuzüglich einer variablen Zahlung, die der Höhe der Dividende je zugrundliegender Aktie entspricht, vereinbart. In der typischen Ausgestaltung entspricht der Nominalwert je Anleihe dem zum Zeitpunkt der Emission vorherrschenden Kurs der zugrundeliegenden Aktie („Referenzkurs“). Der Emittent liefert dann bei Fälligkeit eine Aktie je Anleihe wenn der Aktienkurs unterhalb des Referenzkurses liegt. Steigt der Aktienkurs so steht dem Emittenten zunächst die volle Partizipation an Kurssteigerungen bis zum Erreichen der vereinbarten Prämie („Wandelpreis“) zu, indem die Anzahl der
10.46
Leopold/Schröter | 391
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
zu liefernden Aktien sukzessive fällt. Nach Erreichen des Wandelpreises bleibt dann die Anzahl der zu liefernden Aktien in der Regel konstant. Danach ergibt sich das folgende Zahlungsprofil für den Fall einer Emission mit Referenzkurs von 100, einem Kupon von 6 % p.a. und 20 % Prämie (Wandelpreis 120). In dem genannten Beispiel partizipiert der Emittent auch nach Erreichen des Wandelpreises an möglichen weiteren Kurssteigerungen mit einem Anteil von rund 17 %. Dieser Zusammenhang ist in der nachfolgenden Grafik illustriert: Zahlungsprofil einer typischen Pflichtwandel-/Umtauschanleihe Wandel-/Umtauschverhältnis: 1,0 Aktie
SMin/S Aktien
SMin/SMax = 0,83 Aktien
EUR 120
EUR 100
17 % Partizipation über 20 % Kurssteigerung Vollständige Kursabsicherung
100 % Partizipation an Kursentwicklung
EUR 100 Minimaler Wandel-/Umtauschkurs SMin
EUR 120 Maximaler Wandel-/Umtauschkurs SMax
10.47 Alternativ zur oben beschrieben Struktur lässt sich die Pflichtwandelanleihe so strukturieren, dass dem Emittenten nach Erreichen des oberen Referenzpreises kein Anteil an weiteren Kurssteigerungen zusteht. Die aus Investorenperspektive vorteilhafte Ausgestaltung schlägt sich dann, bei sonst gleichen Konditionen, in der Regel in einer verminderten Zinszahlung oder seltener in einer höheren Prämie nieder. Die nachfolgende Grafik stellt die modifizierte Struktur für das oben angegebene Beispiel mit einer erhöhten Prämie von 25 % bei gleichbleibendem Kupon dar:
392 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10 Zahlungsprofil einer modifizierten Pflichtwandel-/Umtauschanleihe Wandel-/Umtauschverhältnis: 1,0 Aktie
SMin/S Aktien
1 – (SMax –SMin)/S Aktien
EUR 125
EUR 100
Keine Partizipation über 25 % Kurssteigerung Vollständige Kursabsicherung
100 % Partizipation an Kursentwicklung
EUR 100 Minimaler Wandel-/Umtauschkurs SMin
EUR 125 Maximaler Wandel-/Umtauschkurs SMax
Weitere Varianten von Pflichtwandelanleihen umfassen Strukturen, bei denen der implizit enthaltene unbedingte Terminkontrakt von der Anleihe getrennt handelbar ist (eine Struktur die sich in den USA aus steuerlichen und bilanztechnischen Gründen großer Beliebtheit erfreut hat), Pflichtwandelanleihen mit festgesetzter, nicht kursabhängiger Anzahl zu liefernder Aktien sowie indexgebundene Pflichtwandelanleihen.
10.48
Auch für Pflichtwandelanleihen gilt, dass es sich um Instrumente handelt, die sich den Bedürfnissen des Emittenten flexibel anpassen lassen. Je nach Situation sind dabei aufsichtsrechtliche Kapitalanrechnung (z.B. bei Banken und Versicherungen), steuerliche Optimierung, handelsbilanzielle Implikationen oder sonstige relevante Fragestellungen zu berücksichtigen.
10.49
10.50–10.54
Einstweilen frei.
III. Bewertung aktienverwandter Instrumente 1. Grundüberlegungen Die Überlegungen zur Bewertung lassen in einem ersten Schritt die Festlegung von Wertuntergrenzen für optionale Wandel- und Umtauschanleihen zu. Der Wert der Wandelanleihe muss zum einen mindestens dem Barwert des versprochenen Zahlungsstroms entsprechen (bond floor). Der Diskontierungszins entspricht dabei dem risikolosen Zinssatz (in der Regel Libor) entsprechender Fälligkeit zuzüglich des risikoadäquaten Aufschlags (credit spread). Zum anderen muss der Wert der Anleihe mindestens dem der zugrundeliegenden Aktien entsprechen (Parität). Der Wert der Anleihe entspricht also mindestens dem Maximum aus Bond Floor und Parität. Die folgende Grafik veranschaulicht diesen Zusammenhang:
Leopold/Schröter | 393
10.55
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank Wertentwicklung aktienverwandter Instrumente 180
Wert der Wandelanleihe
160 140 Wandelanleihe
120
Parität
100 Bond Floor
80 60 40 20 0
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Aktienkurs
10.56 Die Darstellung veranschaulicht auch den defensiven Charakter aktienverwandter Instru-
mente im Vergleich zu direkten Aktieninvestments. Während bei einem Engagement in der Aktie im schlimmsten Fall der Totalverlust des Einsatzes droht, ist das Investment in die Wandelanleihe zumindest auf dem Niveau des Bond Floors geschützt. Diese Überlegung geht zwar von der etwas naiven Annahme einer vom Aktienkurs unabhängigen, gleichbleibend hohen Bonität des Emittenten aus, die sich so in extremen Szenarien sicherlich nicht rechtfertigen lässt, dennoch gilt auch bei Berücksichtigung von mit dem Aktienkurs korrelierten Bonitätsrisiken eine deutlich defensivere Charakteristik der Wandelanleihe im Vergleich zur Aktie.
10.57 In einer vereinfachten Anschauung lassen sich Wandelanleihen ferner als zusammengesetzte Finanzinstrumente, bestehend aus den folgenden Komponenten, verstehen:
– Verbriefter Anspruch auf Zinszahlungen und Tilgung zum Rückzahlungsbetrag („Anleihekomponente“) – Kaufoption mit dem Recht auf Bezug der zugrundeliegenden Aktien zu einem dem Rückzahlungsbetrag der Anleihe entsprechenden Bezugspreis („Optionskomponente“)
10.58 Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich die Bewertung einer Wandelanleihe auf
die Bewertung der Anleihekomponente einerseits sowie die Bewertung einer (amerikanischen) Aktienkaufoption andererseits reduzieren.
2. Wesentliche Bewertungsparameter a) Zinsniveau
10.59 Der Wert der Anleihekomponente entspricht dem Bond Floor und wird durch die Zinsentwicklung sowie durch die Entwicklung der emittentenspezifischen Credit Spreads ent394 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
sprechender Laufzeit bestimmt. Bei einem Anstieg des Zinsniveaus bzw. einer Ausweitung der emittentenspezifischen Credit Spreads sinkt der Bond Floor auf ein Niveau unterhalb des Ausgangsniveaus. Wertänderung aktienverwandter Instrumente bei einer Zins- oder Spread-Erhöhung 180
Wert der Wandelanleihe
160 140
Parität Wandelanleihe
120 100
Bond Floor
80 60 40 20 0
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Aktienkurs Ausgangsszenario
Auswirkung einer Zins- oder Spread-Erhöhung
b) Bonität des Emittenten Eine Verschlechterung der Bonität des Emittenten führt – auch in einem ansonsten stabilen Zins- bzw. Spreadumfeld – zu einer Erhöhung der von Investoren geforderten Verzinsung der Anleihe und somit zu einem Absinken des Bond Floors. Der Effekt entspricht dem oben dargestellten Effekt einer Zinserhöhung.
10.60
c) Laufzeit Die Veränderung der Laufzeit wirkt sich sowohl auf die Anleihekomponente als auch die Optionskomponente eines aktienverwandten Instruments aus. Die Effekte sind dabei gegenläufig. Während eine Laufzeitverlängerung zu einer Reduzierung des Bond Floors bzw. einer Verringerung des Wertes der Anleihekomponente führt, wirkt sie sich wertsteigernd auf die Optionskomponente aus. In der Regel dominiert jedoch der negative Effekt auf den Wert der Anleihekomponente, so dass eine Laufzeitverlängerung aus Emittentensicht meist zu einer Verteuerung der Finanzierung führt. Das Ausmaß der Verteuerung hängt wesentlich von der zum Bewertungszeitpunkt gültigen Zinskurve ab und wird im Falle einer besonders steilen Zinskurve verschärft.
Leopold/Schröter | 395
10.61
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
d) Wandelprämie
10.62 Der Wunsch nach höheren Wandelpreisen bzw. Prämien führt stets zu einer Verringerung
des Optionswertes und muss durch eine entsprechend höhere Verzinsung „erkauft“ werden. Wie bereits erwähnt, lässt sich der Wandelpreis dennoch nicht beliebig erhöhen, da mit zunehmender Prämie die Sensitivität der Anleihe auf Veränderungen des Aktienkurses abfällt und Investoren letztlich an Instrumenten ohne ausreichende Aktienkurssensitivität nicht interessiert sind.
10.63 Eine Alternative zur Steigerung der Prämie ist die Verwendung eines sog. Call Spreads im
Zusammenhang mit der Begebung einer traditionellen Wandelanleihe. Dabei begibt der Emittent eine Anleihe mit z.B. 30 % Wandelprämie und kauft gleichzeitig in einer davon unabhängigen Vereinbarung einen Call Spread, d.h. er kauft eine Call Option auf die der Anleihe zugrundeliegenden Aktien mit entsprechender Prämie und Laufzeit und verkauft eine entsprechende Call Option mit einer Prämie von beispielsweise 80 %. Die Kosten des Call Spreads werden dabei oftmals aus den Erlösen der platzierten Anleihe finanziert. Effektiv hat der Emittent nach Abschluss beider Transaktionen eine Position, die der Emission einer Wandelanleihe mit 80 % Prämie entspricht. In Deutschland wurde eine solche Struktur beispielsweise von Qiagen im Zusammenhang mit der Emission ihrer Wandelanleihen in 2014 und 2017 verwendet. e) Volatilität
10.64 Die Volatilität ist ein Maß für die Stärke der Kursschwankungen einer Aktie und ein we-
sentlicher Parameter bei der Bewertung der Optionskomponente. In einem Umfeld hoher Unsicherheit und entsprechend hoher Volatilität ist der Wert der implizit in aktienverwandten Instrumenten veräußerten Kaufoption deutlich höher als in einem Umfeld geringer Volatilität. Die Emissionsaktivität steigt daher in Phasen erhöhter Volatilität oftmals deutlich an. So ließ sich für die Jahre 2003 und 2007 jeweils eine mit erhöhten Volatilitäten deutlich verstärkte Emissionsaktivität beobachten. Auch die hohe Emissionsaktivität in der ersten Jahreshälfte 2012 lässt sich neben dem im historischen Maßstab äußerst niedrigen Zinsniveau vor allem auf die erhöhte Aktienkursvolatilität zurückführen. Seither lässt sich aufgrund des anhaltend niedrigen Volatilitätsumfelds, langfristig niedrigen Zinsen und Credit Spreads bei gleichzeitig positivem Aktienmarktumfeld nur noch bedingt ein Zusammenhang zwischen Emissionsvolumen und beobachtbaren Volatilitäten beobachten.
10.65 Obwohl ein empirischer Zusammenhang zwischen Aktienkursvolatilitäten und Credit Spreads konstatiert werden muss, ist dieser Zusammenhang nicht durchgängig beobachtbar. Die folgende Grafik berücksichtigt deshalb ausschließlich die durch eine relativ höhere Volatilität induzierte Wertsteigerung der Optionskomponente und geht von einem unveränderten Bond Floor aus.
396 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
Wertänderung aktienverwandter Instrumente bei höherer Volatilität 180
Wert der Wandelanleihe
160 140
Parität
Wandelanleihe
120 100
Bond Floor
80 60 40 20 0
0
20
40
60
Ausgangsszenario
80
100
120
140
160
180
Aktienkurs Auswirkung einer erhöhten Volatilität
f) Kosten der Aktienleihe Ein wesentlicher Teil der auf aktienverwandte Instrumente spezialisierten Investoren führt im Zusammenhang mit der Zeichnung aktienverwandter Instrumente Leerverkäufe der zugrundeliegenden Aktien durch, um sich gegen Risiken einer Aktienkursänderung abzusichern. Die Kosten der dazu erforderlichen Aktienleihe müssen bei der Bewertung bzw. bei der Preisindikation berücksichtigt werden. Bei Aktien mit geringer Leiheverfügbarkeit kann dies im Einzelfall wesentlichen Einfluss auf die Preisfindung und Platzierbarkeit aktienverwandter Instrumente haben.
10.66
g) Kündigungsrechte Aktienverwandte Instrumente sind regelmäßig mit Kündigungsrechten für Emittenten und Investoren ausgestattet. Diese haben zum Teil wesentlichen Einfluss auf die Bewertung der Wandelanleihe. Vereinfacht lässt sich jedes Emittentenkündigungsrecht (insbesondere Hard Call-Rechte) als Verkürzung der effektiven Laufzeit der impliziten Option verstehen, die aus Investorensicht eine Wertreduzierung zur Folge hat.
10.67
Ferner stehen auch den Investoren in vielen Fällen Kündigungsrechte zu, die eine effektive Verkürzung der Anleihelaufzeit bewirken und damit eine Anhebung des Bond Floors zur Folge haben.
10.68
Leopold/Schröter | 397
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
IV. Platzierung aktienverwandter Instrumente 1. Emissionsvorbereitung a) Strukturierung
10.69 Zur Vorbereitung einer Emission werden zunächst die Grundzüge einer geeigneten Struktur zwischen Bank und Emittent festgelegt. Im Anschluss werden sämtliche Regelungen und Ausstattungsmerkmale des aktienverwandten Instruments verbindlich in den sog. Anleihebedingungen niedergelegt.
10.70 In vielen Fällen wird bei Emissionen deutscher Unternehmen zur Vermeidung der Kapi-
talertragsteuer eine ausländische Tochter (z.B. Finanzierungsgesellschaft in Luxemburg) als Emittent verwendet. Die Emissionserlöse werden dann im Rahmen einer konzerninternen Kreditvereinbarung an die deutsche Muttergesellschaft weitergeleitet. Diese garantiert im Gegenzug für die Verbindlichkeiten und verpflichtet sich – für den Fall einer Wandlung – zur Lieferung der Aktien an einen Treuhänder (vgl. Rz. 11.7). Eine solche Konstruktion ist insbesondere dann aus Platzierungsgesichtspunkten erforderlich, wenn Anleihen mit relativ hohen Zinskupons ausgestattet sind. Die Kapitalertragsteuer wird zwar Inländern und Investoren mit Sitz in Ländern, mit denen ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht erstattet, dennoch bleibt den Investoren bei Emission durch eine deutsche Gesellschaft in jedem Fall der Nachteil eines zeitlich verzögerten Eingangs der Kapitalertragsteuer. Ferner sind wesentliche Investoren in derartige Produkte in Ländern domiziliert, mit denen kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht.
10.71 Bei der Begebung von Wandelanleihen steht den Aktionären zunächst ein Bezugsrecht auf
einen ihrer Beteiligung entsprechenden Anteil der Wandelanleihen zu. Aus Kapitalmarktsicht ist allerdings eine Platzierung unter Ausschluss des Bezugsrechts gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zu empfehlen. Nur dann lassen sich das Überraschungsmoment und die Dynamik einer beschleunigten, auf wenige Stunden reduzierten Vermarktung (accelerated bookbuilding) zugunsten des Emittenten nutzen. Der Ausschluss des Bezugsrechts setzt eine entsprechende Ermächtigung durch die Hauptversammlung voraus (vgl. Rz. 11.47).
10.72 Neben den Finanzierungsinteressen des Emittenten finden auch Marktüberlegungen ihren Eingang in die Strukturierung einer Anleihe. Die mögliche Laufzeit einer Anleihe hängt beispielsweise wesentlich von der wahrgenommenen Bonität des Emittenten und der augenblicklichen Risikofreude der Investoren sowie ferner von Zinserwartungen ab.
10.73 Volumen und Bond Floor einer Anleihe sind auf die Liquidität der zugrundeliegenden Ak-
tie abzustimmen, um den durch etwaige Leerverkäufe induzierten Kursdruck zu minimieren. Zwischen den verschiedenen Parametern gibt es Interdependenzen, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. Hier spielen letztlich Gespür und Erfahrung der Bank in der Strukturierung und Vermarktung aktienverwandter Instrumente eine entscheidende Rolle. b) Dokumentation
10.74 Die Dokumentation für die Emission aktienverwandter Instrumente umfasst im Wesentlichen die Erstellung der Anleihebedingungen sowie des Übernahmevertrags.
10.75 Die Anleihebedingungen regeln rechtsverbindlich die Rechte und Pflichten des Emittenten bzw. der Inhaber der Anleihe. Sie enthalten u.a. Regelungen über Emittent und Garant der 398 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10
Anleihe, zugrundeliegende Aktien, Laufzeit, Wandelperiode, Verzinsung, Rang der Anleihe, Wandelpreis bzw. Prämie, Verwässerungsschutzklauseln, Übernahmeschutzklauseln, etc. Der Übernahmevertrag regelt die Bedingungen, zu denen die Bank dem Emittenten die Anleihen abkauft. Wesentliche Abschnitte umfassen Gewährleistungen und Zusicherungen des Emittenten, Anleihebedingungen, Regelungen zu Vergütung und Auslagen der Bank, Haftungsfreistellung, etc.
10.76
Die nachfolgende Darstellung enthält eine Übersicht der wesentlichen Dokumente für eine Emission aktienverwandter Instrumente (s. auch § 11, § 12, § 30).
10.77
Wesentliche Dokumentation einer Emission aktienverwandter Instrumente
Anleihebedingungen (Übersicht)
Nennbetrag und Stückelung Zinssatz und Zahlungstermin Fälligkeit und vorzeitige Rückzahlung
Verwässerungs-/Übernahmeschutz
Wandelrecht und Wandelzeitraum
Zahl- und Wandelstelle
Ausübung des Wahlrechts Übernahmevertrag
Lieferung der Aktien und Ausgleich für Bruchteile von Aktien
Kündigung durch Anleihegläubiger
Regelt Bedingungen der Übernahmen der Anleihen durch Investmentbank Übersicht Inhalt Übernahme der Anleihe Lieferung und Zahlung Gewährleistungen und Zusicherungen Verpflichtungen
Provision und Kosten Aufschiebende Bedingungen Haftungsfreistellung Gerichtsstand
Rechtliche Bescheinigung
Rechtliche Bescheinigung (,,Legal Opinion“) wird in der Regel von den externen Rechtsberatern erstellt
Bestätigung, dass u.a. der Übernahmevertrag wirksam abgeschlossen worden ist, die Begebung der Anleihe wirksam ist und die notwendigen Zustimmungen der Gremien zur Begebung der Instrumente vorliegen
Zahl- und Wandelstellenvertrag
Zahl- und Wandelstelle übernimmt Abwicklung sämtlicher Zahlungen zwischen Emittent und Investoren sowie des Wandels der Anleihe in Aktien
Vertrag regelt u.a. Aufgaben und Pflichten der Zahl- und Wandelstelle, Pflichten des Emittenten, Gebühren sowie Laufzeit des Vertrages
Berechnungsstellenvertrag
Berechnungsstelle übernimmt die Ermittlung z.B. von Anpassungen des Wandlungspreises bei Dividendenzahlungen oder als Folge einer Übernahmesituation
Vertrag regelt u.a. die Aufgaben und Pflichten der Berechnungsstelle, Pflichten des Emittenten, Gebühren sowie Laufzeit des Vertrags
Leopold/Schröter | 399
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
2. Emissionsdurchführung a) Vermarktung
10.78 Die Vermarktung aktienverwandter Instrumente erfolgt heute regelmäßig im Rahmen ei-
nes beschleunigten Bookbuilding-Verfahrens auf der Basis eines sog. Termsheets. Das Termsheet ist eine drei- bis vierseitige Zusammenfassung der Anleihebedingungen und enthält alle für die Investitionsentscheidungen relevanten Parameter der Anleihe.
10.79 Dabei wird ein Kreis von bis zu ca. 150 institutionellen Investoren von der begleitenden
Investmentbank angesprochen. Zeitgleich mit der Ansprache der Investoren erfolgt die öffentliche Bekanntmachung der Transaktion, im Falle von herkömmlichen Wandelanleihen über den Weg einer Ad-hoc-Mitteilung durch den Emittenten.
10.80 Wie in einem herkömmlichen Bookbuilding-Verfahren haben die Investoren die Möglichkeit, eine Order mit Preisgebot und nachgefragter Menge bei der begleitenden Investmentbank abzugeben. Dabei ist anzumerken, dass das Preisgebot bei aktienverwandten Instrumenten typischerweise zwei Preisparameter umfasst, nämlich die Wandel- bzw. Umtauschprämie sowie die Höhe der Emissionsrendite.
10.81 Alternativ zu dem beschleunigten Bookbuilding-Verfahren können aktienverwandte In-
strumente auch über einen längeren Zeitraum vermarktet werden, wie dies beispielsweise bei einer Bezugsrechtsemission geschieht, bei der sich die Vermarktungsphase fast über die gesamte Zeichnungsfrist für die Anleihen erstreckt. Allerdings ist dies gleichbedeutend mit einer erheblichen Ausweitung des Marktpreisrisikos für den Emittenten und wird daher nur in Ausnahmefällen Anwendung finden, z.B. wenn die Möglichkeit des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG aufgrund des angestrebten Emissionsvolumens nicht besteht. Um das Marktpreisrisiko bei Bezugsrechtsemissionen von Wandelanleihen zu minimieren, haben jedoch die meisten Emittenten in den letzten Jahren die Anleihe zu Beginn der Bezugsrechtsperiode wie üblich im beschleunigten Bookbuilding-Verfahren platziert und mit einem Clawback für anschließend ausgeübte Bezugsrechte allokiert. b) Preisfestsetzung und Zuteilung
10.82 Nach Abschluss des Bookbuilding-Verfahrens wird die begleitende Investmentbank die
eingegangenen Orders der Investoren sowohl nach quantitativen als auch nach qualitativen Kriterien bewerten. Bei den quantitativen Kriterien werden solche Gebote mit hoher Wandel- bzw. Umtauschprämie und/oder niedriger Emissionsrendite zuerst berücksichtigt. Die Berücksichtigung qualitativer Kriterien soll sicherstellen, dass sowohl die aktienverwandten Instrumente als auch die zugrundeliegenden Aktien einen positiven Handelsverlauf im Sekundärmarkt erfahren. Anhand des sich ergebenden Nachfragetableaus lassen sich nun die endgültigen Konditionen der Emission sowie die auf die einzelnen Investoren entfallenden Volumina bestimmen.
10.83 Der Zeitpunkt der Zuteilung stellt allerdings noch nicht den formell rechtlichen Abschluss
(closing) der Transaktion dar. Das Closing einer Transaktion erfolgt typischerweise drei bis fünf Bankarbeitstage nach dem Zeitpunkt der Zuteilung. Erst zum Zeitpunkt des Closings gehen die Wertpapiere verbindlich in das Eigentum des Investors über. Im Gegenzug erhält der Emittent den Emissionserlös. Der nachfolgende Zeitplan veranschaulicht den typischen Ablauf der Durchführung einer Neuemission: 400 | Leopold/Schröter
Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank | § 10 Vereinfachter Zeitplan für Emission einer Wandleihe Woche 1 M D M D
Woche 2 F
M D M D
Woche 3 F M
D M D F
– Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen Phase I Dokumentation
– Durchführung der Due Diligence
– Vereinbarung der Anleihebedingungen – Vereinbarung des Übernahmevertrages – Erstellung von ad hoc- und Pressemitteilungen – Vereinbarung des Zahl- und Wandelstellenvertrags – Vereinbarung des Berechnungsstellenvertrags – Mögliche Vorabsprache ausgewählter Investoren – Ankündigung der Emission
– Bookbuilding Phase II Marketing
– Preisfestsetzung & Zuteilung – Unterzeichnung des Übernahmevertrages
– Handelsbeginn (Graumarkt) – Closing und Abwicklung – Offizielle Handelsaufnahme(a) (a) Offizielle Handelsaufnahme kann bis zu einem Monat nach closing erfolgen
3. Einfluss auf den Preis der zugrundeliegenden Aktien a) Gründe für Kursbeeinflussung Die Platzierung aktienverwandter Emissionen führt teilweise zu einer negativen Kursreaktion der zugrundeliegenden Aktie. Als Gründe für den Kursdruck lassen sich heranziehen: – Technisch bedingter Kursdruck, ausgelöst durch Leerverkäufe zur Umsetzung der von Hedge Funds verfolgten Strategie; – Potenzielle Ergebnisverwässerung bei Wandlung durch Ausgabe neuer Aktien; – Aufnahme der Emission als negatives Signal im Hinblick auf künftiges Kurspotenzial der zugrundeliegenden Aktie; – Verkaufsdruck durch Aktieninvestoren, die bei Emission ihre Position in der Aktie aufgeben und in die aktienverwandten Instrumente wechseln.
10.84
Die Bedeutung der einzelnen Ursachen unterscheidet sich mitunter erheblich von Fall zu Fall. Wesentliche Aufgabe der Investmentbank ist es, die Ursachen möglichen Kursdrucks frühzeitig zu antizipieren, um durch geeignete Gegenmaßnahmen das Ausmaß auf ein Minimum zu reduzieren.
10.85
b) Ausmaß der Kursbeeinflussung Das Ausmaß der Kursbeeinflussung, welches mit der Emission aktienverwandter Instrumente einhergeht, ist im Wesentlichen von den folgenden Punkten abhängig: – Durchschnittliches Handelsvolumen der zugrundeliegenden Aktien relativ zum Volumen der Emission bzw. der Leerverkäufe; – Attraktivität der Investment Story für Aktieninvestoren; – Allgemeines Kapitalmarktumfeld zum Zeitpunkt der Emission. Leopold/Schröter | 401
10.86
§ 10 | Equity-Linked-Emissionen aus Sicht der Investmentbank
10.87 Die Liquidität gemessen in Form des durchschnittlichen täglichen Handelsvolumens einer
Aktie ist eines der wesentlichen quantitativen Kriterien für das Ausmaß einer möglichen Kursbeeinflussung. Dabei wird unterstellt, dass Aktien mit höherer Liquidität den technisch induzierten Verkaufsdruck sowie den damit verbunden erhöhten Umsatz leichter absorbieren können. Basierend auf den tatsächlichen Beobachtungen ist im Ergebnis festzuhalten, dass es neben der Liquidität einer Aktie weitere qualitative Kriterien gibt, die über das Ausmaß einer Kursbeeinflussung mitentscheiden (z.B. geplante Mittelverwendung).
10.88 Daneben lässt sich beobachten, dass die Kursbeeinflussung in der Regel an den der Emission folgenden Handelstagen zumindest teilweise korrigiert wird. c) Maßnahmen zur Begrenzung des Kurseinflusses
10.89 Es ist eine der wesentlichen Aufgaben der begleitenden Investmentbank, die Kursbeeinflussung der zugrundeliegenden Aktien im Zuge einer Emission aktienverwandter Instrumente weitestgehend zu minimieren.
10.90 Dies kann beispielsweise durch eine zeitgleiche Vermarktung der Investment Story der
zugrundeliegenden Aktien durch die Aktien-Sales-Teams der Investmentbank an Aktieninvestoren geschehen, für die ein technisch bedingter, kurzzeitig leicht reduzierter Kurs eine attraktive Investitionsgelegenheit sein kann.
10.91 Zur Begrenzung der auf Hedge Fund-Strategien zurückzuführenden Kursbeeinflussung
kann ferner die Vermarktung und Allokation der aktienverwandten Instrumente schwerpunktmäßig an Fundamental- und in geringerem Umfang an Fixed Income-Investoren erfolgen, die in der Regel ohne einen gleichzeitigen Leerverkauf der zugrundeliegenden Aktien oder eine Absicherung gegen Bonitätsrisiken des Emittenten investieren.
10.92 Des Weiteren kann in bestimmten Fällen die Verwendung von Strukturen mit möglichst
hohem Bond Floor eine geeignete Maßnahme zur Minimierung einer negativen Kursreaktion sein. Dies geschieht in der Regel durch die Wahl kürzerer Laufzeiten, höherer Wandlungsprämien und damit eines relativ betrachtet höheren Barkupons. Je höher der Bond Floor eines aktienverwandten Instruments ist, desto geringer die Aktienpreissensitivität und damit die Leerverkaufsaktivität von Hedge Funds.
10.93 Als weiteres Instrument hat sich die „organisierte Bereitstellung“ von Leerverkaufspositio-
nen durch die Bank bewährt. Dabei platziert die Bank parallel zur Vermarktung der aktienverwandten Instrumente die zugrundeliegenden Aktien in organisierter Form bei Aktieninvestoren. Das Volumen der Platzierung orientiert sich dabei am Delta des Instruments und der erwarteten Zuteilung an Hedge Funds. Statt einer Reihe unkoordinierter Leerverkäufe einzelner Investoren, die vom Markt nur schwer absorbiert werden können, werden bei der beschriebenen Vorgehensweise durch klare Kommunikation, professionelle Vermarktung und gezielte Ansprache investitionswilliger Aktienfonds die negativen Auswirkungen der Leerverkäufe minimiert.
10.94 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Emission einer Wandelanleihe mit einem Ak-
tienrückkauf des Unternehmens zu verbinden. Die im Zuge der Platzierung generierten zusätzlichen Verkaufsorders („Delta“ der Emission) werden in diesem Falle vom Unternehmen selbst absorbiert. Die Finanzierung des Rückkaufs erfolgt durch die Verwendung eines Teils der Erlöse der Wandelanleihe. Gleichzeitig sendet das Unternehmen ein positives Signal hinsichtlich der Einschätzung des Kurspotenzials der eigenen Aktie. 402 | Leopold/Schröter
§ 11 Wandel- und Optionsanleihen
__ __ _ __ __ __ _ _ __ __ __ __ _ _ __ __ _ _ __ _ _
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 a) Wandelanleihe . . . . . . . . . . . . 11.2 b) Optionsanleihe . . . . . . . . . . . 11.3 c) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . 11.4 2. Zweck der Begebung von Wandelund Optionsanleihen . . . . . . . . . 11.5 3. Gestaltungsformen . . . . . . . . . . 11.7 a) Direkte und indirekte Emission 11.7 b) Ausgabe gegen Sacheinlage . . . 11.8 c) Wandlungsrecht des Emittenten („CoCo“- und „CoCoCo“-Bonds) 11.9 d) Hybrid-Wandelanleihe . . . . . . 11.11a 4. Abgrenzung zu verwandten Finanzierungsformen . . . . . . . . 11.12 5. Rechtsstellung des Anleihegläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . 11.15 II. Überblick über das Platzierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezugsrechtsemission . . . . . . . . 2. Beschleunigtes BookbuildingVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrzuteilungsoption . . . . . . . . III. Begebungsvoraussetzungen . . . . 1. Gremienbeschlüsse . . . . . . . . . . a) Hauptversammlungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis . . . . . . . . . . . bb) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnutzungsbeschluss der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherstellung der Erfüllung der Wandlungs- und Optionsrechte . a) Bedingtes Kapital . . . . . . . . . . b) Genehmigtes Kapital . . . . . . . . c) Eigene Aktien . . . . . . . . . . . . d) Vereinbarungen mit einem Dritten (synthetische bzw. eigenkapitalneutrale Wandel-/ Optionsschuldverschreibung) . . e) Option zur Lieferung von Aktien einer Konzerngesellschaft . . . . . f) Pflicht zur Absicherung der Lieferungspflicht? . . . . . . . . . . 3. Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG analog) . . . . . . . . . . . .
11.16 11.16 11.22 11.24 11.25 11.25 11.25 11.25 11.28 11.30 11.33 11.33 11.38 11.39
11.42 11.45 11.46 11.47 11.47 11.49
_ __ __ _ __ _ __ _ __ __ __ __ __ __ _ __ _ __ _ _ _
4. Besonderheiten bei der Einschaltung einer ausländischen Zweckgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 11.51 IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wandlungs- bzw. Optionsfrist . . 2. Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . 5. Barzahlung statt Lieferung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . 7. Begründung einer Wandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anpassung der Wandlungs- bzw. Bezugsbedingungen . . . . . . . . . a) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht b) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . . . . . . . . . . . c) Ausschüttungen, Ausgabe von Finanzinstrumenten . . . . . . . . 9. Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . 10. Schutz bei Übernahme und Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . 11. Squeeze-Out . . . . . . . . . . . . . . 12. Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Kündigungsrechte . . . . . . . . . . . 14. Besonderheiten bei HybridWandelanleihen . . . . . . . . . . . . 15. Richterliche Inhaltskontrolle . . . V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten . . . . . . 1. Platzierung . . . . . . . . . . . . . 2. Börsenzulassung . . . . . . . . . . 3. Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . a) Prospektpflicht . . . . . . . . . b) Zuständige Behörde für die Prospektbilligung . . . . . . . . c) Prospektinhalt . . . . . . . . . . 4. Transparenzpflichten . . . . . . VI. 1. 2. 3.
. . . . .
. . . . .
11.53 11.54 11.56 11.57 11.59 11.60 11.62 11.63 11.67 11.68 11.69 11.71 11.72
11.74 11.75 11.78 11.78a 11.78c 11.79 11.80 11.80 11.81 11.82 11.82
. . 11.83 . . 11.84 . . 11.85
Umstrukturierungen . . . . . . . . . Rückkauf der Anleihe . . . . . . . . „Incentivierung“ zur Wandlung . „Umwandlung“ einer Anleihe in eine Wandelschuldverschreibung 4. Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz . . . .
11.89 11.89 11.90 11.91 11.94
Schlitt | 403
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen Schrifttum: Angerer/Pläster, Steine statt Brot für Wandel- und Optionsanleihe-Emittenten, NZG 2008, 326; Apfelbacher/Kopp, Pflichtwandelanleihen als sonstiges (hybrides) Kernkapital, CFL 2011, 21; Assmann, Anleihebedingungen und AGB-Recht, WM 2005, 1053; Becker/Otte, Ist das Ende von isolierten Mindestausgabebeträgen bei bedingten Kapitalerhöhungen wirklich schon eingeläutet?, NZG 2008, 485; Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, Contingent Convertible Bonds als regulatorisches Kernkapital, Recht der Finanzinstrumente, 2011, S. 48; Böttcher/Kautzsch, Rechtssicherheit für Wandelschuldverschreibungen, NZG 2009, 978; Busch, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss bei Wandel- und Optionsanleihen, AG 1999, 58; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000; Drinhausen/Hamann, Gestaltungsmöglichkeiten der Preisfindung bei der Bezugsemission von Wandelschuldverschreibungen, FB 2004, 628; Drinhausen/Keinath, Nutzung eines bedingten Kapitals bei Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen gegen Sachleistungen, BB 2011, 1736; Eichmann, Wandelanleihen: Emissionsprospekte kritisch prüfen, Die Bank 2001, 60; Engelhardt, Convertible Bonds im Squeeze-out, 2007; Falkenhausen/Klitzing, Wandelanleihen als poison pill, ZIP 2006, 1513; Frey/ Hirte, Das Vorab-Bezugsrecht auf Aktien und Optionsanleihen, ZIP 1991, 697; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, 2000; Heldt, Die „kollektive“ Bindung im Entwurf des Schuldverschreibungsgesetzes – Willensbildung und AGB-Kontrolle in Vertragsnetzwerken, FS Teubner, 2009, S. 315; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, Diss. Tübingen, 1991; Fuchs, Selbständige Optionsscheine als Finanzierungsinstrument der Aktiengesellschaft, AG 1995, 433; Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien bei Optionsanleihen und Wandelschuldverschreibungen, 1999; Gebhardt, Finanzwirtschaftliche Betrachtungen zur Emission von Optionsanleihen, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 40 (1988), 896; Gelhausen/Rimmelspacher, Wandel- und Optionsanleihen in den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen des Emittenten und des Inhabers, AG 2006, 729; Georgakopoulos, Zur Problematik der Wandelschuldverschreibungen, ZHR 120 (1957), 84; Groß, Isolierte Anfechtung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss bei der Begebung von Optionsanleihen, AG 1991, 201; Gustavus, Die Sicherung von mit ausländischen Optionsanleihen verbundenen Bezugsrechten auf deutsche Aktien, BB 1970, 694; Habersack, Anwendungsvoraussetzungen und –grenzen des § 221 AktG, dargestellt am Beispiel von Pflichtwandelanleihen, Aktienanleihen und „warrants“, FS Nobbe 2009, S. 539; Häuselmann, Bilanzielle und steuerliche Erfassung von Hybridanleihen, BB 2007, 931; Hirte, Bezugsrechtsfragen bei Optionsanleihen, WM 1994, 321; Hirte, Wandel- und Optionsanleihen im Rechtsvergleich, ZGR-Sonderheft Nr. 16/2000, S. 1; Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Europa, DB 2000, 1949; Hoffmann, Optionsanleihen ausländischer Töchter unter der Garantie ihrer deutschen Muttergesellschaft, AG 1973, 47; Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten, 2000; Holland/ Goslar, Die Bedienung von Wandelanleihen aus genehmigtem Kapital, NZG 2006, 892; Ihrig, Geklärtes und Ungeklärtes zum Vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, Liber amicorum Happ, 2006, S. 109; Just, Kapitalerhöhung, Wandelschuldverschreibung/„Mindestausgabebetrag“, EWiR 2010, 41; Kerber, Eigenkapitalverwandte Finanzierungsinstrumente, 2002; Klawitter, Zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss gem. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen, AG 2005, 792; Kniehase, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen, AG 2006, 180; Lutter, Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, AG 1972, 125; Lutter/Drygala, Die zweite Chance für Spekulanten? – Zur nachträglichen Korrektur der Konditionen von Optionsschuldverschreibungen, FS Claussen, 1997, S. 261; Maidl, Die Wandelschuldverschreibung bei der GmbH, NZG 2006, 778; Maier-Reimer, Bedingtes Kapital für Wandelanleihen, GS Bosch, 2006, S. 85; Marsch-Barner, Zum Bezugsrechtsausschluss bei Auslandsoptionsanleihen, Anm. zu OLG München, WuB II A. § 221 AktG 3.91; Martens, Die bilanzrechtliche Behandlung internationaler Optionsanleihen nach § 150 Abs. 2 AktG, FS Stimpel, 1985, S. 621; Martens, Die mit Optionsrechten gekoppelte Aktienemission, AG 1989, 69; Martens, Die rechtliche Behandlung von Options- und Wandlungsrechten anlässlich der Eingliederung der verpflichteten Gesellschaft, AG 1992, 209; Meiisel/Bokeloh, Handels- und steuerrechtliche Aspekte der indirekten Emission von Wandelanleihen beim Emittenten, CFL 2010, 35; Oho/Behrens, Steuerliche Aspekte bei der Ausgabe von Wandel- oder Optionsanleihen über ausländische Konzerngesellschaften, IStR 1996, 313; Paefgen, Eigenkapitalderivate bei Aktienrückkäufen und Managementbeteiligungsmodellen, AG 1999, 67; Pluskat, Neues zum Ausgabebetrag bei Wan-
404 | Schlitt
Wandel- und Optionsanleihen | § 11 delschuldverschreibungen, DB 2008, 975; Roth/Schoneweg, Emission selbständiger Aktienoptionen durch die Gesellschaft, WM 2002, 677; Rozijn, Wandelanleihe mit Wandlungspflicht – eine deutsche equity note?, ZBB 1998, 77; Schäcker/Johannson/Haberfellner, Non-dilutive Convertible Bonds: A new kid in town, CFL 2016, 49; Schäfer, F.A., Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland – Praxisprobleme von Equity-linked-Emissionen, ZGR Sonderheft Nr. 16, 2000, S. 62; Schäfer, H., Renaissance der Wandelanleihen – Neuere Kontraktstrukturen und deren Kapitalmarktrelevanz, FB 2002, 514; Schanz, Wandel- und Optionsanleihen, BKR 2011, 410; Schaub, Nochmals „Warrant-Anleihen“ von Tochtergesellschaften, AG 1972, 340; Schlitt/Löschner, Abgetrennte Optionsrechte und Naked Warrants, BKR 2002, 150; Schlitt/Mihm, Mandatory Convertibles im Fokus der Emittenten, Börsen-Zeitung vom 5.2.2003, S. 13; Schlitt/Schäfer, Wandel- und Optionsanleihen, CFL 2010, 252; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes auf Aktien- und EquityLinked-Emissionen, AG 2005, 498; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen der Umsetzung der Transparenzrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie auf Aktien- und Equity-Linked-Emissionen, AG 2007, 227; Schlitt/Seiler/Singhof, Aktuelle Rechtsfragen und Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Wandelschuldverschreibungen, AG 2003, 254; Schnorbus/Trapp, Die Ermächtigung des Vorstandes zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen gegen Sacheinlage, ZGR 2010, 1023; Schumann, Optionsanleihen, 1990; Seibt, Wandelschuldverschreibungen: Marktbericht, Dokumentationen und Refinanzierungsoptionen, CFL 2010, 165; Siebel, Delisting von Anleihen sowie Folgen eines Delisting bei verbrieften Bezugsrechten und Indexzertifikaten, ZGR 2002, 842; Silcher, Bedingtes Kapital für „Warrant-Anleihen“ von Tochtergesellschaften, FS Geßler, 1971, S. 185; Singhof, Der „erleichterte“ Bezugsrechtsausschluss im Rahmen von § 221 AktG, ZHR 170 (2006), 673; Singhof/Weber, Neue kapitalmarktrechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb eigener Aktien, AG 2005, 549; Spiering/ Grabbe, Bedingtes Kapital und Wandelschuldverschreibungen – Mindestausgabebetrag und Errechnungsgrundlagen im Rahmen des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG, AG 2004, 91; Steiner, Zulässigkeit der Begebung von Optionsrechten auf Aktien ohne Optionsschuldverschreibung (naked warrants), WM 1990, 1776; Ulmer/Ihrig, Ein neuer Anleihetyp: Zero-Bonds, ZIP 1985, 1169; Umbeck, Zulässigkeit eines Mindestausgabebetrages bei der bedingten Kapitalerhöhung zur Bedienung von Wandelschuldverschreibungen, AG 2008, 67; Volhard, Das Bezugsrecht und sein Ausschluss bei Optionsanleihen der Aktiengesellschaft und ausländischer Finanzierungstöchter, 1995; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004; Wehrhahn, Wandelschuldverschreibungen nach der Aktienrechtsnovelle 2016, GWR 2016, 133; Wieneke, Die Incentivierung der vorzeitigen Ausübung des Wandlungsrechts, WM 2017, 698; Wilk/Schlee, Incentivised Conversion – Die Incentivierung der Wandlung bei Wandelschuldverschreibungen, ZIP 2016, 2041; Wiese/Dammer, Zusammengesetzte Finanzinstrumente der AG, DStR 1999, 867; Wolff, Bedingtes Kapital für warrant-Anleihen, Huckepack-Emissionen und naked warrants?, WiB 1997, 505; Zahn/Lemke, Anleihen als Instrument der Finanzierung und Risikosteuerung, BKR 2002, 527. Ich danke meinen Mitarbeitern Andreas Mildner und Carlos Landschein für die hilfreiche Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Beitrages anlässlich der Viertauflage.
I. Allgemeines 1. Begriff § 221 Abs. 1 AktG definiert Wandelschuldverschreibungen als Schuldverschreibungen, die dem Gläubiger oder der Gesellschaft ein Umtauschrecht auf Aktien (Wandelanleihen im engeren Sinne) oder ein Bezugsrecht auf Aktien gewähren (Optionsanleihen).
11.1
a) Wandelanleihe Wandelanleihen im engeren Sinne räumen den Gläubigern das Recht ein, entweder den Rückzahlungsanspruch aus der Schuldverschreibung geltend zu machen oder – unter AufSchlitt | 405
11.2
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
gabe der Gläubigerposition – das Recht auf Wandlung der Schuldverschreibung in Aktien auszuüben1. In den Anleihebedingungen wird ein Wandlungspreis (conversion price) festgelegt, so dass die Wandlung für den Anleihegläubiger wirtschaftlich nur dann sinnvoll ist, wenn der Kurs der Aktien den Wandlungspreis überschritten hat2. Infolge der Wortlauterweiterung durch die Aktienrechtsnovelle 20163 sind nunmehr auch umgekehrte Wandelanleihen, bei denen das Umtauschrecht der Gesellschaft zusteht, von der Regelung des § 221 AktG erfasst. b) Optionsanleihe
11.3
Optionsanleihen gewähren dem Inhaber ebenfalls das Recht, Aktien des emittierenden Unternehmens zu erwerben. Im Unterschied zur Wandelanleihe ist das Anleiheelement jedoch vom Optionsrecht unabhängig. In der Regel kann das Optionsrecht – unter Umständen bereits unmittelbar nach Begebung der Anleihe – von der Anleihe getrennt und separat gehandelt werden4. Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass bei Ausübung des Optionsrechts der Anleihebetrag zur Zahlung des Einlagepreises in Anrechnung gebracht werden darf5. c) Rechtsnatur
11.4
Wandel- und Optionsanleihen sind als Schuldverschreibungen zunächst nur schuldrechtlicher Natur. Bis zur Ausübung des Wandlungs- bzw. Optionsrechts treten auch keine Vorwirkungen mitgliedschaftlicher Natur ein (Rz. 11.15)6. Die Anleiheinhaber sind daher in erster Linie Gläubiger der Gesellschaft. Aufgrund der Kombination von Anleihe- und Aktienelement werden Wandelanleihen ähnlich wie Umtauschanleihen als hybride Instrumente oder Equity-linked Notes bezeichnet7. 1 Schumann, Optionsanleihen, S. 30; Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 22; zu Rechtsfragen und Gestaltungsmöglichkeiten mit Wandelschuldverschreibungen Seibt, CFL 2010, 165 ff.; Schlitt/ Schäfer, CFL 2010, 252 ff.; Schanz, BKR 2011, 410 ff.; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 ff.; umfassend Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 1 ff. Zivilrechtlich ist das Wandlungsrecht zumeist als Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) ausgestaltet, dazu statt vieler Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 114. 2 Die Differenz zwischen dem Aktienkurs der Aktien der Gesellschaft und dem Wandlungspreis im Zeitpunkt der Platzierung der Anleihe (reference price) wird als Prämie (premium) bezeichnet. 3 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565. 4 Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261, 263; Wiese/Dammer, DStR 1999, 867, 868; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen, S. 2; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 13, 32. 5 Wiese/Dammer, DStR 1999, 867, 868; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 34. Insoweit kann den Inhabern der Optionsanleihe das Recht eingeräumt werden, bei Inanspruchnahme des Optionsrechts ihre Schuldverschreibung in Zahlung zu geben oder die Schuldverschreibung in Verbindung mit der Ausübung des Optionsrechts vorzeitig fällig zu stellen und ihren Rückzahlungsanspruch zu verrechnen. (Zur Unanwendbarkeit der Sacheinlagevorschriften Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 237 f. sowie unten Rz. 11.51). 6 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 27 f. 7 Wiese/Dammer, DStR 1999, 867; Dreyer/Herrmann, BB 2001, 705; Rozijn, ZBB 1998, 77, 85, insbes. Fn. 54; Scherrer, DStR 1999, 1205; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 31 f. („Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten“).
406 | Schlitt
Wandel- und Optionsanleihen | § 11
2. Zweck der Begebung von Wandel- und Optionsanleihen Der Zinssatz (coupon) ist bei einer Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung wegen des zusätzlichen Bezugsrechts auf Aktien typischerweise niedriger als bei gewöhnlichen Anleihen. Damit ermöglicht die Ausgabe von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen der emittierenden Gesellschaft eine günstigere Fremdfinanzierung8. Steigen die Kurse der angebotenen Aktien über den in den Bedingungen einer Wandelschuldverschreibung festgelegten Wandlungspreis und wird demzufolge das Recht auf den Bezug der Aktien ausgeübt, muss die Gesellschaft die Anleihe nicht zurückzahlen. Es kommt zu einer Umwandlung der Fremdmittel in Eigenkapital9. Im Vergleich zu einer direkten Emission von Aktien im Wege der Kapitalerhöhung kann das Unternehmen Wandelschuldverschreibungen bei einem voraussichtlich steigenden Aktienkurs oftmals besser platzieren10. Um bei Fälligkeit der Anleihe eine Belastung der Gesellschaft durch eine Barzahlungspflicht zu vermeiden, werden teilweise auch Pflichtwandelanleihen begeben (Rz. 11.63 ff.). Insbesondere von Banken und Versicherungen werden im Hinblick auf deren mögliche Anerkennung als regulatorisches Eigenkapital auch Wandelschuldverschreibungen mit einer (nahezu) unbegrenzten Laufzeit platziert.
11.5
Aus Sicht des Anlegers bieten Wandel- und Optionsschuldverschreibungen wegen der Verknüpfung eines (regelmäßig festen) Zinssatzes bei grundsätzlicher Rückzahlbarkeit des Nennbetrages11 auf der einen und dem Recht auf den Bezug von Aktien auf der anderen Seite eine attraktive Kapitalanlage, die eine Spekulationsmöglichkeit auf eine günstige Entwicklung des Aktienkurses mit einer Risikobegrenzung nach unten (downward protection) kombiniert12. Während Wandelschuldverschreibungen als Baustein der Unternehmensfinanzierung einen hohen Stellenwert haben, kommt Optionsanleihen seit mehreren Jahren nur noch geringe Bedeutung zu, wobei das Instrument bei Fremdwährungsemissionen wieder an Verbreitung gewinnen könnte (s. Rz. 10.5)13.
11.6
3. Gestaltungsformen a) Direkte und indirekte Emission Bei der Strukturierung von Wandelschuldverschreibungen ist zu entscheiden, ob die Begebung direkt durch die Aktiengesellschaft oder indirekt unter Einschaltung einer auslän8 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 7; Rozijn, ZBB 1998, 77, 87 f.; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 12, 44, 88; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 532; ausführlich zu den ökonomischen Aspekten Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 34 ff. 9 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 41 („gestreckte Aufnahme von Eigenkapital“). 10 Hirte, WM 1994, 321, 322 f.; Schumann, Optionsanleihen, S. 47 f.; Seidel/Will, Börsen-Zeitung vom 27.2.1999, S. B 4. 11 Einen Sonderfall bilden Hybrid-Wandelanleihen mit (nahezu) unbegrenzter Laufzeit, zu Hybridanleihen s. § 18. 12 Eichmann, Die Bank 2001, 60; Rozijn, ZBB 1998, 77, 78, 87; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsanleihen, S. 29 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 10. Zur Möglichkeit, eine Wandelanleihearbitrage zu nutzen, Peetz/Compton, Die Bank 2003, 202. 13 Hinzuweisen ist insoweit jedoch auf die im Rahmen ihrer „All in one“-Transaktion begebene Optionsanleihe der Allianz SE, vgl. die Ad-hoc-Mitteilung der Allianz AG v. 26.1.2005.
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11.7
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
dischen Zweckgesellschaft erfolgen soll14. Bei der Zweckgesellschaft handelt es sich zumeist um eine 100 %-ige Finanztochtergesellschaft des Emittenten mit Sitz außerhalb Deutschlands15. Die Ausgabe über eine ausländische Zweckgesellschaft kann steuerliche Vorteile mit sich bringen, wobei das Gewicht dieser Vorteile im Zuge der Platzierung in der jüngeren Vergangenheit abgenommen hat (dazu im Einzelnen Rz. 14.43 ff.)16. Um die Gefahr einer verdeckten Sacheinlage zu vermeiden, ist die Struktur indessen recht komplex: Im Falle der Emission über eine ausländische Zweckgesellschaft gibt die Muttergesellschaft gegenüber der als Hauptwandlungsstelle fungierenden Bank eine zu Gunsten der Anleihegläubiger wirkende Verpflichtungserklärung ab, nach der sie im Wandlungsfall eine entsprechende Anzahl von Aktien zu liefern hat. Darüber hinaus gibt sie im Hinblick auf von der Anleiheschuldnerin auf die Schuldverschreibungen zu zahlenden Beträge eine Garantieerklärung ab, die ebenfalls zu Gunsten der Anleihegläubiger wirkt. Außerdem schließt die Zweckgesellschaft mit der deutschen Muttergesellschaft einen Darlehensvertrag über die Weiterleitung des Emissionserlöses ab. Die Zweckgesellschaft tritt ihre Ansprüche aus dem Darlehensvertrag sodann an die für Rechnung der Anleihegläubiger handelnde Bank ab (zu den Einzelheiten Rz. 11.51 f.). Aufgrund der Komplexität stehen den möglichen Steuervorteilen Aufwand und Kosten für die Gründung einer geeigneten Finanztochter im Ausland gegenüber. Zudem fallen Kosten in Höhe der Marge an, die von der Zweckgesellschaft für die Weitergabe des Emissionserlöses als Darlehen an die Muttergesellschaft zu berechnen und im Sitzstaat der Zweckgesellschaft zu besteuern ist. Daher wird in der jüngeren Vergangenheit, insbesondere durch kleinere Emittenten, häufiger eine direkte Emission in Erwägung gezogen17. Jedoch kann, insbesondere in Zeiten steigender Zinsen, die Erwartung der Investoren bestehen, für die damit einhergehende steuerliche Belastung eine Kompensation in Form höherer Zinsen oder eines Ersatzes der Steuernachteile (sog. Tax Gross-up) zu erhalten18. b) Ausgabe gegen Sacheinlage
11.8
In aller Regel werden Wandelschuldverschreibungen gegen Barzahlung ausgegeben. Es ist jedoch im Ausgangspunkt auch denkbar, dass einzelne Investoren, insbesondere, wenn das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen ist, eine Sacheinlage erbringen19. Sofern die Sacheinlage bei Ausgabe der Wandelschuldverschreibung bereits feststeht und unter Beachtung der Sacheinlagevorschriften bewertet wurde, spricht viel dafür, dass die Privilegierungsbestimmung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung findet und eine weitere Bewertung im Zeitpunkt der Wandlung nicht erforderlich ist20. 14 Zu Überlegungen hinsichtlich der Einräumung von Wandlungsrechten auch auf Anteile einer GmbH s. Maidl, NZG 2006, 778. 15 Zur Frage, ob neben 100 %igen Tochtergesellschaften auch andere Gesellschaften in Betracht kommen, vgl. Frey in Großkomm. AktG, § 192 Rz. 73 m.w.N., Rz. 79; Hirte in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, § 35 Rz. 35.20. 16 Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35; Wiese/Dammer, DStR 1999, 867. 17 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 254 mit Beispielen. 18 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 254. 19 Zur erforderlichen Ermächtigung durch die Hauptversammlung Schnorbus/Trapp, ZGR 2010, 1023 ff. 20 Ausführlich dazu: Drinhausen/Keinath, BB 2011, 1736, 1739 ff.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 231. Sofern die Wandlungsrechte durch bedingtes Kapital abgesichert werden (Rz. 11.33), muss der Hauptversammlungsbeschluss die Festsetzungen nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG enthalten.
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c) Wandlungsrecht des Emittenten („CoCo“- und „CoCoCo“-Bonds) Infolge der Verschärfung der regulatorischen Anforderungen an das Eigenkapital von Banken und Versicherungen ist in den letzten Jahren eine besondere Form von Wandelanleihen entstanden, sog. Contingent Convertible Bonds (CoCo-Bonds)21. Sie haben typischerweise eine lange Laufzeit und wandeln sich bei Eintreten bestimmter Bedingungen (sog. Trigger Events) in Aktien des Emittenten um22. Der Wandlungspreis bestimmt sich im Fall des Eintritts der Bedingungen typischerweise nach dem durchschnittlichen VWAP der zu Grunde liegenden Aktien über einen Zeitraum von mehreren Tagen vor Bekanntmachung des Bedingungseintritts.
11.9
Gesellschaftsrechtlich ist die Begebung von Anleihen, die sich bei Eintritt bestimmter Bedingungen in Aktien wandeln, zulässig. Sie unterfallen als Wandelanleihen § 221 AktG, der nach h.M. auch Pflichtwandelanleihen (s. Rz. 11.63 ff.) erfasst, die aufgrund der in jedem Fall erfolgenden Wandlung weiter in die Rechte der Aktionäre eingreifen als bedingte Pflichtwandelanleihen wie CoCo-Bonds. Auch ist es nach h.M. zulässig, bedingtes Kapital zur Sicherung der Wandlungsrechte (bedingter) Pflichtwandelanleihen zu nutzen. Mit der Aktienrechtsnovelle 2016 ist eine Klarstellung dahingehend erfolgt, dass auch Anleihen mit Wandlungsrecht des Emittenten dem Begriff der Wandelanleihe unterfallen und mit bedingtem Kapital unterlegt werden dürfen23. Zudem gilt die Grenze von 50 % des Grundkapitals für das bedingte Kapital nicht mehr für solche Fälle, in denen die Gesellschaft nur für den Fall ihrer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder zur Abwendung einer Überschuldung zum Umtausch berechtigt ist (§ 192 Abs. 3 Satz 3 AktG). Aus der Formulierung „zur Abwendung“ folgt, dass die Überschuldung noch nicht eingetreten sein muss24. Dies entspricht dem Anliegen der Aktienrechtsnovelle, in Gestalt der umgekehrten Wandelanleihen ein sinnvolles Instrument zur Verhinderung und Bewältigung von Unternehmenskrisen zu schaffen25.
11.10
Über CoCo-Bonds hinaus, bei denen Trigger Events i.d.R. die Eigenkapitalausstattung des Emittenten betreffen, sind auch außerhalb des Banken- und Versicherungsbereichs von Unternehmen begebene bedingte Pflichtwandelanleihen („Contingent Corporate Convertible Bonds“ [„CoCoCo“-Bonds]) denkbar. So kommt etwa in Betracht, eine Wandelanleihe im Akquisitionsfall zur Finanzierung zu verwenden, die sich mit jeder Kartellfreigabe automatisch in eine Beteiligung am Eigenkapital wandelt. Noch weitergehend sind Konstellationen denkbar, in denen nicht etwa eine konkret anstehende Akquisition per CoCoCo-Bond finanziert werden soll, sondern der Emittent abstrakt für mögliche Akquisitionen auf diese Art Finanzmittel aufnimmt, die im Fall der Durchführung einer Akquisition in Aktien gewandelt werden26.
11.11
21 Zu Pflichtwandelanleihen als sonstigem Kernkapital ausführlich Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 ff.; Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, Recht der Finanzinstrumente, 2011, 48 ff. 22 Beispiele sind die Enhanced Capital Notes der Lloyd Banking Group (2009) und die Tier 2 Buffet Capital Notes der Credit Suisse (2011). 23 S. Rz. 11.2; zur Aktienrechtsnovelle 2016 und den Implikationen für Wandelanleihen Wehrhahn, GWR 2016, 133 ff.; zur Unterlegung umgekehrter Wandelanleihen mit einem bedingten Kapital Fest in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 221 AktG Rz. 145 f. 24 Begr. RegE v. 18.3.2015, BT-Drucks. 18/4349, S. 28. 25 Vgl. RegE v. 18.3.2015, BT-Drucks. 18/4349, S. 1. 26 Diese Gestaltung trägt Züge eines SPAC, wobei Emittent im Falle eines CoCoCo-Bonds eine bereits unternehmerisch tätige Gesellschaft wäre. Zu SPACs u.a. Just, ZIP 2009, 1698; Simmat/Siebert, CFL 2010, 13; Simon, CFL 2010, 219; Thiergart/Olbertz, BB 2010, 1547; Zanner/Siebert, CFL 2010, 224; Strohmeier, Special Purpose Acquisition Companies, 2012, passim; s. auch § 4 C, Rz. 4.155 ff.
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d) Hybrid-Wandelanleihe
11.11a
Eine weitere Möglichkeit der Strukturierung von Wandelanleihen ist die Ausgestaltung als Hybrid-Wandelanleihe. Dabei werden die Anleihebedingungen der Wandelanleihe um typische Elemente von Hybridanleihen ergänzt, so dass Merkmale von Fremd- und Eigenkapital miteinander kombiniert werden. So weist eine Hybrid-Wandelanleihe (wie eine Hybridanleihe27) u.a. keine Laufzeitbegrenzung auf, bietet Investoren nur in sehr eingeschränktem Maß die Möglichkeit zur Kündigung und vorzeitigen Rückzahlung und ist vertraglich gegenüber allen anderen nachrangigen Verbindlichkeiten des Emittenten subordiniert28.
11.11b
Die Motive des Emittenten zur Begebung einer Hybrid-Wandelanleihe entsprechen weitestgehend denen bei der „einfachen“ Hybridanleihe. Durch zielgerichtete Strukturierung der Anleihebedingungen hat der Emittent die Möglichkeit, ohne oder bei nur moderater Erhöhung des wirtschaftlichen Verschuldungsgrades Fremdkapital, das bilanziell als Eigenkapital ausgewiesen werden kann, aufzunehmen sowie entstehenden Zinsaufwand steuerlich abziehen zu können29. Insbesondere spielt die mögliche Eigenkapitalanrechnung des Emissionserlöses bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit des Emittenten durch Ratingagenturen eine Rolle. Denn durch eine hohe Eigenkapitalanrechnung wird die Kreditwürdigkeit des Emittenten höher eingestuft, so dass die Aufnahme zusätzlicher Fremdmittel durch Kreditgeber erleichtert wird30. Während die Begebung von HybridWandelanleihen etwa im Vereinigten Königreich und den U.S.A. für Emittenten bereits seit Längerem eine gängige Option ist, ist sie in Deutschland bislang nur vereinzelt vorgekommen31.
4. Abgrenzung zu verwandten Finanzierungsformen 11.12 Weitere Finanzierungsinstrumente, die ihre Grundlage in § 221 AktG finden, sind Ge-
winnschuldverschreibungen und Genussrechte. Bei der Gewinnschuldverschreibung handelt es sich um eine Schuldverschreibung, bei der neben einer Geldforderung weitere Rechte der Gläubiger verbrieft werden, die „mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden“32. Genussrechte räumen Investoren Vermögensrechte ein, die typischerweise Aktionären zustehen (s. dazu eingehend § 13).
11.13 Selbständige Optionsscheine (naked warrants) verbriefen ein Bezugsrecht (Optionsrecht) auf Aktien des Emittenten, werden aber eigenständig, also weder in Verbindung mit einer Wandel- oder Optionsanleihe noch in Kombination mit anderen Finanzierungsinstrumenten (wie etwa dem Genussschein oder der Aktie), ausgegeben. In Deutschland ist die Ausgabe von selbständigen Optionsrechten bislang selten geblieben. Hauptgrund für diese Zu-
27 Ausführlich zur Hybridanleihe § 18. 28 Zu den einzelnen Ausgestaltungsmerkmalen Rz. 11.53. 29 S. ausführlich Rz. 18.3 ff. und insbesondere zur Ertragsbesteuerung und Kapitalertragssteuer Rz. 18.13 ff., 18.17; Häuselmann, BB 2007, 931 ff. 30 Dazu und zu den entsprechenden Kriterien der Ratingagenturen ausführlich Rz. 18.6 sowie Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 39 Rz. 3. 31 So etwa die Emission des Hamburger SDAX-Unternehmen Capital Stage AG (heute Encavis AG) über eine niederländische Finanztochter (September 2013). 32 So kann sich die Höhe des Zinssatzes an den Gewinnanteilen der Aktionäre orientieren, s. Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 123.
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rückhaltung dürfte sein, dass ihre aktienrechtliche Zulässigkeit immer noch umstritten, wenn auch richtigerweise anzuerkennen ist33. Bei gedeckten Optionsscheinen (covered warrants) handelt es sich um Optionsrechte auf bereits bestehende Aktien einer Drittgesellschaft, die in der Regel von Kreditinstituten begeben werden.
11.14
5. Rechtsstellung des Anleihegläubigers Inhaber von Wandel- und Optionsanleihen sind in erster Linie Gläubiger der Gesellschaft. Trotz ihres eigenkapitalähnlichen Charakters vermitteln diese Anleihen keine aktienrechtlichen Mitgliedschaftsrechte (Stimmrecht, Dividendenrecht, Anfechtungsrecht).
11.15
II. Überblick über das Platzierungsverfahren 1. Bezugsrechtsemission Bei der Begebung von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen steht den Aktionären ein Bezugsrecht auf einen ihrer Beteiligung entsprechenden Anteil der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen zu (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG i.V.m. § 186 AktG)34. Bezugsrechtsemissionen von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen stellen daher zwar die gesetzliche Regel, in der Praxis wegen des damit verbundenen Aufwandes und der notwendigen Verlängerung des zeitlichen Vorlaufs jedoch die Ausnahme dar35. Bezugsrechtsemissionen werden gewählt, wenn die Ermächtigung zur Ausgabe der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung keine oder keine ausreichende Möglichkeit zum Bezugsrechtsausschluss (s. dazu Rz. 11.47 ff.) vorsieht.
11.16
Im Falle einer Bezugsrechtsemission werden die Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen i.d.R. von einem Kreditinstitut mit der Verpflichtung übernommen, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten. Dabei ist es nach richtiger Ansicht ausreichend, wenn das mittelbare Bezugsrecht (erst) im Ausübungsbeschluss des Vorstandes festgelegt wird36.
11.17
33 Vgl. aber OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, DB 2002, 2638, wonach bedingtes Kapital für die Bedienung von Naked Warrants nicht zur Verfügung steht; dazu auch Klöhn, ZIP 2003, 420. Umfassend zu nackten Optionen Fuchs, AG 1995, 433; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 m.w.N.; Roth/Schoneweg, WM 2002, 677; Kuntz, AG 2004, 480 ff. (Einordnung als Genussrechte i.S.v. § 221 Abs. 3 AktG); Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 37 f.; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539, 556 ff. 34 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 222. Analog § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ist den Aktionären auch bei Wandel- und Optionsschuldverschreibungen, die nicht von der Muttergesellschaft selbst, sondern von einer Zweckgesellschaft emittiert werden (dazu Rz. 11.51), ein Bezugsrecht zu gewähren, vgl. Hirte in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, § 35 Rz. 35.21; Schumann, Optionsanleihen, S. 191 ff. 35 Dazu Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 260 f.; ausführlich zu Bezugsrechtsemissionen Schlitt/ Schäfer, CFL 2011, 410; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175 ff. Die im April 2006 von der EM. TV AG platzierte Wandelanleihe wurde unter Einräumung von Bezugsrechten begeben. 36 Einer ausdrücklichen Festlegung im Ermächtigungsbeschluss bedarf es nicht, Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 260, Fn. 86; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 198; so nun auch Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 39.
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11.18 Der „Ausgabebetrag“ ist dabei nicht zwingend vor dem Beginn der Bezugsfrist festzulegen.
Vielmehr reicht es aus, wenn er erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist in den Gesellschaftsblättern und über ein elektronisches Informationsmedium bekannt gemacht wird. Vor Beginn der Bezugsfrist sind zunächst nur die „Grundlagen für seine Festlegung“ zu veröffentlichen37. Somit kann der Ausgabebetrag auch unter Berücksichtigung des dann geltenden Aktienkurses oder unter Zuhilfenahme des Bookbuilding-Verfahrens bestimmt werden38. Denkbar ist auch, dass sich der Preis an dem im Rahmen eines BookbuildingVerfahrens ermittelten Preis für eine bezugsrechtsfreie Tranche orientiert39.
11.19 Anders als bei der Emission von Aktien erschließt sich aus dem Gesetz nicht ohne wei-
teres, was unter dem Ausgabebetrag einer Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung i.S.v. § 186 Abs. 2 AktG zu verstehen ist. Der von den Investoren zu entrichtende Ausgabepreis allein sagt ohne Berücksichtigung der anderen Parameter nicht genug über den Inhalt der Wandel-/Optionsschuldverschreibung aus. Richtigerweise ist der Begriff des Ausgabebetrags daher als Gesamtheit der Anleihekonditionen zu verstehen40.
11.20 Wegen der Frist des § 186 Abs. 2 AktG für die Festlegung der Anleihekonditionen muss
das Bookbuilding mindestens drei Tage vor dem Ende der Bezugsfrist abgeschlossen sein. Damit verbleiben drei Tage, in denen Altaktionäre ihr Bezugsrecht noch ausüben können41. Die Emissionsbanken wissen daher am Tag der endgültigen Festlegung des Bezugspreises noch nicht sicher, wie viele Aktionäre Wandel-/Optionsschuldverschreibungen beziehen wollen. Diese Ungewissheit über das Bezugsverhalten der Aktionäre kann die erfolgreiche Platzierung bei institutionellen Investoren gefährden. Denn die Emissionsbanken können – entgegen der sonstigen Usancen – gegenüber den Investoren keine verbindlichen Zusagen machen, sondern müssen sich ein Rücktrittsrecht (claw back) vorbehalten. In jedem Fall empfiehlt es sich, die Anleiheemission als „Bis zu“-Emission auszugestalten, so dass das endgültige Volumen der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung erst am Ende der Bezugsfrist festgelegt werden kann.
11.21 Bis zum 1.7.2012 war fraglich, ob ein Angebot an Altaktionäre ein prospektpflichtiges öf-
fentliches Angebot darstellt. Seit Inkrafttreten der Änderung der ProspektVO (VO Nr. 809/2004, zuletzt geändert durch die DelVO Nr. 862/2012) am 1.7.2012 gelten Bezugs-
37 Es ist nicht erforderlich, eine mathematische Formel anzugeben, mit deren Hilfe schon zu Beginn der Bezugsfrist der Ausgabebetrag bzw. seine einzelnen Komponenten errechnet werden können. 38 BT-Drucks. 14/8769, S. 23; Seibert, NZG 2002, 608, 612; im Einzelnen dazu Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 261. Ob der Ansicht von Drinhausen/Hamann, FB 2004, 628, 630 f. gefolgt werden kann, nach der es einer Festlegung von Preisspannen oder Grenzwerten nicht bedarf, erscheint fraglich. 39 Drinhausen/Hamann, FB 2004, 628, 631. Das Bookbuilding für die bezugsrechtsfreie Tranche muss dann aber bereits am dritten Tag vor dem Ende der Bezugsfrist abgeschlossen sein, was praktische Probleme bereitet (Rz. 11.20). 40 Ausführlich dazu Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 261; zustimmend Drinhausen/Hamann, FB 2004, 628, 629. 41 Außerdem sind die Aktionäre nach der Vorstellung des Gesetzgebers offenbar berechtigt, sich die Rücknahme einer vor Festlegung der Konditionen erklärten Bezugserklärung für den Fall der Bekanntgabe eines unerwartet hohen Ausgabebetrags vorzubehalten, BT-Drucks. 14/8769, S. 23; s. auch Seibert, NZG 2002, 608, 612. Das aufgrund der Drei-Tages-Frist verbleibende Kursänderungsrisiko führt dazu, dass das Bedürfnis nach Platzierungen mit Bezugsrechtsausschluss nicht entfallen ist.
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angebote an Aktionäre in jedem Fall als öffentliches Angebot. Im Falle einer Wandelanleiheemission mit Bezugsrecht ist daher nach Auffassung der BaFin ein Prospekt zu erstellen, der inhaltlich dem für einen Börsengang entspricht (Anhänge I und III VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]). Die auf Wandelanleiheemissionen anzuwendenden Anhänge der ProspektVO unterliegen jedoch aktuell einer Überprüfung auf EU-Ebene, so dass möglicherweise künftig geringere Anforderungen an den Prospektinhalt zu stellen sein werden42.
2. Beschleunigtes Bookbuilding-Verfahren Im Regelfall werden Wandel- und Optionsschuldverschreibungen an institutionelle Investoren im Rahmen einer Privatplatzierung veräußert. In diesem Fall bedarf es eines Ausschlusses des Bezugsrechts der Altaktionäre (zu den Voraussetzungen Rz. 11.47 ff.). Die Platzierung erfolgt dann zumeist im Wege des abgekürzten Verfahrens (accelerated placement)43. Da im Falle einer Platzierung ausschließlich bei institutionellen Investoren ein Prospekt nicht zu veröffentlichen ist (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 WpPG; dies gilt ab 21.7.2019 auch nach Inkrafttreten der VO 2017/1129 [Neue ProspektVO44], s. Art. 1 Abs. 4 lit. a), ermöglicht diese Methode einen raschen Zugang zum Kapitalmarkt (quick to market)45.
11.22
Der Übernahmevertrag wird entweder unmittelbar vor Beginn oder unmittelbar nach Abschluss des Accelerated Placements zwischen der Emittentin und den Konsortialbanken abgeschlossen (s. dazu § 30). Die Platzierung erfolgt dann auf Grundlage eines bloßen Termsheets (off termsheet). Bis zur wertpapiertechnischen Lieferung (Begebung)46 und Abrechnung werden außerbörslich und teilweise auch bereits börslich im Open Market (Freiverkehr) der Frankfurter Wertpapierbörse (nur) Lieferansprüche (d.h. Rechte auf den Bezug) der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen mit hinausgeschobenem Settlement (deferred settlement) gehandelt (sog. Handel per Erscheinen47).
11.23
3. Mehrzuteilungsoption Werden Wandelschuldverschreibungen unter Bezugsrechtsausschluss emittiert, wird bisweilen als Stabilisierungsmaßnahme eine Mehrzuteilungsoption vorgesehen48. Die Gesellschaft räumt den Konsortialbanken im Übernahmevertrag eine Mehrzuteilungsoption ein, 42 ESMA Consultation Papter v. 20.6.2012, ESMA/2012/380; Sauter, BaFin-Workshop v. 4./5.6. 2012. 43 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 265. 44 „Neue ProspektVO“ bezeichnet die Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12. 45 Zur vergleichbaren Situation bei Block-Trade-Transaktionen, Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346. 46 Zum Begebungsvertrag zwischen der AG und dem ersten Nehmer des Papiers etwa Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 199 f. 47 § 11 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse, Stand: 3.1.2018. Vgl. dazu Pfüller/Köhler, WM 2002, 781, 783. 48 Groß, ZIP 2002, 160 Fn. 4; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 265 f. Im Vergleich zu Aktienemissionen wird der Greenshoe typischerweise bis zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe (settlement) und damit häufig bereits nach wenigen Tagen ausgeübt.
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11.24
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
d.h. das Recht, über das ursprüngliche Platzierungsvolumen hinaus Wandelschuldverschreibungen zum Ausgabepreis zu platzieren (overallotment option). Da bis zur Zulassung der Anleihe nur Rechte „per Erscheinen“ gehandelt werden (Rz. 11.23), ist es ohne weiteres möglich, eine Mehrzuteilung dieser Rechte vorzunehmen und je nach Kursentwicklung zu entscheiden, ob bei sinkenden Kursen solche Rechte über den Markt zurückerworben oder bei steigenden Kursen eine entsprechend höhere Zahl von Anleihen ausgegeben werden soll. Die zusätzlichen Wandelschuldverschreibungen werden den Konsortialbanken am Tag des Settlements zu denselben Konditionen zur Verfügung gestellt wie die Haupttranche.
III. Begebungsvoraussetzungen 1. Gremienbeschlüsse a) Hauptversammlungsermächtigung aa) Erfordernis
11.25 Wandel- und Optionsschuldverschreibungen dürfen nur auf der Grundlage eines Beschlus-
ses der Hauptversammlung ausgegeben werden (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Beschluss bedarf einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, sofern die Satzung keine höhere Kapitalmehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmt bzw. eine geringere Kapitalmehrheit ausreichen lässt (§ 221 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG). In der Regel beschließt die Hauptversammlung die Ausgabe der Wandelbzw. Optionsschuldverschreibung nicht unmittelbar, sondern erteilt dem Vorstand eine Ermächtigung zu ihrer Ausgabe49. Die Ermächtigung kann höchstens auf eine Dauer von fünf Jahren erteilt werden (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG)50.
11.26 Auch die Begebung einer Wandel- oder Optionsschuldverschreibung über eine Zweck-
gesellschaft erfordert in analoger Anwendung des § 221 AktG eine Ermächtigung durch die Hauptversammlung der deutschen Aktiengesellschaft51. Denn die Anleihe dient in aller Regel den Finanzierungsinteressen des Konzerns und kommt damit letztlich auch der Muttergesellschaft zugute, was in der regelmäßig von der Muttergesellschaft gewährten Garantie 49 Aus dem Hauptversammlungsbeschluss muss hervorgehen, ob der Vorstand nur berechtigt oder auch verpflichtet ist, die Anleihe zu begeben; Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 26. Ausführlich zum Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses Seibt, CFL 2010, 165, 167 ff. 50 Eine fehlende oder zu lange Befristung macht den Beschluss nichtig; Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 27. 51 Lutter, AG 1972, 125, 127 ff.; Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621, 631; Volhard, Das Bezugsrecht und sein Ausschluss bei Optionsanleihen der Aktiengesellschaft und ausländischer Finanzierungstöchter, S. 24; Busch, AG 1999, 58; Hirte in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, § 35 Rz. 35.19; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 45 ff., s. auch Volhard, Das Bezugsrecht und sein Ausschluss bei Optionsanleihen der Aktiengesellschaft und ausländischer Finanzierungstöchter, S. 23 f. sowie Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen, S. 19; a.A. Gustavus, BB 1970, 694, 695; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185, 190; Schaub, AG 1972, 340, 341 f.; Hoffmann, AG 1973, 47, 52 f. – Ob die Begebung der Anleihe bei der ausländischen Zweckgesellschaft ebenfalls einen Haupt- oder Gesellschafterversammlungsbeschluss erfordert, richtet sich nicht nach § 221 AktG, sondern nach dem auf diese anwendbaren ausländischen Recht; Hirte in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Hdb. Konzernfinanzierung, § 35 Rz. 35.19.
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für die Rückzahlung des Nennbetrags und die Zahlung der Zinsen zum Ausdruck kommt52. Als entscheidender Aspekt kommt hinzu, dass im Falle der Wandlung in bzw. Ausübung des Optionsrechts auf neue Aktien derselbe Verwässerungseffekt zu Lasten der Aktionäre wie bei der direkten Begebung eintritt: Es werden Aktien der Aktiengesellschaft ausgegeben und die Beteiligungsquote der bisherigen Aktionäre ändert sich entsprechend. Folgerichtig nimmt die einhellige Meinung an, dass auch die Begebung über eine Zweckgesellschaft die Ermächtigung durch die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft erfordert53. Für die Platzierung der Anleihe ist ein Hauptversammlungsbeschluss nach richtiger, wenn auch umstrittener Auffassung dann nicht erforderlich, wenn die Anleihe nicht mit neuen Aktien, sondern mit bereits existierenden Aktien der Gesellschaft bedient werden soll, die entweder von der Gesellschaft selbst oder einem Dritten treuhänderisch gehalten werden (dazu auch Rz. 11.39 ff.)54. Die Norm des § 221 AktG will nämlich nur vor einer Verwässerung des Anteilsbesitzes, nicht aber vor einer Umschichtung der Beteiligungsverhältnisse schützen. Im Falle einer bezugsrechtslosen Lieferung von eigenen Aktien bedarf es jedoch einer Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG.
11.27
bb) Inhalt Mindestinhalt des Hauptversammlungsbeschlusses ist nach herrschender Meinung die Befristung der Ermächtigung und die Festsetzung des Gesamtnennbetrags der Anleihe oder zumindest eines Höchstbetrages55. Teilweise wird auch die Angabe weitergehender Wandlungs- und Bezugskonditionen für erforderlich gehalten56.
11.28
Im Ermächtigungsbeschluss sind i.d.R. weitere Vorgaben für die Ausgestaltung der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung enthalten57. So wird etwa vorgesehen, dass das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) oder die Begebung der Rechte unter Bedingungen gestellt werden kann58. Während früher teilweise eine Vielzahl von Einzelheiten hinsichtlich der Anleihebedingungen im Hauptversammlungsbeschluss festgelegt wurde, ist die Praxis in der jüngeren Vergangenheit dazu übergegangen, dem Vorstand einen weiten Gestaltungsspielraum zu lassen59. Soweit eine konkrete Festlegung im Hauptversammlungsbeschluss nicht erfolgt, stellt die nähere Ausgestaltung eine dem Vorstand obliegende Geschäftsführungsmaßnahme dar60.
11.29
52 Vgl. Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen, S. 62 ff. 53 Nicht zwingend erforderlich ist es u.E., dass der Ermächtigungsbeschluss die Ausgabe durch eine Zweckgesellschaft ausdrücklich zulässt. 54 Broichhausen, NZG 2012, 86; Busch, AG 1999, 58, 64 f.; Hoffmann, AG 1973, 47; Schlitt/Seiler/ Singhof, AG 2003, 254, 257 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 24; a.A. Schumann, Optionsanleihen, S. 23 Rz. 46; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, S. 141 ff. 55 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 10; Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 27 f. 56 So etwa Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 60; ähnlich Schlede/Kley in Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1, 11; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 140 (Ausgabebetrag bzw. Grundlagen seiner Errechnung); a.A. Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 11. 57 Dazu Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 23. 58 Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 68. 59 Dazu im Einzelnen Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 11; Schumann, Optionsanleihen, S. 306 ff.; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 253. 60 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 10; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 178.
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§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
b) Ausnutzungsbeschluss der Verwaltung
11.30 Die Ermächtigung wird dem Vorstand erteilt (vgl. § 221 Abs. 2 AktG). Anders als bei der
Ausnutzung eines genehmigten Kapitals ist die Zustimmung des Aufsichtsrates grundsätzlich nicht erforderlich. Sie ergibt sich jedoch häufig aus dem Ermächtigungsbeschluss, der Geschäftsordnung oder weil der Aufsichtsrat die Begebung ad hoc von seiner Zustimmung abhängig gemacht hat. Wird die Wandel- oder Optionsanleihe im Rahmen eines Accelerated Placement emittiert, ist die Anleihe wirtschaftlich betrachtet bereits mit dem Abschluss des Verkaufsverfahrens ausgegeben, auch wenn die Anleihe rechtlich erst später durch den eigentlichen Begebungsakt entsteht und auch eine etwaige Börsenzulassung erst später erfolgt (Rz. 11.23). Dies bedeutet, dass die Entscheidungen von Vorstand und – soweit erforderlich – Aufsichtsrat, ggf. unterlegt durch ein Gutachten (fairness opinion) einer Investmentbank (s. auch Rz. 11.50), bereits vor dem Beginn des Accelerated Placements vorliegen müssen.
11.31 Wird das Platzierungsverfahren mit einem beschleunigten Bookbuilding (accelerated
bookbuilding) verbunden, bedarf es einer Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat vor dem Beginn des Bookbuildings sowie einer erneuten Entscheidung der Verwaltung nach endgültiger Festlegung der Konditionen61. Nicht ausreichend ist es, wenn die Verwaltung die Beschlüsse erst beim Settlement, d.h. der eigentlichen Begebung der Anleihe durch den Vorstand, fasst. Die Entscheidung des Aufsichtsrats kann auf einen Ausschuss delegiert werden (§ 107 Abs. 3 AktG)62.
11.32 Da die Ausgabe der Wandel- oder Optionsschuldverschreibung in aller Regel eine kurs-
relevante Tatsache darstellt, muss die Gesellschaft bei hinreichender Wahrscheinlichkeit der Emission, grundsätzlich spätestens nach der Beschlussfassung durch die Verwaltung63 und vor Beginn des Bookbuildings, eine Ad-hoc-Meldung veröffentlichen (Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 [MAR]).
2. Sicherstellung der Erfüllung der Wandlungs- und Optionsrechte a) Bedingtes Kapital
11.33 Um an die Inhaber der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung im Falle der Wandlung
bzw. Ausübung des Optionsrechts die geschuldete Zahl von Aktien liefern zu können, wird i.d.R. ein bedingtes Kapital geschaffen (vgl. § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Der Beschluss
61 Es spricht viel dafür, dass es ausreichend ist, wenn der Aufsichtsrat der Preisspanne vorab zustimmt und der Vorstand dann innerhalb dieser Spanne den Preis nach Abschluss des Bookbuildings festlegt. Zur entsprechenden Rechtslage bei Aktienemissionen unter Nutzung des genehmigten Kapitals Hirte in Großkomm. AktG, § 204 Rz. 13; Technau, AG 1998, 445, 450 f.; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 537; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 74; strenger demgegenüber Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 37 ff. 62 Die Übertragung der Beschlussfassung auf einen Ausschuss des Aufsichtsrats ist zulässig, vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 107 Rz. 18. 63 Die Ad-hoc-Pflicht tritt grundsätzlich nach der Beschlussfassung durch den Vorstand ein. Ein berechtigtes Interesse des Emittenten an einem Aufschub der Veröffentlichung gemäß Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) bis zu dem Zeitpunkt nach der Aufsichtsratsentscheidung kann vorliegen, wenn die unverzügliche Offenlegung der Informationen vor einer endgültigen Entscheidung die korrekte Bewertung der Informationen durch das Publikum gefährden würde und der Emittent dafür sorgt, dass eine endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird (vgl. ESMA/2016/1478, Rz. 8c).
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über die Schaffung des bedingten Kapitals wird zumeist in der gleichen Hauptversammlung gefasst wie der über die Ermächtigung zur Ausgabe der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen. Notwendiger Bestandteil des Beschlusses über die bedingte Kapitalerhöhung ist die Festlegung des Erhöhungsbetrags, der Art und Gattung der Aktien64, bei Ausgabe von Nennbetragsaktien ihr Nennbetrag bzw. bei Ausgabe von Stückaktien ihre Zahl, der Zweck der bedingten Kapitalerhöhung, der Kreis der Bezugsberechtigten sowie der Ausgabebetrag oder die Grundlagen seiner Errechnung (§ 193 Abs. 2 AktG). Was unter dem Ausgabebetrag oder den Grundlagen seiner Errechnung nach § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG zu verstehen ist, war in der Vergangenheit teilweise umstritten. Einige Instanzgerichte65 hatten die ständige Praxis, einen Mindestbetrag, prozentual zum Aktienkurs, anzugeben, als rechtswidrig gewertet mit der Folge, dass das die Bezugsrechte zur Bedienung der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen sichernde bedingte Kapital und die Ermächtigungsbeschlüsse nichtig seien66. Als Begründung wurde maßgeblich angeführt, dass der Wortlaut des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG kein Ermessen der Verwaltung gewähre67. Dies überzeugte nicht. Eine weitergehende Präzisierung des Ausgabebetrags – auch als Prozentsatz einer anderen Größe, etwa des Börsenkurses – würde den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck der Flexibilisierung verfehlen. Eine Nutzung der Ermächtigung während der gesamten Laufzeit von fünf Jahren wäre damit nur eingeschränkt praktikabel68. Materielle Aktionärsrechte werden zudem durch einen Mindestpreis nicht verletzt69, zumal die Aktionäre durch ihr grundsätzliches Bezugsrecht auf Wandel- und Optionsanleihen und die Anforderungen an einen Bezugsrechtsauschluss geschützt sind70. Damit stellt sich die Situation bei Wandel- und Optionsanleihen anders dar als bei bedingten Kapitalia zur Vorbereitung von Unternehmenszusammenschlüssen und zur Gewährung von Aktienoptionen, bei denen ein solches Bezugsrecht von vornherein nicht bestehen kann71. Weiterhin ist die Festlegung eines Mindestausgabebetrags auch hinsichtlich des Publizitätszwecks von § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG als genügend anzusehen72. Für die Zulässigkeit der Rekurrierung auf einen Mindestbetrag spricht schließlich die funktionelle Ähnlichkeit des bedingten Kapitals nach § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG mit der Ermächtigung zur Ausgabe von Aktien aus genehmigtem Kapital nach §§ 202 ff. AktG73. Über die Festsetzung eines Mindestausgabebetrags hinausgehende Anforderungen sind daher abzulehnen. 64 Diese Festlegungen sind nicht erforderlich, soweit sie sich schon aus der Satzung ergeben, Hüffer/Koch, AktG, § 193 Rz. 4. 65 So LG Berlin v. 6.1.2007 – 94 O 57/05; LG Coburg v. 21.6.2006 – 1 HK O 43/05; LG Hamburg v. 20.10.2005 – 415 O 85/05; LG Kiel v. 30.9.2005 – 15 O 68/05 und LG Hannover v. 22.2.2007 – 25 O 60/06, sowie das OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, AG 2008, 85 und das KG Berlin v. 3.8.2007 – 14 U 72/06, ZIP 2008, 648. A.A. dagegen LG Essen v. 26.1.2007 – 45 O 47/06 und LG München I v. 2.9.2003 – 17 HK T 15921/03. 66 Kritisch auch Maul, NZG 2000, 679; dagegen Weiß, WM 1999, 353, 357. 67 Vgl. etwa OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, AG 2008, 85. 68 So auch Groß in HappGroß, Aktienrecht, 12.04 Rz. 19.1. 69 Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, § 193 Rz. 15. 70 Stellungnahme des DAV Nr. 46/07 v. Oktober 2007, S. 6 f.; auch Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 20; Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 69. 71 Maier-Reimer in GS Bosch, 2007, S. 85, 94 f. 72 Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, 12.04 Rz. 19.1. 73 Vgl. auch Umbeck, AG 2008, 67, 71 f. Für ein Verständnis der Ermächtigungsnorm des § 221 Abs. 2 AktG als lex specialis zu § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG, jedenfalls für eine teleologische Reduktion der letzteren Vorschrift Maier-Reimer in GS Bosch, 2006, S. 85, 96; a.A. OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, AG 2008, 85.
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11.34
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
11.35 Nach einer Entscheidung des BGH74 und einer Klarstellung durch den Gesetzgeber dahin-
gehend, dass bei einer bedingten Kapitalerhöhung für die Zwecke des § 192 Abs. 1 Nr. 1 AktG die Bestimmung des Mindestausgabebetrags (oder der Grundlagen der Festlegung des Ausgabebetrags oder Mindestausgabebetrags) im Beschluss oder einem damit verbundenen Beschluss nach § 221 AktG genügt (§ 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG)75, ist die Praxis dazu zurückgekehrt, in Ermächtigungsbeschlüssen zur Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen eine Mindestgrenze für den Wandlungs- bzw. Optionspreis von in der Regel 80 % des zur Zeit der Emission bestehenden Kurses der Aktie festzusetzen76.
11.36 Alternativ zur Lieferung von Aktien aus bedingtem Kapital sehen die Anleihebedingungen,
insbesondere im Lichte der jüngsten instanzgerichtlichen Rechtsprechung, häufig die Möglichkeit der Lieferung eigener Aktien (Rz. 11.39 ff.) oder, sofern die Nutzung bedingten Kapitals aus rechtlichen Gründen scheitern sollte, eine Barzahlungsoption (cash settlement) vor (Rz. 11.60).
11.37 Bei Emission der Anleihe über eine Zweckgesellschaft ist die Nutzung bedingten Kapitals zur Bedienung der Wandlungsrechte jedenfalls dann zulässig, wenn zwischen der Mutterund der Zweckgesellschaft ein Konzernverhältnis besteht77. b) Genehmigtes Kapital
11.38 Zur Absicherung der Verpflichtungen aus der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung
kann theoretisch auch ein genehmigtes Kapital gemäß §§ 202 ff. AktG geschaffen werden78. Die Verwendung eines genehmigten Kapitals ist indessen deutlich schwerfälliger als die Absicherung durch ein bedingtes Kapital79. Die Ermächtigung zur Erhöhung des Grundkapitals kann nur auf maximal fünf Jahre ausgedehnt werden (§ 202 Abs. 1 AktG). Vorstand und Aufsichtsrat müssen im Falle der Wandlung oder Optionsausübung für jede ausgeübte Tranche gesonderte Beschlüsse über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals fassen (§§ 203, 204 AktG). Zudem wird das Grundkapital anders als beim bedingten Kapital (§ 200 AktG) nicht bereits mit Ausgabe der Bezugsaktien, sondern erst mit Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister erhöht80. Schließlich kann die Hauptversammlung das genehmigte Kapital anders als das bedingte Kapital (vgl. § 192 Abs. 4 AktG) auch nach der Begebung der Wandelanleihe wieder aufheben, was sich aus Sicht der Investoren als nachteilig erweist81. Die Nutzung genehmigten Kapitals kommt aus diesen Gründen prak-
74 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, NZG 2009, 986. 75 Art. 1 Nr. 29 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. 76 Zum Streit um den Mindestausgabebetrag s. Becker/Otte, NZG 2008, 485; Böttcher/Kautzsch, NZG 2009, 978; Just, EWiR 2010, 41; Pluskat, DB 2008, 975; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252; Umbeck, AG 2008, 67. 77 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 44.6; zum Teil strenger Hüffer/ Koch, AktG, § 192 Rz. 12; Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621, 627 ff.; anders Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 48, der ein Konzernverhältnis für entbehrlich hält. 78 S. Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen, S. 19 f. 79 Zutreffender Befund bei Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 71. S. dazu im Einzelnen Holland/Goslar, NZG 2006, 892. 80 S. Martens in FS Ulmer, 2003, S. 399, 401; Rosener in FS Bezzenberger, 2000, S. 745, 749. 81 Dazu etwa Schumann, Optionsanleihen, S. 28; Steiner, WM 1990, 1776, 1778; Wolff, WiB 1997, 505, 507.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
tisch allenfalls als Notbehelf in Betracht, wenn das bedingte Kapital erst noch beschlossen werden soll oder nicht ausreicht82 und keine Barzahlungsoption erwogen wird83. c) Eigene Aktien Eher als ein genehmigtes Kapital ist an eine Bedienung durch eigene Aktien zu denken, die die Gesellschaft beispielsweise aufgrund einer Ermächtigung der Hauptversammlung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) erworben hat84. Die Bedienung von Wandlungsrechten durch die Gesellschaft mit eigenen Aktien ist zulässig85. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Ermächtigungsbeschluss über die Ausgabe von Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Wandlungs- bzw. Bezugsrechte auch aus dem Bestand eigener Aktien bedient werden können86.
11.39
Die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien kann – entsprechend der Regelung zum bedingten Kapital – für maximal fünf Jahre erteilt werden. Allerdings ist sie volumenmäßig begrenzt, nämlich auf einen Betrag, der zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigen darf (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG). Außerdem müssen die bilanziellen Beschränkungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG beachtet werden87. Aus Sicht des Anlegers mag sich die Sicherung durch eigene Aktien als nachteilig erweisen, da es an einer dem bedingten Kapital (vgl. § 192 Abs. 4 AktG) vergleichbaren Sicherheit fehlt, dass die Gesellschaft tatsächlich ausreichend eigene Aktien im Bestand halten wird, um die Wandlungs- bzw. Bezugsrechte zu befriedigen. Schließlich können die eigenen Aktien andere Dividendenrechte tragen als Aktien, die aus dem bedingten Kapital stammen88. Zu den steuerlichen Aspekten Rz. 14.27.
11.40
Die Nutzung eigener Aktien zur Bedienung der Wandlungs- bzw. Bezugsrechte der Anleihegläubiger erfordert notwendigerweise einen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre89. Der Ermächtigungsbeschluss zum Rückerwerb eigener Aktien muss daher vorsehen, dass das Bezugsrecht insoweit ausgeschlossen werden darf, wie die eigenen Aktien zur Bedienung von Wandlungs- bzw. Bezugsrechten verwendet werden. Die Erleichterungen des
11.41
82 Dazu etwa Schlede/Kley in Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1, 12 mit Beispielen aus der Praxis. 83 Nachweise aus der Praxis bei Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 256. 84 Näher zu eigenen Aktien § 8; zum Inhalt der Ermächtigung s. Bosse, NZG 2000, 923 ff.; Kindl, DStR 1999, 1276. 85 Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 44; Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 71; Hirte, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 1, 18; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150, 152; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 256 f.; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 310. 86 Zur richtigerweise fehlenden Erforderlichkeit eines Ermächtigungsbeschlusses zur Ausgabe der Schuldverschreibung im Fall einer ausschließlichen Bedienung mit bestehenden Aktien s. Rz. 11.27. 87 Zu möglichen betriebswirtschaftlichen Nachteilen Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten, S. 29. Zu im Zusammenhang mit dem Rückerwerb eigener Aktien zu beachtenden Transparenzpflichten s. Rz. 11.88. 88 Zu beachten ist ferner, dass Aktien aus dem bedingten Kapital i.d.R. eine Dividendenberechtigung von dem Geschäftsjahr an tragen, in dem das Wandlungsrecht ausgeübt wird. Eigene Aktien gewähren dagegen noch die Dividendenberechtigung für das abgelaufene Geschäftsjahr, sofern der Gewinnverwendungsbeschluss noch nicht gefasst wurde. 89 Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441, 1448; Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 71.
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§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
§ 71a Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 Halbs. 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG können praktisch nicht genutzt werden, da die eigenen Aktien im Falle der Wandlung i.d.R. zu einem Wandlungsbzw. Bezugspreis geliefert werden, der den dann herrschenden Börsenkurs der Aktie nicht nur unerheblich unterschreitet90. Gleichwohl geht die herrschende Meinung zu Recht von der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses aus, wenn die Hauptversammlung über die Begebung der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung unter Beachtung des § 221 AktG beschließt oder den Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigt, da in diesem Zusammenhang grundsätzlich ein Bezugsrecht der Aktionäre auf die Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung besteht91. d) Vereinbarungen mit einem Dritten (synthetische bzw. eigenkapitalneutrale Wandel-/Optionsschuldverschreibung)
11.42 Es ist schließlich denkbar, dass die Gesellschaft Aktienbezugsrechte durch Vereinbarung ei-
nes Optionsrechts (call option) mit Dritten, die im Besitz bereits bestehender Aktien der Gesellschaft sind, absichert92. Nach richtiger Ansicht bedarf die Ausgabe einer solchen synthetischen Wandel-/Optionsschuldverschreibung keines Ermächtigungsbeschlusses nach § 221 AktG (Rz. 11.27)93. Da die Lieferung von Aktien aus dem Bestand des Stillhalters erfolgt, bedarf es zur Bedienung der Aktienbezugsrechte keiner verwässernden Kapitalerhöhung. Aus diesem Grund werden derartige Instrumente auch als eigenkapitalneutrale Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen bezeichnet. Die Begebung eines derartigen Instruments kann dann attraktiv sein, wenn der Emittent die Call-Option auf eigene Aktien vergleichsweise günstig erwerben kann und die Ersparnisse aus dem geringeren Zinscoupon die Kosten für die Option übersteigen. Eigenkapitalneutrale Instrumente eignen sich daher in besonderem Maße für Emittenten mit geringer Volatilität, da die Kosten für den Erwerb der Call-Option für sie typischerweise gering ausfallen94. Da die Optionsbedingungen eine physische Lieferung von Aktien vorsehen, trägt der Emittent zwar grundsätzlich das Risiko, dass der Stillhalter die zu liefernden Aktien in ausreichender Zahl im Bestand hält oder beschaffen kann („Beschaffungsrisiko“). Dieses Risiko lässt sich durch die Regelung einer Barausgleichsoption jedoch wirksam begrenzen. Eine weitere Alternative zur Absicherung besteht in der Schaffung eines subsidiären bedingten Kapitals (Rz. 11.33 ff.).
11.42a
Eine weitere und in der Praxis häufiger vorkommende Erscheinungsform eigenkapitalneutraler Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen besteht darin, dass keine physische Lieferung von Aktien, sondern stets ein Barausgleich erfolgt. Die Anleihebedingungen sowie die Optionsbedingungen werden dann so ausgestaltet, dass im Falle der Wandlung bzw. Ausübung der Option ein Barausgleich beider Instrumente stattfindet95. 90 Andernfalls besteht kaum eine Motivation der Investoren, von ihrem Wandlungs- bzw. Optionsrecht Gebrauch zu machen, s. Rz. 11.2. 91 Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 71; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 256 f. 92 Schlede/Kley in Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1, 12. Ein sehr prominentes praktisches Beispiel ist die CoMEN-Transaktion der Commerzbank AG, in der diese 2011 sog. Conditional Mandatory Exchangeable Notes, umtauschbar in vom SoFFin zu liefernde Commerzbank-Aktien, begab. 93 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132. 94 Schäcker/Johannson/Haberfellner, CFL 2016, 49, 50. 95 Beispiele sind die Emissionen eigenkapitalneutraler Wandelanleihen der Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA (2014) und der Fresenius SE & Co. KGaA (2014 und 2017), die jeweils einen Barausgleich vorsahen; zum Barausgleich (cash settlement) bei Wandelanleihen vgl. Rz. 11.60.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
Werden Derivate zur Absicherung von Aktienbezugsrechten eingesetzt, sind auch die Vorgaben des AktG zum Erwerb eigener Aktien zu beachten. §§ 71, 71d AktG stehen zwar der Ausübung einer Call Option auf eigene Aktien im Verhältnis der Aktiengesellschaft zu dem Dritten ohne entsprechende Ermächtigung durch die Hauptversammlung entgegen96. Ein Verstoß gegen das Verbot des Erwerbs eigener Aktien kann indessen vermieden werden, wenn die Transaktion so strukturiert wird, dass die Aktiengesellschaft aus dem Geschehensablauf vollständig ausscheidet97. Dazu ist es erforderlich, dass die Aktiengesellschaft den Anspruch gegen den Dritten auf Lieferung der Aktien an einen Treuhänder abtritt, der Treuhänder die Option im Namen und für Rechnung der Anleihegläubiger und nicht für Rechnung der Gesellschaft (vgl. § 71d AktG) ausübt und das Optionsrecht im Falle der Ausübung nur zwischen dem Treuhänder und dem Dritten abgewickelt wird.
11.43
Zwar untersagen die §§ 71a, 71d Satz 4 AktG Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einem Dritten, nach denen der Dritte berechtigt oder verpflichtet sein soll, Aktien für Rechnung der Gesellschaft zu erwerben (financial assistance). Sofern der Dritte das mit der Übernahme bzw. dem Besitz der Aktien verbundene Risiko einer Veränderung des Kurses der veroptionierten Aktien – wie in solchen Fällen üblich – selbst übernimmt, steht dieses Verbot dem indessen nicht entgegen98. Auch ein Verstoß gegen das Verbot der Rückgewähr von Einlagen nach § 57 AktG besteht nicht, wenn die Bedingungen für die Option wie mit Dritten (at arm’s length) ausgestaltet werden. Schließlich besteht kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, sofern der Dritte die Option lediglich in seiner Eigenschaft als Finanzdienstleister und nicht als Aktionär einräumt.
11.44
e) Option zur Lieferung von Aktien einer Konzerngesellschaft Um die Flexibilität des Emittenten zu erhöhen, kann ihm in den Anleihebedingungen die Möglichkeit eingeräumt werden, im Wandlungsfall statt Aktien des Emittenten Aktien einer Konzerngesellschaft oder einer dritten Gesellschaft zu liefern. Macht der Emittent von seiner Ersetzungsbefugnis Gebrauch, wandelt sich der Charakter der Anleihe in den einer Umtauschanleihe. Da zur Begebung einer Umtauschanleihe kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich ist (Rz. 12.17), bedarf es keiner ausdrücklichen Ermächtigung der Hauptversammlung, eine solche Settlement-Alternative in die Anleihebedingungen aufzunehmen. Interessant ist diese Gestaltungsoption für solche Emittenten, die über Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften oder solchen, für die ein Börsengang angestrebt wird, halten. Zugleich verringert sie die Abhängigkeit vom eigenen Börsenkurs und verlagert etwaige Verwässerungen auf die Ebene der Aktionäre der Konzerngesellschaft99. In den Anleihebedingungen sind zur Wahrung der erforderlichen Bestimmbarkeit der Leistung die Namen der betreffenden Konzerngesellschaften zu nennen. Zudem sollte es sich aus Investorensicht um ausreichend liquide Aktien handeln. Um die Vermarktbarkeit zu verbessern, kann es sich daher empfehlen, bestimmte Liquiditäts- und FreefloatAnforderungen in die Anleihebedingungen aufzunehmen100.
96 § 187 AktG steht dem nicht entgegen, da sich diese Norm nur auf den Bezug neuer Aktien bezieht, Busch, AG 1999, 58, 63. 97 Busch, AG 1999, 58, 65 f.; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 257 f. 98 Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen, S. 53. 99 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 257; Seibt, CFL 2010, 165, 173. 100 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 257; Seibt, CFL 2010, 165, 173.
Schlitt | 421
11.45
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
f) Pflicht zur Absicherung der Lieferungspflicht?
11.46 Nach einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum ist die Gesellschaft wegen § 187 Abs. 2
AktG gehalten, ein bedingtes Kapital zur Bedienung der Wandlungs- bzw. Bezugsrechte zu schaffen101. Demgegenüber hält die überwiegende Ansicht richtigerweise eine der Beschlussfassung über eine Kapitalerhöhung zeitlich vorausgehende Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen für zulässig, da die Gesellschaft im Hinblick auf § 187 Abs. 2 AktG aus diesen Schuldverschreibungen nicht zur Lieferung neuer Aktien verpflichtet wird. Lediglich die Erfüllbarkeit der entsprechenden Wandlungs- bzw. Bezugsrechte ist von dem Beschluss der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung abhängig102. Folglich ist es zulässig, die Wandel- bzw. Optionsanleihe (aufgrund einer vorliegenden Ermächtigung nach § 221 AktG) zuerst zu begeben und anschließend das bedingte Kapital erst in einer späteren Hauptversammlung zu schaffen103. Eine andere Frage ist freilich, inwieweit die Ausgabe einer Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung ohne jegliche Absicherung kapitalmarktverträglich ist104.
3. Bezugsrechtsausschluss a) Grundsatz
11.47 In den meisten Fällen wird die Gesellschaft eine Platzierung der Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen an institutionelle Investoren anstreben (Rz. 11.22). Eine solche Privatplatzierung macht den Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre erforderlich. Der Ausschluss des Bezugsrechts kann nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung
101 Wiedemann in Großkomm. AktG, § 187 Rz. 8 f.; wohl auch Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 129 f.; Schlede/Kley in Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1, 11. 102 Frey in Großkomm. AktG, § 192 Rz. 55; Ekkenga in KölnKomm. AktG, § 187 Rz. 19 ff.; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, AktG, § 187 Rz. 22 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 187 Rz. 5; Busch, AG 1999, 58, 63; Dierks, Aktienoptionsscheine, S. 98, 139; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150, 152. 103 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 257; Fuchs, DB 1993, 661, 665; Fuchs, AG 1995, 433, 444. Die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung wird durch eine Begebung von Wandeloder Optionsschuldverschreibungen nicht beeinträchtigt, da die Inhaber der Schuldverschreibungen aufgrund der relativen Unwirksamkeit der Wandlungs- bzw. Optionsrechtsvereinbarungen hinsichtlich der Lieferung neuer Aktien keine Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft geltend machen können. Auch eine Schadensersatz begründende Verletzung der Pflicht des Vorstandes zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung liegt nicht vor, da die Inhaber der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen aufgrund der relativen Unwirksamkeit solcher Vereinbarungen keine Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft geltend machen können und der Gesellschaft mithin kein Schaden entsteht, a.A. Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien bei Optionsanleihen und Wandelschuldverschreibungen, S. 40 f.; Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 130; Lutter, AG 1972, 125, 131. Soweit die Anleihebedingungen eine Lieferung bestehender Aktien vorsehen, könnte die Frage einer Schadensersatzpflicht gegenüber den Anleihegläubigern anders zu bewerten sein, da sich der Vorbehalt des § 187 Abs. 2 AktG nur auf eine Erhöhung des Grundkapitals bezieht. Hat sich die Gesellschaft das Recht zur Barzahlung statt Lieferung von Aktien vorbehalten (dazu Rz. 11.60, s. auch Rz. 11.36), dürfte sie bei Nichtvorhandensein der zu liefernden Aktien bei Ausübung der Wandlungs- bzw. Bezugsrechte zu einem solchen Barausgleich verpflichtet sein. Ein über den – damit abgegoltenen – wirtschaftlichen Wert der zu liefernden Aktien hinausgehender Schaden der Anleihegläubiger ist jedenfalls nicht denkbar. 104 Zur Möglichkeit einer Barzahlungsoption Rz. 11.60.
422 | Schlitt
Wandel- und Optionsanleihen | § 11
erfolgen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG), der einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedarf, soweit die Satzung nicht weitere Erfordernisse oder eine größere Kapitalmehrheit bestimmt. Der Bezugsrechtsausschluss kann entweder bereits im Ermächtigungsbeschluss vorgesehen werden (Rz. 11.29), oder der Vorstand kann zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt werden105. Der beabsichtigte Bezugsrechtsausschluss muss in der Einladung zur Hauptversammlung bekannt gemacht werden (§§ 221 Abs. 4 Satz 2, 186 Abs. 4 Satz 1, 124 AktG). In einem schriftlichen Bericht sind die Gründe für den Bezugsrechtsausschluss zusammen mit den wesentlichen Konditionen der Wandelschuldverschreibungen vom Vorstand darzulegen (§§ 221 Abs. 4 Satz 2, 186 Abs. 4 Satz 2 AktG)106. Der Bezugsrechtsausschluss muss im Interesse der Gesellschaft liegen, d.h. sachlich gerechtfertigt sein107. Die sachliche Rechtfertigung ist gegeben, wenn der Bezugsrechtsausschluss zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist108. Dabei genügt es bei einer Ermächtigung des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts, wenn in dem an die Hauptversammlung zu erstattenden Bericht in Form einer abstrakten Beurteilung dargelegt wird, dass ein Bezugsrechtsausschluss im Interesse der Gesellschaft liegt109. Die sachliche Rechtfertigung im konkreten Fall hat der Vorstand (und ggf. der Aufsichtsrat) dann im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausnutzung der Ermächtigung zu prüfen110, wobei es nach zutreffender h.M. keiner weiteren Berichterstattung des Vorstands an die Aktionäre zu diesem Zeitpunkt bedarf111. Die zur Ausgabe von Aktien entwickelten Grundsätze finden insoweit entsprechende Anwendung112. Allein aus dem Charakter als Finanzierungsinstrument folgt noch keine Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses113. Die Gesellschaft sollte aber zumindest darlegen können, warum sie an die internationalen Kapitalmärkte herantreten will und warum dies einen Bezugsrechtsausschluss erforderlich macht114. Die in der Praxis bei der Begebung von Wandel- und Optionsanleihen häufig gegebene Begründung, nach der ein Bezugsrechtsausschluss gerechtfertigt ist, da der Aus-
105 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368, 369 = AG 2006, 246; Groß, AG 1991, 201, 202 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 39; vgl. auch Dierks, Aktienoptionsscheine, S. 103. 106 Zur Auslage des Berichts vor und in der Hauptversammlung und zur Bekanntmachung seines wesentlichen Inhalts in der Hauptversammlungseinladung, vgl. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 236, 264 ff.; auch Dierks, Aktienoptionsscheine, S. 107 ff. 107 OLG Schleswig v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48, 49; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 42; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 31. 108 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 237. 109 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368, 369 = AG 2006, 246; BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122, 2123 = AG 2007, 863. 110 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122, 2123 = AG 2007, 863; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368, 369 = AG 2006, 246. 111 BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, ZIP 2005, 2205, 2206 f. = AG 2006, 36 (zum genehmigten Kapital). 112 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368, 369 = AG 2006, 246; BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122, 2123 = AG 2007, 863; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 185, 188 f. 113 Fuchs, AG 1995, 433, 444. Ein Bezugsrechtsausschluss ist zulässig, wenn nur so eine erfolgreiche Platzierung im Ausland möglich ist; vgl. BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239 = AG 1994, 276. 114 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210, 211.
Schlitt | 423
11.48
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
gabepreis wegen der kürzeren Frist zwischen Preisfestsetzung und Zuteilung an die Anleger marktnäher als bei einer Bezugsrechtsemission festgesetzt sowie neue Investoren aufgenommen werden könnten115, stellt nach richtiger, aber umstrittener Meinung i.d.R. eine ausreichende Grundlage für den Bezugsrechtsausschluss dar, sofern die Gesellschaft über einen entsprechenden Kapitalbedarf verfügt116. b) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG analog)
11.49 Nach herrschender Auffassung kann ein Bezugsrechtsausschluss bei der Emission von
Wandel- und Optionsschuldverschreibungen auch auf die erleichterten Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG gestützt werden. Nach dieser Regelung ist ein Bezugsrechtsausschluss im Falle einer Barkapitalerhöhung zulässig, wenn die Kapitalerhöhung zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet117. Obwohl § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG ohne Einschränkung auf § 186 AktG verweist, so dass nach dem Wortlaut des Gesetzes ein erleichterter Bezugsrechtsausschluss möglich sein müsste, ist diese Frage umstritten. Nach einer teilweise vertretenen Meinung kommt ein erleichterter Bezugsrechtsausschluss nicht in Frage, da ein Börsenkurs für eine Anleihe, mit dem der Ausgabebetrag verglichen werden könnte, nicht existiere118. Demgegenüber sieht eine andere Meinung als „Ausgabebetrag“ i.S.v. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG den Wandlungs- bzw. Optionspreis an, der in Verhältnis zum Börsenkurs im Zeitpunkt der Gewährung der Option zu setzen sei, so dass, wenn der Ausübungspreis (Wandlungs-/Optionspreis) mindestens knapp unter dem Börsenkurs angesetzt werde, das Bezugsrecht wirksam ausgeschlossen werden könne119. Nach der herrschenden Auffassung ist der Bezugsrechtsausschluss immer dann zulässig, wenn die Bedingungen der Wandelschuldverschreibungen so ausgestaltet sind120, dass
115 Schumann, Optionsanleihen, S. 206 ff., der in solchen Fällen allerdings in der Regel eine Bevorzugung der Aktionäre bei der Zuteilung verlangt; Kübler/Mendelson/Mundheim, AG 1990, 461, 471. 116 Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150, 155; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 258; indessen kritisch im Hinblick auf die Preismaximierung Hirte, WM 1994, 321, 322 f. sowie Frey/Hirte, ZIP 1991, 697, 699; s. insoweit auch Busch, AG 1999, 58, 59. Zu verbleibenden Fragestellungen s. Singhof, ZHR 170 (2006), 673, 679 f. 117 Eine erneute Interessenabwägung ist nach ganz h.M. nicht erforderlich, s. etwa Bungert, NJW 1998, 488, 489; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 533; Martens, ZIP 1994, 669, 675; A. Schumann, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalbeschaffungsmaßnahmen von Aktiengesellschaften, 2001, S. 203; a.A. nur Lutter, AG 1994, 429, 441 und Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 150, der nur von einer widerleglichen Vermutung ausgeht. 118 Lutter, AG 1994, 429, 445; Lutter, ZHR 161 (1997), 214, 226 ff.; Seibert/Kiem/Schüppen, Hdb. kleine AG, Rz. 236; Heckschen, DNotZ 1995, 275, 286 f.; Klawitter, AG 2005, 792, 794; ähnlich der Bericht des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7848, S. 17. 119 OLG Braunschweig v. 26.7.1998 – 3 U 75/98, ZIP 1998, 1585, 1586 ff.; Groß, DB 1994, 2431, 2437 f.; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 539 (vgl. aber auch Marsch-Barner, WuB II A. § 221 AktG 3.93). Da der Ausübungspreis in der Praxis in aller Regel oberhalb des Börsenkurses der Aktien im Zeitpunkt der Begebung festgesetzt wird, ist ein Ausschluss des Bezugsrechts danach regelmäßig gerechtfertigt. 120 Eingehend Singhof, ZHR 170 (2006), 673, 684 ff.; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 259 f.; zuvor bereits Aubel, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss, 1998, S. 128 f., 131; Busch, AG 1999, 58, 59 ff.; Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss bei Wandelschuldverschreibungen, S. 81 ff., 123; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150, 155 f.; Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 52 ff.; wohl auch Paefgen, AG 1999, 67, 71; vgl. auch Scholz in MünchHdb. AG, § 64
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
– der tatsächliche Ausgabebetrag den (hypothetischen) Marktpreis für die Wandelschuldverschreibung nicht wesentlich unterschreitet121, d.h. der Wert des hypothetischen Bezugsrechts auf die Wandelschuldverschreibung gegen Null tendiert, – der (rechnerische) Nennbetrag der ausgegebenen Aktien bei einer (unterstellt vollständigen) Ausübung der Wandlungsrechte zehn vom Hundert des Grundkapitals nicht übersteigt122 und – die Aktionäre ihre Beteiligungsquote durch den Zukauf von Aktien oder Wandelschuldverschreibungen aufrechterhalten können123. Zunehmend seltener sehen Hauptversammlungsermächtigungen bzw. die zugehörigen Vorstandsberichte im Rahmen des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses vor, dass die Berechnung des hypothetischen Marktpreises der Wandelschuldverschreibung durch eine Fairness Opinion einer ggf. unabhängigen Investmentbank auf der Grundlage finanzmathematischer Methoden zu bestätigen ist (s. auch Rz. 11.30 f.)124. Verlangt die Ermächtigung dies nicht ausdrücklich, besteht keine rechtliche Verpflichtung, eine solche zusätzliche Einschätzung einzuholen125.
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122 123 124
125
Rz. 33 ff. sowie Volhard, AG 1998, 397, 399 mit Fn. 41; vgl. auch Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 221; zustimmend auch Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 191; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 43a; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.54 ff.; Kniehase, AG 2006, 180, 187; grds. auch Ihrig in Liber amicorum Happ, 2006, S. 109, 123. Zustimmend aus der Rspr. OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, ZIP 2006, 1440, 1441 f.; LG Essen v. 26.1.2007 – 45 O 47/06. Der BGH hat die Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG leider offen gelassen, jedoch die Kompetenz der Hauptversammlung zur Festsetzung von dieser Vorschrift entsprechenden Vorgaben im Ermächtigungsbeschluss ausdrücklich anerkannt. Insoweit komme lediglich auf Ebene der tatsächlichen Voraussetzungen ein Leerlaufen der Ermächtigung in Betracht, wenn sich ein hypothetischer Marktwert der Wandelschuldverschreibung nicht bestimmen ließe, BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122, 2123 f. = AG 2007, 863; die dem Hinweisbeschluss zugrunde liegende Revision gegen das vorgenannte Urteil des OLG München wurde durch Beschluss vom 8.10.2007 zurückgewiesen. Der Abschlag soll maximal 3 % betragen und darf 5 % nicht überschreiten, Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 259; für den Fall einer Kapitalerhöhung Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d; Wiedemann in Großkomm. AktG, § 186 Rz. 152. Bei Vereinbarung eines Festpreises der Wandelschuldverschreibungen durch die Konsortialbanken darf ein erwarteter Kursverlust nach Bekanntmachung der Emission nicht im Voraus berücksichtigt werden. Teilweise wird auch für eine geringere Abweichungstoleranz plädiert, so nunmehr Singhof, ZHR 170 (2006), 673, 694: Regelabschlag von 1–2 % bei einer Obergrenze von 3 %. Dabei sollte sowohl auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Hauptversammlung als auch auf den Zeitpunkt der Ausübung der Ermächtigung abgestellt werden, zu Anrechnungsfragen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 259 Fn. 75 sowie Singhof, ZHR 170 (2006), 673, 686 f. OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, ZIP 2006, 1440, 1443. Zur Praxis in der jüngeren Vergangenheit vgl. Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 253; Seibt, CFL 2010, 165, 172. Die Investmentbank, die die Fairness Opinion abgibt, ist häufig nicht Mitglied des Syndikats. Dies unterstreicht zwar die Neutralität des Gutachters, ist aber rechtlich nicht zwingend, sofern der Ermächtigungsbeschluss nicht ausdrücklich auf eine dritte Bank abstellt; s. auch Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 260. Eine andere Frage ist, ob die Verwaltung zur eigenen Absicherung die Einholung einer solchen Fairness Opinion durch externe fachkundige Berater als empfehlenswert ansieht. Aktienrechtlich ist ihre Einholung nicht geboten. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Einschaltung einer weiteren nicht an der Emission beteiligten Bank zu zusätzlichem Abstimmungs- und
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11.50
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
4. Besonderheiten bei der Einschaltung einer ausländischen Zweckgesellschaft 11.51 Wird zur Emission der Anleihe eine im Ausland belegene Zweckgesellschaft eingeschaltet
(Rz. 11.7) und sollen die Wandlungs- bzw. Optionsrechte aus bedingtem Kapital bedient werden, muss die Emission so strukturiert werden, dass im Wandlungsfall das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage vermieden wird126. Grundsätzlich ist nämlich die Einbringung einer gegen die Gesellschaft gerichteten (Schuldverschreibungs-) Forderung als Sacheinlage anzusehen127. Für die Ausübung des Wandlungrechts bei Wandelanleihen sieht § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG indessen eine Privilegierung vor, nach der die Hingabe einer Schuldverschreibung im Umtausch gegen Bezugsaktien aus bedingtem Kapital (ausnahmsweise) nicht als Sacheinlage gilt. Soweit § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung findet, müssen die strengen Sacheinlagevorschriften daher nicht beachtet werden128. Erfolgt die Emission über eine ausländische Zweckgesellschaft, befürwortet die herrschende Meinung im Schrifttum eine (analoge) Anwendung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG, sofern die Zweckgesellschaft im Falle der Wandlung aus dem weiteren Geschehensablauf „automatisch“ ausscheidet, da in diesem Fall inhaltlich kein Unterschied zur direkten Emission besteht129. Dies ist der Fall, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind130: – Der Erlös aus der Begebung der Wandelschuldverschreibung wird von der Zweckgesellschaft im Wege eines Darlehens an die Aktiengesellschaft weitergeleitet und ist im Konzerninteresse zu verwenden. Dies ist nicht der Fall, wenn das auf die Anleihe bezahlte Entgelt bei der Aktiengesellschaft nicht ankommt, sondern bereits von der Zweckgesellschaft eigenständig genutzt wird131.
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Koordinierungsbedarf führt und die Erlangung der Fairness Opinion mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden sein kann. – Es besteht keine Verpflichtung, den Aktionären eine etwaig eingeholte Fairness Opinion in vollem Umfang zugänglich zu machen. Das Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 AktG erstreckt sich jedoch auf den Umstand der Einholung und den wesentlichen Inhalt der Fairness Opinion. Nach richtiger Ansicht kann bedingtes Kapital auch für Emissionen über eine Zweckgesellschaft genutzt werden, Frey in Großkomm. AktG, § 192 Rz. 75; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 264, Fn. 118; a.A. noch Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 319; Gustavus, BB 1970, 694, 695. Zur Bilanzierung und steuerlichen Behandlung ausführlich Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 37 ff. OLG Köln v. 2.2.1984 – 25 U 11/83, ZIP 1984, 834, 835 (für die GmbH); Groh, BB 1997, 2523, 2526 ff.; Schumann, Optionsanleihen, S. 64; Lutter in FS Stiefel, 1987, S. 505, 516; kritisch Frey in Großkomm. AktG, § 194 Rz. 11, der grundsätzlich von einer Bareinlage ausgeht. Vgl. Schumann, Optionsanleihen, S. 37. Nach allgemeinen Grundsätzen müsste jede einzelne Rückzahlungsforderung zum jeweiligen Wandlungszeitpunkt unter Berücksichtigung der Bonität der Gesellschaft bewertet werden. Ein derartiges teures, langwieriges und unflexibles Verfahren wollte der Gesetzgeber insoweit gerade vermeiden; Frey in Großkomm. AktG, § 194 Rz. 27. Eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG dürfte auch für den Fall der Bedienung aus einem genehmigtem Kapital in Betracht kommen, ebenso Schumann, Optionsanleihen, S. 79 ff.; Holland/Goslar, NZG 2006, 892, 895; a.A. Groh, BB 1997, 2523, 2528; Hirte, WM 1994, 321, 329. Vgl. vor allem Schumann, Optionsanleihen, S. 71 ff.; Hirte, WM 1994, 321, 329; Schlitt/Seiler/ Singhof, AG 2003, 254, 264 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 239 ff.; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.63. Weniger streng Frey in Großkomm. AktG, § 194 Rz. 35–38.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
– Der Darlehensrückzahlungsanspruch wird von der Zweckgesellschaft an die Anleihegläubiger abgetreten132. Geschieht dies nicht, stünde der Aktiengesellschaft bei der Wandlung noch ein Anspruch einer dritten Partei (nämlich der Zweckgesellschaft) gegenüber, der erst noch durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden müsste, so dass es nicht zu dem automatischen Ausscheiden kommen würde133. Kommt es zur Wandlung, wird der Darlehensrückzahlungsanspruch (anteilig) zusammen mit der Wandelschuldverschreibung an die Aktiengesellschaft abgetreten und erlischt dort durch Konfusion. Die Gesellschaft kann den an sie weitergeleiteten Erlös nunmehr endgültig behalten. – Zudem muss sichergestellt sein, dass der Darlehensrückzahlungsanspruch nicht ohne die Wandelschuldverschreibung abgetreten bzw. isoliert gepfändet werden kann134. In den Anleihebedingungen wird zu diesem Zwecke regelmäßig bestimmt, dass jede Verfügung über die Wandelschuldverschreibung auch eine Abtretung des dazugehörigen Darlehensrückzahlungsanspruchs begründet, und dass die Ausübung des Wandlungsrechts nur bei gleichzeitiger Rückübertragung des dazugehörigen Darlehensrückzahlungsanspruchs zulässig ist135. Richtigerweise findet die Privilegierung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auch auf Optionsanleihen mit Inzahlunggabe der Anleihe bzw. Verrechnung des Rückzahlungsanspruchs entsprechende Anwendung. Solchermaßen ausgestaltete Optionsanleihen räumen den Anleihegläubigern bei Optionsausübung das Recht zur Hingabe der Schuldverschreibung bzw. ihres Rückzahlungsanspruchs im Gegenzug für die Aktienlieferung ein (Rz. 11.3). Zwar findet die dem Anleihegläubiger eingeräumte Ersetzungsbefugnis insoweit einen anderen Anknüpfungspunkt als bei der Wandelanleihe136, jedoch ist die Aufbringung des Einlagebetrags aufgrund des bereits erfolgten Mittelzuflusses und dem Wegfall eines Rückzahlungsanspruchs in gleicher Weise gesichert wie bei der Wandelanleihe137.
11.52
IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen Nachfolgend sollen einige ausgewählte Klauseln aus den Anleihebedingungen erläutert werden. Vgl. dazu auch Rz. 12.20 ff.
132 Dies geschieht in der Praxis regelmäßig durch Abtretung des Darlehensrückzahlungsanspruchs an eine Bank, die insoweit zugunsten der Anleihegläubiger agiert. 133 Dies führt zu Risiken vor allem im Insolvenzfall, vgl. Schumann, Optionsanleihen, S. 72 f. 134 S. Schumann, Optionsanleihen, S. 73 mit Fn. 92. 135 Zu den Einzelheiten Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 264 f. 136 Bei der Wandelanleihe gilt mit Ausübung des Optionsrechts die Einlagepflicht auf die neuen Aktien von vornherein durch das ursprünglich auf die Anleihe Geleistete als erfüllt, während die Einlagepflicht bei der Optionsanleihe mit Inzahlunggabe bzw. Verrechnung mit Ausübung des Optionsrechts zunächst entsteht und erst die Inzahlunggabe/Verrechnung zu ihrer Erfüllung führt, dazu Gottmann in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2007, § 6, S. 130, 132. 137 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 237 ff.; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 473; Hirte, WM 1994, 321, 329; Ziriakus in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, § 6, S. 123 f.; vgl. auch Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 67 ff.
Schlitt | 427
11.53
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
1. Wandlungs- bzw. Optionsfrist 11.54 Die Anleihebedingungen bestimmen den Zeitraum, innerhalb dessen das Wandlungs-
bzw. Optionsrecht ausgeübt werden kann (Wandlungs- bzw. Optionsfrist, conversion period)138. Zudem enthalten die Bedingungen häufig noch Ausschlusszeiträume, während der die Ausübung des Wandlungs- bzw. Optionsrechts (noch) nicht möglich ist (excluded period)139.
11.55 Gesetzlich ist bei Wandel- und Optionsschuldverschreibungen grundsätzlich keine Mindestlaufzeit140 vorgegeben. Im Falle einer sehr kurzen Laufzeit können sich allerdings Abgrenzungsfragen zu einer Kapitalerhöhung stellen, wenn der Wandlungspreis nahe am aktuellen Börsenkurs bemessen wird. Die Frage stellt sich mit besonderer Schärfe, wenn die Gesellschaft kein genehmigtes Kapital (mehr) hat. Mit Blick auf die fehlende gesetzliche Vorgabe einer Mindestlaufzeit kann aus diesem Gesichtspunkt jedoch keine Unzulässigkeit sofort oder kurzfristig wandelbarer Schuldverschreibungen abgeleitet werden141. Eine Überschneidung mit einer Kapitalerhöhung ist richtigerweise zumindest dann nicht zu besorgen, wenn durch die Festlegung des Wandlungs- bzw. Optionspreises gewährleistet ist, dass es bei wirtschaftlich vernünftigem Handeln nach pflichtgemäßer Einschätzung des Vorstands (und ggf. des Aufsichtsrats) voraussichtlich nicht unmittelbar im Anschluss an die Ausgabe der Anleihe zur Wandlung bzw. Optionsausübung kommt142.
11.55a
Im Unterschied zur Wandelanleihe enthalten Hybrid-Wandelanleihen keinerlei Laufzeitbegrenzung, haben also keinen festen Endfälligkeitstermin. Dies ist einerseits für die Eigenkapitalanrechnung durch Ratingagenturen von Bedeutung, da die Laufzeit einer Anleihe eines der relevanten Kriterien dazu darstellt und die Eigenkapitalanrechnung mit Verstreichen der ersten Kündigungsmöglichkeit entfällt143; andererseits kann ein bilanzieller Eigenkapitalausweis des Emissionserlöses nach IFRS nur dann erfolgen, wenn die Anleihebedingungen keine vertragliche Verpflichtung des Emittenten zur Kapitalrückzahlung vorsehen und somit die freiwillige Rückzahlung dem Emittenten überlässt144.
138 Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 112. 139 Als Ausschlusszeiträume werden typischerweise ein Zeitraum von einigen Tagen vor der Anmeldung zur Teilnahme an einer Hauptversammlung, von vierzehn Tagen vor dem Geschäftsjahresende und die Zeit eines laufenden Bezugsangebotes definiert. 140 Schanz, BKR 2011, 410, 416. 141 Die Vorgabe einer solchen Mindestlaufzeit sieht das Gesetz in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG nur für Aktienoptionen im Rahmen von Management- und Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen vor. 142 Umgekehrt ist es bei Pflichtwandelanleihen nicht erforderlich, in Anlehnung an § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AktG nur eine kurze Laufzeit vorzusehen, dazu näher Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 54 m.w.N. 143 Vgl. auch Rz. 18.20, nach der für Ratingzwecke eine Laufzeit von mindestens 50 Jahren im Anschluss an die erste Kündigungsmöglichkeit durch das Unternehmen erforderlich sind, wenn diese Kündigungsmöglichkeit mit einem Zins-Step-up verbunden ist. 144 Vgl. ausführlich Rz. 18.7 ff.
428 | Schlitt
Wandel- und Optionsanleihen | § 11
2. Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis Die Anleihebedingungen können ein flexibles Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis145 vorsehen146. So kann das Verhältnis durch die Festlegung von sog. Maximum-, Medium- und Minimum-Conversion Ratios an die Entwicklung des Aktienkurses geknüpft werden.
11.56
3. Verzinsung In den meisten Fällen sehen die Anleihebedingungen eine feste Verzinsung vor. Zulässig ist aber auch eine variable Verzinsung. Denkbar sind zudem Verzinsungen, die sich (auch) an der Dividende orientieren, die die Gesellschaft an ihre Aktionäre ausschüttet147. In Einzelfällen werden Wandelschuldverschreibungen auch als Nullkupon-Anleihen emittiert, bei denen sich die Rendite aus der Differenz zwischen dem Nennbetrag und dem regelmäßig erheblich darunter liegenden Ausgabekurs errechnet.
11.57
Die Erfüllung der Zinsforderung durch Ausgabe neuer Aktien dürfte dagegen nur unter Einhaltung der Sacheinlagevorschriften möglich sein, da sich die Privilegierungswirkung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG (Rz. 11.51) nur auf den Rückzahlungsanspruch aus der Anleihe erstreckt. Es handelt sich auch nicht um eine Sachausschüttung i.S.v. § 58 Abs. 5 AktG, da sich diese Norm nur auf Dividendenzahlungen, nicht aber auf Zinszahlungen bezieht. Eine Ausnahme ist die Unterpariemission mit vollem Wandlungsrecht, bei der die Anleihe gegen Erhalt eines unter dem Nennbetrag liegenden Ausgabebetrags begeben, jedoch der volle Nennbetrag in Aktien gewandelt wird. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich auch in diesem Fall um eine weitere, aufgeschobene Zinszahlung148. Anders als bei der Erfüllung einer Zinsforderung durch Ausgabe neuer Aktien bejaht die herrschende Meinung jedoch die Zulässigkeit, sofern jedenfalls der geringste Ausgabebetrag je Aktie für die Anzahl gelieferter Aktien durch Zahlung des Ausgabebetrags der Wandelanleihe oder freie Gewinnrücklagen gedeckt ist149.
11.58
Eine Besonderheit bei der Hybrid-Wandelanleihe ist, dass dem Emittenten durch die Anleihebedingungen die Möglichkeit eingeräumt wird, Zinszahlungen an die Investoren aufzuschieben. Dies dient dem Ausweis der Hybrid-Wandelanleihe als Eigenkapital auf der Grundlage von IAS 32, da echtes Eigenkapital das finanzierte Unternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung von Mittelabflüssen entlastet150. Vor den in den Anleihebedingungen aufgeführten Zinszahlungsterminen kann der Emittent bei Einhaltung einer festgelegten Frist bekanntgeben, zum entsprechenden Zinszahlungstermin keine Zahlungen vorzunehmen. Von diesem Wahlrecht kann der Emittent vor jedem anstehenden Zinszahlungstermin Gebrauch machen, wobei die aufgeschobenen Zinsbeträge addiert und spätes-
11.58a
145 Unter dem Wandlungsverhältnis versteht man die Anzahl der je Schuldverschreibung zu gewährenden Aktien. 146 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 256 Fn. 28; anders aber, wenn die Hauptversammlung die Bezugskonditionen festgelegt hat, Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 160. 147 Solche Papiere können im Einzelfall auch als Genussrechte bzw. Gewinnschuldverschreibungen anzusehen sein (§ 221 Abs. 1, Abs. 3 AktG), so dass der Hauptversammlungsbeschluss dann eine entsprechende Ermächtigung enthalten müsste. 148 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258. 149 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258. 150 Näher Rz. 18.26; für weiterführende Hinweise zur Ausgestaltung unter Berücksichtigung von IAS 32 s. Rz. 18.27 ff.
Schlitt | 429
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
tens mit der Rückzahlung der Anleihe abgegolten werden müssen. Aufgeschobene Zinszahlungen werden nicht verzinst.
11.58b
Der Emittent kann die so aufgeschobenen Zinsen freiwillig auch jederzeit zurückzahlen. Daneben können die Anleihebedingungen für bestimmte Situationen eine Pflicht des Emittenten zur Nachzahlung der gesamten angefallenen Zinsen vorsehen. Beispielsweise kann eine Pflichtnachzahlung zu erfolgen haben, wenn der Emittent eine Dividende oder sonstige Ausschüttung oder Zahlung in Bezug auf nachrangige oder gleichrangige Verbindlichkeiten der Emittentin beschließt, bezahlt oder leistet (ausgenommen sind üblicherweise derartige Leistungen im Rahmen von Aktienbeteiligungsprogrammen für Mitarbeiter oder Organe). Gleiches gilt für den Rückkauf oder die Rückzahlung nachrangiger oder gleichrangiger Verbindlichkeiten des Emittenten selbst oder durch eine Tochtergesellschaft. Entschließt sich der Emittent an einem folgenden Zinszahlungstermin nicht erneut für einen weiteren Aufschub, hat er zusätzlich zu den während der letzten Zinsperiode angelaufenen Zinsen sämtliche bis dahin aufgeschobenen Zinsen ebenfalls zu zahlen. So kann es sich der Emittent nicht aussuchen, zwischenzeitlich einzelne Zinszahlungen bis zur Rückzahlung der Anleihe aufzuschieben und andere sofort zu leisten. Auch für Fälle des Beschlusses der Auflösung, Abwicklung oder Liquidation seitens des Emittenten kann eine Pflichtnachzahlung vorgesehen werden. Um dem Emittenten jedoch genügend Flexibilität in Bezug auf seine Unternehmensstruktur zu lassen und ihm dabei nicht die sofortige Rückzahlung sämtlicher angelaufener Zinsen aufzubürden, empfiehlt es sich, Ausnahmen für Zusammenschlüsse, Umstrukturierungen oder Sanierungen vorzusehen.
4. Vorzeitige Rückzahlung 11.59 Häufig sehen die Anleihebedingungen ein Recht des Emittenten vor, unter bestimmten
Bedingungen die Anleihe vor Laufzeitende (maturity) zurückzuzahlen (early redemption oder issuer’s call). Dabei kommen sowohl ein uneingeschränktes Rückzahlungsrecht des Emittenten (hard call) als auch ein Rückzahlungsrecht nur in bestimmten Fällen in Betracht (soft call) (dazu auch Rz. 12.21 f.).
11.59a
Dem Emittenten kann etwa das Recht eingeräumt werden, die Anleihe insgesamt und nicht nur teilweise durch Bekanntmachung innerhalb einer bestimmen Frist (etwa 20– 60 Tage) zu kündigen, wenn der Aktienkurs mindestens an einer bestimmten Zahl von Handelstagen (z.B. 20 Tage) in einen bestimmen Zeitraum (z.B. 30 Tage), der frühestens an dem z.B. fünften Geschäftstag vor der Bekanntmachung der Kündigung zur vorzeitigen Rückzahlung endet, mindestens einen bestimmten Prozentsatz (110–130 %) des an diesem Handelstag jeweils geltenden Wandelpreises beträgt.
11.59b
Sowohl bei regulären Wandelanleihen als auch bei Hybrid-Wandelanleihen kann der Emittent typischerweise die Schuldverschreibungen insgesamt und nicht nur teilweise durch Bekanntmachung innerhalb einer bestimmen Frist (etwa 20–60 Tage) kündigen, wenn die festgelegte Stückelung der ausstehenden und nicht von dem Emittenten oder einer Tochterfirma gehaltenen Schuldverschreibungen auf oder unter einen bestimmten Prozentsatz (10–15 % der Gesamtsumme) fällt (clean up call). Soweit der Emittent dazu verpflichtet ist, alle Steuern auf nach den Anleihebedingungen zu leistende Zahlungen zu entrichten und sicherzustellen, dass dem Anleihegläubiger der Bruttobetrag zufließt (tax gross up), können die Anleihebedingungen zugleich ein Kündigungsrecht für den Fall vorsehen, dass sich die steuerlichen Bedingungen ändern (tax call) (auch Rz. 12.22). 430 | Schlitt
Wandel- und Optionsanleihen | § 11
Weiterhin kann der Emittent selbst oder durch ein mit ihm verbundenes Unternehmen die Schuldverschreibungen am Markt zurückkaufen. So erworbene Schuldverschreibungen können vom Emittenten eingezogen, gehalten oder wiederveräußert werden.
11.59c
Speziell bei der Hybrid-Wandelanleihe, die keine Laufzeitbegrenzung aufweist, finden sich typischerweise zusätzliche Fallgruppen, in denen eine vorzeitige Rückzahlung vorgesehen werden kann. Durch weitere Sonderkündigungsrechte soll so eine Zweckverfehlung oder eine nachhaltige Unwirtschaftlichkeit der Finanzierung abgewendet werden (Rz. 18.24). Dabei wird dem Emittenten in der Regel zunächst gestattet, die Schuldverschreibungen durch Bekanntmachung unter Einhaltung einer bestimmten Frist (etwa 20–60 Tage) insgesamt, jedoch nicht nur teilweise, mit Wirkung zu einem in den Anleihebedingungen festgelegten „Ersten Rückzahlungstermin“ und danach mit Wirkung zu jedem nachfolgenden Zinszahlungstag, ohne hinzutreten eines weiteren Grundes, zu kündigen. Hintergrund dieser Kündigungsmöglichkeit nach Wahl des Emittenten ist ein Zins-Step-up, der nach den Anleihebedingungen ab dem „Ersten Rückzahlungstermin“ (z.B. nach 5 Jahren Laufzeit) eintritt; durch den erhöhten Zinsaufwand wird dem Emittenten so ein Anreiz gesetzt, die Schuldverschreibungen von sich aus zu kündigen und zurückzuzahlen151. Bei einer solchen Kündigung nach Wahl des Emittenten hat dieser die Schuldverschreibungen zum Nennbetrag zuzüglich aufgelaufener Zinsen sowie aufgeschobener Zinszahlungen zurückzuzahlen.
11.59d
Weiterhin bietet es sich mit Blick auf den Eigenkapitalausweis der Hybrid-Wandelanleihe an, dem Emittenten ein Kündigungsrecht für den Fall einzuräumen, dass die Schuldverschreibungen aufgrund einer Änderung der Rechnungslegungsgrundsätze oder deren Auslegung nicht länger als Eigenkapital ausgewiesen werden dürfen, was i.d.R. durch eine Bescheinigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nachzuweisen ist. Insoweit ähnelt diese Fallgruppe dem Gedanken nach dem tax call. Der Rückzahlungsbetrag hängt dabei vom Zeitpunkt der Kündigung durch den Emittenten ab. Erfolgt die Kündigung vor dem „Ersten Rückzahlungstermin“, bemisst sich der Rückzahlungsbetrag nach dem höheren der folgenden Beträge: dem Nennbetrag oder einem angemessenen Anleihemarktwert, jeweils zuzüglich eines Aufschlags (beispielsweise 2 %). Bei einer Kündigung am oder nach dem „Ersten Rückzahlungstag“ ist demgegenüber der in den Anleihebedingungen festgelegte Nennbetrag für den Rückzahlungsbetrag maßgeblich.
11.59e
5. Barzahlung statt Lieferung von Aktien Nachdem die Zulässigkeit eines Mindestausgabebetrags und damit die Wirksamkeit bestehender bedingter Kapitalia vorübergehend von einigen Instanzgerichten für unzulässig bzw. nichtig erachtet wurden, hat sich dauerhaft das Recht des Emittenten zur Barzahlung statt Lieferung von Aktien (cash payment in lieu of delivery of shares) für den Fall etabliert, dass das zugrunde liegende bedingte Kapital rechtlich angegriffen wird. Diese Option hat für den Emittenten darüber hinaus den Vorteil, dass er sich ihrer auch dann bedienen kann, wenn eine Verwässerungsschutzbestimmung (dazu Rz. 11.67 ff.) der Anleihebedingungen zum Tragen kommt. Allerdings ist der Wortlaut mit dem Abschlussprüfer des Emittenten abzustimmen, da eine zu unbestimmte Formulierung (für den Emittenten
151 S. zur Beurteilung des Zins-Step-ups durch Ratingagenturen sowie das IFRS-Equity-Accounting Rz. 18.23.
Schlitt | 431
11.60
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
nachteilige) Auswirkungen auf die Bilanzierung der Wandelanleihe bzw. die Gewinn- und Verlustrechnung nach IFRS hat152.
11.61 Eine Gestaltung, nach der die Anleihegläubiger trotz Ausübung der Option bzw. des Wandlungsrechts nicht anstelle der Aktien, sondern zusätzlich zu den Aktien den gesamten Nennbetrag ohne weitere Zahlung erhalten (sog. Net Cash Settlement), wäre hingegen unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung problematisch153. Dazu auch Rz. 12.23.
6. Bedingungen 11.62 Aktienrechtlich bestehen keine Bedenken dagegen, dass die Ausübung des Wandlungs-
bzw. Optionsrechts an den Eintritt einer Bedingung (§ 158 BGB) geknüpft wird (contingent conversion). Ein praktisch bedeutsames Beispiel ist die Ausgabe einer Going-Public-Wandelanleihe bzw. Going-Public-Optionsanleihe, bei denen die Ausübung des Wandlungsbzw. Erwerbsrechts vom Börsengang des Emittenten abhängig gemacht wird154.
7. Begründung einer Wandlungspflicht 11.63 Wandelschuldverschreibungen mit Pflichtwandlung sind auch in Deutschland vermehrt
emittiert worden. Wandelschuldverschreibungen mit Pflichtwandlung sind dadurch charakterisiert, dass die Anleihegläubiger nicht nur ein Recht haben, sondern am Ende der Laufzeit auch verpflichtet sind, das Wandlungsrecht auszuüben155. Indem der Emittent die Wandelschuldverschreibung also grundsätzlich nicht in bar zurückzahlen muss156, erhält er eine erhöhte Planungssicherheit157. Zudem kann das aufgebrachte Kapital unter Umständen bereits vor dem Tausch in Aktien wie Eigenkapital behandelt werden (s. Rz. 10.35)158.
11.64 Es kann entweder von vornherein eine unbedingte Wandlungspflicht (mandatory convertible)
oder aber ein Wahlrecht des Emittenten vorgesehen werden, am Ende der Laufzeit (oder
152 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 254; Seibt, CFL 2010, 165, 173. Ein (besonders gelagertes) Beispiel aus der Vergangenheit ist die Optionsanleihe der Drägerwerk AG & Co. KGaA, bei der eine Optionsanleihe im Vorfeld der Börsenzulassung einer bislang nicht zugelassenen Aktiengattung ausgegeben wurde. 153 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 257 m.w.N. 154 Wiese/Dammer, DStR 1999, 867, 868; E. Jakob, Finance, 2002, 38; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 47, 116; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 33 jeweils m.w.N. Etwaige bilanzielle Auswirkungen bedingter Wandlungs-/Optionsrechte können im Einzelfall zu prüfen sein. 155 Zu den Einzelheiten der Begründung und der Durchsetzung der Wandlungspflicht s. Rozijn, ZBB 1998, 77, 82; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 135 ff. Zu ihrer Bilanzierung Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 739 sowie eingehend Rz. 14.56 ff. 156 Zum Ausnahmefall einer Rückzahlung zum Nennbetrag im Fall der Insolvenz der Emittentin vgl. Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 129. 157 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 37; zu den wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen von Pflichtwandelanleihen auch Röder, FB 2003, 240; Kleidt/Schiereck, BKR 2004, 18, 19. 158 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 37. Die Pflichtwandelanleihe wird auch bei der Bilanzierung nach IFRS und, zumindest teilweise, bei der Bewertung des Emittenten durch Rating-Agenturen als Eigenkapital qualifiziert, vgl. Rz. 10.35 sowie Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung vom 5.2.2003, S. 13; abweichend Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 38. Zur Anerkennung als sonstiges Kernkapital Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21, 26 ff.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
zu einem früheren Zeitpunkt) die Anleihe entweder in Geld oder ganz oder teilweise in Aktien zurückzuzahlen (soft mandatory convertible)159. Letzte Zweifel an der aktienrechtlichen Zulässigkeit der Begebung von Pflichtwandelanleihen sind beseitigt worden, als im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 klargestellt wurde, dass auch solche Schuldverschreibungen, die dem Emittenten ein Wandlungsrecht gewähren, unter den Begriff der Wandelanleihe fallen160. Der Unterschied zur gewöhnlichen Wandelschuldverschreibung erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass sich der Inhaber einer Pflichtwandelanleihe bereits im Zeitpunkt der Zeichnung im Rahmen eines Vorvertrags verpflichtet, sein Wandlungsrecht auszuüben161. Es bleibt ihm aber in der Regel das Recht, den Zeitpunkt der Wandlung selbst zu bestimmen162. Zudem erhält der Anleihegläubiger wie bei einer gewöhnlichen Wandelschuldverschreibung eine Verzinsung auf der Grundlage eines bezifferten Nennwerts. Schließlich ist regelmäßig für besondere Fälle die Rückzahlung des Nennbetrags vorgesehen163. Auch bedingtes Kapital kann entgegen einer vereinzelt vertretenen Ansicht164 nach § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG zur Bedienung einer Pflichtwandelanleihe genutzt werden165. Schließlich stehen der Begebung einer Pflichtwandelanleihe auch keine durchgreifenden AGB-rechtlichen Bedenken entgegen166.
11.65
Ermächtigungsbeschlüsse sehen in aller Regel die Begebung einer Pflichtwandelanleihe ausdrücklich vor. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, steht dies der Begründung einer Wandlungspflicht richtigerweise nicht entgegen167. Die Pflichtwandlung ist ein Element, das dem Vorstand im Rahmen der näheren Festlegung der Einzelheiten der Emission überantwortet werden kann168. Entscheidend ist auch hier wieder, dass die Pflicht-
11.66
159 In diesem Fall erfolgt die Bedienung der Wandelanleihe mit Aktien gegebenenfalls zuzüglich einer Geldzahlung (cash top up) in Höhe der Differenz zwischen dem Nennbetrag der Wandelanleihe und dem Börsenpreis im Zeitpunkt der Pflichtwandlung, s. auch Seibt, CFL 2010, 165, 170. 160 Für die aktienrechtliche Zulässigkeit bereits zuvor Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 54; Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung vom 5.2.2003, S. 13; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266; s. auch Rozijn, ZBB 1998, 77, 85 ff.; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente, S. 148; Kleidt/ Schiereck, BKR 2004, 18, 19; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 44.7; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.7; Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 151. 161 Zur Einordnung des insoweit zwischen dem Anleger und dem Emittenten bestehenden Rechtsverhältnisses als Vorvertrag vgl. Rozijn, ZBB 1998, 77, 81; vgl. auch Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84, 115. 162 Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung vom 5.2.2003, S. 13. 163 Vgl. Rozijn, ZBB 1998, 77, 82. 164 Frey in Großkomm. AktG, § 192 Rz. 84. 165 Ausführlich Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.7; Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 151. 166 Vgl. Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 175. Zur insbesondere von der Rspr. vorgenommenen Einordnung von Anleihebedingungen als AGB s. Rz. 11.79. 167 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 178; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 54; a.A. Schröer in ArbHdb. HV, § 23 Rz. 32. 168 Vgl. Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 178; auch Schäfer, ZGR 2000, Sonderheft Nr. 16, 62, 68 f.
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§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
wandlung aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre (aktienrechtlich) nur vorteilhaft ist169.
11.66a
Eine Fallgruppe, bei der typischerweise ein Pflichtwandlungsrecht vorgesehen wird, ist die Konstellation des soft call bei besonders günstiger Entwicklung des Aktienkurses des Emittenten (s. Rz. 11.59). Den Parteien steht es insoweit frei, sich bei der Ausgestaltung der Anleihebedingungen für den Weg des Kündigungsrechts mit vorzeitiger Rückzahlung der Anleihe, die Pflichtwandlung oder auch eine Kombination aus beidem zu entscheiden.
8. Anpassung der Wandlungs- bzw. Bezugsbedingungen 11.67 Um die Anleihegläubiger vor einer wirtschaftlichen Verwässerung ihrer zukünftigen Betei-
ligung zu schützen, enthalten Anleihebedingungen in aller Regel eine Verwässerungsschutzklausel (anti-dilution protection), die Anpassungsmechanismen hinsichtlich des Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnisses bzw. -preises vorsieht, wenn bestimmte Ereignisse vor dem letzten Tag des Wandlungszeitraums oder einem früheren für die Rückzahlung festgesetzten Tag eintreten170. Derartige Verwässerungsschutzbestimmungen sind nach richtiger Ansicht zulässig, auch wenn im Wandlungsfall der im Hauptversammlungsbeschluss festgelegte Mindestausgabebetrag u.U. wieder unterschritten werden kann171. Nach richtiger Ansicht kann sich ein Anpassungsbedarf bereits aus allgemeinen gesetzlichen Grundsätzen ergeben172.
11.67a
Bei einer Anpassung des Wandlungsverhältnisses ist stets darauf zu achten, dass durch eine mögliche Reduzierung des Wandlungspreises kein Zustand herbeigeführt wird, in dem der Emittent nach der Wandlung durch die Anleihegläubiger zur Ausgabe von mehr Aktien verpflichtet wäre, als er unter Ausschluss des Bezugsrechts ausgeben kann. Daher gilt es, bereits vor Begebung der Anleihe die Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre analog § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zu schaffen und durch entsprechende Regelungen in den Anleihebedingungen zu gewährleisten, dass die Voraussetzungen nicht nachträglich entfallen (ausführlich dazu Rz. 11.49). Dazu ist für die Einhaltung der 10 %-Grenze bereits bei Begebung der Anleihe zunächst ein Puffer einzuplanen, so dass die 10 % auch bei vorhersehbaren Anpassungen des Wandlungsverhältnisses nicht voll ausgeschöpft werden. Stattdessen oder zusätzlich kann außerdem die maximale Anzahl auszugebender Aktien in der Weise auf 10 % beschränkt werden, dass anstelle der die 10 % übersteigenden Aktien ein Barausgleich gezahlt wird (cash-settlement). Stammen die Lieferaktien aus bedingtem Kapital, lässt sich die im Ermächtigungsbeschluss gezogene höhenmäßige Grenze bereits in den Anleihebedingungen dergestalt verankern, dass auch bei Anpassung des Wandlungspreises nicht mehr Aktien ausgegeben werden dürfen, als durch den Ermächtigungsbeschluss vorgesehen.
169 Alternativ zur rechtlichen Wandlungspflicht kann der Anleger wirtschaftlich zur Ausübung des Wandlungsrechts gezwungen werden, dazu Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 267 Fn. 158; s. auch Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 127 f.; Rozijn, ZBB 1998, 77, 80. 170 S. dazu Winzen in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 6, S. 129 f. 171 Spiering/Grabbe, AG 2004, 91, 95 f.; s. auch Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 66. 172 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 289 ff.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
a) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht Für den Fall, dass die Gesellschaft eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht der Altaktionäre durchführt, besteht ein berechtigtes Interesse der Wandelanleihegläubiger, so gestellt zu werden, als wären sie zu diesem Zeitpunkt bereits Aktionäre der Gesellschaft. Hierzu sehen die Anleihebedingungen i.d.R. vor, dass der Schutz der Anleihegläubiger dadurch bewirkt werden kann, dass entweder (i) das Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis angepasst wird (ii) oder den Anleihegläubigern ebenfalls ein Bezugsrecht auf die neuen Aktien gewährt wird173 oder (iii) die Anleihegläubiger Anspruch auf einen Ausgleich in bar haben174. Zur Anpassung des Wandlungs-/Bezugsverhältnisses vgl. auch Rz. 12.31 f.
11.68
b) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln Die Inhaber von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen werden im Falle einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durch die Vorschrift des § 216 Abs. 3 AktG geschützt175. Gleichwohl sehen die Anleihebedingungen i.d.R. klarstellend vor, dass im Falle einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durch Ausgabe neuer Aktien das Wandlungs- bzw. Bezugsverhältnis in dem Verhältnis der insgesamt ausgegebenen Aktien nach der Kapitalerhöhung zur Anzahl der ausgegebenen Aktien vor der Kapitalerhöhung angepasst wird.
11.69
Wird die Kapitalerhöhung nicht durch die Ausgabe neuer Aktien, sondern mittels einer Erhöhung des jeweiligen auf die einzelne Aktie entfallenden Betrags des Grundkapitals bewirkt, bleiben Wandlungs-/Optionspreis und Wandlungs-/Bezugsverhältnis unverändert; in diesem Fall sind die betreffenden Aktien mit ihrem entsprechend erhöhten anteiligen Betrag des Grundkapitals zu liefern.
11.70
c) Ausschüttungen, Ausgabe von Finanzinstrumenten Zahlt die Zielgesellschaft Vermögen aus oder gewährt sie Schuldverschreibungen, Optionsoder Umtauschrechte, Verkaufsoptionen auf Aktien, Sonderdividenden oder kauft sie eigene Aktien zurück, wird der Wandlungs-/Optionspreis bzw. das Wandlungs-/Bezugsverhältnis gleichfalls angepasst (s. auch Rz. 12.33 f.)176. Eine Anpassung kann auch für den Fall regulärer Dividendenzahlungen in Form eines vollständigen Dividendenausgleichs vorgesehen werden (full dividend pass-through). Richtigerweise ist dies auch dann zulässig, wenn die Ermächtigung nach § 221 AktG diesen Fall nicht ausdrücklich vorsieht, sofern sie eine allgemeine Anpassungsmöglichkeit enthält und (wie üblich) einzelne Fälle des Verwässerungsschutzes nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft benennt177.
173 Zur Schaffung dieser Aktien bedarf es, sofern nicht eigene Aktien geliefert werden, einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts. 174 S. auch Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 293 ff. 175 S. etwa Hüffer/Koch, AktG, § 216 Rz. 14; Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien, S. 96 ff. 176 Dazu auch Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 312. 177 Insoweit kann die Verwaltung im Rahmen der Marktüblichkeit über die nähere Ausgestaltung des Verwässerungsschutzes entscheiden, vgl. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.37.
Schlitt | 435
11.71
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
9. Gläubigerschutz 11.72 Neben Schutzbestimmungen zum Erhalt des wirtschaftlichen Werts des Wandlungs- bzw. Optionsrechts wird von Investoren regelmäßig auch eine gewisse Sicherung ihrer Stellung als Gläubiger der Schuldverschreibung erwartet. Zu diesem Zweck enthalten die Anleihebedingungen überlicherweise eine Negativerklärung (negative pledge) und eine Drittverzugsklausel (cross default clause). Im Rahmen der Negative Pledge verpflichtet sich der Emittent bzw. die die Anleihe garantierende Muttergesellschaft, während der Laufzeit der Anleihe für gleich- oder nachrangige Forderungen von Dritten keine oder nur bestimmte Sicherheiten zu bestellen, sofern nicht die Forderungen der Anleihegläubiger ebenso besichert werden178. Diese Verpflichtung dient dem Ziel, das Haftungsvermögen frei von (zusätzlichen) Lasten zu halten, und räumt den Anleihegläubigern bei Verstößen in der Regel ein außerordentliches Kündigungsrecht ein179. Um dem Interesse des Emittenten nach einer möglichst geringen Einschränkung seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit Rechnung zu tragen, können flexible Ausnahmen von der Negativerklärung vorgesehen werden180.
11.73 Die Cross Default Clause dient der Verhinderung einer Benachteiligung der Wandel-/Op-
tionsanleihegläubiger gegenüber anderen Gläubigern aufgrund der während der Laufzeit der Anleihe noch nicht gegebenen Fälligkeit der Anleiheforderung (s. näher Rz. 16.75). Zu diesem Zweck wird die Anleihe fällig gestellt oder den Gläubigern ein Kündigungsrecht für den Fall eingeräumt, dass der Emittent bzw. die garantierende Muttergesellschaft Zahlungs- oder andere wesentliche Pflichten gegenüber Dritten nicht ordnungsgemäß erfüllt181. Für die Ausgestaltung im Einzelnen kommen verschiedene Varianten in Betracht, so kann als Voraussetzung für das Eingreifen der Cross Default Clause vorgesehen werden, dass die Kündigung einer Drittverbindlichkeit bereits erfolgt sein muss, oder es kann bereits das bloße Bestehen eines Kündigungsrechts als Voraussetzung des Cross Defaults definiert werden182.
11.73a
Anders als bei der Wandelanleihe, finden sich in den Anleihebedingungen von HybridWandelanleihen keine derartigen Klauseln zum Gläubigerschutz. Hintergrund ist die eigenkapitalähnliche Ausgestaltung der Hybrid-Wandelanleihe, der es zuwider laufen würde, den Anleihegläubiger im Verhältnis zu sonstigen Gläubigern des Emittenten zu schützen (zum Nachrang s. Rz. 11.78c f.).
10. Schutz bei Übernahme und Verschmelzung 11.74 Aus dem Umstand, dass auch mit einem Kontrollwechsel (change of control) einerseits
eine Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Unternehmens oder eine Änderung der Strategie des Unternehmens einhergehen kann und andererseits sich aber ein Übernahmebzw. Pflichtangebot nach deutschem Übernahmerecht nicht auf die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen erstrecken muss, resultiert ein Schutzbedürfnis der Anleihegläubi-
178 179 180 181
Bosch in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/184 mit Muster in Rz. 10/246a, dort § 9. Bosch in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/185, näher Rz. 16.58. Ernst in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 5, S. 89. Als Cross Default kann auch der Fall definiert werden, dass ein Anleihegläubiger eine andere Verbindlichkeit des Emittenten bzw. der garantierenden Muttergesellschaft außerordentlich kündigen kann, Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.23. 182 Bosch in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/185.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
ger183. Insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzkrise ist die Absicherung im Fall einer Reduzierung der Kreditwürdigkeit des Emittenten und der Liquidität der zu Grunde liegenden Aktie in den Vordergrund gerückt184. Aus diesem Grund wird den Investoren häufig die Möglichkeit zur vorzeitigen Fälligstellung der Anleihe eingeräumt (change of control put)185. Ergänzend wird regelmäßig eine sich der Höhe nach nach dem Zeitpunkt der Wandlung bzw. Optionsausübung richtende, durch eine Formel ausgedrückte Anpassung des Wandlungs- bzw. Optionspreises vorgesehen186. Zudem findet sich darüber hinaus in Anleihebedingungen häufig ein Recht der Investoren zur vorzeitigen Fälligstellung der Anleihe auch im Falle einer Verschmelzung (merger put), wenn die Aktien des übernehmenden Rechtsträgers nicht an einem organisierten Markt im Europäischen Wirtschaftsraum notiert sind187. In beiden Fällen werden typischerweise auch Szenarien abgedeckt, die nur indirekt, z.B. über Optionen mit Barausgleich (cash-settled derivatives) zu einem Kontrollwechsel führen können188. Eine vorzeitige Fälligstellung der Anleihe kommt bei Hybrid-Wandelanleihen nicht in Betracht, wenn der „equity credit“ nicht vereitelt werden soll (Rz. 18.25). Stattdessen bietet sich die entsprechende Anpassung des Wandlungspreises zugunsten der Anleihegläubiger an.
11.74a
11. Squeeze-Out §§ 327a ff. AktG und §§ 39a ff. WpÜG regeln die Behandlung der Inhaber von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen nicht ausdrücklich189. Bei der Berechnung der für ein SqueezeOut nach § 327a Abs. 1 AktG notwendigen 95 %-Beteiligung des Hauptaktionärs am Grundkapital der Gesellschaft geht die herrschende Meinung zutreffend davon aus, dass die Bezugsrechte aus Wandel- und Optionsschuldverschreibungen nicht einzubeziehen sind190. 183 Ekkenga, DStR 2002, 768, 771; Schüppen, WPg 2001, 958, 961; Wackerbarth in MünchKomm. AktG, § 32 WpÜG Rz. 27; Schlitt in MünchKomm. AktG, § 35 WpÜG Rz. 202; in diese Richtung auch Letzel, BKR 2002, 293, 302, Fn. 100 sowie Baum, ZBB 2003, 9, 14. 184 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 255. 185 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 267; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 324. Allerdings verlieren die Anleger in diesem Fall die Prämie (Zeitwert der Option); s. auch Eichmann, Die Bank 2001, 60, 61. 186 Dies wird teils als unzulässige sog. Poison Pill im Sinne des Übernahmerechts angesehen, wenn die Anleihe in einer konkreten Übernahmesituation ausgegeben wird, so Falkenhausen/Klitzing, ZIP 2006, 1513, 1515. 187 Nach § 23 UmwG sind den Inhabern von Wandel- und Optionsanleihen gleichwertige Rechte an dem übernehmenden Rechtsträger zu gewähren. 188 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 255. 189 Vgl. auch Kiem in Henze/Hoffmann-Becking, RWS-Forum 20: Gesellschaftsrecht 2001, S. 329, 350, der deshalb vorschlägt, in den Anleihebedingungen festzulegen, dass die Bezugsrechte als mit dem Beschluss der Hauptversammlung über den Squeeze-Out als ausgeübt gelten; dagegen Krieger, BB 2002, 53, 61. 190 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 267; Grunewald, ZIP 2002, 18; Krieger, BB 2002, 53, 61; Ehricke/Roth, DStR 2001, 1120, 1122; P. Baums, Ausschluss von Minderheitsaktionären, 2001, S. 152 ff.; Gesmann-Nuissl, WM 2002, 1205, 1206 ff.; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE des WpÜG, NZG 2001, 420, 431; a.A. LG Düsseldorf v. 4.3.2004 – 31 O 144/03, NZG 2004, 1168, 1170; Sieger/Hasselbach, ZGR 2002, 120, 158. Entsprechendes gilt auch im Falle eines Squeeze-Out nach § 39a Abs. 1 WpÜG, in diesem Sinne auch BT-Drucks. 16/1003 v. 17.3.2006, S. 22. S. hierzu im Einzelnen Engelhardt, S. 165 ff.
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11.75
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
Umstritten ist hingegen, ob ein Squeeze-Out auch dann möglich ist, wenn die Wandlungsbzw. Bezugsrechte für sich genommen mehr als 5 % betragen191.
11.76 Fraglich ist, wie die Wandlungs- bzw. Optionsrechte im Zeitpunkt des Squeeze-Outs zu
behandeln sind. Im Einklang mit der Rechtslage bei der Eingliederung192 wandeln sich die Bezugsrechte mit Wirksamkeit des Squeeze-Out ebenso wie die Aktienrechte richtigerweise in einen Barabfindungsanspruch um193. Der Anspruch richtet sich gegen den Hauptaktionär194. Wie der Abfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre entsteht er mit der Eintragung bzw. der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister und ist ab diesem Zeitpunkt fällig. Die Laufzeit der Anleihe endet damit jedoch nicht automatisch. Vielmehr erhält der Bezugsberechtigte nur die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht, sein Bezugsrecht sofort auszuüben195.
11.77 Fraglich ist, welchen Betrag die Anleihegläubiger hiernach als Abfindung verlangen kön-
nen. Die besseren Gründe sprechen dafür, dass die Höhe der Abfindung nicht der auch den Minderheitsaktionären zustehenden vollen Barabfindung196, sondern dem Wert ihrer Optionsrechte entspricht, und nach anerkannten Bewertungsverfahren (Black-Scholes-Modell) zu ermitteln ist197.
12. Delisting 11.78 In den meisten Fällen sehen die Anleihebedingungen keinen besonderen Schutzmechanismus für Fälle vor, in denen die zur Bedienung der Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibung vorgesehenen Aktien als Folge eines Delistings (also der Rücknahme bzw. dem Widerruf der Börsenzulassung; zum Delisting vgl. § 40) nicht mehr börsenmäßig geliefert werden können. Tritt ein solcher Fall198 entgegen den Erwartungen der Investoren ein, dürfte bei einer zum Börsenhandel zugelassenen Anleihe in Ermangelung einer gesonderten Regelung in den Anleihebedingungen eine allgemeine Vertragsverletzung anzunehmen sein, da die Investoren von einer Lieferung börsenzugelassener Aktien ausgehen kön-
191 Für den Ausschluss des Barabfindungsrechtes des Hauptaktionärs in diesem Fall Fleischer, ZGR 2002, 757, 777; Grunewald, ZIP 2002, 18; Krieger, BB 2002, 53, 61; Gesmann-Nuissl, WM 2002, 1205, 1207. 192 BGH v. 2.2.1998 – II ZR 117/97 – Siemens/Nixdorf, ZIP 1998, 560 f.; aus dem Schrifttum vor allem Martens, AG 1992, 209. 193 LG Düsseldorf v. 4.3.2004 – 31 O 144/03, NZG 2004, 1168, 1170; im Einzelnen Schlitt/Seiler/ Singhof, AG 2003, 254, 268; zuvor bereits Fleischer, ZGR 2002, 757, 776; Krieger, BB 2002, 53, 61; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum RefE des WpÜG, NZG 2001, 420, 431; ebenso im Ergebnis Ehricke/Roth, DStR 2001, 1120, 1122 sowie Halm, NZG 2000, 1162, 1165; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1169. 194 Zur Absicherung durch die sog. Barabfindungsgewährleistung eines Kreditinstituts Singhof/ Weber, WM 2002, 1158, 1166 ff. 195 So zur Eingliederung ausdrücklich BGH v. 2.2.1998 – II ZR 117/97, ZIP 1998, 560, 561. 196 So aber Vossius, ZIP 2002, 511, 513. 197 Im Einzelnen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 268. In diesem Rahmen kann dann auch berücksichtigt werden, dass die Inhaber der Wandelschuldverschreibung bei frühzeitiger Ablösung in Folge des Squeeze-Outs auf ihre Zinsansprüche für die Restlaufzeit der Wandelschuldverschreibung verzichten müssen. 198 Ein vergleichbares Problem ergibt sich, wenn die aufgrund einer bedingten Kapitalerhöhung geschaffenen Aktien nicht an der Börse eingeführt oder eigene, nicht notierte Aktien zur Verfügung gestellt werden; Siebel, ZGR 2002, 842, 852.
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nen199. Allerdings kann es im Einzelfall schwierig sein, den mit dem Delisting verbundenen Schaden nachzuweisen200.
13. Kündigungsrechte Während die Anleihebedingungen von Wandelanleihen sowohl zugunsten der Emittenten als auch der Anleihegläubiger Kündigungsrechte vorsehen können, ist dies bei der HybridWandelanleihe jedenfalls dann nicht möglich, wenn der Emittent einen bilanziellen Eigenkapitalausweis nach IFRS anstrebt201. Denn die Freiwilligkeit der Kapitalrückzahlung durch den Emittenten ist Voraussetzung für die IFRS-Eigenkapitalfähigkeit der HybridWandelanleihe. Ein Kündigungsrecht des Anleihegläubigers hätte hingegen zur Folge, dass Anleihegläubiger die Hybrid-Wandelanleihe fällig stellen könnte. Entsprechend sind Kündigungsrechte zugunsten der Anleihegläubiger in den Anleihebedingungen weitestgehend auszuschließen; lediglich das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund, kann wegen des Dauerschuldcharakters der Hybrid-Wandelanleihe nicht ausgeschlossen werden (§ 314 BGB), was im Übrigen jedoch für die Anerkennung der aufgenommenen Mittel als IFRS-Eigenkapital unschädlich ist202. Ein wichtiger Grund könnte grundsätzlich etwa in Fällen angenommen werden, in denen der Emittent in Zinszahlungsverzug gerät, was aber aufgrund des Rechts des Emittenten, Zinszahlungen ohne besonderen Grund aufzuschieben, praktisch nicht vorkommen dürfte.
11.78a
Anders verhält es sich bei Kündigungsrechten des Emittenten, der durch entsprechende Kündigungsrechte zusätzliche Flexibilität erlangen kann (vgl. Rz. 11.59a).
11.78b
14. Besonderheiten bei Hybrid-Wandelanleihen Da „echtes“ Eigenkapital in der Insolvenz oder Liquidation des Unternehmens erst dann an die Gesellschafter ausgeschüttet wird, wenn alle vorrangigen Gläubiger restlos befriedigt wurden (§ 199 InsO), verlangen Ratingagenturen für Hybridanleihen, die „equity credit“ erhalten sollen, einen absoluten Nachrang der Forderungen aus der Anleihe203. Auch bei der Hybrid-Wandelanleihe wird diese Subordination durch schuldrechtliche Nachrangregelungen nachgeahmt. Beispielsweise kann in den Anleihebedingungen vertraglich festgelegt werden, dass die Anleihe lediglich gegenüber den Aktien (gleich welcher Gattung) des Emittenten, Wertpapieren, die gleichrangig mit den Stammaktien des Emittenten rangieren oder ähnlichen Wertpapieren vorrangig sein soll. Eine Gleichrangigkeit kann etwa für weitere vom Emittenten begebene Schuldverschreibungen vereinbart werden. Für alle anderen Verbindlichkeiten gilt dann die Nachrangigkeit der Hybrid-Wandelanleihe.
11.78c
Stammen die Bezugsaktien zur Bedienung wandelnder Anleihegläubiger aus bedingtem Kapital, ist anders als bei einer reinen Hybridanleihe in den Anleihebedingungen jedoch
11.78d
199 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 268; Siebel, ZGR 2002, 842, 852. 200 Die Ersterwerber können sich freilich durch eine entsprechende Regelung im Übernahmevertrag absichern. 201 Zu den Motiven und zu Voraussetzungen der Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals nach IFRS durch die Bewertung von Ratingagenturen s. Rz. 18.7 ff. 202 Vgl. auch Rz. 18.12; zur AGB-rechtlichen Einordnung von Inhaberschuldverschreibungen und die Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Ausschlusses von Kündigungsrechten s. Rz. 18.21 f. 203 S. auch Rz. 18.30 ff.
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streng darauf zu achten, dass der schuldrechtliche Nachrang im Hinblick auf das Kapital der Schuldverschreibungen, nicht jedoch im Hinblick auf Zinsen, auflösend bedingt durch die Wandlung ausgestaltet sein muss. Hintergrund ist die Ausnahmeregelung von den Vorgaben für Sacheinlagen der §§ 194, 195 Abs. 2 Nr. 1, 198 Abs. 1 Satz 3 AktG. Danach gilt der Umtausch von Schuldverschreibungen gegen Bezugsaktien nicht als Sacheinlage (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AktG). Nach ganz herrschender Literaturauffassung ist diese Privilegierung jedoch nicht auf Wandelschuldverschreibungen anwendbar, wenn der Gläubiger am Verlust der Gesellschaft teilnimmt204, wobei auch ein vereinbarter Nachrang zu dieser Fallgruppe zu zählen ist205. Um in den Genuss dieser Ausnahmeregelung für nichtnachrangige Wandelschuldverschreibungen zu kommen, ist entsprechend auch der Nachrang der Hybrid-Wandelanleihe spätestens mit der Wandlung aufzuheben.
11.78e
Um eine Unterwanderung der Nachrangigkeit der Hybrid-Wandelanleihe zu verhindern, ist diese stets unbesichert. Außerdem ist in den Anleihebedingungen ein Aufrechnungsverbot – jedenfalls für den Fall der Insolvenz des Emittenten206 – aufzunehmen. Danach sind Anleihegläubiger nicht berechtigt, Forderungen aus den Schuldverschreibungen gegen mögliche Forderungen des Emittenten aufzurechnen. Gleiches gilt umgekehrt für den Emittenten, der Forderungen gegenüber Anleihegläubigern nicht gegen Verpflichtungen aus den Schuldverschreibungen aufrechnen darf.
15. Richterliche Inhaltskontrolle 11.79 Ob die Anleihebedingungen von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen als all-
gemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren sind und folglich der richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen, ist umstritten, wird jedoch seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung bejaht207. Zu den Einzelheiten und Reformbestrebungen Rz. 12.43 ff.
V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten 1. Platzierung 11.80 In der Regel werden Wandel- und Optionsanleihen nicht öffentlich angeboten, sondern
institutionellen Investoren im Rahmen einer Privatplatzierung offeriert (s. Rz. 11.22). Insoweit bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Platzierung keiner Erstellung eines Wertpapierprospekts (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 1 Abs. 4 lit. a) VO 2017/ 1129 [Neue ProspektVO]).
204 Vgl. dazu Lutter in KölnKomm. AktG, § 194 Rz. 7; Hüffer in Hüffer/Koch, AktG, § 104 Rz. 4; Krieger in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 24; a.A. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 244. 205 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 233. 206 Vgl. Rz. 18.32. 207 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, NJW 2005, 2917 (zu Aktienanleihen); aus dem Schrifttum etwa Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 254 ff. sowie Assmann, WM 2005, 1053; Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315, 330 f.; Heldt in Grieser/Heemann, Bankaufsichtsrecht, S. 834, 844 ff.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
2. Börsenzulassung Um einen liquiden Sekundärmarkt zu fördern, werden Wandelanleihen, häufig kurz nach ihrer Platzierung, regelmäßig an einer Börse in den Handel einbezogen208. In vereinzelten Fällen erfolgt das Listing an einem organisierten Markt, etwa am regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse. I.d.R. werden Wandelanleihen in den letzten Jahren jedoch prospektfrei in den Open Market (Freiverkehr) der Frankfurter Wertpapierbörse einbezogen209. Lediglich vereinzelt erfolgt eine Börsenzulassung, zumeist am nicht-organisierten Euro MTF Market der Luxemburger Wertpapierbörse, wo vergleichsweise geringe Zulassungsvoraussetzungen gelten und lediglich ein relativ schlanker Prospekt für die Zulassung erforderlich ist. Bei Optionsanleihen kann entweder die Optionsanleihe als solche zugelassen werden oder das Optionsrecht bereits vor dem Listing abgetrennt, einem separaten Handel zugeführt (Rz. 11.3) und anschließend nur noch die Anleihe zugelassen werden.
11.81
3. Prospekt a) Prospektpflicht Wird die Wandel- bzw. Optionsanleihe ausnahmsweise öffentlich angeboten oder eine Zulassung zu einem organisierten Markt angestrebt, ist ein Prospekt nach den Vorgaben des jeweilig anwendbaren nationalen Gesetzes zu erstellen, das die Prospektrichtlinie umsetzt (sog. prospektrichtlinienkonformer Prospekt oder PD-compliant prospectus). Eine Prospektveröffentlichung im Zusammenhang mit der Platzierung wird i.d.R. sowohl mit einer Mindeststückelung von mindestens 100 000 Euro (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 1 Abs. 4 lit. c) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO]) und der Ansprache ausschließlich institutioneller Investoren (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 1 Abs. 4 lit. a) VO 2017/1129) vermieden. Eine Prospektpflicht besteht jedoch dann, wenn die Wandel-/Optionsanleihe ausnahmsweise im Wege der Bezugsrechtsemission angeboten wird (Rz. 11.21). Im Zusammenhang mit der Einbeziehung in den Börsenhandel besteht im Regelfall ebenfalls keine Prospektpflicht, da ganz überwiegend eine Notierung an nicht regulierten Märkten wie dem Euro MTF Market oder im Freiverkehr erfolgt (Rz. 11.81). Eines prospektrichtlinienkonformen Prospekts bedarf es insoweit nur dann, wenn die Zulassung an einem organisierten Markt angestrebt wird. Zu den Einzelheiten s. § 36.
11.82
Von der Prospektpflicht betreffend Angebot und Zulassung der Wandelanleihe (Rz. 11.82) zu unterscheiden ist die Frage der Prospektpflicht für diejenigen Aktien, die zwecks Erfüllung der Lieferansprüche der Wandelanleihegläubiger nach Ausübung ihres Wandlungsrechts geliefert werden. Bezüglich dieser Aktien gilt nach neuem Prospektrecht, dass sie grundsätzlich prospektfrei zum Handel zugelassen werden können, sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind (Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. b) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO], s. auch § 4 Abs. 2 Satz 1 WpPG). Eine Volumengrenze von 20 % beinhaltet auch der Ausnahmetatbestand, der die Zulassung von Aktien privilegiert, die mit bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Aktien fungibel sind (Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. a) VO 2017/1129 [Neue Prospekt-
11.82a
208 Dies ist indessen nicht zwingend. Zum Teil wird auch auf eine Einbeziehung in den Börsenhandel verzichtet, sofern dies voraussehbar von den Investoren akzeptiert wird. 209 Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 256; Seibt, CFL 2010, 165, 168.
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VO]). Zwar können im Hinblick auf die prospektfreie Zulassung grundsätzlich mehrere Ausnahmen kombiniert werden. Eine Kombination der Ausnahmen nach Abs. 5 Unterabs. 1 lit. a) und b) ist jedoch nicht zulässig, wenn dies dazu führen könnte, dass über einen Zeitraum von 12 Monaten mehr als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung, die bereits zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen werden, ohne dass ein Prospekt veröffentlicht wird (Art. 1 Abs. 6 Satz 2 VO 2017/1129 [Neue ProspektVO]). Insofern findet also eine Zusammenrechnung statt.
11.82b
Eine solche Anrechnungsregelung existierte vor Inkrafttreten der Neuen ProspektVO nicht. Ein zur Absicherung von Wandlungs- oder Optionsrechten geschaffenes bedingtes Kapital konnte prospektfrei zugelassen werden, ohne dass eine Volumengrenze existierte (§ 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG a.F.). Aus der nunmehr vorgesehenen Anrechnung folgt, dass das Volumen von bis zu 20 % für die Lieferung von Aktien an Wandelanleihegläubiger im Zeitpunkt der Wandlung bereits ganz oder zum Teil aufgezehrt sein kann (z.B. bei einer prospektfreien Sachkapitalerhöhung). Da die Anleihegläubiger grundsätzlich jederzeit ihr Wandlungsrecht ausüben können, ist darauf zu achten, dass stets ein ausreichendes Restvolumen zur Verfügung stehen muss, um praktisch jederzeit eine prospektfreie Zulassung der zu liefernden Aktien erwirken zu können. b) Zuständige Behörde für die Prospektbilligung
11.83 Wird ein prospektrichtlinienkonformer Prospekt erstellt, ist die für die Prospektbilligung
zuständige Behörde diejenige am Sitz des Emittenten, bei einer Emission über eine zum Konzern gehörige Zweckgesellschaft die Behörde an deren Sitz (§ 2 Nr. 13 lit. a) i.V.m. § 13 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 2 lit. m) i) und lit. r) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO]). Wird bei einer Optionsanleihe das Optionsrecht vor dem Listing abgetrennt und nur die Anleihe zugelassen, gelten dagegen die Zuständigkeitsregelungen für Nichtdividendenwerte (Rz. 12.57). c) Prospektinhalt
11.84 Sofern Wandel- bzw. Optionsanleihen ein Recht zur Wandlung in bzw. zum Bezug von
neuen, noch nicht börsenzugelassenen Aktien einräumen, richtet sich der Mindestprospektinhalt hinsichtlich des Emittenten nach Anhang I der ProspektVO (Art. 4 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]210 i.V.m. § 7 WpPG)211. Bei der Emission über eine Konzerngesellschaft ist für diese je nach Stückelung Anhang IV (Stückelung von weniger als 100 000 Euro, Art. 7 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]) oder Anhang IX (Mindeststückelung von 100 000 Euro, Art. 12 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]) maßgeblich, die Angaben des Anhang I hinsichtlich der die zugrunde liegenden neuen Aktien ausgebenden Konzern210 „ProspektVO“ bezeichnet die Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, ABl. EU Nr. L 186 v. 18.7.2005, S. 3, zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) Nr. 862/2012. 211 Die auf Wandelanleiheemissionen anwendbaren Anhänge unterliegen aktuell einer Überprüfung auf EU-Ebene; s. auch Rz. 11.21.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
mutter werden über Art. 17 VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) in Bezug genommen212. Hinsichtlich der Beschreibung der Anleihe gilt je nach Stückelung Anhang V (Stückelung von weniger als 100 000 Euro, Art. 8 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]) oder Anhang XIII (Mindeststückelung von 100 000 Euro, Art. 16 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]). Häufig ist aufgrund der Ausgestaltung der Anleihebedingungen nicht sichergestellt, dass die Aktien bei Lieferung einen Wert haben, der dem Nennwert der Anleihe entspricht, bzw. dass eine etwaige Differenz zum Nennwert der Anleihe nicht durch einen entsprechenden Barbetrag ausgeglichen wird. In solchen Fällen ist für die Beschreibung der Anleihe nach Art. 15 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO] Anhang XII (Derivative Wertpapiere) anzuwenden213. Bei einer Emission über eine Konzerngesellschaft sind darüber hinaus im Hinblick auf die ergänzende Garantie der Konzernmutter (s. dazu Rz. 11.7) zusätzlich die Vorgaben des Anhang VI zur ProspektVO (Art. 9 VO Nr. 809/2004 [ProspektVO]) zu berücksichtigen. Zum grundsätzlichen Gebot der Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts und dem Zusammenspiel von WpPG und ProspektVO s. Rz. 36.14, 36.19. Wird bei einer Optionsanleihe das Optionsrecht vor dem Listing abgetrennt und nur die Anleihe zugelassen, so bedarf es je nach Stückelung nur der Anhänge IV und V (Stückelung von weniger als 100 000 Euro) bzw. IX und XIII (Mindeststückelung von 100 000 Euro) sowie Anhang VI im Fall einer etwaigen Garantie214.
4. Transparenzpflichten In den letzten Jahren haben die stimmrechtsbezogenen Meldepflichten des WpHG auch bei der Emission von Wandel- und Optionsanleihen verstärkte Bedeutung bekommen. Aus Sicht der Investoren relevant ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Meldepflicht für das Halten sonstiger Finanzinstrumente (§ 38 WpHG). Für die Inhaber von Wandel- und Optionsanleihen kommt diese Meldepflicht richtigerweise jedoch nur dann in Betracht, wenn sich das Wandlungs- bzw. Bezugsrecht ausschließlich auf bereits existierende und zugelassene Aktien bezieht215. Sofern wie üblich nach Wahl des Emittenten auch neue Aktien geliefert oder ein Barausgleich vorgenommen werden können, findet die Meldepflicht richtigerweise keine Anwendung216.
11.85
Aus Sicht der Gesellschaft ist bei der Ausgabe von Bezugsaktien die Pflicht zur Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte am Ende jedes Kalendermonats, in dem es zu einer Zu- oder Abnahme gekommen ist, zu beachten (§ 41 Abs. 2 WpHG). Früher entsprach es der gängigen Praxis, dass die als Wandlungs- bzw. Optionsstelle fungierende Bank die Gesellschaft lediglich einmal jährlich über die Anzahl der aus dem bedingten Kapital ausgegebenen Bezugsaktien informiert hat, damit diese die nach Ablauf eines jeden Geschäftsjahres vorzunehmende Anmeldung der ausgegebenen Bezugsaktien zum Handelsregister bewirken kann (vgl. § 201 AktG). Zur Erfüllung ihrer Meldepflichten nach
11.86
212 Im seltenen Fall einer Unterlegung ausschließlich mit bestehenden Aktien bedürfte es insoweit nur der in Ziff. 4.2.2. des Anhangs XII VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) vorgesehenen Angaben, Art. 21 i.V.m. Anhang XVIII VO Nr. 809/2004. 213 Vgl. zur Abgrenzung zwischen derivativen Wertpapieren und reinen Schuldtiteln Art. 8 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 VO Nr. 809/2004 (ProspektVO). 214 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 498, 505. 215 Darüber hinaus werfen auch der Zeitpunkt einer etwaigen Meldepflicht und die Berücksichtigung der Optionsprämie Fragen auf, dazu näher Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 233 f. 216 Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 233 f.
Schlitt | 443
§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
§ 41 WpHG ist die Gesellschaft jedoch auf eine monatliche Information durch die Wandlungs-/Optionsstelle angewiesen. Mit Blick auf die unmittelbar zum Monatsende bestehende Veröffentlichungspflicht erscheint es empfehlenswert, eine Berichtspflicht der Wandlungs-/Optionsstelle zu einem möglichst unmittelbar vor jedem Monatsende liegenden Zeitpunkt zu vereinbaren217.
11.87 Im Zusammenhang mit der Emission von Wandel- bzw. Optionsschuldverschreibungen
kann die Bank „organisierte (gedeckte) Leerverkaufspositionen“ für Investoren bereitstellen, um einer negativen Kursentwicklung entgegen zu wirken (dazu näher Rz. 10.93). Hierbei werden den Investoren Aktien des Emittenten im Wege eines Wertpapierdarlehens zur Verfügung gestellt, die von diesen weiterveräußert werden und die Rücklieferungsverpflichtung aus dem Darlehen mit den Wandlungs- bzw. Bezugsrechten aus der Wandel-/ Optionsanleihe besichert werden218. Da es sich insoweit nicht um eine sog. „einfache Wertpapierleihe“ handelt, sondern das Eigentum an den Aktien weder rechtlich noch wirtschaftlich beim Darlehensgeber verbleibt, greifen daher sowohl für den Darlehensgeber als auch den Darlehensnehmer die Meldepflichten nach §§ 33 ff. WpHG gegenüber dem Emittenten und der BaFin ein, sofern die Übertragung der Aktien im Rahmen des Wertpapierdarlehens zu einem Erreichen, Unter- oder Überschreiten einer meldepflichtigen Stimmrechtsschwelle bei diesen führt219. Darüber hinaus löst der bloße Rückgewähranspruch des Darlehensgebers eine Meldepflicht für sonstige Instrumente (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG) aus. Wird das Wertpapierdarlehen aus dem Handelsbestand der Bank zur Verfügung gestellt, werden die im Handelsbestand gehaltenen Stimmrechte hinsichtlich der Meldepflichten bis zu einem Volumen von 5 % automatisch nicht berücksichtigt (§ 36 Abs. 1 WpHG)220.
11.88 Zur Begrenzung einer etwaigen negativen Kursentwicklung im Zusammenhang mit einer
Wandel-/Optionsanleiheemission ist auch die gleichzeitige Durchführung eines Aktienrückkaufs durch den Emittenten denkbar (s. Rz. 10.94). Erreicht oder überschreitet der Emittent infolge des Aktienrückkaufs die Schwellen von 5 %, 10 % bzw. bei Emittenten mit Herkunftsstaat Deutschland zusätzlich 3 % der Stimmrechte, hat er dies ebenfalls zu veröffentlichen und dem Unternehmensregister zu übermitteln (§ 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Bei der Veröffentlichung der Gesamtzahl der Stimmrechte nach § 41 WpHG (Rz. 11.86) sind eigene Aktien unbeschadet der aktienrechtlichen Nichtausübbarkeit der Stimmrechte (§ 71b AktG) entsprechend der bisherigen Praxis nicht in Abzug zu bringen221. Soll der Aktienrückkauf im Rahmen des Safe Harbour der VO Nr. 2273/2003 durchgeführt werden, sind insoweit weitere Transparenzpflichten zu beachten222.
217 218 219 220
Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 235 f. Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 235. Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 235. Voraussetzung für die Nichtberücksichtigung ist, dass die Stimmrechte aus den im Handelsbestand gehaltenen Aktien nicht ausgeübt oder anderweitig zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung des Emittenten genutzt werden. 221 Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 235. 222 ABl. EG L 336 v. 23.12.2003, S. 33. Zu den kapitalmarktrechtlichen Rahmenbedingungen eingehend Singhof/Weber, AG 2005, 549. Unabhängig von der Anwendbarkeit des Safe Harbour gelten die aktienrechtlichen Transparenzpflichten nach § 71 Abs. 3 AktG. Weitergehend zu eigenen Aktien s. § 8.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
VI. Umstrukturierungen 1. Rückkauf der Anleihe Liegt der Marktwert einer Wandelanleihe deutlich unter dem Nennbetrag, kann es für Emittenten zur Liquiditätsschonung sinnvoll sein, sie vor Endfälligkeit zurückzukaufen. Grundsätzlich ist dies zulässig, sofern in den Anleihebedingungen keine gegenteilige Regelung getroffen wird. Als Rückkaufmöglichkeiten kommen ein öffentliches Rückkaufangebot, der Abschluss von Einzelverträgen (negotiated repurchases) und – bei Börsennotierung der Anleihe – ein Rückkauf über die Börse in Betracht. Letzteres unterliegt keinen Beschränkungen und ist i.d.R. aufgrund eines Vorstandsbeschlusses jederzeit möglich223. Auch die Abgabe eines öffentlichen Rückkaufangebots unterliegt keinen besonderen Vorschriften. Insbesondere besteht bei einem Kaufangebot, anders als beim Angebot zum Tausch in andere Wertpapiere, keine Prospektpflicht. Im Falle einzelvertraglicher Rückerwerbe ist das kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsgebot zu beachten (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Es müssen daher sachliche Gründe die Auswahl einzelner Anleihegläubiger rechtfertigen224, z.B. die Ansprache des Emittenten durch eben jene Anleihegläubiger, der Umfang der vom Anleihegläubiger gehaltenen Wandelanleihen, die begründete Erwartung oder besonders günstige Konditionen in den Verhandlungen mit einem bestimmten Anleihegläubiger erreichen zu können.
11.89
2. „Incentivierung“ zur Wandlung Vor dem Hintergrund volatiler Aktienmärkte haben Emittenten häufig ein Interesse, die Wandlung ausstehender Wandelanleihen zu fördern, während dem ein aus Sicht der Anleihegläubiger unattraktiver Aktienkurs entgegensteht. Dies führt bisweilen zur Überlegung, die Wandlung durch Zahlung einer Prämie (sog. Sweetener) zu incentivieren225. Wirtschaftlich führt eine solche Zahlung jedoch der Sache nach zur nachträglichen Herabsetzung des Wandlungspreises, so dass ein erneuter Vorstands- und Aufsichtsratsbeschluss erforderlich ist. Dabei sind Vorstand und Aufsichtsrat weiterhin an die ursprüngliche Hauptversammlungsermächtigung gebunden226, was den Spielraum für solche Gestaltungen sehr einschränkt.
11.90
Zusätzlich sind das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) und das Verbot der finanziellen Förderung eines Aktienerwerbs (§ 71a AktG) zu bedenken. Eine unzulässige Einlagenrückgewähr liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn sich die Prämie am abdiskontierten gegenwärtigen Wert der noch ausstehenden, zukünftigen Zinszahlungen bemisst227. Der Anleihegläubiger erhält in diesem Fall keine über die Anleihebedingungen hinausgehende Leistung der Gesellschaft, sondern wird lediglich so gestellt, wie er bei späterer Ausübung des Wandlungsrechts gestanden hätte228. Ebenso wird der Erwerb der Bezugsaktien nicht in unzulässiger Weise unterstützt, da er weiterhin durch die Umwidmung des
11.90a
223 224 225 226 227
Seibt, CFL 2010, 165, 174. Seibt, CFL 2010, 165, 175. Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 44.26. Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 158a; Wilk/Schlee, ZIP 2016, 2041, 2049; Wieneke, WM 2017, 698, 705. 228 Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 158a; Wilk/Schlee, ZIP 2016, 2041, 2049.
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§ 11 | Wandel- und Optionsanleihen
bereits an die Gesellschaft gezahlten Ausgabepreises in eine Einlageleistung zustande kommt229. Soweit die Wandelschuldverschreibung unter erleichtertem Ausschluss des Bezugsrechts begeben wurde (dazu Rz. 11.49), müssen die Vorgaben des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auch unter Zugrundelegung des durch die Incentivierung reduzierten Wandlungspreises erfüllt sein230. Der Ausgabebetrag darf den hypothetischen Marktpreis der Wandelanleihe weiterhin nicht wesentlich unterschreiten231. Die Prämienzahlung führt jedoch nur insoweit zu einer Reduzierung des Wandlungspreises, als die Anleiheinhaber nicht nur einen Barausgleich für entgangene zukünftige Zinszahlungen (und ggf. für einen nicht durch die Wandlung realisierten Zeitwert der Option) erhalten, sondern die Höhe der Sonderzahlung darüber hinausgeht232. Orientiert sich die Sonderzahlung folglich am abdiskontierten Wert der noch ausstehenden Zinszahlungen, bleiben die Vorgaben des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG gewahrt. Insgesamt erscheint eine Incentivierung nach deutschem Recht nach wie vor schwierig, da es an Beispielsfällen aus der Praxis fehlt233.
3. „Umwandlung“ einer Anleihe in eine Wandelschuldverschreibung 11.91 Besteht keine Wandelanleiheermächtigung und kommt die Begebung einer „synthetischen“
Wandelanleihe (dazu Rz. 11.42 ff.) nicht in Betracht, wird bisweilen erwogen, zunächst eine Anleihe zu begeben, die nach dem Hauptversammlungsbeschluss „automatisch“ gegen eine Wandelschuldverschreibung ausgetauscht wird. Dabei kann etwa an folgende Szenarien gedacht werden:
11.92 Die Gesellschaft begibt zur Überbrückung eine gewöhnliche Anleihe, die bereits die Kon-
ditionen der späteren Wandelschuldverschreibung aufweist. Alternativ ist an die Emission einer synthetischen Wandelschuldverschreibung zu denken, die bis zur Schaffung der Ermächtigung nach § 221 AktG und eines entsprechenden bedingten Kapitals durch eigene Aktien bedient wird, wobei die Bereitstellung der Aktie durch eine Call-Option des Hauptaktionärs abgesichert wird (zur Konstruktion Rz. 11.42 ff.)234. Die Anleihebedingungen sehen vor, dass eine Umwandlung der Anleihe in eine Wandelschuldverschreibung erfolgt, sobald die Hauptversammlung die zunächst fehlende Ermächtigung nach § 221 AktG und die Schaffung eines bedingten Kapitals beschlossen hat.
11.93 Eine solche Umwandlung in eine Wandelschuldverschreibung ist allerdings nicht unpro-
blematisch. Die Hauptversammlungsbeschlüsse müssen von den Aktionären zunächst so gefasst werden, dass sie die Konditionen der Anleihe in allen Einzelheiten reflektieren. Um eine Gewährung der Wandelschuldverschreibung an die Erwerber der synthetischen Anleihe sicherzustellen, bedarf es eines Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre durch die Hauptversammlung235. Wenn bei in der Zwischenzeit gestiegenen Kursen der 229 230 231 232 233 234
Wilk/Schlee, ZIP 2016, 2041, 2042. Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258; Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 158a. Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258. Wilk/Schlee, ZIP 2016, 2041, 2048. Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252, 258; Seibt, CFL 2010, 165, 175. Nach richtiger Ansicht bedarf die Emission einer solchen Anleihe wegen des fehlenden Verwässerungseffekts keines ermächtigenden Hauptversammlungsbeschlusses (Rz. 11.27). 235 Hierin könnte man bei kritischer Betrachtung eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit der Hauptversammlung sehen, vgl. auch den indessen nicht völlig gleich gelagerten Fall OLG Celle v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48, 49.
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Wandel- und Optionsanleihen | § 11
tatsächliche Ausgabebetrag der Anleihe den (hypothetischen) Marktpreis für die Wandelschuldverschreibung nicht mehr wesentlich unterschreitet, liegen die Voraussetzungen für den erleichterten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG (analog) nicht mehr vor (Rz. 11.49 f.). In diesem Fall kommt es darauf an, ob der Ausschluss des Bezugsrechts sachlich gerechtfertigt ist. Fraglich ist schließlich, ob in einer solchen Konstellation die Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG vorliegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn man den auf die Anleihe gezahlten Betrag noch als wirksame Bareinlage auf die Wandelschuldverschreibung ansehen könnte236.
4. Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz Zu den Umstrukturierungsmöglichkeiten nach dem SchuldverschreibungsG im Einzelnen Rz. 12.64 ff.
236 Tendenziell gegen eine Anwendbarkeit in diesem Fall Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 233.
Schlitt | 447
11.94
§ 12 Umtauschanleihen I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Umtauschanleihe 2. Zweck der Begebung von Umtauschanleihen . . . . . . . 3. Gestaltungsformen . . . . . . . 4. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen . . . . .
... ... ... ... ...
__ __ _ _ __ __ __ __ __ __ _ _ _ _ _ __ _
12.1 12.1 12.3 12.4 12.5
II. Überblick über das Platzierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 1. Struktur von Umtauschanleiheemissionen . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 2. Kombination mit Block Trade . . 12.11 3. Synthetische UmtauschanleiheStrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . 12.12 4. Ad-hoc-Mitteilungspflicht . . . . . 12.13 III. Begebungsvoraussetzungen . . . 1. Gremienbeschlüsse . . . . . . . . . a) Vorstand . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . c) Hauptversammlung . . . . . . . 2. Kein Bezugsrecht der Aktionäre
. . . . . .
IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . 3. Barzahlung statt Lieferung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begründung einer Umtauschpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anpassung der Umtauschbedingungen . . . . . . . . . . . . . . a) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . . . . . . . . . . . b) Aktiensplit, umgekehrter Aktiensplit und Zusammenlegung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kapitalherabsetzung . . . . . . . . d) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht oder sonstige Gewährung von Bezugsrechten . . . . . . . . .
12.15 12.15 12.15 12.16 12.17 12.19 12.20 12.20 12.21 12.23 12.24 12.26 12.27 12.29 12.30 12.31
6. 7. 8. 9. 10. 11.
e) Ausschüttungen . . . . . . . . . . . f) Umwandlungen . . . . . . . . . . . Schutz bei Übernahme . . . . . . . Ersetzung des Anleiheschuldners Gläubigerschutz und Kündigungsrechte der Anleihegläubiger Bestellung eines Treuhänders . . . Separierung der zugrundeliegenden Aktien . . . . . . . . . . . . . . . Richterliche Inhaltskontrolle . . . a) Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der Inhaltskontrolle aa) Schuldnerersetzungsklausel . bb) Kündigungsrechte der Anleihegläubiger . . . . . . . cc) Bekanntmachungsklauseln . dd) Umtauschpflicht . . . . . . . .
V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten . . . . . . . . 1. Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Börsenzulassung . . . . . . . . . . . . 3. Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prospektpflicht . . . . . . . . . . . b) Zuständige Behörde für die Prospektbilligung . . . . . . . . . . c) Prospektinhalt . . . . . . . . . . . . d) Prospekthaftung, Due Diligence 4. Transparenzpflichten . . . . . . . . VI. Restrukturierung von Umtauschanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes . . . . . . . 2. Zulässige Beschlussgegenstände . 3. Mehrheitsentscheidungen . . . . . 4. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . 5. Interessenwahrnehmung durch einen gemeinsamen Vertreter . . .
__ __ __ __ __ _ __ _ __ __ _ __ __ _ __ __ _
12.33 12.35 12.37 12.39 12.40 12.41 12.42 12.43 12.43 12.47 12.48 12.49 12.50 12.51 12.54 12.54 12.55 12.56 12.56 12.57 12.58 12.59 12.62 12.64 12.64 12.66 12.67 12.68 12.69
Schrifttum: Assmann, Anleihebedingungen und AGB-Recht, WM 2005, 1053; Baums, Die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach dem Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZBB 2009, 1; Bungert, Wertpapierbedingungen und Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz, DZWiR 1996, 185; Cranshaw, Internationalisierung und Modernisierung – Bemerkungen zum geltenden und zum Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2008, 504; Dreyer/Herrmann, Die Besteuerung von Aktien-, Wandel- und Um-
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Umtauschanleihen | § 12 tauschanleihen, BB 2001, 705; Ekkenga, Wertpapier-Bedingungen als Gegenstand richterlicher AGBKontrolle?, ZHR 160 (1996), 59; Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien bei Optionsanleihen und Wandelschuldverschreibungen, 1999; Gruson/Harrer, Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen sowie Bedeutung des AGB-Gesetzes bei DM-Auslandsanleihen auf dem deutschen Markt, ZBB 1996, 37; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001; Häuselmann/Wagner, Steuerbilanzielle Erfassung aktienbezogener Anleihen: Options-, Wandel-, Umtausch- und Aktienanleihen, BB 2002, 2431; Heldt, Die „kollektive Bindung“ im Entwurf des Schuldverschreibungsgesetzes – Willensbildung und AGB-Kontrolle in Vertragsnetzwerken, FS Teubner, 2009, S. 315; Heldt, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, in Grieser/Heemann, Bankaufsichtsrecht, 2009, S. 834; Hopt, Änderungen von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG –, FS Steindorff, 1990, S. 341; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihenmarkt, BKR 2009, 446; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972; Joussen, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen nach dem AGBG, WM 1995, 1861; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1993; Klerx/Penzlin, Schuldverschreibungsgesetz von 1899 – ein Jahrhundertfund?, BB 2004, 791; Kusserow, Opt-in Beschlüsse nach dem neuen Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen, WM 2011, 1645; Leuering, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, NZI 2009, 638; Leuering/Zetzsche, Die Reform des Schuldverschreibungs- und Anlageberatungsrechts – (Mehr) Verbraucherschutz im Finanzmarktrecht?, NJW 2009, 2856; Maier-Reimer, Fehlerhafte Gläubigerbeschlüsse nach dem Schuldverschreibungsgesetz, NJW 2010, 1317; Maier-Reimer, Rechtsfragen der Restrukturierung, insbesondere der Ersetzung des Schuldners, Vortrag v. 5.2. 2004 am Institute for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 27; Masuch, Anleihebedingungen und ABG-Gesetz: die Bedeutung des AGB-Gesetzes für Emissionsbedingungen und Anleihen, 2001; Meier/Schauenburg, Back to Square One – Frankfurter Gerichte beschränken Restrukturierungsmöglichkeiten für Schuldverschreibungen, CFL 2012, 161; Penzlin/Klerx, Das Schuldverschreibungsgesetz – Insolvenzrechtliche Sonderregeln für Anleihegläubiger, ZInsO 2004, 311; Podewils, Neuerungen im Schuldverschreibungs- und Anlegerschutzgesetz, DStR 2009, 1914; Randow, Anleihebedingungen und Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes, ZBB 1994, 23; Regelin/Roos, Wandelschuldverschreibungen, Umtauschanleihen, Genussscheine und Anleihen, GoingPublic 2005, 80; Reuter, „Krisenrecht“ im Vorfeld der Insolvenz – das Beispiel der börsennotierten AG, BB 2003, 1797; Scherrer, Bilanzielle Behandlung von Schuldverschreibungen mit Emittententilgungswahlrecht, DStR 1999, 1205; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen SchVG, AG 2009, 477; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem SchVG, FS Maier-Reimer, 2010, S. 615; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen des ProspektrichtlinieUmsetzunsgesetzes auf Aktien- und Equity-Linked-Emissionen, AG 2005, 498; Schlitt/Schäfer, Auswirkungen der Umsetzung der Transparenzrichtlinie und der Finanzmarktrichtlinie auf Aktien- und Equity-Linked-Emissionen, AG 2007, 227; Schmidt/Schrader, Leistungsversprechen und Leistungsbestimmungsrechte in Anleihebedingungen unter Berücksichtigung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 397; Schneider, Die Änderung von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger, Vortrag vom 5.2.2004 am Institute for Law and Finance der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt, Working Paper Series No. 25; Simon, Restrukturierung von Schuldverschreibungen nach neuem SchuldVG, CFL 2010, 159; Steffek, Änderungen von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, FS Hopt, 2010, S. 2597; Than, Anleihegläubigerversammlung bei DM-Auslandsanleihen?, FS Coing, Bd. 2, 1998, S. 521; Than, Rechtsfragen bei Festlegung von Emissionsbedingungen für Schuldverschreibungen unter besonderer Berücksichtigung der Dematerialisierung und des Depotgesetzes, Vortrag v. 5.2.2004 am Institute for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 23; Vogel, Das Schuldverschreibungsgesetz – Gesetzgeberisches Fossil oder lebendes Kapitalmarktrecht?, ZBB 1996, 321; Vogel, Die Stellung des Anleihetreuhänders nach deutschem Recht, Vortrag v. 5.2.2004 am Institute for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 26; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004; Wiese/Dammer, Zusammengesetzte Finanzinstrumente der AG, DStR 1999, 867; Wolf, Anlegerschutz durch Inhaltskontrolle
Schlitt/Kammerlohr | 449
§ 12 | Umtauschanleihen von Emissionsbedingungen bei Kapitalmarkttiteln, FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 651; Zahn/Lemke, Anleihen als Instrument der Finanzierung und Risikosteuerung, BKR 2002, 527. Wir danken Andreas Mildner und Carlos Landschein für die hilfreiche Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Beitrages anlässlich der Viertauflage.
I. Allgemeines 1. Begriff der Umtauschanleihe 12.1
Umtauschanleihen (exchangeable bonds) sind Wertpapiere, die einen Anspruch auf Zinszahlung, auf Rückzahlung der Anleihe bzw. auf Umtausch der Urkunde in Aktien einer Gesellschaft, die nicht mit dem Emittenten identisch ist (Zielgesellschaft), verbriefen1. Es handelt sich demnach um eine besondere Form von Inhaberschuldverschreibungen gemäß §§ 793 ff. BGB. Emittenten einer Umtauschanleihe sind i.d.R. Kapitalgesellschaften; bisweilen treten auch öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften als Emittenten auf2. Das Recht zum Umtausch in Aktien der Zielgesellschaft kann während eines in den Anleihebedingungen festgelegten Umtauschzeitraums ausgeübt werden. Durch die Festlegung des (ggf. später anzupassenden) Umtauschpreises (exchange price) ist ein Umtausch für den Anleihegläubiger wirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn der Kurs der Aktien der Zielgesellschaft den Umtauschpreis überschritten hat3. Das Umtauschverhältnis (exchange ratio) bezeichnet das Verhältnis, in dem die Anleihe in Aktien der Zielgesellschaft umgewandelt werden kann.
12.2
Umtauschanleihen werden ähnlich wie Wandelanleihen als hybride Instrumente oder Equity-linked Notes klassifiziert4. Diese Begriffe verdeutlichen, dass es sich weder um eine reine Schuldverschreibung (debt instrument) noch um eine Kapitalbeteiligung (equity instrument) handelt. Die Zwitterstellung resultiert daraus, dass der Anleihegläubiger für die Zeit bis zum Umtausch wie ein Kreditgeber Zinsen erhält. Eine mitgliedschaftliche Stellung erwächst ihm erst nach Umtausch der Anleihe und der damit einhergehenden Aufgabe seiner Gläubigerstellung. Auch wenn die Anleihe als Pflichtumtauschanleihe ausgestaltet ist (Rz. 12.25), partizipiert der Anleihegläubiger erst ab diesem Zeitpunkt am Eigenkapital der Zielgesellschaft und kann die mit der Aktionärsstellung verbundenen mitgliedschaftlichen Rechte ausüben5.
2. Zweck der Begebung von Umtauschanleihen 12.3
Da die Zinsen (coupon) bei einer Umtauschanleihe wegen des zusätzlichen Umtauschrechts typischerweise niedriger sind als bei gewöhnlichen Anleihen, ermöglichen sie dem Emitten1 Wiese/Dammer, DStR 1999, 867; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 532; Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2433. 2 So etwa die Stadt Gelsenkirchen (Umtauschanleihe in Aktien der RWE AG im März 2004) bzw. die Stadt Düsseldorf (Umtauschanleihe in Aktien der RWE AG im Juni 2004). 3 Die in Prozenten ausgedrückte Differenz zwischen dem Umtauschpreis und dem Preis der Aktien der Zielgesellschaft im Zeitpunkt der Platzierung der Anleihe (reference price) wird als Prämie (premium) bezeichnet. 4 Wiese/Dammer, DStR 1999, 867; Dreyer/Herrmann, BB 2001, 705; Rozijn, ZBB 1998, 77, 85, insbes. Fn. 54; Scherrer, DStR 1999, 1205. 5 Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 532.
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Umtauschanleihen | § 12
ten eine günstigere Fremdfinanzierung6. Die Begebung einer Umtauschanleihe eröffnet dem Emittenten darüber hinaus einen Weg, eine Unternehmensbeteiligung über einen längeren Zeitraum „gestreckt“ zu veräußern7. In der jüngeren Vergangenheit haben Umtauschanleihen wieder eine gesteigerte Bedeutung erlangt8. Die Umtauschanleihe als Instrument der gestreckten Beteiligungsveräußerung erweist sich insbesondere dann als vorteilhaft, wenn der Emittent für die zu veräußernde Beteiligung aus seiner Sicht zum gegebenen Zeitpunkt keinen angemessenen Preis erzielen kann. Für die Anleihegläubiger sind Umtauschanleihen attraktiv, da sie einen festen Zinssatz und die Rückzahlung des Anleihebetrages garantieren und darüber hinaus ein spekulatives Element hinsichtlich des Wertes der beim Umtausch zu erwerbenden Aktien enthalten9.
3. Gestaltungsformen Ähnlich wie bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen lassen sich zwei Gestaltungsformen unterscheiden: die direkte Emission durch den deutschen Emittenten sowie die Emission über eine Zweckgesellschaft (vgl. dazu auch Rz. 11.7). In der Praxis überwiegt jedoch die direkte Emission.
12.4
4. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen Gewährt eine von einer ausländischen Zweckgesellschaft begebene Anleihe einen Anspruch auf Wandlung in Aktien der deutschen Muttergesellschaft des Emittenten, kann der Anleihegläubiger zwar ebenfalls einen Umtausch in Aktien einer dritten Gesellschaft verlangen. Gleichwohl liegt in diesem Fall keine Umtauschanleihe im engeren Sinne, sondern eine Wandelanleihe nach § 221 AktG (Rz. 11.26) vor10. Die Schaffung der Umtauschaktien wirkt sich nämlich auf die Rechtsstellung der Aktionäre der Muttergesellschaft in gleicher Weise aus wie im Falle einer direkten Begebung der Anleihe durch die Muttergesellschaft.
12.5
Bei der klassischen Umtauschanleihe steht das Umtauschrecht dem Anleihegläubiger zu. Wird das Recht, statt Rückzahlung der Anleihe in Geld dem Inhaber der Schuldverschreibung eine bestimmte Anzahl von Aktien zu liefern, hingegen dem Emittenten eingeräumt, spricht man von einer umgekehrten Umtauschanleihe (reverse exchangeable) oder Aktienanleihe11.
12.6
6 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 7; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 532; Schumann, Optionsanleihen, S. 12, 44, 88; Rozijn, ZBB 1998, 77, 87. 7 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 255. 8 Z.B. die 1 Mrd. Euro Umtauschanleihe der Bayer AG. S. auch die 500 Mio. Euro Umtauschanleiheemission der RAG-Stiftung in Aktien der Evonik Industries AG (März 2017). 9 Vgl. zu den parallelen Erwägungen bei Wandelanleihen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254. 10 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 70 ff.; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, S. 236 ff.; Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien, S. 27; Schumann, Optionsanleihen, S. 37/38; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, S. 137/138. 11 Dazu etwa Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739; Luttermann, ZIP 2001, 1901; Lenenbach, NZG 2001, 481; Schwark, WM 2001, 1973; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, S. 116; Marburger in FS Hadding, 2004, S. 949.
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§ 12 | Umtauschanleihen
II. Überblick über das Platzierungsverfahren 1. Struktur von Umtauschanleiheemissionen 12.7
Umtauschanleihen werden in aller Regel unter Einschaltung einer oder mehrerer Banken bei den Investoren platziert (Fremdemission). Zur Ausgestaltung der Platzierungspflichten im Übernahmevertrag s. § 30.
12.8
Zumeist erfolgt die Emission als Privatplatzierung bei institutionellen Investoren außerhalb der USA gemäß Regulation S unter dem US Securities Act 1933. Ein öffentliches Angebot in Deutschland oder im Ausland erfolgt nur selten. In Ausnahmefällen wird ein Teil der Anleihe im Rahmen einer Privatplatzierung bei US-amerikanischen Investoren nach Rule 144A12 platziert. Zur Börsenzulassung Rz. 12.55.
12.9
Häufig werden Umtauschanleihen im Wege eines Accelerated Placement13 an die institutionellen Investoren emittiert, die auf der Grundlage eines Termsheets (off termsheet), das die wesentlichen Eckpunkte der Anleihebedingungen in verkürzter Fassung enthält, angesprochen werden14.
12.10 Bis zur wertpapierrechtlichen Begebung und etwaigen Börsenzulassung der Umtausch-
anleihen werden nur Rechte auf den Bezug von Umtauschanleihen gehandelt. Man spricht von einem Handel per Erscheinen, vgl. auch Rz. 11.23. Die Unterzeichnung des Übernahmevertrages erfolgt i.d.R. bereits anlässlich der Platzierung oder erst seltener bei der eigentlichen Begebung der Anleihen im Zuge des Closings, vgl. dazu § 30.
2. Kombination mit Block Trade 12.11 Emissionen von Umtauschanleihen können mit Block-Trade-Transaktionen verbunden wer-
den.15 In diesem Fall begibt der Aktionär nicht nur eine Umtauschanleihe auf die von ihm gehaltenen Aktien, sondern verkauft einen Teil unmittelbar an Investoren. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass sowohl Equity-Investoren als auch Equity-linked Investoren und damit insgesamt ein größeres Investorenpublikum angesprochen werden kann16.
3. Synthetische Umtauschanleihe-Strukturen 12.12 Eine weitere Struktur ist die Begebung von synthetischen Umtauschanleihen durch eine nicht
mit der Gesellschaft verbundene Zweckgesellschaft (special purpose vehicle, SPV). Ziel einer solchen Struktur ist, die (ggf. sofortige) Abgabe der Beteiligung und gleichzeitig eine fortgesetzte Partizipation der Gesellschaft an Kurssteigerungen der Beteiligungsaktien zu erreichen17. Dabei begibt die Zweckgesellschaft eine Pflichtumtauschanleihe (dazu Rz. 12.24)
12 Zu internationalen Aktienplatzierungen Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/98 ff. 13 Zum Accelerated Placement bei Wandelschuldverschreibungen Rz. 11.22 f. 14 Z.B. das am 7.5.2004 veröffentlichte Pricing Sheet der Umtauschanleihe der RWE AG in Aktien der Heidelberger Druckmaschinen AG. 15 Ein Beispiel ist die mit einer Platzierung von Covestro-Aktien kombinierte Begebung einer Umtauschanleihe in Covestro-Aktien durch die Bayer AG im Jahr 2017 (vgl. Fn. 8). 16 Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 347. 17 Die bilanzielle und steuerliche Behandlung solcher Strukturen kann jedoch mit Unsicherheiten behaftet sein.
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Umtauschanleihen | § 12
und verwendet den Emissionserlös zum Erwerb der zugrunde liegenden Aktien von der Gesellschaft. Das Umtauschverhältnis (Rz. 12.1) ist so ausgestaltet, dass die Anzahl zu liefernder Aktien bei steigenden Kursen sinkt. Diese Aktien können von der Zweckgesellschaft verwertet oder an die Gesellschaft zurückübertragen werden. Im Fall einer Verwertung durch die Zweckgesellschaft wird über einen oder mehrere zuvor abgeschlossene Verträge sichergestellt, dass der Erlös aus der Verwertung ganz oder teilweise wirtschaftlich der Gesellschaft zufließt.
4. Ad-hoc-Mitteilungspflicht Ist der Emittent der Umtauschanleihe seinerseits eine börsennotierte Gesellschaft und ist die Emission geeignet, den Börsenpreis der Aktien des Emittenten erheblich zu beeinflussen, ist der Emittent zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung grundsätzlich spätestens dann verpflichtet, wenn der Vorstand und ggf. der Aufsichtsrat den Beschluss über die Begebung der Anleihe gefasst hat18.
12.13
Bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen kann auch die Zielgesellschaft verpflichtet sein, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen19. Dies wird i.d.R. allerdings nur dann der Fall sein, wenn sich die Anleihe auf einen nicht unwesentlichen Teil des Grundkapitals bezieht und der Emittent der Anleihe (Aktionär) seinerseits keine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht hat.
12.14
III. Begebungsvoraussetzungen 1. Gremienbeschlüsse a) Vorstand Ist der emittierende Aktionär selbst eine Aktiengesellschaft, stellt die Begebung einer Umtauschanleihe eine Geschäftsführungsmaßnahme i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG dar, über die der Vorstand beschließt. Ob nach Abschluss des Accelerated Placement ein weiterer Vorstandsbeschluss erforderlich ist, hängt von der Strukturierung des Platzierungsverfahrens ab. Dies ist zu bejahen, wenn noch eine Entscheidung über die Anzahl der Anleihen oder den Platzierungspreis zu treffen ist20.
12.15
b) Aufsichtsrat Eine Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats kann sich aus der Satzung sowie der Geschäftsordnung für den Vorstand ergeben. Nach herrschender Meinung kann der Aufsichtsrat die Begebung der Umtauschanleihe auch ohne ausdrückliche Regelung in Satzung oder Geschäftsordnung ad hoc von seiner Zustimmung abhängig machen21. Jedenfalls bei großvolumigen Emissionen wird der Aufsichtsrat der Begebung danach in aller Regel zustim18 Zur grundsätzlichen Entstehung der Ad-hoc-Pflicht nach der Beschlussfassung durch den Vorstand und einem möglichen Aufschub der Veröffentlichung bis zur Entscheidung des Aufsichtsrates Rz. 11.32, Fn. 63. 19 Begr. RegE, BT-Drucks. 15/3174, S. 34 ff. Regelmäßig dürfte die Zielgesellschaft aber nicht i.S.d. Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) unmittelbar betroffen sein, vgl. noch zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG a.F. den Emittentenleitfaden der BaFin v. 22.7.2013, S. 53 ff. 20 Vgl. zur parallelen Situation bei Block-Trade-Transaktionen Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 349 f. 21 Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rz. 18; Geßler in G/H/E/K, AktG, § 111 Rz. 63; HoffmannBecking in MünchHdb. AG, § 29 Rz. 52.
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12.16
§ 12 | Umtauschanleihen
men müssen. Je nach Ausgestaltung von Satzung und Geschäftsordnung kann es erforderlich sein, dass der Aufsichtsrat nach Abschluss des Accelerated Placement auch dem endgültigen Platzierungsvolumen und dem Platzierungspreis zustimmen muss. c) Hauptversammlung
12.17 Im Gegensatz zu der Ausgabe von Wandelanleihen, für die § 221 AktG eine Zuständigkeit
der Hauptversammlung begründet, sieht das Gesetz für die Ausgabe von Umtauschanleihen kein Zustimmungserfordernis vor22. Grund hierfür ist, dass es aus Sicht des Aktionärs der betroffenen Zielgesellschaft nicht zu einer Verwässerung seiner Beteiligung kommt. Das Volumen von typischen Umtauschanleihen reicht zudem in aller Regel nicht aus, um eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung nach den Holzmüller23- und Gelatine24-Grundsätzen zu begründen25.
12.18 Ist der Emittent eine GmbH, trifft die Geschäftsführer die Pflicht, die Entscheidung über die Begebung der Umtauschanleihe den Gesellschaftern vorzulegen, sofern es sich um eine ungewöhnliche Maßnahme handelt, der Unternehmensgegenstand überschritten oder die von den Gesellschaftern bestimmte Unternehmenspolitik verlassen wird26. Daneben kann auch die Satzung der GmbH oder die Geschäftsordnung für die Geschäftsführung eine Vorlagepflicht vorsehen.
2. Kein Bezugsrecht der Aktionäre 12.19 Da das Grundkapital des Emittenten unverändert bleibt und § 221 AktG auf die Begebung
von Umtauschanleihen nicht anzuwenden ist27, steht den Aktionären des Emittenten kein Bezugsrecht auf die Umtauschanleihen zu.
IV. Ausgestaltung der Anleihebedingungen 1. Verzinsung 12.20 In den meisten Fällen sehen die Anleihebedingungen eine feste Verzinsung vor. Zulässig
ist aber auch eine variable Verzinsung. Zuweilen werden Umtauschanleihen auch als Nullkupon-Anleihen ausgestaltet (Rz. 11.57). 22 Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, S. 136 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 25. 23 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158. 24 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154 und 155/02, ZIP 2004, 993 ff. mit Anm. Altmeppen. 25 Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung kann ausnahmsweise gegeben sein, sofern die vom BGH in der Holzmüller-Entscheidung (BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158) genannten Voraussetzungen vorliegen, Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 255. In Folge der Gelatine-Rechtsprechung des BGH dürfte die Veräußerung der Unternehmensbeteiligung im Wege der Umtauschanleihe i.d.R. jedoch nicht die relevanten Schwellenwerte erreichen; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, ZIP 2004, 993, 998 mit Anm. Altmeppen; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 51.19. 26 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 37 Rz. 6 ff. 27 Busch, AG 1999, 58; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 255 Fn. 16; Regelin/Roos, Going Public 2005, 80, 81.
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Umtauschanleihen | § 12
2. Vorzeitige Rückzahlung Die Anleihebedingungen bestimmen vielfach, dass der Emittent nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (call protection) zur Kündigung und zur vorzeitigen Rückzahlung (early redemption oder issuer’s call), d.h. zur Rückzahlung vor Fälligkeit (maturity) der Anleihe, berechtigt ist. Die Anleihebedingungen können entweder ein uneingeschränktes Rückzahlungsrecht vorsehen (hard call) oder das Rückzahlungsrecht auf bestimmte Situationen beschränken (soft call). Im letzteren Fall wird ein Rückzahlungsrecht begründet, wenn (i) nach Ablauf einer bestimmten Mindestlaufzeit der Anleihe (i.d.R. zwei Jahre) an einer bestimmten Anzahl aufeinander folgender Börsenhandelstage (z.B. 20 von 30) der Kurs der Aktien den zu diesem Zeitpunkt geltenden Umtauschpreis für die Anleihen überschreitet, wobei eine Grenze von 110–130 % des Umtauschpreises verbreitet ist, oder (ii) nur noch ein geringer Restbetrag der Anleihe (z.B. 10 % oder 15 % der Gesamtsumme) aussteht (clean up call). In beiden Fällen hat der Anleiheschuldner eine Mitteilungsfrist hinsichtlich der Ausübung des Rechts der vorzeitigen Rückzahlung von üblicherweise mindestens 15 und höchstens 30 Börsenhandelstagen sowie eine anschließende Rückzahlungsfrist von etwa acht Geschäftstagen einzuhalten.
12.21
Ist der Emittent verpflichtet, alle Steuern auf nach den Anleihebedingungen zu leistende Zahlungen zu entrichten und sicherzustellen, dass dem Anleihegläubiger der Bruttobetrag zufließt (tax gross up), sehen die Anleihebedingungen zumeist gleichzeitig vor, dass der Emittent im Falle einer Änderung der steuerlichen Bestimmungen zur vorzeitigen Kündigung und Rückzahlung der Anleihe berechtigt ist (tax call).
12.22
3. Barzahlung statt Lieferung von Aktien Häufig behält sich der Anleiheschuldner vor, bei Geltendmachung des Umtauschrechts durch den Anleihegläubiger einen Barausgleichbetrag zu zahlen, anstatt Aktien der Zielgesellschaft zu liefern (cash settlement). Ein solches Recht erlaubt dem Anleiheschuldner, seine Beteiligung an der Zielgesellschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt an einen Dritten zu veräußern. Die wirtschaftliche Position der Anleihegläubiger wird hierdurch grundsätzlich nicht berührt, da sie durch die Zahlung des Barausgleichbetrags in die Lage versetzt werden, eine der Ausübung des Umtauschrechts entsprechende Anzahl von Aktien der Zielgesellschaft über die Börse zu erwerben.
12.23
4. Begründung einer Umtauschpflicht Anleihebedingungen sehen häufig vor, dass die Anleihegläubiger auf eine entsprechende Mitteilung des Emittenten (share redemption election)28 hin ihr Recht auf Rückzahlung der Anleihe ganz oder teilweise29 verlieren und stattdessen bei Ablauf der Laufzeit zum 28 Das Wahlrecht des Emittenten wird überwiegend als Ersetzungsbefugnis qualifiziert; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 4 f.; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 275; KG v. 5.2.2002 – 49 U 38/01, WM 2002, 746, 747; Köndgen, Anm. zu KG v. 16.5.2001 – 29 U 7237/00, ZIP 2001, 1194, 1197; Schwark, WM 2001, 1973, 1977; a.A. Assmann, ZIP 2001, 2061, 2068 (Wahlschuld). 29 In diesem Fall hat der Emittent zusätzlich einen Barbetrag in Höhe der Differenz zwischen dem Nennbetrag der Wandelanleihe und dem Börsenpreis im Zeitpunkt des Pflichtumtauschs zu zahlen; vgl. zur parallelen Gestaltung bei Wandelschuldverschreibungen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266.
Schlitt/Kammerlohr | 455
12.24
§ 12 | Umtauschanleihen
Umtausch in Aktien der Zielgesellschaft verpflichtet sind (soft mandatory provision). Hierdurch stellt der Emittent sicher, dass er sich in jedem Fall von seiner Beteiligung an der Zielgesellschaft vollständig trennen kann30. In diesem Fall kann der Emittent seiner Rückzahlungspflicht durch Lieferung von Aktien nachkommen, wobei eine etwa verbleibende Differenz zwischen dem Nennbetrag der Anleihe und dem Wert der entsprechend dem Umtauschverhältnis gelieferten Anzahl von Aktien gemäß deren Börsenkurs zum Zeitpunkt des Pflichtumtauschs durch eine Barzahlung ausgeglichen wird (cash top up)31. Zur Zulässigkeit der Einräumung eines solchen einseitigen Rechts des Emittenten, die Anleihegläubiger zum Umtausch zu verpflichten, im Hinblick auf das Transparenzgebot des § 307 BGB Rz. 12.51.
12.25 Weitergehend können die Anleihebedingungen einen Zwangsumtausch vorsehen (mandatory
exchangeable). In diesem Fall ist die Rückzahlung des Anleihebetrages ausgeschlossen und der Emittent ausschließlich zur Lieferung einer bereits bestimmbaren Anzahl von Aktien der Zielgesellschaft verpflichtet. Da die Anleihegläubiger das Risiko tragen, dass die Aktien zum Zeitpunkt des Umtauschs an Wert verloren haben und im äußersten Fall ihr Börsenkurs unter den Nennbetrag der Anleihe fallen kann, werden Zwangsumtauschanleihen häufig mit einem Risikoabschlag platziert. Zu synthetischen Strukturen in Verbindung mit Pflichtumtauschanleihen s. Rz. 12.12.
5. Anpassung der Umtauschbedingungen 12.26 Da der Erwerber einer Umtauschanleihe das Recht erhält, Aktien der Zielgesellschaft zu
erwerben, kann der Wert seiner Anlage nicht nur durch eine nachteilige Kursentwicklung, sondern auch durch eine Vielzahl von Grundlagenentscheidungen der Zielgesellschaft negativ beeinflusst werden. Solche Entscheidungen können nicht nur den wirtschaftlichen Wert der zu erwerbenden Aktien, sondern auch den Umfang der (künftigen) Beteiligungsquote des Anleihegläubigers verringern32. Um die Anleihegläubiger vor einer wirtschaftlichen Verwässerung ihrer zukünftigen Beteiligung zu schützen, enthalten Anleihebedingungen in aller Regel eine Verwässerungsschutzklausel (anti dilution protection), die Anpassungsmechanismen hinsichtlich des Umtauschpreises bzw. des Umtauschverhältnisses vorsehen, wenn bestimmte Ereignisse vor dem letzten Tag des Umtauschzeitraums oder einem früheren für die Rückzahlung festgesetzten Tag eintreten33. a) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln
12.27 Im Gegensatz zu den Inhabern von Wandelschuldverschreibungen (Rz. 11.69) sind Umtauschanleihegläubiger im Falle einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach §§ 207 ff. AktG nicht durch die Vorschrift des § 216 Abs. 3 AktG geschützt. Daher sehen die Anleihebedingungen i.d.R. ausdrücklich vor, dass im Falle einer Kapitalerhöhung der
30 Zur erhöhten Planungssicherheit des Emittenten bei Mandatory Convertibles Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 37; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266. 31 Zur ähnlichen Struktur bei Wandelschuldverschreibungen Rz. 11.63 ff. sowie Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266. 32 Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien, S. 87 ff. 33 Zur Erforderlichkeit von Verwässerungsschutz im Einzelnen Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 532. Treten mehrere solcher Ereignisse auf, sehen die Anleihebedingungen in aller Regel eine modifizierte Anwendung der einzelnen Verwässerungsschutzbestimmungen vor.
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Umtauschanleihen | § 12
Zielgesellschaft aus Gesellschaftsmitteln durch Ausgabe neuer Aktien der Umtauschpreis oder das Umtauschverhältnis in dem Verhältnis der ausgegebenen Aktien nach der Kapitalerhöhung zu den ausgegebenen Aktien vor der Kapitalerhöhung angepasst wird34. Wird die Kapitalerhöhung nicht durch die Ausgabe neuer Aktien, sondern mittels einer Erhöhung des jeweiligen auf die einzelne Aktie entfallenden Betrags des Grundkapitals bewirkt, bleiben Umtauschpreis und Umtauschverhältnis unverändert; in diesem Fall sind die betreffenden Aktien mit ihrem entsprechend erhöhten anteiligen Betrag des Grundkapitals zu liefern.
12.28
b) Aktiensplit, umgekehrter Aktiensplit und Zusammenlegung von Aktien Erhöht die Zielgesellschaft die Zahl der ausstehenden Aktien durch Herabsetzung des auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen Betrages des Grundkapitals (Aktiensplit) oder reduziert sie die Anzahl der ausstehenden Aktien, indem der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals erhöht wird, ohne das Grundkapital herabzusetzen (umgekehrter Aktiensplit), wird der Umtauschpreis bzw. die Anzahl der Umtauschaktien im gleichen Verhältnis angepasst wie bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln.
12.29
c) Kapitalherabsetzung Eine entsprechende Anpassung des Umtauschpreises bzw. des Umtauschverhältnisses findet auch bei einer Herabsetzung des Grundkapitals durch Zusammenlegung von Aktien statt. Im Fall einer Herabsetzung des Grundkapitals der Zielgesellschaft durch Herabsetzung des auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen Betrages des Grundkapitals bei gleichbleibender Anzahl der ausstehenden Aktien bleiben Umtauschpreis und Umtauschverhältnis i.d.R. unverändert, da das Wertverhältnis zum Grundkapital der Zielgesellschaft gleich bleibt. Der Emittent ist in diesem Fall zur Lieferung von Aktien mit dem jeweiligen neuen, auf die einzelne Aktie entfallenden Betrag des Grundkapitals verpflichtet.
12.30
d) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht oder sonstige Gewährung von Bezugsrechten Erhöht die Zielgesellschaft ihr Grundkapital unter Einräumung eines unmittelbaren oder mittelbaren Bezugsrechts (§ 186 AktG), haben die Umtauschanleihegläubiger ein berechtigtes Interesse, ebenso wie die Aktionäre der Gesellschaft gegen die damit einhergehende Verwässerung geschützt zu werden. Hierzu wird der Umtauschpreis unter Berücksichtigung des Verhältnisses der ausstehenden Aktien vor der Kapitalerhöhung zu den ausstehenden Aktien nach der Kapitalerhöhung und des Dividendennachteils der neuen Aktien angepasst.
12.31
Gewährt die Zielgesellschaft ihren Aktionären Bezugsrechte auf eigene Aktien, auf Wertpapiere mit Bezugs-, Options- oder Wandelrechten auf Aktien oder auf andere Schuldverschreibungen, Genussscheine oder sonstige Wertpapiere der Gesellschaft, wird der Umtauschpreis ebenfalls angepasst, um den Wert des den Aktionären gewährten Bezugsrechts
12.32
34 Für eine Beispielrechnung s. Ziriakus in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 6, S. 106.
Schlitt/Kammerlohr | 457
§ 12 | Umtauschanleihen
zu berücksichtigen35. Dazu wird der angepasste Umtauschpreis, unter Berücksichtigung des Umtauschpreises am Stichtag, des durchschnittlichen Marktpreises (üblicherweise Durchschnittskurs der letzten drei Handelstage vor dem Ex-Tag) sowie des Bezugsrechtswerts errechnet. e) Ausschüttungen
12.33 Zahlt die Zielgesellschaft Vermögen in Form von Sachdividenden aus oder gewährt sie
Schuldverschreibungen, Options- oder Umtauschrechte oder Verkaufsoptionen auf ihre Aktien, oder bietet sie den Aktionären den Rückkauf eigener Aktien an, wird der Umtauschpreis bzw. das Umtauschverhältnis i.d.R. gleichfalls angepasst, um den durch die Ausschüttung entstandenen Vermögensnachteil der Anleihegläubiger durch eine Erhöhung der Anzahl der zu liefernden Aktien auszugleichen.
12.34 Eine Anpassung kann auch hinsichtlich der in der ordentlichen Hauptversammlung zu be-
schließenden Dividende vorgesehen werden. Dabei kann als ausgleichspflichtige Vermögensausschüttung nur die Zahlung einer außerordentlichen Dividende definiert werden, die danach bestimmt wird, ob sie den durchschnittlichen Dividendenertrag pro Aktie um einen bestimmten Prozentsatz (z.B. 5 %) übersteigt. Ebenso können die Anleihebedingungen eine Anpassung des Umtauschpreises bzw. eine Ausgleichszahlung aber auch bei jeder Dividendenzahlung vorsehen (full dividend protection). f) Umwandlungen
12.35 Umwandlungsvorgänge führen dazu, dass das Vermögen der Zielgesellschaft mit einem an-
deren Unternehmensvermögen vereinigt (wie bei der Verschmelzung oder Vermögensübertragung) oder aufgeteilt wird (wie bei der Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung) oder bei Aufrechterhaltung des Vermögensbestandes die rechtliche Organisation der Zielgesellschaft geändert wird. Dies stellt nicht nur einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Aktionäre der Zielgesellschaft dar. Betroffen sind vielmehr auch die Anleihegläubiger, deren zukünftige mitgliedschaftliche Stellung in der Zielgesellschaft sich gegenüber ihren Erwartungen zum Zeitpunkt der Anleihezeichnung erheblich verändern kann. Im Gegensatz zu den Inhabern von Wandelschuldverschreibungen bestehen keine ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen zu Gunsten von Umtauschanleihegläubigern. Die Vorschriften der §§ 23, 36 und 125 i.V.m. §§ 23, 176 Abs. 2 Satz 4 und 204 UmwG schützen lediglich die Inhaber von Sonderrechten gegenüber der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaft, nicht jedoch die Inhaber von Rechten gegenüber Dritten, hier dem emittierenden Aktionär36. Daher sehen Verwässerungsschutzklauseln in Umtauschanleihebedingungen ein Recht auf Umtausch in Aktien des übernehmenden oder neu entstehenden Rechtsträgers sowie eine Anpassung des Umtauschverhältnisses vor, die das Erwerbsrecht der Aktionäre der Zielgesellschaft an Aktien des übernehmenden Rechtsträger berücksichtigt. Bei 35 Verwässerungsschutzklauseln dieser Art werden ganz überwiegend für zulässig erachtet; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 363 ff.; Hefermehl/Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 176; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 46; a.A. für Wandel- und Optionsanleihen Gallego Sánchez, Das Erwerbsrecht auf Aktien, S. 163 ff., der auf den Einfluss der Aktionäre der emittierenden Gesellschaft bei der Begebung der Anleihe abstellt, der bei einer Umtauschanleihe nicht gegeben ist. 36 Die Rechte, die den Gläubigern von Schuldverschreibungen nach dem UmwG gewährt werden, müssen im Verschmelzungsvertrag angegeben werden, § 5 Abs. 1 Nr. 7 UmwG.
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Umtauschanleihen | § 12
einer Verschmelzung, bei der die Zielgesellschaft übernehmender Rechtsträger ist, bleiben Umtauschpreis und Umtauschverhältnis hingegen typischerweise unverändert. Im Übrigen wird zumeist der Zahl- und Umtauschstelle (zur Rolle der Zahl- und Umtauschstelle s. Rz. 30.48 f.) ein Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 317 BGB eingeräumt, nach der sie zu Gunsten der Anleihegläubiger nach billigem Ermessen den Umtauschpreis bzw. das Umtauschverhältnis, etwa durch eine Zuteilung von Aktien anderer Gesellschaften oder eine Barzahlung, anpassen kann, wenn eine Aufspaltung, eine Abspaltung oder ein vergleichbares Ereignis bei der Zielgesellschaft eingetreten ist.
12.36
6. Schutz bei Übernahme In den meisten Anleihebedingungen finden sich auch Schutzbestimmungen zugunsten der Anleihegläubiger für den Fall, dass für die Zielgesellschaft ein Übernahmeangebot abgegeben wird (event risk protection). Der Grund hierfür liegt darin, dass sich die Kreditwürdigkeit der Zielgesellschaft nach Durchführung des Kontrollwechsels verschlechtern oder ihre Unternehmensstrategie grundlegend ändern kann37. I.d.R. wird festgelegt, dass der emittierende Aktionär nach seinem Ermessen berechtigt ist, das Übernahmeangebot bzw. bei mehreren konkurrierenden Übernahmeangeboten ein Angebot seiner Wahl anzunehmen und Aktien, die an sich für die Bedienung der Umtauschanleihe vorgesehen sind, auf den Bieter zu übertragen. Um eine ausreichende Information der Anleihegläubiger zu gewährleisten, wird der Emittent verpflichtet, die Anleihegläubiger über die Annahme oder das Scheitern des Übernahmeangebots zu unterrichten und ihnen im Fall seiner Annahme die vom Bieter erhaltene Gegenleistung je Aktie der Zielgesellschaft mitzuteilen.
12.37
Zur Wahrung der Rechte der Anleihegläubiger im Falle der Annahme des Übernahmeangebots durch den Emittenten legen die Bedingungen i.d.R. fest, dass bei Ausübung des „Umtauschrechts“ an die Stelle der an sich zum Umtausch vorgesehenen Aktien (exchange property) ein anderer Vermögenswert tritt. Dabei wird nach der Art der Gegenleistung (ausschließliches Barangebot, Tauschangebot, kombiniertes Bar-/Tauschangebot) differenziert. Während im Falle eines Barangebots ein Ausgleichsbetrag an die Anleihegläubiger zu zahlen ist, wird im Falle eines vom Bieter unterbreiteten Tauschangebots bzw. bei einem kombinierten Angebot bezüglich des Tauschelements – je nach Ausgestaltung der Anleihebedingungen – eine Pflicht begründet, entweder die Tauschaktien zu liefern oder den Barbetrag aus dem Verkauf der Tauschaktien zu zahlen oder den erzielten Betrag in Aktien von Gesellschaften zu investieren, die in den gleichen Index wie die Zielgesellschaft einbezogen sind, und diese dann zur Verfügung zu stellen.
12.38
7. Ersetzung des Anleiheschuldners Häufig sehen die Anleihebedingungen die Möglichkeit vor, dass der Emittent im Wege der privativen Schuldübernahme nach § 415 BGB38 ohne Zustimmung der Anleihegläubiger ein mit ihm verbundenes Unternehmen an seine Stelle als Schuldner der Umtauschanleihe treten 37 Zur parallelen Gestaltung bei Wandelschuldverschreibungen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 267. 38 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 215; Maier-Reimer, Rechtsfragen der Restrukturierung, Vortrag vom 5.2.2004 am Institut for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 27, S. 16.
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12.39
§ 12 | Umtauschanleihen
lassen kann, sofern das verbundene Unternehmen alle Verpflichtungen aus der Anleihe übernimmt, alle erforderlichen Genehmigungen für die Ersetzung des Anleiheschuldners eingeholt wurden und der Emittent garantiert, dass die Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können, ohne dass zusätzlich Steuern oder Abgaben zu Lasten der Anleihegläubiger anfallen.
8. Gläubigerschutz und Kündigungsrechte der Anleihegläubiger 12.40 Die Anleihebedingungen enthalten in aller Regel einen Katalog von Kündigungsgründen für die Anleihegläubiger. Zuweilen wird vorgesehen, dass die Investoren die Anleihe zu bestimmten Zeitpunkten kündigen und zurückzahlen können (investors put). Darüber hinaus wird i.d.R. ein Kündigungsrecht auch für bestimmte Fälle der Nichterfüllung der Emittentenpflichten (events of default) vereinbart. Hierzu zählen die Nichtzahlung von Zinsen innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. von 30 Tagen nach dem betreffenden Zinszahlungstag), die Nichterfüllung der Umtauschverpflichtung innerhalb einer bestimmten Frist (z.B. von 30 Tagen), die Nichterfüllung sonstiger Verpflichtungen des Emittenten für einen bestimmten Zeitraum (z.B. von mehr als 60 Tagen nach Mahnung) oder die abredewidrige Bestellung von Sicherheiten für Dritte39, die allgemeine Zahlungseinstellung des Emittenten sowie die Eröffnung eines Insolvenz-, Liquidationsoder vergleichbaren Verfahrens über das Vermögen des Emittenten (s. auch Rz. 12.49).
9. Bestellung eines Treuhänders 12.41 Werden Sicherheiten, etwa bei der Einschaltung einer ausländischen Zweckgesellschaft eine Garantie der deutschen Gesellschaft, zu Gunsten der Anleihegläubiger bestellt, kann eine Bank als Treuhänder40 fungieren, die ggf. die Rechte aus der Sicherheit für die Anleihegläubiger geltend macht41. Diese Funktion wird meist von der Emissionsbank bzw. der Konsortialführerin des Emissionskonsortiums übernommen. Häufig wird wegen des mit der Treuhänderstellung verbundenen Haftungsrisikos stattdessen auf die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, nämlich der Anleger, nach § 328 Abs. 1 BGB zurückgegriffen42.
10. Separierung der zugrundeliegenden Aktien 12.42 Von der Bestellung eines Sicherheitentreuhänders zu unterscheiden ist die Separierung der
zugrundeliegenden Aktien durch Übertragung auf einen Dritten, der diese Aktien bis zum Umtausch als fremdnütziger Treuhänder für die Anleihegläubiger hält. Sie bietet den An-
39 Man spricht insoweit von Cross Default und Negative Pledge, s. dazu Rz. 11.72 f. 40 Zu Stellung und Funktion eines solchen Sicherheitentreuhänders Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341, 358; Than in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 521, 525 ff.; Vogel, Die Stellung des Anleihetreuhänders nach deutschem Recht, S. 10. 41 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/194 ff.; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 115 f. 42 Stellungnahme des Zivilrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins zum DiskE eines Gesetzes zur Änderung des Schuldverschreibungsrechts, August 2003, S. 3; Schneider, Novellierung des Rechts der Schuldverschreibungen, Seminar für deutsches und internationales Kreditrecht des Instituts für Deutsches und Internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz v. 28.1.2004, S. 12; vgl. auch Than in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 521, 525 ff.
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Umtauschanleihen | § 12
leihegläubigern eine zusätzliche Sicherheit für den Fall des Umtauschs. Dem Treuhänder wird zu diesem Zweck aufgrund eines Vertrages mit dem Emittenten dabei zunächst die Anzahl von Aktien übertragen, die bei Ausübung aller Umtauschrechte zu liefern wäre. Kommt es zu einer Anpassung des Umtauschverhältnisses, müssen zusätzliche Aktien an den Treuhänder übertragen werden. Der Vertrag ist als Vertrag zu Gunsten der Anleihegläubiger (§ 328 Abs. 1 BGB) ausgestaltet, so dass diese das Recht haben, bei Umtausch und Nichtlieferung durch den Emittenten i.d.R. nach Ablauf von zehn Tagen Lieferung vom Treuhänder zu verlangen.
11. Richterliche Inhaltskontrolle a) Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB Ob die Anleihebedingungen von Umtauschanleihen43 allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und somit der richterlichen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterliegen, ist im Schrifttum umstritten. Da die Anleihebedingungen die vertragswesentlichen Leistungen bestimmen und Leistungsbeschreibungen keiner richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen (§ 307 Abs. 3 BGB), ist eine richterliche Inhaltskontrolle zwar abzulehnen44. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bejaht jedoch die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB45. Auch wenn die besseren Gründe gegen eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB, gerade auch für den Fall einer Fremdemission, d.h. wenn die Anleihe unter Einschaltung eines Kreditinstituts platziert wird, sprechen und insoweit eine Inhaltskontrolle richtigerweise nur nach Maßgabe des Gebots von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht kommt46, ist für die Praxis daher mit der Rechtsprechung von der Einordnung von Anleihebedingungen als allgemeine Geschäftsbedingungen auszugehen.
12.43
Umstritten ist, ob die Klauselverbote mit und ohne Wertungsmöglichkeit (§§ 308, 309 BGB) auf die Kontrolle von Anleihebedingungen auch gegenüber institutionellen Investo-
12.44
43 Da Umtauschanleihen wie Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen bis zum Umtausch keine gesellschafterliche Stellung gewähren, ist eine richterliche Inhaltskontrolle nicht bereits gemäß § 310 Abs. 4 BGB ausgeschlossen; zu Wandel- und Optionsanleihen Joussen, WM 1995, 1861, 1862 f. m.w.N.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.264. 44 Assmann, WM 2005, 1053, 1058; dazu auch Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315, 330; Heldt in Grieser/Heemann, Bankaufsichtsrecht, S. 834, 847 f.; a.A. Bungert, DZWiR 1996, 185 ff.; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341, 364; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 35. 45 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1411 (zu Aktienanleihen in Form von Inhaberschuldverschreibungen); bereits zuvor bejahend für Genussscheinbedingungen BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 ff.; für Inhaberschuldverschreibungen auch OLG Frankfurt a.M. v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, WM 1993, 2089. Bejahend aus dem Schrifttum etwa Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/160 ff.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.264; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 209 ff.; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341, 371; Hopt, WM 1990, 1733, 1737; Horn in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 23 Rz. 75b; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 41 ff., 58 ff.; Stoffels, ZHR 166 (2002), 359, 360/361; Stoffels, AGB-Recht, § 6 Rz. 117; v. Randow, ZBB 1994, 23, 28 f.; v. Randow, ZIP 1994, 26, 28; Wolf in FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 651, 660; a.A. Ekkenga, ZHR 160 (1996), 59, 66 ff. 46 Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315, 331; Bungert, DZWiR 1996, 185, 187; Joussen, WM 1996, 1861 ff. Dabei soll keine Inhaltskontrolle zu Gunsten der Emissionsbank möglich sein, Bosch/ Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/163; ebenso zu Wandelschuldverschreibungen Horn in Wolf/ Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rz. 75b; v. Randow, ZIP 1994, 26, 28.
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§ 12 | Umtauschanleihen
ren anzuwenden sind, wenn die Anleihe ausnahmsweise auch bei Privatanlegern platziert wird, oder ob eine solche Kontrolle auf das Verhältnis zwischen Emittent und Privatanlegern beschränkt ist und damit eine Differenzierung nach Anlegerkreisen stattfindet47. Nach der wohl überwiegenden Ansicht sollen die §§ 308, 309 BGB anwendbar sein48, wobei eine Differenzierung nach Anlegerkreisen nicht für möglich gehalten wird, da einzelne Klauseln in Folge einer solchen Differenzierung privaten Anleihegläubigern gegenüber unwirksam, Anleihegläubigern, die den Begriff des Kaufmanns erfüllen, gegenüber hingegen wirksam sein könnten49.
12.45 Hinsichtlich der Einbeziehung der Anleihebedingungen in das Rechtsverhältnis zwischen
Emittent und Anleger hat der BGH klargestellt, dass § 305 Abs. 2 BGB auch im Fall einer Selbstemission keine Anwendung findet, sondern die Anleihebedingungen nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 145 ff. BGB) auch konkludent vereinbart werden können50.
12.46 Der vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) im April 2003 vorgelegte Diskussionsent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Schuldverschreibungsrechts51 (DiskE) sah zur richterlichen Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen zunächst umfassende Änderungen vor52. Das auf Warenlieferungs- und Dienstleistungsverträge zugeschnittene Regelungssystem der §§ 305 ff. BGB sollte danach ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt und durch einzelne Regelungen bezüglich der unangemessenen Benachteiligungen von Anleihegläubiger in §§ 795 ff. BGB ersetzt werden. In der endgültigen Fassung des Schuldverschreibungsgesetzes 200953 wurde diese Intention aufgegeben. Anstelle dessen enthält das nunmehr geltende Schuldverschreibungsgesetz eine Regelung, wonach die vom Schuldner versprochene Leistung in den Anleihebedingungen so beschrieben sein muss, dass ein Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist, diese ermitteln kann (§ 3 SchVG). Dies ist als Einschränkung gegenüber dem zuvor geltenden, weitergehenden Transparenzgebots der Inhaltskontrolle zu verstehen: Emittent und Emissionsbanken können den Erfahrungsgrad der von ihnen angesprochenen Anleger zu Grunde legen54. b) Gegenstand der Inhaltskontrolle
12.47 Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind insbesondere solche Klauseln kritisch zu betrachten,
die eine nachträgliche Einschränkung der verbrieften Rechte ermöglichen oder dem Emit-
47 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 99 ff. 48 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 179 ff.; v. Randow, ZIP 1994, 28, 29; a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, WM 1993, 2089; Bungert, DZWiR 1996, 185, 188 f.; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 60 ff., die statt dessen ähnliche Kriterien im Rahmen einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB anwenden. 49 Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315, 331; Wolf in FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 651, 665; Stoffels, AGB-Recht, Rz. 117; Ekkenga, ZHR 160 (1996), 59, 66. Ohne zur Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 308, 309 BGB Stellung zu nehmen, geht auch der BGH davon aus, dass die Auslegung von Schuldverschreibungen für alle Stücke einheitlich und ohne Rücksicht auf die Person des einzelnen Inhabers erfolgen muss, BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1412. 50 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1411 ff. 51 Schreiben des BMJ vom 22.5.2003, Geschäftszeichen III A 5; dazu Klerx/Penzlin, ZInsO 2004, 791, 794. 52 Baums, ZBB 2009, 1 ff.; Cranshaw, BKR 2008, 504 ff. 53 BGBl. I 2009, 2512 ff. 54 Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 486.
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Umtauschanleihen | § 12
tenten einseitige Kündigungsrechte einräumen. Sie könnten unter Umständen eine unangemessene Benachteiligung der Anleihegläubiger darstellen. aa) Schuldnerersetzungsklausel Die Bedeutung einer Schuldnerersetzungsklausel (Rz. 12.39) für das Verhältnis der Anleihegläubiger zum Emittenten besteht darin, einen eventuellen Schuldnerwechsel von der späteren Zustimmung der Gläubiger zu lösen55. Nach ganz herrschender Meinung ist es zwar grundsätzlich zulässig, einer Schuldübernahme vorab durch Einwilligung nach § 183 Satz 1 BGB zuzustimmen56. Demgegenüber stellen Anleihebedingungen regelmäßig darauf ab, dass eine Zustimmung nicht erforderlich sein soll. Dies könnte eine unangemessene Benachteiligung der Anleihegläubiger nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellen57. Eine unangemessene Benachteiligung ist anzunehmen, wenn die Bedingung vom Leitbild einer angemessenen Regelung abweicht und den Anleger hierdurch entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, was nur bei einer Benachteiligung von nicht unerheblichem Gewicht zu bejahen ist58. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Emittent – wie i.d.R. – verpflichtet ist, eine Übernahme aller Pflichten durch den neuen Schuldner sicherzustellen (Rz. 12.39). Eine erhebliche Benachteiligung der Anleiheschuldner ist daher entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt59 nicht anzunehmen.
12.48
bb) Kündigungsrechte der Anleihegläubiger Eine die Anleihegläubiger belastende Regelung könnte darin liegen, dass das Recht zur außerordentlichen Kündigung auf bestimmte Fälle beschränkt wird, eine Kündigung aus sonstigem wichtigen Grund also ausgeschlossen wird60. Da bei Dauerschuldverhältnissen das Recht zur außerordentlichen Kündigung (§ 314 BGB) als unentziehbar angesehen wird und auch dem Grundsatz von Treu und Glauben eine vergleichbare Wertung entnommen werden kann, sofern ein Festhalten am Rechtsverhältnis für den Kündigenden unzumutbar ist, ist eine weitgehende Beschränkung i.d.R. als wesentliche Benachteiligung des Anleihegläubigers anzusehen, die nicht durch korrespondierende Interessen des Emittenten aufgewogen wird61. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund kann dem Anleger daher nicht entzogen werden62.
12.49
cc) Bekanntmachungsklauseln Klauseln, nach denen Erklärungen des Emittenten bezüglich der Anleihen, etwa über die vorzeitige Rückzahlung oder die Wahl der Rückgewähr von Aktien anstelle der Rückzahlung in bar, durch Bekanntmachung in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder Mit55 Horn, WM 1984, 713, 721. 56 BGH v. 25.10.1995 – IV ZR 22/95, NJW-RR 1996, 193, 194; Schreiber in Soergel, BGB, §§ 414, 415 Rz. 8; Bydlinski in MünchKomm. BGB, § 415 Rz. 9; Stürner in Jauernig, BGB, §§ 414, 415 Rz. 6. 57 So Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 217 ff. 58 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 90. 59 OLG Frankfurt a.M. v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, AG 2012, 373, 375. 60 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 235 ff. 61 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 235 ff., 240; Bungert, DZWiR 1996, 185, 196; Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37, 45; Grüneberg in Palandt, BGB, § 314 Rz. 3. 62 Maier-Reimer, Rechtsfragen der Restrukturierung, Vortrag v. 5.2.2004 am Institut for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 27, S. 10.
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12.50
§ 12 | Umtauschanleihen
teilung des Clearing-Systems als den Anleihegläubigern zugegangen gelten, weichen von der gesetzlich vorgesehenen Form der Zustellung an Personen mit unbekanntem Aufenthaltsort (öffentliche Zustellung durch Aushang im Gericht, § 132 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 i.V.m. Abs. 1 BGB) ab. Nach ganz überwiegender Auffassung im Schrifttum ist diese Zugangsfiktion jedoch nicht als unangemessen i.S.d. § 307 BGB anzusehen, da dem Anleger die Möglichkeit offensteht, durch den Abschluss eines Depotvertrages einen ausreichenden Informationsfluss über die Depotbank sicherzustellen63. Im Übrigen sind Emittenten zugelassener Schuldverschreibungen, für die die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG zu Bekanntmachungen im Bundesanzeiger verpflichtet. dd) Umtauschpflicht
12.51 Auch im Hinblick auf die Vereinbarung eines Wahlrechts des Emittenten, statt einer
Rückzahlung in bar ganz oder teilweise Aktien zu liefern, ggf. gegen Zahlung eines Ausgleichsbetrags, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit §§ 305 ff. BGB64. Die Begründung einer Umtauschpflicht unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Im Hinblick darauf, dass kein gesetzliches Leitbild für Umtauschanleihen existiert, stellt sich bei Umtauschanleihen lediglich die Frage, ob ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 3 SchVG vorliegt. Nach dem Transparenzgebot hat der Emittent die Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner so darzustellen, dass ein Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist, diese ermitteln kann. Dabei ist von Bedeutung, in welchem Maß die Regelung den Erwartungen des Vertragspartners widerspricht. Da eine Umtauschpflicht zunehmend in Anleihebedingungen enthalten ist, spricht viel dafür, dass die Erwartung eines durchschnittlichen Anlegers nicht auf eine garantierte Rückzahlung des Nennbetrags in bar gerichtet ist. Bei einer Soft-Mandatory-Regelung (Rz. 12.24) kommt hinzu, dass der Wert der gelieferten Aktien der Höhe des Rückzahlungsanspruchs entspricht bzw. durch einen Cash Top-up erreicht wird, so dass für den Anleihegläubiger lediglich das Restrisiko eines Kursverfalls zum Zeitpunkt der Aktienlieferung verbleibt. Eine unangemessene Benachteiligung der Anleger durch die Begründung einer Umtauschpflicht in den Anleihebedingungen liegt daher nicht vor65.
12.52 Um dieses verbleibende Restrisiko aus Pflichtumtauschklauseln zu minimieren, schließen
Investoren häufig Credit Default Swaps nach Maßgabe der ISDA-Regeln ab. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob zum Zweck der Harmonierung der Regelungswerke in den Anleihebedingungen auf bestimmte in den Swapbedingungen definierte englischsprachige Regelungen verwiesen werden kann oder ob dies dem Transparenzgebot des § 3 SchVG widerspricht66. Gegen eine Einbeziehung außerhalb der Schuldverschreibung definierter Begriffe könnte eingewandt werden, dass sich die Anleihebedingungen gemäß
63 OLG Frankfurt a.M. v. 21.10.1993 – 16 V 198/92, WM 1993, 2089, 2090; v. Randow, ZIP 1994, 28, 29 f.; a.A. Schäfer in von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Genussscheine, Rz. 53; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 235 ff., 250. 64 Rozijn, ZBB 1998, 77, 93. 65 Zur vergleichbaren Situation bei Wandelanleihen Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266; zust. Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 175. 66 Den Anleihebedingungen werden zu diesem Zweck zuweilen in den Swap-Bedingungen benutzte Begriffsdefinitionen in einem Anhang (auf Englisch) beigefügt. Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen Gestaltung äußert Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 113 f.; vgl. auch Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/167; Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37, 44.
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Umtauschanleihen | § 12
§ 2 Satz 1SchVG aus der Urkunde ergeben müssen67. Das SchVG sieht jedoch bei Verbriefung der Schuldverschreibung in einer Globalurkunde, was den Regelfall darstellt, ausdrücklich eine Bezugnahme auf außerhalb der Urkunde liegende Bestimmungen vor (§ 2 Satz 2 SchVG). Eine Übersetzung der entsprechenden Begriffe ins Deutsche ist – jedenfalls dann, wenn die Anleihe zunächst bei institutionellen Investoren platziert wird – nicht geboten68. Sofern die entsprechende Klausel in den Anleihebedingungen ausländischem Recht unterstellt wird, ist diese Rechtswahl grundsätzlich als eine zulässige Teilrechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 593/2008 (Rom I VO)69 zu qualifizieren70. Durchgreifenden Bedenken ist eine solche Rechtswahl freilich ausgesetzt, wenn die Emission sonst keinerlei Beziehungen zu dem gewählten Recht aufweist und die Vereinbarung allein der Umgehung zwingender nationaler Vorschriften, etwa der §§ 305 ff. BGB, dienen soll, Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 593/2008 (Rom I VO). Zur Stärkung einer Wahl ausländischen Rechts kommt daher in Betracht, auch die wertpapierrechtliche Begebung der Anleihe außerhalb Deutschlands vorzunehmen und inländische Verbraucher von der Emission auszuschließen71. Ein Nachteil der Wahl ausländischen Rechts besteht allerdings darin, dass nur Schuldverschreibungen, die deutschem Recht unterstellt sind, dem Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes unterfallen (§ 1 Abs. 1 SchVG), wobei nach Auffassung des LG Frankfurt eine einzelne Klausel nach ausländischem Recht bereits schädlich sein soll72.
12.53
V. Platzierung; Börsenzulassung; Transparenzpflichten 1. Platzierung Umtauschanleihen werden regelmäßig nicht öffentlich angeboten, sondern institutionellen Investoren im Rahmen einer Privatplatzierung offeriert (s. Rz. 12.8). Die Erstellung eines Wertpapierprospekts ist insoweit unter dem Gesichtspunkt der Platzierung nicht erforderlich (§ 3 Abs. 2 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 1 Abs. 4 lit. a) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO73]).
67 So denn auch Joussen, WM 1995, 1861, 1864; v. Randow, ZBB 1994, 23, 24; Than, Rechtsfragen bei Festlegung von Emissionsbedingungen für Schuldverschreibungen, Vortrag vom 5.2.2004 am Institut for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 25, S. 13. 68 S. aber auch Bungert, DZWiR 1996, 185, 197; Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37, 44; vorsorglich a.A. bei Platzierung bei Privatanlegern Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 176. 69 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 70 Zur Rechtswahl in Schuldverschreibungen Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/157 f., 10/168. 71 Vgl. Ziriakus in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 5 S. 94. 72 LG Frankfurt v. 23.1.2012 – 3/5 O 142/11, ZIP 2012, 474; dagegen Meier/Schauenburg, CFL 2012, 161, 167. 73 „Neue ProspektVO“ bezeichnet die Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12.
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12.54
§ 12 | Umtauschanleihen
2. Börsenzulassung 12.55 Um einen liquiden Handel herzustellen, werden Umtauschanleihen, häufig kurz nach ih-
rer Platzierung, bisweilen an einer Börse zugelassen oder in den Börsenhandel einbezogen74. In der Regel erfolgt das Listing im Freiverkehr (Open Market) an der Frankfurter Wertpapierbörse. Zunehmend seltener ist hingegen die Zulassung zum Euro MTF Market der Luxemburger Wertpapierbörse (zur ähnlichen Situation bei Wandelanleihen s. Rz. 11.81).
3. Prospekt a) Prospektpflicht
12.56 Sofern die Umtauschanleihe ausnahmsweise öffentlich angeboten oder eine Zulassung zu
einem organisierten Markt (etwa dem regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse) angestrebt wird, ist ein Prospekt nach den Vorgaben des jeweilig anwendbaren nationalen Gesetzes zu erstellen, das die Prospektrichtlinie umsetzt (sog. prospektrichtlinienkonformer Prospekt oder PD-compliant prospectus). In Deutschland ist dies das WpPG (dazu im Einzelnen § 36). Durch die Ansprache ausschließlich institutioneller Investoren und eine Mindeststückelung der Anleihen von mindestens 100 000 Euro wird eine Prospektpflicht im Zusammenhang mit der Platzierung regelmäßig vermieden (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 WpPG; ab 21.7.2019: Art. 1 Abs. 4 lit. a) und lit. c) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO]). Im Zusammenhang mit der Zulassung besteht im Regelfall ebenfalls keine Prospektpflicht, da ganz überwiegend eine Notierung an nicht regulierten Märkten wie dem Freiverkehr (Open Market) an der Frankfurter Wertpapierbörse oder dem Euro MTF Market erfolgt (Rz. 12.55). Eines prospektrichtlinienkonformen Prospekts bedarf es insoweit nur dann, wenn die Zulassung an einem organisierten Markt angestrebt wird. Zu den Einzelheiten s. § 36 und § 42.
b) Zuständige Behörde für die Prospektbilligung
12.57 Da es sich bei einer Umtauschanleihe um einen Nichtdividendenwert handelt, kann ein
prospektrichtlinienkonformer Prospekt wahlweise bei der Behörde am Sitz des Emittenten, bei der Behörde am Sitz der Börse, an der die Zulassung beantragt wird, oder bei der Behörde des Staates, in dem ein öffentliches Angebot erfolgt, zur Billigung eingereicht werden (§ 2 Nr. 13 lit. b WpPG; ab 21.7.2019: Art. 2 lit. m) ii) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO])75. c) Prospektinhalt
12.58 Die Anforderungen an den Prospektinhalt von Umtauschanleihen sind mit Blick darauf,
dass diese nicht mit Aktien des Emittenten unterlegt sind, geringer als bei Wandel- und Optionsanleihen (zu diesen s. Rz. 11.84). Sowohl hinsichtlich der Beschreibung des Emittenten als auch hinsichtlich der Beschreibung der Anleihe richtet sich der Mindestinhalt des Prospekts nach der Stückelung der Umtauschanleihe (Anhänge IV und V VO Nr. 809/
74 Dies ist indessen nicht zwingend. Zum Teil wird auch auf eine Börsenzulassung verzichtet, was i.d.R. von den Investoren akzeptiert wird. 75 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 498, 506.
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Umtauschanleihen | § 12
2004 [ProspektVO]76 für Stückelungen unter 100 000 Euro, Anhänge IX und XIII VO Nr. 809/2004 für Stückelungen ab 100 000 Euro)77. Hinsichtlich der Beschreibung der unterlegten Aktien sind die in Ziff. 4.2.2 des Anhangs XII VO Nr. 809/2004 vorgesehenen Angaben aufzunehmen78. Sofern aufgrund der Ausgestaltung der Anleihebedingungen nicht sichergestellt ist, dass die Aktien bei Lieferung einen dem Nennbetrag der Anleihe entsprechenden Wert haben und insoweit auch kein Barausgleich vorgesehen ist, kommt Anhang XII VO Nr. 809/2004 (Derivative Wertpapiere) insgesamt zur Anwendung79. Eine Zusammenfassung muss der für die Zulassung verwendete Prospekt bei einer Stückelung von mindestens 100 000 Euro nur dann enthalten, wenn das jeweilig anwendbare nationale Gesetz, das die Prospektrichtlinie umsetzt, dies vorschreibt (Art. 5 Abs. 3 RL 2003/71/EG [ProspektRL]80); nach deutschem Recht ist dies nicht der Fall (§ 5 Abs. 2 Satz 5 WpPG). Mit Inkrafttreten der Neuen ProspektVO81 ist die Zusammenfassung für derartige Emissionen in sämtlichen Mitgliedstaaten entbehrlich (Art. 7 Abs. 1 Uabs. 2 lit. b) VO 2017/ 1129 [Neue ProspektVO]). S. auch Rz. 36.14, 36.19 zum grundsätzlichen Gebot der Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts und dem Zusammenspiel von WpPG und ProspektVO. d) Prospekthaftung, Due Diligence Sofern die Anleihen in Deutschland im organisierten Markt einer Börse zugelassen wurden, kann sich eine Prospekthaftung aus § 21 WpPG ergeben (hierzu im Einzelnen Rz. 41.11, 41.18 ff.). Erfolgt die Börsenzulassung in Luxemburg, kann ebenfalls eine Prospekthaftung bestehen. Adressat der Prospekthaftung ist jedoch in erster Linie die Gesellschaft und weniger die Konsortialbanken.
12.59
Für die zum Vertrieb der Anleihen verwendeten Angebotsunterlagen kann sich eine Prospekthaftung aus den Grundsätzen der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung82
12.60
76 „ProspektVO“ bezeichnet die Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, ABl. EU Nr. L 186 v. 18.7.2005, S. 3, zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) Nr. 862/2012. 77 Im bei Umtauschanleihen praktisch selteneren Fall einer indirekten, von der Konzernmutter garantierten Emission über eine Konzerngesellschaft (Rz. 12.4) sind im Hinblick auf die Garantie zusätzlich die in Anhang VI VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) bezeichneten Mindestangaben aufzunehmen. 78 Anhang XVIII VO Nr. 809/2004 (ProspektVO); Schlitt/Schäfer, AG 2005, 498, 506. 79 Art. 15 VO Nr. 809/2004 (ProspektVO), zur Abgrenzung zwischen derivativen Wertpapieren und reinen Schuldtiteln Art. 8 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 VO Nr. 809/2004. 80 ProspektRL bezeichnet die Prospektrichtlinie 2003/71/EG (ABl. EU Nr. L 345 v. 31.12.2003, S. 64), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2010/73/EU vom 24. November 2010 (ABl. EU Nr. L 327 v. 11.12.2010, S. 327). 81 „Neue ProspektVO“ bezeichnet die Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12. 82 Zur allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung vgl. Oulds in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 15.244.
Schlitt/Kammerlohr | 467
§ 12 | Umtauschanleihen
sowie deliktischen Anspruchsgrundlagen ergeben83 (näher Rz. 41.156 ff.). Bei internationalen Platzierungen können darüber hinaus ausländische Haftungsbestimmungen, wie etwa Rule 10b-5 unter dem Securities Exchange Act von 1934 in den USA, relevant sein84 (dazu auch Rz. 45.176).
12.61 Der Umfang der Due Diligence bei der Begebung einer Umtauschanleihe ist typischer-
weise beschränkt und entspricht dem Standard bei der Ausgabe reiner Schuldverschreibungen (debt issues) (vgl. auch Rz. 33.61). Aufgrund der Verpflichtung des Emittenten, den Anleihegläubigern entweder den Nennbetrag der Anleihe in bar zurückzuzahlen oder Aktien der Zielgesellschaft in einem entsprechenden Gegenwert zu liefern, ist das Risiko der Anleihegläubiger beschränkt. Folglich sind die Kurse bei Börsennotierung der Umtauschanleihe weniger volatil als bei Aktien. Dies führt dazu, dass das Haftungsrisiko des Emittenten und der begleitenden Bank beschränkt ist. Hinzu kommt, dass der Emittent i.d.R. keinen Einblick in die Geschäfte der Zielgesellschaft hat. Vor diesem Hintergrund ist auch der Umfang der Due Diligence typischerweise beschränkt. Emittent und begleitende Bank sowie ggf. der Garant vergewissern sich i.d.R. lediglich, dass die allgemein erhältlichen Informationen über die Zielgesellschaft vollständig und richtig im Prospekt wiedergegeben sind. Dies wird insbesondere durch die Einsichtnahme ins Unternehmensregister und ins Handelsregister, die Durchsicht der Jahres- und Zwischenabschlüsse des Emittenten sowie der bisher veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilungen sichergestellt. Daneben bemühen sich Emittent, Bank und ggf. Garant bisweilen, ihr Haftungsrisiko durch die Einholung von Comfort Letters ihrer jeweiligen Wirtschaftsprüfer (zu Comfort Letters vgl. § 34) und Legal Opinions (hierzu im Einzelnen § 35) der anwaltlichen Berater des Emittenten, bisweilen auch der Anwälte der begleitenden Bank, zu verringern.
4. Transparenzpflichten 12.62 Da sich Umtauschanleihen regelmäßig auf bereits ausgegebene und zugelassene Aktien be-
ziehen, ist aus Sicht der Investoren die Meldepflicht für das Halten sonstiger Finanzinstrumente (§ 38 WpHG) relevant. Voraussetzung für das Eingreifen der Meldepflicht ist jedoch ein unbedingtes Recht oder ein Ermessensspielraum in Bezug auf den Erwerb der zugrunde liegenden Aktien (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG). Richtigerweise besteht die Meldepflicht nach § 38 WpHG daher nicht, wenn die Ausübung des Umtauschrechts in rechtlicher Hinsicht noch von äußeren Umständen wie etwa dem Erreichen eines bestimmten Kursniveaus abhängig ist. Stellt das Erreichen eines bestimmten Kursniveaus der zugrunde liegenden Aktien dagegen keine rechtliche Hürde, sondern lediglich einen wirtschaftlichen Entscheidungsparameter dar, erscheint fraglich, ob insoweit ebenfalls noch von einem die Meldepflicht ausschließenden äußeren Umstand gesprochen werden kann. An einem unbedingten Erwerbsrecht der Anleiheinvestoren fehlt es richtigerweise auch dann, wenn der Emittent zur Zahlung eines Barausgleichsbetrags anstelle der Lieferung von Aktien berechtigt ist (dazu Rz. 12.23)85. 83 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 218/03, ZIP 2004, 1599, II ZR 217/03, WM 2004, 1726, II ZR 402/02 – Infomatec, ZIP 2004, 1593; OLG Frankfurt a.M. v. 7.11.2003 – 5 W 31/03 – Comroad III, ZIP 2004, 1317. 84 Nach Rule 10b-5 können im Rahmen der Veräußerung von Wertpapieren der Verkäufer und die begleitende Bank für die Vollständigkeit und Richtigkeit der veröffentlichten kursrelevanten Informationen unabhängig von der Form der Informationsweitergabe haften; vgl. Rz. 45.176 ff. 85 Näher zum Ganzen Schlitt/Schäfer AG 2007, 227, 233 f.
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Umtauschanleihen | § 12
Die vormals in § 25a Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. geregelte und nunmehr in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG aufgegangene Meldepflicht erfasst solche Instrumente, die eine vergleichbare wirtschaftliche Wirkung haben wie die in Nr. 1 genannten Instrumente. Eine Stimmrechtsmitteilung ist daher allein aufgrund des Haltens einer Umtauschanleihe vorzunehmen, die zum Erwerb einer Beteiligung von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 % am stimmberechtigten Grundkapital des Underlyings berechtigt. Die Grenze kann aufgrund der Verpflichtung zur Zusammenrechnung mit Stimmrechten, für die eine Meldepflicht nach §§ 33 Abs. 1 Satz oder Abs. 2 WpHG besteht, auch schon bei einer geringeren Berechtigung unter der Umtauschanleihe erreicht werden (§ 39 Abs. 1 WpHG). Die Mitteilung ist unverzüglich, spätestens innerhalb von vier Handelstagen, an den Emittenten der zu Grunde liegenden Aktien zu übermitteln86.
12.63
VI. Restrukturierung von Umtauschanleihen 1. Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes Eine nachträgliche Änderung von Anleihebedingungen ist grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Anleihegläubiger und des Emittenten möglich87. Das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) eröffnet alternativ die Möglichkeit, durch bindende Mehrheitsentscheidungen der Anleihegläubiger eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen herbeizuführen. Hierzu bietet es in gegenüber seinem Vorgänger, dem Schuldverschreibungsgesetz von 1899, deutlich erweitertem Umfang Möglichkeiten zur Bündelung der Interessen der Anleihegläubiger, u.a. um eine Restrukturierung zu erleichtern88. Gleichzeitig schützt es die Minderheit der Anleihegläubiger vor übermäßigen und damit als unbillig angesehenen Eingriffen der Mehrheit in die Rechte der Minderheit. Voraussetzung für seine örtliche Anwendbarkeit ist, dass die Anleihe deutschem Recht unterliegt, ohne dass es auf den Sitz des Emittenten ankäme. Damit wird hinsichtlich neu ausgegebener Anleihen auch die Vielzahl von Anleihen erfasst, die aus steuerlichen Gründen über ausländische Finanzierungsgesellschaften begeben werden, jedoch deutschem Recht unterstellt sind. Sein sachlicher Anwendungsbereich ist für alle Anleihen eröffnet, die eine sog. Optin-Klausel enthalten, also die Anwendbarkeit des SchVG in den Anleihebedingungen vorsehen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG).
12.64
Vor dem Inkrafttreten des SchVG ausgegebene Anleihen können nach einer Übergangsregelung ebenfalls von den erweiterten Restrukturierungsmöglichkeiten des SchVG profitieren, wenn die Gläubigerversammlung einen Mehrheitsbeschluss über die Anwendbarkeit des SchVG fasst. Die Rechtsprechung hat allerdings den Anwendungsbereich dieser Über-
12.65
86 Weber-Rey/Benzler in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 20 Rz. 140 ff. 87 Schneider, Die Änderung von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger, Vortrag vom 5.2.2004 am Institut for Law and Finance der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Working Paper Series No. 25, S. 5. 88 Zum Inkrafttreten des SchVG und seinen Auswirkungen Horn, BKR 2009, 446 ff.; Horn, ZHR 173 (2009), 12 ff.; Kusserow, WM 2011, 1645 ff.; Leuering, NZI 2009, 638 ff.; Leuering/Zetsche, NJW 2009, 2856 ff.; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 ff.; Podewils, DStR 2009, 1914 ff.; Schlitt/ Schäfer, AG 2009, 477 ff.; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 ff.; Simon, CFL 2010, 159 ff.; Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 ff.; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.372; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.147.
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§ 12 | Umtauschanleihen
gangsbestimmung deutlich eingeschränkt. Nach Auffassung des OLG Frankfurts kommt ein solcher „nachträglicher“ Opt-in nämlich nur für solche Anleihen in Betracht, die bereits dem Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes von 1899 unterlagen, was über ausländische Gesellschaften begebene Anleihen vom Anwendungsbereich ausnimmt89. Diese Auffassung wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt90.
2. Zulässige Beschlussgegenstände 12.66 Das SchVG ermöglicht in sehr weitgehendem Umfang Änderungen der Anleihebedin-
gungen. Es enthält einen Beispielskatalog möglicher Maßnahmen, die die Anleihegläubiger mit Mehrheitsbeschluss verabschieden können. So sind u.a. Änderungen der Höhe und Fälligkeit der Haupt- und Zinsforderung, des Rangs der Anleiheforderung, der Umtausch in andere Vermögenswerte, die Verringerung der Hauptforderung und die Aufgabe oder Bestellung von Sicherheiten vorgesehen (§ 5 Abs. 3 SchVG). Eine Verpflichtung zur Leistung kann allerdings nicht beschlossen werden (§ 5 Abs. 1 SchVG).
3. Mehrheitsentscheidungen 12.67 Die Beschlussfassung der Anleihegläubiger kann sowohl in einer physischen Versamm-
lung als auch in einer virtuellen Gläubigerversammlung stattfinden. Die Anzahl der Stimmen eines Anleihegläubigers bestimmt sich nach dem von ihm gehaltenen Nennbetrag bzw. seinem rechnerischen Anteil am Gesamtemissionsvolumen (§ 6 Abs. 1 SchVG). Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit, im Falle einer Änderung des wesentlichen Inhalts der Anleihebedingungen mit mindestens 75 % der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmen gefasst, wobei die Anleihebedingungen auch eine höhere Mehrheit fordern können (§ 5 Abs. 4 SchVG).
4. Rechtsschutz 12.68 Anleihegläubiger können sich gegen eine Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger
durch Erhebung des Widerspruchs in der Gläubigerversammlung und, so dem nicht abgeholfen wird, Erhebung einer Anfechtungsklage schützen (§ 20 SchVG)91. Die Anfechtungsklage ist innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung des angegriffenen Beschlusses beim Landgericht am Sitz des Schuldners, im Fall eines ausländischen Anleiheschuldners am Landgericht Frankfurt am Main zu erheben (§ 20 Abs. 3 SchVG). Die Erhebung der Anfechtungsklage hindert die Vollziehung des angegriffenen Beschlusses in Form einer Ergänzung bzw. Änderung der Sammelurkunde, solange der Anleiheschuldner nicht erfolgreich ein Freigabeverfahren beantragt (§ 20 Abs. 3 SchVG i.V.m. § 246a AktG). 89 OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11 – Pfleiderer, AG 2012, 373. 90 Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204 ff.; Keller, BKR 2012, 15 ff.; Lürken, GWR 2011, 546 f.; Meier/Schauenburg, CFL 2012, 161, 165. 91 Zu den Einzelheiten des Rechtsschutzes vgl. Baums, ZBB 2009, 1 ff.; Heldt in Grieser/Heemann, S. 834, 842; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317, 1319 ff.; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 482; Schlitt/ Schäfer in FS Maier-Reimer, 2010, S. 615, 623.
470 | Schlitt/Kammerlohr
Umtauschanleihen | § 12
5. Interessenwahrnehmung durch einen gemeinsamen Vertreter Die Anleihegläubiger können die Wahrnehmung ihrer Interessen durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters bündeln, der insbesondere die Verhandlungsführung und Koordinierungsaufgaben übernehmen kann. Er kann entweder bereits in den Anleihebedingungen oder durch einen Beschluss der Anleihegläubiger bestellt werden (§§ 7, 8 SchVG)92. Als gemeinsamer Vertreter kommt grundsätzlich jede geschäftsfähige Person und jede sachkundige juristische Person in Betracht (§ 7 Abs. 1 SchVG). Ein etwaiger Interessenkonflikt ist im Vorfeld offen zu legen. Seine Aufgaben und Befugnisse richten sich nach den Anleihebedingungen und dem Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger. Er ist an Weisungen der Gläubigerversammlung gebunden. Die Kosten seiner Bestellung, seine Aufwendungen und eine angemessene Vergütung trägt der Anleiheschuldner (§ 7 Abs. 6 SchVG).
92 Zum Aufgabenbereich des gemeinsamen Vertreters vgl. Horn, ZHR 173 (2009), 12, 63; Simon, CFL 2010, 159, 163; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 483 f.; Schlitt/Schäfer in FS Maier-Reimer, 2010, S. 615, 620.
Schlitt/Kammerlohr | 471
12.69
§ 13 Genussrechte
__ _ __ _ _ __ __ __ _ __ _
Begriff und Gestaltungsformen . . 13.1 Begriff des Genussrechts . . . . . . 13.1 Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Zweck von Genussrechtsemissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 4. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . 13.5 5. Unzulässigkeit aktiengleicher Genussrechte? . . . . . . . . . . . . . 13.8 6. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsinstrumenten . . . . . . . . 13.10 I. 1. 2. 3.
II. Typischer Regelungsinhalt der Emissionsbedingungen . . . . . 1. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlustteilnahme . . . . . . . . . 3. Nachrangabrede . . . . . . . . . . 4. Laufzeit und Kündigung . . . . 5. Weitere Regelungen . . . . . . . 6. Genussrechtsemissionen von Kreditinstituten . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
13.13 13.13 13.14 13.15 13.16 13.17
. . 13.18
III. Gesellschaftsrechtliche Gewährungsvoraussetzungen . . . . . . . . 13.19 1. Aktienrechtliche Regelungen . . . 13.19 a) Anwendbarkeit auf „obligationsähnliche“ Genussrechte . . . . . . 13.19
b) Beschluss der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezugsrecht der Aktionäre . . . . 2. Andere Gesellschaftsformen . . . . 3. Genussrechte als Teilgewinnabführungsverträge? . . . . . . . . . 4. Übertragbarkeit und wertpapierrechtliche Verbriefung, SchVG . . IV. Beeinträchtigungen während der Laufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlerhafte Geschäftsführung . . . 2. Unterlassene oder fehlerhafte Gewinnermittlung . . . . . . . . . . 3. Rücklagenbildung . . . . . . . . . . . 4. Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen . . . . . . . . . . . . 5. Sonderaspekte bei Verlustteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erhöhung des Genussrechtskapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Maßnahmen nach Umwandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Konzernrechtliche Maßnahmen .
__ _ _ _ __ __ _ _ _ __
13.20 13.22 13.26 13.29 13.35 13.37 13.37 13.38 13.41 13.43 13.47 13.50 13.51 13.53
Schrifttum: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017; Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 15. Aufl. 2011; Bundschuh/Hadding/Schneider (Hrsg.), Recht und Praxis der Genussscheine, 1987; Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH, 2009; Eyber, Die Abgrenzung zwischen Genussrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft, 1996; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genussscheine, 2. Aufl. 1992; Frantzen, Genussscheine – zugleich eine Analyse der Genussscheinbedingungen deutscher Unternehmen, 1993; Häger/Elkemann-Reusch (Hrsg.), Mezzanine Finanzierungsinstrumente, 2. Aufl. 2007; Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2012, §§ 221– 240; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, 1993; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016; Prinz/Winkeljohann (Hrsg.), Beck’sches Handbuch der GmbH, 5. Aufl. 2014; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, §§ 705–853, hrsg. von Habersack, 7. Aufl. 2017; Gummert/Weipert (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 2, Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG und Stille Gesellschaft, 4. Aufl. 2014; Priester/Mayer (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 3, GmbH, 3. Aufl. 2009; Hoffmann-Becking (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 2015; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, I. Band, 12. Aufl. 2018; Schudt, Der Genussschein als genossenschaftliches Finanzierungsinstrument, 1974; Thielemann, Das Genussrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, 1988; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Kommentar zu den §§ 305–310 BGB und zum Unterlassungsklagengesetz, 11. Aufl. 2011; Ulmer/Habersack/Löbbe (Hrsg.), GmbHG, Bd. II, 2. Aufl. 2014.
472 | Wöckener/Becker
Genussrechte | § 13
I. Begriff und Gestaltungsformen 1. Begriff des Genussrechts Der Begriff Genussrecht wird in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften, z.B. § 221 Abs. 3 AktG, § 8 Abs. 3 KStG, § 23 UmwG oder § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VAG, erwähnt, aber nicht legaldefiniert. Nach verbreiteter Definition handelt es sich bei Genussrechten um Ansprüche gegen eine Gesellschaft, die Vermögensrechte zum Inhalt haben, welche typischerweise einem Gesellschafter zustehen1. Die den Genussrechtsinhabern eingeräumten Vermögensrechte können vielfältiger Natur sein. Regelmäßig erhalten sie eine Beteiligung am Gewinn der die Genussrechte ausgebenden Gesellschaft oder werden in anderer Weise an deren wirtschaftlichem Erfolg beteiligt (zu der möglichen Ausgestaltung des Vergütungsanspruchs s. Rz. 13.13).
13.1
Der Begriff Genussschein wird teilweise, wie auch in den folgenden Ausführungen, nur für in Urkunden verbriefte Genussrechte verwendet, teilweise synonym auch für die Unverbrieften2.
13.2
2. Rechtsnatur Genussrechte gewähren zwar mitgliedschaftsähnliche Vermögensrechte, begründen aber keine Mitgliedschaft in der Gesellschaft3. Genussrechtsinhaber stehen zur Gesellschaft demnach in rein schuldrechtlichen Beziehungen. Sie haben weder ein Recht auf Teilnahme an Hauptversammlungen noch ein Stimmrecht, Anfechtungsrecht, Bezugsrecht oder andere mitgliedschaftliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte4; solche Rechte können ihnen zudem vertraglich nicht eingeräumt werden5. Die Einräumung von Informations- und Kontrollrechten auf vertraglicher Basis ist hingegen möglich und in unterschiedlicher Ausgestaltungsform üblich6. Auch ohne vertragliche Vereinbarung haben die Genussrechtsinhaber allerdings aus §§ 259, 242 BGB einen Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft, soweit dies zur rechnerischen Nachvollziehung ihrer Ansprüche erforderlich ist7. Dieser Anspruch kann in der Regel durch die Vorlage eines testierten Jahresabschlusses und ggf. durch ergänzende Angaben im Anhang zum Jahresabschluss erfüllt werden8. 1 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 1, 513; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 25; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 69. 2 Begrifflich so auch Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 63. 3 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 127; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, AG 1993, 134, 135; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 71; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 331. 4 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 127 f.; Lutter, ZGR 1993, 291, 294 f. 5 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 127; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 26. 6 Haberstock/Greitemann in Hölters, AktG, § 221 Rz. 21; Blaurock, Hdb. Stille Gesellschaft, 8. Aufl. 2016, Rz. 5.38. 7 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 619; Stöber, Die Informationsrechte von Genussrechtsinhabern, NZG 2017, 1401, 1404 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 92, spricht den Genussrechtsinhabern aufgrund der von ihm vorgenommenen Einordnung des Genussrechts als stiller Gesellschaft das Kontrollrecht aus § 233 HGB zu; vertiefend hierzu Frantzen, Genussscheine, S. 224 ff. 8 BGH v. 14.6.2016 – II ZR 121/15, NZG 2016, 983, 984 f. = AG 2016, 718; Frantzen, Genussscheine, S. 228; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 619.
Wöckener/Becker | 473
13.3
§ 13 | Genussrechte
3. Zweck von Genussrechtsemissionen 13.4
Genussrechte werden zu vielfältigen Zwecken emittiert9. Praktisch am bedeutsamsten sind Finanzierungsgenussrechte, die von den Emittenten als Mittel zur Kapitalbeschaffung gegen Geldzahlung genutzt werden. Sie haben den Vorzug, aufgrund ihrer schuldrechtlichen Natur flexibel gestaltbar zu sein. Da Genussrechte bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen (vgl. hierzu Rz. 14.98 ff.) als Eigenkapital bilanzierbar sind, können Gesellschaften durch Genussrechtsemissionen ihre Eigenkapitalbasis verbessern und ggf. zusätzlichen Kredit erlangen. Da sie keine Stimm- und anderen Gesellschafterrechte tragen, sind Genussrechte insbesondere als Finanzierungsinstrument für Familienunternehmen attraktiv. Schließlich eröffnen Genussrechte auch nicht börsenfähigen Unternehmen, z.B. in der Rechtsform einer GmbH, einen Zugang zum Kapitalmarkt (vgl. hierzu Rz. 13.26 ff.).
4. AGB-Kontrolle 13.5
Häufig sind Genussrechtsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert und unterliegen damit als vorformulierte Vertragsbedingungen einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB10. Diese Voraussetzung entfällt nicht dadurch, dass Genussrechte im Rahmen einer Fremdemission zunächst von einer Emissionsbank oder einem Emissionskonsortium übernommen und bei Investoren platziert werden. Emittenten möchten auch in diesem Fall in Vertragsbeziehungen zu einer Vielzahl von Investoren treten und die Vertragsbedingungen sind für diesen Zweck formuliert11. Die für Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts geltende Ausnahme des § 310 Abs. 4 BGB findet auf Genussrechtsbedingungen keine Anwendung, weil Genussrechte schuldrechtliche Ansprüche und kein Gesellschaftsverhältnis begründen12. Eine Einbeziehung von Genussrechtsbedingungen nach den Vorgaben des § 305 Abs. 2 BGB ist nicht erforderlich, da dies die Kapitalmarktfähigkeit beeinträchtigen würde13. Auch die Klauselkataloge der §§ 308, 309 BGB sind nach überwiegender Ansicht auf Genussrechtsbedingungen anwendbar14.
13.6
Bei der Auslegung von Genussrechtsbedingungen ist auf die Verständnismöglichkeit eines typischen, durchschnittlich verständigen Investors bei öffentlich am Kapitalmarkt angebotenen Genussrechten, abzustellen15. Sofern das Schuldverschreibungsgesetz Anwendung
9 Hierzu eingehend Frantzen, Genussscheine, S. 47 ff. 10 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 126; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 255; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 35; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 535, 106 (zu allen von § 221 AktG erfassten Instrumenten); Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 399. 11 Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305 BGB Rz. 71 ff.; Wolf in FS Zöllner, 1998, S. 651, 657 f.; a.M. Joussen, WM 1995, 1861, 1869; Kallrath, Inhaltskontrolle, S. 63 f., der allerdings eine Inhaltskontrolle anhand des § 242 BGB vornimmt. 12 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 126; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 399; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 35; differenzierend Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 255. 13 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 256; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 399; für Inhaberschuldverschreibungen BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1411 f. 14 Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anhang § 310 BGB Rz. 1037; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 578 speziell zu § 308 Nr. 4 BGB. 15 Vgl. etwa OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146, 147 = AG 2014, 164.
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Genussrechte | § 13
findet, ist der in Genussrechten sachkundige Investor als Maßstab heranzuziehen16. Zur Auslegung kann dabei auch ein vom Emittenten (mit-)verantworteter Prospekt herangezogen werden17. Unklarheiten gehen gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders18. Hinsichtlich der AGB-rechtlichen Klauselkontrolle ist zu unterscheiden zwischen Bestimmungen, die die Hauptleistungsinhalte festlegen, und Nebenabreden, die diese ausgestalten, modifizieren oder einschränken. Eine Festlegung von Hauptleistungsinhalten unterliegt gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle19, muss aber die Anforderungen des Transparenzgebots aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB erfüllen20. Zu den Hauptleistungsinhalten gehört etwa die Vereinbarung einer Gewinnabhängigkeit der zu zahlenden Vergütung21, einer Verlustteilnahme22, einer Beteiligung am Liquidationserlös oder eines Rangrücktritts. Die Art und Weise der Ausgestaltung dieser Rechte hingegen ist der Inhaltskontrolle zugänglich. Darüber hinaus unterliegen die Nebenabreden der vollen Inhaltskontrolle.
13.7
5. Unzulässigkeit aktiengleicher Genussrechte? Aktiengesellschaften haben nach dem Aktiengesetz die Option, durch Ausgabe von Vorzugsaktien ihre Eigenkapitalbasis zu verbreitern, ohne den Kapitalgebern Mitspracherechte einzuräumen. Der Gesetzgeber hat in § 139 Abs. 2 AktG eine zum Grundkapital verhältnismäßige Höchstgrenze für Vorzugsaktien festgesetzt und bei Ausfall der Dividende ein Aufleben des Stimmrechts vorgesehen; § 140 Abs. 2 AktG. Während Genussrechte und Vorzugsaktien in ihrer Zwecksetzung durchaus vergleichbar sein können, existieren für Genussrechte keine speziellen anlegerschützenden Vorschriften. Das hat zu der Forderung geführt, an Vorzugsaktien angenäherte, sog. „aktiengleiche“ Genussrechte wegen Umgehung der §§ 139 ff. AktG als unzulässig zu betrachten23.
13.8
Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines aktiengleichen Genussrechts werden von den Vertretern dieser Ansicht überwiegend eng definiert und erst eine nahezu vollständige Angleichung an Vorzugsaktien als unzulässig betrachtet24. Charakteristisch für die Stellung von Vorzugsaktionären ist eine vollständige Gewinnabhängigkeit ihrer Vergütung, die fehlende Rückzahlbarkeit ihrer Einlage sowie eine Beteiligung am Liquidationserlös25. Da Finanzierungsgenussrechte schon aus steuerlichen Gründen regelmäßig keine Beteiligung am Liquidationserlös aufweisen, ist die praktische Bedeutung des Streits gering. Eine ansonsten eintretende Gleichartigkeit mit der Position von Vorzugsaktionären
13.9
16 Mülbert/Sajnovits, WM 2017, 1725, 1730; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 258. 17 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 258. 18 OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, ZIP 2012, 576, 578 f. = AG 2012, 339; Habersack in MünchKomm AktG § 221 Rz. 258. 19 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 126; BGH v. 29.4.2015 – II ZR 395/12, WM 2014, 1076 Rz. 29 = AG 2014, 705. 20 Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 400. 21 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 307 BGB Rz. 71 ff. 22 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 126. 23 Reuter, Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages, Hamburg 1984, Band I (Gutachten), S. B 7 ff.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 385 ff.; a.M. Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 34; Sethe, AG 1993, 293, 300. 24 Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 372 und ZIP 1988, 477 ff., nimmt jedoch weitergehend eine generelle Unzulässigkeit aller gegen Einlage ausgegebenen Genussrechte an, sofern diese nicht der Mitarbeiterbeteiligung dienen oder festverzinslich sind. 25 Krieger in MünchHdb. AG, § 63 Rz. 67.
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kann durch eine Besserstellung der Genussrechtsinhaber, etwa durch eine bevorrechtigte Rückzahlung des Genussrechtskapitals in der Liquidation der Gesellschaft26, vermieden werden. Der BGH hat unter Offenlassung der Streitfrage festgestellt, dass zumindest bei zeitlich begrenzten Genussrechten, die eine gegenüber den Aktionären bevorzugte Rückzahlung des Genussrechtskapitals in der Liquidation der Gesellschaft vorsehen, nicht von einer Umgehung der §§ 139 ff. AktG ausgegangen werden könne27.
6. Abgrenzung zu anderen Finanzierungsinstrumenten 13.10 Bei stillen Gesellschaften entsteht zwischen Unternehmen und stillen Gesellschaftern ein
Gesellschaftsverhältnis, das gesellschaftsrechtliche Einsichts-, Kontroll- und Treuepflichten begründet. Die Beziehungen zwischen Emittenten und Genussrechtsinhabern sind dagegen allgemein vertraglicher Natur (Dauerschuldverhältnis eigener Art)28. Ausgangspunkt zur Abgrenzung ist die von den Parteien gewählte Bezeichnung29. In Ermangelung einer vertraglichen Vereinbarung von Mitsprache- und Kontrollrechten, wie sie insbesondere bei Publikumsgenussrechten nicht sachgerecht und gewünscht sind, besteht regelmäßig ein Indiz dafür, dass keine gesellschaftsrechtliche Beziehung, sondern ein Genussrechtsrechtsverhältnis vorliegt30. Allerdings kann aufgrund von Informations- und Kontrollrechten nicht im Umkehrschluss ein Genussrechtsverhältnis ausgeschlossen werden, da solche Rechte auch den Genussrechtsinhabern vertraglich eingeräumt werden können. Im Fall von bei einem kleinen Investorenkreis platzierten Genussrechtsemissionen, bei denen diese häufig gewährt werden, ist eine Abgrenzung anhand inhaltlicher Kriterien schwierig, was durch die ähnliche wirtschaftliche Zwecksetzung beider Instrumente weiter erschwert wird31. Eine Abgrenzung ist jedoch zumindest bei Aktiengesellschaften erforderlich, weil hiervon abhängt, ob Bezugsrechte bestehen oder nicht.
13.11 Darlehensgeber von partiarischen Darlehen erhalten anstelle oder neben Zinszahlungen
als spezielles Entgelt einen Anteil am Gewinn oder Umsatz des Darlehensnehmers oder aus einzelnen Geschäften32. Eine Einordnung von Genussrechten als partiarische Darlehen wäre insofern von praktischer Bedeutung, als Darlehensnehmer nach § 489 Abs. 2 BGB Darlehensverträge mit veränderlichem Zinssatz jederzeit unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist kündigen können33. Da Darlehen aber eine Rückzahlbarkeit der Valuta voraus-
26 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 386 ff.; Krieger in MünchHdb. AG, § 63 Rz. 67. 27 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125 f. 28 H.M., BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, AG 2003, 625, 626; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 436; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 513; Mülbert in FS Hüffer, 2009, S. 679, 692; anders Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 89 und Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 395, der aktienähnliche Genussrechte als stille Gesellschaften qualifiziert. 29 Ähnlich auch Keul in MünchHdb. StG, § 73 Rz. 15; von Alvensleben in Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 622. 30 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, AG 2003, 625, 627; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 436; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1843. 31 Vgl. KG v. 17.1.2002 – 2 U 7288/00, AG 2003, 99, 100. 32 Weidenkaff in Palandt, BGB, vor § 488 Rz. 20; Hoffmann-Theinert in BeckOK HGB, § 230 Rz. 15. 33 Da ein Emittent von Genussrechten eines solchen Schutzes nicht bedarf, wird für die Fälle, in denen die Genussrechte verbrieft werden, zu Recht eine teleologische Reduktion des § 489 Abs. 2 BGB verlangt Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 93 m.w.N.
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setzen, lassen sich Genussrechte mit Verlustbeteiligung und damit die Mehrzahl der Finanzierungsgenussrechte anhand dieses Merkmals von partiarischen Darlehen abgrenzen34. Auch eine unbegrenzte Laufzeit ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit für die Kapitalgeber spricht gegen die Annahme eines Darlehens, da in einer derartigen Konstellation der Beendigungstatbestand des auf eine zeitlich begrenzte Überlassung gerichteten Darlehens fehlt35. Hybridanleihen (s. hierzu § 18) sind Schuldverschreibungen, die eine unbegrenzte oder sehr lange Laufzeit von 30 bis 60 oder mehr Jahren haben36. Nur Emittenten sind berechtigt, solche Anleihen nach Ablauf einer bestimmten Anzahl von Jahren zu kündigen. Hiermit im Zusammenhang steht die übliche Ausgestaltung der Vergütung. Bis zum Zeitpunkt der ersten Kündigungsmöglichkeit wird eine feste Verzinsung, anschließend eine variable Verzinsung gewährt. Die Auszahlung der Zinsen steht grundsätzlich im Ermessen der Emittenten. Sobald Emittenten allerdings Gewinnausschüttungen vornehmen, sind sie zur Auszahlung der aufgelaufenen Zinsen verpflichtet. Da die vereinbarte Vergütung bei dieser Ausgestaltung weder an den Gewinn der Gesellschaft anknüpft noch ihre Auszahlung davon abhängig ist, sind den Anleihegläubigern keine gesellschafterähnlichen Vermögensrechte eingeräumt37. Auch die Laufzeit solcher Anleihen begründet allein noch kein gesellschafterähnliches Vermögensrecht38.
13.12
II. Typischer Regelungsinhalt der Emissionsbedingungen 1. Vergütung Bei der Ausgestaltung der Vergütung lassen sich zwei Varianten unterscheiden39: Eine gewinnorientierte Vergütung bemisst sich in ihrer Höhe am Gewinn des Emittenten oder anderen wirtschaftlichen Bezugsgrößen. Möglich ist beispielsweise eine Orientierung an der Dividende, dem Jahresüberschuss, dem Bilanzgewinn der Gesellschaft sowie eine Anknüpfung an EBITDA oder andere Kennziffern des Emittenten oder des Konzerns40. Im Fall einer gewinnabhängigen Vergütung wird eine feste oder variable Verzinsung, die jedoch von anderen, nicht unternehmensbezogenen Bezugsgrößen (z.B. Referenzsätzen wie dem EURIBOR) abhängig ist, gewährt. Der Verzinsungsanspruch mindert sich jedoch insoweit, als er nicht aus dem Gewinn des Emittenten bedient werden kann41. Einen höheren Schutz vor Ausfall der Verzinsung bieten Regelungen, welche für Ausschüttungen 34 Keul in Münchener Hdb. GesR, Band 2, § 73 Rz. 14. 35 Mögliche Beendingungstatbestände sind Zeitblauf und Kündigung; Berger in MünchKomm. BGB, § 488 Rz. 222. 36 Singhof in MünchKomm. HGB, Band 6, Emissionsgeschäft Rz. 120. 37 Dies wäre allerdings anders zu beurteilen, wenn die Verzinsung gewinnorientiert oder gewinnabhängig ausgestaltet oder den Genussrechtsinhabern etwa ein Anteil am Liquidationserlös oder Bezugsrechte eingeräumt sein sollten. 38 Müller-Eising/Bode, BKR 2006, 480, 484. 39 Eine ähnliche begriffliche Unterscheidung verwenden Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 543 ff.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 99; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 25a und Gehling, WM 1992, 1093, 1094. 40 Ausführlich hierzu Frantzen, Genussscheine, S. 102 ff. 41 Häufig finden sich negative Formulierung wie beispielsweise: „Der Ausschüttungsanspruch mindert sich insoweit, als sich durch eine Ausschüttung ein Bilanzverlust ergeben würde.“ Kohlberg in Formularbuch Recht und Steuern, B. 8a.
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13.13
§ 13 | Genussrechte
nicht nur den Gewinn heranziehen, sondern auch Gewinnvorträge und nicht gegen Ausschüttungen geschützte Rücklagen42. Für ausgefallene gewinnabhängige Vergütungen sehen die Genussrechtsbedingungen häufig einen Anspruch auf Nachzahlung aus den Gewinnen künftiger Geschäftsjahre vor, der meist auf die Laufzeit der Genussrechte begrenzt ist. Gewinnorientierte und gewinnabhängige Vergütung lassen sich kombinieren, z.B. durch Einräumung einer gewinnabhängigen Grundverzinsung, die sich bei Erzielung eines bestimmten Ergebnisses erhöht. Die Vergütung der Genussrechtsinhaber kann im Verhältnis zu den Gesellschaftern vor-, gleich- oder nachrangig ausgestaltet sein43.
2. Verlustteilnahme 13.14 Finanzierungsgenussrechte sehen häufig eine Teilnahme am Verlust der Gesellschaft vor. In aller Regel ist eine laufende Verlustteilnahme vorgesehen, bei der sich die Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber automatisch um den Anteil am Bilanzverlust oder am Jahresfehlbetrag verringern, der dem Verhältnis des Genussrechtskapitals zum gesamten Eigenkapital (einschließlich des Genussrechtskapitals) entspricht44. Meist wird dabei an den Bilanzverlust angeknüpft, da dem Emittenten hierdurch die Möglichkeit verbleibt, durch zulässige Auflösung von Rücklagen einen Verlust für die Genussrechtsinhaber zu vermeiden. Im Falle einer Anknüpfung an den Bilanzverlust ist dieser Begriff derart auszulegen, dass damit der Bilanzverlust vor Entnahmen aus dem Genussrechtskapital gemeint ist45. Ferner muss sich der Bilanzverlust im Rahmen der Verlustteilnahme von Genussrechten regelmäßig ohne Berücksichtigung von Verlustvorträgen ermitteln lassen, da die Genussrechtsinhaber ansonsten doppelt an einem aus dem Vorjahr stammenden Verlust beteiligt würden46. Vereinzelt findet sich auch eine Verlustteilnahme in der Form, dass sich im Fall einer Kapitalherabsetzung zum Ausgleich von Wertminderungen oder zur Deckung von Verlusten das Genussrechtskapital im selben Verhältnis reduziert47. Die Verlustteilnahme wird in aller Regel mit einer Besserungsabrede verbunden, wonach Gewinne späterer Geschäftsjahre vorrangig für die Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals zu verwenden sind. Falls die Genussrechte verzinst werden, sollte klargestellt werden, ob sich durch eine Verlustteilnahme auch die Basis der Verzinsung ändert oder diese weiterhin auf Grundlage des Nennbetrags berechnet werden soll. Außerdem sollte bei der Formulierung der Verlustteilnahme- und Wiederauffüllungsregelungen das Verhältnis zu möglichen anderen Mezzaninekapitalia, insbesondere stillen Beteiligungen, klar geregelt werden.
42 Beispielsweise durch die Formulierung: „Der Ausschüttungsanspruch mindert sich insoweit, als er aus Eigenkapitalbestandteilen der Gesellschaft geleistet werden müsste, die gesetzlich besonders gegen Ausschüttung geschützt sind.“ Kohlberg in Formularbuch Recht und Steuern, B. 8a. 43 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 98 allgemein zum Beteiligungsrang. 44 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 548; Umfassend hierzu Frantzen, Genussscheine, S. 122 ff. 45 Mülbert in FS Hüffer, 2009, S. 677, 684 f. 46 Becker, NZG 2016, 1021; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, ZIP 2012, 576, 579 = AG 2012, 339; Habersack, AG 2009, 801, 806; Sethe, WM 2012, 577, 582; a.A.OLG Frankfurt v. 15.7.2015 – 19 U 201/13, NZG 2016, 1027; Mülbert in FS Hüffer, 2009, S. 677, 691 f. 47 Z.B. in dem Fall BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125 ff.; zur Auslegung einer solchen Verlustteilnahmeregelung BGH v. 23.1.2006 – II ZR 186/04, DStR 2007, 539 ff.
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Genussrechte | § 13
3. Nachrangabrede Aufgrund der vielfach enthaltenen Nachrangabrede treten die Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber im Insolvenz- oder Liquidationsfall hinter die nicht nachrangigen Ansprüche der übrigen Gläubiger der Gesellschaft zurück48. Die Reichweite eines Rangrücktritts ist im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet. Häufig werden Formulierungen49 verwendet, die den Rangrücktritt nicht nur auf den Rückzahlungsanspruch, sondern auf alle Ansprüche aus den Genussrechten erstrecken und über den Insolvenz- oder Liquidationsfall hinaus einen generellen Rangrücktritt anordnen50. Da ein Rangrücktritt ausschließlich im Verhältnis zu den Gläubigern der Gesellschaft erfolgt, werden die Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber auch ohne ausdrückliche Klarstellung vor den Ansprüchen der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis befriedigt. Obwohl es sich bei anderen Genussrechtsinhabern ebenfalls um Gläubiger handelt, ist ohne abweichende Regelung davon auszugehen, dass sich der Rangrücktritt nicht auf das Verhältnis zu anderen Nachranggläubigern erstrecken soll. Hierfür spricht der mit dem Rangrücktritt verfolgte Zweck – der Anerkennung als handelsbilanzielles Eigenkapital – der keinen derart weitgehenden Rangrücktritt erfordert. Aufgrund des vertraglich vereinbarten Nachrangs werden Forderungen der Genussrechtsinhaber gemäß § 39 Abs. 2 InsO im Zweifel nachrangig hinter Gesellschafterdarlehen berichtigt51. Falls dies nicht gewollt ist, sollte eine ausdrückliche Regelung in die Genussrechtsbedingungen aufgenommen werden.
13.15
4. Laufzeit und Kündigung Genussrechte werden in der Regel mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren gewährt, um eine eigenkapitalstärkende Wirkung über die Anerkennung als handelsbilanzielles Eigenkapital zu erzielen52. Aufgrund dieser Zwecksetzung sehen die Genussrechtsbedingungen von Finanzierungsgenussrechten auch kein ordentliches Kündigungsrecht für die Genussrechtsinhaber, ggf. aber für den Emittenten vor53. Ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund steht den Vertragsparteien auch ohne ausdrückliche Regelung zu; es kann in den Genussrechtsbedingungen nicht ausgeschlossen werden54. Ein wichtiger Kündigungsgrund besteht jedoch nur in eng begrenzten Fällen, z.B. bei erheblicher Verletzung von Pflichten unter den Genussrechtsbedingungen. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Emittenten berechtigt nicht zur außerordentlichen Kündigung, da sich 48 Frantzen, Genussscheine, S. 129 f. 49 Beispielsweise finden sich solche oder vergleichbare Formulierungen: „Die Forderungen aus den Genussscheinen gehen den Forderungen aller anderen Gläubigern des Emittenten, sofern diese nicht ebenfalls nachrangig ausgestaltet sind, im Rang nach. Im Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen oder der Liquidation des Emittenten werden die Genussscheininhaber nach allen anderen nicht-nachrangigen Gläubigern des Emittenten bedient“; so etwa in den dem Urteil des OLG Köln v. 25.9.2012 – 15 U 101/10, NZG 2014, 227 = BeckRS 2012, 24567 zugrunde liegenden Genussrechtsbedingungen. 50 Küthing/Kessler/Harth, Beilage 4 zu BB 1996, 1, 6. 51 Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 430. 52 von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 666 mit dem Verweis darauf, dass bei kürzerer Laufzeit eine Zuordnung zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten erfolge. 53 Zur Zulässigkeit von Sonderkündigungsrechten bei Finanzierungsgenussscheinen Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 556. 54 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 578; Frantzen, Genussscheine, S. 148.
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13.16
§ 13 | Genussrechte
die Genussrechtsinhaber gerade an den Chancen und Risiken der Emittenten beteiligt haben55. Grundlagenentscheidungen von Emittenten, wie z.B. Umwandlungen, Kapitalmaßnahmen oder Konzernierungen, berechtigen ebenfalls nicht zur außerordentlichen Kündigung56. Etwas anderes gilt, sofern die dadurch eintretenden nachteiligen Auswirkungen auf die Rechte der Genussrechtsinhaber auch durch eine Anpassung der Genussrechtsbedingungen nicht ausgeglichen werden oder vertraglich ein Sonderkündigungsrecht für diese Fälle vereinbart wurde.
5. Weitere Regelungen 13.17 Bei Genussrechtsemissionen mit breiter Streuung (Publikumsgenussrechte) wird typi-
scherweise festgelegt, dass die Genussrechte betreffenden Bekanntmachungen im Bundesanzeiger erfolgen müssen57. Die Bedingungen benennen eine oder mehrere Zahlstellen. Vertragliche Informations- oder Kontrollrechte werden den Inhabern von Publikumsgenussrechten in aller Regel nicht eingeräumt (zum gesetzlichen Auskunftsanspruch s. unter Rz. 13.3). Im Gegensatz zu der schlanken Gestaltung von Publikumsgenussrechten können Genussrechte, die bei wenigen Investoren platziert werden, umfangreiche Nebenbestimmungen enthalten. Dies können etwa Informationsrechte, Zusicherungen und flankierende Vereinbarungen, z.B. zur Ausschüttungspolitik bei Tochtergesellschaften, sein.
6. Genussrechtsemissionen von Kreditinstituten 13.18 Bis zum 31.12.2013 wurden Genussrechte als bankaufsichtsrechtliches Eigenkapital erfasst,
falls sie die Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 KWG a.F. erfüllten. Danach war u.a. erforderlich, dass die Genussrechte eine Verlustteilnahme vorsahen und im Fall der Insolvenz oder Liquidation nachrangig bedient wurden. Seit dem 1.1.2014 bemisst sich die Anrechnung von Genussrechten nach Artt. 62, 63 CRR58, wonach sie lediglich noch als Posten des Ergänzungskapitals (Tier-2-Kapital) anrechenbar sind59. Dabei definiert Art. 62 CRR zunächst welche Instrumente anrechnungsfähig sind und Art. 63 CRR konstituiert die für eine Anrechnung zu erfüllenden Kriterien. Hinsichtlich von Genussrechten, welche die Kriterien des Art. 63 CRR nicht erfüllen, kann sich die Anrechnung bis zum Jahr 2021 mit linear sinkenden Quoten für diesen Zeitraum überdies aus der Übergangsregelung des Art. 484 Abs. 5 CRR ergeben60. Dafür müssen die Genussrechte die Voraussetzungen der Umsetzungsmaßnahmen von Art. 57 lit. e bis h der RL 2006/48/EG erfüllen.
55 OLG Hamm v. 19.10.2010 – I-7 U 21/10 Rz. 27, BeckRS 2010, 28140; Frantzen, Genussscheine, S. 151. 56 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 631; in Grundzügen so auch Driver, BB 2014, 195, 196 f. 57 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 556, mit weiteren möglichen Nebenbestimmungen. 58 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 1. 59 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 562. 60 Glaser in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Art. 484 CRR Rz. 13.
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III. Gesellschaftsrechtliche Gewährungsvoraussetzungen 1. Aktienrechtliche Regelungen a) Anwendbarkeit auf „obligationsähnliche“ Genussrechte § 221 Abs. 3 AktG ist nach h.M. nicht nur auf Genussrechte mit gewinnorientierter Vergütung, sondern gleichermaßen auf Genussrechte mit lediglich gewinnabhängiger Vergütung anwendbar61. Hiergegen wird eingewandt, gewinnabhängige Genussrechte wiesen aufgrund ihrer Verzinsungsstruktur kein höheres Risikoprofil als Obligationen auf62. Die Gewinnabhängigkeit sei sogar als „Minus“ zu einer Darlehensvergabe anzusehen, sodass die Anwendung des aktionärsschützenden § 221 AktG nicht gerechtfertigt sei63. Für die h.M. spricht jedoch der Normzweck des § 221 AktG, der nicht besonders riskante, sondern eigenkapitalähnliche Instrumente erfassen möchte64. Auch die im Einzelfall sehr unterschiedliche Ausgestaltung von Genussrechten macht es sinnvoll, § 221 AktG zunächst auf alle Genussrechte anzuwenden. Der verminderten Schutzwürdigkeit der Aktionäre bei rein gewinnabhängigen Vergütungen wird durch geringere Anforderungen an einen Bezugsrechtsausschluss Rechnung getragen (s. Rz. 13.24).
13.19
b) Beschluss der Hauptversammlung § 221 Abs. 3 AktG verweist für die Gewährung von Genussrechten auf die für Wandel-, Options- sowie Gewinnschuldverschreibungen geltenden Voraussetzungen. Demnach darf der Vorstand Genussrechte nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung, der mit einer Kapitalmehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals gefasst wurde (§ 221 Abs. 1 AktG), gewähren. Dieses Mehrheitserfordernis ergänzt die in § 133 Abs. 1 AktG geregelte einfache Stimmenmehrheit, die ebenfalls erfüllt sein muss. Die Satzung kann nach § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG abweichende Mehrheitserfordernisse festlegen; mindestens muss jedoch eine einfache Kapital- und Stimmenmehrheit gefordert sein.
13.20
Stimmt die Hauptversammlung auf Vorschlag des Vorstands für eine Genussrechtsgewährung, so muss der Vorstand diese durchführen, sofern sich nicht wesentliche Umstände geändert haben65. Eine Bindung des Vorstands besteht nicht, falls die Hauptversammlung einen Ermächtigungsbeschluss gefasst hat, der das Ob und Wann einer Ausgabe in das Ermessen des Vorstands stellt. Auch ohne ausdrücklichen Verweis in § 221 Abs. 3 AktG findet § 221 Abs. 2 AktG auf Genussrechte entsprechende Anwendung66. Der Ermächtigungsbeschluss muss daher eine auf maximal fünf Jahre begrenzte Befristung enthalten. Außerdem ist der Höchstbetrag der auszugebenden Genussrechte festzulegen67. Gewährt
13.21
61 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/92 – Bremer Bankverein, AG 1993, 134 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 25b; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 100; Busch, AG 1994, 93, 97; Sethe, AG 1993, 293, 299. 62 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 527, 544; Lutter, ZGR 1993, 291, 304 ff.; Gehling, WM 1992, 1093, 1094 f.; Eyber, Abgrenzung, S. 84 ff.; Krecek/Röhricht, ZIP 2010, 413, 417 f. 63 Lutter, ZGR 1993, 291, 306. 64 Sethe, AG 1993, 293, 299. 65 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 178, 215 ff. 66 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 36; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 80; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 383, 390. 67 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83, 84; Haberstock/Greitemann in Hölters AktG, § 221 Rz. 52.
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der Vorstand Genussrechte ohne die erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung, so handelt er außerhalb seiner Geschäftsführungsbefugnis und macht sich nach § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig. Die Wirksamkeit der Genussrechte wird dadurch nicht berührt, da die Vertretung des Vorstands im Außenverhältnis durch § 221 AktG nicht eingeschränkt wird68. c) Bezugsrecht der Aktionäre
13.22 Den Aktionären steht auf Genussrechte ein gesetzliches Bezugsrecht zu (§ 221 Abs. 4
Satz 1 AktG). Für das Bezugsrecht gilt § 186 AktG, auf den in § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG vollumfänglich verwiesen wird. Insbesondere ist nach § 186 Abs. 5 AktG die Einräumung eines mittelbaren Bezugsrechts unter Einschaltung eines Kreditinstituts möglich.
13.23 Ein Ausschluss des Bezugsrechts erfordert die Wahrung der in § 186 Abs. 3 und 4 AktG
vorgesehenen formellen Voraussetzungen. Dazu zählt insbesondere die Zustimmung der Hauptversammlung mit einer Kapitalmehrheit von mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals (§ 186 Abs. 3 Satz 2 AktG). Die Satzung kann gemäß § 186 Abs. 3 Satz 3 AktG weitere Erfordernisse und eine höhere, aber keine geringere Kapitalmehrheit festlegen. Entsprechend der Regelung in § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG muss der Beschluss über den Bezugsrechtsausschluss mit dem über die Gewährung der Genussrechte verbunden sein. Der schriftliche Bericht des Vorstands nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG hat die Tatsachen mitzuteilen, die für die materielle Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses maßgebend sind, sowie Wertungen und Abwägungen des Vorstandes zu enthalten69.
13.24 Ein wirksamer Bezugsrechtsausschluss erfordert im Rahmen von Kapitalerhöhungen, dass
der Ausschluss bei gebührender Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Diese Prüfung schließt eine Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein70. Ob der Bezugsrechtsausschluss auch bei Gewährung von Genussrechten einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, hat der BGH wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung von Genussrechten davon abhängig gemacht, ob und inwieweit die Genussrechtsbedingungen im jeweiligen Einzelfall in die mitgliedschaftliche und vermögensrechtliche Stellung des Aktionärs eingreifen71. In der Entscheidung „Bremer Bankverein“ konnte der BGH eine Beeinträchtigung der Aktionäre vollständig verneinen, da die betreffenden Genussrechtsbedingungen eine feste, wenn auch gewinnabhängige Verzinsung enthielten, keine Beteiligung am Liquidationserlös vorsahen und zeitlich begrenzt waren. Selbst eine nachteilige Auswirkung auf den Gewinnanspruch der Aktionäre durch einen dem gesteigerten Risiko entsprechenden erhöhten Zinssatz konnte ausgeschlossen werden, da sich die Verzinsung im Rahmen der marktüblichen Konditionen für Kredite bewegte. Soweit Genussrechte dagegen eine gewinnorientierte Verzinsung, eine Beteiligung am Liquidationserlös, ein Bezugsrecht auf Aktien oder eine Verzinsung enthalten, die nicht marktüblichen Be68 Vgl. Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, der von „dürfen“ spricht. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 150; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 52. 69 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210, 211. 70 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/92 – Bremer Bankverein, AG 1993, 134, 135; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316, 1317. 71 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/92 – Bremer Bankverein, AG 1993, 134, 135; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 43; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 241; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 82.
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Genussrechte | § 13
dingungen für Fremdkapital entspricht, was bei Finanzierungsgenussrechten regelmäßig der Fall ist, ist eine sachliche Rechtfertigung erforderlich72. Deren Umfang hängt wiederum von der Intensität des Eingriffs im Einzelfall ab. Der erleichterte Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ist von dem Verweis in § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG zwar miterfasst, da Genussrechte jedoch keinen Bezug zum Börsenpreis der Aktien haben, werden dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sein73.
13.25
2. Andere Gesellschaftsformen Geschäftsführer einer GmbH benötigen für die Gewährung von Genussrechten grundsätzlich keiner Zustimmung der Gesellschafterversammlung. So existiert keine dem § 221 AktG entsprechende Vorschrift im GmbHG. Für die teilweise geforderte analoge Anwendung des § 221 AktG fehlt es an einer Regelungslücke74. Eine satzungsmäßige Grundlage ist nur in Ausnahmefällen erforderlich, etwa dann wenn die Genussrechte im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses, etwa als Gründervorteil oder Entgelt für Nebenleistungen, gewährt werden75. Für die jeweilige Gesellschaft besonders bedeutsame oder ungewöhnliche Genussrechtsemissionen erfordern als außergewöhnliche Geschäfte im Innenverhältnis eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit76. Die Gesellschafter der GmbH haben bei der Gewährung von Genussrechten kein Bezugsrecht77. Sollten Bezugsrechte eingeräumt werden, verbietet der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz den willkürlichen Ausschluss einzelner Gesellschafter vom Bezug78. 72 Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 82; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 242 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 186 f.; a.A. Busch, AG 1994, 93, 99, der davon ausgeht, dass jede Vermögensbeeinträchtigung der Aktionäre durch die Bemessung des Ausgabepreises der Genussscheine kompensiert werden könne. Die richtige Bemessung des Kaufpreises sei nur anhand des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG zu überprüfen; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 409, verneint die Notwendigkeit einer sachlichen Begründung bei Genussrechten, die nicht aktienähnlich ausgestaltet sind. 73 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 192; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 539; a.A. Groß, DB 1994, 2431, 2437. 74 Für eine Analogie Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 29 Rz. 111; ebenso Lutter/ Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rz. 60, allerdings nicht bei „obligationsähnlichen“ Genussrechten. 75 Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 137; Hingst/Kiefner, Formular-Kommentar GmbH-Recht, S. 878; a.M. Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rz. 91 der weitere Fallgruppen bildet; Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, § 29 Rz. 234. 76 Ebenso Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 138; von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 654; Sethe, AG 1993, 293, 314 mit Kriterien für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Genussscheinemission. 77 Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 140; Rodewald in GmbH-Hdb., Rz. I 821; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rz. 91; Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, § 29 Rz. 234; Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Anh. § 29 Rz. 30; Schwaiger in Beck’sches Hdb. GmbH, § 7 Rz. 222; eine analoge Anwendung des § 221 Abs. 4 AktG befürwortet Lutter in FS Döllerer, 1988, S. 383, 385. 78 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gibt es – anders als in § 53a AktG – im GmbHG nicht; allerdings finden sich hier zumindest einige Ausprägungen dieses Prinzips, vgl. Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 110 f.
Wöckener/Becker | 483
13.26
§ 13 | Genussrechte
13.27 Die Gewährung von Genussrechten durch eingetragene Genossenschaften ist grundsätz-
lich zulässig. Insbesondere verstößt die Gewährung von Genussrechten an andere Personen als die Mitglieder der Genossenschaft nicht gegen § 19 Abs. 1 Satz 1 GenG. Die Vorschrift erfasst ausschließlich die Verteilung des festgestellten Jahresgewinns und enthält keinerlei Aussage über die Zulässigkeit von gewinnmindernden Finanzierungsverträgen mit Dritten79. Zahlungen an Genussrechtsinhaber mindern als Geschäftsaufwand bereits die Höhe des Jahresüberschusses und sind somit der in § 19 Abs. 1 Satz 1 GenG geregelten Gewinnverteilung vorgelagert. Die Ausgabe bedarf nach überwiegender Auffassung einer Zustimmung der Generalversammlung mit satzungsändernder Mehrheit80.
13.28 Genussrechtsemissionen durch offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaf-
ten sind von der Vertretungsmacht der vertretungsberechtigten Gesellschafter aus § 126 HGB gedeckt. Dies entspricht der herrschenden Auffassung im Hinblick auf die Begründung von stillen Gesellschaften, die aufgrund der vergleichbaren Grundsituation auf Genussrechte übertragen werden kann. Lediglich der Abschluss atypisch stiller Gesellschaftsverträge, in denen dem stillen Gesellschafter eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen oder so weitgehende Mitwirkungsrechte eingeräumt werden, dass seine Stellung der eines Kommanditisten angenähert ist, wird als Grundlagengeschäft betrachtet, das der Mitwirkung der anderen Gesellschafter bedarf81. Finanzierungsrechte sehen eine Vermögensbeteiligung regelmäßig nicht vor. Damit liegt ihr Abschluss innerhalb der Vertretungsmacht der vertretungsbefugten Gesellschafter. Allerdings kann die Gewährung von Genussrechten angesichts des bisherigen Geschäftsbetriebs des jeweiligen Emittenten eine ungewöhnliche Maßnahme sein, die im Innenverhältnis gemäß § 116 Abs. 2 HGB einen Beschluss sämtlicher Gesellschafter erfordert bzw. ein Widerspruchsrecht der Kommanditisten gemäß § 164 Satz 1 HGB begründet.
3. Genussrechte als Teilgewinnabführungsverträge? 13.29 Eine Qualifizierung von Genussrechten als Teilgewinnabführungsvertrag hätte wegen der
daraus ggf. folgenden Beschlussfassungs-, Form- und Eintragungspflichten erhebliche praktische Relevanz. So erfordern sowohl § 221 Abs. 3 als auch § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG einen mit qualifizierter Kapitalmehrheit getroffenen Hauptversammlungsbeschluss, der bei erstgenannter Norm nur im Innenverhältnis wirkt, bei letztgenannter Norm hingegen Wirksamkeitsvoraussetzung ist82. Zudem ist das Bestehen eines Teilgewinnabführungsvertrags nach § 292 Abs. 1 Nr. 2, § 294 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, was nach § 294 Abs. 2 AktG Wirksamkeitsvoraussetzung ist.
79 Beuthien, Genossenschaftsgesetz, § 19 Rz. 28; Hadding, ZIP 1984, 1295, 1302; Möschel, ZHR 149 (1985), 206, 233; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung, S. 26; Schudt, Genussschein als genossenschaftliches Finanzierungsinstrument, S. 52 ff.; für eine Zulässigkeit auch Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 340; a.A. Pöhlmann in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, 4. Aufl. 2012, § 19 Rz. 3; Thielemann, Genussrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung, S. 113 ff. 80 Beuthien, Genossenschaftsgesetz, § 19 Rz. 28, fordert eine Zustimmung der Generalversammlung nur bei gewinnorientierter Vergütung unter Heranziehung des § 221 AktG; Schudt, Genussschein als genossenschaftliches Finanzierungsinstrument, S. 63 f., verlangt außerdem unpraktikabelerweise die Aufnahme der Genussrechtsbedingungen in die Satzung. 81 K. Schmidt in MünchKomm. HGB, § 126 Rz. 11; Scheel in MünchHdb. KG, § 9 Rz. 7. 82 Habersack in MünchKomm. AktG § 221 Rz. 74; Mülbert in Großkomm. AktG § 221 Rz. 100.
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Genussrechte | § 13
Ein Teilgewinnabführungsvertrag liegt gemäß § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG vor, sofern sich eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder zum Teil an einen anderen abzuführen. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausgestaltung von Genussrechten verbietet sich eine allgemeingültige Aussage darüber, ob Genussrechte als Teilgewinnabführungsverträge einzuordnen sind83. Unter die gesetzliche Definition fallen jedenfalls solche Genussrechte, die als gewinnorientierte Vergütung einen quotalen Teil des Gewinns der Gesellschaft festlegen84. Diese Beurteilung gilt auch, falls sich die quotale Beteiligung nicht auf den Bilanzgewinn oder Jahresüberschuss, sondern auf einen bereinigten Bilanzgewinn oder den Rohertrag bezieht85. Schwieriger wird die Einordnung, sofern eine gewinnorientierte Vergütung in Form einer Verzinsung vorliegt, deren Höhe abhängig vom Gewinn der Gesellschaft variiert. Der Wortlaut des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG erfasst derartige Vergütungen nicht, da sie sich eben nicht auf einen Teil des Gewinns beziehen. Auch der Umstand, dass gestaffelte Vergütungen im Einzelfall einen ähnlichen wirtschaftlichen Effekt wie eine quotale Beteiligung erreichen können, gebietet keine analoge Anwendung, da § 292 AktG vor Einbrüchen in die Gewinnverwendungskompetenz der Aktionäre, nicht aber vor risikoreichen Geschäften schützen soll86. Rein gewinnabhängige Vergütungen schließlich, bei denen nur die Zahlung eines festen Zinssatzes geschuldet ist, fallen eindeutig nicht unter den Begriff der Teilgewinnabführung, da weder eine quotale Gewinnbeteiligung vorliegt noch der skizzierte Schutzzweck des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG eine Anwendung gebietet87.
13.30
Sofern Genussrechte nach diesen Grundsätzen inhaltlich eine Teilgewinnabführung beinhalten, stellt sich bei Emissionen durch Aktiengesellschaften die weitere Frage nach dem Verhältnis zwischen § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG und § 221 Abs. 3 AktG. Nach zutreffender Ansicht ist § 221 Abs. 3 AktG eine spezielle und abschließende Regelung der Gewährungsvoraussetzungen von Genussrechten, welche die Anwendbarkeit des § 292 AktG verdrängt88. Dafür spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber trotz der offensichtlichen Gewinnrelevanz des Genussrechts in § 221 Abs. 3 AktG auf einen Verweis auf das Konzernrecht verzichtet hat.
13.31
83 Eine differenzierende Untersuchung findet sich bei Eyber, Abgrenzung, S. 81 ff. 84 Eyber, Abgrenzung, S. 81 f. 85 Hüffer/Koch, AktG, § 292 Rz. 8; weitergehend Altmeppen in MünchKomm. AktG, § 292 Rz. 57, der auch Anknüpfungen an Positionen, die dem Bilanzgewinn vorgelagert sind, etwa Umsatzerlöse, als Teilgewinnabführung einordnet. 86 Ebenso zum Zweck des § 292 AktG Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 292 Rz. 43. 87 Eyber, Abgrenzung, S. 91/92; Gehling, WM 1992, 1093, 1096; Krecek/Röhricht, ZIP 2010, S. 413, 419; wohl auch Emmerich in Emmerich/Habersack, § 292 AktG Rz. 26. 88 Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 70; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 72 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, § 292 Rz. 59; Sethe, AG 1993, 293, 310; Feddersen/Landruth, ZGR 1993, 312, 316; Busch, AG 1994, 93, 97; der BGH ordnet Genussrechte an einer AG anders als stille Beteiligungen an einer AG nicht als Teilgewinnabführungsverträge ein, so zumindest ohne weitere Begründung BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, AG 2003, 625 f. Auch in der Entscheidung BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/92 – Bremer Bankverein, AG 1993, 134 ff., sah der BGH in dem konkreten Genussschein offensichtlich keinen Teilgewinnabführungsvertrag, wobei aufgrund der fehlenden Problematisierung dieser Frage offen blieb, ob § 292 AktG aufgrund der rein gewinnabhängigen Ausgestaltung des Genussscheins, der Spezialität des § 221 AktG oder aus anderen Gründen für nicht anwendbar erachtet wurde; a.A. Emmerich in Emmerich/Habersack, § 292 AktG Rz. 31; nach Hirte, ZBB 1992, 50, 52 ist § 221 AktG nur bei Publikumsgenussrechten spezieller.
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§ 13 | Genussrechte
13.32 Auf Genussrechtsemissionen einer GmbH ist § 292 AktG als aktienrechtliche Regelung
nicht anwendbar89. Auch die in der Supermarkt-Entscheidung90 des BGH für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags mit einer GmbH entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf Gewinnbeteiligungen im Rahmen von Austauschverträgen übertragen91. Tragende Erwägung der Supermarkt-Entscheidung war, dass es sich bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht um einen schuldrechtlichen Vertrag, sondern um einen gesellschaftsrechtlichen Organisationsvertrag handelt, der satzungsgleich den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändert92. Dies trifft auf Finanzierungsgenussrechte gerade nicht zu, da es sich bei ihnen um reine Austauschverträge handelt. Die Voraussetzungen für eine Satzungsänderung (beurkundeter Gesellschafterbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit und Handelsregistereintragung) sind daher nicht einzuhalten.
13.33 Für die eingetragene Genossenschaft existiert ebenfalls keine dem § 292 AktG vergleich-
bare gesetzliche Regelung. Die vorstehend für die GmbH angestellten Überlegungen sind entsprechend anwendbar. Auch Gewinnbeteiligungen in Finanzierungsgenussrechten von Genossenschaften ändern nicht satzungsgleich den rechtlichen Status der Genossenschaft93. Unter dem Aspekt einer Teilgewinnabführung ergeben sich daher keine weiteren Beschluss- oder Eintragungserfordernisse94.
13.34 Nach herrschender Ansicht stellt der Abschluss von Teilgewinnabführungsverträgen durch
Personengesellschaften aufgrund der damit verbundenen Auswirkung auf die Vermögensrechte der Gesellschafter ein Grundlagengeschäft dar, das der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf95. Die Gewährung von Genussrechten, die eine Teilgewinnabführung beinhalten, ist demnach nicht mehr von der Vertretungsmacht des geschäftsführenden Gesellschafters gedeckt. Genussrechte und die ihre Gewährung begründenden Gesellschafterbeschlüsse bedürfen allerdings keiner bestimmten Form oder Eintragung in das Handelsregister, da die §§ 293 ff. AktG, sowie § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG, nicht anwendbar sind96.
4. Übertragbarkeit und wertpapierrechtliche Verbriefung, SchVG 13.35 Genussscheine werden meist als Inhaberpapiere nach § 793 BGB ausgestaltet. Möglich ist auch die Ausgestaltung als Orderpapier gemäß § 363 HGB oder als Namenspapier. Andere Genussscheine erhalten lediglich die Funktion einer Beweisurkunde oder eine Verbriefung unterbleibt ganz. Inhabergenussscheine werden durch Übereignung der Urkunde nach den
89 Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 138. 90 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, AG 1989, 91 ff. 91 Ebenso AG Charlottenburg v. 29.11.2005 – 82 HRB 96299 B, GmbHR 2006, 258 f.; außerdem für den parallelen Fall der stillen Gesellschaft BayObLG v. 18.2.2003 – 3Z BR 233/02, ZIP 2003, 845; K. Schmidt, ZGR 1984, 295, 309 ff.; a.A. Emmerich in Emmerich/Habersack, § 292 AktG Rz. 37; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang § 13 Konzernrecht Rz. 214. 92 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, AG 1989, 91. 93 So wohl auch Beuthien, GenG, § 19 Rz. 28. 94 Zum Diskussionsstand hinsichtlich von Unternehmensverträgen mit Genossenschaften Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl. 2008, § 36. 95 Mülbert in MünchKomm. HGB, Konzernrecht, Rz. 321; Roth in Baumbach/Hopt, HGB, § 105 Rz. 105. 96 Ebenso Mülbert in MünchKomm. HGB, Konzernrecht, Rz. 324 und Roth in Baumbach/Hopt, HGB, § 105 Rz. 105, die allerdings eine deklaratorische Eintragung des Gesellschafterbeschlusses verlangen.
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Genussrechte | § 13
§§ 929 ff. BGB, Ordergenussscheine durch Übereignung der Urkunde und Indossament nach den §§ 364, 365 HGB i.V.m. §§ 929 ff. BGB übertragen. Anstelle dieser sachenrechtlichen Übertragung kann auch eine Abtretung der verbrieften Ansprüche nach den §§ 398, 952 Abs. 2 BGB vorgenommen werden97, die aufgrund des fehlenden Gutglaubensschutzes aber weniger vorteilhaft ist. Bei Namensgenussscheinen erfolgt die Übertragung immer durch Abtretung nach den §§ 398, 952 BGB. Ebenso werden unverbriefte Genussrechte durch Abtretung nach § 398 BGB übertragen. Der Emittent kann verbriefte eigene Genussscheine erwerben ohne dass diese durch Konfusion erlöschen98. Ihm stehen aus den eigenen Genussscheinen allerdings keine Rechte zu. Das SchVG99 gilt nach dessen § 1 Abs. 1 für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und findet daher auf am Kapitalmarkt begebene Genussscheine Anwendung100. Der mit dem SchVG verfolgte Zweck einer effizienten Wahrnehmung von Gläubigerrechten durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, die Abhaltung von Gläubigerversammlungen und die Möglichkeit, durch Mehrheitsbeschlüsse über die Änderung, Aufgabe und Beschränkung von Rechten treffen zu können, ist bei Genussscheinen ebenfalls relevant.
13.36
IV. Beeinträchtigungen während der Laufzeit 1. Fehlerhafte Geschäftsführung Auch wenn die Unternehmensführung maßgeblichen Einfluss auf die Höhe der rein schuldrechtlichen Zahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber hat, schuldet der Emittent den Genussrechtsinhabern als externen Gläubigern keine sorgfältige Geschäftsführung101. Die Vornahme fehlerhafter Geschäftsführungsmaßnahmen führt daher im Regelfall nicht zu einem Schadensersatzanspruch der Genussrechtsinhaber. Die unternehmerische Handlungsfreiheit des Emittenten ist durch § 241 Abs. 2 BGB begrenzt, der die Parteien eines Schuldverhältnisses zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Ein Emittent verletzt diese Rücksichtnahmepflichten, sofern er bewusst zum Nachteil der Genussrechtsinhaber handelt102, sich außerhalb des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands bewegt oder „Entscheidungen trifft, die schlechthin 97 Bei Inhaberpapieren h.M., etwa Habersack in MünchKomm. BGB, § 793 Rz. 32 m.w.N. Bei Orderpapieren verlangt die h.M. zusätzlich die Übergabe des Papiers, vgl. KG v. 20.12.2002 – 14 U 5141/00, AG 2003, 568 m.w.N. 98 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 205. Spezialgesetzliche Erwerbsverbote bestehen für Kreditinstitute (§ 10 Abs. 3 Satz 1 KWG) und Versicherungsgesellschaften (§ 345 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VAG). 99 Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2512. Die Anwendbarkeit des früheren SchuldVG auf Genussscheine wurde wegen der darin noch enthaltenen weiteren Voraussetzung der „im Voraus bestimmten Nennwerte“ der Schuldverschreibungen zum Teil abgelehnt, z.B. OLG Frankfurt v. 28.4.2006 – 20 W 158/06, ZIP 2006, 1388; Klanten, EWiR 2007, 251 f. Diese Voraussetzung ist im SchVG entfallen. 100 Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 424; Lorenz-Pospiech, DB 2009, 2419, 2422; differenzierend Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 252, wonach Genussrechte, welche von vornherein ausschließlich ein aktionärstypisches Recht vorsehen, ausgenommen sind. 101 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 581 ff.; von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 756. 102 RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236, 240 f.
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13.37
§ 13 | Genussrechte
nicht gerechtfertigt werden können und zu deren Durchführung ein verantwortungsbewusst denkender und handelnder Kaufmann zu keiner Zeit bereit wäre“103. In derartigen Fällen steht Genussrechtsinhabern ein Schadensersatzanspruch gegen den Emittenten aus § 280 Abs. 1 BGB zu.
2. Unterlassene oder fehlerhafte Gewinnermittlung 13.38 Ein Emittent darf den Vergütungsanspruch der Genussrechtsinhaber nicht dadurch ver-
eiteln, dass er die Erstellung des Jahresabschlusses, den Gewinnverwendungsbeschluss oder andere für die Ermittlung des Vergütungsanspruchs notwendige Maßnahmen unterlässt. Die Genussrechtsinhaber haben aus der Vertragsbeziehung einen Anspruch auf Durchführung des insoweit Erforderlichen104, der nach § 888 ZPO vollstreckbar ist. Die Genussrechtsinhaber können bei längerer Untätigkeit des Emittenten auch unmittelbar auf Zahlung der Vergütung klagen105. Ggf. muss im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über die für die Berechnung der Vergütung erforderlichen Informationen verlangt werden. Sofern die Höhe des Vergütungsanspruchs von einem Gewinnverwendungsbeschluss abhängt, ist die Höhe des Vergütungsanspruchs der Genussrechtsinhaber analog § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vom Gericht nach billigem Ermessen festzusetzen.
13.39 Im Fall einer fehlerhaften Gewinnermittlung haben die Genussrechtsinhaber einen An-
spruch auf Zahlung des Vergütungsbetrages, der sich bei korrigierter Ermittlung des Gewinns ergibt. Es handelt sich inhaltlich um den primären Erfüllungsanspruch, nicht um einen Schadensersatzanspruch, so dass es auf ein Verschulden der Gesellschaft bei der Gewinnermittlung nicht ankommt106. Wenn also die Vergütung vom Jahresüberschuss107 oder von anderen Bilanzkennziffern abhängt, die einer Gewinnverwendung vorgelagert sind, hat der Genussrechtsinhaber einen direkten Zahlungsanspruch.
13.40 Sofern die Vergütung vom Bilanzgewinn oder der Dividende abhängt, lässt sich die Höhe
des Vergütungsanspruchs nicht allein aufgrund einer korrigierten Gewinnermittlung bestimmen. Als weiterer Schritt kommt die Entscheidung des Vorstandes und Aufsichtsrates und/oder der Gesellschafter über die Verwendung des Jahresüberschusses hinzu, die möglicherweise auch bei dessen korrekter Feststellung nicht anders ausgefallen wäre. Die darin liegende Annäherung des Vergütungsanspruchs der Genussrechtsinhaber an den Gewinnanspruch der Gesellschafter rechtfertigt es jedoch nicht, von einer Bindungswirkung des 103 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 131; ebenso in der Sache Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 584, 586; von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 756 ff.; Sethe, AG 1993, 351, 361; weitergehend Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 398 f. und Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 416, die das Haftungsmaß des § 93 AktG heranziehen; Frantzen, Genussscheine, S. 289, nach dem weiterhin auch Ansprüche aus Delikt (§§ 823, 826 BGB) anwendbar sein sollen; van Look in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis, S. 42; einschränkend Bracht, WM 2012, 585, 586; a.A. Mülbert in FS Hüffer, 2009, S. 679, 697 ff. 104 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 281; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 601. 105 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 281; so wohl auch Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 417; a.M. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 601. 106 Rieder/Holzmann in Grigoleit, AktG, § 221 Rz. 63; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 605; Frantzen, Genussscheine, S. 220 f.; a.M. Hirte, ZIP 1988, 477, 487. 107 Mülbert in FS Hüffer, 2009, S. 677, 681 f.; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 605.
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festgestellten Jahresabschlusses für die Genussrechtsinhaber auszugehen und diese darauf zu verweisen, im Wege der Feststellungsklage zunächst die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 256 AktG und des darauf beruhenden Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 253 AktG zu klären und sodann eine erneute Ergebnisermittlung und Verwendungsentscheidung durchzusetzen108. Da den Genussrechtsinhabern als Gläubigern die Erhebung der Nichtigkeitsklage aus § 249 AktG nicht zusteht109 und ein allgemeines Feststellungsurteil nach § 256 ZPO nur Wirkung zwischen den Prozessparteien entfaltet110, könnte auf diese Weise ohnehin keine erneute Verwendungsentscheidung herbeigeführt werden. Vielmehr haben die Genussrechtsinhaber auch in diesem Fall einen direkten Zahlungsanspruch, der allerdings nur dann besteht, wenn und soweit die Verwendungsentscheidung unter Zugrundelegung des korrigierten Ergebnisses angreifbar gewesen wäre (zu den Kriterien hierfür s. Rz. 13.41 f.).
3. Rücklagenbildung Orientiert sich die Vergütung der Genussrechtsinhaber am Bilanzgewinn, hat der Umfang der Bildung von Gewinnrücklagen oder Gewinnvorträgen durch den Emittenten Einfluss auf die Höhe der Vergütung. Durch die Vereinbarung einer solchen Berechnungsgrundlage haben Genussrechtsinhaber diese Einflussmöglichkeit akzeptiert und dem Emittenten einen entsprechenden Gestaltungsspielraum eingeräumt111. Dieser besteht auch im Fall einer festen Verzinsung, deren Ausschüttung vom Vorliegen eines ausreichenden Bilanzgewinns abhängig ist112. Auf die sich hieraus ergebenden Risiken sollte in einem Prospekt besonders hingewiesen werden. Eine Begrenzung des Gestaltungsspielraums ergibt sich daraus, dass die Organe des Emittenten nicht absichtlich zum Nachteil der Genussrechtsinhaber handeln dürfen113. Wegen der engen Anbindung an die Position eines Aktionärs ist die Thesaurierung den Genussrechtsinhabern gegenüber außerdem unzulässig, wenn ein Aktionär gegen sie vorgehen könnte. Dies ist nach § 254 Abs. 1 AktG etwa der Fall, falls aufgrund der Dotierung von Gewinnrücklagen oder des Gewinnvortrags durch die Gesellschafter ohne sachlichen Grund eine Verzinsung von 4 % unterschritten wird114. 108 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 282; a.M. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 603 f.; von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 721. 109 RG v. 20.10.1992 – II 654/21, RGZ 105, 236, 239; Frantzen, Genussscheine, S. 223; van Look in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis, S. 43. 110 Überwiegende Ansicht, statt vieler Hüffer/Koch, AktG, § 249 Rz. 12. 111 H.M., RG v. 18.11.1913 – Rep. II 280/13, RGZ 83, 295, 297 f.; RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236, 240; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 283; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 609. 112 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 283; Frantzen, Genussscheine, S. 214; a.M. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 609, 102. 113 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 609; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 283. 114 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 608, der dies implizit annimmt, folgend allerdings eine Möglichkeit eine Mindestverzinsung von 4 % einzuklagen durch den Genussrechtsinhaber ausschließt; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 417; Frantzen, Genussscheine, S. 215 ff.; für höhere Verzinsung bei fehlender Beteiligung am Wert der Gesellschaft Sethe, AG 1993, 351, 360; von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 721, der allerdings hinsichtlich des Zinssatzes nicht auf die 4 % Mindestdividende des § 254 AktG, sondern die individuellen Genussrechtsbedingungen abstellt.
Wöckener/Becker | 489
13.41
§ 13 | Genussrechte
13.42 Sofern ein Emittent eine Holdingfunktion inne hat, kann die Thesaurierung von Gewin-
nen in den Tochtergesellschaften die Vergütungsansprüche der Genussrechtsinhaber erheblich beeinträchtigen. Auch diese Auswirkungen haben Genussrechtsinhaber, abgesehen vom Fall der absichtlichen Beeinträchtigung, hinzunehmen115. Mehr Sicherheit bietet den Genussrechtsinhabern in einer solche Konstellation eine Anknüpfung an die Gesamtkonzernrendite oder ähnliche Kennziffern.
4. Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen 13.43 Die Gewährung von Genussrechten schränkt die Freiheit des Emittenten zur Vornahme
von Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen nicht ein116. Die Genussrechtsinhaber haben aber einen Anspruch auf Ausgleich der ihnen dadurch ggf. entstehenden Nachteile.
13.44 Diese Kompensationspflicht ergibt sich im Falle einer Kapitalerhöhung aus Gesellschafts-
mitteln aus § 216 Abs. 3 AktG bzw. § 57m Abs. 3 GmbHG. Eine Benachteiligung kann aufgrund einer Kapitalerhöhung insbesondere bei gewinnorientierten Vergütungsstrukturen, z.B. bei Anknüpfung an die Dividende, gegeben sein. Die eintretenden Nachteile sind in diesem Fall durch eine Erhöhung der Ansprüche der Genussrechtsinhaber im Verhältnis der Kapitalerhöhung auszugleichen117. Eine Benachteiligung kann aber auch bei gewinnabhängigen Vergütungen entstehen, falls die Vergütungsregelung nicht nur den Gewinn, sondern auch die Rücklagen heranzieht (s. hierzu Rz. 13.13). Durch die Umwandlung von Rücklagen in Stamm- oder Grundkapital verringert sich in diesem Fall der für Gewinnausschüttungen vorhandene finanzielle Puffer. Falls die Genussrechte an einem Verlust erst nach der Auflösung von Rücklagen teilnehmen, hat eine Umwandlung von Rücklagen vergleichbare nachteilige Wirkungen. In beiden Fällen sind die eingetretenen wirtschaftlichen Nachteile zu kompensieren. Die erforderliche Anpassung der Genussrechtsbedingungen tritt kraft Gesetzes mit Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung ein, ohne dass es einer Vertragsänderung durch die Parteien bedarf118.
13.45 Da für Kapitalerhöhungen gegen Einlagen eine dem § 216 Abs. 3 AktG entsprechende
Regelung fehlt, hat die Rechtsprechung in diesem Fall einen Schutz der Genussrechtsinhaber abgelehnt119. Die überwiegende Ansicht in der Literatur120 spricht den Genussrechtsinhaber hingegen einen Ausgleichsanspruch zu, sofern die Ausgabe neuer Aktien unter ihrem tatsächlichen Wert erfolgt und dadurch die Ansprüche der Genussrechtsinhaber verwässert werden121. Ein solcher Ausgleichsanspruch ergibt sich zumindest im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Sofern der Ausgabebetrag der neuen Aktien den Börsenkurses nicht wesentlich unterschreitet, ist in Anlehnung an § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht von einer Verwässerung auszugehen122.
115 Für eine Lösung in Anlehnung an den Regelungsgehalt des § 254 AktG im Verhältnis zu den Tochtergesellschaften Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 607. 116 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 302. 117 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 303. 118 Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung, S. 113. 119 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 4/57 – Harpen-Bonds, BGHZ 28, 259, 277. 120 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 306; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 623 für die Anwendung von § 313 BGB; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 66 f.; Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 145; Zöllner, ZGR 1986, 288, 304. 121 Zu den Möglichkeiten einer Kompensation eingehend Frantzen, Genussscheine, S. 263 ff. 122 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 307.
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Genussrechte | § 13
Spiegelbildlich zur Kapitalerhöhung kann eine Kapitalherabsetzung zu einer verhältnismäßigen Erhöhung der Vergütungsansprüche der Genussrechtsinhaber führen. Dies setzt voraus, dass es sich um eine nominelle Kapitalherabsetzung handelt, die mit keinem Kapitalabfluss verbunden ist, und dass sich das Genussrechtskapital nicht bereits aufgrund einer vertraglichen Verlustteilnahmeregelung in demselben Verhältnis wie das Grundkapital verringert. Solche unberechtigten Begünstigungen sind in entsprechender Anwendung des § 216 Abs. 3 AktG auszugleichen123.
13.46
5. Sonderaspekte bei Verlustteilnahme Mit der Vereinbarung einer laufenden Verlustteilnahme des Genussrechtskapitals korrespondiert regelmäßig ein Anspruch der Genussrechtsinhaber auf Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals aus zukünftigen Gewinnen. Ohne einen solchen Wiederauffüllungsanspruch entstünde zu Lasten der Genussrechtsinhaber ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der während der Vertragslaufzeit eintretenden Erfolge und Misserfolge. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist daher grundsätzlich von dem Bestehen eines auf die Laufzeit begrenzten Wiederauffüllungsanspruchs auszugehen124. Eine andere Regelung ist möglich, erfordert aber im Hinblick auf § 305c Abs. 1 BGB eine erhöhte Aufklärung.
13.47
Falls das Genussrechtskapital an einer Kapitalherabsetzung zum Verlustausgleich teilnimmt, ändert sich die Beurteilung125. In diesem Fall verlieren Aktionäre und Genussrechtsinhaber gleichermaßen ihre Rechte, so dass ein Wiederauffüllungsanspruch nicht erforderlich ist126.
13.48
Ein Bilanzverlust kann auch dadurch eintreten, dass für drohende Risiken Rückstellungen gebildet werden. Nehmen Genussrechte an einer Kapitalherabsetzung zum Ausgleich dieses Verlusts teil und stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Rückstellungen aufgelöst werden können, weil die befürchteten Risiken nicht eingetreten sind, haben die Genussrechtsinhaber einen Anspruch auf anteilige Auszahlung der aufgelösten Rückstellungsbeträge127. Um einen Abfluss von Eigenkapital zu verhindern128, wird man der Gesellschaft aber das Recht zugestehen müssen, an Stelle der Geldzahlung wahlweise wieder Genussrechte zu vergeben129.
13.49
6. Erhöhung des Genussrechtskapitals Emittenten sind grundsätzlich nicht gehindert, weitere Genussrechte zu gewähren. Den bisherigen Genussrechtsinhabern steht in diesem Fall kein Bezugsrecht zu. Soweit ihre 123 Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 145; Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 415. 124 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 105; differenzierend Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 612 f. 125 Differenzierend insoweit auch OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90 – Klöckner, WM 1991, 1375, 1380. 126 Vgl. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 129 f.; ebenso wohl auch Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 616 f. 127 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, AG 1993, 125, 129; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 108. 128 Ausführlich zu diesem Gesichtspunkt Busch, AG 1994, 93, 101 ff. 129 Es wird auch empfohlen, den Genussscheininhabern in diesem Fall Bezugsrechte auf neue Genussscheine einzuräumen: Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 110 m.w.N.
Wöckener/Becker | 491
13.50
§ 13 | Genussrechte
Ansprüche durch die neue Genussrechtsemission verwässert werden, stehen ihnen in ergänzender Vertragsauslegung und unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 216 Abs. 3 AktG entsprechende Ausgleichsansprüche zu. Eine Verwässerung tritt allerdings nur dann ein, falls sich die Vergütung der alten wie der neuen Genussrechte an der Dividende orientiert und die neuen Genussrechte unter Wert ausgegeben werden130. Ein Vorrang vor früheren Genussrechten kann nur mit Zustimmung der betroffenen Genussrechtsinhaber begründet werden.
7. Maßnahmen nach Umwandlungsgesetz 13.51 Ist im Falle einer Verschmelzung eines Emittenten der übertragende Rechtsträger, werden
Genussrechtsinhaber durch § 23 UmwG geschützt, der die Gewährung gleichwertiger Rechte durch den übernehmenden Rechtsträger vorschreibt. Sofern der jeweilige Emittent übernehmender Rechtsträger ist, wird er im Zuge der Verschmelzung eine Kapitalerhöhung durchführen müssen. Hierfür gelten die Ausführungen zur Kapitalerhöhung (vgl. Rz. 13.43 ff.).
13.52 Eine formwechselnde Umwandlung eines Emittenten berührt den Bestand der Genuss-
rechte nicht. Sollten aufgrund der geänderten Rechtsform Anpassungen erforderlich werden, sind diese gemäß §§ 204, 23 UmwG so vorzunehmen, dass den Genussrechtsinhabern gleichwertige Rechte gewährt werde.
8. Konzernrechtliche Maßnahmen 13.53 Im Fall einer Eingliederung des Emittenten in eine andere Aktiengesellschaft reicht die in
§ 322 AktG vorgesehene Mithaftung der Hauptgesellschaft für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft nicht aus, da die eingegliederte Gesellschaft aufgrund umfassenden Weisungsrechts und aufgehobener Vermögensbindung wirtschaftlich zu einem Betriebsteil der Hauptgesellschaft wird. Weil die durch die Eingliederung geschaffene Situation einer Verschmelzung nahe kommt, ist es sachgerecht, den Genussrechtsinhabern in entsprechender Anwendung des § 23 UmwG gleichwerte Rechte in der Hauptgesellschaft einzuräumen131.
13.54 Der nachträgliche Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags führt
aufgrund der Möglichkeit nachteiliger Weisungen des herrschenden Unternehmens ebenfalls zu einer zumindest abstrakten Gefährdung der Ansprüche der Genussrechtsinhaber. Welche Auswirkungen ein solcher Vertragsschluss auf die Genussrechtsinhaber hat, ist kontrovers diskutiert worden. Die vorgeschlagenen Lösungen reichten von einem Abfindungsanspruch analog § 305 AktG132, über eine Heranziehung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage133 oder Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB134, bis 130 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 313; Frantzen, Genussscheine, S. 271. 131 Schürnbrand, ZHR 173 (2009), 689, 705 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 317; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 87; a.A. Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 418 und Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 68a, die einen Abfindungsanspruch analog § 320b AktG befürworten. 132 Vollmer, ZGR 1983, 445, 467. 133 Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 88 ff. mit weiteren Fragestellungen; Stephan in K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 304 Rz. 68; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 526 f., der den Genussrechtsinhabern daneben ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zuspricht. 134 Emmerich in Emmerich/Habersack, § 304 AktG Rz. 14 f.
492 | Wöckener/Becker
Genussrechte | § 13
hin zu einem Anspruch auf Ausgleichszahlung analog § 304 AktG135. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat in ergänzender Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB den Ausgleichsanspruch aus § 304 AktG herangezogen, ihn aber mit dem Argument des Fortbestehens als „selbstständige rechtliche Einheit“ als Verpflichtung des Emittenten, nicht des herrschenden Unternehmens eingeordnet136. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 hat der BGH Stellung zu der Frage genommen. Nach der Gewährung der Genussrechte hat der Emittent einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen; die Genussrechtsbedingungen sahen gewinnabhängige Vergütung und Verlustteilnahme vor. In seiner Entscheidung hat der BGH einer Anpassung des Vertragsinhalts nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage den Vorzug gegeben137. Ist ein Emittent bei Gewährung von Genussrechten nicht in einen Vertragskonzern einbezogen, bilde diese Konzernfreiheit die Geschäftsgrundlage. Nach dem Abschluss eines Beherrschungsvertrags kann das herrschende Unternehmen im Rahmen seiner Leitungsmacht gemäß § 308 Abs. 1 AktG für die Genussrechtsinhaber nachteilige Weisungen erteilen138. Fällt diese Geschäftsgrundlage weg, ist der Vertrag unter Berücksichtigung der Parteiinteressen anzupassen. Eine Anpassung erfolgt nach der Entscheidung dahingehend, dass den Genussrechtsinhabern ein fester Ausgleich in Anlehnung an § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG gewährt wird. Grundlage dieses Ausgleichs ist eine Prognose anhand der bisherigen Ertragslage und künftigen Ertragsaussichten unter angemessener Berücksichtigung von Abschreibungen und Wertberichtigungen, wie sich die Zahlungen des Emittenten unter den Genussrechten ohne den Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags entwickelt hätten. Ist diese Prognose – wie im vom BGH zu entscheidenden Fall – positiv, haben die Genussrechtsinhaber Anspruch auf vollständige Rückzahlung des Nennbetrags und der Ausschüttungen, sie werden also weitgehend so gestellt, als sei der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht abgeschlossen worden139. Ausgehend von der Hypothese, dass Genussrechtsinhaber so gestellt werden sollen, als sei der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht abgeschlossen worden, liegt es nahe, bei negativer Prognose den festen Ausgleich unter entsprechender Kürzung (bis hin zum völligen Entfall der Ausschüttungen) der Zahlungen auf die Genussrechte vorzunehmen140.
13.55
Bei bloßer Abhängigkeit oder im faktischen Konzern bestehen demgegenüber keine besonderen Ansprüche der Genussrechtsinhaber. Sie sind jedoch mittelbar dadurch geschützt, dass dem Emittenten Ausgleichsrechte gegen das herrschende Unternehmen aus § 311 ff. AktG zustehen141.
13.56
135 So die wohl h.L., etwa Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 320a; Merkt in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 221 Rz. 93; Vollmer, ZGR 1983, 445, 467. 136 OLG Frankfurt v. 13.12.2011 – 5 U 56/11, ZIP 2012, 79, 82 f. = AG 2012, 217; OLG Frankfurt v. 7.2.2012 – 5 U 92/11 = AG 2012, 293, ZIP 2012, 524 ff.; zustimmend Casper, ZIP 2012, 497, 501 f. 137 BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 = AG 2013, 680. Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB seien darüber hinaus mangels einer Pflichtverletzung nicht gegeben; die Organe einer Gesellschaft können sich nicht zum Nichtabschluss eines solchen Vertrags verpflichten. Eine Heranziehung des § 305 AktG scheitere an der fehlenden Mitgliedstellung der Genussrechtsinhaber. 138 BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, BGHZ 197, 284, 297 f. = AG 2013, 680. 139 BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, BGHZ 197, 284, 297 f. = AG 2013, 680. 140 So auch OLG Frankfurt v. 13.12.2011 – 5 U 56/11, ZIP 2012, 79 = AG 2012, 217; Verse/ Wiersch NZG 2014, 5, 10; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 91. 141 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 321; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 68a.
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§ 14 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen I. Bilanzielle Behandlung strukturierter Finanzinstrumente . . . . . II. Wandelanleihe . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . a) Behandlung beim Emittenten . aa) IFRS . . . . . . . . . . . . . . bb) HGB . . . . . . . . . . . . . . b) Behandlung beim Anleger . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerung des Emittenten . . b) Besteuerung des Anlegers . . . aa) Bilanzierender Anleger . . bb) Privatanleger . . . . . . . . . cc) Investmentfonds . . . . . . . c) Kapitalertragsteuer . . . . . . . . 3. Besonderheiten bei Emission über eine Auslandstochter . . . . a) Bilanzierung bei der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Besonderheiten bei der Muttergesellschaft . . . . . . c) Steuerliche Besonderheiten beim Anleger . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
__ __ ___ __ __ __ _ _ _ _ _ __ __ __ __ __
14.1
14.6 14.7 14.7 14.7 14.11 14.18 14.24 14.25 14.31 14.31 14.35 14.38 14.40
. 14.42 . 14.44 . 14.46 . 14.50
III. Pflichtwandelanleihe (mandatory convertible bond) . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . a) Behandlung beim Emittenten . . aa) IFRS . . . . . . . . . . . . . . . bb) HGB . . . . . . . . . . . . . . . b) Behandlung beim Anleger . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerung des Emittenten . . . b) Besteuerung des Anlegers . . . . c) Kapitalertragsteuer . . . . . . . . .
14.52 14.56 14.56 14.56 14.58 14.63 14.66 14.66 14.67 14.69
IV. Optionsanleihe . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung a) Behandlung beim Emittenten b) Behandlung beim Anleger . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerung des Emittenten . b) Besteuerung des Anlegers . . aa) Bilanzierender Anleger . bb) Privatanleger . . . . . . . . cc) Investmentfonds . . . . . . c) Kapitalertragsteuer . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
V. Umtauschanleihe . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung a) IFRS . . . . . . . . . . . . . . . . b) HGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerung des Emittenten . b) Besteuerung des Anlegers . . aa) Bilanzierender Anleger . bb) Privatanleger . . . . . . . . cc) Investmentfonds . . . . . . c) Kapitalertragsteuer . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
VI. Genussschein . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsbilanzielle Behandlung . . a) Behandlung beim Emittenten . . b) Behandlung beim Anleger . . . . 2. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerung des Emittenten . . . b) Besteuerung des Anlegers . . . . aa) Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös . . . . . . . bb) Keine Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös . . . . c) Kapitalertragsteuer . . . . . . . . .
__ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ ___ __ _ __
14.70 14.72 14.72 14.75 14.76 14.76 14.77 14.78 14.81 14.83 14.84 14.85 14.86 14.86 14.87 14.91 14.91 14.94 14.94 14.95 14.96 14.97
14.98 14.99 14.99 14.104 14.105 14.105 14.108 14.109 14.111 14.112
Schrifttum: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995 ff.; Altehoefer/Landendinger, Die Ausgestaltung von Genußrechten ausländischer Kapitalgeber und die Beschränkung der inländischen Quellenabzugsbesteuerung durch DBA und EG-Recht, IStR 1997, 321; Altenburg, Der Rückkauf eigener Wandelanleihen, ein steuerneutraler Aufwand? DStR 2013, 5; Altvater/Hübner, Bilanzsteuerliche Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital – das Maßgeblichkeitsprinzip bei Genussrechten und stillen Beteiligungen, RdF 2017, 65; Ammelung, (Erneute) Verrechnungspreisaspekte bei Sicherstellung gegenüber ausländischen Finanzierungsgesellschaften?, IStR 2003, 250; Anemüller/Lohkamp, Die steuerliche Behandlung von Kapitalmaßnahmen i.S.d. § 20 Abs. 4a EStG beim Kleinanleger, EStB 2015, 460; Angerer, Genußrechte bzw. Genußscheine als Finanzierungsinstrument, DStR 1994, 41; Anzinger, Bilanzierung und Betriebsausgabenabzug bei Genussrechen und stillen Beteiligungen, RdF 2018, 64; Arndt/Muhler, Optionsanleihen im Ertragsteuerrecht, DB 1988, 2167; Bader, Contingent Convertible, Wandelanleihe und Pflichtwandelanleihe im Aktien-
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14 recht, AG 2014, 472; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMF-Schreiben vom 12.1.2010, DStR 2010, 476; Benecke/Schnitger, Anwendung des § 8a KStG, IStR 2004, 44; Blümich, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz/Gewerbesteuergesetz, Loseblatt, Stand: 140. Ergänzungslieferung 01.2018; Bogenschütz, Bilanzierung von Genußscheinen, JbFSt 1996/97, 566; Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, Contingent Convertible Bonds als regulatorisches Kernkapital, RdF 2011, 48; Breuninger/Ernst, Debt-Mezzanine-Swap und die Unmaßgeblichkeit der Maßgeblichkeit, GmbHR 2012, 494; Briese, Kommentar zu OFD Nordrhein-Westfalen v. 12.5.2016, GmbHR 2016, 1338; Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994; Burkhardt-Böck, Bilanzierung von Pflichtwandelanleihen nach IFRS, IRZ 2017, 61; Diffring, Zur Grundsatzfrage der Gleichstellung von Nicht-Gesellschaftern und Gesellschaftern, FR 2018, 211; Dombeck, Die Bilanzierung von strukturierten Produkten nach deutschem Recht und nach den Vorschriften des IASB, WPg 2002, 1065; Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Loseblatt, Stand: 91. Aktualisierung 12.2017; Dreyer/Herrmann, Besteuerung von Aktien-, Wandel- und Umtauschanleihen nach dem BMF-Schreiben vom 2.3.2001, FR 2001, 722; Ebenroth/Neiß, Voraussetzungen der steuerlichen Abschirmwirkung für Finanzierungsgesellschaften in den Niederlanden, BB 1990, 145; Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl. 2010; Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, Loseblatt, Stand: 128. Aktualisierung 12.2017; Fischer/Lackus, Der Rückkauf eigner Wandelanleihen, DStR 2013, 623; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Loseblatt, Stand: 83. Lieferung 10.2017; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, 2000; Frotscher/Drüen, KStG Kommentar, Loseblatt, Stand: 142. Aktualisierung 1.2018; Gaber, Annäherung der handelsrechtlichen Bilanzierung strukturierter Produkte an die IFRS?, DB 2008, 1221; Gelhausen/Rimmelspacher, Wandel- und Optionsanleihen in den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen des Emittenten und des Inhabers, AG 2006, 729; Gosch, Körperschaftsteuergesetz, 3. 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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen lanzsteuerlichen Wertpapierbewertung und Teilwertabschreibung am Beispiel der Aktienanleihe, DStR 2017, 2403; Kroener/Momen, Debt-Mezzanine-Swap – Die OFD Rheinland auf dem Irrweg?, DB 2012, 829; Kusch, Die steuerliche Behandlung von Genussrechten, NWB 2016, 1952; Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, 5. Aufl. Stand: 26. Aktualisierung 11.2017; Lademann, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Stand: Nachtrag 233 11.2017; Laule, Genußschein, Doppelbesteuerungsabkommen und die Praxis der deutschen Finanzgerichte, IStR 1977, 577; Lechner/Haisch, Besteuerung von Debt-Mezzanine-Swaps – Kritische Anmerkungen zur Kurzinformation der OFD Rheinland vom 14.12.2011, Ubg 2012, 115; Linscheidt, Die steuerliche Behandlung des Genußrechtskapitals der Kapitalgesellschaft, DB 1992, 1852; Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Loseblatt, Stand: 126. Aktualisierung 2.2018; Meiisel/Bokeloh, Handels- und steuerrechtliche Aspekte der indirekten Emission von Wandelanleihen beim Emittenten CFL 2010, 35; Mihm, BB-Kommentar zum BFH-Urteil vom 30.11.2005, I R 3/04, BB 2006, 321; Mössner, Wandelanleihen – Neue Aspekte?, FS Endres 2016, S. 265; Niedling, Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Wandelschuldinstrumenten, RdF 2016, 49; Nodoushani, Contingent Convertible Bonds, WM 2016, 589; Oho/Behrens, Steuerliche Aspekte bei der Ausgabe von Wandel- oder Optionsanleihen über ausländische Konzerngesellschaften, IStR 1996, 313; Rau, Wandelanleihen auf Aktien im Wirkungskreis von Bulle und Bär, DStR 2014, 2201; Rennings, Steuerliche Behandlung von Finanzinstrumenten des zusätzlichen Kernkapitals nach Art. 51 ff. CRR, RdF 2014, 221; Schanz/Maier, Hybride Finanzierungen – Status quo und Ausblick, Ubg 2015, 189, 282; Scheurle, Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – Änderungen der Besteuerung von Kapitaleinkünften, DB 1994, 445, 502; Schlitt/Mihm, Mandatory Convertibles im Fokus der Emittenten, Börsen-Zeitung v. 5.2.2003, S. 13; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 37. Aufl. 2018; Schmittmann/Wepler, Voraussetzungen der Verlustausgleichsbeschränkung bei Termingeschäften im Betriebsvermögen, DStR 2001, 1783; Schönfeld/Ditz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2013; Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, Loseblatt, Stand: 68. Lieferung 11.2017; Schumacher, Nochmals: Besteuerung von Hochzins- und Umtauschanleihen, DStR 2001, 1021; Schumacher, Besteuerung innovativer Finanzprodukte im Privatvermögen, StbJb. 2002/03, 441; Schüppen, Nutzung von Wandelanleihen, JbFSt 2015/16, 250; Stöber, Die Aktienrechtsnovelle 2016, DStR 2016, 611; Stollenwerk/Piron, Genussrechte – Flexibler Einsatz für Mezzanine-Kapital, GmbH-StB 2012, 150; Teufel, Wandelanleihen: Aktuelles zur steuerlichen Erfassung des Ausgabeaufgelds beim Emittenten, AG 2008, 892; Teufel/Stark, Gewerbesteuerliche Erfassung von Ausschüttungen auf Eigenkapital-Genussrechte, RdF 2016, 238; Tibo, Die Besteuerung von Termingeschäften im Betriebsvermögen gem. § 15 Abs. 4 EStG, DB 2001, 2369; Uelner, Die Unternehmensbesteuerung aus der aktuellen Sicht des Gesetzgebers, der Verwaltung und der Rechtsprechung, JbFSt 1986/87, 11; Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015; Wagner, Die steuerliche Behandlung des Ausgabenaufgeldes einer Optionsanleihe beim Emittenten – Rechtsprechung des BFH in den Urteilen vom 30.11.2005, Der Konzern 2006, 262; Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Loseblatt, Stand: 139. Lieferung 10.2017; Wiechens/Varian, Bilanzierung strukturierter Finanzprodukte nach IDW RS HFA 22, BB 2008, 2338; Winnefeld, Bilanzhandbuch, 5. Aufl. 2015.
I. Bilanzielle Behandlung strukturierter Finanzinstrumente 14.1
Bei den aktienverwandten Emissionen, die auch als Equity-Linked Issues bezeichnet werden, handelt es sich häufig um zusammengesetzte Kapitalmarktprodukte. Das bedeutet, dass sie aus (mindestens) zwei Komponenten bestehen. So stellt sich etwa eine Wandelanleihe wirtschaftlich als eine Schuldverschreibung dar, die mit dem Recht verbunden ist, Aktien des Emittenten zu erwerben (Kaufoption). Diese Verbindung eines Basisinstruments mit Forderungscharakter mit einem derivativen Finanzinstrument wird als zusammengesetztes oder strukturiertes Finanzinstrument bezeichnet, wenn die beiden Komponenten vertraglich fest verbunden sind, also der separate Erwerb oder Verkauf einer der beiden Komponenten nicht möglich ist1. Bei der bilanziellen Behandlung stellt sich 1 IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung HFA 22 (Stand 11.9.2015), IDW-FN 2015, 682 (IDW RS HFA 22) Tz. 2; ebenso IFRS 9.4.3.1.
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hier die Frage, ob das Instrument einheitlich zu behandeln oder ob es in seine Komponenten aufzuteilen ist und diese nach den für sie jeweils geltenden Regeln zu bilanzieren sind. Bei der Bilanzierung nach IFRS sind zusammengesetzte Finanzinstrumente (compound financial instruments) nach dem seit 2018 anzuwendenden Standard IFRS 9 (vgl. IFRS 9.4.3.3) grundsätzlich nicht mehr zwingend in ihre Komponenten zu zerlegen, wenn das Finanzinstrument insgesamt nach IFRS 9 zu bewerten ist. Dies dürfte für die meisten der hier zu besprechenden Finanzinstrumente der Fall sein. Eine Aufspaltung eines einheitlichen Finanzinstruments, z.B. einer Wandelanleihe, in eine Forderungskomponente und ein eingebettetes Derivat ist demnach gem. IFRS 9 beim Investor nicht mehr erforderlich. Das gilt allerdings nicht für den Emittenten (IFRS 9.2.1(d) S. 2)). Dieser hat das Finanzinstrument in seine Komponenten aufzuspalten. Sodann ist für jeden der so gewonnenen Bestandteile zu prüfen, ob es sich dabei um Eigen- oder Fremdkapital handelt (IAS 32.28), und die Komponenten sind entsprechend zu bilanzieren. Werden mehrere Finanzinstrumente vertraglich zusammengefasst, liegt kein zusammengesetztes Finanzinstrument vor, wenn die Komponenten vertraglich separat übertragbar sind (IFRS 9.4.3.1 S.3). Es bestehen dann mehrere unabhängige Finanzinstrumente, die getrennt zu bilanzieren sind. Ein Beispiel ist etwa die Optionsanleihe, bei der die Anleihe und die Optionsscheine getrennt gehandelt werden können.
14.2
Für die Bilanzierung nach HGB bestehen keine gesetzlichen Vorgaben. Der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer hat jedoch mit IDW RS HFA 22 eine Regelung getroffen. Diese lehnt sich im Ergebnis an IAS 39, die Vorgängervorschrift des IFRS 9 an2. Nach IDW RS HFA 22 sind strukturierte Produkte im Grundsatz als einheitlicher Vermögensgegenstand anzusehen. Ein strukturiertes Produkt ist aber in seine Komponenten aufzuspalten, wenn es aufgrund des eingebetteten Derivats im Vergleich zum Basisinstrument wesentlich erhöhte oder zusätzliche (andersartige) Risiken aufweist3. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Basisinstrument mit einem Derivat verbunden ist, das einem über das Zinsrisiko hinausgehenden Marktpreisrisiko unterliegt4. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Wertentwicklung des strukturierten Finanzinstruments von der Entwicklung eines Aktienkurses abhängt, wie etwa bei einer Wandeloder einer Umtauschanleihe. Unabhängig davon erfolgt beim Investor eine einheitliche Bilanzierung strukturierter Finanzinstrumente bei zum Niederstwert bewerteten marktnotierten Instrumenten, bei zu Handelszwecken gehaltenen Instrumenten und bei Instrumenten mit Kapitalgarantie des Emittenten, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden sollen5. Beim Emittenten ist jedoch stets eine Aufspaltung erforderlich, wenn das Finanzinstrument zum Erwerb von Anteilen am Emittenten berechtigt6.
14.3
Nach IDW RS HFA 22 sind also z.B. Anleihen, bei denen neben der Rückzahlung zum Nennwert auch eine Lieferung von Aktien möglich ist, beim Emittenten und ggf. auch beim Anleihegläubiger aufzuspalten7. Eine im strukturierten Produkt enthaltene Option
14.4
2 IAS 39.10 ff. (Embedded Derivatives); s. dazu auch Dombeck, WPg 2002, 1065, 1070; Gaber, DB 2008, 1221 ff.; Wiechens/Varian, BB 2008, 2338 ff. 3 IDW RS HFA 22, Tz. 15. 4 IDW RS HFA 22, Tz. 16. 5 IDW RS HFA 22, Tz. 14. 6 IDW RS HFA 22, Tz. 22 Fn. 16. 7 Strukturierte Finanzinstrumente auf Anteile am Emittenten hat dieser wegen § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB stets getrennt zu bilanzieren (IDW RS HFA 22, Tz. 22, Fn. 16).
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ist dann nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen8 zu bilanzieren9. IDW RS HFA 22 interpretiert allgemeine Rechnungslegungsgrundsätze und soll unabhängig von der Rechtsform oder Branchenzugehörigkeit für alle nach HGB bilanzierenden Kaufleute gelten10.
14.5
Zu der vom IDW vertretenen Auffassung ist kritisch anzumerken, dass nach § 246 HGB in der Bilanz die Vermögensgegenstände auszuweisen sind und nach der herkömmlichen Definition ein Vermögensgegenstand nicht nur selbständig bewertbar ist, sondern auch einzeln veräußert oder verwertet werden kann11. Bei strukturierten Produkten fehlt es aber gerade an der getrennten Veräußerbarkeit von Anleihe und Derivat, so dass sie nach den allgemeinen Regeln als einheitlicher Vermögensgegenstand angesehen werden müssen12. Die vom IDW befürwortete Aufteilung ist in jüngerer Zeit zudem fraglich geworden, weil nach IFRS 9.4.3.2 (anders noch IAS 39.11) eine getrennte Bilanzierung eines eingebetteten Derivats grundsätzlich unterbleiben soll, wenn es sich bei den Komponenten, aus denen das Finanzinstrument zusammengesetzt ist, jeweils um finanzielle Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten handelt. Hingegen war es das ursprüngliche Ziel des IDW RS HFA 22 und seiner Vorgängervorschrift IDW RH BFA 1.00313 einen gewissen Gleichlauf der handelsrechtlichen Bilanzierung mit den IAS zu erreichen14. Wenn dieses Ziel mit der nun nur noch handelsrechtlich vorgeschriebenen getrennten Bilanzierung von strukturierten Finanzinstrumenten nicht mehr erreicht werden kann, ist fraglich, ob an der Trennung (nur) für HGB-Zwecke festgehalten werden sollte. Trotz dieser Kritik liegt IDW RS HFA 22 wegen seiner großen Bedeutung für die Praxis der folgenden Darstellung zugrunde.
II. Wandelanleihe 14.6
Bei Wandelanleihen handelt es sich um Anleihen, bei denen dem Anleger das Recht eingeräumt ist, anstelle der Rückzahlung (regelmäßig zum Nennwert) grundsätzlich während der Laufzeit oder zu deren Ende die Lieferung von Aktien des Emittenten zu verlangen (Rz. 11.2). Wirtschaftlich lässt sich eine Wandelanleihe in eine Anleihekomponente („nackte“ Anleihe) und eine Kaufoption (call option) auf Aktien des Emittenten aufteilen. Im Markt dominierten lange Zeit unterverzinsliche Wandelanleihen, die gemessen am Marktzins nur geringe laufende Zinszahlungen (Kupons) bieten und zu pari emittiert und eingelöst werden. Bei dieser Ausgestaltung erhält der Anleger als Ausgleich für den niedrigen Kupon das Wandlungsrecht15. Diese Ausformung steht im Mittelpunkt der nachfolgenden 8 IDW-Stellungnahme RS BFA 6 Stand: 8.10.2011, WPg, Supplement 4/2011, 52 = IDW-FN 2011, 656 (IDW RS BFA 6). 9 IDW RS HFA 22, Tz. 20. 10 IDW RS HFA 22, Tz. 1. 11 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 246 HGB Rz. 24; Schubert/Waubke in Beck’scher Bilanz-Komm., § 247 HGB Rz. 13; Übersicht über den Meinungsstand bei Winnefeld, Bilanzhandbuch, Rz. D 420. 12 Kritisch zur Aufspaltung strukturierter Produkte bei der Bilanzierung nach HGB Häuselmann/ Wagner, BB 2002, 2431, 2433, nach denen allein bei getrennter Handelbarkeit beider Komponenten (wie z.B. bei Optionsanleihen) eine getrennte Bilanzierung geboten ist. Kritisch auch Haisch, FR 2009, 65, 67 ff. 13 WPg 2001, 916. 14 Dombeck, WPg 2001, 1065, 1070, 1074. 15 Daneben sind auch Wandelanleihen mit marktüblichem Kupon, die wegen des zusätzlich gewährten Wandlungsrechts mit einem Agio ausgegeben werden, und Mischformen (Ausgabe mit Agio und etwas unter dem Marktüblichen liegenden Kupon) denkbar. Für den insoweit
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Darstellung. Wegen der in den letzten Jahren gesunkenen Marktzinsen kann das Wandlungsrecht heute oft nicht mehr allein über einen niedrigen Zins abgegolten werden. Daher dominieren heute Wandelanleihen, bei denen der Wandlungspreis deutlich (oft 30–50 %) über dem aktuellen Börsenkurs der Aktie des Emittenten liegt, um so den Wert des dem Anleger gewährten Wandlungsrechts zu reduzieren.
1. Handelsbilanzielle Behandlung a) Behandlung beim Emittenten aa) IFRS In der IFRS-Bilanz16 hat der Emittent die Wandelanleihe in ihre beiden Komponenten aufzuteilen, wenn das Wandlungsrecht als Eigenkapital einzuordnen ist (IAS 32.29, IAS 32.AG31). Nach IAS 32.16(b), IAS 32.AG27 kommt ein Eigenkapitalausweis für das Wandlungsrecht nur dann in Betracht, wenn ein festes Bezugsverhältnis besteht17 und weder der Anleger noch der Emittent eine Ablösung der Anleihe in bar oder durch Lieferung sonstiger finanzieller Vermögenswerte verlangen kann (IAS 32.26). Bei einer Fremdwährungsemission muss zudem den Aktionären ein anteilsgemäßes Bezugsrecht eingeräumt werden (IAS 32.16(b)(ii)). Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, ist der Preis für das Wandlungsrecht vom Emittenten als Fremdkapital auszuweisen.
14.7
Ist das Wandlungsrecht als Eigenkapital anzusehen, ist der Emissionserlös auf Anleihekomponente und Wandlungsrecht aufzuteilen. Nach IAS 32.32 ist der beizulegende Zeitwert der Anleihekomponente, also der Barwert aller künftigen Zins- und Tilgungsleistungen, zu ermitteln, wobei für die Abzinsung der marktübliche Zinssatz für eine Anleihe ohne Wandlungsrecht zugrunde zu legen ist (IAS 32.31, 32.AG31(a)). Der restliche Emissionserlös ist dem Wandlungsrecht zuzuordnen und dem Eigenkapital gutzuschreiben. Wertschwankungen des Wandlungsrechts wirken sich beim Emittenten bilanziell nicht aus18. Die Anleihekomponente ist nachfolgend nach der Effektivzinsmethode auf den Rückzahlungsbetrag aufzuzinsen (IFRS 9.4.2.1).
14.8
Ist das Wandlungsrecht als Fremdkapital einzuordnen, ist die Wandelanleihe ebenfalls aufzuteilen. Die Anleihekomponente ist dann zu den fortgeführten Anschaffungskosten zu bilanzieren (IFRS 9.4.2.1), soweit nicht der Emittent zu einer Bilanzierung zum beizulegenden Zeitwert optiert (IFRS 9.4.2.2). Das Wandlungsrecht als Derivat ist stets zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten. Das bedeutet, dass der Emittent bei steigenden Kursen Verluste aus der Lieferverpflichtung ausweisen muss, auch wenn der Emittent durch ein bedingtes Kapital oder eigene Aktien gegen Kursschwankungen abgesichert ist (fortgeltender IAS 39.AG97).
14.9
vergleichbaren Fall der Optionsanleihe s. die Berechnungsbeispiele bei OFD Düsseldorf v. 23.3. 2001 – S 2136 A - St 11, DB 2001, 1337; OFD München v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628, beide durch BFH v. 30.11.2005 – I R 3/04, BFHE 211, 339 = BStBl. II 2008, 809, und I R 26/04, BFH/NV 2006, 616, teilweise überholt. 16 Zur IFRS-Bilanzierung von Wandelanleihen s. ausführlich Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 416 ff.; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 325 ff. 17 Zur Kritik s. Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 330. 18 IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung HFA 45 (Stand 11.3.2011), IDW-FN 2011, 326, (IDW RS HFA 45), Tz. 36.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
14.10 Bei einer späteren Wandlung sind die Fremdkapitalkomponenten (Anleiheverbindlichkeit
ggf. einschließlich eines als Fremdkapital eingeordneten Wandlungsrechts) in das Eigenkapital umzugliedern (IAS 32.AG32). Ist das Entgelt für das Wandlungsrecht bereits im Eigenkapital erfasst, so verbleibt es dort. bb) HGB
14.11 Bei der Emission hat der Emittent die Wandelanleihe in ihre beiden Komponenten auf-
zuteilen19. Die „nackte“ Anleihe ist mit ihrem Erfüllungsbetrag (regelmäßig der Nennwert) als Verbindlichkeit auszuweisen (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB). Eine Abzinsung der möglicherweise nur niedrig verzinslichen Anleihekomponente ist nicht zulässig20. Nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB ist der bei Ausgabe von Wandelanleihen für das Wandlungsrecht erzielte Betrag in die Kapitalrücklage einzustellen. Bei einer unterverzinslichen Anleihe kann der Emittent den Zinsvorteil als Disagio (Rechnungsabgrenzungsposten) aktivieren, das über die Laufzeit der Anleihe linear abzuschreiben ist (§ 250 Abs. 3 HGB)21. Im Grundsatz ist in der Gewinn- und Verlustrechnung des Emittenten für die Wandelanleihe also der gleiche Zinsaufwand zu berücksichtigen, der für eine Anleihe ohne Wandlungsrecht entstanden wäre22.
14.12 Allerdings ist nach h.M. der Betrag begrenzt, der als Disagio aktiviert und entsprechend in
die Kapitalrücklage eingestellt werden kann. Nach Auffassung des BFH23 und der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur24 kann neben einem echten Emissionsdisagio (Rückzahlungsbetrag übersteigt den gesamten Emissionserlös) nur der Betrag in die Kapitalrücklage eingestellt werden, der dem Zinsvorteil aus der Unterverzinslichkeit der Anleihe während der kürzestmöglichen Laufzeit der Wandelanleihe entspricht. Es kann also nur die Zinsersparnis bis zum frühestmöglichen Wandlungszeitpunkt als Rechnungsabgrenzungsposten aktiviert und in die Kapitalrücklage eingestellt werden. Wenn das Wandlungsrecht jederzeit ausgeübt werden kann (amerikanische Option), kann demnach kein nennenswerter Teil des Emissionserlöses als Eigenkapital ausgewiesen werden25.
19 IDW RS HFA 22, Tz. 22, Fn. 16; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 272 HGB Rz. 108 ff. m.w.N., insbes. Rz. 118 ff. zur unterverzinslichen Wandelanleihe. 20 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 253 HGB Rz. 81 ff.; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 63. 21 IDW RS HFA 22, Tz. 20. Nach Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 181 und Niedling, RdF 2016, 49, 50, kann der Emittent das Disagio auch im Jahr der Ausgabe der Wandelanleihe als Zinsaufwand buchen. A.A. (Aktivierungspflicht) Kropff in MünchKomm. Bilanzrecht, § 272 HGB Rz. 126. In der Praxis dürfte die Aktivierung die Regel sein, auch weil das Disagio in der Steuerbilanz zwingend zu aktivieren ist (H 6.10 EStH 2011 „Damnum“; vgl. auch BFH v. 19.1.1978 – IV R 153/72, BStBl. II 1978, 262; BFH v. 29.11.2006 – I R 46/05, BFHE 216, 159). 22 Erfolgt die Ausgabe der Anleihe über pari, ist ebenfalls der für das Wandlungsrecht erzielte Betrag in die Kapitalrücklage einzustellen. Ein Rechnungsabgrenzungsposten ist hier dann zu bilden, wenn der laufende Zins vom marktüblichen Zins abweicht, der für eine Anleihe ohne Wandlungsrecht zu zahlen wäre. 23 BFH v. 11.11.2014 – I R 53/13, BFH/NV 2015, 686. 24 Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 732; Hoffmann, StuB 2015, 521 f.; Küting/Reuter in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, § 272 HGB Rz. 90; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 272 HGB Rz. 123; kritisch Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 37. 25 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 441; zur Kritik s. Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 181; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 339 und § 15 Rz. 8 der 3. Aufl.
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Wertschwankungen des Wandlungsrechts während der Laufzeit der Anleihe führen weder zu einer Änderung der Wertansätze in der Bilanz noch zur Bildung einer Drohverlustrückstellung, wenn der Emittent die bei Ausübung des Wandlungsrechts erforderlichen Aktien selbst schaffen kann, z.B. aus bedingtem Kapital (Rz. 11.33 ff.). Bei einer sog. synthetischen Wandelanleihe (Rz. 11.42 ff.)26 deckt der Emittent seine Lieferverpflichtung regelmäßig durch den Abschluss von Derivattransaktionen ab. Soweit zwischen dem Wandlungsrecht und dem Derivat die Voraussetzungen einer Bewertungseinheit (§ 254 HGB) vorliegen, wirken sich Wertänderungen des Wandlungsrechts auch hier nicht auf den Bilanzansatz aus.
14.13
Bei Ausübung des Wandlungsrechts erwirbt der Anleger die in den Anleihebedingungen festgelegte Anzahl von Aktien. Die Verbindlichkeit aus der Anleihe entfällt damit. Sie ist in Höhe des Gesamtnennwerts der ausgegebenen Aktien oder bei Stückaktien in Höhe des auf die Aktien entfallenden anteiligen Betrags des Grundkapitals zugunsten des Grundkapitals auszubuchen. Der diesen geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) übersteigende Teil der Verbindlichkeit ist nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB mit einem etwa noch bestehenden Rechnungsabgrenzungsposten zu verrechnen und in die Kapitalrücklage einzustellen. Das bei der Ausgabe erzielte Entgelt für das Wandlungsrecht verbleibt in der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB, gleich ob das Wandlungsrecht ausgeübt wird oder nicht27.
14.14
Der Rückkauf der Wandelanleihe durch den Emittenten am Markt führt in dessen Handelsbilanz zunächst zu einem Anschaffungsvorgang. Die Anleihe wird mit dem Marktwert bei Erwerb aktiviert. Kommt es später zur Einziehung der Wandelanleihe oder hält der Emittent sie bis zur Endfälligkeit, erlöschen die Forderung aus der Wandelanleihe und die Verbindlichkeit aus der Anleihekomponente. Hingegen verbleibt das bei Emission erzielte Aufgeld in der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB. War der beim Rückkauf bezahlte Kaufpreis höher als der Emissionserlös für die Anleihekomponente, so entsteht in der Handelsbilanz (jedenfalls nach Einziehung der Wandelanleihe durch den Emittenten) ein Verlust, der über die Gewinn- und Verlustrechnung des Emittenten dessen Jahresergebnis schmälert28.
14.15
Die Anleihebedingungen von Wandelanleihen sehen regelmäßig vor, dass die bei Wandlung zu liefernden Aktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung stammen (Rz. 11.33 ff.). Häufig behält sich der Emittent vor, seine Lieferverpflichtung durch Lieferung eigener Aktien zu erfüllen29. Anstelle von neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung erhält der Anleger dann Aktien, die bereits ausgegeben waren und die der Emittent im Markt zurückgekauft hat (Rz. 11.39 ff.). Auch in diesem Fall ist das vom Emittenten für das Wandlungsrecht erzielte Entgelt in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB einzustellen. Die Anleihe ist mit dem Rückzahlungsbetrag zu passivieren und in Höhe des Wertes des Wandlungs-
14.16
26 S. z.B. Fresenius SE & Co. KGaA, Eigenkapital-neutrale Wandelanleihe 2017–2024, ISIN DE000A1YC3T6, bei der die Wandlung grundsätzlich durch Barausgleich erfolgt, oder TAG Immobilien AG Wandelanleihe 2017–2022 (WKN A2GS3Y), bei der § 8(d) der Emissionsbedingungen eine optionale Barablösung vorsieht. 27 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 272 HGB Rz. 129; Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 181 a.E. 28 Herzig/Joisten, DB 2013, 954. 29 S. etwa Wandelanleihe der TAG Immobilien AG 2017–2022 (WKN A2GS3Y); § 9(a)(ii) der Emissionsbedingungen sehen vor, dass die Emittentin bei Wandlung zur Erfüllung ihrer Lieferverpflichtung Aktien aus dem eigenen Bestand (statt junger Aktien aus bedingtem Kapital) liefern kann.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
rechts ist ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden. Auch hier ist bei einem Kursanstieg der Aktie die Bildung einer Drohverlustrückstellung entbehrlich, wenn dem Emittenten das Recht, die Anleiheschuld durch Lieferung eigener statt neuer Aktien zu erfüllen, nur alternativ eingeräumt ist oder er die eigenen Aktien hinreichend separiert im Bestand hält. Werden bei Wandlung eigene Aktien aus dem Bestand des Emittenten geliefert, so ist zunächst der beim Erwerb erfolgte Abzug vom Nennkapital und den freien Rücklagen (§ 272 Abs. 1a HGB) rückgängig zu machen (§ 272 Abs. 1b Satz 1 und 2 HGB). Übersteigt der Veräußerungserlös die Anschaffungskosten der eigenen Anteile, so ist er in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen (§ 272 Abs. 1b Satz 3 HGB). Soweit beim Erwerb der eigenen Anteile eine Rücklage gebildet wurde30, ist diese aufzulösen.
14.17 Weiter kann sich der Emittent einer Wandelanleihe vorbehalten, nach seiner Wahl dem
Anleger bei Ausübung des Wandlungsrechts anstelle der Aktien eine Barabfindung, also einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, der dem Wert der Aktien entspricht31. Auch in diesem Fall ergeben sich bei der Ausgabe der Anleihe keine Besonderheiten. Aus den zuvor genannten Gründen ist eine Aufstockung der Rückzahlungsverpflichtung aus der Anleihe oder die Bildung einer Rückstellung während der Laufzeit nicht erforderlich, solange der Emittent zwischen Lieferung der Aktien und Barabfindung wählen kann. Erst bei Tilgung der Anleihe realisiert der Emittent durch tatsächliche Zahlung der Barabfindung einen Verlust in Höhe des Betrags, um den der Wert der Aktien den ursprünglichen Rückzahlungsbetrag der Anleihe übersteigt. Allerdings hat diese Option für Emittenten, die nach IFRS bilanzieren, einen Nachteil: Die Optionskomponente ist im IFRS-Abschluss als Fremdkapital auszuweisen (IAS 32.26). Daher wird eine Barablösung regelmäßig nur für den Fall vorgesehen, dass die Lieferung von Aktien aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist oder der Emittent eine Verwässerung der Altaktionäre vermeiden möchte32. b) Behandlung beim Anleger
14.18 Beim Erwerb hat der bilanzierende Anleger die Anleihe anders als der Emittent regel-
mäßig als ein einheitliches Wirtschaftsgut zu behandeln. Zwar muss der Anleger nach IDW RS HFA 22 bei einem strukturierten Finanzinstrument das Basisinstrument und das eingebettete Derivat unter bestimmten Voraussetzungen getrennt bilanzieren. Ausnahmen bestehen aber für an einem aktiven Markt notierte Finanzinstrumente, die zu fortgeführten Anschaffungskosten oder dem niedrigeren beizulegenden Wert (Marktwert) bewertet werden, und für Finanzinstrumente, die zu Handelszwecken erworben wurden33. Eine weitere Ausnahme gilt für kapitalgeschützte Finanzinstrumente im Anlagevermögen, die der Anleger bis zur Endfälligkeit halten will34. Hier geht das Risiko nicht über das Bonitätsrisiko des Emittenten hinaus. Bei einer Wandelanleihe wird regelmäßig die Rückzahlung zum Nennwert zugesagt, so dass eine Kapitalgarantie des Emittenten besteht. Bei ei-
30 Umstritten ist, ob die Bilanzierung einer Rücklage für eigene Anteile nach dem BilMoG noch erforderlich ist. Dafür: Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 Rz. 134; dagegen: Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 223. 31 Z.B. Infineon 4,25 % Wandelanleihe 2002–2007 (ISIN XS0141505957), § 10 der Anleihebedingungen; SGL Carbon 3,5 % Wandelanleihe 2000–2005 (ISIN DE0007235319), § 7 der Anleihebedingungen. 32 Z.B. Fresenius SE & Co. KGaA, Eigenkapital-neutrale Wandelanleihe 2017-2024, ISIN DE000A1YC3T6. 33 IDW RS HFA 22, Tz. 14 lit. a und b. 34 IDW RS HFA 22, Tz. 14 lit. c.
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ner Bezugsrechtsemission gehört der Wert des eingeräumten oder erworbenen Bezugsrechts beim Ersterwerber zu den Anschaffungskosten der Wandelanleihe. In den Folgejahren kann die einheitlich bilanzierte Wandelanleihe bei dauernder Wertminderung abzuschreiben sein, wenn sich die Bonität des Emittenten verschlechtert, die Zinsen steigen oder der Aktienkurs des Emittenten sinkt (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). Wird die Wandelanleihe im Umlaufvermögen gehalten, ist die Abschreibung auf den niedrigeren Marktwert am Stichtag zwingend (§ 253 Abs. 4 HGB). Eine Wertsteigerung der Wandelanleihe führt indessen nicht dazu, dass die Wandelanleihe zu einem höheren Wert als den Anschaffungskosten angesetzt werden kann (§ 253 Abs. 1 HGB)35.
14.19
Gegen die einheitliche Erfassung der Wandelanleihe kann man einwenden, dass beim wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt einer Optionsanleihe die Anleihe und der Optionsschein getrennt zu erfassen sind. Daher wird teilweise eine getrennte Bilanzierung befürwortet36. Dann müssen beim Erwerb die Gesamtanschaffungskosten auf die Anleihekomponente und das Wandlungsrecht aufgeteilt werden. Nach IDW RS HFA 22 soll ein Bruttoausweis erfolgen37. Dabei wird die Anleihekomponente mit dem Rückzahlungsbetrag ausgewiesen und der Unterschiedsbetrag zwischen Rückzahlungsbetrag und Zeitwert, also der Zinsnachteil, der regelmäßig dem Wert des Wandlungsrechts entspricht, in einem passiven Rechnungsabgrenzungsposten erfasst. Dieser ist über die Laufzeit der Anleihe ratierlich aufzulösen und führt zu jährlichen Zinserträgen. In der Literatur38 wird für Anleihen allgemein ein Nettoausweis befürwortet. Die Anleihekomponente wird dann regelmäßig nicht mit dem Rückzahlungsbetrag, sondern mit dem niedrigeren Barwert im Zeitpunkt des Erwerbs angesetzt (§ 253 Abs. 1 Satz 1 HGB). Dieser ist über die Laufzeit auf den Rückzahlungsbetrag aufzuzinsen. Im Ergebnis führen beide Bilanzierungsformen zum gleichen Ergebnisausweis. Wird die Wandelanleihe im Markt erworben, ist die Aufteilung aufgrund der Verhältnisse im Erwerbszeitpunkt vorzunehmen39, entweder indem der Wert der Anleihekomponente oder der des Wandlungsrechts nach den einschlägigen finanzmathematischen Bewertungsmethoden ermittelt wird und die jeweils andere Komponente als Residualgröße ermittelt wird. Beim Ersterwerber gehört der Wert eines beim Erwerb ausgeübten Bezugsrechts zu den Anschaffungskosten des Wandlungsrechts40. Bei der Folgebewertung sind die Anleihekomponente und das Wandlungsrecht dann getrennt zu bewerten41 und ggf. abzuschreiben. Zuschreibungen sind auch hier höchstens bis zu den Anschaffungskosten des jeweiligen Bestandteils der Wandelanleihe möglich (§ 253 Abs. 1 HGB).
14.20
35 IDW RS HFA 22, Tz. 12; ausgenommen ist lediglich der Handelsbestand bei Kreditinstituten, der zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten ist (§ 340e HGB). 36 Hirte in Großkomm. AktG, § 221 Rz. 296; Stadler in Bürgers/Körber, AktG, § 221 Rz. 79: Wiechens/Lorenz/Morawietz in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, Kapitel C.V.1 Bilanzierung von derivativen Finanzinstrumenten und Sicherungsbeziehungen nach HGB, Rz. 193. 37 IDW RS HFA 22, Tz. 20; ebenso für Optionsanleihen OFD Düsseldorf v. 23.3.2001 – S 2136 A - St 11, DB 2001, 1337; OFD München v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628. 38 Schubert/Gadeck in Beck’scher Bilanz-Komm., § 255 HGB Rz. 176. 39 IDW RS HFA 22, Tz. 19. 40 Vgl. zur Bezugsrechtsemission von Aktien Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 253 HGB Rz. 51. Da das Bezugsrecht nur wegen des Wandlungsrechts zu gewähren ist, gehört sein Wert in voller Höhe zu den Anschaffungskosten des Wandlungsrechts (so für die Optionsanleihe BFH v. 1.7.2003 – VIII R 9/02, BStBl. II 2003, 883, 886 (li. Sp.)). 41 IDW RS HFA 22, Tz. 17.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
14.21 Bei Weiterveräußerung der Wandelanleihe während der Laufzeit ist die Differenz zwi-
schen Veräußerungserlös und Buchwert der Wandelanleihe erfolgswirksam zu erfassen. Bei getrennter Bilanzierung ist der Erlös nach den beim Verkauf herrschenden Marktbedingungen auf Anleihekomponente (abzüglich des passiven Rechnungsabgrenzungspostens) und Wandlungsrecht aufzuteilen. Die sich jeweils ergebenden Gewinne bzw. Verluste sind über die Gewinn- und Verlustrechnung zu verbuchen.
14.22 Bei Ausübung des Wandlungsrechts erhält der Anleger für seine Anleihe Aktien an der
emittierenden Gesellschaft. Bei rein wirtschaftlicher Betrachtung könnte man in der Hingabe der Wandelanleihe und der Lieferung der Aktien einen Tausch sehen. Zivilrechtlich liegt allerdings weder ein Tausch noch eine Wahlschuld vor. Vielmehr macht der Anleihegläubiger mit der Ausübung des Wandlungsrechts eine Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) geltend, indem er statt der ursprünglich geschuldeten Rückzahlung der Anleihe die Lieferung von Aktien verlangt42. Dem Anleger steht der Anspruch auf Lieferung der Aktien also von Anfang an zu. Daher realisiert der Anleger bei Lieferung der Aktien keinen Gewinn, sondern hat die Aktien mit dem Buchwert der Wandelanleihe anzusetzen43. Dies gilt unabhängig davon, ob die Wandelanleihe einheitlich oder getrennt bilanziert wurde44. Bei getrennter Bilanzierung sind die Aktien mit dem Buchwert der Anleihekomponente ggf. vermindert um den verbliebenen passiven Rechnungsabgrenzungsposten zuzüglich des Buchwerts des Wandlungsrechts anzusetzen45. In allen Fällen erfolgt allein aufgrund der Wandlung keine Wertaufholung nach § 253 Abs. 5 Satz 1 HGB46.
14.23 Wird das Wandlungsrecht bis zur Endfälligkeit der Wandelanleihe nicht ausgeübt und die
Anleihe zum Nennwert zurückgezahlt, so hat der Anleger bei einheitlicher Bilanzierung den daraus entstehenden Gewinn oder Verlust zu erfassen. Bei getrennter Bilanzierung ist das Wandlungsrecht zu Lasten des Gewinns auszubuchen. Aus der Einlösung der Anleihekomponente ergibt sich ein Gewinn oder Verlust für den Anleger.
2. Besteuerung 14.24 Die deutsche Besteuerung knüpft nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handels-
bilanz für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) für den Emittenten und den bilanzierenden Anleger grundsätzlich an die vorstehend geschilderte handelsbilanzielle Behandlung an47. Besondere Regeln gelten für nicht bilanzierende Anleger, also insbesondere für Anleger, die eine Wandelanleihe im Privatvermögen halten. a) Besteuerung des Emittenten
14.25 Beim Emittenten ergibt sich aufgrund der Aufteilung der Wandelanleihe in Anleihe- und Optionskomponente in der Handelsbilanz, dass die Anleihe auch in der Steuerbilanz mit
42 43 44 45 46 47
Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 30, 226; Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 4 m.w.N. IDW RS BFA 6 Tz. 22; Stadler in Bürgers/Körber, AktG, § 221 Rz. 79 m.w.N. Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 360 m.w.N. Zum Erwerb aufgrund von Optionen allgemein vgl. IDW BFA RS 6, Tz. 12 ff. Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1089. Während weitgehend Einigkeit besteht, dass beim Emittenten eine Aufteilung der Wandelanleihe in Anleihekomponente und Kaufoption auch für Steuerzwecke erfolgen muss, wird die Frage, ob der bilanzierende Anleger die Wandelanleihe in seiner Steuerbilanz aufteilen muss, nicht einheitlich beurteilt (vgl. Rz. 14.31).
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dem Erfüllungsbetrag zu bilanzieren und ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden ist. Dieser entspricht seiner Höhe nach dem Wert des Wandlungsrechts und ist über die Laufzeit der Anleihe steuerwirksam abzuschreiben48. Bei einem vor Endfälligkeit der Wandelanleihe ausübbaren Wandlungsrecht ist der in dem Rechnungsabgrenzungsposten abzubildende Zinsvorteil allerdings beschränkt. Es können dann für den Rechnungsabgrenzungsposten ebenso wie für das Wandlungsrecht nur die aufgrund des Wandlungsrechts ersparten Zinsen bis zum frühestmöglichen Wandlungszeitpunkt berücksichtigt werden49. Der gesamte sich danach ergebende Zinsaufwand ist bei der Körperschaftsteuer grundsätzlich abziehbar (vgl. Rz. 19.9 f.). Zu beachten ist allerdings die Zinsschranke (§§ 4h EStG, 8a KStG). Danach dürfen (mit bestimmten Ausnahmen) Zinsaufwendungen, soweit sie die Zinserträge übersteigen (Schuldzinsüberhang), grundsätzlich nur i.H.v. maximal 30 % des steuerlichen Einkommens zuzüglich des Schuldzinsüberhangs und der planmäßigen Abschreibungen abgezogen werden (vgl. Rz. 19.15–19.49). Bei der Gewerbesteuer sind nur 75 % der Zinsaufwendungen (nach Anwendung der Zinsschranke) abziehbar (§ 8 Nr. 1 lit. a GewStG) (vgl. Rz. 19.12).
14.26
Die steuerliche Behandlung des Wandlungsrechts war lange umstritten50. Nach heute h.M. ist der auf das Wandlungsrecht entfallende Anteil am Emissionserlös als Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB) zu behandeln und entsprechend unmittelbar im steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG) zu erfassen51. Das gilt unabhängig davon, ob das Aufgeld für das Wandlungsrecht offen ausgewiesen oder verdeckt in Form eines niedrigen Zinses gezahlt wird52. Das Entgelt für das Wandlungsrecht ist also bereits bei Emission als Einlage
14.27
48 Anders als nach § 250 Abs. 3 Satz 1 HGB besteht steuerlich nach allgemeinen Grundsätzen kein Ansatzwahlrecht für den aktiven Rechnungsabgrenzungsposten, der das Disagio abbildet (BFH v. 21.4.1988 – IV R 47/85, BStBl. II 1989, 722, 726). Dies gilt auch bei verbrieften Forderungen (BFH v. 29.11.2006 – I R 46/05, BFHE 216, 159; entgegen der Vorinstanz FG Köln v. 17.3.2005 – 13 K 7115/00, EFG 2005, 1179 und Hahne, StuB 2006, 295). 49 S. Rz. 14.12 sowie BFH v. 11.11.2014 – I R 853/13, BFH/NV 2015, 686 Rz. 23. 50 Das Meinungsspektrum reichte von der sofortigen Einstellung des auf das Wandlungsrecht entfallenden Teils des Emissionserlöses in das steuerliche Einlagekonto gemäß § 27 Abs. 1 KStG (Griemla, FR 2005, 565; s. auch Knobbe-Keuk, ZGR 1987, 311, 316 ff.; Koch/Vogel, BB 1986, Beilage 10, S. 11 f. zur Verbuchung als EK 04 (Teilbetrag nach § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG a.F.) nach altem Recht) bis zur sofortigen erfolgswirksamen Vereinnahmung dieses Betrages (Uelner, JbFSt 1986/87, 11, 16 ff.). Die Finanzverwaltung (OFD Düsseldorf v. 23.3.2001 – S 2136 A - St 11, DB 2001, 1337; OFD München v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628; ebenso FG Düsseldorf v. 28.10.2003 – 6 K 5326/01, EFG 2004, 288; FG München v. 4.2.2004 – 7 K 4666/01, EFG 2004, 846) vertrat jedenfalls für den Fall der Optionsanleihe die Auffassung, in Höhe des auf den Optionsschein entfallenden Teils des Emissionserlöses sei eine Anzahlung zu passivieren. Bei einem späteren Aktienbezug sei die Anzahlung erfolgsneutral dem Einlagekonto gutzuschreiben, andernfalls sei das Optionsentgelt bei Auslaufen des Optionsrechts als steuerpflichtiger Ertrag zu behandeln (ebenso Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 270 „Anleihen“; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 92). 51 BFH v. 11.11.2014 – I R 53/13, BFH/NV 2015, 686 Rz. 17 f.; zuvor schon ebenso zur Optionsanleihe BFH v. 30.11.2005 – I R 3/04, BFHE 211, 339 = BStBl. II 2008, 809 und BFH v. 30.11. 2005 – I R 26/04, BFH/NV 2006, 61; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 445; Hahne, StuB 2006, 295; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1089; Haisch/Danz, DStZ 2006, 229; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 345; Mihm, BB 2006, 321; Mössner in FS Endres, 2016, S. 265, 271 ff. mit Erläuterungen zur späteren Ausschüttung des so gebildeten Eigenkapitals; Wagner, Der Konzern 2006, 262. 52 BFH v. 30.11.2005 – I R 26/04, BFH/NV 2006, 61 Rz. 13.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
zu behandeln. Ob das Wandlungsrecht später ausgeübt wird, ist hingegen für die steuerliche Behandlung beim Emittenten irrelevant. Die Ursache für die Zahlung des Optionsentgelts liegt im künftigen Gesellschaftsverhältnis des Anleihegläubigers zum Emittenten. Der Höhe nach ist der Betrag, der in der Kapitalrücklage bzw. im steuerlichen Einlagekonto erfasst werden kann, allerdings auf das echte Emissionsdisagio und den Zinsvorteil bis zu erstmaligen Ausübbarkeit des Wandlungsrechts beschränkt (Rz. 14.12, 14.25). Auch die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen und eines der maßgeblichen Urteile im Bundessteuerblatt veröffentlicht53.
14.28 Der Rückkauf der Wandelanleihe durch den Emittenten am Markt wird nicht einheitlich
beurteilt. Zum Teil wird angenommen, der Rückkauf stelle sich als actus contrarius zur Emission dar. Da das Entgelt für das Wandlungsrecht bei der Emission eine Einlage darstelle, liege in dem für das Wandlungsrecht beim Rückkauf gezahlten Entgelt eine verdeckte Gewinnausschüttung54. Zur Begründung wird weiter die Gleichbehandlung des Rückkaufs einer Wandelanleihe mit dem Erwerb eigener Aktien angeführt55. Der Rückkauf erfolge zugunsten der Aktionäre, da eine bei Ausübung des Wandlungsrechts eintretende Verwässerung ihrer Beteiligung unterbleibe56. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Einlage in Form des bei Emission gezahlten Wandlungsrechts durch die Anleihegläubiger gewährt wird, während die angenommene verdeckte Gewinnausschüttung an die Aktionäre gehen soll57. Zudem ist die actus contrarius-Lehre vom BFH für die Rückabwicklung verdeckter Gewinnausschüttungen entwickelt worden und passt nicht ohne weiteres für die Rückgewähr von Einlagen58. Überdies ist der Rückkauf regelmäßig betrieblich motiviert, etwa um die Finanzierungsstruktur des Emittenten zu verbessern, indem das Fremdkapital reduziert wird. Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist daher nicht erkennbar59. Der bei Erwerb (und anschließender Einziehung) der Wandelanleihe zum Marktpreis entstehende Aufwand ist daher ebenso wie der Aufwand aus dem Rückkauf sonstigen Fremdkapitals als Betriebsausgabe abziehbar60. Das erscheint auch geboten, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dem Verlust des Emittenten aus dem Rückkauf und der nachfolgenden Einziehung steht der Veräußerungsgewinn des Anleihegläubigers gegenüber. Dieser wäre insgesamt zweimal zu versteuern, wenn er nicht nur dem Anleihegläubiger, sondern zusätzlich auch als verdeckte Gewinnausschüttung den Aktionären zuzurechnen wäre61.
14.29 Bei Ausübung des Wandlungsrechts ist der über den geringsten Ausgabebetrag der Ak-
tien hinausgehende Betrag aus der Ablösung der Anleiheschuld (vgl. Rz. 14.14) in das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) einzustellen.62 Das dort bereits erfasste Wandlungsentgelt verbleibt dort. Hat sich der Emittent vorbehalten, anstelle von neuen Aktien aus bedingtem Kapital im Bestand gehaltene eigene Aktien zu liefern und macht er davon
53 54 55 56 57 58 59
BFH v. 30.11.2005 – I R 3/04, BFHE 211, 339 = BStBl. II 2008, 809. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8 Rz. 188; Altenburg, DStR 2013, 5, 9 f. Altenburg, DStR 2013, 5, 7. Altenburg, DStR 2013, 5, 8. Herzig/Joisten, DB 2013, 954, 956 f.; Niedling, RdF 2016, 49, 56. Fischer/Lackus, DStR 2013, 623, 624; Herzig/Joisten, DB 2013, 954, 956 f. Fischer/Lackus, DStR 2013, 623, 624; Herzig/Joisten, DB 2013, 954, 955; Niedling, RdF 2016, 49, 56. 60 Fischer/Lackus, DStR 2013, 623, 626; Herzig/Joisten, DB 2013, 954, 958; ebenso Schüppen, JbFSt 2015/16, 250, 258. 61 In diesem Sinne Fischer/Lackus, DStR 2013, 623, 626; Herzig/Joisten, DB 2013, 954, 955. 62 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 445; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 345.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
Gebrauch, so hat der Anleger das Wandlungsentgelt ebenfalls in Hinblick auf seine künftige Gesellschafterstellung geleistet. Bei der Lieferung eigener Aktien aus dem Bestand des Emittenten handelt es sich aktienrechtlich um eine mit der Lieferung neuer Aktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung vergleichbare Maßnahme. Das spricht für eine steuerliche Gleichbehandlung der beiden auch aus Sicht des Anleihegläubigers identischen Erfüllungsvarianten. Auch hier ist das Wandlungsentgelt als Einlage im steuerlichen Sinne einzuordnen. Zahlt der Emittent zur Ablösung der Lieferpflicht einen Barausgleich in Höhe des Kurswerts der geschuldeten Aktien im Wandlungszeitpunkt, so ist der Barausgleich, soweit er den Erfüllungsbetrag der Anleihe zuzüglich des anfänglichen Werts des Wandlungsrechts übersteigt, steuerlich abziehbar.
14.30
b) Besteuerung des Anlegers aa) Bilanzierender Anleger Häufig hat der Anleger die Wandelanleihe in der Handelsbilanz als einheitlichen Vermögengegenstand auszuweisen (Rz. 14.3, 14.18). Dann ist sie auch steuerlich als einheitliches Wirtschaftsgut zu behandeln63. Soweit der bilanzierende Anleger die Anschaffungskosten der Wandelanleihe in seiner Handelsbilanz aufzuteilen hat, wäre bei Befolgung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes die Wandelanleihe auch in der Steuerbilanz in Anleihekomponente und Kaufoption aufzuteilen. Im Schrifttum wird dies bezweifelt und unabhängig von der handelsbilanziellen Behandlung beim Anleger eine zusammengefasste, einheitliche Bilanzierung für Steuerzwecke befürwortet64. Auch die Finanzverwaltung scheint dieser Auffassung zuzuneigen. Jedenfalls hat das BMF65 für den Fall einer Credit Linked Note entschieden, dass diese trotz zwingender Aufspaltung in der Handelsbilanz66 in der Steuerbilanz als einheitliches Wirtschaftsgut zu behandeln ist. Begründet wird dies damit, dass die handelsrechtliche Behandlung nach IDW RS HFA 22 auf dem Gedanken des true and fair view beruhe. Dieser verdränge jedoch nicht den Grundsatz der Einzelbewertung. In der Steuerbilanz könnten daher keine Positionen angesetzt werden, die mangels Einzelveräußerbarkeit keine Wirtschaftsgüter darstellten67. Daher scheide der Ansatz einzelner Komponenten eines Wirtschaftsguts in der Steuerbilanz aus. Im Folgenden wird daher von einer einheitlichen Bilanzierung der Wandelanleihe beim Anleger für Steuerzwecke ausgegangen68.
14.31
Während der Laufzeit hat der Anleger die laufenden Zinszahlungen zu versteuern. Bei einheitlicher Bilanzierung kann es anders als bei getrennter Bilanzierung (Rz. 14.20) in der Steuerbilanz keinen passiven Ausgleichsposten geben, der während der Laufzeit ratierlich aufzulösen wäre und zu weiteren Zinserträgen führen würde. Wertsteigerungen der Wan-
14.32
63 Dies ergibt sich aus dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), nach dem die handelsbilanzielle Behandlung (vgl. Rz. 14.18 ff.) auch für die Besteuerung zugrunde zu legen ist. 64 Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2432; Haisch, FR 2009, 65, 71 ff.; Haisch in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1089 m.w.N. 65 BMF v. 19.12.2017 – IV C 6 - S 2133/09/10002:001, DOK 2017/1024120, n.v. 66 IDW RS HFA 22, Tz. 16 lit. b. 67 Zur Kritik an IDW RS HFA 22 s. auch Rz. 14.5. 68 Zu den steuerlichen Auswirkungen einer getrennten Bilanzierung s. Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 354 ff.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
delanleihe haben auf die Besteuerung des Anlegers zunächst keine Auswirkungen, weil der Bilanzansatz die Anschaffungskosten grundsätzlich nicht übersteigen darf (Rz. 14.19)69. Wegen des Imparitätsprinzips kann bei dauerhafter Wertminderung aber eine steuerlich abziehbare Teilwertabschreibung vorgenommen werden. Nach Rechtsprechung70 und Verwaltungsauffassung71 kann bei einem gesunkenen Börsenkurs zwar von einer Dauerhaftigkeit der Wertminderung ausgegangen werden. Die Teilwertabschreibung ist jedoch wegen der zugesagten Rückzahlung des Anleihekapitals nur bis zum in den Anleihebedingungen vorgesehenen Rückzahlungsbetrag möglich. Eine weitere Abschreibung dürfte nur zulässig sein, wenn sich die Bonität des Emittenten signifikant verschlechtert hat72. Da es sich bei der Wandelanleihe (noch) nicht um einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft handelt, finden die Abzugsbeschränkungen aus § 3c Abs. 2 EStG, § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auf solche Verluste keine Anwendung73.
14.33 Bei einem Verkauf der Wandelanleihe während der Laufzeit ist ein Gewinn oder Verlust
steuerpflichtig bzw. steuerlich abziehbar. Da die Wandelanleihe nach der hier vertretenen Ansicht einheitlich zu bilanzieren ist, ist sie kein Termingeschäft i.S.d. § 15 Abs. 4 Sätze 3– 5 EStG74. Ein Veräußerungsverlust kann daher vollständig mit den sonstigen betrieblichen Einkünften des Anlegers verrechnet werden.
14.34 Bei Ausübung des Wandlungsrechts gelten die Ausführungen zur handelsbilanziellen Be-
handlung (Rz. 14.22) entsprechend. Die Aktien sind mit dem Buchwert der Wandelanleihe (oder bei getrennter Bilanzierung mit den Buchwerten ihrer Komponenten) anzusetzen. Auch steuerlich ist in dem Erwerb der Wandelanleihe und dem späteren Bezug der Aktien ein einheitlicher Rechtsvorgang und kein Gewinn realisierender (§ 6 Abs. 6 EStG) Tausch zu sehen75. Zu einer Gewinnrealisierung kommt es erst später, wenn die Aktien veräußert werden. Der Gewinn aus der Veräußerung der Aktien ist bei einkommensteuerpflichtigen Anlegern nach dem Teileinkünfteverfahren (Steuerbefreiung für 40 % des Veräußerungs-
69 Eine Ausnahme gilt insoweit aber für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, die die Wandelanleihe zu Handelszwecken erworben haben (§ 6 Abs. 1 Nr. 2b EStG), vgl. Rz. 14.19 Fn. 35. 70 BFH v. 8.6.2011 – I R 98/10, BStBl. II 2012, 716. 71 BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171 - b/09/10002:002, BStBl. I 2016, 995 Rz. 21 f.; ebenso Kowanda, DStR 2017, 2403, 2404. 72 BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171 - b/09/10002:002, BStBl. I 2016, 995 Rz. 21. 73 Vgl. BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Tz. 24. Die Frage wird in der Literatur im Anschluss an BFH v. 27.10.2005 – IX R 15/05, BStBl. II 2006, 171, zur Anwendung der §§ 3 Nr. 40 EStG, 8b KStG auf die Veräußerung von Bezugsrechten, die anlässlich einer Kapitalerhöhung gewährt werden, diskutiert. Nach Wagner, Der Konzern 2006, 262, 265 f., sind §§ 3 Nr. 40 EStG, 8b KStG zumindest auf die Optionsanleihen beigefügten abtrennbaren Optionsscheine anzuwenden. Demgegenüber weisen Haisch/Danz, DStZ 2006, 229, 232, zu Recht darauf hin, dass der Anleihegläubiger das Optionsrecht, anders als der Aktionär sein Bezugsrecht, entgeltlich und nicht im Wege der Substanzabspaltung erwirbt. 74 Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1552; Haisch/Danz, DStZ 2005, 850, 855 f. 75 OFD Frankfurt a.M. v. 29.3.1995 – S 2150 A 6 - St II 21, BB 1995, 1345 mit Hinweis auf RFH v. 24.8.1944 – I 21/44, RFHE 54, 128; ebenso BFH v. 21.2.1973 – I R 106/71, BStBl. II 1973, 460, 461 (li. Sp. unter 2); FinMin Schleswig-Holstein Einkommensteuer-Kurzinformation Nr. 2018/11 v. 16.3.2018 – VI 3012 - S 2332 - 184, DB 2018, 734; Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 120; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 448; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 360 m.w.N.; Niedling, RdF 2016, 49, 54 f.; a.A. Rau, DStR 2014, 2201, 2207, der sich für eine Gewinn- oder Verlustrealisierung bei der Wandlung ausspricht; offen gelassen bei Jacobs/Nolting/Nolte, SteuerStud 2005, 74, 81.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
gewinns, § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG) zu versteuern bzw. bei körperschaftsteuerpflichtigen Anlegern im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (§ 8b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 KStG). Verluste aus der Veräußerung der Aktien können natürliche Personen zu 60 % geltend machen (§ 3c Abs. 2 EStG), Körperschaften gar nicht (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG). Bei Endfälligkeit erhält der Anleger den Nennwert der Anleihe zurück. Wird das Wandlungsrecht bis dahin nicht ausgeübt, so verfällt es. Bei einheitlicher Bilanzierung der Wandelanleihe ist ein sich dabei ergebender Einlösungsverlust steuerlich abziehbar (vgl. Rz. 14.32 f.). bb) Privatanleger Bei einem Anleger, der die Wandelanleihe nicht im Betriebsvermögen, sondern im Privatvermögen hält, ist die Anleihe als einheitliches Wirtschaftsgut zu behandeln76. Eine Aufteilung der Wandelanleihe in ihre rechtlich untrennbar verbundenen Komponenten findet nicht statt, weil die Wandelanleihe ein einheitliches Wirtschaftsgut und IDW RS HFA 22 von vorneherein nicht anwendbar ist. Der Privatanleger hat also Anschaffungskosten in Höhe des Emissionspreises (bei einer Bezugsrechtsemission einschließlich des Werts des Bezugsrechts)77 bzw. bei einem späteren Erwerb im Markt in Höhe des gezahlten Kaufpreises.
14.35
Kapitalerträge unterliegen der Abgeltungsteuer. Durch den Steuerabzug von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer wird die Steuerschuld des Privatanlegers grundsätzlich abgegolten (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG). Der Besteuerung unterliegen neben Zinsen und Stückzinsen auch die Gewinne aus der Veräußerung von Wandelanleihen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG)78. Entsprechend sind Verluste in voller Höhe nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG steuerlich abziehbar. Die Wandlung unterliegt nicht der Besteuerung. Vielmehr werden im Ergebnis die Anschaffungskosten der Wandelanleihe auf die bei der Wandlung bezogenen Akten übertragen (§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG)79. Erst etwaige Gewinne aus der späteren Veräußerung der Aktien unterliegen der Abgeltungsteuer (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG)80. Werden die Aktien mit Verlust veräußert, kann der Verlust nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG).
14.36
Steuerausländer unterliegen nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a (2. Halbsatz) EStG mit „Erträgen aus Wandelanleihen“ inländischer Emittenten der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. In der Literatur wird vertreten, dass dies nicht gelte, wenn die Wandelanleihe in einer Sammelurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieft sei81. Für den Fall von Pflichtwandelanleihen, die bei Kreditinstituten zusätzliches Kernkapital darstellen, hat sich die Finanzverwaltung dieser Meinung angeschlossen, auch wenn sie diese Auffassung ausdrück-
14.37
76 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 447; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 361. 77 So für die Optionsanleihe BFH v. 1.7.2003 – VIII R 9/02, BStBl. II 2003, 883, 886 (li. Sp.). 78 Zu den Übergangsvorschriften für vor dem 1.1.2009 erworbene Wandelanleihen s. die 2. Aufl. § 13 Rz. 27–30. 79 Anemüller/Lohkamp, EStB, 2015, 460, 463. 80 Soweit der Privatanleger zu irgend einem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor Veräußerung der Aktien zu mindestens 1 % am Emittenten beteiligt war, erzielt keine er Einkünfte aus Kapitalvermögen, sondern einen gewerblichen Gewinn nach § 17 EStG, der dem Teileinkünfteverfahren (§§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c, 3c Abs. 2 EStG) unterliegt (vgl. Rz. 14.34). 81 Klein/Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 49 EStG Anm. 833; Reimer in Blümich, § 49 EStG Rz. 184b; Hidien in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz. H 245; Stöber in Lademann, EStG, § 49 Rz. 1766; Viebrock in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 49 Rz. 242, 244.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
lich auf solche Instrumente beschränkt82. In der Sache ist aber nicht erkennbar, warum dies nicht auch für andere Wandelanleihen gelten soll. In jedem Fall sind Steuerausländer aber nur mit den laufenden Zinszahlungen steuerpflichtig. Vereinnahmte Stückzinsen und Veräußerungsgewinne unterliegen grundsätzlich nicht der deutschen Besteuerung83. Dass § 20 Abs. 2 EStG Stückzinsen und Veräußerungsgewinne den Kapital„erträgen“ zuordnet, sollte daran nichts ändern. Steuerausländer unterliegen mit Stückzinsen aus sonstigen Anleihen und Veräußerungsgewinnen aus Anleihen und Aktien gerade keiner deutschen Besteuerung (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Eine Besteuerung dieser im Rahmen der Veräußerung bezogenen Kapitalerträge für Wandelanleihen wäre daher nicht systemgerecht. Daher geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass Stückzinsen und Veräußerungsgewinne von Steuerausländern nicht der deutschen Besteuerung unterliegen84. Ausnahmsweise sind Veräußerungsgewinne auch für einen Steuerausländer steuerpflichtig, etwa wenn er die Wandelanleihe über eine deutsche Betriebsstätte hält (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EStG) oder eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG (Beteiligung von mindestens 1 %) am Emittenten hält (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e EStG). Die durch die Wandelanleihe vermittelte Anwartschaft auf Aktien des Emittenten zählt bei der Ermittlung der maßgeblichen Beteiligungsquote nicht mit85. cc) Investmentfonds
14.38 Die Besteuerung von Investmentfonds und ihrer deutschen Anleger richtet sich nach dem
Investmentsteuergesetz (InvStG). Im Folgenden werden nur die Grundzüge der recht komplexen gesetzlichen Regelung aufgezeigt. Eine Aufteilung der Wandelanleihe in ihre einzelnen Komponenten kommt beim Fonds ebenso wenig in Betracht wie beim Privatanleger (§ 6 Abs. 7 InvStG). Der Fonds selbst ist wie ein Steuerausländer nur mit den laufenden Zinszahlungen aus einer Wandelanleihe steuerpflichtig, die nicht in einer Sammelurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieft ist (§ 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a (2. Halbsatz) und lit. c Doppelbuchstabe aa Satz 2)86. Bei einer Verbriefung sollte auch keine Steuerpflicht nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 InvStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4, Nr. 1a EStG entstehen. § 43 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG ordnet lediglich an, dass die Vorschiften des § 43 Abs. 1 Nr. 1a EStG für den Kapitalertragsteuerabzug entsprechend anzuwenden sind. Die Erträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG werden aber auch bei Verbriefung nicht in Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Nr. 1a EStG umqualifiziert. Ziel des § 43 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG ist es, die Verpflichtung zum Kapitalertragsteuerabzug vom Emittenten auf die auszahlende Stelle zu verlagern87. Daher spricht nichts dafür, dass die Verweisung von § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvStG auf § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG die Steuerpflicht von Investmentfonds auch auf Zinsen aus in einer Globalurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieften Wandelanleihen erstrecken soll88. Die Ausübung des Wandlungsrechts durch den Fonds führt bei diesem nicht zu steuerpflichtigen Einkünften.
82 BMF v. 10.4.2014 – IV C 2 - S 2742/12/10003 :002, BeckVerw 295609, https://bankenverband.de/ media/uploads/2016/11/02/bmf-schreiben-10-04-2014.pdf. 83 Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 364. 84 BT-Drucks. 16/4841, S. 48 ff. und S. 69, wo darauf hingewiesen wird, dass Kapitalerträge aus Veräußerungsgeschäften bei Steuerausländern (nur) im Fall von Tafelgeschäften (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 lit. d EStG) besteuert werden sollen. 85 BFH v. 19.2.2013 – IX R 35/12, BStBl. II 2013, 578. 86 S. dazu ausführlich Rz. 14.37. 87 Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 43 EStG Anm. 22. 88 Hahne, DStR 2017, 2310, 2311 f. Danach gehören diese Erträge i.R.d. § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG zu den steuerpflichtigen Erträgen eines Investmentfonds.
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Gewinne aus einer Veräußerung der Wandelanleihe oder der bei Wandlung erworbenen Aktien sind für den Fonds nicht steuerpflichtig, da es sich nicht um steuerpflichtige Erträge i.S.d. § 6 Abs. 2 InvStG handelt. Das gilt auch, wenn der Fonds zu 1 % oder mehr am Emittenten beteiligt ist (§ 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG). Der inländische Anleger hat die vom Fonds erzielten Erträge und Gewinne aus der Veräußerung der Fondsanteile zu versteuern (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 16 InvStG). Dabei werden abhängig von den Investments des Fonds die Erträge teilweise von der Besteuerung freigestellt (§ 20 InvStG). Werden die Erträge des Fonds nicht vollständig an die Anleger ausgeschüttet, kann auch eine pauschalierte Besteuerung der Fondserträge beim Anleger durch die Vorabpauschale erfolgen (§ 18 InvStG). Die steuerpflichtigen Fondserträge unterliegen dem Kapitalertragsteuerabzug i.H.v. 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer. Der Abzug erfolgt durch die inländische auszahlende Stelle, die die Fondsanteile verwahrt oder verwaltet (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 EStG) und gilt die Einkommensteuer des Anlegers regelmäßig ab (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG). Besonderheiten gelten für Fonds mit steuerbefreiten Anlegern und Spezialfonds.
14.39
c) Kapitalertragsteuer Die laufenden Zinszahlungen auf eine Wandelanleihe eines deutschen Emittenten unterliegen nach §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 bzw. Satz 4 i.V.m. Nr. 1a, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG der Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % (zuzüglich 5,5 % Solidaritätszuschlag darauf). Der Steuerabzug erfolgt durch die auszahlende Stelle, also durch das die Wandelanleihe verwahrende Kreditinstitut, wenn die Wandelanleihe girosammel- oder streifbandverwahrt wird oder die Zinsen im Rahmen eines Tafelgeschäfts ausgezahlt werden (§ 44 Abs. 1 Satz 3 (3. Alt.), Satz 4 Nr. 3 lit. a EStG). Bei Zahlungen in das Ausland hat die Wertpapiersammelbank den Abzug vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 lit. b EStG). In allen anderen Fällen ist der Kapitalertragsteuerabzug vom Emittenten vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 (1. Alt.) EStG). Steuerausländer unterliegen der Kapitalertragsteuer nur, soweit sie mit den Kapitaleinkünften beschränkt steuerpflichtig sind89. Wenn die Wandelanleihe in einer Globalurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieft ist, besteht keine beschränkte Steuerpflicht (Rz. 14.37). Es ist dann keine Kapitalertragsteuer einzubehalten, wenn die Ausländereigenschaft des Anlegers der auszahlenden Stelle ausreichend nachgewiesen wird90. Erfolgt gleichwohl ein Steuereinbehalt, können sich Steuerausländer diesen nach § 37 Abs. 2 AO, den Bestimmungen eines anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) oder nach § 44a Abs. 9 EStG ganz oder teilweise erstatten lassen91.
14.40
Bei Veräußerung einer Wandelanleihe unterliegen Steuerinländer grundsätzlich auch mit den bei einer Veräußerung erzielten Gewinnen und Stückzinsen der Kapitalertragsteuer
14.41
89 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017, BStBl. I 2016, 85 Rz. 313. 90 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017, BStBl. I 2016, 85 Rz. 314; ein Kapitalertragsteuerabzug ist aber möglich, wenn die Wandelanleihe einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist und in einem inländischen Depot verwahrt wird. 91 Rechtsgrundlage für die Erstattung ist § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen. Die Erstattung aufgrund DBA oder § 44a Abs. 9 EStG ist beim Bundeszentralamt für Steuern zu stellen. Wird die Erstattung mit Blick auf die Verbriefung der Wandelanleihe nach § 37 Abs. 2 AO beantragt, ist der Antrag beim Betriebsstättenfinanzamt der auszahlenden Stelle zu stellen, an das die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde (Loschelder in Schmidt, EStG, § 49 Rz. 106; Klein/Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 49 EStG Anm. 810).
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(§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG), wenn sie die Wandelanleihe in einem inländischen Depot halten92. Veräußerungsgewinn ist der Unterschied zwischen dem Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten der Wandelanleihe, wenn der Anleger diese über die auszahlende Stelle erworben hat oder die Anschaffungskosten in zulässiger Weise nachgewiesen werden (§ 43a Abs. 2 Satz 2 EStG)93. Ansonsten gelten für Zwecke der Kapitalertragsteuer 30 % des Veräußerungserlöses als Bemessungsgrundlage für den Kapitalertragsteuerabzug (Ersatzbemessungsgrundlage) (§ 43 Abs. 2 Satz 7 EStG). Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften und natürlichen Personen, die die Wandelanleihe im Betriebsvermögen halten, unterliegen Veräußerungsgewinne nicht der Kapitalertragsteuer (§ 43a Abs. 2 Satz 3 EStG). Ebenso entfällt der Steuerabzug bei Steuerausländern, da insoweit keine beschränkte Steuerpflicht besteht94.
3. Besonderheiten bei Emission über eine Auslandstochter 14.42 Verschiedentlich begeben deutsche Aktiengesellschaften Wandelanleihen nicht selbst, son-
dern mittelbar über eine 100 %ige Auslandstochter95, auch wenn in jüngerer Zeit wieder vermehrt Direktemissionen zu beobachten sind96. Bei der Auslandsemission ist Emittent der Wandelanleihe eine ausländische (typischerweise niederländische) Finanzierungsgesellschaft97. Die deutsche Muttergesellschaft garantiert den Anleihegläubigern die Rückzahlung bei Fälligkeit. Die Auslandstochter leitet den gesamten Emissionserlös als Darlehen an die deutsche Muttergesellschaft weiter. Das Darlehen ist regelmäßig mit dem gleichen Zinssatz wie die Wandelanleihe zuzüglich einer geringen Zinsmarge zu verzinsen. Die Darlehensforderung wird den Anleihegläubigern zur Sicherung ihres Rückzahlungsanspruchs aus der Anleihe abgetreten. Das Wandlungsrecht wird den Anleihegläubigern regelmäßig nicht von der Auslandstochter eingeräumt, sondern unmittelbar von der Muttergesellschaft gewährt. Übt der Anleger sein Wandlungsrecht aus, so erfüllt er seine gegenüber der Muttergesellschaft bestehende Einlageverpflichtung, indem er seine durch die Abtretung erworbene Darlehensforderung gegen die Muttergesellschaft an diese abtritt. Mit der Ausgabe der Aktien erlöschen dann vereinbarungsgemäß auch sämtliche Ansprüche des Anlegers aus der Anleihe gegen die Auslandstochter98.
92 Zu den Übergangsvorschriften für vor dem 1.1.2009 erworbene Wandelanleihen s. § 13 Rz. 36 der 2. Aufl. 93 Zur Besteuerung von vor dem 1.1.2009 erworbenen Optionsanleihen s. § 13 Rz. 69 der 2. Aufl. 94 Vgl. oben Rz. 14.37. Zu den Nachweisanforderungen für die Ausländereigenschaft s. BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017, BStBl. I 2016, 85 Rz. 314. 95 S. hierzu ausführlich Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35. 96 Fresenius SE & Co. KGaA, Eigenkapital-neutrale Wandelanleihe 2017–2024 (ISIN DE000A1YC3T6) und TAG Immobilien AG, Wandelanleihe 2017–2022 (WKN A2GS3Y). 97 Vgl. Infineon 4,25 % Wandelanleihe 2002–2007 (ISIN XS0141505957); EnBW-Anleihe von 2001 (ISIN DE0006332752); Metro 0 % Wandelanleihe 1998–2013 (ISIN DE0002486008); Karstadt, 4,5 %. Convertible Notes von 2005 (ISIN 000A0DH5H7); Heidelberger Druckmaschinen 0,875 % Convertible Notes von 2005 (ISIN XS0212139181; MTU Aero Engines, 2,75 % Convertible Bonds von 2007 (ISIN DE000A0G5NW4); Q-Cells, 1,375 % Convertible Bonds von 2007 (ISIN DE000A0LMY64); Air Berlin, 1,5 % Convertible Bonds von 2007 (ISIN DE000A0NQ9H6); Bayer Capital Corp. B.V., 5,625 % Pflichtwandelanleihe 2016-2019 (ISIN DE000A189FZ7). 98 Zu den Einzelheiten der Konstruktion und den gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen s. Rz. 11.7, 11.51 ff., Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 62; ausführlich Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 41 ff., 234 ff.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
Die Emission über eine Auslandstochter hat aus der Sicht des Kapitalmarkts verschiedene Vorteile99. Daneben kann die Emission über eine Auslandstochter bei einer internationalen Platzierung der Wandelanleihe erforderlich sein, um von internationalen Investoren regelmäßig nicht akzeptierte steuerliche Nachteile zu vermeiden100. Zinszahlungen auf Wandelanleihen eines inländischen Emittenten können der 25 %igen Kapitalertragsteuer unterliegen (Rz. 14.40 f.). Zwar soll nach zutreffender Ansicht die Abzugsverpflichtung für Zinszahlungen an Steuerausländer entfallen, wenn die Wandelanleihe in einer Sammelurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieft ist (Rz. 14.37, 14.40), jedoch steht eine abschließende Stellungnahme der Finanzverwaltung noch aus. Weiter sehen die meisten deutschen Doppelbesteuerungsabkommen eine Erstattung der Kapitalertragsteuer vor. Es scheuen sich jedoch viele internationale Investoren das mühsame und langwierige Erstattungsverfahren durchzuführen (Rz. 10.70). Sie sind daher am Erwerb von Papieren, deren Erträge einer Quellensteuer unterliegen, nicht oder nur zu ungünstigeren Konditionen interessiert101. Daher ist der Sitzstaat der Auslandstochter so zu wählen, dass dort keine Quellensteuer anfällt. Ob sich die Emission über eine Auslandstochter für den Emittenten lohnt, ist im Einzelfall zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind hier: Besteht bereits eine Auslandstochter? Würde die deutsche Kapitalertragsteuer für den in Aussicht genommenen Investorenkreis eine substanzielle Belastung darstellen? Wie hoch sind der Kupon und das Emissionsvolumen und wie hoch wäre folglich die bei einer Inlandsemission anfallende deutsche Kapitalertragsteuer? Welche zusätzlichen Kosten entstehen?
14.43
a) Bilanzierung bei der Muttergesellschaft Die IFRS haben für deutsche Emittenten regelmäßig nur für den Konzernabschluss Bedeutung. Die Emission über eine Auslandstocher ist im Konzernabschluss zu konsolidieren. Sie führt daher nicht zu einer gegenüber einer Direktemission der Muttergesellschaft abweichenden Darstellung im IFRS-Abschluss102. Für die Handelsbilanz der Muttergesellschaft ergeben sich durch die Einschaltung der Auslandstochter nur geringe Abweichungen. Ähnlich wie bei der unmittelbaren Emission ist das von der Auslandstochter erhaltene Darlehen mit dem Erfüllungsbetrag zu passivieren. Daneben räumt in der Praxis die deutsche Muttergesellschaft den Anleihegläubigern das Wandlungsrecht unmittelbar ein103. Der auf dieses entfallende Teil des Emissionserlöses ist wie bei der Direktemission in die Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB einzustellen104. Da der auf die Anleihekomponente entfallende Teil des Emissionserlöses hinter dem Erfüllungsbetrag des Darlehens zurückbleibt, darf die Differenz als Disagio in den aktiven Rechnungsabgrenzungsposten105 der Muttergesellschaft eingestellt werden (§ 250 Abs. 3 HGB). Dieser ist zeitanteilig über die Laufzeit aufzulösen.
14.44
Die Steuerbilanz der Muttergesellschaft folgt auch hier der Handelsbilanz mit dem Unterschied, dass das Disagio zwingend zu aktivieren ist und nicht sofort als Aufwand behandelt werden darf106.
14.45
99 100 101 102 103 104 105
Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 41; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 61. Rz. 10.70; Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 61; Stadler in Bürgers/Körber, AktG, § 221 Rz. 10. Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 40. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 431; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 334. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 42 f. Zur Ermittlung des auf das Wandlungsrechts entfallenden Betrags s. Rz. 14.12. Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 738; zur Höhe des Rechnungsabgrenzungspostens vgl. Rz. 14.12. 106 BFH v. 21.4.1988 – IV R 47/85, BStBl. II 1989, 722, 726.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
b) Steuerliche Besonderheiten bei der Muttergesellschaft
14.46 Bei der Strukturierung einer Emission über eine Auslandstochter sind bestimmte steuer-
liche Rahmenbedingungen zu beachten. Die Auslandstochter muss so mit Sachmitteln und Personal ausgestattet werden, dass sie die ihr obliegenden Geschäfte führen kann107. Diese müssen auch tatsächlich vom ausländischen Sitzstaat aus geführt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Finanzverwaltung annimmt, die Tochtergesellschaft sei eine sog. Basisgesellschaft und für Steuerzwecke sei von einer Direktemission der Muttergesellschaft auszugehen, oder die Auslandstochter sei zwar anzuerkennen, sei aber unbeschränkt steuerpflichtig, weil sich die Geschäftsleitung im Inland befinde. In beiden Fällen würden zumindest die laufenden Zinszahlungen der deutschen Kapitalertragsteuer unterliegen (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Bei einer Auslandstochter mit Geschäftsleitung im Inland würde u.U. zusätzlich Gewerbesteuer auf 25 % der von der Tochter gezahlten Zinsen anfallen108. Dies hätte eine erhebliche Verteuerung der Finanzierung gegenüber einer Direktemission zur Folge.
14.47 Daneben stellen sich Fragen der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG109.
Für ihre Einschaltung erhält die Auslandstochter regelmäßig eine Zinsmarge, die im Sitzstaat besteuert wird. Beträgt die ausländische Steuer auf die Zinsmarge weniger als 25 %, so können die Zinsen als sog. passive Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung bei der deutschen Muttergesellschaft unterliegen, es sei denn, die Muttergesellschaft weist nach, dass die Auslandstochter einer aktiven Finanzierungstätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG nachgeht. Eine Hinzurechnungsbesteuerung scheidet jedoch aus, wenn die Tochtergesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist und die Muttergesellschaft nachweist, dass die Tochtergesellschaft in diesem Staat einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht und daraus zu fremdüblichen Bedingungen Zinseinkünfte erzielt hat (§ 8 Abs. 2 AStG). Eine etwaige Hinzurechnungsbesteuerung würde im Ergebnis dazu führen, dass die von der Auslandstochter erzielte Zinsmarge bei der Mutter besteuert wird110. Im Ergebnis hat die Mutter dann steuerlich den gleichen Zinsaufwand wie bei einer Direktemission.
14.48 Die Höhe der Zinsmarge, die bei der Auslandstochter anfällt, ist regelmäßig vom Steuer-
recht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft vorgegeben. Ähnlich wie das deutsche Steuerrecht geht etwa das niederländische Steuerrecht davon aus, dass eine Kapitalgesellschaft regelmäßig mit Gewinnerzielungsabsicht tätig wird und mit ihr verbundenen Unternehmen Dienstleistungen (hier die Darlehensgewährung) nur erbringt, wenn sie etwas daran verdient. Die danach notwendige Zinsmarge hängt nicht zuletzt vom Betrag des Darlehens und damit vom Emissionsvolumen ab. Die vormalige niederländische Verwaltungspraxis, nach der in den Niederlanden pauschal eine Zinsmarge von 1/ 8 % zu versteuern war111, besteht nicht mehr. Vielmehr ist die angemessene Zinsmarge jetzt anhand der Umstände
107 Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 42. 108 Vgl. Oho/Behrens, IStR 1996, 313, 317 f. Die Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) sollte bei der Auslandstocher mit Geschäftsleitung im Inland hingegen keine Auswirkungen haben, wenn die Tochtergesellschaft neben der Emission der Wandelanleihe keiner sonstigen Geschäftstätigkeit nachgeht, da sich bei ihr dann kein Schuldzinsüberhang ergibt. 109 Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 44. 110 Die Zinsschranke findet bei der Ermittlung der hinzurechnungspflichtigen Einkünfte der Tochtergesellschaft keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 4 AStG) (Rz. 19.48). 111 S. dazu Ebenroth/Neiß, BB 1990, 145, 146 m.w.N.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
des Einzelfalls anhand einer Verrechnungspreisstudie zu ermitteln. Eine so ermittelte Zinsmarge sollte in Deutschland regelmäßig anzuerkennen sein112. Gibt die deutsche Muttergesellschaft gegenüber den Anleihegläubigern eine Garantie ab, wird sie ihrer Auslandstochter regelmäßig keine Avalprovision in Rechnung stellen müssen113. Die Tochtergesellschaft wird als Finanzierungsgesellschaft nur mit einem sehr geringen Eigenkapital ausgestattet. Ohne entsprechende Unterstützung der Muttergesellschaft wäre sie daher nicht in der Lage, die Anleihe am Kapitalmarkt zu platzieren. In einer solchen Situation scheidet die Berechnung einer Avalprovision durch den Gesellschafter aus. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Garantie aus Gründen des Gesellschaftsverhältnisses gewährt wird114. Auch nach § 1 Abs. 5 AStG sollte die Muttergesellschaft aus steuerlicher Sicht nicht verpflichtet sein, der Auslandstochter eine Avalprovision in Rechnung zu stellen115. Bei der Emission einer Wandelanleihe über eine Auslandstochter kommt ein Weiteres hinzu: Zur Sicherung des Rückzahlungsanspruchs werden den Anleihegläubigern die Ansprüche aus dem Darlehen der Auslandstochter an die Muttergesellschaft abgetreten. Die zusätzliche Garantie der Muttergesellschaft führt damit wirtschaftlich zu keiner Verbesserung der Bonität der Anleihe, die ein Entgelt rechtfertigen könnte.
14.49
c) Steuerliche Besonderheiten beim Anleger Für den Anleger unterscheidet sich die über eine Auslandstochter emittierte Wandelanleihe von einer direkten Emission steuerlich nur insoweit, als dass keine deutsche Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG zu erheben ist. Diese Vorschrift findet nur auf Wandelanleihen inländischer Emittenten Anwendung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 EStG)116. Zinszahlungen auf die über eine ausländische Tochter emittierte Wandelanleihe unterliegen der Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a EStG117. Wird die Anleihe also von einem Steuerinländer gehalten und in einem inländischen Depot verwahrt, so hat das Depot führende Kreditinstitut Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer) zu erheben. Gehört die Anleihe einem Steuerausländer oder wird sie nicht in einem Depot bei einem inländischen Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsunternehmen verwahrt, so fällt auf die Zinsen grundsätzlich keine deutsche Kapitalertragsteuer an. Der Kapitalertragsteuer unterliegen zunächst die laufenden Zinszahlungen. Da auch die über eine Auslandstochter begebene Wandelanleihe 112 Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 40 f.; nach Ditz in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2227 sind bei der Kostenaufschlagsmethode heute Zinsmargen von 0,2 %–0,5 %-Punkten als angemessen anzusehen, soweit nicht ein durchgeleiteter Kredit vorliegt. 113 Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 41 f.; Ammelung, IStR 2003, 250, 251. 114 BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BVH/NV 2009, 123; Ditz in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2317 ff.; a.A. noch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 (Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.2 Nr. 1. 115 Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476, 478 f.; Ditz in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2317 ff. Zumindest bei einer Finanzierungstochter im EU-Ausland dürfte eine Einkommenskorrektur bei der deutschen Muttergesellschaft nach Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) ausgeschlossen sein (vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720), ebenso Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35, 42. 116 Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. D 5. 117 Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. D 5a; a.A. Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 155.
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14.50
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
eine „echte“ Wandelanleihe i.S.d. § 221 AktG ist118, ist die Wandlung der Anleihe in Aktien kein steuerpflichtiger Vorgang und unterliegt nicht der Kapitalertragsteuer. Der Anleger übt mit der Wandlung nur die ihm eingeräumte Ersetzungsbefugnis aus (Rz. 14.22, 14.34, 14.36). Bei der Veräußerung der Wandelanleihe unterliegen Stückzinsen und Veräußerungsgewinne der Abgeltungsteuer von 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer), wenn die Anleihe von einem Steuerinländer veräußert wird, der sie in einem inländischen Depot hält (§§ 43 Abs. 1 Nr. 10, 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG)119.
14.51 Wird die Anleihe von einem Investmentfonds gehalten, so gelten die obigen Ausführun-
gen zur Inlandsemission (Rz. 14.38 f.) im Wesentlichen entsprechend. Auch hier fällt im Ergebnis auf Fondsebene keine Steuer an, weil es sich bei den Erträgen aus der ausländischen Wandelanleihe nicht um steuerpflichtige Einkünfte i.S.d. § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a (2. Halbsatz) EStG handelt.
III. Pflichtwandelanleihe (mandatory convertible bond) 14.52 Besonders im angelsächsischen Ausland (mandatory convertible bonds), aber auch in
Frankreich (obligation remboursable par action, ORA) sind Pflichtwandelanleihen weit verbreitet. Auch in Deutschland erfreuen sie sich zunehmender Beliebtheit120. Anders als bei der klassischen Wandelanleihe (im Folgenden Wandelanleihe) hat bei der Pflichtwandelanleihe nicht der Anleihegläubiger das Wandlungsrecht, sondern es besteht ein Wandlungsrecht des Emittenten. Dieser kann die Anleihe also statt durch Barzahlung auch durch die Lieferung von Aktien erfüllen. Gesellschaftsrechtlich handelt es sich auch bei der Pflichtwandelanleihe um eine Wandelanleihe i.S.d. § 221 AktG121.
14.53 Bei den Pflichtwandelanleihen ist nach der Art des Wandlungsrechts zu unterscheiden. Es
gibt Pflichtwandelanleihen, bei denen nur der Emittent ein Wandlungsrecht hat (Pflichtwandelanleihe mit Emittententilgungswahlrecht), und solche, bei denen Anleger und Emittent die Wandlung verlangen können (klassische Pflichtwandelanleihe). Schließlich gibt es Pflichtwandelanleihen, bei denen das Wandlungsrecht des Emittenten unter einer Bedingung steht und nur bei deren Eintritt ausgeübt werden kann.
14.54 In der Praxis sind Pflichtwandelanleihen zum einen bei großen Unternehmensübernahmen zu beobachten122. Der Erwerber muss sich hier oft erheblich verschulden, um den Kaufpreis bezahlen zu können. Zur Absicherung der Finanzierung werden daher auch
118 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 41 ff. 119 Zu Steuerausländern s. Rz. 14.41; zur Rechtslage für vor dem 1.1.2009 erworbene Wandelanleihen vgl. § 13 Rz. 45 der 2. Aufl. 120 Zu nennen sind hier Daimler-Benz AG, Nachrangige 5 3/4 % Pflichtwandelanleihe 1997–2002 (ISIN DE0003503405); Deutsche Telekom International Finance B.V., 6 1/ 2 % Mandatory Convertible Bonds 2003–2006 (ISIN XS0163752842); Bayer Capital Corporation B.V., 6,625 % Mandatory Convertible Bonds 2006–2009 (ISIN DE000A0GQN60); Bayer Capital Corp. B.V., 5,625 % Pflichtwandelanleihe 2016-2019 (ISIN DE000A189FZ7). 121 Dies wurde durch das Gesetz zur Änderung des Aktienrechts v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565, klargestellt, durch das in §§ 192 Abs. 1, 221 Abs. 1 Satz 1 AktG nun neben dem Wandlungsrecht der Anleihegläubiger auch das Recht der Gesellschaft zum Umtausch der Anleihe in Aktien ausdrücklich erwähnt wird. Zur Konstruktion der Pflichtwandelanleihe vor der Gesetzesänderung s. § 12 Rz. 63 der 3. Aufl. m.w.N und Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52. 122 Z.B. Bayer Capital Corp. B.V., 5,625 % Pflichtwandelanleihe 2016-2019 (ISIN DE000A189FZ7) zur Finanzierung der Übernahme von Monsanto
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Pflichtwandelanleihen eingesetzt, die in eigenen Aktien getilgt werden können. Der Emittent kann eine Rückzahlung in bar also vermeiden. Das bietet neben bilanziellen Vorteilen auch Vorteile beim Rating der übrigen Akquisitionsfinanzierung. Zum anderen kommen Pflichtwandelanleihen bei Banken als Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals (Additional Tier 1) in Form von Contingent Convertible Bonds (CoCoBonds) zum Einsatz (Rz. 11.9 ff.). Diese nachrangigen Pflichtwandelanleihen sind bei Eintritt eines aufsichtsrechtlichen Krisenereignisses (z.B. Unterschreiten einer bestimmten Eigenmittelquote) zwingend in Stammaktien der emittierenden Bank umzuwandeln123. Die Ausgestaltung dieser Instrumente wird in erster Linie vom Bankaufsichtsrecht vorgegeben124. CoCo-Bonds dürfen danach keinen Rückzahlungstermin haben. Sie müssen also ewig laufen (perpetual bonds). Ferner müssen die Zinszahlungen im Ermessen des Emittenten stehen und auf Weisung der Aufsichtsbehörde ausgesetzt werden125.
14.55
1. Handelsbilanzielle Behandlung a) Behandlung beim Emittenten aa) IFRS Für die Einordnung der Pflichtwandelanleihe bei Emission ist entscheidend, ob und inwieweit sie zum Abfluss finanzieller Vermögensmittel beim Emittenten führen kann. Soweit das nicht der Fall ist, kommt eine Erfassung als Eigenkapital in Betracht. Allerdings stellen die IFRS strenge Anforderungen an einen Eigenkapitalausweis. So ist etwa erforderlich, dass der Umtausch der Pflichtwandelanleihe in eine bei Emission festgelegte Anzahl von Aktien des Emittenten erfolgen muss (IAS 32.16(b)(ii))126. Auch wenn die Anzahl der bei Wandlung zu liefernden Aktien ausschließlich vom Aktienkurs des Emittenten abhängt, sind die Voraussetzungen für den Eigenkapitalausweis nicht erfüllt (IAS 32.AG27 (d)). Das gleiche gilt, wenn die Pflicht des Anlegers, anstelle der Rückzahlung in Geld Aktien des Emittenten zu akzeptieren, unter einer Bedingung steht (IAS 32.25), wie dies z.B. bei CoCo-Bonds der Fall ist. Diese werden nur bei Eintritt eines aufsichtsrechtlichen Ereignisses in Aktien des Emittenten umgewandelt. Daher kommt eine Einordnung als Eigenkapital nach IFRS erst nach Bedingungseintritt in Betracht. Anders kann es liegen, wenn nicht nur das Recht des Anlegers, sondern auch das des Emittenten ausgeschlossen ist, die Pflichtwandelanleihe zu kündigen. Dann kommt es darauf an, ob die Pflichtwandlung überwiegend wahrscheinlich ist127. Auch bei einer als Eigenkapital einzuordnenden Pflichtwandelanleihe sind die dem Anleger zugesagten Zinsen für die Dauer der Laufzeit als Fremdkapital auszuweisen, da insoweit eine Verpflichtung des Emittenten besteht, dem Anleger flüssige Mittel zu liefern (IAS 32.11 „Finanzielle Verbindlichkeiten“ (a)(i)). 123 Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48; Haisch, RdF 2012, 174. 124 S. insbes. Art. 52 (1) CRR (Capital Requirements Regulation, Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/ 2012, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 1). 125 S. zu den Einzelheiten Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48; Haisch, RdF 2012, 174; Rennings, RdF 2014, 221; Nodoushani, ZBB 2011, 143; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 1 SchVG Rz. 39; Fest in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 221 AktG Rz. 173 ff. 126 Burckhardt-Böck, IRZ 2017, 61, 62; Hinze/Menk/Mies, ZBB 2017, 95, 106. 127 Hinze/Menk/Mies, ZBB 2017, 95, 106 f. m.w.N.
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14.56
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
14.57 Bei der Folgebewertung hat der Emittent die bei Emission ermittelten Komponenten einzeln zu bewerten. Wertänderungen sind unmittelbar im Eigenkapital abzubilden, wenn sie die Eigenkapitalkomponente betreffen. Wertänderungen der Fremdkapitalkomponente sind über die Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.7 ff.) entsprechend. bb) HGB
14.58 Bei der Bilanzierung nach HGB stellt sich zunächst die Frage, wie die Pflichtwandelanleihe
wirtschaftlich zu verstehen ist. Auch die Pflichtwandelanleihe ist ein zusammengesetztes Finanzinstrument. Wenn sowohl der Emittent als auch der Anleger die Wandlung verlangen können, wird die Wandlung spätestens am Ende der Laufzeit erklärt, weil sie für eine der Parteien wirtschaftlich vorteilhaft ist. Eine solche klassische Pflichtwandelanleihe besteht dann aus einer „nackten“ Anleihe und einem (synthetischen) Terminverkauf (forward sale) der Aktien des Emittenten128. Anders liegt es hingegen, wenn nur der Emittent die Wandlung verlangen kann. Dann ist die Pflichtwandelanleihe als „nackte“ Anleihe verbunden mit einer Verkaufsoption (put option) des Emittenten zu verstehen129. Ähnliches gilt für bedingte Pflichtwandelanleihen wie CoCo-Bonds, bei denen der Emittent die Verkaufsoption erst nach Bedingungseintritt erwirbt.
14.59 Bei einer klassischen Pflichtwandelanleihe, bei der Anleger und Emittent die Wandlung
verlangen können, ist das überlassene Kapital beim Emittenten insgesamt als Fremdkapital zu passivieren130. Obwohl der Umtausch der Anleihe in Aktien von Anfang an feststeht, liegt im Emissionszeitpunkt noch keine Eigenkapitalzuführung vor. Dem Anleihegläubiger stehen bis zur Wandlung keine Gesellschafterrechte zu. Diese erhält er erst bei Ausgabe der Aktien nach Ausübung des Wandlungsrechts. Bei den in Deutschland bislang emittierten Pflichtwandelanleihen fällt zudem auf, dass diese für bestimmte Fälle eine Rückzahlung vorsehen, etwa für den Fall des Zahlungsverzugs, der Insolvenz oder der Liquidation des Emittenten131. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen hat das bei Emission zugeführte
128 Man könnte auch annehmen, dass es sich um eine Verbindung einer Anleihe mit einer Kaufoption des Investors und einer Verkaufsoption des Emittenten handele (so Niedling, RdF 2016, 49, 50 für den Fall einer Pflichtwandelanleihe mit variablem Umtauschverhältnis (call spread)). Bei wirtschaftlicher Betrachtung liegt in dieser Konstellation aber gerade ein synthetisches Termingeschäft vor. Eine gesonderte oder zusammengefasste Erfassung der gegenläufigen Optionen scheidet daher aus (Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung v. 5.2.2003, S. 13; Häuselmann, BB 2000, 139, 145 f.; Häuselmann, BB 2003, 1531, 1534 f.; a.A. Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 267 ff.; Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 741). 129 Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 381. 130 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 265; Häuselmann, BB 2003, 1531, 1532; Niedling, RdF 2016, 49, 52; Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung v. 5.2.2003, S. 13. Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729, 741 wollen den Emissionserlös hingegen in einen Sonderposten „zum Erwerb einer Pflichtwandelanleihe geleistete Einlagen“ zwischen Eigenkapital und Rücklagen ausweisen. Die Behandlung als Einlage erscheint zumindest dann nicht zwingend, wenn bei Zahlungsverzug oder im Insolvenzfall eine Rückzahlung in Geld vorgegeben ist. 131 Vgl. § 14 der Anleihebedingungen der nachrangigen Daimler-Benz AG 5 3/4 % Pflichtwandelanleihe 1997–2002 (ISIN DE0003503450), Prospekt S. 18 und § 15 der Anleihebedingungen der Deutsche Telekom International Finance B.V., 6 1/2 % Mandatory Convertible Bonds 2003–2006 (ISIN XS0163752842), Prospekt S. 113; § 9 der Anleihebedingungen der Bayer Capital Corporation B.V., 6,625 % Mandatory Convertible Bonds 2006–2009 (ISIN DE000A0GQN60), Prospekt S. 63.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
Kapital keinen Eigenkapitalcharakter. Für das Eigenkapital ist kennzeichnend, dass es im Fall von Zahlungsschwierigkeiten im Unternehmen verbleibt und der Befriedigung der Gläubiger dient132. Überdies wird vertreten, dass eine Pflichtwandelanleihe selbst dann als Fremdkapital anzusehen sei, wenn die Pflichtwandlung auch für den Fall der Insolvenz des Emittenten vorgesehen ist. Gerade hieraus werde deutlich, dass bis zur Insolvenz eine Gläubigerstellung bestehe133. Da bei der klassischen Pflichtwandelanleihe sowohl Anleger als auch Emittent ein Wandlungsrecht haben, liegt hinsichtlich der zu liefernden Aktien ein synthetischer Terminverkauf vor. Dieser ist als schwebendes Geschäft nicht zu bilanzieren. In der Handelsbilanz des Emittenten sind daher lediglich der Emissionserlös und der Erfüllungsbetrag (Nennwert) der Anleihe einzubuchen. Das sollte auch dann gelten, wenn ein variables Wandlungsverhältnis vereinbart wurde, die Anzahl der zu liefernden Aktien also von deren Börsenkurs abhängt134. Nur soweit die Anleihe unter oder über pari begeben wurde, kommt die Einbuchung eines aktiven oder passiven Rechnungsabgrenzungspostens in Betracht, der ratierlich aufzulösen ist. Eine Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB ist jedoch nicht zu bilden, da der Emittent hier wegen des synthetischen Terminverkaufs kein Wandlungs- oder Optionsrecht veräußert. Die laufenden Zinszahlungen sind, auch soweit sie den marktüblichen Zins einer „nackten“ Anleihe übersteigen, als Aufwand zu verbuchen135. Bei Ausübung des Wandlungsrechts wird die gesamte passivierte Verbindlichkeit nach Verrechnung mit einem ggf. noch verbliebenen Rechnungsabgrenzungsposten dem Eigenkapital gutgebracht. Wie bei der Wandelanleihe (Rz. 14.14) wird der geringste Ausgabebetrag der Aktien (§ 9 Abs. 1 AktG) dem Grundkapital zugeschrieben. Der Rest ist in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen. Unerheblich ist insoweit, ob der Marktwert der Anleihe im Zeitpunkt der Wandlung über oder unter der Summe dieser Bilanzpositionen des Emittenten liegt. Es liegt keine Sacheinlage der Anleihe, sondern eine zeitlich gestreckte Bareinlage vor. Einlagegegenstand ist die Barzahlung, die der Anleger bei der ursprünglichen Emission geleistet hat (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AktG)136. 132 Vgl. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff. zur bilanziellen Behandlung von Genussrechten. Danach können Kapitalzuführungen ohne Ausgabe von Gesellschaftsanteilen nur dann als Eigenkapital angesehen werden, wenn das Kapital langfristig und nachrangig zur Verfügung gestellt wird, der Kapitalgeber eine erfolgsabhängige Vergütung bezieht und in voller Höhe am Verlust teilnimmt. 133 Häuselmann, BB 2003, 1531, 1533; kritisch dazu Bader, AG 2014, 472, 479 f., der sich für einen Ausweis der Pflichtwandelanleihe als Eigenkapital ausspricht. 134 Zwar ist es zutreffend, dass ein variables Wandlungsverhältnis auch als synthetischer call spread verstanden werden kann (Niedling, RdF 2016, 49, 50 f.), gleichwohl steht bei einem beidseitigen Wandlungsrecht auch hier fest, dass am Ende der Anleger oder der Emittent wandeln wird und sich die Pflichtwandelanleihe in Eigenkapital des Emittenten umwandelt. Daher erscheint es zweifelhaft, ob für den Emittenten mit dem synthetischen call spread ein, erhöhtes oder zusätzliches Risiko i.S.v. IDW HFA RS 22 Tz. 10, 15, verbunden ist, das Grund für eine getrennte Bilanzierung sein könnte. 135 Häuselmann, BB 2003, 1531, 1535; Schlitt/Mihm, Börsen-Zeitung v. 5.2.2003, S. 13. 136 Bader, AG 2014, 472, 482 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 230; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 444; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 284; kritisch Fuchs in MünchKomm. AktG, § 194 Rz. 5a; durch die Änderung der §§ 192 Abs. 2 Nr. 1, 221 Abs. 1 Nr. 1 AktG im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 (Gesetz zur Änderung des Aktienrechts v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565) ist allerdings klargestellt, dass § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auch bei sämtlichen Pflichtwandelanleihen anzuwenden ist (Ihrig/Wandt, AG 2016, 6, 16 m.w.N., Stöber, DStR 2016, 611, 614).
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14.60
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
14.61 Bei der Pflichtwandelanleihe mit Emittententilgungswahlrecht kann nur der Emittent
die Wandlung verlangen und erwirbt bei Ausgabe der Pflichtwandelanleihe eine Verkaufsoption (long put), die er zu aktivieren hat. Daneben ist die Rückzahlungsverpflichtung aus der Anleihekomponente in Höhe des Rückzahlungsbetrags zu passivieren. Die Optionsprämie für die Verkaufsoption entrichtet der Emittent regelmäßig, indem er einen Zins zusagt, der über dem für eine Anleihe ohne Wandlungsrecht liegt. Der Barwert dieses Mehrzinses ist passiv über die Laufzeit der Pflichtwandelanleihe abzugrenzen137. Auch hier kann zunächst keine Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB gebildet werden. Der Anleger verkauft dem Emittenten eine Verkaufsoption. Der Anleger erwirbt kein Wandlungs- oder Optionsrecht, für das er etwas zahlen würde. Der Emittent hat hier daher nur den Zinsaufwand, den er auf eine Anleihe ohne Emittententilgungswahlrecht zu zahlen hätte (tatsächliche Zinszahlungen abzüglich der ratierlichen Auflösung des Abgrenzungspostens). Wertänderungen der separat bilanzierten Verkaufsoption können zur Abschreibung des Optionsrechts führen (§§ 253 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 HGB), etwa bei einem steigenden Aktienkurs. Übt der Emittent das Wandlungsrecht aus, so ist der Rückzahlungsbetrag der Anleihe zuzüglich eines ggf. noch ausgewiesenen Abgrenzungspostens abzüglich des Buchwerts der aktivierten Verkaufsoption in die Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen, soweit diese Summe den geringsten Ausgabebetrag der Aktien (§ 9 Abs. 1 AktG) übersteigt. Auf den Marktwert der Pflichtwandelanleihe im Zeitpunkt der Wandlung kommt es nach § 194 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht an (Rz. 14.60).
14.62 Bei der bedingten Pflichtwandelanleihe ist wie vorstehend beschrieben zu bilanzieren.
Auch insoweit liegt bis zur Wandlung Fremdkapital vor138. Hier kann allerdings die Bewertung der vom Emittenten erworbenen Verkaufsoption schwierig sein, da diese unter einer Bedingung steht. So ist etwa bei einem CoCo-Bond schwierig einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein aufsichtsrechtliches Auslöseereignis für die Pflichtwandlung eintritt. Allerdings wird es häufig möglich sein, den Zinssatz für (nachrangige) Anleihen des Emittenten ohne Wandlungspflicht zu ermitteln. Dann kann aus dem für den CoCoBond bis zum erwarteten Rückkaufstermin zu zahlenden Mehrzins abgeleitet werden, wie der Markt die implizite bedingte Verkaufsoption bewertet. Hier dürften sich regelmäßig nur sehr geringe Optionsprämien ergeben, weil eine Emission von CoCo-Bonds voraussetzt, dass die Anleger gerade nicht mit dem Eintritt eines Auslöseereignisses rechnen. Bei der Folgebewertung kann die aktuelle Marktrendite der Anleihe herangezogen werden, um den Wert der bedingten Verkaufsoption zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der bedingten Verkaufsoption regelmäßig um ein nicht abnutzbares Anlagevermögen des Emittenten handelt, das nur bei einer dauerhaften Wertminderung abgeschrieben werden muss (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB). Bei Eintritt des Auslöseereignisses wandelt sich die Anleiheverbindlichkeit unabhängig vom Marktwert der Pflichtwandelanleihe in Eigenkapital um (Rz. 14.60 f.) b) Behandlung beim Anleger
14.63 In der Handelsbilanz des Anlegers ist die klassische Pflichtwandelanleihe als einheitlicher
Vermögensgegenstand zu behandeln. Eine Aufgliederung in eine „nackte“ Anleihe und
137 IDW RS HFA 22, Tz. 20. 138 BMF v. 10.4.2014 – IV C 2 - S 2742/12/10003 :002, BeckVerw 295609, https://bankenverband.de/ media/uploads/2016/11/02/bmf-schreiben-10-04-2014.pdf; Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48, 53; Rennings, RdF 2014, 221, 223 f.
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zwei gegenläufige Optionen ist auch nach IDW RS HFA 22 nicht möglich. Die gedachten gegenläufigen Optionen stellen bei wirtschaftlicher Betrachtung ein synthetisches Termingeschäft dar, das als schwebendes Geschäft nicht bilanzierungsfähig ist (Rz. 14.60). Das sollte auch dann gelten, wenn die Anzahl der zu liefernden Aktien innerhalb einer bestimmten Bandbreite schwanken kann139. Fällt der Kurs der Pflichtwandelanleihe, so hat der Anleger diese ergebniswirksam abzuschreiben, wenn die Wertminderung dauerhaft ist oder er sie im Umlaufvermögen hält (§ 253 Abs. 3 Satz 5 und 6, Abs. 4 HGB). Die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus dem synthetischen Terminverkauf ist demgegenüber ausgeschlossen. Bei späteren Wertsteigerungen muss eine Wertaufholung bis zu den Anschaffungskosten erfolgen (§ 253 Abs. 5 Satz 1 HGB). Bei der Pflichtwandelanleihe mit Emittententilgungswahlrecht gewährt der Anleger dem Emittenten ein Darlehen und verkauft ihm eine Verkaufsoption (short put). Es handelt sich also um ein zusammengesetztes Finanzinstrument i.S.d. IDW RS HFA 22. Anders als bei der Wandelanleihe hat der Anleger auch keinen Kapitalschutz. Eine einheitliche Bilanzierung ist also nur möglich, wenn die Pflichtwandelanleihe bei Notierung auf einem aktiven Markt zu Anschaffungskosten oder dem niedrigeren Marktwert bilanziert wird oder zu Handelszwecken erworben wurde140. Ansonsten sind die Komponenten der Pflichtwandelanleihe getrennt zu bilanzieren. Für das dem Emittenten eingeräumte Wandlungsrecht erhält der Anleger eine Optionsprämie, die regelmäßig in Form höherer Zinsen über die Laufzeit vergütet wird. Der Barwert des vereinbarten Mehrzinses ist aktiv über eine sonstige Forderung abzugrenzen und in gleicher Höhe für die verkaufte Verkaufsoption eine Verbindlichkeit für die übernommene Stillhalterverpflichtung auszuweisen141. Den Rest seiner Anschaffungskosten aktiviert der Anleger auf die Anleihekomponente. Entsprechend ist bei bedingten Pflichtwandelanleihen zu verfahren.
14.64
Im Zeitpunkt der Wandlung ist die Anleihe auszubuchen und die erhaltenen Aktien sind mit dem letzten Buchwert der Anleihe zu aktivieren. Grund für diese Buchwertverknüpfung ist, dass auch bei der Pflichtwandelanleihe im Zeitpunkt der Wandlung kein Tausch der Anleihe gegen Aktien erfolgt, sondern der Emittent bzw. bei der klassischen Pflichtwandelanleihe ggf. der Anleger lediglich seine Ersetzungsbefugnis geltend macht142.
14.65
2. Besteuerung a) Besteuerung des Emittenten Die Steuerbilanz des Emittenten folgt mangels abweichender steuerlicher Bestimmungen der Handelsbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG)143. Die Pflichtwandelanleihe ist mit den Anschaffungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) als Verbindlichkeit einzubuchen, d.h. mit dem Erfüllungsbetrag, der regelmäßig dem Nennbetrag entspricht. Bei der klassischen Pflichtwandelanleihe ist wie in der Handelsbilanz eine Aufteilung des Instruments in Anleihe, Kauf- und Verkaufsoption nicht möglich. Auch bei der Pflichtwandelanleihe mit Emit139 Zur entsprechenden Fragestellung beim Emittenten s. Rz. 14.60 Fn. 134. 140 IDW RS HFA 22, Tz. 14 lit. a und b. 141 BFH v. 18.12.2002 – I R 17/02, BStBl. II 2004, 126; BMF v. 12.1.2004 – IV A 6 - S 2133 - 17/03, BStBl. I 2004, 192. 142 Vgl. Häuselmann, BB 2003, 1531, 1535. 143 S. auch Häuselmann, BB 2003, 1531, 1533.
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14.66
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
tententilgungswahlrecht und der bedingten Pflichtwandelanleihe144 folgt die steuerliche Behandlung der Handelsbilanz (§ 5 Abs. 1 EStG). Der Emittent hat hier also auf der Passivseite neben dem Rückzahlungsbetrag der Anleihe auch einen Abgrenzungsposten für den im Vergleich zu einer Anleihe ohne Pflichtwandlung zu zahlenden Mehrzins auszuweisen und in gleicher Höhe die erworbene Verkaufsoption zu aktivieren (Rz. 14.61). Die laufenden Zinszahlungen ggf. vermindert um die Erträge aus der Auflösung eines passiven Abgrenzungspostens sind in allen Fällen grundsätzlich in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehbar145 (zu möglichen Beschränkungen des Zinsabzugs s. Rz. 14.26). Bei der Wandlung liegt auch steuerlich eine Einlage des Anlegers vor. Fraglich ist aber, ob diese wie in der Handelsbilanz (Rz. 14.60 ff.) mit dem ursprünglichen Emissionserlös angesetzt werden kann. Für Steuerzwecke sind Einlagen grundsätzlich mit dem Teilwert anzusetzen § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 (1. Halbsatz) EStG). Zumindest für CoCo-Bonds will die Finanzverwaltung hier nur den Teilwert der Anleihe steuerlich als Einlage anerkennen. Das hat zur Folge, dass die Differenz zwischen Anleiheverbindlichkeit und Marktwert der Pflichtwandelanleihe im Zeitpunkt der Wandlung beim Emittenten zu einem steuerpflichtigen Ertrag führt146. Diese Regelung übersieht aber die aktienrechtlichen Vorgaben, nach denen auch bei der Pflichtwandelanleihe keine Sacheinlage, sondern eine gestreckte Bareinlage erfolgt147. Die Einlage wird daher bereits bei der Emission in voller Höhe erbracht (Rz. 14.60 ff.). Es ist aber zu erwarten, dass die Finanzverwaltung ihre restriktive Gesetzesauslegung auch bei anderen Pflichtwandelanleihen anwenden wollen wird. b) Besteuerung des Anlegers
14.67 Beim bilanzierenden Anleger folgt die Steuerbilanz ebenfalls der Handelsbilanz. Die klas-
sische Pflichtwandelanleihe ist als einheitliches Wirtschaftsgut zu behandeln. Das gleiche dürfte für die Pflichtwandelanleihe mit Emittententilgungswahlrecht gelten, wenn man mit der Finanzverwaltung entgegen IDW RS HFA 22 eine Aufteilung strukturierter Finanzinstrumente in der Steuerbilanz ablehnt (Rz. 14.31). Teilwertabschreibungen wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung der Anleihe sind steuerlich voll abziehbar. Bei der Anleihe handelt es sich bis zur Wandlung um eine Schuldverschreibung und nicht um einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft. Die Abzugsbeschränkungen nach § 3c Abs. 2 EStG und § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG sind unanwendbar. Aus dem gleichen Grund sind Gewinne oder Verluste aus der Veräußerung der Pflichtwandelanleihe steuerlich in voller Höhe zu berücksichtigen. Da die Pflichtwandelanleihe eine Wandelanleihe i.S.d. § 221 AktG ist und der Anleger bei Wandlung lediglich seine Ersetzungsbefugnis geltend macht, führt die Wandlung nach zutreffender Auffassung nicht zur Realisierung eines steuer-
144 Zur steuerlichen Behandlung von CoCo-Bonds s. BMF v. 10.4.2014 – IV C 2 - S 2742/12/ 10003 :002, BeckVerw 295609, https://bankenverband.de/media/uploads/2016/11/02/bmf-schrei ben-10-04-2014.pdf; Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48, 53; Rennings, RdF 2014, 221, 223 f. 145 Ausführlich dazu Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung, S. 276 ff.; für bestimmte CoCoBonds BMF v. 10.4.2014 – IV C 2 - S 2742/12/10003 :002, BeckVerw 295609, https://banken verband.de/media/uploads/2016/11/02/bmf-schreiben-10-04-2014.pdf. 146 BMF v. 10.4.2014 – IV C 2 - S 2742/12/10003 :002, BeckVerw 295609, https://bankenverband.de/ media/uploads/2016/11/02/bmf-schreiben-10-04-2014.pdf, Tz. 4; zustimmend Rennings, RdF 2014, 221, 226. 147 S. Rz. 14.60 und Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48, 55; Haisch/Renner, RdF 2012, 174, 178; Haisch/Renner, DB 2012, 135, 141; Niedling, RdF 2016, 49, 54.
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pflichtigen Gewinns oder Verlusts148. Die Finanzverwaltung will bei der Besteuerung des Emittenten lediglich eine Einlage in Höhe des Marktwerts der (bedingten) Pflichtwandelanleihe im Zeitpunkt der Wandlung anerkennen (Rz. 14.66). Wenn man dieser Auffassung folgt, ist es aber konsequent, beim Anleger die Differenz zwischen Anschaffungskosten und Marktwert der Pflichtwandelanleihe bei Wandlung als steuerlichen Verlust anzuerkennen. Ein Gewinn aus einer Veräußerung der bei Wandlung ausgegebenen Aktien unterliegt beim einkommensteuerpflichtigen Anleger dem Teileinkünfteverfahren (Steuerbefreiung für 40 % des Veräußerungsgewinns) (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG). Bei einer Körperschaft ist der Gewinn aus der Veräußerung der Aktien grundsätzlich im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (§ 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG). Verluste aus der Veräußerung der Aktien sind bei einkommensteuerpflichtigen Anlegern nur zu 60 % steuerlich abziehbar (§ 3c Abs. 2 Satz 1 EStG) und bei Körperschaften gar nicht (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) abziehbar. Beim Privatanleger wird die Pflichtwandelanleihe ähnlich wie eine Wandelanleihe besteuert. Die laufenden Zinserträge sind bei Zufluss zu versteuern, ebenso die bei einer Veräußerung vereinnahmten Stückzinsen. Bei der Wandlung macht der Anleger oder der Emittent lediglich die ihm eingeräumte Ersetzungsbefugnis geltend. Folglich kommt es bei der Wandlung nicht zur Realisierung eines steuerpflichtigen Gewinns oder Verlusts (§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG). Zur Steuerpflicht von Gewinnen und Verlusten aus der Veräußerung der Anleihe oder der bei Wandlung bezogenen Aktien kann im Übrigen auf die obigen Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.36 f.) verwiesen werden149. Soweit die Pflichtwandelanleihe von einem Investmentfonds gehalten wird, gelten die Ausführungen zur Wandelanleihe entsprechend (Rz. 14.38 f.).
14.68
c) Kapitalertragsteuer Da auch die Pflichtwandelanleihe eine Wandelanleihe i.S.d. § 221 AktG ist, fällt auf die laufenden Zinszahlungen grundsätzlich Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag an (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG) (Rz. 14.40). Die Wandlung unterliegt nicht der Kapitalertragsteuer. Bei Veräußerung von Pflichtwandelanleihen unterliegt der Veräußerungsgewinn der 25 %igen Kapitalertragsteuer, wenn sie für einen Privatanleger in einem inländischen Depot verwahrt werden (vgl. Rz. 14.41). Nach der wohl h.M. in der Literatur fällt bei der Zahlung von Zinsen an Steuerausländer keine Kapitalertragsteuer an, wenn die Pflichtwandelanleihe in einer Globalurkunde oder in Teilschuldverschreibungen verbrieft ist (Rz. 14.37, 14.40). Zumindest für CoCo-Bonds, die nach den BdB-Musterbedingungen emittiert werden, folgt dem auch die Finanzverwaltung150. Ansonsten kann die 25 %ige Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG wie bei der Wandelanleihe zumindest für Steuerausländer vermieden werden, wenn die Emission über eine Auslandstocher erfolgt (s. Rz. 14.43, 14.50, auch zur Kapitalertragsteuer für Steuerinländer in diesem Fall).
148 Böhringer/Mihm/Schaffelhuber/Seiler, RdF 2011, 48, 55; Haisch, RdF 2012, 174, 178; Haisch/ Renner, DB 2012, 135, 141; Häuselmann, BB 2003, 1531, 1535; Niedling, RdF 2016, 49, 54. 149 Zur Rechtslage für vor dem 1.1.2009 erworbene Wandelanleihen vgl. § 13 Rz. 54, 56 der 2. Aufl. 150 BMF v. 10.4.2014, IV C 2 - S 2742/12/10003:002, BeckVerw 295609, https://bankenverband.de/ media/uploads/2016/11/02/bmf-schreiben-10-04-2014.pdf; Rennings, RdF 2014, 221, 227 f.
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14.69
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
IV. Optionsanleihe 14.70 Bei der Optionsanleihe handelt es sich wie bei der Wandelanleihe um ein Fremdkapital-
instrument, das mit dem Recht verbunden ist, Aktien des Emittenten zu erwerben. Im Unterschied zur Wandelanleihe räumen die Anleihebedingungen hier dem Anleger aber nicht das Recht ein, an Stelle der Rückzahlung die Lieferung von Aktien zu verlangen. Vielmehr ist der „nackten“ Anleihe (im Folgenden Anleihe) ein Optionsschein beigefügt, der den Anleger berechtigt, während der Laufzeit der Anleihe Aktien des Emittenten zu einem bestimmten Preis zu erwerben (Rz. 11.3). Anders als das Wandlungsrecht kann der Optionsschein von der Anleihe getrennt veräußert werden. Es handelt sich daher nicht um ein strukturiertes oder zusammengesetztes Finanzinstrument (Rz. 14.1 ff.). Mit der Optionsanleihe werden also zwei Rechtsverhältnisse zwischen Anleger und Emittent begründet, zum einen die Kapitalüberlassung und zum anderen die Kaufoption. Die Ausübung der Rechte aus dem Optionsschein berührt den Fortbestand der Anleihe nicht. Diese ist bei Fälligkeit zurückzuzahlen. Daher ist der Bezugspreis für die Aktien regelmäßig in bar zu entrichten.151
14.71 Während sich Optionsanleihen in den 1980er und den frühen 1990er Jahren großer Be-
liebtheit erfreuten, werden sie inzwischen eher selten emittiert152. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die mit der Optionsanleihe verbundenen Optionsscheine im Wettbewerb zu derivativen Finanzinstrumenten (z.B. covered warrants, Hebelzertifikaten usw.) stehen, die ebenfalls eine überproportionale Teilnahme an Kursänderungen der Aktie bei geringem Kapitaleinsatz ermöglichen, ohne bei der Emission mit einer Anleihe verbunden zu sein.
1. Handelsbilanzielle Behandlung a) Behandlung beim Emittenten
14.72 Auch wenn es sich bei der Optionsanleihe nicht um ein zusammengesetztes Finanzinstru-
ment i.S.d. IFRS 9 (IFRS 9.4.3.1 S. 3) oder ein strukturiertes Finanzinstrument i.S.d. IDW RS HFA 22 (IDW RS HFA 22 Tz. 2 S. 3) handelt, hat der Emittent die Optionsanleihe ähnlich wie eine Wandelanleihe zu bilanzieren153. Der Emittent hat hier zwei separate Wirtschaftsgüter auszuweisen. Einmal die Verbindlichkeit aus der Anleihe und zum anderen das Optionsrecht.
14.73 Für die IFRS-Bilanz stellt sich in erster Linie die Frage, ob der Emittent das Optionsrecht als Eigenkapital bilanzieren kann. Hierfür gelten die Ausführungen zum Wandlungsrecht (Rz. 14.7 ff.) entsprechend. Die Anleihe ist stets als Verbindlichkeit auszuweisen.
14.74 Die Bilanzierung nach HGB erfolgt ebenfalls ähnlich wie bei der Wandelanleihe
(Rz. 14.11 ff.). Der Emissionserlös ist auf die Anleihe und das Optionsrecht aufzuteilen. Die Anleihe ist mit dem Erfüllungsbetrag zu passivieren. Das für die Gewährung des Optionsrechts erzielte Entgelt ist in die Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB einzustellen154. 151 Daneben ist es möglich, dass dem Anleger gestattet wird, bei Optionsausübung den Optionspreis durch Hingabe der Anleihe zu leisten (Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 34). 152 S. etwa die Emission von US$-Optionsanleihen durch die Siemens Financieringsmaatschappij N. V. (ISIN DE000A1G0WA1, DE000A1G0WC7) im Gesamtvolumen von 3 Mrd. US$ im Februar 2012. 153 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 504. 154 Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 183.
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Wenn die Optionsanleihe unterverzinslich (vgl. Rz. 14.6) ist, gehört zu diesem Entgelt auch der Zinsvorteil des Emittenten über die Laufzeit, der zugleich in einem aktiven Rechnungsabgrenzungsposten abgebildet werden kann155. Anders als bei der Wandelanleihe ist insoweit unerheblich, wann das Optionsrecht erstmals ausgeübt werden kann. Denn bei der Optionsanleihe verbleibt der Zinsvorteil dem Emittenten für die gesamte Laufzeit, unabhängig davon, ob der Anleger die Rechte aus dem Optionsschein ausübt156. Wertschwankungen der Aktie während der Laufzeit wirken sich auf die Bilanz des Emittenten nicht aus, auch wenn diesem nach den Anleihebedingungen das Recht eingeräumt sein sollte, die Rechte aus dem Optionsschein statt mit neuen Aktien aus bedingtem Kapital mit eigenen Aktien oder durch Barablösung zu befriedigen (s. dazu ausführlich Rz. 14.16 f. zum insoweit vergleichbaren Fall der Wandelanleihe). Bei Ausübung der Rechte aus dem Optionsschein hat der Anleger anders als bei der Wandelanleihe den Ausübungspreis in bar zu entrichten. Dieser ist beim Emittenten zugunsten des Grundkapitals und, soweit er den geringsten Ausgabebetrag der Aktien (§ 9 Abs. 1 AktG) übersteigt, als Agio (Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB) zu verbuchen157. Bei Ausübung der Option besteht die Anleihe fort. Die Anleiheverbindlichkeit ist ebenso wie ein Rechnungsabgrenzungsposten bis zum Rückzahlungszeitpunkt fortzuführen. Wird die Option nicht ausgeübt, verbleibt das vereinnahmte Optionsentgelt in der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB. b) Behandlung beim Anleger Der nach HGB bilanzierende Anleger erwirbt mit der Optionsanleihe zwei Vermögensgegenstände, nämlich die Anleihe und den Optionsschein. Dies ergibt sich schon daraus, dass beide Instrumente getrennt veräußerbar und daher einzeln zu bewerten sind158. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen (Rz. 14.20 ff.) zur getrennten Bilanzierung einer Wandelanleihe verwiesen werden, da dort ggf. eine im Ergebnis vergleichbare Aufteilung erfolgen muss. Anders als bei der Wandelanleihe erfolgt bei der Optionsanleihe kein Umtausch der Anleihe in Aktien. Der Anleger kann vielmehr gegen Hingabe des Optionsscheins Aktien zu einem festgelegten Kurs beziehen. Hierin liegt keine Ausübung einer Ersetzungsbefugnis wie bei der Wandelanleihe, sondern ein Anschaffungsvorgang. Die empfangenen Aktien sind mit dem für sie bezahlten Kaufpreis (Ausübungspreis des Optionsscheins) zuzüglich des Buchwerts des Optionsscheins zu aktivieren159.
155 BFH v. 30.11.2005 – I R 26/04, BFH/NV 2006, 61; OFD Düsseldorf v. 23.3.2001 – S 2136 A St 11, DB 2001, 1337 und OFD München v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 5 Anm. 1088. 156 Mössner in FS Endres, 2016, S. 265, 268. 157 Winkeljohann/K. Hoffmann in Beck’scher Bilanz-Komm., § 272 HGB Rz. 182. 158 IDW RS HFA 22 ist bei Instrumenten mit rechtlich selbständigen Komponenten, bei denen die einzelnen Komponenten getrennt erworben und verkauft werden können, nicht anwendbar (IDW RS HFA 22 Tz. 2 S. 3, Scharpf in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, Grundlagen der Bilanzierung, Kap. 6 Rz. 861); Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2432). 159 IDW RS BFA 6, Tz. 22; ebenso für die Steuerbilanz OFD Düsseldorf v. 23.3.2001 – S 2136 A St 11, DB 2001, 1337 und OFD München v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628, unter 1d; Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2432.
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14.75
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
2. Besteuerung a) Besteuerung des Emittenten
14.76 Der Emittent hat den auf den Optionsschein entfallenden Teil des Emissionserlöses in das
steuerliche Einlagekonto einzustellen. Er verbleibt dort auch dann, wenn das Optionsrecht nicht ausgeübt wird, es also nicht zu einem Aktienbezug kommt160. Das gilt gleichermaßen für eine Optionsanleihe mit offenen Agio als auch für eine unterverzinsliche Optionsanleihe, bei der der Anleger die Option über einen niedrigeren Zins bezahlt161. Ebenso wie bei der Wandelanleihe (vgl. Rz. 14.29 f.) sollte das Optionsentgelt steuerlich auch dann als Einlage behandelt werden, wenn der Emittent die Rechte aus dem Optionsschein mit eigenen Aktien erfüllt oder den Anspruch auf Lieferung der Aktien durch eine Geldzahlung abfindet. Zum Zinsabzug kann auf die Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.26) verwiesen werden. b) Besteuerung des Anlegers
14.77 Nach der Rechtsprechung162 und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum163 liegt in der
Zeichnung einer Optionsanleihe regelmäßig ein Doppelerwerb. Der Anleger erwirbt mit der Optionsanleihe also zwei Wirtschaftsgüter, die Anleihe und den Optionsschein164. Diese sind getrennt handelbar und daher auch steuerlich separat zu behandeln. Der Zeichnungs- oder Kaufpreis ist auf Anleihe und Optionsschein aufzuteilen165. Dies gilt unabhängig davon, ob die Optionsanleihe über pari, zu pari oder unter pari ausgegeben wurde. Bei einer unterverzinslichen Optionsanleihe wird der Wert des Optionsrechts nicht in voller Höhe als Aufgeld zum Nennbetrag der Anleihe bezahlt, sondern durch einen niedrigeren Zins. Die Anleihe kann hier mit dem Rückzahlungsbetrag angesetzt werden, wenn der Zinsnachteil passiv abgegrenzt wird. Ansonsten unterschreiten die Anschaffungskosten für die Anleihe in diesem Fall den Rückzahlungswert. aa) Bilanzierender Anleger
14.78 Der bilanzierende Anleger hat beim Erwerb der ungetrennten Optionsanleihe den Kaufpreis auf Anleihe und Optionsschein aufzuteilen. Beim Ersterwerb einer normalverzins-
160 BFH v. 30.11.2005 – I R 3/04, BFHE 211, 339 = BStBl. II 2008, 809 und BFH v. 30.11.2005 – I R 26/04, BFH/NV 2006, 616; zum vorher bestehenden Meinungsstreit s. Rz. 14.27 und Fn. 50. 161 BFH v. 30.11.2005 – I R 26/04, BFH/NV 2006, 616; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1088 m.w.N. 162 BFH v. 16.5.2001 – I R 102/00, BStBl. II 2001, 710; BFH v. 1.7.2003 – VIII R 9/02, BStBl. II 2003, 883. 163 Groh, DB 2002, 860 m.w.N.; Harenberg/Irmer, NWB Fach 3, 10221, 10222; Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2432; Knobbe-Keuk, ZGR 1987, 312, 320; Scheurle, DB 1994, 445, 446; Uelner, JbFSt 1986/87, 11, 21; a.A. Arndt/Muhler, DB 1988, 2167, 2170, 2172, die davon ausgehen, der Ersterwerber erwerbe nur die Anleihe und erhalte das Optionsrecht als (bei Zeichnung steuerpflichtiges) Zusatzentgelt. 164 BFH v. 1.7.2003 – VIII R 9/02, BStBl. II 2003, 883, der es bei besonderer Vereinbarung zwischen Anleger und Emittent aber auch für möglich hält, den Optionsschein als Zusatzentgelt anzusehen; s. dazu Groh, DB 2002, 860, 862 und Haisch, DStR 2001, 1968 f. mit Hinweisen zu möglichen Gestaltungen. 165 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 509.; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1088; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 369.
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lichen Optionsanleihe wird dabei auf die Angaben im Emissionsprospekt zurückgegriffen werden können. Ansonsten bietet es sich an, die Anschaffungskosten der Anleihe anhand einschlägiger finanzmathematischer Methoden zu ermitteln. Dabei ist die Verzinsung der Optionsanleihe mit dem Zinssatz zu vergleichen, den der Emittent für eine Anleihe ohne Optionsschein hätte zahlen müssen (Rz. 14.20). Alternativ kommt auch eine Aufteilung anhand des Börsenpreises, soweit vorhanden, für die Anleihe ohne Optionsschein und den abgetrennten Optionsschein in Betracht. Eine unterverzinsliche Anleihe ist mit den regelmäßig unter dem Rückzahlungskurs liegenden Anschaffungskosten zu aktivieren und in der Folgezeit aufzuzinsen. Alternativ kann auch der Rückzahlungsbetrag aktiviert werden. Dann ist die Differenz zum auf die Anleihe entfallenden Kaufpreisteil passiv abzugrenzen. Erträge aus der zeitanteiligen Auflösung des passiven Rechnungsabgrenzungspostens sind im Zeitverlauf zu versteuern (Rz. 14.20). Die auf die Anleihe erhaltenen Zinsen und Erträge aus der Zuschreibung der Anleihe auf den Rückzahlungsbetrag bzw. aus der Auflösung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens sind zu versteuern. Bei Veräußerung einer der Komponenten erzielt der Anleger einen Gewinn oder Verlust. Veräußerungsgewinne sind jeweils in voller Höhe steuerpflichtig. §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 2 und 3 KStG gelten nicht166. Verluste aus der Veräußerung der Anleihe sind steuerlich voll abziehbar. Bei einer Veräußerung des Optionsscheins ist § 15 Abs. 4 Sätze 3–5 EStG zu beachten. Danach können Verluste aus Termingeschäften (hier dem Optionsschein) steuerlich nur von Gewinnen aus Termingeschäften abgezogen werden, nicht aber bei den sonstigen Einkünften des Anlegers. Das soll nach Auffassung der Finanzverwaltung167 auch dann gelten, wenn, wie dies regelmäßig der Fall ist, nach den Optionsscheinbedingungen die Lieferung von Aktien geschuldet wird (physical settlement). Wird die Anleihe nebst Optionsschein veräußert, so ist der Veräußerungserlös auf die beiden Komponenten aufzuteilen. Der Gewinn oder Verlust ist separat zu ermitteln und wie vorstehend erläutert zu behandeln.
14.79
Bei Ausübung des Optionsrechts erwirbt der Anleger gegen Zahlung des Ausübungspreises Aktien. Diese sind wie in der Handelsbilanz mit dem Ausübungspreis zuzüglich des letzten Buchwerts des Optionsscheins zu aktivieren168. Ein Gewinn realisierender (§ 6 Abs. 6 EStG) Tauschvorgang, bei dem eine etwa im Bilanzansatz des Optionsscheins enthaltene stille Reserve zu versteuern wäre, kann in der Ausübung der Rechte aus dem Optionsschein nicht gesehen werden169. Die nachfolgende Veräußerung der Aktien ist nach § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG bzw. § 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG steuerlich begünstigt (Rz. 14.34). Verfällt das Optionsrecht, ergibt sich hieraus ein im Rahmen des § 15 Abs. 4 Sätze 3–5 EStG steuerlich abziehbarer Verlust (vgl. Rz. 14.79).
14.80
bb) Privatanleger Auch der Privatanleger muss den beim Erwerb der ungetrennten Anleihe gezahlten Kaufpreis aufteilen, weil er zwei Wirtschaftsgüter erwirbt. Nach Auffassung der Finanzverwal166 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 24. 167 BMF v. 23.9.2005 – IV B 2 - S 2119 - 7/05, DStR 2005, 1900 = FR 2005, 1180; BayLfSt v. 9.3. 2007 – S 2119 - 1 St 32/St 33, ESt-Kartei BY Nr. 12/2007; a.A. Tibo, DB 2001, 2369, 2370 f.; Schmittmann/Wepler, DStR 2001, 1783, 1785. 168 OFD Düsseldorf v. 23.3.2001 – S 2136 A - St 11, DB 2001, 1337, Tz. 1d); OFD München/ Nürnberg v. 22.8.2000 – S 2136 - 1 St 41/42, BB 2000, 2628, Tz. 1d). 169 FG Düsseldorf v. 29.11.2016 – 6 K 4005/14 K, F, EFG 2017, 369, (Rev. Az. XI R 44/17).
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14.81
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
tung170 hat der Ersterwerber einer normalverzinslichen Optionsanleihe die Anschaffungskosten aufgrund der Prospektangaben aufzuteilen, wenn dort ein Optionsentgelt gesondert ausgewiesen wird. Ansonsten bietet sich eine Aufteilung nach den Marktpreisen für die getrennt gehandelte Anleihe und den Optionsschein an. Die Finanzverwaltung171 lässt es aber auch zu, dass die Anschaffungskosten allein der Anleihe zugeordnet werden, so dass sich für den Optionsschein Anschaffungskosten von 0 Euro ergeben.
14.82 Die laufenden Zinszahlungen sind gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig. Bei Veräußerung der Optionsanleihe oder einer ihrer beiden Bestandteile unterliegt ein Gewinn der Abgeltungsteuer (§§ 20 Abs. 2 Nr. 3 lit. b, Nr. 7, 43 Abs. 5 Satz 1 EStG). Bei Ausübung der Rechte aus dem Optionsschein bezieht der Privatanleger neue Aktien. Deren Anschaffungskosten entsprechen den Anschaffungskosten des Optionsrechts zuzüglich des Ausübungspreises172. Der Anleger realisiert bei Optionsausübung daher noch keinen Gewinn. Ein Gewinn aus der Veräußerung der bezogenen Aktien unterliegt der Abgeltungsteuer (§§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 43 Abs. 5 Satz 1 EStG)173. Für Steuerausländer sind weder die laufenden Zinszahlungen noch ein Gewinn aus dem Verkauf der Optionsanleihe oder einer ihrer beiden Komponenten steuerpflichtig174. cc) Investmentfonds
14.83 Hält ein inländischer Investmentfonds eine Optionsanleihe, so sind die Zinserträge und
Veräußerungsgewinne daraus auf Fondsebene nicht steuerpflichtig (§§ 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG, 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Zur Besteuerung der Anleger des Fonds s. Rz. 14.39. c) Kapitalertragsteuer
14.84 Anders als Wandelanleihen unterliegen Optionsanleihen nicht der 25 %igen Kapitalertrag-
steuer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG. Allerdings unterliegen Steuerinländer mit Zinszahlungen und Gewinnen aus der Veräußerung der Optionsanleihe oder eines ihrer beiden Bestandteile (einschließlich etwaiger Stückzinsen) bei inländischer Verwahrung grundsätzlich175 der Kapitalertragsteuer von 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer) (§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a und Nr. 10, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Beim Privatanleger hat der Steuerabzug Abgeltungswirkung, erfüllt also die Einkommensteuerschuld des Anlegers (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG). Die Kapitalertragsteuer ist von dem die Anleihe verwahrenden Kreditinstitut (auszahlende Stelle i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a, aa EStG) von den Zinszahlungen und Veräußerungsgewinnen einzubehalten (Rz. 14.40 f.). Hat der Anleger die Optionsanleihe ungetrennt erworben, so muss das Kreditinstitut bei einer Veräußerung nach Trennung den Erwerbspreis auf die Anleihe und den Optionsschein auf170 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :007 DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 (mit späteren Änderungen) Tz. 86. 171 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :007 DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 (mit späteren Änderungen) Tz. 86. 172 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :007 DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 (mit späteren Änderungen) Tz. 86; Groh, DB 2002, 860, 862; Haisch, DStR 2001, 1968, 1969; s. auch Anemüller/Lohkamp, EStB, 2015, 460, 464 mit dem Hinweis, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bei der Optionsanleihe keine Anwendung findet. 173 Zur Besteuerung von vor dem 1.1.2009 erworbenen Optionsanleihen s. § 13 Rz. 69 der 2. Aufl. 174 Zu Ausnahmen beim Veräußerungsgewinn s. Rz. 14.37 a.E. 175 Zu Ausnahmen s. Rz. 14.41.
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teilen. Soweit dies nicht leicht und ohne weiteres möglich ist, muss der Anleger damit rechnen, dass das Kreditinstitut aus Vorsichtsgründen Kapitalertragsteuerabzug von der Ersatzbemessungsgrundlage, also von 30 % des Veräußerungserlöses (§ 43 Abs. 2 Satz 7 EStG), vornehmen wird. Bei Optionsausübung fällt keine Kapitalertragsteuer an, weil die Anschaffungskosten des Optionsscheins auf die erworbenen Aktien übergehen.176 Für den Emittenten besteht bei der Optionsanleihe regelmäßig keine Abzugspflicht. Der Emittent (Schuldner der Kapitalerträge) ist nur dann auszahlende Stelle, wenn er die Wertpapiere für den Anleger verwahrt. Dies ergibt sich aus den Worten „in den Fällen des § 43 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe a“ bzw. „unter den Voraussetzungen des Buchstabens a“ in § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. b EStG, der die Einbehaltung von Kapitalertragsteuer durch den Emittenten regelt177. Bei Steuerausländern ist grundsätzlich keine Kapitalertragsteuer zu erheben178.
V. Umtauschanleihe Als Umtauschanleihen werden Anleihen bezeichnet, bei denen der Anleger statt der Rückzahlung die Lieferung von Aktien verlangen kann. Anders als bei der Wandelanleihe bezieht sich das Wahlrecht des Anlegers aber nicht auf Aktien des Emittenten, sondern auf Aktien einer anderen Gesellschaft (Rz. 12.1). Es handelt sich bei der Umtauschanleihe also nicht um ein Eigenkapitalinstrument des Emittenten. Mit der Wandelanleihe hat die Umtauschanleihe jedoch gemein, dass mit Ausübung des Umtauschrechts der Rückzahlungsanspruch erlischt und dass das Umtauschrecht nicht von der Anleihe getrennt werden kann.
14.85
1. Handelsbilanzielle Behandlung a) IFRS Bei der Bilanzierung nach IFRS handelt es sich bei der Umtauschanleihe wie bei der Wandelanleihe um ein strukturiertes Produkt. Da die Umtauschanleihe beim Emittenten zum Abfluss liquider Mittel (Rückzahlung) oder anderer finanzieller Vermögenswerte (Aktien) führt, handelt es sich um ein reines Fremdkapitalinstrument (IAS 32.16(a)(i)). Eine Erfüllung durch Eigenkapitalinstrumente des Emittenten ist gerade nicht vorgesehen, weil der Anleger bei Ausübung des Umtauschrechts Aktien eines anderen Unternehmens als des Emittenten erhält. Zwar ist das dem Anleger eingeräumte Umtauschrecht (call option) ein eingebettetes Derivat (IFRS 9.4.3.1), jedoch ist es Bestandteil eines Basisvertrages (Anleihe), der ebenfalls eine finanzielle Verbindlichkeit darstellt (IFRS 9.4.3.2). Daher erfolgt eine einheitliche Bilanzierung. Der Emittent hat die Umtauschanleihe sowohl beim Zugang (IFRS 9.5.1.1) als auch zu den nachfolgenden Bilanzstichtagen (IFRS 9.5.3.1, 9.4.2.1(a)) zum beizulegenden Zeitwert zu bilanzieren, weil die vom Emittenten verkaufte Kaufoption (short call) ein Derivat mit negativem Marktwert ist. Die Verbindlichkeit aus der Umtauschanleihe schwankt also in Abhängigkeit vom Aktienkurs, der Volatilität und den sonstigen für die Optionsbewertung maßgeblichen Kriterien. Wertschwankungen der Verbindlichkeiten können nach Maßgabe von IFRS 9.6 im Rahmen des Hedging ausgeglichen 176 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :007 DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 (mit späteren Änderungen) Rz. 7, 22, 86. 177 Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 482; vgl. auch BT-Drucks. 16/6739, S. 16, 33; BT-Drucks. 16/6981, S. 34; BT-Drucks. 16/7036, S. 23. 178 Vgl. Rz. 14.40 f.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
werden, etwa wenn der Emittent die bei Ausübung der Option zu liefernden Aktien hält oder seinerseits eine Kaufoption erworben hat. Bei Ausübung des Optionsrechts durch den Anleger sind die gelieferten Aktien sowie die Verbindlichkeiten aus der Umtauschanleihe auszubuchen. Ein Gewinn oder Verlust daraus ist ertragswirksam zu erfassen. Kommt es nicht zum Umtausch, kann die für die Lieferverpflichtung gebildete Verbindlichkeit erfolgswirksam aufgelöst werden. b) HGB
14.87 Bei der Bilanzierung nach HGB ist die Umtauschanleihe sowohl beim Emittenten als auch
beim bilanzierenden Anleger in eine „nackte“ Anleihe und ein Umtauschrecht (Kaufoption) aufzuteilen, soweit nicht einer der Tatbestände des IDW RS HFA 22 Tz. 14 vorliegt179. Es handelt sich um ein strukturiertes Produkt i.S.d. IDW RS HFA 22. Insoweit kann auf Rz. 14.3 ff. und 14.18 verwiesen werden. Wie oben (Rz. 14.5) erläutert, ist die getrennte Bilanzierung nach RS HFA 22 nicht unkritisch zu sehen. Es sollte daher generell eine einheitliche Bilanzierung von Umtauschanleihen zugelassen werden.
14.88 Da es sich bei der Umtauschanleihe nicht um ein Eigenkapitalinstrument handelt, kann der
Emittent den auf das Umtauschrecht entfallenden Teil des Emissionserlöses nicht in die Kapitalrücklage einstellen. Bei getrennter Bilanzierung ist dieser Betrag vielmehr als sonstige Verbindlichkeit zu passivieren180. Bei Unterverzinslichkeit der Umtauschanleihe sind die Zinsen abzugrenzen (Rz. 14.11). Übersteigt der Wert der Lieferverpflichtung des Emittenten während der Laufzeit die vereinnahmte Optionsprämie, ist eine Rückstellung zu bilden. Nicht einheitlich beurteilt wird dabei, ob es sich um eine Drohverlustrückstellung181 handelt oder um eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten182. Keine Rückstellung ist zu bilden, wenn der Emittent die Lieferverpflichtung abgesichert hat und eine Bewertungseinheit (§ 254 HGB) besteht. Das ist bei Umtauschanleihen beispielsweise der Fall, wenn sich das Umtauschrecht auf Aktien einer Tochtergesellschaft oder sonstigen Beteiligungsgesellschaft des Emittenten bezieht. In diesem Fall werden die erwarteten Verluste aus dem Umtausch durch nicht bilanzierte Wertsteigerungen des Aktienbestands kompensiert und umgekehrt. Das gleiche Ergebnis tritt bei einheitlicher Bilanzierung ein. Hier ist zwar nur eine Verbindlichkeit aus der Umtauschanleihe i.H.d. Emissionserlöses auszuweisen. Übersteigt jedoch der Wert der Lieferverpflichtung diese Verbindlichkeit, ist auch hier eine Drohverlust- oder Verbindlichkeitsrückstellung zu bilden, soweit keine Bewertungseinheit besteht.
14.89 Bei Ausübung des Umtauschrechts besteht der Veräußerungserlös für die veräußerten
Aktien in der Befreiung des Emittenten von den Verbindlichkeiten aus der Umtauschanleihe. Zu diesen gehören neben dem Erfüllungsbetrag der Anleihe bei getrennter Bilanzierung auch die für das Umtauschrecht angesetzte Verbindlichkeit und eine etwaige Rückstellung vermindert um einen etwa noch ausgewiesen aktiven Rechnungsabgren-
179 Für den insoweit vergleichbaren Fall der Aktienanleihe s. Dombeck, WPg 2002, 1065, 1072; a.A. (entgegen IDW RS HFA 22 einheitliche Bilanzierung) Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2433; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1090. 180 IDW RS HFA 22, Tz. 20 i.V.m. IDW RS BFA 6, Tz. 17. 181 IDW RS HFA 22, Tz. 20 i.V.m. IDW RS BFA 6, Tz. 18; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 249 HGB Rz. 100 „Optionsgeschäfte“. 182 FG Köln v. 18.1.2017 – 10 K 3615/14, EFG 2017, 726 (Rev. Az. I R 20/17) Rz. 72 f. m. Anm. Prinz, FR 2017, 735; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1090.
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zungsposten aufgrund der Unterverzinslichkeit der Anleihe183. Bei einheitlicher Bilanzierung ist die Verbindlichkeit aus der Umtauschanleihe insgesamt zusammen mit einer etwaigen Rückstellung auszubuchen. Bei Nichtausübung des Umtauschrechts ist bei getrennter Bilanzierung die sonstige Verbindlichkeit abzüglich des aktiven Rechnungsabgrenzungspostens zugunsten des laufenden Ergebnisses auszubuchen, während die Verbindlichkeit aus der Anleihe durch Zahlung erlischt. Bei einheitlicher Bilanzierung ist der Rückzahlungsbetrag mit der Verbindlichkeit zu verrechnen. Ein Verbindlichkeitenüberschuss und eine etwaige Rückstellung können ertragswirksam ausgebucht werden. Verschiedentlich sehen die Anleihebedingungen vor, dass der Emittent bei Ausübung des Umtauschrechts die Wahl hat, ob er Aktien liefern oder einen wertgleichen Geldbetrag zahlen will (Rz. 12.23). Wählt der Emittent die Erfüllung in Geld, so ist bei getrennter Bilanzierung das Optionsentgelt ertragswirksam zu vereinnahmen. Soweit die Barzahlung den Erfüllungsbetrag der Anleihe übersteigt, ist bei getrennter und einheitlicher Bilanzierung der Unterschiedsbetrag zunächst mit einer etwa gebildeten Drohverlustrückstellung zu verrechnen und im Übrigen als laufender Aufwand zu verbuchen. In den meisten Fällen kann der Anleger die Umtauschanleihe als einheitlichen Vermögensgegenstand bilanzieren184. Soweit eine getrennte Bilanzierung erforderlich ist, gelten die Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.20 ff.) entsprechend. Wird das Umtauschrecht ausgeübt, sind die erworbenen Aktien mit dem letzten Buchwert der Umtauschanleihe bzw. bei getrennter Bilanzierung dem ihrer Komponenten anzusetzen. Wie bei der Wandelanleihe macht der Anleger auch hier von seinem von Anfang an bestehenden Erfüllungswahlrecht (vgl. Rz. 14.22) Gebrauch, so dass kein gewinnrealisierender Tausch angenommen werden kann.
14.90
2. Besteuerung a) Besteuerung des Emittenten Die Besteuerung des Emittenten einer Umtauschanleihe folgt der handelsbilanziellen Behandlung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG)185. Zum Zinsabzug kann auf die Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.26) verwiesen werden. Soweit der Emittent die Lieferverpflichtung aus der Umtauschanleihe nicht eingedeckt hat, ist auch in der Steuerbilanz eine Rückstellung zu bilden, wenn sich der Wert der Lieferverpflichtung, etwa wegen eines gestiegenen Aktienkurses erhöht. Anders als in der Handelsbilanz ist hier entscheidend, ob es sich um eine Verbindlichkeitsrückstellung oder um eine Drohverlustrückstellung handelt. Eine Drohverlustrückstellung darf steuerlich nicht abgezogen werden (§ 5 Abs. 4a Satz 1 EStG). Es spricht allerdings viel dafür, dass es sich um eine Verbindlichkeitsrückstellung handelt, da hier die Verbindlichkeit aus der ungewissen Verpflichtung zur Lieferung der Aktien abgebildet wird186. 183 IDW RS HFA 22, Tz. 20 i.V.m. IDW RS BFA 6, Tz. 24. 184 In den meisten Fällen dürfte eine der in IDW RS HFA 22, Tz. 14, genannten Ausnahmen einschlägig sein. S. dazu im Einzelnen Rz. 14.18. 185 Auch steuerlich hat der Emittent in Höhe des vereinbarten Optionsentgelts eine Verbindlichkeit einzubuchen (BFH v. 18.12.2002 – I R 17/02, BStBl. II 2004, 12 zum Optionshandel; ebenso BMF v. 12.1.2004 – IV A 6 - S 2133 - 17/03, BStBl. I 2004, 192; anders noch OFD Köln v. 11.3.1997 – S 2143 - 18 - St 112, DStR 1997, 1084). 186 FG Köln, v. 18.1.2017 – 10 K 3615/14, EFG 2017, 726 (Rev. Az. I R 20/17) Rz. 72 f. m. Anm. Prinz, FR 2017, 735; Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1090; a.A. (Drohverlustrückstellung): IDW RS HFA 22, Tz. 20 i.V.m. IDW RS BFA 6, Tz. 18; Schubert, in Beck’scher Bilanz-Komm., § 249 HGB Rz. 100 „Optionsgeschäfte“.
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14.91
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
14.92 Bei Einlösung der Umtauschanleihe durch Lieferung von Aktien ist den handelsrecht-
lichen Vorgaben folgend (Rz. 14.89) bei getrennter Bilanzierung das Optionsentgelt als Teil des Veräußerungserlöses zu behandeln. Soweit der Erfüllungsbetrag (typischerweise der Nennwert) der Anleihe den Buchwert der zu liefernden Aktien zuzüglich des Optionsentgelts übersteigt, ist der sich daraus ergebende Gewinn bei einkommensteuerpflichtigen Emittenten zu 40 % steuerfrei (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG); bei körperschaftsteuerpflichtigen Emittenten ist der Gewinn im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (§ 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG)187. Bei einheitlicher Bilanzierung der Umtauschanleihe gilt im Ergebnis das Gleiche. Soweit sich aus der Lieferung der Aktien ein Verlust ergibt, ist dieser bei natürlichen Personen nur zu 60 % abziehbar, bei Körperschaften überhaupt nicht (§§ 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 3 Satz 3 KStG).
14.93 Sehen die Anleihebedingungen eine Barablösung der Anleihe vor, ist ein daraus resultie-
render Verlust in voller Höhe steuerlich abziehbar. Es liegt kein Verlust aus der Veräußerung von Aktien vor, der nach §§ 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 3 Satz 3 KStG nur eingeschränkt oder überhaupt nicht abziehbar wäre188. Insoweit dürfte es sich aus Sicht des Emittenten stets empfehlen, wahlweise eine Barablösung vorzusehen, da sich auf diesem Weg eine steueroptimale Gestaltung bei Ausübung des Umtauschrechts durch den Anleger erreichen lässt. Ein aus der Tilgung der Anleihe in Geld realisierter Verlust ist steuerlich abziehbar, während der durch die mögliche anderweitige Veräußerung der der Anleihe zugrunde liegenden Aktien erzielte Gewinn teilweise steuerfrei ist. b) Besteuerung des Anlegers aa) Bilanzierender Anleger
14.94 Für den bilanzierenden Anleger kann zunächst auf die Ausführungen zur Wandelanleihe (Rz. 14.31–14.34) verwiesen werden. Abweichend von der Handelsbilanz soll nach Auffassung der Finanzverwaltung bei strukturierten Finanzinstrumenten steuerlich eine einheitliche Bilanzierung erfolgen189. Nach der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur190 soll es bei der Umtauschanleihe anders als bei der Wandelanleihe aber zu einer Gewinnrealisierung kommen, wenn der Anleger die Lieferung der Aktien verlangt. Insoweit soll ein gewinnrealisierender Tausch vorliegen (§ 6 Abs. 6 EStG). Das hat zur Folge, dass der bilanzierende Anleger bei Ausübung des Umtauschrechts einen steuerpflichtigen Um-
187 Im Ergebnis ebenso Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2434; s. auch FG Köln v. 18.1.2017 – 10 K 3615/14, EFG 2017, 726 (Rev. Az. I R 20/17) Rz. 74 ff., 96 ff. (m. Anm. Prinz, FR 2017, 735), wonach der steuerbegünstigte Ertrag auf die Differenz zwischen dem Rückzahlungsbetrag der Anleihe und dem Buchwert der Aktien begrenzt ist. Der Ansatz des Marktwerts der Aktien zur Ermittlung des steuerbegünstigten Veräußerungsgewinns kommt danach ebenso wenig in Betracht wie eine Aufstockung des Erfüllungsbetrags auf den Marktwert der Aktien. 188 Nach Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2434, soll weiter ein Verlust aus der Lieferung der Aktien steuerlich abziehbar sein, wenn der Emittent die Aktien erst nach der Emission der Umtauschanleihe eindeckt. 189 BMF v. 19.12.2017 – IV C 6 - S 2133/09/10002:001, DOK 2017/1024120, n.v. zu Credit Linked Notes; s. dazu auch Rz. 14.31. 190 Haisch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Anm. 1090; Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2434; Rau, DStR 2014, 2201, 2205; ähnlich für Einkünfte aus Kapitalvermögen BMF v. 6.3.2002 – IV C 1 - S 2252 - 24/02, BeckVerw. 099035; ebenso OFD Frankfurt a.M. v. 9.4.2002 – S 2252 A 81 - St II 32, DB 2002, 921 = FR 2002, 906.
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tauschgewinn realisiert. Die steuerliche Behandlung folgt also nicht der Behandlung des Umtauschs in der Handelsbilanz, wo der Umtausch als erfolgsneutral behandelt werden kann191. Zur Begründung wird in der Literatur im Wesentlichen auf die unterschiedliche Behandlung von Wandel- und Umtauschanleihe beim Emittenten verwiesen192. Überzeugender erscheint es, beide Instrumente gleich zu behandeln und auch beim Gläubiger einer Umtauschanleihe von einer steuerlichen Buchwertfortführung auszugehen. Ebenso wie der Wandelanleihegläubiger macht auch der Gläubiger einer Umtauschanleihe beim Umtausch lediglich eine Ersetzungsbefugnis geltend und erhält, was ihm von Anfang an versprochen wurde. Daher sollte es auch bei der Umtauschanleihe beim Umtausch nicht zu einem gewinnrealisierenden Tausch kommen193. Bei einem späteren Verkauf der bezogenen Aktien ist ein Veräußerungsgewinn bei einkommensteuerpflichtigen Anlegern zu 40 % (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG) bzw. beim körperschaftsteuerpflichtigen Anleger im Ergebnis zu 95 % (§ 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG) steuerfrei. Verluste aus der Veräußerung der Aktien sind lediglich zu 60 % (§ 3c Abs. 2 EStG) bzw. überhaupt nicht abziehbar (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG). Wird das Umtauschrecht nicht ausgeübt, so erhält der Anleger den Rückzahlungsbetrag der Anleihe ausbezahlt. Übersteigt dieser den Buchwert der Umtauschanleihe, bzw. den ihrer vom Anleger bilanzierten Komponenten, so ist der Gewinn steuerpflichtig. Zumindest bei einheitlicher Bilanzierung, steht dem Abzug eines Verlusts aus der Veräußerung oder Rückzahlung der Anleihe § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht entgegen (vgl. Rz. 14.33). bb) Privatanleger Auch für den Privatanleger ist die Umtauschanleihe ebenso wie die Wandelanleihe (vgl. Rz. 14.29) nicht in ihre beiden Komponenten aufzuteilen. Laufende Zinszahlungen und Veräußerungsgewinne unterliegen der Abgeltungsteuer (§§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Beim Umtausch der Anleihe in Aktien realisiert der Privatanleger keinen Gewinn; vielmehr gehen die Anschaffungskosten der Anleihe auf die Aktien über (§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG)194. Bei Veräußerung der Aktien fällt ein Gewinn oder Verlust an, der der Abgeltungsteuer unterliegt195.
14.95
cc) Investmentfonds Hält ein inländischer Investmentfonds eine Umtauschanleihe, so sind die Erträge auf der Ebene des Fonds steuerfrei. Zur Anlegerbesteuerung s. Rz. 14.39.
14.96
c) Kapitalertragsteuer Die Kapitalerträge aus Umtauschanleihen unterliegen bei Verwahrung der Umtauschanleihe im Inland für einen inländischen Anleger der Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG). Diese fällt i.H.v. 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer) auf die laufenden Zinszahlungen, die bei der Veräußerung erzielten Stückzinsen und den Veräußerungsgewinn an. Die Kapitalertragsteuer gilt die Einkommensteuerschuld eines Privatanle191 192 193 194 195
Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431, 2434. Hamacher, DB 2000, 2396, 2397; Schumacher, StBJb. 2002/03, 441, 462. Dreyer/Herrmann, FR 2001, 722, 724 f. Anemüller/Lohkamp, EStB 2015, 460, 463. Zur Rechtslage bis 2008 und den Übergangsvorschriften für vor 2009 erworbene Umtauschanleihen s. die 2. Aufl. (§ 13 Rz. 80).
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14.97
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gers regelmäßig ab (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG). Die Kapitalertragsteuer wird vom Depot führenden Institut als auszahlender Stelle einbehalten. Zu weiteren Einzelheiten und Ausnahmen s. Rz. 14.40 f., 14.84. Die dortigen Ausführungen gelten im Wesentlichen entsprechend. Bei Steuerausländern ist grundsätzlich keine Kapitalertragsteuer zu erheben196.
VI. Genussschein 14.98 Genussscheine sind Gläubigerrechte mit bestimmten Ausstattungsmerkmalen, die ansons-
ten typischerweise nur Eigenkapitalinstrumenten (Gesellschaftsanteilen) zukommen. So kann etwa eine gewinnabhängige Vergütung für das überlassene Kapital oder eine Beteiligung des Genussscheininhabers an den Verlusten des Emittenten vorgesehen sein. Dies lässt die zivilrechtliche Einordnung des Genussscheins als Gläubigerrecht jedoch unberührt. Der Genussschein verbrieft ein Schuld-, nicht aber ein Gesellschaftsverhältnis und wird zivilrechtlich häufig als Inhaberschuldverschreibung (§ 793 BGB) einzuordnen sein197. Eine gesetzliche Definition des Genussscheins existiert nicht. In der Praxis kann die Ausgestaltung von Genussscheinen recht unterschiedlich sein (vgl. Rz. 13.13 ff.).
1. Handelsbilanzielle Behandlung a) Behandlung beim Emittenten
14.99 Bei der Bilanzierung nach IFRS198 können Genussscheine beim Emittenten nur dann als
Eigenkapital angesetzt werden, wenn sie keine vertragliche Verpflichtung enthalten, flüssige Mittel oder andere finanzielle Vermögenswerte an einen anderen zu liefern (IAS 32.16 (a)(i)). Dabei ist zwischen dem Rückzahlungsanspruch des Genussscheininhabers einerseits und den Ausschüttungen andererseits zu unterscheiden (IAS 32.AG37). Die meisten Genussrechte sehen eine Endfälligkeit oder ein Kündigungsrecht des Anlegers vor, die zur Rückzahlung des Genusskapitals führen. In diesen Fällen kommt ein Eigenkapitalausweis des Genusskapitals nicht in Betracht. Ein Eigenkapitalausweis kommt hingegen in Betracht, wenn der Genussschein keine Endfälligkeit hat (perpetuals) oder die Rückzahlung im Ermessen des Emittenten steht, z.B. indem nur dem Emittenten ein Kündigungsrecht eingeräumt wird, oder er nach seiner Wahl die Rückzahlung in eigenen Eigenkapitalinstrumenten bewirken kann (IAS 32.AG25). Laufende Ausschüttungen auf den Genussschein sind separat zu betrachten und als Eigen- bzw. Fremdkapital zu klassifizieren. Stehen die Ausschüttungen unmittelbar oder mittelbar (z.B. Abhängigkeit von einer Dividendenausschüttung) im Ermessen des Emittenten, so können diese Zahlungen als Eigenkapital eingeordnet werden199. Hängen die Genussscheinausschüttungen hingegen ausschließlich von objektiven Bedingungen ab, die der Emittent nicht kontrolliert, z.B. von künftigen Gewinnen des Emittenten, sind die Genussscheinausschüttungen als Fremdkapital einzuordnen200. Denkbar ist, dass Genusskapital und Ausschüttungen unterschiedlich einzuordnen sind (IAS 32.AG37). So ist etwa bei einer ewigen Laufzeit des Genussscheins und festen (objektiv 196 197 198 199
Rz. 14.40 f. Rz. 13.35; Angerer, DStR 1994, 41, 42. S. dazu ausführlich Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 403 ff. IDW RS HFA 45, Tz. 19, Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 644; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 407. 200 Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 643 m.w.N.; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 406.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
bedingten) Ausschüttungen, z.B. 4 % Verzinsung, die bei einem Verlust ausfallen, das Genusskapital als Eigenkapital anzusehen, während die Ausschüttungsansprüche der Anleger als Fremdkapital einzuordnen sind. Der Emissionserlös ist dann in eine Eigenkapitalkomponente und eine Fremdkapitalkomponente aufzuteilen201. Im vorgenannten Beispiel wird aber nur ein geringer Teil als Eigenkapital angesetzt werden können, weil der Barwert der Verpflichtung zur Rückzahlung des Kapitals wegen der ewigen Laufzeit sehr gering sein wird, während der allergrößte Teil des Emissionserlöses auf die ewig laufenden Ausschüttungen entfallen wird, die als Fremdkapital zu bilanzieren sind202. Für die Bilanzierung nach HGB beim Emittenten sind die Genussscheine nicht in Rückzahlungsanspruch und laufende Ausschüttungen aufzuteilen203. Es ist einheitlich zu beurteilen, ob das überlassene Genussscheinkapital als Eigen- oder Fremdkapital zu behandeln ist. Nach Auffassung des IDW204 ist Genussscheinkapital ungeachtet der Tatsache, dass zivilrechtlich ein Schuldverhältnis vorliegt, in der Handelsbilanz des Emittenten als Eigenkapital zu behandeln, wenn kumulativ die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind205:
14.100
– Längerfristigkeit. Das Genussscheinkapital wird längerfristig206 überlassen und während der vereinbarten Laufzeit ist die Kündigung sowohl für den Emittenten als auch den Anleger vertraglich ausgeschlossen.
14.101
– Nachrangigkeit. Bei Insolvenz oder Liquidation wird das Genussscheinkapital erst nach Befriedigung aller anderen Gläubiger zurückgezahlt. – Erfolgsabhängigkeit und Verlustbeteiligung. Die Vergütung muss sich am Erfolg des Emittenten orientieren und das Genussscheinkapital bis zur vollen Höhe an einem etwaigen Verlust des Emittenten teilnehmen, und zwar vorrangig vor dem gegen Ausschüttungen besonders geschützten Eigenkapital. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist das Genussscheinkapital als Sonderposten im Eigenkapital zu passivieren. Eine erfolgswirksame Vereinnahmung kommt nur in Betracht, wenn das Genussscheinkapital ausdrücklich als Ertragszuschuss gegeben wird207, etwa im Rahmen einer Sanierung oder nach Art eines Besserungsscheins, der nur aus künftigen Gewinnen zu tilgen ist. Liegen die Voraussetzungen für einen Eigenkapitalausweis nicht vor, so ist das Genussscheinkapital als Fremdkapital zu bilanzieren, allerdings auch hier als besonderer Posten208.
14.102
Die laufende Vergütung führt unabhängig davon, ob die Genussscheine in der Handelsbilanz als Eigen- oder Fremdkapital ausgewiesen sind, stets zu Aufwand209. Die Genussscheinvergütung mag zwar vom Gewinn des Emittenten abhängig sein, sie ist aber keine Gewinnverwendung. Der Gewinn steht vielmehr ausschließlich den Gesellschaftern zu. Ist
14.103
201 202 203 204 205 206 207 208 209
IDW RS HFA 45, Tz. 28. IDW RS HFA 45, Tz. 29. Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 645; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 408. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 2.1.1. S. dazu ausführlich Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 653 ff.; Mihm in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 410 ff. In der Literatur werden Mindestlaufzeiten von mindestens fünf, aber auch von 15–25 Jahren als längerfristig angesehen, wobei die Mindestkündigungsfrist zwei Jahre betragen muss (Altvater/Hübner, RdF 2017, 65, 66; Florstedt in KölnKomm. AktG, § 221 Rz. 656, beide m.w.N.). IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 2.1.2. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 2.1.3. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 2.2.
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§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
die Verzinsung des Genussscheins höher oder niedriger als die Verzinsung ansonsten vergleichbarer Instrumente, so ist ein bei der Ausgabe des Genussscheins gezahltes Agio oder ein gewährtes Disagio in einem Rechnungsabgrenzungsposten zu erfassen. Der Ertrag oder Aufwand aus der Auflösung des Rechnungsabgrenzungspostens geht ebenso wie die periodischen Vergütungen in das Jahresergebnis ein210. b) Behandlung beim Anleger
14.104
Der bilanzierende Anleger hat die Genussscheine in seiner Handelsbilanz unabhängig von der bilanziellen Behandlung beim Emittenten als Wertpapiere im Anlage- oder Umlaufvermögen auszuweisen. Ein Ansatz als Beteiligung kommt nicht in Betracht, da die Genussscheine keine Gesellschafterrechte verbriefen211. Die laufenden Zinszahlungen oder Ausschüttungen auf die Genussscheine sind ertragswirksam zu vereinnahmen. Ein wegen marktunüblicher Verzinsung gewährtes Agio oder Disagio ist abzugrenzen212. Soweit der Genussschein, etwa wegen einer Verlustteilnahme, im Wert gemindert ist, ist er abzuschreiben213. Bei späteren Wertsteigerungen ist eine Zuschreibung bis zur Höhe der Anschaffungskosten vorzunehmen (§ 253 Abs. 5 Satz 1 HGB).
2. Besteuerung a) Besteuerung des Emittenten
14.105
Auch steuerlich ist zunächst davon auszugehen, dass ein Genussschein lediglich schuldrechtliche Ansprüche des Inhabers verbrieft. Entsprechend der handelsrechtlichen Behandlung sind die gezahlten Vergütungen daher auch steuerlich als Aufwand abziehbar. Nach der vorherrschenden Auffassung in der Literatur gilt das unabhängig davon, ob die Genussscheine handelsbilanziell als Eigen- oder Fremdkapital auszuweisen sind214. Nach dieser Ansicht ist es bei entsprechender Gestaltung der Genussscheinbedingungen möglich, in der Handelsbilanz Eigenkapital auszuweisen, während die Genussscheinvergütungen steuerlich abziehbar sind215. Die Finanzverwaltung war lange entsprechend verfahren, versagt aber nach neuerer Auffassung den steuerlichen Zinsabzug, wenn der Genussschein in der Handelsbilanz als Eigenkapital auszuweisen ist216. Sie beruft sich insoweit auf den Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG)217. In der Literatur wird diese Auffassung überwiegend abgelehnt218. 210 211 212 213 214 215 216 217 218
IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 2.1.4. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 3.1. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 3.1. IDW-Stellungnahme HFA 1/1994, WPg 1994, 419 ff., Abschn. 3.2. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8 Rz. 384; Bogenschütz, JbFSt 1996/97, 566, 571 f.; Linscheidt, DB 1992, 1852, 1856. Bogenschütz, JbFSt 1996/97, 566, 571 f. OFD Nordrhein-Westfalen v. 12.5.2016 – S 2742 - 2016/0009 – St 131, GmbHR 2016, 1338 m. Anm. Briese; es handelt sich um eine bundeseinheitlich abgestimmte Regelung; zustimmend Kusch, NWB 2016, 1952. OFD Rheinland v. 14.12.2011 – Kurzinfo KSt Nr. 56/2011, DB 2012, 21 zur Umwandlung von Fremdkapital in Genussrechte, die handelsbilanziell Eigenkapital darstellen. Altvater/Hübner, RdF 2017, 65, 68 ff.; Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494; Briese, GmbHR 2016, 1228, 1340; Diffring, FR 2018, 211, 215 ff.; Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Kroener/ Momen, DB 2012, 829; Lechner/Haisch, Ubg 2012, 115; Schanz/Maier, Ubg 2015, 189, 195; Stollenwerk/Piron, GmbH-StB 2012, 150; kritisch auch Anzinger, RdF 2018, 64, 68 ff.
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Selbst wenn es sich bei dem Genussschein um bilanzielles Fremdkapital handelt, ist ein Betriebsausgabenabzug der Genussscheinvergütungen nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ausgeschlossen, wenn der Emittent eine Kapitalgesellschaft219 ist und die Genussscheine eine Beteiligung des Anlegers am Gewinn und Liquidationserlös des Emittenten vorsehen. Eine Beteiligung am Liquidationserlös liegt einmal vor, wenn der Anleger an den stillen Reserven des Emittenten beteiligt ist220. Das soll nach Ansicht der Finanzverwaltung auch dann der Fall sein, wenn eine Verlustbeteiligung vereinbart ist und das Genussscheinkapital bei Liquidation des Emittenten zum Nennbetrag zurückzuzahlen ist221. Die Finanzverwaltung222 geht weiter davon aus, dass eine Beteiligung am Liquidationserlös auch dann vorliegen kann, wenn der Anleger nicht an den stillen Reserven des Emittenten beteiligt ist, jedoch eine Rückzahlung erst bei dessen Liquidation verlangen kann. Auch in diesem Fall belaste das Genussscheinkapital die Steuerkraft des Emittenten ähnlich wie das Nennkapital. Eine Beteiligung am Liquidationserlös soll weiter bei einer langfristigen Kapitalüberlassung vorliegen, weil hier der Rückzahlungsanspruch wirtschaftlich bedeutungslos sei. Laufzeiten bis zu 30 Jahren sollen aber noch unschädlich sein. Demgegenüber soll die Nachrangigkeit der Genussscheine oder eine Teilnahme am Verlust allein nicht zur Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG führen. Die Rechtsprechung ist diesen Überlegungen nicht uneingeschränkt gefolgt. So soll etwa eine Beteiligung am Liquidationserlös fehlen, wenn von einem Alleingesellschafter gewährtes Genussscheinkapital gar nicht zurückzuzahlen ist, also auch nicht bei Liquidation223.
14.106
Selbst wenn die Genussscheinvergütungen nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG grundsätzlich abziehbar sind, ist weiter die Zinsschranke (§§ 4h EStG, 8a KStG) zu beachten (Rz. 14.26). Bei der Gewerbesteuer sind die Zinszahlungen (nach Anwendung der Zinsschranke) nur zu 75 % abziehbar (§ 8 Nr. 1 lit. a GewStG) (Rz. 14.26).
14.107
b) Besteuerung des Anlegers Die Besteuerung des Anlegers folgt in gewisser Weise der Besteuerung des Emittenten. Auch auf der Anlegerebene ist danach zu unterscheiden, ob der Genussschein eine Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös einräumt oder nicht224.
14.108
aa) Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös Bei Genussscheinen mit Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös sind die Genussscheinausschüttungen beim inländischen Anleger steuerlich wie Dividendenzahlungen 219 Nach BMF v. 8.12.1986 – S 2742 - 26/86, BB 1987, 667, 668 soll § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch auf Genussscheinvergütungen anderer Körperschaften anzuwenden sein; zustimmend Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8 Rz. 392; a.A. Schulte in Erle/Sauter, KStG, § 8 Rz. 319; Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1158; offenlassend Gosch, KStG, § 8 Rz. 150. 220 Knobbe-Keuk, BB 1987, 341 f. mit Hinweis auf die in BT-Drucks. 10/2510, S. 7, zitierte Auskunft des BMF. 221 BMF v. 17.2.1986 – IV B 7 - S 2742 - 1/86, BeckVerw. 095225. 222 BMF v. 8.12.1986 – IV B 7 - S 2742 - 26/86, BB 1987, 667. 223 BFH v. 19.1.1994 – I R 67/92, BStBl. II 1996, 77, 79; Nichtanwendungserlass: BMF v. 27.12. 1995 – IV B 7 - S 2742 - 76/95, BStBl. I 1996, 49; dagegen Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8 Rz. 389. 224 Zur Besteuerung bis 2008 und zur Besteuerung von vor 2009 erworbenen Genussscheinen vgl. § 13 Rz. 91 ff. der 2. Aufl.
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14.109
§ 14 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen
zu behandeln (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Für einkommensteuerpflichtige Anleger gilt beim betrieblichen Anleger das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d und Satz 2 EStG) bzw. beim Privatanleger die Abgeltungsteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 EStG). Für einen körperschaftsteuerpflichtigen Anleger sind die Genussscheinausschüttungen im Ergebnis zu 95 % steuerfrei, wenn er zu Beginn des Kalenderjahrs, in dem die Ausschüttung erfolgt, unmittelbar zu mindestens 10 % am Grund- oder Stammkapital des Emittenten beteiligt war (§ 8b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 KStG)225. Das Teileinkünfteverfahren bzw. die Steuerbefreiung gelten für die Gewerbesteuer nur, wenn die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§§ 8 Nr. 5, 9 Nr. 2a GewStG) erfüllt sind. Der Anleger muss also zu Beginn des Kalenderjahrs, in dem die Ausschüttung stattfindet, zu mindestens 15 % am Kapital des Emittenten beteiligt sein. Durch Rechtsprechung und Finanzverwaltung noch nicht abschließend geklärt ist dabei, ob bei der Ermittlung der Beteiligungsquoten für Zwecke der §§ 8b Abs. 4 KStG und 9 Nr. 2a GewStG nur Beteiligungen am Nennkapital (Grund- oder Stammkapital) des Emittenten zu berücksichtigen sind oder ob neben dem Nennkapital auch das Genusskapital anzusetzen ist226. Auch Steuerausländer sind mit den Genussscheinausschüttungen in Deutschland steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG).
14.110
Veräußerungsgewinne aus Genussscheinen mit Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös unterliegen beim betrieblichen Anleger dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a EStG). Bei Körperschaften findet die 95 %ige Steuerbefreiung Anwendung (§ 8b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KStG)227. Verluste aus der Veräußerung, Einlösung oder Teilwertabschreibung des Genussscheins können nur zu 60 % (§ 3c Abs. 2 EStG) bzw. gar nicht (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) abgezogen werden. Beim Privatanleger unterliegen Gewinne aus der Veräußerung Genussscheinen der 25 %igen Abgeltungsteuer (§§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) bzw. bei einer Beteiligung von mindestens 1 % am Kapital des Emittenten228 dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c und Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 EStG); Veräußerungsverluste sind nur nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG abziehbar. Steuerausländer sind mit den Veräußerungsgewinnen nur steuerpflichtig, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb von fünf Jahren vor dem Verkauf zu mindestens 1 % am Kapital des Emittenten beteiligt waren (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e i.V.m. § 17 EStG). Auch hier zählen Genussscheine mit Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös bei der Ermittlung der Beteiligungsquote mit. bb) Keine Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös
14.111
Gewährt ein Genussschein nicht sowohl eine Beteiligung am Gewinn als auch am Liquidationserlös und gehört er zu einem Betriebsvermögen, so sind Genussscheinausschüttun225 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a – 7/03, BStBl. I 2003, 292 Tz. 24. 226 Bejahend für die Körperschaftsteuer: Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rz. 187; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rz. 187, § 8b KStG Rz. 260; für Körperschaft- und Gewerbesteuer Teufel/Stark, RdF 2016, 238, 239, 240; s. auch OFD Frankfurt a.M. v. 16.10.2002 – G 1425 A 8 - St II 22, DStR 2003, 251, wonach das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg dann anzuwenden ist, wenn die Gewinne ausschließlich den Genussscheininhabern und nicht den Gesellschaftern zustehen. 227 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 24. 228 Bei der Ermittlung der Beteiligungsquote nach § 17 EStG zählen nach Auffassung der Finanzverwaltung auch die Genussrechte mit Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös als Beteiligung am Kapital (H 17(2) „Genussrechte“ EStR).
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von aktienverwandten Emissionen | § 14
gen sowie Gewinne und Verluste aus der Veräußerung, Einlösung oder dauernden Wertminderung des Genussscheins in voller Höhe steuerpflichtig bzw. abziehbar. Beim Privatanleger unterliegen Genussscheinausschüttungen und Veräußerungs- und Einlösungsgewinne als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Abgeltungsteuer (§§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, 43 Abs. 5 Satz 1 EStG); Veräußerungsverluste sind hier nur nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG abziehbar. Steuerausländer sind mit den Genussscheinausschüttungen, nicht aber mit Veräußerungsgewinnen im Inland steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c Doppelbuchstabe bb) EStG). c) Kapitalertragsteuer Unabhängig davon, ob der Genussschein eine Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös gewährt, unterliegen Ausschüttungen der 25 %igen Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2, § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)229. Bei einer Veräußerung von Genussscheinen wird Kapitalertragsteuer i.H.v. 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer) des Veräußerungsgewinns oder, wenn dieser nicht bekannt ist, von 30 % des Veräußerungserlöses von der inländischen Depotbank einbehalten (§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 bzw. 10, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 7 EStG). Zu weiteren Einzelheiten des Kapitalertragsteuerabzugs ist auf die Ausführungen zur Wandelanleihe zu verweisen (Rz. 14.40 f.).
14.112
Auch Steuerausländer sind mit den Genussscheinausschüttungen in Deutschland steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a bzw. lit. c, bb EStG). Die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer wird regelmäßig durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegolten (§§ 50 Abs. 2 EStG, 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Gewinne aus der Veräußerung von Genussscheinen durch Steuerausländer unterliegen in vielen Fällen nicht der Kapitalertragsteuer, weil außer in den Fällen der §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e, 17 EStG keine materielle Steuerpflicht besteht230. Für Genussscheine ohne Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös setzt § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c Doppelbuchstabe bb) EStG Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG voraus. Die Veräußerungsgewinne als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG werden davon nicht erfasst.
14.113
Soweit Deutschland mit dem Ansässigkeitsstaat des Anlegers ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen hat, kommt eine Reduzierung des Steuerabzugs in Betracht. Die meisten DBA erwähnen Einkünfte aus Genussscheinen im Dividendenartikel, wo diese den Einkünften aus Aktien gleichgestellt werden. Nach Rechtsprechung231 und
14.114
229 Bei sammel- oder streifbandverwahrten Genussscheinen erfolgt der Kapitalertragsteuereinbehalt durch die auszahlende Stelle, bei Verwahrung im Inland also regelmäßig das Depot führende Kreditinstitut. Ansonsten hat der Emittent den Steuerabzug vorzunehmen. (vgl. dazu Rz. 14.40). 230 Selbst im Fall einer mindestens 1 %igen Beteiligung und einer deshalb grundsätzlichen Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e EStG) ist ein Kapitalertragsteuerabzug nicht erforderlich (BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004:017 Rz. 315). 231 BFH v. 26.8.2010 – I R 53/09, IStR 2011, 74 (zum DBA Österreich); FG Köln v. 23.5.1996 – 2 K 2536/94, EFG 1996, 836 (zum DBA Großbritannien 1964/70); FG Köln v. 29.4.1999 – 2 K 3998/95, EFG 1999, 1034 (zum DBA Niederlande 1959/80/91/2004); FG Köln v. 11.12.2003 – 2 K 7273/00, EFG 2004, 659 (zum DBA Großbritannien 1964/70); s. auch FG Rheinland-Pfalz v. 1.3.1990 – 1 K 2375/89, RIW 1990, 510 (zum DBA Großbritannien 1964/70).
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Literatur232 gilt diese Einordnung aber nur für Ausschüttungen auf Genussscheine, die eine Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös vermittelten233. Bei Einkünften aus sonstigen Genussscheinen handelt es sich daher im abkommensrechtlichen Sinne um Zinsen234. Maßgeblich ist allerdings immer die Regelung des konkreten DBA. Auch wenn die Genussscheinerträge als Zinsen einzuordnen sind, bedeutet dies in vielen Fällen nicht, dass eine deutsche Besteuerung ausgeschlossen ist. In neueren DBA schließt Deutschland eine Quellensteuerentlastung für Einkünfte aus hybriden Schuldinstrumenten regelmäßig aus, wenn diese Zahlungen beim Emittenten steuerlich abziehbar sind235. Ist eine ausländische Körperschaft Genussscheininhaber, so kann sie unabhängig von § 8b KStG (Rz. 14.110) oder einer etwaigen Abkommensvergünstigung die Reduzierung der deutschen Kapitalertragsteuer um 2/5 auf insgesamt 15,825% (einschließlich Solidaritätszuschlag) beim Bundeszentralamt für Steuern beantragen (§ 44a Abs. 9 EStG).
232 Altehoefer/Landendinger, IStR 1997, 321, 324 ff.; Grützner in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBAKommentar, Art. 10 OECD-MA Rz. 181; Laule, IStR 1997, 577 ff.; Schönfeld in Schönfeld/Ditz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 10 DBA Rz. 163 ff.; Tischbirek/Specker in Vogel/Lehner, DBA, Art. 10 Rz. 194; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 10 OECD-MA Rz. 126. 233 S. auch FG Köln v. 29.4.1999 – 2 K 3998/95, EFG 1999, 1034 (zum DBA Niederlande 1959/ 80/91/2004), wonach Genussscheine zu den Aktien gleichgestellten „ähnlichen Wertpapieren“ gehören, wenn sie eine Beteiligung am Liquidationserlös gewähren und das Genussscheinkapital am Verlust teilnimmt. 234 S. dazu auch EuGH v. 12.9.2017 – C-648/15, DStR 2017, 1967, wonach Genussrechtszinsen, die im Verlustfall nicht zu zahlen sind, keine Einkünfte aus Forderungen mit Gewinnbeteiligung i.S.d. des Art. 11 Abs. 2 DBA Österreich sind. 235 Z.B. Nr. 2 des Protokolls zum DBA Großbritannien 2014; Nr. 8 des Protokolls zum DBA Italien 1989; Nr. 3 des Protokolls zum DBA Irland 2014; Nr. 3 des Protokolls zum DBA Kanada 2001; Nr. 2 Protokoll zum DBA Luxemburg 2012; Nr. IX des Protokolls zum DBA Niederlande 2012; Art. 10 Abs. 6 DBA USA 2008; s. auch Art. 10 Abs. 2 lit. b DBA Schweiz, wonach der Quellensteuersatz auf Ausschüttungen auf Genussscheine bis zu 30 % betragen kann.
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4. Teil Anleiheemissionen § 15 Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . III. Rolle der Investmentbank bei der Anleiheemission . . . . . . . . . . . . 1. Hauptfunktion der Investmentbank im Rahmen der Anleiheemission . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und nachgelagerte Funktionen der Investmentbank bei der Anleiheemission . . . . . . . . . . . . a) Mittlerfunktion . . . . . . . . . . . b) Beratungsfunktion . . . . . . . . . c) Strukturierungsfunktion . . . . . d) Abwicklungsfunktion . . . . . . . e) Qualitätssicherungsfunktion . . .
_ _ _ _ __ __ __
15.1 15.3 15.4 15.6
15.10 15.11 15.13 15.19 15.21 15.24
IV. 1. 2. 3.
Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . Anleihen der öffentlichen Hand Anleihen von Banken . . . . . . . Unternehmensanleihen . . . . . .
V. Ablauf einer Transaktion am Beispiel einer Umtauschanleihe 1. Kommerzieller Hintergrund . . . 2. Rolle der Investmentbanken . . . a) Projekt-Management . . . . . . b) Erstellung des Zeitplans . . . . . c) Strukturierung der Umtauschanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . d) Marketing und Platzierung . . . 3. Rechtliche Dokumentation . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
__ __ __ __ _ __ __
15.28 15.30 15.32 15.37 15.40 15.42 15.45 15.47 15.49 15.53 15.60 15.63 15.71
Schrifttum: Achleitner/Kaserer/Günther/Volk, Die Kapitalmarktfähigkeit von Familienunternehmen, 2011; Arbeitskreis des „Deutsche Telekom III Urteils“ des BGH, Thesen zum Umgang mit dem „Deutsche Telekom III Urteil“ des BGH v. 31. Mai 2011, NJW 2011, 2719 bei künftigen Börsengängen, CFL 2011, 377; Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Kommentar, 5. Aufl. 2016; Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen: Ein Leitfaden für die Praxis, 2012; Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, Rückkauf von Mittelstandsanleihen, BB 2012, 2134; Bremer, Neuere Entwicklungen aus Brüssel, NZG 2012, 459; Coenen/Silvanus, Hybridanleihen als Finanzierungsinstrument – ein Praxisbericht, CFL 2011, 188; Gerhold, Hybrides Kapital als Finanzierungsinstrument, CFL 2011, 192; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001; Hinz, Mittelstandsanleihen durchlaufen einen Maturierungsprozess, Börsen-Zeitung Spezial, Verlagsbeilage zur Börsen-Zeitung, 28. Juni 2012; Hopt, Emissionsgeschäft und Emissionskonsortien, FS Kellermann, 1991, S. 181; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, BKR 2009, 446; Kerber/Städter, Die EZB in der Krise: Unabhängigkeit und Rechtsbindung als Spannungsverhältnis, EuZW 2011, 536; Krämer/Gillessen/Kiefner, Das „Telekom III“-Urteil des BGH – Risikozuweisungen an der Schnittstelle von Aktien- und Kapitalmarktrecht, CFL 2011, 328; Luz/Neus/Schuber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Kommentar, 3. Aufl. 2015; Meyer, Der IDW Prüfungsstandard für Comfort Letters, WM 2003, 1745; Oulds, Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz und dem Bundesschuldenwesengesetz, CFL 2012, 353; Preuße, Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen, SchVG, Kommentar, 2011; Schanz, Wandel- und Optionsanleihen – Flexible Finanzierungsinstrumente im Lichte gestiegenen Interesses – BKR 2011, 410; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, Aktuelle Entwicklungen bei Hybridanleihen, CFL 2011, 105; Schlitt/Kasten, Börsennotierte Anleihen mittelständischer Unternehmen – ein Überblick über die neuen Anleihesegmente, CFL 2011, 97; Schmitt, Die Begebung von Mittelstandsanleihen als Alternative zum Bankkredit – Voraussetzungen und praktische Hinweise, BB 2012, 1079; Schwennicke/Auerbach, KWG, Kommentar, 3. Aufl. 2016; Seewaldt, Anleihen in der Beratungspraxis, 2. Aufl. 2008; Waschbusch/Staub/Luck, Basel III – Gefährdung der Mittelstandsfinanzierung?!, CFL 2012, 191; Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzie-
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank rung, 11. Aufl. 2013; Zahn/Lemke, Anleihen als Instrument der Finanzierung und Risikosteuerung, BKR 2002, 527.
I. Einführung 15.1
Der Anleihemarkt stellt in Deutschland einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Im Jahr 2016 wurden Anleihen in einem Gesamtwert von 1,206 Billionen Euro begeben und im Jahr 2017 waren es 1.047 Mrd. Euro1. Davon waren in 2016 73,4 Mrd. Euro Unternehmensanleihen (sog. Industrieobligationen)2. In 2017 wurden 66,3 Mrd. Euro Unternehmensanleihen begeben3.
15.2
Unternehmen begeben Anleihen als Alternative zum traditionellen Kredit oder als zusätzliche Kapitalquelle und auch Banken begeben Anleihen, um sich über den Kapitalmarkt zu refinanzieren. Der Vorteil der Anleihe z.B. ggü. in der Regel zweckgebundenen Krediten ist, dass die durch Anleiheemissionen aufgenommenen Fremdmittel in aller Regel keiner bestimmten Zweckbindung unterliegen und für die allgemeine Unternehmensfinanzierung zur Verfügung stehen4. Schaltet der Emittent einer Anleihe eine oder mehrere Investmentbanken bei der Emission ein, so spricht man von einer Fremdemission. Die Direkt- oder Eigenemission ist dagegen der Ausnahmefall5, auch wenn dies insbesondere bei der Emission von Mittelstandsanleihen von Zeit zu Zeit praktiziert wurde. Dies liegt an den vielfältigen Funktionen einer Investmentbank, die diese im Rahmen einer Anleiheemission übernimmt.
II. Begriffsbestimmung 15.3
Der Begriff der Anleihe ist nicht legaldefiniert6. Dementsprechend fällt teilweise die Abgrenzung zu anderen Begriffen wie Wertpapier, Schuldverschreibung und Finanzinstrument schwer, da eine Anleihe mit allen diesen Produkten Schnittmengen aufweist und teilweise synonym verwendet wird, bspw. im Schuldverschreibungsgesetz (SchVG). Der Begriff der Anleihe ist zwar nicht im Gesetz definiert, er findet sich aber in § 4 SchVG als Inbegriff aller Schuldverhältnisse, die durch einheitliche, der kollektiven Bindung unterliegende Schuldverschreibungen aus derselben Gesamtemission begründet werden7. Das SchVG gilt ausweislich der Gesetzesbegründung für alle Arten von Schuldverschreibungen, einschließlich als Schuldverschreibungen begebenen Zertifikaten oder Optionen, nicht aber einzeln verbrieften Forderungen nach dem Leitbild der §§ 793 ff. BGB8. Entgegen der klassischen Auslegung als festverzinsliches Wertpapier ist nach den Innovationen in der Anleiheemissionspraxis der Begriff der Anleihe als Sammelbegriff zu verstehen, der nunmehr 1 Quelle: Kapitalmarktstatistik März 2018 der Deutsche Bundesbank, S. 12, abrufbar unter. https:// www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Statistische_Beihefte_2/2018/ 2018_03_kapitalmarktstatistik.pdf?__blob=publicationFile. 2 Quelle: Kapitalmarktstatistik März 2018 der Deutsche Bundesbank, s. Fn. 1. 3 Quelle: Kapitalmarktstatistik März 2018 der Deutsche Bundesbank, s. Fn. 1. 4 Eilers/Teufel in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Rz. A 87. 5 Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, § 57 Rz. 6; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 2. 6 Im Gegensatz zur Schuldverschreibung, die in § 793 BGB legaldefiniert ist. 7 Horn, BKR 2009, 446, 447. 8 Begr. BT-Drucks. 16/12814, S. 16; so auch Oulds, CFL 2012, 353, 354.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
sowohl Inhaberschuldverschreibungen mit einer festen als auch einer variablen oder ohne eine Verzinsung9 und sogar die Emission verbriefter Derivate umfassen kann10. Voraussetzung ist deren wertpapierrechtliche Fungibilität, also deren grundsätzliche Kapitalmarktfähigkeit11.
III. Rolle der Investmentbank bei der Anleiheemission Die Investmentbank hat ganz allgemein die Funktion, die Herausgabe und Platzierung von Effekten (Aktien, Schuldverschreibungen, Pfandbriefe und sonstige Anleihen) sowie den Vertrieb von sonstigen Kapitalanlagen wie bspw. Anteile an Personengesellschaften oder Fonds, bei denen es sich mangels Verbriefung nicht mehr um Kapitalmarkttitel handelt, zu organisieren. Daraus lässt sich eine Matrix-Struktur ableiten12, da die Investmentbank sowohl auf der Basis ihrer Produktkenntnis strukturiert ist, was sich aufbauorganisatorisch im Emissions- und Handelsgeschäft widerspiegelt, als auch nach ihrer Kenntnis der verschiedenen Kundengruppen und deren Anforderungen.
15.4
Im Rahmen der Anleiheemission kommen der Investmentbank verschiedene Aufgaben zu, die zeitlich von der ersten Idee bis zur endgültigen Abwicklung den gesamten Lebenszyklus umfassen können. Die wichtigsten Aufgaben sollen nachfolgend dargestellt werden. Daneben übernimmt die Investmentbank noch weitere Funktionen z.B. im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, die hier nicht weiter erläutert werden. Ebenso soll nicht weiter auf die Rolle der Investmentbank als Investor eingegangen werden. Es sei lediglich erwähnt, dass für ein Investment in Anleihen aus Sicht der Bank ähnliche Grundsätze zur Eigenkapitalunterlegung gelten wie bei einer Kreditfinanzierung13.
15.5
1. Hauptfunktion der Investmentbank im Rahmen der Anleiheemission Die Hauptfunktion einer in die Anleiheemission eingeschalteten Investmentbank besteht im Absatz der Wertpapiere und ggf. in der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos bei der Platzierung der Anleihen14. Im Rahmen des Übernahmevertrags (underwriting agreement oder auch subscription agreement)15 kann die Investmentbank das mit der Platzierung verbundene Risiko entweder komplett übernehmen (Festübernahme oder firm commitment underwriting) oder beim Emittenten belassen (kommissionsweise Platzierung oder best-efforts underwriting) oder eine vertragliche Mittellösung suchen16. Bei der Festübernahme wird in der Regel ein Konsortium (oder auch Syndikat) gebildet, um das wirt9 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.262. 10 Horn, BKR 2009, 446, 447. 11 Preuße in Preuße, SchVG, § 1 Rz. 5; Friedl/Schmidtbleichen in Friedl/Hartwig-Jacob, Schuldverschreibungsgesetz, § 4 Rz. 6; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hobt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 1 Rz. 6. 12 Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 503. 13 Eilers/Teufel in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Rz. A 87. 14 Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 184; Bosch/Groß in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Das Emissionsgeschäft, Rz. 10/76. 15 Für eine umfassendere Darstellung des Übernahmevertrags bei Anleiheemissionen und der damit verbundenen Rechtsverhältnisse wird auf § 31 verwiesen. 16 Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 184; zur rechtlichen Einordnung des Übernahmevertrags s. z.B. Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 22; s. dazu auch Rz. 31.22 ff.
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15.6
§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
schaftliche Risiko auf mehrere Banken zu verteilen17. Das Risiko besteht darin, dass bei der Festübernahme die komplette Emission vom Konsortium in den eigenen Bestand gekauft wird und sie dann auf eigene Rechnung und im eigenen Namen abgesetzt wird18. Der Emittent hat damit die Sicherheit, dass der Emissionserlös in der von ihm gewünschten Höhe erzielt wird und er nicht nur einen Teil der Emission platzieren kann. Diese Sicherheit bezahlt der Emittent allerdings mit einem Risikoabschlag, den sich die Banken als Sicherheitspuffer einräumen lassen. Beim best-efforts underwriting hingegen wird ein solcher Sicherheitspuffer nicht erhoben und die Anleihe kann demgemäß näher am Marktpreis platziert werden. Dafür trägt hier der Emittent das Risiko, dass nicht alle Anleihen platziert werden können und deshalb nicht der gewünschte Emissionserlös erwirtschaftet werden kann. Das best-efforts underwriting bildet in der Praxis die Ausnahme19.
15.7
Die Emission von Anleihen und anderen Wertpapieren ist für den Emittenten selbst in der Regel ohne Bankerlaubnis möglich20. Für Investmentbanken hingegen stellt die Platzierung von Wertpapieren ein erlaubnispflichtiges Geschäft dar, welches nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Kreditwesengesetz (KWG) der vorherigen Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bedarf. Insoweit kommt es darauf an, wie die Platzierungstätigkeit der Investmentbank aufsichtsrechtlich einzuordnen ist und welcher Erlaubnistatbestand von der Tätigkeit betroffen ist. Die Erlaubnistatbestände werden enumerativ in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG (Bankgeschäfte) und in § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG (Finanzdienstleistungen) aufgezählt.
15.8
Je nach vertraglicher Gestaltung der Platzierungsabrede im Übernahmevertrag handelt es sich für die jeweilige Investmentbank um ein Bankgeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG oder um eine Finanzdienstleistung gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG. Bei der Festübernahme spricht man von einem Übernahmekonsortium, dessen Tätigkeit bankaufsichtsrechtlich als Bankgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG qualifiziert21. Das best-efforts underwriting, bei dem die Konsorten ohne Platzierungs-/Absatzrisiko im eigenen Namen, aber für Rechnung des Emittenten tätig werden, ist bankaufsichtsrechtlich als Finanzkommissionsgeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG und somit auch als Bankgeschäft zu werten. Das hierzu geschlossene Konsortium wird Begebungskonsortium benannt22. Beim Geschäftsbesorgungs- oder Vermittlungskonsortium verpflichten sich die im Konsortium zusammengeschlossenen Investmentbanken zur Platzierung der Anleihen in offener Stellvertretung, was zunächst nur den Sachverhalt der Finanzdienstleistung gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 KWG erfüllt. Verpflichten sich aber die Mitglieder des Geschäftsbesorgungskonsortiums im Übernahmevertrag dazu, nicht platzierte Anleihen in den Eigenbestand zu übernehmen, so wird auch dies zum Bankgeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG23. 17 Bosch/Groß in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Das Emissionsgeschäft, Rz. 10/76. 18 Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 278; Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 71. 19 Vgl. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.280. 20 So liegt insbesondere bei Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen kein Einlagengeschäft vor, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG. Die Ausgabe von Namensschuldverschreibungen soll hingegen nach h.M. nicht von der Ausnahme umfasst sein, so Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, § 1 Rz. 29; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 1 Rz. 47; Weber/Seifert in Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, KWG, § 1 Rz. 13. 21 Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 1 Rz. 112. 22 Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rz. 75. 23 Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, (7) Bankgeschäfte, Rz. Y/1; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, § 1 Rz. 76.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
Der Erlaubnisantrag zum Betreiben des jeweiligen Geschäfts schließt die Übermittlung eines tragfähigen Geschäftsplans ein, der gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KWG die Art der geplanten Geschäfte beinhalten muss. Die BaFin kann nach § 32 Abs. 2 Satz 2 KWG die Erlaubnis auf einzelne Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen beschränken. Dies stellt für deutsche Kreditinstitute in der Regel kein Problem dar, wenn sie vor dem 1.1.1962 bereits bestanden haben und entsprechende Tätigkeiten betreiben durfte, da diesen Kreditinstituten gemäß § 61 KWG eine Banklizenz als erteilt gilt. Auch für europäische Institute bestehen praktisch kaum Probleme24, da die Bankenrichtlinie25 in Art. 23 für Kreditinstitute und in Art. 24 für Finanzinstitute jeweils auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten verweist, so dass der „Europäische Pass“, also die Möglichkeit eine in einem europäischen Mitgliedsstaat gestattete Tätigkeit auch in allen anderen Mitgliedsstaaten auszuüben, auch diese Dienstleistungen umfasst. In Anhang I wird als Nr. 8 ausdrücklich die „Teilnahme an der Wertpapieremission und den diesbezüglichen Dienstleistungen“ genannt26. Dadurch können EU-Institute das Konsortialgeschäft in der Regel auch in Deutschland ausüben. Dadurch erhält die bankaufsichtsrechtliche Einordung der Platzierungstätigkeit ihre größte praktische Relevanz für Institute aus Drittländern, die in der EU bzw. in Deutschland an der Emission von Wertpapieren teilnehmen wollen und dafür eine entsprechende Erlaubnis bei der BaFin beantragen müssen (s. zu den verschiedenen Arten von Konsortien auch § 32).
15.9
2. Vor- und nachgelagerte Funktionen der Investmentbank bei der Anleiheemission Neben der oben dargestellten Hauptfunktion einer Investmentbank bei einer Anleiheemission, dem Absatz der Wertpapiere und der Übernahme des Platzierungsrisikos, nimmt die Investmentbank zahlreiche weitere Aufgaben und Funktionen im Rahmen der Anleiheemission wahr. Diese sollen nachfolgend kurz skizziert werden.
15.10
a) Mittlerfunktion Die Investmentbanken nehmen bei der Anleiheemission die klassische Rolle eines Finanzintermediärs ein. Sie vernetzen das Angebot des kapitalsuchenden Emittenten über den Kapitalmarkt mit den Kapitalquellen der Investoren27. Die Investmentbank übernimmt damit die Aufgabe, die Interessen der Kapitalmarktteilnehmer zusammen zu führen. Durch ihre Tätigkeit hat sie Kontakt zu institutionellen Investoren auf der ganzen Welt, die sie für die Platzierung einer neuen Anleiheemission ansprechen kann (bzgl. der insiderrechtlichen Verhaltenspflichten s. Rz. 38.1 ff.). Auch private Kunden können ggf. über Zweigstellen oder das eigene Filialnetz flächendeckend angesprochen werden. Den privaten Kunden wird durch die Investmentbank der Zugang zum Kapitalmarkt geöffnet, der einem privaten Kunden ansonsten verschlossen wäre. Durch die Einschaltung weiterer Banken 24 Vorbehaltlich der Einhaltung der Voraussetzungen in § 53b KWG. 25 Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. EG Nr. L 177 v. 30.6.2006, S. 1 ff. 26 Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. EG Nr. L 177 v. 30.6.2006, S. 57. 27 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.1, S. 193.
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15.11
§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
und Zeichnungsstellen kann das Vertriebsnetz sogar noch vergrößert werden. Insoweit besteht der Mehrwert der Einschaltung einer Investmentbank in der Vermittlungs- und Informationsleistung gegenüber den interessierten Investorenkreisen28.
15.12 Für diese (sowie ggf. für weitere) Dienstleistungen im Rahmen der Anleiheemission erhalten sie eine Gebühr, die in der Regel aus mehreren Komponenten besteht (z.B. Management- und Übernahmegebühr, Platzierungsgebühr). Investmentbanken haben grundsätzlich kein eigenes Interesse an den Anleihen über deren Platzierung und über den Erhalt der entsprechenden Gebühren hinaus. Sollte sich das Platzierungsrisiko verwirklichen und man bei einer Festübernahme nicht alle Anleihen absetzen können, so macht die Investmentbank einen Gewinn oder Verlust wie ein Spekulant in den Anleihen. Dies ist aber nicht die Absicht der Investmentbank, die versuchen wird, die Anleihen schnellstmöglich zu platzieren. b) Beratungsfunktion
15.13 Eine weitere wichtige Funktion der Investmentbank bei der Anleiheemission ist die Bera-
tung des Emittenten. Die Beratungspflicht der Investmentbank ist die Kehrseite der Aufklärungspflicht des Emittenten. Während die Investmentbank von dem Emittenten über die entscheidungsrelevanten Umstände aufgeklärt werden muss, die für die Beurteilung des mit der Annahme des Mandats der Platzierung der Anleiheemission verbundenen Risikos benötigt werden, muss die Investmentbank den Emittenten hinsichtlich der jeweiligen Lage am Kapitalmarkt, den günstigsten Emissionsbedingungen und des richtigen Zeitpunkts für eine Anleiheemission beraten und von der Anleiheemission abraten, wenn dies geboten erscheint29.
15.14 Die Beratung beginnt im Prinzip bereits vor der Mandatierung mit der Klärung der Frage,
ob der zukünftige Emittent die Kapitalmarktreife bereits besitzt oder, wenn nicht, ob diese hergestellt werden kann. Eine präzise Definition der Kapitalmarktreife existiert nicht, zumal die zu erfüllenden Bedingungen auch von dem Finanzinstrument abhängen, das im Kapitalmarkt platziert werden soll30. So würden sich bspw. die Voraussetzungen bei einem Börsengang eines Unternehmens (s. dazu Rz. 3.9) von einem erstmaligen Anleiheangebot (Initial Public Bond Offering) unterscheiden. Neben der Qualifikation des Managements, der internen Organisationsstruktur und besonderen Anforderungen an die Rechnungslegung ist bei einer erstmaligen Platzierung von Anleihen insbesondere die Bond Story beachtlich31. Dabei geht es um ein überzeugendes Unternehmenskonzept, gute Bonität, ein akzeptables Risikomanagement- und Controllingsystem sowie eine klar nachvollziehbare Aussage zur Mittelverwendung32. Da die Bond Story großen Anteil am Emissions-
28 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.1, S. 194. 29 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 77; hier ist ausdrücklich nicht die Beratungs- und Aufklärungspflicht ggü. dem Anleger gemeint, wie sie im sog. „Bond-Urteil“ des Bundesgerichtshofs (BGH v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126) begründet wurde, sondern nur die gegenseitigen Plichten zwischen Emittent und Investmentbank. 30 Achleitner/Kaserer/Günther/Volk, Die Kapitalmarktfähigkeit von Familienunternehmen, S. 58. 31 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.1, S. 196. Teilweise wird in diesem Zusammenhang auch auf die „Credit Story“ verwiesen, die letztlich das gleiche bezweckt, nämlich eine Prognose über die Rückzahlungswahrscheinlichkeit und darüber, ob eine risikogerechte Verzinsung erfolgt. 32 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.1, S. 196, mit weiteren Voraussetzungen für eine gute Bond Story.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
erfolg hat, wird sich die Investmentbank diese besonders genau anschauen und mit dem Emittenten besprechen. Ebenfalls im Vorfeld der eigentlichen Anleiheemission ist mit Unterstützung der Investmentbank zu klären, wie der Kapitalbedarf des Emittenten am besten gedeckt werden kann und mit welchen Instrumenten eine Optimierung der Finanzierungsstruktur möglich ist. Ist die Anleihe das richtige Instrument? Die Investmentbank kann hier aufgrund ihres Spezialwissens über den Kapitalmarkt eine große Hilfe darstellen, da sie sowohl das aktuelle Marktumfeld als auch die Finanzinstrumente und deren Platzierungsvoraussetzungen und Risiken kennt. Hier kann die Investmentbank für den Einzelfall eine durchaus transaktionsentscheidende Einschätzung abgeben und damit zum Transaktionserfolg beisteuern. Soll das vom Emittenten benötigte Kapital als Fremd- oder Eigenkapital aufgenommen werden, wäre eine Hybridanleihe das richtige Instrument, wie ist die bestehende Debt-Equity-Ratio im Unternehmen, wie sieht der vorhandene Kapitalmix aus und ist die Anleiheemission wirklich geeignet, den gewünschten kurz-, mittel oder langfristigen Kapitalbedarf zu decken? Zu all diesen Fragen kann eine Investmentbank auf der Basis ihrer Erfahrungen eine fundierte Einschätzung geben und damit dem Emittenten helfen, die für ihn vorteilhafteste Entscheidung zu treffen.
15.15
Auch die Bestimmung des richtigen Emissionszeitpunktes für die Anleiheemission, z.B. durch Ermittlung der Nachfrage im Rahmen einer umfassenden Marktanalyse33, kann über den Erfolg der Platzierung entscheiden. Zu berücksichtigen sind sowohl saisonale Einflüsse, als auch das aktuelle Marktumfeld. Während der durch die Finanzkrise ausgelösten Turbulenzen an den Kapitalmärkten war und ist es teilweise schwierig, das richtige Marktfenster für die Platzierung einer Anleiheemission zu treffen. Hier ist die Beratung durch die Investmentbank aufgrund des besseren Marktüberblicks gegenüber dem Emittenten von großer Bedeutung.
15.16
Auch während der Anleiheemission steht in der Investmentbank ein kompetenter Berater an der Seite des Emittenten, der verschiedene formelle und informelle Aufgaben übernimmt. Häufig kommt der Investmentbank die Aufgabe zu, die anderen externen Berater (wie z.B. Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Treuhänder, Zahlstelle, Marketingagentur) zu koordinieren, einen Zeitplan zu erarbeiten und zu überwachen und den Emittenten durch die einzelnen Transaktionsschritte zu führen34. Zudem berät die Investmentbank hinsichtlich geplanter Marketingaktivitäten wie z.B. Roadshows35 oder Pre-Sounding bzw. PilotFishing36, um schon im Vorfeld einer Anleiheemission bei potenziellen Investoren abzufragen, ob eine Anleihe erfolgversprechend platziert werden kann.
15.17
Bei der Mittelstandsanleihe kommen ggf. formelle Beratungstätigkeiten hinzu, da die Börsenordnungen die Emittenten dazu verpflichten, einen Kapitalmarktexperten zu benennen37.
15.18
33 Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, § 57 Rz. 23. 34 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.2.1, S. 195. 35 S. auch Rz. 36.99. 36 Zur Erklärung des Begriffs s. auch Rz. 2.49. 37 Exemplarisch für die Rolle des Kapitalmarktexperten sei hier auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutsche Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse und die darin beschriebene Pflicht zur Mandatierung eines Capital Market Partner verwiesen, abrufbar unter: http://www.deutsche-boerse-cash-market.com/blob/2309590/34a0d0fed7f7cee7a c5a568d5d554010/data/AGB-Freiverkehr-2018-01-03.pdf.
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
Dieser soll die Perspektiven des Emittenten analysieren, bei der Emissionsstrategie und bei der Einhaltung der Folgepflichten helfen38. c) Strukturierungsfunktion
15.19 Aus der Beratungs- und der Mittlerfunktion erwächst der Investmentbank auch die Auf-
gabe der Mithilfe bei der Strukturierung der Emission, sowohl was die Ausgestaltung der Anleihe betrifft, als auch die Auswahl der weiteren Banken. Der zuerst vom Emittenten eingeschalteten Investmentbank (in der Regel die Konsortialführerin oder auch (joint) lead manager) obliegt es, das Emissionskonsortium zusammen zu stellen, soweit dies gemessen am Volumen der Anleiheemission und der Bekanntheit des Emittenten notwendig erscheint. Zur Strukturierung der Emission gehören Fragen wie die Bestimmung des richtigen Volumens (der Emittent und die Investmentbank sind im Spannungsfeld, dass einerseits das über die Anleihe einzusammelnde Kapital dem Emittenten zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks ausreichen muss, andererseits muss es am Kapitalmarkt auch genügend Nachfrage geben um die Platzierung zu den gewünschten Konditionen sicherzustellen) sowie eine ganze Reihe technischer Details wie die Frage der Emission von Inhaber- oder Namenspapieren, der Ausgestaltung der Anleihebedingungen, Fristigkeit, Kündigungsrechte, Coupon, Covenants, Nachrangigkeit, Besicherung und Vieles mehr.
15.20 Ein wichtiger Bestandteil der Strukturierung ist die Findung des richtigen Emissionspreises
(pricing). Wie oben beim Volumen bereits angedeutet, so bestehen auch bei der Preisfindung keine kongruenten Interessenlagen bei der Investmentbank und dem Emittenten. Der Emittent möchte immer einen sehr hohen Emissionspreis, um möglichst hohe Emissionserlöse zu erzielen, die Investmentbanken befürworten dagegen einen niedrigeren Emissionspreis, damit die Anleihen leichter zu platzieren sind. Ist der Emissionspreis zu niedrig, verliert nicht nur der Emittent Geld (durch einen niedrigeren Emissionserlös als grundsätzlich möglich gewesen wäre), sondern auch die Investmentbank, deren Provision in der Regel ein Prozentsatz des Emissionserlöses ist. Ist der Emissionspreis zu hoch, kann die Investmentbank die Emission nicht voll absetzen, womit sich das Platzierungsrisiko entweder bei ihr (bei einer Festübernahme) oder bei dem Emittenten (bei einem best-efforts underwriting) verwirklicht. Selbst wenn bei einem zu hohen Emissionspreis alle Wertpapiere platziert werden könnten, so kommt der Kurs anschließend unter Druck, was bei den Anlegern, die die Anleihen „zu hoch“ gekauft haben Verstimmung auslöst und für die Reputation der Investmentbank und ggf. auch des Emittenten schlecht sein kann. Die große Kunst besteht demnach darin, einen Preis möglichst nah am Gleichgewichtspreis des Marktes zu finden39. Die Investmentbank hat durch ihre beratende Funktion gegenüber dem Emittenten insoweit eine Mitverantwortung für die sachgerechte Kursfestsetzung40. Dass dies nicht immer einfach ist, hat, wenn auch im Bereich der Aktienemission, das Beispiel des Börsengangs von Facebook am 18.5.2012 gezeigt, bei dem der Kurs innerhalb der ersten drei Börsentage um fast ein Fünftel gefallen war und anschließend sowohl die beteiligten Investmentbanken als auch das Unternehmen in der öffentlichen Kritik standen.
15.20a
Obwohl die Investmentbanken keine Rechtsdienstleistungen anbieten, nehmen doch die regulatorischen Vorgaben, unter denen die Emission und insbesondere auch die entspre38 Schmitt, BB 2012, 1079, 1081; Schlitt/Kasten, CFL 2011, 97, 98. 39 So auch Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 181, 186. 40 Vgl. Willamowski in Heidel, Aktienrecht, Teil 2, Kapitel 17, Rz. 37 in Bezug auf die Festlegung des Emissionspreises bei Aktienemissionen.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
chende Dokumentation stehen, als auch die Anforderungen der Bankkunden an die Investmentbank, immer weiter zu. Dementsprechend ist die rechtliche Strukturierung der Emission auch innerhalb der Investmentbank komplexer geworden. Die größten Auswirkungen (z.B. hinsichtlich Product Governance, Zielmarktbestimmung, Kostentransparenz und Basisinformationsblatt) hatten die zu Beginn des Jahres 2018 in Kraft getretenen Regelwerke zur RL 2014/65/EU (MiFID II)/VO Nr. 600/2014 (MiFIR)41 und der VO Nr. 1286/ 2014 (PRIIP-VO)42, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. d) Abwicklungsfunktion Eine weitere wichtige Funktion im Rahmen der Anleiheemission übt die Investmentbank bei der Abwicklung der Anleihe aus. Das betrifft sowohl die wertpapiertechnische Abwicklung von der Herstellung der Giroverwahrfähigkeit der Anleihe, Besorgung der Wertpapierkennnummern (in Deutschland: WKN, international: ISIN, in der Schweiz: Valor etc.), Unterstützung bei der Stellung eines Zulassungsantrags bei der Börse (entweder formell als Emissionsbegleiter gemäß § 32 BörsG, bei einer Zulassung zu einem regulierten Markt43 oder als sog. listing agent), das Führen des Orderbuches, der Verarbeitung von Zeichnungsanträgen bis letztlich zur Zuteilung, wenn die Nachfrage nach den Anleihen das Angebot übersteigt.
15.21
Daneben kann die Investmentbank bei einer Anleiheemission noch weitere technische Funktionen vertraglich übernehmen. Diese werden Anleiheorganisationsverträge genannt44. Sie begründen keine unmittelbaren Gläubigerrechte, gestalten diese jedoch und nehmen Einfluss auf deren Ausübung45. Zu den Anleiheorganisationsverträgen gehört zunächst einmal ein Treuhandvertrag (trust agreement), nach dem der Treuhänder (trustee) die ggf. für die Anleihe bestellten Sicherheiten verwaltet, die Überwachungsrechte bzgl. der Finanzverhältnisse des Emittenten und die Wahrung und Durchsetzung der Gläubigerrechte bei Leistungsstörungen übernimmt. Diese Aufgaben werden im Namen und zugunsten der Anleihegläubiger vom Treuhänder wahrgenommen.
15.22
Ein weiterer Anleiheorganisationsvertrag ist der Zahlstellenvertrag (paying agency agreement). Darin verpflichtet sich die Zahlstelle (paying agent) bspw. zur Durchführung der Zins- und Tilgungszahlungen sowie weiterer mit der Ausgabe der Wertpapiere zusammenhängende Tätigkeiten, wie den Austausch der vorläufigen gegen endgültige Wertpapierurkunden. Bei Options-, Wandel- oder Umtauschanleihen übernimmt die Zahlstelle nicht selten auch die Funktion als Wandlungsstelle (conversion agent) und bei Anleihen mit variabler Verzinsung die Funktion der Zinsfestsetzungsstelle (interest determination agent).
15.23
41 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU (sog. MiFID II-Richtlinie) und Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (sog. MiFIR-Verordnung). 42 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP). 43 S. dazu weitergehend Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 32 ff. 44 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 121. 45 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 121.
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
e) Qualitätssicherungsfunktion
15.24 Die Investmentbank übernimmt im Rahmen der Anleiheemission eine Qualitätssiche-
rungsfunktion. Die Investmentbank führt bei dem potenziellen Emittenten eine eigene Due Diligence durch, in der sie den kapitalsuchenden Emittenten durchleuchtet und eine Plausibilisierung der Finanzdaten vornimmt. So kann sich die Investmentbank versichern, dass das Emissionskonzept mit den unternehmensinternen Voraussetzungen übereinstimmt und ihr die mit der Anleiheemission aufgrund der Übernahmeverpflichtung der Anleihen verbundenen Risiken bekannt sind46. Die Investmentbank trägt insoweit auch zu einer Optimierung am Markt bei, weil sie einerseits präventiv zur Schadensverhinderung beiträgt, andererseits auch im Schadensfall dazu in der Lage ist, einen Schaden leichter und breiter zu verteilen47.
15.25 Auch bei der Erstellung des Wertpapierprospekts kommt der Investmentbank eine wich-
tige Rolle zu, die zur Qualität des Prospekts und damit zur Qualität der Anleiheemission insgesamt beiträgt. Jedes öffentliche Angebot von Wertpapieren sowie die Zulassung der Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt macht innerhalb der Europäischen Union die Erstellung eines Wertpapierprospekts erforderlich48. Für den Inhalt des Wertpapierprospekts sind zahlreiche Beteiligte zu koordinieren: Neben verschiedenen Fachabteilungen des Emittenten sind vor allem die Anwälte mit der Erstellung des Wertpapierprospekts betraut, aber auch Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Investmentbanken liefern Beiträge. Darüber hinaus sind ggf. Informationen über Hauptaktionäre, Konzernstrukturen, Rating und Wertgutachten etc. zur rechten Zeit in den Wertpapierprospekt zu integrieren. Die effiziente Koordinierung dieser unterschiedlichen Beiträge obliegt in der Regel der Investmentbank, da dieser auch die Koordination und Überwachung des Zeitplans bei der Erstellung des Wertpapierprospekts obliegt49. Daneben ist die Investmentbank bspw. für die Erstellung des Marktteils im Wertpapierprospekt verantwortlich.
15.26 Im Rahmen der Anleiheemission übernimmt in der Regel eine der als Konsortialbanken tätigen Investmentbanken (sog. stabilisation manager) die Aufgabe der Kurspflege (Stabilisierung)50. Damit sollen Zufallsschwankungen und ungünstige Kursentwicklungen entgegen dem allgemeinen Trend des Kapitalmarktes verhindert oder zumindest abgemildert werden. Dies liegt sowohl im Interesse des Emittenten als auch der beteiligten Konsortialbanken. Kommt der Kurs der Anleihe sofort nach der Emission unter Druck oder offenbart der Kurs eine hohe Volatilität, könnte sich das als schädlich für die zukünftige Kapitalbeschaffung des Emittenten mittels weiterer Anleiheemissionen erweisen51. Aus der Sicht der Investmentbank hingegen stellt nur ein stabiler Sekundärmarktpreis einen eindeutigen Beweis für die eigene Platzierungskraft und Marktkenntnis dar52.
15.27 Gerade die Reputation der eingeschalteten Investmentbanken kann ein entscheidender
Faktor bei der Platzierung der Anleiheemission sein. Neben dem eigenen Markennamen des Emittenten ist die Reputation der beteiligten Investmentbanken im Markt häufig für
46 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.2.3, S. 199. 47 Hopt, Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, S. 34 f. 48 Auf die Ausnahmen von der Prospektpflicht soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. S. dazu Rz. 36.3 ff. 49 Hinz/Johannson in Bösl/Hasler, Mittelstandsanleihen, Rz. 15.2.3, S. 200. 50 S. ausführliche Darstellung der Stabilisierung unter § 39. 51 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 95. 52 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 73.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
die Anlageentscheidung eines Anlegers wichtiger, als alles, was es über die Emission zu lesen gibt53. Das Vertrauen der Anleger in den guten Ruf der beteiligten Investmentbanken (soweit dieser nach der Finanzkrise noch vorhanden ist) wirkt sich im Markt „als eine Art Garantie für die Qualität“ der Anleiheemission aus54. Die Investmentbanken werden daher bemüht sein, nur Anleiheemissionen zu betreuen, die erfolgversprechend und damit ruffördernd sind. Insoweit nutzt die Qualitätssicherungsfunktion der Investmentbank mittelbar auch dem Markt.
IV. Produkte Bei Anleihen gibt es eine große Variantenvielfalt bei gleichzeitig hoher Innovationsgeschwindigkeit55. Nachfolgend sollen einzelne Anleihearten näher beschrieben werden.
15.28
Einstweilen frei.
15.29
1. Anleihen der öffentlichen Hand Der öffentliche Sektor stellt am deutschen Anleihemarkt den volumenstärksten Anbieter dar. Für die Investmentbank ergibt sich bei der Emission von Finanzierungstiteln des Bundes aufgrund der hohen Standardisierung von Instrumenten und Verfahren aber kaum Geschäftspotenzial56. Anders sieht es bei der Emission von Finanzinstrumenten der Bundesländer aus, die weiterhin ein entsprechendes Potenzial für die Ertragsgenerierung der Investmentbanken darstellen57.
15.30
Haupttätigkeitsfeld für Investmentbanken sind aber nach wie vor einerseits die Anleihen von Banken und andererseits Unternehmensanleihen.
15.31
2. Anleihen von Banken Banken nehmen als Emittenten von Fremdkapitalinstrumenten eine herausragende Position ein. Anleiheemissionen haben eine große Bedeutung für beide Seiten der Bankbilanz. Zum einen emittieren Banken Anleihen zum Zweck der Mittelbeschaffung, also zur Refinanzierung ihres Kreditgeschäfts. Zum anderen stellen Anleihen auch ein Instrument zur Eigenanlage dar58.
15.32
Die Refinanzierung der Banken erfolgt grundsätzlich entweder über das Einlagengeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KWG oder über den Kapitalmarkt. Während der Geldmarkt (Interbankenmarkt) den Banken zur kurzfristigen Refinanzierung dient, refinanzieren sie sich über den Kapitalmarkt mit mittel- bis langfristigen Kapitalmarktinstrumenten59.
15.33
53 So auch sinngemäß bzgl. des „Emissionskredits“ der beteiligten Banken: Hopt, Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, S. 38. 54 Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen bei internationalen Anleiheemissionen, S. 72. 55 Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 503. 56 Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 507. 57 Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 507. 58 So in Bezug auf Sparkassen, Seewaldt, Anleihen in der Beratungspraxis, S. 11. 59 Krepold in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 78 Rz. 73.
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
15.34 Die wichtigsten Kapitalmarktinstrumente, die von den Banken zur Refinanzierung emit-
tiert werden, sind Anleihen und Emissionsprogramme. Die Anleihen lassen sich in drei Kategorien einteilen: in Hypothekenpfandbriefe, öffentliche Pfandbriefe60 sowie börsenfähige und nicht börsenfähige Schuldverschreibungen. Zu den Emittenten mit den größten Emissionsvolumen von Anleihen gehören die privaten Großbanken, genossenschaftlich organisierte Kreditinstitute und Kreditinstitute mit Sonderaufgaben wie z.B. die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die als Körperschaft des öffentlichen Rechts Eigentum des Bundes ist und insbesondere strukturpolitische Ziele verfolgt. Daneben hat sich z.B. auch die FMS Wertmanagement, die Abwicklungsanstalt der HRE-Gruppe, als prime frequent issuer am Markt etabliert. Die FMS Wertmanagement ist kein Kreditinstitut i.S.d. KWG oder der EU-Richtlinie 2006/48/EG. Die FMS Wertmanagement wurde als öffentlich-rechtliche Anstalt innerhalb der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) errichtet und refinanziert sich regelmäßig über den Geld- und Kapitalmarkt u.a. durch die Begebung von Anleihen.
15.35 Daneben werden in Zeiten von Basel III/CRD IV hybride Instrumente zum Erreichen oder zur Verbesserung der gesetzlichen Eigenkapitalanforderungen immer wichtiger61.
15.36 Sofern die Einlagen und die Anleihen den Refinanzierungsbedarf einer Bank nicht decken,
versuchen die Banken zunächst, die darüber hinaus benötigten Mittel vor allem am Interbankenmarkt durch Geldaufnahme bei anderen Banken, die über überschüssige Liquidität verfügen, zu decken. Während der Finanzkrise nahm das Vertrauen der Banken untereinander jedoch stark ab, die Angst vor einer Insolvenz der Gegenpartei und damit verbunden die Sorge, sein Geld nicht zurück zu bekommen, wurde so groß, dass sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr liehen. Die Banken waren und sind daher auf die Bereitstellung von Zentralbanknotengeld durch die Europäische Zentralbank (EZB) angewiesen. Der EZB stehen verschiedene geldpolitische Instrumente zur Steuerung der Liquidität zur Verfügung: Sie führt Offenmarktgeschäfte durch, bietet ständige Fazilitäten an und verlangt Mindestreserven. Als Gegenleistung für die liquiditätszuführenden Refinanzierungsgeschäfte fordert die EZB von den Banken ausreichende notenbankfähige Sicherheiten62. Diese können neben Schuldverschreibungen der EZB auch aus anderen Bankoder Unternehmensanleihen bestehen, soweit die Zulassungskriterien erfüllt werden63. Die Banken haben meistens einen Refinanzierungsmix aus verschiedenen Refinanzierungsquellen, mit zum Teil täglich wechselnden Konditionen und unterschiedlicher Gewichtung.
3. Unternehmensanleihen 15.37 Der Markt für Unternehmensanleihen ist im Vergleich zu den Anleihen der öffentlichen
Hand und den Bankanleihen immer noch relativ klein. Ein Grund dafür könnte der traditionell relativ einfache Zugang der Unternehmen in Deutschland über ihre Geschäfts-
60 Für eine ausführliche Darstellung der Pfandbriefe sei auf § 22 verwiesen. 61 Ausführlich zu Hybridanleihen, s. § 18. 62 Leitlinie (EU) 2015/510 der Europäischen Zentralbank vom 19. Dezember 2014 über die Umsetzung des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems, ABl. EU Nr. L 91 v. 2.4.2015, S. 37, abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/oj_jol_2015_091_r_0002_de_txt.pdf. 63 Leitlinie (EU) 2015/510 der Europäischen Zentralbank vom 19. Dezember 2014 über die Umsetzung des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems, ABl. EU Nr. L 91 v. 2.4.2015, S. 39; kritisch zum Mangel an Bonität der eingereichten Wertpapiere seit dem Ausbrechen der „Bankenkrise“, Kerber/Städter, EuZW 2011, 536, 536.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
banken zu kostengünstigen Krediten sein und der damit fehlende Zwang, den direkten Weg an den Kapitalmarkt zu suchen64. Diese Ausgangslage ist dabei sich zu verändern, da sich zum einen die Praxis der Kreditvergabe, gerade auch unter den immer strenger werdenden Eigenkapitalregeln (derzeit unter Basel III/CRD IV, eine Reform der BaselIII-Regeln („Basel IV“) zur weiteren Verschärfung der Eigenkapitalregeln wird bereits diskutiert), verändern wird. Die Kreditvergabe wird seitens der Banken voraussichtlich restriktiver gehandhabt und für die Unternehmen teurer werden. Andererseits suchen Unternehmen immer mehr nach dem richtigen Finanzierungsmix und nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, auch um sich nicht von der Hausbank abhängig zu machen. Dabei können zukünftig auch für Unternehmen Hybridanleihen eine größere Rolle spielen65. In der Vergangenheit bestimmte ein relativ kleiner Kreis von Großunternehmen mit erstklassiger Bonität den Markt für Inlandsanleihen deutscher Unternehmen66. Kleinere Unternehmen fanden in der Vergangenheit oft keinen Zugang zum Kapitalmarkt; die Bandbreite an Kapitalmarktprodukten für mittelständische Unternehmen war begrenzt. Dies änderte sich erst 2010 mit der Entstehung von Börsensegmenten für Mittelstandsanleihen67, die durch Transparenz- und Publizitätsanforderungen Standards gesetzt haben, die eine Vermarktung dieser Art der Anleiheemissionen unterstützt haben. Der zwischenzeitliche Boom ist allerdings derzeit der Ernüchterung gewichen. Aufgrund zahlreicher Insolvenzen und Zahlungsverzögerungen ist der Markt für Mittelstandsanleihen stark zurückgegangen und auch die Anzahl der Neuemissionen ist rückläufig68. 2017 gab es zwar wieder mehr Emissionen, aber das Volumen schrumpft weiterhin, auch weil große Mittelständler das Segment meiden69.
15.38
Einstweilen frei.
15.39
V. Ablauf einer Transaktion am Beispiel einer Umtauschanleihe Anhand des folgenden, auf die Begebung einer Umtauschanleihe bezogenen Fallbeispiels soll der Ablauf einer konkreten Transaktion aus Sicht der Investmentbank erläutert werden. Umtauschanleihen (exchangeable bonds)70 sind Inhaberschuldverschreibungen gemäß 64 Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 512. 65 S. allgemein zum Markt für Hybridkapital: Gerhold, CFL 2011, 192, 194; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105, 105 f.; sowie exemplarisch zur Hybridanleihe von RWE: Coenen/Silvanus, CFL 2011, 188 ff. 66 So auch Schlitt/Kasten, CFL 2011, 97, 97; Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 512. 67 Die erste Börse in Deutschland, die ein spezielles Mittelstandssegment angeboten hat, war die Börse Stuttgart, die im Mai 2010 mit Bondm an den Start ging. Ihr folgten Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg/Hannover und München. 68 Gemäß eines Fachartikels der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 16.10.2017 unter dem Titel „Mittelstandsanleihen: Undurchsichtige Geldanlage für Verbraucher?“ führte diese bis 2013 rund 150 Verfahren zur Billigung von Wertpapierprospekten für Mittelstandsanleihen durch. In der Zeit von 2014 bis 2016 wurden lediglich 71 Prospekte gebilligt. Der Fachartikel ist abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fach artikel/2017/fa_bj_1710_Mittelstandsanleihen.html. 69 So das Finance Magazin in einem Beitrag vom 2.1.2018, abrufbar unter: https://www.financemagazin.de/finanzierungen/kredite-anleihen/mittelstandsanleihe-versinkt-in-der-bedeutungslosig keit-2008011/. 70 Ausführlich zum Thema Umtauschanleihe: § 12.
Grüning/Hirschberg | 553
15.40
§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
§§ 793 ff. BGB71, die einen Anspruch auf Zinszahlung mit einem Anspruch auf Lieferung von – bereits existierenden und börsenzugelassenen – Aktien einer Gesellschaft, die nicht mit dem Emittenten identisch ist, kombinieren72. Für potenzielle Investoren bedeutet dies, dass bei der Investitionsentscheidung neben der Bonität des Emittenten der Anleihe auch die Chancen und Risiken der zugrundeliegenden Aktien einer anderen börsennotierten Gesellschaft miteinzubeziehen sind. Durch diesen erhöhten Grad an Komplexität erhöhen sich auch die Anforderungen an die Rolle der begleitenden Investmentbank(en) insbesondere in Bezug auf die Strukturierung der Transaktion, die Formulierung der Anleihe- und Umtauschbedingungen und die anschließende Vermarktung der Schuldverschreibungen.
15.41 Der vorliegende Fall ist angelehnt an eine Umtauschanleihe, die von einer deutschen börsennotierten Gesellschaft begeben worden ist und die das Recht eines Umtausches in Aktien einer in den USA börsennotierten Gesellschaft verbrieft.
1. Kommerzieller Hintergrund 15.42 Aus kommerzieller Hinsicht verfolgt der Emittent mit der Begebung einer Umtausch-
anleihe üblicherweise zwei Ziele. Einerseits wird ein deutlich niedrigerer Zinssatz im Vergleich zu den Zinsen angestrebt, die der Emittent bei der Begebung einer gewöhnlichen Anleihe zahlen müsste. Andererseits erhält der Emittent aufgrund der Umtauschoption bei entsprechender Kursentwicklung die Möglichkeit, eine an einer anderen Gesellschaft bestehende Beteiligung marktschonend abzubauen und die sonst notwendigen Mittel für eine Barrückzahlung einzusparen73.
15.43 In dem hier beschriebenen Fall hat der Emittent (bzw. die spätere Garantin der Umtausch-
anleihe) die Umtauschanleihe in erster Linie als eleganten Weg identifiziert, um sich in einem volatilen Marktumfeld von einer strategischen Beteiligung von weniger als 20 % der Anteile an einem US-amerikanischen börsennotierten Unternehmen zu trennen. Alternativen wie die Veräußerung des Aktienpakets an einen Investor (M&A Transaktion) oder als Blocktrade im Rahmen einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren74 erschienen in dem damals vorherrschenden volatilen Marktumfeld weniger interessant. Denn einerseits ist die Suche nach einem einzelnen strategischen Investor oder Finanzinvestor für eine Minderheitsbeteiligung schwierig und andererseits ist die Durchführung eines Blocktrades gerade in einem volatilen Marktumfeld mit einem erheblichen Preisrisiko verbunden.
15.44 Durch die Begebung der Umtauschanleihe war es dem Emittenten/der Garantin möglich,
diesen Unwägbarkeiten aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig einen Emissionserlös aus dem Verkauf der Anleihen zu erzielen, der über dem derzeitigen Marktwert der Aktienbeteiligung lag75. Aufgabe der begleitenden Investmentbanken war es dabei auf eine Strukturierung der Anleihe hinzuwirken, die die Interessen des Emittenten an einem möglichst
71 Das folgende Fallbeispiel bezieht sich allerdings auf eine Umtauschanleihe, die nach dem Recht des Staates New York begeben worden ist. 72 Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 185. 73 Eingehend dazu: Rz. 12.7 ff. Vgl. auch: Schanz, BKR 2011, 415. 74 Zu den Begrifflichkeiten s. Rz. 7.1 ff. 75 Dafür musste der Emittent im Gegensatz zu einer sofortigen Veräußerung der Beteiligung allerdings auch die Nachteile einer regelmäßigen Coupon-Zahlung und des Refinanzierungsrisikos in Kauf nehmen, falls Investoren die Anleihe nicht in die zugrundeliegenden Aktien umtauschen.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
hohen Emissionserlös76 und einem niedrigen Coupon mit den aktuellen Erwartungen der Marktteilnehmer an eine attraktive Anlagemöglichkeit kombiniert. Im vorliegenden Fall konnte die Umtauschanleihe mit einem Zinssatz von 0,75 % p.a77. und einem rechnerischem Umtauschpreis, der um 37,5 % über dem aktuellen Börsenkurs der zugrundeliegenden Aktien lag, platziert werden.
2. Rolle der Investmentbanken Zentraler Aspekt für die Mandatierung der Investmentbank(en) ist die Wahrnehmung der Funktion als Finanzintermediär, also die Zusammenführung des Kaufinteresses der Investoren mit dem Investitionsangebot des Emittenten (s. unter Rz. 15.11). Die Vergütung der Banken besteht deshalb in der Regel im Wesentlichen aus einem Erfolgshonorar, das an den Platzierungserfolg des jeweiligen Finanzinstruments geknüpft ist. Zu Beginn einer Transaktion werden die geeigneten Investmentbanken ausgewählt. Hierfür dürfte in der Regel die Spezialisierung/Erfahrung bei Emissionen vergleichbarer Finanzinstrumente sowie der Zugang zu den jeweiligen Investorengruppen, die mit der Emission angesprochen werden sollen, maßgeblich sein. Bei der hier vorgestellten Umtauschanleihe, die einen Umtausch in Aktien einer US-Gesellschaft verbrieft und die auch an institutionelle Investoren in den USA verkauft werden sollte, kam es daher darauf an, Banken zu mandatieren, die bereits über Erfahrungen mit Emissionen von Umtauschanleihen und eine starke Vertriebsorganisation, insbesondere in den USA, verfügen.
15.45
Neben der Wahrnehmung ihrer Funktion als Finanzintermediäre begleiten die Investmentbanken den gesamten Transaktionsprozess in der Regel sehr intensiv und sind für eine Reihe zusätzlicher Aufgaben wie die Auswahl und Koordination der weiteren Berater (z.B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Treuhänder, Zahlstelle, Marketingagentur) verantwortlich, um letztlich einen möglichst reibungslosen Ablauf der Transaktion bis zur Platzierung der Anleihen sicherzustellen (s. unter Rz. 15.17).
15.46
a) Projekt-Management Vom Projektstart, der üblicherweise mit einem Kick-Off Meeting aller Parteien beginnt, bis zum erfolgreichen Abschluss der Transaktion ist eine Vielzahl verschiedener Aufgaben zu bewältigen, die darüber hinaus die Einbindung weiterer Berater erfordern. Das sog. „Projekt-Management“ ist daher eine zentrale Aufgabe der begleitenden Investmentbanken während des gesamten Prozesses. Schon aus wirtschaftlichen Erwägungen, aber auch aufgrund anderer Aspekte wie dem Wunsch, Einzelheiten über die bevorstehende Transaktion möglichst geheim zu halten, bis hinreichende Sicherheit darüber besteht, dass die Transaktion tatsächlich durchgeführt werden kann, haben in der Regel alle beteiligten Parteien ein Interesse daran, den Zeitplan möglichst straff zu takten. Die Investmentbanken haben dafür zu sorgen, dass bestimmte Meilensteine innerhalb des Zeitplans rechtzeitig erreicht werden und müssen daher besonderes Augenmerk auf die Koordination der beteiligten Parteien und die pünktliche Abgabe ihrer Arbeitsergebnisse legen. 76 Der Wandlungspreis pro Aktie errechnet sich aus der Division des Emissionserlöses durch die Zahl der Aktien mit der die Umtauschanleihe unterlegt ist. Daher ist ein hoher Emissionserlös gleichbedeutend mit einem aus Sicht des Emittenten attraktiven Wandlungspreis. 77 Wobei die Bonität des Emittenten im Bereich des „Investment Grade“ angesiedelt war.
Grüning/Hirschberg | 555
15.47
§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
15.48 Je nach Besetzung des Konsortiums gibt es entweder eine Investmentbank, die den Prozess
federführend begleitet, den sog. sole global coordinator oder mehrere, die sich als sog. joint global coordinators die Verantwortung für die Durchführung und Koordination verschiedener Arbeitsabläufe aufteilen. Bei der hier vorgestellten Umtauschanleihe waren drei Investmentbanken gemeinsam als joint global coordinators mandatiert, wobei eine der Banken federführend für die Koordination des Gesamtablaufs des Projekts verantwortlich war, während die Verantwortung für Teilbereiche des Projekts, wie z.B. die Durchführung der Due Diligence, die Erstellung des Offering Memorandums, die Vermarktung und die Strukturierung der Anleihe zwischen den Banken aufgeteilt wurden. b) Erstellung des Zeitplans
15.49 Die Investmentbanken sind zunächst dafür verantwortlich, den geplanten Ablauf der
Transaktion in möglichst exakten Zeitplänen festzuhalten. Der unten dargestellte Zeitplan zeigt den groben Fahrplan für die Begebung der hier vorgestellten Umtauschanleihe. Das Projekt war in mehrere Phasen aufgeteilt – Kick-off, Vorbereitungsphase, Finalisierungsphase und Launch – während derer verschiedene Meilensteine zu erreichen waren.
15.50
Monat W1
W2
W3
Monat +1 W4
W5
W6
W7
Woche 1 – Kick-off Mandatierung weiterer Berater Kick-off meeting Woche 2, 3 und 4 (Vorbereitungs-Phase) Due Diligence Strukturierung der Anleihe Klärung von Bilanz- und Steuerthemen Vorbereitung der Investorenpräsentation Vorbereitung der rechtlichen Dokumentation Entwurf des Offering Memorandums Mögliche Einbindung von Rating-Agenturen Auswahl, Drucker, Treuhänder, Zahlstelle Woche 5 (Finalisierungsphase) Fertigstellung der Dokumentation Fertigstellung des Offering Memorandums Druck des Offering Memorandums Launch Stichtag – Launch Preisfestlegung Telefonkonferenzen mit Investoren/Bring down due diligence Final bring down due diligence Settlement
15.51 Die Erstellung eines funktionierenden Zeitplans erfordert einige Erfahrung, da aufgrund
verschiedener Faktoren oft nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung steht, an dem die Platzierung stattfinden kann und bis zu dem alle Vorbereitungen abgeschlossen sein müssen. Hierbei ist zu bedenken, dass die Kapitalmärkte zu bestimmten Zeitpunkten kaum aufnahmefähig sind, z.B. sind bestimmte Investoren während der Sommermonate oder in der Zeit um den Jahreswechsel nicht zu erreichen. Gleichzeitig spielen Verfügbarkeit und Aktualität der verfügbaren Finanzinformationen eine wichtige Rolle bei der Erstellung des Zeitplans. So würde z.B. dem Informationsbedürfnis der Investoren möglicher556 | Grüning/Hirschberg
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weise nicht ausreichend Rechnung getragen, wenn eine Platzierung von Wertpapieren unmittelbar vor Bekanntwerden neuer Finanzinformationen des Emittenten oder zugrundeliegender Basiswerte erfolgt. Das europäische Recht kennt zwar weiterhin keine ausdrückliche Sperrfrist („Closed Period“), die es verbietet ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Veröffentlichung neuer Finanzinformationen keine Kapitalmarkttransaktionen durchzuführen, aber mit der Einführung einer Sperrfrist von 30 Kalendertagen78 für Eigengeschäfte von Führungskräften durch die EWR-weit unmittelbar geltende VO (EU) Nr. 596/2014 (MMVO)79, hat der Gesetzgeber bereits einen Zeitpunkt genannt, ab dem auch Emittenten von Schuldverschreibungen besonderes Augenmerk auf etwaige insiderrechtliche Aspekte legen sollten. Für bestimmte Transaktionen, insoweit z.B. abgebende Aktionäre ein Aufsichtsratsmandat innehaben80, kann sich durchaus eine faktische Sperrfrist ergeben. Der Wortlaut der VO (EU) Nr. 596/2014, wonach auch Geschäfte für Dritte vom Handelsverbot umfasst sind, sollte jedoch nicht dahin gehend missverstanden werden, dass der für die Emittentin handelnde Vorstand während der Closed Period grundsätzlich keine von Art. 19 VO (EU) Nr. 596/2014 umfassten Transaktionen mehr autorisieren darf81. Im vorliegenden Fall konnte die Projektlaufzeit auf etwa sieben Wochen beschränkt werden. Insbesondere bestand keine Prospektpflicht, da die Anleihen weder öffentlich angeboten82 noch zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden sollten83, so dass der Anwendungsbereich des WpPG nicht eröffnet (vgl. § 1 Abs. 1 WpPG) und ein behördliches Billigungsverfahren, das ca. 6 bis 8 Wochen dauert84, somit entbehrlich war. Allerdings wurde aufgrund der vorgesehen Platzierung der Anleihen an Qualified Institutional Buyers85 in den USA ein sog. „Offering Memorandum“86 erstellt, das in wesentlichen Punkten den 78 30 Kalendertage vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts. 79 Art. 19 Abs. 11 VO (EU) Nr. 596/2014. 80 Auch Mitglieder der Kontrollorgane qualifizieren als Führungskräfte i.S.d. VO (EU) Nr. 596/ 2014; vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 VO (EU) Nr. 596/2014. 81 Vgl. Stüber, DStR 2016, 1221, 1227. 82 Im Einzelnen zum Erfordernis eines Angebotsprospekts: von Kopp-Colomb/Mollner in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 3 WpPG Rz. 6 ff., sowie zu den Voraussetzungen eines öffentlichen Angebots: von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 37 ff., jeweils m.w.N.; s. auch Rz. 36.4 ff. 83 Im Einzelnen zum Erfordernis eines Zulassungsprospekts: von Kopp-Colomb/Mollner in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 3 WpPG Rz. 58. 84 Hierbei ist zu beachten, dass neben den Prüfungsfristen der BaFin, auch zwischen den jeweiligen Einreichungen des Prospekts bei der BaFin einige Zeit einzuplanen ist, um die Kommentare der Aufsichtsbehörden in den Prospekt einzuarbeiten. Im Einzelnen zum Ablauf des Billigungsverfahrens und den gesetzlichen Prüfungsfristen: Groß, Kapitalmarktrecht, § 13 Rz. 9 f.; von Kopp-Colomb in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 13 Rz. 22 ff. 85 Eine Privatplatzierung nach „Rule 144A“ in den USA (bei der eine Registrierungspflicht bei der SEC entfällt) setzt voraus, dass die Wertpapiere ausschließlich an Personen platziert werden, die der Verkäufer vernünftigerweise als „Qualified Institutional Buyers (QIB)“ betrachten darf. Die Klassifizierung als QIB folgt aus der Definition des „Accredited Investors“ in „Rule 501 of Regulation D“, wobei grundsätzlich gilt, dass es sich um institutionelle Anleger handeln muss, die für eigene Rechnung oder für Rechnung anderer QIBs über mindestens 100 Mio. US-$ verfügen. Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 22 Rz. 89. 86 Obwohl Informationspflichten bei einer Privatplatzierung nach Rule 144A in den USA längst nicht so weitgehend sind wie die des WpPG und daher die Erstellung eines umfassenden Offering Memorandums rechtlich nicht zwingend erforderlich wäre, wird in aller Regel ein umfassendes Offering Memorandum erstellt, um eine mögliche Haftung in den USA zu vermeiden. Außerdem wird es für Marketingzwecke eingesetzt. Zum US-Recht s. auch § 45.
Grüning/Hirschberg | 557
15.51a
§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
Anforderungen und Umfang eines Prospekts i.S.d. WpPG entspricht, ohne jedoch durch eine Aufsichtsbehörde gebilligt zu werden.
15.52 In diesem Zusammenhang ist auch die sog. „135-Tage-Regel“ beachtlich. Wirtschaftsprü-
fer treffen gemäß dem für comfort letters geltenden IDW-Standard87 keine Aussage mehr zu Veränderungen in Abschlussposten, wenn seit dem letzten geprüften oder einer prüferischen Durchsicht unterzogenen Abschluss 135 oder mehr Tage vergangen sind88. Daneben sind auch Feiertage in verschiedenen Jurisdiktionen oder politische Ereignisse, die für die Finanzmärkte eine bedeutende Rolle spielen bei der Erstellung des Zeitplans miteinzubeziehen. Neben dem oben dargestellten groben Zeitplan erstellt die Investmentbank auch kleinteilige Zeitpläne, die in der Regel die To-Dos und Verantwortlichkeiten für jeden einzelnen Tag der Projektlaufzeit enthalten. An besonderen Tagen, wie z.B. dem „Launch Date“, wird der Zeitplan teilweise sogar auf genaue Uhrzeiten runtergebrochen. c) Strukturierung der Umtauschanleihe
15.53 Bei der Strukturierung der Umtauschanleihe kommt es für die Investmentbank darauf an, gemeinsam mit dem Emittenten/der Garantin marktgerechte Lösungen zu entwickeln, die einerseits attraktive Konditionen für Investoren bieten und andererseits das Interesse der Gesellschaft an günstigen Finanzierungskosten und der Möglichkeit eines marktschonenden Abbaus der zugrundeliegenden Aktienposition wahren. Insbesondere durch die Möglichkeit, die Anleihe in Aktien eines Dritten Unternehmens umzutauschen, bietet die Umtauschanleihe eine Reihe verschiedener Stellschrauben, die über die Attraktivität des Investments am Kapitalmarkt entscheiden.
15.54 Im Gegensatz zum „Straight Bond“89 bei dem es im Hinblick auf das Investoreninteresse
in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Zins und Ausgabebetrag zum Emittentenrating und weiterer Faktoren wie der Ausgestaltung bestimmter Schutzmechanismen für die Anleihegläubiger90 ankommt, spielt bei der Umtauschanleihe insbesondere die Verzahnung mit den zugrundeliegenden Basiswerten eine entscheidende Rolle. Die Ausgestaltung des Umtauschrechts und des Umtauschkurses sowie die Attraktivität der Basiswerte – insbesondere auch deren zu erwartende Volatilität – sind wesentliche Faktoren, von denen die Investitionsentscheidung eines Anlegers abhängen wird91.
15.55 Im vorliegenden Fall haben die Investoren das Recht erhalten, die Anleihen jederzeit nach
Ablauf von etwas mehr als einem Monat nach der Emission bis zum Ende der fünfjährigen Laufzeit in Aktien zu wandeln. Der Emittent hat jedoch das Recht zum „Cash Settlement“, d.h. anstatt der Lieferung von Aktien einen Barausgleich durchzuführen. Damit entspricht die in der Anleihe enthaltene Umtausch-Option aus Investorensicht im Wesentlichen einer Call-Option auf die zugrundeliegenden Aktien, die folglich auch einen mone-
87 IDW Prüfungsstandard 910 „Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letters“. 88 Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 137; kritisch zur Notwendigkeit bei 135-Tagen eine Grenze zu ziehen: Meyer, WM 2003, 1745, 1753; s. auch Rz. 34.35 ff. 89 Beim „Straight Bond“ handelt es sich um eine Anleihe mit einer für die gesamte Laufzeit festen Verzinsung des Nominalkapitals, die üblicherweise als Inhaberschuldverschreibung i.S.d. § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB emittiert wird. Vgl.: Zahn/Lemke, BKR 2002, 527, 528. 90 Z.B. Regelungen zum Kontrollwechsel, Kündigungsmöglichkeiten für Anleihegläubiger, Sicherung der Forderung über Negative Pledge Klauseln etc. 91 Zu verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten bei Anleihebedingungen von Umtauschanleihen, s. Rz. 12.20 ff.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
tären Wert besitzt. Der Vorteil dieser Struktur liegt darin, dass angesichts des Werts der Umtauschoption ein vergünstigter Zinssatz der Anleihe angesetzt werden kann. Dafür musste der Emittent allerdings sowohl auf ein vorzeitiges Rückzahlungsrecht der Anleihe92 als auch auf die Möglichkeit eines verpflichtenden Umtausches in Aktien verzichten und somit in Kauf nehmen, dass am Ende der Laufzeit möglicherweise nicht alle Anleihen in Aktien umgetauscht wurden. Wie bei anderen Anleiheemissionen auch, stellt sich bei Umtauschanleihen die Frage, ob die Begebung direkt über die Muttergesellschaft oder über eine ausländische Zweckgesellschaft erfolgen soll93. Hintergrund für diese Frage sind in erster Linie steuerrechtliche Erwägungen. So unterliegen die Zinszahlungen im Falle einer Direktemission durch einen deutschen Emittenten regelmäßig der Kapitalertragssteuer, die zunächst beim Emittenten einbehalten und nur an ausländische Anleger erstattet wird, die ihren Sitz in einem Land haben, das ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Bundesrepublik abgeschlossen hat94. Soll ein großes Emissionsvolumen platziert und ein internationaler Investorenkreis angesprochen werden, empfiehlt sich daher womöglich eine indirekte Begebung über eine ausländische Zweckgesellschaft.
15.56
Mit der Begebung der Umtauschanleihe über ein Emissionsvehikel mit Sitz in Malta (in Kombination mit einer Garantie der Muttergesellschaft) eröffnete sich im vorliegenden Fall darüber hinaus die Möglichkeit, ein sog. ring-fencing für die zugrundeliegenden Aktien zu erreichen. Mit Ring-fencing ist hier die Separierung der zugrundeliegenden Aktien von den restlichen Vermögenswerten der Muttergesellschaft gemeint. Die Separierung der zugrundeliegenden Aktien dient als Sicherheit für die Anleiheinvestoren und somit gleichzeitig der Vermeidung von Zinsaufschlägen aufgrund des Ausfallrisikos der Muttergesellschaft.
15.57
Vorliegend wurde eine Separierung erreicht, indem die zugrundeliegenden Aktien an das ausländische Emissionsvehikel übertragen wurden. Die Übertragung der Aktien erfolgte gegen Bezahlung des Marktwerts der Aktien an die Muttergesellschaft. Der restliche Erlös aus dem Verkauf der Umtauschanleihe wurde durch Ausreichung eines konzerninternen Darlehens an die Muttergesellschaft ausgekehrt. Während die Muttergesellschaft 99,9 % der Aktien am Emissionsvehikel hält und somit weiterhin die mit den zugrundeliegenden Aktien verbundenen Aktionärsrechte ausüben kann, hält ein zugunsten der Anleiheinvestoren bestellter Treuhänder einen Anteil am Emissionsvehikel, der ihm gemäß der Satzung der Gesellschaft alle notwendigen Rechte einräumt, um die Interessen der Anleiheinvestoren vollumfänglich zu wahren.
15.58
Letztlich hängen die Wahl des Sitzes des Emissionsvehikels und die Art der Aktienübertragung sowie die Sicherstellung der Rechte der Anleiheinvestoren jedoch von einer Reihe steuer-, gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Fragen ab. Diese Fragen sind jeweils im Einzelfall im Hinblick auf die konkrete Transaktion zu beantworten, so dass es eine allgemeingültige Blaupause für die Strukturierung derartiger Anleihen nicht geben kann.
15.59
92 Abgesehen von einem sog. „Clean-up Call“, der den Emittenten zur vorzeitigen Rückzahlung berechtigt, wenn mehr als 90 % der ausgegebenen Anleihen bereits umgetauscht oder zurückgezahlt worden sind. 93 Die Haftung der Muttergesellschaft für die Rückzahlung, Zinszahlungen und weitere Verpflichtungen aus der Anleihe wird im Fall der Anleihebegebung über ein Emissionsvehikel in der Regel über eine Garantie sichergestellt, die die Muttergesellschaft gegenüber einem Treuhänder zugunsten der Anleiheinvestoren abgibt. 94 Vgl. Schanz, BKR 2011, 410, 413.
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
d) Marketing und Platzierung
15.60 Die Platzierung der Umtauschanleihen erfolgte im Rahmen eines von den Investmentbanken organisierten beschleunigten Bookbuildingverfahrens, das es erlaubte, die Platzierung in Europa und den USA innerhalb eines Tages abzuschließen.
15.61 Vor Beginn der Platzierung erfolgte am frühen Morgen und noch vor Handelsbeginn der
für die Platzierung relevanten Leitbörsen zunächst die sog. „Go/No-Go“-Entscheidung und ein Bring-Down Diligence Call, in dem das Management bestätigt hat, dass die von dem Emittent/der Garantin im Übernahmevertrag gegenüber den Banken abgegebenen Gewährleistungen und Zusicherungen zutreffend sind. Anschließend wurden die Sales-Teams der Banken unterwiesen und eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der die Eckpunkte der Transaktion einschließlich der Spannen für Coupon und Premium95 enthalten waren. Gleichzeitig mit Veröffentlichung der Pressemitteilung erfolgte auch der Beginn der Vermarktung an institutionelle Investoren.
15.62 Im vorliegenden Fall war die Nachfrage so hoch, dass die Bücher der Investmentbanken
bereits nach etwa einer Stunde gefüllt waren und nach wenigen Stunden – etwa eine Stunde nach Handelsbeginn in New York – geschlossen werden konnten. Dementsprechend erfolgte die Festlegung der endgültigen Emissionsbedingungen jeweils am für den Emittenten günstigen Ende. Das Emissionsvolumen betrug knapp 250 Mio. Euro. Die Zuteilung der Anleihen erfolgte zu jeweils etwa einem Drittel an Investoren aus den USA, Großbritannien und dem Rest der EU (zuzüglich Schweiz).
3. Rechtliche Dokumentation 15.63 Der oben geschilderte Ablauf der Transaktion wurde durch eine Reihe rechtlicher Doku-
mente flankiert, in denen die jeweiligen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten96 geregelt sind und die dazu dienen, die oben beschriebene Struktur und Begebungsweise der Umtauschanleihe rechtlich abzubilden. Die hierfür benötigten Dokumente sind weitgehend standardisiert und wurden auf die Besonderheiten der jeweiligen Transaktion individuell zugeschnitten.
15.64 Wie in der Anleiheemissionspraxis üblich, erfolgte die internationale Vermarktung der
Anleihe auf Basis eines vorläufigen Term Sheets, in dem die wesentlichen Anleiheund Umtauschbedingungen dargestellt wurden, und das nach Abschluss der Vermarktung durch Ergänzung der fehlenden Angaben (Coupon, Premium, Emissionsvolumen) finalisiert worden ist97. Für die Vermarktung an Qualified Institutional Buyers in den USA
95 Mit „Premium“ ist der Aufschlag auf den rechnerischen Umtauschkurs der zugrundeliegenden Aktien (x + Premium) gegenüber dem aktuellen Börsenkurs (x) gemeint. 96 Als Beteiligte zu nennen sind etwa: Muttergesellschaft und Garantin, Emissionsvehikel, Investmentbanken, Treuhänderin, Emittent der zugrundeliegenden Aktien, Anleiheinvestoren sowie die begleitenden Anwälte und Wirtschaftsprüfer. 97 Da die hier beschriebene Umtauschanleihe nach dem Recht des Staates New York begeben wurde, spielte die Frage, ob es sich bei den Anleihebedingungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die der richterlichen Inhaltskontrolle nach § 305 BGB unterliegen, vorliegend keine Rolle. Ausführlich zur richterlichen Inhaltskontrolle in Bezug auf Anleihebedingungen: Rz. 12.43 ff.
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Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank | § 15
wurde außerdem ein Offering Memorandum erstellt98, das neben einer ausführlichen Beschreibung der Anleihe sowie den Umtausch- und Emissionsbedingungen auch weitere Abschnitte enthält, wie z.B. eine ausführliche Beschreibung der Muttergesellschaft (einschließlich historischer Finanzinformationen und der sog. „MD&A“99) und des Emissionsvehikels sowie Informationen zu den zugrundeliegenden Aktien (einschließlich historischer Finanzinformationen des Emittenten der Aktien) und Risikofaktoren. Durch die Begebung der Umtauschanleihe über das Emissionsvehikel und die damit verbundene Garantieverpflichtung der Muttergesellschaft sowie die gewählte Übertragung der zugrundeliegenden Aktien an das Emissionsvehikel aufgrund der gewählten „ring-fencing“Struktur gestaltete sich die notwendige Dokumentation im vorliegenden Fall komplex. So musste die Gründungsdokumentation für das Emissionsvehikel mit Sitz in Malta und die Garantieerklärung100 der Muttergesellschaft für die Verpflichtungen aus der Anleihe erstellt werden. Des Weiteren musste die Verpflichtung zur Übertragung der zugrundeliegenden Aktien mittels Kaufvertrag zwischen dem Emissionsvehikel und der Muttergesellschaft begründet und der Darlehensvertrag zur Auskehrung des über den Kaufpreis für die Aktien hinausgehenden Emissionserlöses geschlossen werden. Außerdem wurde ein Treuhandvertrag geschlossen, in dem die Rechte und Pflichten des Treuhänders geregelt wurden, der gleichzeitig auch die Zahlstellen- und Umtauschfunktion übernahm.
15.65
Um einen späteren Weiterverkauf von aus der Umtauschanleihe bezogenen Aktien auch in den USA zu ermöglichen, hat sich die US-Gesellschaft als Emittent der zugrundeliegenden Aktien vertraglich gegenüber dem Emittenten der Umtauschanleihe dazu verpflichtet, ein Registrierungsformular, das sog. „Shelf Registration Statement“, bei der U.S. Securities and Exchange Commission zu hinterlegen101.
15.66
Der internationale Bezug der Transaktion, sowohl im Hinblick auf die angesprochen Investoren (mit einem Schwerpunkt auf US-Investoren) als auch im Hinblick auf die beteiligten Parteien (deutsche Muttergesellschaft und Garantin, maltesischer Emittent und Aktien einer US-amerikanischen Gesellschaft) führte dazu, dass auch die Dokumentation nicht einheitlich einer Rechtsordnung zugeordnet werden konnte. So richten sich z.B. die Anleihebedingungen nach dem Recht des Staates New York, die Satzung des Emittenten nach maltesischem Recht und die Garantie der Muttergesellschaft nach deutschem Recht.
15.67
Der Übernahmevertrag wird üblicherweise unmittelbar vor Bekanntgabe (Launch) der Transaktion unterschrieben102. Dieser beschreibt zunächst in einer Präambel die wesentli-
15.68
98 Zur Begrifflichkeit und zu weiteren Einzelheiten bzgl. einer Privatplatzierung in den USA s. Rz. 45.80 ff. 99 „Management Discussion and Analysis“ bzw. „Darstellung und Analyse der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage“, die dazu dient, die Angaben in den historischen Finanzinformationen zu erläutern und verständlich zu machen. 100 Die Garantie richtet sich nach deutschem Recht. Sie wurde gegenüber dem Treuhänder zugunsten der Anleiheinvestoren abgegeben (Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB) und deckt sämtliche Zahlungs- und Umtauschverpflichtungen des Emittenten in Zusammenhang mit der Anleihe ab. 101 Der Weiterverkauf von aus der Umtauschanleihe bezogener Aktien kann dann in den USA unter der Voraussetzung erfolgen, dass ein späterer Weiterverkäufer der Aktien im Registration Statement genannt ist, der Weiterverkauf registriert wird und der Verkäufer einen Fragebogen ausfüllt. 102 Ausführlich zu Inhalt und Rechtsnatur des Übernahmevertrags bei Anleiheemissionen: § 31.
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§ 15 | Anleiheemissionen aus Sicht der Investmentbank
chen Merkmale der Anleihe sowie den beabsichtigten Ablauf der Emission. In den einzelnen Abschnitten des Übernahmevertrags werden dann die Rechte und Pflichten der Konsortialbanken gegenüber dem Emittenten und der Garantin geregelt. Dies betrifft insbesondere die Voraussetzungen, unter denen sich die Banken bereit erklären, die Anleihen zu übernehmen und weiterzuplatzieren103.
15.69 Im vorliegenden Fall wurde der übliche Katalog der von den Parteien abzugebenden Zu-
sicherungen und Gewährleistungen104 um weitere Gewährleistungen des Emittenten der zugrundeliegenden Aktien ergänzt, die sich insbesondere auf die sie betreffenden Darstellungen im Offering Memorandum beziehen. Hier stellt sich im Einzelfall allerdings die Frage, inwieweit der Emittent der Aktien bereit ist, einen (Minderheits-)Aktionär105 bei der Umplatzierung von Aktien zu unterstützen. Dieser Bereitschaft können – im Hinblick auf den Sitz des jeweiligen Emittenten – auch rechtliche Grenzen gesetzt sein. So hat z.B. der BGH die Voraussetzungen für die Mitwirkung einer deutschen Aktiengesellschaft bei der Umplatzierung von Aktien durch einen Aktionär klar umschrieben106.
15.70 Darüber hinaus enthält der Übernahmevertrag üblicherweise eine Reihe aufschiebender Bedingungen (sog. conditions precedent), die erfüllt sein müssen, bevor bestimmte Verpflichtungen der Banken aus dem Übernahmevertrag wirksam werden. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die termingerechte Abgabe bestimmter legal opinions und disclosure opinions (s. dazu § 35) der begleitenden Anwälte sowie comfort letter (s. dazu § 34) der Wirtschaftsprüfer. Durch die komplexe Struktur der hier beschriebenen Umtauschanleihe musste vorliegend eine ganze Reihe entsprechender Dokumente abgegeben werden107.
4. Fazit 15.71 Zusammenfassend lässt dieses Fallbeispiel erkennen, dass Anleiheemissionen in vielen Bereichen zwar sehr stark standardisiert ablaufen, jedoch mit steigender Komplexität weiterhin zunehmend individuelle Lösungen erfordern. Aus Sicht der begleitenden Investmentbanken stellen derartige Transaktionen besondere Herausforderungen an ein akkurates Prozessmanagement, die Bereitschaft zur Entwicklung innovativer Strukturen sowie an die Fähigkeit zur Platzierung an ein internationales Investorenpublikum.
103 Vorliegend handelte es sich um ein Best-Efforts Underwriting, bei dem die Banken vertraglich nur in Höhe des Investoreninteresses zur Abnahme der Anleihe verpflichtet waren. Vgl. auch unter Rz. 15.6. 104 Übernahmeverträge bei Anleiheemissionen, einschließlich des Katalogs der abzugebenden „Represenations and Warranties“ sind weitgehend standardisiert. Vgl.: Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Band 2, VII. Emissions- und Konsortialgeschäft, Rz. VII 39 ff. 105 Vorliegend handelte es sich um einen Anteil an der Gesellschaft von weniger als 20 %. 106 Vgl. BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, AG 2011, 548; zu den Auswirkungen auf die Emissionspraxis: Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH, CFL 2011, 377 ff.; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328 ff. 107 Einschließlich German- und US-Legal Opinions sowie Disclosure Opinions jeweils von den Anwälten der Banken und der Muttergesellschaft sowie in Bezug auf die USA von den Anwälten des Emittenten der zugrundeliegenden Aktien, Malta-Opinion in Bezug auf gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, Comfort Letter in Bezug auf die im Offering Memorandum enthaltenen Finanzinformationen der Muttergesellschaft und des Emittenten der zugrundeliegenden Aktien.
562 | Grüning/Hirschberg
§ 16 Anleihen
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Anleihetypen . . . . . . . . . . . . . . 1. Kategorisierung nach Platzierungswährung und -markt . . . . . a) Auslandsanleihen (Foreign Bonds) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Euroanleihen (Eurobonds) . . . . c) Globalanleihen (Global Bonds) . 2. Kategorisierung nach Ausfallrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Investment Grade Anleihen vs. High Yield Anleihen . . . . . . . . b) Rating . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kategorisierung nach besonderen Merkmalen der Anleihe . . . . . . . a) Hybridanleihen . . . . . . . . . . . b) Equity-linked Instrumente . . . . III. Platzierung und Listing von Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatplatzierung vs. öffentliches Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Emissions- und Angebotsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stand Alone Emissionen . . . . . . 4. Listing von Anleihen . . . . . . . . . IV. Dokumentation und Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahmevertrag (Purchase Agreement, Dealer Agreement) . . 2. Konsortialvertrag (Agreement among Managers) . . . . . . . . . . . 3. Anleihebedingungen (Terms and Conditions, Indenture) . . . . . 4. Zahlstellenvereinbarung (Paying Agency Agreement, Fiscal Agency Agreement) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherheitendokumente; Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kaufvertrag zwischen Bank und Anleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zentrale Ausgestaltungsmerkmale von Anleihen . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptleistungspflichten: Zinszahlung und Rückzahlung von Kapital . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . aa) Feste und variable Zinsen . .
__ _ __ _ _ __ __ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _
16.1 16.5 16.6
2.
16.7 16.8 16.9
16.10
3.
16.10 16.12 16.13 16.13 16.14 16.18 16.18 16.19 16.22 16.23 16.26 16.27 16.28 16.29 16.33 16.34 16.36 16.37 16.38 16.39 16.40
4.
5.
bb) Nullkupon-Anleihen (Zero Bonds) . . . . . . . . . . b) Rückzahlungsverpflichtung . . . Laufzeit und Kündigungsrechte des Emittenten durch vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . a) Laufzeiten von Anleihen . . . . . b) Kündigungsrechte des Emittenten durch vorzeitige Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusicherungen (Covenants) . . . . a) Rangklausel . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung der Rangverhältnisse unter den Gläubigerklassen . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragliche Rangklausel . . cc) Strukturelle Subordination . b) Negativerklärung . . . . . . . . . . c) Finanzielle Zusicherungen . . . . d) Change of Control Covenant . . e) Weitere Zusicherungen bei High Yield Anleihen . . . . . . . . Besicherung . . . . . . . . . . . . . . . a) Personalsicherheiten, insbesondere Garantien . . . . . . . . . . . b) Realsicherheiten, insbesondere Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . Kündigungsrechte der Anleihegläubiger (Events of Default) . . . a) Verletzung von Zahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . b) Nichteinhaltung von Zusicherungen (Covenant Breach) . . . . c) Drittverzugsklausel (Cross Default) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Events of Default . . . . e) Beschränkungen des Rechts zur außerordentlichen Kündigung .
VI. Kollektive Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger . . . . 1. Anleihetreuhänder (Trustee) und gemeinsamer Vertreter . . . . . . . 2. Änderung der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustimmung aller Gläubiger vs. Mehrheitsbeschluss . . . . . . . . . b) Beschlussgegenstände und erforderliche Mehrheiten . . . . .
__ __ __ _ __ __ __ __ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _
16.44 16.46 16.47 16.47 16.48 16.51 16.52 16.52 16.54 16.57 16.58 16.59 16.60 16.61 16.62 16.64 16.69 16.72 16.73 16.74 16.75 16.78 16.79 16.81 16.84 16.91 16.92 16.95
Kaulamo | 563
§ 16 | Anleihen
__ __ _ _
c) Änderung der Anleihebedingungen von Altanleihen . . . . . 16.99 3. Beschlussfassung . . . . . . . . . . . 16.100 VII. Anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . a) Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . .
16.106 16.106 16.106
c) Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Transparenz des Leistungsversprechens (§ 3 SchVG) . bb) Beschränkte Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . .
_ _ __
16.109 16.109 16.111 16.112
16.107
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I. Einführung 16.1
Die Fremdfinanzierung von Unternehmen über den Kapitalmarkt hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Anleihemärkte sind sowohl institutionellen Anlegern als auch Privatanlegern zugänglich; in der Praxis sind jedoch überwiegend institutionelle Anleger wie z.B. Rentenfonds, Versicherungen und Banken auf diesen Märkten aktiv. Nach der grundlegenden Reform des Schuldverschreibungsgesetzes im Jahr 2009 haben sich in Deutschland die rechtlichen Rahmenbedingungen für Anleiheemissionen weitgehend an die international üblichen Marktstandards angepasst1. Das betrifft insbesondere die kollektive Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger.
16.2
Unter dem Begriff Anleihen werden verzinsliche Schuldverschreibungen verstanden, die am Kapitalmarkt platziert werden2. Anleihen sind Wertpapiere, die in Serie zu gleichen Bedingungen ausgegeben werden, und in denen der Schuldner den Geldgebern Rückzahlung und Verzinsung einer bestimmten Geldsumme zu den im Voraus festgelegten Bedingungen verspricht. Die Anleihe als Finanzierungsinstrument kann wirtschaftlich als ein in Teilbeträge aufgeteiltes, langfristiges Großdarlehen auf einheitlicher Grundlage betrachtet werden3. Gestützt auf die Anleihebedingungen, welche die Leistungspflichten des Emittenten definieren, tritt ein Unternehmen als Anleihenehmer in Rechtsbeziehung mit einer Vielzahl von Geldgebern. Die einzelnen Forderungsrechte sind hinsichtlich ihres Bestandes und ihrer Ausübung grundsätzlich voneinander unabhängig, können also jeweils für sich allein, ohne Mitwirkung der übrigen Gläubiger, geltend gemacht werden. Nur wo das Gesetz oder die Anleihebedingungen eine andere Regelung treffen, wird die individuelle Rechtsausübung durch kollektives Handeln überlagert (vgl. dazu Rz. 16.81 ff.). Die Forderung des Anleihegläubigers wird in der Praxis stets in einem Wertpapier verbrieft. Nach Verbriefungsform unterscheidet man hauptsächlich zwischen Inhaber- und Namensschuldverschreibungen. Die Inhaberschuldverschreibungen sind in Deutschland in den §§ 793 ff. BGB gesetzlich geregelt4 und stellen im inländischen und internationalen Anleihemarkt den Regelfall
1 Schuldverschreibungsgesetz vom 31.7.2009 (BGBl. I 2009, 2512), das zuletzt durch Art. 24 Abs. 21 des Gesetzes vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1693) geändert worden ist (im Folgenden auch „SchVG“). Das neue Schuldverschreibungsgesetz ersetzt das Schuldverschreibungsgesetz von 1899 (BGBl. III, 4134-1) (im Folgenden auch „SchVG 1899“). 2 Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 28; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/155. 3 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 20. 4 Für Namensschuldverschreibungen gibt es in Deutschland keine systematische gesetzliche Regelung.
566 | Kaulamo
Anleihen | § 16
dar5. Anders als die dem deutschen Recht unterliegenden Anleihen sind die nach US-amerikanischem Recht begebenen Anleihen aufgrund von Bestimmungen des US-amerikanischen Steuerrechts in der Regel Namensschuldverschreibungen (Registered Bonds), also Schuldverschreibungen, in denen der Besitzer der Urkunde namentlich benannt wird6. Das Schuldscheindarlehen ist trotz anleiheähnlicher Eigenschaften von der Anleihe abzugrenzen. Die Parallelen des Schuldscheindarlehens zu einer Anleihe liegen in der Kapitalüberlassung auf Zeit und dem (teilweise) stattfindenden Weiterverkauf7. Der wesentliche Unterschied liegt in der rechtlichen Einordnung des Schuldscheindarlehens, das nicht Schuldverschreibung, sondern Darlehen gemäß § 488 BGB ist. Dieses Darlehen wird durch einen Schuldschein gemäß § 371 BGB bestätigt8. Das Schuldscheindarlehen ist somit kein Wertpapier9.
16.3
Für eine umfassende Darstellung von Schuldscheindarlehen wird auf den Beitrag von Mülbert/Bernauer, § 26, verwiesen. Die internationalen Anleihemärkte umfassen eine große Vielzahl verschiedener Anleihetypen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Unternehmensanleihen10.
16.4
II. Anleihetypen Der Kapitalmarkt hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine Vielzahl von innovativen Kapitalmarktinstrumenten hervorgebracht, wobei Anleihen bei dieser Entwicklung eine bedeutende Rolle gespielt haben. So vielfältig wie die verschiedenen Wertpapiere im Bereich der 5 Dadurch, dass in einer Inhaberschuldverschreibung der Besitzer der Urkunde nicht namentlich benannt wird, ist die Möglichkeit der einfachen Übertragung sichergestellt. S. dazu HartwigJacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 22; Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 513; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/171. Die Anleihepapiere einer Serie können entweder als einzelne Urkunden oder – wie in der Praxis üblich – als Globalurkunde ausgegeben werden. In letzterem Fall erwirbt der Anleihegläubiger einen Miteigentumsanteil an der Globalurkunde. Vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 23. 6 Gemäß den US-amerikanischen TEFRA D Rules (sie beziehen sich auf den Tax Equity and Fiscal Responsibility Act of 1982) sind Zinsen auf in den USA platzierte Inhaberschuldverschreibungen (Bearer Bonds) nicht abzugsfähig und es fällt für solche Wertpapiere eine 1 %ige Verbrauchssteuer (auf der Basis des Nennbetrags der Inhaberschuldverschreibung multipliziert mit der Laufzeit der Anleihe) an. Aus diesem Grund werden Schuldverschreibungen in den USA nur als Namenspapiere (Registered Bonds) platziert. In Bezug auf von nicht US-amerikanischen Emittenten außerhalb der USA begebene Inhaberschuldverschreibungen werden diese, um den Bestimmungen von TEFRA D zu entsprechen, zunächst in einer vorläufigen Globalurkunde und nach Ablauf von 40 Tagen gegen Nachweis über das Nichtbestehen wirtschaftlichen US-Eigentums in einer DauerGlobalurkunde verbrieft. Mit Wirkung zum 18.3.2012 wurde durch den US Hiring Incentives to Restore Employment Act die bisher vorhandene Zinsabzugsfähigkeit von Inhaberschuldverschreibungen, die von US-amerikanischen Emittenten außerhalb der USA platziert wurden, aufgehoben. 7 Vgl. Schmitt, BB 2012, 2039, 2039. 8 Vgl. Früh/Müller-Arends in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 3/265. 9 Schuldscheindarlehen werden im Wege des Forderungskaufs mit anschließender Abtretung gemäß § 398 BGB übertragen. Das Eigentum an dem Schuldschein geht dabei nach § 952 Abs. 1 BGB auf den Zessionar als Gläubiger der Darlehensforderung über. S. dazu Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 563; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 365. 10 Zu rechtlichen Problemen bei Staatsanleihen s. z.B. Sandrock, WM 2013, 393 und Müller, RIW 2015, 717.
Kaulamo | 567
16.5
§ 16 | Anleihen
Anleihen sind, so unterschiedlich sind auch die im Markt üblichen Bezeichnungen für die verschiedenen Anleihetypen. Zum einen orientieren sich die Begriffe an der jeweiligen Platzierungswährung und/oder -markt der konkreten Anleihe (z.B. Auslandsanleihen, Yankee Bonds, Eurobonds, Global Bonds); zum anderen reflektieren die Bezeichnungen das spezifische Risikoprofil oder Merkmale der Anleihe (wie z.B. Investment Grade Bonds, High Yield Bonds, Equity-linked Notes, Hybrid Bonds). Nachfolgend werden die gängigsten Kategorien kurz umrissen. Zu der weiteren Kategorisierung der Anleihen nach Art der Verzinsung s. Rz. 16.39 ff.
1. Kategorisierung nach Platzierungswährung und -markt 16.6
Die weltweiten Anleihemärkte können in „inländische“ bzw. nationale (einschl. Staats-) Anleihemärkte und internationale Anleihemärkte unterteilt werden. Gegenstand eines nationalen Anleihemarktes sind all jene Anleihen, die in derselben Jurisdiktion platziert und ausgegeben werden, in der auch der Emittent, sei es eine staatliche oder kommunale Institution oder Unternehmen, ihren Sitz hat. In der Praxis wird der internationale Anleihemarkt in einen Markt für Auslandsanleihen, Euroanleihen (Eurobonds) und Globalanleihen (Global Bonds) eingeteilt. a) Auslandsanleihen (Foreign Bonds)
16.7
Legt ein ausländischer Emittent eine Anleihe im Inland in der Landeswährung auf, stellt dies eine Form der Auslandsanleihe (Foreign Bond) dar. Aus deutscher Sicht handelt es sich dann um eine Auslandsanleihe, wenn ein ausländisches Unternehmen eine in der gesetzlichen Währung der Bundesrepublik Deutschland denominierte Anleihe begibt11. Zu der Kategorie der Auslandsanleihen gehören auch die sog. Yankee Bonds, worunter Anleihen verstanden werden, die auf US-Dollar lauten, dem US-Recht unterliegen und von nicht in den USA beheimateten Unternehmen oder Staaten in den USA begeben werden. b) Euroanleihen (Eurobonds)
16.8
Unter Eurobonds versteht man in der Praxis Anleiheemissionen, die – nicht zwingend ausschließlich – im europäischen Kapitalmarkt platziert werden12. Eurobonds werden in der Regel von einem internationalen Bankenkonsortium übernommen und mit dem Ziel der erhöhten Platzierungskraft unter einheitlichen Bedingungen gleichzeitig auf Kapitalmärkten in verschiedenen Ländern – mit Ausnahme der USA – platziert13. Der Begriff „Euro“ bedeutet nicht, dass die Anleihen stets auf Euro als Währung lauten; vielmehr geht der Begriff Eurobonds auf die Abgrenzung zum US-Anleihemarkt zurück und steht demnach für „nichtUS“14. In der Praxis lauten Euroanleihen auf solche Währungen, in denen internationale Geld- und Kapitalmarkttransaktionen größeren Umfangs regelmäßig abgewickelt werden. 11 Vor der Einführung des Euro war der Begriff „DM-Auslandsanleihe“ gebräuchlich, vgl. Stucke, DM-Auslandsanleihen, S. 7; Vogel, Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger, S. 261; Than in FS Coing, 1982, S. 521. 12 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.263 ff.; Oulds in Veranneman, SchVG, § 1 Rz. 27. 13 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 28 f. 14 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.144; Vogel, Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger, S. 300.
568 | Kaulamo
Anleihen | § 16
c) Globalanleihen (Global Bonds) In Abgrenzung zu den Eurobonds versteht man unter Globalanleihen (Global Bonds) solche Anleihen, die in den USA und weiteren Märkten (beispielsweise Europa und/oder Asien) platziert werden15. Der Ausdruck Globalanleihe greift daher das Konzept einer weltweiten Platzierung auf16. Die Globalanleihen werden nach den US-amerikanischen Wertpapiervorschriften registriert und in der Regel rund um die Uhr gehandelt, worauf insbesondere institutionelle Investoren Wert legen17.
16.9
2. Kategorisierung nach Ausfallrisiko a) Investment Grade Anleihen vs. High Yield Anleihen Rückt man das anleihespezifische Risiko von Anlegern, mit ihrem Investitionsbetrag ganz oder teilweise auszufallen, in den Fokus, ergibt sich eine Spannbreite von Investitionsklassen, die von Anleihen mit besonders hoher Bonität bis zu besonders ausfallgefährdeten, spekulativen Anleihen reicht. Regelmäßig erfolgt eine Kategorisierung in ein Investment Grade-Segment, also Anleihen mit grundsätzlich guter Bonität, und ein Non-Investment Grade-Segment. Anleihen aus dem Non-Investment Grade-Segment werden üblicherweise als High Yield Anleihen oder High Yield Bonds bezeichnet, deren Ursprung in den USA liegt und die Ende der neunziger Jahre auch an die europäischen Anleihemärkte gelangten. Mittlerweile zählen High Yield Anleihen auch in Europa zu den gängigen Finanzierungsinstrumenten des Kapitalmarkts18. Der Begriff High Yield Anleihe trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass wegen des erhöhten Ausfallrisikos in der Regel ein überdurchschnittlich hoher Zins zu entrichten ist.
16.10
Für eine umfassende Darstellung von High Yield Anleihen wird auf den Beitrag von Hutter, § 17, verwiesen. Der Begriff Benchmark Anleihe steht in Bezug auf Investment Grade oder High Yield Anleihen für großvolumige Anleihen mit einem Emissionsvolumen von in der Regel mindestens 500 Mio. Euro, die (in großem Umfang) regelmäßig von Daueremittenten (sog. Repeat Issuers) am Kapitalmarkt platziert werden.
16.11
b) Rating Die Einordnung zu einem der beiden Anleihesegmente erfolgt in der Praxis anhand eines Ratings der Anleihen19. Hierbei handelt es sich um eine anhand einer Risikoskala vorgenommene Bewertung der Fähigkeit des Emittenten, die ihm aus der Anleihe obliegenden Verpflichtungen zu Zins- und Tilgungszahlungen vollständig und rechtzeitig zu erfül15 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 30; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.263 ff. 16 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 30. 17 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 32; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/96; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 30. 18 Dazu eingehend Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 45 ff. 19 Das Rating einer Anleihe (Issue Credit Rating) ist dabei vom Rating des emittierenden Unternehmens (Issuer Credit Rating) zu unterscheiden; vgl. Steiner in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, Rz. 15.71.
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16.12
§ 16 | Anleihen
len20. Eine solche Bonitätsbewertung und Einstufung auf der Ratingskala wird insbesondere von wenigen großen internationalen Ratingagenturen, so v.a. Moody’s und Standard & Poor’s, vorgenommen. Die eingesetzten Ratingskalen sind trotz gewisser Abweichungen in der Bezeichnung weitestgehend analog: Auf beiden Skalen bildet das sog. Triple-A Rating (AAA bei Standard & Poor’s bzw. Aaa bei Moody’s) die höchste Bonitätsstufe, also ein weitestgehend zu vernachlässigendes Ausfallrisiko, ab. Die niedrigste Ratingstufe (D bei Standard & Poor’s bzw. C bei Moody’s) zeigt dagegen an, dass bereits ein Zahlungsausfall (Default) vorliegt. Die Trennlinie zwischen Investment Grade und Non-Investment Grade liegt auf der Ratingskala für Anleihen bei Baa3 (Moody’s) bzw. BBB– (Standard & Poor’s); unterhalb dieser Schwelle beginnt das Non-Investment Grade, also das High Yield Segment.
3. Kategorisierung nach besonderen Merkmalen der Anleihe a) Hybridanleihen
16.13 Auch deutsche Emittenten greifen zunehmend auf innovative Finanzierungsinstrumente
zurück, bei denen die Grenze zwischen der Finanzierung mit Eigenkapital und mit Fremdkapital verwischt21. Ein solches Finanzierungsinstrument sind z.B. Hybridanleihen, die auf Grund unbegrenzter (bzw. sehr langer) Laufzeit auch als ewige Anleihen bzw. auf Grund der typischerweise enthaltenen Nachrangklausel22 als Nachranganleihen bezeichnet werden. Bei befristeten Anleihen enthalten die Anleihebedingungen zudem regelmäßig keine Kündigungsrechte der Anleihegläubiger23. Die Kündigung durch den Emittenten zu einem vorher festgelegten Termin kann jedoch vereinbart werden24. Aufgrund dieser Ausgestaltungsmerkmale kommt Hybridanleihen ein eigenkapitalähnlicher Charakter zu, welcher ihre Einstufung als Eigenkapital für aufsichtsrechtliche oder bilanzielle Zwecke rechtfertigen kann25. Den Anlegern wird zumeist durch einen Zinsaufschlag gegenüber herkömmlichen Unternehmensanleihen ein Ausgleich für ein so erhöhtes Risiko gewährt26. Ursprünglich wurden Hybridanleihen hauptsächlich durch Unternehmen des Finanzdienstleistungssektors begeben27. Die Begebung durch andere Unternehmen hat sich jedoch seit 2005 durchgesetzt28.
Für eine umfassende Darstellung von Hybridanleihen wird auf den Beitrag von Gleske, § 18, verwiesen. 20 Eine Darstellung von Ratings aus rechtlicher Sicht findet sich bei Dörscher in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kap. 8 Rz. 8.15 ff., Bartsch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, S. 863 ff., ausführlich Schroeter, Ratings. 21 Zu den rechtlichen Grenzen der Annäherung zwischen den Formen der Eigen- und der Fremdkapitalfinanzierung, s. Baums in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 959 ff. 22 Eine Musterklausel findet sich bei Sester, ZBB 2006, 443, 452 f. 23 Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 1 Rz. 38. 24 Hierzu Thomas, ZHR 171 (2007), 684, 687, 711. 25 Da Hybridanleihen die Kriterien von Ratingagenturen für Eigenkapital erfüllen, werden sie von den Agenturen teilweise wie Eigenkapital eingestuft. Im Einzelnen hierzu und zu den Anforderungen für eine Qualifizierung als Eigenkapital nach IAS 32 s. Häuselmann, BB 2007, 931, 931 ff. 26 S. hierzu Häuselmann, BB 2007, 931, 931 ff.; Müller-Eising/Bode, BKR 2006, 480, 480 ff.; Sester, ZBB 2006, 443, 443 ff.; Vater, FB 2006, 44, 44 ff. 27 Nölling/Jendruschewitz, FB 2006, 435, 435 ff. 28 Thomas, ZHR 171 (2007), 684, 685; Beispiele hierfür sind die Hybridanleihen, die von EnBW, Linde, Porsche, RWE, TUI und Siemens begeben wurden.
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Anleihen | § 16
b) Equity-linked Instrumente Neben den klassischen Eigen- und Fremdkapitalmarktinstrumenten haben sich besondere Formen von Schuldverschreibungen, sog. Equity-linked Instrumente, zu denen insbesondere Wandelanleihen, Umtauschanleihen und Optionsanleihen zählen, etabliert. Diese Equitylinked Instrumente treten in einer Vielzahl von unterschiedlichen Gestaltungen auf, sind jedoch allesamt dadurch gekennzeichnet, dass anstelle der Tilgung der Anleihe in Geld die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Aktien in Betracht kommen kann. Auf Grund der rein schuldrechtlichen Natur der Equity-linked Instrumente sind die Inhaber dieser Anleihen zunächst in erster Linie Gläubiger des Emittenten, die wie Kreditgeber Zinsen erhalten.
16.14
Wandelanleihen (Convertible Bonds) sind Schuldverschreibungen, die den Gläubigern das Recht einräumen, entweder den Rückzahlungsanspruch der Schuldverschreibung geltend zu machen oder die Schuldverschreibung in Aktien des Emittenten zu wandeln29. Umtauschanleihen (Exchangeable Bonds) sind dagegen Schuldverschreibungen, die einen Anspruch auf Rückzahlung der Anleihe bzw. auf Umtausch der Schuldverschreibung in Aktien einer Gesellschaft, die nicht mit dem Emittenten identisch ist (Zielgesellschaft), verbriefen (s. Rz. 12.1). Sofern eine Belastung des Emittenten durch eine Barzahlungspflicht zum Zeitpunkt der Fälligkeit vermieden werden soll, kommt die Begebung von Pflichtwandelanleihen (Mandatory Convertible Bonds) und Pflichtumtauschanleihen (Mandatory Exchangeable Bonds) in Betracht. Bei diesen Anleihen wird der Anleihegläubiger bereits zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe verbindlich verpflichtet am Ende der Laufzeit sein Wandlungs- bzw. Umtauschrecht auszuüben30. Auch bei sog. „umgekehrten Wandelanleihen“ ist der Anleihegläubiger zur Wandlung verpflichtet, wenn der Emittent entscheidet, dass anstelle der Rückzahlung eine Lieferung von Aktien erfolgen soll31.
16.15
Seit einigen Jahren werden insbesondere von Kredit- und Versicherungsinstituten vermehrt sog. Contingent Convertible Bonds oder kurz CoCo-Bonds begeben. Auch als bedingte Pflichtwandelanleihen bezeichnet32, sehen diese bei Eintritt bestimmter Trigger Events eine Pflichtwandlung vor, was zu einer raschen Verbesserung der Eigenkapitalausstattung des Emittenten führt33. Wenn Banken solche CoCo-Bonds begeben, ist der Trigger Event das Unterschreiten einer bestimmten Kernkapitalquote, um im Krisenfall die Beschaffung des zur Unterlegung von Risikopositionen erforderlichen Kernkapitals zu erleichtern34. Auch für Unternehmen stellt die Begebung von CoCo-Bonds eine Finanzierungsalternative dar. Dabei kommen als Trigger Events beispielsweise Ratingherabstufungen bzw. der Abschluss von Akquisitionen in Betracht. Ebenfalls als CoCo-Bonds bezeichnet werden Anleihen, die bei Eintritt des Trigger-Events keine Umwandlung sondern eine Herunterschreibung ihres Nennbetrags vorsehen (Write-Down CoCo-Bonds)35.
16.16
Optionsanleihen gewähren dem Inhaber das Recht, Aktien des Emittenten zu erwerben. Anders als im Falle der Wandelanleihe ist hier aber das Anleiheelement einschließlich des
16.17
29 30 31 32 33
Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 1 ff. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52; S. Rz. 11.5. Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 192 Rz. 25a. Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, § 192 Rz. 29c, Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 52 (der von einem „Debt-Equity-Swap auf Vorrat“ spricht); Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 1 Rz. 39. 34 Nodoushani, WM 2016, 589, 589 f.; ausführlich Nodoushani, ZBB 2011, 143, 148. 35 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 192 Rz. 25b; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 1 Rz. 39.
Kaulamo | 571
§ 16 | Anleihen
Rückzahlungsanspruchs des Anleihegläubigers vom Optionsrecht (Warrant) losgelöst36. In der Praxis werden Optionsanleihen meist so ausgestaltet, dass das Optionsrecht unabhängig von der Anleihe ausgeübt und übertragen und daher getrennt gehandelt werden kann37. Nähere Erläuterungen zu den Equity-linked Instrumenten finden sich in den Beiträgen von Leopold/Schröter, § 10, Schlitt, § 11 sowie Schlitt/Kammerlohr, § 12.
III. Platzierung und Listing von Anleihen 1. Privatplatzierung vs. öffentliches Angebot 16.18 Eine Anleiheemission kann je nach Zielpublikum sowohl als öffentliches Angebot, als
reine Privatplatzierung oder als Kombination daraus strukturiert werden38. Welche Art der Platzierung im Einzelfall Anwendung findet, ist stark von dem jeweiligen Anleihetyp abhängig. Investment Grade Anleihen werden häufig im Rahmen von Emissionsprogrammen begeben (s. dazu Rz. 16.19 ff.). Die Programmdokumentation ermöglicht dabei sowohl ein öffentliches Angebot als auch eine Privatplatzierung der unter dem Emissionsprogramm begebenen Schuldverschreibungen. High Yield Anleihen werden typischerweise in Privatplatzierungen an institutionelle Investoren ausgegeben, wobei die meisten High Yield Emissionen deutscher und europäischer Unternehmen derart strukturiert sind, dass eine Privatplatzierung auch in den USA gemäß Rule 144A in Verbindung mit Section 4(2) des U.S. Securities Act von 1933 erfolgt39. Traditionell investieren überwiegend institutionelle Investoren, wie Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, Pensionsfonds, Ver-
36 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 13, 32. 37 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 32. 38 Zum Begriff des öffentlichen Angebots und zu der Abgrenzung zur Privatplatzierung, s. Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 2 Rz. 29 ff.; von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 32 ff.; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 14 ff. 39 Nach US-amerikanischem Recht muss gemäß den Bestimmungen des U.S. Securities Act von 1933 grundsätzlich jeder Verkauf von Wertpapieren mit der amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde, der U.S. Securities Exchange Commission (SEC), registriert werden, es sei denn, dass eine Ausnahmevorschrift in Bezug auf die SEC Registrierung zur Anwendung kommt. Die in Rule 144A enthaltene sog. Safe Harbor Regelung verlangt lediglich, dass (i) der Verkauf der High Yield Anleihe nur an sog. Qualified Institutional Buyers (QIBs) erfolgt, (ii) die Anleihegläubiger davon Kenntnis erlangen, dass es sich bei der platzierten High Yield Anleihe um nicht mit der SEC registrierte Wertpapiere handelt (dieses Erfordernis wird durch diverse Legends und Disclaimers erfüllt, die im Offering Memorandum und anderen im Zusammenhang mit der High Yield Emission erstellten Dokumenten enthalten sind), (iii) die High Yield Anleihe nicht mit Wertpapieren identisch ist, die an einer US-amerikanischen Börse gehandelt werden, (iv) die Anleihegläubiger bestimmte periodische Informationen über den Geschäftsverlauf des Emittenten (z.B. den Geschäftsbericht) in englischer Sprache erhalten und (v) der Emittent bestimmte Publizitätsrichtlinien erfüllt und u.a. nicht den US-amerikanischen Markt in Bezug auf die platzierte High Yield Anleihe konditioniert. Darüber hinaus steht für eine Platzierung von High Yield Anleihen in den USA die Ausnahmeregelung bzw. der Safe Harbor von Regulation D zur Verfügung, nach der der Emittent die High Yield Anleihe an sog. Accredited Investors und eine geringe Anzahl von Non-Accredited Investors platzieren kann. S. Rz. 17.18; s. auch Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 319 ff.
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Anleihen | § 16
sicherungen und Hedge-Fonds in High Yield Anleihen40. In der jüngeren Vergangenheit ist insbesondere in Deutschland auch eine wachsende Nachfrage nach High Yield Anleihen seitens Privatinvestoren (Retail) zu verzeichnen (s. Rz. 17.21). Wandel- und Umtauschanleihen werden typischerweise bei institutionellen Investoren im Wege einer Privatplatzierung platziert. Das den Aktionären bei der Begebung von Wandelanleihen grundsätzlich zustehende Bezugsrecht auf einen ihrer Beteiligung entsprechenden Anteil der Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG i.V.m. § 186 AktG) wird dabei in der Praxis regelmäßig ausgeschlossen. Bei der Strukturierung der Anleiheemission ist dabei zu beachten, dass öffentliche Angebote in aller Regel die Erstellung und Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts erfordern. In Europa richtet sich dies in den einzelnen Mitgliedstaaten derzeit nach der jeweiligen Umsetzung der RL 2003/71/EG (EUProspektrichtlinie)41. Im Juli 2019 werden diese Vorschriften durch die unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltende neue Prospektverordnung42 ersetzt. Für eine umfassende Darstellung der Vorgaben für Wertpapierprospekte wird auf den Beitrag von Meyer, § 36, verwiesen.
2. Emissions- und Angebotsprogramme Emissions- bzw. Angebotsprogramme sind Rahmenvertragswerke für die Begebung von Schuldverschreibungen verschiedenster Ausstattung durch Privatplatzierung oder auch öffentliches Angebot. Seit längerer Zeit gibt es im US-Kapitalmarkt Emissionsprogramme (sog. Shelf Registrations) für die Ausgabe von Commercial Paper, d.h. kurzfristige Schuldverschreibungen – meist in Form von Inhaberpapieren – mit Laufzeiten von bis zu neun Monaten43, und solche für die Ausgabe länger laufender Schuldverschreibungen, die grundsätzlich aus Gründen des US-Steuerrechts in Form von Namenspapieren (Registered Bonds) begeben werden44. Man spricht bei Ersteren von Commercial Paper (CP) Programs und bei Letzteren von Medium Term Note (MTN) Programs. Durch diese Programme wird die Begebung einer Vielzahl von Anleihen (sog. Take-Downs) bis zu einem definierten Höchstbetrag autorisiert. Bei Verwendung des Modells außerhalb des US-Ka40 Vgl. Auerbach, Mergers and Acquisitions, S. 11; Altman/Nammacher, Investing in Junk Bonds, S. 63 ff.; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 59 f.; Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, S. 16. 41 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Prospektrichtlinie), ABl. EG Nr. L 345 v. 31.12.2003, S. 64. Die Richtlinie 2003/71/EG erfuhr eine Änderung durch die Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010. S. umfassend zu diesem Prospektregime: von Kopp-Colomb/Seitz, WM 2012, 1220, 1220 ff. 42 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12. 43 Bei Ausgabe von Commercial Paper in den USA ist zu beachten, dass der Erlös aus der Emission aktuellen Transaktionen zufließen muss und nur für solche Transaktionen verwendet werden darf, um unter eine Ausnahme von den Registrierungsvorschriften für Wertpapiere gemäß dem Securities Act of 1933 zu fallen. Ferner gilt für den US-amerikanischen Markt eine Laufzeitbegrenzung auf neun Monate. 44 US-amerikanische Anleihen lauten nahezu sämtlich auf den Namen der Cede & Co, als Vertreter der Depository Trust Company (DTC).
Kaulamo | 573
16.19
§ 16 | Anleihen
pitalmarkts ist die Bezeichnung nicht selten Euro-CP bzw. Euro-MTN Program oder Debt Issuance Program (DIP).
16.20 Das im Zuge der Umsetzung der RL 2003/71/EG (EU-Prospektrichtlinie) erlassene Wert-
papierprospektgesetz (WpPG) führte zum 1.7.2005 den Begriff des Angebotsprogramms ausdrücklich auch in das deutsche Recht ein: Darunter versteht man gemäß § 2 Nr. 5 WpPG einen Plan, der es erlaubt, Nichtdividendenwerte ähnlicher Art oder Gattung sowie Optionsscheine jeder Art dauernd oder wiederholt während eines bestimmten Emissionszeitraums zu begeben. Der Begriff umfasst sowohl typische Anleihen als auch derivative Wertpapiere jeglicher Art, d.h. Optionsscheine, Zertifikate sowie sonstige strukturierte Produkte45. Für diese Arten von Wertpapieren ist es dem Emittenten gestattet, einen sog. Basisprospekt i.S.d. § 6 WpPG zu erstellen, der sowohl ein öffentliches Angebot als auch die Notierung der Anleihen im regulierten Markt ermöglicht (s. dazu Rz. 16.23 ff.). Ein Basisprospekt zeichnet sich dadurch aus, dass er die Angaben zu jenen Wertpapiermerkmalen, die erst im Rahmen einer konkreten Wertpapierbeschreibung im Zusammenhang einer Emission festgelegt werden, zunächst nicht enthält, dennoch aber billigungsfähig ist. Die sog. endgültigen Bedingungen, die bei jedem Take-Down erstellt werden und die im Basisprospekt weggelassenen Wertpapierangaben enthalten, komplettieren den Basisprospekt um die fehlenden, die einzelne Emission betreffenden Angaben. Anders als der Basisprospekt bedürfen die endgültigen Bedingungen keiner gesonderten Billigung. Das Konzept des Basisprospekts teilt die Dokumentation für die Anleiheemission somit in zwei Teile, den zu billigenden Basisprospekt und die nur zu hinterlegenden endgültigen Bedingungen46. Ein Basisprospekt kann während seiner Gültigkeit – zwölf Monate ab Billigung47 – beliebig oft für die Emission von Anleihen im Rahmen des definierten Höchstbetrags verwendet werden, indem für die Einzelemissionen jeweils endgültige Bedingungen erstellt und hinterlegt werden. Insofern entspricht das Konzept eines Basisprospekts für ein Angebotsprogramm der aus dem US-Markt bekannten Shelf Registration für dortige Emissionsprogramme: Beide Programme bezwecken in erster Linie die Rationalisierung, Flexibilisierung und Verbilligung der Fremdkapitalaufnahme48.
16.21 In der Praxis enthalten die Euro-MTN Programme oder Debt Issuance Programme in einem
Programmprospekt bisweilen mehrere Basisprospekte, wenn mehrere Gesellschaften eines Konzerns als Emittent unter einem Programm auftreten49. Die Programmprospekte deutscher Emittenten werden mehrheitlich in Luxemburg von der Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF) gebilligt. In der Regel erfolgt auch eine Notifizierung des in Luxemburg gebilligten Programmprospekts in Übereinstimmung mit dem in der EU-Prospektrichtlinie vorgesehenen sog. Passporting-Verfahrens an die BaFin sowie an die Aufsichtsbehörden ausgewählter anderer EU-Staaten50. Die Notifizierung des gebilligten Pro-
45 S. Kullmann/Sester, ZBB 2005, 209, 211; Kullmann/Sester, WM 2005, 1068, 1072. 46 Bauer in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 6 Rz. 4. 47 Treten während dieser Zeit neue wichtige Umstände in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben hinzu, muss der Emittent den Prospekt durch einen ebenfalls von der BaFin zu billigenden Nachtrag aktualisieren. 48 Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 518. 49 S. z.B. die Basisprospekte für das EUR 50 000 000 Euro Medium Term Note Programme von Daimler vom 31.5.2017 und das EUR 15 000 000 000 Programme for the issuance of Debt Instruments von Siemens vom 12.5.2017. 50 Zum Notifizierungsverfahren s. Wolf in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 18 Rz. 3 ff.; Alfes in Holzborn, WpPG, EU-ProspektVO, § 18 WpPG Rz. 1 ff.; von Kopp-Colomb/ Sargut in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 18 WpPG Rz. 7 ff.
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Anleihen | § 16
spekts ermöglicht die Durchführung eines öffentlichen Angebots sowie das Listing der unter dem Angebotsprogramm begebenen Anleihen im regulierten Markt in den jeweiligen von der Notifizierung erfassten Ländern. Die Entscheidung über die Art des Angebots (öffentliches Angebot oder Privatplatzierung) erfolgt in den endgültigen Bedingungen für die jeweilige Einzelemission. Auch wenn die Programmprospekte für die Euro-MTN Programme deutscher Emittenten häufig von der Luxemburger Aufsichtsbehörde (CSSF) gebilligt werden, unterliegen die Angebotsprogramme sowie die darunter begebenen Anleihen deutscher Unternehmen oder Unternehmensgruppen in der Regel deutschem Recht.
3. Stand Alone Emissionen Neben der Emission unter einem Angebotsprogramm kann ein Emittent jede Art von Anleihen auch als sog. Stand Alone Bonds auf Grundlage einer emissionsspezifischen Dokumentation begeben. Stand Alone Bonds sind bei bestimmten Anleihetypen wie z.B. bei Equity-linked Instrumenten oder bei High Yield Anleihen die Regel. Aber auch andere Unternehmensanleihen werden „stand alone“ von Emittenten begeben, die eine dauerhafte bzw. wiederholte Inanspruchnahme des Kapitalmarkts nicht benötigen und für die die Erstellung einer Programmdokumentation wenig Sinn macht. Je nach Ausgestaltung der Emission ist eine Begebung solcher Stand Alone Bonds mit oder ohne Erstellung eines Prospekts möglich.
16.22
4. Listing von Anleihen In Europa haben Emittenten die Wahl, ihre Anleihen im regulierten Markt, im unregulierten bzw. lediglich börsenregulierten Markt (bspw. der Freiverkehr der Frankfurter Wertpapierbörse) oder überhaupt nicht zu notieren. Die Entscheidung zur Notierung hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab. Beispielsweise können einige Investoren nur in Anleihen investieren, die im regulierten Markt notiert sind. Andererseits erfordert eine solche Notierung die Erstellung eines (Zulassungs-)Prospekts und löst zusätzliche Verpflichtungen für den Emittenten aus, wie z.B. die Pflicht zur Veröffentlichung eines Jahresfinanzberichts. Diese – gerade bei nicht börsennotierten Unternehmen – häufig als Belastung empfundenen Zulassungsfolgepflichten entstehen bei einer Notierung im lediglich börsenregulierten Markt regelmäßig nicht. Mit Inkrafttreten der VO Nr. 596/2014 (europäischen Marktmissbrauchsverordnung, „MAR“)51 im Juli 2016 wurden allerdings bestimmte Zulassungsfolgepflichten, wie beispielweise die Ad-hoc Publizitätspflicht und die Pflicht zum Führen von Insiderlisten, auch auf Emittenten ausgeweitet, die ihre Finanzinstrumente an sog. multilateralen Handelssystemen (MTF), wozu die börsenregulierten Märkte gehören, notieren.
16.23
Die unter den Euro-MTN oder Debt Issuance Programmen begebenen Schuldverschreibungen (vor allem Investment Grade Anleihen, Hybridanleihen) werden häufig am regulierten Markt der Luxemburger Wertpapierbörse zum Handel zugelassen52. Typischerweise sehen die Basisprospekte vor, dass wahlweise – nach erfolgter Notifizierung des Ba-
16.24
51 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch. 52 Dabei erfolgt die Notierung in der Regel im amtlichen Kursblatt (Official List) der Luxemburger Wertpapierbörse.
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§ 16 | Anleihen
sisprospektes an die Aufsichtsbehörden anderer EU-Staaten – auch eine Notierung der Schuldverschreibungen im regulierten Markt einer Wertpapierbörse anderer EU-Staaten erfolgen kann. Die Entscheidung über die Notierung und die Zulassung zum Handel erfolgt in den endgültigen Bedingungen für die jeweilige Einzelemission. High Yield Anleihen europäischer, einschließlich deutscher Emittenten wurden historisch betrachtet meist im börsenregulierten Markt der Luxemburger Wertpapierbörse (Euro MTF) oder der Irischen Wertpapierbörse (GEM) notiert. Mit Inkrafttreten der VO Nr. 596/2014 (MAR) – und der damit erfolgten Ausweitung mancher Zulassungsfolgepflichten auf diese Märkte – ging jedoch eine Verlagerung an die außereuropäische Börse The International Stock Exchange (TISE) auf Guernsey einher, an der fast die Hälfte der im Jahr 2017 emittierten deutschen High Yield Anleihen notiert wurden53.
16.25 Sowohl für den regulierten Markt als auch für den lediglich börsenregulierten Markt ha-
ben die deutschen Börsen in der Vergangenheit verschiedene Börsensegmente geschaffen, deren Ausgestaltung auf bestimmte Unternehmen bzw. Investoren zugeschnitten wurde. Durch die Einrichtung bestimmter Handelssegmente im börsenregulierten Markt wurde versucht mittelständischen Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt durch Platzierung von sog. Mittelstandsanleihen zu erleichtern, um einen alternativen Finanzierungsweg zu schaffen54. Die spezielle Ausgestaltung der Segmente sollte zu einer gesteigerten Transparenz (wenn auch nicht vergleichbar mit der Transparenz im regulierten Markt) führen und damit eine erhöhte Investorenakzeptanz schaffen. Vor diesem Hintergrund haben 2010 bspw. die Deutsche Börse Frankfurt (Entry Standard) und die Börse Stuttgart (Bondm) spezielle Mittelstandssegmente ins Leben gerufen, in denen daraufhin zahlreiche in der Regel an Privatpersonen ausgegebene Mittelstandsanleihen notiert wurden. Die anfänglichen Erfolge waren jedoch infolge zahlreicher Insolvenzen der Emittenten nicht von Dauer55. In der Folge haben einige Börsen ihre Mittelstandssegmente abgeschafft. Die Deutsche Börse hat den Entry Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse in 2017 durch ein neues Segment (Scale) ersetzt.
IV. Dokumentation und Rechtsbeziehungen 16.26 Die Rechtsbeziehungen der bei einer Anleiheemission beteiligten Personen sind nur in ge-
ringem Umfang gesetzlich geregelt und damit weitgehend der Vertragspraxis überlassen. Im Folgenden werden die wesentlichen Rechts- und Vertragsbeziehungen im Rahmen einer Anleiheemission und die damit zusammenhängende Dokumentation der Rechtsverhältnisse dargestellt.
1. Übernahmevertrag (Purchase Agreement, Dealer Agreement) 16.27 Die Vertragsbeziehungen zwischen dem Emittenten und der die Anleiheemission begleitenden Bank bzw. den begleitenden Konsortialbanken (sog. Managers oder Initial Purchasers) werden durch den Vertrag zur Übernahme der Wertpapiere, den Übernahmevertrag
53 TISE ist eine von The International Stock Exchange Authority Limited auf Guernsey betriebene Börse, die nicht den Transparenzvorschriften der Europäischen Union unterliegt. 54 S. Schmitt, BB 2012, 1079, 1079 ff.; Vogel, Anleihen als Finanzierungsinstrument mittelständischer Unternehmen, S. 1 ff. 55 S. hierzu ausführlich von Randow, ZBB 2017, 158, 158 ff.
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Anleihen | § 16
(Purchase Agreement) geregelt56, einem kaufähnlichen Vertrag mit geschäftsbesorgungsvertraglichem Charakter57. Der Übernahmevertrag enthält in erster Linie die Verpflichtung der die Anleiheemission begleitenden Banken, die vom Emittenten begebenen Schuldverschreibungen zu erwerben (bzw. zu „übernehmen“) und bei Investoren zu platzieren. Daneben enthält dieser Vertrag typischerweise einen Katalog von Gewährleistungen und Zusicherungen des Emittenten und etwaiger Garantiegeber, Regelungen zu Kostenersatz und Haftungsfreistellung, eine Übersicht aller für das Closing erforderlichen Legal Opinions, Officers’ Certificates, ggf. Disclosure und Comfort Letters sowie anderer Dokumente und Nachweise (sog. Closing Conditions) und weitere, zumeist technische Abschnitte. Der Übernahmevertrag für eine Anleiheemission eines deutschen Unternehmens unterliegt meistens deutschem Recht, wobei auch die in einzelnen Fällen (und bei bestimmten Anleihetypen) vereinbarte Wahl englischen oder US-amerikanischen (d.h. in der Praxis New Yorker) Rechts am Inhalt und Aufbau des Übernahmevertrages nichts ändert. Bei Angebotsprogrammen ist das Vertragsverhältnis zwischen dem Emittenten und den Konsortialbanken typischerweise in einem sog. Dealer Agreement geregelt, das u.a. die Rahmenbestimmungen über die Rolle der Banken (sog. Dealer), die Platzierungsstruktur sowie die Zeichnungsmodalitäten der Anleihe enthält. Für eine umfassende Darstellung des Übernahmevertrages und der damit verbundenen Rechtsverhältnisse wird auf den Beitrag von Diekmann, § 31, verwiesen.
2. Konsortialvertrag (Agreement among Managers) Sofern die Anleiheemission von mehreren Banken (sog. Konsortialbanken) begleitet wird, regelt der Konsortialvertrag (Agreement among Managers oder Agreement among Initial Purchasers) ihre rechtlichen Verhältnisse untereinander. Die wichtigste Bestimmung dieses Vertrages betrifft die Aufteilung der Kommissionen (Commissions) und Auslagen (Expenses) zwischen den Konsortialbanken untereinander und insbesondere die Beteiligung aller Konsortialbanken an den Kosten des Konsortialführers (auch Global Coordinator, Lead Manager oder Bookrunner genannt). Darüber hinaus enthält der Konsortialvertrag zumeist Regelungen über die Vertretungsbefugnis der Konsortialbanken untereinander sowie wechselseitige Gewährleistungen und Zusicherungen, die in erster Linie die Einhaltung der diversen anwendbaren wertpapierrechtlichen Verkaufsbeschränkungen (sog. Selling Restrictions) betreffen. In einigen Fällen, in denen eine Platzierung der Anleihe in den USA vorgesehen ist, erfolgt diese durch einen speziell dafür zugelassenen US Selling Agent. Die Abgrenzung zu den Rechten und Pflichten der Konsortialbanken erfolgt entweder im Konsortialvertrag selbst (zu dem der Selling Agent dann Partei wird), oder es wird zwischen den Konsortialbanken und dem US Selling Agent zusätzlich ein separater Vertrag (sog. Selling Agency Agreement) abgeschlossen. Die Qualifizierung des Konsortiums als Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in der Regel vertraglich ausgeschlossen58. Betreffend die Rechtswahl gilt das oben zum Übernahmevertrag Gesagte. 56 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.280 ff. 57 RG v. 24.2.1922 – III 330/21, RGZ 104, 119; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.111; Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Hdb. Bankrecht, § 57 Rz. 38 m.w.N.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/68 ff.; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremission, Rz. 291 ff.; a.A. Grundmann in Staub, HGB, Sechster Teil Rz. 25. 58 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/32 ff.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 156 ff.
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16.28
§ 16 | Anleihen
Für eine umfassende Darstellung des Konsortialvertrages wird auf den Beitrag von Schücking, § 32, verwiesen.
3. Anleihebedingungen (Terms and Conditions, Indenture) 16.29 Zwischen dem Emittenten und den Anlegern bestehen, abgesehen von dem Fall einer
Selbstemission59, im Rahmen einer Anleiheemission grundsätzlich keine direkten vertraglichen Beziehungen. Insbesondere werden bei der Fremdemission die Rechtswirkungen des Begebungsvertrags zwischen dem Emittenten und den Ersterwerbern (z.B. Konsortialbanken) nicht auf die Zweitwerber (Anleger) übertragen60. Zudem wird kein zusätzlicher Vertrag zwischen den Anlegern und dem Emittenten (etwa im Wege der Stellvertretung oder über die Grundsätze des Geschäfts für den, den es angeht) begründet und auch eine Schutzwirkung des Begebungs- und/oder Übernahmevertrags zu Gunsten der Anleger wird abgelehnt61. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten und den Anlegern wird bei deutschem Recht unterliegenden Anleihen vielmehr nahezu ausschließlich über die Regelungen der §§ 793 ff. BGB betreffend Inhaberschuldverschreibungen, sowie die Anleihebedingungen (Terms and Conditions), die der Anleiheurkunde angefügt sind, ausgestaltet62. Die geschuldeten Leistungen und Einwendungen der Parteien müssen sich nach §§ 793, 796 BGB aus der Urkunde ergeben. Dies gilt auch im Falle der Ausstellung einer sog. Globalurkunde, die die Ansprüche der Anleger einer Emission in einem Schriftstück zusammenfasst. Neben dem Text der Schuldverschreibung können jedoch auch diejenigen Dokumente maßgebend sein, auf die die Schuldverschreibung ausdrücklich verweist, sofern diese den Anleihegläubigern zugänglich sind63.
16.30 In den zwischen Emittent und Konsortium vereinbarten Anleihebedingungen kommen die
individuellen Merkmale der Anleihe zum Ausdruck. Sie umfassen u.a. den Emissionsbetrag, den Emissionspreis, die Stückelung, die Art der Verzinsung, die Laufzeit, die Rückkauf- und Kündigungsmöglichkeiten, die Termine für die Fälligkeit der Zinsen und die Rückzahlung des Kapitals, die Besicherung der Ansprüche der Anleger und Rechtswahlklauseln64. Weitere Rechte der Anleger können sich im Einzelfall aus dem Übernahmevertrag zwischen Emittent und Konsortialbanken ableiten, soweit dieser als Vertrag zugunsten Dritter oder als Vertrag mit Schutzwirkung für die Anleger ausgelegt werden kann, z.B. über die Wirkung einer Treuhandabrede zwischen dem Emittenten und dem Konsortialführer65.
59 Im praktisch seltenen Fall einer Selbstemission wird der Begebungsvertrag und damit die erstmalige Ausgabe der Schuldverschreibungen direkt zwischen Emittent und Anleger vereinbart. 60 BGH v. 15.7.2014 – IX ZR 100/13, WM 2014, 3362, 3364 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 22.4.2015 – 23 Kap 1/13, WM 2015, 1105, 1107 = AG 2015, 674. 61 S. hierzu ausführlich OLG Frankfurt a.M. v. 22.4.2015 – 23 Kap 1/13, WM 2015, 1105 ff. = AG 2015, 674; BGH v. 19.9.2017 – IX ZB 17/15, WM 2017, 2237 ff. 62 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 195; Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 117; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.331 ff. 63 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 197 ff.; Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 118; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.333; zweifelnd Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37, 44 f.; Stucke, DM-Auslandsanleihen, S. 244; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/167. 64 Zur Ausgestaltung einzelner dieser Bedingungen, s. Rz. 16.37 ff. 65 Für eine ausführlichere Darstellung der Drittwirkung des Übernahmevertrages, vgl. Rz. 30.1 f. und R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.386.
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Bei US-amerikanischem (d.h. New Yorker) Recht unterliegenden Anleihen (insbesondere High Yield Anleihen) sind die Anleihebedingungen in einer sog. Indenture enthalten, d.h. einem Vertrag zwischen dem Emittenten, dem Anleihetreuhänder (Trustee), der Zahlstelle, dem Sicherheitentreuhänder und ggf. weiteren Parteien, zu dem die Anleihegläubiger Drittbegünstigte sind66.
16.31
Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Emittenten und dem Anleihetreuhänder bzw. gemeinsamen Vertreter werden unter Rz. 16.84 ff. erläutert.
16.32
4. Zahlstellenvereinbarung (Paying Agency Agreement, Fiscal Agency Agreement) Wesentliches Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten und der sog. Zahlstelle ist die Zahlstellenvereinbarung67. In diesem Vertrag bestellt der Emittent die Zahlstelle, die auf Grundlage des Vertrags gegen Aufwendungsersatz mit Geschäftsbesorgungen i.S.d. § 675 BGB, insbesondere mit der Abwicklung des Zahlungsverkehrs zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern, beauftragt wird (z.B. Einlösung von Zinskupons und Erneuerungsscheinen sowie Tilgung gekündigter oder sonstiger fälliger Ansprüche). Aus diesem Rechtsverhältnis erwachsen regelmäßig keine Vertragsbeziehungen zwischen der Zahlstelle und den Anleihegläubigern68. Die Rolle der Hauptzahlstelle übernimmt regelmäßig der Konsortialführer oder eine seiner Tochtergesellschaften69. Bei einigen Anleihetypen sind die der Zahlstellenvereinbarung häufig beigefügten Anleihebedingungen, Beitrittsvereinbarungen sowie die Muster der Schuldverschreibungen (Forms of Notes) Bestandteil dieses Vertrages.
16.33
5. Sicherheitendokumente; Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) Bei besicherten Anleihen sind von einem Emittenten, je nach Umfang der Besicherung, in der Regel eine große Anzahl an Sicherheitenverträgen und Sicherheitendokumenten abzuschließen und zu erstellen. Dazu gehören neben einem Sicherheitenpoolvertrag (sog. Security Pooling Agreement oder Collateral Trust Agreement, der mit der nachfolgend beschriebenen Gläubigervereinbarung verbunden werden kann) in der Regel Garantieverträge (bei US-amerikanischem Recht unterstellten Anleihen sind diese in der Indenture enthalten), Pfandverträge (z.B. über Gesellschaftsanteile, Konten) und Abtretungsvereinbarungen (z.B. von Forderungen) zumeist in mehreren Jurisdiktionen, zuzüglich umfassender diesbezüglicher gesellschaftsrechtlicher Dokumente, Legal Opinions und Officers’ Certificates. Der zwischen dem Sicherheitentreuhänder und dem Emittenten abgeschlossene Treuhandvertrag ist ein Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB, auf den sich die Anleger als begünstigte Partei in gewissen Umfang berufen können70. 66 Plepelits, CFL 2010, 119, 122. 67 Vor allem bei Beteiligung eines Treuhänders kann die Bestellung der Zahlstelle auch durch Emittent und Treuhänder zusammen erfolgen. Vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 124. 68 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 787 f.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 145 f. 69 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 782; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 123. 70 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.128; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 193 f.; Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, Rz. 10/30.
Kaulamo | 579
16.34
§ 16 | Anleihen
16.35 Bei einer kombinierten besicherten Bank-/Bondfinanzierung oder bei anderen komplexen
Finanzierungsstrukturen sind die vertraglichen Vereinbarungen der Rechtsbeziehungen zwischen den verschiedenen Gläubigerklassen sowie die entsprechenden Rangsicherungsvereinbarungen in einer Gläubigervereinbarung (sog. Intercreditor Agreement) geregelt71. In diesem Vertrag72 zwischen den verschiedenen Gläubigergruppen und sämtlichen Schuldnern innerhalb der Unternehmensgruppe des Emittenten wird insbesondere die Befriedigungsrangfolge (Waterfall) im Insolvenzfall vertraglich festgeschrieben. Der Emittent verpflichtet sich im Intercreditor Agreement häufig, keine nachträgliche Bestellung von Sicherheiten zugunsten nachrangiger Gläubiger vorzunehmen (Negative Pledge) oder andere Handlungen zu tätigen, die zu einer Rangveränderung der Gläubiger in Bezug auf die bestehenden Verbindlichkeiten des Emittenten führen73.
6. Kaufvertrag zwischen Bank und Anleger 16.36 Die Rechtsbeziehungen zwischen den Konsortialbanken und den Anlegern können sowohl
vertraglicher als auch gesetzlicher Natur sein. Der Vertrag über den Erwerb von Schuldverschreibungen zwischen einer Konsortialbank und dem Anleger ist nach allgemeiner Ansicht ein Kaufvertrag in Form eines Rechtskaufs nach § 453 BGB74. Dieser Vertrag wird nicht mit dem Konsortium, sondern allein mit der vertragsschließenden Konsortialbank geschlossen. Dies gilt für die Platzierung der Anleihe im Wege der Subskription, im freihändigen Verkauf als auch im sog. Tenderverfahren75. Gesetzliche Rechtsbeziehungen zwischen Konsortialbank und Anleger können aufgrund der Prospektverantwortlichkeit der Konsortialbank entstehen76.
V. Zentrale Ausgestaltungsmerkmale von Anleihen 16.37 Nachfolgend werden einige ausgewählte Ausgestaltungsmerkmale und Klauseln aus den
Anleihebedingungen erläutert. Hinsichtlich der Ausgestaltung von Anleihebedingungen bei Equity-linked Instrumenten wird auf die Beiträge von Schlitt, Rz. 11.53 ff. und Schlitt/Kammerlohr, Rz. 12.20 ff. verwiesen. Zu den Anleihebedingungen von High Yield Anleihen s. Hutter, Rz. 17.54 f. und 17.67 ff.
1. Hauptleistungspflichten: Zinszahlung und Rückzahlung von Kapital 16.38 Wie bereits erwähnt sind Anleihen verzinsliche Wertpapiere und verbriefen einen schuldrechtlichen Anspruch auf (i) Zahlung eines zeitabhängigen Entgelts (Zinszahlung) und (ii) Rückzahlung des überlassenen Kapitalbetrags (Tilgung). Diese Hauptleistungspflichten
71 Ausführlich hierzu Diem, Akquisitionsfinanzierungen, S. 230 ff.; s. auch Rz. 17.57 f. 72 Nach deutschem Recht wird dieser als schuldrechtlicher Vertrag sui generis (§ 311 Abs. 1 BGB) klassifiziert, vgl. Laudenklos/Sester, WM 2004, 2417, 2421. 73 Balz, ZBB 2009, 401, 404; Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 335. 74 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.126; Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Hdb. Bankrecht, § 57 Rz. 40; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 189; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/30. 75 Zu diesen Platzierungsarten im Einzelnen s. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 187 f.; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.97 ff. 76 Für eine ausführliche Diskussion der Prospekthaftung wird auf Mülbert, § 41 verwiesen.
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Anleihen | § 16
des Anleiheschuldners finden sich grundsätzlich bei allen Anleihetypen, allerdings in unterschiedlicher Ausgestaltung. Typischerweise erhält der Käufer eines verzinslichen Wertpapiers, der Anleihegläubiger, als Gegenleistung für die Überlassung des Kapitals während der Laufzeit der Anleihe den in den Anleihebedingungen vereinbarten Zins. Nach Ablauf der Laufzeit endet das Schuldverhältnis durch die Rückzahlung des Nennbetrages an den Anleihegläubiger. a) Verzinsung Der Emittent verpflichtet sich gegenüber den Anleihegläubigern, die während der Laufzeit geschuldeten Zinszahlungen grundsätzlich in Form von Geldleistungen zu erbringen77.
16.39
aa) Feste und variable Zinsen Die festverzinslichen Anleihen (Straight Bonds, Fixed Rate Bonds) sind die traditionellste und häufigste Form in der Schuldverschreibungen auf nationalen und internationalen Kapitalmärkten begeben werden. Die charakteristischen Merkmale dieses Anleihetyps sind der für die gesamte Laufzeit feste Nominalzinssatz (Coupon), die fixierte maximale Laufzeit sowie die Rückzahlung der Anleihe in Höhe des Nominalbetrages78. Festverzinsliche Anleihen geben dem Emittenten und dem Anleger eine klare Kalkulationsbasis für Zinsaufwand bzw. Zinsertrag. Sie sind aber aus Sicht des Anlegers mit einem Zinsänderungsrisiko behaftet, wenn der Marktzins fällt oder steigt und als unmittelbare Folge davon die Kurse der Anleihen steigen oder fallen. Die Festsetzung des während der gesamten Laufzeit gleich bleibenden, festen Zinssatzes erfolgt in Anlehnung an die zum Emissionszeitpunkt aktuelle Kapitalmarktrendite. Die Zinszahlungen an die Gläubiger erfolgen üblicherweise einmal jährlich oder halbjährlich.
16.40
Als wichtige Alternative zu den klassischen festverzinslichen Anleihen werden vor allem in den USA und am Eurobondmarkt variabel verzinsliche Anleihen (Floating Rate Notes, kurz: Floater oder FRN) emittiert. Variabel verzinsliche Anleihen sind dadurch charakterisiert, dass der Zinssatz nicht für die gesamte Laufzeit der Anleihen festgelegt ist, sondern in regelmäßigen Abständen von drei oder sechs Monaten an die jeweiligen Marktkonditionen angepasst wird. Nach deutschem Recht bestehen gegen variabel verzinsliche Anleihen keine Bedenken, weil der Zinssatz bestimmbar bleibt79. Aus Sicht des Emittenten sind derartige Anleihen gerade in Zeiten einer Hochzinsphase einer Festzinsanleihe vorzuziehen. Gemäß den Anleihebedingungen wird in der Regel vor Beginn der nächst folgenden Zinsperiode der anwendbare Zinssatz festgelegt. In der Regel berechnet sich der Zinssatz aus einem Zuschlag (Spread) zu einem Referenzzinssatz, in Ausnahmefällen aus einem Abschlag oder der Übernahme des Referenzzinssatzes. Am häufigsten dienen die Interbankensätze LIBOR (London Interbank Offered Rate) oder EURIBOR (European Interbank Offered Rate) als Referenzzinssatz80. Angesichts der regelmäßigen Zinsanpassungen an
16.41
77 Ausnahme: PIK-Klausel (Payment In Kind-Klausel) bei High Yield Anleihen, s. hierzu Rz. 17.10 ff. 78 Die Rückzahlung zu einem um ein Agio erhöhten oder um ein Disagio verminderten Betrag ist möglich (u.a. um den Nominalzinssatz auf- oder abzurunden); vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 33 f. 79 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 34; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 74. 80 Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 514; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.106.
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§ 16 | Anleihen
das aktuelle Geldmarkt-Zinsniveau weisen variabel verzinsliche Anleihen nur geringe Kursschwankungen auf, die umso schwächer ausfallen, je häufiger die Anpassung des Zinssatzes der Anleihe erfolgt. Im Unterschied zu den festverzinslichen Anleihen vollziehen sich bei den variabel verzinslichen Anleihen die Marktanpassungen über den Kupon. Aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche, die Emittenten und Gläubiger an die Ausstattung von variabel verzinslichen Anleihen stellen, kreierten die auf dem Eurobondmarkt tätigen Investmentbanken verschiedene Formen dieses Finanzinstruments. So findet man variabel verzinsliche Anleihen, die mit einem bestimmten Mindestzinssatz (Floor Floater), Höchstzinssatz (Cap Floater) oder beidem (Collared Floater) ausgestattet sind81.
16.42 Hybridanleihen sehen in der Regel für einen ersten zeitlichen Abschnitt von fünf bis zehn
Jahren einen festen, jährlich zahlbaren Zinssatz vor. Hierauf folgt ein Abschnitt mit variablen Zinsen. Zusätzlich zu diesem variablen Zinssatz sagt der Emittent den Anlegern normalerweise einen Zinsaufschlag von weiteren 1 % bis 2,5 % jährlich zu (sog. Step-up Vereinbarung). Die Step-up Vereinbarung gibt dem Anleger eine gewisse Absicherung, dass der Emittent sein Kündigungsrecht nach der Festzinsphase ausübt. Dies folgt daraus, dass der Emittent zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit haben sollte, eine billigere Refinanzierung als zum variablen Zinssatz einschließlich Step-up zu erlangen82.
16.43 Bei Wandel- und Umtauschanleihen ist die sog. Vollkuponanleihe die gängigste Struktur, bei der keine Aufzinsung erfolgt und die effektive Wandelprämie während der Laufzeit konstant bleibt83. Der Zinssatz ist bei einer Wandel-oder Umtauschanleihe wegen des zusätzlichen Bezugsrechts auf Aktien typischerweise niedriger als bei gewöhnlichen Anleihen. Damit ermöglicht die Ausgabe dieser Art von Anleihen dem Emittenten eine günstigere Fremdfinanzierung84. In den meisten Fällen sehen die Anleihebedingungen eine feste Verzinsung vor, aber auch eine variable Verzinsung ist zulässig. S. dazu die Beiträge von Schlitt, Rz. 11.57 ff. und Schlitt/Kammerlohr, Rz. 12.20. bb) Nullkupon-Anleihen (Zero Bonds)
16.44 Nullkupon-Anleihen (Zero Bonds) sind Schuldverschreibungen, auf die keine regelmäßig
wiederkehrende Zinszahlungen geleistet werden. Ein Zinseffekt entsteht durch den Unterschied zwischen dem Ausgabe- und dem Rückzahlungskurs85. Es haben sich zwei Arten der Nullkupon-Anleihen herausgebildet86. In der Abzinsungsvariante werden sie zu einem Preis ausgegeben, der wesentlich unter dem Nennwert liegt. Die Differenz setzt sich aus den für die entsprechende Laufzeit auflaufenden (fiktiven) Zinsen und Zinseszinsen zusammen. Während der Laufzeit werden die Zinsen jeweils zum Kapital aufgeschlagen, bis am Ende der Laufzeit die Rückzahlung des aufsummierten Betrages zum Nennwert erfolgt. In der Aufzinsungsvariante wird die Anleihe zum Nennwert ausgegeben und zu einem höheren Kurs zurückgezahlt. Nullkupon-Anleihen haben für den Emittenten u.a. den Vorteil, dass er während der gesamten Laufzeit der Anleihe keine Liquidität für Zinszah-
81 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 38 f.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.106; Steiner in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, Rz. 15.30. 82 Hierzu Sester, ZBB 2006, 443, 451 f. und Thomas, ZHR 171 (2007), 684, 687 f. 83 S. hierzu Rz. 10.36 ff. 84 Hüffer/Koch, AktG, § 221 Rz. 7; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 ff. 85 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/179. 86 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.105; Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 33.
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Anleihen | § 16
lungen bereitstellen muss. Für den Investor stellen überdurchschnittliche Kursgewinnchancen bei fallenden Zinsen den wesentlichen Anreiz dar, weil für die Zinshöhe die Konditionen zum Emissionszeitpunkt maßgebend sind87. Die meisten deutschen Nullkupon-Anleihen sind von Kreditinstituten ausgegeben worden. Die Zulässigkeit der Ausgabe von Nullkupon-Anleihen durch Emittenten, die keine Kreditinstitute sind, wird nach deutschem Recht teilweise aufgrund des Zinseszinsverbotes (§ 248 Abs. 1 BGB) in Zweifel gezogen, weil der Nullkupon-Anleihe eine im Voraus getroffene Zinseszinsvereinbarung zugrunde liegt88. Nach der überzeugenden herrschenden Auffassung steht das Zinseszinsverbot der Ausgabe von Nullkupon-Anleihen jedoch nicht entgegen, da der zu zahlende Endbetrag summenmäßig bestimmt und der Schuldner somit vor schwer überschaubaren Belastungen geschützt ist89.
16.45
b) Rückzahlungsverpflichtung Das Versprechen zur Rückzahlung kann in den Anleihebedingungen vielfältig ausgestaltet werden. In aller Regel ist aber bei Unternehmensanleihen die Rückzahlung in einem einzigen Betrag am Ende der Laufzeit vorgesehen. Das Rückzahlungsversprechen kann allerdings auch bedingt abgegeben werden und beispielsweise so an die Entwicklung eines Basiswerts gekoppelt sein, sodass eine Rückzahlung nicht geschuldet ist, wenn dieser Basiswert bei Fälligkeit der Schuldverschreibungen einen bestimmten Kurs unterschreitet. Neben der Rückzahlung der Schuldverschreibung in einem einzigen Betrag kommen als weitere Rückzahlungsmodi inbesondere die Rückzahlung in gleichen Raten über die Laufzeit, in Form von Annuitäten (mit variierendem Zins- und Tilgungsanteil) oder mittels eines Tilgungsfonds (Sinking Fund) in Betracht90. Letzteres ist am deutschen Anleihemarkt jedoch eher unüblich91. Werden Anleihen nicht am Ende der Laufzeit, sondern entsprechend einem bereits zum Emissionszeitpunkt festgelegten fixen Tilgungsplan zurückgezahlt, so kann z.B. vorgesehen werden, dass die in Serien zerlegte Anleihe nach einer vertraglich festgelegten tilgungsfreien Zeit in einer durch Los bestimmten Reihenfolge zurückbezahlt wird. Statt Auslosungen vorzunehmen, kann das Unternehmen auch Rückkäufe am offenen Markt in der Höhe der entsprechenden Tilgungsbeträge tätigen, insbesondere wenn die Anleihe unter pari notiert92.
16.46
2. Laufzeit und Kündigungsrechte des Emittenten durch vorzeitige Rückzahlung a) Laufzeiten von Anleihen Die Laufzeiten der einzelnen Anleihetypen variieren sehr stark. Anleihen mit sehr kurzen Laufzeiten (bis zu einem Jahr) werden auch Commercial Paper genannt. Sie sind prak87 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 40; Ulmer/Ihrig, ZIP 1985, 1169, 1170. 88 Bezzenberger, WM 2002, 1617, 1622 f., der das von ihm vertretene Verbot der Ausgabe von Nullkupon-Anleihen allerdings für rechtspolitisch verfehlt hält. 89 Ulmer/Ihrig, ZIP 1985, 1169, 1173; Omlor in Staudinger, BGB, § 248 Rz. 9; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 77. 90 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/178; Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 515. 91 Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 515. 92 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 39; Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 515.
Kaulamo | 583
16.47
§ 16 | Anleihen
tisch ausschließlich für institutionelle Anleger gedacht93. Die Laufzeiten der festverzinslichen Anleihen bewegen sich üblicherweise zwischen fünf und zehn Jahren, teilweise lassen sich aber auch längere Fälligkeiten bis zu 30 Jahre verzeichnen94. Die Laufzeit von variabel verzinslichen Anleihen beträgt normalerweise zwischen fünf und sieben Jahre, bei erstklassigen Emittenten teilweise auch über zehn Jahre95. Die Laufzeit von High Yield Anleihen beträgt mindestens fünf, in der Regel aber sieben oder acht, im Einzelfall bis zehn Jahre96. Nullkupon-Anleihen weisen in der Regel eine lange Laufzeit zwischen fünf und 20 Jahren auf97. Wesentliches Merkmal von Hybridanleihen dagegen ist die unbegrenzte oder jedenfalls sehr lange Laufzeit. Im Übrigen sind Hybridanleihen grundsätzlich nur im Falle der Liquidation oder der Insolvenz des emittierenden Unternehmens rückzahlbar oder kündbar. b) Kündigungsrechte des Emittenten durch vorzeitige Rückzahlung
16.48 Die Anleihebedingungen können für den Emittenten ein ordentliches Kündigungsrecht
(Call Option) vor Laufzeitende (Maturity) vorsehen. Ordentliche Kündigungsrechte, die eine Kündigung ohne das Vorliegen eines Grundes erlauben, bedürfen der ausdrücklichen Vereinbarung in den Anleihebedingungen98. Der Emittent wird von diesem Recht zur Kündigung Gebrauch machen, wenn der allgemeine Kapitalmarktzins gegenüber dem Nominalzins der Anleihe gesunken ist, so dass der Emittent durch eine neue Anleiheemission oder auf anderem Weg billiger Kapital aufnehmen kann. In der Praxis internationaler Anleihen ist die Möglichkeit einer vorzeitigen Kündigung erst nach einer gewissen Mindestlaufzeit vorgesehen99.
16.49 Im Falle von High Yield Anleihen sehen die Anleihebedingungen regelmäßig nach drei bis fünf Jahren Laufzeit (Non-call period) ein Kündigungsrecht des Emittenten zu bestimmten, meist jährlichen Terminen zu festgelegten Rückzahlungspreisen vor (Optional Redemption). Wirtschaftlich führt diese Bestimmung dazu, dass insbesondere institutionelle Anleger bei entsprechender Marktzinsentwicklung (d.h. bei niedrigen Refinanzierungskosten) von einer Kündigung des Emittenten (Call) ausgehen100. Auch die Anleihebedingungen von Hybridanleihen sowie für Equity-linked Notes sehen in der Regel in bestimmten Fällen ein Kündigungsrecht für den Emittenten vor101.
16.50 Umstritten ist, inwieweit § 489 BGB, der dem Darlehensnehmer unter bestimmten Vo-
raussetzungen ein ordentliches Kündigungsrecht einräumt, auf Schuldverschreibungen anwendbar ist. Die h.M. lehnt dies mit der Begründung ab, dass Schuldverschreibungen regelmäßig ein abstraktes Schuldversprechen und gerade nicht eine Darlehensforderung verkörpern und auch die verbraucherschützende Funktion des § 489 BGB sei dem Emittenten
93 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.107; Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 518; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/179. 94 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 34 f. 95 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 38. 96 S. dazu Rz. 17.10 ff. 97 Werning, Null-Kupon-Anleihe, S. 77. 98 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.111. 99 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 292. 100 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434; s. hierzu ausführlich Rz. 17.101 ff. 101 Einzelheiten zu diesen Kündigungsrechten und die an sie geknüpften Bedingungen sind bei Sester, ZBB 2006, 443, 450 ff. und bei Vater, FB 2006, 44, 45 ff. dargestellt.
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Anleihen | § 16
nicht zur Seite zu stellen102. Gegen ein einseitiges ordentliches Kündigungsrecht zugunsten des Emittenten werden teilweise auch Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgebracht103.
3. Zusicherungen (Covenants) Unter den Zusicherungen (Covenants) wird die Verpflichtung des Emittenten oder eines Dritten verstanden, für die Dauer der Anleihe einen bestimmten Zustand aufrechtzuerhalten oder ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen104. Eine Verletzung der Zusicherungen durch den Emittenten begründet regelmäßig ein außerordentliches Kündigungsrecht der Anleihegläubiger.
16.51
a) Rangklausel aa) Bedeutung der Rangverhältnisse unter den Gläubigerklassen Werden einer Gläubigerklasse Sicherheiten zur Verfügung gestellt, besitzt diese Gläubigerklasse Privilegien im Falle der Insolvenz des Schuldners105. Während die auf diese Weise privilegierten Gläubiger in der Insolvenz des Schuldners Ab- bzw. Aussonderungsrechte in Bezug auf die Sicherheiten haben und damit ihre offenen Forderungen ganz oder teilweise abdecken können, sind die unbesicherten Gläubiger auf die Insolvenzquote angewiesen. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist den unbesicherten Gläubigern besonders an den Rangverhältnissen betreffend die gegenwärtigen und künftigen unbesicherten Verbindlichkeiten des gemeinsamen Schuldners gelegen. Die Einräumung eines bestimmten Rangs dient daher vor allem dazu, die Rechtsstellung der Gläubiger gegenüber dritten Gläubigern bei der Befriedigung ihrer Verbindlichkeiten im Insolvenzverfahren des Schuldners von vornherein festzulegen.
16.52
Das wirtschaftliche Rangverhältnis der Gläubiger kann durch zwei verschiedene rechtliche Konzepte der Subordination, d.h. die Herstellung einer Nachrangigkeit bestimmter Forderungen, gestaltet werden106. In der Praxis unterscheidet man vorrangige (senior) Gläubiger,
16.53
102 OLG Stuttgart v. 4.5.2016 – 9 U 230/15; Weber in BeckOK/BGB, § 489 Rz. 18.1; Berger in MünchKomm. BGB, § 489 Rz. 4; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 624; MaierReimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129, 135; a.A. Häuser/ Welter, NJW 1987, 17, 21; differenzierend und mit Wiedergabe des Meinungsstandes Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 3, 5 m.w.N. (zur Vorgängerregelung des § 609a BGB a.F.). 103 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.111, 2.182; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 222 ff.; Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 38; a.A. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 294 und offensichtlich auch OLG Frankfurt a.M. v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, ZIP 1994, 26, 28, welches ein solches einseitiges Kündigungsrecht nicht beanstandet hat. Zur prinzipiellen Frage der Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf die Anleihebedingungen s. Rz. 16.107 ff. 104 Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 332 f.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 363; Hornuf/Reps/Schäferling, ZBB 2013, 202, 202 ff. Zu Aufgaben und Rechtsnatur von Covenants im Zusammenhang mit High Yield Anleihen vgl. Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 749 ff. 105 Zu Sicherheiten bei Anleihen s. Rz. 16.62 ff. 106 Zum Thema der Subordination s. auch Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212 ff.; Laudenklos/Sester, WM 2004, 2417, 2420 ff.; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 ff.
Kaulamo | 585
§ 16 | Anleihen
Gläubiger im gleichen Rang entsprechend der pari passu-Klausel und nachrangige (junior, subordinated) Gläubiger. Das Rangverhältnis der verschiedenen Klassen von Fremdkapitalgebern wird durch die gewählte Sicherheitenstruktur flankiert (s. dazu Rz. 16.62 ff.). bb) Vertragliche Rangklausel
16.54 Bei Anleiheemissionen finden sich teilweise privatrechtliche Vereinbarungen über den
Rang der Forderungen aus der Anleihe107. Ihre Funktion kann eine Rangklausel aber nur in solchen Rechtsordnungen erfüllen, welche die Möglichkeit vorsehen, den Rang einer Forderung im Fall der Insolvenz des Schuldners von vornherein durch Vereinbarung auch gegenüber Dritten festzulegen108. Ein Verstoß gegen die Rangklausel stellt üblicherweise einen außerordentlichen Kündigungsgrund dar109.
16.55 Es gehört zur international üblichen Praxis, Anleihen mit Gleichrangklauseln (Pari Passu-
Klauseln) zu versehen110. Unter einer Gleichrangklausel wird die Zusicherung des Emittenten und ggf. des Garanten verstanden, dass die Anleiheforderungen jederzeit in gleichem Rang mit allen übrigen bestehenden und zukünftigen unbesicherten Forderungen anderer Gläubiger stehen111. In solchen Rechtsordnungen, in denen die Ranggleichheit von Forderungen für den Fall der Insolvenz des Schuldners von vornherein verbindlich durch privatrechtliche Vereinbarungen festgelegt werden kann, können Pari Passu-Klauseln die Anleihegläubiger auch in der Insolvenz des Emittenten schützen, indem durch Einräumung eines Gleichrangs verhindert wird, dass den Gläubigern anderer Forderungen im Insolvenzfall des Anleiheschuldners eine vorrangige Befriedigung vor den Anleihegläubigern gewährt wird112. Daneben stellen Pari Passu-Klauseln sicher, dass der Anleiheschuldner die von der Klausel begünstigten Anleihegläubiger auch bei Zins- und Tilgungszahlungen gleichrangig bedient, also keinen anderen Gläubiger – etwa bei knapper Liquidität – bevorzugt. Die Gleichrangklausel findet sich meist zusammen mit einer Negativerklärung (Negative Pledge), s. Rz. 16.58. Denkbar ist auch, dass den Anleihegläubigern durch Einräumung eines Vorrangs eine bevorzugte Stellung für den Insolvenzfall des Emittenten gewährt wird, obwohl internationale Anleihen mit einer Vorrangklausel die Ausnahme sind.
16.56 Andererseits ist es aber auch möglich, dass etwa im Kontext einer umfassenden Unternehmensrefinanzierung den Gläubigern einer Kreditfazilität ein Vorrecht vor den Gläubigern einer vom Emittenten begebenen Anleihe – insbesondere High Yield Anleihe – eingeräumt werden soll, so dass die Anleihegläubiger nachrangig sind113. Eine Möglichkeit, den erwünschten Nachrang herzustellen, ist die vertragliche Subordination. Hierunter wird eine vertragliche Nachrangabrede zwischen zwei bzw. mehreren Parteien verstanden, bei der es sich im deutschen Recht nach vorherrschender Auffassung um einen schuld107 Bezüglich des Rangs ist zu unterscheiden zwischen dem Rang der Anleihe selbst und dem Rang der Sicherheiten. Vgl. Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 471. 108 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 515. 109 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 474; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 516 f. 110 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 473 f.; High Yield Anleihegläubiger dagegen sind traditionell gegenüber anderen Fremdkapitalgebern (häufig den Gläubigern syndizierter Kredite) nachrangig, s. dazu auch Rz. 17.29 ff. 111 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 512. 112 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 471. 113 Vgl. auch Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 212 im Kontext einer Akquisitionsfinanzierung.
586 | Kaulamo
Anleihen | § 16
rechtlichen Vertrag sui generis handelt114. Sofern eine Transaktionsstruktur eine vertragliche Subordination vorsieht, findet sich die entsprechende Nachrangklausel zumeist im sog. Intercreditor Agreement und in den Anleihebedingungen wieder115. Auch bei der vertraglichen Subordination stellt sich die Frage, inwiefern die betroffenen Rechtsordnungen eine solche Vereinbarung in der Insolvenz des Schuldners anerkennen. In Deutschland ist die Vereinbarung eines vertraglichen Nachrangs gemäß § 39 Abs. 2 InsO ein gesetzlich vorgesehenes Instrument116. Handelt es sich bei dem Emittenten um eine ausländische Gesellschaft, so ist das jeweilige ausländische Insolvenzrecht maßgebend für die Anerkennung einer vertraglichen Rangklausel. cc) Strukturelle Subordination Die andere Möglichkeit, einen Nachrang herzustellen, ist die strukturelle Subordination. Eine strukturelle Subordination liegt vor, wenn das Rangverhältnis zwischen den Gläubigern die Konsequenz der Einordnung der verschiedenen Instrumente der Fremdfinanzierung in die gesellschaftsrechtliche Konzernstruktur der Transaktion ist, d.h. bei mindestens zwei Gesellschaftsebenen aus der gesetzlichen Verwertungsreihenfolge resultiert. Eine strukturelle Subordination der Anleihe liegt vor, wenn der Emittent ein Konzernunternehmen ohne eigenes operatives Geschäft und mithin ohne werthaltige Aktiva ist (etwa die Konzernholding oder eine Finanzierungstochter), die Rückzahlungsansprüche der anderen Fremdkapitalgeber jedoch gegenüber den werthaltigen Tochtergesellschaften bestehen. Im Insolvenzfall hält der Emittent lediglich die Anteile an den Tochtergesellschaften, welche aber nur insoweit werthaltig sind, als das Vermögen der Tochtergesellschaften größer als die gesamten Verbindlichkeiten gegenüber deren direkten Fremdkapitalgebern ist. Die strukturelle Subordination spielt eine besondere Rolle bei der Strukturierung von High Yield Anleihen (s. dazu ausführlich Rz. 17.29 ff.).
16.57
b) Negativerklärung Durch die Negativerklärung (Negative Pledge) verpflichtet sich der Emittent und ggf. der Garant, während der Laufzeit der Anleihe keine anderen, der Anleihe gleich- oder nachrangigen Verbindlichkeiten zu besichern oder deren Besicherung zu dulden bzw. für diese nur ganz genau umschriebene Sicherheiten zu bestellen, ohne gleichzeitig die Anleihegläubiger in gleicher Weise und anteilig mit allen anderen besicherten Verbindlichkeiten an solchen Sicherheiten zu beteiligen117. Diese Beschränkung hinsichtlich der Bestellung von Sicherheiten (bei High Yield Anleihen: Limitation on Liens, s. dazu Rz. 17.86) ist heute eine Standardklausel und stellt neben der Garantie die wichtigste Form einer Anleihebesicherung dar118. Die Funktion der Negativerklärung besteht darin, das Vermögen des Emittenten während der Dauer der Anleihe lastenfrei zu erhalten119. Bei einem Verstoß gegen 114 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 214 m.w.N. 115 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 217. 116 Sehen die Anleihebedingungen Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger vor, so regelt das SchVG ausdrücklich, dass die Gläubiger dem Nachrang der Forderungen aus den Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren des Schuldners zustimmen können (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG). 117 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/184. 118 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 477; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 750; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 455. 119 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 457; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 479.
Kaulamo | 587
16.58
§ 16 | Anleihen
die Negativerklärung haben die Anleihegläubiger in der Regel ein außerordentliches Kündigungsrecht. In der Praxis variiert der Umfang der Verbindlichkeiten des Emittenten, welche nicht besichert werden dürfen, sehr stark. Oft sind umfangreiche Ausnahmetatbestände vorgesehen (bei High Yield Anleihen: Permitted Liens, s. dazu Rz. 17.86). Bei den Verhandlungen mit den Konsortialbanken wird der Emittent den Kreis der unter die Negativerklärung fallenden Verbindlichkeiten so eng wie möglich halten wollen, um eine gewisse unternehmenspolitische Entscheidungsfreiheit während der Laufzeit der Anleihe behalten zu können120. Die Negativerklärung kann sich auch auf bestimmte Tochtergesellschaften des Emittenten (bei High Yield Anleihen: Restricted Subsidiaries, s. dazu Rz. 17.71 f. und 17.78 ff.) beziehen121. c) Finanzielle Zusicherungen
16.59 Unter finanziellen Zusicherungen (Financial Covenants) können alle in den Anleihebedin-
gungen enthaltenen Abreden verstanden werden, in denen sich der Emittent und ggf. der Garant zur Einhaltung einer bestimmten Kapitalstruktur bzw. bestimmter Finanzierungskennziffern (Financial Ratios, Debt Ratios) verpflichtet (Limitation on Indebtedness)122. Die finanziellen Zusicherungen bezwecken, den Anleihegläubigern das Schuldnervermögen in seiner Gesamtheit oder in einer bestimmten Struktur zu erhalten. Die von einer überhöhten Verschuldung (Leverage) ausgehenden Risiken sowie eine Aushöhlung des Vermögens des Emittenten sollen vermieden werden123. Die Entscheidung, welche konkreten finanziellen Zusicherungen abzugeben sind, muss in jedem Einzelfall nach eingehender Analyse der wirtschaftlichen Situation des Emittenten und des Wirtschaftsbereichs, in dem er tätig ist, getroffen werden. Gebräuchlich sind u.a. Mindestanforderungen für das Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital (Debt to Equity Ratio), Nettovermögen (Minimum Net Worth), Umlaufvermögen (Current Ratio) und den Schuldendienst (Debt Service Ratio) des Emittenten sowie Begrenzungen seiner Ausschüttungspolitik124. Derartige Zusicherungen werden typischerweise von Schuldnern verlangt, die andernfalls wegen ihres niedrigen Kreditratings und/oder Bekanntheitsgrades an den internationalen Kapitalmärkten keine Fremdkapitalaufnahme, jedenfalls nicht zu wirtschaftlich vernünftigen Konditionen, in Form von Anleiheemissionen tätigen könnten125. Im Gegensatz zu den finanziellen Zusicherungen von syndizierten Verträgen, bei denen die Kennzahlen ständig aufrechterhalten (Maintenance) werden müssen, wird die Einhaltung der finanziellen Zusicherungen nur anlässlich des Eingehens (Incurrence) potentiell liquiditätsschädigender Geschäftshandlungen überprüft. In besonders großem Umfang sind finanzielle Zusicherungen, im Vergleich zu Unternehmensanleihen aus dem Investment Grade Segment, bei High Yield Anleihen gebräuchlich (für nähere Einzelheiten s. Rz. 17.10 ff. und 17.68 ff.). Die Nichteinhaltung der finanziellen
120 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 489. 121 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 458; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 496 ff.; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 120 ff.; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 750. 122 So wird beispielsweise bei der Leverage Ratio die Nettoverschuldung im Verhältnis zum EBITDA gemessen; bei der Interest Cover Ratio wird der Zinsaufwand ins Verhältnis zum EBITDA gesetzt. S. auch Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 517. 123 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 481; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 518. 124 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 519 ff.; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 481. 125 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 517 f.
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Anleihen | § 16
Zusicherungen stellt regelmäßig einen außerordentlichen Kündigungsgrund seitens der Anleihegläubiger dar. d) Change of Control Covenant Aus dem Umstand, dass mit einem Kontrollwechsel (Change of Control) einerseits eine Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Emittenten einhergehen kann, andererseits sich aber ein Übernahme- bzw. Pflichtangebot nach deutschem Übernahmerecht nicht auf die Anleihen erstrecken muss, resultiert ein Schutzbedürfnis der Anleihegläubiger126. Dies ist besonders bei Fusionen oder Übernahmen (Mergers and Consolidations) von Bedeutung, sodass sich der Emittent von Anleihen in diesem Zusammenhang in der Regel einschränkenden Verpflichtungen unterwerfen muss. Dabei wird eine Fusion oder Übernahme nicht generell untersagt, wobei sich die Qualität des Haftungsträgers (d.h. des Anleiheschuldners) nicht verschlechtern darf. Ein Verstoß gegen diesen Covenant stellt in der Regel einen außerordentlichen Kündigungsgrund dar mit der Folge der vorzeitigen Fälligstellung der Anleihe127.
16.60
e) Weitere Zusicherungen bei High Yield Anleihen Insbesondere High Yield Anleihen weisen in ihren Anleihebedingungen noch weitere Zusicherungen auf. Diese zielen v.a. darauf ab, aus Sicht der Anleihegläubiger zu gewährleisten, dass die beim Emittenten bzw. in der Gruppe des Emittenten vorhandenen Mittel dem Haftungsverbund der Anleihe erhalten bleiben. Indem der Emittent sich bei der Mittelverwendung Grenzen setzt, soll ein unkontrollierter Mittelabfluss verhindert werden. Zudem knüpfen die Zusicherungen im Falle von High Yield Anleihen spezifischere Folgen an potentielle Kontrollwechsel und statuieren auch weitergehende Informationspflichten, als dies bei anderen Unternehmensanleihen gebräuchlich ist (für nähere Einzelheiten s. Rz. 17.67 ff.).
16.61
4. Besicherung Allgemein gilt, dass, je schlechter die Bonität und das Rating des Emittenten ist, desto mehr Bedarf besteht für die Besicherung der Anleihe. Anleihen, in denen Emittenten128 mit Investment Grade Rating als Schuldner auftreten, werden daher in der Regel unbesichert begeben. Für andere Emittenten, insbesondere im High Yield Segment, kann die Besicherung der auszugebenden Anleihe im Einzelfall eine faktische Voraussetzung für den Zutritt zu den internationalen Kapitalmärkten sein129. Aus Sicht der „traditionell“ nachrangigen High Yield Anleihegläubiger dienen die Sicherheiten dazu, die für sie nachteilige Konsequenz der Subordination zumindest teilweise zu durchbrechen (s. dazu Rz. 16.52 ff.). 126 Schlitt in MünchKomm. AktG, § 32 WpÜG Rz. 27, § 35 WpÜG Rz. 202. S. dazu Rz. 11.74. 127 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 488 f.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 542. Zur gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Klausel vgl. Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 753 f. 128 Sofern es sich nicht um Asset Backed Securities handelt. 129 Zu jüngeren Entwicklungen im High Yield Markt in Bezug auf Rangverhältnisse und Besicherung s. Rz. 17.31 ff., 17.35 ff. und 17.38 ff. S. auch Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 329; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 425; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 364 f.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/195.
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16.62
§ 16 | Anleihen
16.63 In der Praxis der internationalen Anleihen lässt sich zum einen die Verwendung der traditionellen Sicherungsinstrumente der Personal- und Realsicherheiten und zum anderen – insbesondere bei High Yield Anleihen – die Einbeziehung von weiteren Klauseln und Abreden mit Sicherungsfunktion, insbesondere der sog. Zusicherungen (Covenants), feststellen. a) Personalsicherheiten, insbesondere Garantien
16.64 Personalsicherheiten stellen in der Praxis internationaler Anleihen das am häufigsten ver-
wendete Sicherungsmittel dar, was oftmals darauf zurückzuführen ist, dass der Emittent (z.B. eine Konzern-Holdinggesellschaft oder Finanztochtergesellschaft) nur über geringe eigene Vermögenswerte verfügt, die zur Besicherung der Anleiheverbindlichkeiten eingesetzt werden können. Die am häufigsten verwendete Personalsicherheit ist der Garantievertrag130. Dies trifft insbesondere auf den Fall zu, in dem die Anleihe durch eine (aus steuerlichen oder aufsichtsrechtlichen Gründen oftmals im Ausland ansässige) Finanztochtergesellschaft emittiert wird, deren Anleihen ohne Garantie der Muttergesellschaft, die zugleich der eigentliche Kapitalnachfrager ist oder das aufgenommene Kapital anderen Tochtergesellschaften zuleitet, kaum marktfähig wären. Ähnliches gilt in Fällen, in denen die Anleihe durch eine Konzern-Holdinggesellschaft emittiert wird, die kein operatives Geschäft betreibt. In einer solchen Struktur werden die Garantien von den operativen Tochtergesellschaften als sog. Upstream-Garantien gewährt131. Durch die Garantien der operativen Tochtergesellschaften werden die Anleihegläubiger grundsätzlich pari passu mit den direkten Gläubigern der garantiegebenden operativen Tochtergesellschaften gestellt, so dass die strukturelle Nachrangigkeit der Anleihegläubiger insoweit überwunden wird, als die Tochtergesellschaft ihren direkten Gläubigern keine Realsicherheiten bestellt hat.
16.65 Nach deutschem Recht erfolgt die Garantieübernahme regelmäßig durch Vertrag zwischen
dem Garanten und dem Anleihetreuhänder zugunsten der Anleihegläubiger. Möglich sind aber auch Konstruktionen ohne Einschaltung eines Treuhänders132. Üblicherweise ist der Garantiegeber auch Vertragspartner des Übernahmevertrags, woraus sich seine Verpflichtung ergibt, die Garantieerklärung vor der Emission abzugeben133. Die Garantieerklärung selbst wird meist in einer gesonderten Urkunde niedergelegt134; die Garantieerklärung wird auch in die Anleihebedingungen aufgenommen und im Emissionsprospekt wiedergegeben135. Das Grundmuster ist regelmäßig das gleiche, nämlich Haftung des Garanten unabhängig vom Bestand der Hauptforderung, auf erstes Anfordern durch den Anleihegläu-
130 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 362. 131 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 215; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 f. 132 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 445 ff.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 395 ff.; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/198. 133 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 449; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 389. 134 Bei High Yield Anleihen nach New Yorker Recht sind die Garantien Bestandteil der Indenture und werden somit nicht in separaten Garantieverträgen dokumentiert. S. dazu Rz. 17.59. 135 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 445. Bei in den USA angebotenen Anleihen ist zu beachten, dass bei Einschaltung einer Garantie diese u.U. den Registrierungsanforderungen des Securities Act of 1933 unterliegt und Informationen über den Garanten und dessen finanzielle Verhältnisse in den Prospekt (Offering Memorandum) aufgenommen werden müssen. In Deutschland verlangen gesetzliche Vorschriften im Falle eines öffentlichen Angebots ebenfalls die Aufnahme bestimmter Angaben über die Garantie und den Garanten in den Wertpapierprospekt (vgl. § 7 WpPG i.V.m. Art. 9 und Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29.4.2004).
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Anleihen | § 16
biger – unmittelbar oder über den Anleihetreuhänder – und unwiderruflich seitens des Garanten136. Bei der Gewährung von Upstream-Garantien durch deutsche Tochtergesellschaften, die regelmäßig die Gesellschaftsform einer GmbH oder einer GmbH & Co. KG haben, muss stets beachtet werden, dass nicht gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze gemäß § 30 GmbHG verstoßen wird. Da der wirtschaftliche Vorteil einer Upstream-Garantie bei der Muttergesellschaft liegt, kann die Gewährung einer solchen eine verbotene Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Gesellschaftsvermögens der Tochtergesellschaft darstellen. Es ist die Pflicht des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft selbiges zu verhindern; anderenfalls droht die persönlichen Haftung nach § 43 Abs. 3 GmbHG.
16.66
Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gilt das Verbot jedoch nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. Da bei der Bestellung der Upstream-Garantie die Vollwertigkeit eines Gegenanspruchs im Zeitpunkt der späteren Inanspruchnahme der Sicherheit naturgemäß schwer zu prognostizieren ist, hat es sich in der Vergangenheit durchgesetzt, als Limitation Language bezeichnete Beschränkungen in die Garantieabrede aufzunehmen. Diese lassen eine Inanspruchnahme der Upstream-Garantie nur insoweit zu, als dass dies nicht zu einer Verletzung der Kapitalerhaltungsgrundsätze führt. Der Geschäftsführer ist auf diese Weise vertraglich davor geschützt, seine Pflicht aus § 30 GmbHG verletzen zu müssen, sollte sich im Zeitpunkt der Verwertung der Upstream-Garantie herausstellen, dass dem Mittelabfluss kein vollwertiger Anspruch gegenübersteht137.
16.66a
Ob die Verwendung von Limitation Language im bisherigen Ausmaß jedoch fortgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten, nachdem der BGH138 für die Verwendung entsprechender Vertragsabreden bei der Bestellung dinglicher Sicherheiten geurteilt hat, dass allein im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung geprüft werden müsse, ob ein Ausfall der besicherten Forderung unwahrscheinlich und eine entsprechende Vollwertigkeit des Gegenanspruch damit anzunehmen sei139. Nach diesem Urteil berührt eine nachträgliche Verschlechterung der Vermögenslage der Muttergesellschaft die ex ante zu prognostizierende Statthaftigkeit der Besicherung nicht140; insofern wird die Notwendigkeit von Limitation Language in der Literatur141 teilweise in Frage gestellt. Erweitert man die Aussage des BGH auf schuldrechtliche Sicherheiten, ließe sich argumentieren, dass die Vereinbarung einer Limitation Language bei Upstream-Garantien damit genauso obsolet wie im Fall dinglicher Besicherung würde142.
16.66b
136 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 444. 137 Vgl. Nordholtz/Hupka, DStR 2017, 1999, 2004. 138 BGH v. 21.3.2017 – II ZR 93/16. Zum bisherigen Streitstand: Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 f. 139 Der BGH formuliert dies folgendermaßen: „Eine negative Entwicklung lässt die ex ante bestehende Vollwertigkeit des Freistellungsanspruchs nicht rückwirkend entfallen.“ (BGH v. 21.3. 2017 – II ZR 93/16 Rz. 21). 140 Freitag, WM 2017, 1633, 1634; Desch in Bunnemann/Zirngibl, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der Praxis, § 7 Rz. 129; Sutter, WM 2018, 360, 361. 141 Sutter, WM 2018, 360, 366; Freitag, WM 2017, 1633, 1634; Etzbach/Janning, DB 2017, 1438, 1439. 142 Vgl. Friese, NZI 2014, 363 unter Bezugnahme auf OLG Frankfurt a.M. v. 8.11.2013 – 24 U 80/13.
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§ 16 | Anleihen
Dass sich diese Ansicht jedoch durchsetzen wird, ist nicht ohne Weiteres zu erwarten, denn zum einen ist noch nicht hinreichend geklärt, ob die neuere Rechtsprechung des BGH auf schuldrechtliche Sicherheiten wie die Upstream-Garantie überhaupt Anwendung finden soll143 und zum zweiten besteht eine gewisse Unsicherheit, anhand welcher Kriterien die in die Zukunft gerichtete Prognose, ob ein Ausfall der besicherten Forderung „wahrscheinlich“ ist, vorzunehmen ist144. Insofern besteht weiterhin ein Schutzbedürfnis, sodass zwar eine Anpassung, nicht jedoch eine völlige Abkehr von der etablierten Verwendung der Limitation Language zu beobachten sein dürfte145.
16.67 Bürgschaften sind in der Emissionspraxis seltener anzutreffen als Garantien. Dies liegt
zum einen daran, dass die Möglichkeit eines einredefreien und unmittelbaren Rückgriffs auf den Sicherungsgeber ein wesentliches Merkmal der Besicherung internationaler Anleihen darstellt146. Durch die Ausgestaltung der Bürgschaft auf erstes Anfordern kann die Position des Sicherungsgebers zwar einem Garanten angenähert werden, allerdings verlangt § 765 BGB, dass der Gläubiger der verbürgten Forderung identisch mit dem Gläubiger der Bürgschaftsforderung ist. Dies würde dazu führen, dass die Bürgschaft gegenüber allen Anleihegläubigern abzugeben ist. Folglich eignet sich die Bürgschaft nicht für die Sicherheitenbestellung zugunsten eines Treuhänders147.
16.68 Die Patronatserklärung ist eine darauf gerichtete Erklärung, ein Unternehmen, das
Schuldner eines Dritten ist, wirtschaftlich zu unterstützen oder mit dem Ziel zu beeinflussen, dessen Kreditfähigkeit zu verbessern148. Die Erklärung wird in der Regel durch die Muttergesellschaft (Patronin) des zu unterstützenden Unternehmens (Tochtergesellschaft) abgegeben. Auf Patronatserklärungen wird oft im Zusammenhang mit einem Kreditgeschäft zurückgegriffen. Bei internationalen Anleihen sind Patronatserklärungen dagegen seltener zu finden. An den internationalen Kapitalmärkten lässt sich u.a. aufgrund der schwierigeren Durchsetzbarkeit von daraus resultierenden Ansprüchen ein gewisses Misstrauen gegen ein derartiges Sicherungsinstrument feststellen. Wenn die Möglichkeit besteht, setzen sich Emissionsbanken in den Verhandlungen mit Emittenten hinsichtlich der Gestaltung der Anleihe vorzugsweise für die Anwendung von Garantien ein149. b) Realsicherheiten, insbesondere Pfandrechte
16.69 Bei der Besicherung internationaler Unternehmensanleihen stellen die Realsicherheiten in
der heutigen Praxis – außer zum Teil im High Yield Markt (s. dazu Rz. 17.35 ff.) – eine Ausnahme dar. Dass Realsicherheiten in der Praxis eher selten bestellt werden, liegt neben Dagegen: Becker, ZIP 2017, 1599, 1606; dafür: Nordholtz/Hupka, DStR 2017, 1999, 2001. Sutter, WM 2018, 360, 362 ff. Nordholtz/Hupka, DStR 2017, 1999, 2004 f.; Becker, ZIP 2017, 1599, 1606, 1609. Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 443; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/ 197. 147 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.395; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/197. 148 Dabei ist je nach Umfang und Ausgestaltung der Verpflichtung des Patrons zwischen der sog. harten Patronatserklärung und der weichen Patronatserklärung zu unterscheiden. Die Verpflichtungen des Patrons können von einer bloßen „Goodwill-Erklärung“ über Schadensersatzansprüche bis hin zu einer garantieartigen Ausgestaltung der Erklärung reichen. Vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 403 ff. 149 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 453; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 403 ff.
143 144 145 146
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Anleihen | § 16
Formerfordernissen vor allem darin begründet, dass bei der Bestellung und Verwertung von Realsicherheiten in internationalen Sachverhalten Probleme auftreten, die oft außer Verhältnis zu ihrem Sicherungswert stehen150. Zum einen kann bei dinglichen Sicherheiten keine Rechtswahl erfolgen, wodurch das auf die Bestellung und Verwertung der Sicherheiten anwendbare Recht in vielen Fällen keinen Gleichlauf mit dem auf die Forderung aus der Anleihe anwendbaren Recht hat151. Zum anderen ist der weitgehende Verzicht auf die Anwendung von akzessorischen Realsicherheiten u.a. auf den Umstand zurückzuführen, dass diese nicht nur in ihrem Bestand und Umfang von der gesicherten Forderung abhängen, sondern im deutschen Recht stets dem Gläubiger dieser Forderung, nicht jedoch ohne weiteres einem Treuhänder oder sonstigen Dritten, zustehen können152. Bei High Yield Anleihen spielen – neben den Garantien der Tochtergesellschaften – in zunehmendem Maße auch Realsicherheiten, insbesondere Pfandrechte, eine Rolle. Diese sollen – wie andere Sicherheiten auch – regelmäßig gegenüber einem Sicherheitentreuhänder bestellt und von diesem verwaltet werden. Sind hiervon Anteile an einer deutschen Aktiengesellschaft, GmbH oder GmbH & Co. KG betroffen, die nach deutschem Recht verpfändet werden, versucht man auf dem Wege der Einführung einer – aus der Praxis der Akquisitionsfinanzierung bekannten153 – sog. Parallel Obligation-Konstruktion die oben bereits angesprochene Problematik der Akzessorietät zu lösen. Dabei wird im Wege eines abstrakten Schuldanerkenntnisses eine Forderung zugunsten des Anleihetreuhänders begründet, die ihrem Umfang nach der Verpflichtung des Schuldners aus der Anleihe gegenüber den Anleihegläubigern entspricht (Parallel Obligation).
16.70
Übliche Formen für die durch Grundsicherheiten besicherten internationalen154 Anleihen sind die Hypothekenpfandbriefe. Dabei besteht die Sicherheit aus dem jeweiligen Gesamtbestand an in die Deckung einbezogenen Hypotheken. Für eine Darstellung der damit verbundenen Rechtsfragen wird auf den Beitrag von Geiger, § 21, über Asset-Backed Securities verwiesen.
16.71
5. Kündigungsrechte der Anleihegläubiger (Events of Default) Die sog. Events of Default fassen die Fälle zusammen, welche die vorzeitige Fälligkeit der Anleihe zur Folge haben oder haben können. Dazu gehören vor allem bestimmte Verletzungen der Anleihebedingungen durch den Emittenten (sog. Default) wie das Nichtleisten fälliger Zahlungen (Zinsen oder Tilgung) oder die Nichteinhaltung bestimmter Zusicherungen (Covenants). Auch das Nichtleisten fälliger Zahlungen in Bezug auf Ansprüche anderer Fremdkapitalgeber gegen den Emittenten kann zur vorzeitigen Fälligkeit führen (Drittverzugsklausel oder Cross Default Clause), ebenso wie die Insolvenz des Emittenten oder eines Garantiegebers oder der Wegfall eines Garantiegebers. 150 Vgl. Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 429; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 435. 151 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 440. In Bezug auf die dinglichen Sicherheiten bestimmt Art. 43 EGBGB, dass diese dem Recht des Staates unterliegen, in dem sich die Sache befindet. 152 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/194; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 435; Vogel in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 94, 104. Zur Stellung und Aufgaben des Anleihetreuhänders vgl. Rz. 16.84 ff. 153 Vgl. Schrell/Kirchner, ZBB 2002, 230; s. auch Rz. 17.35 ff. 154 J. Whelan, III in Maxwell/Shenkman, Leveraged Financial Markets, S. 171, 191; Balz, ZBB 2009, 401, 409; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 435.
Kaulamo | 593
16.72
§ 16 | Anleihen
a) Verletzung von Zahlungsverpflichtungen
16.73 Die Verletzung der zentralen Leistungspflichten begründet einen außerordentlichen Kün-
digungsgrund und führt insbesondere bei Investment Grade Anleihen typischerweise erst dann zur Fälligstellung, wenn der geschuldete Betrag vom Emittenten nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach dem Fälligkeitstag (Grace Period) gezahlt worden ist (üblicherweise 15 bis 30 Tage). Bei anderen Anleihen, insbesondere im High Yield Bereich, hat das Ausbleiben der Zinszahlungen zu den in den Anleihebedingungen vereinbarten Fälligkeitsterminen in der Regel die sofortige Fälligstellung aller unter der Anleihe ausstehenden Verbindlichkeiten zur Folge (s. Rz. 17.110 ff.). b) Nichteinhaltung von Zusicherungen (Covenant Breach)
16.74 Die Nichteinhaltung der Zusicherungen (Covenants) stellt regelmäßig einen außerordentlichen Kündigungsgrund zu Gunsten der Anleihegläubiger dar. Während die Verletzung einiger Leistungspflichten die sofortige Fälligstellung aller aus der Anleihe ausstehenden Verbindlichkeiten zur Folge haben kann, sehen andere Verletzungen von Covenants normalerweise vor, dass eine Fälligstellung erst in Frage kommt, wenn der Emittent den Verstoß innerhalb einer Grace Period von in der Regel 30 bis 60 Tagen nicht behoben hat.
c) Drittverzugsklausel (Cross Default)
16.75 Aufgrund einer bei fast allen internationalen Anleihen anzutreffenden Drittverzugsklausel
(Cross Default Clause) kann auch die nicht oder nicht rechtzeitige Leistung auf fällige Verbindlichkeiten des Emittenten aus Finanzierungsverträgen mit Dritten einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen155. Nach der engen Variante (Cross Acceleration Clause) wird das Kündigungsrecht der Anleihegläubiger von dem Umstand abhängig gemacht, dass eine andere Verbindlichkeit des Emittenten bereits gekündigt ist156. Nach der weiten Variante genügt als Voraussetzung für die Kündigung der Anleihe, dass sich der Emittent mit der Erfüllung einer anderen Verbindlichkeit in Verzug befindet. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, dass die Gläubiger aus dem anderen Finanzierungsvertrag tatsächlich gekündigt haben; vielmehr genügt es bereits, dass diese Gläubiger es tun könnten157.
16.76 Die Drittverzugsklausel dient vornehmlich der Sicherstellung der Gleichbehandlung bzw. der Verhinderung der Benachteiligung der Anleihegläubiger gegenüber anderen Gläubigern des Emittenten aufgrund mangelnder Fälligkeit ihrer Anleiheforderung158. Ferner stellt sie einen Krisenindikator zur Früherkennung einer Verschlechterung in der wirtschaftlichen Situation des Emittenten bzw. des Garanten dar159. Sie versetzt die Anleihegläubiger in die Lage, Verhandlungen mit dem Emittenten durchzuführen, um z.B. eine Nachbesicherung ihrer Ansprüche zu erreichen160.
155 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/185; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 533; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.109; Welter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 118 Rz. 142 ff. (in Bezug auf das Kreditgeschäft). 156 Welter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 118 Rz. 143. 157 Welter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 118 Rz. 143; Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, Rz. 6-013; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 533; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/185. 158 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 534. 159 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 534 f. 160 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 534 f.
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Anleihen | § 16
Die maßgeblichen Verpflichtungen, deren Nichterfüllung zu einer Aktivierung der Drittverzugsklausel führen kann, werden in den Anleihebedingungen bestimmt. Während der Emittent den Umfang dieser Verpflichtungen möglichst eng fassen möchte, bevorzugen die Anleihegläubiger möglichst weit gefasste Bestimmungen. Üblich sind Klauseln, die sich auf die Verletzung von Zahlungsverpflichtungen aus bestimmten Schuldarten beziehen, wie z.B. andere Anleihen und Darlehen. Meist findet sich zudem eine Untergrenze hinsichtlich des Betrages der fälligen Zahlungsverpflichtung, um zu verhindern, dass die Drittverzugsklausel zu oft bzw. zu früh aktiviert wird161. Neben der Verletzung von Zahlungsverpflichtungen aus anderen Verbindlichkeiten des Emittenten kann sich die Drittverzugsklausel auch auf die Verwirklichung von Kündigungstatbeständen in anderen Finanzierungsverträgen, etwa die Verletzung von Zusicherungen, erstrecken. In der Regel ist in der Drittverzugsklausel eine Grace Period von 30 bis 60 Tagen vereinbart, in der Anleihegläubiger von dem Recht zur vorzeitigen Fälligstellung der Anleihe keinen Gebrauch machen können162. Die Drittverzugsklausel erstreckt sich in der Regel auch auf alle oder bestimmte Tochtergesellschaften des Emittenten sowie die Sicherheiten163.
16.77
d) Weitere Events of Default Die Anleihebedingung sehen zudem regelmäßig vor, dass die Bekanntgabe der Zahlungsunfähigkeit des Emittenten, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Emittenten bzw. die Einleitung oder Beantragung eines solchen Verfahrens und die Liquidation des Emittenten einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen. Je nach Einzelfall kommt es daher entweder zur sofortigen Fälligstellung der Anleihe (z.B. bei Zahlungsunfähigkeit) oder die Fälligstellung erfolgt erst nach Verstreichen einer Grace Period (z.B. bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens).
16.78
e) Beschränkungen des Rechts zur außerordentlichen Kündigung Schuldverschreibungen sind grundsätzlich Dauerschuldverhältnisse und können daher von den Anleihegläubigern bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach Maßgabe des § 314 Abs. 1 BGB außerordentlich gekündigt werden164. Dieses Recht kann den Anleihegläubigern grundsätzlich nicht entzogen werden165. Das Schuldverschreibungsgesetz eröffnet jedoch die Möglichkeit, das individuelle Kündigungsrecht der Anleihegläubiger in den Anleihebedingungen einzuschränken. In der internationalen Anleihepraxis sind Regelungen üblich, wonach die Kündigung ausstehender Schuldverschreibungen vom Erreichen einer Mindestquote (Quorum) abhängig gemacht wird. Diese Praxis erkennt § 5 Abs. 5 SchVG ausdrücklich an. Danach können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Kündigung von ausstehenden Schuldverschreibungen nur von mehreren Anleihegläubigern und einheitlich für die gesamte Anleihe erklärt werden kann. In diesem Fall darf der für die Kündigung erforderliche Mindestanteil (Quorum) der ausstehenden Schuldverschreibungen nicht mehr als 25 % betragen. Darüber hinaus entfällt die Wirkung einer solchen Kündigung, wenn die Gläubiger dies binnen drei Monaten nach erfolgter Kündigung mit einfacher Mehrheit beschließen (§ 5 Abs. 5 Satz 2, 3 SchVG). 161 162 163 164 165
Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 536 f. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 537 f. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 537 f. BGH v. 26.5.1986 – VIII ZR 218/85, ZIP 1986, 919, 920; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 51 f. Dazu Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, ILF Working Papers Series No. 145, S. 18; Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345, 348.
Kaulamo | 595
16.79
§ 16 | Anleihen
16.80 Des Weiteren können die Anleihebedingungen die Möglichkeit vorsehen, dass die Anlei-
hegläubiger durch Mehrheitsbeschluss dem Verzicht (Waiver) auf das Kündigungsrecht oder dessen Beschränkung zustimmen. Entsprechende Beschlüsse können nur hinsichtlich einer konkreten Kündigungssituation gefasst werden, ein genereller Ausschluss des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund ist dagegen nicht zulässig166.
VI. Kollektive Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger 16.81 Gestützt auf die Anleihebedingungen, welche die Leistungspflichten des Emittenten de-
finieren, tritt der Emittent einer Anleihe in Rechtsbeziehung mit einer Vielzahl von Anleihegläubigern, die dem Emittenten in der Regel nicht einzeln bekannt sind. Die einzelnen Forderungsrechte aus der Anleihe sind hinsichtlich ihres Bestandes und ihrer Ausübung grundsätzlich voneinander unabhängig, können also jeweils von einem Anleihegläubiger für sich allein, ohne Mitwirkung der übrigen Anleihegläubiger, geltend gemacht werden. Allerdings kann sich während der Laufzeit einer Anleihe das Bedürfnis ergeben, dass Anleihegläubiger ihre Rechte kollektiv wahrnehmen und mit einer Stimme sprechen167. Eine Zentralisierung der Gläubigerrechte kann dabei im Interesse des Emittenten und der Anleihegläubiger liegen168.
16.82 Das durch die Neufassung des Schuldverschreibungsgesetzes im Jahr 2009 eingeführte Instrumentarium zur kollektiven Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger passt das deutsche Recht weitgehend an international übliche Standards an. Danach kann zum einen nach § 5 Abs. 1 SchVG bereits in den Anleihebedingungen ein sog. gemeinsamer Vertreter der Anleihegläubiger (weitgehend vergleichbar mit einem Anleihetreuhänder nach USamerikanischem oder englischem Recht) bestellt bzw. es kann vorgesehen werden, dass die Gläubiger zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen können (s. dazu Rz. 16.84 ff.). Zum anderen ermöglicht Art. 5 Abs. 1 SchVG, dass die Anleihebedingungen eine Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss zulassen (s. dazu Rz. 16.91 ff.)169.
16.83 Das Schuldverschreibungsgesetz bietet dem Emittenten mithin die Möglichkeit (jedoch
keine Pflicht) durch die Ausgestaltung der Anleihebedingungen das kollektive Handeln der Anleihegläubiger erheblich zu vereinfachen. Die konkrete Ausgestaltung der Aufgaben und Befugnisse des gemeinsamen Vertreters und die Reichweite der Mehrheitsbeschlüsse hat der Gesetzgeber dabei weitgehend der Praxis überlassen. Im März 2012 haben die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) und der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) gemeinsame Standards für Unternehmensanleihen unter dem Schuldverschreibungsgesetz (im Folgenden BVI/DVFA Standards) vorgelegt, die Empfehlungen für einen Best Practice Standard für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters und für Mehrheitsbeschlüsse der Anleihegläubiger geben170.
166 167 168 169
Horn, ZHR 173 (2009), 12, 45; Veranneman in Veranneman, SchVG, § 5 Rz. 36. Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 89 Rz. 1. Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 89 Rz. 1. Vgl. allgemein: Schönhaar, Die kollektive Wahrnehmung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 1 ff. 170 S. http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanleihen.html oder https://www.bvi. de/regulierung/branchenstandards/corporate-bond-standards/; Frank/Siebel, CFB 2012, 218 ff.
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Anleihen | § 16
1. Anleihetreuhänder (Trustee) und gemeinsamer Vertreter Zur kollektiven Wahrnehmung und Durchsetzung der Interessen der Anleihegläubiger wird in der Praxis insbesondere bei internationalen Anleihen, die US-amerikanischem oder englischem Recht unterstellt sind, seit jeher ein Anleihetreuhänder (Trustee) bestellt, der in einem detailliert definierten Gefüge von Aufgaben und Pflichten zur Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger handelt171. Insbesondere bei den meisten in Europa emittierten High Yield Anleihen wird zur Sicherung und Wahrnehmung der Gläubigerrechte ein Trust aufgesetzt, der von einem Trustee verwaltet wird172. Diese Rechtsfigur kennt das deutsche Recht nicht. Jedoch kann im Zusammenhang mit deutschem Recht unterliegenden Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz zur Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG). Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters dient der Vereinfachung und Professionalisierung der Kommunikation zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern. Insbesondere in Krisensituationen bzw. Restrukturierungsfällen kann ein gemeinsamer Vertreter die Verhandlungen der Gläubiger mit dem Emittenten führen und sichert dabei die Handlungsfähigkeit der Anleihegläubiger und dass diese mit einer Stimme sprechen.
16.84
Die Bestellung des gemeinsamen Vertreters erfolgt entweder durch den Emittenten bei der Begebung der Anleihe in den Anleihebedingungen (Vertragsvertreter173) oder zu einem späteren Zeitpunkt durch die Anleihegläubiger in einer Gläubigerversammlung (Wahlvertreter174). Einen Wahlvertreter können die Anleihegläubiger allerdings nur dann bestellen, wenn der Emittent den Gläubigern dieses Recht in den Anleihebedingungen eingeräumt hat. Der gemeinsame Vertreter kann jederzeit von den Gläubigern mit einem Mehrheitsbeschluss ohne Angabe von Gründen abberufen werden175. Zudem kann der gemeinsame Vertreter den seiner Bestellung zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrag jederzeit, jedoch nicht zur Unzeit, ohne Angabe von Gründen kündigen176.
16.85
171 Zum US-Recht vgl. Plepelits, CFL 2010, 119, 122; Rz. 17.62 ff. 172 Bei einem amerikanischen Trust wird das Eigentum in wirtschaftliches und rechtliches Eigentum aufgeteilt. Der Trustee ist rechtlicher Eigentümer, während die Anleihegläubiger wirtschaftliche Eigentümer (Beneficiaries) sind. Das zu verwaltende Treugut der Anleihegläubiger wird von dem Trustee verwaltet. Vgl. auch Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 442; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 749 f.; Rz. 17.62 ff. 173 Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 2, 28 ff.; s. auch Baums, ZBB 2009, 1, 2; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 62. Im Falle des Vertragsvertreters muss durch Auslegung ermittelt werden, ob es zu einem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Anleihegläubigern und dem gemeinsamen Vertreter kommt oder ob ein entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter besteht. Vgl. dazu Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 42 ff. 174 Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 2, 4 ff. Im Falle des Wahlvertreters entsteht ein entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Anleihegläubigern und dem gemeinsamen Vertreter. Die Vorschriften der §§ 662 ff. BGB sind anzuwenden, soweit das Schuldverschreibungsgesetz als lex specialis keine Sonderregelungen trifft. S. RG v. 11.5. 1917 – III 462/16, RGZ 90, 211, 214; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 26. 175 Vgl. Begr. RegE. SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 20; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 75. 176 Begr. RegE. SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 20; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 77.
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§ 16 | Anleihen
16.86 Der gemeinsame Vertreter kann gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG jede geschäftsfähige Per-
son oder eine sachkundige177 juristische Person sein und hat die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SchVG). Hinsichtlich der Rolle des gemeinsamen Vertreters enthält das Schuldverschreibungsgesetz allerdings nur relativ wenige zwingende Vorgaben. Kraft Gesetzes hat der gemeinsame Vertreter im Wesentlichen fünf nicht beschränkbare Aufgaben und Befugnisse: (i) die Berichtspflicht (§ 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG),
(ii) die Einberufung der Gläubigerversammlung sowie die Veranlassung einer Abstimmung ohne Versammlung (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SchVG), (iii) die Abstimmungs- und Versammlungsleitung (§ 15 Abs. 1 SchVG), (iv) Informationsrechte (§ 7 Abs. 5 SchVG)178, sowie (v) die alleinige Geltendmachung der Rechte der Gläubiger in der Insolvenz des Schuldners (§ 19 Abs. 3 SchVG)179.
16.87 Neben diesen gesetzlichen Aufgaben und Befugnissen kann zum einen die Gläubigerver-
sammlung den gemeinsamen Vertreter mit zusätzlichen Kompetenzen betrauen180. Zum anderen kann der Emittent in den Anleihebedingungen, im Falle eines Vertragsvertreters, dem gemeinsamen Vertreter über seine gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse hinausgehende Informationsrechte zugunsten der Anleihegläubiger einräumen181.
16.88 Mit der Übertragung der Gläubigerrechte auf den gemeinsamen Vertreter entfällt die
Möglichkeit der einzelnen Gläubiger diese Rechte selbstständig weiter geltend zu machen, es sei denn, der Mehrheitsbeschluss sieht dies ausdrücklich vor (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG)182. Ist der gemeinsame Vertreter bereits in den Anleihebedingungen durch den Emittenten bestellt worden, sind jedoch Befugnisse des gemeinsamen Vertreters dahingehend beschränkt, dass dieser zu einem Verzicht auf die Rechte der Anleihegläubiger nur aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung im Einzelfall ermächtigt werden kann (§ 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG).
16.89 Das Gesetz sieht eine Haftung des gemeinsamen Vertreters gegenüber den Anleihegläubi-
gern gemäß § 7 Abs. 3 SchVG für die nicht ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben vor. Dabei hat der gemeinsame Vertreter bei seiner Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden, wobei der Maßstab des § 93 Abs. 1 177 Zur Sachkunde s. Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, 157; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 6 ff.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 7 Rz. 10. S. auch die Empfehlungen in den BVI/DVFA Standards, Ziffer 2., http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unter nehmensanleihen.html oder https://www.bvi.de/regulierung/branchenstandards/corporate-bondstandards/; Frank/Siebel, CFB 2012, 218, 219. 178 Zu den Grenzen der Informationsrechte s. Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 484; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 56. 179 Zur Alleinvertretungsbefugnis s. Leuering, NZI 2009, 638, 640; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 57; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 19 Rz. 50 ff. 180 Zu den Grenzen der Ermächtigung s. Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 60 ff.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 7 Rz. 36 ff. 181 Zu den diesbezüglichen Empfehlungen des BVI/DVFA s. BVI/DVFA Standards, Ziffer 2., http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanleihen.html. 182 S. dazu Podewils, DStR 2009, 1914, 1918; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 63 ff.
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Anleihen | § 16
Satz 2 AktG (Business Judgement Rule) gilt183. Im Falle der Bestellung des gemeinsamen Vertreters bereits in den Anleihebedingungen kann seine Haftung in den Anleihebedingungen auf das Zehnfache seiner jährlichen Vergütung begrenzt werden, nicht jedoch für Fälle in denen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt (§ 8 Abs. 3 SchVG). Die Haftung des gemeinsamen Vertreters kann jedoch durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger auch über diese Grenze hinaus beschränkt bzw. (außer für Vorsatz) ausgeschlossen werden. Die BVI/DVFA Standards beinhalten eine Empfehlung an die Emittenten, (i) bereits in den Anleihebedingungen einen gemeinsamen Vertreter (Vertragsvertreter) zu bestellen und (ii) ihn mit speziellen, in den BVI/DVFA Standards näher ausgeführten, Informationsrechten auszustatten. Durch die Bestellung eines Vertragsvertreters und die Einräumung spezieller Informationsrechte sei ein gleichberechtigter Zugriff aller Anleger, einschließlich Privatanleger, auf die für eine laufende Analyse ihrer Kapitalanlage erforderlichen Informationen und die einheitliche Ausübung von Gläubigerrechten sichergestellt184.
16.90
2. Änderung der Anleihebedingungen Das Ziel bei der Erstellung und Verhandlung der Anleihebedingungen ist es, diese so auszugestalten, dass die Interessen der Anleihegläubiger und des Emittenten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Zudem sollten die Anleihebedingungen dem Emittenten für die Laufzeit der Anleihe einen hinreichenden operativen Handlungsspielraum lassen, um zu verhindern, dass eine Änderung der Anleihebedingungen während der Laufzeit „ohne Not“ erforderlich wird. Diesem Umstand kommt bei den komplexeren Anleihetypen mit vielen Covenants, insbesondere im High Yield Segment, besondere Bedeutung zu (vgl. Rz. 17.92 ff.). Dennoch kann es insbesondere beim Eintritt unerwarteter Umstände, vor allem in der Krise des Emittenten, erforderlich werden, die Anleihebedingungen nach Begebung der Anleihe zu ändern. Verschlechtert sich etwa die finanzielle Situation des Emittenten drastisch, kann eine Anpassung der Anleihebedingungen zwingend erforderlich sein, um eine Sanierung zu ermöglichen. In einem Restrukturierungsfall kann es im Interesse sowohl des Emittenten als auch der Anleihegläubiger185 liegen, gewisse Anpassungen an den Konditionen vorzunehmen, wie etwa den Zinssatz zu ermäßigen, Fälligkeitstermine hinauszuschieben oder gar die Hauptforderung herabzusetzen. Daneben kann auch außerhalb von Sanierungsfällen eine Anpassung an veränderte wirtschaftliche oder rechtliche Verhältnisse erforderlich werden. In diesem Fall geht es häufig nicht um eine Änderung der Hauptleistungspflichten, sondern um Anpassung von Nebenverpflichtungen, Kündigungsrechten und sonstigen Bestimmungen (z.B. Austausch von Sicherheiten oder Schuldnerersetzung). Auslöser für Änderungsbedarf bei den Anleihebedingungen außerhalb der Krise des Unternehmens können u.a. Änderungen des rechtlichen oder steuerlichen Umfeldes 183 Begr. RegE. SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 20; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 69; Nesselrodt in Preuße, SchVG, § 7 Rz. 70 ff. 184 S. BVI/DVFA Standards, Ziffer 2., http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanlei hen.html. 185 Die Gläubiger können auch ein Interesse an einer Anpassung der Konditionen haben. Denn wenn dem Schuldner eine Erfüllung der Verpflichtungen ohne Änderung der Anleihe überhaupt nicht mehr möglich ist, kann die wirtschaftliche Position der Anleihegläubiger noch deutlicher nachteilig beeinflusst werden. Anleger können damit ein Interesse an der Restrukturierung der Anleihe haben, um nicht im schlimmsten Fall auf eine Insolvenzquote verwiesen zu werden. S. Vogel, Anleihen als Finanzierungsinstrument mittelständischer Unternehmen, Arbeitspapier Nr. 3, 12/2010, B.I.
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16.91
§ 16 | Anleihen
oder Umstrukturierungen des Emittenten sein. Hiervon zu unterscheiden sind Änderungen eher technischer Natur, wie etwa die Änderung der vom Emittenten bestellten Zahlstelle, die ohne Zustimmung der Anleihegläubiger vorgenommen werden können. a) Zustimmung aller Gläubiger vs. Mehrheitsbeschluss
16.92 Aufgrund der Vielzahl der Anleihegläubiger, die dem Emittenten oft einzeln nicht bekannt
sind, gestaltet sich die Ansprache der Gläubiger ungleich schwieriger als etwa bei Änderung der Konditionen eines syndizierten Kreditvertrages. In der Praxis wird eine Änderung der Anleihebedingungen während der Laufzeit daher in der Regel nicht durchführbar sein, wenn nicht die Möglichkeit zur Änderung der Bedingungen durch Mehrheitsbeschluss gegeben ist. Denn sofern die Anleihebedingungen keine Möglichkeit von Änderungen der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss vorsehen, ist eine Änderung der Anleihebedingungen von deutschem Recht unterliegenden Anleihen186 gemäß § 4 Satz 1 SchVG nur durch Zustimmung aller Anleihegläubiger möglich, weil diese auch kollektiv gebunden werden187. Aufgrund des zumeist breiten Anlegerpublikums wird die Mitwirkung aller Anleihegläubiger jedoch praktisch ausgeschlossen sein, so dass die Erforderlichkeit der Zustimmung aller Gläubiger in der Praxis ein erhebliches Hindernis darstellt188. Zudem werden missbräuchlichen Blockaden durch einzelne Gläubiger Tür und Tor geöffnet189.
16.93 Zwar sah schon das SchVG 1899 grundsätzlich die Möglichkeit der Änderung von Anlei-
hebedingungen durch Mehrheitsentscheid vor. Dass diesem in der Praxis dennoch nur geringe Bedeutung zukam, war Folge wesentlicher Hürden, die das alte Schuldverschreibungsgesetz vor Inanspruchnahme der entsprechenden Regelungen aufstellte, so u.a., dass der Emittent seinen Sitz im Inland hat und eine insolvenznahe Situation besteht. Der in der Praxis häufige Fall, dass die Emission durch eine ausländische Finanzierungs-Holding oder -Tochter erfolgt, war von dem Anwendungsbereich des alten Gesetzes ausgeschlossen190. Darüber hinaus war auch die Hauptforderung von den zulässigen Beschlussgegenständen ausgenommen191. Gerade mit Blick auf die Vereinfachung der außer186 Zu Änderung von Anleihebedingungen bei US-Recht unterliegenden High Yield Anleihen s. Rz. 17.92 ff. 187 Regierungsentwurf SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 17; eingehend zu Kollektivhandlungsproblemen Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 124 ff., 264 ff.; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 42 ff.; s. zudem Horn, BKR 2009, 446, 449; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 4 Rz. 38 ff.; Oulds in Veranneman, SchVG, § 4 Rz. 11; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397, 401. 188 Dazu Baums, ZBB 2009, 1, 5; Veranneman in Veranneman, SchVG, § 5 Rz. 1; Vogel in Preuße, SchVG, vor § 5 Rz. 11 ff. 189 Vgl. Baums, ZBB 2009, 1, 5; Cranshaw, BKR 2008, 504, 507. 190 Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 155 f.; Theisen in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, Rz. 22.16 ff.; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 478 f. Eine analoge Anwendung des SchVG 1899 auf im Ausland emittierte Anleihen lehnte die ganz h.M. zutreffend ab (Klerx/Penzlin, BB 2004, 791, 792; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 551 ff.; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 679; Stucke, DM-Auslandsanleihen, S. 67 ff.; Than in FS Coing, 1982, S. 521, 528 ff.; mit anderer Begründung, aber i.E. ebenso Vogel, Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger, S. 279 ff.). 191 Ungeklärt war auch, ob collective action clauses (CACs) nach deutschem Recht zulässig waren und inwieweit die Anleihebedingungen einer richterlichen Inhaltskontrolle unterlagen. Zur Kritik bereits Vogel, Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger, S. 142 ff.; Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69, 76 f.
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gerichtlichen Restrukturierung von Anleihen und Emittenten, erweitert das neue Schuldverschreibungsgesetz wesentlich die Möglichkeiten, Anleihebedingungen einem Mehrheitsbeschluss zu unterwerfen192. Solange die Anleihebedingungen ausdrücklich die Möglichkeit der Änderung durch Mehrheitsbeschluss statuieren193, sind die Anleihebedingungen – auch hinsichtlich Regelungen, welche die Hauptforderung betreffen – nun dem Mehrheitsbeschluss zugänglich. Zudem ist die Voraussetzung der insolvenznahen Situation entfallen. Das neue Schuldverschreibungsgesetz eröffnet damit die Möglichkeit, auch bei deutschem Recht unterliegenden Anleihen flexibler als in der Vergangenheit auf unerwartete Umstände oder veränderte Rahmenbedingungen während der Laufzeit einer Anleihe zu reagieren und die Anleihegläubiger in eine Umstrukturierung oder Sanierung des Emittenten einzubeziehen. Im Einklang mit den diesbezüglichen internationalen Marktstandards kann eine Mehrheit von Anleihegläubigern jederzeit für alle Anleihegläubiger verbindlich Beschränkungen sowie die Aufgabe von Gläubigerrechten beschließen, sofern die Anleihebedingungen solches ausdrücklich vorsehen. Soweit mit einer Änderung der Anleihebedingungen kein Verzicht auf Rechte der Gläubiger verbunden ist (§ 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG), können die Anleihebedingungen auch vorsehen, dass mit Zustimmung eines in den Anleihebedingungen bestellten gemeinsamen Vertreters eine Änderung der Anleihebedingungen durchgeführt werden kann. Zu einer Änderung der Anleihebedingungen kommt es dabei jedoch auch im Falle eines Mehrheitsbeschlusses der Gläubiger nur dann, wenn der Schuldner den Änderungen zustimmt.
16.94
b) Beschlussgegenstände und erforderliche Mehrheiten Das SchVG überlässt es den Anleihebedingungen, ob und inwieweit verbindliche Beschlüsse der Gläubigermehrheit möglich sind. Dabei steht es dem Emittenten der Anleihe zunächst frei zu entscheiden, ob er überhaupt für das System des SchVG „optiert“ (Opt-in, § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG). Soweit der Emittent hiervon Gebrauch macht, kann er bestimmte gesetzlich vorgesehene Befugnisse der Gläubiger nicht beschränken. So sind im Falle eines Opt-in nur solche Abweichungen vom SchVG in den Anleihebedingungen möglich, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht.
16.95
In den Anleihebedingungen können weitreichende Änderungsmöglichkeiten vorgesehen und zum Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses gemacht werden. Das Gesetz listet in § 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG mögliche Beschlussgegenstände nicht abschließend auf und überlässt den Parteien im Übrigen große Flexibilität. Zu diesen sog. Katalogmaßnahmen zählen Beschlussgegenstände mit Bezug auf:
16.96
(i) die Hauptforderung (Änderung der Fälligkeit gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Höhe § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Währung § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7, Rang § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, andere Wertpapiere oder Leistungsversprechen § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 sowie Ersetzung des Schuldners § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9), (ii) die Nebenforderungen (Änderung der Fälligkeit gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Höhe § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Währung § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7, Rang § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, 192 RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 13; s. auch Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204, 210 = Working Paper Series No. 131 des Institute for Law and Finance (ILF) 2012, S. 12 f.; Cranshaw, BKR 2008, 504, 505 f.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.149; zum internationalen Hintergrund und der Bedeutung für Staatsanleihen s. Paulus, WM 2012, 1109, 1109 f. 193 Vgl. Veranneman in Veranneman, SchVG, § 5 Rz. 3; Horn, BKR 2009, 446, 449.
Kaulamo | 601
§ 16 | Anleihen
andere Wertpapiere oder Leistungsversprechen § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 sowie Ersetzung des Schuldners § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9), (iii) die Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10), (iv) die Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6) sowie (v) das Kündigungsrecht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8).
16.97 Die Anleihebedingungen können eine positive und/oder negative Auflistung der zulässi-
gen oder unzulässigen Maßnahmen vorsehen194. Die BVI/DVFA Standards beinhalten eine Empfehlung an die Emittenten, von den ihnen durch das SchVG eingeräumten Handlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und die Anleihebedingungen so zu gestalten, dass mit der gesetzlich vorgeschriebenen – oder einer größeren Mehrheit – wenigstens über die in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SchVG aufgeführten Maßnahmen sowie über die Bestellung und (jederzeitige) Abberufung eines gemeinsamen Vertreters zur Wahrnehmung ihrer Rechte (§ 7 Abs. 4 SchVG) Beschluss zu fassen ist195.
16.98 Die Mehrheitserfordernisse für Beschlüsse nach dem Schuldverschreibungsgesetz hängen
grundsätzlich von der Bedeutung der Änderung ab. Die Beschlüsse werden dabei teilweise einer einfachen, teilweise einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75 % der teilnehmenden Stimmrechte unterworfen. Nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG besteht für Gläubigerbeschlüsse ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis von mehr als 75 % der abgegebenen Stimmen, wenn der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert werden soll. Die Wesentlichkeit der Maßnahme ist insbesondere, aber nicht ausschließlich, für die Katalogmaßnahmen des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SchVG anzunehmen, die u.a. die Hauptforderung, die Umwandlung oder den Umtausch der Schuldverschreibungen, sowie das Kündigungsrecht betreffen196. Mit anderen Worten: Eine qualifizierte Mehrheit ist immer dann erforderlich, wenn in Rechtspositionen der Anleihegläubiger eingegriffen oder das Chancen- und Risikoprofil der Anleihe verändert wird. Unabhängig hiervon können die Anleihebedingungen für einzelne oder alle Maßnahmen allerdings auch eine höhere Mehrheit vorschreiben oder erhöhte Anforderungen an die Beschlussfähigkeit stellen (§ 15 Abs. 3 Satz 5 SchVG). Die Anleihegläubiger können über die Änderung der Anleihebedingungen entweder in einer Gläubigerversammlung abstimmen oder den Beschluss ohne Versammlung fassen197. S. dazu Rz. 16.100 ff.
194 Vgl. Vogel, Anleihen als Finanzierungsinstrument mittelständischer Unternehmen, Arbeitspapier Nr. 3, 12/2010, F.I. 195 S. BVI/DVFA Standards, Ziffer 1., http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanlei hen.html. 196 Diese vom Gesetz ausdrücklich genannten Änderungen, die mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden können, sind einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB entzogen, vgl. Baums, ZBB 2009, 1 f. Sofern die Anleihebedingungen Materien regeln, die das SchVG nicht behandelt, bleiben diese einer Kontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB unterworfen. Ein Beispiel bieten Klauseln über die einseitige Anpassung von Anleihebedingungen durch den Emittenten, vgl. Horn, BKR 2009, 446, 453. 197 Abstimmungsleiter ist ein vom Schuldner beauftragter Notar oder der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger, wenn er zu der Abstimmung aufgefordert hat, oder eine vom Gericht bestimmte Person, § 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG.
602 | Kaulamo
Anleihen | § 16
c) Änderung der Anleihebedingungen von Altanleihen Das SchVG ist nur für Schuldverschreibungen anwendbar, die am oder nach dem 5.8.2009 ausgegeben wurden. Den Gläubigern von Altanleihen (zumindest deutscher Emittenten) steht es gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG offen, mit Zustimmung des Emittenten für die Geltung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes zu votieren (Opt-in bezogen auf Altanleihen). Die Opt-in Möglichkeit besteht auch für solche Anleihen, die nicht dem Anwendungsbereich des SchVG 1899 unterfielen und keine Mehrheitsentscheidungen vorsahen198. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH sogar dann, wenn über das Vermögen des Emittenten bereits das Insolvenzverfahren eröffnet wurde199.
16.99
3. Beschlussfassung Die Anleihegläubiger können Beschlüsse entweder in der Gläubigerversammlung oder im Wege der Abstimmung ohne Versammlung fassen. Die Anleihebedingungen können aber auch nur eine der beiden Alternativen vorsehen (§ 5 Abs. 6 SchVG). Die BVI/DVFA Standards empfehlen – entgegen der Praxis der alleinigen Abstimmung ohne Versammlung – in den Anleihebedingungen Beschlüsse sowohl in der Gläubigerversammlung als auch im Wege der Abstimmung ohne Versammlung zuzulassen200.
16.100
Die Gläubigerversammlung kann von dem Anleiheschuldner oder von dem gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger einberufen werden. Eine Gläubigerversammlung ist einzuberufen, wenn Anleihegläubiger, deren Schuldverschreibungen mindestens fünf Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, dies schriftlich mit der Begründung verlangen, dass sie ein besonderes Interesse an einer Einberufung haben (§ 9 SchVG201). Ein solches liegt insbesondere vor, wenn die Anleihegläubiger einen gemeinsamen Vertreter bestellen oder abberufen wollen, oder eine zuvor erfolgte Kündigung der Schuldverschreibungen rückgängig gemacht werden soll, wobei es sich hierbei nicht um abschließende Gründe handelt und die Anleihebedingungen weitere Gründe vorsehen können. Das eigene Recht zur Einberufung der Gläubiger ist insbesondere von Bedeutung, wenn diese ein Interesse an der Versammlung haben, der Schuldner hingegen nicht202.
16.101
Um eine zeitnahe Abhaltung der Gläubigerversammlung zu ermöglichen, beträgt die Mindesteinberufungsfrist 14 Tage vor dem Tag der Versammlung203. Eine persönliche Einladung der Gläubiger erfolgt wegen der möglichen großen Anzahl und örtlichen Verstreuung nicht. Die Einberufung erfolgt stattdessen durch öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger. Zudem hat der Schuldner die Einberufung und die genauen Bedingungen im
16.102
198 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 = WM 2014, 1810 = AG 2014, 784; BGH v. 16.11.2017 – IX ZR 260/15, WM 2018, 42, 43 = AG 2018, 69; Oulds in Veranneman, SchVG, § 1 Rz. 36 m.w.N.; anders noch OLG Frankfurt a.M. v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, NZG 2012, 593 f. = AG 2012, 373. 199 BGH v. 16.11.2017 – IX ZR 260/15, WM 2018, 42, 44 = AG 2018, 69. 200 S. BVI/DVFA Standards, Ziffer 1., http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanlei hen.html. 201 Vgl. Binder in Hopt/Seibt, SchVG, § 9 Rz. 20 ff., Wasmann/Steber in Veranneman, SchVG, § 9 Rz. 8 ff.; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 9 Rz. 14 ff. 202 Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, S. 21; Horn, BKR 2009, 446, 451. 203 In der Einberufung müssen die Firma, der Sitz des Schuldners, die Zeit und der Ort der Gläubigerversammlung sowie die Bedingungen angeben werden, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen (vgl. §§ 12 ff. SchVG).
Kaulamo | 603
§ 16 | Anleihen
Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite, den Gläubigern zugänglich zu machen. Zu jedem Gegenstand, über den entschieden werden soll, muss in der Tagesordnung ein Vorschlag zur Beschlussfassung gemacht werden. Die Tagesordnung ist gemeinsam mit der Einberufung bekannt zu geben und ebenfalls auf der relevanten Internetseite zur Verfügung zu stellen. Die Gläubigerversammlung soll gemäß § 11 SchVG grundsätzlich bei einem Schuldner mit Sitz im Inland am Sitz des Schuldners stattfinden204. Sind die Schuldverschreibungen an einer Wertpapierbörse zum Handel zugelassen, deren Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, so kann die Gläubigerversammlung auch am Sitz dieser Wertpapierbörse stattfinden.
16.103
Die Gläubigerversammlung ist grundsätzlich beschlussfähig, wenn die anwesenden Anleihegläubiger wertmäßig mindestens 50 % der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten (§ 15 Abs. 3 Satz 2 SchVG). Ist die Gläubigerversammlung nicht beschlussfähig, kann der Vorsitzende eine zweite Versammlung zum Zweck der erneuten Beschlussfassung einberufen. Die zweite Versammlung ist grundsätzlich stets beschlussfähig, jedoch müssen für Beschlüsse, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, die Anwesenden mindestens 25 % der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Bei der Berechnung der erforderlichen Mehrheiten sind die Schuldverschreibungen ausgenommen, deren Stimmrechte ruhen. Die Anleihebedingungen können jeweils höhere Anforderungen an die Beschlussfähigkeit stellen.
16.104
Im Falle der Abstimmung ohne Versammlung erfolgt eine Aufforderung zur Stimmabgabe in Textform gegenüber dem Abstimmungsleiter, bei dem es sich um einen vom Schuldner beauftragten Notar, den gemeinsamen Vertreter oder eine vom Gericht bestimmte Person handeln kann (§§ 18 Abs. 1, 5 Abs. 6 SchVG). Die Abstimmung muss 14 Tage vorher angekündigt werden und mit der Aufforderung zur Stimmabgabe ist ein Zeitraum anzugeben, innerhalb dessen die Stimmen abgegeben werden können, wobei der Zeitraum mindestens 72 Stunden betragen muss. Zu jedem Gegenstand, über den entschieden werden soll, muss in der Tagesordnung ein Vorschlag zur Beschlussfassung gemacht werden und die Tagesordnung in entsprechender Weise bekannt gegeben werden.
16.105
Die von den Anleihegläubigern gefassten Beschlüsse hat der Schuldner gemäß § 17Abs. 1 SchVG öffentlich bekannt zu machen. Zusätzlich müssen diese für die Dauer von mindestens einem Monat im Internet unter der Adresse des Schuldners oder, soweit eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite zugänglich gemacht werden. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, in den Anleihebedingungen weitere Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorzusehen. Gläubiger, die an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch eingelegt haben, können fehlerhafte Beschlüsse (aufgrund Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen) anfechten; Gläubiger, die nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, sind dagegen nur ausnahmsweise anfechtungsbefugt205. Eine entsprechende Klage ist bin204 Die Rechtsprechung macht von diesem Grundsatz Ausnahmen, soweit sachliche Gründe bestehen, bspw. wenn der abweichende Versammlungsort für alle Gesellschafter günstiger ist. Vgl. BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, AG 1985, 188, 189; OLG Dresden v. 13.6.2001 – 13 U 2639/00, AG 2001, 489; Wasmann/Steber in Veranneman, SchVG, § 11 Rz. 1 ff.; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 11 Rz. 3. 205 § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 SchVG. S. dazu ausführlich Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 ff.; Vogel, ZBB 2010, 211, 214 f.; insbesondere zu missbräuchlichen Klagen s. Baums, ZBB 2009, 1, 1 ff.; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 480 f.
604 | Kaulamo
Anleihen | § 16
nen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben und gegen den Schuldner zu richten. In diesem Fall darf der angefochtene Beschluss nicht vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts vollzogen werden. In Betracht kommt jedoch ein Freigabeverfahren nach Maßgabe des § 246a AktG analog (§ 20 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 SchVG).
VII. Anwendbares Recht und Gerichtsbarkeit 1. Anwendbares Recht a) Rechtswahl Das auf eine Anleihe anwendbare Recht richtet sich üblicherweise nach der in den Anleihebedingungen enthaltenen Rechtswahlklausel206. Eine solche ist nach dem europäischen internationalen Privatrecht gemäß Art. 3 VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO)207 grundsätzlich auch bei Schuldverschreibungen zulässig208. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit einer Rechtswahlklausel richtet sich dann nach dem vereinbarten Recht209. Grundsätzlich kann jede beliebige Rechtsordnung gewählt werden210. In der Praxis wird häufig die Anwendbarkeit des Rechts desjenigen Staates, in dem der Emittent (oder im Falle der Begebung durch eine Finanzierungsgesellschaft, die Muttergesellschaft) seine Niederlassung hat, vereinbart211. Die Anleihebedingungen von High Yield Anleihen, die von deutschen Emittenten begeben oder garantiert wurden unterliegen dagegen üblicherweise New Yorker Recht, wenngleich seit 2010 auch einige High Yield Anleihen unter deutschem Recht begeben wurden (s. Rz. 17.24 ff.).
16.106
b) Anwendbarkeit des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Das Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Anleger wird maßgeblich durch die Verwendung der in den Anleihebedingungen enthaltenen Vertragsklauseln bestimmt. Der BGH hat bereits mehrfach Anleihebedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen qualifiziert212. Dabei hat er nicht zwischen Eigenemissionen und Fremdemissionen differenziert. In der Konsequenz werden Anleihebedingungen in der Praxis grundsätzlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen behandelt und unterliegen damit einer AGB-Kontrolle nach 206 Zur Zulässigkeit einer Rechtswahlklausel vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 245 ff. m.w.N. 207 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 208 Welter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 26 Rz. 174. 209 S. Art. 3, 10 VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO); Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 246. 210 Geht man davon aus, dass Anleihebedingungen einer AGB-Kontrolle unterliegen (s. Rz. 16.107), kann – trotz anders lautender Rechtswahl – deutsches AGB-Recht zur Anwendung kommen, wenn ein enger (sachlicher) Zusammenhang zu dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. Art. 46 Abs. 2 EGBGB besteht (s. nur Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 84). 211 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 318; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 260 und 280; Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37, 39. 212 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500; BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1411; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 312 = AG 1993, 125.
Kaulamo | 605
16.107
§ 16 | Anleihen
§§ 305 ff. BGB213. Hierbei werden hinsichtlich der Anwendung einiger AGB-spezifischer Vorschriften Ausnahmen zugelassen. Beispielsweise wird § 305 Abs. 2 BGB auf Grundlage einer funktionalen Reduktion nicht angewendet, um etwaige Ungewissheiten hinsichtlich der Einbeziehung der Anleihebedingungen zu adressieren214.
16.108
Dagegen wird im Schrifttum zumindest bei Fremdemissionen weiterhin der AGB-Charakter von Anleihebedingungen in Zweifel gezogen215. So wird in Frage gestellt, ob die Definitionsmerkmale der Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen, des einseitigen Stellens und des fehlenden Aushandelns der Anleihebedingungen erfüllt werden216. Außerdem steht der Anleger bei der Ausgabe von Anleihen im Rahmen einer Fremdemission während des gesamten Emissionsvorgangs in keiner unmittelbaren vertraglichen Beziehung zum Emittenten, wie es § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB aber nach herkömmlichem Verständnis für das Verhältnis zwischen Verwender und zu schützender Partei voraussetzt217. Um dieses mit Blick auf den Anlegerschutz zum Teil als unbefriedigend empfundene Resultat zu vermeiden, schlagen einige Vertreter des Schrifttums unterschiedliche Lösungsansätze vor, die im Ergebnis auch bei Fremdemissionen zu einer Inhaltskontrolle führen sollen. Neben einer teleologischen Reduktion des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB218 wird u.a. auch vertreten, die Anwendung der §§ 305 ff. BGB sei über eine Qualifikation der Fremdemission als verbotene Umgehung nach § 306a BGB zu erzielen219. Im Gegensatz dazu geht ein Teil des Schrifttums davon aus, dass das Resultat nicht zu korrigieren ist und ein hinreichender Anlegerschutz durch den Kapitalmarkt und kapitalmarktrechtliche Schutzmechanismen gewährleistet sei220. Letztlich seien die Anleihebedingungen jedenfalls wegen ihres Hauptleistungscharakters als „essentialia negotii“ sowohl bei Eigenemissionen als auch bei Fremdemissionen insgesamt einer AGB-Kontrolle entzogen221. 213 Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 406; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 31. 214 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, ZIP 2005, 1410, 1411; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 36 ff.; Baums, ZHR 177 (2013), 807, 810; Preuße/Dippel in Preuße, SchVG, § 3 Rz. 49 ff.; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 156 f.; Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.336 ff. 215 Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 72 ff.; Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.335; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 115 ff.; Dippel/Preuße in Preuße, SchVG, § 3 Rz. 34 ff.; Oulds, CFl 2012, 353, 359 f.; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 24. 216 Ausführlich Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 91 f.; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 124 ff.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.167; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 214 ff.; Gottschalk, ZIP 2006, 1121, 1124; Assmann, WM 2005, 1053, 1057. 217 Gottschalk, ZIP 2006, 1121, 1124; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 24. 218 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 154 f.; Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305 BGB Rz. 72. 219 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.337; von Randow, ZBB 1994, 23, 27 ff.; Lenenbach, NZG 2001, 481, 485 f. 220 Assmann, WM 2005, 1053, 1062, 1068; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845, 852. 221 Assmann, WM 2005, 1053, 1058 f.; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 103 ff.; Gottschalk, ZIP 2006, 1121, 1126; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845, 851 f.; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 43.
606 | Kaulamo
Anleihen | § 16
c) Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und SchVG aa) Transparenz des Leistungsversprechens (§ 3 SchVG) § 3 SchVG, der im Verhältnis zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB lex specialis ist, statuiert hinsichtlich des Leistungsversprechens ein Transparenzgebot222. Sonstige Klauseln, die nicht dem Anwendungsbereich des § 3 SchVG unterfallen, können indes nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geprüft werden223. Nach § 3 SchVG müssen die Anleihebedingungen so formuliert sein, dass der Anleger die dem Emittenten obliegenden Leistungen zweifelsfrei ermitteln kann. Abzustellen ist dabei auf einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art der Schuldverschreibung sachkundig ist. Damit ist entscheidend, an welchen Anlegerkreis die entsprechende Anleihe gerichtet ist224. Grundsätzlich gilt, je geringer die Kenntnis der angesprochenen Anleger ist, desto höhere Anforderungen sind an die Transparenz zu stellen. Sollen lediglich institutionelle Investoren die Anleihe zeichnen, kann der Emittent dementsprechend eine verhältnismäßig umfangreiche Sachkenntnis voraussetzen und das Leistungsversprechen entsprechend komplexer ausgestalten. Im Falle eines öffentlichen Angebotes ist dagegen die Kenntnis eines durchschnittlichen Anlegers als Maßstab für die Einhaltung des Transparenzgebotes heran zu ziehen. Insgesamt muss jedoch die Auslegung der Anleihebedingungen einer Anleihe einheitlich und unabhängig von den Besonderheiten beim einzelnen Inhaber erfolgen225.
16.109
Die Rechtsfolgen einer Verletzung des Transparenzgebots sind im SchVG nicht ausdrücklich geregelt. In Betracht kommen sollen im Einzelfall eine Auslegung der Anleihebedingungen, ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 2 oder eine Nichtigkeit nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot226. Die Nichtigkeitslösung wird teilweise bereits im Grundsatz abgelehnt227, allgemein werden aber zumindest hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer Nichtigkeit gestellt228. Dies wird auch damit begründet, dass § 3 SchVG auch auf die Hauptleistungspflichten Anwendung findet und deren Nichtigkeit praktisch zum Wegfall des Vertrags führen würde229.
16.110
bb) Beschränkte Inhaltskontrolle § 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Maßnahmen, die einem Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger unterworfen werden können. Dabei können die Anleihebedingungen zu diesem Zweck alle oder ausgewählte Maßnahmen aufnehmen oder einzelne Maßnahmen von dem Anwendungsbereich ausnehmen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG). Eine entsprechende Klausel in den Anleihebedingungen ist der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB entzogen230, da es an einer Abweichung von Rechtsvor222 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, FK-SchVG, § 3 Rz. 17 ff.; Oulds in Veranneman, SchVG, § 3 Rz. 20; Dippel/Preuße in Preuße, SchVG, § 3 Rz. 23; Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856, 2857; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 485 f. 223 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.86; Dippel/Preuße in Preuße, SchVG, § 3 Rz. 64. 224 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.73; Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, 154 f. 225 Vgl. Oulds in Verannemann, SchVG, § 3 Rz. 16 m.w.N. 226 Oulds in Verannemann, SchVG, § 3 Rz. 29; Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 22. 227 Artzinger-Bolten/Wöckener in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 3 Rz. 25. 228 Oulds in Verannemann, SchVG, § 3 Rz. 30 m.w.N. 229 Oulds in Verannemann, SchVG, § 3 Rz. 30 m.w.N. 230 Baums, ZBB 2009, 1, 1 f.; Horn, BKR 2009, 446, 453.
Kaulamo | 607
16.111
§ 16 | Anleihen
schriften fehlt (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Nicht ausgeschlossen ist die Inhaltskontrolle allerdings bei einer entsprechenden Regelung bezogen auf nicht in § 5 Abs. 3 SchVG enthaltene Maßnahmen oder sonstige Bedingungen231.
2. Gerichtsbarkeit 16.112
In der heutigen Praxis wird üblicherweise in den Anleihebedingungen ein Gerichtsstand für alle aus oder im Zusammenhang mit der Anleihe entstehenden Rechtsstreitigkeiten vertraglich festgelegt. Die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich nach dem entsprechend den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts anwendbaren (vereinbarten) Recht232. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass nach h.M. im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO233 eine Überprüfung nach dem Maßstab des deutschen AGBRechts nicht stattfindet, weil das mit der EuGVVO angestrebte Ziel der Rechtsvereinheitlichung durch zusätzliche nationale Gültigkeitsanforderungen konterkariert würde234.
231 Horn, BKR 2009, 446, 453. 232 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 398, Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 268; s. ausführlich zu Gerichtsstandsklauseln Thole, WM 2014, 1205 ff. 233 Art. 25 EuGVVO ist auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in den Fällen anwendbar, in denen mindestens eine Partei ihren Wohnsitz bzw. Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat und die Parteien die Zuständigkeit der Gerichte in einem Mitgliedstaat vereinbart haben. Die Vorschriften des EuGVVO gehen als Sonderregeln in ihrem Anwendungsbereich dem sonstigen deutschen Recht vor. Vgl. Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 266 f. (noch in Bezug auf die Vorgängerregelung des Art. 17 EuGVÜ). 234 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, WM 1989, 602, 605; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 253 m.w.N.; Coester in Staudinger, BGB, § 307 Rz. 470a (jeweils in Bezug auf Art. 17 EuGVÜ).
608 | Kaulamo
§ 17 High Yield Anleihen I. Einführung . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung des High Yield Anleihemarktes . . . . . . . . . 2. Besonderheiten . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereiche . . . . . 4. Zielgruppe und Platzierungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendbares Recht . . . . . .
..
_ ___ __ _ _ __ _ _ __ __ __ _ _ _ __ __ _
17.1
. . 17.5 . . 17.10 . . 17.17 . . 17.18 . . 17.24
II. Struktur von High Yield Transaktionen . . . . . . . . . . . . 1. Ausfallrisiko als bestimmender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herstellung des Rangverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherheitenstruktur . . . . . . . . 4. Einordnung in Kapitalstruktur des Emittenten . . . . . . . . . . . .
17.29 17.29 17.31 17.35 17.38
III. Bedeutung von Ratings . . . . . . 17.43 IV. Wesentliche Elemente der High Yield Dokumentation . . . . . . . 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offering Memorandum . . . . . . 3. Anleihebedingungen (Indenture) 4. Intercreditor Agreement . . . . . 5. Sicherheitendokumente . . . . . . 6. Weitere Vertragsbeziehungen . . 7. Disclosure Letters und Comfort Letters . . . . . . . . . . . . . . . . .
17.48 17.48 17.50 17.54 17.57 17.59 17.60 17.61
V. Anleihetreuhänder (Trustee) und Gemeinsamer Vertreter . . 17.62 VI. Zusicherungen (Covenants) . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Fortlaufende vs. ereignisbezogene Covenants . . . . . . 3. Credit Circle . . . . . . . . . . . 4. Covenant Package und Preisfindung . . . . . . . . . . . . . . .
. . 17.67 . . 17.67 . . 17.68 . . 17.71 . . 17.74
5. Ausgewählte Covenants . . . . . . a) Limitation on Indebtedness . . b) Limitation on Restricted Payments . . . . . . . . . . . . . . c) Limitation on Restrictions on Distributions from Restricted Subsidiaries . . . . . . . . . . . . d) Limitation on Issuance and Sale of Capital Stock of Restricted Subsidiaries . . . . . . . . . . . . e) Limitation on Issuance of Guarantees of Indebtedness by Restricted Subsidiaries . . . f) Limitations on Transactions with Shareholders and Affiliates . . . . . . . . . . . . . . g) Limitations on Liens . . . . . . h) Limitations on Asset Sales . . . i) Reporting Covenant . . . . . . . j) Repurchase upon Change of Control . . . . . . . . . . . . . . . k) Consolidation, Merger, Sale of Assets . . . . . . . . . . . . . . VII. Änderungen der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amendments und Waivers . . . . 2. Consent Solicitation . . . . . . . . 3. Änderungsbeschlüsse der Gläubiger gemäß Schuldverschreibungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rückkauf und Kündigung der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorzeitiger Rückkauf (Early Redemption) . . . . . . . . 2. Tender Offer und Exchange Offer . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Defeasance; Satisfaction and Discharge . . . . . . . . . . . . . . 4. Events of Default . . . . . . . . .
__ _ _ _ _ __ __ _ _ __ _ _ _ _ _ __
17.78 17.78 17.80 17.81 17.83 17.84 17.85 17.86 17.87 17.88 17.90 17.91 17.92 17.92 17.95 17.99
. 17.101 . 17.101 . 17.105 . 17.107 . 17.110
Schrifttum: Ackermann/Jäckle, Ratingverfahren aus Emittentensicht, BB 2006, 878; Altman/Nammacher, Investing in Junk Bonds: Inside the High Yield Debt Market, 2002; American Bar Foundation, Commentaries on Model Debenture Indenture Provisions, 1986; Auerbach (Hrsg.), Mergers and Acquisitions, 1991; Balz, Reform des SchVG – High Yield Bonds zukünftig nach deutschem Recht?, ZBB 2009, 401; Baums, Die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach dem Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZBB 2009, 1; Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004; Baums/Schmidtbleicher, Neues Schuldverschreibungsrecht und Altanleihen, ZIP 2012, 204; Bondt/Marqués, The High Yield Segment of the Corporate
Hutter | 609
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I. Einführung 17.1
Die Begebung von High Yield Anleihen im internationalen Kapitalmarkt hatte sich im Zuge der Finanzkrise und einer damit einhergehenden restriktiveren Kreditvergabepolitik auf Bankenseite für viele Unternehmen zu einer wichtigen, und inzwischen auch im deutschen und europäischen Markt etablierten, Finanzierungsalternative entwickelt. Nachdem der Markt für High Yield Anleihen im Jahr 2008 und im ersten Halbjahr 2009 buchstäblich zum Erliegen kam, war in den darauf folgenden Jahren, wenngleich mit Höhen und Tiefen, insgesamt wieder ein deutlicher Anstieg an High Yield Emissionsvolumen – insbesondere auch europäischer Emittenten – zu verzeichnen. Nachdem es im Jahr 2013 noch einmal zu einer erheblichen Steigerung des Emissionsvolumens in Europa kam, befindet 610 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
sich der europäische Markt seit dem konstant auf einem hohen Niveau und verzeichnete in 2017 gar ein Rekordjahr. In den USA wurden 2017 High Yield Anleihen in einem Volumen von ca. 281,4 Mrd. US$ begeben (2016: ca. 229,1 Mrd. US$). Im ersten Halbjahr 2017 betrug das in den USA platzierte High Yield Anleihevolumen ca. 152,1 Mrd. US$ (erstes Halbjahr 2016: ca. 118,5 Mrd. US$)1.
17.2
Im Jahr 2017 wurden in Europa High Yield Anleihen in einem Volumen von ca. 114,0 Mrd. Euro (2016: 86,1 Mrd. Euro) begeben, davon durch Emittenten aus Deutschland ca. 7,8 Mrd. Euro, aus dem Vereinigten Königreich ca. 25,1 Mrd. Euro, aus Italien ca. 16,5 Mrd. Euro, aus Frankreich ca. 14,1 Mrd. Euro, aus Luxemburg ca. 8,2 Mrd. Euro und aus Schweden ca. 7,9 Mrd. Euro; im ersten Halbjahr 2017 betrug das in Europa platzierte High Yield Anleihevolumen ca. 57,7 Mrd. Euro, davon platzierten Emittenten aus Deutschland ca. 3,1 Mrd. Euro2.
17.3
High Yield Anleihen sind Anleihen, die von Unternehmen mit vergleichsweise niedriger Bonität begeben werden3. Die Emittenten von High Yield Anleihen weisen typischerweise ein sog. Non-Investment Grade Rating auf, d.h. ein Rating von Ba oder schlechter von Moody’s oder ein Rating von BB oder schlechter von Standard & Poor’s4. Bezogen auf die niedrige Bonität des die High Yield Anleihen ausgebenden Unternehmens und das damit in Zusammenhang stehende erhöhte Risiko eines Zahlungsausfalls für die Investoren wurde in der Vergangenheit für diese Art von Anleihen auch der insofern negativ geprägte Begriff Junk Bonds verwendet5. Um High Yield Anleihen trotz der geringeren Bonität des Emittenten am Markt platzieren zu können, muss dieser den Anlegern grundsätzlich einen höheren Zinssatz bezahlen6. Als Kompensation für die Übernahme des Bonitätsrisikos erzielen die Investoren dadurch einen im Vergleich zu Investment Grade Anleihen höheren Ertrag (High Yield) und erhalten darüber hinaus vom Anleiheschuldner zur Sicherung
17.4
1 Quelle: Thomson Reuters, Debt Capital Markets Review. 2 Quelle: Debtwire, European Leveraged Insights. 3 Nicht Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind – trotz teils niedriger Bonität der Emittenten – sog. „Mittelstandsanleihen“, da es sich dabei nicht um „klassische“ durch Moody’s bzw. Standard & Poor’s bewertete („rated“) Anleihen handelt, die von Investoren am internationalen bzw. zumindest europäischen High Yield Markt als High Yield Anleihen qualifiziert werden. Unter den Begriff der „Mittelstandsanleihe“ fallen dabei Unternehmensanleihen mit zumeist vergleichsweise geringen Emissionsvolumina (i.d.R. zwischen drei und 20 Mio. Euro), die von deutschen mittelständischen Unternehmen in Deutschland öffentlich angeboten und in spezielle Börsensegmente im Freiverkehr der deutschen Börsen eingeführt werden. 4 Vgl. Heitmann, High Yield Anleihen, S. 30 ff.; Altman/Nammacher, Investing in Junk Bonds, S. 1; Strauch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, C.176; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745; Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 318; für eine Diskussion der Bedeutung von Ratings, s. Rz. 17.43 ff. 5 Michael Robert Milken (in den 80er Jahren „König der Junk Bonds“ genannt und in leitender Funktion bei der im Jahr 1990 in Konkurs gegangenen und auf die Emission von High Yield Anleihen spezialisierten Investmentbank Drexel Burnham Lambert tätig) gilt als einer der Erfinder der „modernen“ Transaktionsstrukturen für High Yield Emissionen. Er versuchte seinerzeit vergeblich, durch Bezeichnungen wie „High Reward Bonds“ dem mit dem Begriff „Junk Bond“ einhergehenden negativen Image entgegenzutreten. S. Yago, Junk Bonds: How High Yield Securities Restructured Corporate America, 1991, S. 23. Ausführlich zum Terminus „Junk Bond“ s. Yago/Trimbath, Beyond Junk Bonds, S. 12 f.; Heitmann, High Yield Anleihen, S. 39 f. 6 S. dazu auch Rz. 17.43 ff.
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§ 17 | High Yield Anleihen
dessen Zahlungsfähigkeit umfangreiche Zusicherungen (Covenants), die während der Laufzeit der High Yield Anleihe in erster Linie den Abfluss liquider Mittel im Rahmen der laufenden operativen Tätigkeit des Emittenten sowie die Aufnahme neuer Fremdverbindlichkeiten reglementieren7. Den Emittenten einschränkende Covenants sind zwar grundsätzlich auch bei Investment Grade Anleihen üblich, beschränken diesen in seiner Handlungsfreiheit allerdings in deutlich geringerem Maße8.
1. Entwicklung des High Yield Anleihemarktes 17.5
Die Ausgabe von High Yield Anleihen durch Unternehmen hat ihren Ursprung in den USA und erreichte mit einem Anteil von über 20 % des gesamten Anleihevolumens bereits während der Weltwirtschaftskrise in den Jahren zwischen 1932 und 1935 einen ersten Höhepunkt9. Auch in den Jahren zwischen 1945 und 1970 gab es in den USA Emissionen von High Yield Anleihen, allerdings bestanden diese zunächst im Wesentlichen aus Anleihen wirtschaftlich in Bedrängnis geratener ehemaliger Unternehmen aus dem Investment Grade Bereich (sog. Fallen Angels). Nachdem 1977 das jährliche US-amerikanische High Yield Emissionsvolumen erstmals die US-Dollar Milliardengrenze überschritten hatte, entwickelte sich dieses Marktsegment in den späten 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts im Zuge der Ölpreiskrise und in Folge einer damals zunehmenden Anzahl an Leveraged Buyout (LBO) Finanzierungen und anderer M&A Transaktionen (inklusive feindlicher Übernahmen) rasant weiter.
17.6
Die im Zusammenhang mit der Finanzierung des Leverage Buyouts von RJR Nabisco durch KKR im Jahr 1989 begebenen High Yield Anleihen haben den Markt für High Yield Emissionen nachhaltig geprägt und zählen bis heute zu den zehn größten High Yield Emissionen aller Zeiten10. Das Entstehen einer gefestigten Nachfrageseite für High Yield Anleihen hat in den 80er Jahren dazu geführt, dass in größerem Umfang auch ein Markt für Neuemissionen durch Non-Investment Grade Emittenten entstand. Mit der Entstehung dieses Marktes für Neuemissionen von High Yield Anleihen entwickelten sich in den USA auch die größtenteils bis heute marktüblichen umfassenden Kataloge an Zusicherungen (Covenant Packages)11. Zwar hatte der US-amerikanische High Yield Markt in der Folge auch immer wieder Rückschläge zu verzeichnen – veranlasst z.B. durch diverse Gesetzesmaßnahmen, die Insolvenz der 1990 im High Yield Geschäft führenden Investmentbank Drexel Burnham Lambert oder die Finanzkrisen 2001/2002 und 2008/2009 – doch hat er sich in den letzten Jahren dennoch zu einer nachhaltig wichtigen Finanzierungsquelle nicht nur für US-amerikanische sondern auch für europäische Unternehmen entwickelt12. 7 Eine Darstellung der einzelnen Covenants erfolgt unter Rz. 17.67 ff. 8 Zum Vergleich üblicher Covenants von Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) und High Yield Anleihen, s. Plepelits, CFL 2010, 120. 9 Vgl. Atkinson, Trends in Corporate Bond Quality, 1967, S. 53, 97; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745; Heitmann, High Yield Anleihen, S. 45. 10 Berühmt wurde diese Übernahme und ihre Details unter anderem durch das 1990 erschienene Buch „Barbarians at the Gate: The Fall of RJR Nabisco“ von Bryan Burrough und John Helyar, das es in den USA auf Platz 1 der Bestsellerliste schaffte. 11 Auch extreme Marktturbulenzen, wie etwa im Jahre 2001/2002 oder 2008/2009, haben die Covenants in ihren Zielrichtungen überwiegend unverändert gelassen. Anpassungen an die Märkte erfolgen meist lediglich durch das Erhöhen oder Senken von Finanzkennzahlen des Indebtedness Covenants (s. Rz. 17.78 f.) oder durch das Anpassen des Zinssatzes. 12 Standard & Poor’s, High Yield Bond Market Primer, 2007, S. 1.
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High Yield Anleihen | § 17
In Deutschland und Europa sind High Yield Emissionen erst seit dem Ende der 90er Jahre zu verzeichnen13. In den Jahren nach der Finanzkrise 2008/2009 hat die durch diese veranlasste restriktivere Kreditvergabe der Banken, verbunden mit einer Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften für Banken (Basel II und Basel III), den Trend zu erhöhten Finanzierungsaktivitäten über den Kapitalmarkt – auch in Bezug auf Emissionen von High Yield Anleihen – verstärkt. Das seit 2013 zu verzeichnende hohe Emissionsvolumen ist dabei insbesondere auch auf das in Europa vorherrschende und für Emittenten günstige niedrige Zinsumfeld zurückzuführen, das wiederum zumindest zum Teil auf der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank beruht. Zudem tritt die Europäische Zentralbank durch ihre massiven Ankäufe von Anleihen aus dem Investment Grade-Bereich als starker zusätzlicher Markteilnehmer am Anleihenmarkt auf, wodurch sich die Nachfrage nach Anleihen insgesamt erhöht und somit letztlich auch dazu geführt hat, dass Anleger aus dem Investment Grade-Bereich auf der Suche nach höheren Renditen in High Yield Anleihen mit spekulativer Bonität investierten. Das beeindruckende Emissionsvolumen der letzten Jahre darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass der überwiegende Teil der High Yield Emissionen europäischer Emittenten dazu verwendet wurde, bestehende Verbindlichkeiten zu refinanzieren und Fälligkeitsprofile zu verlängern. Diese Refinanzierungen sowie der Aufstieg einiger Emittenten in den Investment Grade Bereich (sog. rising stars) führen aber dazu, dass trotz des hohen „Brutto-Emissionsvolumens“ weiterhin eine hohe Nachfrage am High Yield Markt zu verzeichnen ist. 2017 war ein herausragendes Jahr im europäischen High Yield Markt. Nicht nur wurde hinsichtlich des gesamten Emissionsvolumen ein Rekord aufgestellt, vielmehr konnte der Markt gleich drei sog. „Jumbo“ Anleihen mit einem Emissionsvolumen von jeweils mehr als 2 Mrd. Euro verzeichnen, wobei der italienische Emittent Wind Tre mit einem Emissionsvolumen von über 7 Mrd. Euro den bislang größten in Euro denominierten High Yield Bond platziert hat.
17.7
Da trotz der wachsenden Bedeutung von High Yield Anleihen in Europa der US-amerikanische High Yield Markt nach wie vor eine führende Position innehat, werden die meisten High Yield Anleihen deutscher und europäischer Unternehmen nicht nur an Investoren in Europa vermarktet und verkauft, sondern in aller Regel auf dem Wege einer Privatplatzierung auch an US-amerikanische institutionelle Investoren (s. dazu Rz. 17.18 ff.). Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die High Yield Anleihe nur in Euro denominiert ist oder sowohl über eine Euro- als auch eine US Dollar-Tranche verfügt. Bei einer geplanten schwerpunktmäßigen Platzierung der Anleihe an US-amerikanische Investoren ist eine US Dollar-Tranche üblich.
17.8
Zu den deutschen Unternehmen, die in den Jahren 2016 und 2017 High Yield Anleihen begeben haben, gehören Adler Real Estate, CeramTec, Demire Deutsche Mittelstand Real Estate, Hapag-Lloyd, HeidelbergCement, HP Pelzer, K+S, Löwen Play, Progroup, Schaeffler, Schenk Process, Schustermann & Borenstein, Senvion, Stada, ThyssenKrupp, TUI und WEPA Hygieneprodukte. Viele der genannten deutschen High Yield Emittenten haben in den letzten Jahren mehrere High Yield Anleihen begeben (z.B. Hapag-Lloyd, Schaeffler, Stada u.v.m.).
17.9
13 Zu den ersten Emittenten gehörten die luxemburgische Geberit International sowie die französische Unternehmensgruppe Exide (1997). Erste deutsche Emittenten waren die Unternehmen Sirona Dental Systems, Seehafen Rostock und Deutsche Nickel (1998). S. dazu auch Kusserow/ Dittrich, WM 2000, 745; Harrer/Fisher, FB 2003, 781; Plepelits, CFL 2010, 119, 120.
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§ 17 | High Yield Anleihen
2. Besonderheiten 17.10 Will ein Unternehmen mit schwacher Bonität in größerem Umfang Fremdkapital aufneh-
men oder refinanzieren, so hat es in der Regel grundsätzlich die Wahl zwischen einer High Yield Anleihe und einem syndizierten Darlehen. Anders als beim syndizierten Darlehen hat der High Yield Emittent nicht die Möglichkeit, im Rahmen eines eingeräumten Kreditvolumens während der Laufzeit einzelne Darlehen für von ihm bestimmte Einzellaufzeiten zu ziehen, sondern er muss am Tag der Emission den gesamten Anleihebetrag aufnehmen und kann ihn grundsätzlich erst am Ende der Laufzeit der Anleihe zurückführen. Das bedeutet auch, dass der High Yield Emittent während der gesamten Laufzeit der Anleihe den vereinbarten Zinssatz auf den gesamten ausstehenden Betrag schuldet, und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaft die liquiden Mittel überhaupt noch benötigt14. Im Ergebnis führt eine erfolgreiche High Yield Emission aber auch oft zu einer Verlängerung des Fälligkeitsprofils für einen Teil der Gesamtverschuldung des Emittenten, was – verbunden mit der Verfügbarkeit des vollen Emissionserlöses über die gesamte Laufzeit der Anleihe – insbesondere in Zeiten volatiler Finanzmärkte von Vorteil sein kann.
17.11 Ein Emittent von High Yield Anleihen (und von Anleihen generell) gewährt gegenüber
den Anleihegläubigern grundsätzlich weniger Zusicherungen (Covenants) als ein Kreditnehmer gegenüber kreditgebenden Banken im Zusammenhang mit syndizierten Darlehensverträgen. Allerdings sind die gegenüber Anleihegläubigern gewährten Covenants auf Grund der Vielzahl an Anleihegläubigern im Nachhinein nur schwer zu ändern (s. dazu Rz. 17.92 ff.), während ein Kreditnehmer im Rahmen einer Bankfinanzierung häufig die Möglichkeit hat, die aus einer Verletzung der gegenüber einer zahlenmäßig begrenzten Gruppe von Kreditgebern in einem Darlehensvertrag gemachten Zusicherungen resultierende Fälligstellung des Darlehens durch das Einholen von Verzichtserklärungen (sog. Waivers), Stundungen und Standstill-Vereinbarungen vertraglich abzuändern oder zu suspendieren15. Jedoch ist neuerdings bei Darlehensverträgen in Bezug auf Themen wie die Beschränkung von Covenants auf Restricted Subsidiaries, die Reduzierung von sog. Financial Maintenance Covenants oder die Definition von Events of Default eine gewisse Konvergenz zu Anleihebedingungen für High Yield Emissionen festzustellen. Dies ist unter anderem vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Syndizierung großer Konsortialkredite heute in vielen Fällen eine größere Anzahl an Banken involviert, als dies früher der Fall war, was zur Folge hat, dass im Zusammenhang mit syndizierten Bankfinanzierungen nachträgliche Waivers, Stundungen und andere Änderungen eines Darlehensvertrages seitens des Kreditnehmers nunmehr oftmals ebenso schwieriger einzuholen sind.
17.12 Ebenfalls im Unterschied zu Darlehensverträgen werden insbesondere Financial Covenants
in Anleihebedingungen für High Yield Emissionen nicht fortlaufend überwacht (keine sog. Maintenance Tests), sondern es findet lediglich eine anlassbezogene Prüfung statt, wenn der Emittent eine in den Anleihebedingungen definierte Handlung vornehmen möchte (sog. Incurrence Test)16. Eine besondere Herausforderung für den Emittenten liegt dabei in der Antizipierung17 – zum Zeitpunkt der Begebung einer High Yield Anleihe – der
14 Balz, ZBB 2009, 401, 402 ff.; zu den Möglichkeiten der vorzeitigen Rückzahlung s. Rz. 17.101 ff. 15 So auch Harrer/Fisher, FB 2003, 781, 782; Balz, ZBB 2009, 401, 402; s. auch unter Rz. 17.68 ff. 16 Darauf hinweisend auch Harrer/Fisher, FB 2003, 781, 782; Balz, ZBB 2009, 401, 402; ausführlich zu dieser Unterscheidung Rz. 17.74 ff. 17 Dieses in der Praxis wohlbekannte Problem wird auch in der (rechts-)ökonomischen Literatur unter den Begriffen „unvollständige Verträge“ bzw. „begrenzte Rationalität“ erörtert, vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 36 ff. m.w.N.
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High Yield Anleihen | § 17
wichtigsten strukturellen operativen Veränderungen, die während der Laufzeit derselben (in der Regel 7 oder 8 Jahre)18 ohne Änderung des Covenant Packages möglich sein sollten. Die dem Emittenten bereits zum Zeitpunkt der Begebung der High Yield Anleihe bekannten oder von ihm erwarteten Maßnahmen und Transaktionen werden entweder von vornherein von allen Einschränkungen ausgenommen oder durch Schaffen entsprechender Freiräume (Carve-outs und Baskets) in den entsprechenden Covenants ermöglicht (s. dazu Rz. 17.76). Der Katalog der Covenants in Anleihebedingungen für High Yield Anleihen geht allerdings weit über die Anzahl und den Umfang der Covenants hinaus, die von Emittenten „herkömmlicher“ Unternehmensanleihen (Corporate Bonds)19 verlangt werden.
17.13
Während sich ein Emittent von Anleihen gegenüber den Anleihegläubigern in der Regel verpflichtet, die während der Laufzeit geschuldeten Zinszahlungen grundsätzlich in der Form von Geldleistungen zu erbringen, sehen die Anleihebedingungen von High Yield Emissionen häufig vor, dass der Emittent die Zinszahlungen alternativ auch durch bestimmte definierte Sachleistungen (sog. Payment-in-kind, oder PIK) erbringen darf. So ist in Anleihebedingungen zuweilen vorgesehen, dass ein High Yield Emittent statt Zinszahlungen durch Geldleistungen zu erbringen z.B. an die High Yield Anleihegläubiger weitere Schuldverschreibungen ausgeben darf. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass sich eine solche Struktur nicht nachteilig auf das Rating der Anleihe auswirkt. So sind PIK Zahlungen in der Regel nur für einen definierten Zeitraum, und nicht während der gesamten Laufzeit der High Yield Anleihe, zulässig20.
17.14
Die typischen Anleihebedingungen einer High Yield Anleihe enthalten auch umfangreiche Berichtspflichten des Emittenten während deren Laufzeit, die den Berichtspflichten eines börsennotierten Unternehmens nur unwesentlich nachstehen und sich weitgehend an der hierfür üblichen Praxis in den USA orientieren (s. dazu Rz. 17.88 f.).
17.15
High Yield Anleihen unterliegen in der Regel US-amerikanischem Recht (zumeist dem Recht des Staates New York). Erst in den letzten Jahren waren vereinzelt High Yield Emissionen deutscher Unternehmen zu verzeichnen, die deutschem Recht unterlagen (s. dazu Rz. 17.24 ff.).
17.16
3. Anwendungsbereiche High Yield Anleihen finden in verschiedenen Finanzierungsszenarien Anwendung. Die Emission von High Yield Anleihen dient, wie bereits erwähnt, häufig der Refinanzierung von Verbindlichkeiten21. In den Jahren 2016 und 2017 ließen sich jeweils ungefähr 60 % des gesamten europäischen Emissionsvolumen auf solche Refinanzierungstransaktionen zurückführen. Zudem werden High Yield Anleihen häufig zur Finanzierung von Unternehmenskäufen eingesetzt. Während in der Vergangenheit auf diese Weise insbesondere 18 In Abhängigkeit der Bonität des Emittenten sind am Markt für High Yield Anleihen auch andere Laufzeiten (5, 6 oder auch 9 Jahre) anzutreffen. 19 Hierunter sollen Anleihen verstanden werden, die von Unternehmen mit einem Investment Grade Rating begeben werden. 20 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434; für eine allgemeine Übersicht der verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten betreffend die Verzinsung von Anleihen, s. Rz. 16.39 ff. 21 Vgl. Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 52.
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§ 17 | High Yield Anleihen
bestimmte, stark fremdfinanzierte Unternehmenskäufe (Leveraged Buyouts, LBOs)22 finanziert wurden, wurde dazu in den letzten beiden Jahren wieder vermehrt auf Bankenfinanzierungen zurückgegriffen23. Auch bei LBOs dient der Emissionserlös aus der Anleihe häufig der Refinanzierung von Akquisitionsdarlehen (Bridge Financings)24. In den letzten Jahren haben Private Equity Häuser ihre sog. Exits25 vor dem Hintergrund der nachhaltig volatilen Kapitalmärkte häufig als sog. „Dual Track“ Verfahren strukturiert, d.h. es wurden parallel die Prozesse für einen Börsengang (Initial Public Offering, IPO) und einen privaten Verkauf (Trade Sale) durchgeführt, von denen dann aber nur die zum Zeitpunkt des Exits vorteilhaftere Alternative vollzogen wurde. Zur Finanzierung des privaten Verkaufs wird in diesen Fällen häufig eine High Yield Anleihe begeben, zumal auch Synergien zu dem parallel verlaufenen IPO Prozess bestehen (s. dazu Rz. 17.53). Darüber hinaus nutzen auch junge, noch kapitalschwache, Unternehmen die Emission von High Yield Anleihen zur Wachstumsfinanzierung26, sowie insbesondere Venture Capital-Gesellschaften zur Startup-Finanzierung27. Aber auch etablierte Unternehmen, deren Bonität dem Non-Investment Grade Bereich zuzuordnen ist oder sich verschlechtert hat, oder die ihr Fälligkeitsprofil von Verbindlichkeiten im Kapitalmarkt refinanzieren und verlängern wollen, greifen auf den High Yield Anleihemarkt zurück28.
4. Zielgruppe und Platzierungspraxis 17.18 Eine High Yield Anleiheemission eines deutschen bzw. europäischen Unternehmens wird in der Regel als internationale Privatplatzierung strukturiert29. Diese Strukturierung beruht im Wesentlichen auf den damit verbundenen regulatorischen Vorteilen.
22 Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 746 f.; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 53 ff.; Hoffman/ Baron, ZBB 2005, 317; Stalmann, ZfgK 1992, 526, 528; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745; 747; Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, 15, 16; Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 332. S. dazu auch Rz. 17.5 ff. 23 Vgl. Debtwire European Leveraged Insights 2017, S. 5. 24 Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, 15, 16; Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 332; ausführlich zu LBO Bridge Financing durch High Yield Anleihen, s. Cohen, LBO Bridge Financings, Covenant Review, August 2007. 25 Private Equity Gesellschaften engagieren sich in der Regel nur für einen begrenzten Zeitraum (meistens 7 bis 8 Jahre) in einem Unternehmen, dessen Anteile sie erwerben. Während dieser Zeit wird das Geschäftsmodell des Zielunternehmens häufig auf den Prüfstand gestellt und optimiert. Um den Ertrag ihrer Investition zu realisieren und diesen an ihre Investoren auszuschütten, müssen Private Equity Gesellschaften die gehaltenen Anteile, möglichst zu einem höheren Preis als dem Einstandspreis, wieder veräußern. Dieser Vorgang der Investitionsrealisierung wird als Exit bezeichnet. 26 Vgl. Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 55 f.; Bondt/Marqués, ECB Working Paper No. 313 (2004), S. 7; Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, 15, 16; Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 332. 27 Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 746; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 55 f.; Bondt/Marqués, ECB Working Paper No. 313 (2004), S. 7; Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, 15, 16; Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 332. 28 Stalmann, ZfgK 1992, 526, 528; Harrer/Fisher, FB 2003, 781, 781 ff.; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 746; Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi/Mann, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 332; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 57. 29 Da die internen Anlagerichtlinien vieler großer US-amerikanischer institutioneller Investoren das erlaubte Anlagevolumen in nicht börsennotierte Wertpapiere beschränken, müssen sich US-amerikanische High Yield Emittenten in der Regel (insbesondere in Bezug auf in den
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High Yield Anleihen | § 17
Nach US-amerikanischem Recht muss gemäß den Bestimmungen des U.S. Securities Act von 1933 grundsätzlich jeder Verkauf von Wertpapieren mit der amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde, der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC), registriert werden, es sei denn, dass eine Ausnahmevorschrift in Bezug auf die SEC Registrierung zur Anwendung kommt. Die meisten High Yield Emissionen deutscher und europäischer Unternehmen sind so strukturiert, dass in den USA ein Verkauf der High Yield Anleihe gemäß Rule 144A in Verbindung mit Section 4(2) des U.S. Securities Act von 1933 erfolgt. Die in Rule 144A enthaltene sog. Safe Harbor Regelung verlangt lediglich, dass (i) der Verkauf der High Yield Anleihe nur an sog. Qualified Institutional Buyers (QIBs) stattfindet, (ii) die Anleihegläubiger davon Kenntnis erlangen, dass es sich bei der platzierten High Yield Anleihe um nicht mit der SEC registrierte Wertpapiere handelt (dieses Erfordernis wird durch diverse Legends und Disclaimers erfüllt, die im Offering Memorandum und in anderen im Zusammenhang mit der High Yield Emission erstellten Dokumenten enthalten sind), (iii) die High Yield Anleihe nicht mit Wertpapieren identisch ist, die an einer USamerikanischen Börse gehandelt werden, (iv) die Anleihegläubiger bestimmte periodische Informationen über den Geschäftsverlauf des Emittenten (z.B. den Geschäftsbericht) in englischer Sprache erhalten und (v) der Emittent bestimmte Publizitätsrichtlinien erfüllt und u.a. nicht den US-amerikanischen Markt in Bezug auf die platzierte High Yield Anleihe konditioniert. Darüber hinaus steht für eine Platzierung von High Yield Anleihen in den USA die Ausnahmeregelung bzw. der Safe Harbor von Regulation D zur Verfügung, nach der der Emittent die High Yield Anleihe an sog. Accredited Investors und eine geringe Anzahl von Non-Accredited Investors platzieren kann30. Auch in Deutschland und Europa werden High Yield Emissionen vornehmlich an institutionelle Investoren im Rahmen von Privatplatzierungen angeboten. Da sich die Platzierung der High Yield Anleihe somit in der Regel nur an qualifizierte Anleger richtet und High Yield Anleihen zudem häufig mit einer Mindeststückelung von 100.000 Euro begeben werden, ist kein Wertpapierprospekt im Sinne der EU-Prospektrichtlinie (RL 2003/71/EG) erforderlich31. Ein solcher Wertpapierprospekt würde u.a. Finanzausweise und Risikofaktoren für jeden Garantiegeber der High Yield Anleihen erfordern, was in der Praxis ein in den meisten Fällen vom Emittenten nicht zu leistendes (oder sehr zeit- und kostenaufwändiges) Unterfangen wäre. Auch unter dem Regime der VO 2017/1129 (EU-Prospektverordnung 2017)32, durch USA zu platzierende High Yield Anleihen) in den High Yield Anleihebedingungen dazu verpflichten, zu einem bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt die Börsenfähigkeit der High Yield Anleihe herbeizuführen. Die High Yield Anleihegläubiger haben in einem solchen Fall das Recht, vom Emittenten zu verlangen, dass er eine neue inhaltsgleiche Anleihe bei der SEC registriert (sog. Registration Right). Die Gläubiger der nicht registrierten Anleihe können dann auf dem Wege eines Exchange Offers ihre (alten) nicht registrierten High Yield Anleihen gegen inhaltsgleiche (neue) SEC registrierte High Yield Anleihen umtauschen. Da es sich bei der Registrierung einer High Yield Anleihe mit der SEC um ein sehr zeit- und kostenaufwändiges Verfahren handelt wird die High Yield Emission auch in Bezug auf US-Investoren in aller Regel in einem ersten Schritt fast immer als Privatplatzierung strukturiert. Ausführlich zum Verfahren des A/B-Exchange Offers Tresnowski/Nowak, The High Yield Offering – An Issuer’s Perspective, S. 49 ff.; Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 324. 30 Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 319 ff. 31 Die entsprechenden Ausnahmetatbestände der EU-Prospektrichtlinie wurden im deutschen Recht in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 WpPG umgesetzt. 32 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017. Die EU-Prospektverordnung 2017 verfolgt neben der inhaltlichen Vereinfachung von Wertpapierprospekten insbesondere die Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen (sog. KMUs).
Hutter | 617
17.19
§ 17 | High Yield Anleihen
welche die EU-Prospektrichtlinie (RL 2003/71/EG) abgelöst wird33, bleiben Emittenten von Anleihen mit einer Stückelung bzw. einem Mindestinvestitionsvolumen von 100.000 Euro von der Verpflichtung, einen Wertpapierprospekt zu erstellen, befreit. Der Katalog an Befreiungstatbeständen wird zudem noch erweitert um insbesondere nunmehr auch als solche bezeichnete qualifizierte Anleger und um die Begebung von Wertpapieren eines Emittenten, wenn dessen Wertpapiere innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten einen Gesamtgegenwert von nicht mehr als 1 Mio. Euro ausmachen34.
17.20 Bei den traditionellen institutionellen Investoren handelt es sich überwiegend um institu-
tionelle Investoren, wie Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, Pensionsfonds, Versicherungen und Hedge-Fonds35. Einige institutionelle Investoren haben sich auf Investments in High Yield Anleihen spezialisiert, ein Teil investiert indes ausschließlich bzw. weit überwiegend in Investment Grade Anleihen. In diesem Zusammenhang sehen interne Anlagerichtlinien einiger institutioneller Investoren oft betragsmäßige bzw. prozentuale Grenzen vor, inwieweit in High Yield Anleihen zur Diversifizierung ihres Investmentportfolios investiert werden darf36. Diese Grenzen wurden in den letzten Jahren weitgehend ausgereizt, um im Niedrigzinsumfeld die Erzielung höherer Renditen zu ermöglichen. Das hat letztlich auch dazu geführt, dass „klassische“ Investment Grade Investoren im Verhältnis nunmehr einen größeren Anteil an High Yield Bonds halten als in der Vergangenheit, wodurch sich wiederum die allgemeine Nachfrage nach High Yield Bonds erhöht.
17.21 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass in der jüngeren Vergangenheit insbesondere in Deutschland auch eine wachsende Nachfrage nach High Yield Anleihen seitens Privatinvestoren (Retail) zu verzeichnen war. So hat Schaeffler im Juni 2012 eine Retail Investoren öffentlich angebotene High Yield Anleihe mit einer Stückelung von 1.000 Euro begeben37, die im regulierten Markt der Luxemburger Börse gelistet wurde. Auch 2017 wurde für einige größere High Yield Emissionen von deutschen Emittenten (bspw. ThyssenKrupp) diese Struktur gewählt, die – zumal diese High Yield Anleihen regelmäßig deutschem Recht unterliegen – letztlich den typischen Emissionen von Investment Grade Emittenten folgt.
17.22 Mit Ausnahme der gerade angesprochenen Emissionen, wurden in der Vergangenheit die
meisten High Yield Anleihen europäischer Emittenten entweder im nicht-regulierten Markt der Börse in Luxemburg (Euro MTF) oder Irland (GEM), oder aber – im Falle deutscher High Yield Emittenten – im Freiverkehr der Frankfurter Wertpapierbörse (Open Market), notiert. Ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl des Börsenplatzes ist das Vermeiden zusätzlicher Verpflichtungen betreffend die Veröffentlichung von Informationen (z.B. Finanzausweise für jeden Garantiegeber), die über die bereits in der Angebotsunterlage (bei Privatplatzierungen regelmäßig als Offering Memorandum bezeichnet) enthaltenen Informationen hinausgehen. So verlangt die Irische Börse separate Finanzausweise für Garantiegeber, wenn deren kombiniertes EBITDA (Earnings Before Interest, Depreciation, Tax and Amortization) und/oder deren kombiniertes Nettovermögen (Net Assets) 80 % des 33 Der Großteil der Regelungen der EU-Prospektverordnung 2017 treten am 21.7.2019 in Kraft und gehen danach denen der EU-Prospektrichtlinie und nationaler Umsetzungslegislatur vor. 34 Diese auf KMUs abzielende Erleichterung gilt in Abweichung der allgemeinen Gültigkeit der Prospektverordnung 2017 (ab dem 21.6.2019) bereits ab dem 21.7.2018. 35 Vgl. Taggart in Auerbach, Mergers and Acquisitions, S. 11; Altmann/Nammacher, Investing in Junk Bonds, S. 63 ff.; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 59 f.; Wilkinson/Lucas, PLC December 2003, 15, 16. 36 Dambach, die bank 1998, 658, 660; Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 318. 37 Die von Schaeffler am 29.6.2012 begebenen 300 Mio. Euro 6,75 % Senior Secured Notes 2017.
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High Yield Anleihen | § 17
konsolidierten EBITDA und/oder der konsolidierten Nettovermögens nicht überschreitet (sog. Guarantor Coverage)38. Auch die Luxemburger Börse verlangt grundsätzlich separate Finanzausweise für Garantiegeber, allerdings erst unter einem Prozentsatz von 75 % bezogen auf das EBITDA und/oder Nettovermögen der Garantiegeber im Vergleich zur gesamten Unternehmensgruppe des Emittenten39. Seit Mitte 2017 ist im europäischen Markt ein starker Trend zur Notierung der High Yield Anleihen an der Official List der außereuropäischen Börse The International Stock Exchange (TISE)40 in Guernsey zu erkennen. Diese Entwicklung dürfte im Wesentlichen auf das Inkrafttreten der VO Nr. 596/2014 (MMVO)41 im Juli 2016 zurückzuführen sein. Diese hatte die Anwendung bestimmter Zulassungsfolgepflichten, wie bspw. die Ad-hoc Publizitätspflicht und die Pflicht zum Führen von Insiderlisten, auch auf solche – bislang gerade nicht erfasste – Emittenten erweitert, die ihre Finanzinstrumente ausschließlich in nunmehr sog. multilateralen Handelssystemen, wie der Euro MTF, GEM oder der Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse, handeln lassen.
17.23
5. Anwendbares Recht Historisch betrachtet unterlagen und unterliegen auch heute High Yield Anleihen in aller Regel US-amerikanischem Recht, genau genommen dem Recht des Staates New York42. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass High Yield Anleihen ihren Ursprung in den USA hatten und sich dort eine jahrzehntelange Marktpraxis entwickelte, bevor in Europa und in Deutschland ein nennenswerter High Yield Anleihemarkt entstand. Dazu kommt, dass von europäischen Emittenten begebene High Yield Anleihen häufig auch Gegenstand einer Privatplatzierung an US-amerikanische institutionelle Investoren waren und sind. Das US-amerikanische Recht ist im Hinblick auf High Yield Anleihen zudem seit vielen Jahren erprobt, es gibt dazu eine langjährige Rechtsprechung und es bietet somit einen hohen Grad an Rechtssicherheit43.
17.24
Bis zur Novellierung des deutschen Schuldverschreibungsgesetzes im Jahr 200944 war das deutsche Recht für die Emission von High Yield Anleihen nicht ausreichend flexibel, da nach den Vorschriften des (alten) Schuldverschreibungsgesetzes von 1899 insbesondere eine während der Laufzeit erforderliche Restrukturierung von Anleihen – etwa bei Liquiditätsproblemen des Emittenten, veränderten steuerrechtlichen Rahmenbedingungen, erhöhtem Eigenkapitalbedarf des Emittenten oder im Falle einer beabsichtigten Umschul-
17.25
38 Vgl. High Yield Practice Note der Irischen Börse vom 13.7.2006. 39 Vgl. Circular der Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF) vom 31.1.2011 betreffend „The new prospectus regime – FAQ“, Nr. 64. 40 TISE ist eine von The International Stock Exchange Authority Limited in Guernsey betriebene Börse, die nicht den Transparenzvorschriften der Europäischen Union unterliegt. 41 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch. 42 Soweit in diesem Artikel von US-amerikanischem Recht gesprochen wird, ist das per Rechtswahl anwendbare Vertragsrecht des Bundesstaates New York gemeint. Soweit im Zusammenhang mit der Platzierungsstruktur (z.B. Rule 144A, Regulation D) rechtliche Aspekte des USamerikanischen Bundesrechts erörtert werden, werden die entsprechenden Gesetze und Regularien direkt benannt. 43 Balz, ZBB 2009, 401, 409 m.w.N. 44 Schuldverschreibungsgesetz vom 31.7.2009 (BGBl. I 2009, 2512), das zuletzt durch Art. 24 Abs. 21 des Gesetzes vom 23.6.2017 (BGBl. I, 1693) geändert worden ist.
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§ 17 | High Yield Anleihen
dung – nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war45. Das neue Schuldverschreibungsgesetz ermöglicht nunmehr, im Einklang mit den diesbezüglichen internationalen Marktstandards, dass eine Mehrheit von Anleihegläubigern jederzeit für alle Anleihegläubiger verbindlich Beschränkungen sowie die Aufgabe von Gläubigerrechten beschließen kann, sofern die Anleihebedingungen solches ausdrücklich vorsehen. Dass die Restriktionen bei der Anleihenrestrukturierung nach altem Recht wohl ein Hindernis in Bezug auf die Entwicklung eines High Yield Marktes nach deutschem Recht darstellte, zeigte sich dadurch, dass im Jahr 2010 HeidelbergCement die erste High Yield Anleihe (mit einem Covenant Light Package) und Continental die erste umfassend besicherte High Yield Anleihe nach deutschem Recht begab. Andere deutsche Emittenten, die zuletzt High Yield Anleihen nach deutschem Recht begeben haben, sind u.a. K+S (2017), ThyssenKrupp (2017) und WEPA Hygieneprodukte (2016).
17.26 Bis heute gibt es wenig Erfahrung mit rechtlichen Auseinandersetzungen, und noch keine
Rechtsprechung, im Zusammenhang mit deutschem Recht unterliegenden High Yield Anleiheemissionen46. Es ist auch unklar, ob die von deutschen Emittenten (gefühlt) erwarteten Vorteile in Bezug auf eine einfachere Auslegung und Handhabung von Anleihebedingungen, die deutschem Recht unterliegen, in Erfüllung gehen werden. Denn trotz der Wahl deutschen Rechts sind die bisher verwendeten High Yield Anleihebedingungen (Terms and Conditions) inhaltlich, insbesondere was die Covenants und alle damit in Zusammenhang stehenden wirtschaftlichen Parameter betrifft, aus Vermarktungsgründen in allen wesentlichen Punkten – auch in ihrer technischen Komplexität – mit den Bestimmungen in einer Indenture nach US-amerikanischem Zuschnitt weitgehend identisch.
17.27 Es wird daher abzuwarten sein, ob sich die Wahl deutschen Rechts47 für Emissionen von
High Yield Anleihen deutscher Unternehmen in Fällen durchsetzen wird, in denen die größtmögliche Flexibilität in Bezug auf den verfügbaren Investorenkreis – in Deutschland, Europa und den USA – gewahrt werden soll. Denn selbst in Fällen, in denen zunächst nur eine Platzierung der High Yield Anleihe in Deutschland und Europa vorgesehen ist, wollen der Emittent und die die Emission begleitenden Konsortialbanken in der Regel nicht von vornherein auf die Möglichkeit verzichten, einen Teil des Emissionsvolumens auch bei ausgewählten und erfahrenen institutionellen US-amerikanischen High Yield Investoren platzieren zu können. Unter solchen Umständen könnte die vom etablierten Marktstandard abweichende Vereinbarung deutschen Rechts für Anleihebedingungen einer High Yield Emission, insbesondere in einem schwierigen und volatilen Kapitalmarktumfeld, insbesondere seitens US-amerikanischer Investoren Fragen aufwerfen und die Platzierbarkeit der Anleihe in den USA erschweren. Auch die Anleihebedingungen für High Yield Emissionen von in anderen EU Ländern domizilierten Unternehmen (England, Frankreich usw.) unterliegen in der Regel US-amerikanischem Recht.
45 Vgl. zur Einführung des neuen SchVG und den Auswirkungen auf den Anleihemarkt Horn, BKR 2009, 446, 446 ff. 46 Das liegt daran, dass von den erwähnten High Yield Anleihen nach deutschem Recht noch keine notleidend geworden ist. Die zurzeit anhängigen, im Markt diskutierten Rechtsverfahren betreffen insbesondere Altanleihen, bei denen nachträglich auf die Anwendung des SchVG optiert werden sollte vgl. OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, BB 2012, 1305 (m. Anm. Friedl, BB 2012, 1309) = AG 2012, 373. Zur Anwendbarkeit des SchVG auf Altanleihen, s. Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204 ff.; Hartwig-Jacob in FK-SchVG, § 24 Rz. 4 ff. 47 Allgemein zu Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen s. Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37 ff.; für eine detaillierte rechtliche Analyse der Rechtswahl und Gerichtsbarkeit bei Anleiheemissionen s. Rz. 16.106 ff.
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High Yield Anleihen | § 17
Schließlich gilt es bei der Frage der Rechtswahl auch noch zu bedenken, dass die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf nach US-amerikanischen Marktstandards erstellte und in englischer (sehr rechtstechnischer) Sprache verfasste Anleihebedingungen verbunden mit einer damit in Zusammenhang stehenden gerichtlichen Auseinandersetzung in deutscher Sprache vor einem deutschen Gericht Fragen der Rechtssicherheit aufwerfen könnte. Denn generell sollte zur Gewährleistung der Rechtssicherheit zwischen der rechtstechnischen Ausgestaltung von Anleihebedingungen, der diesbezüglichen Rechtswahl und dem anwendbaren Gerichtsstand ein größtmöglicher Gleichlauf bestehen.
17.28
II. Struktur von High Yield Transaktionen 1. Ausfallrisiko als bestimmender Faktor Die Gefahr, dass ein High Yield Emittent seinen Verpflichtungen gegenüber den Anleihegläubigern während der Laufzeit der Anleihe nicht mehr nachkommen kann, ist bei High Yield Anleihen, die nicht nur Hochzins- sondern auch Hochrisikoanleihen sind, besonders ausgeprägt. Das hohe Risiko stiftet geradezu den Charakter dieses Finanzierungsinstruments. Obgleich den Investoren dieses Risiko grundsätzlich mit einem höheren, risikoangepassten Zins vergolten wird, sind auch die Gläubiger von High Yield Anleihen grundsätzlich darauf bedacht, im Insolvenzfall nicht allein auf die Insolvenzquote des Emittenten verwiesen zu werden. Gleichzeitig werden High Yield Anleihen häufig innerhalb komplexer Kapitalstrukturen verwendet, in denen die Vorrangstellung einer anderen Klasse von Fremdkapitalgebern gänzlich oder zumindest teilweise akzeptiert werden muss. Daher ist die Struktur von High Yield Transaktionen zu einem bedeutenden Maße von Erwägungen getragen, die die Verwertung der Vermögensgegenstände des Emittenten und die Ausschüttung der Erlöse an die verschiedenen Klassen von Gläubigern betreffen.
17.29
Hierbei haben sich insbesondere zwei rechtliche Instrumentarien entwickelt, mit denen die transaktionsspezifische Austarierung der Interessen der verschiedenen Gläubigerklassen im Hinblick auf eine mögliche Insolvenz vorgenommen wird: Subordination und Sicherheiten. Unter Subordination versteht man die Herstellung des Rangverhältnisses zwischen den verschiedenen Klassen von Fremdkapitalgebern. Bei der Bestellung von Sicherheiten geht es um die Gewährung von vorrangigen Verwertungsrechten (d.h. Ab- bzw. Aussonderungsrechte), die entweder das bestehende Rangverhältnis bekräftigen oder dieses auch durchbrechen können. Mithilfe dieser beiden Instrumentarien kann die Teilhabe der verschiedenen Gläubigerklassen an der Verwertung des Vermögens des zum Haftungsverbund der Transaktion gehörenden Unternehmens sehr fein und ausdifferenziert gestaltet und auf die konkreten Marktbedingungen zum Zeitpunkt der Transaktion angepasst werden.
17.30
2. Herstellung des Rangverhältnisses Das wirtschaftliche Rangverhältnis der Investoren kann durch zwei verschiedene rechtliche Konzepte der Subordination, d.h. die Herstellung einer Nachrangigkeit bestimmter Forderungen, gestaltet werden48. Ist eine bestimmte Klasse von Gläubigern im Ergebnis nachrangig, so werden diese insoweit als Junior bezeichnet; die entsprechend vorrangigen 48 Zum Thema der Subordination s. auch Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 212 ff.; Laudenklos/Sester, WM 2004, 2417, 2420 ff.; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 ff.
Hutter | 621
17.31
§ 17 | High Yield Anleihen
Gläubiger werden analog als Senior bezeichnet. „Traditionell“ sind High Yield Anleihegläubiger gegenüber anderen Fremdkapitalgebern, häufig den Gläubigern syndizierter Kredite, nachrangig. Eine Möglichkeit, den erwünschten Nachrang herzustellen, ist die vertragliche Subordination. Hierunter wird eine vertragliche Nachrangabrede zwischen zwei bzw. mehreren Parteien verstanden. Sofern eine Transaktionsstruktur eine vertragliche Subordination vorsieht, findet sich die entsprechende Nachrangklausel zumeist im sog. Intercreditor Agreement wieder.
17.32 Die andere Möglichkeit, einen Nachrang herzustellen, ist die strukturelle Subordination.
Eine strukturelle Subordination liegt vor, wenn das Rangverhältnis zwischen den Investoren die Konsequenz der Einordnung der verschiedenen Instrumente der Fremdfinanzierung in die gesellschaftsrechtliche Konzernstruktur der Transaktion ist, d.h. bei mindestens zwei Gesellschaftsebenen aus der gesetzlichen Verwertungsreihenfolge resultiert. Bildlich gesprochen geht es bei der strukturellen Subordination darum, dass sich das Rangverhältnis der Gläubiger aus ihrer gesellschaftsrechtlichen „Nähe“ zu den werthaltigen Vermögensgegenständen der Konzerngruppe des Schuldners ergibt. Das Grundprinzip lässt sich an einem einfachen Fall einer Konzernstruktur mit zwei Gesellschaften, einer Mutter- und einer Tochtergesellschaft, illustrieren49. Hierbei emittiert die Muttergesellschaft, die kein eigenes operatives Geschäft und als einzige Aktiva die Anteile an der Untergesellschaft hat, die High Yield Anleihe, deren Erlöse sie als Eigenkapital der Tochtergesellschaft zuführt. Die Tochtergesellschaft, die Eigentümerin aller werthaltigen Vermögensgegenstände des Konzerns ist, betreibt das operative Geschäft des Konzerns und finanziert sich neben dem von der Muttergesellschaft zugeführten Eigenkapital noch mit Fremdkapital, das sie selbst in Form eines Darlehens aufgenommen hat. Den nach Abzug aller Kosten, inkl. der Finanzierungskosten durch Bedienung des Darlehens, verbleibenden Gewinn schüttet das Tochterunternehmen an die Muttergesellschaft aus, mit dem diese wiederum ihre Verbindlichkeiten gegenüber den High Yield Gläubigern erfüllt. Kommt es in dieser Konzernstruktur zu einem Insolvenzfall, so ist jede Klasse von Gläubigern zunächst an ihren jeweiligen Vertragspartner als Schuldner verwiesen, in dessen Vermögen vollstreckt wird. Während die Darlehensgeber der Tochtergesellschaft zur Befriedigung ihrer Ansprüche die werthaltigen Aktiva der Tochtergesellschaft verwerten können, können die High Yield Anleihegläubiger lediglich in die von der Muttergesellschaft gehaltenen Anteile an der Tochtergesellschaft vollstrecken. Diese sind aber nur insoweit werthaltig als das Vermögen der Tochtergesellschaft größer als deren gesamte Verbindlichkeiten ist; die High Yield Anleihegläubiger sind im Verwertungsfall mithin auf den Residualanspruch eines Eigenkapitalgebers verwiesen.
17.33 Dieses grundlegende Prinzip der strukturellen Subordination lässt sich durch das Einzie-
hen weiterer Gesellschaften in die Konzernstruktur, das Vorhandensein mehrerer Tochtergesellschaften sowie die Verteilung der werthaltigen Vermögensgegenstände auf die verschiedenen Ebenen und Gesellschaften des Konzerns beliebig ausweiten. Eine im konkreten Fall vorhandene strukturelle Subordination ist dabei stets im Kontext der spezifischen Transaktion zu verstehen. Emittiert z.B. eine Konzern-Holdinggesellschaft eine High Yield Anleihe, so ist diese Strukturierung i.d.R. vor dem Hintergrund der Herstellung einer strukturellen Subordination zu verstehen. Emittiert hingegen eine ausländische Tochtergesellschaft, die allein zu Finanzierungszwecken gegründet worden ist, die High Yield Anleihe, ist eine solche Struktur zumeist steuerrechtlich motiviert.
49 Weitere Beispiele finden sich bei Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 215; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437.
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High Yield Anleihen | § 17
Die beiden Konzepte der Subordination, vertragliche und strukturelle, stehen grundsätzlich gleichermaßen für die Herstellung eines Rangverhältnisses zur Verfügung50. Traditionell weisen europäische High Yield Transaktionen im Gegensatz zu US-amerikanischen Transaktionen eher strukturelle Subordinations auf51, was explizit auch für den Regelfall der nach US-amerikanischem Recht begebenen High Yield Anleihen auf dem europäischen Markt gilt. Diese Divergenz in der Marktpraxis lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass europäische High Yield Transaktionen sowohl auf Investoren- als auch auf Unternehmensseite viele verschiedene Rechtsordnungen mit ihren entsprechenden Insolvenzrechtsregimen tangieren, in denen es zum Teil erhebliche Zweifel gibt, ob vertragliche Nachrangabreden in einem Insolvenzverfahren wirksam und durchsetzbar sind. Daher hat sich auf dem europäischen High Yield Markt die strukturelle Subordination als die vorherrschende Variante zur Herstellung des Rangverhältnisses herausentwickelt52. Im Vergleich zu den in Europa von Land zu Land unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Bestimmungen gilt das in den USA einheitlich angewendete Regelwerk für Ausgleichs- und Konkursverfahren als einer der wichtigen Faktoren für einen erfolgreichen und liquiden USamerikanischen High Yield Anleihemarkt.
17.34
3. Sicherheitenstruktur Das Rangverhältnis der verschiedenen Klassen von Fremdkapitalgebern wird durch die Sicherheitenstruktur flankiert. Aus Sicht der „traditionell“ nachrangigen High Yield Anleihegläubiger dienen die Sicherheiten dazu, die für sie nachteilige Konsequenz der strukturellen Subordination zumindest teilweise zu durchbrechen. Neben der sehr einzelfallabhängigen Bestellung von Realsicherheiten geht es im Rahmen von High Yield Transaktionen v.a. um Garantien, die die operativen Tochtergesellschaften zur Besicherung der Anleiheforderungen abgeben. Wegen des klassischen Falls einer High Yield Transaktion, bei der eine Holdinggesellschaft, die in der Konzernstruktur als unmittelbare oder mittelbare Muttergesellschaft über den operativen Tochtergesellschaften sitzt, die High Yield Anleihe emittiert, wird von sog. Upstream-Garantien gesprochen53. Die Anleihegläubiger werden als Garantiebegünstigte grundsätzlich pari passu mit den direkten Gläubigern der garantiegebenden operativen Tochtergesellschaften gestellt, so dass die strukturelle Nachrangigkeit insoweit überwunden wird, als die Tochtergesellschaft ihren direkten Gläubigern keine Realsicherheiten bestellt hat. Ferner ist zu beachten, dass es bei mehreren operativen Tochtergesellschaften denkbar ist, dass nur einige hiervon die High Yield Anleihe garantieren und dass der Wert für die Anleihegläubiger maßgeblich davon abhängt, ob die garantiegebenden Tochtergesellschaften substantielle Aktiva besitzen (s. auch Rz. 17.71 ff.).
17.35
Bei der Gewährung von Upstream-Garantien durch deutsche Tochtergesellschaften, die regelmäßig die Gesellschaftsform einer GmbH haben, muss dabei stets beachtet werden, dass nicht gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze gemäß § 30 GmbHG verstoßen wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG verbietet die Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals der Gesellschaft erforderlichen Vermögens an die Gesellschafter. Dieses Verbot greift je-
17.36
50 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212 sowie Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 96 ff. m.w.N. weisen darauf hin, dass in modernen europäischen Transaktionsstrukturen „Doppellösungen“ aus vertraglicher und struktureller Subordination gängig sind. 51 Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 99 ff. 52 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 213; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 96 ff. m.w.N. 53 Schrell/Kirchner, BKR 2004, 212, 215; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 f.
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§ 17 | High Yield Anleihen
doch nicht, wenn zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern ein Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrag besteht oder die Leistung der Gesellschaft durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewinnanspruch gegen die Gesellschafter gedeckt ist. Sofern kein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag vorliegt, muss der Geschäftsführer einer garantiegebenden Tochtergesellschaft wegen der drohenden Haftung gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG bei Abgabe der Garantie anhand einer vernünftigen kaufmännischen Prognose entscheiden, ob der Garantie bei Fälligkeit ein vollwertiger Regressanspruch gegen die veranlassende Muttergesellschaft gegenüberstehen wird. Sofern die Prognose im Zeitpunkt der Garantieabgabe die Annahme der Vollwertigkeit stützt, ist die Garantieabgabe unter Kapitalerhaltungsgesichtspunkten zulässig. Um den rechtlichen Unsicherheiten, die sich aus der Natur einer Prognoseentscheidung ergeben, von vornherein entgegenzuwirken und da § 30 GmbHG unmittelbar nur im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern wirkt, hat es sich in Sicherheitenstrukturen mit deutschen Tochtergesellschaften als Garantie- bzw. Sicherheitengebern durchgesetzt, die Garantie bzw. andere Sicherheiten betragsmäßig auf das im Zeitpunkt der Inanspruchnahme vorhandene Nettovermögen der Tochtergesellschaft zu beschränken. Da die Inanspruchnahme der Garantie hierdurch insoweit limitiert wird, als dass eine Verletzung von Kapitalerhaltungsgrundsätzen nicht resultieren darf, wird der entsprechende Passus als Limitation Language bezeichnet. Teilweise sehen die Garantiebedingungen zusätzlich auch vor, dass eine Zahlung unter der Garantie nur erfolgen darf, sofern vom Emittenten und von den für die High Yield Anleihe mandatierten international anerkannten Wirtschaftskanzleien bestätigt wird, dass eine Inanspruchnahme mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers führt54.
17.37 Neben den Garantien der Tochtergesellschaften spielen in zunehmenden Maße auch Re-
alsicherheiten in den Transaktionsstrukturen von High Yield Emissionen eine Rolle. Sollen High Yield Anleihegläubiger von Realsicherheiten profitieren, so ist das aus der Praxis der Konsortialkreditfinanzierung bekannte Problemfeld der Einbindung akzessorischer Sicherheiten eröffnet55. Um akzessorische Sicherheiten in die komplexen Rechtsbeziehungen der Sicherheitenstruktur zu integrieren, wird auch bei High Yield Transaktionen auf eine Parallelobligation (Parallel Debt) zurückgegriffen56. Hierunter versteht man eine abstrakte Leistungsverpflichtung57 zugunsten des Anleihetreuhänders (Trustee), die die Hauptforderung aus der Anleihe hinsichtlich der Höhe, der Rangfolge und der Fälligkeit identisch spiegelt. Diese Konstruktion soll die durch das deutsche Sachenrecht induzierten Schwierigkeiten überwinden und gewährleisten, dass die Sicherheiten den begünstigten High Yield Anleihegläubigern im Verwertungsfall rechtssicher zur Befriedigung ihrer Forderungen zur Verfügung stehen.
4. Einordnung in Kapitalstruktur des Emittenten 17.38 Die pauschale Einordnung von High Yield Anleihen in die Kapitalstruktur des Emittenten
ist anders als noch vor ein paar Jahren nicht ohne weiteres möglich. Klassischerweise waren die Gläubiger von europäischen High Yield Anleihen gegenüber anderen Gläubigern, insbesondere gegenüber den Banken als Gläubigern großer Konsortialkredite (Senior
54 55 56 57
Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 437 f. Zur Praxis bei Konsortialkrediten Hoffmann, WM 2009, 1452, 1452 ff. Vgl. Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 439. Rechtsdogmatisch handelt es sich hierbei um ein abstraktes Schuldversprechen nach § 780 BGB.
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High Yield Anleihen | § 17
Secured Loans) aber auch gegenüber Gläubigern von Mezzanine-Darlehen58, nachrangig. Zudem waren High Yield Anleihen zumeist unbesichert. In einer schematischen Pyramide der Kapitalstruktur eines Unternehmens, an deren Spitze die wenig ausfallgefährdeten, vorrangigen und vorrangig besicherten Gläubiger sitzen und an deren Sockel sich die Eigenkapitalgeberklassen mit (potentiell) großen Gewinnchancen bei vollem Kapitalverlustrisiko befinden, nahmen die Gläubiger von High Yield Anleihen mithin traditionell eine Stellung nur leicht über den Eigenkapitalgebern ein. (vgl. Schaubild).
17.39
Abbildung 1: Pyramide der Kapitalstruktur eines Unternehmens
Erwartete Rendite
Wahrscheinlichkeit der Kapitalrückzahlung
n vo en rm en Fo ih ge Anle rti wä ield gen Y Ge High
SENIOR SECURED (nachrangig besichert) SENIOR (unbesichert) SENIOR SUBORDINATED
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SENIOR SECURED
AKTIEN
Seit ca. 2003 hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt und die Transaktionsstrukturen wurden dahingehend angepasst, dass auch die Gläubiger von High Yield Anleihen verstärkt von der Verwertung des werthaltigen Vermögens der Unternehmensgruppe des Emittenten im Insolvenzfall profitieren. Während zu Beginn dieser Genese zunächst nur Garantien (auch substantieller) Tochtergesellschaften für die High Yield Anleihe einer Transaktion abgegeben wurden (Secured Notes), wurde in jüngerer Zeit auch die prinzipielle Nachrangigkeit gegenüber den Bankgläubigern aufgeweicht (Senior Secured Notes). Insofern hat sich die Stellung der High Yield Anleihegläubiger in der Kapitalstrukturpyramide zur Spitze hin verschoben. Historisch betrachtet waren die Stimmrechte der Senior Secured High Yield Anleihen im Zusammenhang mit der Insolvenz eines Emittenten bzw. die Verwertung von Vermögenswerten desselben zumeist aber immer noch auf 30 % oder 40 % der Stimmrechte aller Gläubigergruppen beschränkt.
17.40
Im Zuge der jüngsten europäischen Finanzkrise hat sich die Rechtsposition der High Yield Anleihegläubiger noch dahingehend weiter verbessert, dass es erste Transaktionen gab, bei denen im Verwertungsfall die Stimmrechte der Gläubiger großer Konsortialkredite und die
17.41
58 Zum Begriff und zur Verwendung von Mezzanine-Kapital, vgl. Laudenklos/Sester, WM 2004, 2417 ff.
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§ 17 | High Yield Anleihen
der High Yield Anleihegläubiger nach dem Prinzip „One Euro, One Vote“ ausgestaltet waren59. Durch das Prinzip „One Euro, One Vote“ erhalten die von High Yield Anleihegläubigern gehaltenen Senior Secured Notes einen pari passu Status gegenüber den Senior Secured Gläubigern auf der Kreditfinanzierungsseite, insbesondere was die Stimmrechte im Insolvenz- bzw. Verwertungsfall betrifft. Zwar bevorzugen Emittenten grundsätzlich einen höheren Stimmrechtsanteil der Gläubiger auf der Kreditfinanzierungsseite, mit denen zumeist langjährige Beziehungen bestehen (im Unterschied zu dem weniger leicht zu kontrollierenden und zu koordinierenden60, und sich stets verändernden Universum der High Yield Anleihegläubiger), doch scheinen die Entwicklungen auf den europäischen Finanzmärkten der letzten Jahre den kapitalmarktfinanzierten Elementen in der Kapitalstruktur europäischer Unternehmen zusätzliche Verhandlungsmacht bei der Gestaltung der Rangund Sicherheitenstruktur verschafft zu haben61. Für eine Beschreibung der vertraglichen Vereinbarung der verschiedenen Gläubigergruppen untereinander im Zusammenhang mit einer High Yield Emission, s. Rz. 17.57 f.
17.42 Letztlich erfolgt daher heute die Einordnung des Finanzierungsinstruments High Yield Anleihe in die Kapitalstruktur des Emittenten nicht pauschal, sondern vielmehr nach Maßgabe des Einzelfalls, wobei eine „klassische“ High Yield Anleihe, d.h. eine nachrangige und gänzlich unbesicherte Anleihe, derzeit eher ungewöhnlich wäre.
III. Bedeutung von Ratings 17.43 Die Abgrenzung des Marktes der High Yield Anleihen von dem Markt für „herkömm-
liche“ Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) erfolgt primär über die als Rating bezeichnete Einstufung durch die beiden renommierten Kreditratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s Investors Service62. John Moody, der Gründer der gleichnamigen Ratingagentur, führte erstmals 1909 Kreditratings ein, wobei er bereits damals die Emissionen unterhalb der Bewertung von Baa teilweise als spekulativ einstufte und damit wesentlich zur heutigen Begriffsbildung beitrug. Darüber hinaus wird es John Moody zugeschrieben, im Jahre 1919 den Begriff „High Yield“ für den auch als Non-Investment Grade bezeichneten Ratingbereich geprägt zu haben63.
17.44 Ein Rating stellt eine Meinung über die Bonität eines Unternehmens dar und gibt wieder,
wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Unternehmen seine bestehenden vertraglichen Verpflichtungen in Zukunft nicht vollständig und/oder nicht termingerecht bedienen können wird. Die Ratingagenturen unterteilen ihre Bonitätsskala in Investment Grade und Non-Investment Grade (auch Speculative Grade), wobei diese strikte Differenzierung nicht ursprünglich von den Agenturen selbst vorgenommen wurde, sondern sich durch Marktkonvention im Zeitablauf entwickelt hat. 59 So erstmals Schaeffler 800 Mio. Euro 7.75 % Senior Secured Notes due 2017 vom 9.2.2012. 60 S. zu der als „Kollektivhandlungsproblem“ erörterten Problematik der Koordination von Anleihegläubigern Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 42 ff. 61 S. auch Euroweek, Financing Corporates Adapting to New Constraints on Capital, June 2012, S. 53. 62 Weniger bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die europäische Ratingagentur FitchRatings, die aus einer Fusion von Fitch/IBCA und Duff & Phelps entstanden ist. Eine ausführliche Darstellung von Ratings aus rechtlicher Sicht findet sich bei E. Vetter, WM 2004, 1701, 1701 ff. und bei Ackermann/Jäckle, BB 2006, 878, 878 ff. 63 S. Fridson, Extra Credit, The Journal of High Yield Bond Research, 2001, 10.
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High Yield Anleihen | § 17
Die folgende Übersicht zeigt die von Standard & Poor’s und Moody’s vergebenen Ratings: Credit Risk
Moody’s
Standard & Poor’s
Highest Quality (Schuldner höchster Bonität, Ausfallrisiko auch längerfristig so gut wie vernachlässigbar)
Aaa
AAA
High Quality (Sichere Anlage, Ausfallrisiko so gut wie vernachlässigbar, längerfristig aber etwas schwerer einzuschätzen)
Aa
AA
Upper Medium Grade (Sichere Anlage, sofern keine unvorhergesehenen Ereignisse die Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen)
A
A
Baa
BBB
Lower Medium Grade (Spekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage ist mit Ausfällen zu rechnen)
Ba
BB
Low Grade (Hochspekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage sind Ausfälle wahrscheinlich)
B
B
Poor Quality (Nur bei günstiger Entwicklung sind keine Ausfälle zu erwarten)
Caa
CCC
Most Speculative (Nur bei günstiger Entwicklung sind keine Ausfälle zu erwarten)
Ca
CC
No interest paid or bankruptcy petition filed (hohe Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls oder Insolvenzverfahren beantragt)
C
C
In Default (Zahlungsausfall)
C
D
17.45
Investment Grade
Medium Grade (Durchschnittlich gute Anlage. Bei Verschlechterung der Gesamtwirtschaft ist aber mit Problemen zu rechnen) Non-Investment Grade (High Yield Debt)
Bestimmte Merkmale von High Yield Anleihen können die Anleihegläubiger besser oder schlechter stellen, als die übrigen Gläubiger des Emittenten. Maßgeblich sind hier insbesondere die Rangstellung der Anleihegläubiger (s. Rz. 17.31 ff.), eine etwaige Besicherung ihrer Ansprüche sowie die Zusicherungen (Covenants), die der Emittent den Anleihegläubigern gegenüber abgibt. Es kann daher die Bonität der Anleihe von der Bonität des Emittenten abweichen, weshalb der Emittent in der Regel neben einem Corporate Rating ein separates Rating der Anleihe erstellen lässt.
17.46
Von den im Jahr 2017 begebenen High Yield Anleihen hatten Anleihen im Volumen von ca. 50 Mrd. Euro ein BB Rating, ca. 38 Mrd. Euro ein B Rating, ca. 5 Mrd. Euro ein CCC Rating und ca. 21 Mrd. Euro kein Rating64. Das Rating der Anleihe korreliert dabei mit
17.47
64 Quelle: Debtwire, European Leveraged Insights.
Hutter | 627
§ 17 | High Yield Anleihen
dem Pricing derselben. Je schlechter das Rating, desto höher ist die Risikoprämie, die der Emittent den Anlegern zahlen muss.
IV. Wesentliche Elemente der High Yield Dokumentation 1. Übersicht 17.48 Die Dokumentation einer High Yield Anleihe ist äußerst komplex und zeitaufwändig in
der Erstellung. Als wichtigstes sog. Disclosure Document muss für die Vermarktung und ggf. Börsennotierung der Anleihe ein Offering Memorandum (Prospekt) erstellt werden. Grundlage und Ausgangsbasis für die Erstellung des Offering Memorandums ist eine umfassende (in der Regel mehrwöchige) Business, Legal und Financial Due Diligence. Für die Erlangung eines Ratings und die Ansprache der institutionellen Investoren sind darüber hinaus eine Präsentationsunterlage für die Rating Agenturen sowie eine sog. Roadshow Präsentation zu erstellen, deren Inhalt mit dem Inhalt der im Offering Memorandum enthaltenen Informationen – insbesondere in Bezug auf die Geschäfts- und Finanzlage des Emittenten – übereinstimmen muss. Dazu kommen Verträge wie der Übernahmevertrag (Purchase Agreement) zwischen dem Emittenten und den Konsortialbanken, der Konsortialvertrag (Agreement among Managers) zwischen den Konsortialbanken untereinander, die Zahlstellenvereinbarung (Paying Agency Agreement) zwischen dem Emittenten und einer Zahlstelle sowie bei besicherten High Yield Emissionen eine Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) zwischen den Anleihegläubigern und anderen Gläubigergruppen (z.B. Darlehensgläubigern). Zentrales Dokument für die Vertragsbeziehungen zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern sind in US-amerikanischem Recht unterliegenden High Yield Anleihen die in einer Indenture enthaltenen Anleihebedingungen. In deutschem Recht unterliegenden High Yield Anleihen sind die Anleihebedingungen (Terms and Conditions) der Globalurkunde beigefügt (s. dazu Rz. 17.54 ff.). Bei besicherten Transaktionen kommen in der Regel eine große Anzahl von Sicherheitenverträgen, ein Sicherheitenpoolvertrag und weitere Sicherheitendokumente hinzu (s. dazu Rz. 17.59). Legal Opinions, Disclosure Letters und Comfort Letters (s. dazu Rz. 17.61), Officers’ Certificates und weitere für das Closing erforderliche Bestätigungen und Nachweise vervollständigen das bei besicherten High Yield Anleihen bis zu mehrere hundert Einzeldokumente umfassende Vertragskonvolut. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass alleine aus „handwerklichen“ Gründen die Vorbereitungszeit für eine High Yield Anleihenemission in den seltensten Fällen deutlich unter drei bis vier Monaten liegt.
17.49 Eine so umfassende Dokumentation, die im Einzelfall viele tausend Seiten umfassen kann,
ist auch für kapitalmarkterfahrene Emittenten nicht leicht zu handhaben. Daher bedarf es seitens des Emittenten einer besonders gründlichen Vorbereitung für eine solche Transaktion und vor allem der informierten Mandatierung einer mit europäischen und US-amerikanischen High Yield Emissionen erfahrenen internationalen Wirtschaftsanwaltskanzlei. Dabei geht es nicht nur um die Qualifikation, die einzelnen rechtlich relevanten Dokumente nach dem jeweiligen Recht erstellen zu können, sondern in einer grenz- und sprachenüberschreitenden Gesamtschau mehrerer parallel verlaufender komplexer Transaktionsabläufe alle rechtlichen und wirtschaftlichen Themen (insbesondere auch Marktstandards) rund um Disclosure, Vertragsgestaltung, Besicherung und Schnittstellen zwischen der Kapitalmarkt- und Kreditfinanzierung möglichst reibungslos und mit Augenmaß miteinander zu verknüpfen. Dazu kommt, dass die im Zusammenhang mit einer High Yield Emission mandatierten externen Anwälte in den meisten Fällen noch auf Jahre mit dem 628 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
Emittenten verbunden bleiben, da u.a. der Erwerb oder die Veräußerung von Vermögenswerten, das Umhängen von Gesellschaften, das Eingehen von Joint Ventures und andere wesentliche operative Veränderungen während der Laufzeit einer High Yield Anleihe fast immer die detaillierte Befassung von sowohl mit der High Yield Emission als auch mit dem Geschäft des Emittenten vertrauten externen Anwälten erfordert, die dann im Detail prüfen müssen, wie die vorgesehene Maßnahme strukturiert werden kann, um keine Covenants zu verletzen. Der so mandatierte externe Anwalt ist es auch, der erforderlichenfalls die diesbezügliche sehr rechts- und vertragstechnische Kommunikation mit dem Anleihetreuhänder koordiniert.
2. Offering Memorandum Das Offering Memorandum für eine High Yield Anleiheemission ist ein sehr sorgfältig erstelltes und in der Regel mehrere hundert Seiten umfassendes Dokument. Es dient den High Yield Anleihegläubigern als Geschäftsgrundlage für deren Investitionsentscheidung und enthält eine detaillierte Beschreibung des Geschäfts und der Finanzlage des Emittenten, die Finanzausweise der letzten Jahre, eine Beschreibung der Stärken und Strategie des Emittenten sowie der Industrie, in der dieser tätig ist, eine umfassende Darstellung aller mit dem Geschäft des Emittenten und dessen Marktumfeld verbundenen Risiken (Risk Factors) sowie eine ganze Reihe weiterer, teilweise technischer, Abschnitte.
17.50
Ein besonders wichtiger Abschnitt in jedem Offering Memorandum ist die sog. Description of Notes. Diese ist eine für das Offering Memorandum aufbereitete und etwas untechnischere Darstellung der Anleihebedingungen, wie sie auch in der Indenture enthalten sind. Kernstück und längster Abschnitt der Description of Notes, wie auch der Anleihebedingungen bzw. der Indenture selbst, sind die Zusicherungen (Covenants) des Emittenten. In der Praxis werden bei einer High Yield Transaktion die Anleihebedingungen in der Form der Description of Notes verhandelt und meistens parallel mit den anderen Abschnitten des Offering Memorandums erstellt. Erst nach weitgehender Fertigstellung der Description of Notes werden die darin abgebildeten Anleihebedingungen in das vertragliche Konstrukt der Indenture überführt. Die wesentlichen sich aus den Anleihebedingungen sowie der High Yield Dokumentation insgesamt ergebenden Risiken sind im Offering Memorandum darüber hinaus in einem Abschnitt Risks Relating to the Notes zusammengefasst.
17.51
Form und Inhalt des Offering Memorandums entsprechen im Wesentlichen dem für Wertpapierplatzierungen in den USA gebotenen bzw. marktüblichen Standard. Im Ergebnis sind darin alle wesentlichen Informationen über den Emittenten und die High Yield Emission enthalten, die erforderlich sind, um dem High Yield Anleger eine richtige, vollständige und nicht irreführende Geschäftsgrundlage für die Investition in die High Yield Anleihe zu verschaffen. Dazu gehören auch umfassende Finanzinformationen, die zwar nach IFRS erstellt werden können, aber in ihrer Detaillierungstiefe und qualitativen Aufbereitung durchaus an die im US-amerikanischen Markt üblichen Standards angelehnt sind, inklusive Kennzahlen für die letzten laufenden 12 Monate (Last Twelve Months, LTM). Somit gehen die marktüblichen Anforderungen an ein Offering Memorandum für eine High Yield Anleihe doch sehr weit über die Anforderungen der EU Prospektverordnung für Schuldtitel hinaus.
17.52
Dieser Umstand erleichtert aber in Bezug auf das Offering Memorandum in der Praxis etwa das Realisieren von Synergien bei den bereits unter Rz. 17.17 erwähnten sog. Dual
17.53
Hutter | 629
§ 17 | High Yield Anleihen
Track (Börsengang und Trade Sale) Prozessen, da der für einen letztlich nicht zustande gekommenen Börsengang erstellte Prospekt als Grundlage für eine die Akquisition (mit)finanzierende High Yield Anleihe verwendet werden kann und im Wesentlichen nur um die High Yield spezifischen Abschnitte zu ergänzen ist.
3. Anleihebedingungen (Indenture) 17.54 Im Rahmen einer Anleiheemission bestehen zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern grundsätzlich keine direkten vertraglichen Beziehungen. In US-amerikanischem (d.h. New Yorker) Recht unterliegenden Anleihen sind die Anleihebedingungen in einer sog. Indenture enthalten, d.h. einem Vertrag zwischen dem Emittenten, dem Anleihetreuhänder (Trustee), der Zahlstelle, dem Sicherheitentreuhänder und ggf. weiteren Parteien, zu dem die Anleihegläubiger Drittbegünstigte sind.
17.55 Dagegen kennt das deutsche Recht eine Indenture im Sinne eines umfassenden Anleihe-
vertrags nicht. Unterliegt eine High Yield Emission dem deutschen Recht, so finden die wertpapierrechtlichen Vorschriften der §§ 793 ff. BGB Anwendung. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien wird bei deutschem Recht unterliegenden High Yield Anleihen in den Anleihebedingungen (Terms and Conditions) ausgestaltet, wobei sich die geschuldeten Leistungen und Einwendungen der Parteien nach §§ 793 und 796 BGB aus einer Urkunde ergeben müssen. Die Rechtsverbindlichkeit der Anleihebedingungen ergibt sich somit aus der die High Yield Anleihen verkörpernden Globalurkunde, der die Anleihebedingungen physisch beigefügt sind oder die auf andere Dokumente verweist, die den Anleihegläubigern zugänglich sind65.
17.56 Sowohl die Anleihebedingungen nach deutschem Recht als auch die Indenture nach US-
amerikanischem Recht enthalten neben den Hauptleistungspflichten des Emittenten (Rückzahlung und Zinszahlung) eine detaillierte Beschreibung der Anleihe, diverse Zusicherungen (Covenants)66, Bestimmungen hinsichtlich vorzeitiger Rückzahlungen (Prepayment) oder Rückkauf der Anleihe (Redemption), Bestimmungen über die Möglichkeit der Änderungen der Anleihebedingungen (Amendments and Waivers) sowie eine Auflistung der Verstöße des Emittenten, die zu einer Kündigung bzw. einer sofortigen Fälligstellung der Anleihe führen können (Events of Default).
4. Intercreditor Agreement 17.57 Im Kontext umfangreicher Finanzierungstrukturen, wie z.B. kombinierten Bank/Bond Fi-
nanzierungen, finden sich die vertraglichen Vereinbarungen der Rechtsbeziehungen zwischen den verschiedenen Gläubigerklassen und insbesondere die Rangsicherungsvereinbarungen im sog. Intercreditor Agreement67. In diesem Vertrag zwischen den verschiedenen Gläubigergruppen und sämtlichen Schuldnern innerhalb der Unternehmensgruppe des Emittenten wird insbesondere die Befriedigungsrangfolge (sog. Waterfall) im Insolvenzfall vertraglich festgeschrieben. Besonders bei LBOs, in denen die Erlöse aus der High Yield Emission dazu verwendet werden, das aufgenommene Akquisitionsdarlehen (oder 65 Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 31 f. 66 S. Rz. 17.67 ff. für eine ausführliche Beschreibung der Zusicherungen (Covenants). 67 Ausführlich hierzu Diem, Akquisitionsfinanzierungen, S. 230 ff.
630 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
einen Teil davon) vorzeitig zurückzuzahlen, wird die Rangfolge der Befriedigung der Verbindlichkeiten des Emittenten sowie der Garantiegeber für den Fall vertraglich geregelt, dass die jeweils vorgenommenen Zahlungen nicht ausreichen, um sämtliche fälligen Finanzverbindlichkeiten zu befriedigen. In der Regel müssen sich die nicht erstrangigen Gläubigergruppen (wozu historisch die High Yield Anleihegläubiger zählten) verpflichten, ihre Ansprüche nicht zwangsweise oder mit anderen Mitteln, wie z.B. Aufrechnung, durchzusetzen, wenn und solange die erstrangigen Gläubiger mit ihren fälligen Forderungen (noch) nicht befriedigt sind. Der Emittent verpflichtet sich im Intercreditor Agreement häufig, keine nachträgliche Bestellung von Sicherheiten zugunsten nachrangiger Gläubiger vorzunehmen (sog. Negative Pledge) oder andere Handlungen zu tätigen, die zu einer Rangveränderung der Gläubiger in Bezug auf die bestehenden Verbindlichkeiten des Emittenten führen68. Während es in der Vergangenheit üblich war, dass sich Gläubiger einer syndizierten Kreditfinanzierung gegenüber den High Yield Anleihegläubigern auf das durch die strukturelle Subordination geschaffene Rangverhältnis verlassen haben und vorrangig befriedigt wurden (s. Rz. 17.31 ff.), sieht die heutige Marktpraxis in fast allen Fällen vor, dass der die Interessen der High Yield Anleihegläubiger vertretende Anleihetreuhänder (Trustee oder gemeinsamer Vertreter bei Anleihen, die dem deutschen Recht unterliegen) Partei des Intercreditor Agreements wird. Das Intercreditor Agreement regelt auch die Details der in den letzten Monaten erstmals im Markt durchgesetzten Gleichbehandlung der Stimmrechte (Equal Voting Rights) für den Insolvenz- oder Verwertungsfall zwischen High Yield Anleihegläubigern und Gläubigern von großen Konsortialkrediten gemäß dem Prinzip „One Euro, One Vote“ (s. dazu Rz. 17.41). Das Intercreditor Agreement wird nach gängiger Marktpraxis im Offering Memorandum nur summarisch abgebildet, sodass den High Yield Anleihegläubigern die detaillierten Bestimmungen über die Rechte und Rangpositionen der einzelnen Gläubigergruppen eines High Yield Emittenten nicht bekannt sind. Es gab immer wieder Forderungen seitens der High Yield Anleihegläubiger, im Zusammenhang mit einer High Yield Emission eine Kopie des Intercreditor Agreements (wie auch des Facility Agreements großer syndizierter Bankdarlehen) zu erhalten. Es ist vom Einzelfall abhängig, ob und inwieweit dem gesteigerten Informationsbedürfnis der High Yield Anleihegläubiger seitens der anderen Marktteilnehmer Rechnung getragen werden wird69.
17.58
5. Sicherheitendokumente Bei besicherten High Yield Anleiheemissionen sind von einem Emittenten, je nach Umfang der Besicherung, in der Regel mehrere hundert Sicherheitenverträge und andere Sicherheitendokumente abzuschließen bzw. zu erstellen. Dazu gehören neben einem Sicherheitenpoolvertrag (der mit der unter Rz. 17.57 f. beschriebenen Gläubigervereinbarung verbunden werden kann) in der Regel Garantieverträge (bei US-amerikanischem Recht unterstellten High Yield Anleihen sind diese in der Indenture enthalten), Pfandverträge (z.B. über Gesellschaftsanteile, Konten) und Abtretungsvereinbarungen (z.B. von Forderungen) zumeist in mehreren Jurisdiktionen, zuzüglich umfassender damit in Zusammenhang stehender gesellschaftsrechtlicher Dokumente (z.B. Board Resolutions, Shareholders’ Resolutions, Powers-of-Attorney), Legal Opinions und Officers’ Certificates. Die Erstellung der verschie68 Balz, ZBB 2009, 401, 404; Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 335; s. dazu auch Rz. 16.58. 69 S. auch Euroweek, Financing Corporates Adapting to New Constraints on Capital, June 2012, S. 53.
Hutter | 631
17.59
§ 17 | High Yield Anleihen
denen Sicherheitenverträge (und der damit in Zusammenhang stehenden Legal Opinions) in den jeweiligen ausländischen Jurisdiktionen ist sehr zeitaufwändig, in einigen Ländern geprägt von sehr formalen Erfordernissen und bedarf auf jeden Fall einer frühzeitigen Abstimmung mit den involvierten Local Counsels70.
6. Weitere Vertragsbeziehungen 17.60 Für eine Beschreibung des Übernahmevertrags (Purchase Agreement), des Konsortialver-
trags (Agreement among Managers), der Zahlstellenvereinbarung (Paying Agency Agreement) und weiterer auch bei High Yield Anleihen üblicher Anleihedokumente, s. Rz. 16.26 ff. Daneben gibt es zusätzlich zu den oben bereits erwähnten noch eine Reihe von technischen Dokumenten, wie z.B. das Book-entry Registration Agreement, die Rule 144A und Regulation S Global Notes sowie diverse Dokumente im Zusammenhang mit der Abrechnung (dem Settlement) einer High Yield Emission, auf die hier aber nicht näher eingegangen wird.
7. Disclosure Letters und Comfort Letters 17.61 Im Unterschied zu einer „herkömmlichen“ Unternehmensanleihe wird im Zusammenhang
mit einem Offering Memorandum für eine High Yield Anleihe von den die Transaktion begleitenden Anwälten zumeist ein sog. Disclosure Letter nach dem amerikanischen Rule 10b-5-Standard des US Securities Exchange Acts von 1934 und von den Abschlussprüfern des Emittenten ein sog. Comfort Letter (in der Regel nach SAS 7271), verlangt (so auch gängige Praxis bei größeren internationalen Aktienplatzierungen, wobei je nach Struktur der Transaktion in vielen Fällen auch eine dem deutschen Standard angepasste Fassung der beiden Dokumente verwendet wird)72. Der Disclosure Letter enthält im Wesentlichen die Aussage, dass die von den begleitenden Anwälten durchgeführte Due Diligence Prüfung im Offering Memorandum keine wesentlichen falschen Aussagen, Auslassungen oder irreführenden Angaben hat erkennen lassen. Der Comfort Letter enthält im Wesentlichen eine Bestätigung, dass die im Offering Memorandum enthaltenen Finanzausweise und daraus abgeleiteten Zahlen entweder mit den testierten Abschlüssen übereinstimmen oder einer sog. Review unterzogen wurden73. Obwohl es sich beim Disclosure Letter und Comfort Letter an sich um weitgehend standardisierte und auf den ersten Blick recht einfache Dokumente handelt, sind die den darin enthaltenen Aussagen zugrunde liegenden Due Diligence Untersuchungen, Prüfungshandlungen und Plausibilisierungen immer sehr zeitund kostenaufwändig. Es empfiehlt sich daher, bereits möglichst zum Zeitpunkt der Strukturierung der geplanten High Yield Emission den gewünschten Inhalt dieser beiden Dokumente, die den die High Yield Emission begleitenden Konsortialbanken und anderen involvierten Parteien als formalisierte Due Diligence Verteidigung in einem etwaigen (insbesondere US-amerikanischen) Prospekthaftungsfall74 dienen, festzulegen.
70 Grundsätzlich zur Besicherung von Anleihen, s. Rz. 16.62 ff. 71 American Institute of Certified Public Accountants, Statements on Auditing Standards, No. 72, „Letters for Underwriters and Certain Other Requesting Parties“. 72 Vgl. Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 41 ff. 73 Ausführlich zum Comfort Letter vgl. Meyer, WM 2003, 1745, 1745 ff. 74 Hutter in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, 2001, S. 1147, 1156 f.
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High Yield Anleihen | § 17
V. Anleihetreuhänder (Trustee) und Gemeinsamer Vertreter Gestützt auf die Anleihebedingungen, welche die Leistungspflicht des Emittenten definieren, tritt ein Unternehmen als Anleihenehmer in Rechtsbeziehung mit einer Vielzahl von Geldgebern (d.h. den High Yield Anleihegläubigern). Die einzelnen Forderungsrechte sind hinsichtlich ihres Bestandes und ihrer Ausübung grundsätzlich voneinander unabhängig, können also jeweils von einem Anleihegläubiger für sich allein, ohne Mitwirkung der übrigen Anleihegläubiger, geltend gemacht werden. Nur wo das Gesetz oder die Anleihebedingungen ausdrücklich eine andere Regelung treffen, wird die individuelle Rechtsausübung durch kollektives Handeln überlagert.
17.62
Allerdings werden einzelne High Yield Anleihegläubiger in der Praxis oft nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen in der Lage sein, bestimmte Rechte aus den Anleihebedingungen (wie z.B. die Einhaltung der Covenants eines Emittenten und die Geltendmachung ihrer Rechte im Fall einer Verletzung derselben) wahrzunehmen bzw. durchzusetzen. Da die Anleihegläubiger im Rahmen des Sekundärhandels der Anleihe auch fortlaufend wechseln ist es aus praktischer Sicht notwendig, dass ein Dritter die Wahrung der Interessen der Anleihegläubiger sicherstellt75. Dies geschieht bei High Yield Anleihen nach US-amerikanischem Recht durch einen sog. Trust, der von einem Trustee verwaltet wird76.
17.63
Die Rechtsfigur des amerikanischen Trust, und somit auch einen Trustee, kennt das deutsche Recht in dieser Form nicht. Jedoch kann im Zusammenhang mit deutschem Recht unterliegenden Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz zur Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG), dem auch die üblicherweise von einem US-amerikanischen Trustee wahrgenommenen Aufgaben übertragen werden können. Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters dient der Vereinfachung und Verbesserung der Kommunikation zwischen dem Emittenten und den Anlegern. Insbesondere in Krisensituationen bzw. Restrukturierungsfällen kann ein gemeinsamer Vertreter die Verhandlungen der Gläubiger mit dem Emittenten führen und sichert dabei die Handlungsfähigkeit der Anleihegläubiger mit dem Ergebnis, dass diese mit einer Stimme sprechen. Die Bestellung des gemeinsamen Vertreters erfolgt entweder durch den Emittenten bei der Begebung der Anleihe in den Anleihebedingungen (sog. Vertragsvertreter77) oder zu einem späteren Zeitpunkt durch
17.64
75 Dass der Trustee zur Wahrung der Interessen der Anleihegläubiger handelt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Trustee keinesfalls als eigenständig handelnder Agent der Anleihegläubiger auftritt. Vielmehr handelt der Trustee in einem sehr detailliert definierten und technischen Gefüge von Aufgaben und Pflichten, bei deren Erfüllung er kein Ermessen (Discretion) ausübt. Dies dient nicht zuletzt der Haftungsvermeidung. Vgl. Plepelits, CFL 2010, 119, 122. 76 Bei einem amerikanischen Trust wird das Eigentum in wirtschaftliches und rechtliches Eigentum aufgeteilt. Der Trustee ist rechtlicher Eigentümer, während die Anleihegläubiger wirtschaftliche Eigentümer (Beneficiaries) sind. Das zu verwaltende Treugut der Anleihegläubiger wird von dem Trustee verwaltet. Vgl. auch Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 442; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 749 f.; für eine detaillierte Beschreibung des gemeinsamen Vertreters nach dem Schuldverschreibungsgesetz, s. Rz. 16.84 ff. 77 Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 2, 28 ff.; Wöckener in FK-SchVG, § 8 Rz. 1 ff.; s. auch Baums, ZBB 2009, 1, 2; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 62. Im Falle des Vertragsvertreters muss durch Auslegung ermittelt werden, ob es zu einem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Anleihegläubigern und dem gemeinsamen Vertreter kommt oder ob ein entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter besteht. Vgl. dazu Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 42 ff.
Hutter | 633
§ 17 | High Yield Anleihen
die Anleihegläubiger in einer Gläubigerversammlung (sog. Wahlvertreter78). Einen Wahlvertreter können die Anleihegläubiger allerdings nur dann bestellen, wenn der Emittent den Gläubigern dieses Recht in den Anleihebedingungen eingeräumt hat. Der gemeinsame Vertreter kann jederzeit von den Gläubigern mit einem Mehrheitsbeschluss ohne Angabe von Gründen abberufen werden79. Zudem kann der gemeinsame Vertreter den seiner Bestellung zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrag jederzeit, jedoch nicht zur Unzeit, ohne Angabe von Gründen kündigen80. Der gemeinsame Vertreter kann jede geschäftsfähige Person oder eine sachkundige81 juristische Person sein.
17.65 Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ist bei der Emission von High Yield An-
leihen besonders sinnvoll, da er z.B. Sicherheitenpoolverträgen mit kreditgebenden Banken des Emittenten beitreten kann und es den Anleihegläubigern dadurch ermöglicht wird, ggf. gleichrangig mit Darlehensgebern an Kreditsicherheiten zu partizipieren. Ohne den gemeinsamen Vertreter müsste andernfalls jeder Anleihegläubiger dem Sicherheitenpoolvertrag separat beitreten, was oftmals nicht möglich bzw. zumeist nicht praktikabel ist. Auch im Fall der Verwertung von Sicherheiten wird durch den Beitritt des gemeinsamen Vertreters zum Sicherheitenpoolvertrag das berechtigte Interesse der Anleihegläubiger in der Höhe des High Yield Anleihevolumens bei der Abstimmung entsprechend berücksichtigt. Dadurch wird die High Yield Anleihe, ohne strukturellen Nachrang, Teil der Fremdfinanzierungs- und Sicherheitenstruktur des Emittenten.
17.66 Ein Austausch des gemeinsamen Vertreters ist ohne Angabe von Gründen möglich (§ 7 Abs. 4 SchVG). Die durch den gemeinsamen Vertreter entstandenen Kosten und Aufwendungen (einschließlich der Vergütung des gemeinsamen Vertreters) trägt der Emittent (§ 7 Abs. 6 SchVG [ggf. i.V.m. § 8 Abs. 4 SchVG])82. Wenn in diesem Beitrag von Anleihetreuhänder die Rede ist, dann bezieht sich der Begriff – je nachdem ob die Anleihebedingungen US-amerikanischem oder deutschem Recht unterliegen – auf den Trustee oder auf den gemeinsamen Vertreter.
78 Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 2, 4 ff. Im Falle des Wahlvertreters entsteht ein entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Anleihegläubigern und dem gemeinsamen Vertreter. Die Vorschriften der §§ 662 ff. BGB sind anzuwenden, soweit das Schuldverschreibungsgesetz als lex specialis keine Sonderregelungen trifft. S. RGZ 90, 211, 214; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 26. 79 Vgl. Begr. RegE. SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 20; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 75; Wöckener in FK-SchVG, § 7 Rz. 32, 39 f. 80 Begr. RegE. SchVG, BT-Drucks. 16/12814, S. 20; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 77. 81 Zur Sachkunde s. Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, 157; Veranneman in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 6 ff.; Wöckener in FK-SchVG, § 7 Rz. 10. S. auch die Empfehlungen in den BVI/DVFA Standards, Ziffer 2. Quelle: http://www.dvfa.de/mediathek/standards/unternehmensanleihen.html oder https://www.bvi.de/regulierung/branchenstandards/corporate-bond-standards/. 82 Näher dazu Wöckener in FK-SchVG, § 7 Rz. 50 ff.
634 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
VI. Zusicherungen (Covenants) 1. Allgemeines Die wichtigsten Bestimmungen der Anleihebedingungen bzw. einer Indenture sind die vertraglichen Covenants83, die der Emittent für die Laufzeit der High Yield Anleihe den Anleihegläubigern gegenüber eingeht84. Ziel der Covenants ist es, das Interesse des Emittenten an einem gewissen operativen Handlungsspielraum und das seiner Gesellschafter an Ausschüttungen mit den Interessen der Anleihegläubiger an Sicherstellung einer nachhaltigen Liquidität (zur Bedienung der Anleihe) und an einer bevorzugten Befriedigung gegenüber den Gesellschaftern und anderen nachrangigen Gläubigern in Einklang zu bringen. Da, anders als bei einem syndizierten Darlehen, die Gläubiger einer High Yield Anleihe kein Recht auf die laufende Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen (z.B. Verhältnis von Net Debt zu EBITDA und EBITDA zu Zinsaufwendungen) haben, müssen sich der Emittent einer High Yield Anleihe und seine wichtigsten Tochterunternehmen (sog. Restricted Subsidiaries) einem Verhaltensregime unterwerfen, durch das der Substanzerhalt, die Sicherstellung einer definierten Liquidität über den Zeitraum der Anleihe, die Aufnahme weiterer Verbindlichkeiten und die relative Rangstellung gegenüber anderen Fremdkapitalgebern geregelt werden. Die einzelnen Covenants sind rechtstechnisch zumeist nach folgendem Muster aufgebaut: sie beginnen mit der Bestimmung, die den Emittenten in seiner Handlungsfreiheit einschränkt (Restrictive Language), dem schließen sich die Ausnahmen von diesen Einschränkungen an (Exceptions and Permissive Language) und parallel dazu enthalten die Anleihebedingungen eine Vielzahl an Definitionen, welche in aller Regel die wichtigsten Parameter für die Tragweite der jeweiligen Zusicherung enthalten.
17.67
2. Fortlaufende vs. ereignisbezogene Covenants Werden im Zusammenhang mit einem syndizierten Darlehen die fortlaufend überwachten Covenants (sog. Maintenance Covenants) nicht eingehalten, so kommt es zu einem Default, der die sofortige Fälligstellung aller ausstehenden Darlehensbeträge und das Verbot der Aufnahme weiterer Darlehen im Rahmen der eingeräumten Kreditlinie nach sich ziehen kann. Allerdings hat der Kreditnehmer in der Regel die Möglichkeit, durch Waivers, Stundungen und Standstill-Vereinbarungen die drohende Fälligstellung des Darlehens abzuwenden. Im Zuge der jüngsten Finanzkrise hat sich aber auch gezeigt, dass die Bereitschaft der Kreditgeber, auf die Einhaltung von Covenants zu verzichten, Waivers auszustellen oder Stundungen zuzustimmen und dadurch dem Kreditnehmer entgegenzukommen, tendenziell eher abgenommen hat. Dies ist unter anderem vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Syndizierung großer Konsortialkredite heute wesentlich mehr Banken involviert, als dies früher der Fall war (s. dazu auch Rz. 17.11).
83 Eine ausführliche Darstellung der typischen Covenants findet sich auch bei Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 431 ff.; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 759; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 116 ff.; Balz, ZBB 2009, 401, 405 ff.; Tresnowski/Nowak, The High Yield Offering – An Issuer’s Perspective, S. 39 ff. 84 Zur rechtlichen Einordnung der Covenants nach deutschem Recht s. Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 751 f.
Hutter | 635
17.68
§ 17 | High Yield Anleihen
17.69 Wie bereits erwähnt wird im Zusammenhang mit High Yield Anleihen die Einhaltung der
Covenants nicht laufend überwacht. Vielmehr findet eine Überprüfung des Vorhandenseins der in den Anleihebedingungen definierten relevanten Kennzahlen nur statt, wenn der Emittent bestimmte unternehmerische oder für die Bonität der Gesellschaft relevante Maßnahmen durchführen möchte, wie z.B. die Aufnahme zusätzlicher Verschuldung, der Erwerb oder die Veräußerung von Vermögenswerten und die Ausschüttung von Dividenden (sog. Incurrence Based Covenants). Im Ergebnis kann der Emittent von High Yield Anleihen daher den Erlös aus einer Emission grundsätzlich unabhängig von seiner wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung für die gesamte Laufzeit der Anleihe verwenden, solange er durch seine (unternehmerischen) Handlungen keine der in den Anleihebedingungen enthaltenen Covenants verletzt.
17.70 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Emittent einer High Yield Anleihe
verpflichtet ist, eine Verletzung von Covenants dem sog. Anleihetreuhänder umgehend zu melden. Darüber hinaus sehen die Anleihebedingungen für High Yield Anleihen üblicherweise vor, dass der Emittent eine jährliche Bestätigung darüber abzugeben hat, dass die in den Anleihebedingungen enthaltenen Covenants von ihm eingehalten wurden85.
3. Credit Circle 17.71 Die Covenants verpflichten zumeist nicht nur den Emittenten selbst, sondern auch aus-
gewählte Tochtergesellschaften (sog. Restricted Subsidiaries)86. Diese in der Regel wesentlichen Tochtergesellschaften werden dadurch in das Vertragsverhältnis mit den Anleihegläubigern einbezogen, sie befinden sich „Inside the Credit Circle“ (s. nachstehendes Schaubild Rz. 17.72)87. Diese Einbeziehung ist insbesondere dann notwendig, wenn der Emittent eine Holding-Gesellschaft ist und selbst keinen eigenen Kapitalfluss generiert, wie es etwa bei der strukturellen Subordination regelmäßig der Fall ist (s. dazu Rz. 17.32 f.). In diesem Fall ist die Befriedigung der Anleihegläubiger nämlich überwiegend abhängig von den in den Tochtergesellschaften erzielten Erträgen und davon, dass diese Erträge auch ungehindert an die Holding Gesellschaft (d.h. den Emittenten) fließen können. Die Anleihegläubiger bestehen daher in der Regel darauf, dass die Covenants nicht nur das Vermögen und die Bonität des Emittenten, sondern auch der ausgewählten wesentlichen Tochtergesellschaften schützen. Folgerichtig werden auch sämtliche Erträge und Vermögenswerte der Restricted Subsidiaries bei der Berechnung der einschlägigen Finanzkennzahlen (etwa im Rahmen der Incurrence Tests) berücksichtigt. Transaktionen zwischen dem Emittenten und den Restricted Subsidiaries, sowie zwischen den einzelnen Restricted Subsidiaries untereinander, sind grundsätzlich ungehindert möglich88. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Vermögen den Anleihegläubigern nicht entzogen wird, solange es sich nur innerhalb des Credit Circle bewegt. 85 Kenadjian in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 259 f.; Plepelits, CFL 2010, 119, 122. 86 Typischerweise beginnen die Covenants dementsprechend zumeist mit folgendem Wortlaut: „The Company will not and will not permit any of its Restricted Subsidiaries to …“. 87 Zumeist wird in den Anleihebedingungen definiert, dass alle Tochtergesellschaften die der Emittent mittelbar oder unmittelbar mehrheitlich kontrolliert, Restricted Subsidiaries sind, soweit sie nicht ausdrücklich aus diesem Kreis ausgenommen wurden (s. Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 330). 88 S. Whelan in Maxwell/Shenkman, Leveraged Financial Markets, S. 171, 182.
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High Yield Anleihen | § 17 Abbildung 2: Beispiel eines Credit Circle anhand einer fiktiven Unternehmensgruppe
Minderheitsgesellschafter 30 %
50 %
100 %
Restricted Subsidiary
% Joint Venture Partner
10
0%
Restricted Subsidiary/ Garantiegeber
„Inside the Credit“
Joint Venture
50
EMITTENT
17.72
Unrestricted Subsidiary
„Outside the Credit“
„Outside the Credit Circle“ befinden sich diejenigen verbundenen Unternehmen, die von den Covenants nicht erfasst werden (sog. Unrestricted Subsidiaries) sowie regelmäßig auch Joint-Venture-Unternehmen, an denen der Emittent beteiligt ist89. Die Anleihegläubiger haben weder einen vertraglichen Anspruch auf den Erhalt der Haftungsmasse in diesen Gesellschaften, noch darauf, dass die dort erzielten Erträge ungehindert an den Emittenten fließen. Entsprechend werden die von den Unrestricted Subsidiaries sowie den Joint-Venture-Unternehmen erzielten Erträge und Vermögenswerte auch nicht bei Beurteilung der oben genannten Finanzkennzahlen berücksichtigt. Mangels Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen der Unrestricted Subsidiaries unterliegen alle Transaktionen dieser Gesellschaften mit Gesellschaften, die sich Inside the Credit befinden, gemäß den Bestimmungen der Anleihebedingungen in der Regel einer besonders sorgfältigen Prüfung. Im Ergebnis gelten für solche Transaktionen die gleichen Einschränkungen wie bei Geschäften des Emittenten und den Restricted Subsidiaries mit Dritten90.
17.73
4. Covenant Package und Preisfindung In der Praxis besteht stets ein Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis von High Yield Emittenten, einerseits durch die in den Anleihebedingungen enthaltenen Covenants nicht allzu sehr in ihrer unternehmerischen Freiheit eingeschränkt zu werden und andererseits für die Anleihe den besten Preis (d.h. den niedrigst möglichen Zinssatz) zu erzielen. Die Qualität der in den Covenants enthaltenen Einschränkungen und Verhaltensvorschriften für den Emittenten hat einen direkten Einfluss auf die künftige Einschätzung der Bonität
89 Jedenfalls in den Fällen, in denen der Emittent keinen beherrschenden Einfluss auf das JointVenture-Unternehmen ausübt bzw. daran nicht mehrheitlich beteiligt ist, kommt ein Einbeziehen des Joint-Venture-Unternehmens in den Credit Circle kaum in Frage. 90 Zu diesen Einschränkungen s. Rz. 17.80 ff.
Hutter | 637
17.74
§ 17 | High Yield Anleihen
des Emittenten und damit auf das Rating der Anleihe91. Das Rating der Anleihe hat wiederum einen direkten Einfluss auf die Risikoprämie, die der Emittent den Anleihegläubigern zahlen muss. Der Katalog der vereinbarten Covenants, das sog. Covenant Package, steht demnach in einem wirtschaftlichen Verhältnis zum Zinssatz der Anleihe.
17.75 In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erwähnen, dass es in Bezug auf die Aus-
gestaltung der in High Yield Anleihebedingungen enthaltenen Covenants in ganz besonderem Maße auf Präzedenzfälle ankommt und sich der Markt beinahe sklavisch daran orientiert, was in den letzten Monaten bei vergleichbaren Transaktionen für vergleichbare Emittenten in einem vergleichbaren Marktumfeld vereinbart wurde. Um laufend über die aktuellen Entwicklungen der Ausgestaltung von Covenants bei High Yield Anleihen informiert zu sein, erstellen im High Yield Bereich erfahrene Investmentbanken und internationale Wirtschaftsanwaltskanzleien sog. Covenant Comparison Charts, d.h. tabellarische Gegenüberstellungen der einzelnen Covenants der Anleihebedingungen aller relevanten High Yield Emissionen der letzten Monate und Jahre.
17.76 Trotz Marktstandards und Preissensitivität muss der Katalog an Covenants für eine High
Yield Anleiheemission aber immer auch einer Einzelfallbetrachtung zugänglich sein und sich an den besonderen Bedürfnissen, operativen Gegebenheiten und der Geschäftsstrategie des Emittenten orientieren. Denn wie bereits erwähnt ist es eine der großen Herausforderungen für einen High Yield Emittenten, bereits zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe die in den nächsten 7 oder 8 Jahren möglicherweise notwendigen oder sinnvollen strukturellen operativen Veränderungen zu antizipieren und das Covenant Package daran auszurichten. In der Praxis erfordern der Erwerb oder die Veräußerung von Vermögenswerten, das Umhängen von Gesellschaften, das Eingehen von Joint Ventures und andere wesentliche operative Veränderungen während der Laufzeit einer High Yield Anleihe fast immer die detaillierte Befassung von externen Anwälten, die dann im Detail prüfen müssen, wie die vorgesehene Maßnahme strukturiert werden kann, um keine Covenants zu verletzen. Die bereits zum Zeitpunkt der Begebung der High Yield Anleihe bekannten oder zu erwartenden Maßnahmen und Transaktionen werden entweder von vornherein von allen Einschränkungen ausgenommen oder durch Schaffen entsprechender Freiräume (Carve-outs und Baskets) in den entsprechenden Covenants ermöglicht.
17.77 Für den Fall, dass der ursprünglich mit einem Non-Investment Grade Rating eingestufte
Emittent während der Laufzeit der High Yield Anleihe ein höheres (gar Investment Grade) Rating erhält, sehen Anleihebedingungen häufig vor, dass bestimmte Covenants (die an das Rating geknüpft wurden) weniger restriktiv werden oder ganz wegfallen. Die Anleihebedingungen sehen aber in diesen Fällen auch vor, dass bei einer erneuten Verschlechterung des Ratings die ursprünglichen restriktiveren Covenants wieder aufleben.
5. Ausgewählte Covenants a) Limitation on Indebtedness
17.78 Der Limitation on Indebtedness Covenant ist wahrscheinlich die wichtigste Zusicherung in
Anleihebedingungen für eine High Yield Emission. Er erlaubt eine Verschuldung des Emittenten (und der Restricted Subsidiaries) nur bis zu einer festgelegten Grenze. Grund-
91 So auch Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 749.
638 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
sätzlich ist eine weitere Verschuldung verboten, es sei denn, der Emittent hält gewisse Finanzkennzahlen ein. Die wichtigste Ausnahme vom Verbot der Neuverschuldung ist die Zulässigkeit von sog. Ratio Debt, d.h. der Aufnahme von neuen Fremdverbindlichkeiten solange ein bestimmtes Verhältnis von Net Debt zu EBITDA (Leverage Ratio) und EBITDA zu Zinsaufwendungen und anderen fixen Kosten (Interest Coverage Ratio oder Fixed Charge Coverage Ratio) eingehalten wird. Bei der Berechnung des Ratio Debt wird auf das konsolidierte EBITDA, d.h. die konsolidierte Nettoverschuldung und die konsolidierten Zinsaufwendungen abgestellt. Die Einhaltung der in den Anleihebedingungen enthaltenen Kennzahlen wird in der Regel auf Grundlage einer Pro-forma Betrachtung für die letzten vier Quartale und unter der Annahme, dass die neu aufzunehmende Verschuldung bereits am ersten Tag des zu betrachtenden Zeitraumes bestand, berechnet. Weitere Ausnahmen vom Verbot, neue Fremdverbindlichkeiten aufzunehmen (Permitted Debt) betreffen zumeist Verbindlichkeiten innerhalb des Credit Circle, Refinanzierungen bereits bestehender Verschuldungen, Verschuldung im Zusammenhang mit Akquisitionen (solange sich die Leverage und Interest Coverage Ratios unter Berücksichtigung der übernommenen Verschuldung nicht verschlechtern) sowie ein bestimmter Sockelbetrag (sog. Basket) an Fremdverbindlichkeiten, der unabhängig von anderen verfügbaren Ausnahmen jederzeit in Anspruch genommen werden kann.
17.79
b) Limitation on Restricted Payments Der Limitation on Restricted Payments Covenant schränkt den Emittenten und die Restricted Subsidiaries ein, den Anteilseignern des Emittenten Dividenden zu bezahlen und andere Ausschüttungen vorzunehmen. Gewinne sollen grundsätzlich thesauriert, und das Vermögen der Gesellschaft in der Gesellschaft belassen werden. Zulässig sind Dividendenzahlungen und Ausschüttungen grundsätzlich nur dann, wenn kein Verstoß gegen die Anleihebedingungen vorliegt, der Emittent nach einer Pro-forma Betrachtung (die die vorgesehene Zahlung berücksichtigt) noch einen Euro Ratio Debt aufnehmen kann und die kumulierten Ausschüttungen seit der Begebung der High Yield Anleihe 50 % der kumulierten Konzernergebnisse nicht übersteigen92. Daneben gibt es auch bei diesem Covenant bestimmte betragsmäßig definierte Carve-outs und Baskets, die dem Emittenten in der Regel unabhängig von den genannten Voraussetzungen zur Verfügung stehen93. 92 Vgl. Balz, ZBB 2009, 401, 406; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 432. 93 Nach deutschem Aktienrecht können Vorstand und Aufsichtsrat grundsätzlich allerdings nur über die Verwendung von 50 % des Jahresüberschusses entscheiden – nur diesen Betrag können sie höchstens in die anderen Gewinnrücklagen (freiwillige Rücklagen) einstellen (§ 58 Abs. 2 AktG i.V.m. § 173 AktG) und somit einer Ausschüttung entziehen, wie es der Covenant vorsieht. Über die Verwendung des nicht eingestellten Betrages (Bilanzgewinn i.S.d. § 158 Abs. 1 AktG) entscheidet hingegen die Hauptversammlung (§ 58 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die Satzung kann jedoch Vorstand und Aufsichtsrat ermächtigen, einen größeren oder kleineren Teil des Jahresüberschusses in die anderen Gewinnrücklagen einzustellen, vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 AktG. Diese Regelungen des Aktienrechts sind beim Erstellen des Limitation on Restricted Payments Covenants zu beachten. Soll der Emittent durch den Covenant dazu verpflichtet werden, mehr als 50 % des Jahresüberschusses zu thesaurieren, so muss die Satzung also eine entsprechende Regelung vorsehen. Tut sie dies nicht, so ist der Covenant des Emittenten schwebend unwirksam (§ 177 BGB). Eine entgegen den gesetzlichen Maßgaben erfolgte Thesaurierung führt zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG. Vgl. Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG, § 58 Rz. 46 m.w.N.; ausführlich zum aktienrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Limitation on Restricted Payments Covenant, s. Heitmann, High-Yield-Anleihen,
Hutter | 639
17.80
§ 17 | High Yield Anleihen
c) Limitation on Restrictions on Distributions from Restricted Subsidiaries
17.81 Der Limitation on Restrictions on Distributions from Restricted Subsidiaries Covenant
sorgt dafür, dass die in den Restricted Subsidiaries erwirtschafteten Erträge ungehindert an die Obergesellschaft fließen können. Relevant ist diese Bestimmung in besonderem Maße, wenn der Emittent eine Finanzierungsholding ist, selbst kein operatives Geschäft betreibt und daher auch keine eigenen Gewinne erwirtschaftet. In diesem Fall ist der Emittent zur Befriedigung der Ansprüche der Anleihegläubiger auf Zahlungen der operativen Untergesellschaften angewiesen. Aus diesem Grund verbietet dieser Covenant dem Emittenten und den Restricted Subsidiaries die entsprechenden Zahlungsströme zu blockieren. Aus ähnlichen Erwägungen sieht der Covenant auch vor, dass sich Restricted Subsidiaries keinen Beschränkungen unterwerfen, die ihnen untersagen, Darlehen an den Emittenten oder an andere Restricted Subsidiaries auszureichen oder Vermögenswerte auf diese zu übertragen.
17.82 Nicht erfasst von dem beschriebenen Verbot sind Restriktionen, die bereits zum Emis-
sionszeitpunkt bestanden sowie Restriktionen erworbener Gesellschaften, die zum Credit Circle gehören. Darüber hinaus dürfen sich Restricted Subsidiaries in der Regel im Rahmen einer Refinanzierung solchen Restriktionen erneut unterwerfen, die bereits im Zusammenhang mit der ursprünglichen Verbindlichkeit bestanden hatten, sowie Restriktionen im Zusammenhang mit der Aufnahme von weiteren Fremdverbindlichkeiten, die die Anleihegläubiger nicht schlechter stellen als Restriktionen anderer bereits bestehender Kreditinstrumente94. d) Limitation on Issuance and Sale of Capital Stock of Restricted Subsidiaries
17.83 Der Limitation on the Issuance and Sale of Capital Stock of Restricted Subsidiaries Covenant
untersagt es dem Emittenten, Anteile der Restricted Subsidiaries zu verkaufen oder in den Restricted Subsidiaries eine Kapitalerhöhung durchzuführen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Beteiligung des Emittenten nicht verwässert wird und nicht möglicherweise außenstehende Dritte Ansprüche auf Zahlungsströme der Restricted Subsidiaries erwerben. Eine Ausnahme besteht für Kapitalerhöhungen, bei denen die jungen Aktien ausschließlich vom Emittenten oder anderen Unternehmen innerhalb des Credit Circle gezeichnet werden. Darüber hinaus wird die Ausgabe stimmrechtsloser Aktien häufig von dem Verbot ausgenommen. e) Limitation on Issuance of Guarantees of Indebtedness by Restricted Subsidiaries
17.84 Der Limitation on Issuance of Guarantees of Indebtedness by Restricted Subsidiaries
Covenant untersagt es Restricted Subsidiaries, Garantien für Verbindlichkeiten des Emittenten abzugeben, die nicht gegenüber den Anleihegläubigern bestehen. Dieser Covenant ist insbesondere einschlägig, wenn die Restricted Subsidiaries nicht bereits Ansprüche der Anleihegläubiger garantieren (was aber zumeist der Fall ist, wenn der Emittent eine Holdinggesellschaft ist, kein operatives Geschäft betreibt und die Ansprüche der AnleihegläuS. 175 ff.; s. zudem Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 752 f.; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 436. 94 Zu den Ausnahmen der Restriktionen s. auch Strauch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, C.187 ff.; Balz, ZBB 2009, 401, 406; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 433.
640 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
biger daher strukturell nachrangig sind)95. Eine weitere Garantie gegenüber anderen Gläubigern des Emittenten würde dazu führen, dass die Anleihegläubiger mit den anderen Gläubigern um die Vermögenswerte der Restricted Subsidiaries konkurrieren. Eine Ausnahme wird häufig vereinbart für den Fall, dass die Restricted Subsidiaries Drittgläubigern nur nachrangige Garantien stellen. In manchen Fällen dürfen Restricted Subsidiaries gar keine Verbindlichkeiten aufnehmen, wenn sie nicht Garantiegeber gegenüber den Anleihegläubigern sind. In anderen Fällen muss der Emittent eine bestimmte Mindestgarantiequote (sog. Minimum Guarantor Coverage) aufrechterhalten. S. auch Rz. 17.22. f) Limitations on Transactions with Shareholders and Affiliates Der Limitations on Transactions with Shareholders and Affiliates Covenant soll den Emittenten und die Restricted Subsidiaries daran hindern, mit deren Gesellschaftern und verbundenen Unternehmen außerhalb des Credit Circle Geschäfte zu marktunüblichen Konditionen abzuschließen. Es soll vermieden werden, dass eine Gesellschaft des Credit Circle Vermögensgegenstände an Dritte veräußert, ohne dafür eine wertmäßig entsprechende marktübliche (at arm’s length) Gegenleistung zu erhalten. Dieser Covenant sieht häufig vor, dass ab einer bestimmten Größe der Transaktion sowohl die Geschäftsführung, als auch unabhängige Gutachter die Angemessenheit der Gegenleistung bestätigen müssen96.
17.85
g) Limitations on Liens Der Limitation on Liens Covenant untersagt es dem Emittenten und den Restricted Subsidiaries, für deren Verbindlichkeiten gegenüber anderen – im Verhältnis zu den High Yield Anleihegläubigern gleich- oder nachrangigen – Gläubigern Sicherheiten zu stellen. Der Limitation on Liens Covenant schützt somit die relative Rangposition der High Yield Anleihegläubiger gegenüber anderen Fremdkapitalgebern. Dazu gibt es eine Vielzahl von Ausnahmen (sog. Permitted Liens), wie z.B. gesetzliche Pfandrechte und Pfandrechte, die im Rahmen schon bestehender anderer Kreditinstrumente geschuldet werden. Zulässig ist zudem regelmäßig auch die Besicherung von Ansprüchen aus einer Refinanzierung, wenn die Altverbindlichkeit ebenfalls bereits besichert war und die neuen Pfandrechte an die Stelle der alten treten97.
17.86
h) Limitations on Asset Sales Der Limitation on Asset Sales Covenant beschränkt den Emittenten in der Möglichkeit, seine Vermögensgegenstände zu veräußern. Aus diesem Grund reglementiert der Asset Sales Covenant sowohl die Art der erforderlichen Gegenleistung als auch die Verwendung derselben. So muss der Emittent im Fall einer Veräußerung entweder Cash oder Cash Equivalents erhalten und zwar normalerweise i.H.v. 75 % des Verkaufspreises. Bezüglich der Verwendung des erzielten Erlöses verpflichtet sich der Emittent – zumeist für einen Zeitraum von einem Jahr nach der Veräußerung – die Mittel zur Tilgung vorrangiger Ver95 S. dazu unter Rz. 17.33, 17.35 ff. 96 Vgl. Wood, International Loans, Bonds, Guarantees, Legal Opinions, S. 264, Rz. 14-019. 97 Dazu auch Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 432; Balz, ZBB 2009, 401, 406. Auch das deutsche Aktienrecht sieht vor, dass eine Leistung der Gesellschaft an ihre Gesellschafter durch ein Äquivalent kompensiert sein muss (§ 57 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AktG) und dass anderenfalls eine verbotene Einlagenrückgewähr vorliegt.
Hutter | 641
17.87
§ 17 | High Yield Anleihen
bindlichkeiten einzusetzen. Daneben ist auch eine Reinvestition der Mittel in neue Vermögenswerte erlaubt. Ein nach Ablauf der Jahresfrist noch verbleibender Betrag muss in der Regel dazu verwendet werden, den Anleihegläubigern im Rahmen eines Tender Offers den (teilweisen) Rückkauf der High Yield Anleihe anzubieten. i) Reporting Covenant
17.88 Der Reporting Covenant verpflichtet den Emittenten dazu, die Anleihegläubiger periodisch
(in der Regel jährlich) über den wirtschaftlichen Stand des Unternehmens zu unterrichten. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung muss der Emittent einen Jahresbericht erstellen und veröffentlichen, der in Bezug auf die Geschäfts- und Finanzlage des Emittenten in etwa der Detaillierungstiefe der im Offering Memorandum enthaltenen Informationen entspricht (neben einer konsolidierten Jahresbilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Kapitalflussrechnung sind insbesondere auch Kennzahlen wie EBITDA zu aktualisieren). Darüber hinaus muss der Emittent häufig auch, allerdings weniger detaillierte, Quartalsberichte zur Verfügung stellen.
17.89 In der Praxis können die Berichtspflichten im Nachgang zu einer High Yield Emission für
den Emittenten mit nicht unwesentlichem Aufwand verbunden sein. Daher ist bei deren Ausgestaltung darauf zu achten, dass ein möglichst weit ausgeprägter Gleichklang zu den unabhängig von der Anleihe zu erstellenden periodischen Berichten des Emittenten (wie z.B. dem Geschäftsbericht) hergestellt werden kann. Börsennotierte Gesellschaften können (und sollten) soweit möglich auf die ohnehin gesellschaftsrechtlich und kapitalmarktrechtlich geschuldeten, und in der Regel auf der Website des Emittenten veröffentlichten, Unterlagen verweisen. j) Repurchase upon Change of Control
17.90 Der Repurchase upon Change of Control Covenant berechtigt die Anleihegläubiger, vom
Emittenten den Rückkauf der Anleihe zu verlangen, wenn ein Wechsel der Kontrolle über den Emittenten stattfindet (Change of Control Put). Der Grund dafür liegt in der Unsicherheit für die Anleihegläubiger, welche Änderungen in der Strategie oder Bonität des Emittenten – bis hin zu einem schlechteren Rating – mit einem Kontrollwechsel verbunden sein könnten98. Typischerweise verpflichtet sich der Emittent, die High Yield Anleihe für 101 % des Nominalwerts zurückzukaufen99. Während der relevante Prozentsatz, der den Kontrollwechsel auslöst, bei High Yield Anleihen von US Emittenten bei 50 % des Grundkapitals liegt, legen die Anleihebedingungen für High Yield Emissionen europäischer Emittenten hingegen die relevante Schwelle vorwiegend bereits bei 30 bis 35 % des Grundkapitals fest. Dem liegt der Umstand zugrunde, dass ab einem Aktienbesitz von 30 % ein Übernahmeangebot für alle Aktien eines deutschen High Yield Emittenten unterbreitet werden müsste (§§ 35 ff. WpÜG). Abhängig von der Aktionärsstruktur des Emittenten zum Zeitpunkt der High Yield Emission müssen von dem Change of Control Covenant möglicherweise bestimmte von Großaktionären gehaltene Aktienpakete ausgenommen werden (Carve Out), damit die Anleihegläubiger nicht von Anfang an einen Change of Control Put haben. 98 So auch Balz, ZBB 2009, 401, 408; Plepelits, CFL 2010, 119, 129. 99 Balz, ZBB 2009, 401, 408; Whelan in Maxwell/Shenkman, Leveraged Financial Markets, S. 171, 183.
642 | Hutter
High Yield Anleihen | § 17
k) Consolidation, Merger, Sale of Assets Der Consolidation, Merger, Sale of Assets Covenant beschränkt den Emittenten in der Möglichkeit, mit anderen Gesellschaften zu fusionieren oder einen ganz erheblichen Teil100 seines Vermögens zu veräußern. Da eine solche Transaktion erhebliche Auswirkungen auf die Bonität und das Rating des Emittenten haben kann, wird deren Zulässigkeit an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So verlangt der Merger Covenant häufig, dass der Emittent auch unter Einbeziehung der geplanten Transaktion noch gewisse Finanzkennzahlen aufweist – etwa dass das Unternehmen nach der geplanten Transaktion unter Einhaltung des Limitation on Indebtedness Covenants noch einen Euro an Ratio Debt (s. Rz. 17.78) aufnehmen könnte oder dass die Interest Coverage Ratio nach Durchführung der Transaktion nicht kleiner ist als die des Emittenten vor der Transaktion101. Darüber hinaus sieht der Merger Covenant häufig vor, dass nach Durchführung der Transaktion die „überlebende“ Gesellschaft ihren Sitz in den USA oder Europa haben muss und die Verbindlichkeiten der „alten“ Gesellschaft (d.h. des Emittenten) gegenüber den Anleihegläubigern übernimmt102.
17.91
VII. Änderungen der Anleihebedingungen 1. Amendments und Waivers Gut strukturierte und verhandelte Covenants finden die Balance zwischen dem Schutz der Bonität des Anleiheemittenten im Interesse der Anleihegläubiger und einem hinreichenden operativen Handlungsspielraum des Emittenten für die Laufzeit der Anleihe. Wie bereits erwähnt ist es aber eine der großen Herausforderungen für einen High Yield Anleiheemittenten, bereits zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe die in den nächsten 7 oder 8 Jahren möglicherweise notwendigen oder sinnvollen strukturellen operativen Veränderungen zu antizipieren und das Covenant Package daran auszurichten. Sollte es aber während der Laufzeit der Anleihe zu einem Erwerb oder einer Veräußerung von Vermögenswerten, zu einem Umhängen von Gesellschaften, zu einem Joint Venture oder einer anderen wesentlichen operativen Veränderungen kommen, die prima facie nicht in das vereinbarte Covenant Gefüge passt, müssen in der Praxis in der Regel zunächst externe Anwälte im Detail prüfen, wie die vorgesehene Maßnahme möglicherweise (um)strukturiert werden kann, um keinen Covenant zu verletzen. In Fällen, in denen die vorgesehenen operativen Maßnahmen mit den Covenants nicht in Einklang gebracht werden können, besteht zunächst die Möglichkeit, dass die Anleihegläubiger durch Mehrheitsentscheid beschließen, auf die Einhaltung bestimmter Covenants zu verzichten. Ein solcher Waiver kann entweder für die Zukunft (was ihn in Bezug auf die vorzunehmende Maßnahme gleichbedeutend mit einem Amendment der Anleihebedingungen macht) oder aber für die Vergangenheit erteilt werden (um eine bereits erfolgte Verletzung von Covenants zu heilen). Die Mehrheitserfordernisse für einen Waiver entsprechen in der Regel denen für ein Amendment.
17.92
Ist ein Waiver nicht beabsichtigt oder möglich müssen die Anleihebedingungen bzw. muss die Indenture abgeändert werden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Anleiheemit-
17.93
100 Dazu auch Plepelits, CFL 2010, 119, 128 (Fn. 80). 101 Vgl. Balz, ZBB 2009, 401, 407; Plepelits, CFL 2010, 119, 129. 102 Balz, ZBB 2009, 401, 407.
Hutter | 643
§ 17 | High Yield Anleihen
tent von bestimmten Pflichten oder Beschränkungen befreit wird. Die Mehrheitserfordernisse dafür hängen grundsätzlich von der Bedeutung der Änderung oder der Befreiung für die Anleihegläubiger ab103. In den meisten Fällen ist nur eine einfache Mehrheit der Anleihegläubiger (gemessen an den Nominalbeträgen zum Gesamtvolumen der High Yield Anleihe) erforderlich. Bei besonders wichtigen Entscheidungen, wie z.B. Änderungen des Nennbetrags der Anleihe, Änderungen des Zinskupons oder der Laufzeit der Anleihe, bei einer Stundung von fälligen Zahlungen oder einer Freigabe von Garantien oder anderen Sicherheiten, müssen in der Regel 90 % der Anleihegläubiger zustimmen104.
17.94 Offensichtliche Fehler, kleine Unstimmigkeiten in den Anleihebedingungen oder zwischen
den Anleihebedingungen und der im Offering Document enthaltenen Description of Notes können in vielen Fällen auch ohne die Zustimmung der Anleihegläubiger beseitigt werden. Gleiches gilt auch für Änderungen im Zusammenhang mit der Aufnahme oder Entlassung von Garantiegebern, der Bestellung oder Freigabe von Sicherheiten oder einem Austausch des Anleihetreuhänders, solange diese Maßnahmen im Einklang mit den Bestimmungen der Anleihebedingungen bzw. der Indenture stehen. Allerdings bedürfen auch diese Bereinigungen in den meisten Fällen der Kommunikation und rechts- bzw. vertragstechnischen Auseinandersetzung mit dem Anleihetreuhänder, was zeitaufwändig sein kann.
2. Consent Solicitation 17.95 Müssen die Anleihebedingungen geändert werden, oder sollen die Anleihegläubiger einem
Waiver zustimmen, muss der Emittent auf die Anleihegläubiger zugehen und eine diesbezügliche Entscheidung herbeiführen. Der Prozess, bei dem der Emittent das erforderliche Zustimmungsquorum der Anleihegläubiger herbeizuführen sucht, wird im US-amerikanischen Kontext als Consent Solicitation bezeichnet. Bei einer großen Zahl an Anleihegläubigern in verschiedenen Ländern mandatiert der Emittent in diesem Fall in der Praxis eine Bank (Solicitation Agent). Der Solicitation Agent berät den Emittenten betreffend die beste Strategie, um die Zustimmung der Anleihegläubiger zu erhalten, identifiziert die Anleihegläubiger und kommuniziert mit diesen bzw. steht für Fragen der Anleihegläubiger zu Verfügung.
17.96 Parallel dazu erstellen die externen Anwälte des Emittenten ein sog. Solicitation State-
ment, das an die Anleihegläubiger verteilt wird und in dem eine Beschreibung des dem Waiver zugrunde liegenden Sachverhalts, der vorgesehenen Änderung(en) der Anleihebedingungen, die vorgesehene Zahlung an die Anleihegläubiger und eine Beschreibung des Verfahrens der Abgabe der Zustimmung enthalten ist.
17.97 Eine Consent Solicitation erfordert üblicherweise eine Zahlung oder ein anderweitig wer-
tiges Zugeständnis an die Anleihegläubiger als Gegenleistung für die Erteilung deren Zustimmung. In diesem Zusammenhang müssen alle Anleihegläubiger gleich behandelt wer103 Vgl. Plepelits, CFL 2010, 119, 131. 104 Die Hauptleistungspflichten von Anleihen, die dem Trust Indenture Act of 1939 unterfallen, können gemäß Section 316(b) Trust Indenture Act sogar nur einstimmig geändert werden. Nach deutschem Recht erfordert die Änderung der Hauptleistungspflichten oder anderer wesentlicher Bestimmungen der Anleihebedingungen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG eine Zustimmung von mindestens 75 %, sofern die Anleihebedingungen einen Mehrheitsentscheid vorsehen. S. dazu Rz. 16.91 ff.
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High Yield Anleihen | § 17
den, wenngleich Emittenten typischerweise Anleihegläubigern eine Prämie für eine besonders zeitnahe Erteilung der Zustimmung (sog. „Early Bird“ Consent Fee) bezahlen. Es gibt keine rechtlich erforderliche Mindestfrist für den Zeitraum, in dem der Consent Solicitation Prozess stattfinden muss. Üblicherweise haben Anleihegläubiger bis zu 20 Tagen Zeit, um sich mit den vorgeschlagenen Verzichtserklärungen und Änderungen zu beschäftigen und die Zustimmung zu erteilen (oder zu versagen). Der gesamte Consent Solicitation Prozess kann, wenn gut vorbereitet und administriert, innerhalb eines Monats über die Bühne gehen105.
17.98
3. Änderungsbeschlüsse der Gläubiger gemäß Schuldverschreibungsgesetz Obwohl die Erwägungen der Consent Solicitation grundsätzlich auch dann Bestand haben, wenn die High Yield Anleihe deutschem Recht untersteht, so hat das novellierte Schuldverschreibungsgesetz insofern ein eigenes, autonomes Regime der Änderung von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger geschaffen106. Die Anleihegläubiger können ihre Beschlüsse entweder in der Gläubigerversammlung oder im Wege der Abstimmung ohne Versammlung fassen. Die Gläubigerversammlung kann von dem Anleiheschuldner oder von dem gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger einberufen werden bzw. ist einzuberufen, wenn die Anleihegläubiger ein besonderes Interesse an einer Einberufung haben. Ein solches liegt insbesondere vor, wenn die Anleihegläubiger einen gemeinsamen Vertreter bestellen oder abberufen wollen, oder eine zuvor erfolgte Kündigung der Schuldverschreibungen rückgängig gemacht werden soll, wobei es sich hierbei nicht um abschließende Gründe handelt und die Anleihebedingungen weitere Gründe vorsehen können. Die Gläubigerversammlung ist ferner einzuberufen, wenn die Schuldverschreibungen der einberufenden Anleihegläubiger mindestens fünf Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen. Das eigene Recht zur Einberufung der Gläubiger ist insbesondere von Bedeutung, wenn diese ein Interesse an der Versammlung haben, der Schuldner hingegen nicht.
17.99
Im Falle der Beschlussfassung ohne Versammlung erfolgt eine Aufforderung zur Stimmabgabe in Textform gegenüber dem Abstimmungsleiter, bei dem es sich um einen vom Schuldner beauftragten Notar, den gemeinsamen Vertreter oder eine vom Gericht bestimmte Person handeln kann. Die Abstimmung muss 14 Tage vorher angekündigt werden und mit der Aufforderung zur Stimmabgabe ist ein Zeitraum anzugeben, innerhalb dessen die Stimmen abgegeben werden können, wobei der Zeitraum mindestens 72 Stunden betragen muss. Zu jedem Gegenstand, über den entschieden werden soll, muss in der Tagesordnung ein Vorschlag zur Beschlussfassung gemacht werden und die Tagesordnung in entsprechender Weise bekannt gegeben werden. Bei Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinsichtlich aller Anleihegläubiger und unter der Voraussetzung, dass alle Anleihegläubiger realistischerweise davon Gebrauch machen können, ist im Zusammenhang mit einer Beschlussfassung ohne Versammlung auch nach deutschem Recht die sog. „Early Bird“ Consent Fee als mit § 6 Abs. 2 SchVG vereinbar anzusehen107.
17.100
105 Zur Consent Solicitation s. auch Plepelits, CFL 2010, 119, 131. 106 S. dazu Rz. 16.91 ff. und 16.100 ff. 107 Vgl. zu zulässigen Vorteilsgewährungen i.R.d. § 6 Abs. 2 SchVG auch Vogel in Preuße, SchVG, § 6 Rz. 23; ähnlich Schmidtbleicher in FK-SchVG, § 6 Rz. 35.
Hutter | 645
§ 17 | High Yield Anleihen
VIII. Rückkauf und Kündigung der Anleihe 1. Vorzeitiger Rückkauf (Early Redemption) 17.101
Grundsätzlich steht dem Emittenten einer High Yield Anleihe der Emissionserlös bis zum Ende der Laufzeit der Anleihe zur Verfügung, und er kann sie auch nicht vorher ablösen. Das ist für den Emittenten von Vorteil, wenn sich während der Laufzeit der Anleihe die Konditionen im Kapitalmarkt verschlechtern, Zinsniveaus steigen oder sich die Bonität des Emittenten verschlechtert. Für den Fall einer gegenläufigen Entwicklung, d.h. einer Verbesserung des Kapitalmarktumfelds oder sinkenden Zinsen, könnte der Emittent ein Interesse daran haben, die High Yield Anleihe vorzeitig zurückzuführen und sich im Markt günstiger zu refinanzieren. Gerade in einer solchen Situation laufen aber die Interessen des Emittenten den Interessen der High Yield Anleihegläubiger diametral entgegen, weshalb ein vom Emittenten einer High Yield Anleihe betriebener Rückkauf derselben nur unter bestimmten in den Anleihebedingungen im Detail festgelegten Bedingungen zulässig ist108.
17.102
Die meisten High Yield Anleihebedingungen sehen vor, dass ein Emittent in der Regel immer nur dann zur jederzeitigen Rückzahlung der Anleihe innerhalb der Laufzeit derselben berechtigt ist, wenn er die Anleihegläubiger durch Zahlen einer Prämie für Verluste entschädigt, die diesen aufgrund der Ausübung dieses Rückkaufsrechts entstehen. Der Preis für den jederzeitigen Rückkauf einer High Yield Anleihe setzt sich in der Regel aus dem Nennbetrag der Anleihe, einer Prämie bzw. einem Aufgeld von zumeist 1 % und den noch ausstehenden, abgezinsten Zinsen für die Restlaufzeit der Anleihe zusammen (sog. Net Present Value der Anleihe)109. Emittenten werden von diesem Rückkaufsrecht (sog. Make-whole Call) nur dann Gebrauch machen, wenn die Refinanzierung der High Yield Anleihe wegen gesunkener Marktzinsen oder eines besseren Ratings des Emittenten günstiger ist als die Kosten des Make-whole Calls110.
17.103
Darüber hinaus wird einem Emittenten von High Yield Anleihen in den Anleihebedingungen in der Regel auch das Recht eingeräumt, ab einem bestimmten Zeitpunkt (der sog. Non-call Period) den Bond zu bestimmten Preisen abzulösen, die regelmäßig in Abhängigkeit zur regulären Restlaufzeit der Anleihe gestaffelt sind (sog. Fixed-price Call). Die Non-call Period für einen Fixed-price Call beträgt in der Regel 3 bis 5 Jahre111. Die Prämie (sog. Call Premium) beträgt im ersten Jahr der Kündigungsmöglichkeit häufig 50 % des Kupons und reduziert sich zu den Folgeterminen stufenweise. Am letzten Rückkauftermin kann die Anleihe vom Emittenten in der Regel zum Nennbetrag zurückgekauft werden112. Wirtschaftlich führt diese Bestimmung dazu, dass insbesondere institutionelle Anleger bei entsprechender Marktzinsentwicklung (d.h. bei niedrigen Refinanzierungskosten) von einem Fixed-price Call des Emittenten ausgehen113. 108 Balz, ZBB 2009, 401, 408; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434. 109 Zur Berechnung des Net Present Value, s. Plepelits, CFL 2010, 119, 132 (Fn. 109). 110 American Bar Foundation, Commentaries on Model Debenture Indenture Provisions, S. 475; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 106 f.; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434. 111 Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 748; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 106; Strauch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, C.178; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434. 112 Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 748; Heitmann, High-Yield-Anleihen, S. 106; Strauch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, C.178; Kilgus in Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshdb. Aktienrecht, § 49 Rz. 40. 113 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434.
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High Yield Anleihen | § 17
Häufig sehen die Anleihebedingungen auch die Möglichkeit eines vorzeitigen Rückkaufs eines Teils der High Yield Anleihe (üblicherweise bis zu maximal 35 %) für den Fall vor, dass der Emittent durch die Ausgabe von jungen Aktien neues Eigenkapital aufgenommen hat (sog. Equity Clawback)114. In diesen Fällen werden die Mittel aus der Eigenkapitalaufnahme zur Rückführung eines Teils der High Yield Anleihe verwendet, zuzüglich der Bezahlung eines Call Premiums. Eine weitere Möglichkeit des Emittenten, die High Yield Anleihe vorzeitig zurückzuzahlen besteht im Falle bestimmter Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen (sog. Tax Redemption).
17.104
2. Tender Offer und Exchange Offer Alternativ zu den oben beschriebenen Optionen zum vorzeitigen Rückkauf der High Yield Anleihe kann ein Emittent den Anleihegläubigern ein öffentliches Rückkaufangebot gegen Barzahlung unterbreiten (sog. Tender Offer), nach dessen erfolgreicher Durchführung die Anleihe und alle darin enthaltenen Covenants und anderweitigen Beschränkungen wegfallen. Je nachdem zu welchem Kurs die High Yield Anleihe zuletzt gehandelt hat, kann der öffentliche Rückkauf einer High Yield Anleihe kostengünstiger sein als die Ausübung eines Make-whole oder Fixed-price Calls.
17.105
In Betracht kommt auch, dass der Emittent als Gegenleistung für die „alten“ High Yield Anleihen neue High Yield Anleihen zum Tausch anbietet (sog. Exchange Offer), deren Anleihebedingungen weniger restriktive Covenants und ggf. andere Erleichterungen für den Emittenten enthalten115. Ein Tender Offer und ein Exchange Offer können auch in Kombination miteinander vorkommen, wenn ein Teil der „alten“ High Yield Anleihen in Bar abgegolten und ein Teil durch neue High Yield Anleihen ersetzt wird. Üblicherweise verbindet ein Emittent ein Tender Offer und ein Exchange Offer auch mit einer Consent Solicitation (s. Rz. 17.5 ff.), wonach die High Yield Anleihegläubiger durch die Zustimmung zum Umtausch der Anleihe gleichzeitig ihre Zustimmung (sog. Exit Consent) zu dem weniger restriktiven Covenant Package geben (dieses Vorgehen nennt man im High Yied Jargon auch Covenant Stripping). Ein Tender Offer gegen Barzahlung kann mit einer recht einfach zu erstellenden Angebotsunterlage (sog. Offer to Purchase) durchgeführt werden, während ein Exchange Offer – da eine neue High Yield Anleihe angeboten wird – in der Regel die Erstellung eines umfassenden Offering Memorandums erfordert. Auch nimmt die Durchführung eines Exchange Offers wesentlich mehr Zeit in Anspruch als etwa eine Consent Solicitation, da neben der Erstellung einer weitaus umfangreicheren Dokumentation auch bestimmte Vorschriften in Bezug auf die Dauer der Angebotsfrist bzw. andere Modalitäten der Durchführung eines Exchange Offers eingehalten werden müssen.
17.106
3. Defeasance; Satisfaction and Discharge Die High Yield Anleihebedingungen bzw. eine Indenture nach New Yorker Recht räumt dem Emittenten in der Regel zudem zwei weitere Möglichkeiten ein, sich bestimmter bzw. aller Verpflichtungen aus den Anleihebedingungen ohne Zustimmung der Anleihegläubi114 Fabozzi/Mann/Wilson in Fabozzi, The Handbook of Fixed Income Securities, S. 335; Kusserow/Dittrich, WM 2000, 745, 748; Harrer/Fisher, FB 2003, 781, 788. 115 Plepelits, CFL 2010, 119, 132.
Hutter | 647
17.107
§ 17 | High Yield Anleihen
ger zu entledigen, selbst wenn dem Emittenten kein ordentliches Kündigungsrecht zusteht: die sog. Defeasance und die Satisfaction and Discharge116. Beide Fälle erfordern die Hinterlegung von Beträgen bei einem Treuhänder, die in mündelsicheren Wertpapieren, zumeist Bundesobligationen, angelegt werden; der Emittent hat nach Hinterlegung der Wertpapiere keinen Zugriff auf das entsprechende Treuhandkonto. Die Zahlungsströme aus den Wertpapieren müssen dabei ausreichen, um Zinsen, Kapital und eine allfällige Vorfälligkeitsentschädigung auf die zu kündigende High Yield Anleihe bis zum Fälligkeitstag bzw. bis zu dem Tag, an dem eine ordentliche Kündigung erstmals möglich ist, zu bedienen.
17.108
Bezüglich der Rechtsfolgen unterscheidet man bei der Defeasance zwischen der sog. Legal Defeasance und der Covenant Defeasance. Im Falle einer Legal Defeasance erlöschen alle Verpflichtungen des Emittenten und allfälliger Garantiegeber gemäß den Anleihebedingungen und der Anleihe, wohingegen im Falle einer Covenant Defeasance nur bestimmte Covenants, insbesondere die Financial Covenants, erlöschen, die Verpflichtung zur Bedienung der Anleihe jedoch bestehen bleibt. Die Durchführung einer Defeasance setzt typischerweise die Einholung eines Gutachtens voraus, welches bestätigt, dass die Defeasance keine nachteiligen steuerlichen Auswirkungen auf die Anleihegläubiger hat. Da bei den derzeit geltenden Steuergesetzen in Deutschland, den USA und zahlreichen anderen Staaten ein solches Gutachten nur im Falle einer Covenant Defeasance möglich ist, hat die Legal Defeasance derzeit keine praktische Bedeutung. Die Rechtsfolgen einer Satisfaction and Discharge, die zwar nicht die Abgabe eines steuerrechtlichen Gutachtens voraussetzt, üblicherweise allerdings nur innerhalb eines Jahres vor dem erstmöglichen Rückzahlungstag durchgeführt werden kann, sind im Einzelfall unterschiedlich ausgestaltet. Sie reichen vom Wegfall der Financial Covenants (ähnlich der Covenant Defeasance) bis zum vollständigen Erlöschen aller Verpflichtungen des Emittenten gemäß der Anleihebedingungen und der Anleihe (ähnlich der Legal Defeasance). Aufgrund der jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen wird eine frühzeitige Einbeziehung der Wirtschaftsprüfer des Emittenten empfohlen, um die bilanzielle Behandlung einer Defeasance bzw. einer Satisfaction and Discharge zu klären (insbesondere ob die Kriterien nach IAS 39 erfüllt sind).
17.109
Das Instrument der Defeasance bzw. der Satisfaction and Discharge wird üblicherweise eingesetzt, um dem Emittenten bestimmte (finanzierungs-)strukturelle Änderungen, wie eine Verschmelzung oder eine Refinanzierung, zu ermöglichen, die gemäß der Anleihebedingungen nicht zulässig wären. Der Vorteil der Defeasance bzw. der Satisfaction and Discharge gegenüber einem öffentlichen Rückkaufangebot (Tender Offer) oder der Einholung der Zustimmung der Anleihegläubiger zu einer Änderung der Anleihebedingungen (Consent Solicitation) liegt insbesondere in der zeitlichen Flexibilität117 und in der Durchführungssicherheit118.
116 In Deutschland etwa im Falle der 270 Mio. Euro 81/ 2 % Senior Notes 2004–2012 der SGL Carbon Luxembourg S.A. 117 Für ein Tender Offer bzw. eine Consent Solicitation ist u.a. die Erstellung eines Angebotsdokuments – Offer to Purchase bzw. Consent Solicitation Statement – erforderlich, sowie ein Zeitraum von mindestens vier Wochen einzuplanen. 118 Im Falle eines Tender Offers bzw. einer Consent Solicitation besteht ein gewisses Risiko, dass u.U. nicht die notwendige Mehrheit der Anleihegläubiger für eine Änderung der Anleihebedingungen erreicht wird.
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High Yield Anleihen | § 17
4. Events of Default Die Events of Default fassen die Fälle zusammen, welche die Fälligstellung (Acceleration) aller aus den High Yield Anleihen ausstehenden Verbindlichkeiten zur Folge haben oder haben können. Dazu gehören vor allem bestimmte Verletzungen der Anleihebedingungen durch den Emittenten (sog. Default) wie das Nichtleisten fälliger Zahlungen, die Verletzung bestimmter Covenants oder die Nichterfüllung bestimmter Verpflichtungen für den Fall eines Kontrollwechsels. Auch der Zahlungsverzug in Bezug auf Ansprüche anderer Fremdkapitalgeber des Emittenten kann zur Fälligkeit der High Yield Anleihe führen (sog. Drittverzugsklausel oder Cross Default Clause)119, ebenso wie die Insolvenz des Emittenten, eines Restricted Subsidiaries oder der Wegfall eines Garantiegebers.
17.110
Nicht jeder Default begründet zugleich auch einen Event of Default. So führt regelmäßig die Verletzung „einfacher“ Covenants nicht automatisch zur sofortigen Fälligkeit der Anleihe. Vielmehr sehen die High Yield Anleihebedingungen für den Fall der Verletzung von Covenants typischerweise ein außerordentliches Kündigungsrecht vor, das entweder vom Anleihetreuhänder oder von den Anleihegläubigern selbst ausgeübt wird120. In diesen Fällen sehen die Anleihebedingungen normalerweise vor, dass eine Fälligstellung wegen Verletzungen von Covenants erst in Frage kommt, wenn der Anleihetreuhänder oder 25 % der Anleihegläubiger die Verletzung gegenüber dem Emittenten gerügt haben und der Emittent den Verstoß gegen den jeweiligen Covenant innerhalb einer bestimmten Frist, die in der Regel 30 bis 60 Tage beträgt, nicht behoben hat (sog. Grace Period)121. Demgegenüber führt die Verletzung einiger bestimmter Bestimmungen der Anleihebedingungen – wie z.B. das Ausbleiben fälliger Zahlungen – oder besonders gewichtiger Covenants zur sofortigen Fälligstellung aller aus der High Yield Anleihe ausstehenden Verbindlichkeiten.
17.111
Damit ein Anleihetreuhänder (und über ihn die Anleihegläubiger) überhaupt von einem Verstoß gegen Covenants in Kenntnis gesetzt wird, sehen die Anleihebedingungen bzw. die Indenture für eine High Yield Emission immer eine Verpflichtung des Emittenten vor, dem Anleihegläubiger Verstöße gegen die Anleihebedingungen unverzüglich anzuzeigen. Der Anleihetreuhänder muss diese Informationen dann an die Anleihegläubiger weiterleiten122. Die tatsächliche Fälligkeit einer High Yield Anleihe tritt in der Regel erst dann ein, wenn der Anleihetreuhänder oder 25 % der Anleihegläubiger nach Erfüllung der in den Anleihebedingungen enthaltenen (und oben beschriebenen) formalen Erfordernisse die Fälligkeit derselben erklären.
17.112
Darüber hinaus kommen im Falle einer Verletzung der Anleihebedingungen, insbesondere der Covenants, grundsätzlich auch vertragliche Schadensersatzansprüche der Anleihegläubiger gegen den Emittenten in Betracht, wobei es in der Praxis schwierig sein kann, einen Schaden zu beziffern und nachzuweisen123.
17.113
119 Dazu auch Rz. 16.75 ff. 120 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 434 f.; für eine ausführliche Diskussion der Kündigungsrechte von Anleihegläubigern (Events of Default), s. Rz. 16.72 ff. 121 Whelan in Maxwell/Shenkman, Leveraged Financial Markets, S. 171, 191; Balz, ZBB 2009, 401, 409; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429, 435. 122 Plepelits, CFL 2010, 119, 122; Kenadjian in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 259 f. 123 So auch Plepelits, CFL 2010, 119, 130.
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§ 18 Hybridanleihen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Motive für die Emission von Hybridanleihen . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufnahme „wirtschaftlichen Eigenkapitals“ . . . . . . . . . . . . . 3. Bilanzieller Eigenkapitalausweis nach IFRS . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerlich effiziente Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals . . . a) Ertragsbesteuerung . . . . . . . . . aa) Beteiligung am Liquidationserlös . . . . . . . . . . . . bb) Gewinnabhängigkeit von Zinszahlungen . . . . . . . . . b) Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . 5. Corporate Governance-Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
_ __ _ _ __ _ __ _
18.1 18.3 18.3 18.4 18.7
18.13 18.13 18.15 18.16 18.17 18.18
III. Typische Gestaltungsmerkmale . . 1. Langfristigkeit der Mittelüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Laufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss des InvestorenKündigungsrechts . . . . . . . . . c) Kündigungsrechte des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zinsaufschub und alternative Zinszahlungsmechanismen . . . . . 3. Nachrangigkeit, Besicherung und Aufrechnung . . . . . . . . . . . 4. Teilnahme an laufenden Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verpflichtung zur Zuführung vergleichbaren Eigenkapitals bei Kündigung . . . . . . . . . . . . . . .
_ __ _ _ _ _ _ _
18.19 18.19 18.19 18.21 18.23 18.26 18.30 18.33 18.34
Schrifttum: Angerer, Ausschüttungen auf Genussrechte als Betriebsausgaben, Anmerkung zu BFH v. 19.01.1994 – I R 67/92, DStR 1994, 651; Coenen/Silvanus, Hybridanleihen als Finanzierungsinstrument – ein Praxisbericht, CFL 2011, 188; Dreyer/Herrmann, Die Besteuerung von Aktien-, Wandel- und Umtauschanleihen, BB 2001, 705; Ekkenga, Wertpapier-Bedingungen als Gegenstand richterlicher AGBKontrolle?, ZHR 160 (1996), 59; Fest, Anleihebedingungen: Rechtssicherheit trotz Inhaltskontrolle, 2018; Gosch, Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl. 2015; Görtz, Die aktien- und steuerrechtliche Qualifikation von Hybrid-Anleihen – oder der Genussrechtstest, 2008; Groh, Eigenkapitalersatz in der Bilanz, BB 1993, 1882; Gündel/Hirdes, Mezzanine-Kapital zur Bilanzoptimierung und bankenunabhängigen Unternehmensfinanzierung, BC 2005, 205; Hopt, Änderungen von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG –, FS Steindorff, 1994, S. 341; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, 1993; Kessler/Kröner/Köhler (Hrsg.), Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008; Loritz, Die Immobilien-Aktiengesellschaft mit Genussschein – eine innovative Anlageform, DStR 2000, 77; Lutter, Genußrechtsfragen – Besprechung der Entscheidungen BGH ZIP 1992, 1542 (Klöckner) und BGH ZIP 1992, 1728 (Bremer Bankverein), ZGR 1993, 291; Müller-Eising/Bode, Zivilrechtliche Probleme bei der Emission „ewiger Anleihen“, BKR 2006, 480; Nölling/Jendruschewitz, Hybrid-Anleihen: Dauerhafte Alternative in der Unternehmensfinanzierung?, FB 2006, 435; von Randow, Anleihebedingungen und Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes, ZBB 1994, 23; Rudolph, Eigenkapitalanforderungen in der Bankenregulierung, ZHR 175 (2011), 284; Rüßmann/Vögtle, Hybride Industrieanleihen – Analyse des Finanzierungsinstruments im Spannungsfeld steuerlicher, bilanzieller und ratingrelevanter Gesichtspunkte vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktsituation, CFB 2010, 205; Schaber/Isert, Bilanzierung von Hybridanleihen und Genussrechten nach IFRS, BB 2006, 2401; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, Aktuelle Entwicklungen bei Hybridanleihen, CFL 2011, 105; Uhlenbruck (Hrsg.), Insolvenzverordnung, 4. Aufl. 2009; Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Band, 7. Auflage 2016; Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Band, 7. Aufl. 2016; Sester, Hybrid-Anleihen: Wirtschaftliches Eigenkapital für Aktiengesellschaften, ZBB 2006, 443; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997; Wiese/Dammer, Zusammengesetzte Finanzinstrumente der AG, DStR 1999, 867; Wittig, Rangrücktritt – Antworten und offene Fragen nach dem Urteil des BGH vom 8.1.2001, NZI 2001, 169; Wolf, Anlegerschutz durch Inhaltskontrolle von Emissionsbedingungen bei Kapitalmarkttiteln, FS Zöllner, 1998, S. 651.
650 | Gleske
Hybridanleihen | § 18
I. Einführung „Hybridkapital“ ist ein Sammelbegriff für Finanzierungsformen, die Merkmale von Fremdund Eigenkapital miteinander kombinieren. „Hybridanleihen“ sind Schuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB, Rz. 18.22), durch deren Emission Unternehmen sich auf schuldrechtlicher Grundlage Finanzierungsmittel beschaffen, die aus Sicht der Geber konventionellen Fremdkapitals wenigstens partiell die Funktion von Eigenkapital erfüllen und bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen (s. dazu Rz. 18.7–18.12) von dem Unternehmen auch bilanziell als Eigenkapital ausgewiesen werden können. Dies unterscheidet Hybridanleihen von Wandelanleihen, die zwar teilweise ebenfalls als „hybride Instrumente“ bezeichnet werden1, deren Hybridität sich jedoch darauf beschränkt, dass sich ursprüngliche Fremdkapitalmittel durch Ausübung eines Wandlungsrechts in Aktien und somit in Eigenkapital umwandeln. Während Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen bereits seit langem regulatorisches Eigenkapital durch Hybridinstrumente am Kapitalmarkt aufnehmen2, hat sich der Markt für Hybridanleihen nicht-regulierter Unternehmen erst seit dem Jahr 2005 – dafür dann aber sehr dynamisch – entwickelt3. Nach einem Rückgang der Emissionstätigkeit während der Finanzmarktkrise erfreuen sich Hybridanleihen seit 2010 wieder größerer Beliebtheit und dürften heute als auf dem deutschen Kapitalmarkt etabliert gelten4.
18.1
Als Instrumente des öffentlichen Kapitalmarkts müssen Hybridanleihen liquide handelbar sein. Die Mindestemissionsvolumina bewegen sich deshalb bei 50 Mio. Euro, so dass bislang vor allem große kapitalmarktorientierte Unternehmen von dieser Finanzierungsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben5. Mit dem Landmaschinenhersteller Claas KGaA mbH
18.2
1 So etwa Leopold/Schröter, Rz. 10.1–10.4; ebenso Wiese/Dammer, DStR 1999, 867 sowie Dreyer/ Herrmann, BB 2001, 705, die von „hybriden Instrumenten“ bzw. „Equity-linked Notes“ sprechen. 2 Etwa durch die Emission von Nachranganleihen, die die Anforderungen von Art. 51 CRR („Additional Tier-1-Capital“), Art. 62 („Tier-2-Capital“) oder § 89 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 91 ff. VAG erfüllen. 3 Eingehend Görtz, S. 23 ff. m.w.N. 4 Unsicherheiten ergaben sich vor allem aufgrund der hohen Marktvolatilität. Hinzu trat, dass einige Emittenten entgegen der Anlegererwartungen nicht zum erst möglichen Kündigungstermin von ihrem Kündigungsrecht zum Zweck der Rückzahlung von Hybridanleihen Gebrauch gemacht haben. Seit einigen Jahren gelten Hybridanleihen hingegen wieder als attraktive Alternative, vgl. Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105, 106 m.w.N. Für eine ausführliche Analyse der Emission RWE AG (2010), Fn. 4, s. Coenen/Silvanus, CFL 2011, 188 (attraktive Zinserwartungen, Risikobereitschaft der Investoren, erhöhter (Re-)Finanzierungsbedarf der Unternehmen). 5 Z.B. Südzucker AG 700 Mio. Euro Undated Fixed to Floating Rate Bonds (Juni 2005); Bayer AG 1,3 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Callable Bonds due 2105 (Juli 2005); Henkel KGaA 1 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Callable Bonds due 2104 (November 2006); Dr. Ing. F. Porsche AG 1 Mrd. US$ Undated Subordinated Fixed Rate Securities (Januar 2006); Linde AG 1,05 Mrd. Euro Fixed to Floating Rate Subordinated Bonds (Juli 2006); Siemens AG 2,3 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Bonds (September 2006); RWE AG 1,75 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Notes (Sept. 2010); EnBW Energie BadenWürttemberg AG 750 Mio. Euro Subordinated Resettable Fixed Rate Notes due 2072 (Oktober 2011; Aufstockung um 250 Mio. Euro im März 2012); Bayer AG 1,75 Mrd. Euro Subordinated Resettable Fixed Rate Notes due 2075 und 1,5 Mrd. Euro Subordinated Resettable Fixed Rate Notes due 2074 (Juni 2014); Merck KGaA 1,5 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Reset Rate Notes due 2074 (Dezember 2014); Deutsche Börse AG 600 Mio. Euro Subordinated Resettable Fixed
Gleske | 651
§ 18 | Hybridanleihen
war allerdings ein großes mittelständisches Familienunternehmen der erste deutsche Emittent überhaupt, der eine auf Grundlage von IAS 32 als Eigenkapital anerkannte Schuldverschreibung begeben hat6. Seitdem haben auch andere grundsätzlich nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen Hybridanleihen in mitunter sehr innovativen Strukturen emittiert7.
II. Motive für die Emission von Hybridanleihen 1. Überblick 18.3
Die Motive für den Einsatz von Hybridanleihen in der Finanzierungsstruktur eines Unternehmens sind vielschichtig. Im Vordergrund steht das Bestreben, Kapitalbedarf ohne oder bei nur moderater Erhöhung des wirtschaftlichen Verschuldungsgrades zu decken und so die Fähigkeit des Unternehmens zur Aufnahme zusätzlicher und preiswerter konventioneller Fremdmittel zu verbessern. Die Hybridanleihe optimiert die Kapitalstruktur eines Unternehmens nur dann, wenn ihre positiven Auswirkungen auf die Konditionen der Fremdmittelaufnahme die aufgrund ihrer eigenmittelähnlichen Ausgestaltung höheren Finanzierungskosten überkompensieren. Abhängig von ihrer Ausgestaltung kommt auch ein bilanzieller Eigenkapitalausweis der Hybridanleihe in Betracht. Darüber hinaus ist die Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals über Hybridanleihen gegenüber der Aufnahme „echten“ Eigenkapitals vorteilhaft, wenn der entstehende Zinsaufwand steuerlich abzugsfähig ist. Schließlich erlauben Hybridanleihen die Beschaffung eigenkapitalähnlicher Finanzierungsmittel ohne Eingriffe in die bestehende Gesellschafterstruktur des finanzierten Unternehmens.
2. Aufnahme „wirtschaftlichen Eigenkapitals“ 18.4
Die Ausgabe einer Hybridanleihe ist nur dann sinnvoll, wenn die aufgenommenen Mittel aus Sicht der Fremdkapitalgeber des Emittenten (vor allem Banken, aber auch vorleistenden Lieferanten und Kunden) wenigstens teilweise die Garantiefunktion von Eigenkapital erfüllen, indem sie eine zusätzliche Risikounterlage ihrer Forderungen bilden. Nur dann werden Fremdkapitalgeber bereit sein, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen und attraktivere Kreditkonditionen zu bieten. Rate Notes due 2041 (Juli 2015); Lanxess AG 500 Mio. Subordinated Callable Resettable Fixed Rate Notes due 2076 (Dezember 2016); Volkswagen International Finance N.V. 1,5 Mrd. Euro Undated Subordinated Notes und 2,0 Mrd. Euro Undated Subordinated Notes (Juni 2017). Aus dem europäischen Ausland: TenneT Holding B.V. 500 Mio. Euro (Niederlande, Februar 2010); Suez Environnement 750 Mio. Euro (Frankreich, September 2010); Scottish and Southern Energy plc 500 Mio. Euro (Großbritannien, September 2010) und 750 Mio. Euro (September 2012); Telekom Austria AG 600 Mio. Euro Undated Subordinated Fixed Rate Bonds (Österreich, Januar 2013); BHP Billiton Finance Limited 1,25 Mrd. Euro Subordinated Non-Call Fixed Rate Reset Notes due 2076 (Vereinigtes Königreich, Oktober 2015); Total S.A. 2,5 Mrd. Euro Undated Subordinated Fixed Rate resettable Notes (Frankreich, Oktober 2016). 6 Claas KGaA mbH 80 Mio. Euro Perpetual Bond (September 2004). 7 Z.B. Otto Finance Luxembourg A. G. 150 Mio. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Callable Securities garantiert durch die Otto GmbH & Co. KG (August 2005); Georgsmarienhütte Holding GmbH 50 Mio. Euro nachrangige Schuldverschreibungen ohne Fälligkeitstag (Dezember 2005); Behr GmbH & Co. KG 100 Mio. Euro nachrangige Schuldverschreibungen ohne Fälligkeitstag (Dezember 2006).
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Hybridanleihen | § 18
Unternehmen, die zur Ausgabe von Hybridanleihen am öffentlichen Kapitalmarkt in der Lage sind, verfügen für ihre nicht-nachrangigen Finanzierungsinstrumente in aller Regel über wenigstens ein öffentliches Rating einer anerkannten Ratingagentur. Diese Ratings sind zentraler Indikator ihrer Kreditwürdigkeit und damit auch der Konditionen ihrer Fremdkapitalfinanzierung. Sie sind auch deshalb von herausragender Bedeutung, weil sich Banken, die zur Ermittlung ihrer Eigenkapitalunterlegungspflichten den Kreditrisiko-Standardansatz zugrunde legen, auf die Bonitätsbeurteilung der anerkannten Agenturen (sog. European Credit Assessment Institutions) stützen (vgl. Art. 113 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 1 CRR). Für die Qualität des externen Ratings ist aber selbstverständlich auch die Bilanzstruktur des Unternehmens und hier insbesondere der durch das Eigenkapital repräsentierte Verlustpuffer entscheidend.
18.5
Im Jahre 2005 hat die Ratingagentur Moody’s Investors Service, Inc. als erste ausreichend konkrete Kriterien für die Klassifizierung von Unternehmensfinanzierungen aufgestellt8 und damit eine rege Emissionstätigkeit deutscher Unternehmen im Bereich der Hybridanleihen ermöglicht. Die Ratingagenturen Standard & Poor’s Corporation und Fitch Ratings sind diesem Vorstoß mit der Veröffentlichung eigener Anrechnungskriterien gefolgt9. Die Anwendung der verschiedenen Kriterienkataloge10 – die einer ständigen Weiterentwicklung und Verfeinerung unterliegen – führt nicht zu identischen, aber ähnlichen Ergebnissen. Die Agenturen bewerten zur Ermittlung des „equity credit“ wesentliche Ausgestaltungsmerkmale der Hybridanleihe (wie z.B. Laufzeit, Zwang zur Zahlung von Zinsen und anderen Vergütungen, Nachrangigkeit in der Insolvenz des Unternehmens, Absicht der Ersetzung durch gleichwertiges Kapital im Fall der Rückzahlung) als „schwach“, „mittel“ oder „stark“ und gelangen aufgrund einer Gesamtschau zu einer Eigenkapitalanrechnung zwischen 0 % (reines Fremdkapital) und 100 % (reines Eigenkapital). In den Jahren 2009 und 2010 haben die Ratingagenturen ihre Kriterienkataloge grundlegend überarbeitet und die Eigenkapitalkriterien verschärft. Wesentliche Bedeutung wird nunmehr der Frage zugeschrieben, ob eine Verlustteilnahme bei Fortführung des Geschäftsbetriebs erfolgt (going concern) oder erst bei unmittelbar bevorstehender Insolvenz (gone concern), womit im Gegensatz zu dem vorherigen regelbasierten Ansatz eine prinzipienorientierte Betrachtung erfolgt11. Trotz der aufgrund der Kriterienkataloge vorangeschrittenen Standardisierung der Anleihebedingungen bleibt die Strukturierung von Hybridanleihen ein komple-
18.6
8 Moody’s Investors Service, Inc., Cross – Sector Rating Methodology, Hybrid Equity Credit, Januar 2017, erhältlich über www.moodys.com. In seiner „Basket-Strategy“ nimmt Moody’s eine Einstufung in fünf verschiedene „Körbe“ mit steigender Eigenkapitalanrechnung vor. 9 Standard & Poor’s, Hybrid Capital Handbook: September 2008 Edition, Methodology And Assumptions: Assigning Equity Content To Hybrid Capital Instruments Issued By Corporate Entities And Other Issuers Not Subject To Prudential Regulation, 16. Januar, 2018, erhältlich über www.standardandpoors.com; Fitch Ratings, Non-Financial Corporates Hybrids Treatment and Notching Criteria, 27. April 2017 (für Unternehmen im Corporate und REIT-Bereich), erhältlich über www.fitchratings.com. Zu den Kriterien und Unterschieden im Einzelnen Rüßmann/Vögtle, CFB 2010, 205, 210. 10 Zu den aus ihnen resultierenden typischen Gestaltungen der Bedingungen von Hybridanleihen s. unten Rz. 18.19–18.34. 11 Moody’s Investors Service, Inc., Cross – Sector Rating Methodology, Hybrid Equity Credit, Januar 2017, erhältlich über www.moodys.com. Eine grundlegende Überarbeitung der Kriterien von Fitch und Standard & Poor’s erfolgte 2009. Ähnlich auch A.M. Best Company, Inc., „Equity Credit For Hybrid Securities“ (April 2014). Zu den Kriterien s. auch Schlitt/Brandi/ Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105, 130 m.w.N.; zur Nachrangigkeit Rz. 18.30.
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§ 18 | Hybridanleihen
xer Vorgang, der eine enge Abstimmung mit den Agenturen erfordert und bei dem individuelle Gegebenheiten des Unternehmens zu unvorhergesehenen Ergebnissen führen können12.
3. Bilanzieller Eigenkapitalausweis nach IFRS 18.7
Mitunter streben Unternehmen bei der Strukturierung von Hybridanleihen einen bilanziellen Eigenkapitalausweis der aufgenommenen Mittel an. Der handelsrechtliche Bilanzausweis ist indes von untergeordneter praktischer Bedeutung. Für das Unternehmen bleibt entscheidend, ob die maßgeblichen Ratingagenturen und Fremdkapitalgeber bei ihrer Bonitätseinschätzung die Hybridanleihe als wirtschaftliches Fremd- oder Eigenkapital behandeln. Eine Regel, nach der Hybridanleihen, die bilanziell als Eigenkapital auszuweisen sind, stets auch als wirtschaftliches Eigenkapital in den Ratingsystemen von Ratingagenturen und Banken Anerkennung finden, besteht gerade nicht. Umgekehrt kann auch ein Instrument, welches bilanziell als Fremdkapital auszuweisen ist, für die Zwecke von Ratingagenturen und Banken Eigenkapitalcharakter haben. Diese Abweichungen sind aufgrund der methodischen Unterschiede zwischen Bilanzrecht und Rating-Verfahren möglich: Während die Klassifikation im Bilanzrecht einer binären Entscheidungsregel („entweder, oder“) folgt, ist für die Zwecke des Ratings eine wertende Entscheidung möglich, so dass ein einheitliches Finanzierungsinstrument in bestimmtem Umfang als Fremd-, im Übrigen aber als Eigenkapital behandelt wird13. Infolge dessen kann sich die Emission einer Hybridanleihe auf das Rating (und mithin auf die Konditionen der konventionellen Fremdkapitalfinanzierung) selbst dann positiv auswirken, wenn sie zu einer Erhöhung des bilanziellen Fremdkapitalanteils führt.
18.8
Streben Unternehmen einen bilanziellen Eigenkapitalausweis von Hybridmitteln an, sind für sie in aller Regel ausschließlich die IFRS-Bilanzierungsregeln von Belang: Als kapitalmarktorientierte Unternehmen haben sie ihren auch für die Kreditgeber im Vordergrund stehenden konsolidierten Abschluss nach Maßgabe der internationalen Rechnungslegungsstandards zu erstellen (§ 315e HGB). Der Eigenmittelausweis im nach HGB erstellten Einzelabschluss tritt demgegenüber als Strukturierungsziel in den Hintergrund14.
12 Die Ermittlung des „equity credit“ durch eine Ratingagentur ist zu unterscheiden von dem Rating der Hybridanleihe selbst, d.h. von der Einschätzung der Agentur, mit welcher Wahrscheinlichkeit das mittelaufnehmende Unternehmen in der Lage sein wird, die von den Geldgebern erwarteten Zahlungen vorzunehmen. Hier wenden die Agenturen in der Regel ein sog. „Notching“ gegenüber dem Rating von gewöhnlichen Fremdkapitalinstrumenten (SeniorRating) an, d.h. es werden aufgrund des höheren Risikos durch die Eigenkapitalmerkmale entsprechend schlechtere Ratings erteilt. Es liegt auf der Hand, dass ein hoher „equity credit“ des Finanzierungsinstruments das Rating dieses Finanzierungsinstruments besonders belastet und die Finanzierung entsprechend verteuert. Hier muss das Unternehmen zwischen Nutzen (equity credit) und Zinskosten abwägen. 13 Vgl. Sester, ZBB 2006, 443, 453; Gündel/Hirdes, BC 2005, 205, 206. 14 Ein Eigenkapitalausweis hybrider Finanzierungsmittel nach HGB kommt aufgrund der Anforderungen der Stellungnahme des HFA 1/1994, Zur Behandlung von Genussrechten im Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften, WPg 1994, 419 ff., ergänzt durch HFA am 6./7. Mai 1998, WPg 1998, 891 (Langfristigkeit; Ausschüttungen nur aus dem Nettoreinvermögen, das das gegen Ausschüttung geschützte Eigenkapital übersteigt; Verlustteilnahme; absoluter Nachrang in Insolvenz und Liquidation) nur für Genussrechte und stille Beteiligungen in Betracht.
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Hybridanleihen | § 18
Die Abgrenzung von Eigenkapital und Fremdkapital nach internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/IFRS) regelt Standard IAS 32 „Financial Instruments: Disclosure“15. Nach IAS 32.16(a) können aufgenommene Mittel als Eigenkapital ausgewiesen werden, wenn die zugrundeliegende Finanzierungsvereinbarung keine Verpflichtung zur Abgabe flüssiger Mittel oder eines anderen finanziellen Vermögenswertes begründet und keinen vertraglichen Zwang etabliert, finanzielle Vermögenswerte oder finanzielle Verbindlichkeiten zu potentiell nachteiligen Bedingungen zu tauschen. Die rein tatsächliche Wahrscheinlichkeit, dass eine vertragliche Vereinbarung den Emittenten zu einer Zahlung veranlasst, hindert die Eigenkapitalqualifikation nicht. Sofern sich aber ein Unternehmen aufgrund getroffener Vereinbarungen oder zwingender gesetzlicher Bestimmungen nicht der Abgabe von flüssigen Mitteln zu entziehen vermag, führt dies zur Qualifikation des Instruments als finanzielle Verbindlichkeit (IAS 32.19). Als finanzielle Verbindlichkeit sind auch Finanzinstrumente zu verstehen, die den Inhaber zur Rückgabe gegen flüssige Mittel berechtigen (IAS 32.18b, sog. Puttable Instruments). Vereinfachend gilt daher, dass das mittelaufnehmende Unternehmen über volles Ermessen hinsichtlich der Zahlung von Vergütungen für die Kapitalüberlassung wie auch der Rückzahlung des Kapitals verfügen muss, damit ein Eigenkapitalausweis möglich wird.
18.9
Diese Anforderungen scheinen ein unüberwindbares Hindernis für die Strukturierung von Hybridanleihen zu errichten, die einerseits IFRS-eigenkapitalfähig, andererseits aber auch für Investoren akzeptabel sind. Denn Hybridkapitalgeber sind in der Regel Fixed IncomeInvestoren, die einen zeitlich befristeten Anlagehorizont haben und laufende, der Höhe nach vorhersehbare Cash Flows in Form von Zinszahlungen erwarten. Trotz dieses scheinbaren Widerspruchs ist es gelungen, in Form von Hybridanleihen vermarktbare mezzanine Finanzierungsinstrumente zu schaffen, die in der IFRS-Bilanz des mittelaufnehmenden Unternehmens als Eigenkapital ausgewiesen werden.
18.10
Bei Hybridanleihen stehen Zins- und Kapitalrückzahlung allein im Ermessen des mittelaufnehmenden Unternehmens. Das daraus resultierende Risiko des Hybridanlegers wird aber gleichzeitig begrenzt: Der angestrebte IFRS-Eigenkapitalausweis verbietet zum einen nicht eine Vereinbarung über die Höhe „freiwillig“ zahlbarer Zinsen. Darüber hinaus kann eine Pflicht zur Zahlung von Zinsen (und zur Nachzahlung in der Vergangenheit nicht gezahlter Zinsen) für den Fall vereinbart werden, dass das finanzierte Unternehmen vor dem jeweiligen Zinstermin eine andere Maßnahme ergreift, die ihrerseits in seinem Ermessen steht. Üblicherweise werden als Referenzmaßnahmen Zahlungen auf Finanzierungsmittel herangezogen, die in der Finanzierungsstruktur auch gegenüber der Hybridanleihe subordiniert sind, also z.B. Dividenden oder der Rückkauf eigener Anteile. Ergreift das Unternehmen vor dem Zinstermin keine Referenzmaßnahmen und zahlt Zinsen auf die Hybridanleihe auch nicht freiwillig, sind die aufgeschobenen Zinsen nachzuzahlen, sobald eine Referenzmaßnahme getroffen wird, das Unternehmen (freiwillig) das aufgenommene Hybridkapital zurückzahlt oder in Insolvenz oder Liquidation tritt. Investoren sind bereit, diesen Zinszahlungsmechanismus zu akzeptieren, wenn das Unternehmen über eine ansonsten robuste Finanzierungsstruktur und eine kontinuierliche Dividendenhistorie verfügt und aufgrund seiner Kapitalmarktorientierung die Erwartung besteht, dass es auch in Zukunft entweder entsprechende Referenzmaßnahmen ergreift oder aber Zinszahlungen freiwillig leistet, auch wenn eine Rechtspflicht dazu nicht besteht.
18.11
15 Zu IAS 32 vgl. Häuselmann in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, § 10 Rz. 212, 250 sowie Pawelzik in Heuser/Theile, IFRS Handbuch, Rz. 1200 ff.
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§ 18 | Hybridanleihen
18.12 Um die Freiwilligkeit der Kapitalrückzahlung zu erreichen, darf die IFRS-Hybridanleihe
keinen festen Endfälligkeitstermin aufweisen. Deswegen wird vereinfachend von „Endlosanleihen“ gesprochen. Das Recht, die Anleihe zur Rückzahlung zu kündigen, liegt ausschließlich beim Emittenten. Kündigungsrechte der Investoren werden so weit wie rechtlich möglich ausgeschlossen. Da die Anleihe ein Dauerschuldverhältnis begründet, kann das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nicht ausgeschlossen werden (§ 314 BGB).16 Dieses außerordentliche Kündigungsrecht ist für die Anerkennung der aufgenommenen Mittel als IFRS-Eigenkapital jedoch unschädlich. Für seine Ausübbarkeit durch den Anleger kommt es darauf an, ob diesem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die weitere Kapitalüberlassung nicht zugemutet werden kann. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass der Zweck der Kapitalüberlassung gerade in der Zurverfügungstellung dauerhaften Eigenkapitals liegt. Häufig in Hybridanleihen zu findende Kündigungsanreize für den Emittenten (insbesondere die Erhöhung des zahlbaren Zinses, sog. „Step-up“) dürfen zudem nicht so massiv sein, dass eine faktische Rückzahlungsverpflichtung entsteht (vgl. IAS 32.20)17.
4. Steuerlich effiziente Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals a) Ertragsbesteuerung
18.13 Dividenden und andere Ausschüttungen auf „echtes“ Eigenkapital sind nicht als Betriebsausgaben vom steuerbaren Ertrag abziehbar (§ 8 Abs. 3 KStG). Richtige Strukturierung vorausgesetzt, kann das Unternehmen über Hybridanleihen demgegenüber Finanzmittel mit Eigenkapitalfunktion aufnehmen und den darauf entfallenden Zinsaufwand gleichwohl von seiner Ertragssteuerbasis abziehen. Zentrales Strukturierungsziel bei der Ausgestaltung von Hybridanleihen ist mithin die Wahrung der steuerlichen Fremdkapitalqualifikation.
18.14 Angesichts der langen Laufzeit und dem hybridtypischen Fälligwerden von Zinszahlungs-
ansprüchen in Abhängigkeit v.a. von Dividendenzahlungen muss für ertragssteuerliche Zwecke in der Praxis der Nachweis erbracht werden, dass die Hybridanleihe steuerlich nicht als Genussrecht zu qualifizieren ist, mit dem das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös und am Gewinn verbunden ist (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).
aa) Beteiligung am Liquidationserlös
18.15 Eine ausdrückliche Beteiligung des Anleihegläubigers an einem möglichen Liquidations-
erlös sehen die Bedingungen von Hybridanleihen nicht vor. Die Finanzverwaltung nimmt allerdings eine Beteiligung am Liquidationserlös – entgegen einschlägiger BFH-Rechtsprechung18 und zutreffender überwiegender Auffassung im Schrifttum19 – schon dann an,
16 Vgl. auch Begr. RegE zu § 314, BT-Drucks. 14/6040, S. 176, wonach die Möglichkeit zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund ein im Kern zwingendes Recht ist. Hierzu etwa Gaier in MünchKomm. BGB, § 314 Rz. 4. 17 Eine solche dürfte etwa dann bestehen, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem infolge des „Step-up“ erhöhten Zins und den Finanzierungskosten für vergleichbare Instrumente besteht, Schaber/Isert, BB 2006, 2401, 2403. 18 BFH v. 19.1.1994 – I R 67/92, BStBl. II 1996, 77 = DStR 1994, 651. 19 Vgl. Angerer, DStR 1994, 651; Loritz, DStR 2000, 77, 81; Gosch, KStG, § 8 Rz. 151; Groh, BB 1993, 1882, 1890.
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Hybridanleihen | § 18
wenn der Gläubiger seinen Rückforderungsanspruch potentiell nicht vor Ablauf von 30 Jahren geltend machen kann20. Gerade das ist bei Hybridanleihen, insbesondere wenn sie im Blick auf IAS 32 keine feste Laufzeit haben und durch den Gläubiger nicht gekündigt werden können, aber der Fall. bb) Gewinnabhängigkeit von Zinszahlungen Aus diesem Grund kommt es entscheidend darauf an, ob die Zinsgestaltung von Hybridanleihen eine „Beteiligung am Gewinn“ des Emittenten vermittelt. Weil Zinsen während der Laufzeit der Hybridanleihe vor allem dann zur Zahlung fällig werden, wenn Ausschüttungen oder andere Zahlungen auf das echte Eigenkapital erfolgen, könnte man an eine genussrechtstypische „gewinnorientierte Vergütung“ denken. Diese soll etwa dann vorliegen, wenn sich die Höhe von Zinszahlungen nach der Höhe der Dividende des Emittenten bemisst (vgl. Rz. 13.13). Indes determiniert die Zahlung einer Dividende durch den Hybridemittenten bei den typischen Hybridzinsgestaltungen weder das Ob noch die Höhe einer Zinszahlung, sondern lediglich ihren Zeitpunkt. Der Zinsanspruch des Gläubigers entsteht mit Ablauf der jeweiligen Zinsperiode und wird spätestens bei Rückzahlung der Anleihe zur Zahlung fällig. Problematisch – und deshalb zu vermeiden – sind demgegenüber Gestaltungen, in denen Zinsansprüche ganz oder teilweise entfallen, nachdem sie im Hinblick auf eine nicht gezahlte Dividende durch den Emittenten aufgeschoben wurden21.
18.16
b) Kapitalertragsteuer Die Vermeidung der steuerlichen Qualifikation der Hybridanleihe als Genussrecht ist auch im Hinblick auf die Kapitalertragsteuer von erheblicher Bedeutung. Diese ist durch den inländischen Schuldner von Zinszahlungen auf Genussrechte, stille Beteiligungen und partiarische Darlehen in Höhe von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlags einzubehalten und abzuführen (§§ 43 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Da die Kapitalertragsteuer als Vorauszahlung auf die Einkommensteuerschuld des Zahlungsempfängers gilt, ist die praktische Bedeutung für den in Deutschland steuerpflichtigen Investor beschränkt. Ähnliches mag für den ausländischen Gläubiger gelten, der aufgrund der Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens erstattungsberechtigt ist22. Soll jedoch eine breite internationale Investorenbasis angesprochen werden, ist der Kapitalertragsteuereinbehalt außerordentlich hinderlich. Deswegen müssen Unternehmen, die Hybridkapital international platzieren wollen, kapitalertragsteuerfreie Gestaltungen wählen. Die Instrumente dürfen folglich steuerlich nicht als Genussrechte, Gewinnobligationen, stille Beteiligung oder partiarische Darlehen qualifizieren. 20 BMF-Schreiben v. 8.12.1986, BB 1987, 667; BMF-Schreiben v. 27.12.1995, BStBl. I 1996, 49; s. auch Gosch, KStG, § 8 Rz. 151. 21 Daraus folgt zum einen, dass Genussrechte mit einer Laufzeit von 30 Jahren oder mehr nicht steuerlich effizient als Quelle wirtschaftlichen Eigenkapitals nutzbar sind. Darüber verhindert die Praxis der Finanzverwaltung zu „überlang“ laufenden Genussrechten de facto auch mezzanine Finanzierungsinstrumente, die sowohl nach HGB als auch nach IFRS als Eigenkapital ausgewiesen werden können. 22 Entscheidend für das Bestehen und die Höhe eines Erstattungsanspruches aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens ist dabei insbesondere die Frage, ob die Zahlungen an den abkommensberechtigten Gläubiger unter den Dividendenartikel oder den Zinsartikel des Abkommens zu fassen sind. Der Dividendenartikel sieht dabei grundsätzlich nur eine Absenkung, der Zinsartikel in vielen Fällen dagegen den vollständigen Ausschluss einer Quellenbesteuerung vor.
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18.17
§ 18 | Hybridanleihen
5. Corporate Governance-Erwägungen 18.18 Hybridanleihen schaffen keine korporationsrechtliche Rechtsbeziehung zwischen Emit-
tent und Schuldverschreibungsinhaber und beeinträchtigen folglich die Position des bestehenden Gesellschafterkreises nicht in der Weise, wie dies bei der Aufnahme „echten“ Eigenkapitals im Wege der Kapitalerhöhung der Fall wäre23. Die mit einer Außenfinanzierung verbundenen Verwässerungseffekte werden bei echtem Eigenkapital nicht selten durch eine ungünstige Bewertung des Unternehmens durch externe Investoren verschärft, weil diese in Anbetracht der mangelnden Fungibilität des Eigenkapitals Bewertungsabschläge vornehmen. Solche Verwässerungseffekte sind generell unerwünscht und können sich insbesondere auch für große Familiengesellschaften als prohibitiv für die Aufnahme externer Eigenkapitalgeber auswirken. In dieser Situation können Hybridanleihen eine tragfähige Alternative zur Eigenkapitalfinanzierung sein.
III. Typische Gestaltungsmerkmale 1. Langfristigkeit der Mittelüberlassung a) Laufzeit
18.19 „Echtes“ gesellschaftsrechtlich fundiertes Eigenkapital zeichnet sich durch seine dauerhafte Überlassung aus. Bei den Kapitalgesellschaften ist es außerhalb von Gewinnverwendung und Liquidation vor der Rückzahlung an die Gesellschafter besonders geschützt (§§ 57, 71 ff. AktG; §§ 30 ff. GmbHG). Entsprechendes gilt für die Einlage des nicht ausgeschiedenen Kommanditisten (§ 172 Abs. 4 HGB). Das Eigenkapital schützt die Unternehmensgläubiger vor dem Refinanzierungsrisiko, d.h. der möglichen Unfähigkeit des Unternehmens, abfließende durch neu aufgenommene Finanzierungsmittel zu refinanzieren. Deswegen ist auch ein Hybridanleihen prägendes Merkmal ihre lange Laufzeit.
18.20 Eine „unendliche Laufzeit“, d.h. den weitestgehenden Ausschluss von Gläubigerkündi-
gungsrechten, erfordern Instrumente, die in der IFRS-Bilanz als Eigenkapital ausgewiesen werden sollen. Eine wenigstens teilweise Eigenkapitalanrechnung für Ratingzwecke setzt eine Laufzeit der Hybridanleihe von wenigstens 50 Jahren im Anschluss an die erste Kündigungsmöglichkeit durch das Unternehmen voraus, wenn die erste Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung der Anleihe – wie in der Regel – mit einem Zins-Step-up verbunden ist. Die Anleihe verliert nach Verstreichen der ersten Kündigungsmöglichkeit ihre Eigenkapitalanrechnung.
23 Dennoch kann die Begebung von Hybridanleihen gesellschaftsrechtliche Folgen haben und etwa bei Ausgestaltung mit einem Wandelanleiheelement ausnahmsweise dem Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses nach § 221 AktG unterliegen, Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105, 127. Diese sog. Hybrid-Wandelanleihen vereinen die Vorteile einer (nahezu) unbefristet laufenden Hybridanleihe mit dem niedrigen Zinssatz einer Wandelanleihe und bieten dem Emittenten die Möglichkeit einer unmittelbaren Eigenkapitalanrechnung zu verhältnismäßig günstigen Finanzierungskonditionen. Im Gegenzug kann ein Verwässerungseffekt wegen des Wandelanleiheelements nicht ausgeschlossen werden, vgl. Madjlessi/Leopold in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 9 Rz. 45.
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Hybridanleihen | § 18
b) Ausschluss des Investoren-Kündigungsrechts Die Bedingungen von Hybridanleihen schließen Investorenkündigungsrechte zur Sicherstellung der dauerhaften Kapitalüberlassung in der Regel weitest möglich aus. Während ein vollkommener Ausschluss des Investorenkündigungsrechts an § 314 BGB – dessen praktische Bedeutung freilich gering bleibt (vgl. Rz. 18.12) – scheitert, bleibt daneben zu beachten, dass eine zwar angreifbare, aber doch ganz herrschende Auffassung die Bedingungen von Inhaberschuldverschreibungen als dem jeweiligen Inhaber durch den Emittenten gestellte allgemeine Geschäftsbedingungen ansieht24. Sie unterliegen daher der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 bis 310 BGB. Für die AGB-rechtliche Wirksamkeit des langfristigen Ausschlusses der Kündigungsmöglichkeit des Inhabers kommt es vor allem darauf an, ob diese den Vertragspartner des Unternehmens deswegen unangemessen benachteiligt, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist (§ 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB).
18.21
Das gesetzliche Leitbild der Inhaberschuldverschreibung findet sich in den §§ 793 bis 807 BGB. Die Inhaberschuldverschreibung verbrieft also nicht etwa ein Gelddarlehen im Sinne der §§ 488 bis 498 BGB, sondern begründet ein Rechtsverhältnis eigener Art, auch wenn ihre Ausgabe einem Finanzierungszweck dient. Im Gegensatz zur Lage beim Gelddarlehen gehört es aber gerade nicht zu dem gesetzlichen Leitbild der Inhaberschuldverschreibung, dass der Inhaber einen bestimmten Kapitalbetrag zu einem bestimmten Zeitpunkt oder überhaupt zurückerhält. Die Schuldverschreibung auf den Inhaber ist vielmehr durch das Bestehen eines Leistungsversprechens des Ausstellers gegenüber dem jeweiligen Inhaber gekennzeichnet. Das Versprechen liegt bei Hybridanleihen darin, dass der Emittent – vorbehaltlich des Einritts bestimmter Bedingungen – Zinsen sowie nach Kündigung durch den Emittenten einen Kapitalbetrag zahlt. Dieses Leistungsversprechen ist als solches der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht zugänglich25. Die vereinzelt vertretene Auffassung, potentiell „ewig“ laufende Schuldverhältnisse seien unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung fremd und ihre Zulässigkeit deshalb zweifelhaft26, lässt sich also anhand der als Grundlage einer solchen Auffassung in Betracht kommenden Rechtsvorschriften nicht untermauern27. Hinzu kommt, dass Hybridanleihen fungible Instrumente des öffent-
18.22
24 Begr. RegE AGB-Gesetz, BT-Drucks. 7/3919, S. 18; OLG Frankfurt v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, ZIP 1994, 26, 27; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.123, 2.172; Wolf in FS Zöllner, 1998, S. 651, 653 ff.; zum AGB-Charakter von Genussscheinbedingungen BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305, 312 = ZIP 1992, 1542, 1544; dazu Lutter, ZGR 1993, 291, 295 f.; ferner BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, ZIP 2009, 1558; BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/ 12, NZG 2013, 987, 990 = AG 2013, 680; BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, NZG 2014, 661, 663 = AG 2014, 705; BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 47/14; BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, NJW 2015, 2328, 2332; OLG Frankfurt a.M. v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 = AG 2015, 87; OLG Dresden v. 12.4.2017 – 13 U 917/16, WM 2017, 1503; a.A. Hopt in FS Steindorff, 1994, S. 341, 365; v. Randow, ZBB 1994, 23 ff.; Ekkenga, ZHR 160 (1996), 59 ff.; Kallrath, S. 37 ff.; Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.335 m.w.N.; umfassend zur AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen: Fest, Anleihebedingungen, § 2 f. 25 Vgl. BGH v. 12.3.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100, 173; BGH v. 9.5.2001 – IV ZR 121/00, NJW 2001, 2014. 26 Siebel, S. 39 (Fn. 158). 27 Das BVerfG hat in einem obiter dictum in der Entscheidung v. 5.2.2002 – 2 BvR 305/93, Rz. 74, NJW 2002, 3009, 3012 festgestellt: „Er [Anm. d. Verf.: der Gesetzgeber] durfte dies dem freien Spiel der Teilnehmer am Kapitalmarkt überlassen und nahm dabei auch in Kauf, dass Wertpapiere ohne Endfälligkeitsbestimmung, so genannte Ewigkeitspapiere, ausgegeben
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§ 18 | Hybridanleihen
lichen Kapitalmarkts sind und meist über eine Börsennotierung verfügen. Der Investor kann sich also durch Veräußerung von seiner Investition lösen und ist nicht etwa bis zum ungewissen Fälligkeitstag gebunden. Deswegen wird er durch den dauerhaften Ausschluss seines Kündigungsrechts außerhalb des § 314 BGB – unterstellt, es käme darauf an – auch nicht unangemessen benachteiligt. c) Kündigungsrechte des Emittenten
18.23 Entscheidend für die Langfristigkeit der aufgenommenen Finanzierungsmittel ist der Aus-
schluss des Investoren-Kündigungsrechts. Kündigungsrechte des Unternehmens, die ihm die freiwillige Rückzahlung des Kapitals ermöglichen, sind demgegenüber grundsätzlich unschädlich. Sie sollten so ausgestaltet sein, dass das Unternehmen ausreichende Flexibilität erhält. Da Anleger jedoch einen kalkulierbaren Anlagehorizont erwarten und ihre Renditeerwartung daran ausrichten, sind jederzeit kündbare Hybridanleihen in der Regel bis zum Ablauf der Grundlaufzeit (üblicherweise fünf bis zehn Jahre) mit typisierten Vorfälligkeitentschädigungen verbunden. Üblicherweise tritt bei Hybridanleihen nach Ablauf ihrer Grundlaufzeit ein sog. „Zins-Step-up“ ein, der die Finanzierung für das Unternehmen signifikant verteuert. Dieser soll dem Unternehmen als Kündigungsanreiz dienen, um Anlegern die berechtigte Erwartung einer Rückzahlung nach Ablauf der Grundlaufzeit zu vermitteln. Derartige Anreize dürfen andererseits nicht so stark ausgestaltet sein, dass sie für das Unternehmen wie ein faktischer Kündigungszwang wirken. In Anlehnung an die bis zum Inkrafttreten der CRR geltenden regulatorischen Bestimmungen zu hybridem Bankeigenkapital werden jedenfalls einmalige Zins-Step-ups von nicht mehr als einem Prozent nach einer Grundlaufzeit von fünf Jahren sowohl von den Ratingagenturen als auch für das IFRS-Equity-Accounting als unschädlich angesehen (vgl. Rz. 18.7–18.12).
18.24 Wie bei anderen langfristigen Finanzierungen muss sich das Unternehmen auch bei Hy-
bridanleihen Sonderkündigungsrechte vorbehalten, mit denen eine Zweckverfehlung oder eine nachhaltige Unwirtschaftlichkeit der Finanzierung abgewendet werden kann. Bei Hybridanleihen ist es – neben der anleihetypischen Kündigungsmöglichkeit bei Entstehen einer Pflicht zur Zahlung zusätzlicher Beträge im Hinblick auf Steuereinbehalte – üblich, dem Unternehmen Sonderkündigungsrechte für den Fall zu geben, dass Zinsaufwand aufgrund einer Rechtsänderung nicht mehr steuerlich abzugsfähig ist, wenn das aufgenommene Kapital nicht mehr die von dem Unternehmen gewünschte bilanzielle Behandlung erfährt oder bei den Rating-Agenturen keine Anerkennung mehr als wirtschaftliches Eigenkapital findet.
18.25 Ein erhebliches Problem, das sich fundamental auf die Strukturierung und Konditionierung
von Hybridanleihen auswirkt, stellt das Risiko der Übernahme solcher Unternehmen im Anschluss an die Begebung der Hybridanleihe dar; das gilt vor allem, wenn die Übernahme mit einem vollkommenen Paradigmenwechsel im Finanzierungsverhalten der Gesellschaft einhergeht, wie dies etwa bei einer Übernahme durch Private Equity-Investoren regelmäßig der Fall ist. Diesem Risiko kann nicht durch die sonst üblichen Investorenkündigungsrechte für den Fall des Kontrollwechsels begegnet werden, weil diese den „equity credit“ vereiteln würden. Aus diesem Grund kombinieren Emittenten häufig ein Sonderkündigungsrecht des Unternehmens bei Kontrollwechsel mit einem massiven Zins-Step-up, der das Risiko einer Bonitätsverschlechterung aufgrund einer Übernahme kompensieren soll. werden konnten.“ Vgl. auch Müller-Eising/Bode, BKR 2006, 480, 481 f. Zu dieser Thematik auch Habersack in MünchKomm. BGB, § 793 Rz. 12; Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 ff.
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Hybridanleihen | § 18
2. Zinsaufschub und alternative Zinszahlungsmechanismen „Echtes“ Eigenkapital entlastet das finanzierte Unternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung von Mittelabflüssen zur Vergütung der Kapitalüberlassung. So zahlt die Aktiengesellschaft Dividenden auf Aktien nur aus einem Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4 AktG). Die mit Genussrechten und stillen Beteiligungen verbundenen Zinszahlungspflichten sind gleichfalls typischerweise dadurch bedingt, dass durch sie kein Jahresfehlbetrag oder Bilanzverlust entsteht. Hybridanleihen, die auf Grundlage von IAS 32 als Eigenkapital des mittelaufnehmenden Unternehmens ausgewiesen werden sollen, erlauben den Unternehmen den jederzeitigen Aufschub von andernfalls fällig werdenden Zinsen, wenn nicht im Ermessen des Unternehmens stehende Zahlungen auf in der Kapitalstruktur nachgeordnete oder gleichgeordnete Finanzierungsinstrumente erfolgen (s. Rz. 18.11).
18.26
Die Zinsaufschubmechanismen von Hybridanleihen werden in der Praxis durch die Anforderungen der Ratingagenturen an Hybridinstrumente, die für Ratingzwecke „equity credit“ erhalten sollen, geprägt. Diese ergänzen bei Anleihen, die gleichzeitig in der IFRS-Bilanz als Eigenkapital ausgewiesen werden sollen, die Anforderungen von IAS 32. Bei Anleihen, die bilanziell als Fremdkapital ausgewiesen werden, treten sie an die Stelle der IAS-Anforderungen.
18.27
Um überhaupt eine Eigenkapitalanrechnung gemäß den Kriterienkatalogen der Ratingagenturen zu ermöglichen, muss der Emittent nach Maßgabe der Anleihebedingungen – wie im Anwendungsbereich von IAS 32 – jedenfalls über das Recht zum jederzeitigen Zinsaufschub verfügen (sog. „optional deferral“). Wie im Bereich der bilanziellen Eigenkapitalanleihen entsteht hier eine Nachzahlungspflicht bei Eintritt bestimmter Referenzereignisse, d.h. vor allem bei Zahlung von Vergütungen oder Rückzahlung auf nachgeordnete oder gleichgeordnete Finanzierungsinstrumente. Wenn die Anleihebedingungen nicht gleichzeitig einen sog. „mandatory deferral“ von Zinsen (dazu sogleich Rz. 18.29) vorsehen, verlangen die Agenturen aber über die Anforderungen von IAS 32 hinaus, dass die Nachzahlung der diskretionär aufgeschobenen Zinsen durch die Aufnahme wenigstens gleichwertiger Eigenmittel refinanziert wird (sog. „alternativer Zinszahlungsmechanismus“). Hat der Emittent also von seinem Recht zum Zinsaufschub Gebrauch gemacht und tritt ein Ereignis ein, aufgrund dessen die aufgeschobenen Zinsen zur Zahlung fällig werden, zwingen ihn die Anforderungen der Ratingagenturen zur Aufnahme weiterer Eigenmittel, z.B. durch die Emission von Aktien oder weiteren Hybridanleihen28. Zinsaufschubregelungen der hier beschriebenen Art sind z.B. eine Voraussetzung dafür, dass die Ratingagentur Moody’s 50 % des Nominalbetrages einer Hybridanleihe als Eigenkapital des Unternehmens betrachtet.29
18.28
Der Schutz des Unternehmens vor Mittelabfluss in der Krise kann weiter verstärkt werden, wenn neben dem „optional deferral“ ein zwingender Zinsaufschub („mandatory deferral“ bzw. „compulsory deferral“) z.B. für den Fall vereinbart wird, dass das Unternehmen bestimmte Finanzkennzahlen unterschreitet oder Zahlungen ein Insolvenzereignis auslösen
18.29
28 Z.B. § 5 Abs. 4(b) der Emissionsbedingungen der TUI AG 300 Mio. Euro Perpetual Subordinated Fixed to Floating Rate Bonds (Dezember 2005); § 5 Abs. 4 der Emissionsbedingungen der Linde AG 1,05 Mrd. Euro Fixed to Floating Rate Subordinated Bonds (Juli 2006). 29 Moody’s Investors Service, Inc., Cross – Sector Rating Methodology, Hybrid Equity Credit, Januar 2017, erhältlich über www.moodys.com.
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§ 18 | Hybridanleihen
oder dessen Eintritt beschleunigen könnten30. Zahlt das Unternehmen in diesem Fall trotzdem Zinsen, würde dies zu einem Verlust der Eigenkapitalqualifikation durch die Ratingagenturen und möglicherweise auch zu einer erheblichen Verschlechterung oder zu einem Entzug von Ratings für nicht-nachrangige Instrumente führen. Derartige Gestaltungen sind Voraussetzung für eine Eigenkapitalanerkennung durch Moody’s von bis zu 75 % des Nominalbetrages. Sie können entweder mit einem vollkommenen Wegfall der Zinszahlungspflicht verbunden sein31 oder mit einem alternativen Zinszahlungsmechanismus gekoppelt werden32.
3. Nachrangigkeit, Besicherung und Aufrechnung 18.30 Ein wesentliches funktionales Merkmal „echten“ Eigenkapitals ist, dass es in der Insolvenz
oder Liquidation des Unternehmens erst dann an die Gesellschafter des Unternehmens ausgeschüttet wird, wenn alle vorrangigen Gläubiger restlos befriedigt wurden (§ 199 InsO). Hybridanleihen ahmen diese Eigenschaft des echten Eigenkapitals durch schuldrechtliche Nachrangregelungen nach. Der Emittent stellt sein Leistungsversprechen für den Fall der Durchführung eines Insolvenz- oder Liquidationsverfahrens unter den Vorbehalt der vorherigen vollständigen Befriedigung aller vorrangigen Gläubiger. Forderungen, für die ein derartiger Nachrang vereinbart worden ist, werden in der Insolvenz des Unternehmens im Zweifel nach den nicht-nachrangigen und den in § 39 Abs. 1 InsO genannten nachrangigen Forderungen berichtigt (§ 39 Abs. 2 InsO). Die Nachrangklausel kann allerdings auch abweichende Anordnungen treffen, also etwa einen Gleichrang mit einer der in § 39 Abs. 1 InsO genannten Forderungsklassen statuieren, Forderungen zwischen eine dieser Klassen einreihen oder Rangbestimmungen für das Verhältnis zwischen den unter § 39 Abs. 2 InsO fallenden vertraglich nachrangigen Forderungen treffen.
18.31 Die Ratingagenturen verlangen einen absoluten vertraglichen Nachrang für Hybridanlei-
hen, die „equity credit“ erhalten sollen. Diese sind deswegen auch gegenüber allen anderen nachrangigen Verbindlichkeiten des Emittenten zu subordinieren. Nicht erforderlich ist hingegen ein qualifizierter Nachrang im Sinne der Rechtsprechung des BGH zur Überschuldungsbilanz, wonach Gläubiger auch schon für die Zeit vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf die Geltendmachung der Verbindlichkeit im Rahmen eines dinglichen Schuldänderungsvertrages nach den in § 39 Abs. 1 Nr. 1-5 InsO aufgeführten Verbindlichkeiten verzichten33. Dies gilt – wie der BGH entgegen Stimmen in der Lite30 Z.B. § 5 Abs. 4 der Emissionsbedingungen der Südzucker AG 700 Mio. Euro Undated Fixed to Floating Rate Bonds (Juni 2005); § 3 Abs. 4 der Emissionsbedingungen der Bayer AG 1,3 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Callable Bonds due 2105 (Juli 2005); § 3 Abs. 5 der Emissionsbedingungen der Henkel KGaA 1 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Callable Bonds due 2104 (November 2006); § 5 Abs. 5 der Emissionsbedingungen der Siemens AG 2,3 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Bonds (September 2006); § 3 Abs. 2 der Emissionsbedingungen der Allianz AG 1,5 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Bonds (April 2015). 31 Z.B. § 5 Abs. 5 der Emissionsbedingungen der Südzucker AG 700 Mio. Euro Undated Fixed to Floating Rate Bonds (Juni 2005). In einem solchen Fall wird von einem nicht-kumulativen Zinsaufschub gesprochen. 32 Z.B. § 5 Abs. 6 der Emissionsbedingungen der Siemens AG 2,3 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Bonds (September 2006). 33 Vgl. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, WM 2001, 317, 319 = BGHZ 146, 264, 271 mit krit. Anm. Wittig, NZI 2001, 169 ff. = AG 2001, 303; BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672, 1674; Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 228. Der BGH verlangt insofern eine sinngemäße
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ratur klarstellt – auch nach Einführung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO durch das MoMiG fort34. Die Besicherung einer Hybridanleihe würde ebenso wie die Möglichkeit des Inhabers, Forderungen des Unternehmens gegen ihn mittels Aufrechnung eigener Forderungen gegen das Unternehmen zum Erlöschen zu bringen, den erforderlichen Nachrang unterlaufen. Hybridanleihen sind daher stets unbesichert, und das Recht des Inhabers zur Aufrechnung gegen Forderungen des Unternehmens wird regelmäßig – jedenfalls für den Fall der Insolvenz des Unternehmens (vgl. § 96 InsO) – ausgeschlossen. Weil Schuldverschreibungsbedingungen allgemeine Geschäftsbedingungen sind, ist nicht sicher, ob das Aufrechnungsverbot vor § 309 Nr. 3 BGB Bestand hat. Dafür spricht, dass das Aufrechnungsverbot notwendige Konsequenz der Nachrangabrede ist und deren formularmäßige Vereinbarung durch das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Frage gestellt wird35.
18.32
4. Teilnahme an laufenden Verlusten Hybridanleihen, die nach IFRS als Eigenkapital ausgewiesen werden sollen, müssen eine laufende Verlustbeteiligung ebenso wenig aufweisen wie Kapital, das nach den Kriterien der Ratingagenturen als wirtschaftliches Eigenkapital Berücksichtigung finden soll.
18.33
5. Verpflichtung zur Zuführung vergleichbaren Eigenkapitals bei Kündigung Hybridanleihen können auch dann als bilanzielles Eigenkapital nach IAS 32 qualifizieren, wenn das abfließende Kapital im Fall der Rückzahlung durch das Unternehmen nicht ersetzt wird. Demgegenüber verlangen die Ratingagenturen in unterschiedlicher Form Gewissheit darüber, dass das mittelaufnehmende Unternehmen eine langfristige Stärkung seiner Eigenkapitalbasis beabsichtigt und die mögliche Rückzahlung der Hybridanleihe nicht zu einer für die nicht-nachrangigen Gläubiger des Unternehmens nachteilhaften Situation führt. Dabei werden unterschiedliche Ansätze verfolgt: Moody’s lässt eine öffentliche Erklärung des Unternehmens zum Emissionszeitpunkt genügen, in der das Unternehmen die Absicht bekundet, im Fall einer Rückzahlung der Anleihe mindestens gleichwertige Eigenmittel aufnehmen zu wollen, und bezieht diese im Rahmen der Gesamteinschätzung ein. Demgegenüber verlangt Standard & Poor’s seit 2007 jedenfalls bei Hybridanleihen mit einem Zins-Step-up ein rechtlich verbindliches Versprechen des Unternehmens gegenüber bestimmten nicht-nachrangigen Gläubigern, die Hybridanleihe nur Erklärung des Gläubigers, er wolle mit seinen Forderungen erst nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Gesellschafter berücksichtigt werden, also so behandelt werden, als handele es sich bei seiner Forderung um statutarisches Kapital. In seinem Urteil vom 5.3.2015 (BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672, 1673), erachtet der BGH auf Grundlage des durch das MoMiG umgestalteten Rechts die Erklärung des Gläubigers für ausreichend, hinter die Forderungen aus § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO zurückzutreten, ohne dass er darüber hinaus eine Gleichstellung mit den Einlagerückgewähransprüchen verlautbaren müsse. 34 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, NJW 2015, 1672, 1674, mit Anm. Schäfer, NZI 2015, 315 ff. 35 Klarstellend war dies bislang in § 10 Abs. 5a Satz 9 KWG a.F. für Nachrangkapital von Kreditinstituten statuiert.
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§ 18 | Hybridanleihen
dann zurückzuzahlen, wenn dem Unternehmen in Höhe der abfließenden Mittel tatsächlich Ersatzeigenkapital zugeflossen ist. Diese Versprechen (bezeichnet als „capital replacement covenant“) bedeuten – abhängig von ihrer jeweiligen Ausgestaltung – eine erhebliche Einschränkung der Finanzierungsflexibilität des Unternehmens. Seine Geschäftsführungsorgane müssen daher im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Vorteile der wirtschaftlich effizienten Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals gegen die Risiken einer eingeschränkten Finanzierungsflexibilität abwägen36.
36 Ein capital replacement covenant findet sich etwa in § 5 Abs. 5 der Emissionsbedingungen der Deutsche Börse AG 550 Mio. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Debt Securities (Juni 2008) und in § 5 Abs. 6 der Emissionsbedingungen der RWE AG 1,75 Mrd. Euro Subordinated Fixed to Floating Rate Notes (September 2010).
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§ 19 Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen I. Handelsbilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen nach HGB . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansatz einer Anleihe bei Unterverzinslichkeit (Disagio) . . . . . 3. Ansatz einer Anleihe bei Überverzinslichkeit (Agio) . . . . . . .
. . . .
II. Steuerliche Behandlung der Anleihe bei einer inländischen Emittentin . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Betriebsausgabenabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abzugsbeschränkungen für Zwecke der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer (mit Ausnahme der so genannten Zinsschranke, § 4h EStG, § 8a KStG) . 3. Abzugsbeschränkung für Zwecke der Gewerbesteuer . . . . . . . . . . 4. Beschränkung durch die Zinsschranken-Regelung gemäß § 4h EStG, § 8a KStG . . . . . . . . . . . . a) Die Regelung der Zinsschranke . aa) Problemstellung . . . . . . . . bb) Verfassungsmäßigkeit von §§ 4h EStG, 8a KStG? . . . . b) Tatbestand und Rechtsfolge der §§ 4h EStG, 8a KStG . . . . . . . . aa) Überblick über die gesetzliche Regelung . . . . . . . . . bb) Der Tatbestand des § 4h Abs. 1 EStG . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . a) Die Escape-Klausel und andere Ausnahmebestimmungen in § 4h Abs. 2 EStG: IFRS und Zinsschranke . . . . . . . . . . . . . aa) De-Minimis-Ausnahme . . . bb) Fehlende Konzernzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . cc) Escape-Klausel . . . . . . . . . b) Gestaltungsüberlegungen und Auswirkungen auf Sicherheitenstrukturen bei Anleihen . . . . . .
__ _ _ _ _
19.1 19.1 19.2 19.6
19.8 19.9
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19.10 19.12 19.14 19.14 19.14 19.17 19.18 19.18 19.24 19.28
19.29 19.29 19.30 19.34 19.45
III. Deutsche steuerliche Aspekte bei einer ausländischen Emittentin . . 19.47
_ __ _ _ __ __ _ _ _ _ __ _ __
1. Anwendung der Zinsschranke auf die ausländische Emittentin . 19.48 2. Weiterreichung der Erlöse aus der Anleihe durch Gruppendarlehen . 19.49 IV. Kapitalertragsteuerabzug . . . . . . 1. Problemstellung: Kapitalertragsteuer bei Anleihen . . . . . . . . . . a) Steuerpflichtigkeit der Zinserträge und Veräußerungsgewinne in Deutschland . . . . . b) Tatbestand der Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zahlstelle im Inland . . . . . . . . d) Zufluss . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Höhe der Kapitalertragsteuer . . f) Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug . . . . . . . . . . g) Anwendungs- und Übergangsvorschriften . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalertragsteuer bei einem inländischen Investor . . . . . . . . a) Tatbestände der Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sammelurkunden i.S.d. § 9a DepotG . . . . . . . . . . bb) Teilschuldverschreibungen . cc) Übrige Fälle . . . . . . . . . . . dd) Inländisches Kreditinstitut als Emittentin . . . . . . . . . ee) Veräußerung der Anleihe . . b) Die „auszahlende Stelle“ im Inland als Voraussetzung für den Einbehalt der Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inländisches Kreditinstitut/ Finanzdienstleistungsinstitut als auszahlende Stelle . . bb) Grundsätzlich kein Einbehalt durch Schuldner der Zinsen cc) Veräußerungsfälle . . . . . . . 3. Kapitalertragsteuerabzug bei einem ausländischen Investor . . . a) Regelfall: Keine beschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall: Tafelgeschäfte . . . . . 4. Unbeachtlichkeit von Finanzinnovationen . . . . . . . . . . . . . .
19.50 19.53 19.54 19.55 19.57 19.59 19.60 19.62 19.63 19.65 19.66 19.66 19.67 19.68 19.69 19.71
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19.72 19.74 19.77 19.78 19.81 19.82 19.85 19.86
Breuninger/Frey | 665
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen Schrifttum: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995; Ammelung/Homering, § 8a KStG – Falle für ausländische Finanzierungsgesellschaften und Lösungsansätze, IStR 2004, 310; Beck’sches Handbuch der Rechnungslegung, Loseblatt; Behrens, AnleiheEmission durch deutsche Emittenten – Redaktionsversehen bei der Änderung von § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1b EStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008, AG 2007, 581; Behrens, Neuregelung der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ab 2009, BB 2007, 1025; Behrens/Renner, Überentnahme bei Personengesellschaften im „kapitalistischen Konzern“, AG 2010, 745; Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, Loseblatt; Bohn/Loose, Prüfungsschema zum Grundtatbestand der Zinsschranke bei negativem EBITDA, DB 2011, 1246; Bron, Betriebsbegriff und beschränkte Steuerpflicht im Rahmen der Zinsschrankenregelung der §§ 4h EStG und 8a KStG, IStR 2008, 14; Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994; Dörfler/Vogel, Unternehmenssteuerreform 2008: Auswirkung der geplanten Zinsschranke anhand ausgewählter Beispiele, BB 2007, 1084; Dötsch/Jost/Pung/ Witt, Die Körperschaftsteuer, Loseblatt; Ehlermann/Köhler, US-Steuerreform leitet neue Runde im globalen Steuerwettbewerb ein, ISR 2018, 37; Eilers/Oppel, BEPS erreicht die EU: Das Anti Tax Avoidance Package der EU-Kommission, IStR 2016, 312; Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl. 2010; Fischer/ Wagner, Das BMF-Schreiben zur Zinsschranke – Überblick/Bewertung/Verbleibende Gestaltungen, BB 2008, 1872; Frotscher, Praxiskommentar EStG, Loseblatt; Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG, GewStG, UmwStG, Loseblatt; Giehl, ABS-Transaktionen – Haftung der Zweckgesellschaft nach § 13c UStG, UStB 2004, 357; Glahe, Zinsschranke und Verfassungsrecht – Eine Bestandsaufnahme nach den Entscheidungen des FG München vom 02. und 06.03.2015, Ubg 2015, 454; Goebel/Eilinghoff, (Nicht-)Konformität der Zinsschranke mit dem Grundgesetz und Europarecht?, DStZ 2010, 550; Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015; Grottel/Schmidt/Schubert/Winkeljohann, Beck’scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018; Hahne, Die Begünstigung von Beteiligten bei Personengesellschaften bei der „Zinsschranke“, DStR 2007, 1947; Heintges/Kamphaus/Loitz, Jahresabschluss nach IFRS und Zinsschranke, DB 2007, 1261; Hennrichs, Zinsschranke, IFRS-Rechnung und prüferische Durchsicht oder Prüfung, DStR 2007, 1926; Hennrichs, Zinsschranke, Eigenkapitalvergleich und IFRS, DB 2007, 2101 Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Kommentar, Loseblatt; Herzig/Bohn, Modifizierte Zinsschranke und Unternehmensfinanzierung, DB 2007, 1; Herzig/Bohn, Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz als Umsetzung des Sofortprogramms der Koalitionsparteien zum Unternehmenssteuerrecht, DStR 2009, 2341; Herzig/Liekenbrock, Zinsschranke im Organkreis – Systematisierung und Analyse der gesetzlichen Neuerungen, DB 2007, 2387; Herzig/Liekenbrock, Konzernabgrenzung und Konzernbilanzierung nach §§ 4h EStG, 8a KStG bei Organschaft, Ubg 2009, 750; Herzig/Liekenbrock, Zum EBITDA-Vortrag, DB 2010, 690; Herzig/Liekenbrock, Expertenbefragung zur Rechtsunsicherheit der Zinsschranke, Ubg 2011, 102; Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303; Hick, Kommentar zu BFH 18.12.2013, Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 4h EStG 2002 n.F., FR 2014, 564; Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 9. 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Aufl. 2017; Moxter, Fremdkapital nach neuem Bilanzrecht, WPg 1984, 397; München/Mückl, Die Verfassungswidrigkeit der Steuerinnovation „Zinsschranke“, DB 2016, 497; München/Mückl, Die Vereinbarkeit der Zinsschranke mit dem Grundgesetz – Eine verfassungsrechtliche Bestandsaufnahme und Würdigung im Zuge des BFH-Beschlusses vom 18.12.2013, DStR 2014,
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19 1469; München, Die Zinsschranke – eine verfassungs-, europa- und abkommensrechtliche Würdigung, 2010; Musil/Volmering, Systematische, verfassungsrechtliche und europarechtliche Probleme der Zinsschranke, DB 2008, 12; Oppel, BEPS in Europa: (Schein-) Harmonisierung der Missbrauchsabwehr durch neue Richtlinie 2016/1164 mit Nebenwirkungen, IStR 2016, 797; Pawelzik, Die Zuordnung von Firmenwerten und Akquisitionsschulden beim Eigenkapitaltest nach § 4h EStG (Zinsschranke) – Implikationen für die Akquisitionsstruktur, Ubg 2009, 50; Prinz, Zinsschranke vor dem Scheitern? – Anmerkungen zum BFH-Beschluss vom 18.12.2013 – I B 85/13, DB 2014 S. 927, DB 2014, 1102; Prinz, Ist die Zinsschranke verfassungsrechtlich besser als ihr Ruf? – Eine Einschätzung aus Praktikersicht, FR 2013, 145, 146; Prinz, Verfassungsrechtlicher Diskussionsstand zur Zinsschranke, DB 2013, 1273; Prinz, Objektives Nettoprinzip – Rechtfertigung: Qualifizierter Fiskalzweck?, DB 2013, 1571; Prinz, Komplex und unübersichtlich: Die neue Zinsschranke und ihre IFRS-Bezüge, GmbHR 2007, R 257; Reiche/Kroschewski, Akquisitionsfinanzierungen nach Einführung der Zinsschranke – erste Empfehlungen für die Praxis, DStR 2007, 1330; Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 2015; Rödder/Stangl, Zur geplanten Zinsschranke, DB 2007, 479; Rohrer/Roth, Zinsschranke: Belastungswirkungen bei der atypisch ausgeprägten KGaA, BB 2007, 2266; Schaden/Käshammer, Die Neuregelung des § 8a KStG im Rahmen der Zinsschranke, BB 2007, 2259; Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, 2007, S. 447 ff.; Scheunemann/Socher, Zinsschranke beim Leveraged Buy-out, BB 2007, 1144; Schmidt, EStG, 37. Aufl. 2018; Schmitz-Herrscheidt, Zinsschranke und Gesellschafterfremdfinanzierung bei nachgeordneten Mitunternehmerschaften, BB 2008, 699; Schnitger/Fehrenbacher, Kommentar Körperschaftsteuer KStG, 2012; Staats, Zur „Begrenzung der Gewinnverkürzung durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen“ – Der OECD-Bericht zu Maßnahme 4 des BEPS-Aktionsplans, IStR 2016, 135; Staats/Renger, Hebelt ein Logistikfehler des Gesetzgebers die Zinsschranke aus?, DStR 2007, 1801; Strobl in FS Döllerer, 1988, 613; Thiel, Die steuerliche Behandlung von Fremdfinanzierungen im Unternehmen, FR 2007, 729; Töben/Fischer, Fragen zur Zinsschranke aus der Sicht ausländischer Investoren, insbesondere bei Immobilieninvestitionen von Private-Equity-Fonds, Ubg 2009, 149; Wagner/Fischer, Anwendung der Zinsschranke bei Personengesellschaften, BB 2007, 1811; Weggenmann/Claß, Die Zinsschrankenregelung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand – Zugleich Anmerkung zu BFH, 14.10.2015 I R 20/15, BB 2016, 1175; Wiese, Anmerkung zum Beschluss des BFH vom 18.12.2013 (I B 85/13, GmbHR 2014, 542) – Zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke, GmbHR 2014, 546.
I. Handelsbilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen nach HGB 1. Allgemein Eine Anleihe ist vom Emittenten als Verbindlichkeit unter der Kategorie „Anleihe“ in der Bilanz auszuweisen (§ 266 Abs. 3 Buchst. C Nr. 1 HGB). Dabei sind Anleihen im Allgemeinen, wie andere Verbindlichkeiten, seit BilMoG1 zu ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen2. Erfüllungsbetrag ist der Betrag, der zur Erfüllung der Verpflichtung aufgebracht werden muss. Durch den Ansatz mit dem Erfüllungsbetrag anstatt dem Rückzahlungsbetrag nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. wird insbesondere auch verdeutlicht, dass künftige Preis- und Kostensteigerungen zu berücksichtigen sind3. Bezüglich der bei Anleihen auf „Geld“ lautenden Zahlungsverpflichtungen ergibt sich hieraus jedoch regelmäßig kein Unterschied4. 1 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 2 § 253 Abs. 1 HGB; Moxter, WPg 1984, 397 ff. 3 Vgl. z.B. Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 50; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 253 Rz. 2. 4 Vgl. z.B. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 253 HGB Rz. 17. Auch steuerlich ergeben sich aus der handelsbilanziellen Abstellung auf den Erfüllungsbetrag keine Ände-
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19.1
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
2. Ansatz einer Anleihe bei Unterverzinslichkeit (Disagio) 19.2
Auch bei Unterverzinslichkeit sowie bei Unverzinslichkeit ist die Anleihe grundsätzlich mit ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen5. Eine Abzinsung ist handelsrechtlich6 im Hinblick auf das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) unzulässig7.
19.3
Allerdings wird bei unter- oder unverzinslichen Anleihen regelmäßig eine verdeckte Zinszahlung angenommen, die sich zumeist aus der Differenz zwischen dem Ausgabebetrag und dem höheren Erfüllungsbetrag ergibt. Dabei werden Anleihen, die eine verdeckte Zinskomponente in Form eines über dem Ausgabebetrag liegenden Erfüllungsbetrages gewähren, in zwei Gruppen eingeteilt: In solche, die keine laufenden Zinsen vorsehen, sog. „Zero-Bonds“, und in solche, die zwar eine laufende Verzinsung einräumen, aber dennoch ein Disagio beinhalten, sog. „Diskontanleihen“.
19.4
Für Diskontanleihen erfolgt nach h.M. eine Bilanzierung nach der sog. Bruttomethode8, also dem Ansatz der Anleiheverbindlichkeit auf der Passivseite der Emittentin mit dem Erfüllungsbetrag9.
19.5
Bei Zero-Bonds erfolgt hingegen nach der sog. Nettomethode eine Passivierung mit dem Ausgabebetrag, der jährlich in Höhe der aufgelaufenen, nicht gezahlten Zinsen zu erhöhen ist10.
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rungen. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 2 EStG sind für Verbindlichkeiten weiterhin die Anschaffungskosten (entspricht dem Nennwert bzw. Rückzahlungsbetrag, vgl. z.B. BFH v. 4.5.1977 – I R 27/74, BStBl. II 1977, 802) maßgebend. Vgl. Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 63. Steuerlich schreibt § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG für unverzinsliche Verbindlichkeiten eine Abzinsung mit einem Zinssatz von 5,5 % p.a. für Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mindestens 12 Monaten vor, so dass sich insoweit ein Abzinsungsertrag ergibt. Vgl. Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 63 m.w.N.; Merkt in Baumbach/ Hopt, HGB, § 253 Rz. 2; Baierl in Beck’sches Hdb. Rechnungslegung, B 234 Rz. 70 m.w.N. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 81 und 85 f.; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 64 f. Nach der sog. Bruttomethode ist der Rückzahlungsbetrag zu passivieren (daher „Brutto“), während der Unterschied zwischen Ausgabe- und Rückzahlungsbetrag, das sog. Disagio, als Rechnungsabgrenzungsposten aktiviert werden kann (Wahlrecht) und sodann über die Laufzeit der Anleihe aufzulösen ist. Vgl. zur Bruttomethode Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 229; Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 81; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 64 f. sowie Schubert/Waubke in Beck’scher BilanzKomm., § 250 HGB Rz. 35 f. Grund hierfür ist das Abzinsungsverbot basierend auf dem Realisationsprinzip. Vgl. KnobbeKeuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 229; Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 81. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 85 f.; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 65; BMF-Schreiben zur Bilanzierung von Zerobonds v. 5.3.1987 – IV B 2 - S 2133 - 1/ 87, BStBl. I 1987, 394; Kulosa in Schmidt, EStG, § 6 Rz. 140; ausführlich mit Berechnungsbeispiel Beckmann, BB 1991, 938; Strobl in FS Döllerer, 1988, S. 613, 619 f. Begründet wird diese Bilanzierung von Zero-Bonds nach den Grundsätzen der Nettomethode damit, dass die zukünftigen Zinsen einem nicht passivierungsfähigen schwebenden Geschäft unterliegen.
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3. Ansatz einer Anleihe bei Überverzinslichkeit (Agio) Auch bei Überverzinslichkeit einer Anleihe ist vom Emittenten der Erfüllungsbetrag (Nennwert) zu passivieren11. Nach dem Vorsichtsprinzip kann u.U. wie für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften eine Rückstellung in Höhe der Differenz vom tatsächlichen zum üblichen Zins zu bilden sein12.
19.6
Im Fall der Emission einer Anleihe mit einem über dem Erfüllungsbetrag liegenden Ausgabebetrag muss die Differenz, das sog. Agio, durch einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten entsprechend der Kapitalnutzung über die Laufzeit verteilt werden13.
19.7
II. Steuerliche Behandlung der Anleihe bei einer inländischen Emittentin Bei der Finanzierung durch eine Anleiheemission spielt die steuerliche Behandlung regelmäßig eine entscheidende Rolle. Die steuerliche Behandlung von Anleihen bei der Emittentin knüpft nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) grundsätzlich an die vorstehend geschilderte handelsbilanzielle Behandlung an. Steuerlich von entscheidender Bedeutung ist die Abzugsfähigkeit des Finanzierungsaufwands bei der Emittentin.
19.8
1. Grundsatz: Betriebsausgabenabzug Geht man davon aus, dass es sich bei der Anleihe um steuerliches Fremdkapital handelt, was regelmäßig der Fall sein wird, sind die gezahlten Zinsen grundsätzlich als Betriebsausgaben für Zwecke der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer abzugsfähig14. Von steuerlichem Fremdkapital ist regelmäßig dann auszugehen, wenn die Rückzahlung des Anleihebetrages rechtlich verbindlich ist, für die Kapitalüberlassung ein Entgelt vorgesehen ist und keine über den Rückzahlungsbetrag hinausgehende Beteiligung an den stillen Reserven der Emittentin besteht15. Allerdings existiert eine Vielzahl von Abzugsbeschränkungen für Zwecke der Körperschaft- und Gewerbesteuer, welche im Einzelnen im Hinblick auf den Steuerstatus der emittierenden Gesellschaft zu beachten sind.
11 Vgl. Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 253 Rz. 2; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 60. 12 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 78; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 60. 13 Vgl. § 250 Abs. 2 HGB; Schubert in Beck’scher Bilanz-Komm., § 253 HGB Rz. 90; Adler/Düring/Schmaltz, § 253 HGB Rz. 148. Es besteht in diesem Fall nicht – wie beim aktiven Rechnungsabgrenzungsposten für ein Disagio – ein Wahlrecht zur Abgrenzung, sondern eine Pflicht. 14 § 4 Abs. 4 EStG ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG: „Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind“ (s. hierzu Loschelder in Schmidt, EStG, § 4 Rz. 520 „Finanzierungskosten“). 15 Vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; vgl. zur steuerlichen Behandlung der unterschiedlichen Anleiheformen in Bezug auf Unter- und Überverzinslichkeit oder als Zero-Bond, Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 5 EStG Rz. 1086 ff. „Finanzprodukte“ m.w.N.
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§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
2. Abzugsbeschränkungen für Zwecke der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer (mit Ausnahme der so genannten Zinsschranke, § 4h EStG, § 8a KStG) 19.10 Neben den Einschränkungen bei der Abziehbarkeit von Zinsaufwendungen durch die sog.
Zinsschranke in § 4h EStG, § 8a KStG (vgl. hierzu Rz. 19.15 ff.) sind weitere Abzugsbeschränkungen für die Besteuerung der Emittentin von Bedeutung. Zunächst ist hier § 8b Abs. 5 KStG zu nennen: Nach § 8b Abs. 1 KStG sind insbesondere Dividendeneinkünfte einer Kapitalgesellschaft steuerfrei16. Nach der Grundregel des § 3c EStG wären Zinsaufwendungen in Zusammenhang mit diesen steuerfreien Einkünften nicht abzugsfähig. Gemäß § 8b Abs. 5 Satz 2 KStG findet § 3c EStG in derartigen Konstellationen jedoch keine Anwendung, so dass etwaige mit den steuerfreien Beteiligungseinkünften in Zusammenhang stehende Finanzierungsaufwendungen voll abzugsfähig bleiben. Im Gegenzug fingiert § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG jedoch nicht abzugsfähige Betriebsausgaben i.H.v. 5 % der steuerfreien Einkünfte nach § 8b Abs. 1 KStG. Im Ergebnis führt dies zu einer Freistellung von 95 % der Dividendeneinnahmen.
19.11 Im Kapitalgesellschaftskonzern, in dem Beteiligungen an Personengesellschaften bestehen,
ist außerdem die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 4a EStG zu berücksichtigen17. Diese Vorschrift wurde ursprünglich als Handhabe gegen das sog. Zweikontenmodell kreiert18. U.E. ist diese Vorschrift aber in Personengesellschaftsstrukturen, bei denen nur Kapitalgesellschaften Gesellschafter der Mitunternehmerschaft sind, nicht anzuwenden, da es sich dabei gerade nicht um Konstellationen des ursprünglichen Zweikontenmodells handelt, bei dem Zinsaufwendungen aus dem Privatbereich in den Betriebsvermögensbereich verlagert werden sollen19, 20. 16 Nach einem ursprünglichen Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (vgl. den Entwurf i.d.F der Stellungnahme des BR, BR-Drucks. 302/12) sollte die Steuerfreiheit mit Wirkung ab dem VZ 2012 für Dividenden aus sog. Streubesitzbeteiligungen (§ 8b Abs. 4 KStG-E) entfallen. Eine Streubesitzbeteiligung wäre danach eine Beteiligung, die zu Beginn des Veranlagungszeitraumes unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals der Körperschaft beträgt. Betriebsausgaben (also insbesondere Refinanzierungszinsen) hätten nach dem Entwurf nur mit Bezügen und Gewinnen aus Streubesitzbeteiligungen ausgeglichen werden können. Es hätte die Möglichkeit eines Vortrages bestanden. Die Regelung wurde allerdings im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zunächst nicht weiterverfolgt und der Bundestag hat das JStG 2013 ohne sie beschlossen (vgl. BT-Drucks. 17/11190). Dem Vernehmen nach besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Regelung im Zuge eines Vermittlungsverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat – u.U. im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20.11.2011 in der Rechtssache C-284/09 zu Dividendenzahlungen an bestimmte gebietsfremde EU-/EWRKörperschaften“ (EuGHDivUmsG, BT-Drucks. 17/11314) – wieder aufgegriffen wird. 17 Vgl. hierzu BMF-Schreiben v. 17.11.2005, BStBl. I 2005 1019. 18 Vgl. hierzu Loschelder in Schmidt, EStG, § 4 Rz. 522. 19 Ebenso z.B. Behrens/Renner, AG 2010, 745; Ley in KÖSDI 10/2006, 15277, 15291 m.w.N. Dies lässt sich u.E. insbesondere damit begründen, dass sich in derartigen Fällen ein Missbrauch, d.h. in erster Linie die Verlagerung von privat veranlassten Schuldzinsen in den betrieblichen Bereich, aufgrund der fehlenden Privatsphäre der Kapitalgesellschaft als Mitunternehmer ausschließen lässt. Nach dem FG Düsseldorf (v. 18.3.2010 – 11 K 2486/08 F, GmbHR 2010, 931 und v. 8.4.2010 – 11 K 3720/08 F) soll die Einschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG jedoch auch dann Anwendung finden, wenn ausschließlich Kapitalgesellschaften an einer Personengesellschaft beteiligt sind. Begründet wird dies insbesondere damit, dass die Vorschrift ausdrücklich und typisierend nicht auf einzelne Privatvorgänge, sondern auf die Eigenkapitalentwicklung abstelle. Unerheblich sei damit, ob die Entnahmen für betriebliche oder
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3. Abzugsbeschränkung für Zwecke der Gewerbesteuer Nach § 8 Nr. 1 GewStG wird dem gewerbesteuerpflichtigen Gewinn ein Viertel der Zinszahlungen für Schulden hinzugerechnet. Seit dem EZ 2008 (Abschaffung der hälftigen Hinzurechnung sog. Dauerschulden) ist die Langfristigkeit der Verbindlichkeiten unerheblich. Hinzurechnungspflichtig sind sämtliche Gegenleistungen für die Kapitalüberlassung, die wirtschaftlich Zinscharakter haben21. Entgelte, die zwar nicht als Zinsen bezeichnet werden, aber wie diese Entgeltcharakter haben, so z.B. das Damnum und das Disagio, werden dementsprechend von der Regelung erfasst. Aus der (steuerlichen) Abzinsung und der nachfolgenden Aufzinsung von unverzinslichen Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG ergeben sich dagegen keine Entgelte nach § 8 GewStG22. Die 25 %ige Hinzurechnung wird regelmäßig bei einer Anleihefinanzierung gegeben sein.
19.12
Zu berücksichtigen ist das schon seit jeher bestehende Bankenprivileg gemäß § 19 GewStDV. Die Sonderregel greift, wenn es sich bei der Emittentin um eine Bank i.S.v. § 1 KWG oder – jeweils unter bestimmten Voraussetzungen – ein Pfandleihunternehmen, Asset-Backed-Securities-Gesellschaften, Leasing- und Factoringunternehmen oder banknahe Zweckgesellschaften handelt23. Die Regelung führt regelmäßig dazu, dass die begünstigten Unternehmen von der Hinzurechnung ausgenommen sind24. In der Praxis spielt die Strukturierung einer Transaktion innerhalb der Vorschrift des § 19 GewStDV daher eine bedeutende Rolle25.
19.13
4. Beschränkung durch die Zinsschranken-Regelung gemäß § 4h EStG, § 8a KStG a) Die Regelung der Zinsschranke aa) Problemstellung Mit der Unternehmensteuereform 2008 wurden die Regelungen des § 8a KStG a.F. durch die sog. Zinsschranke ersetzt, wodurch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Finanzierungs-
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private Zwecke verwendet werden. Der BFH brauchte im anschließenden Revisionsurteil (BGH v. 12.2.2014 – IV R 22/10, BStBl. II 2014, 621 = GmbHR 2014, 835) zu dieser Frage keine Stellung zu nehmen. Hat die Emittentin die Rechtsform einer Personengesellschaft und sind an der Personengesellschaft natürliche Personen beteiligt, ist zudem die Abzugsbeschränkungen des § 3c Abs. 2 EStG zu berücksichtigen. Das Abzugsverbot gemäß § 3c Abs. 2 EStG setzt voraus, dass natürliche Personen an der Emittentin beteiligt sind. In diesem Fall sind die Refinanzierungszinsen, welche im wirtschaftlichen Zusammenhang mit den dem Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 EStG unterliegenden Dividenden stehen, nur i.H.v. 60 % abzugsfähig. Dies gilt gemäß § 3c Abs. 2 EStG ohne Rücksicht darauf, ob in dem betreffenden Veranlagungszeitraum Gewinnausschüttungen durchgeführt worden sind. Vgl. R 8.1 Abs. 1 Satz 1, 2 GewStR 2009; Köster in Lenski/Steinberg, GewStG, § 8 Nr. 1 lit. a Rz. 75 f. Vgl. BMF-Schreiben v. 26.5.2005 – IV B 2 - S 2175–7/05, BStBl. I 2005, 699 Rz. 39; gleichlautender Ländererlass v. 4.7.2008 – 35-G 1422–1/08, BStBl. I 2008, 730 Rz. 12. Dagegen stellen Aufzinsungen Vergütungen für Fremdkapital i.S.d. Zinsschranke dar (§ 4h Abs. 3 Satz 4 EStG). Vgl. für Einzelheiten z.B. Köster in Lenski/Steinberg, GewStG, § 8 Nr. 1 lit. a Rz. 195 ff. Vgl. Köster in Lenski/Steinberg, GewStG, § 8 Nr. 1 lit. a Rz. 190 m.w.N. Es geht darum, eine Struktur zu implementieren, bei der die Ausnahmevorschrift des § 19 GewStG eingreift und so das Bankenprivileg in Anspruch genommen werden kann; vgl. Giehl, UStB 2004, 357 ff.
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19.14
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aufwendungen noch weitgehender eingeschränkt wurde und im Ergebnis eine noch gravierendere Beschränkung der Finanzierungsfreiheit erreicht wurde. Mittlerweile hat sich die Regelung der Zinsschranke als „großer Exportschlager“ erwiesen, da viele Länder dem deutschen Beispiel gefolgt sind, zuletzt die USA im Rahmen der US Steuerreform26.
19.15 Die Grundnorm der Zinsabzugsbeschränkung – die sog. Zinsschranke – findet sich nun
erstmalig im EStG. In § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG heißt es: „Zinsaufwendungen eines Betriebs sind abziehbar in Höhe des Zinsertrags, darüber hinaus nur bis zur Höhe des verrechenbaren EBITDA“. § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG definiert das verrechenbare EBITDA sodann als ein um Zinsaufwendungen und bestimmte Abschreibungen erhöhtes und um Zinserträge vermindertes modifiziertes Betriebsergebnis. Es handelt sich somit um eine allgemeine Zinsabzugsbeschränkung, die nicht auf Gesellschafter-Fremdfinanzierung und nicht auf die fremdfinanzierte Kapitalgesellschaft begrenzt ist. Daher ist die Beschränkung durch die Zinsschranke nicht nur für Anleiheemissionen bei der bisherigen Problematik der sog. Rückgriffsfälle relevant, sondern grundsätzlich ist für jeden Fall der Anleiheemission die Frage der Abzugsfähigkeit der Zinsaufwendungen zu prüfen.
19.16 Die Rechtsfolge der Zinsschranke beschränkt sich auf ein Abzugsverbot beim Schuldner,
der allerdings nicht abziehbare Zinszahlungen in künftige Veranlagungszeiträume vortragen kann. Insbesondere findet keine Umqualifizierung in eine verdeckte Gewinnausschüttung mehr statt. Somit ergeben sich auch keine Auswirkungen beim Gläubiger, der unabhängig von der Abzugsfähigkeit beim Schuldner die Zahlungen als reguläre Zinseinkünfte zu versteuern hat. Die Rechtsfolge der Zinsschranke beinhaltet gewissermaßen „systemimmanent“ eine (temporäre) Doppelerfassung der Zinszahlung in Höhe des nicht abziehbaren Teils (und nicht mehr wie beim „alten“ § 8a KStG als Folge etwaiger Qualifikationskonflikte in grenzüberschreitenden Konstellationen). Diese temporäre Doppelbesteuerung soll durch die Möglichkeit eines Zinsvortrages abgemildert werden. Ob dies gelingt, erscheint indes sehr fraglich, da der Zinsvortrag wiederum nur in den Grenzen der Zinsschranke genutzt werden und im Zuge bestimmter Unternehmenstransaktionen ganz untergehen kann. Ist der Abzug der vortragsfähigen Zinsen in der Zukunft wahrscheinlich, können latente Steuern aktiviert werden. In diesem Fall wirkt sich die Zinsschranke in der Konzernsteuerquote nicht aus27.
bb) Verfassungsmäßigkeit von §§ 4h EStG, 8a KStG?
19.17 Im Anschluss an die schon seit Längerem in der Literatur geführten Diskussion28 hält
nunmehr auch der BFH §§ 4h EStG, 8a KStG für verfassungswidrig29 und hat diese Frage deswegen dem BVerfG vorgelegt30. Die Entscheidung des BVerfG steht derzeit noch aus.
26 Vgl zur US Steuerreform 2017 z.B. Ehlermann/Köhler, ISR 2018, 37, 38, Sec. 163(j) IRC. 27 Vgl. Rödder/Stangl, DB 2007, 479, 482. 28 Prinz, DB 2014, 1102, 1102 f.; Wiese, GmbHR 2014, 546, 546 f.; München/Mückl, DStR 2014, 1469, 1470 ff.; Förster in Gosch, KStG, § 8a Rz. 50 ff.; Glahe, Ubg 2015, 454, 455 ff.; Goebel/Eilinghoff, DStZ 2010, 550, 554 ff.; Hey, BB 2007, 1303; 1305 f.; Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4h EStG Rz. 6; Hick, FR 2014, 564, 566 f.; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 4h Rz. 15; Jehlin, Die Zinsschranke als Instrument zur Missbrauchsvermeidung und Steigerung der Eigenkapitalausstattung, 2013, S. 135 ff.; Loschelder in Schmidt, § 4h Rz. 4; Marquart/Jehlin, DStR 2013, 2301, 2302 ff.; Mattern in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 8a Rz. 36; München, Die Zinsschranke – eine verfassungs-, europa- und abkommensrechtliche Würdigung, 2010, S. 44 ff.; Musil/Volmering, DB 2008, 12, 14 f.; Oellerich in Mössner/
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
Nach Auffassung des BFH verstoßen die Regelungen gegen das sog. Leistungsfähigkeitsprinzip gem. Art. 3 Abs. 1 GG, weil deren ergebnisabhängige Zinsabzugsbeschränkung dem Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des Ertragsteuerrechts bzw. des Körperschaftsteuerrechts widerspreche31. Das stelle einen Verstoß gegen das sog. objektive Nettoprinzip dar, nachdem sich die Leistungsfähigkeit bemesse32. Der BFH sieht einen Eingriff insbesondere durch das veranlagungsübergreifende Konzept des Betriebsausgabenabzugs durch die Zinsschranke gegeben33. Dieser Eingriff sei auch nicht durch den gesetzgeberisch intendierten Zweck der Missbrauchsbekämpfung34 zu rechtfertigen35, denn gerade im reinen Inlandsfall sei eine Gefährdung des deutschen Steuersubstrats nicht erkennbar36. Auch sei die Regelung zu pauschal und lasse insbesondere eine Reaktion auf branchen- oder situationsspezifische Besonderheiten nicht zu37. Offen ist indes, wie das BVerfG die Vorlagefrage entscheiden wird. Es ist nicht auszuschließen, dass es die Vorlage bereits als unzulässig abweisen wird38, denn in der Zwischenzeit hat die EU im Zuge der BEPS-Diskussion39 die RL 2016/1164 (Anti-Tax-Avoidance Richtlinie) erlassen40, nach deren Art. 4 eine dem deutschen Recht weitgehend entsprechende Vorschrift bis 31. Dezember 201841 in nationales Recht umzusetzen ist42. Daher könnte sich ergeben, dass das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke bis zum Inkrafttreten der Richtlinie annimmt und für die Zeit danach durch die Geltung der Richtlinie und einer ggf. erfolgenden Änderung der Bestimmungen der Zinsschranke die Verfassungswidrigkeit nicht mehr gegeben wäre43. In diesem Fall wäre allerdings auch eine Vorlage an den EuGH denkbar.
29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Seeger, KStG, § 8a Rz. 36 ff.; Prinz, DB 2013, 1273 und 1571; Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8a KStG Anm. 4; Seiler in Kirchhof, EStG, § 4h Rz. 3 ff.; Stangl in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, KStG, § 8a Rz. 21 f.; Stöber in Lademann, KStG, § 8a Rz. 243 ff. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, DStR 2016, 301 = AG 2016, 219; zuvor schon äußerte der BFH Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke, vgl. BFH v. 18.12.2013 – I B 85/13; BFH v. 13.2.2012 – I B 111/11, AG 2012, 409. Das Verfahren ist derzeit beim BVerfG unter dem Az. 2 BvL 1/16 anhängig. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 9, DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 16 ff., DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 22 ff., DStR 2016, 301 = AG 2016, 219; a.A. BMF v. 13.11. 2014, IV C 2 - S 2742-a/07/10001:009, BStBl. I 2014, 1516. Vgl. Prinz, FR 2013, 145, 146. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 28 ff., DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 38 und 47 ff., DStR 2016, 301 = AG 2016, 219; München/ Mückl, DStR 2014, 1469, 1473. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15 Rz. 54, DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. Vgl. hierzu auch Oppel, IStR 2016, 797, 799 m.w.N.; a.A. wohl München/Mückl, DB 2016, 497, 500 f.; vgl. zu dem Konflikt zwischen Verfassungs- und Europarecht auch Weggenmann/Claß, BB 2016, 1175, 1179 f. Vgl. ausführlich Staats, IStR 2016, 135. Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12. Juli 2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts. Vgl. Art. 11 Abs. 1 RL 2016/1164 (Anti-Tax-Avoidance Richtlinie). Linn, IStR 2016, 645, 652 und Weggenmann/Claß, BB 2016, 1175, 1180, die darauf hinweisen, dass die deutsche Zinsschranke die „Blaupause“ für Art. 4 der Anti-Tax-Avoidance Richtlinie darstellte; So auch Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 314. So auch Weggenmann/Claß, BB 2016, 1175, 1179.
Breuninger/Frey | 673
19.17a
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
19.17b
Die Finanzverwaltung wendet die Norm trotz des konkreten Normenkontrollverfahrens weiterhin an. So hat das BMF schon in Reaktion auf die Beschlüsse des BFH aus 2013 einen Nichtanwendungserlass erlassen44. Hierin wird die Auffassung vertreten, dass das öffentliche Vollzugsinteresse Vorrang vor dem individuellen Aussetzungsinteresse habe, denn die Gefahr für die eine geordnete Haushaltsführung sei entgegen dem BFH nicht als gering einzustufen, weil sich die finanziellen Auswirkungen aufgrund der Geltung der Regelung seit dem VZ 2008 aufsummieren würden45. Diese fiskalisch motivierte Auffassung der Verwaltung ist mit dem BFH abzulehnen. In jedem Fall ist den betroffenen Steuerpflichtigen zu raten, die Verfahren offenzuhalten46. b) Tatbestand und Rechtsfolge der §§ 4h EStG, 8a KStG aa) Überblick über die gesetzliche Regelung
19.18 Die Grundvorschrift des § 4h EStG47: Kern der gesetzlichen Regelung der Zinsschranke
ist § 4h Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG. Zinsaufwendungen eines Betriebs sind demnach in Höhe des Zinsertrags immer abziehbar (sog. Nettozinsaufwand), darüber hinaus nur bis zu 30 % eines modifizierten Betriebsergebnisses (sog. verrechenbares EBITDA). Nicht abzugsfähige Zinsaufwendungen sind außerhalb der Bilanz hinzuzurechnen. Sie können nach § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG jedoch zeitlich unbegrenzt in die folgenden Wirtschaftsjahre vorgetragen werden (Zinsvortrag). Zusätzlich wurde mit dem sog. „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“48 in § 4h Abs. 1 Satz 3 EStG der sog. EBITDA-Vortrag eingeführt, der allerdings auf die folgenden fünf Wirtschaftsjahre begrenzt ist.
19.19 § 4h Abs. 2 EStG enthält drei Konstellationen, in denen die Zinsschranke keine Anwendung findet.
(1) § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. a EStG sieht eine de-minimis-Ausnahme für Nettozinsaufwand vor, der weniger als 3 Mio. Euro beträgt49. Dabei handelt es sich um eine betriebsbezogene Freigrenze und keinen Freibetrag. Ein auch nur geringfügiges Überschreiten der Freigrenze führt dazu, dass die Zinsschranke auf die gesamten Zinszahlungen durchschlägt („Fallbeil“-Effekt)50. (2) Nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG ist die Zinsschranke nicht anzuwenden, wenn ein Betrieb nicht oder nur anteilsmäßig zu einem Konzern gehört. (3) Die sog. „Escape“-Klausel in § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG sieht vor, dass ein Betrieb, der zu einem Konzern gehört, dann nicht den Einschränkungen der Zinsschranke unter44 45 46 47
BMF v. 13.11.2014 – IV C 2 - S 2742-a/07/10001:009, BStBl. I 2014, 1516. BMF v. 13.11.2014 – IV C 2 - S 2742-a/07/10001:009, BStBl. I 2014, 1516, Punkt 2. Vgl. München/Mückl, DB 2016, 497, 500; München/Mückl, DStR 2014, 1469, 1475. Vgl. allgemein zu Anwendungsfragen der Zinsschranke, OFD Karlsruhe v. 10.10.2014 – 201410-10 S 274.2 b/1/21 - St 221. 48 Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 2. 49 Die ursprüngliche Freigrenze von 1 Mio. Euro wurde mit dem sog. Bürgerentlastungsgesetz (Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen v. 16.7. 2009, BGBl. I 2009, 1959) befristet bis VZ 2009 auf 3 Mio. Euro angehoben. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz (Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums v. 22.12. 2009, BStBl. I 2010, 2) wurde die zeitliche Begrenzung ersatzlos gestrichen. 50 Vgl. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 143. Kritisch hierzu insbesondere Herzig/Bohn, DB 2007, 1, 2 und Köhler, DStR 2007, 597, 598, die sich jeweils für einen Freibetrag aussprechen. Vgl. dazu auch unter Rz. 19.29.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
liegt, wenn dessen Eigenkapitalquote am Schluss des vorangegangenen Abschlussstichtages die Eigenkapitalquote des Konzerns um nicht mehr als zwei Prozentpunkte unterschreitet. Der Eigenkapitalvergleich ist dabei primär nach IFRS zu führen51. § 8a KStG: § 8a KStG beinhaltet lediglich Modifikationen der allgemeinen ZinsschrankenRegelung des § 4h EStG52. Hiernach ist auf Kapitalgesellschaften § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG mit der Maßgabe anzuwenden, dass anstelle des maßgeblichen Gewinns das „maßgebliche Einkommen“ zu berücksichtigen ist, was im Wesentlichen dazu führt, dass von § 8b KStG privilegierte Dividenden oder Veräußerungsgewinne nur zu 5 % in das steuerliche EBITDA der Kapitalgesellschaft eingehen. Ferner finden sich in § 8a Abs. 2 und 3 KStG Sonderbestimmungen zu der Konzern- bzw. „Escape“-Klausel in § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b bzw. lit. c EStG, die dann jeweils keine Anwendung finden, wenn ein Fall der schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung gegeben ist (was jeweils unterschiedlich verstanden wird).
19.20
Personengesellschaften unterliegen den allgemeinen Zinsschranken-Bestimmungen. Eine Spezialregelung enthält § 4h Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach auf eine einer Körperschaft nachgeordnete Mitunternehmerschaft § 8a Abs. 2 und 3 KStG entsprechend anzuwenden sind53.
19.21
Sonderregelungen für Organschaften in § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG: Für Organschaften enthält § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG eine wichtige Sonderbestimmung54. Organschaften gelten für Zwecke der Zinsschranke demnach als ein Betrieb; § 4h EStG und § 8a KStG finden bei der Organgesellschaft keine Anwendung.
19.22
Sonderregelungen für Bestand und Untergang des Zinsvortrags sowie der EBITDAVorträge: Detaillierte Vorschriften regeln schließlich das Schicksal des Zinsvortrags sowie des EBITDA-Vortrags: So findet sich in § 4h EStG mit Absatz 5 eine Bestimmung, die das Untergehen eines Zins- und EBITDA-Vortrags im Falle einer Betriebsaufgabe bzw. Übertragung oder anteilig im Falle des Ausscheidens eines Mitunternehmers anordnet. § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG sieht die entsprechende Anwendbarkeit des § 8c KStG auf den Zinsvortrag – nicht jedoch den EBITDA-Vortrag55 – vor. Ähnliche Regelungen finden sich auch im Umwandlungssteuergesetz: Im Fall einer Verschmelzung auf eine Personengesellschaft oder dem Formwechsel in eine Personengesellschaft gehen ein etwaiger Zinsvortrag sowie die EBITDA-Vorträge des übertragenden Rechtsträgers nicht auf den übernehmen-
19.23
51 Zu den damit verbundenen Problemen stv. Hennrichs, DB 2007, 2101. 52 Ausführlicher hierzu Schaden/Käshammer, BB 2007, 2259. 53 Die nachgeordnete Personengesellschaft wird dennoch weiterhin als eigenständiger Betrieb i.S.d. Zinsschranke behandelt und hat (weiterhin) einen „maßgeblichen Gewinn“. Da die Beteiligung an der nachgeordneten Personengesellschaft steuerlich nach der sog. Spiegelbildmethode zu bilanzieren ist, könnte dies zu einer doppelten Erfassung des Gewinns der Personengesellschaft in der Bemessungsgrundlage der Zinsschranke führen und zu entsprechenden Gestaltungen anregen (vgl. dazu z.B. Hahne, DStR 2007, 1947; Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 106, 222 f.; a.A. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 42). 54 Vgl. hierzu Herzig/Liekenbrock, DB 2007, 2387; Herzig/Liekenbrock, Ubg 2009, 750; Bron, IStR 2008, 14; BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 10. 55 Vgl. dazu z.B. Heuermann in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8a KStG Rz. 12; Bien/Wagner, BB 2009, 2627, 2633; Herzig/Bohn, DStR 2009, 2341, 2345; Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 126 („Fehler im Gesetzgebungsverfahren“).
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§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
den Rechtsträger mit über (§ 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Gleiches gilt über § 12 Abs. 3 UmwStG im Fall einer Verschmelzung oder Vermögensübertragung auf eine andere Körperschaft. Bei einer Abspaltung mindern sich ein Zinsvortrag und die EBITDA-Vorträge der übertragenden Körperschaft insoweit als das Vermögen auf eine andere Körperschaft übergeht, § 15 Abs. 3 UmwStG. § 20 Abs. 9 UmwStG sieht vor, dass im Falle einer Sacheinlage nach § 20 UmwStG Zins- und EBITDA-Vorträge des eingebrachten Betriebs untergehen. Bei einer Einbringung in eine Personengesellschaft ordnet § 24 Abs. 6 UmwStG die entsprechende Anwendung von § 20 Abs. 9 UmwStG an. bb) Der Tatbestand des § 4h Abs. 1 EStG
19.24 Der relevante Betrieb: Die Zinsschranke stellt für die Frage der Abziehbarkeit von Zins-
aufwand auf den betreffenden fremdfinanzierten Betrieb ab. Allerdings ist der für die Zinsschranke zentrale Begriff des „Betriebs“ weder in § 4h EStG noch in § 8a KStG definiert und in der Literatur teilweise umstritten56. Die Finanzverwaltung hat hierzu mit einer Aufzählung Stellung genommen57: Danach hat z.B. die KGaA nur einen Betrieb i.d.S., zu dem auch der Gewinnanteil des persönlich haftenden Gesellschafters gehört, während die vermögensverwaltende Personengesellschaft nur dann einen Betrieb hat, sofern sie gewerblich geprägt (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) wird. In- und ausländische Betriebsstätten eines inländischen Unternehmens gelten dagegen nicht als eigenständige Betriebe, sondern sind Teil des einen inländischen58. Dagegen sollte die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wie ein Betrieb zu behandeln sein, der für sich der Zinsschranke unterliegt59 Als ein „Betrieb“ i.S.d. Zinsschranke ist kraft Gesetzes60 auch ein Organkreis anzusehen. Dies führt zum einen dazu, dass Darlehen, die innerhalb eines Organkreises vergeben werden, aus der Perspektive der Zinsschranke hinweg zu denken sind. Andererseits kann der Betrieb „Organschaft“ beispielsweise die Freigrenze des § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. a EStG insgesamt nur einmal in Anspruch nehmen61.
19.25 Der Zinsbegriff: Gemäß § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG sind Zinsaufwendungen im Sinne der
Zinsschranke solche Vergütungen für Fremdkapital, die den maßgeblichen Gewinn gemindert haben. Als Zinserträge gelten nach § 4h Abs. 3 Satz 3 EStG alle Erträge aus Kapitalforderungen, die den maßgeblichen Gewinn erhöht haben. Vom Zinsbegriff der Zinsschranke sind ausdrücklich auch Aufwendungen bzw. Erträge aus der Auf- bzw. Abzin56 Im Schrifttum haben sich im Ergebnis zwei Auffassungen herauskristallisiert: die einkunftsartabhängige sowie die funktionale und tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise. Vgl. dazu mit Nennungen der jeweiligen Vertreter im Einzelnen Herzig/Liekenbrock, Ubg 2011, 102, 105 f. 57 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 2 ff.; Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 8 m.w.N. 58 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 9; Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 8 m.w.N. 59 Vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 8 m.w.N. 60 § 15 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG: „Organträger und Organgesellschaften gelten als ein Betrieb im Sinne des § 4h des Einkommensteuergesetzes“. 61 Besondere Fragen stellen sich im Hinblick auf hybride Gesellschaftsformen wie z.B. eine atypisch stille Gesellschaft oder eine KGaA (vgl. zu letzterer Rohrer/Orth, BB 2007, 2266) und insbesondere auch im grenzüberschreitenden Kontext. Fraglich ist beispielsweise, ob allein eine inländische Betriebsstätte einen Betrieb darstellt oder ob nicht vielmehr nur das Gesamtunternehmen bestehend aus Stammhaus und Betriebsstätte als Betrieb i.S.d. Zinsschranke qualifiziert. Die Gesetzesbegründung ist insofern unklar (vgl. Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 455).
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
sung unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Verbindlichkeiten oder Kapitalforderungen erfasst (§ 4h Abs. 3 Satz 4 EStG)62. Ermittlung der abzugsfähigen Zinsaufwendungen: Der betrieblich veranlasste und damit grundsätzlich abzugsfähige Zinsaufwand unterliegt gemäß § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG zwei nacheinander anzuwendenden Abzugsbeschränkungen: Nach § 4h Abs. 1 Satz 1 1. Alt. EStG können die Zinsaufwendungen eines Wirtschaftsjahres mit den Zinserträgen des gleichen Jahres ohne Einschränkungen verrechnet werden (1. Stufe). Ein verbleibender Überschuss – der Nettozinsaufwand – kann gemäß § 4h Abs. 1 Satz 1 2. Alt. EStG nur i.H.v. maximal 30 % des sog. „verrechenbaren EBITDA“ des Betriebes geltend gemacht werden (2. Stufe). Das verrechenbare EBITDA errechnet sich nach § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG originär steuerlich aus dem maßgeblichen Gewinn, d.h. dem nach den übrigen Vorschriften des EStG ermittelten steuerpflichtigen Gewinn (§ 4h Abs. 3 Satz 1 EStG), der um die Zinsaufwendungen und bestimmte Abschreibungen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 6 Abs. 2a Satz 2 EStG, § 7 EStG) erhöht und um die Zinserträge gemindert wird. Hinzuzurechnen sind insbesondere auch die Abschreibungen aus Ergänzungsbilanzen63. Für Kapitalgesellschaften wird die Ermittlung dahingehend durch § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG modifiziert, dass hier nicht auf den maßgeblichen Gewinn, sondern vielmehr auf das maßgebliche Einkommen abzustellen ist64.
19.26
EBITDA-Vortrag als zusätzliche Bemessungsgrundlage für den Zinsabzug: Durch das sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetz65 wurde mit dem sog. EBITDA-Vortrag eine weitere Bemessungsgrundlage für den Zinsabzug eingeführt66: übersteigt das verrechenbare EBITDA eines Wirtschaftsjahres den Nettozinsaufwand, kann gemäß § 4h Abs. 1 Satz 3
19.27
62 Vgl. zum Begriff der Zinsaufwendungen und der Zinserträge im Einzelnen BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 15 ff. und ausführlich z.B. Frotscher in Frotscher, Praxiskommentar EStG, § 4h Rz. 115 ff. Zur Behandlung von Zins-Swaps im Rahmen der Zinsschranke, OFD Karlsruhe v. 10.10.2014 – 2014-10-10 S 274.2 b/1/21 - St 221. 63 Vgl. zu Gestaltungsmöglichkeiten zur Erhöhung der Bemessungsgrundlage für den Zinsabzug z.B. Frotscher in Frotscher, Praxiskommentar EStG, § 4h Rz. 50 und Frotscher in Frotscher/ Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 45 f. 64 Wichtigste praktische Auswirkungen hiervon sind, dass verdeckte Gewinnausschüttungen in die Ermittlung der relevanten Bezugsgröße mit eingehen und Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften das maßgebliche Einkommen im Regelfall lediglich zu 5 % erhöhen. Soweit Beteiligungserträge nach § 8b KStG effektiv zu 95 % steuerbefreit sind, stehen diese also für eine Erhöhung des Zinsausgleichsvolumens nicht zur Verfügung. Dies bedeutet insbesondere für Holdinggesellschaften eine erhebliche Benachteiligung, da sich deren Einnahmen im Regelfall (fast) ausschließlich aus Beteiligungserträgen zusammensetzen. Im Ergebnis kann so das für die Anwendung der Zinsschranke relevante steuerliche EBITDA erheblich von dem handelsrechtlichen EBITDA abweichen. Vgl. dazu Schaden/ Käshammer, BB 2007, 2259. Vgl. zu Sonderfällen bei der Berechnung, insbesondere bei nachgeschalteten Personengesellschaften, Zebragesellschaften sowie bei der KGaA auch BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 40. 65 Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 2. 66 Die Regelung zum „verrechenbaren EBITDA“ ist gemäß § 52 Abs. 12d Satz 4 ff. EStG erstmals für Wirtschaftsjahre anwendbar, die nach dem 31.12.2009 enden. Damit kann grundsätzlich auch erst für dieses Wirtschaftsjahr ein EBITDA-Vortrag ermittelt werden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ermöglicht § 52 Abs. 12d Satz 5 EStG, „fiktive“ EBITDA-Vorträge für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2006 beginnen und vor dem 31.12.2010 enden, zu ermitteln. Vgl. zum „fiktiven“ EBITDA-Vortrag z.B. Herzig/Liekenbrock, DB 2010, 690, 691; Bohn/Loose, DB 2011, 1246.
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Halbsatz 1 EStG der nicht genutzte Betrag in die folgenden fünf Wirtschaftsjahre vorgetragen werden. Nach § 4h Abs. 1 Satz 4 EStG ergibt sich die Verwendungsreihenfolge wie folgt: Zunächst sind Zinsaufwendungen mit den Zinserträgen sowie dem verrechenbaren EBITDA dieses Wirtschaftsjahres auszugleichen. Anschließend sind – beginnend mit dem ältesten – ggf. vorhandene EBITDA-Vorträge aus vorangegangenen Wirtschaftsjahren zur Verrechnung heranzuziehen. Der EBITDA-Vortrag wird gesondert festgestellt (§ 4h Abs. 4 Satz 1 EStG), ist von Amts wegen zu berücksichtigen („ist … vorzutragen“)67 und verfällt in dem fünften auf die Feststellung folgenden Wirtschaftsjahr.
5. Rechtsfolgen 19.28 Soweit die Zinsschranke zur Anwendung kommt, d.h. soweit der Nettozinsaufwand eines
Betriebs 30 % seines verrechenbaren EBITDA übersteigt und auch keine nutzbaren EBITDA-Vorträge bestehen, können Zinsaufwendungen nicht zum Abzug gebracht werden. Nichtabziehbare Zinsaufwendungen können als Zinsvortrag in die folgenden Veranlagungszeiträume vorgetragen werden (§ 4h Abs. 1 Satz 5 EStG) und dort in den Grenzen der Zinsschranke zum Abzug gebracht werden. Technisch wird dies dadurch verwirklicht, dass der Zinsvortrag die laufenden Zinsaufwendungen des Folgejahres erhöht, § 4h Abs. 1 Satz 6 EStG. Im Gegensatz zum EBITDA-Vortrag ist der Zinsvortrag zeitlich unbegrenzt möglich. a) Die Escape-Klausel und andere Ausnahmebestimmungen in § 4h Abs. 2 EStG: IFRS und Zinsschranke
aa) De-Minimis-Ausnahme
19.29 Die Zinsschranke enthält mit § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. a EStG eine als „Mittelstandskom-
ponente“ eingefügte Freigrenze von 3 Mio. Euro. Das bedeutet, dass bei einem negativen Zinssaldo von weniger als 3 Mio. Euro in dem betreffenden Veranlagungszeitraum die Rechtsfolgen der Zinsschranke für diesen Betrieb nicht eintreten68. bb) Fehlende Konzernzugehörigkeit
19.30 Die Zinsschranke findet dann ebenfalls keine Anwendung, wenn ein Betrieb nicht oder
nur anteilsmäßig zu einem Konzern gehört, § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG. Dem liegt ein weites, zinsschrankenspezifisches Konzernverständnis zu Grunde69, das nicht darauf Bezug nimmt, ob tatsächlich ein Konzernabschluss aufgestellt wird. Ausreichend ist nach Maßgabe von § 4h Abs. 3 Satz 5 EStG bereits eine schlichte Konsolidierungsmöglichkeit70. § 4h Abs. 3 Satz 6 EStG erweitert den Konzernbegriff der Zinsschranke noch um solche Betriebe, die ihre Finanz- und Geschäftspolitik mit einem oder mehreren anderen Betrieben einheitlich bestimmen können (sog. Gleichordnungskonzern71), was – nach der Gesetzes-
67 Vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 12. 68 Zu Recht wird dabei die Regelungstechnik einer Freigrenze anstelle eines Freibetrages kritisiert (vgl. Herzig/Bohn, DB 2007, 1, 2), da die geltende Regelung letztlich dazu führt, dass ein auch nur geringfügiges Überschreiten der Freigrenze die gesamten Zinsaufwendungen der Zinsschranke unterwirft (sog. „Fallbeileffekt“ der Zinsschranke). 69 Vgl. auch BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 59. 70 Vgl. Lüdenbach/Hoffmann, DStR 2007, 636. 71 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 60.
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begründung72 – auf das in IAS 27 verwendete Verständnis („control“) abstellt73. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann ein Konzern insbesondere (auch) vorliegen, wenn eine natürliche Person an der Spitze des Konzerns steht, und die (Mehrheits-) Beteiligungen im Privatvermögen hält74. Ebenso soll Konzernspitze eine vermögensverwaltende Personengesellschaft sein können75. Keinen Konzern i.d.S. bildet dagegen der Einzelunternehmer, auch wenn er mehrere selbständig geführte Betriebe unterhält76, Besitz- und Betriebsgesellschaft bei der (klassischen) Betriebsaufspaltung77 und die (klassische) GmbH & Co. KG78. Einschränkung durch schädliche Gesellschafterfremdfinanzierung: Im Rahmen der „Konzern“-Klausel ist allerdings immer für Kapitalgesellschaften auch die Einschränkung des § 8a Abs. 2 KStG zu beachten. Danach kann nur dann erfolgreich auf die „Konzern“Klausel rekurriert werden, wenn kein Fall einer schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung vorliegt, also wenn die Zinszahlungen an einen zu mehr als 25 % beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahestehende Person oder einen rückgriffsberechtigten Dritten maximal 10 % der Nettozinsaufwendungen des fremdfinanzierten Betriebs darstellen79. Nach der Gesetzesbegründung80 ist ein Rückgriff bereits dann schädlich, wenn der Anteilseigner oder die ihm nahestehende Person dem Dritten gegenüber faktisch für die Erfüllung der Schuld einstehen81: „Insbesondere werden auch Gestaltungen erfasst, bei denen eine Bank der Kapitalgesellschaft ein Darlehen gewährt und ein Anteilseigner seinerseits bei der Bank Einlagen unterhält (so genannte Back-to-back-Finanzierungen). Die Annahme einer Gesellschafterfremdfinanzierung setzt die Abtretung einer Einlageforderung gegen die Bank nicht voraus. Für die Bejahung des Rückgriffs reichen ein konkreter rechtlich durchsetzbarer Anspruch (z.B. aufgrund einer Garantieerklärung oder einer Bürgschaft) […] oder eine harte oder weiche Patronatserklärung zwar aus, sie sind aber nicht erforderlich.“ 72 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 48. 73 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 258; dazu auch Hennrichs, DB 2007, 2101. Lüdenbach/Hoffmann (DStR 2007, 636, 636 f.) weisen zutreffend darauf hin, dass dieser Verweis auf IAS 27 nur dann nicht redundant ist, wenn sich dieser auf den Konzernabschluss nach HGB bzw. US GAAP bezieht. 74 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 60. A.A. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 146 f.: Eine natürliche Person, die kein Einzelunternehmen unterhält, kann nicht Konzernspitze sein, da es in diesem Fall an einem herrschenden „Unternehmen“ fehlt. 75 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 60. Zur Problematik von Fonds (z.B. Private-Equity-Fonds) als Konzernspitze i.S.d. § 4h EStG vgl. z.B. Töben/Fischer, Ubg 2008, 149, 154; Fischer/Wagner, BB 2008, 1872, 1877. 76 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 62. Einzelunternehmer gehören auch dann nicht zu einem Konzern, sofern sie Betriebsstätten im Ausland unterhalten (vgl. BT-Drucks. 16/4841, 50; BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/ 07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 64), unabhängig davon, ob im Rahmen des sog. Methodenartikels die Anrechnungs- oder Freistellungsmethode zur Anwendung kommt. 77 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 63. 78 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 66. Dies dürfte eine Billigkeitsregelung i.S.d. § 163 AO darstellen (vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 77). 79 Vgl. hierzu BFH v. 11.11.2015 – I R 57/13, DStR 2016, 530, wonach entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, BMF v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 718 Rz. 82, keine Zusammenrechnung aller Gesellschafter vorzunehmen ist. 80 BT-Drucks. 16/4841, S. 75. 81 Vgl. auch BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 83.
Breuninger/Frey | 679
19.31
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
19.32 Damit versucht der Gesetzgeber offenbar, die aus dem „alten“ § 8a KStG bekannte (aber alles
andere als bewährte) Rechtslage wiederherzustellen. Die einschränkende Auslegung durch die Finanzverwaltung82 soll so de facto überschrieben werden. Da im mittelständischen Bereich üblicherweise Sicherheiten des Gesellschafters von der Bank verlangt werden, ist davon auszugehen, dass ein „schädlicher“ Rückgriff den Regelfall darstellen dürfte. Letztlich dürfte die „Konzern“-Klausel zum einen aufgrund des weiten, zinsschrankenspezifischen Konzernverständnisses und den geringen Hürden an eine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung in vielen Fällen leer laufen. Gleiches könnte gerade für die hier relevanten Anleihen gelten. Emittiert eine GmbH, die von einer natürlichen Person zu 100 % gehalten wird, eine Anleihe, so führt die Garantie des Gesellschafters regelmäßig zur Anwendung der Zinsschranke, wenn an mindestens einen der Gläubiger Zinszahlungen von mehr als 10 % des Nettozinsaufwandes geleistet werden. Diesbezüglich bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Einschränkung der Stand-alone-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG durch die schädliche Gesellschafterfremdfinanzierungsregelungen gemäß § 8a Abs. 2 KStG. Denn der BFH hat durch Beschluss v. 13.3.201283 entschieden, dass erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, also nicht nur sog. Back-to-Back Finanzierungen sondern auch übliche Fremdfinanzierungen von Kapitalgesellschaften bei Banken erfasst werden. Insoweit zeigt sich hier deutlich die oben dargestellte verfassungsrechtliche Problematik der Zinsschranke, die zu dem Vorlagebeschluss des BFH an das BVerfG geführt hat84.
19.33 Außerdem ist derzeit ungeklärt, inwieweit eine „klassische“ GmbH & Co. KG85, die eine
Anleihe begibt, den Regeln zur schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a Abs. 2 KStG unterliegt, die ja wiederum die Anwendbarkeit der „Konzern“-Klausel nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG versperren würden. Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf § 4h Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach auf eine einer Kapitalgesellschaft nachgeordnete Personengesellschaft § 8a Abs. 2 KStG entsprechend anzuwenden ist. Diese ebenfalls aus dem „alten“ § 8a KStG86 bekannte Regelung sollte allerdings auch entsprechend einschränkend ausgelegt werden. Ist – wie im Fall der „klassischen“ GmbH & Co. KG – die Komplementär-GmbH nicht am Vermögen der KG beteiligt, kann die KG auch nicht als der GmbH nachgeordnete Gesellschaft bezeichnet werden. Dies ließe sich zum einen mit dem Sinn und Zweck des § 4h Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 8a KStG begründen, wonach nur Gesellschafterfremdfinanzierungen durch „qualifizierte“, d.h. wesentlich beteiligte Anteilseigner, und diesen gleichgestellte „schädliche“ Vorgänge durch nahestehende Personen bzw. rückgriffsberechtigte Dritte erfasst werden sollen87, womit auch für die Komplementär-GmbH eine wesentliche Beteiligung zu fordern wäre88. Der Wortlaut des § 4h Abs. 2 Satz 2 EStG sieht jedoch keine bestimmte (Mindest-) Beteiligungsquote vor89, so dass die82 83 84 85
86 87 88 89
Vgl. BMF-Schreiben v. 22.7.2005, BStBl. I 2005, 829. BFH v. 13.3.2012 – I B 111711, DStR 2012, 955. Vgl. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. Bei der „klassischen“ GmbH & Co. KG ist eine natürliche Person 100 %ige Kommanditistin und diese Person hält alle Anteile an der Komplementär-GmbH. Diese „klassische“ GmbH & Co. KG gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht als Konzern i.S.d. Zinsschranke. Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 66. Vgl. zum „alten“ § 8a Abs. 5 KStG z.B. Prinz zu Hohenlohe/Rautenstrauch in Erle/Sauter, KStG, § 8a a.F./Anh. 2 § 8a Rz. 571 ff. Vgl. BT-Drucks. 16/4841, S. 48; Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 501. Vgl. Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 501. Vgl. Dörfler in Erle/Sauter, KStG, § 8a Rz. 104 m.w.N.; Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 18 m.w.N.
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ses Argument wohl nicht durchgreift90. Allerdings ist mit der Finanzverwaltung davon auszugehen, dass die klassische GmbH & Co. KG als ein Betrieb gilt91. Die KG kann in diesem Fall nicht nachgeordnet sein92. Die Finanzierung der KG durch die nicht am Vermögen beteiligte Komplementär-GmbH führt daher nicht zu einem Fall des § 8a Abs. 2 KStG93. cc) Escape-Klausel Schließlich kann die Anwendung der Zinsschranke gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG auch dann vermieden werden, wenn der Betrieb zwar zu einem Konzern gehört, aber seine Eigenkapitalquote am Schluss des vorangegangenen Abschlussstichtages94 gleich hoch oder höher ist als die des Konzerns (Eigenkapitalvergleich). Ein Unterschreiten der Eigenkapitalquote des Konzerns um bis zu zwei Prozentpunkte ist unschädlich (§ 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 2 EStG).
19.34
Eigenkapitalquote ist gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 3 EStG das Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme, „sie bemisst sich nach dem Konzernabschluss, der den Betrieb umfasst, und ist für den Betrieb auf der Grundlage des Jahresabschlusses oder Einzelabschlusses zu ermitteln“. Dabei bestimmt sich die Frage, welches Rechnungslegungssystem für den Eigenkapitalquotenvergleich heranzuziehen ist nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Sätze 8 bis 10 EStG.
19.35
Ausgangspunkt zur Bestimmung des maßgeblichen Rechnungslegungsstandards ist, dass primär die einzelnen Abschlüsse einheitlich nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) zu erstellen sind95.
19.36
„EU HGB“: Sofern kein Konzernabschluss nach IFRS zu erstellen und offen zu legen ist und auch in den letzten fünf Wirtschaftsjahren nicht erstellt wurde, können Abschlüsse nach dem Handelsrecht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verwendet werden (hier: z.B. die nach deutschem HGB aufgestellten Abschlüsse). US GAAP: Nur wenn kein Konzernabschluss nach IFRS oder dem Handelsrecht eines Mitgliedsstaats der EU zu erstellen und offen zu legen ist, können US GAAP Abschlüsse ver90 Vgl. Wagner/Fischer, BB 2007, 1811, 1812; Schmitz-Herrscheidt, BB 2008, 699, 700. 91 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 66. 92 Ebenso Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 77. 93 Im Übrigen sollte bei Finanzierung der KG durch die Komplementär-GmbH auch aus folgenden Überlegungen heraus keine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung vorliegen: Die GmbH ist – trotz fehlender Einlage – Mitunternehmerin der KG. Die Zinsen stellen bei ihr Sondervergütungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG dar. Zwar mindern die Zinsen den Gewinn der KG auf der ersten Gewinnermittlungsstufe. Auf der zweiten Stufe werden sie allerdings zur Ermittlung des Gesamtgewinns wieder hinzugerechnet. Der Abzugsbeschränkung des § 4h EStG ist damit bereits genüge getan. Vgl. ebenso Dörfler in Erle/Sauter, KStG, § 8a Rz. 105; Förster in Gosch, KStG, § 8a Rz. 163. 94 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 70. 95 Dabei ist davon auszugehen, dass damit die von der EU übernommenen IFRS (auf der Grundlage des sog. Endorsement Verfahrens [hierzu Prinz, GmbHR 2007, R257]) gemeint sind (so auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/4841, 48 und Hennrichs, DB 2007, 2101, 2103; Prinz, GmbHR 2007, R257; Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/ UmwStG, § 8a KStG Rz. 234).
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§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
wendet werden. Voraussetzung hierzu ist aber, dass diese Abschlüsse offen zu legen sind. Des Weiteren wird gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 10 EStG verlangt, dass ein Konzernabschluss nach US GAAP befreiende Wirkung nach den §§ 291 und 292 HGB hätte.
19.37 Wurde der Jahresabschluss oder Einzelabschluss nicht nach denselben Rechnungslegungsstandards wie der Konzernabschluss aufgestellt, ist die Eigenkapitalquote des Betriebs in einer Überleitungsrechnung nach den für den Konzernabschluss geltenden Rechnungslegungsstandards zu ermitteln, § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 1196.
19.38 Relevantes Eigenkapital bei Personengesellschaften: In Bezug auf Personengesellschaften
hat der Gesetzgeber auf die zu IAS 32.18b und IAS 32.19 geführte Diskussion97 der Gestalt reagiert, dass gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 4 Halbsatz 2 EStG nun bei gesellschaftsrechtlichen Kündigungsrechten insoweit mindestens das Eigenkapital anzusetzen ist, „das sich nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches ergeben würde“. Hierdurch soll vermieden werden, dass bei einem Konzern- oder Einzelabschluss nach IFRS in Bezug auf eine Personengesellschaft kein oder nur ein sehr geringes Eigenkapital ausgewiesen wird98.
19.39 Eigenkapitalquote des Betriebs: Die relevante Eigenkapitalquote des Betriebs ergibt sich
aus § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 3 EStG korrigiert um die Vorgaben nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 5 EStG. Letzteren vorgeschaltet sind Korrekturen, die aufgrund der nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 4 Halbsatz 1 EStG vorgeschriebenen einheitlichen Wahlrechtausübung im Konzernabschluss und im Jahres- bzw. Einzelabschluss notwendig werden99. Danach ist das Eigenkapital um folgende Größen zu modifizieren100: + ein im Konzernabschluss enthaltener Firmenwert101 (u.E. umfasst dies auch die stillen Reserven in anderen Assets102) + die Hälfte von Sonderposten mit Rücklagenanteil (§ 273 HGB) –
Eigenkapital, das keine Stimmrechte (nicht Vorzugsaktien) vermittelt (sog. hybride oder auch Mezzanine Finanzierungen)
96 Die Überleitungsrechnung ist einer prüferischen Durchsicht zu unterziehen. § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 12 EStG, s. hierzu Hennrichs, DStR 2007, 1926; auf Verlangen der Finanzbehörde ist die Überleitungsrechnung des Betriebs durch einen Abschlussprüfer zu prüfen, der die Voraussetzungen des § 319 HGB erfüllt, § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 13 EStG. 97 Vgl. hierzu Lüdenbach/Hoffmann, DStR 2007, 640 f.; Dörfler/Vogl, BB 2007, 1084 und Hennrichs, DB 2007, 2101, 2106. 98 Zur Problematik vgl. Heintges/Kamphaus/Loitz, DB 2007, 1261. Richtigerweise sollte diese Vorschrift in der Weise verstanden werden, dass die mögliche Kürzung nach IAS 32.18. b wegen Kündigungsrechten und einer möglichen Rückforderung des Eigenkapitals im IFRS-Abschluss negiert wird, im Übrigen aber die Ermittlung des Eigenkapitals einheitlich nach IFRS vorgenommen wird (so auch Hennrichs, DB 2007, 2101, 2106; vgl. auch Seiler in Kirchhof, EStG, § 4h Rz. 45 Fn. 11 und Frotscher in Frotscher, Praxiskommentar EStG, § 4h Rz. 81). 99 Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind die Ansätze im Konzernabschluss maßgebend. Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 73. Ebenso („Konzernbilanz vorrangig“) Seiler in Kirchhof, EStG, § 4h Rz. 45. A.A. z.B. Frotscher in Frotscher, Praxiskommentar EStG, § 4h Rz. 80a. 100 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 75. 101 Vgl. hierzu Pawelzik, Ubg 2009, 50. 102 Vgl. Hennrichs, DB 2007, 2101, 2105. Zustimmend BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 73.
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Anteile an anderen Konzerngesellschaften
–
Sog. missbräuchliche Einlagen103: Einlagen der letzten sechs Monate vor dem maßgeblichen Abschlussstichtag, soweit dem eine Entnahme oder Ausschüttung innerhalb der ersten sechs Monate nach dem maßgeblichen Abschlussstichtag gegenüber steht
+/– Sonderbetriebsvermögen, welches dem Betrieb der Mitunternehmerschaft zuzuordnen ist, soweit es im Konzernvermögen enthalten ist
Die Bilanzsumme des Betriebs ist wie folgt zu verändern: + ein im Konzernabschluss enthaltener Firmenwert (oder andere Assets, s. oben) –
Anteile an anderen Konzerngesellschaften
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Missbräuchliche Einlagen
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Kapitalforderungen, die nicht im Konzernabschluss ausgewiesen sind und denen Verbindlichkeiten i.S.v. § 4h Abs. 3 EStG in mindestens gleicher Höhe gegenüber stehen
+/– Sonderbetriebsvermögen, welches dem Betrieb der Mitunternehmerschaft zuzuordnen ist, soweit es im Konzernvermögen enthalten ist
Hauptproblem bei der Anwendung der Escape-Klausel ist sicherlich die Beteiligungsbuchwertkürzung, die sich nach der Gesetzesendfassung allgemein auf andere Konzerngesellschaften (also auch Personengesellschaften) und nicht nur auf Konzernkapitalgesellschaften bezieht104. Durch die Beteiligungsbuchwertkürzung soll offenbar – analog zum „alten“ § 8a KStG105 – ein ansonsten drohender Kaskadeneffekt verhindert werden106. Allerdings kennt die Zinsschranke keine entsprechende Regelung für Holdingunternehmen107. Dies hat zur Konsequenz, dass Holdinggesellschaften gewissermaßen doppelt benachteiligt werden: Zum einen wird einer Holdinggesellschaft regelmäßig die „Escape“-Klausel nicht zur Verfügung stehen, da durch die Buchwertkürzung deren Eigenkapital derart verringert ist, dass ein „Escape“ nicht in Betracht kommt. Zum anderen gehen Beteiligungserträge nach § 8b KStG lediglich zu 5 % in das steuerliche EBITDA einer Holdinggesellschaft ein. Daher wird das relevante EBITDA regelmäßig viel zu gering sein, um den Nettozinsaufwand in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen108.
19.40
Einschränkung durch Gesellschafterfremdfinanzierung gemäß § 8a Abs. 3 KStG: Um sich auf die „Escape“-Klausel berufen zu können, muss nach § 8a Abs. 3 KStG nachgewiesen werden, dass kein Fall der schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung vorliegt. Demnach steht ein „Escape“ trotz Erfüllens der Eigenkapitalquote und Überschreitens der Freigrenze dem fremdfinanzierten Betrieb dann nicht zur Verfügung, wenn Zinszahlungen der Körperschaft oder eines anderen demselben Konzern zugehörigen Rechtsträgers an einen nicht zum Konzern gehörenden wesentlich beteiligten Anteilseigner, eine diesem nahe stehende Person oder einen rückgriffsberechtigten Dritten mehr als 10 % des Nettozinsaufwandes des Rechtsträgers i.S.d. § 4h Abs. 3 EStG darstellen.
19.41
Vgl. Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 483. Vgl. auch BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 74. Vgl. die frühere Regelung in § 8a Abs. 4 Satz 2 KStG. Ebenso Frotscher in Frotscher, Praxiskommentar EStG, § 4h Rz. 85. Ebenso Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 17 m.w.N.; Reiche/Kroschewski, DStR 2007, 1330, 1332. Kritisch Körner, Ubg 2011, 610. 108 So auch Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 484 f.
103 104 105 106 107
Breuninger/Frey | 683
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
19.42 Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein Unternehmen, das die „Escape“-Klausel in Anspruch
nehmen will, alle Finanzierungen weltweit auf ihre Schädlichkeit zu überprüfen hat: Gewährt beispielsweise ein mit 25,1 % beteiligter Joint-Venture-Partner einer gemeinsamen Joint-Venture-Gesellschaft Sicherheiten für ein Bank-Darlehen, mittels derer die Gläubiger-Bank auf den Joint-Venture-Partner zurückgreifen kann und übersteigen die Zinszahlungen auf dieses Darlehen 10 % des Nettozinsaufwandes, stellt dies einen Fall der schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung i.S.d. § 8a Abs. 3 KStG dar. Dies hat zur Folge, dass sich keine der Konzerngesellschaften mehr auf die „Escape“-Klausel berufen kann. Gleiches kann in typisch mittelständischen Strukturen in Bezug auf rückgriffsgesicherte Bankfinanzierungen erfolgen. Gewährt der 30 %ige Gesellschafter der GmbH eine Sicherheit, kann dies zu einem Überschreiten der 10 %igen Schädlichkeit führen. Es sollte daher darauf geachtet werden, dass Sicherheiten nur durch zum relevanten Konzern gehörende Gesellschaften gewährt werden109. Ggf. müsste vor der Emission einer Anleihe eine Umstrukturierung durchgeführt werden (z.B. Einbringung der Beteiligung in neue Holdinggesellschaft, die dann die Sicherheit gewährt).
19.43 Diskutiert wurde, ob nicht die Gesetzesformulierung durch den Gebrauch der Wörter „oder“ statt „und“ missglückt ist, so dass bereits das Unterschreiten der 10 % Grenze bei einer Konzerngesellschaft eine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung vermeiden würde110. Die Finanzverwaltung hat dies verneint, so dass ihrer Ansicht nach das Fehlen einer schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung für alle Konzerngesellschaften nachgewiesen werden muss111.
19.44 Letztlich verbleibt wohl das Grundproblem der Vorschrift, dass eine schädliche Gesell-
schafter-Fremdfinanzierung bei jedem beliebigen Rechtsträger eines weltweiten Konzerns auftreten kann, allerdings dann den gesamten Konzern „infiziert“112. Die Fremdkapitalaufnahme aller weltweiten Beteiligungen zu „monitoren“ erscheint für einen weltweit tätigen Konzern mit erheblichen Schwierigkeiten und administrativem Aufwand verbunden zu sein. So können bereits betragsmäßig zu vernachlässigende Zinszahlungen zur „Verwirkung“ der Escape-Klausel für den gesamten Konzern führen (sofern keine gesetzliche Nachbesserung durch eine Relevanzschwelle erfolgt). Darüber hinaus ist fraglich, ob in den meisten Fällen die Eigenkapitalquoten eines Konzerns und des jeweiligen fremdfinanzierten Betriebs so genau geplant werden können, dass am 31.12. des jeweiligen Jahres ausreichend Sicherheit darüber besteht, wie hoch die jeweiligen Quoten zu diesem Bilanzstichtag tatsächlich sein werden oder ob nicht vielmehr bei der Aufstellung der jeweiligen Abschlüsse noch größere Abweichungen zu erwarten sind. Im Ergebnis erscheint es zweifelhaft, ob in internationalen Konzernstrukturen die Escape-Klausel realistischer Weise überhaupt in Anspruch genommen werden kann113 bzw. ob die negativen Auswirkungen aus der Zinsschrankenregelung im Vergleich zum zu erwartenden Aufwand zur Erfüllung und zum Nachweis der Voraussetzungen für die „Escape“-Klausel nicht hinnehmbar er-
109 Vgl. auch Schaden/Käshammer, BB 2007, 2259, 2265. 110 Vgl. hierzu Staats/Renger, DStR 2007, 1801. 111 Vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742a/07/10001, BStBl. I 2008, 718 Rz. 80. Im Ergebnis zustimmend – insbesondere mit Hinweis auf den insoweit eindeutig artikulierten Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/4841, 75) – Frotscher in Frotscher/Maas, Praxiskommentar KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 255 und Dörfler in Erle/Sauter, KStG, § 8a Rz. 88. 112 Kritisch auch Thiel, FR 2007, 729, 732 und Körner, Ubg 2011, 610, 612. 113 Nach Körner, Ubg 2011, 610, 612 ist die Erbringung des Nachweises nach § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG in internationalen Konzernstrukturen praktisch unmöglich.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
scheinen114. Es verbleiben auch hier erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, wie bei dem Vergleichsfall des § 8a Abs. 2 KStG. Es bleibt diesbezüglich die Entscheidung des BVerfG auf den Vorlagebeschluss des BFH115 abzuwarten. b) Gestaltungsüberlegungen und Auswirkungen auf Sicherheitenstrukturen bei Anleihen Die Einführung der Zinsschranke hatte zunächst Auswirkungen auf bestehende Sicherheitenstrukturen bei Anleihegestaltungen. Ein Rückgriff auf Konzerngesellschaften ist zukünftig (außerhalb der Escape Regelungen) grundsätzlich unbeachtlich. Damit entfällt insoweit auch die Dokumentation in Bezug auf langfristig zinstragende Forderungen, die für den „alten“ § 8a KStG erforderlich war, um die sog. Back-to-back-Problematik zu vermeiden und insbesondere in Bezug auf Anleihen praktisch kaum lösbare Schwierigkeiten hervorrief116.
19.45
Stattdessen ist nunmehr zu überlegen, ob eine Erhöhung der Abzugsfähigkeit von Zinsen durch eine entsprechende Umstrukturierung erreicht werden kann. Dies betrifft zum einen die Begründung einer Organschaft (oder gegebenenfalls deren Beendigung, um ein mehrmaliges Ausnutzen der Freigrenze zu erreichen). Es könnte aber auch erwogen werden, einen Teil des Fremdfinanzierungsaufwandes ins Ausland zu verlagern, um eine drohende Nichtabzugsfähigkeit in Deutschland zu vermeiden117. In diesem Fall würde die ausländische Gesellschaft die Emission der Anleihen durchführen, so dass zukünftiger Zinsaufwand bei dieser anfallen würde. Auch könnten im Hinblick auf die Nutzung des Eigenkapitals für Zwecke der Escape-Klausel in § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c Satz 5 EStG ausländische Beteiligungen von einem inländischen Betrieb beispielsweise auf die ausländische Mutter einer Unternehmensgruppe übertragen werden, um eine Kürzung des Eigenkapitals auf der Ebene des inländischen Betriebs zu vermeiden. Im Hinblick auf die Sicherstellung der Abzugsfähigkeit wäre zu erwägen, ob die Anleiheemittentin gewisse Informationen bezüglich des verrechenbaren EBITDA, des Nettozinsaufwandes oder der Eigenkapitalquote (im Hinblick auf die Anwendung der Escape-Klausel) erteilt, damit eine Einschätzung über die Abzugsfähigkeit der Zinsen gemacht werden kann. Solche Informationsverpflichtungen dürften bei normalen Darlehensfinanzierungen sicherlich von erheblicher Bedeutung sein und sollten in die Vertragsdokumentation mit aufgenommen werden.
19.46
III. Deutsche steuerliche Aspekte bei einer ausländischen Emittentin Häufig werden, u.a. aus kapitalmarktrechtlichen Gründen, sog. Auslandsanleihen durch Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen begeben. Die Begebung einer Anleihe durch eine ausländische Tochter hat u.a. den Vorteil, dass eine strukturelle Nachrangigkeit der Anleihegläubiger hergestellt werden kann. Oftmals ist dabei folgende Finanzierungsstruktur vorgesehen: Die im Ausland (z.B. Luxemburg) ansässige Tochtergesellschaft (LuxCo) der deutschen Muttergesellschaft (M-AG) begibt eine Anleihe und leitet die Erlöse aus der 114 115 116 117
Vgl. Seiler in Kirchhof, EStG, § 4h Rz. 40. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, DStR 2016, 301 = AG 2016, 219. Vgl. dazu die Ausführungen in der 1. Aufl., § 15 Rz. 22 ff. Eine entsprechende Fremdkapital-Aufwandsverlagerung ins Ausland würde letztlich der gesetzgeberischen Intention bei Schaffung der Zinsschranke entsprechen; ebenso bspw. Scheunemann/Socher, BB 2007, 1144, 1148.
Breuninger/Frey | 685
19.47
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
Anleihe an die Konzernmutter sowie an andere Konzerntochtergesellschaften in Form von Darlehen (proceeds loans) weiter. Dies kann vereinfacht wie folgt dargestellt werden: Aktionäre
MAG
Darlehen ohne Sicherheiten/ Garantien Lux
Anleihe mit Sicherheiten/ Garantien
LuxCo
Darlehen
USA
BRD
USCos
Darlehen
GermanCo 1
GermanCo 2
Dabei stellen sich im Hinblick auf die Zinsschranke insbesondere die folgenden Fragen:
1. Anwendung der Zinsschranke auf die ausländische Emittentin 19.48 In Bezug auf die ausländische Emittentin könnte die Zinsschranke möglicherweise eine
Niedrigbesteuerung i.S.d. § 8 Abs. 3 AStG auslösen, wenn nämlich die Abzugsbeschränkungen der Zinsschranke bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 10 Abs. 3 AStG zu berücksichtigen wären118. Für die Regelung des „alten“ § 8a KStG hatte die Finanzverwaltung klargestellt, dass § 8a KStG im Rahmen des § 10 Abs. 3 AStG nicht anzuwenden war119. Fehlte eine korrespondierende Vorschrift im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 noch, hat der Gesetzgeber diese Rechtslage auch in Bezug auf die Zinsschranke hergestellt und dazu im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2008120 § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG dahingehend geändert, dass die Vorschriften über die Zinsschranke (§ 4h EStG und § 8a KStG) bei der Einkommensermittlung für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung unberücksichtigt bleiben. Diese gesetzliche Klarstellung ist zu begrüßen, da andernfalls eine Vielzahl von Auslandsanleihen mit deutschen Muttergesellschaften umstrukturiert hätten werden müssen.
2. Weiterreichung der Erlöse aus der Anleihe durch Gruppendarlehen 19.49 Unter dem Regime des „alten“ § 8a KStG war bezüglich der Weiterreichung der Erlöse der Anleihe darauf zu achten, dass die Emittentin (LuxCo) Darlehen direkt und nicht über die
118 Vgl. Stangl/Hageböke in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, S. 453. 119 BMF-Schreiben v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, 3 Tz. 10.1.1; vgl. hierzu im Einzelnen Ammelung/Homering, IStR 2004, 310 ff. m.w.N. 120 JStG 2008, BR-Drucks. 747/07.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
Konzernmutter (M-AG) an ausländische Töchter der deutschen Konzernmutter gibt, da andernfalls der Save Haven der Konzernmutter unnötig belastet worden wäre121. Der Zinsschranke liegt dagegen das Konzept der Nettozinsaufwendungen zu Grunde, wonach Zinsaufwendungen in Höhe entsprechender Zinseinkünfte immer abgezogen werden. Erzielt nun die deutsche Konzernmutter aus der Weitervergabe der Darlehen gleich hohe oder höhere Zinseinkünfte, als diese an die Emittentin für die Kapitalüberlassung zu zahlen hat, sollten sich in Hinblick auf die Zinsschranke bei der deutschen Konzernmutter keine nachteiligen Auswirkungen ergeben. Sofern dem keine anderen (nichtsteuerlichen) Gründe entgegenstehen, sollte für den Fall der Weiterreichung der Erlöse aus einer Anleihe vielmehr in Erwägung gezogen werden, die Anleihe durch die deutsche Konzernmutter selbst oder eine anderen inländische Gesellschaft zu begeben. Denn soweit aus der Weiterreichung der Erlöse Zinseinkünfte erzielt werden122, ist eine Abzugsfähigkeit der auf die Anleihe gezahlten Zinsen bei der inländischen Gesellschaft in jedem Fall gewährleistet.
IV. Kapitalertragsteuerabzug Neben den Fragen der Abzugsfähigkeit des Finanzierungsaufwands spielen insbesondere die Fragen des Kapitalertragsteuerabzugs eine entscheidende Rolle für die steuerliche Strukturierung und Beurteilung von Anleihen. Mit Gesetz vom 9.11.1992 führte der Gesetzgeber bei der Besteuerung von Zinseinkünften die Erhebung von Kapitalertragsteuer ein, die bezogen auf Zinseinkünfte als sog. Zinsabschlag oder Zinsabschlagsteuer bekannt wurde123.
19.50
Der Begriff „Zinsabschlag“ wurde vor dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom Gesetz in § 44 Abs. 1 Satz 6 EStG a.F.124 und als Klammerzusatz in § 43a Abs. 1 Nr. 3 EStG a.F. verwendet, ohne indes näher erläutert zu werden. Bei Anleihen bezog sich die Zinsabschlagsteuer primär auf die Zinserträge der Anleiheinhaber.
19.51
Seit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 unterfallen grundsätzlich auch sämtliche Gewinne aus der Veräußerung von Anleihen der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG und damit unter den unten aufgezeigten Voraussetzungen dem Kapitalertragsteuerabzug (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG). Die frühere Problematik der Unterscheidung zwischen nicht steuerbaren Wertsteigerungen und steuerpflichtigen Zinserträgen in Form von Veräußerungsgewinn bei Finanzinnovationen, wurde damit für nach dem 31.12.2008 angeschaffte Anleihen beseitigt (s. hierzu Rz. 19.86 f.). Bei nach dem 31.12.2008 angeschafften Anleihen sind heute in Bezug auf den Kapitalertragsteuerabzug sowohl die Kapitalertragsteuer auf Zinsen als auch auf Veräußerungsgewinne zu beachten.
19.52
121 Vgl. dazu die 1. Aufl., § 15 Rz. 32. 122 Zu beachten ist aber, dass Leistungen innerhalb eines Organkreises für Zwecke der Zinsschranke hinweggedacht werden, da eine Organschaft als ein Betrieb i.S. der Zinsschranke gilt (§ 15 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG). 123 Zum historischen Überblick vgl. Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. A 59 ff. 124 Die Formulierung „die Kapitalertragsteuer und der Zinsabschlag“ wurde durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 geändert in „die Kapitalertragsteuer“, mit der Begründung, dass dem Zinsabschlag als einer Unterform der Kapitalertragsteuer keine eigenständige steuerliche Bedeutung zukommt, vgl. BR-Drucks. 220/07, S. 110.
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§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
1. Problemstellung: Kapitalertragsteuer bei Anleihen 19.53 Bei der Untersuchung, ob Erträge aus einer Anleihe der Kapitalertragsteuer unterliegen, ist systematisch folgendermaßen vorzugehen:
a) Steuerpflichtigkeit der Zinserträge und Veräußerungsgewinne in Deutschland
19.54 Zunächst ist zu untersuchen, ob die Zinserträge und die Veräußerungsgewinne der deutschen Besteuerung unterliegen. Bei Inländern ist dies in der Regel der Fall125. Dagegen unterliegen Steuerausländer, von Ausnahmefällen abgesehen126, mit ihren Zinseinkünften und Veräußerungsgewinnen grundsätzlich nicht der deutschen Besteuerung und daher auch nicht der Kapitalertragsteuer (s. Rz. 19.81 ff.). Sofern Zinserträge oder Veräußerungsgewinne nicht der deutschen Besteuerung unterliegen, wird auch keine Kapitalertragsteuer erhoben. Dies wurde seitens des BMF ausdrücklich bestätigt127. b) Tatbestand der Kapitalertragsteuer
19.55 In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob die Erträge unter einen Tatbestand der Kapitalertragsteuer fallen. Die primären Anwendungsvorschriften für Anleihen sind § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a und b EStG für die Kapitalertragsteuer auf Zinseinkünfte (s. Rz. 19.66 ff.).
19.56 Für den Kapitalertragsteuerabzug bei Veräußerungsgewinnen ist der Tatbestand des § 43
Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG zu beachten. Bei Anleihen werden alle Veräußerungserträge durch § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erfasst und fallen damit unter den Tatbestand des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG (s. hierzu Rz. 19.71). c) Zahlstelle im Inland
19.57 Selbst wenn ein Tatbestand der Kapitalertragsteuer i.S.v. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG vor-
liegt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Kapitalertragsteuer auch tatsächlich anfällt. Aufgrund des Charakters der Kapitalertragsteuer bei bestimmten Zinseinkünften (früher: Zinsabschlagsteuer) als sog. „Zahlstellensteuer“ besteht bei Anleihen grundsätzlich nur dann eine Verpflichtung zur Entrichtung von Kapitalertragsteuer, wenn die Zinseinkünfte bei einer Zahlstelle im Inland ausgezahlt werden (§ 44 Abs. 1 Satz 4 EStG, s. Rz. 19.72 ff.). Ist keine Zahlstelle i.S.v. § 44 EStG gegeben, entfällt in diesen Fällen der Kapitalertragsteuerabzug auch dann, wenn ein Tatbestand der Kapitalertragsteuer vorliegt128.
19.58 Dasselbe gilt für den Fall, dass der Tatbestand des Kapitalertragsteuerabzugs für Veräuße-
rungsgewinne erfüllt ist (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG). Auch hier muss eine Zahlstelle im Inland i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 4 EStG vorliegen (s. Rz. 19.73).
125 Bei Steuerinländern ergibt sich dies aus § 1 EStG (bei natürlichen Personen) sowie aus § 1 KStG (bei Körperschaften). 126 Dies betrifft Fälle, in denen die Anleihen einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Anleiheinhabers zuzuordnen sind oder im Zusammenhang mit anderen inländischen Einkünften stehen. In diesen Fällen unterliegen die Zinseinkünfte und Veräußerungsgewinne von Steuerausländern der deutschen Steuer. Darüber hinaus unterliegen die Zinserträge und Veräußerungsgewinne aus einer Anleihe bei sog. Tafelgeschäften der deutschen Steuer (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d EStG, vgl. Rz. 19.85). 127 BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 94 Tz. 313. 128 Vgl. Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 442.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
d) Zufluss Die Kapitalertragsteuer entsteht erst in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG)129. Erst in diesem Zeitpunkt hat die auszahlende Stelle den Steuerabzug für Rechnung der Anleihegläubiger vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG).
19.59
e) Höhe der Kapitalertragsteuer Der Kapitalertragsteuersatz beträgt im Regelfall 25 % (§ 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) zuzüglich Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 % hierauf und ggf. Kirchensteuer (§ 51a Abs. 2b EStG).
19.60
Soweit Kirchensteuer schon beim Kapitalertragsteuerabzug erhoben wird, ist zu beachten, dass sich die Kapitalertragsteuer um 25 % der auf die Kapitalerträge entfallenden Kirchensteuer ermäßigt (§ 43a Abs. 1 Satz 2 EStG)130.
19.61
f) Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug Im Fall der Veräußerung einer Anleihe bemisst sich der Kapitalertragsteuerabzug grundsätzlich nach dem Veräußerungsgewinn i.S.d. § 20 Abs. 4 EStG, worunter der Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung (nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehen) und den Anschaffungskosten zu verstehen ist (vgl. § 43a Abs. 2 Satz 2 EStG).
19.62
g) Anwendungs- und Übergangsvorschriften Wurden die Anleihen aber nicht von der auszahlenden Stelle erworben und seitdem ununterbrochen von ihr verwahrt, kann bei gleichem Kapitalertragsteuersatz (25 %) unter bestimmten Umständen die Ersatzbemessungsgrundlage i.H.v. 30 % der Einnahmen aus der Veräußerung (ohne Abzug der Anschaffungskosten) zur Anwendung kommen, u.a. bei einem Depotwechsel von (oder zu) einer auszahlenden Stelle außerhalb eines EU- oder EWR-Staates (§ 43a Abs. 2 Sätze 3 bis 7 EStG). Dies gilt nicht, wenn die auszahlende Stelle über die tatsächlichen Anschaffungskosten informiert wurde durch die vorhergehende auszahlende Stelle oder durch ein Finanzinstitut oder eine Finanzdienstleistungsinstitut mit Sitz innerhalb des EWR oder in bestimmten anderen Staaten (§ 43 Abs. 2 Sätze 3 und 5 EStG)131.
19.63
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Hinblick auf die Kapitalertragsteuer bei Anleihen nicht allein der Tatbestand der Kapitalertragsteuerpflicht ausschlaggebend ist, sondern gleichermaßen Fragen der Besteuerung im Inland sowie der Zahlstelle im Inland entscheidend sind.
19.64
129 Der Begriff des Zuflusses entspricht dem des § 11 Abs. 1 EStG. Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 44 Rz. 3; Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, C 154 m.w.N. 130 Nach der Gesetzesbegründung (BR-Drucks. 220/07, S. 108 f.) wird mit dieser Regelung die Abziehbarkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG für die Fälle der Abgeltungsteuer pauschal berücksichtigt; vgl. Behrens, BB 2007, 1030. 131 Diese anderen Staaten sind aufgelistet in Art. 17 Abs. 2 Nr. (i) der Richtlinie 2003/48/EG des Rates.
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§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
2. Kapitalertragsteuer bei einem inländischen Investor 19.65 Zinserträge aus Anleihen können in den nachfolgend dargestellten Fällen der Kapitalertragsteuer unterliegen. Daneben kommt grundsätzlich auch Kapitalertragsteuerabzug auf den Gewinn aus der Veräußerung der Anleihe in Betracht. a) Tatbestände der Kapitalertragsteuer aa) Sammelurkunden i.S.d. § 9a DepotG
19.66 Zinsen unterliegen grundsätzlich der Kapitalertragsteuer bei Anleihen, für die Sammel-
urkunden i.S.d. § 9a DepotG ausgestellt werden (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a Alt. 3 EStG). Werden bei einer Wertpapieremission keine effektiven Stücke ausgegeben, muss eine Sammelurkunde i.S.d. § 9a DepotG ausgestellt werden. Eine Sammelurkunde (oder Globalurkunde) ist eine bei einer Wertpapiersammelbank hinterlegte Urkunde, die eine vollständige Wertpapieremission verbrieft132. bb) Teilschuldverschreibungen
19.67 Eine sog. Teilschuldverschreibung i.S.v. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a Alt. 4 EStG liegt vor, wenn die über die Anleihe ausgestellten, auf Teile des Gesamtbetrages lautenden Schuldverschreibungen hinsichtlich der Konditionen (z.B. Ausstellungsdatum, Laufzeit, Tilgungsmodalitäten, Verzinsung) inhaltlich gleich ausgestaltet sind, also untereinander austauschbar und übertragbar (fungibel) sind133. Aus der Teilschuldverschreibung muss ersichtlich sein, dass sie einen Teil der Gesamtemission verbrieft134. In der Regel wird das bei Teilschuldverschreibungen der Fall sein, da die Stücke einer bestimmten Serie besonders gekennzeichnet sind135. Die Finanzverwaltung fordert darüber hinaus, dass die Anleihe in einem einheitlichen Akt begeben worden ist136. Dabei ist nach herrschender Meinung davon auszugehen, dass lediglich sog. Inhaberpapiere Teilschuldverschreibungen im vorgenannten Sinne sein können137. U.E. stellen indes sog. Loan Notes, d.h. nicht verbriefte Schuldscheine keine Teilschuldverschreibungen im vorgenannten Sinne dar und führen daher nicht zu einer Kapitalertragsteuerpflicht.
132 Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 31. § 9a Abs. 1 Satz 1 DepotG definiert die Globalurkunde als ein Wertpapier, das mehrere Rechte verbrieft, die jedes für sich in vertretbaren Wertpapieren einer und derselben Art verbrieft sein könnten. Sie verbrieft die ganze Emission und wird bei einer Wertpapiersammelbank treuhänderisch hinterlegt. Aus ihr ist die Forderung des einzelnen Gläubigers abzuleiten; vgl. auch Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 33 m.w.N. 133 Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 32; Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 18; vgl. FinMin NRW v. 28.7.1966 – S 2250 - 8 - VB 2, BB 1966, 972 f.; BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV D 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 94 Tz. 161. 134 BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 94 Tz. 161. 135 Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 18; FinMin NRW v. 28.7. 1966 – S 2250 - 8 - VB 2, BB 1966, 972 f. 136 BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 94 Tz. 161. 137 Vgl. hierzu Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 33; Hartrott in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 33.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
cc) Übrige Fälle Ebenfalls zu einem Kapitalertragsteuertatbestand gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a EStG führen Anleihen, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen sind, sowie Anleihen, die in ein ausländisches Register eingetragen sind138. Diese in der Praxis eher seltenen Fälle sollen hier jedoch nicht näher behandelt werden. Nicht unter den Kapitalertragsteuertatbestand des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a EStG fallen indes sog. Schuldscheindarlehen. Dies sind Darlehen, die gegen Schuldscheine oder Schuldurkunden gemäß § 607 BGB oder § 344 Abs. 2 HGB gewährt werden. Schuldscheindarlehen unterfallen keinem Kaptitalertragsteuertatbestand, da der Schuldschein lediglich eine Beweisurkunde i.S.v. § 810 BGB darstellt, nicht aber eine Teilschuldverschreibung oder Sammelurkunde i.S.v. § 43 Abs. 1 Nr. 7 lit. a EStG139.
19.68
dd) Inländisches Kreditinstitut als Emittentin Zusätzlich zu den oben dargestellten Tatbeständen der Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a EStG kann sich indes ein Kapitalertragsteuertatbestand ergeben, wenn der Schuldner, d.h. im Falle einer Anleihe die Emittentin, ein inländisches Kreditoder Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. Kreditwesengesetzes oder ein gleichgestelltes Institut ist (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. b Sätze 1 und 2 EStG)140.
19.69
Ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut ist inländisch, wenn es seinen Sitz oder seine Geschäftsleitung im Inland hat (§§ 10, 11 AO)141. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. b Satz 2 und 3 EStG sind inländische Zweigstellen ausländischer Institute sog. gleichgestellte Institute und müssen daher den Steuerabzug ebenfalls vornehmen142. Korrespondierend hierzu gelten jedoch Zweigstellen inländischer Kreditinstitute im Ausland nicht als inländische Kreditinstitute in diesem Sinne143.
19.70
ee) Veräußerung der Anleihe Ein weiterer Tatbestand des Kapitalertragsteuerabzugs wurde durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 neu eingeführt. Kapitalerträge nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, also der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, worunter Anleihen zu fassen sind, unterfallen demnach dem Kapitalertragsteuerabzug (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG).
138 Vgl. hierzu Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, C 78 ff. m.w.N.; Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 33; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 22. 139 Vgl. hierzu auch Lindberg in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 43 EStG Rz. 84. 140 Vgl. im Einzelnen hierzu Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 35 f. 141 Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 34. 142 Vgl. auch Hartrott in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 43 EStG Rz. 35; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 47; Lindberg in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 43 EStG Rz. 92; Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 163. 143 Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 163; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 46.
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19.71
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
b) Die „auszahlende Stelle“ im Inland als Voraussetzung für den Einbehalt der Kapitalertragsteuer
19.72 Im Gegensatz zur Kapitalertragsteuer bei Dividenden, Wandelschuldverschreibungen oder
stillen Beteiligungen ist bei Anleihen die Kapitalertragsteuer auf bestimmte Zinseinkünfte grundsätzlich nicht vom Schuldner der Kapitalerträge einzubehalten, sondern von der sog. auszahlenden Stelle (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG). Es handelt sich insoweit um eine sog. „Zahlstellensteuer“. Der Schuldner der Zinserträge (Emittent) wird nur für den Ausnahmefall, dass er tatsächlich auszahlt, als auszahlende Stelle angesehen144. Liegt keine auszahlende Stelle im Sinne des Gesetzes vor, entfällt die Verpflichtung zum Einbehalt des Zinsabschlags.
19.73 Dies gilt auch für den Fall der Kapitalertragsteuer auf Veräußerungsgewinne. Der Kapital-
ertragsteuerabzug wird also nur vorgenommen, wenn eine auszahlende Stelle vorliegt (§ 44 Abs. 1 Satz 4 EStG).
aa) Inländisches Kreditinstitut/Finanzdienstleistungsinstitut als auszahlende Stelle
19.74 Die auszahlende Stelle ist bei Erträgen (sowohl Zinseinkünfte als auch Veräußerungs-
gewinne) aus Anleihen grundsätzlich das inländische Kreditinstitut oder das inländische Finanzdienstleistungsinstitut i.S. von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. b EStG, das inländische Wertpapierhandelsunternehmen oder die inländische Wertpapierhandelsbank145,
– das die verbrieften Forderungen verwahrt oder verwaltet oder deren Veräußerung durchführt und die Kapitalerträge auszahlt oder gutschreibt (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a, aa EStG), oder – das die Kapitalerträge gegen Aushändigung der Zinsscheine oder der Teilschuldverschreibungen einem anderen als einem ausländischen Kreditinstitut oder einem ausländischen Finanzdienstleistungsinstitut auszahlt oder gutschreibt (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a, bb EStG; sog. Tafelgeschäfte)146. 144 Da bei ausländischen Kapitalerträgen der Schuldner ein Ausländer ist, kann er nicht zum Steuerabzug verpflichtet werden, vgl. BReg. BT-Drucks. 12/2501, S. 17 Begr. zu § 44 Abs. 1 Satz 3; Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 480; Gersch in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 10. Demgegenüber sitzt die auszahlende Stelle auch bei ausländischen Erträgen u.U. im Inland und kann zum Zinsabschlag verpflichtet werden. Die Schuldner der Wertpapiererträge kennen in der Regel die Gläubiger nicht und können daher nicht nach den persönlichen Verhältnissen des Gläubigers unterscheiden. Demgegenüber haben die die Zinserträge auszahlenden Stellen, in der Regel Kreditinstitute, entweder unmittelbare Rechtsbeziehungen zu den Gläubigern oder sie rechnen die Kapitalerträge mit anderen Kreditinstituten ab, die ihrerseits in unmittelbaren Rechtsbeziehungen zu den Gläubigern stehen und deren persönliche Verhältnisse übermitteln können. 145 Nach der Neufassung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 fallen unter § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a EStG auch inländische Wertpapierhandelsunternehmen und inländische Wertpapierhandelsbanken. 146 Die frühere Regelung, die das Tafelgeschäft als Auszahlung der Gutschrift von Kapitalerträgen gegen Aushändigung der Zinsscheine definierte, ist insoweit durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts – StMBG – v. 21.12.1993 (BStBl. I 1994, 50) klarstellend ergänzt worden, dass dies auch gilt, wenn Wertpapiere ausgehändigt werden, die keine Zinsscheine haben, z.B. Zero-Bonds oder sonstige auf- oder abgezinste Wertpapiere, vgl. Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, Rz. C 149.
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Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
Lediglich inländische Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute, Wertpapierhandelsunternehmen und Wertpapierhandelsbanken147 können auszahlende Stelle auch mit der Verpflichtung zum Kapitalertragsteuereinbehalt sein. Entscheidend hierfür ist, dass nach Ansicht des Gesetzgebers ausländische Schuldner nicht durch deutsche Gesetze zum Steuerabzug verpflichtet werden können148. Die von ausländischen Zahlstellen geleisteten Zinsen unterliegen daher nicht dem Kapitalertragsteuerabzug149.
19.75
Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass bei mehrstufiger Verwahrung von Wertpapieren lediglich das an letzter Stelle auszahlende Kreditinstitut die auszahlende Stelle im Sinne des Gesetzes darstellt, da nur dieses Kreditinstitut die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen berücksichtigen kann150.
19.76
bb) Grundsätzlich kein Einbehalt durch Schuldner der Zinsen Der Schuldner der Kapitalerträge (d.h. der Emittent) selbst hat die Kapitalertragsteuer nur (in den in der Praxis nicht relevanten Fällen) einzubehalten, sofern kein inländisches Kreditinstitut oder inländisches Finanzdienstleistungsinstitut die die Kapitalerträge auszahlende Stelle ist (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. b EStG) und sofern der Schuldner der Kapitalerträge die Teilschuldverschreibungen verwahrt und die Kapitalerträge tatsächlich selbst auszahlt bzw. gutschreibt, sowie bei sog. Tafelgeschäften (s. Rz. 19.74). Ist kein inländisches Kreditinstitut auszahlende Stelle, wird der Schuldner der Kapitalerträge unter denselben Voraussetzungen wie ein inländisches Kreditinstitut zur auszahlenden Stelle, aber eben nur für den Fall, dass der Schuldner selbst (und nicht etwa eine ausländische Zahlstelle) die Teilschuldverschreibungen verwahrt und die Kapitalerträge auszahlt, sowie bei Tafelgeschäften (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. b EStG)151. Gesetzestechnisch werden diese Tatbestandsmerkmale dadurch eingeführt, dass auf den „Bankenfall“ nach § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a EStG verwiesen wird. Es heißt im Gesetz „unter den Voraussetzungen des Buchstaben a“. Die „Buchstabe a-Voraussetzungen“ (Bankenfall) sind jedoch entweder Verwahren und Auszahlen oder Auszahlen gegen Zinspapier (Tafelgeschäft), da andernfalls die Banken nicht zum Abzug von Kapitalertragsteuer verpflichtet sind. Sind aber die Banken nicht zum Abzug verpflichtet, soll auch der Schuldner nicht verpflichtet werden152. Sofern der Schuldner also nicht selbst die Teilschuldverschreibungen verwahrt und die Kapitalerträge auszahlt und auch kein inländisches Kreditinstitut die Kapitalerträge auszahlt, ist keine Kapitalertragsteuer einzubehalten, da keine auszahlende Stelle vorhanden ist, die hierzu verpflichtet wäre153. 147 Zum Begriff des inländischen Kreditinstituts vgl. Rz. 19.69 f. 148 Vgl. BReg., BT-Drucks. 12/2501, S. 17 Begr. zu § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG; vgl. Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 480; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 10 (vgl. dort auch Fn. 27). 149 Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 10. 150 BMF-Schreiben v. 7.11.2002 – IV C 1 - S 2400 - 27/02, BStBl. I 2002, 1346 Tz. 2; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. I 10; Lindberg in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 44 EStG Rz. 9; BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004, BStBl. I 2010, 94 Tz. 249. 151 Vgl. Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, Rz. C 151; Behrens, AG 2007, 581; a.A. Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 44 Rz. B 65: Nicht gemeint seien Schuldner von verbrieften Forderungen. 152 Vgl. hierzu auch Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2008, BR-Drucks. 544/97, S. 40 f. 153 Ebenso Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 489. Behrens, AG 2007, 581.
Breuninger/Frey | 693
19.77
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
cc) Veräußerungsfälle
19.78 Da in Veräußerungsfällen (vgl. hierzu Rz. 19.86 ff.) vor Inkrafttreten der Neuregelungen
durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 der maßgebliche Ertrag das Zinssurrogat war, war Schuldner der Erträge der Erwerber der sog. Finanzinnovation (nicht der Emittent)154. Daher wäre es nach dem Wortlaut des Gesetzes denkbar gewesen, dass eine Privatperson Schuldner und damit auszahlende Stelle ist, wenn sie z.B. einen Zero-Bond ohne Einschaltung eines inländischen Kreditinstitutes erworben hätte. Dies ist u.E. jedoch abzulehnen, da dies eine nicht praktikable Lösung darstellt und auch nicht dem Zweck der gesetzlichen Regelung entspricht155. Darüber hinaus konnte eine derartige Verpflichtung zum Kapitalertragsteuerabzug nur eingreifen, sofern der Schuldner die Teilschuldverschreibungen selbst verwahrt hat (s. Rz. 19.77). Da eine Verwahrung durch den Schuldner in nahezu allen Fällen ausscheidet, erschien diese Problematik in der Praxis von sehr geringer Relevanz.
19.79 Die Neuregelungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 erfassen allgemein
den Gewinn aus der Veräußerung von Anleihen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG), nicht nur Veräußerungsfälle im Fall von Finanzinnovationen. Mittlerweile ist hier eine Gleichbehandlung mit Zinserträgen aus Anleihen gesetzlich geregelt (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 EStG, i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG). Dies betrifft indes ausschließlich Fälle, in denen ein inländisches Besteuerungsrecht besteht. Wie nachfolgend unter Rz. 19.81 ff. dargestellt, unterliegen Ausländer – von Ausnahmefällen abgesehen – mit ihren Veräußerungsgewinnen grundsätzlich nicht der deutschen Besteuerung und daher auch nicht der Kapitalertragsteuer im Hinblick auf Veräußerungen von Anleihen.
19.80 Wird ausschließlich der Zinszahlungsanspruch veräußert (d.h. ohne die Anleihe selbst), unterfallen die resultierenden Gewinne ebenfalls der Kapitalertragsteuer.
3. Kapitalertragsteuerabzug bei einem ausländischen Investor 19.81 Im Hinblick auf die Frage, ob die laufenden Erträge oder Veräußerungsgewinne aus einer Anleihe der Kapitalertragsteuer unterliegen, ist entscheidend, ob der jeweilige Investor der deutschen Steuerpflicht unterliegt. a) Regelfall: Keine beschränkte Steuerpflicht
19.82 Eine beschränkte Steuerpflicht des ausländischen Investors im Hinblick auf die Zinserträge
einer Anleihe kann sich ergeben, wenn diese Beträge im Zusammenhang mit anderen inländischen Einkünften stehen, z.B. einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Ist dies jedoch nicht der Fall und liegen keine Tafelgeschäfte vor, unterliegen die Zinserträge einer Anleihe grundsätzlich nicht der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland156.
154 Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 480; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. M 8. 155 In der Gesetzesbegründung zum Zinsabschlaggesetz wurde zu § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG explizit ausgeführt: „Zinszahlungen von Privatpersonen unterliegen aus Praktikabilitätsgründen nicht dem Zinsabschlag.“; BT-Drucks. 12/2501, S. 16 Begr. zu § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG; ebenso: Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rz. 483. 156 Bei Steuerausländern unterliegen Zinseinkünfte ohnehin nur der deutschen Besteuerung, wenn das Kapitalvermögen unmittelbar oder mittelbar durch Grundstücke oder Schiffe (die
694 | Breuninger/Frey
Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen | § 19
Gewinne aus der Veräußerung einer Anleihe (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG), die der ausländische Investor erzielt, unterfallen grundsätzlich nicht der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Ein Ausnahmefall besteht bei Tafelgeschäften (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d EStG).
19.83
Sofern der Investor mithin mit seinen Zinserträgen nicht der deutschen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer unterliegt (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c EStG), unterliegen die Zinserträge auch nicht der Kapitalertragsteuerpflicht unabhängig davon, ob ein Tatbestand der §§ 43, 44 EStG erfüllt ist157. Entsprechendes gilt für den Kapitalertragsteuerabzug auf Veräußerungsgewinne. Bei Überprüfung der Kapitalertragsteuerpflicht eines nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Investors ist daher zunächst zu prüfen, ob die Zinserträge bzw. Veräußerungsgewinne der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (s. Rz. 19.54).
19.84
b) Sonderfall: Tafelgeschäfte Im Falle von sog. Tafelgeschäften liegen inländische Einkünfte vor, d.h. der ausländische Investor unterliegt der beschränkten deutschen Steuerpflicht und auch der Kapitalertragsteuer158. Nach der Gesetzesbegründung zu § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d EStG wird der Kreis der inländischen Einkünfte auf die dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegenden Veräußerungsfälle erweitert, wenn der Steuerpflichtige diese Geschäfte über eine inländische auszahlende Stelle vornimmt, ohne bei dieser ein Konto oder Depot zu unterhalten159.
19.85
4. Unbeachtlichkeit von Finanzinnovationen Vor dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 war im Hinblick auf eine Veräußerungsbesteuerung stets entscheidend, ob es sich bei der Anleihe um eine sog. Finanzinnovation handelte. in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind) besichert ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c, aa Satz 1 EStG). Diese beschränkte Steuerpflicht gilt indes nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nicht bei Zinseinkünften aus Anleihen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c, aa Satz 2 EStG); vgl. Klein/Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 49 EStG Rz. 847. 157 Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, C 73; vgl. Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 43 Rz. A 5. Durch diese Regelung sollte der Kapitalmarkt geschont und der für die Volkswirtschaft wichtige Zustrom ausländischen Kapitals gesichert werden. 158 Vgl. Rz. 19.54. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d EStG liegen Tafelgeschäfte vor, wenn Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. a, Nr. 9 und Nr. 10 EStG von einem Schuldner oder von einem inländischen Kreditinstitut/Finanzdienstleistungsinstitut „gegen Aushändigung der Zinsscheine einem anderen als einem ausländischen Kreditinstitut oder einem ausländischen Finanzdienstleistungsinstitut ausgezahlt oder gutgeschrieben werden und die Teilschuldverschreibungen nicht von dem Schuldner, dem inländischen Kreditinstitut oder dem inländischen Finanzdienstleistungsinstitut verwahrt werden“. Bei Tafelgeschäften handelt es sich um Schaltergeschäfte (over-the-counter), bei denen persönlich Unbekannten, nicht nach § 154 AO legitimierten Gläubigern, Zug um Zug gegen nicht deponierte Zinsscheine oder Teilschuldverschreibungen die entsprechenden Kapitalerträge ausgezahlt werden. Bei der Verwahrung durch den Auszahler liegt kein Tafelgeschäft vor, da dieser dann den Gläubiger kennt, Tafelgeschäften aber eigen ist, dass der Gläubiger dem Auszahlenden persönlich unbekannt ist. Ggf. kann die einbehaltene Kapitalertragsteuer ganz oder teilweise nach einem DBA erstattet werden. Das Erstattungsverfahren richtet sich nach § 50d EStG. 159 BR-Drucks. 220/07, S. 113.
Breuninger/Frey | 695
19.86
§ 19 | Steuerliche und bilanzielle Aspekte von Anleiheemissionen
19.87 Nach den Neuregelungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 muss heute für
die Frage der Kapitalertragsteuerpflicht bei Veräußerungen nicht mehr bestimmt werden, ob eine Anleihe als Finanzinnovation einzustufen ist. Denn sämtliche Gewinne aus der Veräußerung einer Anleihe unterliegen der Besteuerung (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) und unter den oben dargestellten Voraussetzungen dem Kapitalertragsteuerabzug (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG). Die Problematik der Finanzinnovationen im Zusammenhang mit Anleihen stellt sich daher nicht mehr.
19.88 Der Gewinn aus der Veräußerung von Anleihen, die von inländischen Investoren im Pri-
vatvermögen gehalten werden, wird unabhängig von einer Haltefrist besteuert (§ 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG) und unterliegt grundsätzlich der Kapitalertragsteuer (vgl. unter Rz. 19.78)160.
19.89 Bei ausländischen Investoren, die ihre Anleihen im Privatvermögen halten, unterliegt die Veräußerung der Anleihen nicht der deutschen Besteuerung, sofern keine Tafelgeschäfte vorliegen.
160 Vgl. Rz. 19.63 im Hinblick auf die Anwendungsregelung.
696 | Breuninger/Frey
5. Teil Sonderformen § 20 Initial Coin Offerings (ICOs) I. Einführung und wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff und technischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Blockchain/Distributed Ledger Technology . . . . . . . . . . . . . . 3. Wallet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Smart Contract . . . . . . . . . . . 5. Token/Coin . . . . . . . . . . . . . . a) Generell . . . . . . . . . . . . . . . b) Typen von Tokens . . . . . . . . aa) Investment Token . . . . . . bb) Utility Token . . . . . . . . . cc) Currency Token . . . . . . . dd) Mischtypen . . . . . . . . . . ee) Charity Token . . . . . . . . c) Anwendbares Recht . . . . . . . d) Rechtsnatur der Tokens . . . . . e) Übertragung und gutgläubiger Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . III. Typischer Ablauf, Chancen und Risiken eines ICO . . . . . . . . . . 1. Typischer Ablauf eines ICO . . . a) White Paper . . . . . . . . . . . . b) Pre-Sale . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorbereitung des ICO . . . . . . d) Eigentlicher ICO . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachteile eines ICO aus Sicht des Emittenten . . . . . 3. Vorteile und Risiken eines ICO aus Sicht der Investoren . . . . . 4. Künftige Entwicklung . . . . . . . IV. Regulatorische Entwicklung . . . 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Europäische Union . . . . . . . . . 4. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansätze zur Selbstregulierung . V. Regulatorische Anforderungen nach europäischem und deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . 1. Prospektpflicht nach dem WpPG/ProspektVO . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
_ __ ___ __ __ __ __ __ _ __ __ __ _ __ __ __ __ _ _
20.1 20.3 20.3
20.5 20.12 20.16 20.21 20.21 20.26 20.27 20.29 20.32 20.33 20.34 20.35 20.39
. 20.44 . . . . . .
20.48 20.48 20.49 20.50 20.53 20.56
. 20.62 . . . . . . . .
20.64 20.70 20.71 20.72 20.75 20.76 20.77 20.80
. 20.82 . 20.83
2.
3. 4. 5.
a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . b) Formelle Anforderungen an den Wertpapierbegriff . . . . . . . aa) Übertragbarkeit und Handelbarkeit . . . . . . . . . bb) Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs erforderlich für Handelbarkeit? . . . . . . cc) Standardisierung . . . . . . . c) Materielle Anforderung des Wertpapierbegriffs: Funktionale Vergleichbarkeit des Instruments mit den gesetzlichen Regelbeispielen aa) Investment Tokens . . . . . . bb) Utility Tokens . . . . . . . . . (1) Utility Tokens mit Gewinnbeteiligung oder Verzinsung (2) Wertpapiereigenschaft von Utility Tokens auch ohne ausdrückliche Gewinnbeteiligung oder Verzinsung . (a) Einzelaspekte . . . . . . . . . . (b) Gesamtbetrachtung . . . . . . (3) Safe Haven für Utility Tokens? . . . . . . . . . . . . . cc) Currency Tokens . . . . . . . (1) Reine Currency Tokens . . . (2) Mischformen: Currency Tokens mit Wertpapiereigenschaft . . . . . . . . . . . d) Ausnahmen von der Prospektpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inhalt des Prospekts und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . Prospektpflicht nach dem VermAnlG . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . b) Vermögensanlage . . . . . . . . . . c) Ausnahmen von der Prospektpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Inhalt des Prospekts und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung nach dem KAGB . . . GwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marktfolgepflichten . . . . . . . . .
_ _ _ __ __ _ _ __ _ __ _ _ _ _ __ _ _ __ __
20.84 20.87 20.91 20.94 20.96
20.102 20.103 20.107 20.108
20.109 20.110 20.113 20.115 20.119 20.120 20.121 20.123 20.129 20.134 20.134 20.136 20.139 20.142 20.144 20.155 20.156
van Aubel | 697
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs) VI. Ausgewählte Rechtsfragen zum Emittenten und zum Zeichnungsvertrag . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsform des Emittenten . . . 2. Abschluss des Zeichnungsvertrags und Einbeziehung der Emissionsbedingungen; Formfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltskontrolle; anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Finanzierungsrunden, nachträgliche Änderung, Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . .
__ _ _ _ __ __ _
. 20.157 . 20.157
. 20.159 . 20.163 . 20.166
VII. Ausgewählte Rechtsfragen zu einzelnen Arten von Investment Tokens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenkapital . . . . . . . . . . . . . . a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . b) AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Personengesellschaften, insbesondere Sonderfall „The DAO“ . . . . . . . . . . . . . . . . .
20.169 20.170 20.170 20.175 20.176
2. Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . a) Rangrücktritt . . . . . . . . . . . b) Regulatorische Anforderungen 3. Genussrechte . . . . . . . . . . . . . VIII. Grundzüge der Besteuerung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 1. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerfragen des Emittenten . . a) Steuerpflicht im Inland . . . . . b) Bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung . . . . . . . . . 3. Bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung beim Investor . . . . a) Unbeschränkte Steuerpflicht im Inland . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsvermögen . . . . . . bb) Privatvermögen . . . . . . . b) Beschränkte Steuerpflicht . . . 4. Ausgabe von Tokens an Mitarbeiter und Unterstützer . . . . 5. Sonderfall „Mining“, insbesondere von Bitcoins . . . . . . . . . .
__ __ __ __ _ _ __ __ _ _
20.181 20.182 20.183 20.186 20.189 20.189 20.192 20.192 20.195 20.198 20.198 20.199 20.203 20.207 20.208 20.209
Schrifttum: Allen, What’s offered in an ICO? Digital Coins as Things, https://papers.ssrn.com/sol3/ papers.cfm?abstract_id=3140499 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017; Baur/Tappen (Hrsg.), Investmentgesetze, 3. Aufl. 2016; Borkert, Crowdfunding goes Blockchain, Teil 1: Einordnung und rechtliche Rahmenbedingungen von Tokensales, insb. Initial Coin Offerings, ITRB 2018, 39; Teil 2: Gesellschaftsrechtliche und regulatorische Aspekte bei der Unternehmensfinanzierung mittels Initial Coin Offerings, ITRB 2018, 91; Breidenbach/Glatz (Hrsg.), Rechtshandbuch Legal Tech, 2018; Bunjes, UStG, 16. Aufl. 2017; Fries, Smart Contracts: Brauchen schlaue Verträge noch Anwälte?, AnwBl 2018, 86; Gajo, Britische Kryptowährungsanbieter gründen Regulierungsorgansiation, AG 2018, R72; Gajo, Neue schottische Börse startet mit ICO, AG 2018, R90; Hacker/Thomale, Crypto-Securities Regulation: ICOs, Token Sales and Cryptocurrencies under EU Financial Law, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3075820 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); Heckelmann, Zulässigkeit und Handhabung von Smart Contracts, NJW 2018, 504; Holzborn (Hrsg.), WpPG, 2. Aufl. 2014; Kaal/Dell’Erba, Initial Coin Offerings: Emerging Practices, Risk Factors, and Red Flags, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3067615 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018), demnächst auch in Möslein/Omlor, FinTech-Handbuch, 2019; Kanders/ Thonemann-Micker/Gräfe, Geschäfte mit Kryptowährungen – Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung und weitere Problemstellungen aus der Anlegerperspektive, ErbStB 2018, 145; Kaulartz, Die Blockchain-Technologie – Hintergründe zur Distributed Ledger Technology und zu Blockchain, CR 2016, 474; Keding, Die aufsichtsrechtliche Behandlung von Machine-to-Machine-Zahlungen unter Rückgriff auf Peer-to-Peer-Netzwerke, WM 2018, 64; Klöhn/ Parhofer/Resas, Initial Coin Offerings (ICOs) – Markt, Ökonomik und Regulierung, ZBB 2018, 89; Krüger/Lampert, Augen auf bei der Token-Wahl – privatrechtliche und steuerliche Herausforderungen im Rahmen eines Initial Coin Offering, BB 2018, 1154; Kunschke/Schaffelhuber (Hrsg.), FinTech – Grundlagen – Regulierung – Finanzierung – Case Studies, 2018; Leible/Lehmann/Zech (Hrsg.), Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 2011; Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, https://bitcoin.org/bitcoin.pdf (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, Initial Coin Offerings – Regulatory Landscape in Germany and the European Union and Good Practice Principles, 2017, https://www.ashurst.com/en/news-and-insights/legal-updates/initialcoin-offerings—regulatory-landscape-in-germany-and-the-eu-and-good-practice-principles/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); Peroz, Coin ist nicht gleich Coin – Rechtliche Herausforderungen für
698 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20 ICOs, AG 2018, R71; Richter/Augel, Geld 2.0 (auch) als Herausforderung für das Steuerrecht – Die bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung von virtuellen Währungen anhand des Bitcoins, FR 2017, 937; Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, 2005; Vogel/Müller/ Luthiger/Ljubicic, ICO vs. IPO – Digitale Börsengänge ergänzen die Palette an verschiedenen Finanzierungsformen, AG 2017, R333; Weitnauer (Hrsg.), Handbuch Venture Capital, 4. Aufl. 2011; Weitnauer, Initial Coin Offerings (ICOs): Rechtliche Rahmenbedingungen und regulatorische Grenzen, BKR 2018, 231; Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, The ICO Godrush: It’s a Scam, it’s a Bubble, it’s a Super Challenge for Regulators, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3072298 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); Zickgraf, Initial Coin Offerings – Ein Fall für das Kapitalmarktrecht?, AG 2018, 293.
I. Einführung und wirtschaftliche Bedeutung ICOs sind ein relativ neues Phänomen, haben aber in kurzer Zeit eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt: Der erste ICO wurde im Jahr 2013 von Mastercoin durchgeführt, gefolgt von dem ICO von Etherium in 20141. Allein im ersten Halbjahr 2017 wurden über ICOs Mittel in einem geschätzten Umfang von 1,2 Mrd. US-Dollar eingesammelt2, im Gesamtjahr 2017 sogar geschätzte 3,73 bis 6,0 Mrd. US-Dollar4, im ersten Halbjahr 2018 bereits ca. 16,5 Mrd. US-Dollar5. Zugleich handelt es sich um eine globale Erscheinung: Nach einer Untersuchung von 450 ICO ließ sich zwar in ca. 32 % der Fälle das Herkunftsland nicht ermitteln, die verbleibenden ICOs kamen aber aus allen Kontinenten inklusive Afrika und dem pazifischen Raum, ca. 30 % der ICOs stammten aus Europa6.
20.1
Um dieses Phänomen herum hat sich eine gesamte Infrastruktur entwickelt: Es gibt zahlreiche Internet-Plattformen, die ICOs auflisten, etliche Kryptobörsen für den Handel mit den erworbenen Tokens, und schließlich Rechtsanwälte und andere Dienstleister. Und die geplante schottische Börse Scotex in Edinburgh soll einen primären Markt umfassen, der auf einer Blockchain-Architektur namens STARS laufen und sowohl IPOs als auch ICOs ermöglichen soll, ferner zwei Kryptowährungsbörsen7.
20.2
II. Begriff und technischer Hintergrund 1. Begriff Der Begriff ICO, kurz für „Initial Coin Offering“, leitet sich ab von IPO, Initial Public Offering. Beiden ist gemein, dass sie der Unternehmensfinanzierung dienen8. Anders als bei einem IPO werden keine Aktien ausgegeben, sondern sog. „Tokens“. Der Vorgang wird daher teilweise auch als „Initial Token Offering“ oder (wohl aus Gründen der Sorge 1 https://en.wikipedia.org/wiki/Initial_coin_offering (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 2 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Volumen-von-Initial-Coin-Offerings-im-ersten-Halb jahr-auf-1-2-Milliarden-Dollar-gestiegen-3782010.html (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 3 https://www.coinschedule.com/stats.html?year=2017 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 4 https://en.wikipedia.org/wiki/Initial_coin_offering (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 5 https://www.coinschedule.com/stats.html?year=2018 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 6 Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 12 ff. 7 Gajo, AG 2018, R90 f. 8 Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 84 Rz. 22.
van Aubel | 699
20.3
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
vor einer Prospektpflicht) als „Token Generation Event“ bezeichnet, die Begriffe haben sich jedoch nicht durchgesetzt.
20.4
Ein Initial Coin Offering wird oft definiert als unregulierter Prozess, bei dem Mittel über eine Kryptowährung akquiriert werden9. Diese Definition ist insofern unglücklich, als sie die Frage der Regulierung zum Teil der Definition erklärt. Ob ein gewisses Verhalten, hier die Ausgabe von „Coins“, reguliert ist oder nicht, kann erheblichen Abgrenzungsfragen unterliegen, wie noch zu zeigen sein wird. Besser ist daher die Umschreibung durch die BAFin: „Ein Initial Coin Offering (ICO) ist eine Methode, mit Hilfe von sog. „Token[s]“ Kapital aufzunehmen.“10. Für das Verständnis des Phänomens ist zunächst ein gewisser Hintergrund an technischen Begriffen erforderlich.
2. Blockchain/Distributed Ledger Technology 20.5
Allen ICOs ist gemein, dass sie auf einer sog. Blockchain (auch Block Chain, englisch für Blockkette) abgewickelt werden. Dabei handelt es sich um eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen, genannt „Blöcke“, welche mittels kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind. Jeder Block enthält dabei typischerweise einen sog. Hash (Streuwert) des vorhergehenden Blocks11, einen Zeitstempel und Transaktionsdaten12. Die älteste noch in Betrieb befindliche Blockchain ist die der Kryptowährung Bitcoin. Die folgende vereinfachte Darstellung zeigt das Prinzip einer Blockchain:
9 Vgl. etwa die folgende Definition: „An unregulated means by which funds are raised for a new cryptocurrency venture. An Initial Coin Offering (ICO) is used by startups to bypass the rigorous and regulated capital-raising process required by venture capitalists or banks.“ https://www. investopedia.com/terms/i/initial-coin-offering-ico.asp (zuletzt abgerufen am 25.7.2018), ähnlich: „unregulated issuances of cryptocoins where investors can raise money in bitcoin or other [cryptocurrencies]“, https://beta.techcrunch.com/2017/05/23/wtf-is-an-ico/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); ähnlich Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 79 Rz. 2: „neue, unregulierte Form der Schwarmfinanzierung“. 10 BaFin, Hinweisschreiben vom 20.2.2018, S. 5, ähnlich Vogel/Müller/Luthiger/Ljubicic, AG 2017, R333: „eine Art digitales, auf der Distributed Ledger Technology (DLT) beruhendes Crowdfunding“. 11 Dabei handelt es sich um eine Art digitalen Fingerabdruck, der sich bei jeder Änderung der zugrundeliegenden Daten ändert, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hashfunktion (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 12 https://de.wikipedia.org/wiki/Blockchain (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
700 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20 Vereinfachte Darstellung der Bitcoin-Blockchain13 Block 1 Header
Block 2 Header
Block 3 Header
Hash von vorhergehendem Block 0 Header
Hash von vorhergehendem Block 1 Header
Hash von vorhergehendem Block 2 Header
Hash-Baum von Transaktionen 1
Hash-Baum von Transaktionen 2
Hash-Baum von Transaktionen 3
Block 1 Transaktionen 1
Block 2 Transaktionen 2
Block 3 Transaktionen 3
Jede spätere Transaktion baut auf früheren Transaktionen auf und bestätigt diese, indem sie die Kenntnis der früheren Transaktionen in der Blockchain dokumentiert. Damit wird es unmöglich, frühere Transaktionen zu manipulieren oder zu löschen, ohne gleichzeitig alle späteren Transaktionen ebenfalls zu verändern. Andere Teilnehmer der Blockchain, die Kenntnis der späteren Transaktionen haben, würden eine manipulierte Kopie der Blockchain daran erkennen, dass sie Inkonsistenzen in den Daten aufweist.
20.6
Für das Konzept der Blockchain ist weiter entscheidend, dass die Blockchain nicht nur auf einem Computer gespeichert ist, sondern dezentral auf zahlreichen miteinander verbundenen Rechnern (daher auch als „distributed ledger“ bezeichnet, also etwa: „verteiltes Hauptbuch“, wovon sich der Begriff „Distributed Ledger Technology“ ableitet, kurz „DLT“). Wenn Transaktionen durchgeführt werden und nach einer gewissen Anzahl von Transaktionen ein neuer Block geschaffen wird, kann dieser von allen beteiligten Computern geprüft werden. Erst wenn eine definierte Mehrheit dieser Rechner die Richtigkeit des neuen Blocks bestätigt, wird dieser an die Blockchain angehängt.
20.7
Der neue Block wird jedoch nicht allein aus den Werten der Vergangenheit und den aktuellen Transaktionen geschaffen, vielmehr sind bei den bislang am meisten verwendeten Blockchains Bitcoin und Etherium darüber hinaus rechenintensive kryptographische Rätsel zu lösen: Wenn ein neuer Block geschaffen werden soll, rechnen zahlreiche Teilnehmer um die Wette, um denjenigen Eingabewert zu erraten, der einen bestimmten, von der Blockchain vorgegebenen Hash-Wert erzeugt. Derjenige, dem dies als erstes gelingt, wird hierfür mit z.B. Bitcoins belohnt. Dieser Vorgang wird als „Mining“ (Schürfen) bezeichnet.
20.8
Der Grund für das Erfordernis intensiver Rechenleistung liegt darin, dass die Initiatoren der jeweiligen Blockchain dies als inhärente Garantie für die Sicherheit und Integrität der
20.9
13 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Blockchain (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
van Aubel | 701
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
Blockchain angesehen haben: Es soll (über das Mining) lukrativer sein, die erforderliche Rechenleistung in das Fortschreiben der Blockchain zu stecken als diese zu fälschen. Die eingesetzte Arbeit wird damit als Legitimation angesehen (als „Proof of Work“ bezeichnet, kurz auch „POW“)14.
20.10 Der Einsatz entsprechender Rechenleistung ist extrem energieintensiv. Stand Juli 2018 be-
nötigt eine einzige Transaktion auf der Bitcoin-Blockchain ca. 954 kWh an elektrischer Energie15, die den Teilnehmern bislang nicht oder nur in sehr geringem Umfang in Rechnung gestellt werden (die entsprechenden Gebühren werden auf der Etherium-Blockchain als „gas“ (Treibstoff) bezeichnet). Dies ist bislang möglich, weil die Energiekosten durch das Mining neuer Coins subventioniert werden.
20.11 Um diesen Problemen zu entgehen, gibt es zwei andere Konzepte: Nach dem einen soll die
Legitimation der Transaktionen künftig dadurch sichergestellt werden, dass Inhaber einer definierten Anzahl von Coins der entsprechenden Blockchain, die als Sicherheit hinterlegt werden müssen, über die Richtigkeit abstimmen müssen (bezeichnet als „Proof of Stake“, kurz auch „POS“)16. So hat der Erfinder der Etherium Blockchain, Vitalik Buterin, Ende 2016 angekündigt, diese im Jahr 2018 ebenfalls auf das Proof-of-Stake-Konzept umzustellen17. Das andere sieht geschlossene Systeme mit einem begrenzten Kreis von Teilnehmern vor („private Blockchains“), die die Transaktionen prüfen und mit einer definierten Mehrheit bestätigen18. Ein Beispiel hierfür ist die Platzierung eines Schuldscheindarlehens der Daimler AG durch die LBBW, das auf einer privaten Blockchain abgebildet wird19.
3. Wallet 20.12 Der nächste zentrale Begriff ist der der „Wallet“ (Brieftasche). Auch wenn die meisten
Nutzer davon ausgehen, dass „ihre“ Bitcoins in „ihrer“ Wallet gespeichert werden20, ist dies technisch nicht ganz richtig: In der Wallet sind die privaten Schlüssel der Schlüsselpaare des jeweiligen Nutzers gespeichert21. Die Bitcoins (und anderen Tokens) sind öffentlich einsehbar auf der Blockchain gespeichert. Jeder Token (oder Bruchteil davon, s. Rz. 20.24) hat einen privaten Schlüssel, über den der derzeitige „Inhaber“ verfügt. Mithilfe
14 Dazu etwa Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 65 ff. 15 https://digiconomist.net/bitcoin-energy-consumption (zuletzt abgerufen am 25.7.2018), was bei angenommen Energiepreisen für deutsche Verbraucher i.H.v. ca. 0,25 Euro/kWh einem Betrag von ca. 239 Euro je Transaktion entspricht (!). 16 Dazu etwa Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 68. 17 https://medium.com/@VitalikButerin/a-proof-of-stake-design-philosophy-506585978d51 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 18 Zum Konzept etwa https://blog.ethereum.org/2015/08/07/on-public-and-private-blockchains/ (zuletzt abgerufen am 27.7.2018); etwa auch Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 69 f. 19 https://www.daimler.com/investoren/refinanzierung/blockchain.html (zuletzt abgerufen am 25.7. 2018). 20 Etwa auch Borkert, ITRB 2018, 91, 94: Inhaberschaft der Tokens erfolgt durch Buchung auf dem „Konto“ des Berechtigten. 21 Dem liegt das Konzept der asymmetrischen Verschlüsselung zugrunde, bei der Schlüsselpaare erzeugt werden, die jeweils aus einem öffentlichen („public key“) und einem privaten Schlüssel („private key“) bestehen, vgl. dazu etwa https://en.wikipedia.org/wiki/Public-key_cryptography (zuletzt abgerufen am 25.7.2018), ferner Kaulartz, CR 2016, 474, 475.
702 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
dieses Schlüssels kann in die Blockchain geschrieben und damit im Ergebnis der Token übertragen werden22. Daher ist es richtiger, die Wallet als einen „digitalen Schlüsselbund“ anzusehen23. Aus der allein im Schlüssel verkörperten Verfügungsmacht ergeben sich juristische Folgeprobleme: Der Token ist in der Blockchain gespeichert, und kann von jedem übertragen werden, der über den dazugehörigen privaten Schlüssel verfügt. Daher ist es (auch außerhalb von Fällen des „Diebstahls“ von Tokens) nicht einfach, zweifelsfrei festzustellen, wer der rechtliche Eigentümer des Tokenist – ist es die natürliche Person, die über den Schlüssel verfügt, oder ist es eine juristische Person, etwa der Emittent?
20.13
Die Praxis versucht, sich hier auf verschiedene Weise zu behelfen: Zum einen gibt es das Konzept der „Multsignature Wallet“, also einer Wallet, auf die nur zugegriffen werden kann, wenn mehrere Schlüssel die Transaktion autorisieren24. Die verschiedenen Schlüssel werden mehreren „Schlüsselpersonen“ im Unternehmen anvertraut, in der Erwartung, dass diese gemeinschaftlich nur in dessen Interesse handeln.
20.14
Alternativ werden teilweise Banken beauftragt, die Wallet für das Unternehmen zu eröffnen. In diesem Fall verfügen alleine die Mitarbeiter der Bank über die privaten Schlüssel, die Zuordnung zum Unternehmen erfolgt ähnlich wie bei einem Bankkonto oder Wertpapierdepot aus der Aussage der Bank, dieses für das Unternehmen zu halten, und Verfügungen finden – wiederum wie bei einem Bankkonto oder Depot – in der Weise statt, dass die gegenüber der Bank als verfügungsbefugt vereinbarten Personen (etwa die im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer) in der vereinbarten Form (z.B. schriftlich) Verfügungsaufträge erteilen.
20.15
4. Smart Contract Das Konzept der Smart Contracts geht zurück auf Überlegungen aus den 1970er- bis 1980er-Jahren unter dem Terminus „Agoric Computing“ (auf Deutsch etwa „Marktbezogene Berechnung“), um die Abbildung von Marktmechanismen wie Auktionen und Ressourcenmanagement in Software abzubilden. Der Begriff „Smart Contract“ wurde ca. 1993 durch den Computerwissenschaftler Nick Szabo geprägt, um die Verbindung von Vertragsrecht und verwandten Disziplinen mit dem Design von E-Commerce-Protokollen zu betonen25.
20.16
Smart Contracts sind Programme, die manipulationssicher gespeichert sind und bei Eintritt bestimmter Bedingungen vorher festgelegte Maßnahmen automatisch ausführen26. Smart Contracts müssen nicht zwingend auf einer Blockchain programmiert werden, diese bietet sich dafür aber besonders an27: Wie alle anderen Transaktionen werden auch die Smart Contracts und die unter diesen durchgeführten Transaktionen in der Blockchain – also auf allen mit dem Netzwerk verbundenen Geräten – unveränderbar gespeichert28.
20.17
22 https://en.wikipedia.org/wiki/Cryptocurrency_wallet (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 23 Zutreffend Richter/Augel, FR 2017, 937, 939. 24 https://en.wikipedia.org/wiki/Cryptocurrency_wallet#Multisignature_wallet (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 25 https://de.wikipedia.org/wiki/Smart_Contract (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 26 Vgl. Heckelmann, NJW 2018, 504 m.w.N. 27 Vgl. Heckelmann, NJW 2018, 504, 505. 28 https://de.wikipedia.org/wiki/Ethereum (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
van Aubel | 703
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
20.18 Die in der Öffentlichkeit bekannteste (und derzeit nach Marktkapitalisierung größte)
Blockchain ist die Bitcoin-Blockchain. Auf dieser ließ sich bereits ein einfacher Smart Contract abbilden, der sog. Escrow Contract (Treuhandvertrag), der z.B. der Absicherung der Kaufpreiszahlung dient29. Die derzeit nach Marktkapitalisierung zweitgrößte Blockchain, Etherium, hat seitdem die Möglichkeiten der Smart Contracts erheblich erweitert.
20.19 Smart Contracts auf der Ether-Blockchain werden meist in der für Ethereum eigens ent-
wickelten Programmiersprache Solidity geschrieben30. So könnte z.B. festgelegt werden, dass von Wallet X an jedem Monatsersten ein Betrag von 1,25 ETH auf ein Wallet Y übertragen wird, etwa, um Miete oder Lizenzgebühren zu bezahlen. Möglich ist auch, Leistung und Gegenleistung direkt zu verknüpfen, also etwa im Rahmen eines ICO eine definierte Anzahl von neugeschaffenen Tokens automatisch an das Wallet zu übertragen, von dem eine in dem Smart Contract festgelegte Summe in Ether überwiesen wurde. Damit ist keine (manuelle) Überprüfung eines Zahlungseingangs mehr erforderlich, denn die Überweisung startet direkt die im Vertrag festgelegte Gegenleistung31.
20.20 Die meisten Beispiele sind auf Vorgänge innerhalb der jeweiligen Blockchain beschränkt.
Smart Contracts können auch darüber hinausgehende Funktionen erfüllen, wenn sie mit der realen Welt verknüpft werden, z.B. mit Wetterdaten für Versicherungsfälle32.
5. Token/Coin a) Generell
20.21 Die in unter der jeweiligen Blockchain ausgegebenen Recheneinheiten werden z.T. als
„Coins“ (Münzen) bezeichnet, etwa im Fall von Bitcoin, teilweise auch als „Cryptocurrency“ (auf Deutsch teilweise auch als Kryptowährung bezeichnet), ansonsten überwiegend als Token (pl. Tokens), was auf Deutsch u.a. Bon, Pfandmarke, Spielstein oder Jeton heißen kann, aber auch Zeichen oder Symbol. Im Folgenden soll nur die Bezeichnung Token verwendet werden. Stand Januar 2018 gab es über 1.300 verschiedene derartige Tokens33.
20.22 In technischer Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, einen neuen Token aufzusetzen: Zum ei-
nen kann eine eigene, neue Blockchain geschaffen werden. In den meisten Fällen wird der neue Token jedoch auf einer existierenden Blockchain ausgegeben, in den meisten Fällen auf der Etherium-Blockchain, teilweise verbunden mit der Ankündigung, nach einer gewissen Entwicklungsphase auf eine eigene Blockchain zu wechseln34. Die meisten Tokens, die heute unter der Etherium-Blockchain ausgegeben werden, unterliegen dem sog. ECR20 Token Standard35.
20.23 Bei der Schaffung eines neuen Token wird in dem zugrundeliegenden Smart Contract pro-
grammiert, welche Funktionen und Eigenschaften dieser haben soll36. So kann z.B. fest-
29 30 31 32 33 34 35 36
Dazu etwa Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 72. https://de.wikipedia.org/wiki/Ethereum (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). https://de.wikipedia.org/wiki/Ethereum (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Derartige Verknüpfungsfunktionen werden „Orakel“ genannt, vgl. etwa Glatz in Breidenbach/ Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 73 Fn. 55. https://en.wikipedia.org/wiki/Cryptocurrency_wallet (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 87. https://theethereum.wiki/w/index.php/ERC20_Token_Standard (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Dazu etwa Borkert, ITRB 2018, 91, 92.
704 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
gelegt werden, ob der Token übertragbar ist oder nicht (oder nur bis zu oder erst ab einem bestimmten Zeitpunkt), ob damit die Möglichkeit verbunden sein soll, über gewisse Themen (etwa Investmententscheidungen oder Produkteigenschaften) abzustimmen, dass mit ihm das Recht verbunden ist, eine bestimmte Plattform oder Software zu nutzen oder dass z.B. Gewinnausschüttungen quotal auf die Tokens verteilt werden sollen. Eine weitere Besonderheit sowohl von Bitcoin und Ether als auch der meisten neugeschaffenen Tokens gegenüber klassischen Anlageformen besteht darin, dass sie auch in – teilweise extrem kleinen – Bruchteilen übertragen werden können. So haben die meisten unter dem Standard ECR20 ausgegebenen Tokens 18 Nachkommastellen37. Mit anderen Worten ließe sich eine einzelne Aktie (wenn denn der konkrete Token eine repräsentiert, dazu unten) in 1018 (eine [deutsche] Trillion) Teile zerlegen.
20.24
Je nach der Funktion des Token ist bei seiner Ausgabe auch festzulegen, ob und ggf. wie eine Verknüpfung mit der realen Welt stattfinden soll, ob also der Token mit dem dahinterstehenden Wert, wie z.B. einer Kapitalanlage, zusammenhängen soll38.
20.25
b) Typen von Tokens Festzuhalten ist zunächst, dass es keinen standardisierten Token gibt. Die Funktion, die der jeweilige Token haben soll, wird von seinem Emittenten festgelegt39. Gleichwohl haben sich gewisse Typen herausgebildet, die regelmäßig wie folgt unterschieden werden40:
20.26
aa) Investment Token Die erste Hauptgruppe stellt der sog. Investment Token dar, also ein Token, der eine Kapitalanlage repräsentiert. Teilweise wird diese Gruppe insgesamt auch als Equity Token bezeichnet41, teilweise wird als Equity Token nur eine Untergruppe des Investment Token bezeichnet, die Eigentumsbruchteile vermittelt, etwa an einer Aktie42. Die FINMA bezeichnet diese Gruppe als Anlage-Token43. Ein solcher Token kann etwa einen Firmenanteil repräsentieren, oder auch zur Abbildung von Fremdkapital dienen: So hat die Daimler AG zusammen mit der LBBW ein Schuldscheindarlehen im Volumen von 100 Mio. Euro über eine private Blockchain abgewickelt44.
20.27
Das wohl bekannteste und am ausführlichsten diskutierte Beispiel hierfür ist „The DAO“, auch wenn die Initiatoren es nicht als Investment Token bezeichnet haben: „The DAO“ steht für „Distributed Autonomous Organsiaton“, und die Idee der in Deutschland ansässigen Initiatoren des ICO bestand darin, Kapital einzusammeln, das dann von dieser „Or-
20.28
37 https://theethereum.wiki/w/index.php/ERC20_Token_Standard (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 38 Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 71 Rz. 44. 39 Vgl. etwa Vogel/Müller/Luthiger/Ljubicic, AG 2017, R333: „fast grenzenlose Ausgestaltungsmöglichkeiten“. 40 Hacker/Thomale, S. 7 sowie 12 ff. und Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 92 sprechen sogar von „Archetypen“. 41 Etwa von Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 9. 42 http://strategiccoin.com/difference-utility-tokens-equity-tokens/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 43 Vgl. FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 3. 44 https://www.daimler.com/investoren/refinanzierung/blockchain.html (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
van Aubel | 705
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
ganisation“ in anderen Tokens angelegt werden sollte, also letztlich um eine Art von Investmentfonds. Dabei sollten die Inhaber der DAO-Tokens jeweils darüber abstimmen, ob ein bestimmtes, vorgeschlagenes Investment getätigt werden sollte oder nicht. Unrühmlich ist „The DAO“ in erster Line dadurch geworden, dass es bis heute unbekannten Hackern gelungen ist, Ether im Wert von ca. 50 Mio. US-Dollar, ungefähr ein Drittel des eingesammelten Kapitals im Gegenwert von ca. 150 Mio. US-Dollar, durch Ausnutzen eines Programmierfehlers umzuleiten. Das Etherium-Netzwerk reagierte mit einer sog. „hard fork“, also einer Spaltung des Etherium-Netzwerks. Der heute zentrale Teil der Etherium Blockchain wurde auf den Zustand vor dem Hack zurückgesetzt45. „The DAO“ wurde von der SEC in einem vielbeachteten „Report“ als Investment Token eingestuft46. bb) Utility Token
20.29 Eine weitere Gruppe trägt die Bezeichnung Utility Token, teilweise auch als Usage Token
bezeichnet47; die FINMA spricht von Nutzungs-Tokens48. Utility Tokens werden z.B. so ausgestaltet, dass der Erwerber das Recht erhält, gewisse Dienstleistungen oder Produkte in Anspruch zu nehmen, die der Emittent entwickelt hat oder zu entwickeln verspricht, etwa Zugang zu dem mit dem ICO finanzierten Computerspiel, oder er das zu entwickelnde Produkt schneller als die übrigen Kunden oder zu einem vergünstigten Preis erwerben kann49. Utility Tokens lassen sich im Regelfall nur auf der jeweiligen Plattform selbst nutzen.
20.30 Ein bekanntes Beispiel für eine als prospektfrei geplante Emission von Utility Tokens war Munchee Inc., ein kalifornisches Unternehmen, das eine App für Restaurantkritiken entwickelt hatte50. Die sog. MUN-Tokens wurden vertrieben, noch bevor das entsprechende System einsatzfähig war. Nach Fertigstellung sollten Kunden, die Restaurantkritiken schrieben, dafür mit Tokens entlohnt werden, die von den besprochenen Restaurants bezahlt werden sollten. Den Ersterwerbern der Tokens wurden dabei Preissteigerungen in Aussicht gestellt. Nachdem die SEC die Emittentin kontaktierte und auf die Prospektpflicht hinwies, brach diese den ICO ab und erstattete den Anlegern das bereits eingenommene Kapital51.
20.31 Ein weiteres Beispiel ist etwa Filecoin, das ein „Decentralized Storage Network“ aufsetzen
will, bei dem die Nutzer Zugriff auf ansonsten ungenutzten Computerspeicher erhalten und hierfür mit den von Filecoin ausgegebenen Tokens zahlen sollen52. Mit dieser Idee ist es Filecoin gelungen, in wenigen Tagen 257 Mio. US-Dollar einzusammeln53. Und in Deutschland ist Anfang 2018 die Wysker UG aus Berlin an den Markt gegangen, um den WYS-Token zu vertreiben. Nach dem White Paper verfolgt sie eine ähnliche Idee wie Munchee, nur dass in dem noch zu errichtenden Netzwerk die Nutzer nicht für Res-
45 46 47 48 49 50 51 52 53
Ausführlich dazu etwa Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 91 f. https://www.sec.gov/news/press-release/2017-131 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Etwa von Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 9. Vgl. FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 3. http://strategiccoin.com/difference-utility-tokens-equity-tokens/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Dazu ausführlich etwa Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 91; Zickgraf, AG 2018, 293, 305. https://www.sec.gov/news/press-release/2017-227 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Vgl. Hacker/Thomale, S. 12 für weitere Beispiele. https://www.coindesk.com/257-million-filecoin-breaks-time-record-ico-funding/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
706 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
taurantkritiken entlohnt werden sollen, sondern dafür, dass sie bereit sind, sich Werbung im Internet anzusehen54. cc) Currency Token Die dritte Gruppe stellt der Currency Token (Währungs-Token) dar, dessen Funktion in seiner Bezeichnung angelegt ist: Er soll eine (weitere) elektronische Währung darstellen, die sich plattformübergreifend als Zahlungsmittel verwenden lässt55. Die FINMA bezeichnet sie dementsprechend als Zahlungs-Tokens56. Beispiele hierfür sind etwa Bitcoin, Bitcoin Cash oder Ripple. Durch die Architektur einer Blockchain ist diese für die Ausgabe von Currency Tokens besonders geeignet: Die ersten Versuche, elektronisches Geld zu kreieren, hatten regelmäßig mit der Dokumentation zu kämpfen, also dem Versuch sicherzustellen, dass dieselbe Werteinheit nicht zweimal ausgegeben werden konnte. Dieses Problem ist durch die Blockchain-Technologie gelöst worden.
20.32
dd) Mischtypen Neben den drei genannten „reinen“ Typen von Tokens sind auch Mischtypen denkbar, also Tokens, die z.B. sowohl Elemente eines Utility als auch eines Investment Token beinhalten. Ein Beispiel ist Ether: Diese Tokens werden zunächst als Zahlungsmittel verwendet (Currency Token). Daneben haben sie auch Funktionen eines Utility Token, da sie erforderlich sind, um Transaktionen auf der Etherium-Blockchain zu bezahlen („gas“, s. Rz. 20.10). Und wenn heute ein anderer Emittent Tokens ausgibt, um die Entwicklung einer vergleichbare Plattform zu finanzieren, stellt sich die Frage, ob zugleich die Eigenschaften eines Investment Token erfüllt sind.
20.33
ee) Charity Token Vereinzelt taucht auch der Begriff „Charity Token“ auf. Dabei handelt es sich letztlich um eine Spende in Token-Form, die hier nicht weiterverfolgt werden soll.
20.34
c) Anwendbares Recht Vor der Frage nach Rechtsnatur und Übertragbarkeit von Tokens ist die Frage zu beantworten, welches Recht auf sie, Übertragungsakte und ggf. für die Frage des gutgläubigen Erwerbs Anwendung findet: Was gilt, wenn Tokens z.B. an einer Kryptobörse in Hong Kong gehandelt werden?
20.35
Bei klassischen Wertpapieremissionen wird kollisionsrechtlich differenziert zwischen dem sog. Recht am Papier und dem sog. Recht aus dem Papier. Das erste unterliegt dem sog. Sachstatut (Wertpapiersachstatut), das zweite dem Statut des verbrieften Rechts (sog. Wertpapierrechtsstatut oder Hauptstatut). Das Hauptstatut wiederum bestimmt sich nach der Art des Rechts: Handelt es sich um eine Forderung (wie z.B. Schuldverschreibung), gilt das Schuldstatut, bei einem Mitgliedschaftsrecht das Gesellschaftsstatut57.
20.36
54 Vgl. https://www.wystoken.org/media/wysker-whitepaper.pdf (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 55 Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 92. 56 Vgl. FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 3. 57 Wendehorst in MünchKomm. BGB, Art. 43 EGBGB Rz. 194; Thorn in Palandt, BGB, Art. 43 EGBGB Rz. 1.
van Aubel | 707
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
20.37 Mangels Körperlichkeit der Tokens ist es nicht möglich, von einer räumlichen Belegenheit
zu sprechen, womit eine Anknüpfung an eine lex rei sitae (oder lex cartae sitae) ausscheidet58. Damit gilt für Tokens dasselbe wie für unverbriefte Wertrechte: Die Frage, welche Rechtsordnung kollisionsrechtlich auf sie anwendbar ist, wird allein durch das Hauptstatut bestimmt59. Damit bestimmen sich die Regeln zu Übertragung und gutgläubigem Erwerb von Tokens, die unter deutschem Recht ausgegeben wurden, ebenfalls nach diesem. Zu demselben Ergebnis gelangt die VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO), deren Art. 14 Abs. 2 bestimmt, dass das Hauptstatut für Fragen der Übertragbarkeit von Forderungen und Leistung mit befreiender Wirkung Anwendung findet60.
20.38 Begibt also ein Emittent ein Genussrecht nach deutschem Recht, stellt dies zugleich das
Hauptstatut für die Tokens dar. Da außer dem Token kein Papier existiert, in dem die Rechte verbrieft wären, ist kein Raum für ein danebenliegendes Sachstatut. Im Folgenden werden allein die Folgen bei Anwendung deutschen Rechts betrachtet. d) Rechtsnatur der Tokens
20.39 Bei aller Beachtung, die ICOs und damit auch Tokens erfahren haben, gibt es bislang we-
nige Überlegungen zur Frage ihrer Rechtsnatur61. Technisch lassen sich Tokens beschreiben als Datenpakete, die innerhalb eines Netzwerks unterschiedlichen Teilnehmern zugeordnet werden62. Und der Erfinder von Bitcoin, Nakamoto, versteht „electronic coins“ als „chain of digital signatures“ und stellt damit in erster Linie auf den technischen Übertragungsprozess ab63.
20.40 Auf rechtlicher Ebene besteht Einigkeit darüber, dass Tokens mangels Körperlichkeit keine
Sache i.S.v. § 90 BGB darstellen64. Fraglich ist hingegen, ob sie Rechte i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder „sonstige Gegenstände“ gemäß § 453 Abs. 1 Alt. 2 BGB darstellen65. Angesichts der völlig freien Gestaltbarkeit durch den Emittenten ist auf den konkreten Token und dessen Einordnung in die soeben dargestellten funktionalen Typen abzustellen.
20.41 Currency Tokens stellen eine (weitere) elektronische Währung dar. Ihnen ist gemein, dass
sie keinen Anspruch, etwa auf Rückzahlung, gegen den jeweiligen Emittenten (z.B. das Bitcoin-Netzwerk) verkörpern. Insoweit ist es also naheliegend, sie nicht als Rechte anzusehen66. Aufsichtsrechtlich hat die BAFin hat Bitcoin als Rechnungseinheit i.S.v. § 1 Abs. 11
58 Wendehorst in MünchKomm. BGB, Art. 43 EGBGB Rz. 16 und 35. 59 Wendehorst in MünchKomm. BGB, Art. 43 EGBGB Rz. 202. 60 Zwar sind „Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren“ sowohl vom Anwendungsbereich der VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO), dort Art. 1 Abs. 2 lit. d), als auch der VO Nr. 864/2007 (Rom II-VO) ausgenommen, dort Art. 1 Abs. 2 lit. c). Mit den „anderen handelbaren Wertpapieren“ sind nach bisheriger Auffassung jedoch nur verbriefte Wertpapiere gemeint, vgl. Martiny in MünchKomm. BGB, Art. 1 Rom I-VO Rz. 55, womit die Anwendung der Rom I-VO eröffnet ist. 61 Ausführliche Überlegungen zum englischen Recht finden sich bei Allen, S. 1 ff. 62 Keding, WM 2018, 64, 66; Richter/Augel, FR 2017, 937, 940; Borkert, ITRB 2018, 91, 92. 63 Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, S. 2. 64 Richter/Augel, FR 2017, 937, 940; Borkert, ITRB 2018, 91, 92; Kaulartz, CR 2016, 474, 478. 65 Im letzteren Sinne Borkert, ITRB 2018, 91, 92 f. unter Berufung auf Peukert in Leible/Lehmann/ Zech, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, S. 95 ff. 66 Richter/Augel, FR 2017, 937, 940, insb. Fn. 52; Borkert, ITRB 2018, 91, 92 f.
708 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
Satz 1 Nr. 7 KWG eingeordnet67. Diese Rechtsauffassung gilt grundsätzlich für alle virtuellen Währungen68. Der Emittent von Investment Tokens geht den umgekehrten Weg: Er legt fest, dass der Token gewisse Rechte verkörpert, etwa den Anspruch auf einen Anteil am Gewinn einer bestimmten Unternehmung. Er legt im Zweifel weiter fest, dass die Gewinnanteile nur an die jeweiligen Inhaber der Tokens ausgeschüttet werden sollen. Ähnlich ist es bei Utility Tokens: Auch hier legt der Emittent fest, welche Rechte mit dem Token verbunden sein sollen, und auch hier ist der Token erforderlich, um diese Rechte geltend zu machen.
20.42
Insoweit ist die Situation vergleichbar mit dem (zivilrechtlichen) Wertpapierbegriff: Ebenso wie dort die Innehabung des Papiers erforderlich ist, um das Recht geltend zu machen69, ist hier Inhaberschaft am Token erforderlich. Insoweit ist es richtig zu sagen, dass der Token das konkrete Recht so „verkörpert“ wie das Wertpapier das in ihm verbriefte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Token ebenso wenig wie das Papier identisch mit dem jeweils repräsentierten Recht ist70. Dies spricht dafür, einen Token zivilrechtlich als sonstigen Gegenstand i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 2 BGB anzusehen71. Darunter werden u.a. Computerprogramme erfasst, die ebenfalls weder Sachen noch Rechte sind (soweit sie nicht im Einzelfall Schutz unter speziellen Immaterialgütervorschriften genießen)72.
20.43
e) Übertragung und gutgläubiger Erwerb Damit ist noch nicht geklärt, welche Rechtsnatur die Übertragung des Tokens hat. Vorgeschlagen wird teilweise, sie als Abtretung nach §§ 398, 412 BGB zu behandeln73, nach anderer Auffassung soll der Token bereits mit dem Verpflichtungsgeschäft übergehen74, andere schließlich sehen die Übertragung als Realakt an75.
20.44
Technisch erfolgt die Übertragung von Tokens durch Übertragung von der Wallet des Absenders an die Wallet des Empfängers. Hierbei handelt es sich, ähnlich wie bei einer Banküberweisung im Verhältnis zwischen Überweisendem und Überweisungsempfänger, um einen einseitigen Akt des Absenders. Dies spricht gegen die Annahme einer Abtretung, die zwei korrespondierende Willenserklärungen voraussetzt.
20.45
Dass dieser einseitige Akt losgelöst von dem Verpflichtungsgeschäft sein kann (ein Kaufvertrag wird abgeschlossen und erst später durch Banküberweisung bzw. Übertragung von
20.46
67 Vgl. BaFin-Journal 01/2014, S. 27; dazu kritisch Richter/Augel, FR 2017, 937, 939 f. 68 BAFin, Jahresbericht 2015, S. 39. 69 Vgl. etwa die zivilrechtliche Definition des Wertpapiers bei Sprau in Palandt, BGB, vor § 793 Rz. 1; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 3. 70 Dementsprechend wird beim Verkauf von Wertpapieren, z.T. auch Banknoten, unterscheiden zwischen Sachmängeln, also Fehlern des Papiers, und Rechtsmängeln, also Fehlern der Sache, vgl. etwa H.P. Westermann in MünchKomm. BGB, § 453 Rz. 5; Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz 24. 71 Ebenso Borkert, ITRB 2018, 91, 92 f.; wohl auch Kaulartz, CR 2016, 474, 478, der pauschal von „Gegenständen“ spricht. 72 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 8. 73 Zickgraf, AG 2018, 293, 299. 74 So Borkert, ITRB 2018, 91, 92 f., der aber wohl die Übertragung auf der Blockchain als das Verpflichtungsgeschäft ansieht, unter wohl unrichtiger Berufung auf Peukert in Leible/Lehmann/Zech, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, S. 95 ff. 75 Heckelmann, NJW 2018, 504, 509 m.w.N.; Kaulartz, CR 2016, 474, 478.
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Bitcoins bezahlt), spricht gegen die Auffassung, der Token ginge mit dem Verpflichtungsgeschäft. Daher ist die Übertragung von Tokens (wie nach herrschender Auffassung die Überweisung im Verhältnis zum Empfänger oder die Einräumung von Besitz) als reale Leistungsbewirkung (Realakt) zu verstehen76.
20.47 Losgelöst von der jeweiligen Ansicht zur Rechtsnatur der Übertragung besteht Einigkeit
wiederum dahingehend, dass mangels Eigenschaft als Sache nach deutschem Recht kein gutgläubiger Erwerb von Tokens möglich ist77. Aufgrund der Geltung des Hauptstatuts gilt dies auch dann, wenn unter deutschem Recht ausgegebene Tokens z.B. an ausländischen Kryptobörsen übertragen werden.
III. Typischer Ablauf, Chancen und Risiken eines ICO 1. Typischer Ablauf eines ICO 20.48 Auch wenn es das Phänomen von ICOs erst seit recht kurzer Zeit gibt, haben sich bereits
gewisse Usancen herausgebildet, so dass man von dem typischen Ablauf eines ICO (ähnlich wie von dem typischen Ablauf eines IPO) sprechen kann78. a) White Paper
20.49 Die meisten Initiatoren eines ICO gehen mit einem sog. White Paper an die (Internet-)Öf-
fentlichkeit. Darin wird, teilweise in großem technischem Detail, dargestellt, welche technischen Probleme der Emittent lösen will oder welches Netzwerk er aufzubauen gedenkt79. Obwohl potenziellen Emittenten im Internet empfohlen wird, in das White Paper auch Angaben zum Emittenten und den dahinter stehenden Personen aufzunehmen80, sind diese Angaben in der Praxis keinesfalls immer enthalten: Nach einer Analyse durch Zetzsche et al. von mehr als 450 ICOs fehlten in knapp einem Viertel der White Papers bereits Angaben zum Emittenten; wurde er angegeben, wurden wiederum nur in weniger als der Hälfte der Fälle auch das Herkunftsland und eine Postadresse angegeben81. b) Pre-Sale
20.50 Nach derselben Untersuchung führen Emittenten in mehr als 70 % der Fälle82 im Rahmen der Vorbereitung, d.h., vor dem „offiziellen“ Start des ICO, einen sog. Pre-Sale durch, der vor allem zur Finanzierung der Anlaufkosten (Aufsetzen der Zweckgesellschaft, Programmierung des Smart Contract, Anwalts- und ggf. Prospektkosten) dient83. Soweit ein Pro-
76 Heckelmann, NJW 2018, 504, 509 m.w.N. 77 Zickgraf, AG 2018, 293, 301; Hacker/Thomale, S. 21. 78 Zum Ablauf des ICO etwa Kaal/Dell’Erba, S. 5–7; Hacker/Thomale, S. 11 f.; Weitnauer, BKR 2018, 231. 79 Kaal/Dell’Erba, S. 5 f.; Hacker/Thomale, S. 11; Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 11; Weitnauer, BKR 2018, 231. 80 https://hackernoon.com/how-to-write-a-good-white-paper-for-ico-tips-and-examples-42d71c3fa4fe (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 81 Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 12. 82 Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 7. 83 Etwa Kaal/Dell’Erba, S. 6.
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spekt erstellt wird, findet der Pre-Sale somit regelmäßig vor der Veröffentlichung des Prospektes statt. Typisch für einen Pre-Sale ist ein Angebot von teilweise erheblichen (angeblichen) Preisvorteilen für frühe Investoren: So werden Tokens teilweise für 10 % oder 20 % des endgültigen Ausgabepreises angeboten. Dabei ist der Weg vom Pre-Sale zum ICO offenbar keinesfalls zwingend: Die amerikanische Firma Telegram (Telegram Messenger LLP), mit dem Telegram Messenger84 Betreiber eines Instant-Messaging-Dienstes zur Nutzung auf Smartphones, Tablets und PCs85, war so erfolgreich in ihrem Pre-Sale (Einwerbung von 1,8 Mrd. US-Dollar), dass der ICO – sehr zum Ärger einiger Pre-Sale-Investoren – vorerst abgesagt wurde86.
20.51
Im Zusammenhang mit dem Pre-Sale fällt teilweise auch in Europa der Begriff „SAFT“ (Simple Agreement for Future Tokens)87. Dabei handelte es sich um einen aus den USA stammenden Versuch, eine Prospektpflicht zu vermeiden: Der ICO wird dabei in zwei Stufen durchgeführt, in einer ersten Stufe in Form von z.B. einer Wandelanleihe, die zwar eine „security“ darstellt, aber nur an qualifizierte Investoren (und damit ohne Prospektpflicht) ausgegeben wird. Mit dem eingeworbenen Geld soll dann das Netzwerk aufgebaut werden, auf dessen Basis im Rahmen des eigentlichen ICO die Wandelanleihe in Tokens (mit einem Discount) umgetauscht wird88. Dieser Weg ist inzwischen als offensichtliche Umgehung von der SEC weitgehend unterbunden worden89.
20.52
c) Vorbereitung des ICO Auf Basis des Pre-Sale (oder mit anderweitig vorhandenen Mitteln) wird sodann der eigentliche ICO vorbereitet. Einige der hier anfallenden Tätigkeiten stellen keine Besonderheit gegenüber anderen Start-up-Unternehmen dar, wie z.B. Aufsetzen einer Zweckgesellschaft und, falls für erforderlich gehalten, Erstellung eines Prospektes.
20.53
ICO-spezifisch ist, dass in diese Phase i.d.R. auch die Programmierung des Smart Contract fällt. Einige Emittenten sehen eine Überprüfung des Smart Contract durch externe, unabhängige Dienstleister vor. Diese prüfen aber i.d.R. nur, ob der Smart Contract innerhalb der Computersprache (etwa Solidity) fehlerfrei umgesetzt ist. Ein Abgleich des Smart Contract mit dem Prospekt findet hierbei häufig ebenso wenig statt wie eine Überprüfung der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit oder von Sicherheitsaspekten.
20.54
Ebenfalls in diese Phase fällt eine, teilweise extrem aufwendige, Werbekampagne: Wenn es in einem ICO möglich ist, Investoren aus der ganzen Welt zu gewinnen, bedeutet dies umgekehrt, dass die Initiatoren auch Investoren auf der ganzen Welt auf das Projekt aufmerksam machen und sich von zahlreichen anderen ICOs abgrenzen müssen. Passend zur digitalen Natur des ICO finden derartige Kampagnen i.d.R. ausschließlich über elektro-
20.55
84 Telegram.org (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 85 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Telegram (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 86 https://www.coinspeaker.com/2018/05/04/telegram-cancels-public-ico-raising-1-7b-presale-saysnew-report/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 87 http://www.businessinsider.de/bitcoin-price-what-is-a-saft-blockchain-the-crypto-fundraisingcraze-shaking-up-venture-capital-2017-11?r=US&IR=T (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 88 Dazu und zur Kritik an dem Konzept in den USA etwa auch Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 97 f. 89 https://venturebeat.com/2018/03/03/sec-subpoenas-show-the-saft-approach-to-token-sales-is-abad-idea/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
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nische Kanäle statt, eine Zeitlang z.B. über Facebook, bis dieses wegen Überhandnehmen betrügerischer Praktiken sämtliche Werbung für Kryptowährungen und ICOs unterband90. d) Eigentlicher ICO
20.56 Nach Abschluss der Vorbereitungen findet der eigentliche ICO statt. Der Emittent ist da-
bei frei, die von ihm gewünschten Kriterien festzulegen, wie z.B. die Dauer, die von wenigen Minuten bis zu mehreren Monaten reichen kann. Festgelegt werden häufig eine Untergrenze für die einzuwerbenden Mittel, bei deren Verfehlen das Projekt nicht durchgeführt werden soll (als „Soft Cap“ bezeichnet) und eine Obergrenze, die die maximale Token-Ausgabe bestimmt („Hard Cap“)91. Der Emittent legt ferner den Inhalt des Zeichnungsvertrags und die Emissionsbedingungen fest (dazu Rz. 20.159 ff.).
20.57 Auch der Ausgabepreis kann von dem Emittenten frei bestimmt werden. Werden Invest-
ment Tokens ausgegeben, findet sich teilweise eine Ausgabe zum Nennwert (z.B. wird ein Genussrecht im Nennwert von 1,00 US-Dollar zu diesem Preis – oder dem aktuellen Umrechnungskurs in Bitcoin oder Ether – ausgegeben). Wie im Pre-Sale finden sich häufig auch im Rahmen des eigentlichen ICO gestaffelte Ausgabepreise: Zeichner in den ersten Tagen der ICO-Phase (oder einer ersten Anzahl von Tokens) erhalten Rabatte auf den finalen Ausgabepreis, die teilweise gestaffelt auslaufen (z.B. 30 % Rabatt bis zum Datum X, 20 % bis zum Datum Y, etc.).
20.58 Bei Investment Tokens typisch sind ebenfalls Regeln zur Gewinnverteilung, die auf zwei
Ebenen stattfinden kann: Zum einen wird festgelegt, wieviel Prozent des Gewinns aus dem Projekt auf die Inhaber der Tokens verteilt werden sollen; hier sind Gewinnanteile bis 100 % nicht selten. Dies heißt aber nicht, dass die Initiatoren uneigennützig wären: Im Regelfall wird in den Emissionsbedingungen vorgesehen, dass der Emittent über die von den Investoren gezeichneten Tokens hinaus weitere Tokens kostenlos an Initiatoren, Mitarbeiter, Unterstützer oder den Emittenten selbst ausgeben darf. Dies geschieht teilweise automatisch mit Abschluss des ICO, teilweise enthalten die Smart Contracts die Möglichkeit, manuell weitere Tokens auszugeben. Bei den meisten ICOs werden hingegen keine Geschäftsanteile am Emittenten selbst ausgegeben, das Eigenkapital der Initiatoren wird also nicht verwässert92.
20.59 Bei der Ausgabe von Tokens an Initiatoren und Mitarbeiter93, und auch hinsichtlich der
im Pre-Sale verbilligt ausgegebenen Tokens, stellt sich – ähnlich wie bei einem IPO hinsichtlich der Aktien der Altaktionäre – die Frage, ob und wie die Investoren im ICO vor einem Preisverfall geschützt werden sollen. Hier bietet sich eine Veräußerungsbeschränkung (lock-up) an, die auf zwei Arten realisiert werden kann: Am einfachsten ist es, die entsprechenden Tokens bereits im Smart Contract für die vereinbarte Zeit als unübertragbar zu gestalten; alternativ kommen, wiederum ähnlich wie bei einem IPO, rein schuldrechtliche Veräußerungsbeschränkungen in Frage, ggf. abgesichert durch eine Vertragsstrafe94.
90 https://cointelegraph.com/news/facebook-bans-cryptocurrency-ico-ads-because-of-deceptive-pro motional-practices (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 91 https://www.coinstaker.com/difference-ico-hard-cap-soft-cap/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 92 Vgl. Hacker/Thomale, S. 11. 93 Zu den damit verbundenen steuerlichen Problemen vgl. Rz. 20.208. 94 Vgl. dazu Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1156 f.
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Die Zeichnung seitens der Investoren findet regelmäßig ebenfalls allein über die Blockchain statt: Die Investoren transferieren z.B. Bitcoin oder Ether an den Emittenten und erhalten im Gegenzug, manuell oder aufgrund des Smart Contract, die zu emittierenden Tokens95.
20.60
Nach dem ICO findet regelmäßig eine Notierung der neuen Tokens auf einer oder mehreren der zahlreichen Kryptobörsen statt96. Bei der dann folgenden Umsetzung des Projekts gibt es keine Besonderheiten. Auffällig ist allerdings, dass Gewinnausschüttungen auf die Tokens bislang die absolute Ausnahme sind97. Möglicherweise ist es noch zu früh ist zu beurteilen, ob dies daran liegt, dass die meisten Projekte so jung sind, oder eher daran, dass viele von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatten.
20.61
2. Vor- und Nachteile eines ICO aus Sicht des Emittenten Aus Sicht des Emittenten stellen ICOs eine weitere Finanzierungsquelle dar, die die bisherige Palette an Finanzierungsquellen ergänzt98, insbesondere einen Teil der Funktionen einer klassischen VC-Finanzierung und einen Teil der Funktionen eines traditionellen IPO übernimmt, und die es ermöglicht, erhebliche Beträge zu akquirieren. Als weitere Vorteile eines ICO werden Schnelligkeit und Flexibilität genannt99, was allerdings durch die einzuhaltenden regulatorischen Anforderungen relativiert wird100. Soweit Kostengünstigkeit als weiterer Vorteil eines IPO genannt wird, ist dies allerdings zweifelhaft, da teilweise erhebliche Aufwendungen für das Internet-Marketing anfallen. Aus Sicht der Initiatoren ist es auch attraktiv, eine Verwässerung des Eigenkapitals des Emittenten zu vermeiden, wodurch die teilweise erheblichen Kosten von Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen und die meisten Berichtspflichten entfallen.
20.62
Allerdings besteht auch die Gefahr, am Kundennutzen vorbei zu entwickeln: Emittenten müssen sich die Frage stellen, ob die Zeichner die (Utility) Tokens erwerben, weil sie vom Produkt überzeugt sind, oder weil sie auf schnelle Veräußerungsgewinne hoffen. Das erste ist die Basis für ein langfristig tragfähiges Unternehmen, das zweite wird als „Kartenhaus“ bezeichnet101.
20.63
3. Vorteile und Risiken eines ICO aus Sicht der Investoren Während die Vorteile aus Sicht des Emittenten überwiegen dürften, sieht die Abwägung aus Sicht des Investors anders aus. Der Erwerb von Tokens hat aus seiner Sicht im Wesentlichen zwei Vorteile: Zum einen ist eine Beteiligung, und zwar gerade auch bei Startup-Unternehmen, bereits mit kleinen Beträgen möglich, was bei klassischen Venture-Capital-Finanzierungen nicht der Fall ist102. Gleichzeitig ist das Investment, gerade anders als 95 Vgl. Kaal/Dell’Erba, Initial Coin Offerings, S. 6. 96 Vgl. Kaal/Dell’Erba, Initial Coin Offerings, S. 7. 97 https://www.reddit.com/r/icocrypto/comments/6x72kp/list_of_icos_with_dividends/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 98 Vogel/Müller/Luthiger/Ljubicic, AG 2017, R333, R334. 99 Peroz, AG 2018, R71. 100 Kritisch daher Weitnauer, BKR 2018, 231, 232. 101 „ICOs are Cancer“, https://medium.com/@michaelflaxman/icos-are-cancer-c404594f181b (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 102 Peroz, AG 2018, R71.
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20.64
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
bei einer VC-Finanzierung, nicht auf viele Jahre illiquide, sondern kann im Regelfall bereits kurz nach dem Erwerb über eine Kryptobörse veräußert werden. Man könnte also sagen, dass ein ICO die Vorteile einer Venture-Capital-Investition mit einer Zeichnung im Börsengang verbindet, also hohe Renditechance und sofortige Liquidität. Allerdings gilt auch hier das „Magische Dreieck der Vermögensanlage“103: Rendite und Liquidität werden mit Risiko erkauft. Und die Risiken, sich bei einem ICO zu beteiligen, sind erheblich104.
20.65 Zum einen bestehen sämtliche Risiken, die auch bei einer „klassischen“ Investition am
grauen Kapitalmarkt gegeben sind: Wie sonst gibt es auch bei einem ICO hohe Informations-Asymmetrien105: Die Investoren haben i.d.R. keine andere Möglichkeit, sich über das Projekt zu informieren, als durch die Veröffentlichungen des Emittenten. Außerdem ist die Preisbildung intransparent: Die Preise im Pre-Sale und auch im ICO selbst werden allein vom Emittenten festgelegt. Kombiniert mit dem zeitlichen Druck, der durch eng befristete Discounts für frühe Investoren aufgebaut wird und an einen Vertrieb über „boiler rooms“ erinnert, erhöht sich das Risiko eines unüberlegten Investments106.
20.66 Hinzu kommen einige ICO-spezifische Risiken: Zunächst besteht aufgrund der Anony-
mität (oder „Pseudonymität“) im Internet und auf der Blockchain ein vermutlich noch höheres Risiko als sonst, betrügerischen Initiatoren aufzusitzen. Konkrete Zahlen sind naturgemäß schwer erhältlich, aber sowohl die SEC107 als auch die FINMA108 haben in mehreren Fällen ICOs wegen Betrugsgefahr unterbunden109. Und die Tatsache, dass in mehr als 70 % der ICOs ein Pre-Sale stattfindet, erhöht die Risiken, einem „Pump-and-dump Scheme“ aufzusitzen110. Die Rechtsdurchsetzung ist im Vergleich zu anderen Investitionen weiter erschwert. Wie ausgeführt, gibt es in vielen Fällen keine Angaben zu Emittent und Initiatoren. In diesen Fällen versagen alle rechtlichen Maßnahmen111. Und auch in den Fällen, in denen der Emittent benannt ist, werden zahlreiche Investoren vor einer Rechtsdurchsetzung in einem anderen Staat oder gar auf einem anderen Kontinent zurückschrecken – ganz abgesehen von den Beweisschwierigkeiten, die Investoren haben, wenn sie allein über die Blockchain investiert haben.
20.67 Auch wenn keine betrügerische Absicht vorliegt, finden ICOs i.d.R. früh statt, also bevor
das Projekt oder der Emittent einen hohen Reifegrad erreicht haben112. Dies belastet die Investoren mit allen Risiken eines typischen Start-ups, also mit dem Risiko, dass die
103 https://de.wikipedia.org/wiki/Magisches_Dreieck_der_Verm%C3%B6gensanlage (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 104 Ausführlich, jeweils mit anderen Schwerpunkten, etwa Kaal/Dell’Erba, Initial Coin Offerings, S. 14 ff.; Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 17; Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 95 f. 105 Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 17; Zickgraf, AG 2018, 293, 298 f.; Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 95. 106 Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 95 f. 107 Etwa „SEC Emergency Action halts ICO Scam“, https://www.sec.gov/news/press-release/2017219 (zuletzt abgerufen am 27.7.2018). 108 Etwa: „Scheinwährung: Finma stoppt E-Coin-Betrüger“, https://www.cash.ch/news/top-news/ digitalgeld-scheinwaehrung-finma-stoppt-e-coin-betrueger-1102253 (zuletzt abgerufen am 25.7. 2018). 109 Weitere Beispiele bei Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 3 Fn. 7. 110 Vgl. Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 7. 111 Vgl. Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 18 f. 112 Zetzsche/Buckley/Arner/Föhr, S. 7.
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Technologie nicht umsetzbar ist, dass sie am Markt keinen Anklang findet oder dass auf Dauer Verluste eingefahren werden. So wird vermutet, dass bereits im Februar 2018 ca. 46 % aller ICOs aus 2017 mit einer gesamten Investitionssumme von ca. 104 Mio. US-Dollar gescheitert waren113. Hiermit verwandt ist das Phänomen, dass die meisten ICOs nur auf eine Finanzierungsrunde angelegt sind: Da die Emittenten davon ausgehen, nicht erneut Kapital zu akquirieren, besteht die Tendenz, mehr Mittel einzusammeln, als unbedingt erforderlich sind114. Diese Risiken werden durch den (zumindest derzeit) bestehenden Mangel an Intermediären verstärkt: Die meisten Initiatoren und Emittenten von ICOs sind „one-shooters“, nehmen den Kapitalmarkt also nur einmal in Anspruch. Dadurch besteht keine Korrektur des Verhaltens durch einen Vermittler, der offenbar aussichtslose Projekte bereits aufgrund der Notwendigkeit ablehnen wird, in Zukunft für andere Kunden den Markt erneut anzusprechen115.
20.68
Zu den ICO-spezifischen Risiken gehören schließlich technische Risiken116: Investoren verlieren ihr gesamtes Investment, wenn sie ihren Private Key verlieren oder vergessen. Und wie das Beispiel von „The DAO“ zeigt, werden manche ICOs aufgrund von Programmierfehlern von Betrügern „gehackt“. Schließlich konnten einige Emittenten aufgrund anderer Programmierfehler endgültig nicht mehr über die eingeworbenen Mittel verfügen117.
20.69
4. Künftige Entwicklung Unabhängig von künftigen regulatorischen Anforderungen hat sich auch die BlockchainSzene selbst erste Gedanken zur Eindämmung der geschilderten Probleme gemacht. So hat einer der Gründer von Etherium, Vitalik Buterin, im Januar 2018 ein abgewandeltes ICOVerfahren namens DAICO vorgestellt: Dies soll zunächst wie ein ICO ablaufen. Die eingeworbenen Mittel werden jedoch zunächst gesperrt, und die Inhaber der Tokens können in Abhängigkeit von den Forstschritten der Initiatoren darüber abzustimmen, wie viel Geld an diese ausgekehrt wird oder ob die Finanzierung gestoppt und das Geld den Investoren zurückgegeben werden soll118. Soweit dieses Konzept umgesetzt wird119, würden die Investoren Stimmrechte erhalten, was wiederum für die rechtliche Einordnung der entsprechenden Tokens von Bedeutung sein kann120.
113 114 115 116 117 118 119 120
https://news.bitcoin.com/46-last-years-icos-failed-already/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 95. Vgl. dazu Klöhn/Parhofer/Rezas, ZBB 2018, 89, 96. Dazu etwa auch ESMA, ESMA alerts investors to the high risks of Initial Coin Offerings (ICOs), ESMA Statement vom 13.11.2017, S. 2. Vgl. The Guardian: ‚$300m in cryptocurrency‘ accidentally lost forever due to bug https:// www.theguardian.com/technology/2017/nov/08/cryptocurrency-300m-dollars-stolen-bug-ether (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). „What is a DAICO – Explained“, https://cointelegraph.com/explained/what-is-a-daico-explained (zuletzt abgerufen am 25.7.2018); vgl. dazu Peroz, AG 2018, R71, R72. Stand Juni 2018 gibt es erste Umsetzungen dieses Modells, vgl. den „DAICO“ von Abyss, einem Videospielentwickler, https://www.theabyss.com/de/daico (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). Hierauf weist Peroz, AG 2018, R71, R72 zutreffend hin.
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20.70
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
IV. Regulatorische Entwicklung 20.71 Bevor im folgenden Teil V. (Rz. 20.82 ff.) auf die geltenden regulatorischen Anforderungen an ICOs eingegangen wird, soll zunächst knapp die Entwicklung, auch in den USA und der Schweiz, dargestellt werden, da dies zum Verständnis weiter Teile der Diskussion erforderlich ist.
1. USA 20.72 Ob in den USA eine prospektpflichtige „security“ vorliegt, hängt von § 2(a)(1) Securities
Act und § 3(a)(10) Securities Exchange Act ab. Hierzu gehören zahlreiche einzeln aufgeführte Wertpapiere, ferner aber auch jeder „investment contract“. Dieser stellt eine Auffangklausel dar, deren Vorliegen in den USA traditionell nach dem sog. „Howey Test“ überprüft wird121. Nach dem zugrundeliegenden Howey-Urteil des Supreme Court fällt hierunter jeder „contract, transaction or scheme whereby a person invests his money in a common enterprise and is led to expect profits solely from the efforts of the promoter or a third party“122. Dem konkreten Fall lag ein Verkauf von 48 Zitronenbäumen zugrunde, die deswegen zu einer „security“ wurden, weil der Promotor zugleich die Bewirtschaftung und den Vertrieb der Zitronen versprach, wodurch es sich aus Sicht des Erwerbers als reine Geldanlage darstellte.
20.73 Diese Grundsätze werden bis heute regelmäßig zitiert und auch zur Prüfung der Frage
angewendet, ob es sich bei einzelnen Tokens um eine prospektpflichtige „security“ handelt. Dies hat die SEC etwa in dem Report zu „The DAO“ bejaht123, ferner auch bei dem „Munchee“-Token124, dessen Initiatoren davon ausgegangen waren, einen prospektfreien Utility Token und gerade keinen Security Token herauszugeben. Inzwischen sind nach Ansicht der SEC die meisten Tokens als Wertpapiere zu behandeln (mit Ausnahme von Währungen), die vom Emittenten gewählte Bezeichnung, z.B. als Utility Token, ist irrelevant125.
20.74 Die SEC hat sich ferner in verschiedenen Warnhinweisen zu ICOs geäußert126. Darüber hinaus hat sie sogar eine Homepage eingerichtet, die vorspielt, einen ICO zu promoten127. Dort werden nicht nur die üblichen Werbemaßnahmen wie z.B. Zeitdruck simuliert („15 % bonus ends in × days“), sondern auch ein fiktives Team und eine ebenso fiktives White Paper vorgestellt. Klickt der Besucher der Homepage auf den „Buy Coins now!“Button, wird er auf eine Warnseite weitergeleitet128.
121 Dazu und zum Folgenden ausführlich Hacker/Thomale, S. 17 sowie Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 97 f. 122 SEC v. W.J. Howey Co., 328 U.S. 293, 298-299 (1946). 123 https://www.sec.gov/news/press-release/2017-131 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 124 https://www.sec.gov/news/press-release/2017-227 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 125 https://www.sec.gov/news/speech/speech-hinman-061418 (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 126 Etwa https://www.investor.gov/additional-resources/news-alerts/alerts-bulletins/investor-alertpublic-companies-making-ico-related (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 127 https://www.howeycoins.com/index.html (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 128 https://www.investor.gov/howeycoins (zuletzt abgerufen am 25.7.2018).
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
2. Schweiz In der Schweiz gibt es keine speziellen Vorschriften zu ICOs, die aber unter die allgemeinen Regeln fallen können. In diesem Sinne hat sich die FINMA bislang in zwei Schreiben geäußert129: In der Aufsichtsmitteilung vom 29.9.2017 weist die FINMA auf möglicherweise einschlägige (allgemeine) Rechtsvorschriften hin130 und verbindet dies mit einer allgemeinen (Warn-)Hinweisen an Anleger131. Konkreter wird dann die „Wegleitung“ vom 16.2.2018132: Hier nimmt die FINMA eine Typisierung der verschiedenen Token-Kategorien vor133 und stellt anhand dieser Kategorien dar, wann Tokens als „Effekten“, also Wertpapiere, qualifiziert werden können: Zahlungstokens (Currency Tokens) stellen keine Effekten dar, Anlagetokens hingegen schon, und bei Nutzungstokens stellt die FINMA darauf ab, ob der Token im Zeitpunkt der Ausgabe bereits nutzbar ist (dann keine Effekte) oder ob doch „ganz oder teilweise die wirtschaftliche Funktion als Anlage“ besteht, in welchen Fällen die FINMA eine Effekte annimmt134. Dabei geht die FINMA davon aus, dass bereits Vorfinanzierungen von künftigen Tokens Effekten darstellen können, wenn die entsprechenden Rechte standardisiert und zu massenhaften Handel geeignet sind135. Damit ist nach Ansicht der FINMA keine Umgehung der Prospektvorschriften durch sog. SAFTKonzepte möglich136. Es folgen sodann kurze Hinweise zu Geldwäschevorschriften und anderen, möglicherweise einschlägigen Gesetzen, und schließlich Hinweise für den Inhalt von Anträgen bei der FINMA137.
20.75
3. Europäische Union Auf Europäischer Ebene hat sich die ESMA mit zwei Schreiben vom 13.11.2017 geäußert138: In einem an Investoren gerichteten Schreiben warnt die ESA vor den erheblichen Risiken, die bei einem Investment in ICOs bestehen139. In einem an potenzielle Emittenten gerichteten Schreiben weist die ESMA darauf hin, dass die Ausgabe von Tokens je nach Gestaltung unreguliert sein kann, aber auch unter verschiedene Rechtsvorschriften fallen kann, wie die Prospekt-Richtlinie, MiFID, AIFMD oder die 4. Geldwäsche-Richt-
129 Dazu etwa Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 99. 130 FINMA, Aufsichtsrechtliche Behandlung von Initial Coin Offerings, Aufsichtsmitteilung 04/ 2017 vom 29.9.2017, S. 2 f. 131 FINMA, Aufsichtsrechtliche Behandlung von Initial Coin Offerings, Aufsichtsmitteilung 04/ 2017 vom 29.9.2017, S. 4. 132 FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018. 133 FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 2 f. 134 FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 3 ff. 135 FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 5. 136 Vgl. Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 99. 137 FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Intitial Coin Offerings (ICOs) vom 16.2.2018, S. 5 ff. 138 Dazu etwa Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 98. 139 ESMA alerts investors to the high risks of Initial Coin Offerings (ICOs), ESMA Statement vom 13.11.2017.
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20.76
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
linie, zu denen weitere nationale Vorschriften kommen können140. Eine konkrete Aussage, wann Tokens als Wertpapiere anzusehen sind, findet sich bei der ESMA nicht141.
4. Deutschland 20.77 Die BaFin hat bereits im Jahr 2014 Bitcoin als Rechnungseinheiten gemäß § 1 Abs. 11
Satz 1 KWG qualifiziert142 und diese Auffassung wenig später auf alle Currency Tokens ausgedehnt143. Im November 2017 veröffentlicht die BaFin sodann ebenfalls eine an Verbraucher gerichtete Warnung zu den mit ICOs verbundenen Risiken144, die im Wesentlichen denselben Inhalt wie die Warnung der ESMA hat.
20.78 Mit Hinweisschreiben vom 20.2.2018145 hat sich die BaFin näher zur regulatorischen Ein-
ordnung von ICOs und der emittierten Tokens geäußert. Hierin stellt die BaFin dar, dass sie im Einzelfall prüft, ob es sich bei dem angebotenen Token um ein Finanzinstrument i.S.d. WpHG bzw. der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), um ein Wertpapier i.S.d. WpPG oder um Vermögensanlagen nach dem VermAnlG handelt. Die BaFin geht damit, wie zuvor schon die ESMA, ersichtlich davon aus, dass es keine – privilegierenden oder belastenden – Sonderregeln für ICOs gibt, sondern dass die allgemeinen Gesetze auch auf Tokens Anwendung finden. Dem folgt der weitere Inhalt des Hinweisschreibens, wenn dort zu möglichen Ausgestaltungen und ihrer jeweiligen rechtlichen Einordnung nach den bestehenden Gesetzen Stellung genommen wird. Eine Aussage, wann Tokens als Wertpapier anzusehen sind, findet sich auch bei der BaFin nicht146, die wie zuvor schon die SEC zum einen betont, dass es auf den Einzelfall ankomme, zum anderen, dass die Bezeichnung, etwa als Utility Token, irrelevant sei147.
20.79 Soweit Tätigkeiten für Dritte erbracht werden, etwa bei der Emission oder der Vermittlung von Tokens oder dem Handel mit ihnen, kommt schließlich eine Erlaubnispflicht als Bankgeschäft oder Finanzdienstleistung nach dem KWG oder ZAG in Betracht, bei Kapitalanlage ferner nach dem KAGB und bei Versicherungsgeschäften nach dem VAG148.
140 ESMA alerts firms involved in Initial Coin Offerings (ICOs) to the need to meet relevant regulatory requirements, ESMA Statement vom 13.11.2017. 141 Vgl. Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 99. 142 BaFin, BaFin-Journal 01/2014, S. 27. 143 BAFin, Jahresbericht 2015, S. 39. 144 Initial Coin Offerings: Hohe Risiken für Verbraucher, BaFin-Journal 11/2017, S. 15 ff. 145 BaFin, Aufsichtsrechtliche Einordnung von sog. Initial Coin Offerings (ICOs) zugrunde liegenden Token bzw. Kryptowährungen als Finanzinstrumente im Bereich der Wertpapieraufsicht vom 20.2.2018. 146 Vgl. Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 98. 147 BaFin, Aufsichtsrechtliche Einordnung von sog. Initial Coin Offerings (ICOs) zugrunde liegenden Token bzw. Kryptowährungen als Finanzinstrumente im Bereich der Wertpapieraufsicht vom 20.2.2018, S. 2. 148 BaFin, Aufsichtsrechtliche Einordnung von sog. Initial Coin Offerings (ICOs) zugrunde liegenden Token bzw. Kryptowährungen als Finanzinstrumente im Bereich der Wertpapieraufsicht vom 20.2.2018, S. 4 f.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
5. Ansätze zur Selbstregulierung Die Tatsache, dass bei zahlreichen ICOs die Investoren nicht sehr gut informiert wurden, hat zu ersten Ansätzen einer Selbstregulierung geführt. Auf Europäischer Ebene wurde eine „ICO Charter“ aufgesetzt, die Mindeststandards für ICOs vorschlägt, u.a. Anforderungen an den Inhalt des White Paper (ein Prospekt wird nicht gefordert), technische Mindeststandards für Smart Contract und IT-Sicherheit, Pflichten zur Offenlegung der Preisbildungsmechanismen und der Zahlungen an Dritte, sowie die Einhaltung von Geldwäscheregeln149.
20.80
In Deutschland haben von Oppen u.a. „Good Practice Principles“ vorgestellt, die ebenfalls die Absicht haben, zu einem Interessenausgleich zwischen Unternehmen und Investoren zu führen150. Diese enthalten – im Wortlaut angelehnt an den Deutschen Corporate Governance Kodex – Empfehlungen und Vorschläge, aufgeteilt in Allgemeine Grundsätze, Grundsätze zur Vorbereitung, Grundsätze zur Offenlegung (die teilweise dem Inhalt eines Prospektes entsprechen würden, teilweise über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen) und schließlich Grundsätze zur Kommunikation nach Abschluss der Transaktion151.
20.81
V. Regulatorische Anforderungen nach europäischem und deutschem Recht Der Schwerpunkt der rechtlichen Diskussion der letzten Monate lag in der Frage, ob eine Emission von Tokens ein Angebot von Wertpapieren darstellt und damit der Prospektpflicht nach dem WpPG (oder demnächst der ProspektVO) unterliegt (sogleich Rz. 20.83 ff.). Soweit dies nicht der Fall ist, kommt eine Einordnung als Vermögensanlage in Betracht (dazu Rz. 20.134 ff.). In der Diskussion nur vereinzelt angesprochen wurden die Fragen, ob ein ICO zu einem Investmentvermögen nach dem KAGB führt (Rz. 20.144 ff.) oder Pflichten nach dem GWG auslösen kann (Rz. 20.155).
20.82
1. Prospektpflicht nach dem WpPG/ProspektVO Angesichts der angesprochenen Informations-Asymmetrien und des teilweise dürftigen Inhalts der White Papers hat sich die bisherige Diskussion auf die Frage konzentriert, ob und ggf. wann die Ausgabe von Tokens prospektpflichtig ist. Ein Wertpapierprospekt gemäß § 3 Abs. 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 3 Abs. 1 VO 2017/1129 – ProspektVO) ist im Rahmen von ICOs zu veröffentlichen, wenn die ausgegebenen Tokens als „Wertpapiere“ i.S.v. § 2 Nr. 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 2 lit. a) VO 2017/1129) zu qualifizieren sind. Art. 2 lit. a) VO 2017/1129 verweist auf die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 RL 2014/65/EU (MIFID II) enthaltene Definition des „übertragbaren Wertpapiers“, so dass die folgenden Ausführungen künftig auch für die ProspektVO gelten152.
149 150 151 152
Vgl. www.icocharter.eu (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 1. Ausführlich von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 7 ff. Da § 2 WpPG der Umsetzung von Art. 2 RL 2003/71/EG (Prospektrichtlinie) dient, der wegen der dynamischen Verweisung in Art. 94 RL 2014/65/EU (MIFID II) seinerseits für den Wertpapierbegriff auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 RL 2014/65/EU verweist, entsprechen sich die Wertpapierbegriffe der ProspektVO und des WpPG, vgl. Zickgraf, AG 2018, 293, 298 f.
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20.83
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
a) Anwendbarkeit
20.84 Das deutsche Prospektrecht ist anwendbar, wenn Wertpapiere im Inland öffentlich an-
geboten werden, § 3 Abs. 1 WpPG (ab 21.7.2019: Angebot in der Europäischen Union, vgl. Art. 3 Abs. 1 VO 2017/1129). Ein öffentliches Angebot ist dabei nach § 2 Nr. 4 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 2 lit. d) VO 2017/1129) definiert als „eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, über den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden“. Unter dem „Publikum“ ist eine unbestimmte Anzahl von Personen zu verstehen153. Das Angebot muss ferner im Inland erfolgen, § 3 Abs. 1 Satz 1 WpPG (ab 21.7. 2019: Angebot in der EU, vgl. Art. 3 Abs. 1 VO 2017/1129), was die Ansprache von Anlegern im Geltungsbereich des WpPG (ab 21.7.2019: in einem Mitgliedstaat) voraussetzt154.
20.85 Angebote im Internet, wie bei ICOs üblich, genügen dem grundsätzlich155, wobei es im Einzelfall auf die Gestaltung des Angebots (Verwendung der deutschen Sprache, Hinweise auf steuerliche Implikationen in Deutschland, Benennung eines Ansprechpartners in Deutschland) oder die Verhinderung der Teilnahme deutscher Investoren durch Disclaimer oder sog. GeoBlocker ankommen kann156.
20.86 Bei Angeboten innerhalb des EWR gelten die auf Art. 17 Abs. 1 RL 2003/71/EG (Pro-
spektRL) beruhenden Regeln zum Europäischen Pass (Passport-Regeln), die in Deutschland durch § 17 WpPG umgesetzt wurden: In Deutschland gebilligte Prospekte genügen den gesetzlichen Anforderungen in den Aufnahmestaaten, wenn die Bescheinigung der Billigung durch die BaFin nach § 18 WpPG übermittelt wurde. Umgekehrt können gemäß § 17 Abs. 3 WpPG in anderen Staaten des EWR gebilligte Prospekte die Grundlage für ein Angebot in Deutschland sein157. (Ab 21.7.2019 gelten die inhaltlich vergleichbaren Vorschriften der Art. 24 ff. VO 2017/1129, dazu Rz. 36.83 ff.). b) Formelle Anforderungen an den Wertpapierbegriff
20.87 Zivil- und wertpapierrechtlich sind Wertpapiere definiert als Urkunden, die ein privates
Recht in der Weise verbriefen, dass zur Geltendmachung des Rechts die Innehabung
153 von Kopp-Colomb/Mollner in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 3 WpPG Rz. 11; Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 297; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 21; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 33; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 14. 154 Vgl. von Kopp-Colomb/Mollner in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 3 WpPG Rz. 11; Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 297; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 WpPG Rz. 4; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 3 WpPG Rz. 5; Holzborn/Mayston in Holzborn, WpPG, § 3 Rz. 7; speziell zu Tokens Borkert, ITRB 2018, 91, 95. 155 Speziell zu ICOs: Hacker/Thomale, S. 17. 156 von Kopp-Colomb/Mollner in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 3 WpPG Rz. 12 f.; Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 298; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 WpPG Rz. 7 ff.; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 3 WpPG Rz. 6 ff.; Holzborn/Mayston in Holzborn, WpPG, § 3 Rz. 7. 157 Dazu ausführlich neben den Kommentierungen zu § 17 WpPG auch Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 303 ff.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
der Urkunde erforderlich ist158. Zivilrechtlich ist also eine Verbriefung zwingend erforderlich, was zur Folge hat, dass Tokens keine Wertpapiere im zivilrechtlichen Sinn darstellen. Demgegenüber stellt das WpPG einen eigenen Wertpapierbegriff auf. Nach § 2 Nr. 1 WpPG sind „Wertpapiere: übertragbare Wertpapiere, die an einem Markt gehandelt werden können, insbesondere
20.88
a) Aktien und andere Wertpapiere, die Aktien oder Anteilen an Kapitalgesellschaften, oder anderen juristischen Personen vergleichbar sind, sowie Zertifikate, die Aktien vertreten, b) Schuldtitel, insbesondere Schuldverschreibungen und Zertifikate, die andere als die in lit. a) genannten Wertpapiere vertreten, c) alle sonstigen Wertpapiere, die zum Erwerb oder zur Veräußerung solcher Wertpapiere berechtigen oder zu einer Barzahlung führen, die anhand von übertragbaren Wertpapieren, Währungen, Zinssätzen oder -erträgen, Waren oder anderen Indizes oder Messgrößen bestimmt wird, mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten“ (ab 21.7.2019: ähnlich Art. 2 lit. b) und c) VO 2017/1129, wobei Art. 2 lit. c) VO 2017/1129 die bisherigen § 2 Nr. 1 lit. b) und lit. c) WpPG als „Nichtdividendenwerte“ zusammenfasst). Nach der Regierungsbegründung159 und einhelliger Auffassung kommt es nicht darauf an, ob eine Einzel- oder auch nur Globalverbriefung erfolgt ist. Auch unverbriefte Wertrechte fallen unter den Wertpapierbegriff160, der damit grundsätzlich auch für Tokens eröffnet ist161.
20.89
Gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 RL 2014/65/EU (MIFID II) sind übertragbare Wertpapiere „Kategorien von Wertpapieren, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können“; maßgebliches Merkmal für die Einstufung als Wertpapiers ist danach die Handelbarkeit am Kapitalmarkt162. Hierunter wird regelmäßig Fungibilität und Umlauffähigkeit (Handelbarkeit) verstanden163. Da bei Handelbarkeit zwingend auch Übertragbarkeit vorliegt, sollen diese beiden Punkte gemeinsam betrachtet werden.
20.90
158 Etwa Sprau in Palandt, BGB, vor § 793 Rz. 1; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 3. 159 BT-Drucks. 15/499, S. 28. 160 von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 10; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 9; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 4. 161 Speziell für Tokens: BaFin, Aufsichtsrechtliche Einordnung von sog. Initial Coin Offerings (ICOs) zugrunde liegenden Token bzw. Kryptowährungen als Finanzinstrumente im Bereich der Wertpapieraufsicht vom 20.2.2018, S. 2; Hacker/Thomale, S. 19; Weitnauer, BKR 2018, 231, 233. 162 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 4; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 4; Zickgraf, AG 2018, 293, 300. 163 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 4; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 4.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
aa) Übertragbarkeit und Handelbarkeit
20.91 Generell wird von Übertragbarkeit ausgegangen, wenn ihr keine rechtlichen oder erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten entgegenstehen. Bloße schuldrechtliche Vereinbarungen, die die Übertragbarkeit einschränken sollen, sind demgegenüber unbeachtlich164.
20.92 Tokens können grundsätzlich übertragen werden. Ob die Übertragung eingeschränkt ist,
kann von dem jeweiligen Emittenten im Smart Contract festgelegt werden. In den meisten Fällen wird eine freie Übertragung zugelassen, teilweise erst nach einer gewissen Wartefrist. In diesen Fällen stehen einer Veräußerung keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Dass ihr auch keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, zeigt sich an den zahlreichen Tokens, die an Kryptobörsen gehandelt werden: Hier liegt offenbar Übertragbarkeit vor165 und zugleich Handelbarkeit i.e.S.166.
20.93 Demgegenüber ist der EOS-ICO den entgegengesetzten Weg gegangen: Dort waren die aus-
gegebenen Tokens am Anfang für eine kurze Zeit übertragbar, seitdem aber ist eine Übertragung technisch unmöglich167. Soweit dies im Einzelfall gewählt wird, also die Übertragbarkeit technisch ausgeschlossen wird, ist der konkrete Token mangels Übertragbarkeit kein Wertpapier168 und seine Emission auch nicht unter dem WpPG prospektpflichtig – wenn auch in diesen Fällen eine Prospektpflicht nach dem VermAnlG eingreifen kann. bb) Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs erforderlich für Handelbarkeit?
20.94 Teilweise wird für die Eigenschaft als Wertpapier über die bloße Übertragbarkeit hinaus
noch gefordert, dass ein Gutglaubenserwerb möglich sei169. Dies wird damit begründet, dass nur bei einem rechtssicheren und einredefreien Erwerb das nötige Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sichergestellt sei170. Folgte man dem, wären Tokens keine Wertpapiere: Wie oben (Rz. 20.40 ff.) dargelegt, stellen sie mangels Körperlichkeit keine Sachen i.S.v. § 90 BGB dar, so dass ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 932 ff. BGB ausscheidet.
20.95 Dieser möglichen Konsequenz hat Zickgraf zu Recht widersprochen171: Zum einen zeigt
die Tatsache, dass mit Tokens ein intensiver Handel stattfindet, dass sich ein funktionsfähiger Kapitalmarkt gebildet hat. Zum zweiten ersetzt die Blockchain-Technologie in einem gewissen Umfang die Funktion des herkömmlichen Gutglaubensschutzes172, da Transaktionen einerseits nachvollziehbar gespeichert, andererseits aufgrund der Anony164 von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 13; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5. 165 Konkret zu Tokens Zickgraf, AG 2018, 293, 299; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 100. 166 Konkret zu Tokens Zickgraf, AG 2018, 293, 301 f.; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 100; Hacker/Thomale, S. 22; Weitnauer, BKR 2018, 231, 233. 167 Vgl. https://www.eos.io/faq (zuletzt abgerufen am 25.7.2018), dort Frage 6. 168 So auch Hacker/Thomale, S. 20; Borkert, ITRB 2018, 91, 94. 169 Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 10, dies soll jedoch nicht gelten, wenn zwischen verbrieften und unverbrieften Rechten kein Unterscheid besteht, insb. bei Namensaktien; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 4. 170 Fuchs in Fuchs, WpHG, § 2 Rz. 18; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 5. 171 Ausführlich Zickgraf, AG 2018, 293, 301 f. 172 So wohl auch Borkert, ITRB 2018, 91, 94.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
mität der Wallets kaum rückabzuwickeln sind. Schließlich sprechen auch teleologische Gründe für eine Einbeziehung von Tokens: Der Zweck des Kapitalmarktrechts besteht darin, das Verhalten der Marktteilnehmer zu steuern und Anleger zu schützen. Dies gelingt nur durch Einbeziehung der Tokens in das entsprechende Regime, nicht jedoch durch den Verweis auf den – im Gesetz gar nicht ausdrücklich angelegten – Gutglaubensschutz. cc) Standardisierung Schließlich wird verlangt, dass die Wertpapiere standardisiert sind. Dies geht über den Wortlaut von § 2 Nr. 1 WpPG hinaus, wird aber teilweise aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 RL 2014/65/EU (MIFID II) („Kategorien von Wertpapieren“) abgeleitet, teilweise aus dem Erfordernis der Fungibilität173.
20.96
Für das Vorliegen einer Standardisierung ist umstritten, wie weit die diese gehen soll: Nach wohl einhelliger Meinung ist zumindest erforderlich, dass die konkrete Art des Instruments in der Weise standardisiert ist, dass sie allein nach Art und Anzahl handelbar ist (teilweise als emittentenbezogene Standardisierung bezeichnet). Teilweise wird darüber hinaus verlangt, dass die Instrumente emittentenübergreifend einheitlich ausgestaltet sind, also nicht je Emittent individuell gestaltet sein dürfen174. Da Tokens zwar (in den bekannten Fällen) untereinander identische Rechte gewähren, sich aber bislang kein emittentenübergreifender Standard herausgebildet hat175, wären Tokens nach der zweiten Ansicht nicht standardisiert und damit auch keine Wertpapiere.
20.97
Diese Ansicht vermag indes aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen findet sich eine emittentenübergreifende Standardisierung auch bei klassischen Wertpapieren im Wesentlichen nur bei Aktien, § 2 Nr. 1 lit. a) WpPG: Dort wird die Standardisierung der Rechte durch die Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG erreicht. Diese schränkt die Satzungsautonomie stark ein, macht die Aktie zu einem standardisierten Produkt und erhöht ihre Umlauffähigkeit, indem sie den Informationsaufwand und damit die Transaktionskosten von Gläubigern und künftigen Aktionären reduziert176.
20.98
Bereits bei Schuldtiteln gemäß § 2 Nr. 1 lit. b) WpPG greift dieses Argument nicht: Hier steht es dem Emittenten frei, durch Regelungen nicht nur von Zins und Laufzeit, sondern auch Bestimmungen zu Sicherheiten, Nachrangigkeit, Möglichkeit oder Pflicht zur Wandlung etc. die Papiere in einem Maß individuell auszugestalten, dass von einer emittentenübergreifenden Standardisierung nicht mehr gesprochen werden kann. Dasselbe gilt erst recht bei den „sonstigen Wertpapieren“ gemäß § 2 Nr. 1 lit. c) WpPG: Hier bildet bereits der Gesetzestext („die anhand von übertragbaren Wertpapieren, Währungen, Zinssätzen oder -erträgen, Waren oder anderen Indizes oder Messgrößen bestimmt wird“) die tatsächliche Komplexität zumindest ansatzweise ab. In all diesen Fällen wird die Wertpapiereigenschaft der entsprechenden Instrumente nicht nur nicht bezweifelt, sondern sogar positiv vom Gesetz angeordnet.
20.99
173 So Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5; von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 14; Borkert, ITRB 2018, 91, 94. 174 So Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 5 a.E., der daher Anteile an Gesellschaften, die nicht in der Rechtsform einer AG oder KGaA organsiert sind, als nicht fungibel ansieht. 175 Zickgraf, AG 2018, 293, 300. 176 Dazu etwa Hüffer/Koch, AktG, § 23 Rz. 34; Pentz in MünchKomm. AktG, § 23 Rz. 150.
van Aubel | 723
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
20.100
Speziell für Tokens kommt hinzu, dass, wie mehrfach erwähnt, ein Handel in Tokens regelmäßig (und allein nach Art und Anzahl) stattfindet177, ein eventueller Informationsaufwand die Investoren also nicht abzuschrecken scheint. Dies ist ein zentraler Unterschied zu den ansonsten regelmäßig als Gegenbeispiel angeführten Anteilen an GmbH oder Personengesellschaften, bei denen es gerade keinen börsenmäßigen Handel gibt.
20.101
Schließlich ist auch insoweit der Zweck des WpPG zu beachten, vorhandene Informationsasymmetrien durch die Anordnung einer Prospektpflicht auszugleichen: Diese Asymmetrien bestehen erst recht, wenn die Standardisierung nur auf Emittentenebene vorliegt178. Im Ergebnis genügt damit die bei Tokens vorliegende Standardisierung den Anforderungen des WpPG. c) Materielle Anforderung des Wertpapierbegriffs: Funktionale Vergleichbarkeit des Instruments mit den gesetzlichen Regelbeispielen
20.102
Über die betrachteten formellen Anforderungen an die Wertpapiereigenschaft ist zusätzlich erforderlich, dass die Instrumente die inhaltlichen Anforderungen nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 lit. a)–c) RL 2014/65/EU (MIFID II), § 2 Nr. 1 lit. a)–c) WpPG erfüllen179. Für die Einordnung eines Token als Wertpapier ist daher eine funktionale Vergleichbarkeit mit den aufgeführten Regelbeispielen erforderlich180. Dies soll im Folgenden anhand der oben (Rz. 20.26 ff.) aufgeführten Typen von Tokens betrachtet werden. aa) Investment Tokens
20.103
Investment Tokens versprechen den Investoren entweder eine Beteiligung am Gewinn der zu finanzierenden Unternehmung oder eine Verzinsung, sollen also bereits nach dem Verständnis des Emittenten eine Geldanlage darstellen. Dementsprechend werden sie nach wohl einhelliger Ansicht als Wertpapiere gemäß § 2 Nr. 1 WpPG qualifiziert,181 wofür nicht zuletzt das Informationsbedürfnis der Anleger spricht182. In diesen Fällen kann allein diskutiert werden, unter welche der drei Kategorien (Aktien, Schuldtitel oder sonstige Wertpapiere) der konkrete Token einzuordnen ist. Dies ist keine theoretische Frage, davon hängt vielmehr ab, welche Anhänge der ProspektVO für den Inhalt des Prospekts erforderlich sind183.
20.104
Soweit ersichtlich, sind bislang keine Tokens emittiert worden, die tatsächlich Aktien an einer AG oder vergleichbaren Körperschaft vertreten. Andererseits gibt es zahlreiche Tokens, die ihren Inhabern quotale Gewinnanteile aus der zu finanzierenden Unternehmung versprechen. Soweit diese zugleich Stimmrechte gewähren, wie in dem bereits mehrfach 177 Hacker/Thomale, S. 23. 178 Zickgraf, AG 2018, 293, 300; Hacker/Thomale, S. 23 f. 179 Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 5; Hacker/Thomale, S. 23 f.; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 100 sprechen insoweit von drei „Generalklauseln“. 180 Zickgraf, AG 2018, 293, 302; Hacker/Thomale, S. 24. 181 Zickgraf, AG 2018, 293, 302 f.; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 102; von Oppen/Maywald/ Bach/von Schilling, S. 3; Borkert, ITRB 2018, 91, 94. 182 Zickgraf, AG 2018, 293, 302 f. 183 von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 4; zu den übrigen unterschiedlichen Rechtsfolgen im Einzelnen (bei den meisten Tokens i.d.R. nicht von Belang) etwa Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 17 f.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
zitierten Fall von „The DAO“, spricht dies für eine Einordnung als Dividendenwert gemäß § 2 Nr. 1 lit. a) WpPG184. In anderen Fällen, und insbesondere, wenn die Tokens als Genussrechte ausgestaltet sind, lässt sich auf die Einordnung von Genussrechten als Dividenden- oder Nichtdividendenwerte zurückgreifen: Für eine Einordnung als Dividendenwert sprechen variable oder gar von gewissen Kennzahlen abhängige Verzinsung, die Vereinbarung von Nachrangigkeit, unbegrenzte Laufzeit und bilanzielle Behandlung als Eigenkapital; Festverzinsung, Kündigungsmöglichkeit und Vorrang gegenüber den Aktionären sprechen hingegen für einen Nichtdividendenwert185.
20.105
Investment Tokens unterfallen somit stets dem WpPG, es sei denn, sie wären im Einzelfall als nicht übertragbar ausgestaltet.
20.106
bb) Utility Tokens Die Frage, inwieweit auch Utility Tokens als Wertpapiere zu beurteilen sind, hat zu intensiven Diskussionen geführt. Hierfür ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass es nicht auf die Bezeichnung des Token durch den Emittenten ankommt, sondern allein auf die mit dem Token verbundenen Rechte186. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Zweck der Prospektpflicht darin besteht, Anleger vor fehlerhaften Investitionsentscheidungen zu schützen, nicht jedoch darin, privaten Konsum zu regulieren. Danach lassen sich folgende Fallgruppen unterscheiden:
20.107
(1) Utility Tokens mit Gewinnbeteiligung oder Verzinsung Tokens können eine Mischung von Rechten bieten, etwa das Recht, eine (schon vorhandene oder erst künftig zu entwickelnde) Software zu nutzen und zugleich an dem Gewinn der damit verbundenen Unternehmung beteiligt zu sein. Damit enthalten diese Tokens eine Investmentkomponente, die zur Einordnung als Wertpapier und somit zur Prospektpflicht führt187. Hierfür spricht nicht zuletzt die Betrachtung von der umgekehrten Seite: Weder ein Investment Token noch ein klassisches Wertpapier verliert seine Wertpapiereigenschaft allein dadurch, dass er bzw. es neben einer Gewinnbeteiligung oder Verzinsung auch noch weitere, nichtmonetäre Rechte gewährt.
20.108
(2) Wertpapiereigenschaft von Utility Tokens auch ohne ausdrückliche Gewinnbeteiligung oder Verzinsung Hieraus könnte nun im Umkehrschluss gefolgert werden, dass Utility Tokens ohne ausdrückliche Gewinnbeteiligung oder Verzinsung niemals Wertpapiere darstellen und dementsprechend nicht prospektpflichtig sind188. Die meisten Stellungnahmen zu der Frage gehen aber in die umgekehrte Richtung. Es gibt verschiedene Ansätze, auch in diesen Fällen eine Prospektpflicht anzunehmen. 184 So auch Zickgraf, AG 2018, 293, 303; Hacker/Thomale, S. 26 f. 185 So, wenn auch mit Unterschieden im Detail, Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 13; Schnorbus in Frankfurter Kommentar WpPG/EU-ProspektVO, § 2 WpPG Rz. 21; Foelsch in Holzborn, WpPG, § 2 Rz. 8. 186 Speziell zu Utility Tokens Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 102. 187 Vgl. Zickgraf, AG 2018, 293, 304 ff.; weicher Borkert, ITRB 2018, 91, 92: „kann nicht ausgeschlossen werden“. 188 So von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 3.
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20.109
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
(a) Einzelaspekte
20.110
Teilweise wird die Auffassung vertreten, Wertpapiereigenschaft läge bereits dann vor, wenn „aus empirischer Sicht die Mehrzahl der Investoren den Utility-Token mit Gewinnerzielungsabsicht handeln und der Emittent dies wusste oder hätte wissen müssen“189. Dies wird vor allem dann angenommen, wenn die Anzahl der auszugebenden Tokens begrenzt ist, überzeugt aber nicht ohne Hinzutreten weiterer Aspekte: Zwar liegt in dem Fall des Erwerbs mit Spekulationsabsicht möglicherweise kein reiner privater Konsum mehr vor, gleichwohl gibt es auch in der Nicht-Token-Welt Fälle von – natürlicher oder vom Hersteller erzeugter – Knappheit, ohne dass hieraus der Schluss gezogen würde, die entsprechenden Güter oder Dienstleistungen seien prospektpflichtig. Man denke etwa an die Abschiedstournee eines Popstars: Die Eintrittskarten verkörpern eine reine Dienstleistung, sie sind handelbar, sie sind knapp, und auf dem Sekundärmarkt sind, wie für den Tourneeveranstalter durchaus erkennbar, hohe Preissteigerungen zu erwarten. Oder die „limitierte Auflage“ eines Sportwagens oder einer Handtasche oder Flaschen eines Bordeaux-Chateaus aus einem hervorragenden Jahrgang: Hier liegt ein reines Produkt vor, dieses kann übertragen werden, und in der Werbung wird bereits auf mögliche Wertsteigerungen hingewiesen. Gleichwohl würde niemand in diesen Fällen eine Prospektpflicht annehmen. Hinzu kommt, dass in diesen Fällen die Offenlegungspflichten im Prospekt an den Bedürfnissen der Erwerber vorbeigehen: Diese dienen in erster Linie der Bereitstellung von Informationen über den Emittenten, während hier ein produktbezogenes Informationsbedürfnis besteht, das durch die Erstellung eines Prospektes nicht sinnvoll befriedigt werden kann190.
20.111
Teilweise wird angenommen, ein Indiz für das Vorliegen eines Wertpapiers sei die Tatsache, dass die Ausgabe von Tokens der Finanzierung des Emittenten diene. Auch dies vermag alleine nicht zu überzeugen: Der Vertrieb jedes Produktes dient im Ergebnis ebenso der Finanzierung des Verkäufers wie eine Zahlung im Rahmen des Crowdfunding zur Finanzierung der Produktion eines Films oder Videospiels.
20.112
In zahlreichen Fällen sind das Produkt oder die Plattform beim ICO noch nicht fertig, vielmehr dient dieser gerade dazu, die Entwicklung zu finanzieren. Auch dies wird als Indiz für eine Wertpapiereigenschaft angesehen. Hier gilt allerdings ebenfalls, dass eine solche Entwicklungsfinanzierung für sich genommen nicht die Grenzen des Crowdfunding überschreitet. (b) Gesamtbetrachtung
20.113
Demgegenüber ist bei der Einordnung eines Utility Token als Wertpapier eine Gesamtbetrachtung erforderlich191. So kommen bei einem ICO zur Finanzierung einer Plattformentwicklung i.d.R. mehrere der genannten Aspekte zusammen: Das Produkt (die Plattform) ist noch nicht nutzbar, zugleich ist die Anzahl der Tokens begrenzt und es wird mit Wertsteigerungen im Sekundärmarkt geworben. In einem solchen Fall verschiebt sich das Verhältnis zwischen Emittent und Investor von einem reinen Leistungsaustausch zu einem gemeinsamen Zweck, der durchaus § 705 BGB vergleichbar ist: Der eine Partner stellt seine Arbeitszeit zur Verfügung, die anderen die Finanzierung, und das Resultat wird untereinander aufgeteilt, und sei es in Form des Gewinns aus der Veräußerung der To189 Vgl. Hacker/Thomale, S. 35; kritisch dazu Zickgraf, AG 2018, 293, 306. 190 Zickgraf, AG 2018, 293, 304. 191 Eine solche Gesamtbetrachtung nimmt auch die SEC vor, wie die Beispiele von „The DAO“ und Munchee zeigen; so auch Zickgraf, AG 2018, 293, 304 ff.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
kens. In diesen Fällen geht es den Investoren erkennbar nicht (oder zumindest nicht vorrangig) darum, selbst die Dienstleistung zu nutzen, sondern Gewinn aus einer Investition zu erzielen. Die Situation ist also vergleichbar mit z.B. einer Immobilienentwicklung durch eine (Aktien-)Gesellschaft: Auch wenn erklärtermaßen keine Gewinne verteilt werden sollen, sollen die Investoren durch die Aussicht auf Veräußerungsgewinne motiviert werden. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung sprechen die folgenden Aspekte für eine Prospektpflicht:
20.114
– Das Produkt ist bei Emission noch nicht nutzbar, sondern muss erst noch entwickelt werden. – Die Anzahl der verkauften Tokens ist limitiert. – Es wird mit Wertsteigerungen im Sekundärmarkt geworben. – Die Erwerber werden dazu motiviert, eine möglichst hohe Anzahl von Tokens zu erwerben, die erkennbar nicht mehr dem eigenen Konsum dient. (3) Safe Haven für Utility Tokens? Vor dem Hintergrund der dargestellten Diskussion stellt sich die Frage, ob überhaupt noch Fälle bleiben, in denen eine geplante Emission von Utility Tokens prospektfrei möglich ist. Soweit in diesem Zusammenhang geraten wird, die Tokens als nicht übertragbar auszugestalten192, löst dies das Problem der Emittenten nicht: Die fehlende Übertragbarkeit befreit den Emittenten zwar von den Anforderungen des WpPG, jedoch nicht zugleich von denen des VermAnlG, wenn ansonsten eine Investment-Komponente vorhanden ist.
20.115
Vielmehr sind folgende Konstellationen denkbar: Eine Wertpapiereigenschaft lässt sich zum einen ausschließen, wenn der Token die Nutzung eines bereits fertigen Produktes ermöglicht, und die Anzahl der Tokens nicht begrenzt ist (z.B. lässt ein schon bestehendes Online-Videospiel eine unbegrenzte Anzahl von Mitspielern zu). In diesen Fällen sollte es auch nicht auf die Übertragbarkeit der Tokens ankommen, da Wertsteigerungen ausgeschlossen sein dürften.
20.116
Sind das Produkt oder die Dienstleistung noch nicht fertig (die Plattform soll erst noch entwickelt werden), kommt trotzdem eine prospektfreie Ausgabe in Betracht, wenn der Token keine Gewinnansprüche oder Zinsen vermittelt und auch nicht (weder bei Ausgabe noch später) übertragbar ist: In diesen Fällen finanziert der Erwerber eine ihn persönlich interessierende Dienstleistung vor, und der einzige Nutzen, den er daraus ziehen kann, besteht darin, sie bei Fertigstellung in Anspruch zu nehmen. Insoweit ist die Situation nicht anders als z.B. beim Crowdfunding eines Kinofilms, die mit zwei Eintrittskarten und einer Einladung zur Premierenfeier belohnt wird (aber nicht mit einem Anteil an den Einspielerlösen): Es liegt ein rein privater Konsum vor.
20.117
Diese engen Ausnahmen zeigen umgekehrt, dass in den meisten Fällen der Ausgabe angeblich „reiner“ Utility Tokens in Wahrheit eine Investment-Komponente vorhanden ist, die zur Prospektpflicht führt. Und bis zum Vorliegen entsprechender Gerichtsentscheidungen oder einer Klarstellung durch den Gesetzgeber wird diese Abgrenzung mit Unsicherheiten belastet sein; in Anbetracht der sehr restriktiven Tendenzen in der Literatur ist Emittenten dringend zu raten, eine Abstimmung mit der BaFin zu suchen.
20.118
192 So Zickgraf, AG 2018, 293, 306.
van Aubel | 727
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
cc) Currency Tokens
20.119
Wie ausgeführt, ist es Zweck von Currency Tokens, eine (weitere) elektronische Währung zu erstellen. Anders als Investment und auch Utility Tokens stellen sie keine Ansprüche gegen den Emittenten dar, sondern dienen dazu, gegen Waren, Dienstleistungen und andere Tokens eingetauscht zu werden. (1) Reine Currency Tokens
20.120
Soweit Currency Tokens unter einer bereits bestehenden Plattform vom Emittenten ausgegeben werden, stellen sie nach einhelliger Auffassung kein Wertpapier dar193. Dies wird aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 RL 2014/65/EU (MiFID II) gefolgert, der „Zahlungsinstrumente“ explizit vom Wertpapierbegriff ausnimmt. Wie dargestellt, dienen Currency-Tokens gerade der Bezahlung von Gütern, wodurch sie zumindest in die Nähe eines Zahlungsinstruments rücken194. Dies entspricht ferner der Hedqvist-Entscheidung des EuGH, die Bitcoins für die Zwecke der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht als Wertpapier, sondern als Zahlungsmittel angesehen hat195, sowie der Praxis der BaFin, Bitcoins (und in der Folge alle anderen Currency Tokens) als Rechnungseinheiten i.S.v. § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 7 Alt. 2 KWG einzuordnen196. Hierfür spricht schließlich der Zweck der Prospektpflicht: Wenn Currency Tokens keine Ansprüche gegen den Emittenten darstellen, sind umfangreiche Offenlegungen zu diesem in einem Prospekt nicht zielführend197. (2) Mischformen: Currency Tokens mit Wertpapiereigenschaft
20.121
Genau wie bei Utility Tokens sind auch hier Mischformen denkbar. Wenn Currency Tokens neben der Zahlungsfunktion außerdem noch eine Beteiligung an dem Gewinn der zugrundeliegenden Unternehmung versprechen, sind sie nach den oben (Rz. 20.108) dargelegten Grundsätzen als Wertpapier einzuordnen. Das Gleiche gilt, wenn es noch keine bestehende Plattform für die Currency Tokens gibt, sondern diese erst mit dem Geld der Investoren entwickelt werden soll: Da hier die Übertragbarkeit und (versprochene) Wertsteigerung gerade zentraler Inhalt der emittierten Currency Tokens sind, stellen diese entsprechend der oben (Rz. 20.113 f.) zu Utility Tokens getroffenen Abgrenzung ebenfalls ein Wertpapier dar198.
20.122
Wenn demgegenüber Zickgraf auch bei Currency Tokens mit Investmentkomponente die Prospektpflicht verneint199, ist dies nicht konsequent: So sieht er zwar bei etlichen Formen von Utility Tokens das Bedürfnis für eine Prospektpflicht, nicht jedoch in den wirtschaftlich vergleichbaren Fällen von Currency Tokens. Diese Differenzierung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Zahlungsmittel aus dem Anwendungsbereich des WpPG herausgenommen werden: Wenn eine Investmentkomponente vorhanden ist, und sei es auch auf Grund der gemeinsamen Entwicklung der Plattform und der Hoffnung auf Weiterveräußerung mit Gewinn, müssen Currency Tokens ebenso der Regulierung unterfallen – oder entsprechende Utility Tokens ebenfalls ausgenommen werden. 193 Zickgraf, AG 2018, 293, 306 f., Hacker/Thomale, S. 29 f.; Borkert, ITRB 2018, 91, 94; ausdrücklich offengelassen von Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 100 Fn. 99. 194 Zickgraf, AG 2018, 293, 306 f. 195 EuGH v. 22.10.2015 – C-264/14, MMR 2015, 12 ff. 196 BaFin, BaFin-Journal 01/2014, S. 27 zu Bitcoin; BaFin, Jahresbericht 2015, S. 39 zu sonstigen Currency Tokens. 197 Zickgraf, AG 2018, 293, 306 f. 198 Hacker/Thomale, S. 36. 199 Zickgraf, AG 2018, 293, 306 f.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
d) Ausnahmen von der Prospektpflicht Soweit ICOs danach grundsätzlich nach § 3 Abs. 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 3 Abs. 1 VO 2017/1129) prospektpflichtig wären, stellt sich die Frage, ob eine der emissionsbezogenen Ausnahmen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 3 und 4 VO 2017/ 1129) eingreift200. Danach gilt die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts nicht für ein Angebot von Wertpapieren,
20.123
1. das sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richtet (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 lit. a) VO 2017/1129), 2. das sich in jedem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums an weniger als 150 nicht qualifizierte Anleger richtet (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 lit. b) VO 2017/1129), 3. das sich an Anleger richtet, die Wertpapiere ab einem Mindestbetrag von 100 000 Euro pro Anleger je Angebot erwerben können (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 lit. d) VO 2017/1129), 4. die eine Mindeststückelung von 100 000 Euro haben (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 lit. c) VO 2017/1129) 5. [hier nicht relevant] oder 6. deren Gesamtgegenwert im Europäischen Wirtschaftsraum weniger als 8 Millionen Euro beträgt, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist (bereits in Kraft seit 21.7.2018 auf Basis der Ermächtigung in Art. 3 Abs. 2 lit. b) VO 2017/1129, den Gesamtgegenwert auf 8 Mio. Euro zu erhöhen, wovon Deutschland durch Anfügung einer neuen Nr. 6 an § 3 Abs. 2 Satz 1 WpPG Gebrauch gemacht hat201). Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 5 Abs. 1 VO 2017/1129) ist jede spätere Weiterveräußerung von Wertpapieren, die zuvor Gegenstand einer oder mehrerer der in Satz 1 genannten Angebotsformen waren, als ein gesondertes Angebot anzusehen. Durch Inanspruchnahme der Nr. 1, 3 oder 4 ließe sich eine Prospektpflicht bei Emission an die Erstzeichner vermeiden. Dies hätte jedoch zum einen den Nachteil, dass derartige Beschränkungen gegen den „dezentralen Geist“ der Blockchain-Welt verstoßen202. In den Fällen der Nr. 1, Angebot ausschließlich an qualifizierte Anleger, stellt sich außerdem die Frage der entsprechenden Identifikation203, was nicht innerhalb des Smart Contract möglich ist, sondern auf traditionellem Wege erfolgen muss. Bei Nr. 3 oder 4 wäre außerdem der Umrechnungskurs des Euro-Betrages zu Bitcoin, Ether etc. zu ermitteln204.
20.124
Die Frage der Identifikation der Anleger stellt sich schließlich auch für die Ausnahme nach Nr. 2, weniger als 150 nicht-qualifizierte Anleger je Mitgliedstaat205: Soweit der ICO nicht insgesamt auf 150 Teilnehmer begrenzt werden soll, müsste jeweils der Wohnsitz ermittelt werden, was ebenfalls nicht allein im Rahmen des Smart Contract möglich ist.
20.125
200 Die Ausnahmen aufgrund der Art der angebotenen Wertpapiere nach § 4 WpPG sind erkennbar nicht einschlägig. 201 Vgl. Art. 1 Nr. 3 lit. c) Gesetz zur Ausübung von Optionen zur EU-ProspektVO und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze vom 10.7.2018, BGBl. I 2018, 1102. 202 Hacker/Thomale, S. 37. 203 So auch Hacker/Thomale, S. 37; von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 3. 204 Hacker/Thomale, S. 37. 205 Hacker/Thomale, S. 37.
van Aubel | 729
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
20.126
Die Grenze für Kleinbetragsemissionen lag bis 20.7.2018 bei nur 100.000 Euro und kam bislang in Anbetracht der bei ICOs eingesammelten Beträge im Regelfall nicht in Betracht. Die neue Grenze von 8 Millionen Euro bringt hier Erleichterungen, wirft aber nach wie vor die Frage auf, wie die (teilweise sehr volatilen) Kryptowährungen, die zur Bezahlung verwendet werden, zur Ermittlung des Höchstbetrags umgerechnet werden sollen206.
20.127
Allen genannten Ausnahmen ist schließlich gemein, dass sich ICOs, die sich nur auf diese Weise zu finanzieren versuchen, wegen des faktischen Verbots der Weiterveräußerung aufgrund von § 3 Abs. 2 Satz 2 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 5 Abs. 1 VO 2017/1129) kaum werden vermarkten lassen.
20.128
Zusammenfassend werden die Ausnahmen nach § 3 Abs. 2 WpPG, eventuell mit Ausnahme der neuen Nr. 6, keine große Bedeutung für den eigentlichen ICO haben. Sie sind gleichwohl von Bedeutung im Rahmen des Pre-Sale, also insbesondere, um die Kosten für den eigentlichen ICO mittels einer begrenzten Anzahl qualifizierter Investoren vorzufinanzieren. e) Inhalt des Prospekts und Rechtsfolgen
20.129
Für den konkreten Prospektinhalt spielt die Einordnung des konkreten Token in § 2 Nr. 2 lit. a), b) oder c) WpPG eine Rolle, insbesondere für die Frage, welche Anhänge der VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) zu verwenden sind207. Ansonsten gelten für den Prospektinhalt die allgemeinen Regeln.
20.130
Dies ist wiederholt kritisiert worden, da insbesondere die Anforderungen an den vergangenheitsbezogenen Inhalt des Prospektes bei den meisten ICOs keine Rolle spielen. Die Emittenten haben in der Regel keine historischen Daten; wenn doch, sind sie irrelevant, da der ICO gerade der Finanzierung eines neuen Projektes dienen soll208. Diese Kritik ändert jedoch nichts daran, dass dies die geltende Rechtslage ist, zumal sich dieselben Einwendungen bei jeder Emission durch ein neu gegründetes Unternehmen vorbringen ließen. Schließlich liegt es durchaus im Interesse der Aufklärung der Investoren, im Prospekt ausführlich, ggf. auch an mehreren Stellen, darauf hingewiesen zu werden, dass die Zahlen der letzten Jahre nicht präsentiert werden können, da der Emittent bislang weder Umsätze noch Vermögen vorweisen kann.
20.131
In diesen Fällen bietet es sich an, die „Empfehlungen“ der ESMA zu Start-up-Unternehmen209 zu beachten: Diese gelten zwar unmittelbar nur für die Emission von Aktien. Dieselben Prinzipien lassen sich aber auf eine Emission von Fremdkapital und Genussrechten anwenden210. Danach gelten als Start-up alle Unternehmen, die entweder weniger als drei Jahre alt oder die zwar älter sind, aber die Geschäftsrichtung in den letzten drei Jahren geändert haben211, was bei ICOs in der Regel zutreffen wird. Diese Emittenten sollen 206 Hacker/Thomale, S. 37 f. 207 von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 2 WpPG Rz. 24; von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 4. 208 Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 104. 209 Vgl. ESMA update of the CESR recommendations vom 20.03.2013 (ESMA/2013/319), dort Rz. 135–139, https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2013-319.pdf (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 210 In diese Richtung auch von Oppen/Maywald/Bach/von Schilling, S. 3. 211 ESMA update of the CESR recommendations vom 20.03.2013 (ESMA/2013/319), Rz. 136.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
die strategischen Ziele und die zugrundeliegenden Annahmen darstellen. Der Prospekt soll ferner Angaben enthalten zur Abhängigkeit von Schlüsselpersonal oder einer begrenzten Anzahl von Kunden oder Lieferanten, zu derzeitigen und erwarteten Konkurrenten und zu erforderlichen Gegenständen, über die der Emittent noch nicht verfügt. Ein unabhängiges Gutachten zum Wert der Produkte oder Dienstleistungen kann, muss aber nicht beigefügt werden. (Ab 21.7.2019 wird es gewisse Erleichterungen im Rahmen des EU-Wachstumsprospektes geben, vgl. Art. 15 VO 2017/1129.) Ein weiterer zentraler Aspekt der Gestaltung des Emissionsprospektes werden die Risikohinweise sein, die sich auch auf das geringe Alter des Unternehmens, die ggf. geringe Managementerfahrung des Teams und technische Risiken erstrecken sollten212.
20.132
Auch für Verfahren und Rechtsfolgen gelten die allgemeinen Regeln: Der Prospekt darf erst veröffentlicht werden, wenn er durch die BaFin gebilligt wurde, § 13 Abs. 1 WpPG (ab 21.7.2019: Art. 20 Abs. 1 VO 2017/1129). Die Haftung des Emittenten bei einem fehlerhaften Prospekt ergibt sich aus §§ 21–23 WpPG, bei einem zu Unrecht fehlenden Prospekt aus § 24 WpPG.
20.133
2. Prospektpflicht nach dem VermAnlG a) Anwendbarkeit Nach seinem § 1 Abs. 1 ist das VermAnlG auf Vermögensanlagen anzuwenden, die im Inland öffentlich angeboten werden. Insoweit gilt das bereits oben (Rz. 20.84 ff.) zum WpPG Gesagte entsprechend213. Zu beachten ist allerdings, dass das Herkunftslandprinzip und der europäische Pass nicht für Vermögensanlagen gelten214. Denn bei diesen beruht die Prospektpflicht auf den autonomen Vorgaben des deutschen Rechts in §§ 6 ff. VermAnlG. Auch Ausnahmen für Vermögensanlagen aus anderen EWR-Staaten sind nicht vorgesehen; soweit sie im Inland öffentlich angeboten werden, ist ein Prospekt zu erstellen215.
20.134
Der Schutz der Anleger nach § 1 Abs. 2 VermAnlG ist subsidiär, d.h., er greift nur ein, wenn es sich bei der angebotenen Anlage weder um ein Wertpapier im Sinne des WpPG noch um Anteile an Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB oder ein Einlagengeschäft nach dem KWG handelt. Wird also z.B. über die Tokens ein übertragbares Genussrecht ausgegeben, das handelbar ist, fällt dies nach dem oben (Rz. 20.91 ff. und Rz. 20.103 ff.) Gesagten unter das WpPG; für die Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 5 VermAnlG, der ausdrücklich Genussrechte erwähnt, ist in diesen Fällen kein Raum.
20.135
b) Vermögensanlage Nach dem oben (Rz. 20.93 einerseits und Rz. 20.116 ff. sowie Rz. 20.120 andererseits) dargestellten Ergebnis können Tokens mangels Wertpapiereigenschaft in zwei Fällen aus dem Anwendungsbereich des WpPG/der VO 2017/1129 (ProspektVO) herausfallen: Zum einen, 212 Ähnlich Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 105; de lege ferenda (Ergänzung des Anhangs der VO 2017/1129 um ICO-typische Risiken) auch Weitnauer, BKR 2018, 231, 233. 213 Zu diesem „Gleichklang“ auch Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 1 VermAnlG Rz. 21. 214 Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 307; Borkert, ITRB 2018, 91, 95. 215 Lehmann in MünchKomm. BGB, IntFinMarktR Rz. 307.
van Aubel | 731
20.136
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
wenn sie nicht übertragbar (und damit auch nicht handelbar) sind, zum anderen mangels inhaltlicher Vergleichbarkeit mit Wertpapieren, also in den Fällen (reiner) Utility Tokens und (reiner) Currency Tokens.
20.137
Nach diesen beiden Fällen unterscheidet sich auch die Behandlung nach dem VermAnlG: Soweit es sich um (ausnahmsweise nicht übertragbare) Investment Tokens (oder Mischformen mit Investment-Komponente) handelt, sind sie als Vermögensanlagen nach § 1 Abs. 2 VermAnlG einzuordnen216, sei es, dass sie unter eines der Regelbeispiele der Nr. 1 bis 6 fallen, sei es, dass die Auffangvorschrift von § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG eingreift („sonstige Anlagen, die eine Verzinsung und Rückzahlung oder einen vermögenswerten Barausgleich im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld gewähren oder in Aussicht stellen“).
20.138
Scheitert die Wertpapiereigenschaft hingegen aus materiellen Gründen, also daran, dass die angebotenen Tokens keine Vergleichbarkeit mit typischen Wertpapieren haben, so greift auch das VermAnlG nicht ein217: Haben die angebotenen Tokens keine Investment-Komponente, so stellen sie bereits nach dem Wortlaut des soeben zitierten § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG keine „Anlage“ dar. c) Ausnahmen von der Prospektpflicht
20.139
Ebenso wie das WpPG sieht auch das VermAnlG verschiedene Ausnahmen von der Prospektpflicht vor. Im Einzelfall mögen die anleger- oder betragsspezifischen Ausnahmen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 VermAnlG in Betracht kommen, aber aus den bereits zum WpPG ausgeführten Erwägungen wiederum wohl nur im Rahmen eines Pre-Sale. Die Ausnahmen nach § 2c und 2d VermAnlG (soziale und gemeinnützige Projekte) werden i.d.R. nicht eingreifen.
20.140
Auch die Ausnahme für Schwarmfinanzierungen, § 2a VermAnlG, wird keine große Erleichterung für ICOs bringen: Zum einen besteht hier eine Obergrenze von 2,5 Mio. Euro je Emittent, § 2a Abs. 1 VermAnlG, weswegen sie für große ICOs ungeeignet ist218. Soweit Borkert vorschlägt, einen ICO gleichsam auf Raten durch mehrfach hintereinandergeschaltete Ausnutzung der Obergrenze von 2,5 Mio. Euro durchzuführen219, scheitert dies bereits am Wortlaut des Gesetzes: Nach § 2a Abs. 4 VermAnlG kann die Befreiung nicht in Anspruch genommen werden, solange eine Vermögensanlage des Emittenten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 VermAnlG öffentlich angeboten wird oder eine auf diese Weise angebotene Vermögensanlage des Emittenten nicht vollständig getilgt ist220.
20.141
Zum anderen setzt sie die Einschaltung einer Internet-Dienstleistungsplattform voraus, um die Einhaltung der Obergrenzen je Anleger sicherzustellen, § 2a Abs. 3 VermAnlG, was wie bei den Ausnahmen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 WpPG nur außerhalb des Smart Contract möglich ist. Darüber hinaus muss diese Plattform vom Emittenten un216 Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 103; Hacker/Thomale, S. 39; wohl auch Borkert, ITRB 2018, 91, 94 f. 217 Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 103; Borkert, ITRB 2018, 91, 94; wohl auch Hacker/Thomale, S. 39. 218 So auch Hacker/Thomale, S. 38. 219 So Borkert, ITRB 2018, 91, 95. 220 Hierzu generell etwa Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, §§ 2a–2d VermAnlG Rz. 11.
732 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
abhängig sein, § 2a Abs. 5 VermAnlG, was einen externen Dienstleister erfordert. Es ist denkbar, dass sich demnächst derartige auf ICOs spezialisierte Dienstleister etablieren, bislang scheint dies nicht der Fall zu sein. Gegen einen externen Dienstleister sprechen nicht zuletzt die Kosten: Bei traditionellem Crowdfunding in Deutschland entstehen dem Emittenten Vertriebskosten von bis zu 20 % (!)221, was sich weder mit der Idee eines ICO als kostengünstiges Finanzierungsmodell vereinbaren lässt noch den Verzicht auf einen Prospekt aus Kostengründen rechtfertigt. d) Inhalt des Prospekts und Haftung Auch unter dem VermAnlG gilt, dass es keine Sondervorschriften für ICOs gibt. Emittenten haben also einen Prospekt mit dem Inhalt nach § 7 VermAnlG i.V.m. der Verordnung über Vermögensanlagen-Verkaufsprospekte (VermVerkProspV) zu erstellen und darüber hinaus (im Fall der Befreiung nach § 2a VermAnlG ausschließlich) ein Vermögensanlagen-Informationsblatt mit dem Inhalt nach § 13 VermAnlG.
20.142
Die Haftung ist ähnlich wie unter dem WpPG geregelt: Die Haftung des Emittenten bei einem fehlerhaften Prospekt ergibt sich aus § 20 VermAnlG, bei einem zu Unrecht fehlenden Prospekt aus § 21 VermAnlG, und bei unrichtigem oder fehlendem Vermögensanlagen-Informationsblatt aus § 22 VermAnlG.
20.143
3. Regulierung nach dem KAGB In der Diskussion bisher nur vereinzelt angesprochen222 wurde die Frage, inwieweit die Ausgabe von Tokens die Anwendbarkeit des Kapitalanlagegesetzbuches eröffnet.
20.144
Gemäß § 20 Abs. 1 KAGB bedarf der Geschäftsbetrieb einer Kapitalverwaltungsgesellschaft der schriftlichen Erlaubnis der BaFin. Kapitalverwaltungsgesellschaften sind in § 17 Abs. 1 KAGB definiert als Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz und Hauptverwaltung im Inland, deren Geschäftsbetrieb u.a. darauf gerichtet ist, inländische Investmentvermögen zu verwalten. Investmentvermögen ist schließlich nach § 1 Abs. 1 KAGB jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist.
20.145
Der Begriff des Organismus ist weit auszulegen. Ein Organismus liegt bereits vor, wenn ein rechtlich oder wirtschaftlich verselbständigtes Vermögen aufgelegt wird. Genussrechte, stille Beteiligungen oder Schuldverschreibungen können ebenfalls als „Organismus“ qualifizieren223. Das Vorliegen einer bestimmten Rechtsform ist für den „Organismus“ nicht erforderlich224. Gleichgültig ist ebenfalls, ob die erworbenen Rechte übertragbar sind.
20.146
221 Vgl. etwa die Vermögensanlagen-Informationsblätter der Companisto GmbH, Berlin: https:// www.companisto.com/de/vib (zuletzt abgerufen am 25.7.2018). 222 Dazu Hacker/Thomale, S. 38 f.; Weitnauer, BKR 2018, 231, 233 f.; ferner BaFin, Aufsichtsrechtliche Einordnung von sog. Initial Coin Offerings (ICOs) zugrunde liegenden Token bzw. Kryptowährungen als Finanzinstrumente im Bereich der Wertpapieraufsicht vom 20.2.2018, S. 3 f., wonach es sich bei Tokens um Anteile an einem Investmentvermögen handeln kann. 223 Jesch in Baur/Tappen, KAGB, § 1 Rz. 6. 224 Wallach/Brand in Kunschke/Schaffelhuber, Fin Tech, S. 53, 63 Rz. 25.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
20.147
Weiter muss Kapital eingesammelt werden. An dieser Stelle lässt sich fragen, ob das Einsammeln von Bitcoin oder Ether Kapital in diesem Sinne darstellt, da § 71 Abs. 3 KAGB die Erbringung von Sacheinlagen verbietet. Letzteres betrifft jedoch nur die Frage, ob bei Vorliegen eines „Organismus“ dieser in der betriebenen Form genehmigungsfähig ist, und führt nicht zu einer Einschränkung des Begriffs des Investmentvermögens225. Aufgrund der bewusst weiten Anwendbarkeit des KAGB wird auch das Einwerben allein von Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether dem Begriff des „Kapitals“ genügen.
20.148
Das Kapital muss von einer Anzahl von Anlegern eingeworben werden. Dies ist bei einem ICO per definitionem gegeben.
20.149
Das Kapital muss für eine gemeinsame Anlage eingeworben werden. Hierunter wird verstanden, dass die Anleger an den Chancen und Risiken des Organismus beteiligt werden sollen, was eine Gewinn- und Verlustbeteiligung der Anleger voraussetzt226. Hieran fehlt es, wenn die Anleger einen unbedingten Rückzahlungsanspruch haben; dies gilt selbst dann, wenn ein qualifizierter Rangrücktritt vereinbart wurde227.
20.150
Das Kapital muss zum Nutzen dieser Anleger investiert werden. Dies heißt gerade nicht, es selbst für Entwicklung, Produkte o.ä. auszugeben. Damit wären reine Utility Tokens auch unter dem Gesichtspunkt des KAGB nicht reguliert, da bei ihnen der private Konsum im Vordergrund steht (und zugleich ein operatives Unternehmen vorliegen wird, dazu Rz. 20.153).
20.151
Das Kapital muss ferner nach einer festgelegten Anlagestrategie investiert werden. Inhalt der Anlagestrategie können etwa die Assetklassen sein, in die investiert werden soll228. In welche Art von Anlagen gemeinsam investiert werden soll, ist unter dem KABG irrelevant. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die konkret vorgeschlagene Anlagestrategie unter dem KAGB genehmigungsfähig ist und ggf. in welcher Form von Anlagevehikel229.
20.152
Auch wenn bei der zitierten „The DAO“ jeweils eine Ad-hoc-Entscheidung der TokenHolder vorgesehen war, wird man gleichwohl von einer Anlagestrategie ausgehen können, da allein in andere Tokens investiert werden sollte.
20.153
Schließlich darf es sich nicht um ein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors handeln. Dies wird häufig das relevante Abgrenzungskriterium sein. Damit fallen alle Emittenten, die mit einem eigenen Team selbst eine Plattform betreiben oder entwickeln, aus dem Anwendungsbereich des KAGB heraus, und zwar gleichgültig, ob sie nach den oben (Rz. 20.91 ff. sowie Rz. 20.103 ff.) getroffenen Abgrenzungen prospekt225 Dies betont auch die BaFin, wenn sie im Auslegungsschreiben zum KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14. Juni 2013 (zuletzt geändert am 9. März 2015), unter Ziff. I.1 ausführt, dass es eine andere Frage ist, ob die jeweilige Rechtsform auch genehmigungsfähig ist. Liegt ein Investmentvermögen vor, sieht das KAGB grundsätzlich nur bestimmte Rechtsformen vor, in denen dieses aufgelegt werden kann. 226 Jesch in Baur/Tappen, KAGB, § 1 Rz. 8. 227 BaFin, Auslegungsschreiben zum KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14. Juni 2013 (zuletzt geändert am 9. März 2015), Ziff. I.2; Wallach/Brand in Kunschke/Schaffelhuber, Fin Tech, S. 53, 63 Rz. 25; Jesch in Baur/Tappen, KAGB, § 1 Rz. 6. 228 Jesch in Baur/Tappen, KAGB, § 1 Rz. 15. 229 Unklar daher Hacker/Thomale, S. 38 f., wenn sie unter dem Gesichtspunkt von UCITS nur Investitionen in Wertpapiere betrachten.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
pflichtige oder prospektfreie Tokens emittieren. Umgekehrt wäre das mehrfach zitierte Beispiel von „The DAO“ gerade kein operatives Unternehmen, da dort erklärtermaßen ohne Management oder Mitarbeiter allein auf Basis des Smart Contract investiert werden sollte230. Fällt nach dem Gesagten eine Emission unter das KAGB, ist nach § 20 KAGB eine Erlaubnis der BaFin erforderlich. Da Emittenten die Anforderungen i.d.R. nicht erfüllen werden, soll hier nicht auf Details eingegangen werden.
20.154
4. GwG Für einen Emittenten, der einen ICO plant, stellt sich weiter die Frage, ob er Verpflichteter unter dem GwG ist. Von den Fällen des § 2 GwG ist höchstens § 2 Abs. 1 Nr. 9 GwG einschlägig, Erfassung von Kapitalverwaltungsgesellschaften nach § 17 Abs. 1 KAGB. Wenn damit auch ICOs in der Regel nicht unter das GWG fallen, sind in der Praxis viele Emittenten gleichwohl gehalten, eine Identifizierung ihrer Anleger vorzunehmen, da sich ansonsten keine Banken finden, die bereit sind, Konten oder Wallets für sie zu eröffnen.
20.155
5. Marktfolgepflichten Wenn Tokens als Wertpapiere einzuordnen sind und an einem regulierten Markt gehandelt werden, was bislang wohl nicht der Fall ist, dann sind auch Marktfolgepflichten zu beachten, etwa nach der VO Nr. 596/2014 (MMVO)231.
20.156
VI. Ausgewählte Rechtsfragen zum Emittenten und zum Zeichnungsvertrag 1. Rechtsform des Emittenten Da in vielen Fällen der ICO über eine neu gegründete Zweckgesellschaft abgewickelt werden soll, stellt sich die Frage nach der Rechtsform. Hier empfiehlt es sich zum einen dringend, ausdrücklich eine Rechtsform mit Haftungsbeschränkung zu wählen, also eine Kapitalgesellschaft, eine GmbH & CO. KG oder eine Stiftung232. Ohne eine solche Festlegung, insbesondere bei dem Versuch, wie im Fall von „The DAO“ eine rein digitale Organisation aufzusetzen, besteht die Gefahr der unbeschränkten Außenhaftung nicht nur der Initiatoren, sondern auch aller Investoren (dazu ausführlich Rz. 20.176 ff.).
20.157
Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland sind Stiftungen, überwiegend gemeinnützige Stiftungen, als ICO-Vehikel aufgesetzt worden. Die Gründe liegen zum einen in der damit verbundenen Glaubwürdigkeit des Emittenten233, zum anderen auch darin, dass je nach der Art und Ausstattung der Tokens und der in den Emissionsbedingungen festgelegten Gewinnverteilung die Gesellschaftsanteile des Emittenten erkennbar auf Jahre wertlos sind. Für die Genehmigung der Stiftung durch die Aufsichtsbehörde ist erforder-
20.158
230 231 232 233
Hacker/Thomale, S. 38 f. Hacker/Thomale, S. 14; Weitnauer, BKR 2018, 231, 234. So auch Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1154 f. Krüger/Lampert, BB 2018, 1154.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
lich, dass die Stiftung mit einem hinreichenden Vermögen ausgestattet ist. Da die bloße Aussicht auf einen Teil der ICO-Erlöse oder einen Teil der Tokens hierfür regelmäßig als nicht hinreichend sicher angesehen wird234, wäre daran zu denken, die Stiftung aus dem Pre-Sale auszustatten.
2. Abschluss des Zeichnungsvertrags und Einbeziehung der Emissionsbedingungen; Formfragen 20.159
Der Abschluss des Zeichnungsvertrages kann auf verschiedene Arten erfolgen: Im einfachsten Fall liegt der Emission ein Smart Contract auf der Etherium-Blockchain zugrunde, der jedem Investor automatisch eine definierte Anzahl der neuen Tokens übertragt, wenn der Investor an die vom Emittenten angegebene Wallet seine Investitionssumme in Ether überträgt.
20.160
Dieses Verfahren versagt aber bereits dann, wenn der Emittent es den Anlegern ermöglichen will, nicht nur in Ether, sondern z.B. auch in Bitcoin (die auf einer anderen Blockchain laufen) oder z.B. per Kreditkarte zu zahlen. In diesen Fällen muss ein Mechanismus vorgesehen werden, um die Investorendaten außerhalb des Smart Contract zu erheben und in diesen einzuspeisen.
20.161
Selbst wenn der Zeichnungsvertrag nur über den Smart Contract abgewickelt werden könnte, hätte dies den weiteren Nachteil, dass der Emittent nicht in der Lage wäre, die Einbeziehung der Emissionsbedingungen oder die Kenntnis des Prospektes zu dokumentieren. Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, den Zugang zu Zahlungsdetails etc. erst zu ermöglichen, wenn der Investor (z.B. durch Setzen von Haken auf der entsprechenden Internetseite) die Vertragsbedingungen nachvollziehbar akzeptiert hat.
20.162
Soweit im Einzelfall Formerfordernisse bestehen, etwa Schriftform, können diese naturgemäß nicht über den Smart Contract abgebildet werden, sondern sind ggf. auf traditionellem Wege zu erfüllen.
3. Inhaltskontrolle; anwendbares Recht 20.163
Die Emissionsbedingungen werden einseitig vom Emittenten gestellt und gelten für sämtliche emittierten Tokens. Damit liegt eine Anwendung in einer Vielzahl von Fällen vor, die zur Anwendung der AGB-Vorschriften auf den Zeichnungsvertrag und die Emissionsbedingungen führt235. Insbesondere müssen sich die – teilweise sehr weitreichenden – Haftungsausschlüsse an §§ 307 ff., 309 Nr. 7 lit. b) BGB messen lassen236.
20.164
Wird hingegen im Ausnahmefall durch die Emission eine (Personen)Gesellschaft begründet, gilt § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, wonach die AGB-Vorschriften keine Anwendung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts finden. Da eine solche Gesellschaft aber organisatorisch und wirtschaftlich der Publikums-KG vergleichbar ist (kein Aushandeln des Gesellschaftsvertrags, sondern einseitige Vorgabe, viele Investoren mit prozentual geringer Beteiligung), 234 Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1155. 235 Speziell zum ICO so auch Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1157 f.; Weitnauer, BKR 2018, 231. 236 Weitnauer, BKR 2018, 231.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
findet auch in diesen Fällen eine Inhaltskontrolle nach den zur Publikums-KG entwickelten Grundsätzen über § 242 BGB statt237. Soweit die Emissionsbedingungen eine Rechtswahlklausel enthalten, stellt sich die Frage, ob diese auch im Verhältnis zu ausländischen Verbrauchern als Zeichnern der Tokens wirksam ist. Hier ist nach der Art der Tokens zu differenzieren: Grundsätzlich gilt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO), wonach durch Rechtswahl nicht von zwingenden Verbraucherschutzvorschriften abgewichen werden darf. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um Finanzinstrumente oder Wertpapiere i.S.v. Art. 6 Abs. 4 lit. d) VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO) handelt238. In diesem Fall bleibt es bei den allgemeinen Vorschriften, da anderenfalls die Fungibilität des Wertpapiers dadurch aufgehoben wäre, dass für jedes Stück andere Verbrauchervorschriften gelten würden239. Im Ergebnis wird Art. 6 Abs. 2 Satz 2 VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO) daher nur für (reine) Utility Tokens eine Rolle spielen.
20.165
4. Weitere Finanzierungsrunden, nachträgliche Änderung, Liquidation Eine der Standard-Erfahrungen mit Start-up-Unternehmen, zu denen auch die meisten Emittenten von Tokens gehören werden, besteht darin, dass Businesspläne regelmäßig verfehlt werden, mit der Folge, dass die Zuführung weiterer Finanzmittel erforderlich wird (im Venture-Capital-Geschäft als zweite [dritte, vierte, etc.] Finanzierungsrunde oder als B- [C-, D-, etc.]-Runde bezeichnet)240. Demgegenüber fällt auf, dass ICOs nur auf eine Finanzierungsrunde angelegt sind241. Dementsprechend treffen die verwendeten Emissionsbedingungen, soweit ersichtlich, keine Vorkehrung für den Fall einer Nachfinanzierung: Den Investoren wird ein definierter Prozentsatz des Gewinns aus dem geplanten Geschäft versprochen, meist in der Größenordnung von 75 bis 100 % (!), während es keine Anpassungsklauseln für den Fall gibt, dass entgegen dem ursprünglichen Plan doch weitere Mittel erforderlich werden.
20.166
Um zu verhindern, dass in solchen Fällen nur die Insolvenz der Emittentin bleibt, sei für die Gestaltung von Emissionsbedingungen dringend empfohlen, einen entsprechenden Anpassungsmechanismus vorzusehen. Die Konsequenz hieraus wäre, dass zugleich Bezugsrechte und Stimmrechte bei einer Beeinträchtigung der bisherigen Rechte vorzusehen wären. Ein Rückgriff auf das Schuldverschreibungsgesetz wird i.d.R. ausscheiden, da dieses mangels Verbriefung nicht anwendbar ist242.
20.167
Entsprechendes gilt für sonstige Änderungen, die über die Lebenszeit eines Unternehmens eintreten können: Auch diese werden bislang, soweit ersichtlich, bestenfalls stiefmütterlich behandelt. Was soll im Falle des endgültigen Scheiterns des Projektes erfolgen? Was im Falle der Zielerreichung? Kann der Geschäftsgegenstand angepasst werden? Ist das Unternehmen zu liquidieren? Dagegen einzuwenden, dass in einem ICO regelmäßig keine Geschäftsanteile am jeweiligen Emittenten ausgegeben werden, so dass die Initiatoren als Alleingesellschafter diese Entscheidungen treffen könnten, griffe zu kurz: Da in diesen Fällen
20.168
237 238 239 240 241
Vgl. dazu generell etwa Basedow in MünchKomm. BGB, § 310 Rz. 87. Dies übersehen Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1158. Vgl. Martiny in MünchKomm. BGB, Art. 6 Rom I-VO Rz. 25 f. Generell dazu Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, S. 441 ff. Was von Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 95, als Risikofaktor gewertet wird, da die Emittenten mehr Geld aufnähmen als sie sinnvollerweise benötigten. 242 Vgl. nur BGH v. 22.3.2018 – IX ZR 99/17, AG 2018, 431 = WM 2018, 853.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
in die Rechte der Investoren eingegriffen werden soll, sind diese in den Prozess in einer definierten Form einzubinden. Auch aus diesem Grund empfiehlt es sich daher für die Praxis, in den Emissionsbedingungen Anpassungsklauseln vorzusehen, die ihrerseits auf AGB-Festigkeit zu prüfen sind.
VII. Ausgewählte Rechtsfragen zu einzelnen Arten von Investment Tokens 20.169
Im Folgenden sollen einzelne, mögliche Ausgestaltungen von Investment Tokens dargestellt und die jeweiligen regulatorischen und zivilrechtlichen Fragen im Zusammenhang erörtert werden. Dabei lassen sich aus Gründen der Lesbarkeit gewisse Überschneidungen mit den obigen Ausführungen nicht immer vermeiden.
1. Eigenkapital a) GmbH
20.170
In der Literatur wurde vereinzelt die „Tokenisierung“ von GmbH-Anteilen diskutiert, auch wenn sie in Deutschland wohl noch nicht durchgeführt wurde. Die unmittelbare Ausgabe von GmbH-Anteilen im Wegen eines ICO scheitert regelmäßig an der Formbedürftigkeit sowohl des Erwerbs bestehender GmbH-Anteile, § 15 Abs. 1 GmbHG, als auch der Übernahmeerklärung bei Zeichnung von Anteilen aus einer Kapitalerhöhung, § 55 Abs. 1 GmbHG.
20.171
Auch eine Treuhandlösung dürfte bei einer GmbH nicht in Betracht kommen: Sie kann ohne notarielle Beurkundung weder in Form der Vereinbarungstreuhand noch der Erwerbstreuhand begründet werden243. Auch eine Erklärung des Treuhänders einer (formwirksam begründeten) Treuhand, die Anteile künftig für den jeweiligen Inhaber der Tokens halten zu wollen, bedürfte über den Wortlaut von § 15 Abs. 3 GmbHG hinaus der Beurkundung, da die Erklärung des Treuhänders, den Anteil nun für einen anderen als den bisher Berechtigten halten zu wollen, der Übertragung des Geschäftsanteils gleichkommt244.
20.172
Denkbar ist jedoch eine Unterbeteiligung an einem GmbH-Anteil245. Diese begründet nach h.M. eine BGB-Innengesellschaft; die Formvorschrift des § 15 GmbHG ist auf sie nicht anwendbar246. Die danach entscheidende Frage der Abgrenzung von (formfreier) Unterbeteiligung und (beurkundungspflichtiger) Treuhand wird vom BGH wie folgt beantwortet247: „Hält der Hauptbeteiligte den Anteil an der Gesellschaft in vollem Umfang für den anderen Beteiligten, wird es in ihrem Verhältnis zueinander regelmäßig an der für ein Gesellschaftsverhältnis typischen Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks fehlen, so dass die vertragliche Beziehung den auftragsrechtlichen Bestimmungen untersteht; dagegen liegt ein zur Anwendung der §§ 705 ff. BGB 243 Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rz. 56 m.w.N., auch zur früher anderslautenden h.M. zur Erwerbstreuhand. 244 Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rz. 57. 245 Borkert, ITRB 2018, 91, 93. 246 Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rz. 59 m.w.N. 247 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 259/92, NJW 1994, 2887 ff., Leitsatz und unter II.2.a der Gründe (zur KG).
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20 führendes Vertragsverhältnis vor, wenn der hauptbeteiligte Gesellschafter nur einen Teil seines Anteils für den Unterbeteiligten hält, im Übrigen aber eigene Interessen in der Gesellschaft verfolgt.“
Bei entsprechender Gestaltung des Vertrags über die Ausgabe der Tokens sollte damit eine beurkundungsfreie „Tokenisierung“ möglich sein. Soweit Borkert daraus aber den Schluss zieht, dass derartige Tokens mangels Übertragbarkeit des zugrundeliegenden GmbH-Anteils kein Wertpapier darstellten248, greift dies zu kurz: Bei der Vereinbarung einer Unterbeteiligung repräsentiert der Token gerade nicht mehr den GmbH-Anteil selbst, sondern einen formfrei übertragbaren Anteil an der Unterbeteiligungs-GbR.
20.173
Sind die entsprechenden Tokens übertragbar ausgestaltet, fallen die „tokenisierten“ GmbH-Anteile unter den Begriff des Wertpapiers nach § 2 Nr. 1 lit. a) WpPG, sind sie nicht übertragbar, fallen sie unter § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG, jeweils mit der Folge der Pflicht zur Erstellung und Billigung eines entsprechenden Prospekts.
20.174
b) AG Für die AG gilt im Wesentlichen dasselbe: Eine „Tokenisierung“ von Aktien ist zwar bislang nicht beobachtet worden, wäre aber möglich. Aufgrund der Formbedürftigkeit des Zeichnungsscheins (Schriftform nach § 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) wird die Beteiligung wieder nur mittelbar erfolgen können. Da für Aktien bekanntlich eine § 15 GmbHG vergleichbare Vorschrift fehlt, kommt hier eine Beteiligung sowohl im Wege der Treuhand als auch der Unterbeteiligung in Betracht. Die Prospektpflicht ergibt wie bei der GmbH je nach Übertragbarkeit des die Aktien repräsentierenden Token aus § 2 Nr. 1 lit. a) WpPG oder § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG.
20.175
c) Personengesellschaften, insbesondere Sonderfall „The DAO“ Soweit eine „Tokenisierung“ von KG-Anteilen geplant ist, gelten die Ausführungen zur GmbH entsprechend: Eine Eintragung der jeweiligen Token-Inhaber im Handelsregister scheidet i.d.R. aus. Denkbar ist hingegen sowohl eine Treuhandlösung, die hier formfrei möglich wäre, als auch die Vereinbarung einer Unterbeteiligung.
20.176
In anderen Fällen werden die Beteiligten hingegen nicht ausdrücklich eine Rechtsform der geplanten Organisation vereinbaren und dementsprechend auch keine Eintragung im Handelsregister herbeiführen. Hier gilt wie stets, dass die GbR als Auffanglösung eingreift, wenn deren – geringe – Anforderungen der gemeinsamen Zweckverfolgung249 erfüllt sind.
20.177
So wurde in dem bereits mehrfach erwähnten Fall von „The DAO“ keine Rechtsform vereinbart, die Beteiligten sollten aber gemeinsam über die Verwendung des eingeworbenen Geldes abstimmen und an den Gewinnen partizipieren. Dies würde nach deutschem Recht eine Personengesellschaft darstellen250, mit der üblichen Folgefrage, ob es sich um eine GbR oder eine OHG handelt. Im Fall von „The DAO“ war offenbar nur, aber immerhin, geplant, die Gelder in anderen Token-Emissionen zu investieren. Bereits damit läge Gesamthandsvermögen vor, mit der Folge des Entstehens (zumindest) einer Außen-GbR.
20.178
248 Borkert, ITRB 2018, 91, 94. 249 Dazu im Einzelnen Sprau in Palandt, BGB, § 705 Rz. 20 ff.; Ulmer/Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 Rz. 128 f. 250 So auch Borkert, ITRB 2018, 91, 93.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
Für die Beteiligten, also die Token-Inhaber, hätte dies die missliche – und für sie vermutlich unerwartete – Konsequenz der persönlichen Haftung analog251 oder, im Fall der OHG, unmittelbar nach § 128 HGB.
20.179
Damit stellt sich die Frage, welches Recht in solchen Fällen Anwendung findet. Die Frage der Haftung, insb. von Gesellschaftern, bestimmt sich nach dem Personalstatut der Gesellschaft252, das sich nach h.M. bei einer Außen-GbR (genauso wie bei Kapitalgesellschaften253) nach der Sitztheorie bestimmt, also nach dem effektiven Verwaltungssitz254. Bei Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland richtet sich die Gesellschafteraußenhaftung somit grundsätzlich nach deutschem Recht255. Da auf Vorgesellschaften mit eigener Organisation, bei denen es sich um Außengesellschaften handelt, bereits das Gesellschaftsstatut anzuwenden ist256, wird der Verwaltungssitz wiederum im Zweifel am Sitz der Initiatoren liegen. Damit würde sich im Fall von „The DAO“ eine unbeschränkte Haftung nach deutschem Recht ergeben. Da diese Konsequenz weder gewollt sein wird noch sich derartige Tokens werden vermarkten lassen, ist dringend zu empfehlen, andere Konstruktionen zu wählen.
20.180
Sollten gleichwohl Tokens ausgegeben werden, die Anteile an Personengesellschaften repräsentieren, gelten die Ausführungen bei der GmbH zur Prospektpflicht entsprechend.
2. Fremdkapital 20.181
Die Ausgabe von Tokens zur Verkörperung von reinem Fremdkapital ist grundsätzlich denkbar, hat aber bislang, soweit ersichtlich, keine große praktische Bedeutung erhalten. a) Rangrücktritt
20.182
Wie oben (Rz. 20.50 und Rz. 20.57) gezeigt, werden Tokens sowohl in der Frühphase eines ICO als auch im Pre-Sale zur Motivation der potenziellen Investoren, sich möglichst schnell zu beteiligen, mit einem Preisvorteil gegenüber dem finalen Ausgabepreis ausgegeben. Soweit die dem Token zugrundeliegenden Rechte einen Nennwert haben, wie dies bei Schuldverschreibungen und Krediten naturgemäß der Fall ist, ist es unter Marketinggesichtspunkten erheblich einfacher, frühen Zeichnern ein Disagio zu gewähren, als den späten Investoren ein Agio auf den Nennwert abzuverlangen. Ein solches Disagio führt bereits mit Ausgabe dazu, dass der Emittent weniger einnimmt, als er den Investoren nominell schuldet – bei den in der Regel verwendeten Neugründung also sofort handelsbilanziell überschuldet wäre257. Aus diesem Grund wird in den Emissionsbedingungen regelmäßig ein qualifizierter Rangrücktritt vorzusehen sein. 251 Dazu generell Sprau in Palandt, BGB, § 714 Rz. 11; Schäfer in MünchKomm. BGB, § 714 Rz. 35 f. 252 Kindler in MünchKomm. BGB, IntGesR Rz. 611 ff. m.w.N.; Thorn in Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB (IPR) Rz. 18. 253 Kindler in MünchKomm. BGB, IntGesR Rz. 282 ff. m.w.N. 254 Kindler in MünchKomm. BGB, IntGesR Rz. 420 ff. m.w.N.; Thorn in Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB (IPR) Rz. 11. 255 Kindler in MünchKomm. BGB, IntGesR Rz. 612, auch zu Ausnahmen aufgrund von Staatsverträgen. 256 Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, 2005, Teil B. Rz. 130 und Rz. 266 ff. 257 Ob zugleich eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne mit der Folge der Insolvenzantragspflicht vorliegt, hängt von der Fortführungsprognose ab, vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 InsO.
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
b) Regulatorische Anforderungen Ähnlich wie bei der GmbH ist auch hier zu unterscheiden zwischen der Ausgabe der Schuldverschreibung und der Tokenisierung: Soweit Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen ausgegeben werden, stellt dies kein Einlagengeschäft dar, § 1 Abs. 1 KWG. Eine Emission von Tokens, die die entsprechenden Papiere repräsentieren, führt bei Übertragbarkeit der entsprechenden Tokens zu einer Prospektpflicht nach § 2 Nr. 1 lit. b) WpPG. Da für die Frage der Übertragbarkeit auf die Tokens abzustellen ist, ist es auch gleichgültig, dass bei einer Übertragung von Tokens, die eine Orderschuldverschreibung repräsentieren, kein Indossament möglich ist.
20.183
Namensschuldverschreibungen fallen nicht unter die Ausnahme nach § 1 Abs. 1 KWG258, stellen also grundsätzlich ein Einlagengeschäft dar, wenn die Ausgabe im gewerbsmäßigen Umfang erfolgt. Gleiches gilt für die allgemeine Aufnahme von Darlehen. Bei beiden gilt aber, dass bei Verwendung einer qualifizierten, auch den Zins umfassenden Rangrücktrittsklausel sich das Wesen der Darlehensgewährung in eine unternehmerische Beteiligung mit einer eigenkapitalähnlichen Haftungsfunktion umwandelt, mit der Folge, dass in diesen Fällen kein Einlagengeschäft vorliegt259.
20.184
Soweit im Zusammenhang mit ICOs die Meinung vertreten wird, dass Namensschuldverschreibungen oder Schuldscheindarlehen mangels Übertragbarkeit kein Wertpapier darstellten260, geht dies an der Frage vorbei: Hier geht es nicht um die Übertragbarkeit der Namensschuldverschreibung bzw. Schuldscheindarlehen, sondern der sie repräsentierenden Tokens: Sind diese übertragbar, kommt auch hier eine Qualifikation als Wertpapier in Betracht. Sind sie nicht übertragbar, fallen sie unter § 1 Abs. 2 Nr. 6 VermAnlG.
20.185
3. Genussrechte Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Arten von Investment Tokens dürften sich Genussrechte bei ICOs einiger Beliebtheit erfreuen: Sie ermöglichen eine Beteiligung der Investoren am Gewinn des Projektes, ohne in der Regel Mitspracherechte zu gewähren.
20.186
Bei der zivilrechtlichen Gestaltung der entsprechenden Emissionsbedingungen sind einige Punkte zu beachten: Die Abgrenzung zwischen Genussrechten und anderen Beteiligungsformen, insb. partiarischen Darlehen kann schwierig sein (hierzu s. Rz. 13.10 ff.). Aus diesen Gründen empfiehlt sich eindeutige Bezeichnung und insbesondere eine Abbedingung der Kündigungsrechte nach § 489 Abs. 2 BGB. Ferner ist bei Token-Emissionen, die Genussrechte repräsentieren, sowohl zur Vermeidung der Annahme eines Einlagengeschäfts als auch zur Verhinderung der Überschuldung des Emittenten ein qualifizierter Rangrücktritt zu vereinbaren.
20.187
Regulatorisch fallen Genussrechte nicht unter das Einlagengeschäft nach § 1 Abs. 1 KWG. Sind sie übertragbar ausgestaltet, stellen die entsprechenden Tokens Wertpapiere dar mit der Folge einer Prospektpflicht nach § 2 Nr. 1 lit. b) WpPG. Sind sie nicht übertragbar, folgt die Prospektpflicht aus § 1 Abs. 2 Nr. 5 VermAnlG.
20.188
258 Vgl. BGH v. 29.3.2001 – IX ZR 445/98, ZIP 2001, 1503, 1504. 259 Vgl. BaFin-Merkblatt „Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts“ vom 11.3.2014, Pkt. 5.a); Maas in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, § 1 VermAnlG Rz. 78. 260 So Borkert, ITRB 2018, 91, 92 und 94.
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VIII. Grundzüge der Besteuerung in Deutschland 1. Umsatzsteuer 20.189
Zu Currency Tokens hat der Europäische Gerichtshof in der Hedqvist-Entscheidung im Jahr 2015 entschieden, dass auch der gewerbliche Tausch von Kryptowährungen gegen klassische Währungen, wie Euro oder Dollar, grundsätzlich keiner Umsatzsteuer unterliegt261. Dem hat sich das BMF nicht nur für Bitcoins angeschlossen, sondern für alle Kryptowährungen, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass sie keinem andern Zweck als der Verwendung als Zahlungsmittel dienen262.
20.190
Diese Entscheidung ist nicht auf Utility Tokens übertragbar, da diese nicht ausschließlich ein Zahlungsmittel darstellen, sondern Zugang zu einer Dienstleitung gewähren. Es wird daher davon auszugehen sein, dass der Vertrieb von Utility Tokens – wie etwa der Vertrieb einer Software-Lizenz – der Umsatzsteuer unterliegt263.
20.191
Für Investment Tokens gilt, dass der bloße Erwerb und der bloße Verkauf von Wertpapieren bereits keine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 9 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL (Art. 4 6. EG-RL) darstellt und damit nicht unter das Umsatzsteuerrecht fällt264. Soweit Wertpapiergeschäfte im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgen, greift die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 lit. e) (Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren) oder lit. f) UStG (Umsätze von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen) ein. Der Wertpapierbegriff ist im UStG nicht separat definiert, daher wird teilweise auf die deutsche zivilrechtliche Definition zurückgegriffen265. Richtiger scheint demgegenüber ein Rückgriff auf die oben (Rz. 20.88 ff.) diskutierte prospektrechtliche Definition, mit der Folge, dass der Erwerb und Verkauf von Investment Tokens und damit verbundene Dienstleistungen bereits nicht umsatzsteuerbar, zumindest aber von der Umsatzsteuer befreit sind266.
2. Steuerfragen des Emittenten a) Steuerpflicht im Inland
20.192
Deutsches Steuerrecht ist nur anwendbar, soweit der Emittent in Deutschland unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist. Für die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht gelten keine Besonderheiten: Diese liegt vor, wenn der Emittent eine der in § 1 KStG aufgeführten Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz im Inland ist, also insb. eine AG, GmbH oder UG, eine Stiftung oder ein Verein. Sollte ausnahmsweise eine natürliche Person mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt 261 EuGH v. 22.10.2015 – C-264/14, MMR 2015, 12 ff.; Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 88. 262 BMF-Schreiben vom 27.2.2018, S. 1, 3. 263 Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 88; Weitnauer, BKR 2018, 231, 235; so auch Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1159, allerdings nur für den Fall, dass der Utility Token bei Ausgabe bereits einsetzbar ist. 264 EuGH v. 29.4.2004 – C-77/01 – EDM, UR 2004, 292; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 4 Nr. 8 Rz. 27. 265 Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 4 Nr. 8 Rz. 27. 266 Im Ergebnis auch Weitnauer, BKR 2018, 231, 235 (ohne Begründung).
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Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
im Inland als Emittent auftreten, gilt dasselbe gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Personengesellschaften unterfallen nicht der Einkommen- oder Körperschaftsteuer, die vielmehr nur bei den Gesellschaftern erhoben wird. Soweit der Emittent einen Gewerbebetrieb im Inland betreibt, unterfällt er insoweit der Gewerbesteuer, § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG; dies gilt auch, soweit der Gewerbebetrieb von einer Personengesellschaft betrieben wird, § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG.
20.193
Fraglich ist allein, wann bei Emittenten mit Sitz im Ausland eine beschränkte Steuerpflicht hinsichtlich der inländischen Einkünfte gemäß § 2 KStG, § 49 EStG vorliegt. Dies setzt eine inländische Betriebsstätte gemäß § 12 AO voraus. Hier kommen folgende Fälle in Betracht: Werden im Inland physische Aktivitäten erbracht (etwa die Entwicklung der Software durch eigene Mitarbeiter o.ä.), liegt nach allgemeinen Grundsätzen eine Betriebsstätte vor. Gleiches wird gelten, wenn im Inland ein sog. dedizierter Server betrieben wird, also ein eigenständiger Computer, der sich unter der Kontrolle des Emittenten befindet, nicht jedoch bei einem nur virtuellen Server, bei dem letztlich nur Computerleistung von einem anderen Anbieter eingekauft wird267. Eine entsprechende Differenzierung ist hinsichtlich der Blockchain vorzunehmen: Soweit die Emission auf einer bestehenden, dezentral und weltweit abgebildeten Blockchain läuft, wie etwa der Etherium-Blockchain, kann allein deshalb keine Betriebsstätte im Inland vorliegen268. Anders kann es wiederum bei einer proprietären Blockchain sein, soweit diese im Inland auf dedizierten Servern läuft.
20.194
b) Bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung Currency Tokens stellen eine (weitere) elektronische Währung dar. Ihnen ist gemein, dass sie keinen Anspruch, etwa auf Rückzahlung, gegen den jeweiligen Emittenten (z.B. das Bitcoin-Netzwerk) verkörpern. Die Ausgabe von Currency-Tokens gegen Entgelt führt für den Emittenten somit dazu, dass er den Ausgabepreis vereinnahmt, aber keine passivierungspflichtige Gegenleistung schuldet. Der Ausgabepreis abzüglich der Betriebsaufwendungen, insb. zur Entwicklung des Netzwerks, ist daher gewinnerhöhend269.
20.195
Bei (echten) Utility Tokens erwerben die Zeichner gewisse Ansprüche auf Nutzung der Produkte oder Dienstleistungen. Richten sich diese Ansprüche gegen den Emittenten selbst, etwa auf Nutzung einer Software über mehrere Jahre, und hat dieser insoweit die Gegenleistung noch nicht erbracht, sind Zahlungen der Zeichner als erhaltene Anzahlungen zu behandeln, § 266 Abs. 3 C.3 HGB. Richten sich die Ansprüche hingegen allein gegen eine zu erstellende „Plattform“, entsteht mit Ausgabe ein Ertrag des Emittenten in Höhe des Ausgabepreises270.
20.196
Die bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung von Investment Tokens hängt von der jeweiligen Ausgestaltung ab. Repräsentieren Investment Tokens im Einzelfall Aktien oder Geschäftsanteile an einer GmbH oder KG, etwa aufgrund einer Unterbeteiligung, sind sie (bzw. die Hauptbeteiligung) bilanziell als Eigenkapital zu erfassen, § 266 Abs. 3 A.I. (und ggfs. A.II.) HGB. Die Einordnung von Genussrechten als Eigen- oder Fremdkapital ist auch bilanziell schwierig und in den Rechtsfolgen umstritten: Wenn die Genussrechte
20.197
267 268 269 270
Trötscher in Kunschke/Schaffelhuber, Fin Tech, S. 207, 214 Rz. 16 m.w.N. Trötscher in Kunschke/Schaffelhuber, Fin Tech, S. 207, 214 Rz. 18 m.w.N. So auch Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1160. Ähnlich Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1160, aber mit etwas anderer Differenzierung.
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§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
mit Nachrang ausgestattet sind, eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren oder überhaupt keinen Endtermin haben, am Verlust beteiligt sind und nur eine erfolgsabhängige Vergütung vermitteln, stellen sie funktional Eigenkapital dar271. In diesen Fällen bietet sich eine Einordnung in einem eigenen Posten innerhalb des Eigenkapitals an272. Sind die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, stellen die Genussrechte Fremdkapital dar. Bei der Ausschüttung von Gewinnen oder Zinsen hat der Emittent schließlich die Pflicht zum Einbehalt von Kapitalertragsteuer gemäß §§ 43 ff. EStG zu beachten.
3. Bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung beim Investor a) Unbeschränkte Steuerpflicht im Inland
20.198
Für die unbeschränkte Steuerpflicht des Investors gilt das beim Emittenten ausgeführte: Sie liegt vor, wenn der Investor Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. aa) Betriebsvermögen
20.199
Die bilanzielle und steuerrechtliche Behandlung von Tokens ist bislang in erster Linie am Beispiel Bitcoin diskutiert worden. Die dort gewonnenen Erkenntnisse gelten jedoch für alle Currency Tokens: Ihnen ist gemein, dass bei es ihnen an einer Kapitalüberlassung an Dritte fehlt273, sie also keine Ansprüche gegen den Emittenten verkörpern. Da sie gleichwohl wirtschaftlichen Wert haben, aber keinem Wertverzehr unterliegen, stellen sie bilanziell nicht abnutzbare immaterielle Wirtschaftsgüter dar274.
20.200
Die Behandlung von Utility Tokens hat sich zunächst an dem vom Investor verfolgten Zweck zu orientieren. Hat der Investor den Utility Token aus Spekulationsgründen, also zur Weiterveräußerung erworben, liegen „sonstige Wertpapiere“ des Umlaufvermögens vor, § 266 Abs. 2 B.III.2 HGB. Beabsichtigt der Investor hingegen, den Utility Token selbst zu nutzen, und gewährt dieser für mehrere Jahre275 oder unbegrenzt Zugang zu dem Netzwerk oder der Dienstleistung, kommt eine Erfassung unter entgeltlich erworbenen Konzessionen und Lizenzen bei den immateriellen Vermögensgegenständen gemäß § 266 Abs. 2 A.I.2 HGB in Betracht. „Verbraucht“ sich der konkrete Token durch Nutzung, ist er als Aufwand zu erfassen276.
20.201
Bei Investment Tokens hängt die bilanzielle Einordnung ebenfalls von dem vom Investor verfolgten Zweck ab. Wurden die Tokens als langfristige Kapitalanlage erworben, sind sie innerhalb der „Finanzanlagen“ gemäß § 266 Abs. 2 A.III. HGB zu erfassen. Soweit nicht ausnahmsweise eine „Beteiligung“ i.S.v. § 266 Abs. 2 A.III.3 i.V.m. § 271 Abs. 1 HGB vor271 Reiners/Haußer in MünchKomm. HGB, § 266 Rz. 94; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 266 Rz. 16. 272 Reiners/Haußer in MünchKomm. HGB, § 266 Rz. 94; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 266 Rz. 16 m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten. 273 Zu diesem Kriterium zur bilanziellen Abgrenzung zum Finance Token Richter/Augel, FR 2017, 937, 941 m.w.N. in Fn. 54. 274 Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 270 unter „Bitcoins“; Peroz, AG 2018, R71; Richter/ Augel, FR 2017, 937, 941 f. 275 Generell zur Aktivierungsfähigkeit nur bei mehrjähriger Nutzbarkeit Reiners/Haußer in MünchKomm. HGB, § 266 Rz. 22; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 266 Rz. 5. 276 Reiners/Haußer in MünchKomm. HGB, § 266 Rz. 22 a.E.
744 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
liegt, sind Investment Tokens unter „Wertpapieren des Anlagevermögens“ gemäß § 266 Abs. 2 A.III.5 HGB zu erfassen. Beim Erwerb zum Zwecke der kurzfristigen Weiterveräußerung liegen hingegen „sonstige Wertpapiere“ des Umlaufvermögens vor, § 266 Abs. 2 B.III.2 HGB. Der Gewinn (Veräußerungsgewinne und Ausschüttungen) ist nach allgemeinen Vorschriften zu ermitteln und unterfällt in Abhängigkeit von der Rechtsform des Investors der Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer, daneben bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch der Gewerbesteuer277. Soweit Investment Tokens von einer Körperschaft gehalten werden und im Einzelfall Aktien oder vergleichbare Geschäftsanteile an einer anderen inländischen Körperschaft repräsentieren, kommt für Veräußerungserlöse und Gewinnausschüttungen die Privilegierung nach § 8b KStG in Betracht.
20.202
bb) Privatvermögen Beim privaten An- und Verkauf von Tokens stellt sich vorrangig die Frage, ab wann die Grenze zur Gewerblichkeit überschritten ist, mit der Folge, dass die Erträge gemäß soeben Rz. 20.202 zu behandeln wären. Rechtsprechung ist hierzu bislang nicht ersichtlich, so dass auf die Rechtsprechung zu sonstigen Wertpapiergeschäften im privaten Umfeld zurückzugreifen ist. Danach gilt, dass auch häufige Umschichtungen oder hohe Volumina alleine nicht zur Gewerblichkeit führen. Diese Grenze ist erst dann überschritten, wenn weitere Kriterien erfüllt werden, etwa Auftritt nach außen, Tätigwerden auch für Dritte oder eine eigene Organisation278.
20.203
Der An- und Verkauf von Currency Tokens im Privatvermögen ist als privates Veräußerungsgeschäft von „anderen Wirtschaftsgütern“ gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar279. Gewähren die Tokens keine Erträge, wie dies bei reinen Currency Tokens der Fall ist, gilt die Spekulationsfrist von einem Jahr, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Es gilt die Freigrenze von 600 Euro gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG für sämtliche Veräußerungsgeschäfte (also nicht nur von Tokens) innerhalb eines Kalenderjahres. Wurden aus den Tokens in zumindest einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt, erhöht sich die Spekulationsfrist auf zehn Jahre, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 4 EStG. Insoweit ist umstritten, ob bereits Gratisausschüttungen von weiteren Tokens die Spekulationsfrist verlängern280; bis zur höchstrichterlichen Klärung wird der Vorgang zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen in der Steuerklärung offenzulegen sein. Als Veräußerung gilt auch die Verwendung des Currency Token als Zahlungsmittel; an die Stelle des Veräußerungspreises tritt der gemeine Wert der empfangenen Waren oder Dienstleistungen281.
20.204
Bei Investment Tokens im Privatvermögen sind die laufenden Erträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern, Gewinnanteile, auch auf eigenkapitalartige Genussrechte,
20.205
277 Peroz, AG 2018, R71. 278 Ausführlich speziell zu Kryptowährungen Kanders/Thonemann-Micker/Gräfe, ErbStB 2018, 145 ff. 279 Richter/Augel, FR 2017, 937, 948; Kanders/Thonemann-Micker/Gräfe, ErbStB 2018, 145 ff.; Peroz, AG 2018, R71. 280 Dafür Peroz, AG 2018, R71 am Beispiel der „Airdrops“ bei BitCore; dagegen Kanders/Thonemann-Micker/Gräfe, ErbStB 2018, 145, 149 m.w.N. zur Abspaltung von Bitcoin Cash von BitCoin. 281 Richter/Augel, FR 2017, 937, 948.
van Aubel | 745
§ 20 | Initial Coin Offerings (ICOs)
fallen unter § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, Zinsen und Zahlungen sonstiger Genussrechte unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Erhebung erfolgt über Einbehalt der Kaitalertragsteuer, §§ 43 ff. EStG. Für Veräußerungen gilt hier § 20 Abs. 2 EStG, der Veräußerungsgewinne zeitlich unbegrenzt erfasst282.
20.206
Bei (reinen) Utility Tokens ist wieder zu unterscheiden: An- und Verkauf ist wiederum als privates Veräußerungsgeschäft gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar, mit einer Spekulationsfrist von regelmäßig einem Jahr, bei Erzielung von Einkünften auch zehn Jahren. Die private Nutzung von Utility Tokens, um Zugang zu der dahinter stehenden Dienstleistung, etwa dem Computerspiel, zu erhalten, ist hingegen nicht steuerbarer privater Konsum. b) Beschränkte Steuerpflicht
20.207
Eine beschränkte Steuerpflicht hinsichtlich der inländischen Einkünfte ergibt sich für die in § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG aufgeführten Einkünfte aus Kapitalvermögen. Relevant können hier insb. § 49 Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 5 lit. c) bb) EStG sein, die über § 20 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch eigenkapitalähnliche bzw. fremdkapitalähnliche Genussrechte erfassen. Die Erhebung der Steuer erfolgt durch Einbehalt der Kapitalertragsteuer gemäß § 43 ff. EStG, ggf. mit der Möglichkeit der Erstattung aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen. Veräußerungsgewinne auf Tokens werden hingegen von § 49 EStG nicht erfasst.
4. Ausgabe von Tokens an Mitarbeiter und Unterstützer 20.208
Wie oben (Rz. 20.59) gezeigt, erhalten Initiatoren und Mitarbeiter regelmäßig erhebliche Mengen an Tokens als Gegenleistung für die Entwicklungstätigkeit. Bei angestellten Mitarbeitern stellen diese Tokens einen vermögenswerten Vorteil nach § 19 EStG dar, der nach § 38 EStG der Lohnsteuer zu unterwerfen ist – und für die der Arbeitgeber als Haftungsschuldner nach § 42d EStG haftet. Bei freien Mitarbeitern unterfallen die Tokens den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit. In beiden Fällen besteht das Problem, dass die Bewertung auf den Tag des Zuflusses erfolgt (also z.B. auf den Tag des Abschlusses des ICO), spätere Kursverluste spielen auch dann keine Rolle mehr, wenn die Veräußerung aufgrund von Veräußerungsbeschränkungen oder niedrigen Handelsvolumen nicht sofort möglich ist; insoweit wird teilweise von „dry income“ gesprochen283. Zur Vermeidung dieses Problems bietet es sich an, auf die bei klassischen Mitarbeiterbeteiligungsmodellen, etwa im Vorfeld eines IPO, entwickelten Lösungen zurückzugreifen, indem etwa der Zufluss durch Vereinbarung von Optionsmodellen hinausgeschoben wird. Bei diesen findet der Zufluss erst im Zeitpunkt der Ausübung der Option statt284, die der Mitarbeiter je nach Marktlage steuern kann285.
282 Levedag in Schmidt, EStG, § 20 Rz. 126. 283 Zu diesem Problem Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1157. 284 Grundlegend (zu Aktienoptionen) BFH v. 10.3.1972 – VI R 278/68, BFHE 105, 348; bestätigt u.a. von BFH v. 24.1.2001 – I R 119/98, BFHE 195, 110. 285 Vgl. Krüger/Lampert, BB 2018, 1154, 1157.
746 | van Aubel
Initial Coin Offerings (ICOs) | § 20
5. Sonderfall „Mining“, insbesondere von Bitcoins Im Gegensatz zu den bisher betrachteten Fällen werden beim sog. „Mining“ keine Tokens vom Emittenten oder auf dem Zweitmarkt gegen Entgelt erworben, sondern durch Einsatz von (z.T. erheblicher) Rechenleistung selbst geschaffen. Die so erzeugten Tokens werden sodann entweder zur Bezahlung sonstiger Waren oder Dienstleistungen verwendet oder an Krypto-Börsen in andere Tokens oder klassische Währungen umgetauscht286. Der entsprechende Markt hat sich in den letzten zwei Jahren in starkem Umfang professionalisiert; um überhaupt eine Aussicht auf Erfolg zu haben, sind erhebliche Investitionen in Hardware oder zum Einkauf von externer Rechenleistung erforderlich.
20.209
Wenn solche Investitionen getätigt werden, liegt in der Regel auch Einkünfteerzielungsabsicht vor; Liebhaberei scheidet regelmäßig aus, da die Tokens keinen Nutzen in der rein persönlichen Sphäre haben287. Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zur gewerblichen Tätigkeit ist spätestens überschritten, wenn mehrere Server, spezielle Räume oder Stromtarife für Großkunden genutzt werden288. In diesen Fällen liegt eine gewerbliche Tätigkeit i.S.v. § 15 EStG vor289. Mining kann nicht als freier Beruf i.S.v. § 18 EStG qualifiziert werden, da zwar gewisse Fachkenntnisse zur Installation erforderlich sind, die eigentliche Tätigkeit aber automatisiert und rund um die Uhr von den eingesetzten Servern durchgeführt wird290. Der Gewinn aus dem Mining unterliegt der Einkommensteuer und auch der Gewerbesteuer291.
20.210
Beim sog. Pool-Mining schließen sich mehrere Investoren zu Mining-Pools zusammen. Dabei bündeln sie ihre Rechnerkapazitäten, um ihre Chancen auf den sog. Block-Award zu erhöhen. In diesen Fällen wird der einzelne Teilnehmer weiterhin unternehmerisches Risiko tragen und selbständig tätig sein, so dass er weiterhin eine gewerbliche Tätigkeit ausübt292.
20.211
Beim sog. Cloud-Mining hingegen nutzt der Investor keine eigene Hardware, sondern erwirbt von einem Anbieter Rechenleistung, die dann der Anbieter zum Schürfen von Tokens nutzt. Der Investor erhält dann einen Anteil an den so geschürften Tokens nach Abzug von Kosten. In diesen Fällen ist die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zur Gewerblichkeit im Zweifel noch nicht überschritten; die Einkünfte sind vielmehr nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern293.
20.212
Die Leistungen der Miner sind hingegen keine umsatzsteuerbaren Vorgänge, da die „geschürften“ Tokens nicht als Gegenleistung im Rahmen eines Leistungsaustauschverhältnisses erbracht werden294.
20.213
286 287 288 289 290 291 292 293 294
Richter/Augel, FR 2017, 937, 944. Richter/Augel, FR 2017, 937, 944. Richter/Augel, FR 2017, 937, 945. Richter/Augel, FR 2017, 937, 944 f.; Peroz, AG 2018, R71, R71 f.; Wacker in Schmidt, EStG, § 15 Rz. 150 unter „Bitcoin-Mining“. Richter/Augel, FR 2017, 937, 945. Richter/Augel, FR 2017, 937, 945 f. Dazu ausführlich Richter/Augel, FR 2017, 937, 946 f. Dazu ausführlich Richter/Augel, FR 2017, 937, 947 f. BMF-Schreiben vom 27.2.2018, S. 2.
van Aubel | 747
§ 21 Asset-Backed Securities I. Grundstruktur einer Verbriefungstransaktion . . . . . . . . . 1. Anleihe-Transaktion . . . . . . . 2. Transaktion im Rahmen eines Conduit-Programmes . . . . . . 3. STS-Verbriefungen . . . . . . . .
.. .. .. ..
II. Insolvenzrechtliche Strukturierungsüberlegungen . . . . . . . . . . 1. Verbriefbare Vermögenswerte eines Unternehmens . . . . . . . . . a) Handelsforderungen . . . . . . . . b) Leasing- und Mietforderungen . c) Grundstücksbezogene Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbriefung von Immobilien-Mietforderungen . . . bb) Grundschuldbesichertes Darlehen . . . . . . . . . . . . . cc) Sale and lease-back . . . . . . d) Whole Business Securitisation . aa) Kontrolle über die verbrieften Vermögenswerte . . . . . bb) Verbriefung als Instrument der Akquisitionsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . .
__ __ _ __ _ _ _ __ _ _ _
21.1 21.3
21.7 21.9a
21.10 21.10 21.13 21.16 21.21 21.22 21.23 21.25 21.26 21.27 21.30
2. Forderungskauf und Abtretung . a) Abtretung und Aussonderungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umdeutung in eine Sicherungsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . c) Refinanzierungsregister . . . . . . aa) Voraussetzungen einer wirksamen Eintragung . . . . bb) Eintragungsfähige Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . (1) Abtretungshindernisse . . . . (2) Ausländische Forderungen . cc) Aussonderungsrecht . . . . . d) Anfechtung des Erwerbs des SPV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzfestigkeit von Verbriefungsverträgen . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.
Steuerrechtliche Gesichtspunkte Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . Einkommensteuer . . . . . . . . . . Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . a) MKG-Rechtsprechung . . . . . . b) § 13c UStG . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
_ _ __ _ __ __ _ _ __ __ __
21.31 21.31
21.31a 21.36 21.37 21.39 21.40 21.41 21.43 21.46 21.47 21.50 21.50 21.52 21.53 21.53 21.57
Schrifttum: Arlt, True Sale Securitisation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland und Italien, 2009; Bartsch, Die Geister, die ich rief … Das Trauerspiel der aktuellen Finanzmarktkrise in drei Akten, NJW 2008, 3337; Baums, Asset-Backed Finanzierungen im deutschen Wirtschaftsrecht, WM 1993, 1; Fleckner, Insolvenzrechtliche Risiken bei Asset Backed Securities, ZIP 2004, 585; Fleckner, Das Refinanzierungsregister – Tatbestandliche Grenzen und Vorschläge zur Verbesserung, WM 2006, 697; Früh, Asset Backed Securities/Securitization am Finanzplatz Deutschland, BB 1995, 105; Kaiser in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Abschnitt E III.; Lackhoff, Was ist (k)eine Verbriefung?, WM 2012, 1851; Meister, Die neue Rolle von Verbriefungen in Deutschland und Europa, Kreditwesen 2015, 869; Obermüller, Das Refinanzierungsregister, ZInsO 2005, 1079; Pannen/Wolff, ABS-Transaktionen in der Insolvenz des Originators, ZIP 2006, 52; Sethe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a; Tollmann, Die Sicherstellung der Insolvenzfestigkeit bei der Asset Backed Securitization nach dem neuen Refinanzierungsregister gemäß §§ 22a ff. KWG, WM 2005, 2017; Waschbusch, Asset Backed Securities – eine moderne Form der Unternehmensfinanzierung, ZBB 1998, 408; Weber, Die insolvenzfeste Refinanzierung von Forderungen durch Asset-Backed Securities, 2011.
I. Grundstruktur einer Verbriefungstransaktion 21.1
Asset-Backed Securities sind Wertpapiere (securities), die durch Vermögenswerte (assets) gedeckt (backed) sind. Im Rahmen der Unternehmensfinanzierung werden Asset-Backed Securities eingesetzt, indem ein Unternehmen einen Teil seiner Aktiva zur Deckung einer 748 | Geiger
Asset-Backed Securities | § 21
Kapitalmarktfinanzierung verwendet. Eine derartige Transaktion nennt man auch eine Verbriefung von Vermögenswerten. Unternehmen setzen sie primär zur Finanzierung ein, daneben auch zur Verbesserung der Bilanzkennzahlen und bisweilen auch zur Risikosteuerung. Ein Unternehmen, das einen Teil seines Finanzierungsbedarfs1 über Asset-Backed Securities decken möchte, d.h. Vermögenswerte verbriefen will, steht prinzipiell vor der Alternative, eine durch Vermögenswerte gedeckte Anleihe direkt am Kapitalmarkt zu platzieren oder eines der zumeist von Banken aufgesetzten und verwalteten Asset-Backed Conduit-Programmen zu nutzen.
21.2
1. Anleihe-Transaktion 21.3
Die Grundform einer Verbriefungstransaktion lässt sich wie folgt darstellen: Treuhänder Unternehmen
Kaufvertrag Verwaltungsvertrag
SPV
Anleihe
Investoren
Administrator
Das verbriefende Unternehmen (originator) verkauft und überträgt die zu verbriefenden Vermögenswerte auf eine speziell für die Transaktion gegründete, vom verbriefenden Unternehmen unabhängige Zweckgesellschaft (special purpose vehicle; SPV)2. Das SPV wird so strukturiert, dass es nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen insolvent werden kann (insolvency remoteness). Um dies zu erreichen, müssen alle Transaktionsbeteiligten sich verpflichten, auf die Stellung eines Insolvenzantrages zu verzichten (non-petition) und nur auf die jeweils beim SPV vorhandenen Vermögenswerte zur Befriedigung ihrer Ansprüche zuzugreifen (limited recourse).
21.4
Das SPV refinanziert den Kaufpreis über die Ausgabe einer Anleihe am Kapitalmarkt. Die Anleihe wird durch Banken (managers) am Kapitalmarkt platziert3. Da das SPV keine Angestellten hat, sondern allein durch seine Direktoren handelt, werden die mit dem Vermögenserwerb und deren Refinanzierung verbundenen Aufgaben und Tätigkeiten auf dritte Dienstleister übertragen. Insbesondere übernimmt ein Kontoverwalter (cash administrator)
21.5
1 Unternehmen kann generell nicht empfohlen werden, ihren gesamten oder den weit überwiegenden Teil ihres Finanzierungsbedarfs über Verbriefungstransaktionen zu decken. Dazu ist die Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes und die Verfügbarkeit von verbriefbaren Vermögenswerten in der Regel zu unsicher, wie nicht zuletzt im Zuge der Finanzkrise deutlich wurde; dazu Bartsch, NJW 2008, 3337 ff. 2 Eine Erlaubnis nach dem KWG benötigt das SPV dafür meist nicht. Insbesondere unterscheidet sich die Funktion des SPV von der eines Factoring-Unternehmens, so dass § 1 Abs. 1a, Satz 2 Nr. 9 KWG nicht greift, s. BT-Drucks. 16/11108, S. 55. 3 In der Regel wird die Anleihe am Euromarkt platziert, selten daneben auch über Rule 144A zum Securities Act of 1933 in den U.S.A. an institutionelle Investoren (qualified institutional buyers, QIBs).
Geiger | 749
§ 21 | Asset-Backed Securities
die Verwaltung der beim SPV eingehenden und ausgehenden Zahlungen. Ein weiterer Verwalter (corporate administrator) sorgt dafür, dass die gesellschaftsrechtlich und behördlich erforderlichen Rechtsakte vollzogen und Berichte und Bilanzen erstellt werden. Ein Treuhänder (security trustee) überwacht die Abwicklung der Transaktion für die Gläubiger des SPV, insbesondere für die Anleihegläubiger. In der Regel werden dem Treuhänder von dem SPV zu diesem Zweck Sicherungsrechte an den verbrieften Vermögenswerten eingeräumt.
21.6
Die auf die Vermögenswerte geschuldeten Zahlungen (collections) werden auf der Grundlage eines Verwaltungsvertrages weiterhin vom Unternehmen eingezogen und an das SPV weitergeleitet4. Zur Sicherstellung der Weiterleitung erhält das SPV ein Pfandrecht an den zur Einziehung verwendeten Konten des Unternehmens5. Sofern es sich bei den verbrieften Vermögenswerten um Forderungen handelt, bleibt die Zession an das SPV in der Regel still. Die Offenlegung erfolgt in diesen Fällen erst dann, wenn die durch das SPV erteilte Einziehungsermächtigung entzogen wird, etwa weil das Unternehmen seinen Pflichten aus dem Verwaltungsvertrag nicht ordnungsgemäß nachkommt oder wegen mangelnder Bonität Anlass zur Sorge besteht, dass das Unternehmen diesen Pflichten nicht mehr wird nachkommen können6. Aus den auf die Vermögenswerte eingehenden Zahlungen bezahlt das SPV Zins und Tilgung der Anleihe sowie die durch die Transaktion entstehenden Kosten.
2. Transaktion im Rahmen eines Conduit-Programmes 21.7
Die oben beschriebene Verbriefungsstruktur lohnt sich angesichts der anfallenden Kosten7 erst ab einem bestimmten Transaktionsvolumen. Dieses variiert je nach Einzelfall, regelmäßig geht man von einem mindestens erforderlichen Anleihebetrag von rund 250 bis 300 Mio. Euro aus. Kleinere Portfolien werden über sog. Conduit-Programme verbrieft, die zumeist von Banken sowohl zur Verbriefung von eigenen Vermögenswerten als auch von Aktiva ihrer Kunden aufgesetzt und verwaltet werden. Nahezu alle größeren im deutschen Markt tätigen Banken bieten ihren Kunden solche Conduit-Programme an8. 4 Eine Lizenz nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ist dafür gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 RDG nicht erforderlich. Anderes gilt für einen nicht mit dem Unternehmen verbundenen Ersatzverwalter. 5 In der Insolvenz des Unternehmens wird ein Ersatzaussonderungsanspruch des SPV gemäß § 48 Satz 2 InsO vereitelt, soweit die vor Insolvenz auf die verkauften Vermögenswerte eingegangenen Zahlungen nach Insolvenz nicht mehr unterscheidbar in der Masse vorhanden sind; sog. co-mingling risk. Dagegen soll das Pfandrecht schützen (s. Arlt, True Sale Securitisation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland und Italien, S. 215 f.; kritisch Kaiser in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Rz. E 117 unter Hinweis auf die Entscheidung BGH v. 25.6.2009 – IX ZR 98/08, NJW 2009, 2677, die jedoch das Handelskontokorrent und nicht das Kontokorrentkonto betraf, s. BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 111/08 Rz. 6). Die nach Insolvenz eingehenden Zahlungen darf der Insolvenzverwalter nicht mit anderen Geldern vermengen, diesbezüglich besteht das Risiko folglich nicht. 6 Ein völliger Ausschluß der Offenlegung würde die Wirksamkeit der Abtretung in Zweifel ziehen, s. nur Grüneberg in Palandt, BGB, § 398 Rz. 4. 7 Für Ratingagenturen, platzierende Banken, Treuhänder, Rechtsanwälte etc. 8 Z.B. Silver Tower (Commerzbank), Arabella (Unicredit Bank), Corelux (Bayerische Landesbank), Lake Constance (Landesbank Baden-Württemberg), Coral Capital (DZ Bank), Opus Alpha (Helaba).
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Asset-Backed Securities | § 21
Verbrieft das Unternehmen Vermögenswerte im Rahmen eines Conduit-Programmes, so ergeben sich einige Modifikationen zur Grundstruktur9:
21.8
Holding-SPV Unternehmen
Kaufvertrag Verwaltungsvertrag
Ankaufs-SPV
Emissions-SPV Auftragsvertrag
Investoren commercial paper
Liquiditätsfazilität
Administrator
Fazilitätsbank
Das Unternehmen verkauft Vermögenswerte an ein SPV, das als Ankaufsgesellschaft fungiert. Dieses Ankaufs-SPV besorgt sich die Refinanzierung des Kaufpreises über einen Auftragsvertrag (commissioning agreement) oder Darlehensvertrag mit einem weiteren SPV, das als Emittent von Wertpapieren am Kapitalmarkt auftritt. Die Wertpapiere haben meist eine relativ kurze Laufzeit von unter einem Jahr und werden als commercial paper bezeichnet. Das Emissions-SPV schließt eine Vielzahl von Auftragsverträgen mit verschiedenen Ankaufs-SPVs ab, wobei das Emissions-SPV und die Ankaufs-SPVs konzernrechtlich miteinander verbunden sind. Der Erwerber der emittierten Wertpapiere weiß in diesen Fällen nicht, welches der durch das Conduit-Programm refinanzierten Unternehmen die Vermögenswerte an das Ankaufs-SPV übertragen hat, die durch die ausgegebenen Wertpapiere refinanziert werden. Ein solches Vorgehen ist für den Anleger aus zwei Gründen akzeptabel: Zum einen erhalten die begebenen Schuldverschreibungen in der Regel ein Rating von mindestens zwei der drei weltweit operierenden Ratingagenturen10. Zum anderen werden einige der mit Verbriefungstransaktionen verbundenen Risiken von einer oder mehreren Banken getragen, und zwar einerseits aufgrund von Bonitätshilfen, die die Kreditqualität des verbrieften Portfolios verbessern, und andererseits aufgrund einer Liquiditätsfazilität. Die Liquiditätsfazilität wird primär für den Fall gestellt, dass eine Refinanzierung der kurzfristig fällig werdenden commercial paper über den Kapitalmarkt aufgrund einer Marktstörung nicht möglich ist (market disruption). Da jedoch in den letzten Jahren der Markt asset-backed commercial paper (ABCP) nur dann akzeptierte, wenn die arrangierende Bank die volle Haftung für das Programm übernahm (fully supported programme), decken die Liquiditätsfazilitäten heute in den meisten Fällen auch das mit den Forderungen verbundene Kreditrisiko vollständig ab. Eine Begebung von gerateten commercial paper ist nicht möglich, ohne dass eine entsprechende Liquiditätsfazilität zur Verfügung steht. Eine durch commercial paper refinanzierte Verbriefung gibt dem Unternehmen folglich Finanzierungssicherheit nur für die Laufzeit der Liquiditätsfazilität.
21.9
3. STS-Verbriefungen Neuerdings sind zwei Kategorien von Verbriefungen zu unterscheiden. Die VO 2017/2402 (STS) führt sog. STS-Verbriefungen (simple, transparent, standardised) ein und sieht für 9 Die Strukturen variieren je nach Conduit-Programm. Im Text wird eine für den deutschen Markt typische Struktur dargestellt. 10 Moody’s Investors Service, S&P Global Ratings und Fitch Ratings, Ltd. Daneben spielen die kanadische Agentur DBRS Ltd. sowie die europäische Agentur Scope Ratings eine gewisse Rolle.
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21.9a
§ 21 | Asset-Backed Securities
diese als besonders hochwertig angesehenen Verbriefungen Vergünstigungen in Bezug auf die bankaufsichtsrechtliche Behandlung der von Banken übernommenen Verbriefungspositionen vor. Folglich werden Banken ab 1.1.2019 STS-Verbriefungen deutlich billiger anbieten können als solche, die die STS-Anforderungen nicht erfüllen. Die STS-Anforderungen unterscheiden sich je nachdem, ob es sich um eine ABCP-Verbriefung11 oder eine Nicht-ABCP-Verbriefung12 handelt. Damit ein Conduit-Programm in die STS-Kategorie fällt, müssen gemäß Art. 26 Abs. 1 VO 2017/2402 (STS) sämtliche Transaktionen im Rahmen dieses Programms den STS-Anforderungen in den wesentlichen Punkten genügen. Diese im Einzelnen noch durch technische Ausführungsbestimmungen zu konkretisierenden Kriterien werden sich auch auf die Art und Charakteristika der über ConduitProgramme verbrieften Vermögenswerte auswirken.
II. Insolvenzrechtliche Strukturierungsüberlegungen 1. Verbriefbare Vermögenswerte eines Unternehmens 21.10 Verbrieft werden können prinzipiell alle Vermögenswerte eines Unternehmens, die stabile
und möglichst gut vorhersehbare Zahlungsströme generieren. Die Fälligkeiten der Vermögenswerte müssen dabei nicht notwendigerweise mit den Fälligkeiten der zur Refinanzierung begebenen Schuldverschreibungen übereinstimmen. Langlaufende Vermögenswerte wie Leasing- oder Darlehensforderungen werden über commercial paper refinanziert, die jeweils bei Fälligkeit durch neu begebene commercial paper zurückgezahlt werden. Sollte der commercial paper-Markt nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, muss die in Rz. 21.9 beschriebene Liquiditätsfazilität gezogen werden, was allerdings zu deutlich höheren Refinanzierungskosten führt. Umgekehrt werden kurzfristig fällig werdende Aktiva durch langfristige Schuldverschreibungen refinanziert, wobei die fällig gewordenen Vermögenswerte durch gleichartige Vermögenswerte desselben verbriefenden Unternehmens ersetzt werden. Die durch fristeninkongruente Refinanzierung entstehenden Zinsrisiken werden über Zinsswaps oder Zinscaps des SPV mit einer geeigneten Bank abgesichert.
21.11 Auf stabile und gut vorhersehbare Zahlungsströme wird deswegen Wert gelegt, weil durch diese Zahlungsströme Zins- und Tilgungsansprüche der Anleihegläubiger bedient werden sollen und Gläubiger von Rentenpapieren wie den Asset-Backed Securities pünktliche Zahlung von Zins und Tilgung erwarten13.
21.12 Eines der Hauptziele bei der Strukturierung von Verbriefungstransaktionen besteht darin,
diese Zahlungsströme auch für den Fall der hypothetischen Insolvenz des Unternehmens für die Anleger zu reservieren. Erst dadurch wird ein Rating der Asset-Backed Securities ermöglicht, das besser ist als das Rating des verbriefenden Unternehmens und das damit zu geringeren Refinanzierungskosten führt. Würde dies nicht gelingen, so wäre die Verbriefungstransaktion in den meisten Fällen sinnlos, da wenigstens eine gleich hohe Marge
11 Artt. 23 ff. VO 2017/2402 (STS). 12 Artt. 18 ff. VO 2017/2402 (STS). 13 Im Rahmen des von den Ratingagenturen vergebenen Ratings einer Anleihe wird in der Regel die Wahrscheinlichkeit von pünktlicher Zahlung von Zins einerseits und Tilgung der Anleihe zur Endfälligkeit andererseits bewertet.
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auf die Asset-Backed Securities bezahlt werden müsste wie auf eine unbesicherte Anleihe des verbriefenden Unternehmens14. a) Handelsforderungen Als verbriefbare Vermögenswerte kommen vor allem Forderungen in Betracht. Die praktisch bedeutsamste Gruppe von verbriefbaren Forderungen bilden die Handelsforderungen, also Forderungen aus Lieferung und Leistung. Selbst wenn ihre Abtretbarkeit durch vertragliche Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner nach § 399 Fall 2 BGB ausgeschlossen sein sollte, ist die Abtretung an ein SPV gemäß § 354a HGB dennoch wirksam möglich, soweit das der Forderung zugrundeliegende Rechtsgeschäft für beide Seiten ein Handelsgeschäft darstellt oder der Schuldner eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist15.
21.13
Im Falle der Insolvenz des verbriefenden Unternehmens unterliegen die den Handelsforderungen zugrundeliegenden Kaufverträge nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO. Dies gilt selbst dann, wenn – wie in den meisten Fällen üblich – die verkaufte Ware mit einem Eigentumsvorbehalt belegt ist, also keine der beiden Parteien – Käufer und Verkäufer – ihre Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag vollständig erfüllt hat. In diesen Fällen hilft nach überwiegender Auffassung § 107 Abs. 1 InsO. Danach ist der Käufer berechtigt, die Erfüllung des Kaufvertrages vom insolventen Verkäufer zu verlangen, sofern er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft und den Besitz vom Verkäufer übertragen erhalten hat. Die Vorschrift wird von der herrschenden Meinung dahingehend interpretiert, dass dem Insolvenzverwalter des Verkäufers insofern das Wahlrecht des § 103 Abs. 1 InsO nicht zusteht16. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil die Rechtsprechung selbst im Falle der Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter annimmt, dass eine vor Insolvenz erfolgende Abtretung der vertraglichen Ansprüche wegen § 91 Abs. 1 InsO keine Wirkung entfaltet17.
21.14
Hat das verbriefende Unternehmen einen verlängerten Eigentumsvorbehalt mit einem Lieferanten vereinbart, also die Kundenforderung an den Lieferanten vorausabgetreten, ist eine wirksame Abtretung an ein SPV eigentlich ausgeschlossen, da die zeitlich frühere
21.14a
14 Der Kapitalmarkt verlangt einen Aufschlag für Asset-Backed Securities im Vergleich zu gleich gut gerateten unstrukturierten Wertpapieren. Dies ist mit der typischerweise geringeren Liquidität von Asset-Backed Securities und mit der größeren Komplexität solcher Anleihen zu erklären. Dieser Aufschlag schmolz bis zum Sommer 2007 zusammen, weitete sich im Zuge der Finanzkrise deutlich aus, ist seit Anfang 2012 wieder rückläufig und mittlerweile – nicht zuletzt wegen des am 4. September 2014 beschlossenen EZB-Ankaufsprogramms ABSPP – wieder weitgehend auf Vorkrisenniveau gesunken. 15 Gewisse Probleme kann allerdings das Recht des Schuldners nach sich ziehen, auch nach Kenntnis von der Abtretung an den alten Gläubiger zu zahlen, s. § 354a Abs. 1 Satz 2 HGB. Ein solches Verhalten des Schuldners ist aus Verbriefungssicht unerwünscht, sobald dem verbriefenden Unternehmen etwa wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse die Einziehungsermächtigung bezüglich der Forderungen entzogen ist, s. Rz. 21.6. 16 S. Adolphsen in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 41, Rz. 13; Ott/Vuia in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 107 Rz. 12; Balthasar in Nerlich/Römermann, InsO, § 107 Rz. 9; Kroth in Braun, InsO, 6. Aufl. 2017, § 107 Rz. 7; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 107 Rz. 24. 17 S. BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236, 241 ff. Die Literatur hat dem teilweise heftig widersprochen, s. die Nachweise bei Kreft, ZIP 1997, 865, 866.
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Abtretung wirksam ist18. Jedoch kann diese Kundenforderung dennoch verbrieft werden, sofern die von der Rechtsprechung auch konkludent angenommene Einwilligung des Vorbehaltslieferanten in die Weiterabtretung greift19: Dafür muss der Verkaufserlös betragsmäßig ausreichen, um den Lieferanten zu befriedigen, und dem verbriefenden Unternehmen zur freien Verfügung überlassen worden sein. Der Verkaufserlös darf also etwa nicht schon im Rahmen eines cash pools verplant worden sein oder unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung wegen Bonitätsrisiken stehen. Unbeachtlich ist dagegen, ob der Verkaufserlös vom verbriefenden Unternehmen tatsächlich zur Begleichung der Lieferantenforderungen verwendet wird.
21.15 Ebenso wie die Verbriefbarkeit von Handelsforderungen wegen der Anforderungen des
§ 107 Abs. 1 InsO voraussetzt, dass der zugrundeliegende Kaufvertrag durch den Verkäufer bis auf den Bedingungseintritt im Rahmen eines Eigentumsvorbehaltes vollständig erfüllt sein muss, setzt auch die Verbriefung von Forderungen aus Werkverträgen oder Dienstleistungsverträgen voraus, dass das verbriefende Unternehmen sämtliche Leistungen erbracht hat, die erforderlich sind, damit der Lohnanspruch durchgesetzt werden kann. b) Leasing- und Mietforderungen
21.16 Des Weiteren sind häufig Leasing- und Mietforderungen Gegenstand von Verbriefungs-
transaktionen. In der Insolvenz des Vermieters oder Leasinggebers wird das SPV als Abtretungsempfänger über § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO geschützt. Obwohl die Vorschrift im internationalen Vergleich als verbriefungsfreundlich gelten kann20, ist zu beklagen, dass die Vorschrift in vielen Punkten unklar ist und einschlägige Rechtsprechung zum Thema so gut wie völlig fehlt21.
In der Praxis bedeutsam sind vor allem drei Problemkreise:
21.17 (1) Das Tatbestandsmerkmal der Sicherungsübereignung ist im Zusammenhang mit ei-
nem Forderungsverkauf nur dann sinnvoll, wenn die Sicherungsübereignung als Sicherungszweck die Sicherung der Ansprüche gegen den Verkäufer vorsieht. Dagegen dient die Sicherungsübereignung gerade nicht der Sicherstellung der Zahlung der Forderungsschuldner, da ein Forderungsverkäufer dafür im Falle des regresslosen Forderungsverkaufs nicht haftet (s. Rz. 21.31a). Würde die Sicherungsübereignung auch das mit den Forderungen verbundene Bonitätsrisiko abdecken, würde man eine Umqualifizierung des Forderungsverkaufs in ein durch die Forderungen besichertes Darlehen vornehmen müssen22.
18 Ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH v. 30.4.1959 – VII ZR 19/58, BGHZ 30, 149, 151. 19 S. zum (echten) Factoring etwa BGH v. 15.4.1987 – VIII ZR 97/86, BGHZ 100, 353, 360. 20 In vielen anderen europäischen Rechtsordnungen, in denen es keine entsprechende Vorschrift gibt, müssen komplexe Verbriefungsstrukturen aufgesetzt werden, um eine hinreichende Sicherung der Anleihegläubiger zu erreichen (so etwa in den Niederlanden und der Schweiz). In Frankreich und Italien hat Spezialgesetzgebung für Verbriefungen sich des Themas angenommen (s. zu Italien: Arlt, True Sale Securitisation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland und Italien, S. 474 ff.; zu Frankreich: Leavy in Sigman/Kieninger (Hrsg.), Cross Border Security over Receivables, 2009, S. 142 f.). 21 Auch die Aufarbeitung der sich stellenden Probleme in der Literatur ist bislang nur ansatzweise erfolgt. Einen guten Überblick gibt Peters, ZIP 2000, 1759 ff.; s. auch R. Koch in Graf von Westphalen, Der Leasingvertrag, 7. Aufl. 2015, Rz. R 92 ff. 22 Dies entspricht der Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Factoring, wie sie die Rechtsprechung vornimmt, s. etwa BGH v. 19.9.1977 – VIII ZR 169/76, NJW 1977, 2207 sowie BGH
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Asset-Backed Securities | § 21
(2) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO muss die Sicherungsübereignung des Leasing- bzw. Mietobjektes im nahen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Erwerb bzw. der Herstellung des Objektes durch den Leasinggeber bzw. Vermieter erfolgt sein. Der sachliche Zusammenhang erfordert, dass die Sicherungsübereignung im Rahmen einer objektbezogenen Finanzierung gewährt wurde, also nicht als Sicherheit für einen allgemeinen Betriebsmittelkredit dient. Wie viel Zeit zwischen dem Erwerb bzw. der Herstellung des Objektes und der Sicherungsübereignung liegen darf, ohne dass der zeitliche Zusammenhang verloren geht, ist nicht geklärt. Die Praxis geht davon aus, dass ein Zeitraum von drei Monaten die Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht verhindert. Ein längerer Zeitraum wird dann als hinnehmbar angesehen, wenn von vornherein die Absicht bestand, das fragliche Objekt im Wege der Sicherungsübereignung an einen Finanzier zu übertragen23.
21.18
(3) Beinhalten die Miet- oder Leasingverträge, die den verbrieften Forderungen zugrundeliegen, die Verpflichtung des Leasinggebers bzw. Vermieters, das Objekt zu warten, wie dies in § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB als Regelfall normiert ist, jedoch in Leasingverträgen zumeist abgedungen wird, so genügt § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Insolvenzfestigkeit der Struktur allein noch nicht. Denn der Mieter wird berechtigterweise kündigen, wenn zwar das Mietverhältnis in der Insolvenz des Vermieters weiterläuft, die durch den Vermieter geschuldeten Wartungsleistungen aber durch den Insolvenzverwalter nicht erbracht werden24. In diesen Fällen muss daher notfalls die Erbringung der Wartungsleistungen durch einen geeigneten Dritten (back-up servicer) sichergestellt werden. Dazu sollte dem Leasinggeber bereits im Leasingvertrag vom Leasingnehmer das Recht eingeräumt sein, diese Leistungen durch einen Dritten erbringen zu lassen, da der Leasingnehmer ansonsten Erfüllung durch den Dritten zumindest dann nach § 267 BGB ablehnen könnte, wenn weder der für den Leasinggeber handelnde Insolvenzverwalter noch der Leasingnehmer damit einverstanden sind. Die fragliche Klausel des Leasingvertrages ist zwar nicht an § 309 Nr. 10 BGB zu messen, da die Vorschrift nur auf Kauf-, Darlehens-, Dienst- und Werkverträge Anwendung findet, jedoch wird man den Rechtsgedanken im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB zu berücksichtigen haben25. In vielen Fällen spielt das Problem allerdings praktisch kaum eine Rolle, weil der Leasinggeber ohnehin die Wartungsleistung nicht selbst erbringt und auch nicht erbringen kann, sondern auf Dritte, wie etwa
21.19
v. 8.5.2014 – IX ZR 128/12, WM 2014, 1348 f. S. auch BFH v. 5.5.1999 – XI R 6/98, DB 1999, 1733 und BFH v. 26.8.2010 – I R 17/09, DStR 2010, 2455 ff. zu § 8 Nr. 1 GewStG; dazu und abweichend von der hier vertretenen Auffassung Peters, DB 2002, 864, 868; s. aber differenzierend zwischen insolvenz- und gewerbesteuerlichen Anforderungen Peters in Lwowski/Fischer/ Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2018, § 14 Rz. 103 ff. Schwierig ist im Einzelnen die Abgrenzung zwischen dem Veritätsrisiko, das typischerweise den Verkäufer trifft und daher durch die Sicherungsübereignung abgedeckt werden darf, und dem Bonitätsrisiko, s. dazu etwa Berninghaus in Martinek/Stoffels/Wimmer-Leonhardt, Handbuch des Leasingrechts, 2. Aufl. 2008, § 74 Rz. 44 ff. 23 Peters, ZIP 2000, 1759, 1764; Eckert in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 108 Rz. 46; allein auf von vornherein beabsichtigte Sicherungsübereignung abstellend Jacoby in Jaeger, Insolvenzordnung, 2014, § 108 Rz. 211. 24 Diese Zusatzleistungen werden nach herrschender Meinung als Folge des § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO auch von der Masse geschuldet, s. etwa Sinz in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 108 Rz. 139 sowie Eckert in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 108 Rz. 64 mit Nachweisen auch zur Gegenauffassung. 25 S. etwa Wurmnest in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 309 Nr. 10 Rz. 5 unter Hinweis auf Nr. 1p der RL 93/13/EWG und Rz. 10 bezüglich Unternehmern.
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§ 21 | Asset-Backed Securities
den Hersteller des Leasingobjektes zurückgreifen muss und dies im Leasingvertrag bereits angelegt ist. Das SPV selbst muss in diesen Fällen lediglich das Wartungsentgelt an den Drittdienstleister weiterleiten können, wenn der Leasinggeber dafür nicht mehr die Gewähr bietet.
21.20 Soweit der Leasingvertrag demgemäß nach § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Insolvenz des
Leasinggebers weiterläuft, ist die Abtretung der darunter entstehenden Leasingforderungen trotz § 91 Abs. 1 InsO wirksam, auch soweit die Forderungen sich auf die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leasinggebers beziehen. Selbst wenn man die unter dem früheren § 21 KO maßgebliche Unterscheidung zwischen betagten und bedingten Forderungen auch unter der InsO weiter für relevant hält, sind Leasingforderungen betagte und nicht bedingte oder künftige Forderungen, weil alle Voraussetzungen für ihr Entstehen bereits angelegt sind, sobald der Leasingvertrag abgeschlossen ist26. Ausgleichszahlungen, die aufgrund einer unberechtigten, vor Ablauf der kalkulierten Vertragsdauer erfolgenden Beendigung des Leasingvertrages durch den Leasingnehmer fällig werden, sind ebenfalls trotz zwischenzeitlicher Insolvenz des Leasinggebers wirksam erworben worden, da es sich hierbei letztlich um Schadensersatzansprüche gemäß §§ 280 ff. BGB handelt27. Dagegen sind Ansprüche aus einem Kaufvertrag über den Leasinggegenstand, der nach Ablauf der Grundmietzeit durch Ausübung einer Kaufoption oder eines Andienungsrechts zustande kommt, noch von einer Entscheidung des Leasingnehmers bzw. des Leasinggebers abhängig, resultieren nicht mehr allein aus dem Leasingvertrag, sondern bewirken eine Veränderung der sachenrechtlichen Zuordnung und konnten damit früher im Falle der Insolvenz des Leasinggebers gemäß § 21 KO nicht wirksam erworben werden28. Jedoch ist seit Inkrafttreten der InsO weder die Unterscheidung zwischen betagten und bedingten Forderungen noch die Änderung der sachenrechtlichen Zuordnung von Bedeutung. Vielmehr ist entscheidend, ob eine Verkürzung der Masse stattfindet, und eine solche ist auch in Bezug auf Restwertforderungen nicht ersichtlich, die aufgrund einer Ausübung von Kaufoptionen bzw. Andienungsrechten entstehen29. c) Grundstücksbezogene Vermögenswerte
21.21 Unternehmen verwenden ihre grundstücksbezogenen Vermögenswerte nicht nur als Sicherheit für den klassischen Bankkredit, sondern machen sie in vielfältiger Weise für Verbriefungstransaktionen nutzbar.
26 BGH v. 14.12.1989 – IX ZR 283/88, BGHZ 109, 368, 372 ff.; Breuer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 91 Rz. 36 ff.; Klinck, KTS 2007, 37, 60; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 91 Rz. 30; a.A.: Hölzle/Gessner, ZIP 2009, 1641, 1644 ff., unter Hinweis darauf, dass Leasingforderungen erst dann als für Zwecke des § 91 Abs. 1 InsO hinreichend konkretisiert gelten können, wenn sie aufgrund des Ablaufs der entsprechenden Periode werthaltig geworden seien. 27 Zur Stellung des Zessionars in diesen Fällen: Roth in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 398 Rz. 97; s. auch Sinz in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 108 Rz. 140; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 7.39; Klinck in Martinek/Stoffels/Wimmer-Leonhardt, Handbuch des Leasingrechts, 2. Aufl. 2008, § 50 Rz. 19; aA: Martinek/Omlor in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 103 Rz. 37. 28 BGH v. 14.12.1989 – IX ZR 283/88, BGHZ 109, 368, 372 ff. 29 Ähnlich Peters in Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2018, § 14 Rz. 90; dagegen Sinz in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 108 Rz. 140 und Ganter in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 47 Rz. 242, sofern nicht der Kaufvertrag schon zusammen mit dem Leasingvertrag unter einer aufschiebenden Potestativbedingung abgeschlossen wurde.
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aa) Verbriefung von Immobilien-Mietforderungen Die Insolvenzfestigkeit der Abtretung von Immobilien-Mietforderungen setzt wegen § 1124 Abs. 2 BGB und § 110 InsO die Absicherung der Abtretung im Grundbuch voraus. Ansonsten würde die Abtretung im Falle der Insolvenz des verbriefenden Unternehmens nur bis zu einem Monat nach Beschlagnahme bzw. einschließlich des Monats wirksam sein, in den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt. Ist die Abtretung dagegen mit Hilfe eines im Grundbuch eingetragenen Rechts abgesichert, bestimmt sich das Verhältnis zu etwa im Übrigen ebenfalls eingetragenen Grundpfandrechten Dritter nach dem Rangverhältnis der eingetragenen Rechte. Zur derartigen Absicherung der Forderungsabtretung eignet sich vor allem das althergebrachte Instrument des Nießbrauchs gemäß §§ 1030 ff. BGB, unter Umständen auch in der Form des Dauerwohnrechts nach §§ 31 ff. WEG30. Letzteres hat gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 WEG den Vorteil der unbeschränkten Übertragbarkeit, die wegen der üblicherweise verlangten Sicherungsübertragung aller durch das SPV gehaltenen Gegenstände auf den Treuhänder eine Rolle spielen kann. Allerdings lassen sich nach § 32 WEG mit einem Dauerwohnrecht nur Wohnungen belasten, für die die Baubehörde die Abgeschlossenheit bescheinigt hat.
21.22
bb) Grundschuldbesichertes Darlehen Alternativ zur in Rz. 21.22 beschriebenen Struktur reicht das emittierende SPV ein Darlehen an das verbriefende Unternehmen aus. Grundschulden am zu verbriefenden Grundbesitz besichern das Darlehen31. Diese werden dabei in der Regel zu Gunsten eines Kreditinstituts bestellt, das als Treuhänder der Transaktion agiert. Die Notwendigkeit, mit dieser Funktion ein Kreditinstitut zu betrauen, ergibt sich aus der Entscheidung des BGH vom 24.6.200332. Darin wird die Insolvenzfestigkeit der Treuhand im Grundstücksrecht wegen des Offenkundigkeitsprinzips abgelehnt, soweit sie nicht grundbuchlich etwa mit Hilfe einer (Notar- und Eintragungskosten auslösenden) Vormerkung abgesichert wird. Zwar kann man zweifeln, ob diese Erwägungen auch auf Grundschulden Anwendung finden können33, jedoch besteht zumindest eine gewisse Unsicherheit, ob die Grundschulden in einer hypothetischen Insolvenz des Treuhänders in die Masse fallen, auch wenn fraglich ist, ob ein Insolvenzverwalter des Treuhänders isolierte Grundschulden verwerten könnte – die besicherten Forderungen stehen ja dem SPV selbst zu. Die Praxis wich daher bis 2014 auf die Bestellung eines CRR-Instituts in einer europäischen Jurisdiktion aus, in der das Rechtsinstitut der Treuhand weitergehend anerkannt ist als in Deutschland34. In 30 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 8.491 und Sethe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a Rz. 83 meinen, eine Eintragung der Mietforderungen ins Refinanzierungsregister sei einfacher. Sinn und Zweck der Eintragung ins Refinanzierungsregister ist jedoch, den Übertragungsberechtigten so zu stellen, als sei die Übertragung erfolgt. Nur soweit die Voraussetzungen der §§ 103 ff. InsO gerade wegen der fehlenden Übertragung erfüllt wären, ist ihre Anwendung ausgeschlossen. § 110 InsO bleibt dagegen trotz Eintragung ins Refinanzierungsregister unberührt, s. Tollmann in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 22j Rz. 28 ff. 31 S. etwa die 2004 abgeschlossene Transaktion Hallam Finance plc, die die Verbriefung von Mietforderungen durch eine Tochtergesellschaft der Viterra AG (jetzt: Vonovia SE) zum Gegenstand hatte; vgl. jüngst die italienische Transaktion Pietra Nera Uno S.R.L vom Februar 2018. 32 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, WM 2003, 1733 ff. 33 S. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 8.507; s. auch Schoppmeyer in Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2018, § 15 Rz. 154. 34 Dies ist etwa in Luxemburg der Fall.
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21.23
§ 21 | Asset-Backed Securities
Bezug auf CRR-Institute ist die Eröffnung eines deutschen Partikularinsolvenzverfahrens mit der Gefahr der Relevanz der oben skizzierten Rechtsprechung ausgeschlossen. Insolvenzverfahren über das Vermögen eines CRR-Instituts finden immer am Sitz des Kreditinstituts statt35. Seit der Einfügung des § 22a Abs. 1a KWG ist das Ausweichen ins Ausland jedoch nicht mehr erforderlich, nunmehr können die Grundschulden in das Refinanzierungsregister eines deutschen Kreditinstituts als Treuhänder eingetragen werden.
21.24 Die Struktur des grundschuldbesicherten Darlehens wird man insbesondere dann wählen,
wenn nicht oder nicht nur auf die durch Mietforderungen generierten Zahlungsströme, sondern auch auf Erlöse aus dem Verkauf von Immobilien abgestellt wird. Der Nachteil dieser Struktur gegenüber der in Rz. 21.22 beschriebenen besteht darin, dass der Zugriff auf die verbrieften Vermögenswerte nur im Wege der Verwertung von Sicherheiten möglich ist und deshalb den damit verbundenen Aufwand sowohl in verfahrensmäßiger als auch in Kostenhinsicht nach sich zieht36. cc) Sale and lease-back
21.25 Verbriefungstransaktionen dienen als Refinanzierungsinstrument für den Leasinggeber in
hauptsächlich im Grundstücksbereich anzutreffenden Sale and lease-back-Strukturen. Der bisherige Eigentümer verkauft das Grundstück an einen Finanzier, der künftig als Leasinggeber auftritt und dem Verkäufer das Grundstück unter einem Leasingvertrag zurückvermietet. Die aus dem Leasingvertrag resultierenden Forderungen bilden den Gegenstand der Verbriefungstransaktion. Wirtschaftlich sinnvoll dürfte dies jedoch in den meisten Fällen nur dann sein, wenn der Leasinggeber mehrere Transaktionen dieser Art abgeschlossen hat und ihm daraus ein größeres Portfolio an Schuldnern von Mietforderungen zur Verfügung steht. Ansonsten übersteigt die Kreditqualität der aus der Verbriefungstransaktion resultierenden Schuldverschreibungen nicht diejenige des einzelnen Leasingnehmers aus der Sale and lease-back-Struktur. In der Insolvenz des Leasinggebers hilft die Vorschrift des § 108 Abs. 1 InsO, die das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließt. d) Whole Business Securitisation
21.26 Eine insbesondere in England entwickelte und dort sehr verbreitete Form der Verbriefung
versucht, die Beschränkung der verbrieften Vermögenswerte auf bestimmte Forderungsarten eines Unternehmens aufzuheben und statt dessen möglichst den gesamten Umsatz (whole business) des Unternehmens zu verbriefen37. Dies zieht eine Befrachtung der Verbriefungsstruktur mit dem operativen Risiko des verbriefenden Unternehmens nach sich. aa) Kontrolle über die verbrieften Vermögenswerte
21.27 Trotz dieses operativen Risikos lassen sich Anleihen strukturieren, deren Kreditqualität
besser ist als eine unbesicherte Anleihe des verbriefenden Unternehmens. Dazu müssen die für die Erwirtschaftung des Umsatzes erforderlichen Vermögensgegenstände mit Hilfe eines Sicherheitenpaketes und durch Vereinbarung geeigneter Verpflichtungen (covenants) so isoliert werden, dass im Falle einer Insolvenz des verbriefenden Unternehmens die Fortführung des Betriebes zugunsten der Anleihegläubiger sichergestellt ist. Im Unter35 Vgl. etwa § 46e KWG. 36 S. zu den Kosten insbesondere die ZwVwV. 37 S. Klüwer/Marschall, ZBB 2005, 255 ff.
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schied zu den in Rz. 21.13–21.25 beschriebenen Formen der Verbriefung findet hier also in der Regel keine Übertragung von Vermögenswerten auf das SPV statt, vielmehr reicht das SPV einen Kredit an das verbriefende Unternehmen aus (secured loan securitisation). Die Strukturierungsbemühungen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Sicherungspaket kreisen oftmals um die Stellung und die Rechte des Insolvenzverwalters in einer hypothetischen Insolvenz des verbriefenden Unternehmens. Gemäß § 166 InsO ist in den dort genannten Fällen der Insolvenzverwalter zur Verwertung von Sicherungsrechten befugt und erst nach Abzug seiner Kosten gemäß § 171 InsO zur Abführung des erzielten Erlöses verpflichtet. Diese Rechte kollidieren mit dem Interesse der Anleihegläubiger als letztlich besicherten Gläubigern des verbriefenden Unternehmens, selbst die Kontrolle über die verbrieften Vermögenswerte auszuüben und so das möglichst reibungslose Weiterlaufen der Struktur und der darunter generierten cash-flows zu ermöglichen. In besonderem Maße steht diesem Bestreben das Recht des Insolvenzverwalters entgegen, gemäß § 172 InsO bewegliche Sachen, zu deren Verwertung er nach § 166 InsO berechtigt ist, für die Insolvenzmasse zu nutzen38.
21.28
Nicht unter § 166 InsO fallende Sicherungsinstrumente werden daher bevorzugt eingesetzt. Dazu zählen Pfandrechte39 bzw. solche Sicherheiten über Vermögenswerte, die nicht in § 166 InsO genannt sind40. Diese Bemühungen bedeuten keineswegs, dass derartige Strukturen die Interessen der Masse oder der unbesicherten Gläubiger beeinträchtigen würden. Im Gegenteil wird für ein möglichst reibungsloses Weiterlaufen des Geschäftsbetriebes gesorgt. Dies kommt regelmäßig auch der Masse im Übrigen zu Gute. Um für die für den Kapitalmarkt erforderliche Vorhersehbarkeit der Zahlungsströme auch in der Insolvenz zu sorgen, ist es nötig, die damit zusammenhängenden Abläufe bereits bei Transaktionsabschluss verbindlich festzulegen. Schwer vorhersehbare Insolvenzverwalterentscheidungen, die lediglich bei Überschreiten eines womöglich als weit angenommenen Ermessensspielraums als rechtswidrig angesehen werden können41, sind damit unvereinbar.
21.29
bb) Verbriefung als Instrument der Akquisitionsfinanzierung Die Finanzierungsform der Whole Business Securitisation findet insbesondere als Form der Akquisitionsfinanzierung im Bereich der leveraged buy-outs Anwendung42. Hier bietet die direkte Finanzierung über den Kapitalmarkt typischerweise den Vorteil von geringeren 38 Das dafür gemäß § 169 InsO vorgesehene Entgelt ist in diesem Zusammenhang keine ausreichende Kompensation. Zur Berechnung s. etwa Landfermann in Heidelberger Komm. InsO, 8. Aufl. 2016, § 169 Rz. 14 ff. 39 Auf Pfandrechte findet nach bislang ganz herrschender Meinung § 166 InsO keine Anwendung, s. Landfermann in Heidelberger Komm. InsO, 8. Aufl. 2016, § 166 Rz. 11, 30; Tetzlaff in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 166 Rz. 36 f. Allerdings hat der BGH § 166 InsO kürzlich auf ein Pfandrecht über globalverbriefte Inhaberaktien angewandt, die als Unternehmensbeteiligung zu qualifizieren waren, s. BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, NJW-RR 2016, 242 ff. = AG 2016, 29; dazu Bitter, ZIP 2015, 2249 ff. 40 Das sind alle Rechte mit Ausnahme von Forderungen, s. etwa Tetzlaff in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 166 Rz. 97 ff.; aber s. BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, NJW-RR 2016, 242 ff. = AG 2016, 29. 41 S. zur Frage des Ermessens des Insolvenzverwalters die Kommentierungen zu § 60 InsO etwa Rein in Nerlich/Römermann, InsO, § 60 Rz. 78 ff. 42 Daher sind verbriefende Unternehmen meist solche, die von Private Equity-Häusern erworben wurden.
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21.30
§ 21 | Asset-Backed Securities
Zinskosten bei gleichzeitig höherem Verschuldungsgrad (debt quantum) und weniger massiven Eingriffen in die unternehmerische Freiheit (covenant package) im Vergleich zu einer traditionellen Bankfinanzierung. Allerdings ist diese Form der Finanzierung besonders aufwendig und bedarf oft substantieller Unternehmens-Umstrukturierungen im Vorfeld der Finanzierung43. In den Jahren nach der Finanzkrise war es nicht möglich, Investoren derart komplexe Strukturen schmackhaft zu machen. Seit 2012 hat sich der Markt jedoch sukzessive belebt44.
2. Forderungskauf und Abtretung a) Abtretung und Aussonderungsrecht
21.31 In den weitaus meisten Fällen basiert die Verbriefung auf dem Verkauf (§§ 453 Abs. 1, 433 Abs. 1 Satz 1 BGB) und der Abtretung (§ 398 BGB) von Forderungen. Aufgrund der Abtretung geht die Inhaberschaft der Forderungen auf den Käufer über. Ihm steht in der Insolvenz des Verkäufers ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu.
b) Umdeutung in eine Sicherungsabtretung
21.31a
Der Verkauf erfolgt regresslos in Bezug auf das mit den Forderungen verbundene Kreditrisiko, d.h., der Verkäufer haftet für die Verität, nicht jedoch für die Einbringlichkeit der verkauften Forderungen. Jedoch behält das SPV als Käufer üblicherweise zunächst einen gewissen Prozentsatz des Kaufpreises ein und zahlt diesen erst dann unter Abzug tatsächlicher Ausfälle an den Verkäufer aus, wenn die Forderungen eingezogen wurden. Aufgrund dieses Mechanismus übernimmt der Verkäufer wirtschaftlich das Bonitätsrisiko bis zur Höhe des Einbehalts45.
21.32 Die bilanz- und steuerrechtliche Rechtsprechung und Literatur behauptet bisweilen, ein im
Vergleich zum Ausfallrisiko zu hoher Einbehalt könne dazu führen, dass der Forderungskaufvertrag in ein Darlehen und die Abtretung in eine Sicherungsabtretung umzuqualifizieren sei46. Als Folge wäre das SPV in einer Insolvenz des Verkäufers bezüglich der Forderungen nicht mehr aussonderungsberechtigt gemäß § 47 InsO, sondern absonderungsberechtigt gemäß § 51 Nr. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter wäre gemäß § 166 Abs. 2 InsO zur Verwertung der Forderungen befugt und könnte seinen Kostenbeitrag gemäß § 171 InsO geltendmachen.
21.33 Richtigerweise hängt jedoch die Qualifizierung als Verkauf oder Darlehen nicht davon ab, in welcher Höhe das SPV einen Einbehalt vom Kaufpreis vornimmt47. Die Einordnung
43 Vgl. etwa die im Jahr 2001 durch Tenovis Finance Ltd. durchgeführte Transaktion. 44 S. etwa die Transaktion Tesco Property Finance 5 plc vom 26.1.2012. Die Transaktion Deutsche Ökostrom Ltd vom Januar 2016 enthält ebenfalls Elemente einer Whole Business Securitisation. 45 Im Übrigen trägt das Ausfallrisiko der Käufer, soweit es nicht durch Dritte wie insbesondere eine Kreditversicherung übernommen wird, was insbesondere bei Verbriefungen von Handelsforderungen häufig vorkommt. 46 BFH v. 5.5.1999 – XI R 6/98, DB 1999, 1733, BFH v. 26.8.2010 – I R 17/09, WM 2011, 311 ff.; Papperitz, DStR 1993, 1841 ff.; vgl. auch Fleckner, ZIP 2004, 585, 592 ff. 47 Anders anscheinend Pannen/Wolff, ZIP 2006, 52, 55 und Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 8.498. Arlt, True Sale Securitisation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland und Italien, S. 559, argumentiert, Reserven von mehr als
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der Transaktion als Darlehen würde voraussetzen, dass die Abtretung eine zugrundeliegende Verpflichtung des Verkäufers besichert und dass der Verkäufer wirtschaftlicher Inhaber der Forderungen bleibt, weil er die Erwartung einer Rückübertragung nach Tilgung der besicherten Forderung hat. Das verbriefende Unternehmen ist jedoch nicht zur Rückzahlung des Kaufpreises, sondern zur Weiterleitung der eingezogenen Gelder verpflichtet. Umgekehrt besteht keine Rückübertragungsverpflichtung des SPV bezüglich der übertragenen Forderungen. Vielmehr kommt eine Umqualifizierung als Darlehen nur dann in Betracht, wenn das verbriefende Unternehmen den ursprünglich vom SPV bezahlten Kaufpreis nicht unabhängig vom Erfolg der Forderungseinziehung behalten darf, sondern ihn ganz oder teilweise zurückgeben muss, sofern sich das mit den Forderungen verbundene Kreditrisiko realisiert, oder wenn das verbriefende Unternehmen aus seinem sonstigen Vermögen Sicherheiten für die Einbringlichkeit der verbrieften Forderungen stellt. Diese Gestaltungen wären mit dem Leitbild des Kaufs unvereinbar48, kommen in der Praxis jedoch kaum jemals vor49.
21.34
Um die Asset-Backed Securities platzieren zu können, muss das Unternehmen in Höhe von wenigstens 5 % des verbrieften Portfolios selbst das Ausfallrisiko übernehmen bzw. einbehalten50. Der Nachweis des Risikoeinbehalts kann auch durch Einbehalt von nicht verbrieften gleichartigen Forderungen erfolgen. Die Verbriefungsdokumentation erlegt dem Unternehmen auf, den Einbehalt weder zu veräußern noch anderweitig abzusichern. Dazu kommen umfangreiche Informationspflichten51.
21.35
c) Refinanzierungsregister Auch ohne Übertragung erhält die Zweckgesellschaft einen Aussonderungsanspruch gemäß § 47 InsO in Bezug auf Rechte, die im Refinanzierungsregister eines Kreditinstiut eingetragen sind. §§ 22a ff. KWG eröffnen Kreditinstituten eine besondere Form des insolvenzfesten treuhänderischen Haltens von Forderungen und Registerpfandrechten.
21.36
aa) Voraussetzungen einer wirksamen Eintragung Die wirksame Eintragung in ein Refinanzierungsregister setzt voraus, dass das verbriefende Unternehmen als Refinanzierungsunternehmen Forderungen oder Registerpfandrechte
48 49 50 51
9 % brächten ein erhöhtes Umqualifizierungsrisiko mit sich, beruft sich dabei aber auf Rechtsprechung, die die Angemessenheit von endgültigen Abschlägen betraf. S. auch Arlt, WM 2012, 107, 113 f. Endgültige Abschläge können aber nie zur Umqualifizierung führen, der Erwerber hat auch dann das Bonitätsrisiko voll übernommen, wenn er nur einen geringen Teil des Nennbetrages der Forderung als Kaufpreis bezahlt. Wie hier dagegen Kaiser in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, Rz. E 116. Eingehend zu diesen Fragen Weber, Die insolvenzfeste Refinanzierung von Forderungen durch Asset-Backed Securities, S. 103 ff. Mülbert in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 488 Rz. 706 f. und Rossbach in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rz. 11.329 ff. ordnen freilich mit guten Gründen auch das unechte Factoring als Kauf ein. S. aber den Fall in OLG Koblenz v. 10.11.1987 – 3 U 1386/86, WM 1988, 45 und BFH v. 5.5. 1999 – XI R 6/98, DB 1999, 1733; s. auch oben Rz. 21.17. S. Art. 405 CRR. Sind die dort niedergelegten Anforderungen nicht erfüllt, müssen Kreditinstitute deutlich mehr Eigenkapital gegen die Asset-Backed Securities halten, s. Art 407 CRR. Ähnliche Bestimmungen gelten für Versicherungsunternehmen und Investmentfonds. S. im Einzelnen etwa Artt. 405 ff. CRR.
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21.37
§ 21 | Asset-Backed Securities
formgerecht gemäß § 22d KWG in ein ordnungsgemäß von einem registerführenden Unternehmen geführtes Refinanzierungsregister eintragen lässt. Refinanzierungsunternehmen i.S.v. § 1 Abs. 24 KWG sind nicht nur Kreditinstitute, sondern auch andere Unternehmen, soweit sie zum Zwecke der Refinanzierung Gegenstände oder Ansprüche an Zweckgesellschaften oder Refinanzierungsmittler veräußern. Ob auch Einzelkaufleute darunter fallen können, ist umstritten52. Als registerführende Unternehmen kommen nur Kreditinstitute in Frage, alle anderen müssen sich gemäß § 22b KWG eines Kreditinstituts als registerführendes Unternehmen oder gemäß § 22c KWG eines Refinanzierungsmittlers bedienen.
21.38 Als Grundlage der Eintragung nennt das Gesetz die Veräußerung von Gegenständen aus
dem Geschäftsbetrieb des Refinanzierungsunternehmens. Die dingliche Übertragung der Gegenstände ist dafür nicht nötig, das Refinanzierungsregister wurde gerade zu dem Zweck eingeführt, die oftmals schwierige und kostspielige Übertragung zu vermeiden. Es genügt der Abschluss eines Kaufvertrages als schuldrechtliches Geschäft, wobei die Übernahme des Bonitätsrisikos bezüglich der verkauften Forderungen durch den Übertragungsberechtigten nicht verlangt wird53. Die umstrittene Frage, ob auch andere schuldrechtliche Rechtsgeschäfte als ein Kaufvertrag, etwa ein Darlehen, als Grundlage des Übertragungsanspruches ausreichend sind54, ist seit 2014 teilweiseentschärft, da mit der Einfügung des § 22a Abs. 1a KWG und der Erweiterung des § 1 Abs. 24 KWG auch Treuhandverhältnisse zur Begründung der Eintragung anerkannt sind. bb) Eintragungsfähige Gegenstände
21.39 Auch wenn das Refinanzierungsregister primär zur Erleichterung der Verbriefung von
(buch-)grundschuldbesicherten Darlehensforderungen durch Kreditinstiute geschaffen wurde, bringt es auch im Bereich der Unternehmensfinanzierung gewisse Vorteile in Fällen, in denen die dingliche Übertragung von zu verbriefenden Rechten auf Schwierigkeiten stößt. (1) Abtretungshindernisse
21.40 Für die Eintragung ins Refinanzierungsregister bedarf es weder der Befolgung einer ver-
einbarten Form noch der Erfüllung gesetzlicher Formerfordernisse, wie zum Beispiel der Notifizierung des Schuldners über die Abtretung von Versicherungsforderungen nach den Allgemeinen Bedingungen für kapitalbildende Lebensversicherungen (ALB)55. Ferner stehen Abtretungsverbote dann einer Eintragung im Refinanzierungsregister nicht entgegen, wenn die Abtretung lediglich durch mündliche oder konkludente Vereinbarung ausgeschlossen wurde, § 22d Abs. 4 KWG. Durch diese Erleichterungen wird der Kreis der verbriefbaren Forderungen erweitert. (2) Ausländische Forderungen
21.41 Für international tätige Unternehmen besonders mühsam ist die Klärung der Frage, auf welche Weise die zu verbriefenden Forderungen nach allen dafür maßgeblichen Rechtsordnungen auf ein SPV übertragen werden können. In grenzüberschreitenden Sachver-
52 Dafür Fleckner, WM 2006, 697, dagegen Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 8.512. 53 S. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, in BT-Drucks. 15/5852, S. 23. 54 S. Fleckner, WM 2006, 697, 698 einerseits und Tollmann, WM 2005, 2017, 2023 andererseits. 55 Die genaue Fundstelle variiert je nach Versicherungsunternehmen. Das GDV-Muster enthält die Bestimmung in § 9 Abs. 3 und 4.
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Asset-Backed Securities | § 21
halten verursacht zudem schon die Bestimmung der relevanten Rechtsordnung große Schwierigkeiten. Die innerhalb der EU einschlägige Norm des Art. 14 VO Nr. 593/2008 (Rom I-Verordnung) ist Gegenstand von zahlreichen Diskussionen und Unklarheiten56. In der Praxis behilft man sich damit, die Abtretung nach dem Forderungsstatut zu vereinbaren und außerdem etwaige zusätzliche Formerfordernisse des Schuldnerstatuts zu beachten. Dabei sehen einige Rechtsordnungen vor, dass aus zivil- oder steuerrechtlichen Gründen Forderungen nur an besonders ausgestaltete oder lizenzierte Forderungserwerber abgetreten werden können57. Dies lässt die Transaktionsstruktur in multi-jurisdiktionalen Transaktionen in vielen Fällen extrem komplex werden. All diese Schwierigkeiten lassen sich vermeiden, wenn das Unternehmen die Forderungen nicht an ein SPV dinglich abtritt, sondern die Forderungen in das Refinanzierungsregister eines Kreditinstituts eintragen lässt. Die Eintragung auch ausländischer Forderungen ist möglich58, die Befolgung der jeweils maßgeblichen Abtretungsvorschrift dazu nicht nötig. Allerdings ist noch weitgehend ungeklärt, ob das Aussonderungsrecht nach § 22j Abs. 1 KWG auch in einem ausländischen Partikularinsolvenzverfahren anerkannt wird59. Dies ist von Fall zu Fall in Bezug auf die betreffende ausländische Rechtsordnung zu prüfen, da regelmäßig die Eröffnung eines solchen ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens selbst bei Unternehmen mit ausschließlicher physischer Präsenz in Deutschland nicht ausgeschlossen werden kann, soweit Vermögenswerte im Ausland vorhanden sind60.
21.42
cc) Aussonderungsrecht Das Refinanzierungsregister eröffnet Kreditinstituten die Möglichkeit, zugunsten von Zweckgesellschaften Forderungen und Registerpfandrechte treuhänderisch zu halten. Diese Treuhand ist aufgrund einer wirksamen Eintragung der treuhänderisch gehaltenen Rechte in einem Refinanzierungsregister insolvenzfest. Die Zweckgesellschaft als Übertragungsberechtigter erhält einen Aussonderungsanspruch bezüglich dieser Rechte im Falle der Insolvenz des als Treuhänder fungierenden Kreditinstituts gemäß § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG i.V.m. § 47 InsO.
21.43
Seit 2009 steht dem Eingetragenen gemäß § 22j Abs. 1 Satz 3 KWG gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Dritter die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO zu. Vorher bereitete die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in eingetragene Gegenstände in der Praxis oft erheb-
21.44
56 S. z.B. Einsele, WM 2009, 289, 297 ff., Sethe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a Rz. 47 sowie ausführlich Martiny in MünchKomm. BGB, Internationales Privatrecht, 7. Aufl. 2018, Art. 14 Rom I-VO Rz. 21 ff. 57 So etwa in Frankreich oder Italien. Mit Wirkung vom 3. Januar 2018 ist das Bankenmonopol in Frankreich allerdings gelockert worden, s. Ordinance Nr. 2017-1432. 58 S. Gesetzesbegründung zu § 22a KWG, BT-Drucks. 15/5852, S. 18. 59 Brocker, BKR 2007, 63 ff. bejaht den Schutz des Refinanzierungsregisters bezüglich der in Deutschland belegenen Vermögensgegenstände eines ausländischen Unternehmens unter Hinweis auf § 351 InsO. Dasselbe müsste dann nach Art. 8 VO 2015/848 (Insolvenzverfahren) (Neufassung) innerhalb der EU gelten. 60 Dasselbe gilt gemäß § 354 InsO im umgekehrten Fall eines ausländischen Unternehmens mit Vermögenswerten im Inland bzw. innerhalb der EU gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der VO 2015/ 848 (Insolvenzverfahren) (Neufassung), soweit der Schuldner eine Niederlassung im Inland unterhält. Die Ausnahme des § 46e KWG findet nur auf bestimmte Kreditinstitute Anwendung.
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liche Probleme61. Dagegen hindert die Eintragung im Refinanzierungsregister gemäß § 22j Abs. 1 Satz 3 KWG nicht die Wirksamkeit einer Verfügung über den eingetragenen Gegenstand. Dieser Gefahr rechtsgeschäftlicher Verfügungen des Refinanzierungsunternehmens kann jedoch durch entsprechende vertragliche Unterlassungsverpflichtungen begegnet werden.
21.45 § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG gewährt ein Aussonderungsrecht, normiert jedoch keine Ver-
pflichtung des Übertragungsberechtigten, die Aussonderung geltend zu machen. Der Übertragungsberechtigte kann die eingetragenen Gegenstände beim registerführenden Unternehmen belassen. Die Verwaltung dort übernimmt ein gemäß § 22l KWG von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bestellter Sachwalter, der nach § 22n Abs. 4 KWG zur ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführung im Interesse des jeweiligen Übertragungsberechtigten verpflichtet ist. Vermeidet man auf diese Weise die Aussonderung der im Refinanzierungsregister eingetragenen Gegenstände, so fallen auch in der Insolvenz des registerführenden Unternehmens keine Übertragungskosten an62. d) Anfechtung des Erwerbs des SPV
21.46 Das SPV wird in aller Regel nicht fürchten müssen, die erworbenen Forderungen aufgrund
einer Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO wieder zu verlieren. § 142 InsO wird davor schützen, denn der Erwerb des SPV wird als Bargeschäft zu qualifizieren sein63. Dessen Voraussetzungen sind jedoch oftmals nicht leicht nachweisbar, da der objektive Wert64 von Forderungen unter Umständen schwer zu ermitteln ist. Daher versucht man in der Praxis, die Anfechtung insbesondere gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO auch aus sonstigen Gründen auszuschließen: Da diese Vorschrift die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit voraussetzt, lässt sich das SPV bei jedem Ankauf, zumindest aber in gewissen Abständen eine Bestätigung durch die Geschäftsführung des verbriefenden Unternehmens geben, wonach das Unternehmen in diesem Zeitpunkt solvent ist (solvency certificate).
3. Insolvenzfestigkeit von Verbriefungsverträgen 21.47 Oft sehen Verbriefungstransaktionen den revolvierenden Ankauf von Vermögenswerten
des verbriefenden Unternehmens vor, um das Finanzierungsvolumen über eine längere Zeit konstant halten zu können. Vor allem in diesen Fällen stellt sich bei einer Insolvenz des verbriefenden Unternehmens nicht nur die Frage nach der Insolvenzfestigkeit der Übertragung dieser Vermögenswerte, sondern zudem die nach dem Schicksal der im Rahmen der Verbriefungstransaktion abgeschlossenen Verträge. 61 Dazu s. Fleckner, WM 2007, 2272, 2276 f. Der Entwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts ging zwar davon aus, die Einfügung des § 22j Abs. 1 Satz 3 KWG sei nur deklaratorisch, weil das Aussonderungsrecht nach § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG auch vorher schon ein die Veräußerung hinderndes Recht i.S.d. § 771 ZPO gewesen sei, s. BT-Drucks. 16/11130, S. 46. Jedoch wird das Verhältnis von Aussonderungsrecht und § 771 ZPO vielfach anders gesehen, vgl. Ganter in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 47 Rz. 10. 62 S. Fleckner, WM 2007, 2272, 2276. Dennoch verlangen Standard & Poor’s und Fitch Ratings das Vorhalten einer Barreserve zur Abdeckung von etwa aufgrund einer Übertragung entstehenden Kosten, s. Standard & Poor’s, German Refinancing Registers Could Help Source Assets for Pfandbrief, 10 October 2007, S. 4 f. und Fitch Ratings, Criteria Regarding the Application of the Refinancing Register in German CMBS and RMBS Transactions, August 2007, S. 4 f. 63 S. Obermüller in FS Kreft, 2004, S. 427, 435, Pannen/Wolf, ZIP 2006, 52, 53. 64 Das verlangt BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 ff.
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Gemäß § 103 InsO kann der Insolvenzverwalter Erfüllung eines gegenseitigen Vertrages verlangen oder ablehnen, sofern der Vertrag beidseitig noch nicht vollständig erfüllt wurde. Danach unterliegt regelmäßig der Verwaltungsvertrag, durch den das verbriefende Unternehmen weiterhin die Einziehung der verkauften Forderungen übernimmt, dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters des verbriefenden Unternehmens nach § 103 InsO65, denn weder hat das verbriefende Unternehmen seine Verwaltungspflichten während der Laufzeit der Transaktion vollständig erbracht noch hat das SPV das dafür geschuldete Entgelt vollständig entrichtet. In aller Regel führt der Insolvenzverwalter des verbriefenden Unternehmens den Verwaltungsvertrag fort, um das Entgelt zu verdienen und Personal weiterbeschäftigen zu können66.
21.48
Ein Forderungsankaufsvertrag in einer Verbriefungstransaktion ist in den meisten Fällen vom Käufer zu keinem Zeitpunkt während der Laufzeit der Transaktion vollständig erfüllt, weil der Kaufpreis für die Forderungen typischerweise in zwei Raten bezahlt und die zweite Rate erst am Ende der Transaktion fällig wird. Der Verkäufer wird dagegen die von ihm als Hauptleistung geschuldete Abtretung bezüglich der bereits verkauften Forderungen vorgenommen haben. Die neuere Rechtsprechung hat ferner anerkannt67, dass im Falle von teilbaren Leistungen der Vertrag dann von § 103 InsO unangetastet bleibt, wenn beide Parteien die sie bezüglich dieser teilbaren Leistungen treffenden Pflichten vollständig erbracht haben. Man wird davon ausgehen können, dass bei einem revolvierenden Forderungsverkauf die einzelnen Ankaufsvorgänge teilbare Leistungen darstellen, also bereits abgewickelte Ankaufsvorgänge durch § 103 InsO nicht mehr betroffen werden. Jedoch treffen den Verkäufer in einer Verbriefungstransaktion neben der Hauptpflicht der Forderungsabtretung noch zahlreiche Nebenpflichten, z.B. Berichtspflichten oder die Pflicht, die abgetretenen Forderungen zu kennzeichnen. Vielfach wird vertreten, dass auch wegen des Ausstehens solcher, im Gesamtzusammenhang eher sekundärer Nebenpflichten ein Vertrag nicht als i.S.v. § 103 InsO vollständig erfüllt gelten kann68. Auch wenn jedoch die bereits abgewickelten Forderungsankäufe von § 103 InsO erfasst werden würden, würde dies nicht zur Rückabwicklung dieser Forderungsankäufe führen können, vielmehr würden die bereits erbrachten Teilleistungen bei dem jeweiligen Leistungsempfänger verbleiben. Die synallagmatische Gegenleistung könnte allerdings nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, soweit sie noch nicht erbracht ist und der Insolvenzverwalter die Erfüllung ablehnt69. Dies ist deswegen in der Regel nicht weiter problematisch, weil die nichterfüllten Teilleistungen sich auf eher im Hintergrund stehende Nebenpflichten beziehen und die Hauptleistungspflicht der Übertragung von Vermögensgegenständen stets bereits in dem Umfang erbracht ist, in dem das SPV den Kaufpreis, jedenfalls die erste Rate, bezahlt hat.
21.49
65 So auch Fleckner, ZIP 2004, 585, 597 und Sethe in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a Rz. 84; im Falle der (unwahrscheinlichen) Insolvenz des SPV erlischt der Verwaltungsvertrag nach §§ 116, 115 Abs. 1 InsO, s. Sethe in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a Rz. 62. 66 S. Obermüller in FS Kreft, 2004, S. 427, 435; anders Sethe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 114a Rz. 84. 67 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 ff.; s. auch § 105 Satz 1 InsO. 68 S. etwa BGH v. 25.2.1983 – V ZR 20/82, NJW 1983, 1619, Huber in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 103 Rz. 123, Henckel, ZZP 99 (1986), 419, 428; vgl. aber auch BGH v. 22.1. 2009 – IX ZR 66/07, NJW 2009, 1414; a.A.: Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 103 Rz. 172 ff. 69 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336, 340 und BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25, 27 f., beide noch zum alten § 17 KO. S. auch die Darstellung bei Huber in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 103 Rz. 121 ff.
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§ 21 | Asset-Backed Securities
III. Steuerrechtliche Gesichtspunkte 1. Gewerbesteuer 21.50 In Verbriefungstransaktionen als Käufer fungierende SPVs werden üblicherweise im Aus-
land angesiedelt70. Die dem SPV im Rahmen der Transaktion zufallenden Aufgaben werden dort erbracht, soweit sie nicht aufgrund von Dienstleistungsvereinbarungen auf Dritte delegiert sind. Im Inland werden dagegen die vom SPV erworbenen Vermögensgegenstände durch das verbriefende Unternehmen verwaltet. Die Finanzverwaltung hat in der Vergangenheit die Frage aufgeworfen, ob diese im Inland durchgeführten Verwaltungstätigkeiten dazu führen, dass das SPV die Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Inland besitzt, also steuerlich zumindest auch in Deutschland ansässig ist. Die Frage ist vor allem gewerbesteuerrechtlich bedeutsam. Sofern das SPV steuerlich in Deutschland ansässig ist, könnte es die auf die Asset-Backed Securities bezahlten Zinsen nur zu 75 %71 bei der Berechnung der Gewerbesteuer zum Abzug bringen. Auf das Verbriefungsprivileg des § 19 GewStDV kann sich das SPV nicht berufen, wenn Forderungen verbrieft werden, die nicht von Banken originiert wurden oder nicht aus bestimmten Bankgeschäften herrühren. Dies hätte eine erhebliche Steuerbelastung von Verbriefungstransaktionen zur Folge, die sich als nachteilig im Vergleich zu anderen Finanzierungsformen auswirken würde72.
21.51 Dem SPV in einer Verbriefungstransaktion ist jedoch die Forderungsverwaltung nicht
funktional zugeordnet. Nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien ist die Forderungsverwaltung vielmehr dem verbriefenden Unternehmen vorbehalten. Insbesondere wäre das Unternehmen auch gar nicht bereit, neben den verkauften Forderungen auch die Forderungsverwaltung mit zu übertragen. Daher ist der Versuch abzulehnen, die steuerliche Ansässigkeit des SPV im Inland mit der im Inland durchgeführten Forderungsverwaltung zu begründen. Das SPV hat vielmehr allein die Aufgabe, für die Refinanzierung der angekauften Vermögenswerte zu sorgen. Nur wenn diese vom Inland aus gesteuert wird, ist es gerechtfertigt, eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Inland anzunehmen73.
2. Einkommensteuer 21.52 Da das SPV in der Regel nur minimale Gewinne erwirtschaftet74, ist einkommensteuer-
rechtlich eine etwa angenommene deutsche Betriebsstätte von weniger einschneidender
70 Beliebte Jurisdiktionen sind vor allem Irland und Luxemburg, daneben die Kanalinseln Jersey und Guernsey sowie die Cayman Islands. 71 Im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008 erhöhte sich der abzugsfähige Anteil gemäß § 8 Nr. 1a) GewStG auf 75 %, soweit nicht die Zinsschranke des § 4h EStG zum vollständigen Verlust der Abzugsfähigkeit führt. Die frühere Unterscheidung zwischen Dauerschuldzinsen und Zinsen aus kurzfristigen Verbindlichkeiten ist entfallen. Auf der Ebene des Unternehmens ist ferner § 8 Nr. 1a) Satz 3 GewStG zu beachten. 72 Verbriefungstransaktionen sind fast nie steuerlich motiviert, da keinerlei Gewinne verlagert werden, sondern eine steuerneutrale Form der Finanzierung angestrebt wird. 73 Zu diesem funktionalen Ansatz scheint auch die finanzgerichtliche Rechtsprechung zu tendieren, s. BFH v. 12.2.2004 – IV R 29/02, FR 2004, 756 = DB 2004, 1974. S. auch Häuselmann/ Hechler, IStR 1999, 33, 35; Berger/Quack, Asset Backed Securities, NWB 2/8247 sowie BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39. 74 Die Zinsschranke des § 4h EStG ändert daran nichts, da das SPV nicht bzw. jedenfalls nicht aufgrund gesellschaftsrechtlicher Verflechtung konsolidiert wird, s. BMF-Schreiben v. 4.7.2008,
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Asset-Backed Securities | § 21
Wirkung. Jedoch kann es während der Laufzeit der Transaktion zur Notwendigkeit einer steuerbilanziellen Berücksichtigung der Wertminderung von Forderungen des SPV kommen, etwa aufgrund ungünstiger Marktentwicklungen oder Bonitätsproblemen des Schuldners75. Stellt sich in einer späteren Periode heraus, dass diese Schwierigkeiten nicht zu einem auch nur teilweisen Zahlungsausfall der Forderung geführt haben, wird die vollständige Erfüllung der Forderung zu diesem Zeitpunkt zu einem Bilanzgewinn und folglich im Einzelfall in einzelnen Perioden zu einem steuerpflichtigen Gewinn führen, auch wenn das SPV über den gesamten Transaktionszeitraum betrachtet keinen Gewinn erwirtschaftet.
3. Umsatzsteuer a) MKG-Rechtsprechung Vor einiger Zeit hat eine Entscheidung des EuGH76, die später vom BFH77 in derselben Sache bestätigt wurde, für großes Aufsehen unter anderem im Verbriefungsmarkt gesorgt. Der EuGH hatte einem Factoring-Unternehmen recht gegeben, das aus Gründen der Vorsteuerabzugsberechtigung die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft mit dem Argument geltendgemacht hatte, dadurch eine umsatzsteuerliche Leistung i.S.d. Art. 2 und 4 der Sechsten Richtlinie78 an den Anschlusskunden zu erbringen, dass diesem das Kreditrisiko sowie die Verwaltung bezüglich der angekauften Forderungen abgenommen worden sei.
21.53
Aufgrund der Entscheidungen war zu befürchten, dass der Unterschied zwischen dem Nominalbetrag einer Forderung und dem im Rahmen einer Verbriefungstransaktion bezahlten Kaufpreis als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt für die Übernahme des Kreditrisikos angesehen werden würde. Das Bundesfinanzministerium veröffentlichte daraufhin am 3.6. 2004 ein Rundschreiben79, in dem die Auswirkungen der Entscheidungen insbesondere auch in Bezug auf Verbriefungstransaktionen behandelt sind. Seitdem ist für ABS-Transaktionen festgehalten, dass das SPV keine Leistungen an das verbriefende Unternehmen erbringt, falls das verbriefende Unternehmen die verkauften Forderungen weiterhin verwaltet, da man in diesen Fällen nicht von Factoring im Sinne der EuGH-Entscheidung sprechen könne. Anderes gilt für einen Ersatzverwalter80.
21.54
Mittlerweile hat allerdings der EuGH in der GfKL-Entscheidung81 zu erkennen gegeben, dass er zwischen (full service) Factoring-Transaktionen und anderen Forderungsverkäufen unterscheidet. Nur auf erstere will das Gericht wohl die MKG-Grundsätze angewandt wissen. Auch setzt das Gericht jedenfalls bei zahlungsgestörten Forderungen den Nominalbetrag einer Forderung nicht mit dem Wert gleich. Folglich fällt auch in den Fällen, in denen weiterhin eine Leistungserbringung durch den Erwerber angenommen wird, Um-
21.55
75 76 77 78 79 80 81
BStBl. I 2008, 718, ebensowenig § 5 Abs. 2a EStG, da die Verpflichtungen des SPV nicht gewinnabhängig sind, s. auch BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10. S. BMF-Schreiben v. 25.2.2000, BStBl. I 2000, 372. EuGH v. 26.6.2003 – C-305/01, UR 2003, 399, Finanzamt Groß-Gerau gegen MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH. BFH v. 4.9.2003 – V R 34/99, UR 2004, 32. 77/388/EWG. IV B 7 - S 7104 - 18/04, jetzt Teil des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses als Abschn. 2.4. S. FG Hessen v. 31.5.2007 – 6 V 1258/07 und v. 26.1.2010 – 6 K 2933/07. EuGH v. 27.10.2011 – C-93/10. Der BFH ist dem EuGH gefolgt, s. BFH v. 26.1.2012 – V R 18/ 08, DStR 2012, 513; BFH v. 26.5.2012 – XI R 28/10 und BFH v. 4.7.2013 – V R 6/10.
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§ 21 | Asset-Backed Securities
satzsteuer nicht mehr notwendigerweise auf den Unterschiedsbetrag zwischen Nominalbetrag und Kaufpreis an. Damit hat sich die MKG-Problematik für Verbriefungstransaktionen zusätzlich entschärft, auch wenn der Umsatzsteuer-Anwendungserlass die neue Rechtsprechung nicht in jeder Einzelheit mitvollzogen hat.
21.56 Ähnlich ist das umgekehrte Verhältnis geregelt: Auch das verbriefende Unternehmen er-
bringt keine umsatzsteuerlich relevanten Leistungen an das SPV, falls das verbriefende Unternehmen die verkauften Forderungen weiterhin verwaltet82. Damit unterliegen auch etwa vom SPV an das verbriefende Unternehmen gezahlte Vergütungen für die Forderungsverwaltung nicht der deutschen Umsatzsteuer. b) § 13c UStG
21.57 Gemäß der Ende 2003 eingeführten Vorschrift des § 13c UStG haftet der Erwerber von
Forderungen für die in den Forderungen enthaltene Umsatzsteuer, soweit der Verkäufer als der Primärverpflichtete die Umsatzsteuer nicht entrichtet. Werden umsatzsteuertragende Forderungen wie Handels- oder Leasingforderungen verbrieft, würde danach das ankaufende SPV sekundär für vom verbriefenden Unternehmen nicht bezahlte Umsatzsteuer haften. Durch dieses vorher nicht bestehende Risiko drohte sich Ende 2003 die Kreditqualität nahezu sämtlicher deutscher Handels- und Leasingforderungsverbriefungen drastisch zu verschlechtern.
21.58 Am 24.5.2004 veröffentlichte das Bundesfinanzministerium daraufhin ein Rundschreiben
zur Anwendung des § 13c UStG, in dem es ausdrücklich auch auf Verbriefungsstrukturen einging. Seitdem beschränkt sich die Anwendung der Vorschrift auf Fälle, in denen die Forderungen durch den Käufer vereinnahmt werden. Nur dann ist es gerechtfertigt, den Käufer für die Weiterleitung der Umsatzsteuer in die Pflicht zu nehmen. Die entsprechende Regelung findet sich mittlerweile in Abschn. 13c1 Abs. 18 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses. Dort ist in Abschn. 13c1 Abs. 27 zudem speziell für ABS-Transaktionen vorgesehen, dass der Käufer die Forderungen nur dann i.S.v. § 13c UStG vereinnahmt hat, „soweit“ er keine Gegenleistung für den Ankauf der Forderungen erbracht hat. Es ist viel diskutiert worden, ob das Wort „soweit“ mit „wenn“ gleichzusetzen ist, so dass nur noch ein teilweise oder vollständig unentgeltlicher Erwerb von Forderungen zur Anwendung des § 13c UStG führen kann. Hält man diese Interpretation für falsch, träfe den Käufer auch in Fällen eines vollständig entgeltlichen Erwerbs eine Haftung gemäß § 13c UStG in Höhe des Betrages, um den die Gegenleistung geringer ist als der Nominalbetrag der angekauften Forderungen. Folglich wären die vom Käufer bis zur Forderungseinziehung einbehaltenen Kaufpreisanteile von der Sekundärhaftung nach § 13c UStG betroffen, bis diese Beträge an den Verkäufer ausgekehrt83 oder endgültig als uneinbringlich i.S.v. § 17 UStG anzusehen sind.
21.59 Der BFH ließ allerdings entgegen den Regelungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
die Haftung nach § 13c UStG nicht entfallen, soweit eine Gegenleistung erbracht wurde und hielt fest, dass der Umsatzsteuer-Anwendungserlass die Finanzgerichte nicht binde84.
82 S. jetzt Abschn. 2.4 Abs. 3 Satz 6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses. 83 S. auch Standard & Poor’s, Pressemitteilung v. 7.7.2004, German Ministry Addresses Effect of Paragraph 13c of VAT Act on German Securitizations sowie Standard & Poor’s, Pressemitteilung v. 30.9.2004, Standard & Poor’s Settles its Position on German VAT Question. 84 BFH v. 16.12.2015 – XI R 25/13.
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Daraufhin reagierte der Gesetzgeber und fügte die relevanten Bestimmungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses als § 13c Abs. 1, Satz 4 und 5 mit Wirkung zum 1.1.2017 ins UStG ein. An dem soeben skizzierten Ergebnis ändert § 13c Abs. 1 Satz 3 UStG bzw. Abschn. 13c1 Abs. 30 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses nichts. Dort wird eine Weiterabtretung durch den Käufer an einen Dritten der Einziehung der Forderungen gleichgestellt. Tritt das SPV die angekauften Forderungen etwa zur Sicherheit an einen Treuhänder oder ein Emittenten-SPV weiter ab, führt dies bei wörtlicher Anwendung dieser Vorschrift zur Sekundärhaftung des SPV nach § 13c UStG. Auf eine etwa bezahlte Gegenleistung für den Ankauf käme es nicht mehr an. Diesen Konflikt zwischen Satz 3 und den Sätzen 4 und 5 des § 13c Abs. 1 UStG bzw. den Abschn. 13c1 Abs. 27 und 30 des UmsatzsteuerAnwendungserlasses wird man zugunsten der Regelung der Sätze 4 und 5 bzw. Abschn. 13c1 Abs. 27 aufzulösen haben, so dass die Haftung auch im Falle der Weiterabtretung ausscheidet, soweit eine Gegenleistung erbracht wurde.
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21.60
§ 22 Pfandbriefe I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . III. Die rechtliche Ausgestaltung von Pfandbriefen . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lizenzerteilung . . . . . . . . . . . b) Laufende Aufsicht und Deckungsprüfungen . . . . . . . . c) Treuhänder . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualität der Deckungswerte . . . . a) Hypotheken als Deckungswerte . b) Forderungen gegen öffentliche Stellen als Deckungswerte . . . . c) Schiffshypotheken als Deckungswerte . . . . . . . . . . . . . d) Registerpfandrechte nach § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländi-
_ _ __ _ ___ _ _ _
22.1 22.4 22.7 22.8 22.8
22.9 22.10 22.11 22.12 22.17 22.23
3. 4. 5. 6.
sche Flugzeughypotheken als Deckungswerte . . . . . . . . . . . e) Forderungen gegen Kreditinstitute als Deckungswerte . . . f) Forderungen aus Derivateverträgen . . . . . . . . . . . . . . . Deckungsregister . . . . . . . . . . . Aktive Verwaltung der Deckungsmassen zur Sicherung der Deckungskongruenz . . . . . . . . . Transparenz der Deckungsmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzvorrecht . . . . . . . . . . . a) Separation der Deckungsmassen b) Sachwalter . . . . . . . . . . . . . .
_ _ __ _ __ __ _ _
22.25 22.26 22.27 22.29 22.31 22.33 22.34 22.35 22.36
IV. Pfandbriefmarkt . . . . . . . . . . . . 22.39 V. Covered Bonds . . . . . . . . . . . . . 22.42
Schrifttum: Bellinger/Kerl, Kommentar zum Hypothekenbankgesetz, 4. Aufl. 1995, § 1; Crimmann, Der Beleihungswert, (vdp Schriftenreihe), 2011; Hagen in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kommentar zum Kreditwesengesetz, VO (EU) Nr. 575/2013 CRR und Ausführungsvorschriften, 5. Aufl. 2016, Art. 129 CRR; Hagen in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016, Kapitel 21; Stöcker in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 87; Stürner, Die Sicherung der Pfandbrief- und Obligationengläubiger vor einer Insolvenz der Hypothekenbank – Geltendes Recht und Reformvorschläge (vdp-Schriftenreihe), 1998; Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, Textsammlung und Materialien, 2005.
I. Einführung 22.1
Pfandbriefe sind gedeckte, verzinsliche Schuldverschreibungen, die von Kreditinstituten, die eine Erlaubnis zur Ausübung des Pfandbriefgeschäfts haben (Pfandbriefbanken), emittiert und am Kapitalmarkt platziert werden. Sie dienen diesen Kreditinstituten zur Refinanzierung bestimmter durch Grundpfandrechte, Schiffshypotheken und Registerpfandrechte nach § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländische Flugzeughypotheken besicherter Kredite sowie von Forderungen gegen staatliche Stellen. Je nach Art der Besicherung können sie als Hypothekenpfandbriefe, Schiffspfandbriefe, Flugzeugpfandbriefe sowie Öffentliche Pfandbriefe, Kommunalschuldverschreibungen oder Kommunalobligationen bezeichnet werden (§ 1 Abs. 1 PfandBG). Pfandbriefe sind Wertpapiere, da sie die Gläubigerrechte, von den Emittenten die Rückzahlung und Verzinsung einer bestimmten Geldsumme zu den im Voraus festgelegten Bedingungen zu erhalten, in einer Urkunde verbriefen1. Sie können als Inhaber- sowie als Order- und Namensschuldverschreibungen begeben werden. Meist werden sie als Inhaberpapiere emittiert. Pfandbriefe werden auf der 1 Bellinger/Kerl, Kommentar zum Hypothekenbankgesetz, 4. Aufl. 1995, § 1 Rz. 47.
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Pfandbriefe | § 22
Grundlage des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) begeben. Der Sinn und Zweck des Gesetzes besteht darin, die hohe Sicherheit von Pfandbriefen für Anleger zu gewährleisten. Zum einen kann damit dem Bedürfnis von bestimmten Investorenkreisen nach einer sicheren Geldanlage entsprochen werden. Dementsprechend sind Pfandbriefe mündelsicher gemäß § 1807 Abs. 1 Nr. 4 BGB und es gelten z.B. für Investmentfonds, Pensionskassen und Lebensversicherungen weitere Anlagegrenzen als für unbesicherte Bankschuldverschreibungen2. Zum anderen verfügen Emittenten mit Pfandbriefen aufgrund der niedrigen zu zahlenden Risikoprämien über eine sehr günstige und zuverlässige Refinanzierungsquelle, die es ihnen ermöglicht, den Kreditmarkt nachhaltig mit Krediten, deren Preise am Kapitalmarkt orientiert sind, zu versorgen. Diese Stärke des Pfandbriefs hat sich gerade in der durch den Konkurs des Bankhauses Lehman ausgelösten Finanzmarktkrise und der darauf folgenden Staatsschuldenkrise gezeigt. So war es den Banken auch in dieser Phase stets möglich, Refinanzierungsmittel über den Pfandbrief aufzunehmen3. Die Pfandbriefbank vergibt Immobilien-, Schiffs-, Flugzeug- und Staatskredite. Diese Vermögenswerte werden auf die Bilanz des Instituts genommen. Die nach dem PfandBG deckungsfähigen Kredite oder Teile der Kredite (Deckungswerte) werden samt der Sicherheiten in Deckungsregistern eingetragen. Für jede der genannten Kreditarten gibt es je ein Register. Die Gesamtheit der in einem Deckungsregister eingetragenen Deckungswerte wird als Deckungsmasse bezeichnet. Auf Basis der Deckungsmassen werden Pfandbriefe emittiert (zu den Einzelheiten s. Rz. 22.7 ff.). Die Pfandbriefbank schuldet dem Pfandbriefinhaber den zugesagten Zins und die Rückzahlung des Nominalkapitals bei Fälligkeit des Pfandbriefs. Im Fall der Insolvenz der Pfandbriefbank haben die Pfandbriefinhaber ein Insolvenzvorrecht im Hinblick auf die in den Deckungsregistern eingetragenen Werte. Die Deckungsmassen werden nicht in das Insolvenzverfahren der Bank einbezogen, sondern gesondert verwaltet (zu den Einzelheiten s. Rz. 22.34 ff.).
2 Hagen in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, Art. 129 CRR Rz. 4. 3 Verband deutscher Pfandbriefbanken, Prilla/Walburg, Der Pfandbrief 2011/2012, S. 21 ff.
Hagen | 771
22.2
§ 22 | Pfandbriefe
22.3
Die Struktur einer Pfandbriefbank sieht wie folgt aus: Struktur einer Pfandbriefbank Allgemeine Aufsicht auf Basis des Kreditwesengesetzes (KWG)
sonstiges Bankgeschäft
nicht deckungsfähig
sonstiges Funding
Besondere Aufsicht über Pfandbriefbanken auf Basis des Pfandbriefgesetzes (PfandBG)
Hypothekendarlehen
60 % des Beleihungswertes
– gewerblich – wohnwirtschaftlich Staatskredite
KWG
100 % der Darlehen
Schiffsfinanzierungen
60 % des Beleihungswertes
Flugzeugfinanzierungen
60 % des Beleihungswertes
Hypothekenpfandbriefe
Öffentliche Pfandbriefe
KWG
Schiffspfandbriefe
Flugzeugpfandbrief
PfandBG
PfandBG
Treuhänder prüft Deckungswerte vdp
II. Entstehungsgeschichte 22.4
Pfandbriefe haben in Deutschland ihren Ursprung im Jahr 1769 in einer Cabinets-Ordre Friedrich des Großen, mit der die Geldnot der Adligen nach dem siebenjährigen Krieg behoben werden sollte4. Pfandbriefe waren zunächst Wertpapiere, die von sog. Landschaften, das waren öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen der adligen Großgrundbesitzer einer bestimmten Region, zum Zwecke der Beschaffung günstigeren landwirtschaftlichen Grundkredits begeben wurden. Dem Pfandbriefinhaber diente als Sicherheit bestimmter den Pfandbriefen zugeordneter Grundbesitz, außerdem haftete subsidiär die Landschaft als Gesamtheit der Adeligen der Region. Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten die ersten Hypothekenbanken dann auf Basis unterschiedlicher regionaler sog. Normativbestimmungen das Recht, hypothekarisch gesicherte Kredite durch Pfandbriefe zu refinanzieren. 4 Bellinger/Kerl, Kommentar zum Hypothekenbankgesetz, 4. Aufl. 1995, Einleitung Anm. 1.
772 | Hagen
Pfandbriefe | § 22
Mit dem Hypothekenbankgesetz5 wurde dann erstmals eine für das gesamte Reich geltende Rechtsgrundlage für die Emission von Pfandbriefen durch Hypothekenbanken geschaffen, das zusammen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1.1.1900 in Kraft trat. Im Jahr 1927 folgte diesem Beispiel das ÖPG6 für die Emission von Pfandbriefen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute und im Jahr 1933 das SchBG7, das die Emission von Pfandbriefen durch Schiffspfandbriefbanken regelte.
22.5
In Folge der Verständigung zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission vom 22.3.2002, wonach ab dem 19.7.2005 die Anstaltslast modifiziert und die Gewährträgerhaftung abgeschafft wurde, kam es zur Vereinheitlichung der drei Rechtsgrundlagen unter dem am 19.7.2005 in Kraft getretenen Pfandbriefgesetz (PfandBG)8. Das Pfandbriefgesetz erfuhr seit seiner Einführung bereits mehrere Novellen, mit denen unter anderem der Flugzeugpfandbrief eingeführt, die Regelungen zum Schutz der Pfandbriefgläubiger in der Insolvenz der Pfandbriefbank verbessert und Transparenzvorschriften erweitert wurden.
22.6
III. Die rechtliche Ausgestaltung von Pfandbriefen Die hohe Sicherheit des Pfandbriefs ergibt sich aus den Vorschriften des PfandBG sowie der zum PfandBG erlassenen Verordnungen9, deren wesentliche Elemente folgend kurz dargelegt werden.
22.7
1. Aufsicht a) Lizenzerteilung Das Pfandbriefgeschäft, also die Ausgabe gedeckter Schuldverschreibungen auf Grund erworbener Hypotheken, Forderungen gegen staatliche Stellen, Schiffshypotheken und § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländische Flugzeughypotheken, ist nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a KWG Bankgeschäft. § 2 Abs. 1 Satz 1 PfandBG stellt klar, dass diese bankgeschäftliche Tätigkeit der Erlaubnispflicht nach § 32 KWG unterfällt10. 5 Hypothekenbankgesetz vom 13.7.1899, RGBl. I 1899, 375. 6 Gesetz über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute vom 21.12.1927, RGBl. I 1927, 492. 7 Gesetz über Schiffspfandbriefbanken (Schiffsbankgesetz) vom 14.8.1933, RGBl. I 1933, 583. 8 Vgl. hierzu Das Pfandbriefgesetz, Textsammlung und Materialien, herausgegeben vom Verband deutscher Pfandbriefbanken, Frankfurt a.M. 2005. 9 Verordnung über die Sicherstellung der jederzeitigen Deckung von Hypothekenpfandbriefen, Öffentlichen Pfandbriefen und Schiffspfandbriefen nach dem Barwert und dessen Berechnung bei Pfandbriefbanken (Pfandbrief-Barwertverordnung – PfandBarwertV) vom 14.7.2005; Verordnung über die Ermittlung der Beleihungswerte von Grundstücken nach § 16 Abs. 1 und 2 des Pfandbriefgesetzes (Beleihungswertermittlungsverordnung – BelWertV) vom 12.5.2006; Verordnung über die Ermittlung des Beleihungswerts von Schiffen und Schiffsbauwerken nach § 24 Abs. 1 bis 3 des Pfandbriefgesetzes vom 6.5.2008 (Schiffsbeleihungswertermittlungsverordnung – SchiffsBelWertV); Verordnung über die Ermittlung der Beleihungswerte von Flugzeugen nach § 26d Abs. 1 und 2 des Pfandbriefgesetzes vom 20.4.2009 (Flugzeugbeleihungswertermittlungsverordnung – FlugzeugBelWertV); Verordnung über die Form und den Inhalt der Deckungsregister nach dem Pfandbriefgesetz und die Aufzeichnung der Eintragungen (Deckungsregisterverordnung – DeckRegV) vom 25.8.2006. 10 Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, S. 91.
Hagen | 773
22.8
§ 22 | Pfandbriefe
Die Erlaubniserteilung für das Pfandbriefgeschäft ist an besondere Voraussetzungen geknüpft, § 2 Abs. 1 PfandBG. So muss das Kreditinstitut über ein Mindestkernkapital von 25 Mio. Euro und die Erlaubnis für das Kreditgeschäft verfügen, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 PfandBG. Es muss über geeignete Regelungen und Instrumente des Risikomanagements der Deckungsmassen und des entsprechenden Emissionsgeschäfts verfügen, das Vorhaben der regelmäßigen und nachhaltigen Ausübung des Pfandbriefgeschäfts nachweisen und den angemessenen organisatorischen Aufbau und die Ausstattung bereit stellen, § 2 Abs. 1 Nr. 3, 4 und 5 PfandBG. Der Gesetzgeber bezweckt mit diesen besonderen Voraussetzungen, dass die Aufnahme des Pfandbriefgeschäfts für das Kreditinstitut mit maßgeblichem Aufwand verbunden ist und somit auch entsprechend ernsthaft und nachhaltig betrieben wird. Verhindert werden soll eine opportunistische, kurzfristig orientierte Geschäftsstrategie11. Eine Pfandbriefbank benötigt für jede der Pfandbriefgattungen eine eigene Lizenz, muss also die jeweilige Expertise hinsichtlich der unterschiedlichen Deckungsgeschäfte nachweisen. Mit der zunehmenden Auseinandersetzung mit der Frage, wie auch in der Insolvenz der Pfandbriefbank sichergestellt ist, dass die Pfandbriefgläubiger mit hoher Wahrscheinlichkeit befriedigt werden, wurde in § 2 Abs. 4 PfandBG geregelt, dass die Banklizenz für die Deckungsmassen selbst nach der Insolvenz der Pfandbriefbank erhalten bleibt (s. Rz. 22.35). b) Laufende Aufsicht und Deckungsprüfungen
22.9
Neben der allgemeinen Bankaufsicht unterliegt eine Pfandbriefbank einer besonderen Aufsicht, § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 PfandBG, durch die BaFin hinsichtlich der Einhaltung des PfandBG und den dazu erlassenen Verordnungen. Dies gilt auch für die bedeutenden Banken, die der direkten Aufsicht der Europäischen Zentralbank unterstellt sind. Die laufende Aufsicht wird von dem für das Kreditinstitut zuständigen Referat der BaFin sowie durch die Deutsche Bundesbank wahrgenommen. Für die Institute, die als bedeutende Institute eingestuft werden und somit dem SSM unterliegen, wird unter der Federführung der EZB die laufende Aufsicht von einem Joint Supervisory Team bestehend aus Vertretern der BaFin, der Deutschen Bundesbank und der EZB wahrgenommen. Für die Funktion des Pfandbriefs ist seine durchgängig hohe, über alle Emittenten hinweg möglichst gleichmäßige Sicherheit notwendig. Somit ist es erforderlich, dass die besondere Aufsicht über die Pfandbriefbanken möglichst einheitlich erfolgt12. Um dies zu gewährleisten, wurde ein Referat „Pfandbriefkompetenzcenter I – Grundsatzfragen sowie Deckungsprüfungen bei Pfandbriefinstituten“ geschaffen, das für die einheitliche Anwendung und Auslegung des PfandBG sorgt. Neben der laufenden Aufsicht gibt es die sog. Deckungsprüfungen, die regelmäßig i.d.R. alle zwei Jahre stattfinden, § 3 Abs. 1 Satz 3 PfandBG. Sie bestehen darin, dass stichprobenartig geprüft wird, ob die in den Deckungsmassen befindlichen Vermögenswerte unter Einhaltung sämtlicher Deckungsvoraussetzungen in Deckung genommen wurden. Damit auch bei diesen Deckungsprüfungen einheitliche Standards und Anforderungen eingehalten werden, werden diese von dem genannten Referat der BaFin durchgeführt bzw. beauftragt. c) Treuhänder
22.10 Bei jeder Pfandbriefbank sind außerdem Treuhänder zu bestellen, § 7 PfandBG, die die Aufgabe haben, darauf zu achten, dass die vorschriftsmäßige Deckung der ausstehenden
11 Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, S. 92. 12 Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, S. 86.
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Pfandbriefe | § 22
Pfandbriefe vorhanden ist und die Deckungswerte in das jeweilige Deckungsregister eingetragen werden, § 8 PfandBG. Die Treuhänder werden von der BaFin bestellt und unterliegen weder dem Weisungsrecht der Bank noch dem der BaFin oder der Pfandbriefgläubiger13. Ihre Funktion wird ausschließlich durch das Gesetz bestimmt. Aus sachlichen Gründen kann die BaFin die Bestellung widerrufen. Der Treuhänder kann daher als unabhängiges Kontrollorgan betrachtet werden.
2. Qualität der Deckungswerte Nicht alle von der Pfandbriefbank vergebenen Kredite müssen deckungsfähig sein. Das PfandBG schreibt ausdrücklich vor, welche Kredite und sonstigen Forderungen als Deckungswerte genutzt werden können. Dabei wird i.d.R. zwischen den unterschiedlichen Pfandbriefarten unterschieden.
22.11
a) Hypotheken als Deckungswerte Nach § 12 PfandBG dürfen zur Deckung von Hypothekenpfandbriefen nur Hypotheken benutzt werden, die bestimmte Erfordernisse nach §§ 13–17 PfandBG erfüllen. Hypotheken gleichgestellt sind Grundschulden und ausländische Sicherungsrechte, die eine vergleichbare Sicherheit bieten, § 18 PfandBG. Da eine Hypothek ein akzessorisches Sicherungsrecht darstellt, ist nicht ausdrücklich geregelt, dass die Kreditforderung auch zur Deckung verwendet wird. Im Falle der Grundschuld als abstraktes und heute vorherrschendes Sicherungsrecht wird dies ausdrücklich im Gesetz klargestellt, § 18 Abs. 2 PfandBG.
22.12
Die Grundpfandrechte können auf Grundstücken und auf grundstückgleichen Rechten (§ 13 Abs. 1 PfandBG) in Deutschland, in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den EWR, in der Schweiz, in den USA, in Kanada, in Japan, inAustralien, in Neuseeland und in Singapur lasten. Beleihbar sind sowohl gewerbliche wie wohnungswirtschaftliche Immobilien. Deckungsfähig sind auch solche Werte, bei denen von anderen Kreditinstituten für die Pfandbriefbank treuhänderisch die Grundpfandrechte gehalten werden, sofern sichergestellt ist, dass im Fall der Insolvenz des Treuhänders ein Aussonderungsrecht der Pfandbriefbank besteht, § 1 Abs. 2 PfandBG. Zur Förderung des Verbriefungs- und des Pfandbriefgeschäfts wurden im Jahr 2005 im KWG in den §§ 22a–o mit dem sog. Refinanzierungsregistergesetz14 Regelungen geschaffen, die die Insolvenzfestigkeit von treuhänderisch gehaltenen Grundpfandrechten sicherstellen15.
22.13
Bei den belastbaren Rechten im Ausland ist darauf abzustellen, ob diese mit den grundstücksgleichen Rechten des deutschen Rechts (z.B. Wohnungseigentum und Erbbaurecht) vergleichbar sind. Finanzierungen, die durch Immobilien außerhalb der genannten Staaten besichert sind, sind somit nicht deckungsfähig und können nicht über Pfandbriefe refinanziert werden. Da das Insolvenzvorrecht der Pfandbriefgläubiger aber selbst in den Staaten, in denen das Geschäft grundsätzlich deckungsfähig ist, nicht zwangsläufig gegeben sein muss, ist für das deckungsfähige Auslandsgeschäft der Pfandbriefbanken noch zu beachten, dass der Anteil
22.14
13 Bellinger/Kerl, Kommentar zum Hypothekenbankgesetz, 4. Aufl. 1995, § 29 Rz. 3 ff. 14 Gesetz zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom 27.9.2005, BGBl. I 2005, 2809–2819. S. Rz. 21.36. 15 Vgl. Stöcker in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 87 Rz. 61, 145 ff.
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§ 22 | Pfandbriefe
der Finanzierungen, bei denen das Insolvenzvorrecht16 der Pfandbriefgläubiger nicht sichergestellt ist, 10 % der Hypothekendeckungswerte nicht überschreiten darf. Die EU-Staaten sind dabei vom Auslandsbegriff ausgenommen, da seit der Umsetzung der EU-Sanierungs- und Liquidationsrichtlinie von der Sicherstellung des Insolvenzvorrechts ausgegangen wird17.
22.15 Einer der tragenden Säulen der Sicherheit des Hypothekenpfandbriefs besteht darin, dass
die betreffenden Immobilienfinanzierungen nur bis zu einer Beleihungsgrenze von 60 % des Beleihungswertes zur Deckung benutzt werden dürfen, § 14 i.V.m. § 16 PfandBG. Die Form der Beleihungswertermittlung und die Anforderungen an die Qualifikation und die organisatorische Einbindung des Beleihungswertgutachters sind ausführlich in § 16 PfandBG sowie in der nach § 16 Abs. 4 PfandBG erlassenen BelWertV geregelt. Der Beleihungswert berücksichtigt nur die langfristigen, nachhaltigen Merkmale einer Immobilie, darf also spekulative Elemente nicht einbeziehen. In der BelWertV sind Regelungen enthalten, die dies unterstützen, wie etwa die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Bewirtschaftungskosten, § 11 BelWertV, oder die Festlegung von Mindestkapitalisierungsfaktoren, § 12 BelWertV. Bezweckt wird damit, dass der Beleihungswert im Gegensatz zum Marktwert möglichst geringe Schwankungen aufweist. Der Beleihungswert darf den Marktwert nicht überschreiten. Regelmäßig wird der Beleihungswert jedoch unter dem Marktwert liegen. Die Relation zwischen den beiden Werten ist jedoch nicht statisch, weshalb ein einfaches Abschlagverfahren nicht möglich ist. Der Marktwert wird u.a. davon bestimmt, welche Erwartungshaltung der Markt in die zukünftige Preisentwicklung der entsprechenden Immobilie hat, was für den Beleihungswert nur begrenzt maßgeblich ist, weil spekulative Elemente ausgeschlossen werden müssen. Besteht die Erwartung des Marktes in steigenden Preisen, dann ist der Abstand zwischen Markt- und Beleihungswert groß, während im Fall erwarteter Preisreduzierungen der Abstand geringer ist18. Beleihungswert vs. Marktwert Wert
Marktwert
Beleihungswert 60 % Beleihungsgrenze
Zeit vdp
16 Zum Insolvenzvorrecht s. Rz. 22.34 ff.; zum Insolvenzvorrecht auf ausländische Deckungswerte vgl. Stöcker, Deckungswerte und Insolvenzvorrecht der Pfandbriefe, Immobilien & Finanzierung 2003, S. 574 ff. 17 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten vom 4.4.2001, ABl. EG Nr. L 125 v. 5.5.2001; Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 97. 18 Crimmann, Der Beleihungswert, S. 79 f.
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Die Beleihungsgrenze von 60 % des Beleihungswertes bedeutet jedoch nicht, dass ein Kredit, um deckungsfähig zu sein, insgesamt nur bis zu dieser Höhe bestehen darf. Vielmehr darf nur der deckungsfähige Teil diese Grenze nicht überschreiten. Dies kann erfolgen, indem die Finanzierung in zwei Kredite, der eine bis zur 60 %-Grenze und der andere darüber, aufgeteilt wird19. Dies ist jedoch nicht erforderlich, eine ideelle Teilung ist auch möglich und wird in der Praxis auch meist angewendet. Schließlich müssen die beliehenen Immobilien nach § 15 PfandBG gegen die nach Lage und Art des Objekts erheblichen Risiken versichert sein.
22.16
b) Forderungen gegen öffentliche Stellen als Deckungswerte Zur Deckung Öffentlicher Pfandbriefe, die auch Kommunalschuldverschreibungen oder Kommunalobligationen genannt werden können, dürfen nach § 20 PfandBG Geldforderungen aus der Vergabe von Darlehen, aus Schuldverschreibungen oder aus einem vergleichbaren Rechtsgeschäft verwendet werden. Als Schuldner kommen in Betracht20:
22.17
– im Inland alle Gebietskörperschaften, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung und öffentliche Stellen mit einer Refinanzierungsgarantie oder dem gesetzlichen Recht zur Erhebung von Gebühren, Umlagen und anderen Abgaben,
22.18
– Mitgliedstaaten der EU sowie Vertragstaaten des EWR, deren Zentralbanken sowie Regionalverwaltungen, Gebietskörperschaften und öffentliche Stellen dieser Staaten, – die Schweiz, Japan, die USA, Kanada sowie deren Zentralbanken, sofern sie nach iTabelle 1 Art. 114 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 der Bonitätsstufe 1 zugeordnet sind, sowie Regionalverwaltungen und Gebietskörperschaften sowie öffentliche Stellen in diesen Drittstaaten, soweit sie nach Tabelle 5 des Art. 121 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 der Bonitätsstufe 1 zugeordnet sind oder den Zentralstaaten von zuständigen Behörden gleichgestellt worden sind, – die EZB sowie bestimmte multilaterale Entwicklungsbanken und internationale Organisationen. Außer im Fall der öffentlichen Stellen reicht es für die Deckungsfähigkeit auch aus, wenn für eine Forderung die genannten Stellen sowie von einem Exportversicherer, der die Voraussetzungen einer öffentlichen Stelle erfüllt, eine ausdrückliche Gewährleistung übernommen haben. Sollte eine der genannten Stellen bei der es auf die Zuordnung zur Bonitätsstufe 1 ankommt, nach der Indeckungnahme nicht mehr dieser Bonitätsstufe sondern der Bonitätsstufe 2 zuzuordnen sein, bleibt die Deckungsfähigkeit dennoch bestehen, soweit diese Forderungen nicht mehr als 20 % des ausstehenden Volumens öffentlicher Pfandbriefe des Instituts überschreiten.
19 Zum Begriff des echten und unechten Realkreditsplittings, vgl. Bellinger/Kerl, Kommentar zum Hypothekenbankgesetz, 4. Aufl. 1995, § 7 Rz. 25. 20 Bei der Komplexität der nationalen staatlichen Finanz- und Haftungsstrukturen innerhalb und außerhalb Europas und der Vielzahl von staatlichen und staatsnahen Körperschaften besteht die Schwierigkeit darin, diese komplexen Strukturen und die Vielzahl von potenziellen Schuldnern in möglichst abstrakte und allgemeingültige Voraussetzungen zur Deckungsfähigkeit zu fassen.
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22.19
§ 22 | Pfandbriefe
22.20 Nicht deckungsfähig sind Forderungen gegen öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, die
über keine Gewährträgerhaftung und nur eine modifizierte Anstaltslast verfügen, also insbesondere Sparkassen und Landesbanken21. Forderungen gegen die genannten Schuldner bleiben deckungsfähig, wenn sie nach der Verständigung zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission vom 22.3.2002 (s. Rz. 22.6) weiterhin über eine staatliche Garantie verfügen (sog. Grandfathering). Im Zuge der Staatsschuldenkrise kamen Zweifel auf, ob die Deckungsfähigkeit von Forderungen gegen die öffentliche Hand der sog. Peripheriestaaten der Währungsunion noch gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber hat hier ebenso wie bei der Risikogewichtung von Forderungen gegen staatliche und unterstaatliche Stellen dieser Länder bisher wohl aus politischen Gründen keine Gesetzesänderung herbeigeführt. Die im Verband deutscher Pfandbriefbanken organisierten Pfandbriefbanken haben aber auf freiwilliger Basis beschlossen, dass ab 2013 ein Modell zur Bonitätsdifferenzierung in der Deckungsrechnung anzuwenden ist22. Danach sind vom Rating abhängige Abschläge für europäische Staatsforderungen mit einem Non-Investmentgrade, d.h. einem schlechteren Rating als BBB, vorgesehen.Dieses Modell findet nach wie vor Anwendung. Die Diskussion um die generelle 0 %-Gewichtung von Staaten hat zuletzt wieder zugenommen, ist jedoch bisher weiterhin ergebnislos verlaufen. Dies könnte sich im Zusammenhang mit der Umsetzung der „Basel IV“-Regelungen in europäisches Recht ändern.
22.21 Auch bei den Forderungen gegen staatliche Stellen gilt wie bei den Hypothekenforderun-
gen die 10 %-Grenze für Forderungen gegen Schuldner aus Drittstaaten, bei denen das Insolvenzvorrecht der Pfandbriefgläubiger nicht sichergestellt ist.
22.22 Die Forderungen gegen bestimmte staatliche Stellen können nicht nur zur Deckung von
Öffentlichen Pfandbriefen, sondern bis zu 20 % des jeweils ausstehenden Betrags von Hypotheken-, Schiffs- und Flugzeugpfandbriefen verwendet werden. Dies dient im Wesentlichen der Liquiditätssteuerung der Deckungsmassen. c) Schiffshypotheken als Deckungswerte
22.23 Als Deckungswerte für Schiffspfandbriefe dürfen bestimmte Schiffshypotheken in Deckung genommen werden, § 21 PfandBG. Aufgrund der Akzessorietät der Schiffshypothek sind auch die besicherten Kreditforderungen Bestandteil der Deckungsmasse.
22.24 Die beliehenen Schiffe und Schiffsbauwerke müssen in einem öffentlichen Register ein-
getragen werden. Die Schiffe dürfen nicht älter als 20 Jahre sein. Auch die Schiffsbeleihungen dürfen wie die Immobilienbeleihungen nur bis zu einem Betrag von 60 % des Beleihungswertes des Schiffes in Deckung genommen werden, wobei der Beleihungswert, der ebenfalls ein nachhaltiger Wert ist, nach anderen Regeln als der Immobilienbeleihungswert ermittelt wird. Für die Deckungsfähigkeit von Schiffskrediten gelten besondere Anforderungen, wie z.B. Maximallaufzeiten der Schiffskredite. Beim Schiffspfandbrief darf der Anteil von Beleihungen, bei denen das Insolvenzvorrecht nicht sichergestellt ist, 20 % betragen. Damit wird man dem Umstand gerecht, dass die Schiffe häufig im Ausland registriert sind und eine 10 %-Grenze die Nutzung des Pfandbriefs für die Kreditinstitute und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit unangemessen einschränken würde.
21 Forderungen gegen öffentlich-rechtliche Kreditinstitute können jedoch als Forderung gegen Kreditinstitute in begrenztem Maße in Deckung genommen werden, s. Rz. 22.26 ff. 22 Verband deutscher Pfandbriefbanken, www.pfandbrief.de.
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d) Registerpfandrechte nach § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländische Flugzeughypotheken als Deckungswerte Als Deckungswerte für Flugzeugpfandbriefe dürfen bestimmte Darlehensforderungen, die durch Registerpfandrechte nach § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländische Flugzeughypotheken besichert sind, in Deckung genommen werden, § 26a PfandBG.
22.25
Ausschlaggebend für die Einführung der Flugzeugpfandbriefe war, dass die Registerpfandrechte an einem Flugzeug eine vergleichbare Sicherheit wie Schiffshypotheken aufweisen und die Zweitmärkte für Flugzeuge liquide und effizient sind, so dass eine Verwertung der Registerpfandrechte möglich ist. Aufgrund der Vergleichbarkeit zur Schiffshypothek sind die Regelungen zum Flugzeugpfandbrief denen des Schiffspfandbriefs nachgebildet23 Als Besonderheit ist hier darauf hinzuweisen, dass die Triebwerke von Flugzeugen getrennt verwertbar sind und insoifern sicherzustellen ist, dass sich die Sicherungsrechte auch auf die Triebwerke erstrecken. e) Forderungen gegen Kreditinstitute als Deckungswerte Forderungen gegen geeignete Kreditinstitute können als sog. weitere Deckungswerte für alle vier Arten von Pfandbriefen verwendet werden, §§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 2 Nr. 2, 26 Abs. 1 Nr. 3 und § 26f Abs. 1 Nr. 3 PfandBG. Dies dient der Förderung der Liquidität in den Deckungsmassen. Die Deckungsmassen bestehen aus einer Vielzahl von Vermögenswerten mit unterschiedlichen Laufzeiten, Zinsen und Währungen. Die dagegen ausstehenden Pfandbriefe können hinsichtlich der Laufzeiten, Zinsen und Währungen nicht völlig kongruent zu den Deckungswerten sein. In der Regel sind die Pfandbriefemissionen beispielsweise nicht so kleinteilig wie die Vermögenswerte. Um diese Inkongruenzen auszugleichen, ist es notwendig, liquide und flexible Vermögenswerte, wie Forderungen gegen Kreditinstitute, in die Deckungsmassen aufnehmen zu können. Da jedoch die Deckungsmassen in ihrem Grundcharakter nicht verändert werden sollen, dürfen Forderungen gegen Kreditinstitute nur bis zu 10 % des Gesamtbetrages der jeweiligen Pfandbriefart ausmachen.
22.26
f) Forderungen aus Derivateverträgen Forderungen aus standardisierten Rahmenverträgen über Derivategeschäfte i.S. von § 1 Abs. 11 Satz 4 Nr. 1–4 KWG gegen geeignete Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen und zentrale Gegenparteien bei einer Börse, beim Bund und mit Bundesländern können unter bestimmten Voraussetzungen für alle Pfandbriefarten deckungsfähig sein, §§ 19 Abs. 1 Nr. 4, 20 Abs. 2 Nr. 3, 26 Abs. 1 Nr. 5, 26f Abs. 1 Nr. 5 PfandBG. Aus der dargelegten zwangsläufigen Inkongruenz von Deckungsmassen und Pfandbriefen können sich Zins- und Währungsrisiken in den Deckungsmassen ergeben. Diese Risiken können durch entsprechende gegenläufige Aktiva oder durch die Nutzung von Derivaten (Zins- und Währungsswaps), die zwischen der Pfandbriefbank und einem Kontrahenten abgeschlossen werden, neutralisiert werden. Je nach Entwicklung der Zinssätze und Währungskurse können Derivate ihren Barwert kurzfristig verändern. Bei einem positiven Wert aus Sicht der Pfandbriefbank ergibt sich eine Forderung der Pfandbriefbank gegen den Derivatepartner und bei einem negativen Wert eine Verbindlichkeit der Pfandbriefbank gegenüber dem Derivatepartner, die jedoch nur fällig wird, wenn der Derivatevertrag beendet wird. Entsprechende Forderungen und Verbindlichkei23 Releaux, Die vierte Pfandbriefgattung – der Flugzeugpfandbrief, Kreditwesen 2010, S. 295 ff.
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22.27
§ 22 | Pfandbriefe
ten werden auf täglicher Basis gegeneinander verrechnet (sog. Netting). Die in der Praxis verwendeten Standardverträge für Derivate sehen vor, dass im Fall der Insolvenz einer der Parteien der anderen den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen kann. Dies führt dazu, dass die unter dem Rahmenvertrag abgeschlossenen Derivate mit ihrem aktuellen Barwert glatt gestellt werden und die sich daraus ergebenden Ansprüche der Vertragsparteien gegeneinander verrechnet werden, um den Nettoanspruch einer der beiden Parteien zu ermitteln.
22.28 Diese Konsequenz wäre mit der Sicherungssystematik des Pfandbriefs jedoch nicht verein-
bar. Diese besteht darin, dass trotz der Insolvenz der Pfandbriefbank die ausstehenden Pfandbriefe – entgegen dem allgemeinen insolvenzrechtlichen Prinzip des § 41 Abs. 1 InsO – nicht fällig werden, sondern aus den Zahlungsflüssen der in Deckung befindlichen Werte zeitgerecht befriedigt werden sollen, § 30 Abs. 1 PfandBG (s. Rz. 22.34 ff.). Könnten die zur Abschirmung von Zins- und Währungsrisiken abgeschlossenen Derivate vom Derivatepartner aber bei Insolvenz der Pfandbriefbank beendet werden, wären die Deckungsmassen diesen Risiken ausgesetzt. Somit ist es erforderlich und dementsprechend auch gesetzlich vorgeschrieben, dass die in Deckung genommenen Derivate in der Insolvenz der Pfandbriefbank vom Derivatepartner nicht beendet werden dürfen. Um dies in der Praxis zu erreichen, werden deshalb unter einem Rahmenvertrag Einzelverträge geschlossen, unter die dann die entsprechenden Derivate zugeordnet werden. Ist eine Pfandbriefbank beispielsweise Emittentin von Hypothekenpfandbriefen und Öffentlichen Pfandbriefen, können drei Einzelverträge geschlossen werden. Je einer für die Derivate, die den beiden Deckungsmassen und einer, der dem übrigen Vermögen der Pfandbriefbank zugeordnet ist. Das Netting würde dann nur im Verhältnis der Derivateansprüche stattfinden, die unter denselben Einzelvertrag fielen. Darüber hinaus würde die Insolvenz der Pfandbriefbank nur dazu führen, dass der Einzelvertrag zwischen dem übrigen Vermögen der Pfandbriefbank und dem Derivatepartner beendet werden könnte, während die Einzelverträge mit den Deckungsmassen bestehen blieben. Eine Beendigung dieser Einzelverträge könnte erst dann stattfinden, wenn die Deckungsmassen insolvent würden. Die einzelnen Derivate sind in die jeweiligen Deckungsregister einzutragen. Da Derivate einen negativen Wert haben können, können daraus Verbindlichkeiten gegen die Deckungsmasse entstehen. Da von den Derivatepartnern aber verlangt wird, trotz der Insolvenz der Pfandbriefbank die Derivateverträge nicht kündigen zu können, wurde zugestanden, dass ihre Ansprüche mit denen der Pfandbriefgläubiger gleichgestellt sind. Dies stellte bei Einführung der Deckungsfähigkeit von Derivaten mit der Novelle des Hypothekenbankgesetzes im Jahr 200324 ein Novum dar und wurde heftig diskutiert. Um eine zu hohe Volatilität der Deckungsmassen und die Natur der Deckungsmassen nicht zu gefährden, darf die Forderung oder die Verbindlichkeit aus der verrechneten Position der Derivate je Deckungsmasse eine bestimmte prozentuale Grenze nicht überschreiten.
3. Deckungsregister 22.29 Die genannten Deckungswerte sind in Deckungsregister einzutragen, § 5 PfandBG. Für
jede Pfandbriefgattung ist ein gesondertes Register zu führen. Die Eintragung von Derivaten bedarf der Zustimmung der Derivatepartner und des Treuhänders. Dies ergibt sich aus den dargestellten Besonderheiten von Derivaten als Deckungswerte. Die Deckungsregister können auch elektronisch geführt werden. Die Deckungsregister sind regelmäßig der BaFin zu übermitteln, die diese aufbewahrt. 24 S. Verband deutscher Pfandbriefbanken, Das Pfandbriefgesetz, S. 356 ff., 362.
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Pfandbriefe | § 22
Dem Deckungsregister kommt eine große Bedeutung zu. Alle im Deckungsregister eingetragenen Werte gehören zur jeweiligen Deckungsmasse und unterliegen im Fall der Insolvenz der Pfandbriefbank dem Insolvenzvorrecht der Pfandbriefgläubiger. Die Einzelheiten der Führung der Deckungsregister ergeben sich aus der Deckungsregisterverordnung.
22.30
4. Aktive Verwaltung der Deckungsmassen zur Sicherung der Deckungskongruenz Die Sicherheit des Pfandbriefs ergibt sich daraus, dass der Zahlungsanspruch des Pfandbriefgläubigers gegen die Pfandbriefbank durch die Deckungsmassen besichert ist, auf die im Fall der Insolvenz der Pfandbriefbank nur sie Zugriff haben (zu den Einzelheiten s. Rz. 22.34 ff.). Maßgeblich ist demnach, dass die Deckungsmassen auch ausreichende Deckungswerte aufweisen, um die Ansprüche der Pfandbriefgläubiger im Insolvenzfall befriedigen zu können. Dies wird zunächst dadurch erzielt, dass die im Umlauf befindlichen Pfandbriefe nominal- und barwertig jederzeit durch entsprechende Kapital- und Zinserträge der Deckungsmassen gedeckt sind, § 4 Abs. 1 und 2 PfandBG (Deckungskongruenz). Die Durchführung der Barwertberechnung wird im Detail in der Barwertverordnung (s. Rz. 22.7) geregelt. Danach gibt es grundsätzlich drei Berechnungsmethoden25 mit unterschiedlichen festgelegten fiktiven Veränderungen von Zinssätzen und Währungskursen, die zu berücksichtigen sind. Die Deckungsmassen werden also bestimmten Stressszenarien unterworfen, so dass sich faktisch dadurch eine barwertige Überdeckung ergibt. Darüber hinaus muss barwertig eine sichernde Überdeckung von 2 % der zu deckenden Verbindlichkeiten vorgehalten werden, die in besonders liquiden Vermögenswerten anzulegen ist. Diese sichernde Überdeckung dient im Fall der Insolvenz der Pfandbriefbank zur Abdeckung eintretender Risiken und zu zahlender Verwaltungsaufwendungen sowie zur Steuerung der Liquidität. Die BaFin kann eine über die sichernde Überdeckung hinausgehende Deckungsanforderung verlangen, wenn die Befriedigung der Pfandbrief- und Derivategläubiger nicht sichergestellt erscheint, § 4 Abs. 3 PfandBG. Darüber hinaus steht es den Emittenten frei, noch weitere freiwillige Überdeckung vorzuhalten. Die Ratingagenturen setzen dies meist voraus, um den emittierten Pfandbriefen die beste Beurteilung auszusprechen.
22.31
Die Deckungsmassen sind anders als bei sog. Mortgage Backed Securities dynamisch, d.h. dass der Bestand der Deckungsmassen sich verändert. So werden beispielsweise Kredite getilgt oder aus anderen Gründen aus der Deckung genommen und durch neue ersetzt sowie neue Vermögenswerte den Deckungsmassen zugeführt, die durch die Emission neuer Pfandbriefe refinanziert werden. Diese Dynamik setzt voraus, dass die Deckungsmassen zur Einhaltung der Deckungskongruenz aktiv verwaltet werden müssen. Das PfandBG schreibt insofern vor, dass die relevanten Risiken26 mittels geeigneter Systeme identifiziert, beurteilt, gesteuert und überwacht werden müssen, § 27 PfandBG.
22.32
5. Transparenz der Deckungsmassen Um den Investoren ein möglichst genaues und aktuelles Bild über die Zusammensetzung der Deckungsmassen, die Werte der Deckungsmassen und der ausstehenden Pfandbriefe zu ver25 Die Berechnungsmethoden unterscheiden sich nach einem statischen und einem dynamischen Ansatz sowie aufsichtlich abzunehmender interner Berechnungsmethoden. 26 Adressenausfall-, Zinsänderungs-, Währungs- sowie sonstige Marktpreisrisiken, operationelle Risiken und Liquiditätsrisiken.
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22.33
§ 22 | Pfandbriefe
mitteln, müssen Pfandbriefbanken bestimmte Angaben vierteljährlich und zusätzliche Angaben jährlich veröffentlichen. Dies beinhaltet etwa die regionale Zuordnung der Deckungswerte, die Objektart bei den beliehenen Objekten, die Schuldner staatlicher Verbindlichkeiten und den Betrag der mindestens 90 Tage rückständigen Forderungen. Auf diese Weise kann der Pfandbriefgläubiger die Deckungsmassen unterschiedlicher Pfandbriefbanken vergleichen. Darüber hinaus hat die Publizität eine gewisse Disziplinierungswirkung auf die Emittenten.
6. Insolvenzvorrecht 22.34 Die Sicherungsmechanismen des PfandBG wären ohne das sog. Insolvenzvorrecht der
Pfandbriefgläubiger wirkungslos. Es bewirkt, dass in der Insolvenz der Pfandbriefbank die Deckungsmassen alleine den Pfandbriefgläubigern27 zur Befriedigung ihrer Forderungen zur Verfügung stehen und sie somit von der Insolvenz der Pfandbriefbank nicht betroffen sind. Um dies sicherzustellen, wurde im PfandBG ein detaillierter „Notfallplan“ geregelt. Insolvenz der Pfandbriefgläubiger
Insolvenzverwalter
Gläubiger
Pfandbriefbank
Sonstige Assets
Sonstige Gläubiger
Sonstige Assets
Sachverwalter
Hypothekendarlehen
Hypothekendarlehen
Hypothekenpfandbriefe
Forderungen gegen öffentliche Schuldner
Forderungen gegen öffentliche Schuldner
Öffentliche Pfandbriefe
Schiffsdarlehen
Schiffsdarlehen
Schiffspfandbriefe
Flugzeugdarlehen
Flugzeugdarlehen
Flugzeugpfandbriefe
Insolvenz des Emittenten
Jeweils Pfandbriefbank mit beschränkter Geschäftstätigkeit
vdp
27 Wie unter Rz. 22.27 f. dargestellt, sind die Derivategläubiger den Pfandbriefgläubigern unter bestimmten Voraussetzungen gleichgestellt.
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Pfandbriefe | § 22
a) Separation der Deckungsmassen Die Deckungsmassen stellen besondere Teile der Pfandbriefbank dar, § 30 Abs. 1 Satz 1 PfandBG. Bei Insolvenz des allgemeinen Vermögens der Pfandbriefbank fallen die Deckungsmassen somit nicht in die Insolvenzmasse der Bank, sondern bilden, sog. insolvenzfreies Vermögen28. Der Insolvenzverwalter der Bank hat somit keinen Zugriff auf die Deckungsmassen. Die Pfandbriefe werden nicht fällig. Die insolvenzfreien Vermögen werden als Pfandbriefbank mit beschränkter Geschäftstätigkeit bezeichnet. Diese wird von einem oder mehreren Sachwaltern geführt und zwar so lange, bis entweder alle Pfandbriefgläubiger und sonstige Gläubiger der Deckungsmassen vollständig befriedigt sind, die Deckungsmassen und die Pfandbriefverbindlichkeiten an eine andere Pfandbriefbank übertragen wurden (auch treuhänderisch) oder über die Deckungsmassen selbst das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Bei Hypothekendarlehen, die sich z.T. in und z.T. außerhalb der Deckungsmassen befinden29, sieht das PfandBG vor, dass die Zahlungsströme aus diesen Darlehen zunächst vollumfänglich an den Sachwalter fließen. Der Insolvenzverwalter kann verlangen, dass auf seine Kosten die Zahlungsströme getrennt werden und die Zahlungen auf den Außerdeckungsteil an ihn fließen.
22.35
b) Sachwalter Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Bank werden auf Vorschlag der BaFin ein oder mehrere Sachwalter vom Gericht am Sitz der Pfandbriefbank bestellt, § 30 Abs. 2, § 31 Abs. 1 und 2 PfandBG. Die Bestellung kann auch schon vor Eröffnung der Insolvenz erfolgen, wenn die Insolvenz des Instituts zu befürchten ist und der Schutz der Pfandbriefgläubiger dies erforderlich macht. Der Sachwalter ist eine natürliche Person, er hat die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt über die Deckungsmassen und vertritt die Interessen der Pfandbriefgläubiger. Die Schaffung des Amtes des Sachwalters stärkt den Schutz der Pfandbriefgläubiger. Es wäre nicht sachgerecht, wenn der Vorstand der insolventen bzw. insolvenzgefährdeten Bank die Deckungsmassen noch weiter führen könnte. Aufgrund der widerstreitenden Interessen von Pfandbriefgläubigern und den übrigen Gläubigern der Pfandbriefbank, könnte auch der Insolvenzverwalter die Interessen der Pfandbriefgläubiger nicht vertreten.
22.36
Der Sachwalter hat mehrere Alternativen, wie er die zeitgerechte Erfüllung der Forderungen der Pfandbriefgläubiger sicherstellt:
22.37
– Er kann die Zahlungsflüsse der Deckungsmassen vereinnahmen und die ausstehenden Verbindlichkeiten gemäß den Emissionsbedingungen bedienen, § 30 Abs. 1 PfandBG. Diese Form der Abwicklung würde so lange dauern bis alle Pfandbriefe zurückgezahlt wurden. Ein Überschuss würde an den Insolvenzverwalter ausgekehrt werden. Er kann dabei, insbesondere zur Beschaffung von Liquidität einzelne Vermögenswerte im Wege 28 Nach bisheriger Auffassung bildeten die Deckungsmassen rechtlich unselbständiges Sondervermögen mit der Folge, dass dieses Sondervermögen mangels Kreditinstitutseigenschaft keinen Zugang zu den Offenmarktgeschäften der Europäischen Zentralbank hatte, s. Stürner, Die Sicherung der Pfandbrief- und Obligationengläubiger vor einer Insolvenz der Hypothekenbank – Geltendes Recht und Reformvorschläge, Frankfurt a.M. 1998 (vdp Schriftenreihe), S. 133 ff.; ausführlich Stöcker in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 87 Rz. 103 ff. Um den Zugang zur EZB zu ermöglichen war es daher erforderlich, die Deckungsmassen in der Insolvenz des allgemeinen Vermögens der Pfandbriefbank als Kreditinstitut fortzuführen. 29 S. beim unechten Realkreditsplitting Rz. 22.15.
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§ 22 | Pfandbriefe
der Einzelübertragung veräußern oder andere Rechtsgeschäfte tätigen, § 30 Abs. 2 PfandBG. – Er kann alle oder Teile der Deckungswerte einer Deckungsmasse und Verbindlichkeiten aus den Pfandbriefen als Gesamtheit auf eine andere Pfandbriefbank übertragen, § 32 PfandBG. Dies setzt die Zustimmung der BaFin voraus. – Er kann mit Zustimmung der BaFin mit einer anderen Pfandbriefbank vereinbaren, dass er die Deckungsmassen treuhänderisch für diese hält, § 35 PfandBG. Die treugebende Pfandbriefbank hat in diesem Fall die Haftung für die ausstehenden Pfandbriefe zu übernehmen. Diese Form der Übertragung der Deckungsmassen erspart die Einhaltung aufwändiger Einzelübertragungen und kann sehr schnell durchgeführt werden.
22.38 Soweit für die Deckungsmassen ein Insolvenzgrund vorliegt, kann auf Antrag der BaFin ein gesondertes Insolvenzverfahren eingeleitet werden. Sollten die Pfandbriefgläubiger nicht voll befriedigt werden, können sie ihren Ausfall im Insolvenzverfahren über das sonstige Vermögen der Pfandbriefbank anmelden.
IV. Pfandbriefmarkt 22.39 Der Pfandbriefmarkt hatte per 31.12.2017 ein ausstehendes Volumen von 366 Mrd. Euro30, davon waren 148 Mrd. Euro Öffentliche Pfandbriefe, 215 Mrd. Euro Hypothekenpfandbriefe, 2,4 Mrd. Euro Schiffspfandbriefe und 0,5 Mrd. Flugzeugpfandbriefe.
22.40 Pfandbriefe werden in unterschiedlichen Formen als Inhaber- und Orderpapiere emit-
tiert. Die Ausstattungsmerkmale der Emissionen ergeben sich aus den Anleihebedingungen. Seit 1995 werden Pfandbriefe im Jumboformat begeben. Ihr ausstehendes Volumen belief sich per 31.12.2017 auf 33 Mrd. Euro31. Die Besonderheit des Jumboformats besteht darin, dass es sich um großvolumige Pfandbriefemissionen von mindestens 1 Mrd. Euro handelt und sich eine Anzahl von mindestens 5 Banken dazu verpflichtet, für bestimmte Mindestvolumina in einem festgelegten eng gesteckten Korridor An- und Verkaufspreise zu stellen (sog. Market Making). Die besonderen Ausstattungsmerkmale eines Jumbopfandbriefs sind in den Mindeststandards für Jumbopfandbriefe festgehalten32. Mit diesem Segment erschlossen sich die Pfandbriefemittenten einen internationalen Kreis von Investoren, für die die Möglichkeit, ihre Papiere jederzeit zu angemessenen Konditionen verkaufen zu können, Voraussetzung für ihre Investition ist. Die große Mehrheit der Pfandbriefinvestoren sind institutionelle Gruppen. Zu ihnen zählen im Wesentlichen Banken, Versicherungen, Investmentfonds, Pensionskassen, Zentralbanken und Staatsfonds. Pfandbriefe werden weltweit gekauft, wobei in Deutschland ansässige Investoren die Mehrheit darstellen. Diese solide heimische Investorenbasis erwies sich nach der Finanzmarktkrise, die durch die Insolvenz des US amerikanischen Kreditinstituts Lehman Brothers ausgelöst wurde, als sehr hilfreich. Sie ermöglichte es den Pfandbriefbanken ihre Pfandbriefe stets zu angemessenen Preisen an den Märkten absetzen zu können. Nach der Fi30 Verband deutscher Pfandbriefbanken, www.pfandbrief.de. 31 Verband deutscher Pfandbriefbanken, www.pfandbrief.de. 32 Mindeststandards für Jumbopfandbriefe sind Empfehlungen, denen sich die im Verband deutscher Pfandbriefbanken und im Verband Öffentlicher Banken organisierten Pfandbriefbanken unterworfen haben. Zum Wortlaut der Mindeststandard vgl. www.pfandbrief.de.
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nanzmarktkrise nahm die Anzahl der Jumbopfandbriefemissionen stark ab. Zwischenzeitlich beherrschen Emissionen im Benchmarkformat, das sind Emissionen zwischen 500 und 999 Mio. Euro, den Markt für liquide Pfandbriefe. Ihr ausstehendes Volumen per 31.12. 2017 betrug 91,5 Mrd. Euro33. Banken spielen nicht nur als Investoren eine bedeutende Rolle, sondern sind auch darüber hinaus maßgeblich am Funktionieren des Pfandbriefmarktes beteiligt, sei es als Konsorten bei der Platzierung von Pfandbriefen oder als Market Maker für Pfandbriefe. Gerade für internationale Investoren, aber auch zunehmend für deutsche Investoren ist es wichtig, dass die emittierten Pfandbriefe von Ratingagenturen beurteilt werden. Die drei führenden Ratingagenturen haben eigene Ratingmethodologien für gedeckte Schuldverschreibungen und somit auch für Pfandbriefe entwickelt. Diese Methodologien unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander. Die meisten beurteilten Pfandbriefe erhalten sehr gute Beurteilungen, eine Mehrheit davon die Bestnote.
22.41
V. Covered Bonds Pfandbriefähnliche Produkte gibt es bereits seit dem 18. Jahrhundert. Hervorzuheben sind insbesondere französische und dänische Produkte. Ein Welle der Nachahmung erfuhr der Pfandbrief aber erst seit der Einführung des Jumboformats. Die Bereitschaft internationaler Investoren Pfandbriefe zu kaufen und die weite Verbreitung im Ausland führte dazu, dass die Banken in den jeweiligen Ländern auf den Pfandbrief aufmerksam wurden und über ähnliche Produkte verfügen wollten. Dementsprechend wurden in einer Vielzahl von Ländern pfandbriefähnliche Produkte geschaffen, zuletzt in Australien und Süd Korea.
33 Verband deutscher Pfandbriefbanken, www.pfandbrief.de.
Hagen | 785
22.42
786 | Hagen 5
Gesetzgebung in sonstigen Staaten
28
Gesetzgebung in EU/EWR-Ländern u. CH
33
22.43
vdp
2006
Graphische Übersicht zur Gesetzgebung über Covered Bonds in Europa (Stand: April 2016)
§ 22 | Pfandbriefe
Pfandbriefe | § 22
Meist basieren diese wie in Deutschland auf einer speziellen gesetzlichen Grundlage. In wenigen Fällen werden sie auf vertraglicher Basis emittiert34. Die Anlageklasse des Pfandbriefs und der ähnlichen Produkte wird international als Covered Bond35 bezeichnet. Per 31.12.2016 belief sich das Gesamtvolumen dieser Papiere auf ca. 2,5 Billionen Euro.
22.44
Die zunehmende Bedeutung dieser Schuldverschreibungen hat dazu geführt, dass diese in der CRR36 berücksichtigt wurden. Halten Banken Covered Bonds in ihren Büchern, müssen sie, soweit die in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, für diese Aktiva weniger Eigenkapital vorhalten als dies für ungedeckte Schuldverschreibungen von Kreditinstituten der Fall ist. Es bestehen noch weitere Privilegierungen in unterschiedlichen Regelungen. So sind Covered Bonds beispielsweise vom Bail-in der Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD)37 ausgenommen, was die Stellung der Pfandbriefgläubiger gegenüber unbesicherten Gläubigern der Pfandbriefbank stärkt. Voraussetzung ist jeweils, dass die entsprechenden Papiere Art. 129 CRR erfüllen.
22.45
Eine Anerkennung erfuhren Covered Bonds auch dadurch, dass sie von der EZB in das geldpolitische Instrumentarium übernommen wurden. So wurden nach der Finanzmarktkrise drei Covered Bond Purchase Programme durchgeführt. Auch auf internationaler Ebene wurden zuletzt Covered Bonds gewürdigt, indem sie in der Vollendung des Basel-III-Accords38 privilegiert behandelt werden.
22.46
Seit 2015 befasst sich die Kommission mit der Frage, wie Covered Bonds auf europäischer Ebene geregelt werden sollen. Im März 2018 hat die Kommission den Entwurf einer Covered Bond Richtlinie veröffentlicht39. Diese soll eine Harmonisierung der Covered Bond Regelungen bezwecken. Begründet wird dies damit, dass Covered Bonds sich in der Finanzkrise als besonders sicher für Investoren und stabile Refinanzierungsquelle für Kreditinstitute bewiesen haben. Mit der Regelung soll ein Beitrag zur Vollendung einer Kapitalmarktunion geleistet werden. Schließlich soll sichergestellt werden, dass die diversen regulatorischen Privilegien nur solchen Papieren zu Gute kommen, die die notwendige Qualität aufweisen.
22.47
Die Richtlinie ist prinzipienbasiert ausgestattet und stellt auf eine Mindestharmonisierung ab. Somit besteht ausreichend Raum für die Beibehaltung von Besonderheiten nationaler Grundlagen der Emisson von Covered Bonds. Gegenüber der vorher für gedeckte Schuldverschreibungen maßgeblichen Regelung, Art. 52 Abs. 4 OGAW-RL40, enthält die vorgeschlagene Richtlinie einen Namensschutz für Covered Bonds und vielfache Spezifizierungen zu den Voraussetzungen für Covered Bonds. Die wichtigen für die Produktqualität maßgeblichen Aspekte wie beispielsweise die doppelten Haftungsrückgriff für Investoren
22.48
34 Insbes. in den USA, in Großbritannien, in den Niederlanden, in Japan und z.T. in Frankreich. 35 In Deutschland z.T. als gedeckte Schuldverschreibung. 36 VO Nr. 575/2013, s. ausführlich Hagen in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, Art. 129 CRR; Hagen in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kapitel 21. 37 RL 2014/59/EU. 38 Allgemein als Basel IV bezeichnet. 39 COM (2017)94/3, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the issue of covered bonds and covered bond public supervision and amending Directive 2009/ 65/EC and Directive 2014/59/EU. 40 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) 2009/65/EG, ABl. EU Nr. L 302 v. 17.11.2009, S. 32.
Hagen | 787
§ 22 | Pfandbriefe
(dual recourse), die Behandlung der Deckungswerte im Konkurs des Emittenten (asset segregation), des Treuhänderwesens (cover pool monitor) und die öffentliche Aufsicht (covered bond public supervision) sind dem PfandBG nachgebildet. Die öffentliche Aufsicht verbleibt bei den für die nationalen Covered Bond Emissionen zuständigen nationalen Behörden. Es bestehen nach heutigem Stand keine Regelungen, die Pfandbriefe nicht erfüllen würden.
22.49 Flankiert wird der Richtlinienvorschlag durch einen Vorschlag Art. 129 CRR zu novellie-
ren41. Darin enthalten sind die Streichung der Deckungsfähigkeit von Mortgage Backed Securities, die Einführung der Deckungsfähigkeit von Covered Bonds für Intra Group Geschäfte, eine Klarstellung der Zulässigkeit der Realkreditsplittings sowie eine Mindestüberdeckung von 5 % mit zwei Ausnahmetatbeständen: 2 % Mindestüberdeckung für Deckungswerte generell bei Wohnungskrediten und Staatskrediten sowie bei gewerblichen Hypothekenkrediten, wenn die Immobilie nach dem Beleihungswert bewertet wurde. Auch dieser Novellierungsvorschlag dürfte somit nicht zu einem Anpassungsbedarf beim PfandBG führen. Sicherheiten, die aus Registerpfandrechten nach § 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen und ausländische Flugzeughypotheken bestehen, sind nach wie vor nicht von Art. 129 CRR erfasst. Dies führt nicht zu einem Anpassungsbedarf des PfandBG, ändert jedoch nichts an der heutigen Situation, dass Flugzeugpfandbriefe die regulatorischen Privilegien, die an die Erfüllung von Art. 129 CRR geknüpft sind, nicht beanspruchen können.
41 COM (2018)93/4, Proposal for a Regulation oft he European Parliament and of the Council on amending Regulation (EU) No 575/2013 as regards exposures in the form of covered bonds.
788 | Hagen
§ 23 Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) I. Einleitung: Veränderte Rahmenbedingungen der Finanzierung durch Banken . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmensfinanzierung als erlaubnispflichtiges Bankgeschäft – Rahmenbedingungen für „Nicht-Banken“ . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des Kreditwesengesetzes auf Gelddarlehen an Unternehmen . . . . . . . . . . . a) Erlaubnispflicht nach KWG . . . b) Einschaltung eines Kreditinstituts als „Fronting Bank“ . . . . . c) Gelddarlehen i.S.d. § 488 BGB . d) Inlandsbezug . . . . . . . . . . . . . e) Ausnahme: Passive Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . f) Ausnahme: Nachrangdarlehen keine Gelddarlehen i.S.d. § 488 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldverschreibung grundsätzlich kein Kredit i.S.d. KWG . . . . a) Namensschuldverschreibungen . b) Inhaberschuldverschreibungen . III. Kreditvergabe als Teil der Investmenttätigkeit von Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Investmentrechtliche Zulässigkeit der Kreditvergabe durch deutsche Investmentvermögen . . a) Alte Rechtslage bis 18. März 2016 b) Neue Rechtslage ab 18. März 2016 durch das OGAW-VUmsetzungsgesetz . . . . . . . . . 2. (Keine) Erlaubnispflicht nach KWG bei der Kreditvergabe durch Investmentvermögen . . . . 3. Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen und deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaften . . . . . . a) Voraussetzung der originären Darlehensvergabe gemäß § 285 Abs. 2 KAGB . . . . . . . . . . . . aa) Inländischer geschlossener Spezial-AIF . . . . . . . . . . .
_
23.1
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23.7 23.8 23.8
23.12 23.17 23.20 23.23 23.28 23.30 23.31 23.32
23.39 23.39 23.39 23.41 23.43
_ _ _
23.47 23.48 23.49
bb) Begrenzung der Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . . cc) Keine Darlehensvergabe an Verbraucher . . . . . . . . . . dd) Darlehens-Einzelgrenze . . . b) Anforderungen an die AIFKapitalverwaltungsgesellschaft . aa) Risikomanagement . . . . . . bb) Millionenkreditmeldeverfahren . . . . . . . . . . . . 4. Kreditvergabe durch EU-Investmentvermögen . . . . . . . . . . . . . a) Erlaubnispflicht nach KWG . . . b) Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch EU-AIF in Deutschland . 5. Kreditvergabe durch Nicht-EUInvestmentvermögen . . . . . . . . . a) Erlaubnispflicht nach KWG . . . b) Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch NICHT-EU-AIF in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 6. Aufsichtsrechtlicher Status ausländischer Kreditfonds im Sitzstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditvergabe durch Investmentvermögen in Luxemburg . . b) Kreditvergabe durch Investmentvermögen in Irland . . . . . 7. Kreditvergabe nach der ELTIF-VO 8. Ausblick: Harmonisierung und Regulierung von Kreditfonds in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bericht des Europäischen Ausschuss für Systemrisiken Mai 2017 . . . . . . . . . . . . . . . b) Europäische Zentralbank, Dokument Nr. 174 vom Juni 2016 . . c) ESMA – Gutachten zu den Schlüsselprinzipien eines europäischen Rahmenwerks für die Kreditvergabe durch Fonds vom April 2016 . . . . . . . . . . .
_ __ __ _ __ _ __ _ _ _ __ _ _ _
23.51 23.53 23.54 23.56 23.57 23.60 23.61 23.62 23.66 23.68 23.69
23.71 23.72 23.73 23.78 23.81 23.83 23.85 23.90
_ __
23.92
IV. Unternehmensfinanzierung durch Crowd Lending . . . . . . . . 23.94 1. Gestaltungsmodelle . . . . . . . . . . 23.96
Stamm | 789
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) a) Unechtes P2P-Lending . . . . . . b) P2P-Lending . . . . . . . . . . . . . 2. Erlaubnispflichtige Anlagevermittlung durch die Crowd Lending-Plattform gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 KWG . . . . . . . . . . . a) Bereichsausnahme . . . . . . . . .
__ __
23.98 23.101
23.105 23.108
__ _
b) Erlaubnis nach § 34c GewO oder § 34f GewO . . . . . . . . . . . . . . 23.114 3. Prospektpflicht „Crowd Lending“ 23.115 V. Kapitalmarkt- und aufsichtsrechtliche Aspekte aus Sicht von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 23.121
Schrifttum: Beck/Samm/Kokemoor, Gesetz über das Kreditwesen (KWG), Loseblatt; Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 5. Aufl. 2016; Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 44. EL Februar 2018; Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016; Reischauer/Kleinhans, (Kreditwesengesetz), KWG, Loseblatt; Schwennicke/Auerbach, Kreditwesengesetz (KWG), 3. Aufl. 2016; Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Aufl. 2016; Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 5. Aufl. 2016.
I. Einleitung: Veränderte Rahmenbedingungen der Finanzierung durch Banken 23.1
Seit der Finanzkrise wurden durch eine Vielzahl von regulatorischen Maßnahmen Banken gezwungen, die Finanzierungsaktivitäten in verschiedenen Marktsegmenten, insbesondere auch im Bereich der Finanzierung von Unternehmen, zu reduzieren. Umgekehrt verstärkt sich infolge der durch die globalen Notenbanken ausgelösten Niedrigzinspolitik das Interesse von Nicht-Banken, außerhalb der öffentlichen Kapitalmärkte zu investieren. Große institutionelle Anleger (u.a. Versicherungen) sowie spezialisierte Asset Manager treten als Kreditgeber an Unternehmen auf. Im Markt wird dies als „Private Debt“ sowie – im Hinblick auf die direkte Kreditvergabe – auch als „Direct Lending“ bezeichnet. Dies führte in den letzten Jahren insbesondere dazu, dass institutionelle Kapitalsammelstellen als sog. „Private Debt Fonds“ (bzw. Kreditfonds) unmittelbar als Finanzierungsgeber auftreten. Der globale Markt von Kreditfonds wird per Ende 2016 mit rund 600 Mrd. Euro geschätzt mit einem erwarteten Wachstum auf 1.000 Mrd. Euro bis Ende 20191.
23.2
Bei Kreditfonds, die sich auf die Ausreichung von Darlehen an mittelständische Unternehmen fokussieren, wird von sog. Mid-Market Private Debt Fonds gesprochen, die speziell im Bereich unterhalb des sog. „Investment Grade Rating“ Finanzierungen an Unternehmen vergeben. Dabei wird je nachdem, ob die finanzierungsuchenden Unternehmen von Private Equity Häusern gehalten werden, oder sich im Familienkreis befinden, zwischen sog. „sponsored“ versus „non-sponsored“ Finanzierungstransaktionen differenziert.
23.3
Banken sind durch eine Vielzahl von im Rahmen des sog. CRD IV Regulierungspakets eingeführte regulatorische Maßnahmen im Marktsegment der langfristigen Unternehmensfinanzierungen betroffen. So müssen u.a. langfristige Darlehen mit höheren regulatorischen Eigenmitteln unterlegt werden, da die Bewertungsansätze dieser Darlehen als Teil der sog. Risikoaktiva („RWA“) erhöht werden. Des Weiteren müssen höhere Eigenmittel sowie höhere liquide Mittel (sog. Leverage Cover Ratio) unterhalten werden2. Im Marktsegment der Übernahme- und Wachstumsfinanzierungen (Leverage Buyout Finanzierungen) hat die EZB, entsprechend den Maßnahmen der U.S. Bankaufsichtsbehörden, für europäische 1 Preqin Statistik (www.preqin.com); www.lendingforgrowth.org. 2 Vgl. Marktstudie „Die Folgen von Basel IV“ (www.voeb.de; 18.5.2018).
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Banken Verschuldungsgrenzen bei der Ausgestaltung der entsprechenden Finanzierungen eingeführt3. Banken reduzieren daher ihr Engagement im Bereich der langfristigen Unternehmensfinanzierungen oder binden institutionelle Investoren als Co-Investoren ein. Die von Kreditfonds im deutschen Markt vergebenen Unternehmensfinanzierungen lehnen sich im Hinblick auf die juristische Ausgestaltung grundsätzlich den im internationalen strukturierten Finanzierungsmarkt von den Banken entwickelten Kriterien an4. Die Finanzierungen sind durch (vorrangige) Sicherheiten gesichert (Senior Secured Lending) und verfügen über marktübliche vertragliche Auflagen (Coverants) und Kündigungsrechte5.
23.4
Die Transaktionsgröße dieser Finanzierungen durch Kreditfonds, bzw. direkt durch große institutionelle Investoren, liegt bisher zwischen rund 10 Mio. bis 200 Mio. Euro je Transaktion. Investoren der Kreditfonds sind typischerweise institutionelle Anleger (beispielsweise Versicherungen, Pensionskassen, Versorgungswerke), die über einen Zeitraum von 5 bis 7 Jahren dem Kreditfonds als Gesellschafter Kapital zur Verfügung stellen. Daneben treten große institutionelle Investoren (Versicherungen und Versorgungswerke) teilweise unmittelbar als Finanzierungsgeber auf.
23.5
Unterhalb dieses Marktsegments, d.h. im Bereich der kleinvolumigen Unternehmensfinanzierungen, entwickelte sich in den letzten Jahren ein weiteres neues Marktsegment in Form der sog. Online-Kreditmarktplätze (bzw. Crowd Lending oder P-2-P Lending Plattformen). Hierbei handelt es sich um internetbasierte Online-Kreditmarktplätze, bei denen im Bereich der Unternehmensfinanzierungen kleinen Unternehmen (sowie selbständigen Unternehmern) durch Vermittlung von Online-Kreditmarktplätzen von Anlegern Kapital zur Verfügung gestellt wird. Die Investitionsbeträge des überwiegend von Privatanlegern zur Verfügung gestellten Kapitals bewegen sich je Anleger in relativ kleinen Beträgen (in Deutschland beispielsweise von bis zu 10.000 Euro je Privatanleger). Durch die Verknüpfung von einer Vielzahl von Anlegern entstehen jedoch in Summe höhere Beträge, die den Finanzierungsbedarf auch von kleinen mittelständischen Unternehmen decken. Insoweit wird auch von Crowd Lending gesprochen6. Für 2018 werden für Online-Kreditmarktplätze Volumen von 7,5 Mrd. GBP in UK und 2,8 Mrd. Euro in Europa vorhergesagt7. Größere Kreditplattformen erhalten ihrerseits auch Zugang zum Kapitalmarkt in Form der Verbriefung von über die Plattform vermittelten Krediten oder durch Kredite von institutionellen Anlegern. Auch entwickelten sich Fonds, die als Kapitalsammelstelle Darlehen von Online-Kreditmarktplätzen erwerben. Insoweit entwickeln sich diese Plattformen über das ursprüngliche Geschäftsmodell als „P-2-P“ Vermittlungsplattform auch zu institutionellen Marktteilnehmern.
23.6
3 EZB Final Guidance on Leveraged Transactions, 16.5.2017 (u.a. „Total Debt“ von maximal dem 4-fachen EBITDA). 4 Loan Market Association (www.lma.eu.com). 5 Einen Überblick über die Entwicklung dieses Finanzierungsmarkts gibt beispielsweise die Studie „Financing the Economy 2017“, die für 2016 288 Transaktionen durch 59 Kreditfonds in Europa benennt, www.lendingforgrowth.org. 6 S. beispielsweise die englische Vermittlungsplattform Funding Circle, die europaweit durchschnittlich rund 32.000 GBP sowie im deutschen Markt Kredite von bis zu 250.000 Euro an Kreditnehmer vermittelt (www.fundingcircle.com; www.fcincomefund.com, Fact Sheet 30.4. 2018) oder auch die deutsche Plattform Auxmoney (www.auxmoney.com). 7 www.altifidata.com.
Stamm | 791
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
II. Unternehmensfinanzierung als erlaubnispflichtiges Bankgeschäft – Rahmenbedingungen für „Nicht-Banken“ 23.7
Es bedarf der schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will (§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG). Die Erfüllung einer Alternative genügt, um die Erlaubnispflicht des Geschäfts zu begründen. Auf die Rechtsform des Unternehmens (natürliche Person, Personengesellschaft, juristische Person, Investmentvermögen) kommt es dabei nicht an.
1. Anwendungsbereich des Kreditwesengesetzes auf Gelddarlehen an Unternehmen a) Erlaubnispflicht nach KWG
23.8
Aufsichtsrechtliche Einschränkungen ergeben sich für die Geschäftstätigkeit eines Kreditfonds sowie von institutionellen Investoren. Hier ist, neben der Erlaubnispflicht der Kapitalverwaltungsgesellschaft nach dem KAGB, insbesondere eine Erlaubnispflicht (§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG) für das Betreiben eines Bankgeschäfts in Form des Kreditgeschäfts (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG) zu beachten, sofern Darlehen an deutsche Kreditnehmer vergeben werden.
23.9
Die Voraussetzung für die Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG, dass ein Bankgeschäft gewerbsmäßig oder in einem Umfang betrieben wird, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, ist regelmäßig erfüllt. Gewerbsmäßiges Betreiben liegt nach dem Merkblatt der BaFin zum Tatbestand des Kreditgeschäfts vom 8. Januar 20098 dann vor, wenn der Betrieb des Kreditgeschäfts auf eine gewisse Dauer angelegt ist und mit der Absicht der Gewinnerzielung verfolgt wird. Das ist bei einem Kreditfonds, der Darlehen vergibt, der Fall. Überdies überschreitet der Umfang der Geschäfte eines Kreditfonds in der Regel die nach dem genannten Merkblatt der BaFin für das Erfordernis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes regelmäßig erforderlichen Grenzen von entweder mehr als hundert Darlehen oder aber einem Gesamtdarlehensvolumen von 500.000 Euro bei mindestens 21 Darlehen, falls nur das Kreditgeschäft betrieben wird. Bei einer Kombination etwa von Kredit- und Einlagengeschäft (das von einem Kreditfonds üblicherweise nicht betrieben wird, da dieser direkt durch die Ausgabe von Fondsanteilen kapitalisiert wird) lägen die Grenzen entweder bei 25 Fällen oder einem Kredit- und Einlagengesamtvolumen von 12.500 Euro (wobei Kreditfälle jeweils nur mit einer Gewichtung 25 % auf die beiden Grenzen angerechnet werden).
23.10 Wird eine erforderliche Erlaubnis nicht eingeholt, hat die BaFin die Möglichkeit, gegen die nicht erlaubten Geschäfte vorzugehen, indem sie die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs anordnet (§ 37 Abs. 1 Satz 1 KWG). Daneben sieht die Regelung des § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG, für den Betreibenden strafrechtliche Konsequenzen vor (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe), § 54 Abs. 2 KWG sogar für fahrlässiges Handeln. Dies betrifft auch im Ausland ansässige Finanzierungsgeber, sofern sie grenzüberschreitend tätig werden.
8 Geändert am 2.5.2016.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Aus Sicht des finanzierten Unternehmens besteht auch ein Interesse an der aufsichtsrechtlichen zulässigen Kreditvergabe des Finanzierungsgebers, da anderenfalls eine Rückabwicklung der Finanzierung droht. Es ist daher unverzichtbar, die Tätigkeit eines in Deutschland tätigen Kreditfonds bzw. institutionellen Finanzierungsgebers so zu gestalten, dass kein Kreditgeschäft betrieben wird.
23.11
b) Einschaltung eines Kreditinstituts als „Fronting Bank“ Das Kreditgeschäft wird als die Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten im Inland definiert (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG). Die erlaubnisfreie Tätigkeit eines Kreditfonds könnte unter Nutzung der Grenzen dieses Tatbestandes erfolgen, indem der Kreditfonds ausschließlich Darlehen(sforderungen) erwirbt, die zunächst von einer Bank (sog. „Fronting Bank“) ausgereicht und anschließend an den Kreditfonds „übertragen“ werden. Dabei sind die Alternativen eines Forderungsverkaufs und der Vertragsübernahme des Darlehensverhältnisses denkbar.
23.12
– Beim Forderungsverkauf wird im Wege der stillen oder offenen Abtretung die Darlehensforderung veräußert. Die Abtretung stellt nach dem Merkblatt der BaFin vom 8. Januar 2009 für den Zessionär kein Kreditgeschäft i.S.d. § 1 Satz 2 Nr. 2 KWG dar. Bei der Abtretung von Forderungen aus Verbraucherdarlehen sind jedoch zahlreiche Beschränkungen zu beachten. Aus diesem Grund kann es sich für einen Kreditfonds empfehlen, keine derartigen Forderungen zu erwerben, sondern sich auf Forderungen aus gewerblichen Darlehen zu beschränken. U.a. sind seit Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes9 Verbraucher gemäß § 492 Abs. 1a BGB bei Immobiliendarlehensverträgen beim Abschluss des Vertrages darüber zu unterrichten, dass Forderungen aus dem Vertrag ohne Zustimmung des Darlehensnehmers abgetreten werden können. Der Darlehensgeber bzw. der neue Inhaber der Forderung, sofern der Darlehensgeber (als „Servicing Agent“) nicht weiterhin alleine gegenüber dem Schuldner auftritt, ist verpflichtet, diesen u.a. über das Auslaufen einer Zinsbindung oder die bevorstehende Beendigung des Darlehensvertrages sowie über den neuen Gläubiger zu unterrichten (§ 492 Abs. 1a BGB). Weitere Risiken können sich allgemein aus der Möglichkeit des Widerrufs des Abschlusses von Verbraucherdarlehen und verbundenen Geschäften ergeben. Beim Erwerb gewerblicher Forderungen ist zu beachten, dass ein wirksames Abtretungsverbot auch beim Vorliegen eines Handelsgeschäfts vereinbart werden kann, sofern der Gläubiger ein Kreditinstitut ist (§ 354a HGB).
23.13
– Ferner kann ein Darlehen vertraglich im Wege der Vertragsübernahme auf den Kreditfonds übertragen werden. In diesem Fall tritt der Erwerber an die Stelle des Veräußerers in das Kreditverhältnis ein. Nach von der BaFin in dem genannten Merkblatt bestätigter ständiger Verwaltungspraxis wird die rechtsgeschäftliche Übertragung des (bereits begründeten) Darlehensverhältnisses vom Kreditinstitut auf den Kreditkäufer nicht als Kreditgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG angesehen. Dieses Ergebnis sei laut BaFin an dem Tatbestandsmerkmal „gewähren“ festzumachen. Die Vertragsübernahme ist zivilrechtlich nur mit Zustimmung des Darlehensnehmers möglich. Ein Darlehensvertrag kann zwar zivilrechtlich bereits unmittelbar nach seinem Abschluss und vor Valutierung übertragen werden. Ob das Darlehen bereits valutiert und damit die Rückzahlungsverpflichtung entstanden sein muss, ergibt sich aus dem
23.14
9 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) vom 12. August 2008, in Kraft getreten am 19. August 2008 (BGBl. I 2008, S. 4).
Stamm | 793
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
entsprechenden Merkblatt der BaFin auch nicht ausdrücklich. Die BaFin geht dort aber davon aus, dass den in dem Merkblatt beschriebenen erlaubnisfreien Fallkonstellationen gemein sei, „dass das Darlehen ursprünglich von einem lizenzierten Kreditinstitut ausgereicht wird.“ Um eine Finanzierung erlaubnisfrei gestalten zu können, sollte demnach in jedem Fall zunächst ein Kreditinstitut das Darlehen valutieren und das Darlehensverhältnis erst danach von dem Kreditfonds übernommen werden.
23.15 Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Übernahme eines bestehenden Darlehens laut BaFin
grundsätzlich (nachträglich) zum Kreditgeschäft wird, wenn das Darlehensverhältnis so umstrukturiert wird, dass der Zessionar dem Darlehensnehmer nachträglich in diesem Zusammenhang einen neuen Kredit gewährt, etwa durch die Ausreichung neuer Kreditmittel oder auch die Prolongation der bestehenden Darlehensvereinbarung.Die BaFin stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, ob die jeweilige Maßnahme einer Restrukturierung eine Kreditentscheidung erfordert und somit als „Gewährung eines Kredits“ eingestuft werden muss10. Eine Stundungsvereinbarung löst beispielsweise keine Erlaubnispflicht aus, sofern „nur“ die Fälligkeit des Anspruchs verschoben wird. Eine Prolongation ist demgegenüber als erlaubnispflichtige „Gewährung eines neuen Kredits“ einzustufen11. Eine Erlaubnispflicht entsteht aber nur, wenn das jeweilige Bankgeschäft gewerbsmäßig betrieben wird, so dass eine einzelne Restrukturierungsmaßnahme grundsätzlich unproblematisch sein sollte.
23.16 Die Übertragung einer Darlehensforderung an eine „Nicht-Bank“ führt nach Auffassung
des BGH – jedenfalls bei einem in Deutschland ansässigen Erwerber – auch nicht zu einer Unwirksamkeit der Übertragung nach § 134 BGB12. Ebenso löst auch ein etwaiger bei der Übertragung der Darlehensforderung begangener Verstoß gegen das Bankgeheimnis bzw. das BDSG und die DSGVO keine Unwirksamkeit der Übertragung aus, sondern gewährt dem Darlehensnehmer ggf. einen Schadensersatzanspruch gegen die „Fronting Bank“. c) Gelddarlehen i.S.d. § 488 BGB
23.17 Der Erlaubnistatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 KWG umfasst das Gewähren eines „Gelddarlehens oder Akzeptkredits“ als Grundformen des Zahlungs- und Haftungskredits13. Nach Auffassung der BaFin gewährt derjenige ein Geldarlehen, wer einen privatrechtlichen Darlehensvertrag im Sinne von § 488 (BGB) oder einen vergleichbaren Vertrag unter ausländischem Recht als Darlehensgeber schließt.14
23.18 Ein Darlehensvertrag liegt vor, wenn sich der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung zu stellen und der Darlehensnehmer sich verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 BGB). Das Gelddarlehen tritt in unterschiedlichen Erscheinungsformen
10 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) bb) (4). 11 Samm in Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 1 Rz. 217 ff. 12 BGH v. 19.4.2011 – XI ZR 256/10, NJW 2011, 3024. 13 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa); C. Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rz. 6. 14 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa).
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
auf, die alle von § 21 Abs. 1 Nr. 1 KWG erfasst werden15. Mit der Verwendung der Worte „aller Art“ in § 21 Abs. 1 KWG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass der Begriff „Gelddarlehen“ zum einen weit auszulegen ist und zum anderen, dass er umfassender ist als der in § 488 Abs. 1 BGB verwendete Begriff „Gelddarlehen“. Dabei muss es sich jedoch um eine Forderung handeln, die auf Geld lautet16. Die Gelder müssen dabei rückzahlbar sein17. Verlorene Zuschüsse sind daher kein Darlehen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG. Der Rückzahlungsanspruch muss auf Geld lauten18. Wer Geld hingibt und nach Ende der Laufzeit Wertpapiere, Sachen oder Rechte zurückerhalten soll, schließt keinen Darlehensvertrag i.S.d. § 488 BGB. Unerheblich im Hinblick auf den Tatbestand ist nach Auffassung der BaFin insbesondere, (i) ob Zinsen bedungen sind, (ii) ob der Darlehensgeber den Geldbetrag auf Weisung des Darlehensnehmers an einen Dritten auszuzahlen hat, (iii) die Art und der Umfang der Besicherung und (iv) ob die Geldvergabe mit Fremdmitteln refinanziert wird oder mit eigenen Mitteln unterlegt ist19. Ebenfalls fällt der Abschluss eines Darlehensvorvertrags unter den Begriff des Kreditgeschäfts im Sinne des KWG20.
23.19
d) Inlandsbezug Unter den Erlaubnisvorbehalt nach § 32 Abs. 1 KWG fällt das Geschäft nur, wenn es (auch) im Inland betrieben wird. Dazu muss der Betreiber nicht in Deutschland seinen Geschäftssitz haben oder eine rechtlich unselbständige Zweigniederlassung in Deutschland errichten, von der aus er die Geschäfte betreibt. Der erforderliche Inlandsbezug besteht bereits, wenn sich das Angebot aus dem Ausland auch und gerade an Personen richtet, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben21.
23.20
Nach Auffassung der BaFin besteht bereits der erforderliche Inlandsbezug, wenn „der Erbringer der Dienstleistung seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat und sich im Inland zielgerichtet an den Markt wendet, um gegenüber Unternehmen und/oder Personen, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wiederholt und geschäftsmäßig Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen anzubieten“.22
23.21
Soweit ausländische institutionelle Anleger (Kreditfonds) Finanzierungskapital zielgerichtet (z.B. durch Pressemitteilungen oder Internetauftritt) auch deutschen Unternehmen anbieten, besteht ein entsprechender Inlandsbezug. Anbieter aus Nicht-EWR-Staaten, die
23.22
15 Vgl. C. Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rz. 17. 16 Vgl. C. Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rz. 16. 17 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa). 18 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa). 19 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa). 20 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1a) aa). 21 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 2. 22 BaFin Merkblatt – Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen v. 1.4.2005, S. 1.
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§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
Bank- und Finanzdienstleistungsprodukte in Deutschland zielgerichtet vertreiben wollen, müssen daher zur Erlangung der hierzu erforderlichen Erlaubnis ein Tochterunternehmen (§ 32 Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 KWG) oder eine Zweigstelle (§ 32 Abs. 1 i.V.m. § 53 KWG) in Deutschland gründen. Dies gilt grundsätzlich ebenfalls für Anbieter aus EWR-Staaten, soweit diese für ihre in Deutschland angebotenen Bank- und/oder Finanzdienstleistungen nicht den sog. Europäischen Pass in Anspruch nehmen können23. Für Unternehmen aus den EWR-Staaten besteht – unter den Voraussetzungen des § 53b KWG (sog. Notifizierungsverfahren/ Europäischer Pass) – dagegen neben der Möglichkeit der Errichtung einer Zweigniederlassung (§ 53b Abs. 2 KWG) auch die Möglichkeit des Betreibens erlaubnispflichtiger Geschäfte im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs – ohne entsprechende inländische Präsenz – (§ 53b Abs. 2a KWG). e) Ausnahme: Passive Dienstleistungsfreiheit
23.23 Keine Einschränkung besteht für die sog. passive Dienstleistungsfreiheit, d.h. das Recht der
im Inland ansässigen Personen und Unternehmen, aus eigener Initiative Dienstleistungen eines ausländischen Anbieters nachzufragen. Die passive Dienstleistungsfreiheit ist Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, die im Hinblick auf den Empfänger der Dienstleistung – anders als beim Dienstleistungserbringer – nicht durch Regelungen der Wirtschaftsaufsicht (z.B. KWG) eingeschränkt wird24.
23.24 Geschäfte, die aufgrund der Initiative des deutschen Kunden (auch aus dem Ausland heraus)
zustande gekommen sind, führen damit grundsätzlich nicht zur Erlaubnispflicht (§ 32 Abs. 1 KWG)25. Die BaFin behält sich jedoch eine Gesamtbetrachtung auf Einzelfallbasis vor26.
23.25 Dabei darf die BaFin keine weiteren Vorgaben u.a. hinsichtlich einer Regulierung des aus-
ländischen Empfängers der Nachfragetätigkeit im jeweiligen Heimatstaat voraussetzen. Die in der EuGH-Judikatur betonte Auswahlfreiheit des Dienstleistungsempfängers27 dient dem Wettbewerb zwischen Dienstleistenden mit nur lokalem, regionalem oder nationalem Tätigkeitsfeld28. Regelungen des Ansässigkeitsstaates des Nachfragers, die den Zutritt zu anderen Märkten in spezifischer Weise behindern, fallen – spiegelbildlich zur Freiheit des Dienstleisters – unter das Verbot des Art. 56 AEUV29. Es umfasst ein Verbot der Diskriminierung der Inanspruchnahme grenzüberschreitender Dienstleistungen. Nach Art. 56 AEUV sind „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, (…) verboten“.
23 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/ oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen v. 1.4.2005, S. 1. 24 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/ oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen v. 1.4.2005, Ziffer 5. 25 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/ oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen v. 1.4.2005, S. 1. 26 C. Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 53 Rz. 162. 27 EuGH v. 25.7.1991 – C-76/90 – Säger, Slg. 1991, I-4221 Rz. 14; EuGH v. 19.6.2014 – C-53/13 und C-80/13 – Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor, ECLI:EU:C:2014:2011 Rz. 40. 28 Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E.I., Rz. 199. 29 Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E.I., Rz. 199.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Aber auch für Drittstaatenunternehmen außerhalb der EU ist es anerkannt, dass diese für jegliche Kategorie von Kunden und ohne erforderliche Zulassung oder Registrierung in der EU Wertpapierdienstleistungen erbringen und Anlagetätigkeiten ausüben dürfen, falls dies auf „Veranlassung des Kunden“ hin erfolgt.
23.26
Auf den aufsichtsrechtlichen Status im Herkunftsstaat des von deutschen Unternehmen angefragten ausländischen Finanzierungsgebers kommt es somit aus dem Blickwinkel des deutschen Aufsichtsrechts nicht an.
23.27
f) Ausnahme: Nachrangdarlehen keine Gelddarlehen i.S.d. § 488 BGB Durch die Vereinbarung einer qualifizierten Rangrücktrittsklausel in einem Darlehensvertrag wird eine „Wesensänderung der Geldhingabe vom bankgeschäftstypischen Darlehen mit unbedingter Rückzahlungsverpflichtung hin zur unternehmerischen Beteiligung mit einer eigenkapitalähnlichen Haftungsfunktion“ bewirkt30. In diesem Fall fehlt es nach Auffassung der BaFin an der Tatbestandsvoraussetzung der „Unbedingtheit des Rückzahlungsanspruchs“31. Bei einem (klassischen) nicht-nachrangigen Darlehen verpflichtet sich nämlich der Darlehensgeber, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Den Darlehensnehmer trifft im Gegenzug die Verpflichtung, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit die zur Verfügung gestellte Darlehensvaluta zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 BGB).
23.28
Nachrangdarlehen qualifizieren nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 4 VermAnlG als Vermögensanlagen, wobei der Begriff des Nachrangdarlehens im VermAnlG nicht definiert, sondern vorausgesetzt wird32. Im Gegensatz zum nicht-nachrangigen Darlehen, weisen Nachrangdarlehen eine Rangrücktrittserklärung auf, nach welcher die Forderungen des Darlehensgebers hinter die Forderungen erstrangiger Gläubiger zurücktreten, ohne Eigenkapital zu werden (s. auch Rz. 23.122). In der finanziellen Krise des Unternehmens bewirkt das Nachrangdarlehen haftungsstärkende Funktion. Dessen ungeachtet soll der Darlehensgeber im Insolvenzfall des Kreditnehmers weiterhin berechtigt sein, seine Forderungen auf gleicher Stufe mit sonstigen Gläubigern geltend zu machen.
23.29
2. Schuldverschreibung grundsätzlich kein Kredit i.S.d. KWG Mangels eines einheitlichen Kreditbegriffs ist in jedem Regelungszusammenhang der Inhalt des Kreditbegriffs gesondert zu bestimmen. So ist der Kreditbegriff des § 21 Abs. 1 KWG nicht deckungsgleich mit dem Kreditbegriff des Erlaubnistatbestands für das Kreditgeschäft in § 1 Abs. 1 Nr. 2 KWG. Dieser ist auf das Gewähren eines Gelddarlehens oder Akzeptkredits als Grundformen des Zahlungs- und Haftungskredits beschränkt33. 30 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts v. 11.3.2014, Ziffer I. 5a) aa)). 31 BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts v. 8.1.2009 (Stand Mai 2016), Ziffer 1A) cc) (4); BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, v. 11.3. 2014, Ziffer I. 5a) aa). 32 So auch die Gesetzesbegründung, welche diesen Begriff ohne weitere Ausführungen in das VermAnlG aufgenommen hat, vgl. BT-Drucks. 18/3994, S. 38 f.; zum Begriff des Nachrangdarlehens vgl. Berger in MünchKomm. BGB, Vor § 488 Rz. 105; Kraus in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, Teil D. Rz. 32; Harder in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, § 20 Rz. 433. 33 C. Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rz. 6.
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23.30
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
a) Namensschuldverschreibungen
23.31 Seit der 2. KWG-Novelle werden Forderungen aus Namensschuldverschreibungen den
Krediten i.S.d §§ 15–18 Abs. 1 KWG ausdrücklich zugerechnet (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 KWG). Der Gesetzgeber sah dies als sachgerecht an, da die Mittelüberlassung gegen Empfang einer Namensschuldverschreibung nicht anders als eine Darlehensgewährung zu bewerten sei34. Insbesondere qualifiziert eine Namensschuldverschreibung zivilrechtlich als Forderung35, da die Namensschuldverschreibungen zwar übertragbar, jedoch das verbriefte Recht nicht (wie bei Wertpapieren im engeren Sinne) nach sachenrechtlichen, sondern nach forderungsrechtlichen Grundsätzen durch Zession der verbrieften Forderung übertragen wird36. b) Inhaberschuldverschreibungen
23.32 Sofern eine Finanzierung hingegen durch den Ankauf von durch die jeweiligen Unternehmen begebenen Inhaberschuldverschreibungen zur Verfügung gestellt wird, liegt regelmäßig kein Kreditgeschäft vor, da der Ankauf einer Schuldverschreibung keine Begründung eines Darlehens i.S.d. § 488 BGB darstellt. Daneben stellt die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen aus Sicht des Emittenten kein Einlagengeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG dar.
23.33 Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme für Inhaberschuldverschrei-
bungen ist nach Merkblatt der BaFin vom 9. Januar 2009 mit Hinweisen zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, dass die Instrumente Teil einer Emission von Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt sind37.
23.34 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat in seinem rechtskräftigen Urteil vom 22.6.
201638 die Rechtsauffassung der BaFin bestätigt, dass ein Geschäftskonzept, mit dem der Betreiber in einer Gesamtbetrachtung seines Aktiv- und Passivgeschäfts wie ein Kreditinstitut am Markt tätig würde, der Erlaubnispflicht nach dem KWG unterliegt39.
34 Reg.Begr. zum 2. Änderungsgesetz KWG, BT-Drucks. 7/3657, S. 12 f.; C. Bock in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rz. 40. 35 Vgl. auch Wortlaut § 341c HGB, welcher von Namensschuldverschreibungen, Hypothekendarlehen und andere Forderungen spricht. 36 Oechsler in MünchKomm. BGB, § 952 Rz. 5; Oechsler in MünchKomm. BGB, § 929 Rz. 15. 37 Nach dem Merkblatt fallen individuell ausgestellte Inhaberschuldverschreibungen, die ihrer Art nach nicht gegen Instrumente derselben Gattung austauschbar sind, nicht unter die Bereichsausnahme, die Ausgabe ist also bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Einlagengeschäft. 38 Vgl. VG Frankfurt a.M. v. 22.6.2016 – 7 K 3073/15.F(1), BeckRS 2016, 56033 und besprochen in Herz, EuZW 2018, 5. 39 Nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt beabsichtigte die Klägerin, im Passivgeschäft durch Ausgabe von Genussrechten mit qualifizierter Nachrangklausel und durch die Emission eigener Inhaberschuldverschreibungen Kapital einzuwerben. Im Aktivgeschäft sollte dieses Kapital zum einen an zahlreiche gewerbliche Kunden als Darlehen mit qualifizierter Nachrangklausel ausgereicht werden. Zum anderen wollte die Klägerin von gewerblichen Kunden Inhaberschuldverschreibungen ankaufen. Dabei sollten sowohl der Begebungsvertrag als auch die Urkunden der Inhaberschuldverschreibungen nach Mustern erstellt werden, welche das Unternehmen hierfür auf seinen Internetseiten zur Verfügung stellen wollte. Die Inhaberschuldverschreibungen sollten zudem nicht allgemein am Kapitalmarkt angeboten, sondern nur gegenüber der späteren Klägerin selbst „emittiert“ werden.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Das Gericht stellte insbesondere fest, dass der geplante Ankauf von Inhaberschuldverschreibungen in dem jeweiligen Einzelfall Fall den Tatbestand des erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG erfüllt, sofern es sich bei dem geplanten Erwerb von Inhaberschuldverschreibungen letztlich um individuell ausgestellte Inhaberschuldverschreibungen handelt, welche nicht von emittierenden Unternehmen eigenständig entwickelt wurden, sondern welche von den Investoren den Austellern der Inhaberschuldverschreibungen zur Verfügung gestellt werden und welche nicht am Kapitalmarkt emittiert werden, sondern ausschließlich für die Klägerin als Empfängerin bestimmt sind. Die Zeichnung der Inhaberschuldverschreibungen sei in einem solchen Fall als Vergabe von Darlehen i.S.d. § 488 Abs. 1 BGB zu qualifizieren. Das Gericht hob hervor, dass der Verkauf von Inhaberschuldverschreibungen an nur ein einziges Unternehmen, das zuvor bereits an der Entwicklung dieser Instrumente beteiligt war, keine „Emission am Kapitalmarkt“ darstelle und somit nicht unter die Bereichsausnahme für Inhaberschuldverschreibungen falle.
23.35
Sofern im Vorhinein der Emittent die Begebung von Schuldverschreibungen nur an einen bestimmten Investor plant, besteht hier somit ein aufsichtsrechtliches Risiko.
23.36
Die zivilrechtliche Ausgestaltung der Finanzierung in Form eines Wertpapiers wird insoweit durch § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG überlagert, wonach ein Einlagengeschäft dann nicht erlaubnispflichtig ist, wenn der Rückzahlungsanspruch in Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen verbrieft ist. Diese Bereichsausnahme gilt auch für den Rückzahlungsanspruch im Rahmen eines Aktivgeschäftes nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG und führt damit nicht zu einem erlaubnispflichtigen Kreditgeschäft.
23.37
Nach der Gesetzesbegründung40 soll die Bereichsausnahme für Inhaber- und Orderschuldverschreibungen nur von Unternehmen zur Refinanzierung am Kapitalmarkt genutzt werden können. Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung der Bereichsausnahme die direkte Finanzierung der deutschen Industrieunternehmen am Kapitalmarkt, ohne die Notwendigkeit der Intermediation durch staatlich lizensierte Banken, privilegieren. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme für Inhaber- und Orderschuldverschreibungen ist, dass die Instrumente Teil einer Emission von Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt sind (Inhaber- oder Orderteilschuldverschreibungen). Im Gesetzestext ergibt sich diese Anforderung nach Auffassung des VG Frankfurt a.M. „durch die Verwendung der Mehrzahl der Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen in Kombination mit der Einzahl für den Rückzahlungsanspruch“. Individuell ausgestellte Inhaberschuldverschreibungen, die ihrer Art nach nicht gegen andere Instrumente derselben Gattung austauschbar sind, fallen nicht unter die Bereichsausnahme41.
23.38
40 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 13/7142, S. 63. „Die Ausgabe von Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen ist auch künftig nicht als Einlagengeschäft anzusehen. Industrieunternehmen sollen sich auch künftig über die Ausgabe von Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen direkt am Kapitalmarkt finanzieren können, ohne dadurch zu Kreditinstituten zu werden. Dem Kundenschutz wird durch das Wertpapierverkaufsprospektgesetz ausreichend Rechnung getragen. Den EG-rechtlichen Anforderungen, die bei der Definition des Einlagenkreditinstituts diese Einschränkung auf der Finanzierungsseite nicht vorsehen, wird dadurch Rechnung getragen, dass das gewerbsmäßige Betreiben des Kreditgeschäftes für sich genommen bereits ein Unternehmen als Kreditinstitut qualifiziert.“ 41 Vgl. VG Frankfurt a.M. v. 22.6.2016 – 7 K 3073/15.F(1), BeckRS 2016, 56033 mit Verweis auf Reschke in Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 1 Rz. 107 ff. und besprochen in Herz, EuZW 2018, 5.
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III. Kreditvergabe als Teil der Investmenttätigkeit von Investmentvermögen 1. Investmentrechtliche Zulässigkeit der Kreditvergabe durch deutsche Investmentvermögen a) Alte Rechtslage bis 18. März 2016
23.39 Bis zur Änderung der Verwaltungspraxis der BaFin im Mai 2015 und der darauf folgenden Änderung des Kapitalanlagegesetzes (KAGB) im März 2016 konnten deutsche Investmentfonds, mit Ausnahme von Gesellschafterdarlehen, keine Darlehen originär ausreichen, da dies nicht der kollektiven Vermögensverwaltung unterfiel und so grundsätzlich nicht von der Bereichsausnahme des § 2 Abs. 1 Nr. 3b KWG a.F. erfasst war42.
23.40 Auf europäischer Ebene waren zu dieser Zeit hingegen bereits eine Reihe von Vorschrif-
ten wie die EuVECA-, die EuSEF- und die ELTIF-Verordnung43 erlassen worden, die grundsätzlich eine Darlehensvergabe durch Investmentfonds vorsahen und somit die BaFin zu einem Überdenken ihrer Verwaltungspraxis veranlasste44. b) Neue Rechtslage ab 18. März 2016 durch das OGAW-V-Umsetzungsgesetz
23.41 Der Erlass des OGAW-V-Umsetzungsgesetzes („UMSG“) am 18.3.2016 hat zu einer Än-
derung des KAGB und des KWG geführt, indem eine Ausnahme für die Kreditvergabe durch (i) deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaften und durch (ii) deutsche AIFs, die (geschlossene) „Spezial-AIFs“ sind, eingeführt wurde.
23.42 Der durch das UMSG neu gefasste § 20 Abs. 9 KAGB benennt abschließend Fälle, in de-
nen eine Darlehensvergabe für Rechnung eines AIF möglich ist. Danach dürfen AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften „im Rahmen der kollektiven Vermögensverwaltung ein Gelddarlehen nur gewähren, wenn dies auf Grund der Verordnung (EU) Nr. 345/2013, der Verordnung (EU) Nr. 346/2013, der Verordnung (EU) 760/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über europäische langfristige Investmentfonds (ABl. L 123 vom 19.5.2015, S. 98), § 3 Absatz 2 in Verbindung mit § 4 Absatz 7 des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, §§ 240, 261 Absatz 1 Nummer 8, § 282 Absatz 2 Satz 3, § 284 Absatz 5 oder § 285 Absatz 2 oder Absatz 3 [Anm: KAGB] erlaubt ist.“
2. (Keine) Erlaubnispflicht nach KWG bei der Kreditvergabe durch Investmentvermögen 23.43 Das Betreiben des Kreditgeschäfts ist grundsätzlich nicht erlaubnispflichtig in den in § 2 Abs. 1 KWG genannten Fällen.
42 Vgl. BaFin, Rundschreiben v. 12.5.2015 (WA 41-Wp 2100 - 2015/0001), Änderung der Verwaltungspraxis zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens. 43 EuVECA: VO Nr. 345/2013 (Regulation on European Venture Capital Funds); EuSEF: VO Nr. 346/2013 (European Social Entrepreneurship Funds Regulation); ELTIF: VO 2015/760 (European Long-Term Investment Funds Regulation). 44 Vgl. BaFin, Rundschreiben v. 12.5.2015 (WA 41-Wp 2100 - 2015/0001), Änderung der Verwaltungspraxis zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens, Ziffer III.2.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Neben der Schaffung der rechtlichen Grundlagen für die Darlehensvergabe durch Investmentfonds im KAGB wurde im Zuge des UmsG parallel eine entsprechende Bereichsausnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 3b KWG vorgesehen. Danach gelten „Kapitalverwaltungsgesellschaften und extern verwaltete Investmentgesellschaften, sofern sie als Bankgeschäfte nur die kollektive Vermögensverwaltung, gegebenenfalls einschließlich der Gewährung von Gelddarlehen, oder daneben ausschließlich die in § 20 Absatz 2 und 3 des Kapitalanlagegesetzbuchs aufgeführten Dienstleistungen oder Nebendienstleistungen betreiben“ grundsätzlich nicht als Kreditinstitut im Sinne des KWG.
23.44
Damit wurde klargestellt, dass insoweit Investmentfonds und deren Verwaltungsgesellschaften nicht in den Anwendungsbereich des KWG fallen und sich die Vergabe von Darlehen durch diese ausschließlich nach dem KAGB richtet, welches das KWG als lex specialis verdrängt45. Einer Bankerlaubnis nach § 32 KWG bedarf es somit nicht mehr.
23.45
Bereits im Vorfeld hatte die BaFin mit dem Rundschreiben vom 12.5.201546 ihre Verwaltungspraxis zur Darlehensvergabe durch AIF dahingehend geändert, dass die Vergabe von Darlehen sowie die Darlehensrestrukturierung und -prolongation von nun an als Teil der kollektiven Vermögensverwaltung des Investmentvermögens anzusehen sind und somit unter den Anwendungsbereich des KAGB fallen47. Die geänderte Verwaltungspraxis der BaFin hatte somit zur Folge, dass die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 1 Nr. 3b und Abs. 6 Nr. 5a KWG zum Tragen kommt und diese Tätigkeiten nicht mehr als Bankgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG qualifizieren.
23.46
3. Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen und deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaften Die Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen erfordert die Einhaltung von Voraussetzungen, welche (i) die originäre Darlehensvergabe und (ii) die jeweilige Kapitalverwaltungsgesellschaft betreffen.
23.47
a) Voraussetzung der originären Darlehensvergabe gemäß § 285 Abs. 2 KAGB Die Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen bestimmt sich nach der Spezialregelung des § 285 Abs. 2 KAGB. Danach darf eine AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft für Rechnung eines geschlossenen Spezial-AIF Gelddarlehen nur unter den folgenden Bedingungen gewähren: i.
für den geschlossenen Spezial-AIF werden Kredite nur bis zur Höhe von 30 % der Summe des vorhandenen und des noch nicht eingeforderten, von Investoren zugesagten Kapitals des Investmentvermögens aufgenommen, (berechnet auf der Grundlage
45 Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, § 2 Rz. 8; Thom/Dürre, WM 2018, 503. 46 BaFin, Rundschreiben v. 12.5.2015 (WA 41-Wp 2100 - 2015/0001), Änderung der Verwaltungspraxis zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens. 47 Vgl. BaFin, Rundschreiben v. 12.5.2015 (WA 41-Wp 2100 - 2015/0001), Änderung der Verwaltungspraxis zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens, Ziffer IV.
Stamm | 801
23.48
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
der Beträge, die nach Abzug sämtlicher direkt oder indirekt von den Anlegern getragener Gebühren, Kosten und Aufwendungen für Anlagen des Investmentvermögens zur Verfügung stehen); ii. es werden keine Gelddarlehen an Verbraucher i.S.d. § 13 BGB vergeben; iii. Gelddarlehen an einen Darlehensnehmer werden nur bis zur Höhe von 20 % der Summe des vorhandenen und des noch nicht eingeforderten, von Investoren zugesagten Kapitals des geschlossenen Spezial-AIF vergeben, (berechnet auf der Grundlage der Beträge, die nach Abzug sämtlicher direkt oder indirekt von den Anlegern getragener Gebühren, Kosten und Aufwendungen für Anlagen des Investmentfonds zur Verfügung stehen). aa) Inländischer geschlossener Spezial-AIF
23.49 Die Darlehensvergabe darf ausschließlich durch AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften
(AIF-KVG) erfolgen, die für Rechnung von inländischen geschlossenen Spezial-AIF handeln (§ 285 Abs. 2 KAGB). Diese Vorgabe begründet der Gesetzgeber damit, dass „mit der originären Kreditvergabe verbundene Risiken für das Investmentvermögen (…) für den Privatanleger nur schwer zu beurteilen und einzuschätzen [sind]. Ein Investment in einen darlehensvergebenden AIF ist vor diesem Hintergrund nur für professionelle und semiprofessionelle Anleger geeignet“48.
23.50 Darüber hinaus muss es sich um geschlossene Spezial-AIF handeln. Nach der Regierungsbegründung zum UMSG besteht bei einem offenen Fonds die Gefahr, dass dieser dem Rückgabeverlangen einzelner Anleger aufgrund fehlender liquider Mittel bei langlaufenden Darlehen nicht entsprechen kann, sodass unter Umständen ein „Run“ weiterer Anleger ausgelöst werden könnte, bis hin zur Ansteckung anderer AIF sowie anderer Bereiche des Finanzmarkts im Falle erforderlich werdender Notverkäufe (sog. Fire Sales).49
bb) Begrenzung der Kreditaufnahme
23.51 Für Rechnung der Investmentvermögen, welche Darlehen vergeben, dürfen Kredite nur
bis zur Höhe von 30 % der Summe des Fondskapitals und des noch nicht eingeforderten von Investoren zugesagten Kapitals aufgenommen werden (§ 285 Abs. 2 Nr. 1 KAGB). Diese Beschränkung der Kreditaufnahme soll nach der Regierungsbegründung ein „exzessives Kreditwachstum“ vermeiden und „die Risiken der Ansteckung insbesondere von Finanzinstituten und die Prozyklizitätsrisiken“ verringern50.
23.52 Der Bezug der 30 %-Grenze auf das „eingebrachte und zugesagte Kapital“ erfolgt vor dem
Hintergrund, dass bei geschlossenen AIF typischerweise das Investorenkapital über die Investmentphase des Fonds in Form von Kapitalzusagen zur Verfügung gestellt wird und somit nicht in voller Höhe bei Auflage des Fonds abgerufen wird, und entspricht dem Vorgaben des europäischen Gesetzgebers in den VO 2015/760 (ELTIF) und VO Nr. 345/2013 (EuVECA). Die Höhe von 30 % orientiert sich an Art. 16 Abs. 1 Buchst. a VO 2015/760 und wird im Hinblick auf die beschriebenen Finanzmarktrisiken einerseits
48 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65. 49 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65; Thom/Dürre, WM 2018, 503. 50 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65.
802 | Stamm
Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
und den Fremdfinanzierungsbedarf der Spezial-AIF andererseits nach derzeitiger Einschätzung als geeigneter Rahmen angesehen51. cc) Keine Darlehensvergabe an Verbraucher Weiterhin dürfen gemäß § 285 Abs. 2 Nr. 2 KAGB Darlehen aus Verbraucherschutzgründen nicht an Verbraucher i.S.d. § 13 BGB vergeben werden52.
23.53
dd) Darlehens-Einzelgrenze Schließlich sieht § 285 Abs. 2 Nr. 3 KAGB vor, dass Gelddarlehen an einen einzelnen Darlehensnehmer nur bis zur Höhe von insgesamt 20 % des aggregierten eingebrachten und noch nicht eingeforderten zugesagten Kapitals vergeben werden dürfen.
23.54
Hiermit soll eine Mindestdiversifikation bei der Darlehensgewährung sichergestellt werden, um die Abhängigkeit bezüglich einzelner großer Darlehen zu reduzieren, so dass nicht bereits der Ausfall eines Darlehens einen weitgehenden Wertverlust des Fonds zur Folge hat (sog. Klumpenrisiko).53
23.55
b) Anforderungen an die AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft Neben den Anforderungen aus § 285 Abs. 2 KAGB, die an die konkrete Darlehensvergabe des Investmentvermögens anknüpfen, müssen deutsche AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften, die für Rechnung des inländischen geschlossenen Spezial-AIF Darlehen vergeben, selbst weitere Voraussetzungen erfüllen54. Da die Vergabe und der Erwerb unverbriefter Kredite mit spezifischen Risiken verbunden ist, sieht das KAGB zusätzliche organisatorische Anforderungen für AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften vor, die Darlehen auf Rechnung der AIF vergeben (Direct Lending). Eine solche AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft muss über angemessene Strukturen und Prozesse verfügen, die insbesondere die Kreditbearbeitung, das Management von notleidenden Krediten und die Früherkennung von Risiken umfassen.
23.56
aa) Risikomanagement Nach § 29 Abs. 5a KAGB unterliegen deutsche KVG spezifischen Risikomanagementpflichten hinsichtlich ihrer Verwaltungstätigkeit im Zusammenhang mit Kreditfonds. Insbesondere haben deutsche AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften, die für Rechnung des deutschen AIF Gelddarlehen gewähren oder in unverbriefte Darlehensforderungen investieren, über eine diesen Geschäften und deren Umfang angemessene Aufbau- und Ablauforganisation zu verfügen, die insbesondere Prozesse für die Kreditbearbeitung, die Kreditbearbeitungskontrolle und die Behandlung von Problemkrediten sowie Verfahren zur 51 52 53 54
Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65. Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65. Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 65. Dabei ist entsprechend der Systematik der Regulierung von AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften durch das KAGB grds. zwischen den sog. erlaubnispflichtigen (vollregulierten) AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften und den sog. nur-registrierungspflichtigen (teilregulierten) AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften zu differenzieren. Letztere werden auch als „kleine AIF-KVG“ bezeichnet, deren rechtliche Vorgaben sich für die hier besprochene Darlehensvergabe nach § 2 Abs. 4 KAGB richtet.
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23.57
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
Früherkennung von Risiken vorsieht. Dies führt für deutsche KVG auch dazu, dass diese über entsprechend qualifiziertes Personal verfügen müssen.
23.58 Diese Anforderungen sollen nach Ansicht des Gesetzgebers Finanzmarktrisiken auf
Grund nicht fachkompetenter Praktiken zur Gewährung und Bewirtschaftung von Darlehen vermeiden sowie die Gefahren eines exzessiven Kreditwachstums und die Anreize zur Regulierungsarbitrage verringern55.
23.59 Die konkreten Anforderungen an das Risikomanagementsystem werden in den Art. 38 ff. DelVO Nr. 231/2013 (Level-2-VO)56 bestimmt. Zur weiteren Konkretisierung der Anforderungen an das Risikomanagement der Level-2-VO hat die BaFin Anfang 2017 gemäß der Ermächtigungsgrundlage in § 29 Abs. 6 KAGB die sog. KAMaRisk57 als Nachfolgeregelung zur InvMaRisk veröffentlicht. Die KAMaRisk beschreibt weitere Leitlinien zu den erforderlichen Prozessen und gibt gewisse Mindestanforderungen an das Risikomanagement von deutschen AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften vor, die Darlehensfonds verwalten. Wie bereits durch die Entstehungsgeschichte der InvMaRisk und die jüngsten Änderung der Verwaltungspraxis für Kreditfonds indiziert, basieren diese Anforderungen im Wesentlichen auf den Regelungen für das Kreditgeschäft deutscher Kreditinstitute nach der MaRisk58. Maßgeblich für die originäre Darlehensvergabe durch deutsche Investmentvermögen sind die Regelungen des fünften Abschnitts der KAMaRisk. Dabei unterscheidet die KAMaRisk im Hinblick auf die Vergabe von Gelddarlehen zwischen den drei folgenden Bereichen: der Funktionstrennung und Votierung59, den Anforderungen an die Prozesse im Darlehensgeschäft und dem Verfahren zur Früherkennung für Risiken. bb) Millionenkreditmeldeverfahren
23.60 Im Zusammenhang mit der Vergabe von Darlehen ist der neu eingefügte § 34 Abs. 6
KAGB zu beachten. Durch den Verweis auf § 14 KWG wird auch für Kreditfonds das sog. Millionenkreditmeldeverfahren verbindlich. Danach sind AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften verpflichtet, der bei der Deutschen Bundesbank geführten Evidenzzentrale vierteljährlich die Kreditnehmer anzuzeigen, deren Kreditvolumen eine Million Euro oder mehr beträgt.
4. Kreditvergabe durch EU-Investmentvermögen 23.61 In den letzten Jahren ist eine zunehmende Aktivität von Kreditfonds mit Ansässigkeit in Luxemburg und Irland in Deutschland festzustellen.
55 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 47. 56 Delegierte Verordnung Nr. 231/2013 vom 19. Dezember 2012 zur Ergänzung der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Ausnahmen, die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit, Verwahrstellen, Hebelfinanzierung, Transparenz und Beaufsichtigung, ABl. EU Nr. L 83 v. 22.3.2013, S. 1. 57 BaFin, Rundschreiben 01/2017 (WA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KAMaRisk) v. 10.1.2017. 58 BaFin, Rundschreiben 09/2017 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk (Gz. BA 54-FR 2210-2017/0002) v. 27.10.2017. 59 Als Votierung versteht man dabei die für eine Darlehensentscheidung erforderlichen zwei zustimmenden „Voten“ der Bereiche Fondsmanagement und Marktfolge, Vgl. Ziffer 5.1. der BaFin Erläuterungen zur KAMaRisk.
804 | Stamm
Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
a) Erlaubnispflicht nach KWG EU-Investmentvermögen sind ohne entsprechende Erlaubnis grundsätzlich nach § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG gehindert, inländischen Darlehensnehmern Darlehen zu gewähren. Weder der europäische Pass der AIFM-Richtlinie noch der europäische Pass der CRD IV erlaubt es Nicht-Einlagenkreditinstituten, Leistungen, die nicht im jeweiligen Katalog der Richtlinie genannt sind, grenzüberschreitend in Deutschland anzubieten60.
23.62
Insoweit bleibt es bei der bisherigen Rechtslage, dass die unmittelbare Darlehensvergabe durch Investmentvermögen den Tatbestand des grundsätzlich erlaubnispflichtigen Kreditgeschäfts nach Wortlaut und Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG erfüllt. Allerdings können sich auch eine EU-Verwaltungsgesellschaft sowie ein EU-AIF auf die Bereichsausnahme des KWG berufen.
23.63
Nach dem Wortlaut der Bereichsausnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 3c KWG gelten ebenfalls „EU-Verwaltungsgesellschaften, sofern die EU-Verwaltungsgesellschaft als Bankgeschäfte nur die kollektive Vermögensverwaltung, gegebenenfalls einschließlich der Gewährung von Gelddarlehen, oder daneben ausschließlich die in Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2009/65/EG oder die in Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2011/61/EU aufgeführten Dienstleistungen oder Nebendienstleistungen betreibt“ grundsätzlich nicht als Kreditinstitute im Sinne des KWG. Für EU-Investmentvermögen regelt § 2 Abs. 1 Nr. 3d KWG die gleiche Anordnung.
23.64
Die (grenzüberschreitende) Kreditvergabe von EU-AIFs und EU-AIFMs nach Deutschland ist somit ebenfalls ohne die Erlangung einer Banklizenz nach dem KWG zulässig, sofern eine solche „Kreditvergabe“ Teil der zulässigen Anlageverwaltung (kollektive Vermögensverwaltung) eines solchen EU-AIF/AIFM ist.
23.65
b) Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch EU-AIF in Deutschland Die für die oben genannten deutschen AIF und AIF-Verwaltungsgesellschaften geltenden investmentrechtlichen Beschränkungen in den Bereichen Anlagerichtlinien, Leverage und Risikomanagement gemäß der KAMaRisk, gelten jedoch nicht für EU-AIF und deren EUVerwaltungsgesellschaften.
23.66
Nach Abschnitt 2.1 der KAMaRisk sind die dort geregelten Anforderungen nur von Kapitalverwaltungsgesellschaften i.S.v. § 17 KAGB zu beachten. Kapitalverwaltungsgesellschaften werden gemäß § 17 Abs. 1 KAGB als Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz und Hauptverwaltung im Inland (d.h. Deutschland) definiert. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Unterscheidung getroffen, weil er erwartet, dass der Herkunftsmitgliedstaat des nichtdeutschen EU-AIFM oder des nichtdeutschen EU-AIF irgendeine Form von qualitativen Risikomanagementverpflichtungen oder zumindest irgendeine Form von „Regulierungsaufsicht“ vorschreibt, die weitgehend vergleichbar mit den entsprechenden deutschen Anforderungen ist61.
23.67
60 Hanten/Tiling, WM 2015, 2122, 2127. 61 Vgl. Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 77.
Stamm | 805
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
5. Kreditvergabe durch Nicht-EU-Investmentvermögen 23.68 Da historisch das Verhältnis von Banken und Kapitalmarkt für die Finanzierung von Un-
ternehmen in den USA so ausgestaltet ist, dass Banken einen relativ geringen Teil des Kapitals zur Verfügung stellen, haben Kreditfonds in den USA eine lange Tradition. Die entsprechenden Fonds sind typischerweise in den USA oder in Offshore Juristikationen (wie den Kaiman-Inseln) ansässig und bewegen sich somit außerhalb des Regulierungsbereiches der AIFM-Richtlinie. a) Erlaubnispflicht nach KWG
23.69 Bisher regelte die Bereichsausnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 3c KWG, dass EU-Verwaltungs-
gesellschaften und ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaften, sofern sie beispielsweise grenzüberschreitend im Inland die kollektive Vermögensverwaltung erbringen, nicht als Kreditinstitute gelten. Diese Regelung wird für ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaften (d.h. die weder als inländische noch als EU-Verwaltungsgesellschaften qualifizieren) nun dahingehend eingeschränkt, dass die Bereichsausnahme für diese nur dann zum Tragen kommt, wenn der Vertrieb des betreffenden ausländischen Investmentvermögens im Inland nach dem KAGB auf Grund einer Vertriebsanzeige zulässig ist und es sich nicht um einen Vertrieb nach § 330 KAGB handelt62.
23.70 Hintergrund für diese Einschränkung ist nach der Regierungsbegründung der Schutz der
inländischen Kreditnehmer, da bei ausländischen AIF-Verwaltungsgesellschaften nicht wie bei EU-Verwaltungsgesellschaften immer von einer vergleichbaren Aufsicht ausgegangen werden kann63. Im Rahmen eines Vertriebsanzeigeverfahrens nach § 317 KAGB ist für einen Vertrieb von ausländischen AIF an Privatanleger z.B. eine der Voraussetzungen, dass der ausländische AIF und seine Verwaltungsgesellschaft im Staat ihres gemeinsamen Sitzes einer wirksamen öffentlichen Aufsicht unterliegen. Handelt es sich allerdings um einen Vertrieb an professionelle Anleger nach § 330 KAGB, gehört es nicht zu den Vertriebsvoraussetzungen, dass die AIF-Verwaltungsgesellschaft und der AIF einer wirksamen öffentlichen Aufsicht unterliegen müssen oder dass die Verwaltungsgesellschaft und der AIF den Anforderungen der AIFM-RL entsprechen müssen (vgl. § 330 Abs. 1 Nr. 1 KAGB)64. b) Aufsichtsrechtliche Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch NICHT-EU-AIF in Deutschland
23.71 Die für die deutschen Investmentvermögen und KVG geltenden Beschränkungen in den Bereichen Anlagerichtlinien, Leverage und Risikomanagement gemäß der KAMaRisk, gelten ebenfalls nicht für ausländische Nicht-EU-AIF und deren Verwaltungsgesellschaften. Nach Abschnitt 2.1 der KAMaRisk sind die dort geregelten Anforderungen nur von Kapitalverwaltungsgesellschaften i.S.v. § 17 KAGB zu beachten, d.h. Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz und Hauptverwaltung im Inland. Ebenfalls findet das BaFin-Rundschreiben vom 12.5.2015 auf Nicht-EU-AIF und deren Verwaltungsgesellschaften aus denselben Gründen wie vorstehend für EU-Investmentvermögen beschrieben keine Anwendung.
62 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 76. 63 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 77. 64 Reg.Begr., BT-Drucks. 18/6744, S. 77.
806 | Stamm
Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
6. Aufsichtsrechtlicher Status ausländischer Kreditfonds im Sitzstaat Neben dem etwaigen Eingreifen des deutschen Aufsichtsrechts bei Vergabe von Darlehen an deutsche Kreditnehmer, unterliegen ausländische Kreditfonds im jeweiligen Sitzstaat teilweise einer Regulierung.
23.72
a) Kreditvergabe durch Investmentvermögen in Luxemburg Nach dem Luxemburger Gesetz von 199365, welches die Zulassungen für Banken und PSF in Luxemburg regelt, wird die Gewährung von Darlehen auf eigene Rechnung an das Publikum als eine regulierte Tätigkeit i.S.d. Art. 28-4 des Gesetzes von 1993 qualifiziert.
23.73
Im Wesentlichen eignen sich in Luxemburg Investmentvermögen in der Ausgestaltung als SIFs und RAIFs als Investmentvehikel für Kreditfonds. Diese stehen nur bestimmten qualifizierten Anlegern zur Verfügung. Ein SIF (Fonds d’investissement spécialisé (FIS)), ist vergleichbar mit einem deutschen Spezial-AIF, welcher dem Erfordernis einer initialen Erlaubnis und der direkten laufenden Aufsicht durch die CSSF unterliegt. Bei einem RAIF handelt es sich um einen reservierten alternativen Investmentfonds gemäß dem Gesetz von 2016 (Fonds d’investissement alternatif réservé (RAIF oder FIAR)), welcher nicht der direkten Aufsicht der CSSF unterliegt und nicht durch sie genehmigt werden muss. Ein RAIF ist dennoch ein AIF i.S.d. Art. 1 Abs. 39 des Luxemburger Gesetzes von 2013. Ein AIF muss einen AIFM bestellen oder als intern verwalteter AIFM qualifizieren. Das Luxemburger Gesetz von 2016 schränkt die Wahl des AIFM für den RAIF ein und verlangt einen externen und genehmigten AIFM.
23.74
Investmentvermögen, die sich an „Qualifizierte Anleger“ richten (sog. spezialisierte Investmentfonds [„SIF“]) sind gemäß Art. 1-1(i) des Gesetzes von 1993 explizit vom Anwendungsbereich ausgenommen, so dass eine Kreditvergabe keiner aufsichtsrechtlichen Regulierung unterliegt. Weder das für „RAIF“ geltende Gesetz von 201666 noch das für „SIF“ geltende Gesetz von 200767 sehen eine Beschränkung auf bestimmte Anlageklassen vor. Grundsätzlich können SIF und RAIF folglich originär Darlehen vergeben. Entsprechendes muss im Erst-Recht-Schluss auch für sämtliche Maßnahmen einer Umstrukturierung der Darlehen gelten.
23.75
Dies wird durch die CSSF in den AIFM FAQ68 bestätigt, wonach AIF grundsätzlich Darlehen vergeben dürfen69. Dabei verlangt die CSSF von Luxemburger AIFM, welche Darlehen vergeben, dass diese gewisse organisatorische Schlüsselgrundsätze (Key-Principles) sicherstellen70. Insbesondere sollen sich die betroffenen AIFM über die Risiken der beabsichtigten Kreditvergabe im Klaren sein und ordnungsgemäße Risiko- und Governance Prozesse und Strukturen errichten. Darüber hinaus verlangt die CSSF, dass der AIFM über
23.76
65 66 67 68
Gesetz vom 5. April 1993 über den Finanzsektor. Luxemburger Gesetz vom 23. Juli 2016 über reservierte alternative Investmentfonds. Luxemburger Gesetz vom 13. Februar 2007 über spezialisierte Investmentfonds. CSSF, Frequently Asked Questions (version 11, 6 July 2017) concerning the Luxembourg Law of 12 July 2013 on alternative investment fund managers as well as the Commission Delegated Regulation (EU) No 231/2013 of 19 December 2012 supplementing Directive 2011/61/EU of the European Parliament and of the Council with regard to exemptions, general operating conditions, depositaries, leverage transparency and supervision. 69 CSSF, Frequently Asked Questions (version 11, 6 July 2017) (…), Ziffer 22.a). 70 CSSF, Frequently Asked Questions (version 11, 6 July 2017) (…), Ziffer 22.b).
Stamm | 807
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
die notwendige Expertise in der Darlehensvergabe und entsprechendes geschultes Personal und erforderliche IT verfügt, mit einem Fokus auf das Kreditrisiko und Liquiditätsmanagement sowie auf eine Risikominderung.
23.77 Jedoch hat die Luxemburger Aufsichtsbehörde, CSSF, im Zusammenhang mit den interna-
tional geführten Diskussionen zum Thema „Shadow-Banking“ (s. Rz. 23.83) eine konservative Haltung eingenommen. Nach derzeitiger Verwaltungspraxis prüft die CSSF einzelfallabhängig bei jedem SIF, ob die Anlagepolitik unter die Definition einer regulierten Bankentätigkeit fällt. Nach ihrer derzeitigen Verwaltungspraxis berücksichtigt die CSSF dabei auch in welcher Höhe die Vergabe von Darlehen auf Ebene des Fonds in Form von Fremdkapital refinanziert werden71. b) Kreditvergabe durch Investmentvermögen in Irland
23.78 Gemäß dem AIF Rulebook der Central Bank of Ireland72 können Investmentvermögen in
der Form eines sog. „Loan Originating Qualifing Investor AIF“ (L-QIAIF) unter Einhaltung der weiteren Vorgaben des AIF Rulebooks Darlehen vergeben73.
23.79 Hierfür muss u.a. ein L-QIAIF seine Tätigkeit auf folgende Investitionen beschränken:
(i) Die originäre Darlehensvergabe, (ii) Beteiligung an Darlehen und der Darlehensvergabe, (iii) die Investition in Debt- und Kreditinstrumente sowie (iv) hiermit verbundene Geschäfte, insbesondere Beteiligungen an Unternehmen oder Gruppen an welche der L-QIAIF Darlehen vergibt sowie in Instrumente welche zu Zwecke des Treasuries, Cash Managements oder Hedgings gehalten werden74.
23.80 Des Weiteren darf ein L-QIAIF einen Leveragewert von nicht mehr als 200 % seines Net-
toinventarwerts haben75 sowie unterliegt dieser gewissen Risikodiversifikationsvorgaben76, darf grundsätzlich keine Rückgaberechte an seine Anleger gewähren (geschlossener Fonds)77 soweit nicht im Ermessen des Fonds hierfür genügend Liquidität zur Verfügung steht78 und darf u.a. keine Darlehen an natürliche Personen vergeben79. Schließlich werden im AIF Rulebook konkrete Anforderungen an das Risikomanagementsystem und den Due Diligence Prozess zur Darlehensvergabe durch einen L-QIAIF geregelt80.
71 Dem Vernehmen nach wird der Einsatz von Fremdkapital durch den Fonds von mehr als 30 % als kritisch gewertet. 72 Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018. 73 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), S. 144. 74 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), i, Nr. 2, S. 144. 75 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), Nr. 2, vii, Nr. 1, S. 149. 76 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), iv, S. 146. 77 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), iv, S. 146. 78 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), vi, S. 148. 79 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), iv, Nr. 2, S. 146. 80 Vgl. Central Bank of Ireland, AIF Rulebook, März 2018, Section 4 (loan originating Qualifing Investor AIF), ii und iii, S. 144–146.
808 | Stamm
Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
7. Kreditvergabe nach der ELTIF-VO Mit der ELTIF-VO81 wurde ein europäisch reguliertes Investmentvehikel geschaffen, mit welchem Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte langfristig finanziert werden sollen. Der Europäische Verordnungsgeber verfolgt mit der VO 2015/760 (ELITF-VO) das Ziel, langfristige europäische Investitionen zugunsten der Realwirtschaft insbesondere im Infrastrukturbereich sowie im Bereich der KMU zu fördern und bestehende Finanzierungslücken zu schließen82. Die Einführung dieses europäisch regulierten Investmentvehikels ist auch vor dem Hintergrund der Bemühungen der EU zu einer „Kapitalmarkt Union“ zu sehen. Hierzu kann jeder EU-AIF, welcher die zusätzlichen Anforderungen als ELTIF erfüllt in bestimmtem Umfang Darlehen direkt an ein sog. „qualifiziertes Portfoliounternehmen“ i.S.v. Art. 10c) VO 2015/760 (ELTIF-VO) vergeben, ohne dass dieser in Deutschland eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG benötigt. Denn auch insoweit greift die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 1 KWG ein.
23.81
Als ein sog. qualifiziertes Portfoliounternehmen i.S.v. Art. 10c) VO 2015/760 (ELTIF-VO) und somit zulässiger Darlehensnehmer qualifiziert nach Art. 11 ELTIF-VO jedes Unternehmen, bei dem es sich nicht um einen Organismus für gemeinsame Anlagen handelt und das die nachstehend genannten Anforderungen erfüllt:
23.82
– es ist kein Finanzunternehmen; – es ist ein Unternehmen, das: i) nicht zum Handel an einem geregelten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem zugelassen ist; oder ii) zum Handel an einem regulierten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem zugelassen ist und gleichzeitig eine Marktkapitalisierung von höchstens 500 Mio. Euro hat; – es hat seine Niederlassung in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland, sofern das Drittland i) von der Arbeitsgruppe „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ nicht als nicht kooperatives Hochrisikoland eingestuft wird; ii) mit dem Herkunftsmitgliedstaat des Verwalters des ELTIF sowie mit jedem anderen Mitgliedstaat, in dem die Anteile des ELTIF vertrieben werden sollen, eine Vereinbarung unterzeichnet hat, die sicherstellen soll, dass das Drittland den in Art. 26 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen festgelegten Standards in vollem Umfang entspricht und für einen wirksamen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten sorgt, einschließlich multilateraler Steuerabkommen.
8. Ausblick: Harmonisierung und Regulierung von Kreditfonds in Europa Vor dem Hintergrund des Wachstums von Kreditfonds sind verschiedene politische Initiativen im Gange um das Risiko der sog. Schatten-Banken für das Finanzsystem zunächst 81 VO 2015/760 (European Long-Term Investment Funds Regulation). 82 Erwägungsgrund (1), (3) und (4) VO 2015/760 (European Long-Term Investment Funds Regulation).
Stamm | 809
23.83
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
zu erfassen sowie gegebenenfalls einer erhöhten Regulierung zu unterwerfen. Ein Schwerpunkt der Risikobetrachtung liegt dabei auf dem Risiko der sog. Fristentransformation insbesondere bei Investmentfonds mit Rückgaberechten (offene Fonds) sowie dem Einsatz von Fremdkapital durch Kreditfonds. Mit diesen politischen Initiativen wird das Entstehen von Systemrisiken für die Finanzmärkte durch bankaufsichtsrechtlich unregulierte Kreditfonds und andere Marktteilnehmer versucht frühzeitig zu reduzieren. Abhängig von der künftigen Marktentwicklung solcher Marktteilnehmer sind insoweit weitere Regulierungsnovellen möglich.
23.84 Die bisher im deutschen Markt tätigen Kreditfonds sind entsprechend den gesetzlichen
Vorgaben regelmäßig als geschlossene Fonds ausgestaltet und verwenden (im Unterschied zu Kreditfonds in den USA) kein Fremdkapital zu Investitionszwecken. Sofern es insoweit zu Veränderungen der Ausgestaltung von Kreditfonds kommt, wird vor dem Hintergrund der nachfolgend beschriebenen Initiativen der Regulierungsdruck auf Kreditfonds (und andere Nicht-Banken) zunehmen. a) Bericht des Europäischen Ausschuss für Systemrisiken Mai 2017
23.85 Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) hat
seinen zweiten Bericht zur Überwachung von Schattenbanken in der EU vom Mai 2017 veröffentlicht, der primär die Schattenbank-Aktivitäten von Investmentfonds und Verbriefungszweckgesellschaften (financial vehicle corporations, FVC) beschreibt.83
23.86 Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass eine große Anzahl von Investmentfonds sog.
Schattenbankrisiken ausgesetzt ist, insbesondere bestehen Liquiditätsrisiken für offene Investmentfonds. Weiterhin bezieht der ESRB die Position, dass die Nutzung von Hebelwirkungen bzw. ein hoher Hebelwert (Leverage) zu Schwachstellen im Finanzsystem führen kann.
23.87 Allerdings räumt der ESRB ein, dass es unter der OGAW-Richtlinie und der AIFM-Richt-
linie ein weites Spektrum an „Werkzeugen zur Abmilderung von Liquiditätsrisiken“ („tools aimed at mitigating liquidity risks“) gäbe.
23.88 Der ESRB führt des Weiteren aus, dass Verbriefungszweckgesellschaften, die sich im Bereich der Verbriefung von Wertpapieren betätigen, zu einer „exzessiven systemweiten Verschuldung gepaart mit geringeren Qualitätsanforderungen an Darlehen“ („to excessive systemwide leverage coupled with lessened lending standards“) beitragen. Insbesondere im Fall von Fälligkeitstransformationen („maturity transformation“), also wenn die Laufzeit der Wertpapiere von der Laufzeit der verbrieften Vermögensgegenstände abweicht, könnte der „bereits recht illiquide Markt von verbrieften Darlehen gestört werden“ („already quite illiquid securitized debt markets could be disrupted“).
23.89 Als Schlussfolgerung empfiehlt der ESRB mit einer „aktivitätsbasierten Abbildung und Überwachung“ („activity-based mapping and monitoring“) fortzufahren, „um alle Segmente des Schattenbankensystems abzudecken“ („in order to ensure that all segments of the shadow banking system are captured“).
83 ESRB, EU Shadow Banking Monitor No 2, May 2017; abrufbar unter https://www.esrb.europa.eu/ pub/pdf/reports/20170529_shadow_banking_report.en.pdf?07a2e372f760d6ab92ae8cf63c0dab76.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
b) Europäische Zentralbank, Dokument Nr. 174 vom Juni 2016 In ihrer Reihe „Occasional Paper“ hat die Europäische Zentralbank (EZB) ein Dokument mit dem Fokus auf „shadow banking in the euro area: risks and vulnerabilities in the investment fund sector“ veröffentlicht.84 In diesem Dokument kommt die EZB zu dem Ergebnis, dass „vor dem Hintergrund der Reduzierung des Verschuldungsgrads (Deleverage) der Banken und einer Verschiebung zu marktbasierten Finanzierungsquellen, Investmentfonds zunehmend an der Vermittlung von Krediten beteiligt sind“85. Als Konsequenz sieht die EZB Risiken für die Stabilität des Finanzsystems aufgrund von „steigenden Liquiditätstransformationen hinsichtlich der Möglichkeit der Rückgabe von Fondsanteilen und wachsender Kredit- und Zinsrisiken“86. Die EZB führt aus, dass die Ansichten über den Grad der Aktivitäten von Investmentfonds im Schattenbankensystem „auseinandergehen“ und verweist auf den Vorstoß des US Financial Stability Boards (FSB), Investmentfonds, die „Merkmale aufweisen, die sie für Anteilsrückgaben empfindlich machen“, als „Teil des Schattenbankensektors“ zu qualifizieren87.
23.90
Insoweit erkennt die EZB an, dass es eine heterogene Struktur von verschiedenen Typen von Fonds gibt und daher keine gemeinsame Risikobewertung möglich ist.
23.91
c) ESMA – Gutachten zu den Schlüsselprinzipien eines europäischen Rahmenwerks für die Kreditvergabe durch Fonds vom April 2016 In diesem Kontext, jedoch abseits der Schattenbankendiskussion, ist auch das Gutachten der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA) vom 11.4.2016 über die notwendigen Merkmale eines europäischen Rahmenwerks zur Kreditvergabe durch Investmentfonds zu sehen.88 In dem Gutachten für das Europäische Parlament, die Kommission und den Rat, legt die ESMA ihren Standpunkt über notwendige Elemente für ein gemeinsames europäisches Rahmenwerk für die Kreditvergabe durch Investmentfonds unter Berücksichtigung der verschiedenen Rahmenwerke der Mitgliedstaaten dar.
23.92
Dabei hebt die ESMA folgende Aspekte hervor:
23.93
– Aus Sicht der ESMA sollten die Konsultationen der Kommission über ein Rahmenwerk für die Kreditvergabe untersuchen, ob die Verwalter von Kreditfonds einer Genehmigung bedürfen. – Aufgrund der illiquiden Natur von Krediten, sollten aus Sicht der ESMA Kreditfonds nur geschlossen bzw. ohne regelmäßigem Rückgaberecht aufgesetzt werden. Allerdings 84 ECB, Shadow banking in the euro area: risks and vulnerabilities in the investment fund sector, No 174, June 2016, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpops/ecbop174.en.pdf? 2cc4d889706adbcb918c06de4e5df144. 85 „against a backdrop of bank deleveraging and a shift toward marked-based sources of financing, investment funds have become increasingly involved in (…) credit intermediation“. 86 „rising liquidity transformation in the presence of redeemable shares [and] growing exposure to credit and interest rate risk“. 87 Vgl. FSB, Global Shadow Banking Monitoring Report 2015. 88 ESMA Opinion on key principles for a European framework on loan origination by funds ESMA/ 2016/596, dated April 2016, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/ 2016-596_opinion_on_loan_origination.pdf.
Stamm | 811
§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
soll unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Anteilrückgabe (im Ermessen des jeweiligen Fonds auf Vorschlag des Verwalters) an die Anleger angeboten werden können, jedoch auf einer anlegergleichberechtigten Basis ohne bevorzugte Behandlungen und während der Laufzeit des Kreditfonds und nur innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. – Die ESMA sieht Risiken in einem grundsätzlichen Angebot von kreditvergebenden AIFs an Privatanleger und empfiehlt, dass die Voraussetzungen für derartige Anlagen auf den Anlegertyp zugeschnitten werden sollten. – ESMA schlägt weiter vor, dass bei den Konsultationen der Kommission erwogen werden sollte, ob kreditvergebende Fonds, die ihrerseits Fremdkapital aufnehmen, allein auf die Finanzierung durch Kreditinstitute beschränkt werden sollten oder ob ihnen auch andere Finanzierungswege offenstehen sollten. – Abschließend ist die ESMA der Ansicht, dass für AIFMs von kreditvergebenden AIFs bestimmte Strategien, Prozesse und Prozeduren vorgesehen werden sollten.
IV. Unternehmensfinanzierung durch Crowd Lending 23.94 Als „Crowd Lending“ oder „Schwarmfinanzierung“ versteht man grundsätzlich die klein-
teilige Finanzierung eines konkreten Projekts durch eine Vielzahl von Geldgebern. Die Anleger erhalten für das Investment einen festen Zinssatz oder werden über einen erfolgsabhängigen Zinssatz an zukünftigen Gewinnen des finanzierten Projekts beteiligt. Das Einsammeln der Gelder über eine Internet-Dienstleistungsplattform ist dabei die Regel.
23.95 Dabei erfolgt eine Desintermediation, da Finanzierungsgeber und -nehmer in eine direkte Finanzierungsbeziehung treten. Daher wird in diesem Zusammenhang auch von „Peer-toPeer Lending“ („P2P-Lending“) gesprochen.
1. Gestaltungsmodelle 23.96 Durch Crowd Lending-Finanzierungen kann je nach vertraglicher Ausgestaltung eine
bankaufsichtsrechtliche Erlaubnispflicht sowohl für die Nutzer (insbesondere für Kreditgeber, Kreditnehmer, Anleger) als auch für den Betreiber einer Crowd Lending-Plattform bestehen89.
23.97 Als Gestaltungsmöglichkeiten kommen dabei insbesondere das sog. unechte P2P-Lending sowie die eigentliche und direkte Darlehensgewährung, beides unter Einbindung einer internetbasierten Crowd Lending-Plattform, in Betracht. a) Unechtes P2P-Lending
23.98 Beim unechten P2P-Lending vermittelt der Betreiber einer Crowd Lending-Plattform dem
Kapitalsuchenden auf Grundlage eines Kreditvermittlungsvertrags ein Darlehen eines lizenzierten Kreditinstituts.
89 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweis zur Erlaubnispflicht der Betreiber und Nutzer einer internetbasierten Kreditvermittlungsplattform nach dem KWG v. 14.5.2007.
812 | Stamm
Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
Dabei werden die Darlehensrückzahlungs- sowie Zinsansprüche des Darlehens auf Grundlage eines Forderungskaufvertrages (§§ 453, 433 ff. BGB), von dem darlehensgewährenden Kreditinstitut an die Kapitalanleger abgetreten und dabei das Darlehen in eine Vielzahl von Forderungen der jeweiligen Investoren aufgeteilt. Alternativ werden die Rückzahlungs- und Zinsansprüche von der Bank an die Crowd Lending-Plattform bzw. an eine mit ihr verbundene Zweckgesellschaft übertragen, welche die Forderungen an den Kapitalanleger weiterreicht.
23.99
Im Rahmen dieses Geschäftsmodells wird kein (Darlehens-) Vertragsverhältnis zwischen Kreditnehmer und Kapitalanleger begründet, sondern es wird lediglich das jeweilige Darlehensverhältnis wirtschaftlich durch die Forderungsabtretung an den Anleger „abgebildet“90. Der Kapitalanleger erwirbt dabei die Darlehensrückzahlungs- sowie Zinsforderungen. Der Erwerb der Forderungen erfüllt insoweit jedoch nicht das Tatbestandsmerkmal des Gewährens von Gelddarlehen, da hierunter nur die erstmalige Hingabe eines Kredites oder die (Kredit-) Entscheidung des Erwerbers zur Prolongation zu verstehen ist91.
23.100
b) P2P-Lending Das Crowd Lending kann auch als sog. „Peer-to-Peer Lending“ ausgestaltet werden, wobei hier i.d.R. Sachverhalte gemeint sind, in denen Geldgeber und Kreditnehmer ein direktes Finanzierungsverhältnis begründen92.
23.101
Bei einem echten P2P-Lending unter Einbeziehung einer Crowd Lending-Plattform, leitet diese als „Bote“ die zum Abschluss (typischerweise von nachrangigen) Darlehen zwischen dem Darlehensgeber und den Darlehensnehmer erforderlichen Willenserklärungen weiter. Gemäß den AGB der Crowd Lending-Plattformen registriert sich i.d.R. der „potentielle Investor“ als Nutzer der Plattform und kann sich sodann über die zu finanzierenden „Projektinhaber“, die den Abschluss von Darlehensverträgen anbieten, informieren. Zum Abschluss eines Darlehensvertrags nimmt der Nutzer das vom Projektinhaber unterbreitete Angebot zum Abschluss eines Darlehensvertrags in der von ihm gewählten Höhe der Crowd Lending-Plattform an. Nach dem generellen Verständnis wird die Crowd Lending-Plattform für beide Seiten als (elektronischer) Bote gemäß § 120 BGB hinsichtlich des Angebots und der Annahme sowie im Hinblick auf den Zugang der Erklärungen als Empfangsvertreter gemäß § 164 Abs. 3 BGB tätig.
23.102
Um ein wirtschaftlich sinnvolles Finanzierungsvolumen zu gewährleisten, wird das Angebot des Kreditnehmers typischerweise unter die Bedingung gestellt, dass ein Mindestvolumen erreicht wird (sog. Funding Schwelle). Mit dem elektronischen Zugang der erforderlichen Willenserklärungen und Erreichen der „Fundingschwelle“ kommt der Darlehensvertrag zustande.
23.103
Durch die Ausgestaltung der Finanzierung als „nachrangiges Darlehen“ wird das Vorliegen eines erlaubnispflichtigen „Kreditgeschäft“ vermieden (s. Rz. 23.28).
23.104
90 Vgl. Veith, BKR 2016, 184, 187. 91 Vgl. Veith, BKR 2016, 184, 187. 92 Vgl. hierzu Jansen, Fremdfinanzierung durch „Crowdfunding“, NWB Nr. 18, 2017, 1380.
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§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
2. Erlaubnispflichtige Anlagevermittlung durch die Crowd Lending-Plattform gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 KWG 23.105
Crowd Lending-Plattformen erbringen mit ihrer Geschäftstätigkeit grundsätzlich eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung in Form der sog. Anlagevermittlung i.S.d. § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 KWG. Eine erlaubnispflichtige Anlagevermittlung in diesem Sinne setzt dabei eine Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten voraus.
23.106
Bei den durch die Forderungskaufverträge angebotenen Teilbeträgen der Kreditforderung im Fall des unechten P2P-lendings handelt es sich nach der Änderung des Vermögensanlagengesetzes um Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG als sog. „sonstige Anlagen“, die einen Anspruch auf Verzinsung und Rückzahlung gewähren93 und damit um Finanzinstrumente i.S.d. § 1 Abs. 11 KWG.
23.107
Im Falle der Vermittlung der Gelegenheit zum Abschluss von Nachrangdarlehen liegt ebenfalls eine Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten vor, da Nachrangdarlehen als Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 VermAnlG qualifizieren und somit zu den Finanzinstrumenten gemäß § 1 Abs. 11 Nr. 2 KWG zählen. a) Bereichsausnahme
23.108
Insoweit besteht nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 8 Buchst. e) KWG eine Bereichsausnahme von der Erlaubnispflicht, wenn (i) ausschließlich eine Anlagevermittlung zwischen Kunden und Anbietern oder Emittenten von Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 VermAnlG betrieben und (ii) der jeweiligen Crowd Lending-Plattform kein Eigentum oder Besitz an Geldern verschafft wird.
23.109
Nach § 1 Abs. 2 VermAnlG sind Vermögensanlagen alle Anlagegegenstände des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 VermAnlG, welche nicht in Wertpapiere im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes verbrieft und nicht als Anteile an Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB ausgestaltet sind. Des Weiteren darf die Annahme der Gelder auf Ebene des aufnehmenden Unternehmens nicht als Einlagengeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG qualifizieren (§ 1 Abs. 2 VermAnlG a.E).
23.110
Bei den von dem Kreditinstitut durch Forderungskaufverträge angebotenen Teilbeträgen der Kreditforderung handelt es sich wie bereits vorstehend dargestellt grundsätzlich um Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG94 und damit um Finanzinstrumente i.S.d. § 1 Abs. 11 KWG95. Im Falle der Vermittlung von Nachrangdarlehen liegt ebenfalls eine Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten vor, da Nachrangdarlehen als Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 VermAnlG qualifizieren und somit zu den Finanzinstrumenten gemäß § 1 Abs. 11 Nr. 2 KWG zählen.
23.111
Als Einlagengeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG ist die Annahme (i) fremder Gelder als Einlagen oder (ii) anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums, sofern 93 Vgl. BT-Drucks. 18/3994, S. 39. 94 Vgl. BT-Drucks. 18/3994, S. 39. 95 Vgl. BaFin Auslegungsschreiben zum Crowd Lending v. 9.10.2015, Ziffer 2.2.2.
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Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending) | § 23
der Rückzahlungsanspruch nicht in Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen verbrieft wird, zu qualifizieren96. Sind die Darlehen hingegen nachrangig ausgestaltet, besteht ein Rückzahlungsvorbehalt in der Krise des Kreditnehmers, so dass keine „unbedingt rückzahlbare“ Kapitalüberlassung erfolgt.
23.112
Schließlich setzt die Bereichsausnahme nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 8 Buchst. e) KWG voraus, dass die Crowd Lending-Plattform nicht befugt sein darf, sich bei der Erbringung der Finanzdienstleistungen Eigentum oder Besitz an Geldern oder Anteilen von Kunden zu verschaffen. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich dann erfüllt, wenn die Zahlungen aus dem gewährten Darlehen zwischen den Darlehensgebern und Darlehensnehmern ausschließlich über einen in der EU registrierten Zahlungsdienstleister erfolgen und somit seitens der Crowd Lending-Plattform keine Gelder angenommen werden.
23.113
b) Erlaubnis nach § 34c GewO oder § 34f GewO Soweit im Hinblick auf die Vermittlung der Nachrangdarlehen als Finanzinstrument von der Bereichsausnahme des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 8 Buchst. e) KWG Gebrauch gemacht wird, bedarf die Crowd Lending-Plattform der Erlaubnis nach § 34f GewO97. Eine zusätzliche gewerbeordnungsrechtliche Erlaubnispflicht nach § 34c GewO, wenn die Vermögensanlagen zugleich als Darlehen qualifizieren, ist bei Vorliegen einer Erlaubnis nach § 34f GewO gemäß § 157 Abs. 5 GewO nicht erforderlich.
23.114
3. Prospektpflicht „Crowd Lending“ Grundsätzlich besteht für die jeweilige Crowd Lending-Plattform keine Prospektpflicht für die vermittelten Vermögensanlagen, wenn die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands von der Prospektpflicht, insbesondere § 2 Abs. 1 Nr. 3 VermAnlG oder § 2a Abs. 1 bis 3 VermAnlG gegeben sind98.
23.115
Durch den neuen § 2a VermAnlG sind sog. „Schwarmfinanzierungen“ teilweise von den Pflichten des Vermögensanlagengesetzes befreit. Neben einer Begrenzung des Gesamtemissionsvolumens ist dabei Voraussetzung, dass die Anlagen im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über Internetplattformen vertrieben werden, die zur Prüfung verpflichtet sind, ob bestimmte Einzelanlageschwellen nicht überschritten werden.
23.116
Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des Befreiungstatbestandes des § 2a VermAnlG erreichen, dass „neue über Internet-Dienstleistungsplattformen vertriebene und beworbene Finanzierungsformen von den Anforderungen zur Erstellung eines Prospektes“ ausgenommen werden, um diese Vertriebsplattformen besser in den Stand zu versetzen, „die verfolgte Finanzierung von kleineren und mittleren Unternehmen weiter zu unterstützen“99.
23.117
96 Vgl. BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäftes v. 11.3.2014. 97 Vgl. BaFin Auslegungsschreiben zum Crowd Lending v. 9.10.2015, Ziffer 2.2.1. 98 Vgl. BaFin Auslegungsschreiben zum Crowd Lending v. 9.10.2015, Ziffer 3.1.3; Kritisch zur Konstruktion: Gerlach/Köhler, ZBB/JBB 2/17, 84 ff. 99 Vgl. Reg.Br. BT-Drucks. 18/3994, S. 40.
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§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
23.118
Damit sich Crowdfunding-Plattformen auf die Ausnahmevorschrift des § 2a VermAnlG berufen können, müssen grundsätzlich drei Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt werden. Es muss sich zunächst um Vermögensanlagen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 7 VermAnlG handeln. Dabei handelt es sich um partiarische Darlehen, Nachrangdarlehen sowie sonstige Anlagen, die eine Verzinsung und Rückzahlung oder einen vermögenswerten Barausgleich im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld gewähren oder in Aussicht stellen. Der Gesetzgeber sah nur bei diesen drei Vermögensanlagen einen typischen Anwendungsfall für Crowdfunding, was seitens einzelner Stimmen in der Literatur stark kritisiert wurde. Als zweite Tatbestandsvoraussetzung darf der Verkaufspreis sämtlicher angebotener Vermögensanlagen desselben Emittenten 2,5 Mio. Euro nicht übersteigen sowie gelten maximale Anlagegrenzen des jeweiligen Privatanlegers von bis zu 10.000 Euro (§ 2a Abs. 3 VermAnlG). Schließlich als dritte Voraussetzung, ist die Befreiung von der Erstellung eines Prospektes nur auf Vermögensanlagen anwendbar, die ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über eine Internet-Dienstleistungsplattform vermittelt werden, die durch Gesetz oder Verordnung verpflichtet ist, zu prüfen, ob der Gesamtbetrag der Vermögensanlagen desselben Emittenten, die von einem Anleger erworben werden können, der keine Kapitalgesellschaft ist, die in § 2a Abs. 3 VermAnlG festgelegten Beträge nicht übersteigt.
23.119
Die Gesamtemissionsgrenze von 2,5 Mio. Euro ist der Gesamtbetrag des Rückzahlungsanspruchs aus einem Darlehensvertrag mit identischen Konditionen. Die Gesamtemissionsgrenze bezieht sich nach Auffassung der BaFin auf einen einzelnen Emittenten, d.h. einen einzelnen Darlehensnehmer100.
23.120
Da es derzeit an einem europaweiten harmonisierten Regulierungsrahmen für Crowd Lending fehlt, hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über die Regulierung des Crowd Funding Sektors vorgelegt101. Nach dem Entwurf der EU Crowd Funding-Verordnung begrenzt dessen Anwendungsbereich alle Crowd FundingAngebote mit einem Gesamtgegenwert von bis zu einer Million Euro pro Angebot, wobei dieser Gegenwert über einen Zeitraum von zwölf Monaten in Bezug auf ein bestimmtes Projekt berechnet wird. Sofern das Volumen mehr als eine Million Euro pro Angebot überschreitet, kommt es grundsätzlich zu dem Eingreifen einer Prospektpflicht nach der neuen EU Prospektverordnung102.
V. Kapitalmarkt- und aufsichtsrechtliche Aspekte aus Sicht von Unternehmen 23.121
Bei der Einwerbung von Finanzierungen durch Unternehmen sind unter aufsichtsrechtlichen Aspekten insbesondere das Verbot des Einlagengeschäfts durch Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG), sowie Beschränkungen eines öffentlichen Angebots von Wertpapieren im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes sowie von anderen Vermögensanlagen i.S.v. § 1 Abs. 2 VermAnlG zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die zunehmenden Marktanteile von Nicht-Banken als Investoren in Finanzierungen an Unternehmen sind auch die Beschränkungen des KWG im Hinblick auf unzulässige Kreditgeschäfte zu beachten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG) (s. Rz. 23.9). 100 Vgl. BaFin Auslegungsschreiben zum Crowd Lending v. 9.10.2015, Ziffer 3.1.3. 101 Verordnung über europäische Crowd Funding-Dienstleister für Unternehmen vom 8. März 2018 (COM (2018) 113 final). 102 (EU) 2017/1129 (vom 14.6.2017); hierzu Schulz, WM 2016, S. 1417.
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Die Problematik des Einlagengeschäfts stellt sich grundsätzlich nur dann, sofern die Finanzierung als Einlage i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG zu qualifizieren ist. Dies ist nach h.M. jedenfalls dann nicht der Fall, wenn kein unbedingter Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals besteht (wie beispielsweise bei Finanzierungen mit Verlustbeteiligung)103. Eine unbedingte Rückzahlbarkeit von Geldern ist außerdem abzulehnen, wenn ein sog. qualifizierter Rangrücktritt vereinbart ist, d.h. dass die Rückzahlbarkeit erst nach Befriedigung sämtlicher anderer Gläubiger erfolgen soll und dass die Geltendmachung des Anspruchs auf Rückzahlung solange und soweit ausgeschlossen ist, als sie einen Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens herbeiführen würde104. Des Weiteren setzt Einlagengeschäft im Sinne des KWG die Aufnahme von Kapital beim „Publikum“ voraus105. Wird das Kapital nur von einem Investor (beispielsweise bei einem Kreditfonds) oder von einem kleinen Kreis von (institutionellen) Investoren in einer Transaktion aufgenommen, können dadurch die Merkmale der „Gewerbsmäßigkeit“ und des „Betreibens“ entfallen, weil das Einlagengeschäft in diesen Fällen nicht auf Dauer angelegt ist und nicht geschäftsmäßig in gleicher Weise wiederholt106 und organisatorisch selbständig vorgenommen werden soll. Eine gesetzliche Bereichsausnahme besteht für die Aufnahme von Kapital durch die Begebung von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen (s. Rz. 23.37).
23.122
Sofern Finanzierungen in Form von Wertpapieren (beispielsweise Schuldverschreibungen) durch ein öffentliches Angebot aufgenommen wird, besteht eine Prospektpflicht gemäß Wertpapierprospektgesetz bzw. EU-Prospektverordnung. Das Wertpapierprospektgesetz enthält Regelungen bezüglich des Inhalts und der Veröffentlichung von Prospekten sowie das Erfordernis einer Billigung des Prospekts durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Ein Verstoß gegen die Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld belegt ist (§ 35 WpPG). Weiterhin droht die Untersagung des Angebots durch die BaFin (§ 26 Abs. 4 WpPG). Eine Pflicht zur Veröffentlichung des Prospekts (mit vorheriger Billigung durch die BaFin) besteht jedoch nur dann, sofern Wertpapiere im Inland öffentlich angeboten werden. Ein öffentliches Angebot mit einer entsprechenden Prospekt liegt u.a. dann nicht vor, wenn die Stückelung des Wertpapiers mindestens 100 000 Euro beträgt (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 Buchst. c) VO 2017/1129 [EU-Prospektverordnung]). Da Finanzierungen durch institutionelle Investoren typischerweise mit entsprechend hohen Mindeststückelungen versehen sind, besteht regelmäßig keine Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts. Soll ein Wertpapier börsennotiert (d.h. zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen) werden, ist jedoch die Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts Zulassungsvoraussetzung (§ 3 Abs. 4 WpPG, ab 21.7.2019 Art. 3 Abs. 3 VO 2017/1129).
23.123
Bei der Aufnahme einer Finanzierung in Form eines öffentlichen Angebots in Form einer stillen Beteiligung, Genussrechten, Namensschuldverschreibungen, partiarischen Darlehen oder Nachrangdarlehen kann eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gemäß Vermögensanlagengesetz in Betracht kommen. Dies kann jedoch u.a. durch Vereinbarung eines Mindestausgabepreises von jeweils 200 000 Euro vermieden werden (§ 2 Nr. 3 Buchst. c) VermAnlG).
23.124
103 Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 1 Rz. 42. 104 Reg.Begr. zum Finanzkonglomeraterichtlinien-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 15/3641, S. 36. 105 Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 1 Rz. 42; BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts v. 11.3.2014. 106 Broge in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 1 Rz. 19 ff.
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§ 23 | Bankenunabhängige Finanzierungen (durch Kreditfonds und Crowd Lending)
23.125
Befreiungen gelten für Vermögensanlagen, die über einen internetbasierten Marktplatz angeboten werden (sog. Crowd Funding) (s. Rz. 23.115).
23.126
Ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Anforderungen an eine Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts kann es bei einer Aufnahme von Finanzierungen von einem breiteren Investorenkreis (ohne dass damit ein öffentliches Angebot begründet wird) unter haftungsrechtlichen Aspekten sinnvoll sein, einen Emissionsprospekt zu erstellen. Dies gilt insbesondere, sofern im Rahmen einer derartigen Privatplatzierung nicht nur institutionelle Investoren, sondern auch Privatanleger angesprochen werden. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BGH107 zu Beteiligungen an sog. geschlossenen Fonds besteht grundsätzlich über eine Prospekthaftung im engeren Sinne hinaus, die sich aus den spezialgesetzlichen Vorschriften (beispielsweise des Wertpapierprospektgesetzes)108 ergibt, eine aus den Grundsätzen der allgemeinen Vertrauenshaftung abgeleitete allgemeine Prospekthaftung des Anbieters einer Vermögensanlage. Danach sind an einen größeren Kreis von Anlegern gerichtete schriftliche Mitteilungen schon dann als Prospekt in diesem Sinne anzusehen, wenn sie den Eindruck erwecken, für die Beurteilung der Anlage wesentliche Aspekte zu enthalten109.
107 Grundlegend BGH v. 16.11.1978 – II ZR 94/77, NJW 1979, 718 ff.; weitere Nachweise bei Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 6 Rz. 8 ff. 108 Art. 11 VO 2017/1129 (EU-Prospektverordnung). 109 Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 6 Rz. 66 ff.
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§ 24 Real Estate Investment Trusts I. Einführung . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund von REITs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte des REITG . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Intention des Gesetzgebers . .
.. .. .. ..
_ _ __
24.1 24.3 24.5 24.7
__ __ _ _ _ __ __ _ _ __ __ _ __ __ _ __ __ __ _
II. Einordnung von REITs zu bestehenden indirekten Investitionsmöglichkeiten in Immobilien . . . 24.8 1. Offene Immobilienfonds . . . . . 24.9 2. Geschlossene Immobilienfonds . 24.11 3. Immobilienaktiengesellschaften . 24.12 4. REITs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.14 III. Steuerrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besteuerung auf Ebene der REIT-AG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner . . . . . . . . . . . . 3. Ausschüttungsverpflichtung . . 4. Ausländische Immobilien . . . . 5. Ausländische REITs . . . . . . . . 6. „Exit Tax“ . . . . . . . . . . . . . .
. 24.15 . 24.16 . . . . .
24.18 24.25 24.31 24.32 24.35
IV. Vor-REIT . . . . . . . . . . . . . . . . 24.37 V. Anforderungen an den Geschäftsbetrieb . . . . . . . . 1. Vermögensanforderungen . . 2. Ertragsanforderungen . . . . 3. Eigenkapitalanforderungen . 4. Halten von Beteiligungen . . 5. Ausschluss des Immobilienhandels . . . . . . . . . . . . . . 6. Nebentätigkeiten . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
24.40 24.41 24.44 24.45 24.46
. . . 24.48 . . . 24.49
VI. Anforderungen an die Aktionärsstruktur . . . . . . . . . . . . . . 24.51 1. Maximalbeteiligung . . . . . . . . . 24.51 2. Mindeststreubesitz . . . . . . . . . . 24.58 VII. Gesellschaftsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmensgegenstand . . . . . a) Ausnahme von Bestandsmietwohnimmobilien . . . . . . . b) Andere Vermögensgegenstände c) Notwendige immobiliennahe Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . 2. Grundkapital . . . . . . . . . . . . . 3. Form der Aktien . . . . . . . . . . .
24.62 24.62 24.64 24.66 24.70 24.71 24.72
4. Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entschädigungsregelung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Handelsregistereintragung der Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Firmenänderung . . . . . . . . . b) Prüfungsumfang des Registerrichters . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Kapitalmarktrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulassung zum Handel . . . . . . 2. Anforderung an die Dauer des Bestehens zum Zwecke der Zulassung zum Handel an einer deutschen Wertpapierbörse . . . 3. Anforderungen an den Prospekt a) Historische Finanzinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pro Forma Finanzangaben bei Immobiliengesellschaften . c) Besondere Prospektanforderungen für Immobiliengesellschaften . . . . . . . . . . . 4. Folgepflichten . . . . . . . . . . . . a) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR) . . . . b) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils 5. Investoren . . . . . . . . . . . . . . . a) Beteiligung von Versicherungsgesellschaften . . . . . . . b) Beteiligung von offenen Immobilienfonds . . . . . . . . . IX. Übertragung der Immobilien 1. Sacheinlage . . . . . . . . . . . . 2. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . a) Spaltungsvarianten . . . . . . b) Vor- und Nachteile gegenüber der Einzelübertragung
. . . .
. . . .
_ _ __ _ __ __ _ _ __ _ __ _ _ __ __ _ __ _ _
24.73 24.75 24.78 24.79 24.80 24.84 24.84
24.85 24.87 24.88 24.89 24.93 24.96 24.97
24.99 24.102 24.103 24.105 24.107 24.108 24.110 24.110
. . 24.115
X. Anforderungen an die Finanzangaben und Prüfung . . . . . . . 1. HGB-Abschluss . . . . . . . . . . . 2. IFRS-Abschluss . . . . . . . . . . . 3. Nachweis der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung – Prüfung des Abschlussprüfers .
24.118 24.118 24.119 24.120
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts XI. Sanktionsregelungen bei Verletzung der Anforderungen . . . 1. Festsetzung von Zahlungen (§ 16 Abs. 3–6 REITG) . . . . . . a) Verstoß gegen Vermögensanforderungen (§ 16 Abs. 3 REITG) . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen Ertragsanforderungen (§ 16 Abs. 4 REITG) c) Verstoß gegen Ausschüttungspflicht (§ 16 Abs. 5 REITG) . . d) Verstoß gegen Nebentätigkeitsverbot (§ 16 Abs. 6 REITG) 2. Verlust der Steuerbefreiung . . . a) Börsenzulassung (§ 10 REITG) b) Handel mit unbeweglichem Vermögen (§ 14 REITG) . . . . c) Mindesteigenkapital (§ 15 REITG) . . . . . . . . . . . . . . . d) Mindeststreubesitz (§ 11 Abs. 1 REITG) und Höchstbeteiligung (§ 11 Abs. 4 REITG) . . . . . . .
_ _ _ _ _ __ _ _ _ _
24.121 24.122 24.123 24.124 24.125 24.126 24.127 24.127 24.128 24.129 24.130
e) Vermögen, Erträge, Ausschüttung und Erbringung von Nebentätigkeiten (§ 16 Abs. 3–6 REITG) . . . . . . . . . . . . . . . 24.134 3. Sonstige Anforderungen ohne ausdrückliche Sanktionsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.136
_ _ _ _ _ _ _ _
XII. Anwendbarkeit der Vorschriften des KAGB auf die REIT-AG . . . 24.143 XIII. Das Outsourcing von Managementaufgaben . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz – Leitung durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgabenzuweisung an andere Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufgabenzuweisung innerhalb des Unternehmens . . . . . . . . b) Aufgabenübertragung an unternehmensfremde Dritte (Outsourcing) . . . . . . . . . . .
24.147 24.148 24.150 24.151 24.152
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Real Estate Investment Trusts | § 24 bilienmarkt und Immobilienmanagement, NZM 2006, 650; van Kann/Just/Krämer, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (REIT-Gesetz), DStR 2006, 2105; van Kann/Just/Krämer, Deutsche Immobilien-Aktiengesellschaft mit börsennotierten Anteilen (REIT-G): wesentliche Abweichungen des verabschiedeten Gesetzes vom Regierungsentwurf, DStR 2007, 787; Klühs, REIT-Aktiengesellschaften nach dem REITG unter besonderer Berücksichtigung kautelarjuristischer Aspekte, RNotZ 2008, 509; Klühs/Schmidbleicher, Feste Beteiligungsquoten für G-Reits, ZIP 2006, 1805; Klühs/Schmidtbleicher, Besteuerung ausländischer Anleger nach dem Regierungsentwurf zur Einführung deutscher Reits, IStR 2007, 16; Kofner, Wohnimmobilien als Investitionsobjekte der deutschen REITs; WuM 2007, 183; Kofner, Entwurf des REIT-Gesetzes vom 25.9.2006: Einschätzungen und Änderungsvorschläge, WM 2006, 548; Kollmorgen/Hoppe/Feldhaus, Die deutsche REIT-Aktiengesellschaft – Mustersatzung mit Erläuterungen, BB 2007, 1345; Korts, Die Besteuerung von G-REITs nach der Unternehmenssteuerreform 2008, Stbg 2008, 97; Kovermann, Zehn Jahre REITG: Eine Misserfolgsgeschichte, AG 2018, 22; Kraft/Bron, Das REIT-Gesetz im europarechtlichen Fadenkreuz – Grundfreiheitliche Problematiken und Verfassungsbedarf im Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen, IStR 2007, 377; Kroschewski/Reiche, Inbound Real Estate Investments – Besteuerung „atypischer“ Investitionsstrukturen, IStR 2006, 730; Kühnberger, Betriebswirtschaftliche und rechnungslegungsbezogene Anmerkungen zum Regierungsentwurf des REIT-Gesetzes, BB 2007, 489; Kühnberger, Rechnungslegung und Bilanzpolitik der REIT-AG, BB 2007, 1211; Kußmaul/Gräbe, Real Estate Investment Trusts – Einordnung und organisatorische Anforderungen –, ZSteu 2008, 154; Kußmaul/Gräbe, Real Estate Investment Trusts – Anforderungen an Rechnungsstellung, Vermögen und Ertrag, Immobilienhandel, Gewinnverwendung und Mindesteigenkapital, ZSteu 2008, 159; Lambrecht, Einkünfte aus Kapitalvermögen, FR 2012, 1008; Lieber/Schönfeld, Sicherstellung einer angemessenen deutschen Besteuerung der ausländischen Anteilseigner eines deutschen REIT – Abgeltungssteuer als Alternative zum Einheits- bzw. 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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
I. Einführung 24.1
Die international verwendete Abkürzung „REIT“ steht für Real Estate Investment Trust. Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft, deren Vermögensgegenstände überwiegend aus Immobilien bestehen und die in der Regel börsennotiert ist. Die Besonderheit eines REIT besteht im Wesentlichen darin, dass die Erträge des REIT grundsätzlich auf der Ebene der Gesellschaft steuerbefreit und lediglich auf der Ebene der Anteilseigner zu versteuern sind, wobei der REIT verpflichtet ist, seine Gewinne grundsätzlich an seine Anteilsinhaber auszuschütten.
24.2
Das Gesetz über deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen („REITG“) ermöglicht seit seiner Einführung im Jahre 2007 auch in Deutschland eine weitere Form der indirekten Immobilieninvestition (im Folgenden „REIT“ oder „REIT-AG“), die international bereits seit längerem ihre Verbreitung gefunden hat. Das REITG verknüpft dabei die Regelungen unterschiedlicher Rechtsgebiete, und zwar insbesondere des Steuerrechts, des Gesellschaftsrechts und des Kapitalmarktrechts1.
1. Historischer Hintergrund von REITs 24.3
Ursprünglich sind REITs in den USA um 1850 entstanden2. Damals konnten Investoren eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung von Erträgen aus Immobilenanlagen vermeiden, wenn der Trust seine Erträge an die Begünstigten (beneficiaries) auskehrte. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde dieser Steuervorteil jedoch aufgehoben und erst 1960 mit der Schaffung des Real Estate Investment Trust als börsennotierte Investmentform wieder eingeführt3. In den USA unterscheidet man je nach Anlageschwerpunkt zwischen drei Arten von REITs: Equity REITs, Mortgage REITs und Hybrid REITs4. Equity REITs halten Immobilien und schütten die Mieteinnahmen und Veräußerungsgewinne an die Investoren aus5. Mortgage REITs vergeben Kredite an Bauunternehmen und schütten die Zinszahlungen und Zahlungen, die bei Erreichen bestimmter Wertsteigerungsgrenzen gegenüber dem Darlehensgeber fällig werden, an die Anleger aus6. Hybrid REITs haben Elemente von Equity REITs und Mortgage REITs7. Innerhalb der einzelnen REIT-Arten kann ferner zwischen Diversified und Specialised REITs unterschieden werden. Diversified REITs fokussieren, anders als Specialised REITs, nicht auf bestimmte Teilmärkte und Nutzungsarten wie z.B. Einkaufszentren. In den USA haben sich die Specialised REITs durchgesetzt8. 1 Vgl. auch Lorenz/Wecke in Balensiefen/Bönker/Geiger/Schaller, S. 889. 2 King, Real Estate Investment Trusts, Deutsche Offene und Geschlossene Immobilienfonds, 1999, S. 9. 3 History of REITs, abrufbar unter http://www.reitnet.com/reits101/history.html. 4 Keine gesonderte REIT-Form stellen sog. finite bzw. F-REITs dar. Diese REITs halten Objekte nur für ca. fünf bis fünfzehn Jahre, da sie intern gegenüber den Anteilsinhabern verpflichtet sind, diese danach wieder zu veräußern. Grund für die Einführung solcher F-REITs war die häufige Fehlbewertung der Anteile, bei der die stillen Reserven nicht entsprechend berücksichtigt wurden. King, Real Estate Investment Trusts, Deutsche Offene und Geschlossene Immobilienfonds, 1999, S. 7. 5 Downes/Goodman, Dictionary of Finance and Investment Terms, 9. Aufl. 2014, S. 491. 6 King, Real Estate Investment Trusts, Deutsche Offene und Geschlossene Immobilienfonds, 1999, S. 6. 7 Downes/Goodman, Dictionary of Finance and Investment Terms, 9. Aufl. 2014, S. 491. 8 Stock/Teske, DB 2005, 188, 193.
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Real Estate Investment Trusts | § 24
Inzwischen finden sich REITs oder REIT-ähnliche Strukturen in über 35 Ländern9. So wurden sie 1969 auch in den Niederlanden (Fiscale Beleggingsinstelling, FBI) eingeführt, 1971 in Australien, 1995 in Belgien (Société d’Investissment à Capital Fixe en Immobilière, SICAFI), 2000 in Japan, 2002 in Singapur und 2003 in Hong Kong und Frankreich (Société d’Investissements Immobiliers Cotée, SIIC)10. In Deutschland sind derzeit fünf Unternehmen als REIT-AG börsennotiert, nämlich alstria office REIT-AG, Fair Value REIT-AG, Hamborner REIT-AG, Deutsche Konsum REIT-AG und die Deutsche Industrie REITAG mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt etwa 3 Mrd. Euro. Im internationalen Vergleich erzielten REITs in Deutschland damit bislang nicht denselben Erfolg wie in vielen andern Ländern wie z.B. in Singapur mit 37 (Marktkapitalisierung im Juli 2017 etwa 50 Mrd. Euro), Australien mit mehr als 50 (Marktkapitalisierung im Juli 2017 etwa 100 Mrd. Euro) oder den USA mit 191 (Marktkapitalisierung im Juli 2017 etwa 860 Mrd. Euro) eingetragenen REITs11.
24.4
2. Entstehungsgeschichte des REITG Die Initiative Finanzstandort Deutschland („IFD“) legte erstmals am 1.6.2004 ein Konzept zur Einführung eines deutschen Real Estate Investment Trust – REIT vor12. Das Bundesfinanzministerium äußerte sich in einer Presseerklärung im Januar 2005 zur Einführung von REITs in Deutschland. Erst am 25.9.2006 legte das Bundesministerium aber erstmals einen Referentenentwurf zu dem REITG vor, den das Bundeskabinett am 2.11.2006 verabschiedete. Am 12.1.2007 folgte der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Am 18.1.2007 fanden die erste Beratung im Bundestag und die Überweisung an diverse Ausschüsse statt. Der Bundestag nahm das Gesetz nach der zweiten und dritten Lesung vom selben Tag am 23.3.2007 an. Nach der Zustimmung des Bundesrates am 30.3.2007 wurde das Gesetz am 1.6.2007 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Gesetz trat rückwirkend zum 1.1.2007 in Kraft. Der Verabschiedung des Gesetzes gingen intensive Debatten voraus. Dabei ging es in erster Linie um die Besteuerung ausländischer Investoren und die Frage, ob auch Wohnimmobilien als Anlageform für einen REIT zugelassen werden sollen.
24.5
Durch die Änderung von zahlreichen Steuergesetzen im Jahressteuergesetz („JStG“) 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, 2794) waren auch Regelungen im REITG betroffen. Die im Rahmen der JStG 2009 vorgenommenen Änderungen hatten u.a. Auswirkungen zur Bestimmung der verpflichtenden Ausschüttungen und des REIT-Mindesteigenkapitals, zur Einführung der Abgeltungsteuer und zur Berücksichtigung von steuerlichen Vorbelastungen im Rahmen der Anlegerbesteuerung. Weitere REIT-relevante Gesetzesänderungen wurden mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemein-
24.6
9 Übersicht über REIT-Strukturen weltweit ist abrufbar unter www.reit.com. 10 Außerdem gibt es REITs oder REIT-ähnliche Strukturen in Finnland, Kanada, Luxemburg, Malaysia, Neuseeland, Puerto Rico, Südafrika, Südkorea, Taiwan, Türkei und in Italien; vgl. Stock/ Teske, DB 2005, 188, Fn. 4, 5. 11 Compare and Contrast - Worldwide Real Estate Trust (REIT) Regimes, Juli 2017, S. 4, 54, 74, Herausgeber: PricewaterhouseCoopers GmbH WPG, mit einer Darstellung von REITs in 26 Ländern, abrufbar unter: https://www.pwc.com/gx/en/asset-management/assets/pdf/worldwidereit-regimes-2017.pdf. 12 S. Homepage des IFD: http://www.finanzstandort.de.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
same Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-UmsG) vom 22.6.2011 (BGBl. I 2011, 1126) eingeführt. Diese Änderungen haben insbesondere Auswirkungen auf Vor-REITs. Mit der Umsetzung des OGAW-IV-UmsG soll der nationale Rechtsrahmen einheitlich an die in der EU geltenden Vorgaben angepasst werden13. Marginale REIT-Gesetzesänderungen erfolgten durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7. 2016 (BGBl. I 2016, 1679) sowie durch das Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten vom 11.4.2017 (BGBl. I 2017, 802). Hierbei handelte es sich insbesondere um redaktionelle Änderungen. Eine weitere geringfügige Gesetzesänderung des REITG erfolgte durch das Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, S. 1693) zum 3.1.2018. Mit dieser Änderung wurde die neue Nummerierung der Vorschriften des WpHG im REITG angepasst.
3. Intention des Gesetzgebers 24.7
Der Immobilienbereich zählt zu den größten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Der Wert aller Immobilien (Gebäude inklusive Grundstücke) betrug in Deutschland Ende 2015 knapp 11,8 Billionen Euro und machte damit etwa 87 % des gesamten volkswirtschaftlichen Sachvermögens aus14. Das REITG bildet auf gesetzgeberischer Ebene die Grundlage für ein auch in Deutschland zugelassenes, international anerkanntes Kapitalanlageprodukt im Bereich der indirekten Immobilienanlage mit transparenter Besteuerung. Hierdurch soll die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland, eine Professionalisierung der Immobilienwirtschaft sowie Wettbewerbsgleichheit gegenüber europäischen Finanz- und Immobilienstandorten erreicht werden15.
II. Einordnung von REITs zu bestehenden indirekten Investitionsmöglichkeiten in Immobilien 24.8
Bis zur Einführung des REITG gab es für Anleger am deutschen Immobilienmarkt drei Möglichkeiten, indirekt in Immobilien zu investieren: offene Immobilienfonds, geschlossene Immobilienfonds sowie Immobilienaktiengesellschaften.
1. Offene Immobilienfonds 24.9
Wie bei einem REIT ist das Sondervermögen eines offenen Immobilienfonds grundsätzlich von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit; die Besteuerung der Erträge findet ausschließlich auf der Ebene der Anteilseigner statt. Ähnlich wie bei einem REIT gibt es auch spezifische Regelungen über die Zusammensetzung des Sondervermögens in den §§ 230 ff. Kapitalanlagegesetzbuch („KAGB“). Der Bestandswert der Immobilien eines offenen Immobilienfonds wird gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 216 KAGB von zwei ex13 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/4510, S. 1. 14 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Bericht v. 28.7. 2017; abrufbar unter www.bmub.bund.de/themen/stadt-wohnen/wohnungswirtschaft/wohnungsund-immobilienmarkt/. 15 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/4779, S. 1; s. hierzu auch Lambrecht, FR 2012, 1008, 1012 f.
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ternen Bewertern unabhängig voneinander festgestellt16. Der Wert der Anteilscheine ergibt sich gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 KAGB aus der Teilung des Wertes des Sondervermögens durch die Anzahl der in den Verkehr gelangten Anteile. Anders als bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft wie der REIT-AG ergibt sich der Anteilswert somit nicht aus Angebot und Nachfrage nach dem Papier. Es fehlt mithin an einer unmittelbaren Bewertung der Anteilscheine durch den Kapitalmarkt. Obwohl im Zuge des Inkrafttretens des KAGB zum 22.7.2013 neue gesetzliche Regeln für die Rückgabe von Anteilen an offenen Immobilienfonds wirksam geworden sind, besteht nach wie vor ein Nachteil offener Immobilienfonds in der gesetzlich vorgeschriebenen Anteilsrücknahmepflicht gemäß § 255 KAGB. Danach kann jeder Anleger verlangen, dass ihm gegen Rückgabe des Anteils sein Anteil an dem Sondervermögen aus diesem ausgezahlt wird. Dies begründet die Gefahr erheblicher Mittelabflüsse mit der Folge, dass die vergleichsweise wenig liquide Asset-Klasse „Immobilien“ unter Umständen zügig und eventuell unter Wert liquidiert werden muss. Im Gegenzug besteht für einen offenen Immobilienfonds auch nicht die Möglichkeit, den Investitionszeitpunkt, insbesondere im Hinblick auf eine günstige Marktsituation, autonom festzulegen, da er in seiner Liquiditätssteuerung stark von dem Anlegerverhalten abhängig ist und den Zeitpunkt des Mittelzuflusses nicht selbst bestimmen oder auch nur steuern kann17. Laut Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank vom März 2018 waren zum Jahresende 2017 42 offene Immobilien-Publikumsfonds und 442 offene Immobilien-Spezialfonds in Deutschland ansässig mit einem Gesamtanlagevolumen von 87,9 Mrd. Euro18.
24.10
2. Geschlossene Immobilienfonds Auch bei geschlossenen Immobilienfonds in der Form einer Personengesellschaft, typischerweise einer KG, findet die Besteuerung der Erträge grundsätzlich auf der Ebene der Anteilseigner statt. Bei Personengesellschaften können die Anteile, verglichen mit Aktien, aber nicht so einfach übertragen werden. Dadurch sind solche Anlagen typischerweise langfristiger Natur. Es gibt für diese Anlageform dementsprechend auch keinen liquiden Sekundärmarkt, selbst wenn mittlerweile einige Zweitmarktanbieter für „gebrauchte“ Fondsanteile entstanden sind. Hinzu kommt, dass zahlreiche Steuerprivilegien für geschlossene Fonds zwischenzeitlich entfallen sind19, was die Attraktivität dieser Anlageform nachteilig beeinflusst hat. Laut Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank vom Juni 2018 waren im Mai 2018 1.494 geschlossene Immobilienfonds in Deutschland ansässig mit einem Gesamtanlagevermögen von 77,3 Mrd. Euro, davon entfielen 23,9 Mrd. Euro auf das Immobilienvermögen20. 16 Die Folgebewertung wurde durch das KAGB insoweit neu geregelt, als dass die Verpflichtung zur Einrichtung von Sachverständigenausschüssen unter dem KAGB für Publikumsfonds entfallen ist; s. Billand/Lauterfeld in Schäfer/Conzen, Praxishandbuch Immobilien-Investitionen, 3. Aufl. 2016, S. 187. 17 Aufgrund dieses Liquiditätsproblems hat der Gesetzgeber besondere Regelungen für die Rücknahme von Anteilen an Immobilien-Sondervermögen in § 255 KAGB eingefügt. 18 Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank vom März 2018 abrufbar unter: www.bundes bank.de. 19 Stock/Teske, DB 2005, 187, 191. 20 Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank vom Juni 2018, abrufbar unter: www.bundes bank.de.
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24.11
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
3. Immobilienaktiengesellschaften 24.12 Immobilienaktiengesellschaften haben ihre Erträge auf der Ebene der Gesellschaft zu ver-
steuern. Dividendenausschüttungen führen mithin grundsätzlich zu einer (zumindest teilweisen) wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Denn die Gesellschaft hat auf die Erträge, die zu dem ausschüttungsfähigen Gewinn geführt haben, bereits Steuern entrichtet, die im Falle der Ausschüttung nicht auf diejenigen Steuern angerechnet werden, die vom Aktionär aufgrund des Erhalts von Dividendenzahlungen zu zahlen sind.
24.13 Bis zum Jahr 2001 galt in Deutschland zwar das sog. Anrechnungsverfahren, wonach die
vom Unternehmen gezahlten Steuern zur Vermeidung einer solchen wirtschaftlichen Doppelbesteuerung auf die Dividendenbesteuerung der Aktionäre angerechnet wurde. Dieses wurde aber zunächst vom sog. Halbeinkünfteverfahren und sodann ab dem Veranlagungszeitraum 2009 durch das sog. Teileinkünfteverfahren ersetzt, Damit unterliegen Dividendenzahlungen grundsätzlich der Besteuerung auf Anteilseignerebene, auch wenn die Gesellschaft bereits Kapitalertragssteuern auf diese Erträge geleistet hat.
4. REITs 24.14 Eine REIT-AG ist im Grunde eine börsennotierte Immobilienaktiengesellschaft, jedoch
mit einer anderen steuerlichen Behandlung, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. REITs verbinden damit diverse Vorteile der verschiedenen vorgenannten Anlageformen, insbesondere die zeitnahe Bewertung der Aktien durch den Kapitalmarkt gegenüber offenen und geschlossenen Fonds, die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Dividendenausschüttungen gegenüber Immobilienaktiengesellschaften, die Verbriefung der Anteile in einem leicht handelbaren Wertpapier gegenüber Anteilen an geschlossenen Fonds sowie die mit der Börsennotierung verbundene hohe Transparenz.
III. Steuerrechtliche Rahmenbedingungen 24.15 Bei der steuerlichen Behandlung von REITs ist die laufende Besteuerung der Erträge der Gesellschaft von der steuerlichen Behandlung des Erwerbs von Immobilien zu unterscheiden.
1. Besteuerung auf Ebene der REIT-AG 24.16 Eine REIT-AG ist gemäß § 16 Abs. 1 REITG vollständig für sämtliche in Deutschland er-
zielte Gewinne unabhängig von der Einnahmequelle von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit, wenn sie die Voraussetzungen der §§ 8 bis 15 REITG erfüllt, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig wäre und nicht im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens („DBA“) als in einem anderen Vertragsstaat ansässig gilt. Sämtliche sonstige Steuern, wie insbesondere Grunderwerb- und Grundsteuer, bleiben allerdings von dieser Regelung unberührt. Diese Steuerbefreiung gilt nicht für REIT-Dienstleistungsgesellschaften21. 21 Sagasser in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Aufl. 2015, § 27 Rz. 493.
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Eine REIT-AG wird gemäß § 17 Abs. 1 i.V.m. § 6 REITG rückwirkend zum Beginn des Wirtschaftsjahres von der Steuer freigestellt, in dem die Firma mit dem Zusatz „REITAG“ oder „REIT-Aktiengesellschaft“ in das Handelsregister eingetragen wird (s. auch Rz. 24.78 ff.). Verliert die REIT-AG ihre Steuerbefreiung nach § 18 REITG, dann kann diese gemäß § 17 Abs. 4 REITG nicht vor Ablauf von vier Jahren seit dem Verlust wieder aufleben bzw. beginnen. Auf ein Verschulden der REIT-AG kommt es in solchen Fällen nicht an22.
24.17
2. Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner Bei einer REIT-AG findet die Besteuerung der Erträge ausschließlich auf Ebene der Anteilseigner statt. Die Aktionäre einer REIT-AG haben die von der Gesellschaft erhaltenen Erträge (Dividenden) vollumfänglich unter Zugrundelegung ihres jeweiligen individuellen Steuersatzes zu versteuern. Das Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 EStG sowie die im Ergebnis 95 %-ige Steuerbefreiung nach § 8b KStG finden keine Anwendung (§ 19 Abs. 3 REITG). Gewinnausschüttungen einer REIT-AG und Veräußerungsgewinne von REIT-Aktien unterliegen daher grundsätzlich (bei vollem Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug) gänzlich der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer.
24.18
Dividendeneinkünfte und Veräußerungsgewinne von Privatpersonen unterliegen dabei allerdings der Abgeltungssteuer gemäß § 32d EStG i.H.v. 25 % oder entsprechen dem persönlichen Steuersatz, falls dieser unter 25 % liegt. Einkommenssteuerpflichtige Aktionäre, die ihren Anteil im Betriebsvermögen halten, müssen Dividendeneinkünfte sowie Gewinne aus der Veräußerung der Aktien mit dem gültigen Einkommenssteuersatz versteuern – das Teileinkünfteverfahren findet keine Anwendung. Nach dem neu eingeführten § 8b Abs. 4 KStG sind nach dem 1.3.2013 zufließende Dividenden aus Streubesitzbeteiligungen, d.h. bei einer unmittelbaren Beteiligungsquote zu Beginn des Kalenderjahres von weniger als 10 %, für inländische Kapitalgesellschaften nicht mehr nach § 8b KStG von der Körperschaftsteuer befreit. Die im Ergebnis 95 %-ige Steuerbefreiung nach § 8b KStG findet für inländische Kapitalgesellschaften seitdem nur noch auf Beteiligungsquoten von mindestens 10 % Anwendung. Eine solche Beteiligungsquote an einer REIT-AG ist jedoch nach § 11 Abs. 4 REITG untersagt.
24.19
Schüttet eine REIT-AG auf der Ebene der REIT-AG steuerlich vorbelastete Gewinne aus, werden die Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG ausnahmsweise gewährt (§ 19a REITG). Mit der Einführung des § 8b Abs. 4 KStG hat § 19a REITG allerdings an Bedeutung verloren. Dividenden stammen aus vorbelasteten Teilen des Gewinns, wenn hierfür Einkünfte der REIT-AG oder einer anderen REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse als verwendet gelten, die mit mindestens 15 % deutscher Körperschaftsteuer oder einer mit dieser vergleichbaren ausländischen Steuer für den jeweiligen Veranlagungszeitraum belastet sind (§ 19a Abs. 2 Satz 1 REITG). Ob eine steuerliche Vorbelastung vorliegt, ist gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 REITG für jede Beteiligung an einer Immobilienpersonengesellschaft und für jede einzelne Immobilie getrennt zu ermitteln. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die steuerliche Vorbelastung der Einkünfte ausländischer REITs aus im Inland belegenen, direkt gehaltenen Immobilien beim Anleger zutreffend berücksichtigt werden23. Eine Differenzierung, ob es sich hierbei um eine Vor-
24.20
22 Wohltmann, StuB 2010, 304, 307; Amort/Blum, DStR 2009, 1772, 1774. 23 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 61.
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belastung mit deutscher oder ausländischer Steuer handelt, findet nicht statt24. Abzustellen ist für jede Beteiligung an einer Immobilienpersonengesellschaft oder jede einzelne Immobilie auf die jeweilige Steuerbelastung der Einkünfte in dem Wirtschaftsjahr, das dem Jahr der Ausschüttung der REIT-AG oder der anderen REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse vorangeht. Zu den vorbelasteten Gewinnen gehören auch solche von ausländischen Immobilienpersonengesellschaften. Dividenden oder sonstige Bezüge aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft gelten nur als vorbelastet, wenn sie von der Kapitalgesellschaft in dem ersten Wirtschaftsjahr nach Gewinnerzielung ausgeschüttet werden (§ 19a Abs. 2 Satz 4 REITG). Die vorbelasteten Teile des Gewinns gelten als vorrangig ausgeschüttet (§ 19a Abs. 2 Satz 5 REITG). Durch diese Regelung bezweckt der Gesetzgeber, dass keine Bestände von vorbelasteten Vermögensteilen der REIT-AG festzustellen sind25. Einkünfte der REITG-AG aus Vermietung, Verpachtung, Verleasen und Veräußerung von ausländischen Immobilien, die im Belegenheitsstaat einer Besteuerung unterliegen, werden von dieser Vorschrift ebenfalls umfasst26.
24.21 Nach § 19a Abs. 3 REITG hat die REIT-AG den aus vorbelasteten Gewinnen stammenden
Teil der Dividende oder der sonstigen Bezüge in der Steuerbescheinigung nach § 45a EStG gesondert auszuweisen.
24.22 § 19a REITG ist auch auf die Gewinnausschüttungen ausländischer REITs i.S.d. § 19
Abs. 5 REITG anwendbar. Somit können auch ausländische REITs für vorbelastete Gewinnanteile das Teileinkünfteverfahren anwenden, soweit sie nachweisen können, dass für die Dividenden oder sonstigen Bezüge vorbelastete Gewinne der anderen REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse verwendet worden sind. Problematisch ist allerdings, dass der ausländische REIT in der Pflicht steht, die entsprechenden Dividenden, die aus vorbelasteten Gewinnen des ausländischen REITs stammen, nachzuweisen27.
24.23 Die REIT-AG behält die Kapitalertragsteuer im Regelfall i.H.v. 25 % gemäß § 20 REITG
ein. In Deutschland ansässige Anteilseigner können die Anrechnung bzw. Erstattung dieser Kapitalertragsteuer beanspruchen. Gewinne und Verluste aus der Veräußerung der Anteile an einer REIT-AG können nur untereinander und nicht mit Gewinnen und Verlusten im Zusammenhang mit anderen Anlagen verrechnet werden.
24.24 Wesentlichen Anteil an der Diskussion um die Einführung von REITs in Deutschland
hatte die Frage der Sicherstellung der Besteuerung von Ausschüttungen an ausländische Investoren. Während die DBA typischerweise vorsehen, dass Einkünfte aus Immobilien in dem Staat zu besteuern sind, in denen die Immobilien belegen sind, sind Dividendeneinkünfte typischerweise in dem Land zu versteuern, in dem der Anteilsinhaber seinen Sitz hat28. Die „Verpackung“ von Immobilien in eine Aktie führt demnach an sich dazu, dass immobilienbezogene Einkünfte ausländischer Investoren aus deutschen Immobilien unter Umständen nicht mehr – oder nur sehr eingeschränkt – der deutschen Besteuerung unterliegen. Der Sitzstaat des Unternehmens kann lediglich Quellensteuer i.H.v. bis zu 15 % erheben, die in vielen bilateralen Verträgen auf bis zu 5 % reduziert ist29. In vielen DBA ist
24 25 26 27 28 29
Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 61. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 61. Gemmel/Kaiser, DStR 2009, 1346, 1348; auch Korts, Stbg 2008, 97, 98 f. Gemmel/Kaiser, DStR 2009, 1346, 1348. S. Art. 6, 13 und 10 OECD-Musterabkommen. Vgl. z.B. Hahn, ZGR 2006, 805, 811 m.w.N.
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zudem eine erhebliche Reduzierung des Kapitalertragsteuersatzes (sog. „Schachteldividende“) für Beteiligungen von über 10 % vorgesehen, ggf. kann die Steuerpflicht sogar gänzlich entfallen30. Darüber hinaus sieht die Mutter-Tochter-Richtlinie31 vor, dass eine Gesellschaft mit Sitz in der EU keine Quellensteuer zahlen muss, wenn sie an der ausschüttenden Gesellschaft mit Sitz in der EU zu einem bestimmten Prozentsatz beteiligt ist. Um die steuerfreie Vereinnahmung von Einkünften aus unbeweglichem Vermögen und gleichzeitiger steuerfreier Ausschüttung von Dividenden an in Deutschland nicht Steuerpflichtige zu verhindern, sieht § 11 Abs. 4 REITG vor, dass kein Aktionär direkt 10 % oder mehr der Aktien an einer REIT-AG halten darf oder Aktien in einem Umfang, dass er über 10 % oder mehr der Stimmrechte verfügt32. Durch die Begrenzung der Höchstbeteiligung auf 10 % im REITG wird mithin verhindert, dass die deutsche Quellensteuer umgangen wird33. Aufgrund der Ausgestaltung der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen DBA konnte der deutsche Gesetzgeber, anders als beispielsweise in Großbritannien, dies tatsächlich auf direkte Beteiligungen beschränken. Mittelbare Beteiligungen von mehr als 10 % sind daher unschädlich34.
3. Ausschüttungsverpflichtung Um die tatsächliche Besteuerung auf Ebene der Aktionäre sicherzustellen, ist die Gesellschaft gemäß § 13 Abs. 1 REITG verpflichtet, mindestens 90 % ihres handelsrechtlichen Jahresüberschusses i.S.d. § 275 HGB an die Aktionäre bis zum Ende des folgenden Geschäftsjahres auszuschütten35. Der als Dividende ausschüttungspflichtige Gewinn ist gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder als Betriebseinnahme unter gleichzeitigem Ausschluss des Teileinkünfteverfahrens einkommensteuerpflichtig (s. Rz. 24.18). Entscheidend für die Ausschüttungsverpflichtung ist der handelsrechtliche Jahresabschluss gemäß § 242 i.V.m. § 264 HGB. In diesem Zusammenhang wurde die Frage aufgeworfen, ob die Gesellschaft verpflichtet sei, notwendige Investitionen zurückzustellen, um die für die Gewinnausschüttung erforderliche Liquidität vorzuhalten36. Notwendige Investitionen mindern jedoch den handelsrechtlichen Gewinn und damit auch die Ausschüttungsverpflichtung der Gesellschaft. Zudem ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund zwingend Liquiditätsengpässe zu befürchten sein sollten.
24.25
Im Rahmen der Ermittlungen des Jahresüberschusses sind die Vorgaben des § 13 Abs. 2 REITG im Hinblick auf planmäßige Abschreibungen zu beachten. Danach sind diese nur zu gleichen Jahresraten zulässig; eine degressive Abschreibung37 zur Sicherung eines hohen
24.26
30 Vgl. z.B. Klühs/Schmidtbleicher, IStR 2007, 16. 31 Richtlinie 90/455/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, S. 6; geändert durch Richtlinie 2003/123/EG, ABl. EU Nr. L 7 v. 13.1.2004, S. 41; Richtlinie 2006/98/EG v. 20.11. 2006, ABl. EU Nr. L 363 v. 20.12.2006, S. 129; zwischenzeitlich aufgehoben und ersetzt durch Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011, ABl. EU Nr. L 345 v. 29.12.2011, S. 8; geändert durch Richtlinie 2014/86/EU v. 8.7.2014, ABl. EU Nr. L 219 v. 25.7.2014, S. 40. 32 Wiesbrock in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 11 Rz. 30 ff. 33 Kühnberger, BB 2007, 489, 489; Ziemons, BB 2007, 449, 451; Kofner, WuM 2007, 183, 184; Schultz, DB Status Recht 2007, 165, 165, 167; Götze, NZG 2007, 332, 337. 34 Zu den Sanktionen bei Verstoß gegen die Höchstbeteiligung s. Rz. 24.130 ff. S. hierzu auch Schroeder, AG 2007, 531, 532. 35 Zu den Sanktionen bei Verstoß gegen die Ausschüttungsverpflichtung s. Rz. 24.125. 36 Ziemons, BB 2007, 449, 453. 37 Vgl. insoweit Kleindiek in Ulmer, HGB-Bilanzrecht, 1. Teilband, 2002, § 253 Rz. 50 ff.
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Ausschüttungsvolumens ist hingegen nicht möglich. Im Falle eines niedrigeren beizulegenden Zeitwertes bleiben außerplanmäßige Abschreibungen bei einer voraussichtlich dauerhaften Wertminderung daneben zulässig38.
24.27 Die Bildung von Rücklagen ist durch § 13 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 REITG ebenfalls nur
begrenzt zulässig. Danach können Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens im handelsrechtlichen Jahresabschluss lediglich bis zur Hälfte in eine Rücklage eingestellt werden. Diese muss zudem spätestens nach zwei Geschäftsjahren wieder aufgelöst werden und erhöht dann den ausschüttungsfähigen Gewinn, sofern die Rücklage nicht von innerhalb dieser zwei Jahre entstandenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten abgezogen worden ist. Vor dem Hintergrund, eine möglichst hohe Ausschüttung zu ermöglichen, ist die Vorschrift des § 150 AktG über die Bildung der gesetzlichen Rücklage gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 REITG nicht anwendbar.
24.28 Für den Fall, dass das unbewegliche Vermögen bereits zu Beginn der Steuerbefreiung zum
Betriebsvermögen der REIT-AG gehörte, sieht § 13 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 REITG eine spezielle Berechnungsmethode des Veräußerungsgewinnes vor, die den vor Beginn der Steuerbefreiung angesetzten Wert des unbeweglichen Vermögens berücksichtigt. Danach ist der Veräußerungsgewinn als Summe aus der Differenz zwischen dem Buchwert in der Handelsbilanz und dem im Rahmen von steuerlichen Gewinnermittlungen vor dem Beginn der Steuerbefreiung für den Grund und Boden oder das Gebäude angesetzten Wert sowie des restlichen Veräußerungsgewinns zu ermitteln. Der handelsrechtliche Jahresüberschuss ist für die Ermittlung des Ausschüttungsbetrags um einen Verlustvortrag des Vorjahres sowie um die Dotierung der Rücklage (§ 13 Abs. 3 Satz 1 REITG) zu mindern und um die Auflösung der Rücklage (§ 13 Abs. 3 Satz 2 REITG) zu erhöhen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 REITG). In einer Stellungnahme des Finanzausschusses des deutschen Bundestages heißt es: „…dass Absatz 1 lediglich eine Vorschrift zur Berechnung des ausschüttungspflichtigen Betrages enthält. Auch eine REIT-Aktiengesellschaft hat in ihrem Jahresabschluss nach § 158 AktG vom Jahresüberschuss auf den Bilanzgewinn überzuleiten. Von dem ermittelten Bilanzgewinn ist ein Betrag verpflichtend auszuschütten, der 90 vom Hundert des Jahresüberschusses abzüglich eines Verlustvortrages aus dem Vorjahr entspricht. Ein etwaiger Gewinnvortrag des Vorjahres kann bei der Berechnung des auszuschüttenden Anteils des Jahresüberschusses unberücksichtigt bleiben“39.
24.29 Die Gewinne der Konzerntöchter müssen im Gegensatz zu den Gewinnen der REIT-AG nicht ausgeschüttet werden, auch nicht an die REIT-AG selbst. Sie sind aber auch nicht steuerlich privilegiert40.
24.30 Voraussetzung für die Erfüllung der der REIT-AG auferlegten Ausschüttungsverpflichtung
ist, dass die Hauptversammlung im Rahmen ihres Gewinnverwendungsbeschlusses gemäß § 174 Abs. 1 Satz 1 AktG eine solche hinreichende Ausschüttung auch tatsächlich beschließt. Eine satzungsmäßige Ausschüttungsverpflichtung ist aufgrund der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung nicht möglich41. Probleme können sich mithin ergeben, wenn die Aktionäre, die in ihrem Abstimmungsverhalten schließlich grundsätzlich frei sind, die Verwendung des Bilanzgewinns für anderweitige Zwecke beschließen, die Aus-
38 39 40 41
Gemmel/Kaiser, DStR 2009, 1346, 1347. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 59. Kühnberger, BB 2007, 489, 491; Claßen, DStZ 2008, 641, 649. So im Ergebnis auch Wieneke/Fett, NZG 2007, 774 ff. m.w.N.
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schüttung aufgrund dessen nicht erfolgt und hierdurch die Gesellschaft des steuerbefreiten Status als REIT-AG verliert. Dies könnte allerdings unter Umständen eine Verletzung der aktienrechtlichen Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft darstellen und dementsprechend Schadensersatzansprüche auslösen42.
4. Ausländische Immobilien Ausländische Immobilien müssen von einer REIT-AG über eine Kapitalgesellschaft gehalten werden, an der sie 100 % der Anteile hält. Die Erträge aus diesen Auslandsimmobilien sind mithin typischerweise bereits steuerlich vorbelastet. Die Ausschüttung von Dividenden der REIT-AG kann in diesen Fällen im Ergebnis zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung führen (s. auch Rz. 24.20).
24.31
5. Ausländische REITs Um eine einheitliche Besteuerung der Investitionen in inländische und ausländische REITs herbeizuführen, wurde in § 19 Abs. 5 REITG der Begriff von ausländischen REITs definiert. Ausländische REITs sind gemäß § 19 Abs. 5 REITG dabei nicht im Inland ansässige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, deren Bruttovermögen zu mehr als zwei Drittel aus unbeweglichem Vermögen besteht und deren Bruttoerträge zu mehr als zwei Drittel aus der Vermietung und Verpachtung und der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen stammen, die in ihrem Sitzstaat keiner Investmentaufsicht unterliegen, deren Anteile im Rahmen eines geregelten Marktes gehandelt werden und deren aus Immobilien stammenden Ausschüttungen an ihre Anleger nicht mit einer der deutschen Körperschaftssteuer vergleichbaren ausländischen Steuer an ihrem Sitzstaat vorbelastet sind. Während nach der alten Definition unklar war, ob ausländische REITs erfasst waren, wie beispielsweise der UK-REIT, die auf ihre Vermietungs- und Verpachtungsaktivitäten partiell steuerbefreit waren, Gewinne aus anderweitigen Aktivitäten allerdings dem regulären Körperschaftsbesteuerungsregime unterlagen43, wurde durch das JStG 2009 § 19 Abs. 5 REITG zielgenauer definiert und klargestellt, dass Ausschüttungen aus anderweitigen Aktivitäten nicht unter die Definition ausländischer REITs fallen. Im Ergebnis ist fortan das Teileinkünfteverfahren auf im Ausland vorbelastete Dividenden anwendbar. Somit ist der Gesetzgeber der Forderung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages44 nachgekommen und hat eine gesetzliche Regelung zur Berücksichtigung dieser Vorbelastung erlassen.
24.32
Erfüllt der ausländische REIT die Voraussetzungen einer anderen REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse i.S.d. § 19 Abs. 5 REITG, findet gemäß § 23 Abs. 3 REITG eine Besteuerung der inländischen Anteilseigner auf die Gewinnausschüttung bzw. auf die Veräußerung eines Anteils nach § 19 Abs. 1 bis 4 und § 19a REITG statt.
24.33
Die Höchstbeteiligungsklausel für direkte Beteiligungen regelt nur die Beteiligungen an deutschen REIT-AGs. Kein Anleger darf direkt 10 % oder mehr der Aktien in einem Umfang halten, dass er über 10 % oder mehr der Stimmrechte verfügt (§ 11 Abs. 4 REITG). In
24.34
42 Vgl. hierzu bspw. Laubert in Hölters, AktG, § 53a Rz. 17. 43 Balmes/Claßen, FR 2009, 454, 457. 44 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/4779, S. 65.
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der Vergangenheit konnten grundsätzlich inländische unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner, soweit die ausländische REIT Rechtsordnung keine Höchstbeteiligungsquoten kennt, Schachtelbeteiligungen an ausländischen REITs45 halten46. Ab einer gewissen Beteiligungshöhe konnte der Anleger von dem in DBA regelmäßig vereinbarten internationalen Schachtelprivileg profitieren. Der Gesetzgeber hat zu Recht erkannt, dass eine solche Freistellungsmethode im Widerspruch zur Sicherstellung einer vollen Besteuerung von inund ausländischen REITs im Inland steht. Im Rahmen der JStG 2009-Gesetzesänderung wurde § 19 Abs. 6 in das REITG neu aufgenommen, wonach das Schachtelprivileg nicht mehr zur Anwendung kommt. Nach dieser Bestimmung kommt die Anrechnungsmethode zur Anwendung (sog. „switch-over-Klausel“)47. Bezieht eine steuerpflichtige Gesellschaft Gewinne oder Dividenden von einem ausländischen REIT i.S.d. § 19 Abs. 5 REITG, die aufgrund eines DBA von Deutschland als Ansässigkeitsstaat freizustellen sind, ist die Doppelbesteuerung ungeachtet des Abkommens nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuer zu vermeiden (§ 19 Abs. 6 REITG).
6. „Exit Tax“ 24.35 Der Erfolg des Kapitalanlageprodukts REIT-AG steht in einem unmittelbaren Zusammen-
hang mit der Verfügbarkeit entsprechend geeigneter Immobilien. Durch die Schaffung des REITG als gesetzliche Grundlage der REIT-AG sollten die Unternehmen zur Mobilisierung ihrer Immobilienportfolios und der damit einhergehenden Schaffung einer hinreichenden Marktbreite motiviert werden48. Gleichzeitig sollten mit der Einführung des REITG steuerliche Anreize zur Aufdeckung stiller Reserven gesetzt werden, um vorhandenes Kapital aus volkswirtschaftlicher Sicht besser zu nutzen49. Im Ergebnis liegt der Fokus des Gesetzgebers auf der Stärkung der Liquidität des Mittelstandes und der Verbesserung der Eigenkapitalquote50.
24.36 Zu diesen Zwecken wurden in Art. 2 des Gesetzesentwurfs zum REITG51 auch Änderun-
gen des Einkommensteuergesetzes beschlossen. Anders als in Großbritannien sieht der deutsche Gesetzgeber keine „Entry Charge“ vor52. Vielmehr sind die Gewinne aus der Übertragung von unbeweglichem Vermögen infolge der Aufdeckung der stillen Reserven unter bestimmten Voraussetzungen zur Hälfte steuerfrei (sog. „Exit Tax“)53. Neben der Veräußerung von Immobilien werden auch die bei Erlangung des REIT-Status bei der Gesellschaft vorhandenen Immobilien von der Exit Tax erfasst (§ 17 Abs. 2 und 3 REITG). Die Exit Tax kann jedoch nur beansprucht werden, wenn das obligatorische Verpflichtungsgeschäft vor dem 1.1.2010 geschlossen wurde (§ 3 Nr. 70 EStG). Für Erwerbe bzw. 45 46 47 48 49 50 51 52
Ausländische REITs i.S.d. § 19 Abs. 5 REITG. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 60. Hierzu Gemmel/Kaiser, DStR 2009, 1346, 1349. Gesetzesbegründung (Drucks. 16/4026), S. 17. Gesetzesbegründung (Drucks. 16/4026), S. 25. Gesetzesbegründung (Drucks. 16/4026), S. 25. Gesetzesbegründung (Drucks. 16/4026), S. 25. Die sog. „Entry Charge“ liegt in Großbritannien bei 2 % des Verkehrswertes der übertragenen Immobilien, unabhängig von den Buchgewinnen; vgl. dazu auch Fabry/Riha, RIW 2006, 528, 531. 53 S. hierzu Gemmel/Kaiser, DStR 2009, 1346; auch Creutziger, StW 2008, 87, 92 f.
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die Umwandlung einer Gesellschaft in eine REIT-AG nach diesem Zeitpunkt gilt diese steuerliche Begünstigung mithin nicht mehr. Damit ist die praktische Relevanz dieser Steuerbegünstigung nunmehr durch Zeitablauf entfallen.
IV. Vor-REIT Ein Vor-REIT ist keine Vorgesellschaft im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemäß § 41 AktG, sondern setzt eine bereits bestehende und im Handelsregister eingetragene Gesellschaft voraus. Ein Vor-REIT ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland, die beim Bundeszentralamt für Steuern registriert ist (§ 2 Satz 1 REITG)54. Erfüllt eine Gesellschaft noch nicht sämtliche nach dem REITG erforderlichen Voraussetzungen, ist eine Registrierung als ein solcher Vor-REIT möglich. Ein Vor-REIT muss grundsätzlich nur die Vorgaben eines REITs hinsichtlich der Beschränkung des Unternehmensgegenstandes, wie in § 1 Abs. 1 REITG festgelegt, und der Vermögens- und Ertragsanforderungen gemäß § 12 REITG einhalten. Die übrigen weitergehenden gesonderten Anforderungen an eine REITAG gelten nicht für den Vor-REIT55.
24.37
Der Vor-REIT muss gemäß § 2 Satz 2 REITG erst zum Ende des der Registrierung folgenden Geschäftsjahres dem Bundeszentralamt für Steuern nachweisen, dass der Unternehmensgegenstand entsprechend beschränkt ist. Auch hat der Vor-REIT erst beginnend zum Ende des der Anmeldung folgenden und jedes darauf folgenden Geschäftsjahres auf Aufforderung des Bundeszentralamts für Steuern innerhalb einer in der Aufforderung bestimmten Frist durch Vorlage von geeigneten, von einem Wirtschaftsprüfer testierten Unterlagen nachzuweisen, dass er die Voraussetzungen des § 12 REITG erfüllt (§ 2 Satz 3 REITG). Dadurch soll Immobilienaktiengesellschaften die Anpassung ihres Immobilienbestandes, beispielsweise durch den Verkauf von Wohnimmobilien, ermöglicht werden56. Können diese Voraussetzungen allerdings im vorgegebenen Zeitraum nicht nachgewiesen werden, entfällt gemäß § 2 Satz 4 REITG der Status des Vor-REITs zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres.
24.38
Ein Vor-REIT ist vollumfänglich körperschaft- und gewerbesteuerpflichtig. Steuerliche Vorteile gewährte der Vor-REIT aber allein dem Immobilienverkäufer im Rahmen der Exit Tax bis zum 31.12.2009. Damit ist die praktische Relevanz des Vor-REIT durch Zeitablauf nunmehr entfallen.
24.39
V. Anforderungen an den Geschäftsbetrieb Eine REIT AG unterliegt zahlreichen Anforderungen an ihren Geschäftsbetrieb insbesondere im Hinblick auf die Zusammensetzung ihres Vermögens und ihrer Erträge, das Eigenkapital, dem Halten von Beteiligungen, den Umfang der Veräußerung von Immobilien (Handel) und ihre Nebentätigkeiten. Die Sanktionen bei einem Verstoß gegen diese Anforderungen sind in Rz. 24.121 ff. dargestellt.
54 Zurzeit sind keine Vor-REITs beim Bundeszentralamt für Steuern registriert. 55 S. zu den Anforderungen im Einzelnen die Rz. 24.40 ff., 24.51 ff., 24.62 ff., 24.84 ff. und 24.118 ff. 56 So auch van Kann/Just/Krämer, DStR 2007, 787, 788.
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24.40
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1. Vermögensanforderungen 24.41 Zum Ende eines jeden Geschäftsjahres müssen mindestens 75 % der Aktiva der Gesell-
schaft – nach Abzug des auszuschüttenden Gewinns sowie der Rücklagen – aus unbeweglichem Vermögen bestehen (§ 12 Abs. 2 lit. a REITG). Unbewegliches Vermögen sind gemäß § 3 Abs. 8 REITG Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte sowie vergleichbare Rechte nach dem Recht anderer Staaten; klarstellend sind Schiffe und Luftfahrzeuge ausgenommen.
24.42 Neben der 75 % Grenze für das Vermögen der REIT-AG ist zu beachten, dass für den Fall, dass die REIT-AG eine Holdingfunktion wahrnimmt und entgeltliche Tätigkeiten für Dritte über eine REIT-Dienstleistungsgesellschaft erbringt, das Aktivvermögen dieser REIT-Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr als 20 % des gesamten Aktivvermögens der REIT-AG ausmachen darf57 (§ 12 Abs. 2 lit. b REITG).
24.43 Die Bewertung der Vermögensgegenstände der REIT-AG erfolgt gemäß § 12 Abs. 1
REITG auf Grundlage des gemäß § 315e HGB vorgeschriebenen Konzernabschlusses oder, falls die REIT-AG keinen Konzernabschluss aufzustellen hat, auf Grundlage des Einzelabschlusses nach § 325 Abs. 2a HGB. Für die Bewertung des unbeweglichen Vermögens ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 REITG der beizulegende Zeitwert (fair value) nach International Accounting Standards („IAS“) 40 maßgeblich58. Problematisch kann dieses Erfordernis dann werden, wenn Erlöse aus einer Kapitalerhöhung oder einer vorherigen Veräußerung von unbeweglichem Vermögen noch nicht wieder investiert sind und möglicherweise auch aufgrund geänderter Marktbedingungen auch nicht reinvestiert werden können59 oder sich ein Abschreibungsbedarf bei den Immobilien ergibt. Allerdings müssen diese Kriterien auch erst zum Ende des Geschäftsjahrs erfüllt sein. Die unterjährige Wertentwicklung der Aktiva der Gesellschaft ist irrelevant.
2. Ertragsanforderungen 24.44 Gemäß § 12 Abs. 3 lit. a REITG müssen die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge der Ge-
sellschaft zu mindestens 75 % in einem Geschäftsjahr aus unbeweglichem Vermögen stammen. Dabei dürfen wiederum nicht mehr als 20 % der Umsatzerlöse und sonstigen Erträge von REIT-Dienstleistungsgesellschaften (s. hierzu auch Rz. 24.49 f.) erwirtschaftet worden sein. Die Umsatzerlöse und Erträge stammen aus unbeweglichem Vermögen, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermietung, dem Leasing, der Verpachtung, einschließlich immobiliennaher Tätigkeiten, oder der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen entstanden sind. Bewertungsbasis für die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge aus unbeweglichen Vermögen ist gemäß § 12 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 REITG der Konzernabschluss nach IFRS bzw. der Jahresabschluss. Auch Bewertungsgewinne und -verluste sind nach den IFRS grundsätzlich erfolgswirksam zu erfassen. Bei einem Ausweis nach fortgeführten Anschaffungskosten sind Bewertungsgewinne und -verluste in einer Nebenrechnung gesondert im Anhang zu erfassen und den sonstigen Erträgen hinzuzusetzen (§ 12 Abs. 4 REITG).
57 Vgl. Volckens in Schäfer, REITs Real Estate Investment Trusts, 2007, S. 124. 58 Zu Rechnungslegungsfragen s. z.B. eingehend Kühnberger, BB 2007, 12 ff.; Haury in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 12 Rz. 11, Vor § 12 Rz. 6. 59 So auch Ziemons, BB 2007, 449, 453.
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3. Eigenkapitalanforderungen Das Eigenkapital der Gesellschaft darf am Ende des Geschäftsjahres 45 % des Wertes des unbeweglichen Vermögens nicht unterschreiten (§ 15 REITG). Für die Berechnung der Eigenkapitalquote ist wiederum der beizulegende Zeitwert (fair value) gemäß IAS 40 maßgeblich (§ 12 Abs. 1 Satz 2 REITG). Dadurch sollen die Gläubiger der REIT-AG geschützt und den Anlegern eine möglichst hohe Ausschüttung garantiert werden. Durch das JStG 2009 wurde der Wortlaut des § 15 REITG durch die Einführung des neuen Satzes 2 erweitert. Die nach dem IFRS als Fremdkapital ausgewiesenen Minderheitsbeteiligungen an Tochterpersonengesellschaften werden nunmehr als Eigenkapital behandelt. REITs mit Beteiligungen an Tochterpersonengesellschaften hätten einen wirtschaftlichen Nachteil gegenüber anderen REITs gehabt, da sie entsprechend weniger Fremdkapital hätten aufnehmen dürfen. Mit dem neuen § 15 Satz 2 REITG hat der Gesetzgeber diesen wettbewerblichen Nachteil beseitigt60. Das Eigenkapital wird außerhalb des Konzernabschlusses unter der Bedingung, dass vorgenannte Minderheitsanteile als Eigenkapital klassifiziert werden, berechnet61. Das sich so ergebende Konzerneigenkapital ist die wesentliche Größe für die Ermittlung der Frage, ob das Eigenkapital 45 % des im Konzernabschluss ausgewiesenen unbeweglichen Vermögens ausmacht62.
24.45
4. Halten von Beteiligungen Einer REIT-AG ist das Halten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften nur im eingeschränkten Maß gestattet. Eine REIT-AG ist darauf beschränkt, Anteile an: – einer Immobilienpersonengesellschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 REITG63, – einer REIT-Dienstleistungsgesellschaft i.S.d. § 3 Abs. 2 REITG64, – einer Auslandsobjektgesellschaft i.S.d. § 3 Abs. 3 REITG65 und – einer Kapitalgesellschaft, die ohne vermögensmäßige Beteiligung persönlich haftender Gesellschafter einer Immobilienpersonengesellschaft ist, zu erwerben, zu halten, zu verwalten und zu veräußern (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 REITG). 60 61 62 63
Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks, 16/11108, S. 59 ff. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks, 16/11108, S. 60. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks, 16/11108, S. 60; Balmes/Claßen, FR 2009, 454, 456. Eine REIT-AG kann somit Immobilien auch mittelbar über die Beteiligung an einer Immobilienpersonengesellschaft halten. Die Fair-Value REIT-AG war beispielsweise zum 31.12.2016 an acht objekthaltenden Immobilienpersonengesellschaften beteiligt; vgl. hierzu Fair-Value REITAG Geschäftsbericht 2016, S. 15. 64 Eine REIT-Dienstleistungsgesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft, deren sämtliche Anteile von einer REIT-AG gehalten werden und deren Unternehmensgegenstand darauf beschränkt ist, entgeltliche immobiliennahe Nebentätigkeiten im Auftrag der REIT-AG für Dritte zu erbringen (s. hierzu auch Rz. 24.49 ff.). 65 Eine Auslandsobjektgesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft, deren sämtliche Anteile von einer REIT-AG gehalten werden und deren unbewegliches Vermögen (i) mindestens 90 % ihres Gesamtvermögens ausmacht, (ii) ausschließlich außerhalb des Geltungsbereichs des REITG belegen ist und (iii) nur solche Vermögensgegenstände umfasst, die im Belegenheitsstaat im Eigentum einer REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse oder einer einem REIT vergleichbaren Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse stehen dürfen.
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24.47 Das Halten von Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften, die nicht die Voraus-
setzungen der § 1 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 5 REITG erfüllen, ist einer REIT-AG mithin untersagt. Eine ausdrückliche Sanktionsregelung für den Fall eines Verstoßes besteht allerdings nicht (s. auch Rz. 24.139 und 24.140).
5. Ausschluss des Immobilienhandels 24.48 Eine REIT-AG darf keinen Handel mit Immobilien betreiben (§ 14 Abs. 1 REITG). Ein
Immobilienhandel liegt vor, sofern die Erlöse aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen der REIT-AG sowie ihrer in den Konzernabschluss einzubeziehenden Tochterunternehmen über einen Zeitraum von fünf Jahren mehr als die Hälfte des Wertes des durchschnittlichen Bestandes an unbeweglichem Vermögen innerhalb desselben Zeitraums ausmachen (§ 14 Abs. 2 REITG). Für den Fall, dass eine REIT-AG erst über einen kürzeren Zeitraum besteht, ist dieser Zeitraum maßgeblich (§ 14 Abs. 2 Satz 3 REITG). Maßgeblich ist hier ebenfalls der beizulegende Zeitwert in Übereinstimmung mit IAS 40.
6. Nebentätigkeiten 24.49 Entgeltliche Nebentätigkeiten für Dritte darf eine REIT-AG nur über eine REIT-Dienst-
leistungsgesellschaft erbringen. Dies ist eine Kapitalgesellschaft, deren sämtliche Anteile von der REIT-AG gehalten werden und deren Unternehmensgegenstand darauf beschränkt ist, im Auftrag der REIT-AG entgeltliche immobiliennahe Nebentätigkeiten für Dritte zu erbringen (§ 3 Abs. 2 REITG). Nebentätigkeiten sind gemäß § 3 Abs. 5 REITG Tätigkeiten, die einem fremden Anlagebestand dienen. Immobiliennah sind solche Tätigkeiten, die der Verwaltung, Pflege und Fortentwicklung von Immobilienbeständen dienen, insbesondere technische und kaufmännische Bestandsverwaltung, Mietbestandsverwaltung, Vermittlungstätigkeit, Projektsteuerung und Projektentwicklung (§ 3 Abs. 6 REITG). Durch REIT-Dienstleistungsgesellschaften kann die REIT-AG immobiliennahe Tätigkeiten abwickeln, die außerhalb ihres Kerngeschäfts liegen und Dienstleistungen, wie das Facility Management, auch für Dritte anbieten66.
24.50 Nicht ausdrücklich geregelt sind sonstige Tätigkeiten außerhalb des Unternehmensgegen-
stands. Solche sind Dritten gegenüber grundsätzlich wirksam67. Solange dabei die Anforderungen an die Vermögens- und Ertragsstruktur eingehalten werden, werden solche satzungsfernen Tätigkeiten auch nicht sanktioniert. Insofern ist es für eine REIT-AG grundsätzlich möglich, bis zu 25 % ihrer Erträge steuerfrei aus immobilienfernen Tätigkeiten zu erwirtschaften. Allerdings besteht für den Vorstand der REIT-AG dabei das Risiko, ggf. Schadensersatzansprüchen seitens der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 AktG ausgesetzt zu sein. Übersehen hat der Gesetzgeber dabei wohl allerdings, dass die Vermögens- und Ertragsgrenzen auch mit Bestandsmietwohnimmobilien eingehalten werden können, da es sich bei diesen ebenfalls um unbewegliches Vermögen i.S.v. § 3 Abs. 8 REITG handelt. Erwerb, Halten und Verwalten von Bestandsmietwohnimmobilien wäre mithin zwar eine vom Satzungszweck der Gesellschaft nicht gedeckte Tätigkeit; sie würde aber nicht zu einem Verstoß gegen die Anforderungen an die Vermögens- und Ertragszusammensetzung der REIT-AG führen und wäre daher steuerlich sanktionslos. Konsequenter wäre es gewe-
66 Vgl. Volckens in Schäfer, REITs Real Estate Investment Trusts, 2007, S. 112. 67 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 = AG 1982, 158.
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sen, steuerliche Sanktionen für den Fall vorzusehen, dass die Gesellschaft Erträge aus Bestandsmietwohnimmobilien erzielt bzw. solche hält.
VI. Anforderungen an die Aktionärsstruktur 1. Maximalbeteiligung Die direkte Beteiligung an der REIT-AG ist auf weniger als 10 % beschränkt, während mittelbare Beteiligungen von 10 % und mehr unschädlich sind (s. Rz. 24.24).
24.51
Dabei stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft die Einhaltung der Beteiligungsgrenze sicherstellen kann68. Im Rahmen der Diskussionen um den Gesetzentwurf war ursprünglich die Vinkulierung der Aktien in der Form von Namensaktien angedacht. Dies ist als gesetzliche Forderung entfallen; der Gesellschaft steht diese Möglichkeit aber grundsätzlich weiterhin offen, da sie lediglich verpflichtet ist, Aktien einer Gattung auszugeben (s. auch Rz. 24.72). Allerdings werden Treuhandverhältnisse dadurch nicht verhindert, so dass aufgrund der Stimmrechts-Zurechnungsnormen gemäß § 34 WpHG69 (§ 22 WpHG a.F.) auch durch eine Vinkulierung der Aktien die 10 %-Grenze nicht wirksam sichergestellt werden kann70. Zudem könnte eine Vinkulierung die freie Handelbarkeit der Aktien einschränken und zu Schwierigkeiten bei der Zulassung der Aktien zum Börsenhandel führen. Somit kann die Gesellschaft ein Erreichen oder Überschreiten der 10 %-Grenze nicht wirksam verhindern.
24.52
Wenn einer oder mehrere Aktionäre die 10 %-Grenze erreicht oder überschritten haben, kann die Gesellschaft versuchen, den überschießenden Aktienanteil von den betreffenden Aktionären zu erwerben. Ein solcher Erwerb eigener Aktien sollte gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG zur Abwendung eines schweren Schadens, nämlich des Verlusts der Steuerbefreiung, zulässig sein71. Ist ein Aktionär, der die Schwelle erreicht oder überschritten hat, verkaufswillig, wird er i.d.R. aber seinen Bestand auch über den Markt abbauen können.
24.53
Eine weitere Möglichkeit ist die Ausgabe neuer Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre in einem Umfang, die den oder die Aktionäre, deren Beteiligung bei 10 % oder darüber liegt, entsprechend verwässert72.
24.54
Denkbar ist zudem, eine Veräußerungspflicht als Nebenpflicht gemäß § 55 AktG vorzusehen73. Dabei ist allerdings unklar, inwieweit es sich hierbei um eine zulässige „wieder-
24.55
68 Schroeder, AG 2007, 531, passim; unter Bezugnahme auf das mit der Maximalbeteiligung bestehende Risiko „einer Erpressung durch räuberische Aktionäre“ sowie zum Ansatz einer gesetzgeberischen Lösung; Claßen, FR 2010, 155, 159. 69 Mit dem Zweiten Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG), das in weiten Teilen zum 3.1.2018 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber die Novellierung des WpHG dazu genutzt, dieses neu zu strukturieren und die Nummerierung der Paragraphen zu ändern. 70 Darauf weisen zu Recht auch Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776, hin. Insoweit wurde § 67 AktG auch umfassend angepasst, hierzu Hüffer/Koch, AktG, § 67 Rz. 1; Klühs, RNotZ 2008, 509, 529 f.; Göckeler, Der Konzern 2008, 78, 87 f. 71 Vgl. hierzu auch Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776; Wiesbrock in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 11 Rz. 32; Schroeder, AG 2007, 531, 532 f.; Klühs, RNotZ 2008, 509, 531. 72 S. auch Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776; Schroeder, AG 2007, 531, 536 ff.; zum Ausschluss des Bezugsrechts auch Klühs, RNotZ 2008, 509, 524 f.; Göckeler, Der Konzern 2008, 78, 88. 73 Vgl. hierzu Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776.
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kehrende Leistung“ i.S.v. § 55 AktG handelt. Dies darf bezweifelt werden. Zudem setzt eine solche Nebenpflicht eine Vinkulierung der Aktien voraus, was wiederum aufgrund der eingeschränkten Handelbarkeit zu Schwierigkeiten bei der Börsenzulassung führen kann. Des Weiteren würde es sich hier lediglich um einen Anspruch der Gesellschaft handeln, den es zunächst durchzusetzen gälte.
24.56 Eine weitere Möglichkeit liegt in der zwangsweisen Einziehung der Aktien, die gemäß
§ 237 AktG in der Satzung vorgesehen sein muss74. Dies dürfte die effektivste Möglichkeit für die Gesellschaft darstellen, einen Aktionär daran zu hindern, dauerhaft die 10 %-Grenze zu verletzen. Umstritten dabei ist lediglich, inwieweit die Gesellschaft dann verpflichtet ist, dem betreffenden Aktionär eine Entschädigung zu zahlen (sog. „Entziehungsentgelt“)75.
24.57 Schließlich kommt auch die sog. Auslosung in Betracht, wonach der Aktionär in der Sat-
zung der Gesellschaft verpflichtet wird, unter bestimmten Umständen sein Mitgliedsrecht an einen Dritten zu übertragen76.
2. Mindeststreubesitz 24.58 Es müssen mindestens 15 % der Aktien einer REIT-AG dauerhaft im Streubesitz stehen;
im Zeitpunkt der Börsenzulassung sogar mindestens 25 % (§ 11 REITG). Die Regierungsbegründung stellt ausdrücklich klar, dass § 11 REITG gegenüber § 9 BörsZulV eine eigenständige Bedeutung zukommen soll, die darin besteht, dass die Gewährleistung des Streubesitzes eine herausgehobene Bedeutung haben soll. Auch § 9 BörsZulV verlangt einen Streubesitz von grundsätzlich mindestens 25 % als Voraussetzung der Zulassung der Aktien zum Handel. Allerdings sind hierbei Ausnahmen möglich und andere Handelsplätze mögen andere Regelungen haben. Die Anforderungen des REITG gehen insofern über die Streubesitzanforderungen der BörsZulV hinaus, als dass keine Ausnahmen von der starren 25 %-Grenze vorgesehen sind.
24.59 Das REITG geht allerdings an der Praxis vorbei, da im Zeitpunkt der Börsenzulassung die
Platzierung der Aktien im Rahmen eines IPO typischerweise noch nicht abgeschlossen ist. Die Abwicklung des Wertpapiergeschäfts, also Zahlung gegen Lieferung der platzierten Aktien, findet bei einem Börsengang typischerweise zwei Tage nach der Zuteilung der Aktien statt (T+2), während die Börsenzulassung typischerweise am Tag der Zuteilung oder am darauf folgenden Tag erfolgt. Damit kann bei einem typischen Börsengang diese Voraussetzung nicht erfüllt werden. Als Lösung bietet sich entweder eine Auslegung contra legem an, oder der Zulassungsbeschluss dürfte erst nach der Abwicklung des Wertpapiergeschäfts ergehen. Letzteres hätte zum einen den Nachteil, dass bestehende börsennotierte Gesellschaften den REIT-Status nicht erlangen könnten, da diese typischerweise das „normale“ Platzierungsverfahren durchlaufen haben dürften. Zum anderen könnte die Notierungsaufnahme, die die Zulassung voraussetzt, nicht – wie ansonsten üblich – kurz nach Zuteilung der Aktien (in der Regel am Tag nach der Zuteilung), sondern erst ein bis zwei 74 Vgl. hierzu Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776; Kollmorgen/Heppe/Feldhaus, BB 2007, 1350 f.; Klühs, RNotZ 2008, 509, 531 f.; Göckeler, Der Konzern 2008, 78, 88 f. 75 Vgl. auch hierzu Wieneke/Fett, NZG 2007, 774, 776; Kollmorgen/Heppe/Feldhaus, BB 1345, 1350 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 237 Rz. 17 ff. 76 Zulässigkeit einer solchen Satzungsbestimmung str., vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 237 m.w.N.; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 237 Rz. 122; Kollmorgen/Heppe/Feldhaus, BB 1345, 1351.
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1345, 2007, Rz. 2 2007,
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Tage nach der Abwicklung, mithin frühestens drei Tage nach Zuteilung, erfolgen. Dies widerspräche jeglicher Marktpraxis und dem Interesse der Anleger. Auch könnte ein solches Verfahren den Platzierungserfolg beeinträchtigen. Insofern spricht tatsächlich Vieles für eine Auslegung contra legem, da angenommen werden kann, dass es sich hierbei wohl um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt hat, zumal nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund ein solches Erfordernis notwendig sein sollte77. Gemäß § 9 BörsZulV reicht es aus, wenn die ausreichende Streuung über die Einführung an der Börse erreicht werden soll und die Zulassungsstelle davon überzeugt ist, dass diese Streuung innerhalb einer kurzen Frist nach der Einführung erreicht sein wird. In diesem Sinne sollte auch § 11 REITG zu verstehen sein. Sofern der Streubesitz unter 15 % gefallen ist, stellt sich wiederum die Frage nach möglichen Maßnahmen der Gesellschaft zur Wiederherstellung der Streubesitzquote. Eine zwangsweise Einziehung ist kein geeignetes Mittel, da dadurch der Streubesitz nicht erhöht werden kann. Es bietet sich aber eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre an. Zudem ist zu überlegen, in diesen Fällen die sog. Auslosung in der Satzung vorzusehen (s. Rz. 24.57).
24.60
Erstmals wird mit § 11 Abs. 1 Satz 3 REITG auch der Begriff des Streubesitzes in einem Gesetz definiert. Danach werden dem Streubesitz die Aktien von denjenigen Aktionären zugeordnet, die über weniger als 3 % der Stimmrechte verfügen. Für die Berechnung der Stimmrechte sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 REITG §§ 33 und 34 WpHG (§ 22 und § 23 WpHG a.F.) maßgebend. Damit werden für die Berechnung der gehaltenen Aktien nicht nur direkt sondern auch mittelbar gehaltene oder anderweitig zuzurechnende Aktien berücksichtigt.
24.61
VII. Gesellschaftsrechtliche Anforderungen 1. Unternehmensgegenstand Grundlegendes Strukturmerkmal einer REIT-AG ist die Beschränkung des Unternehmensgegenstandes auf immobiliennahe Tätigkeiten. Der Unternehmensgegenstand muss zwingend darauf beschränkt sein, Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte an inländischem unbeweglichen Vermögen mit Ausnahme von Bestandsmietwohnimmobilien, ausländischem unbeweglichen Vermögen (soweit dies im Belegenheitsstaat im Eigentum einer REIT-Körperschaft, -Personenvereinigung oder -Vermögensmasse oder einer einem REIT vergleichbaren Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse stehen darf) und anderen Vermögensgegenständen i.S.d. § 3 Abs. 7 REITG zu erwerben, zu halten, im Rahmen der Vermietung und des Leasings einschließlich notwendiger immobiliennaher Hilfstätigkeiten zu verwalten und zu veräußern sowie Anteile an Immobilienpersonengesellschaften, REIT-Dienstleistungsgesellschaften, Auslandsobjektgesellschaften und Kapitalgesellschaften, die persönlich haftende Gesellschafter einer Immobilienpersonengesellschaft und an dieser vermögensmäßig nicht beteiligt ist, zu erwerben, zu halten, zu verwalten und zu veräußern (§ 1 Abs. 1 REITG)78. 77 Vgl. auch Claßen, DStZ 2008, 641, 644. 78 Umfassend zum Unternehmensgegenstand und den zulässigen Tätigkeiten einer REIT-AG Wohltmann, AG 2011, 444 ff., passim; Wilsch, NotBZ 2008, 334, 335 ff.; Göckeler, Der Konzern 2008, 78, 86.
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24.62
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24.63 Unter dem Begriff des unbeweglichen Vermögens werden sowohl Grundstücke als auch
grundstücksgleiche Rechte sowie vergleichbare Rechte nach dem Recht anderer Staaten erfasst (§ 3 Abs. 8 Satz 1 REITG). a) Ausnahme von Bestandsmietwohnimmobilien
24.64 Von dem zulässigen Unternehmensgegenstand ausgenommen ist der Erwerb inländischer
Bestandsmietwohnimmobilien, die vor dem 1.1.2007 errichtet wurden (§ 3 Abs. 9 REITG). Bestandsmietwohnimmobilien sind Immobilien, die überwiegend Wohnzwecken dienen. Dies ist der Fall, wenn mehr als 50 % der Nutzfläche der Immobilie zu Wohnzwecken verwendet wird79. Dagegen ist der Erwerb von ausländischen Wohnimmobilien nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b REITG ausdrücklich erlaubt, soweit auch im Belegenheitsstaat der Erwerb von Wohnimmobilien durch REIT-AGs oder vergleichbare Körperschaften zulässig ist. Die Berücksichtigung bzw. der Ausschluss von Mietwohnimmobilien wurde im Gesetzgebungsverfahren kontrovers diskutiert. Der erste Gesetzentwurf sah die Einbeziehung von Mietwohnimmobilien vor, der zweite Regierungsentwurf sah den vollständigen Ausschluss des Erwerbs von Mietwohnimmobilien zum Schutz der Mieterinteressen sowie zur Gewährleistung einer nachhaltigen und sozialen Stadtentwicklung vor. Vor allem Mieterschutzbunde befürchteten, dass die in Deutschland traditionelle Betrachtung von Wohnungen als Wirtschafts- und Sozialgüter durch die Einbringung in REIT-AGs gefährdet werden würde80. Der Ausschluss von deutschen Wohnimmobilien, jedenfalls soweit sie vor dem 1.1.2007 errichtet wurden, stellt im internationalen Vergleich eine deutsche Besonderheit dar. Die Sinnhaftigkeit dieser Ausnahme ist dabei mehr als fragwürdig, da Mieterschutzrecht in keinem Zusammenhang zu der Frage der Eigentümereigenschaft steht. So können auch börsennotierte Immobilienaktiengesellschaften, ausländische REITs, Private Equity Fonds oder offene Immobilienfonds Wohnimmobilien erwerben, die ebenfalls die Wohnungsbestände grundsätzlich nach Renditegesichtspunkten verwalten. Branchenvertreter können nicht nachvollziehen, warum deutsche REITs nicht in Wohnimmobilien investieren dürfen, obwohl sie hohen Transparenzanforderungen nachkommen
79 Schultz, DB Status Recht 2007, 165, 166; Kofner, WuM 2007, 183, 184; Wiesbrock in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 3 Rz. 39; Striegel/Gallenkamp in Striegel, REITG, 2007, § 3 Rz. 47. 80 Beim Stadtumbau und bei der Stadtgestaltung leisten insbesondere kommunale Wohnungsunternehmen als Partner der Kommunen Hilfe bei der Daseinsvorsorge im Bereich des Wohnens. Im Gegensatz zu kommunalen Wohnungsunternehmen betrachte eine REIT-AG Wohnungen jedoch im Kern als reine Renditeobjekte. Nach Ansicht der Mieterschutzbunde stehe die Gewinnoptimierung im Vordergrund, was zur Folge hätte, dass Mieterhöhungsmöglichkeiten genutzt und ausgeschöpft werden würden, Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden, wo die Modernisierungsumlage auf dem Markt unbegrenzt durchsetzbar sei und Instandsetzungen unterblieben, wo eine wirtschaftliche Verwertung der Objekte nicht garantiert sei, Franz-Georg Rips, Positionspapier zur geplanten Einführung von REITs – gleichzeitige Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMF, 16.10.2006. Der zentrale Kreditausschuss hat dagegen eingewendet, dass der Wohnimmobilienmarkt durch die Ausklammerung von Wohnimmobilien ausländischen Investoren ohne inländischer Konkurrenz und Einflussnahme überlassen werden würde. Der deutsche Gesetzgeber habe gerade dann auf die Eigentumsstruktur deutscher Wohnbestände weiterhin Einfluss, wenn Wohnimmobilien in eine deutsche REITAG aufgenommen werden dürften und nicht ausländischen Investoren überlassen würden. Einer deutschen REIT-AG stünden zudem weniger Investitionsmöglichkeiten offen und auch im Vergleich zu ausländischen REIT-AGs hätten sie einen erheblichen Nachteil, Stellungnahme des zentralen Kreditausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Schaffung deutscher REIT-AGs, BT-Drucks. 16/4026, 16/4036, 23.2.2007; ebenfalls Lambrecht, FR 2012, 1008, 1013.
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müssen und Beschränkungen des Handels mit Immobilien unterliegen. So kritisierten z.B. der Verband des Zentralen Immobilienausschusses, das Deutsches Aktieninstitut, der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen und die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management in einer gemeinsamen Eingabe zu Nachbesserungen am REITG, dass die bestehende Regelung lediglich zu einer einseitigen Behinderung deutscher REITs im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Konkurrenten führt. Somit könne sich der deutsche REIT-Markt nicht voll entfalten, was auch das Interesse der Investoren an diesem Segment verringert81. Vor diesem Hintergrund wurde vorgeschlagen, dass deutsche REITs in Bestandsmietwohnimmobilien investieren können sollten, was im Ergebnis dazu führen würde, § 1 Abs. 1 Nr. 1a REITG zu streichen82. Bislang hat der Gesetzgeber dieser Forderung allerdings nicht nachgegeben. Andererseits könnte die praktische Relevanz dieser Beschränkung durch Zeitablauf weitgehend entfallen sein. So können REITs ihr Vermögen vollständig in Bestandswohnimmobilien investieren, die nach 2007 errichtet wurden, und bis zu 25 % ihres Vermögens in Bestandsmietwohnimmobilien, die vor diesem Zeitpunkt errichtet wurden. Insofern sind Wohnimmobilien-REITs auch in Deutschland – mit der genannten Einschränkung – durchaus möglich und zulässig.
24.65
b) Andere Vermögensgegenstände Als andere Vermögensgegenstände im Sinne des REITG gelten zur Bewirtschaftung des unbeweglichen Vermögens erforderliche Gegenstände sowie Bankguthaben, Geldmarktinstrumente, Forderungen und Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem unbeweglichen Vermögen entstanden sind bzw. eingegangen wurden (vgl. § 3 Abs. 7 REITG). Diese sonstigen, anderen Vermögensgegenstände dürfen jedoch nicht mehr als 25 % des gesamten Vermögens der REIT-AG ausmachen. Dies ergibt sich daraus, dass gemäß § 12 Abs. 2 REITG zum Ende eines jeden Geschäftsjahres mindestens 75 % der Aktiva der Gesellschaft aus „unbeweglichem Vermögen“ bestehen muss. Darin sind die anderen, zulässigen Vermögensgegenstände nicht enthalten.
24.66
Mit dem zugelassenen Erwerb von Anteilen an Immobilienpersonengesellschaften, Auslandsobjektgesellschaften oder Kapitalgesellschaften, die Komplementär einer Immobilienpersonengesellschaft sind, wird es der REIT-AG ermöglicht, unbewegliches Vermögen nicht nur direkt, sondern auch indirekt zu halten. Insbesondere wird es der REIT-AG ermöglicht, sich über eine Immobilienpersonengesellschaft nur zu einem bestimmten Anteil an einer Immobilie zu beteiligen. Zwar darf eine REIT-AG keine deutschen Immobilien über Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft halten; jedoch ist das Bilden von (inländischen) Konzernstrukturen möglich.
24.67
Immobilienpersonengesellschaften sind Personengesellschaften, deren Unternehmensgegenstand ebenso wie der einer REIT-AG beschränkt ist (vgl. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1
24.68
81 Gemeinsame Eingabe des ZIA, DAI, BFW, und DVFA zu erforderlichen Nachbesserungen am REIT-Gesetz an das Bundesministerium der Finanzen, S. 1 ff. Zur Kritik in Bezug auf die Beschränkungen des Unternehmensgegenstands (insbesondere der Ausschluss von Bestandsmietwohnimmobilien) Striegel/Gallenkamp in Striegel, REITG, 2007, § 3 Rz. 44 f.; Claßen, BB 2008, 2104, 2105; Claßen, FR 2010, 155 ff., jeweils m.w.N. 82 Gemeinsame Eingabe des ZIA, DAI, BFW, und DVFA zu erforderlichen Nachbesserungen am REIT-Gesetz an das Bundesministerium der Finanzen, S. 1 ff.
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REITG). Auslandsobjektgesellschaften halten ausschließlich im Ausland belegenes unbewegliches Vermögen (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 REITG). Sowohl REIT-Dienstleistungsgesellschaften als auch Auslandsobjektgesellschaften müssen jedoch Kapitalgesellschaften sein, deren sämtliche Anteile durch die REIT-AG gehalten werden.
24.69 Bei REIT-Dienstleistungsgesellschaften ist der Unternehmensgegenstand darauf be-
schränkt, entgeltliche immobiliennahe Nebentätigkeiten im Auftrag der REIT-AG an Dritte zu erbringen (vgl. § 3 Abs. 2 REITG). Die REIT-AG soll überwiegend mit der Verwaltung der eigenen Immobilien befasst sein. Sonstige entgeltliche Nebentätigkeiten, die einem fremden Anlagebestand dienen, dürfen daher gemäß § 1 Abs. 2 REITG ausschließlich über eine REIT-Dienstleistungsgesellschaft erbracht werden. Das Vermögen solcher REIT-Dienstleistungsgesellschaft darf gemäß § 12 Abs. 2 lit. b REITG maximal 20 % der Aktiva einer REIT-AG ausmachen. c) Notwendige immobiliennahe Tätigkeiten
24.70 Immobiliennahe Hilfstätigkeiten gemäß § 3 Abs. 4 und Abs. 6 REITG sind solche Tätigkei-
ten, die der Verwaltung, Pflege und Fortentwicklung von eigenen Immobilienbeständen dienen (insbesondere technische und kaufmännische Bestandsverwaltung, Mietbestandsverwaltung, Vermittlungstätigkeit, Projektsteuerung und Projektentwicklung). Von Hilfstätigkeiten, die dem eigenen Immobilienbestand dienen, sind Nebentätigkeiten gemäß § 3 Abs. 5 REITG, die einem fremden Immobilienbestand dienen, abzugrenzen83. Unklar ist allerdings das Tatbestandsmerkmal „notwendig“. Dies gilt insbesondere bei der Frage, inwieweit Projektentwicklungen zulässig sind. Wenn der Erwerb von unbeweglichem Vermögen und die Projektentwicklung als Teil der immobiliennahen Tätigkeiten grundsätzlich zulässig sind, spricht aber auch nichts dagegen, die Projektentwicklung uneingeschränkt zuzulassen. Dies ergibt sich daraus, dass unbewegliches Vermögen in § 3 Abs. 8 REITG als Grundstücke (und grundstücksgleiche Rechte) definiert wird und gemäß § 94 BGB die mit dem Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, wesentliche Bestandteile des Grundstücks selbst sind. Auch aus der Ratio des Gesetzes ist kein Grund ersichtlich, dass die Projektentwicklung irgendwelchen Einschränkungen unterliegen sollte.
2. Grundkapital 24.71 Das REITG sieht in § 4 REITG einen Mindestnennbetrag des Grundkapitals von 15 Mio.
Euro vor. Das Erfordernis der Mindestkapitalisierung soll die Verwendung einer REITAG als privates Steuersparmodell verhindern84.
3. Form der Aktien 24.72 Alle Aktien einer REIT-AG müssen stimmberechtigt sein und einer einheitlichen Gat-
tung angehören. Bei Ausgabe der Aktien ist der volle Ausgabebetrag zu entrichten; ein Anspruch auf Verbriefung einzelner Anteile besteht grundsätzlich nicht (§ 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 REITG). Unklar ist allerdings, aus welchem Grund diese Anforderungen be83 Vgl. Volckens in Schäfer, REITs Real Estate Investment Trusts, 2007, S. 110. 84 Kühnberger, BB 2007, 489, 493 ff.; darüber hinaus soll der obligatorische Börsengang abgesichert werden, hierzu Kußmaul/Gräbe, ZSteu 2008, 154, 155; auch Hahn, ZGR 2006, 805, 826 ff.
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stehen, da sie für die Erlangung des REIT-Status im Grunde unerheblich sind. Ursprünglich war diskutiert worden, eine Vinkulierung der Aktien einer REIT-AG zwingend vorzusehen, um es der Gesellschaft zu ermöglichen, zu verhindern, dass einer der Aktionäre 10 % oder mehr der Anteile hält. Hiervon ist der Gesetzgeber aber abgekommen und hat es bezüglich der Kontrolle über die Zusammensetzung des Aktionärskreises bei den allgemeinen Meldepflichten für Stimmrechte belassen. Insofern kann sich die Gesellschaft zwar einerseits nicht vor einer Überschreitung der 10 %-Grenze schützen. Andererseits hätte es dann dieser Vorschrift zur Form der Aktien auch nicht bedurft. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb beispielsweise Vorzugsaktien ausgeschlossen sein sollten. Jedenfalls ist es zulässig, Inhaber- oder Namensaktien auszugeben. Auch eine Vinkulierung der Aktien ist zulässig.
4. Sitz Die Gesellschaft muss gemäß § 9 REITG ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Inland haben. „Sitz“ ist hierbei der durch die Satzung bestimmte rechtliche Sitz, während die Ansässigkeit der Geschäftsleitung den tatsächlichen Sitz bestimmt. Damit soll sichergestellt werden, dass die REIT-AG für Zwecke der Anwendung von DBA als in Deutschland ansässig und damit Deutschland als Quellenstaat anzusehen ist85.
24.73
Der Verzicht auf das Erfordernis der Gründung nach deutschem Recht im REITG ist hingegen sachgerecht, da insoweit die Europarechtskonformität gewährleistet wird.
24.74
5. Entschädigungsregelung in der Satzung Die Satzung einer REIT-AG muss eine Entschädigungsregelung für alle Aktionäre enthalten, denen weniger als 3 % der Stimmrechte zustehen (Minderheitsaktionäre), wenn die Gesellschaft gemäß § 18 Abs. 3 REITG die Steuerbefreiung deswegen verliert, weil während drei aufeinander folgender Wirtschaftsjahre der Streubesitz weniger als 15 % beträgt (§ 11 Abs. 3 REITG). Dadurch bleibt die Höhe der Entschädigung der Gesellschaft vorbehalten und der jeweilige Aktionär kann sich vor Erwerb der Anteile darüber informieren, wie hoch seine Entschädigung ausfällt für den Fall, dass die Gesellschaft ihre Steuerbefreiung aufgrund des Verstoßes gegen die Streubesitzanforderungen verliert86. Die Satzung der alstria office REIT-AG z.B. sieht vor, dass die Entschädigung dem Ausschüttungsnachteil entspricht, der – unter Berücksichtigung der Steuervorteile der Aktionäre auf pauschaler Basis – durch die Beendigung der Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 3 REITG entsteht und verbindlich für die Aktionäre durch einen auf Antrag der Gesellschaft durch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. bestimmt wird87.
24.75
Das Aktienrecht kennt zwar durchaus Entschädigungsregelungen, wie beispielsweise beim Abschluss von Unternehmensverträgen oder beim Squeeze-Out. Allerdings ist in diesen
24.76
85 Vgl. Volckens in Schäfer, REITs Real Estate Investment Trusts, 2007, S. 119. 86 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/4026, S. 22. 87 S. Satzung der alstria office REIT-AG in der Fassung vom 23.1.2018, aufrufbar unter http:// www.alstria.de.
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Fällen die Entschädigung von dem Aktionär zu zahlen, der den Unternehmensvertrag abschließt bzw. den Squeeze-Out betreibt. Eine Zahlung der Gesellschaft an einzelne Aktionäre widerspricht an sich der strengen Kapitalbindung des Aktienrechts und stellt zunächst eine Einlagenrückgewähr i.S.d. § 57 AktG dar. Dies ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine solche Einlagenrückgewähr ausdrücklich zulässt, wie beispielsweise im Zusammenhang mit dem Rückkauf eigener Aktien gemäß §§ 71 ff. AktG. Dabei ist fraglich, ob die Formulierung in § 11 Abs. 3 REITG eine solche Durchbrechung des Prinzips ausreichend rechtfertigt, zumal keinerlei gesetzliche Vorgaben für die Entschädigungsregelung bestehen. Zunächst fehlt ausdrücklich der Zusatz, dass die Entschädigung tatsächlich von der Gesellschaft zu zahlen ist, auch wenn nach der Ratio dieser Vorschrift wohl keine andere Auslegung möglich erscheint. Ist dies nicht zweifelsfrei, so wäre eine solche Satzungsregelung gemäß § 23 Abs. 5 AktG unwirksam und eine Zahlung der Gesellschaft eine unzulässige Einlagenrückgewähr.
24.77 Zudem ist fraglich, wie eine solche Entschädigung zu berechnen wäre, da der tatsächliche
Schaden der Streubesitzaktionäre abhängig von deren jeweiliger steuerlicher Situation ist. Schließlich ist zu bedenken, dass ein Großaktionär auch die Satzung mit einer Mehrheit von 75 % ändern kann. So könnte ein entsprechender „Festbesitz“ rechtzeitig die Entschädigung der anderen Aktionäre mit einem entsprechenden satzungsändernden Beschluss auch auf Null reduzieren. Schließlich ist auch zu bedenken, dass die Entschädigung an sich nur sinnvoll ist, wenn die Gesellschaft die Aktien der Streubesitzaktionäre gegen Zahlung der Entschädigung zurücknimmt, also eigene Aktien erwirbt. Unklar ist, ob dies aufgrund der aktienrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich des Rückkaufs eigener Aktien überhaupt zulässig ist. De lege ferenda wäre es daher wünschenswert, wenn auf die Anforderung an eine Entschädigungsregelung entweder verzichtet würde oder die §§ 71 ff. AktG entsprechend geändert werden würden, so dass für einen solchen Fall die Gesellschaft ermächtigt bzw. ggf. verpflichtet wäre, den Streubesitzaktionären anzubieten, ihre Aktien beispielsweise zum Marktwert oder in Anlehnung an das Wertpapierübernahmegesetz88 bei Übernahmeangeboten zu einem (gewichteten) Durchschnittskurs vor Verlust der Steuerbefreiung zurückzukaufen.
6. Handelsregistereintragung der Firma 24.78 Die Firma der REIT-AG ist gemäß § 8 REITG bei dem zuständigen Gericht zur Eintra-
gung in das Handelsregister anzumelden. Nach ihrem Wortlaut setzt die Vorschrift unabhängig von der Art des Entstehens der REIT-AG – sei es durch rechtsgeschäftliche Neugründung oder durch einen Vorgang nach dem UmwG – das Bestehen einer Aktiengesellschaft voraus. An sich ist diese Vorschrift überflüssig. Viel entscheidender ist jedoch, dass erst mit der Eintragung des Firmenzusatzes „REIT-Aktiengesellschaft“ oder „REIT-AG“ im Handelsregister gemäß § 17 Abs. 1 REITG die Steuerbefreiung beginnen kann (s. auch Rz. 24.17). Die Handelsregistereintragung der Firma der REIT-AG folgt dabei der Gründung der Aktiengesellschaft, der Abfassung einer REIT-fähigen Satzung und der Börsenzulassung der Aktien zwingend zeitlich nach.
88 § 31 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-Angebotsverordnung sieht einen Mindestpreis bei Übernahmeangeboten in Höhe des gewichteten durchschnittlichen Börsenkurses während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsabsicht vor.
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a) Firmenänderung § 6 REITG ist eine Muss-Vorschrift; als Korrelat hierzu besteht nach § 7 REITG ein Bezeichnungsschutz89. Die Firmierung der REIT-AG stellt eine bloße Firmenänderung90 dar, denn es handelt sich bei der REIT-AG registerrechtlich um eine normale Aktiengesellschaft, deren Firma gemäß §§ 1, 29 HGB i.V.m. § 3 AktG ohnehin im Handelsregister eingetragen sein muss.
24.79
b) Prüfungsumfang des Registerrichters Grundsätzlich hat das Registergericht gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 AktG die ordnungsgemäße Errichtung und Anmeldung der Gesellschaft zu prüfen. Es hat dabei nicht nur auf die Einhaltung der formellen Gründungsvorschriften, sondern in beschränktem Umfang auch auf die Vereinbarkeit der Satzung mit dem materiellen Recht zu achten91. Voraussetzung für das zulässige Führen der Firmenbezeichnung „REIT“ ist, dass die Gesellschaft eine REIT-Aktiengesellschaft im Sinne des REITG ist und die Anforderungen der §§ 8 bis 15 REITG erfüllt. Dieser Verweis geht allerdings teilweise fehl, weil einige dieser Vorschriften offensichtlich nicht anwendbar sind und andere der genannten Vorschriften an sich das Bestehen einer REIT-AG bereits voraussetzen. Deshalb ist unklar, ob bzw. inwieweit die Gesellschaft vor Erlangung des REIT-Status bzw. vor Eintragung des Firmenzusatzes bereits sämtliche dieser Voraussetzungen erfüllt haben muss.
24.80
Im Einzelnen sind die Anmeldung der Firma beim zuständigen Gericht (§ 8 REITG), der Sitz in Deutschland (§ 9 REITG) und die Börsenzulassung (§ 10 REITG) im Grunde unproblematisch. Schwieriger wird der Nachweis des aktuellen Streubesitzes und des maximalen Anteils von nicht mehr als 10 % eines Aktionärs zum Zeitpunkt der Anmeldung (§ 11 Abs. 1 und 4 REITG). Eine Meldung nach § 11 Abs. 2 REITG kann die Gesellschaft noch nicht gemacht haben und § 11 Abs. 5 REITG regelt Meldepflichten, deren Normadressat die Gesellschaft nicht ist. Unklar ist aber insbesondere, ob die Gesellschaft die Vermögens-, Ertrags- und Eigenkapitalanforderungen gemäß §§ 12 und 15 REITG bereits im der Eintragung vorangegangenen Geschäftsjahr im Wege eines testierten Jahresabschlusses nachgewiesen haben muss und ob eine mindestens 90 %-ige Ausschüttung des handelsrechtlichen Gewinns für das vorangegangene Geschäftsjahr vorgenommen sein muss. Zudem ist fraglich, ob eine Gesellschaft kein REIT werden kann, wenn sie in der Vergangenheit Immobilienhandel i.S.v. § 15 REITG betrieben hat.
24.81
Würde man all dies fordern, dann müsste die Gesellschaft sozusagen zuvor ein freiwilliges REIT-Jahr einlegen, bevor sie den steuerbegünstigten REIT-Status erlangen könnte. Da-
24.82
89 Danach darf eine Gesellschaft, die ihren Satzungssitz im Geltungsbereich des REITG hat, die Bezeichnung „REIT-Aktiengesellschaft“ oder eine Bezeichnung, in der der Begriff „Real Estate Investment Trust“ oder die Abkürzung „REIT“ allein oder im Zusammenhang mit anderen Worten vorkommt, in der Firma oder als Zusatz zur Firma nur führen, wenn sie eine REIT-AG i.S.d. REITG ist und die Voraussetzungen der §§ 8 bis 15 REITG erfüllt; zum Bezeichnungsschutz der REIT-AG auch LG Mannheim v. 18.7.2008 – 7 O 10/08, insbes. Rz. 29 ff.; ebenfalls Wiesbrock in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 7 Rz. 1 ff.; Göckeler, Der Konzern 2008, 78, 85 f. 90 So auch Götze/Hütte, NZG 2007, 332, 333; BR-Drucks. 779/06, S. 8; hierzu auch Ziemons, BB 2007, 449, 450. 91 Solveen in Hölters, AktG, § 38 Rz. 4 f.; in Bezug auf REIT-AGs s. auch Quass/Becker, AG 2007, 421, 434; Wiesbrock in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 8 Rz. 5 ff.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
gegen spricht, dass die REIT-AG in § 1 Abs. 1 REITG als Aktiengesellschaft mit einem entsprechend beschränkten Geschäftsgegenstand, deren Aktien zum Handel an einer Börse zugelassen sind, definiert wird. Dies lässt vermuten, dass eine Gesellschaft auch den REITStatus erlangen kann, wenn zum Zeitpunkt der Umfirmierung nicht alle Vorschriften der §§ 8–15 REITG erfüllt sind, jedenfalls dann, wenn ein Verstoß gegen die Anforderungen gesondert sanktioniert wird und nicht der sofortige Verlust des REIT-Status bei einem Verstoß vorgesehen ist. Wenn man den Verweis ernst nimmt, würde die Gesellschaft bei einem späteren Verstoß beispielsweise gegen die Vermögensanforderungen zwar ihren steuerlichen Status beibehalten, dürfte aber an sich den Firmenzusatz „REIT“ nicht mehr in zulässiger Weise führen. Dies kann vom Gesetzgeber aber nicht gewollt sein. Deshalb ist es sachgerecht, dass der Registerrichter nicht diejenigen Anforderungen zu prüfen hat, deren Verstoß nicht zum automatischen Verlust des REIT-Status führt92. Dabei handelt es sich jedenfalls um die §§ 11, 12, 13 und 15 REITG mit Ausnahme der Entschädigungsregelung in § 11 Abs. 3 REITG. Auch sollte die Anforderung an den Ausschluss des Handels für Zeiträume vor dem Wirtschaftsjahr, in dem die Gesellschaft erstmals steuerbefreit ist, nach der Ratio des Gesetzes nicht gelten, da diese Anforderung vor Erlangung des REITStatus nicht gerechtfertigt erscheint.
24.83 Verunglückt ist insofern auch, dass die Voraussetzungen, die ein Registerrichter ohne wei-
teres prüfen kann, nämlich Mindestnennbetrag des Grundkapitals (§ 4 REITG) und Form der Aktien (§ 5 REITG), jedenfalls nicht ausdrücklich zum Prüfungskatalog zählen. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Anforderungen vom Registerrichter von Amts wegen zu prüfen sind, da davon auszugehen ist, dass es sich dabei um konstitutive Anforderungen an eine REIT-AG handelt (s. hierzu auch Rz. 24.141).
VIII. Kapitalmarktrechtliche Anforderungen 1. Zulassung zum Handel 24.84 Der Ablauf des Börsengangs einer REIT-AG unterscheidet sich nicht wesentlich von dem
einer Aktiengesellschaft mit einem anderen Geschellschaftszweck. Aktiengesellschaften sind grundsätzlich in ihrer Entscheidung frei, an welcher Börse ihre Aktien gehandelt werden sollen. Beschränkungen ergeben sich lediglich daraus, dass die Aktien93 einer REIT-AG gemäß §§ 1 Abs. 1, 10 Abs. 1 REITG zwingend zum Handel an einem organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 11 des WpHG (§ 2 Abs. 5 WpHG a.F.) innerhalb der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen sein müssen. Für eine deutsche Aktiengesellschaft bietet sich dabei die Frankfurter Wertpapierbörse als dem mit am Abstand liquidesten Handelsplatz in Deutschland an94. 92 S. zu den Sanktionen bei Verstoß gegen die einzelnen Anforderungen Rz. 24.121 ff. 93 Ziemons, BB 2007, 449, 450 und auch Götze/Hütte, NZG 2007, 332, 332, kritisieren, dass unklar bleibt, ob sämtliche Aktien zugelassen werden müssen und ob im Falle der Kapitalerhöhung die Jahresfrist des § 69 Abs. 2 BörsZulV ausgeschöpft werden kann. Da alle Aktien der gleichen Gattung angehören müssen, ergebe sich die Zulassungspflicht bereits aus § 69 Abs. 1 BörsZulV. Sowohl der Gesetzeswortlaut („Die Aktien“) als auch die Regierungsbegründung, vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 779/06, S. 32, dürften in dem Sinne zu verstehen sein, die Börsenzulassung sämtlicher Aktien zu verlangen; kritisch zur zwingenden Börsenzulassung Claßen, BB 2008, 2104, 2108. 94 Die Deutsche Börse AG hat mit dem RX REIT Index und dem RX REIT ALL Share Index zwei neue Indizes für die REIT-AGs geschaffen.
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Ein nicht börsennotierter „Private REIT“ ist – anders als in den USA95 – durch das REITG nicht vorgesehen.
2. Anforderung an die Dauer des Bestehens zum Zwecke der Zulassung zum Handel an einer deutschen Wertpapierbörse Besonderheiten im Zusammenhang mit der Börsenzulassung einer REIT-AG im Vergleich zu sonstigen Aktiengesellschaften können sich insbesondere hinsichtlich der Dauer des Bestehens des Emittenten ergeben. Eine Notierung im regulierten Markt setzt grundsätzlich voraus, dass der Emittent als Unternehmen mindestens drei Jahre bestanden und seine Jahresabschlüsse für die drei dem Antrag vorangegangenen Geschäftsjahre entsprechend den hierfür geltenden Vorschriften offengelegt hat (§ 32 BörsG i.V.m. § 3 Abs. 1 BörsZulV). Bei der Zulassung von Aktien ist nicht entscheidend, ob das Unternehmen überhaupt bereits drei Jahre besteht, noch, ob es seit drei Jahren die Rechtsform einer (REIT-)Aktiengesellschaft hat, sondern nur, dass es seine Jahresabschlüsse für die drei dem Antrag vorangegangenen Geschäftsjahre entsprechend den für die Gesellschaft geltenden Bilanzierungsvorschriften offen gelegt hat96. Diese Zulassungsvoraussetzung kann problematisch sein, falls die REIT-AG eine neu gegründete Gesellschaft ist und die Immobilien erst zeitnah in die Gesellschaft eingebracht wurden97. Zu klären wäre dann, ob die betroffenen Immobilien ein Unternehmen i.S.d. § 3 Abs. 1 BörsZulV darstellen. Der Begriff „Unternehmen“ in § 3 Abs. 1 BörsZulV ist nicht näher definiert. Allerdings kommt es bei dieser Voraussetzung, wie sich aus der zugrunde liegenden Richtlinie ergibt, maßgeblich auf die Bilanzpublizität an98. Ausschlaggebend ist somit, ob die jeweiligen Immobilien im Eigentum einer Gesellschaft standen, die Jahresabschlüsse veröffentlicht hat, oder sich anderweitig eine unternehmensartige Historie darstellen lässt99.
24.85
Unabhängig davon kann die Geschäftsführung der Börse unter Abwägung der Interessen des Emittenten und des Publikums gemäß § 3 Abs. 2 BörsZulV ausnahmsweise eine neu gegründete REIT-AG zulassen, auch wenn die Immobilien nicht als „Unternehmen“ angesehen werden bzw. die Unternehmenshistorie kürzer als drei Jahre ist. Die Geschäftsführung der Börse kann ihre Entscheidung von der Erstellung von Als-Ob-Abschlüssen abhängig machen100. Ein Beispiel für die Zulassung zu einem regulierten Markt trotz kurzen Bestehens ist die AIG International Real Estate GmbH & Co. KGaA (AIG IRE). Die AIG IRE wurde im Februar 2002 gegründet, im Mai 2002 ins Handelsregister eingetragen und im Juli 2002 zum Börsenhandel mit amtlicher Notierung an der Frankfurter Wertpapierbörse zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gesellschaft ihre Tätigkeit nur vorbereitet und noch kein Vermögen in Immobilien investiert. Der Verkaufsprospekt enthielt nur die Eröffnungsbilanz unter Hinweis darauf, dass noch keine Jahresabschlüsse erstellt wurden. Ein vergleichbares Vorgehen mag sich ggf. auch bei einer neu gegründeten REIT-AG anbieten. Alternativ bietet sich die Verwendung einer „leeren Hülle“ an, wie beispielsweise bei der Godewind Immobilien AG, die im März 2018 an die Börse ging.
24.86
95 Brueggemann/Fisher, Real Estate Finance and Investments, 15. Aufl. 2015, S. 586. 96 Zu Recht: Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 BörsZulV Rz. 2; Groß, Kapitalmarktrecht, § 12 BörsZulV Rz. 4 f. 97 Zur Einbringung der Immobilien s. auch Rz. 24.107 ff. 98 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 BörsZulV Rz. 1. 99 So lässt sich die erforderliche Unternehmenshistorie auch im Wege einer sog. komplexen Finanzhistorie (complex financial history) darstellen. 100 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 3 BörsZulV Rz. 3.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
3. Anforderungen an den Prospekt 24.87 Sowohl für das erstmalige Angebot der Aktien einer REIT-AG als auch für deren Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt im Inland ist ein nach § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 4 i.V.m. § 13 WpPG von der BaFin gebilligter Prospekt zu veröffentlichen101.
a) Historische Finanzinformationen
24.88 Der Prospekt muss gemäß § 7 WpPG i.V.m. Art. 4 Abs. 1, Ziff. 20.1 Anhang 1 VO
Nr. 809/2004 („ProspektVO“) grundsätzlich historische Finanzinformationen für die letzten drei Geschäftsjahre, bzw. einen entsprechenden kürzeren Zeitraum, während dessen der Emittent tätig war, enthalten. Abhängig von der Historie der Gesellschaft wird im Einzelfall zu prüfen sein, welche Abschlüsse in den Prospekt aufzunehmen sind. b) Pro Forma Finanzangaben bei Immobiliengesellschaften
24.89 Besonderheiten können sich ergeben, wenn ein Immobilienportfolio erst kurz vor dem Börsengang in die Gesellschaft eingebracht wurde bzw. erst nach dem Börsengang eingebracht werden soll. In diesem Fall kann sich für die Gesellschaft die Pflicht ergeben, Pro Forma Finanzangaben in den Prospekt aufzunehmen.
24.90 Der Wertpapierprospekt einer REIT-AG muss Pro Forma Finanzangaben enthalten, soweit
dies für das Verständnis einer wesentlichen Akquisition oder Veräußerung erforderlich ist oder es zu einer bedeutenden Veränderung in der Konzernstruktur führt und diese Transaktion zu Beginn des Berichtszeitraums oder zum Berichtszeitpunkt durchgeführt wurde102. Nach den Empfehlungen von ESMA wird eine bedeutende Veränderung bei einer 25 %-igen Auswirkung auf das Vermögen, den Umsatz oder des Gewinns oder Verlusts angenommen103. Formal getrennte Akquisitionen sind zusammenzurechnen, wenn ein sachlicher Zusammenhang besteht. Eine solche Gesamtbetrachtung ist beispielsweise angezeigt, wenn die Immobilienaktivitäten in einer gemeinsamen Holding gebündelt werden104. Allerdings kann gerade bei Immobiliengesellschaften auf die Erstellung von Pro Forma Finanzangaben verzichtet werden, wenn und soweit es sich dabei um einen Erwerb im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit handelt (ESMA).
24.91 Pro Forma Finanzangaben sind gemäß Anhang II der VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) zu erstellen und müssen eine Beschreibung der jeweiligen Transaktion, der dabei beteiligten
101 Die Richtlinie 2003/71 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, wurde durch das Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz mit Wirkung zum 1.7.2005 umgesetzt. Die Umsetzung der Änderungsrichtlinie 2010/73/EU, die am 31.12.2010 in Kraft trat, erfolgte durch das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes“ vom 26. Juni 2012 (BGBl. I 2012, S. 1375). 102 Vgl. Anhang I Ziff. 20.2 VO Nr. 809/2004 (ProspektVO). 103 ESMA, ESMA update of of the CESR recommendations – The consistent implementation of Commission Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive v. 20.3. 2013, Ziff. 91. 104 Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013, § 5 Rz. 116.
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Unternehmen oder Einheiten sowie des Zeitraums, über den sich die Transaktion erstreckt, umfassen und eindeutig folgende Angaben enthalten: – Zweck ihrer Erstellung; – Tatsache, dass die Erstellung lediglich zu illustrativen Zwecken erfolgt; – Erläuterung, dass die Pro Forma Finanzangaben auf Grund ihrer Wesensart lediglich eine hypothetische Situation beschreiben und folglich nicht die aktuelle Finanzlage des Unternehmens oder seine aktuellen Ergebnisse widerspiegeln105. Den Pro Forma Finanzangaben ist ein Bericht beizufügen, der von einem unabhängigen Buchprüfer oder einem Abschlussprüfer erstellt wurde106. Bei Pro Forma Finanzangaben ist zu beachten, dass solche nur bis höchstens für das vorangegangene Geschäftsjahr erstellt werden dürfen107.
24.92
c) Besondere Prospektanforderungen für Immobiliengesellschaften Art. 23 in Verbindung mit Anhang XIX der VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) ermächtigt die BaFin, bei Immobiliengesellschaften besondere Informationen zur Aufnahme in den Prospekt zu verlangen, sowie gegebenenfalls eine Bewertung des Vermögens des Emittenten durch einen Sachverständigen vorzuschreiben. Weder ist der Begriff der „Immobiliengesellschaft“ in der ProspektVO definiert, noch enthält sie weitere Angaben zu den Anforderungen, die an einen solchen Bericht gestellt werden dürfen bzw. sollten. Allerdings hat das Committee of European Securities Regulators („CESR“), der Verbund der nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden, die durch die European Securities and Markets Authority („ESMA“) ersetzt wurde, einen Vorschlag für die konsistente Umsetzung der ProspektVO verfasst108. Darin wird unter Ziffer 129 der Begriff der Immobiliengesellschaft als Emittent definiert, dessen Hauptgeschäftstätigkeit in dem unmittelbaren und mittelbaren Halten von Immobilien, die Entwicklung von Immobilien zur Vermietung und dem Halten als Anlage, sowie dem Kauf oder die Entwicklung von Immobilien zu Anlagezwecken liegt. Danach unterfällt eine REIT-AG dem Begriff einer Immobiliengesellschaft im Sinne der ProspektVO.
24.93
Nach den Empfehlungen von ESMA kann das Immobilienbewertungsgutachten in verkürzter Form in den Prospekt aufgenommen werden109. Die Inhalte des Bewertungsgutachtens sind in Ziffer 130 der „ESMA update of the CESR recommendations“ enthalten und muss110:
24.94
105 Vgl. Anhang I Ziff. 20.2 VO Nr. 809/2004 (ProspektVO) i.V.m. Anhang II Ziffer 1. VO Nr. 809/2004. 106 Vgl. Anhang I Ziff. 20.2 VO Nr. 809/2004. 107 Vgl. Anhang II Ziffer 5 VO Nr. 809/2004. 108 ESMA, ESMA update of the CESR recommendations – The consistent implementation of Commission Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive v. 20.3. 2013, S. 30; hierzu auch Quass/Becker, AG 2007, 421, 423. 109 ESMA, ESMA update of the CESR recommendations – The consistent implementation of Commission Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive v. 20.3. 2013, S. 30, Ziff. 128. 110 ESMA, ESMA update of the CESR recommendations – The consistent implementation of Commission Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive v. 20.3. 2013, S. 30, Ziff. 130.
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– von einem unabhängigen Sachverständigen verfasst sein; – das Datum der Besichtigung der Immobilie angeben; – alle relevanten Informationen, die für die Bewertung wesentlicher Immobilien111 notwendig waren, enthalten; – datiert sein und den Stichtag der Bewertung einer jeden Immobilie enthalten, der nicht länger als ein Jahr vor der Veröffentlichung des Prospekts liegen darf, wobei der Emittent zusichern muss, dass seit dem Tag der Bewertung keine wesentlichen Veränderungen eingetreten sind; – eine Zusammenfassung enthalten, die die Anzahl der Immobilien, die im Eigentum des Emittenten stehen, und die, an denen ihm ein Erbbaurecht zusteht, getrennt, unter Angabe der Summe der entsprechenden Bewertungsergebnisse, aufführt112 und – gegebenenfalls eine Erklärung zu den Unterschieden der Bewertungsergebnisse und den entsprechenden, in den letzten vom Emittenten veröffentlichten Jahresabschlüssen oder Konzernabschlüssen enthaltenen Zahlen enthalten113.
24.95 Im Zusammenhang mit Aktienemissionen von Immobiliengesellschaften hat die BaFin von dieser Ermächtigung typischerweise Gebrauch gemacht. Insofern müssen Wertpapierprospekte von Immobiliengesellschaften zumindest die Zusammenfassung der Bewertungsergebnisse eines unabhängigen Immobiliensachverständigen im Hinblick auf die Immobilien der Gesellschaft enthalten. Das Bewertungsgutachten darf nicht älter als zwölf Monate sein.
4. Folgepflichten 24.96 Die sich aus der Börsennotierung ergebenden Folgepflichten tragen zur Transparenz und
somit zum Vertrauen der Anleger bei. Hervorzuheben sind diesbezüglich insbesondere die Mitteilung und Veröffentlichung von Insiderinformationen sowie die Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils. a) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR)
24.97 Die Aktien einer REIT-AG sind Finanzinstrumente i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. a VO Nr. 596/
2014 („MAR“)114. Eine REIT-AG unterliegt daher gemäß Art. 17 VO Nr. 596/2014 auch 111 Insofern muss ggf. mit der BaFin im Einzelfall abgestimmt werden, welche Immobilien als „wesentlich“ anzusehen sind. 112 Negative Bewertungsergebnisse sind gesondert aufzuführen und dürfen nicht mit den anderen Werten verrechnet werden; die Summen für Immobilien, deren Bewertung auf unterschiedlichen Grundlagen beruht, sollten getrennt angegeben werden, ESMA, ESMA update of the CESR recommendations – The consistent implementation of Commission Regulation (EC) No. 809/2004 implementing the Prospectus Directive v. 20.3.2013, Ziff. 130. 113 Dies kann der Bewertungsbericht nicht leisten. Die Vorschrift ist so auszulegen, dass der Emittent Abweichungen zwischen Bilanzansätzen und Bewertungen des Sachverständigen im Prospekt zu erläutern hat. 114 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1.
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der Pflicht zur Veröffentlichung und Mitteilung von Insiderinformationen115. Grundsätzlich sind der Erwerb und die Veräußerung von Immobilien durch eine REIT-AG eine Information, die diese veröffentlichen muss, sofern sie geeignet ist, den Börsen- oder Marktpreis der Aktien erheblich zu beeinflussen. Dies ist eine Einzelfallentscheidung basierend auf Größe und Wert der betreffenden Immobilie und dem Einfluss der Transaktion auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der REIT-AG. Liegt bei dem Erwerb von Immobilien eine Insiderinformation vor, dann muss, ähnlich wie bei Unternehmenskäufen und -verkäufen, die Transaktion unter Angabe der Größenordnung des Kaufpreises veröffentlicht werden116. Dabei genügt nach Auffassung der BaFin117 jedenfalls im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen bei einem einstelligen Millionenbetrag die Angabe des auf die nächste Million auf- oder abgerundeten Betrages118. Bei größeren Beträgen ist nach Auffassung der BaFin in jedem Fall ein Betrag bzw. eine Betragsspanne anzugeben119. Eine Vertraulichkeitsvereinbarung kann diese Verpflichtung nicht abbedingen120. Der Emittent ist aber nicht verpflichtet, die Details einer Vereinbarung zu veröffentlichen121. Darüber hinaus kann auch die Kündigung eines wesentlichen Mietvertrags mitteilungsund veröffentlichungspflichtig sein, abhängig von dem Potenzial der Preisbeeinflussung.
24.98
b) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Veränderungen des Stimmrechtsanteils Neben der durch § 33 WpHG (§ 21 WpHG a.F.) vorgeschriebenen Meldepflicht bei Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten von bestimmten Schwellenwerten122 regelt § 11 Abs. 5 REITG, dass im Falle der Beteiligung an einer REIT-AG auch der Erwerb von 80 % und 85 % der Stimmrechte meldepflichtig ist123. Die Anlehnung an die Meldepflichten des Wertpapierhandelsgesetzes soll es der Gesellschaft ermöglichen festzustellen, inwieweit Aktien nicht mehr dem Streubesitz zuzurechnen sind, weil bei einem „Festbesitz“ von mehr als 85 % der erforderliche Streubesitz i.H.v. 15 % zwangsläufig entfällt. Die 80 %-Mitteilungspflicht erfüllt in diesen Zusammenhang eine Warnfunktion, dass ein Unterschreiten der Mindeststreubesitzquote bevorstehen könnte. 115 Insiderinformationen sind nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a VO Nr. 596/2014. 116 BaFin, Emittentenleitfaden v. 22.7.2013, S. 63. 117 Die BaFin wird ihren Emittentenleitfaden vom 22.7.2013 überarbeiten, sobald sich zu den neuen Vorschriften eine Verwaltungspraxis herausgebildet hat. 118 BaFin, Emittentenleitfaden v. 22.7.2013, S. 63. 119 BaFin, Emittentenleitfaden v. 22.7.2013, S. 63. 120 BaFin, Emittentenleitfaden v. 22.7.2013, S. 63. 121 BaFin, Emittentenleitfaden v. 22.7.2013, S. 63. 122 § 33WpHG (§ 21WpHG a.F.) sieht vor, dass jeder, der durch Erwerb, Veräußerungen oder auf sonstige Weise 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 % der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft erreicht, überschreitet oder unterschreitet, dem Emittenten und der BaFin dies spätestens innerhalb von vier Handelstagen melden muss. 123 Zusätzlich sieht § 11 Abs. 5 REITG auch eine Meldepflicht nach § 33 WpHG (§ 21 WpHG a.F.) bei Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten von 80 % oder 85 % der Stimmrechte an einer REIT-AG vor.
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24.99
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
24.100
Diese Regelung hat jedoch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens harsche Kritik ausgelöst, da die Gesellschaft zwar erkennen kann, wie viele Aktien nicht mehr im Streubesitz gehalten werden, aber nicht wie viele tatsächlich im Streubesitz gehalten werden. Der Rückschluss auf eine Unterschreitung der Mindeststreubesitzquote ist vor allem dann unmöglich, wenn eine Meldepflicht von 85 % nicht ausgelöst wird, da die Anteile sich in den Händen mehrerer Aktionäre befinden. Infolge der Kritik wurde im Gesetzgebungsverfahren in § 18 Abs. 3 REITG eine Regelung vorgesehen, nach der der Verstoß gegen die Streubesitzklausel nicht unmittelbar zu dem Verlust der Steuerbefreiung führt, sondern daran anknüpft, ob der Verstoß für die Gesellschaft zu erkennen war (s. hierzu auch Rz. 24.130 ff.).
24.101
Die Einhaltung der Streubesitzklausel soll durch eine jährliche Mitteilungspflicht gegenüber der BaFin zum 31. Dezember dokumentiert werden. Die BaFin teilt ihrerseits dem Bundeszentralamt für Steuern mit, wenn der vorgeschriebene Prozentsatz von 15 % unterschritten wurde (vgl. § 11 Abs. 2 REITG).
5. Investoren 24.102
Institutionelle Investoren wie Versicherungen und offene Immobilienfonds unterliegen bestimmten Beschränkungen bezüglich der Anlage ihres Vermögens. Bei offenen Immobilienfonds, die einen Teil ihres Immobilienbestandes auf eine REIT-AG übertragen möchten, sind solche Anlagebeschränkungen insbesondere dann relevant, wenn die entsprechend gewährten REIT-Aktien in das Immobilien-Sondervermögen eingebracht werden sollen. a) Beteiligung von Versicherungsgesellschaften
24.103
Versicherungen unterliegen gemäß § 217 i.V.m. §§ 219, 235 VAG i.V.m. der Verordnung über die Anlage des Sicherungsvermögens von Pensionskassen, Sterbekassen und kleinen Versicherungsunternehmen vom 18. April 2016 (BGBl. I 2016, S. 769) („AnlV“) Beschränkungen hinsichtlich der Anlage ihres Sicherungsvermögens. Zum einen kann gemäß § 2 AnlV das Sicherungsvermögen nur in bestimmte Anlageformen angelegt werden. Zum anderen ist auch die quantitative Zusammensetzung der verschiedenen Anlageformen beschränkt.
24.104
Das Sicherungsvermögen kann jedoch u.a. auch in Immobilien in Form von Aktien einer REIT-AG mit Sitz in einem Staat des EWR oder einem Vollmitgliedstaat der OECD, die die Voraussetzungen des REITG oder die vergleichbaren Vorschriften des anderen Staates erfüllen, angelegt werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 lit. b AnlV). Investitionen in REITs werden auf die Immobilienquote angerechnet124. b) Beteiligung von offenen Immobilienfonds
24.105
Offene Immobilienfonds fallen im Unterschied zu geschlossenen Immobilienfonds in den Anwendungsbereich des KAGB und dürfen als Immobilien-Sondervermögen nur bestimmte, in den §§ 230, 231, 234 und 235 KAGB125 aufgezählte Vermögensgegenstände 124 BaFin Jahresbericht 2007, S. 80. 125 An Stelle eines Verbots der offenen Immobilienfonds wurden in den §§ 230 bis 260 KAGB vom Gesetzgeber umfangreiche Modifikationen der allgemeinen Regelungen für Sondervermögen aufgenommen, um den Auswirkungen der Finanzkrise sowie den Besonderheiten
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Real Estate Investment Trusts | § 24
erwerben. Neben dem direkten Erwerb von Immobilien ist auch eine Anlage in Immobiliengesellschaften zulässig. Immobiliengesellschaften sind gemäß § 1 Abs. 19 Nr. 22 KAGB Gesellschaften, die nach dem Gesellschaftsvertrag oder der Satzung nur Immobilien sowie die zur Bewirtschaftung von Immobilien erforderlichen Gegenstände erwerben dürfen. Die Satzung muss den Unternehmensgegenstand auf solche Tätigkeiten beschränken, die der offene Immobilienfonds für das Immobilien-Sondervermögen ausüben darf (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 KAGB). Die Tätigkeit der Immobiliengesellschaft wird sich daher auf den Erwerb, das Halten und die Veräußerung von Immobilien beschränken müssen; insbesondere ist eine weitergehende operative wirtschaftliche Betätigung nicht zulässig126. Die zulässigen Vermögensgegenstände einer Immobiliengesellschaft sind auf solche, die auch für das Immobilien-Sondervermögen erworben werden dürfen, beschränkt (§ 235 Abs. 1 Nr. 2 KAGB). Die Anzahl der Immobilien, die eine Immobiliengesellschaft besitzt, ist für die Zulässigkeit des Erwerbs hingegen unerheblich127. Die Möglichkeit des Erwerbs von Immobiliengesellschaften muss in den Anlagebedingungen des offenen Immobilienfonds enthalten (§ 234 Satz 1 Nr. 1 KAGB) und die Beteiligung mit einer positiven Ertragserwartung verbunden sein (§ 243 Satz 1 Nr. 2 KAGB). Der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung ist als Regelfall an einer Immobiliengesellschaft vorgesehen (§ 234 Satz 1 Nr. 4 KAGB). Eine solche liegt dann vor, wenn der offene Immobilienfonds bei der Immobiliengesellschaft die Stimmen- und Kapitalmehrheit hat, die für eine Änderung der Satzung erforderlich ist128. Diese Regelung ist insoweit nicht unproblematisch, als dass eine direkte Beteiligung an einer REIT-AG auf weniger als 10 % beschränkt ist (§ 11 Abs. 4 REITG). Im Fall einer Minderheitsbeteiligung durch den offenen Immobilienfonds ist zu beachten, dass durch eine Vereinbarung sicherzustellen ist, dass die Verwahrstelle ihre Befugnisse auch im Verhältnis zur Immobiliengesellschaft wirksam ausüben kann.
24.106
IX. Übertragung der Immobilien Eine Aktiengesellschaft kann den REIT-Status nur erlangen, wenn sie ihren Sitz in Deutschland hat. Zudem muss sie aufgrund der Vermögens- und Ertragsanforderungen gemäß § 12 REITG Immobilien halten. Sofern die Immobilien bereits von einer Aktiengesellschaft gehalten werden, kann diese – sofern sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllt – unmittelbar den Status einer REIT-AG beantragen. Werden die Immobilien durch eine Gesellschaft in einer anderen Rechtsform gehalten, dann muss diese zunächst in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Ein weiterer Schritt ist erforderlich für den Fall, dass die Immobilien aber noch nicht in einer Gesellschaft gehalten werden oder von einer anderen Gesellschaft übertragen werden müssen. Die Immobilien müssen in einem solchen Fall entweder an die REIT-AG veräußert, im Wege der Sacheinlage eingebracht oder im Wege der Spaltung übertragen werden. der Immobilienanlage gerecht zu werden. Wind/Fritz in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, Vor §§ 230–260 Rz. 15. 126 Vgl. auch Wind/Fritz in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 235 Rz. 4. 127 Wind/Fritz in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 235 Rz. 6. 128 Soweit das REITG keine abweichenden Regelungen bestimmt, finden gemäß § 1 Abs. 3 REITG auf die REIT-AG die Vorschriften des AktG Anwendung finden, so dass sich die zur Änderung der Satzung erforderliche Stimmrechtsmehrheit grundsätzlich nach § 179 Abs. 2 AktG bestimmt.
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24.107
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
1. Sacheinlage 24.108
Bei der Einbringung von Sacheinlagen, sei es bei Gründung einer neuen Aktiengesellschaft oder im Rahmen einer Kapitalerhöhung, sind bestimmte Vorschriften, die die Kapitalaufbringung gewährleisten sollen, zu beachten. Insbesondere muss die Werthaltigkeit der Sacheinlage gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 183 Abs. 1 AktG geprüft werden. Dabei werden typischerweise Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Prüfer i.S.v. § 33 Abs. 4, 3 AktG vom Gericht bestellt.
24.109
Bei Gegenständen des Anlagevermögens ist der Wiederbeschaffungswert, bei solchen des Umlaufvermögens der Einzelveräußerungswert jeweils im Zeitpunkt der Prüfung maßgeblich129. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob Immobilien, die in eine REIT-AG eingebracht werden, zum Anlage- oder zum Umlaufvermögen gehören. Das Anlagevermögen umfasst Gegenstände, die dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB). Bei einer REIT-AG, die Immobilien sowohl zur Vermietung und Verpachtung nutzt, als sie auch gegebenenfalls veräußert, kann die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein. Zu vermietende Gegenstände dienen nämlich nicht per se dem Betrieb, sondern können Umlaufvermögen sein130. Insofern ist die Diskussion vergleichbar mit derjenigen im Zusammenhang mit den aktienrechtlichen Nachgründungsvorschriften. So ließ das Reichsgericht131 den Erwerb von Immobilien ohne Anwendung der Nachgründungsvorschriften bei einer Gesellschaft mit dem Geschäftszweck der Durchführung aller Arten von geschäftlichen Unternehmungen in Immobilien zu. Insofern spricht vieles dafür, bei der Bewertung den Einzelveräußerungswert und nicht den Wiederbeschaffungswert anzusetzen. Allerdings ist ebenfalls zu beachten, dass der Wert der einzubringenden Vermögensgegenstände lediglich den Nominalwert der dafür auszugebenden Aktien erreichen muss. Insofern genügt in aller Regel die gutachterliche Feststellung, dass der Wert der Immobilien den Nominalbetrag der dafür ausgegebenen Aktien übersteigt.
2. Spaltung a) Spaltungsvarianten
24.110
Die Spaltung ist eine Form der Umwandlung und umfasst gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG die Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung. Auch offene Immobilienfonds (soweit dies in den entsprechenden Anlagebedingungen und im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist und die Verwahrstelle zustimmt) und sonstige Kapitalgesellschaften sind spaltungsfähige Rechtsträger i.S.d. § 124 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG. Geschlossene Immobilienfonds in der Form von Kommanditgesellschaften sind spaltungsfähig gemäß § 124 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Geschlossene Immobilienfonds in Form einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) sind nicht spaltungsfähig.
24.111
Bei der Aufspaltung überträgt der übertragende Rechtsträger gemäß § 123 Abs. 1 UmwG – unter Auflösung ohne Abwicklung – sein ganzes Vermögen gleichzeitig auf mindestens zwei andere übernehmende oder neu gegründete Rechtsträger gegen Gewährung von An129 Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rz. 20; entgegen der h.M. stellt auf den Tag der Anmeldung etwa Schaller, AG 1992, 20, 22 f., ab. 130 Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 247 Rz. 7, str. 131 RG, JW 1910, 800.
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Real Estate Investment Trusts | § 24
teilen an seine Anteilsinhaber an dem übernehmenden Rechtsträger. Eine Aufspaltung wird für Unternehmen oder Fonds, die ihre Immobilien oder einen Teil davon auf eine REIT-AG übertragen wollen, eher nicht in Betracht kommen, da sie regelmäßig weiter bestehen werden wollen. Wahrscheinlicher ist der Fall, dass Unternehmen ihre Immobilien abspalten oder ausgliedern. Bei der Abspaltung überträgt der übertragende Rechtsträger gemäß § 123 Abs. 2 UmwG nur einen Teil seines Vermögens auf einen oder mehrere andere Rechtsträger, während er mit dem verbleibenden Vermögensteil weiterhin fortbesteht. Auch die Abspaltung erfolgt gegen Gewährung von Anteilen an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers. Die Abspaltung kann zur Neugründung oder zur Aufnahme erfolgen.
24.112
Die dritte Variante der Spaltung ist die Ausgliederung. Sie entspricht der Abspaltung mit dem Unterschied, dass die Anteile gemäß § 123 Abs. 3 UmwG an dem neuen/anderen Rechtsträger dem übertragenden Rechtsträger selbst, und nicht dessen Anteilsinhabern, gewährt werden.
24.113
Erfolgt die Abspaltung oder Ausgliederung zur Neugründung, dann sind über § 135 Abs. 2 Satz 1 UmwG zusätzlich die für die Aktiengesellschaft geltenden Gründungsvorschriften anzuwenden. Der übertragende Rechtsträger gilt als Gründer (§ 135 Abs. 2 Satz 2 UmwG). Ihn trifft somit eine etwaige Gründerhaftung aus § 46 AktG. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch § 144 UmwG. Danach sind bei einer Spaltung, an der eine Aktiengesellschaft beteiligt ist, ein Gründungsbericht und eine Gründungsprüfung stets erforderlich.
24.114
b) Vor- und Nachteile gegenüber der Einzelübertragung Der Vorteil einer Spaltung gegenüber der Einzelübertragung liegt daran, dass die Vermögensgegenstände von Gesetzes wegen automatisch auf die aufnehmende Gesellschaft übertragen, Zustimmungserfordernisse Dritter vermieden und vor allem auch Verbindlichkeiten mit übertragen werden können. Somit ist es z.B. möglich, nicht nur die Immobilien, sondern auch die dazu gehörigen Finanzierungen ohne Zustimmung der Gläubiger zu übertragen.
24.115
Ein Nachteil der Spaltung gegenüber der Übertragung von Immobilien im Wege der Sacheinlage besteht allerdings in der Nachhaftung. Die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger haften für die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründeten Verbindlichkeiten als Gesamtschuldner (§ 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Diejenigen Rechtsträger, denen die Verbindlichkeiten im Spaltungs- und Übernahmevertrag nicht zugewiesen worden sind, haften gemäß § 133 Abs. 3 Halbsatz 1 UmwG für diese Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach der Spaltung fällig und daraus Ansprüche gegen sie in einer in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BGB bezeichneten Art132 festgestellt sind oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. Bei einer Ausgliederung und einer Abspaltung sind Verbindlichkeiten i.S.d. § 133 Abs. 3 Halbsatz 1 UmwG dem übertragenden Rechtsträger zugewiesen, wenn sie nicht mitübertragen werden. Für solche Verbindlichkeiten haftet der übertragende Rechtsträger zeitlich unbe-
24.116
132 Das sind rechtskräftig festgestellte Ansprüche, Ansprüche aus vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden und Ansprüche, die durch die im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden sind.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
schränkt. Lediglich die Haftung des übernehmenden oder neu gegründeten Rechtsträgers ist auf fünf Jahre beschränkt.
24.117
Bei der Bewertung der Aktien einer REIT-AG durch den Kapitalmarkt ist mithin zu bedenken, dass diese im Falle der Spaltung das Bonitätsrisiko des übertragenden Rechtsträgers für fünf Jahre trägt, was einen entsprechenden Einfluss auf die Bewertung der Aktien hat. Soll dies vermieden werden, kommt ausschließlich eine Einzelübertragung der Immobilien in Betracht.
X. Anforderungen an die Finanzangaben und Prüfung 1. HGB-Abschluss 24.118
Entscheidend für den Umfang der Ausschüttungspflicht ist der handelsrechtliche Jahresabschluss (vgl. § 13 REITG). Insofern hat die Gesellschaft zunächst ihren gesetzlichen (Einzel-)Jahresabschluss nach HGB zu erstellen.
2. IFRS-Abschluss 24.119
Die Gesellschaft hat zudem gemäß § 12 Abs. 1 REITG in Verbindung mit §§ 315e bzw. 325 Abs. 2a HGB einen Konzern- bzw. Einzelabschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards zu erstellen. Dieser Abschluss ist insbesondere auch maßgeblich für die Feststellung, ob die Gesellschaft die Anforderungen an das Vermögen, die Erträge und das Eigenkapital sowie an den Ausschluss des Handels erfüllt (s. Rz. 24.41 ff.). Für diese Zwecke ist das unbewegliche Vermögen mit dem beizulegenden Zeitwert anzusetzen. Wird in dem Jahresabschluss das Wahlrecht nach IAS 40 zugunsten der Anschaffungskostenmethode ausgeübt, so sind die Verkehrswerte (fair values) gemäß § 12 Abs. 4 REITG dennoch in einer Nebenrechnung im Anhang gesondert aufzunehmen133. Durch die Anschaffungskostenmethode werden die Wertveränderungen zum Stichtag – mit Ausnahme von außerordentlichen Abschreibungen – nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst134.
3. Nachweis der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung – Prüfung des Abschlussprüfers 24.120
Die REIT-AG hat gemäß § 21 Abs. 2 REITG für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum eine Steuererklärung abzugeben, in der die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung sowie Angaben über die Zusammensetzung des Vermögens und der Erträge, die Erfüllung der Mindestausschüttungsverpflichtung und die Höhe des Eigenkapitals darzulegen sind. Der Abschlussprüfer hat die Einhaltung der Voraussetzungen im Hinblick auf den notwendigen Streubesitz, den maximalen Anteilsbesitz je Aktionär, die Einhaltung der Vermögens- und Ertragsstruktur, das Vorliegen einer Mindestausschüttung sowie des Min133 Vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/4779, S. 55; umfassend zu der zunehmenden Bedeutung der IFRS Kahle/Dahlke/Schütz, StuW 2008, 266 ff.; Kußmaul/Gräbe, ZSteu 2008, 159 ff. 134 So bilanziert beispielsweise die Hamborner REIT-AG nach der Anschaffungskostenmethode und weist die Verkehrswerte im Anhang gesondert aus.
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Real Estate Investment Trusts | § 24
destkapitals und das Nichtvorliegen eines Handels in Immobilien in einem gesonderten Vermerk zu bestätigen (§ 1 Abs. 4 REITG). Um die zutreffende Besteuerung der Ausschüttungen einer REIT-AG sicherzustellen, wurden die Prüfungspflichten des Abschlussprüfers hinsichtlich des Umfangs der steuerlichen Vorbelastung und der Zusammensetzung der Erträge erweitert135. Durch die Festlegung der umfangreichen Prüfungspflichten für den Abschlussprüfer sollen die Kontroll- und Überwachungstätigkeiten der Finanzverwaltung auf ein absolutes Minimum beschränkt werden136.
XI. Sanktionsregelungen bei Verletzung der Anforderungen Verstöße gegen die unterschiedlichen Anforderungen an einen REIT ziehen jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich. Einige der Anforderungen hat der Gesetzgeber als derart entscheidend qualifiziert, dass an deren Vorliegen der REIT-Status ausdrücklich unmittelbar anknüpft. Verliert die REIT-AG die Steuerbefreiung i.S.d. § 18 REITG, dann kann gemäß § 17 Abs. 4 REITG eine erneute Steuerbefreiung nicht vor Ablauf von vier Jahren seit deren Verlust wiederaufleben oder beginnen. Durch diese Wartefrist soll verhindert werden, dass eine REIT-AG zu steuerlichen Gestaltungszwecken gezielt einen Wechsel zwischen Steuerpflicht und Steuerbefreiung bewirkt137. In den meisten Fällen hat der Gesetzgeber aber ein abgestuftes Sanktionssystem vorgesehen, das der Gesellschaft ermöglichen soll, innerhalb eines gewissen Zeitraums den „REIT-gerechten“ Zustand wiederherzustellen, wobei der Staat grundsätzlich Zahlungen für unberechtigterweise ersparte Steuern verlangen kann. In einzelnen Fällen besteht allerdings auch Rechtsunsicherheit, weil der Gesetzgeber nicht für sämtliche Verstöße gegen die vorgeschriebenen Voraussetzungen ausdrückliche Sanktionsregelungen getroffen hat.
24.121
1. Festsetzung von Zahlungen (§ 16 Abs. 3–6 REITG) Verstößt die Gesellschaft in einem Wirtschaftsjahr gegen die Anforderungen an die Vermögensstruktur gemäß § 12 Abs. 2 REITG, die Ertragsstruktur gemäß § 12 Abs. 3 REITG, die Ausschüttungsverpflichtung gemäß § 13 Abs. 1 REITG oder das entgeltliche Erbringen von Nebentätigkeiten gemäß § 1 Abs. 2 REITG, setzt die Finanzbehörde zunächst Zahlungen gegen die Gesellschaft gemäß § 16 Abs. 3–6 REITG fest138. Diese Festsetzung erfolgt durch einen Verwaltungsakt, der mit Einspruch und anschließender Klage angefochten werden kann (§§ 118, 347 AO, § 40 FGO). Bei der Festsetzung der Höhe der Zahlung hat die Finanzbehörde gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 bis 5 REITG zu berücksichtigen, ob und wie häufig in früheren Wirtschaftsjahren gegen die jeweilige Voraussetzung verstoßen wurde. Die konkrete Höhe der Zahlungen hängt dabei von der Art des Verstoßes ab. Dabei können gemäß § 16 Abs. 3 Satz 4 REITG auch gleichzeitig mehrere Zahlungen festgesetzt werden.
135 136 137 138
Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11108, S. 59. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/4779, S. 50. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 779/06, S. 13. Von der ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehenen Bezeichnung als Strafzahlung wurde auf Anregung des Bundesrates abgesehen; vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 779/06, S. 12.
Vaupel | 857
24.122
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
a) Verstoß gegen Vermögensanforderungen (§ 16 Abs. 3 REITG)
24.123
Die Finanzbehörde kann gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 REITG die Höhe der Zahlung zwischen mindestens 1 % und höchstens 3 % des Betrages festsetzen, um den der Anteil des unbeweglichen Vermögens hinter der 75 %-Grenze zurückbleibt. b) Verstoß gegen Ertragsanforderungen (§ 16 Abs. 4 REITG)
24.124
Die Höhe der Zahlungsverpflichtung muss mindestens 10 % und darf höchstens 20 % des Betrages betragen, um den die Bruttoerträge aus der Vermietung und Verpachtung oder der Veräußerung von unbeweglichen Vermögen hinter der vorgeschriebenen 75 %-Grenze zurückbleiben (§ 16 Abs. 4 Satz 2 REITG). c) Verstoß gegen Ausschüttungspflicht (§ 16 Abs. 5 REITG)
24.125
Die Höhe der Zahlungsverpflichtung beträgt gemäß § 16 Abs. 5 Satz 2 REITG mindestens 20 % und höchstens 30 % des Betrages, um den die tatsächliche Ausschüttung hinter der vorgeschriebenen 90 %-Grenze des nach § 13 Abs. 1 REITG berechneten Jahresüberschusses zurückbleibt. d) Verstoß gegen Nebentätigkeitsverbot (§ 16 Abs. 6 REITG)
24.126
Wenn die Gesellschaft oder eine ihr nachgeordnete Immobilienpersonengesellschaft entgeltliche Nebentätigkeiten für Dritte erbringt, beträgt die Zahlung mindestens 20 % und höchstens 30 % der durch die entgeltliche Nebentätigkeit erzielten Einnahmen.
2. Verlust der Steuerbefreiung a) Börsenzulassung (§ 10 REITG)
24.127
Die Börsenzulassung der REIT-AG wurde durch den Gesetzgeber als so entscheidend eingestuft, dass im Fall des Verlustes derselben die Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 1 REITG bereits in dem Wirtschaftsjahr entfällt, das dem Verlust der Börsenzulassung vorausgeht. b) Handel mit unbeweglichem Vermögen (§ 14 REITG)
24.128
Im Fall des Verstoßes gegen das Verbot des Handels mit unbeweglichem Vermögen verliert die REIT-AG gemäß § 18 Abs. 2 REITG die Steuerbefreiung ab dem Wirtschaftsjahr, in dem die Grenze gemäß § 14 Abs. 2 REITG überschritten wird. c) Mindesteigenkapital (§ 15 REITG)
24.129
Wird die gemäß § 15 REITG erforderliche Eigenkapitalquote von 45 % in drei aufeinander folgenden Wirtschaftsjahren nicht erreicht, so endet nach § 18 Abs. 4 REITG die Steuerbefreiung mit dem Ablauf des dritten Wirtschaftsjahres.
858 | Vaupel
Real Estate Investment Trusts | § 24
d) Mindeststreubesitz (§ 11 Abs. 1 REITG) und Höchstbeteiligung (§ 11 Abs. 4 REITG) Sowohl der Verstoß gegen die Mindeststreubesitzregelung nach § 11 Abs. 1 REITG als auch der Verstoß gegen die Höchstbeteiligungsgrenze nach § 11Abs. 4 REITG führen jeweils mit Ablauf des dritten Wirtschaftsjahres zum Verlust der Steuerbefreiung gemäß § 18 Abs. 3 REITG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einem Verstoß gegen die Höchstbeteiligungsgrenze es sich nicht notwendigerweise um jeweils denselben Aktionär handeln muss.
24.130
Sofern sich der Verstoß gegen die Höchstbeteiligungsgrenze oder die Streubesitzregelung jedoch nicht aus den Pflichtmeldungen nach dem WpHG bzw. MAR zu erkennen war, wird der Gesellschaft nach Kenntnis des Verstoßes gemäß § 18 Abs. 3 REITG die Gelegenheit gegeben, diesen bis zum Ende des Wirtschaftsjahres zu beseitigen, das auf die Aufdeckung des Verstoßes folgt. Falls ihr dies nicht gelingt, endet die Steuerbefreiung rückwirkend zum Ende des Wirtschaftsjahres, in dem der Verstoß aufgedeckt wurde. War der Verstoß also aus den Meldepflichten erkennbar, dann müsste die Gesellschaft nicht aktiv zur Beseitigung des Verstoßes beitragen, sofern der Verstoß nicht innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Wirtschaftsjahren erfolgt. War der Verstoß dagegen nicht zu erkennen und hat die Gesellschaft anderweitig davon Kenntnis erhalten, dann muss die Gesellschaft gemäß § 18 Abs. 3 Satz 3 bis 5 REITG innerhalb des zweiten auf den Verstoß folgenden Wirtschaftsjahres den Verstoß beseitigen. Ansonsten bleibt es bei dem rückwirkenden Entfall der Steuerbefreiung mit Ende des Wirtschaftsjahres, in dem die Gesellschaft Kenntnis von dem Verstoß erlangt hat. Damit müsste der Verstoß also spätestens innerhalb des zweiten Wirtschaftsjahres beseitigt werden. Durch Einführung der Sätze 3 bis 5 in § 18 Abs. 3 REITG im Gesetzgebungsverfahren wollte der Gesetzgeber der Gesellschaft lediglich die Möglichkeit geben, den Verstoß gegen die Streubesitzklausel zu beseitigen, nicht jedoch die Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes verschärfen. Daher ist wohl davon auszugehen, dass, falls die Gesellschaft den Verstoß nicht auf Grundlage der Meldepflichten erkennen konnte, ein Verlust der Steuerbefreiung frühestens nach drei Jahren eintritt139.
24.131
Wenn eine Gesellschaft aufgrund des Verstoßes gegen die Streubesitzklausel ihre Steuerbefreiung verliert, sollen die Aktionäre, die weniger als 3 % der Stimmanteile halten, entschädigt werden. Die Gesellschaft ist gemäß § 11 Abs. 3 REITG verpflichtet, in ihrer Satzung eine solche Entschädigungsregelung vorzusehen (s. Rz. 24.75 ff.).
24.132
Bei Verstoß gegen die Höchstbeteiligungsgrenze kann der Anteilseigner gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 REITG aus seiner Beteiligung nur die Stimm- und Dividendenrechte geltend machen, die ihm aus einer Beteiligung von weniger als 10 % zustehen würden. Auch im Hinblick auf die Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen wird er gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 REITG so behandelt, als ob er weniger als 10 % der Stimmrechte halten würde140.
24.133
139 Ähnlich Dettmeier/Gemmel/Kaiser, die zu Recht davon ausgehen, dass es sich bei dem aufgedeckten Verstoß um einen wiederholten Verstoß handeln muss, da die Regelung des § 18 Abs. 3 Satz 5 REITG ansonsten eine Schlechterstellung darstellen würde, Dettmeier/Gemmel/ Kaiser, BB 2007, 1191, 1196. 140 Sog. „Treaty Override“, der völkerrechtlich sicherlich mehr als bedenklich ist. Die alternativ vorgeschlagenen Modelle, wie insbesondere das Trust-Modell, hätten allerdings die REITStrukturen vermutlich derart verkompliziert, dass kaum ein tragfähiges Konzept entstanden wäre; hierzu Helios in Helios/Wewel/Wiesbrock, REITG, 2008, § 16 Rz. 37 m.w.N.; Gosch, IStR 2008, 413, 419 ff.; Korts, Stbg 2008, 97, 100; Bron, IStR 2007, 431; Forsthoff, IStR 2006, 509.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
e) Vermögen, Erträge, Ausschüttung und Erbringung von Nebentätigkeiten (§ 16 Abs. 3–6 REITG)
24.134
Verstößt die Gesellschaft innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren wiederholt gegen die Voraussetzungen, entweder hinsichtlich jeweils des Vermögens oder der Erträge oder der Ausschüttung oder der Erbringung von Nebentätigkeiten, entfällt die Steuerbefreiung mit Ablauf des dritten Wirtschaftsjahres gemäß § 18 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 3 bis 6 REITG. Verstößt die Gesellschaft innerhalb von fünf aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren gegen verschiedene dieser vorgenannten Voraussetzungen, dann entfällt gemäß § 18 Abs. 5 Satz 3 REITG die Steuerbefreiung mit Ablauf des fünften Wirtschaftsjahres.
24.135
Der Verlust der Steuerbefreiung ist jedoch in diesen Fällen nicht zwingend. Die Finanzbehörde kann in Ausnahmefällen bestimmen, dass die Steuerbefreiung trotz fortlaufenden Verstoßes gegen die vorgenannten Anforderungen bestehen bleibt. In diesem Fall hat sie jedoch nach § 18 Abs. 5 Satz 3 REITG die gemäß § 16 Abs. 3 bis 6 REITG höchstmöglichen Zahlungen festzusetzen.
3. Sonstige Anforderungen ohne ausdrückliche Sanktionsregelung 24.136
Sanktionen bei einem Verstoß gegen die sonstigen Anforderungen an einen REIT sind nicht ausdrücklich vorgesehen. Dabei handelt es sich insbesondere um die Anforderungen an die Satzung der Gesellschaft (nämlich Unternehmensgegenstand, Form der Aktien, Mindestnennbetrag des Grundkapitals, die Firma und den Sitz der REIT-AG, sowie die Entschädigungsregelung bei dauerhaftem Verstoß gegen die Streubesitzanforderungen), die Anforderung, dass die Aktiva der Gesellschaft bezogen auf die Summe der Aktiva zu höchstens zu 20 % aus REIT-Dienstleistungsgesellschaften bestehen und die Summe der Umsatzerlöse und sonstigen Erträge von REIT-Dienstleistungsgesellschaften bezogen auf die gesamten Umsatzerlöse höchstens 20 % ausmachen sowie, dass keine Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften gehalten werden dürfen, die nicht den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 oder 5 REITG entsprechen. Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich jedenfalls, dass keine Strafzahlungen vorgesehen sind, dass jedenfalls zur Erlangung der Steuerbefreiung die Voraussetzungen erfüllt sein sollten und dass keine Heilungsmöglichkeit oder Übergangszeit vorgesehen ist. Unklar ist jedoch, ob bzw. inwieweit die Gesellschaft ihre Steuerbefreiung verliert, wenn sie diese sonstigen Anforderungen zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erfüllt.
24.137
Eine REIT-Aktiengesellschaft ist von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit, wenn sie die Voraussetzungen der §§ 8–15 REITG erfüllt (§ 16 Abs. 1 REITG). Daraus lässt sich schließen, dass ein Verstoß gegen die §§ 8–15 REITG automatisch zum Verlust der Steuerbefreiung führen soll, es sei denn, das Gesetz trifft abweichende Regelungen. Solche abweichende Regelungen bestehen für die meisten dieser Fälle. Daraus ist aber wohl zu entnehmen, dass ein Streichen der Entschädigungsregelung für die Minderheitsaktionäre im Falle des dauerhaften Verstoßes gegen die Streubesitzanforderungen zu einem unmittelbaren Verlust der Steuerbefreiung führen dürfte. Schwieriger zu beurteilen ist die Rechtsfolge bei einer Verletzung der 20 %-Grenzen bei REIT-Dienstleistungsgesellschaften. Dogmatisch konsequent wäre an sich ein sofortiger Verlust der Steuerbefreiung mangels einer ausdrücklichen – abweichenden – Rechtsfolgeregelung. Wird diese Grenze aber um mehr als 5 % überschritten, greifen automatisch die Sanktionen hinsichtlich der Verletzung der Vermögens- und Ertragsanforderungen (s. Rz. 24.123 und 24.124), da diese 860 | Vaupel
Real Estate Investment Trusts | § 24
dann ja nicht mehr 75 % oder mehr ausmachen können. Dies würde bedeuten, dass die Gesellschaft die Steuerbefreiung verliert, wenn sie die Grenzen nur geringfügig überschreitet, sie aber behält, wenn sie die Grenzen deutlich um mehr als 5 % überschreitet. Dies erscheint nicht sachgerecht und dürfte auf ein Versehen zurückzuführen sein141. Insofern ist von einer sanktionslosen Fortführung der Steuerbefreiung auszugehen, wenn die jeweiligen 20 %-Grenzen um nicht mehr als 5 % verletzt werden. Da die Anforderung an die Anmeldung der Firma (§ 8 REITG) – eine ohnehin überflüssige Regelung – nicht nachträglich entfallen kann, verbleibt insofern noch die Anforderung des § 9 REITG, also an den Sitz der Gesellschaft und ihrer Geschäftsleitung. Eine entsprechende Änderung führt mithin wohl zu dem automatischen Verlust der Steuerbefreiung für das Geschäftsjahr, in dem die Anforderung nicht mehr erfüllt wird. Das Bestehen der Steuerbefreiung setzt den Begriff der „REIT-Aktiengesellschaft“ voraus. Dieser Begriff wird in § 1 REITG definiert als Aktiengesellschaft, deren Unternehmensgegenstand wie vorstehend beschrieben beschränkt ist und deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt innerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassen sind. Eine Änderung des Unternehmensgegenstandes dürfte mithin ebenfalls zu einem unmittelbaren Verlust der Steuerbefreiung führen. Einer gesonderten Regelung des Verlusts der Zulassung zum Handel hätte es daher an sich nicht bedurft. Allerdings bestimmt § 18 Abs. 1 REITG, dass in diesem Fall der Verlust der Steuerbefreiung bereits in dem vorangegangenen Wirtschaftsjahr eintritt, eine mithin vom Regelfall abweichende Regelung.
24.138
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 REITG sieht für REIT-AGs einen abschließenden Katalog für den Erwerb und das Halten von Anteilen an Gesellschaften vor. Hieraus folgt, dass einer REIT-AG der Erwerb und das Halten von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften, die nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 5 REITG entsprechen, untersagt ist. Wie sich aus der systematischen Stellung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 REITG erkennen lässt, kommt dieser Vorschrift eine vergleichbare Bedeutung zu den Vorschriften zum Unternehmensgegenstand und der Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt zu. Vergleichbar mit einem Verstoß gegen den Unternehmensgegenstand, dürfte mithin der Erwerb und das Halten von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis Nr. 5 REITG entsprechen, zu einem unmittelbaren Verlust der Steuerbefreiung führen.
24.139
Allerdings hat die alstria office REIT-AG ein öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der DO Deutsche Office AG durchgeführt142 und im Zuge dessen Aktien an der DO Deutsche Office AG, also Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft, erworben143. Offensichtlich hat die alstria office REIT-AG ihren REIT-Status dennoch nicht verloren, obwohl darin ein Verstoß gegen die Anforderungen an das Halten von Beteiligungen des REITG vorlag.
24.140
Nicht eindeutig ist die Behandlung der verbleibenden Anforderungen, also an den Mindestnennbetrag des Grundkapitals, die Form der Aktien und die Firma. Aus der Formulierung, dass der Mindestnennbetrag des Grundkapitals „einer REIT-Aktiengesellschaft“
24.141
141 Soweit ersichtlich ist diese Frage auch in der Literatur bislang noch nicht erkannt worden. 142 Vgl. Angebotsunterlage der alstria office REIT-AG an die Aktionäre der DO Deutsche Office AG vom 21.8.2015; abrufbar unter: https://www.alstria.de/fileadmin/user_upload_de/News/Presse mitteilungen/2015-08-21%20Angebotsunterlage_Gesamt_executed.PDF. 143 Vgl. Ad hoc Mitteilung der alstria office REIT-AG vom 27.10.2015; abrufbar unter: https:// www.alstria.de/fileadmin/user_upload_de/News/Ad-hoc/20151027_alstria_d.pdf.
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§ 24 | Real Estate Investment Trusts
15 Mio. Euro „ist“, lässt sich schließen, dass eine Gesellschaft mit einem geringeren Grundkapital keine REIT-Aktiengesellschaft sein kann, so dass bei einem nachträglichen Wegfall dieser Anforderung die Steuerbefreiung automatisch entfällt. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Form der Aktien und die Firma. Eine nachträgliche Änderung der Form der Aktien, die Ausgabe neuer Aktien, die diesen Anforderungen nicht genügen oder das nachträgliche Entfallen des Firmenzusatzes „REIT“ dürften daher jeweils zu einem automatischen Verlust der Steuerbefreiung führen.
24.142
Dogmatisch wenig einsichtig ist dann allerdings, aus welchem Grund der Verstoß gegen die Anforderungen an den Mindeststreubesitz zu einer Entschädigung führen soll, also eine bestimmte ggf. zufällige Zusammensetzung des Aktionärskreises (es kann ja sein, dass beispielsweise 30 jeweils unterschiedliche Aktionäre jeweils 3 % an der Gesellschaft halten), während eine Satzungsänderung, die mit einer Mehrheit von 75 % der Stimmrechte in einer Hauptversammlung zum Verlust der Steuerbefreiung führen kann, ungeahndet bleiben soll. Auch insofern ist das Gesetz unausgereift.
XII. Anwendbarkeit der Vorschriften des KAGB auf die REIT-AG 24.143
Die Frage, ob REITs als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB zu qualifizieren sind und damit Erlaubnis- und Registrierungspflichten nach dem KAGB bestehen, ist weitgehend ungeklärt144. Die Frage, ob ein REIT als Investmentvermögen zu qualifizieren ist, kann nach Ansicht der BaFin nicht allgemein, sondern – wie bei allen anderen (börsennotierten) Immobiliengesellschaften auch – nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden145. Hiermit folgt die BaFin der Auffassung der EU-Kommission, wonach die Frage, ob ein REIT oder eine Immobiliengesellschaft vom Geltungsbereich der AIFM-Richtlinie146 ausgeschlossen sei, davon abhänge, ob sie unter die Definition eines alternativen Investmentfonds („AIF“) in Art. 4 Abs. 1 lit. a der AIFM-Richtlinie falle oder nicht. Nach Ansicht der EU-Kommission müsse jede Struktur für sich genommen auf der Grundlage ihrer Beschaffenheit und nicht der Form betrachtet werden147.
24.144
Unter den Begriff des Investmentvermögens fällt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist.
24.145
Eines der entscheidenden Kriterien für die Qualifizierung einer REIT-AG als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB ist, ob die REIT-AG eine festgelegte Anlagestrategie verfolgt. Eine solche liegt vor, wenn die Kriterien, nach denen das eingesammelte Kapital 144 Ablehnend Conradi/Jander-Mc Alister, WM 2014, 733 f.; Merkt, BB 2013, 1986 f.; auf den Einzelfall abstellend Vollhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 1 Rz. 30. 145 Vgl. Ziffer II. 2 BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015. 146 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010. 147 EU-Kommission, FAQ zu AIFMD, ID 1171, „Definition of an AIF“: „The question whether or not a REIT or real estate company is excluded from the scope of the AIFMD depends on whether or not it falls under the definition of an ‚AIF‘ in Article 4(1)(a). Each structure should be considered on its own merits based on substance, not on form.“
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Real Estate Investment Trusts | § 24
angelegt werden soll, in einem über den einer allgemeinen Geschäftsstrategie hinausgehenden Umfang, schriftlich genau bestimmt sind148. Eine festgelegte Anlagestrategie unterscheidet sich damit von einer allgemeinen Geschäftsstrategie eines operativ tätigen Unternehmens dadurch, dass die Anlagekriterien genau bestimmt sind und die Handlungsspielräume des Alternative Investment Fund Manager in den Anlagebedingungen, der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag eingeschränkt sind149. Nach Ziffer IX.20 der ESMA „Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD)150“ handelt es sich bei den Faktoren, die einzeln oder kumulativ auf das Vorhandensein einer solchen Strategie hinweisen können, um Folgende: – die Anlagestrategie ist bestimmt und festgelegt, spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn die Verpflichtungen der Anleger gegenüber dem Organismus für sie verbindlich werden; – die Anlagestrategie wird in einem Dokument dargelegt, das Bestandteil der Vertragsbedingungen bzw. der Satzung des Organismus ist bzw. auf das darin Bezug genommen wird; – der Organismus bzw. die juristische Person, die den Organismus verwaltet, unterliegt gegenüber den Anlegern einer (wie auch immer entstandenen) von ihnen rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung, sich nach der Anlagestrategie zu richten, einschließlich aller daran vorgenommenen Änderungen; – die Anlagestrategie umfasst auch Anlagerichtlinien mit Verweis auf alle oder einzelne der nachstehend genannten Kriterien: (i)
Anlage in bestimmten Kategorien von Vermögenswerten bzw. gemäß Einschränkungen bezüglich der Anlageaufteilung;
(ii) Verfolgung bestimmter Strategien; (iii) Anlage in bestimmten geografischen Gebieten; (iv) Einhaltung von Einschränkungen bezüglich von Hebelfinanzierungen; (v) Einhaltung von Mindesthaltezeiten; oder (vi) Einhaltung von anderen Einschränkungen zur Risikostreuung. Als weiteres entscheidendes Kriterium bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB, dass es sich bei dem Unternehmen um kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors handeln darf. Die BaFin verweist auf die Definition in den Leitlinien der ESMA, wonach insbesondere solche Unternehmen als operativ tätig anzusehen sind, die Immobilien entwickeln oder errichten, Güter und Handelswaren produzieren, kaufen, verkaufen, tauschen oder sonstige Dienstleistungen außerhalb des Finanzsektors anbieten151. Nach Ansicht der BaFin sind auch Unternehmen, die sich im Rahmen ihrer operativen Tätigkeit fremder Dienstleister oder 148 Gesetzesbegründung zu § 1 zu Abs. 1 KAGB, vgl. BT Drucks. 17/12294, S. 201. 149 Gesetzesbegründung zu § 1 zu Abs. 1 KAGB, vgl. BT Drucks. 17/12294, S. 201. 150 In der berichtigten Fassung vom 30.1.2014 der am 13.8.2013 veröffentlichten Fassung s. https:// www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/esma_2013_00600000_de_cor-_revised_ for_publication.pdf. 151 Vgl. Ziffer 1.7 des BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015; Ziffer II. der ESMA „Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD)“ in der berichtigten Fassung vom 30.1.2014 der am 13.8.2013 veröffentlichten Fassung.
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24.146
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
gruppeninterner Gesellschaften bedienen, weiterhin als operativ anzusehen, solange die unternehmerischen Entscheidungen im laufenden Geschäftsbetrieb durch die ausdrückliche Vereinbarung von Gestaltungs-, Lenkungs- und Weisungsrechten bei dem Unternehmen selbst verbleiben152. Nach der Auffassung der BaFin ist es unerheblich, wenn ein operatives Unternehmen zusätzlich zu der operativen Tätigkeit noch Investitionen zu Anlagezwecken tätigt (z.B. Anlage in Finanzinstrumente), solange diese lediglich untergeordnete Neben- oder Hilfstätigkeiten darstellen153. Der Betrieb einer Immobilie, z.B. in Form eines Hotels, sowie die Projektentwicklung (Konzeption, Ankauf, Entwicklung der Immobilie und anschließender Verkauf der selbst entwickelten Immobilie), Facility Management, Makler- und Bewertungstätigkeiten oder Finanzierungsberatung im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf einer Immobilie sind nach dem Auslegungsschreiben der BaFin als operative Tätigkeit anzusehen154. Dagegen stellen der Erwerb, die Vermietung, die Verpachtung, die Verwaltung sowie der Verkauf von Immobilien keine operativen Tätigkeiten dar155.
XIII. Das Outsourcing von Managementaufgaben 24.147
Typisch bei Immobilienaktiengesellschaften ist die Frage der Zulässigkeit des Outsourcings von Managementaufgaben.
1. Grundsatz – Leitung durch den Vorstand 24.148
Bei einer deutschen Aktiengesellschaft sind dem Vorstand die Geschäftsführung und Leitung gesetzlich zugewiesen. Im Gegensatz zum Aufsichtsrat ist er das Leitungsorgan der Gesellschaft, dem die Leitungsverantwortung und damit verbunden eine Leitungspflicht als originäre Aufgabe zukommt. Dies ergibt sich vor allem aus § 76 Abs. 1 AktG, wonach der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat. Daneben weist § 77 AktG dem Vorstand auch die Geschäftsführung zu. Die Leitung der Gesellschaft gehört zum Kernbereich der Vorstandstätigkeit, die der Vorstand nicht aus der Hand geben darf156.
24.149
Der Begriff der Leitung der Gesellschaft wird gesetzlich nicht definiert. Überwiegend wird die Leitung als Teil der Geschäftsführung angesehen157. In Anlehnung an betriebswirt152 Ziffer 1.7 des BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015. 153 Ziffer 1.7 des BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015; Vollhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 1 Rz. 26. 154 Ziffer 1.7a des BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015; Vollhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 1 Rz. 27. 155 Ziffer 1.7a des BaFin Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ v. 14.6.2013 (Gz. Q31 – Wp 2137 – 2013/0006), geändert am 9.3.2015; Vollhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 1 Rz. 27. Ausweislich ihrer Internetseiten haben sowohl die alstria office REIT-AG als auch die Hamborner REIT-AG auf Basis einer Einzelfallprüfung ein Negativattest der BaFin bezüglich der Qualifikation als Investmentvermögen im Sinne des KAGB erhalten; abrufbar unter: https://www.hamborner.de/ investor-relations/kagb.html und https://www.alstria.de/investoren/kagb/. 156 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 6; Spindler in MünchKomm. AktG, § 77 Rz. 5; Turiaux/Knigge, DB 2004, 2199 ff., passim. 157 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rz. 14.
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schaftliche Grundsätze werden allgemein die Unternehmensplanung, Unternehmenskoordination, Unternehmenskontrolle sowie die Führungspostenbesetzung zu den Leitungsaufgaben gezählt158. Daneben werden teilweise auch sonstige Maßnahmen und Geschäfte der Leitung zugerechnet, die für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind oder mit denen ein außergewöhnliches Risiko verbunden ist159.
2. Aufgabenzuweisung an andere Stellen Der Vorstand muss alle dem Organ selbst zugewiesenen Aufgaben erfüllen, insbesondere originäre unternehmerische Führungsfunktionen dürfen vom Vorstand nicht übertragen werden160. Zwar darf der Vorstand die Verantwortung für die Leitungsaufgaben nicht übertragen, eine Delegation der Vorbereitung und Ausführung aller Leitungsaufgaben ist jedoch möglich. Auch laufende Verwaltungsaufgaben des Tagesgeschehens dürfen übertragen werden161. Die Entscheidungsverantwortung muss dabei beim Vorstand verbleiben; eine Übertragung kann damit nur der Ausführung nach erfolgen162. Somit besteht die Leitungsverantwortung des Vorstandes insbesondere in der Planungs- und Organisationsverantwortung. Sofern notwendig, hat der Vorstand die erforderlichen Kontroll- und Berichtssysteme einzurichten163. Eine Überwachungspflicht des Vorstandes ergibt sich auch aus §§ 9 Abs. 2, 130 OWiG, wonach die Verletzung der Aufsichtspflicht mit einer Geldbuße belegt werden kann. Die Funktion des Vorstandes darf allerdings nicht auf eine bloße Kontrollfunktion reduziert werden – damit würden auch die für das operative Geschäft Zuständigen dem Zugriff des Aufsichtsrates entzogen werden – vielmehr bleibt der Vorstand tatsächlich für die Leitung der Gesellschaft verantwortlich164.
24.150
a) Aufgabenzuweisung innerhalb des Unternehmens Eine Delegation an nachgeordnete Unternehmensebenen im Wege einer widerruflich erteilten Generalvollmacht ist von der Rechtsprechung stillschweigend gebilligt worden165. Allerdings sind solche Generalvollmachten dann unzulässig, wenn sie sich auf unveräußerliche Leitungsentscheidungen erstrecken166. Grundsätzlich ist auch nur die Ausführung der Aufgabe delegierbar, nicht jedoch die Leitungsentscheidung selbst167. Zudem muss der Vorstand die Mitarbeiter sorgfältig auswählen und ausreichend überwachen168. 158 Spindler in MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 15 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rz. 9; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 36; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 Rz. 4 f. 159 Liebscher in Beck’sches Hdb. AG, § 6 Rz. 112. 160 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, § 2 Rz. 23; Semler in Semler/Peltzer/Kubis, ArbeitsHdb. für Vorstandsmitglieder, 2. Aufl. 2015, § 1 Rz. 59; Hirschmann in van Kann, Vorstand der AG, 2. Aufl. 2012, Kapitel II Rz. 134; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 77 Rz. 31 ff.; Turiaux/Knigge, DB 2004, 2199, 2200. 161 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, § 2 Rz. 23; so auch Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 36; anders wohl Wiesner in MünchHdb. AG, § 19 Rz. 13. 162 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 17. 163 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 17. 164 Hirschmann in van Kann, Vorstand der AG, 2. Aufl. 2012, Kapitel II Rz. 134. 165 Vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, Vor § 48 Rz. 2. 166 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 62; Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 157; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 Rz. 45. 167 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 57. 168 Liebscher in Beck’sches Hdb. AG, § 6 Rz. 130 ff.
Vaupel | 865
24.151
§ 24 | Real Estate Investment Trusts
b) Aufgabenübertragung an unternehmensfremde Dritte (Outsourcing)
24.152
Der Vorstand kann auch unternehmenswesentliche Teilbereiche auslagern, wenn er den Dritten so auswählt und einweist, dass eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung in gleicher Weise gewährleistet ist wie bei unternehmensinterner Delegation169. Zudem muss er durch schuldrechtliche Vereinbarungen mit den jeweiligen Dritten sicherstellen, dass er seiner Steuerungs- und Informationsverantwortung nachkommen kann170. Auch konzernexterne Betriebsführungs- oder Managementverträge bei denen das Unternehmen auf Rechnung der Eigentümergesellschaft durch einen Dritten geleitet wird, verstoßen im Regelfall nicht gegen die Leitungspflicht des Vorstandes, wenn nur die laufende Geschäftsführung übertragen wird, aber die grundsätzlichen Entscheidungen beim Vorstand verbleiben. Im Rahmen der Übertragung der laufenden Geschäftstätigkeit muss sichergestellt werden, dass: – Richtlinien für die Geschäftsführung festgelegt werden; – Inhalt und Umfang der Geschäftsführungsmaßnahmen am Interesse des Auftraggebers ausgerichtet werden sowie – umfassende Informations-, Einsichts- und Kontrollrechte des Vorstandes gewährleistet sind171.
24.153
Der Vorstand muss also jederzeit in der Lage sein, eigenverantwortliche Leitungsentscheidungen zu treffen und stets im Zentrum der unternehmerischen Aktivität bleiben. Im Ergebnis muss der Vorstand gegenüber dem Betriebsführer ein Weisungsrecht haben172.
24.154
Anhaltspunkte für die Auslagerung von Bereichen auf ein anderes Unternehmen bei Finanzdienstleistungsinstituten ergeben sich insbesondere durch das Finanzmarktrichtlinien-Umsetzungsgesetz (BGBl. I 2007, 1330, 1368 ff.) und den damit geänderten § 25a KWG (nunmehr § 25b KWG). Die Auslagerung von Aktivitäten und Prozessen, die für die Durchführung von Bankgeschäften, Finanzdienstleistungen oder sonstigen institutstypischen Dienstleistungen wesentlich sind, darf weder die Ordnungsmäßigkeit dieser Geschäfte und Dienstleistungen noch die Geschäftsorganisation beeinträchtigen (§ 25b Abs. 1 Satz 2 KWG). Weitere Bestimmungen werden im Rundschreiben 09/2017 (BA) der BaFin Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) geregelt173. Danach muss das Institut auf der Grundlage einer Risikoanalyse eigenverantwortlich festlegen, welche Auslagerungen wesentlich sind174. Das Institut hat die mit wesentlichen Auslagerungen verbundenen Risiken angemessen zu steuern und die Ausführung der ausgelagerten Aktivitäten und Prozesse ordnungsgemäß zu überwachen, welches auch die regelmäßige Beurteilung der Leistung des Auslagerungsunternehmens anhand vorzuhaltender Kriterien umfasst175. 169 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 57. 170 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 57; auch Fleischer, ZIP 2003, 1, 10. 171 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 57 m.w.N.; Turiaux/Knigge, DB 2004, 2199, 2206. 172 Kort in Großkomm. AktG, § 76 Rz. 159 ff. 173 Rundschreiben 09/2017 (BA) v. 27.10.2017 – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, aufrufbar unter http://www.bafin.de. 174 S. hierzu AT 9 Auslagerung Abs. 2, Rundschreiben 09/2017 (BA) v. 27.10.2017 – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk. 175 S. hierzu AT 9 Outsourcing Abs. 9, Rundschreiben 11/2010 (BA) v. 15.12.2010 – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk.
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§ 25 Islamic Finance I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen islamischer Zertifikate 1. Anforderungen des islamischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturen islamischer Zertifikate a) Vermögenswert bezogene Schari’a-konforme Grundgeschäfte . aa) Ijara-Sukuk . . . . . . . . . . . bb) Mudaraba-Sukuk . . . . . . . cc) Murabaha-Sukuk . . . . . . . dd) Muscharakah-Sukuk . . . . . ee) Salam-Sukuk . . . . . . . . . . b) Umwandlung des vermögenswertbezogenen Risikos in ein schuldnerbezogenes Risiko . . . .
_ _ __ __ __ __ _
25.1 25.5
25.5 25.11 25.12 25.15 25.16 25.17 25.18 25.19 25.20
_ __ _ _ __ _
c) Verbriefung Schari’a-konformer Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . 25.23 III. Dokumentation von Sukuk . . 1. Islamische Dokumente . . . . . a) Islamischer Vertrag . . . . . . b) Kauf- und Verkaufsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Islamisches Rechtsgutachten und Schari’a-Einwände . . . . 2. Kapitalmarktdokumente . . . .
. . 25.24 . . 25.25 . . 25.25 . . 25.30 . . 25.35 . . 25.39
IV. Abgrenzung von Sukuk und Asset Backed Securities . . . . . . . 25.44
Schrifttum: Adelt, Takaful-Versicherungen, VW 2006, 550; Adolphsen/Schmalenberg, Islamisches Recht als materielles Recht in der Schiedsgerichtsbarkeit?, SchiedsVZ 2007, 57; Bälz, Islamische Aktienfonds in Deutschland?, BKR 2002, 447; Bälz, Zinsbeschränkungen in den arabischen Rechtsordnungen: die Auswirkungen auf internationale Finanzierungsverträge, BKR 2012, 277; Bälz, Das islamische Recht als Vertragsstatut?, IPRax 2005, 44; Bälz, Das internationale Vertragsrecht der islamischen Banken, WM 1999, 2443; Bälz, Islamisches Kreditwesen – Religion, Wirtschaft und Recht im Islam, ZVglRWiss 109 (2010), 272; Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, 2001; Bolsinger/Breschendorf, Grundlagen des Islamic Banking & Finance, ZBB-Report 2009, 460; Casper, Islamische Finanztransaktionen ohne Erlaubnis nach dem KWG?, ZBB 2010, 345; Casper, Islamic Finance – ein sicherer Hafen?, CFL 2012, 170; El Mogaddedi, Wachstumsmarkt Sukuk, Die Bank 8.2002, 28; Gassner/Wackerbeck, Islam – Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen, 2. Aufl. 2010; Gramlich/Manger-Nestler, Wirtschaftsaufsicht über „islamic finance“ in Deutschland, WM 2009, 1629; Grieser, Islamic Finance, WM 2009, 586; Heckel, Islamische Finanzwirtschaft (Islamic Finance) – eine Aufgabe für die Rechtsvergleichung, ZVglRWiss 111 (2012), 311; Klöwer, Zinsverbot und Kreditwesen in islamischen Ländern, ZKW 1980, 436; Litten/Cristea, Asset Backed Securities in Zeiten von Basel II, WM 2003, 213; Mahlknecht, Islamic Finance – Einführung in die Theorie und Praxis, 2008; Manger-Nestler/Gramlich, Islamic finance und Recht der EU-Finanzmarktaufsicht – (k)ein Problem? – Eine deutsche Perspektive, ZBB 2011, 305; Momen, Ausgewählte Islamic Finance-Vertragsmodelle, RIW 2010, 367; Momen, Steuerliche Herausforderungen und Chancen der grenzüberschreitenden Islamic Finance, RIW 2010, 536; Müller, Grundlagen, Dokumentation und rechtliche Einordnung islamischer Zertifikate (Sukuk), WM 2008, 102; Nathif J. Adam/Abdulkader Thomas in Jaffer, Islamic Asset Management: Forming the Future for Shari’a Compliant Investment Strategies, 2004; Pannen/Wolff, ABS-Transaktionen in der Insolvenz des Originators – das Doppeltreuhandmodell und die neuen Refinanzierungsregister, ZIP 2006, 52; Patzner/Usalir, Islamic Banking und Islamic Asset Management, BB 2010, 1513; Pock, Islamische Versicherungen – ein bislang ungenutztes Ertragspotential, VW 2004, 1220; Pohlhausen/Beck, Der Zinsbegriff im islamischen Finanzrecht und deutschen Steuerrecht, IStR 2010, 225; Reinhardt, Das Sharia-Recht der arabischen Golfstaaten, RIW 1997, 747; Schacht, An Introduction to Islamic Law, 2. Aufl. 1966; Scherer/Elsen, Islamische Finanzierung und deutsches Aufsichtsrecht, CFL 2012, 238; Siebel, Islamic Project Finance, BKR 2002, 98; Sorge, Mitglieder von Sharia Boards als Schattendirektoren, ZBB 2010, 363; Thurow, Islamic Finance: Anforderungen an die internationale Rechnungslegung, IRZ 2011, 273; Wackerberg, Islamische Versicherungsprodukte: Ein Wachstumsmarkt?, VW 2006, 452; Wegen/Wichard, Islamische Bankgeschäfte, RIW 1995, 826; Zeising, Asset Backed Securities (ABS) – Grundlagen und
Müller | 867
§ 25 | Islamic Finance neuere Entwicklungen, BKR 2007, 311; Zerwas/Demgensky, Islamic Banking in Deutschland und Bankerlaubnis nach dem Kreditwesengesetz, WM 2010, 692.
I. Einleitung 25.1
Der neue Markt ist tatsächlich ein uralter: „Allah hat das Handeln erlaubt, das Zinsnehmen jedoch verboten“1, steht es frei übersetzt im Koran geschrieben, der Heiligen Schrift des Islam, die um 610 nach Christus entstanden sein soll. Der islamische Finanzsektor hat sich – trotz oder gerade wegen sämtlicher Krisen – zu einer billionenschweren Branche entwickelt. Das rasante Wachstum und der damit verbundene Einfluss der arabischen Finanzwelt stellen eine große Herausforderung für die Finanzbranche dar. Diese besteht in erster Linie darin, eine Produktpalette zu schaffen, die einerseits im Einklang mit der Schari’a, der islamischen Rechts- und Lebensordnung2, steht, andererseits eine Vielzahl von Anlageformen ermöglicht – für Privatkunden ebenso wie für Geschäftskunden und institutionelle Anleger3.
25.2
An die 2,5 Mrd. US-Dollar war der globale Markt für Islamic Finance Produkte nach Angaben von ICD – Thomson Reuters Ende 2017 schwer4. Die Spanne islamischer Finanzprodukte reicht von kurzfristigen Geldanlagen über Immobilienfinanzierungen, Exportfinanzierung, Leasing, Projektfinanzierung, Anleihen und Wandelanleihen5 bis hin zu Hedgefonds. Insbesondere seit der Etablierung von Sukuk6 als islamische Wertpapiergattung, die einen direkten Zugang zum Fremdkapitalmarkt ermöglicht, engagieren sich westliche Investmentbanken wesentlich stärker im Marktsegment islamischer Finanzprodukte7 und in den Märken im Mittleren und Fernen Osten. Zwar ging das Emissionsvolumen von Sukuk über die vergangenen Jahre zurück und betrug nach Angaben von ICD – Thomson Reuters in 2015 ca. 65 Mrd. US-Dollar8. Jedoch ist das Wachstum des Volu1 Siebel, BKR 2002, 98. 2 Die Schari’a ist kein kodifiziertes Rechtssystem, sondern basiert auf einer Vielzahl von Grundprinzipien. Die Schari’a leitet sich aus dem Koran (Qur’an), dem Brauch des Propheten (Sunna), sowie dem Konsens der Gelehrten (Ijma’) ab, darüber hinaus ist die Rechtsentwicklung durch Analogien (Kiyas) zu berücksichtigen, vgl. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 114 f. Über die Jahrhunderte entwickelten sich unterschiedliche Rechtsschulen, die teilweise voneinander abweichen. Die bedeutensten Rechtsschulen des sunnitischen Islam sind die hanafitische, schafitische, hanbalitische und malikitische, vgl. Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 162. Mangels Kodifikation ist die Auslegung der Schari’a durch islamische Rechtsgelehrte in der Praxis von großer Bedeutung, vgl. Reinhardt, RIW 1997, 747, 747. 3 Müller, WM 2008, 102. 4 https://www.thecityuk.com/research/global-trends-in-islamic-finance-and-the-uk-market/ S. 19 (Stand 27.6.2018). 5 Der erste Convertible Sukuk wurde im Januar 2006 von der Ports Customs & Free Zone Corporation emittiert und hatte ein Emissionsvolumen von 3,5 Mrd. US-Dollar, er war damit der größte je emittierte Sukuk. Die Emission basierte auf einer Muscharakah-Struktur. Vgl. http://www.thelawyer.com/the-idealistic-solution/120034.article (Stand 27.6.2018). 6 Sukuk ist der Plural des arabischen Wortes für Zertifikat oder Schriftstück, Sakk, vgl. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 78. 7 Zu den sich daraus ergebenden Fragen des deutschen Bankaufsichtsrechts vgl. Scherer/Elsen, CFL 2012, 238 ff.; Casper, ZBB 2010, 345 ff.; Gramlich/Manger-Nestler, WM 2009, 1629 ff.; Manger-Nestler/Gramlich, ZBB 2011, 305 ff.; Zerwas/Demgensky, WM 2010, 692 ff. 8 https://www.thecityuk.com/research/global-trends-in-islamic-finance-and-the-uk-market/ S. 23 (Stand 27.6.2018).
868 | Müller
Islamic Finance | § 25
mens ausstehender Sukuk weiter ungebrochen und betrug Ende 2015 fast 340 Milliarden US-Dollar9. Doch nicht nur für Investmentbanken sind Sukuk ein interessantes Produkt, auch für deutsche Unternehmen bietet dieses Instrument die Möglichkeit, islamische Investoren – also Investoren, die ihre Investitionen nach den Grundsätzen der Schari’a tätigen – als neue Gruppe von Fremdkapitalinvestoren im Kapitalmarkt zu erschließen. Westliche Staaten wie beispielsweise das Vereinigte Königreich haben es mit ihrer ersten Sukuk Emission in 2014 vorgemacht und so eine neue Phase in der Entwicklung dieser Wertpapiergattung eingeleitet, die Emission von Schari’a-konformen Wertpapieren durch Staaten, die nicht muslimisch geprägt sind.
25.3
Sukuk, als relative junge Wertpapiergattung, befinden sich nach wie vor in einer dynamischen Entwicklungsphase. Dennoch lassen sich die Grundlagen von Sukuk klar definieren sowie Marktstandards erfassen, die sich über die vergangenen Jahre verfestigt haben10.
25.4
II. Grundlagen islamischer Zertifikate 1. Anforderungen des islamischen Rechts Der Maßstab für die Zulässigkeit von Finanzprodukten unter islamischem Recht ist die Schari’a11. Insbesondere das Riba-Verbot der Schari’a stellt für klassische Bankprodukte, die zum Großteil zinsbasiert sind, ein Hindernis dar12. Unter Riba versteht man die ungerechtfertigte Vermehrung von Geld13. Nach islamischen Grundsätzen ist eine Vermehrung von Geld nur als Profit durch Übernahme eines gewerblichen Risikos zulässig14; d.h., ein Ertrag darf nicht nur auf das reine zur Verfügung stellen von Geld zurückzuführen sein, denn Geld hat nach den Regeln der Schari’a keinen eigenen Wert, sondern dient vielmehr dem Austausch von Werten. Dieses Riba-Verbot wird im Zusammenhang mit Bankgeschäften allgemein als Zinsverbot verstanden, auch wenn dies nicht unumstritten ist15. 9 https://www.thecityuk.com/research/global-trends-in-islamic-finance-and-the-uk-market/ S. 23 (Stand 27.6.2018). 10 Müller, WM 2008, 102 ff. 11 Bei den Regeln der Schari’a handelt es sich zwar nicht um zwingende Bestimmungen staatlichen Rechts, von gläubigen Muslimen werden die Regelungen jedoch als religiöse Gebote befolgt, vgl. Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 158. Zudem haben die Regeln der Schari’a in islamisch geprägten Staaten zum Teil unmittelbaren Einfluss auf das säkulare Rechtssystem. So entschied das pakistanische Verfassungsgericht am 23.12.1999, dass Zinsen nicht im Einklang mit islamischem Recht stehen und dies zur Verfassungswidrigkeit entsprechender Regelungen des pakistanischen Rechts führt, vgl. Ahmad, International Business Lawyer, September 2001, S. 374; IFLR, März 2000, 25. 12 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28; ausführlich Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, S. 34 ff.; Mahlknecht, Islamic Finance, S. 19 ff. 13 Vgl. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 12, 145; Siebel, BKR 2002, 98; Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 156; Wegen/Wichard, RIW 1995, 826; Klöwer, ZKW 1980, 436. 14 Vgl. Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 156; Wegen/Wichard, RIW 1995, 826. 15 Bälz, ZVglRWiss 109 (2010), 272 m.w.N.; zum Zinsbegriff im islamischen Finanzrecht und deutschen Steuerrecht vgl. Pohlhausen/Beck, IStR 2010, 225 ff.
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25.5
§ 25 | Islamic Finance
25.6
Damit verstößt eine fest vereinbarte oder garantierte Verzinsung eines Darlehens, einer Anleihe oder einer Investition gegen das Riba-Verbot und ist folglich unzulässig (Haram)16. Die Unzulässigkeit von Zinsen führt auch dazu, dass der Handel mit Rechten zu einem Discount unzulässig ist, da dieser Abschlag die gleiche Wirkung wie eine Verzinsung haben würde. Rechte können folglich nur zu ihrem Marktwert, der grundsätzlich ihrem Nennbetrag entspricht, gehandelt werden. Das Riba-Verbot wird zudem durch das Verbot des Verkaufs von Forderungen ergänzt (Bay’ Al-Dayn)17.
25.7
Ein weiterer wichtiger Grundsatz, der sich aus der Schari’a ergibt, ist das Verbot der Unbestimmtheit (Gharar)18. Um keinen Anreiz für Spekulation zu bieten, sind unter islamischem Recht Verträge unzulässig, die Unsicherheiten, Chancen oder Risiken enthalten; vor allem dann, wenn sich diese auf essentialia eines Vertrages wie den Gegenstand der Vertrages, den Preis oder den Erfüllungszeitpunkt beziehen19. Das Gharar-Verbot stellt deshalb gerade für Versicherungsverträge ein Hindernis dar. Aus diesem Grund entwickelte sich ein islamisches Gegenstück zu westlichen Versicherungen, Takaful20. Dieses Instrument ist allerdings noch nicht so weit entwickelt wie konventionelle Versicherungen. Ebenso untersagt das islamische Recht das Spielen bzw. Wetten (Maysir)21, so dass Future und Optionskontrakte sowie ähnliche Derivate in der Regel nicht zulässig sind. Sowohl Gharar als auch Maysir sind in der Praxis schwer von zulässigem gewerblichem Handeln abzugrenzen, so dass eine individuelle Prüfung der Zulässigkeit potentieller Geschäfte unbedingt erforderlich ist.
25.8
Das islamische Recht untersagt zudem Investitionen in Geschäftsbereichen, die gemäß der Schari’a als nicht ethisch einzuordnen sind. Dazu zählen beispielsweise Glücksspiel, Rüstungsindustrie, Alkoholherstellung und -verkauf sowie die konventionelle Bank- und Versicherungswirtschaft22.
25.9
Ein Verstoß gegen eines der dargestellten Verbote führt grundsätzlich zur Nichtigkeit des Geschäftes; die Erträge aus solchen Geschäften werden dann häufig für gemeinnützige Zwecke gespendet23.
25.10 Die dargestellten Verbote, die sich aus der Schari’a ableiten, gelten jedoch nicht uneingeschränkt. Ein Verstoß kann unter islamischem Recht dann gerechtfertigt sein, wenn eine Art Notstand (Darura)24 besteht, in dem eine Zuwiderhandlung für den Einzelnen praktisch unvermeidlich ist. Ein Beispiel dafür ist die Gestattung der Nutzung konventioneller Versicherungen durch islamische Rechtsgelehrte, die anerkennen, dass es keine ausreichenden islamischen Alternativen zu diesen Produkten gibt; insbesondere verfügen die Anbieter von Takaful-Verträgen noch nicht über ausreichende finanzielle Ressourcen.
16 17 18 19 20 21 22 23 24
Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 121. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 146; Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, S. 38 ff. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 146; Thurow, IRZ 2011, 273. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 147. Bei einem Takaful-Vertrag schließen sich mehrere Parteien zusammen und vereinbaren, dass sie Verluste gemeinsam durch regelmäßige Zahlungen tragen und etwaige Überschüsse teilen, vgl. Adelt, VW 2006, 550 ff.; Wackerberg, VW 2006, 452 ff.; Pock, VW 2004, 1220 ff. Vgl. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 13; Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, S. 40 ff. El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 29. Müller, WM 2008, 102, 103. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 84.
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2. Strukturen islamischer Zertifikate Die dargestellten Grundsätze, allen voran das Riba-Verbot, machen eine sorgfältige Strukturierung islamischer Zertifikate erforderlich. Die Struktur wird deshalb in enger Abstimmung mit islamischen Rechtsgelehrten25 erstellt, deren Aufgabe darin besteht, die Schari’aKonformität zu bestätigen. Bei der Strukturierung von Sukuk wird versucht, der Struktur konventioneller Finanzinstrumente, vor allem von Anleihen, so eng wie möglich zu folgen bzw. diese abzubilden26. Die Strukturen islamischer Zertifikate sind wenig standardisiert und unterscheiden sich teilweise erheblich voneinander. Sukuk-Strukturen lassen sich jedoch grundsätzlich in drei Teilaspekte unterteilen:
25.11
1. das vermögenswertbezogene Schari’a-konforme Grundgeschäft, 2. die Umwandlung des vermögenswertbezogenen Risikos in ein schuldnerbezogenes Risiko sowie 3. die Verbriefung Schari’a-konformer Ansprüche27. a) Vermögenswert bezogene Schari’a-konforme Grundgeschäfte Ausgangspunkt jeder Sukuk-Struktur ist jeweils ein islamisches Geschäftsmodell28, das die Erwirtschaftung Schari’a-konformer Erträge ermöglicht29. Um solche Erträge zu erzielen, muss diesem Modell mindestens ein materieller Vermögenswert (Asset) zugrunde liegen. In der Praxis werden jedoch in der Regel Asset-Pools gebildet, die auch einen Kapitalanteil enthalten können. Als materielle Vermögenswerte kommen unter islamischen Gesichtspunkten Sachen, aber auch Rechte in Betracht, wenn sich diese zumindest mittelbar auf materielle Vermögensgegenstände beziehen30. Der Vermögenswert muss generell bei Geschäftsabschluss bereits vorhanden sein. Dazu wird entweder ein bereits vorhandener Vermögenswert in ein Schari’a-konformes Geschäftsmodell eingebracht, oder es wird ein Vermögenswert, meistens ein Recht, durch ein solches begründet31. Der Vermögenswert wird in der Regel an eine Zweckgesellschaft, die die Sukuk emittiert, übertragen bzw. wird zu deren Gunsten begründet. Der eigentliche Schuldner im Rahmen der SukukStruktur ist somit regelmäßig nicht selbst Emittentin der Zertifikate. Die Übertragung der Vermögenswerte an eine Zweckgesellschaft hat den Vorteil, dass sich die zur Verfügung stehenden Vermögenswerte auf diese Weise besser isolieren lassen. Darüber hinaus haben diese Zweckgesellschaften zumeist ihren Sitz in einem Staat mit günstigen steuerlichen Bedingungen, soweit dies die jeweilige Transaktionsstruktur zulässt32. 25 In der Praxis werden diese mit dem englischen Begriff Scholars bezeichnet. 26 Zur steuerlichen Behandlung von Sukuk in Deutschland vgl. Patzner/Usalir, BB 2012, 1513, 1517 f. 27 Müller, WM 2008, 102, 103. 28 Vgl. allgemein zu islamischen Vertragskonzepten Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 151 ff.; Bälz, WM 1999, 2443, 2444; Bolsinger/Breschendorf, ZBB 2009, 460, 463. 29 Müller, WM 2008, 102, 103. 30 Wenn Rechte als Vermögenswerte genutzt werden sollen, ist deren Eignung im Einzelfall von islamischen Rechtsgelehrten zu prüfen. Gesellschaftsanteile, die eine Beteiligung an den materiellen Vermögenswerten der jeweiligen Gesellschaft darstellen, sind jedoch in der Regel zulässig. 31 Müller, WM 2008, 102, 104. 32 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 30.
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25.12
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25.13 Die Vergütung, die die Gläubiger erhalten, kann als feste oder variable Zahlung ausgestal-
tet sein. Im Falle von variablen Vergütungen erfolgt oft eine Bindung an einen Index oder einen ähnlichen Referenzsatz, der auch bei konventionellen Kapitalmarktinstrumenten Verwendung findet. So werden häufig, wie bei herkömmlichen Anleihen, Referenzzinssätze zur Bestimmung von variablen Vergütungen herangezogen. Diese Bindung an gängige Sätze hat den Vorteil, dass auf diese Weise die Erträge der islamischen Instrumente mit denen herkömmlicher Wertpapiere vergleichbarer sind. Die Bindung des Vergütungsbetrags an Zinssätze stellt keinen Verstoß gegen das Riba-Verbot dar, da insoweit lediglich die Bestimmung des Betrages betroffen ist und nicht der Ursprung der zur Verfügung stehenden Mittel33. Darüber hinaus ist jedoch zu beachten, dass aufgrund des Riba-Verbotes in arabischen Rechtsordnungen häufig Zinsobergrenzen existieren. Dies gilt es auch bei der Bezugnahme auf gängige Referenzsätze zu beachten34.
25.14 Die Strukturierung ist folglich primär abhängig von den zur Verfügung stehenden Vermögenswerten sowie den bezweckten Kapitalflüssen. Die Strukturierung von Sukuk ist deshalb mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden, als dies bei herkömmlichen Anleihen der Fall ist. Es existiert jedoch eine Vielzahl islamischer Vertrags- bzw. Geschäftsmodelle, die als Grundlage für die Strukturierung islamischer Zertifikate dienen35. Häufig werden diese Modelle auch miteinander kombiniert36. Diese sind beispielsweise Arboun, Ijara, Istisna’a, Mudaraba, Murabaha, Muscharakah, Salam und Wa’ad. Im SukukMarkt existieren zur Zeit mindestens 24 verschiedene Typen islamischer Zertifikate37. Die Accounting and Auditing Organization for Islamic Institutions (AAOIFI) hat in ihren Standards 14 davon definiert38. In der Praxis relevant sind insbesondere Ijara-, Mudaraba-, Murabaha-, Muscharakah- sowie Salam-Sukuk; diese sollen im Folgenden näher betrachtet werden. aa) Ijara-Sukuk
25.15 Das wohl bekannteste Konzept ist die Ijara-Struktur, die einer Sell-And-Lease-Back-
Transaktion ähnelt39. Ijara ist ein Miet- bzw. Leasingvertrag zwischen dem Eigentümer eines Vermögensgegenstandes als Vermieter bzw. Leasinggeber und dem Mieter bzw. Leasingnehmer, welcher eine fest vereinbarte oder eine variable Vergütung an den Eigentümer zahlt40. Der aus dem Vermögenswert generierte Ertrag fließt demnach dem Vermieter bzw. Leasinggeber und Eigentümer zu. In der Praxis ist es jedoch meist so, dass Vermögenswerte eingebracht werden sollen, die bereits im Eigentum des potentiellen Schuldners stehen. Deshalb übertragen die Eigentümer häufig das Eigentum oder eigentumsähnliche Rechte an den relevanten Vermögenswerten an eine Zweckgesellschaft (SPV) und mieten bzw. leasen den Vermögenswert von dieser zurück. Der Emissionserlös der Sukuk wird in Form des Kaufpreises an den ursprünglichen Eigentümer gezahlt. Die Struktur kann je-
33 Müller, WM 2008, 102, 104; Mahlknecht, Islamic Finance, S. 24. 34 Vgl. dazu ausführlich Bälz, BKR 2012, 277 ff. 35 Dem gleichen Ansatz wird auch bei der Strukturierung islamischer Projektfinanzierungen gefolgt, vgl. Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 156. 36 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 31. 37 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 31. 38 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 31. 39 El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 30; Momen, RIW 2012, 367, 376 ff.; Heckel, ZVglRWiss 111 (2012), 311, 322 f. 40 Wegen/Wichard, RIW 1995, 826, 828 m.w.N.; Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 154 f.
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doch auch zum Erwerb eines Vermögensgegenstandes genutzt werden; der Emissionserlös wird dabei zur Zahlung des Kaufpreises verwendet41. Jedoch wird auch in dieser Konstellation aus den bereits dargestellten Gründen der Vermögenswert regelmäßig an eine Zweckgesellschaft übertragen. Ein Ijara-Sukuk endet üblicherweise mit dem Erwerb des Mietobjekts durch den Mieter bzw. Leasingnehmer. Ein Nachteil dieser Struktur ist, dass der dem Sukuk zugrundeliegende Vermögenswert, also das sehr spezifische Mietobjekt, wenig variabel ist und somit der Nominalbetrag der Zertifikate nur gering variiert werden kann42. bb) Mudaraba-Sukuk Einem Mudaraba-Sukuk liegt ein Joint Venture oder eine Partnerschaftsvereinbarung zugrunde. Der Mudaraba-Vertrag hat mindestens zwei Parteien. Eine Vertragspartei (Mudharib) führt die gemeinsamen Geschäfte und bringt somit die eigene Arbeitsleistung und Managementfähigkeiten ein, die andere Partei (Rabulmal) beteiligt sich durch die Bereitstellung des Kapitals43. Es ist dabei wichtig, dass der Zweck des Joint Ventures bzw. der Partnerschaft selbst auch Schari’a-konform ist. Nur wenn sichergestellt ist, dass innerhalb der Kooperation ausschließlich Investitionen getätigt werden können, die mit islamischem Recht im Einklang stehen, kann das Geschäftsmodell für islamische Zertifikate genutzt werden. Um dies sicherzustellen, wird der Gegenstand des Joint Ventures bzw. der Partnerschaft beispielsweise in einem Investmentplan festgehalten. Die Ansprüche des Kapitalgebers werden als Vermögenswerte für den Mudaraba-Sukuk genutzt. Die MudarabaStruktur hat den Vorteil großer Flexibilität bezüglich der Bestimmung des Nominalbetrags der Sukuk. Zudem unterliegen die Parteien bei der Verteilung der Gewinne keinen Beschränkungen, Verluste allerdings dürfen lediglich vom Rabulmal getragen werden. Emittentin der Sukuk ist eine Zweckgesellschaft, die als Rabulmal, also als Kapitalgeber, fungiert. Die Gesellschaft kann den Emissionserlös als Kapital in die Partnerschaft einbringen. Das Joint Venture bzw. die Partnerschaft, die im Mudaraba-Vertrag geregelt wird, wird in der Praxis grundsätzlich nicht gesellschaftsrechtlich ausgestaltet; für die vertraglich vereinbarte Kooperation wird zumeist keine Zweckgesellschaft gegründet.
25.16
cc) Murabaha-Sukuk Der Murabaha-Struktur liegt ein Kaufvertrag zugrunde. Dabei kauft der Verkäufer zunächst im Auftrag des Käufers einen Gegenstand zum Marktpreis von einer dritten Partei und veräußert diesen dann zum Einkaufspreis zuzüglich einer Marge an den Käufer44. Die Marge stellt dabei das Äquivalent zu den tatsächlichen Finanzierungskosten und sonstigen Kosten dar45. Diese Struktur ähnelt einer klassischen Finanzierung sehr, so dass es in der Praxis auf die Ausgestaltung des Murabaha-Vetrages ankommt, ob dieser von islamischen Rechtsgelehrten gebilligt wird. Bei einem Murabaha-Sukuk fungiert eine Zweckgesellschaft als Käufer, die ebenso die islamischen Zertifikate emittiert46. 41 42 43 44
El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 30. Müller, WM 2008, 102, 104. Wegen/Wichard, RIW 1995, 826, 827 m.w.N.; Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 156. Wegen/Wichard, RIW 1995, 826, 828 m.w.N.; Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 164; Siebel, BKR 2002, 98, 99; Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 154. 45 Diese Struktur wird auch sehr häufig für Schari’a-konforme Konsumentenkredite genutzt. 46 Müller, WM 2008, 102, 104.
Müller | 873
25.17
§ 25 | Islamic Finance
dd) Muscharakah-Sukuk
25.18 Die Muscharakah-Struktur ist im Zusammenhang mit Sukuk eine der am häufigsten ver-
wendeten Strukturen und ähnelt der Mudaraba-Struktur. Basis dieser Struktur ist ebenfalls ein Schari’a-konformes Joint Venture bzw. eine Partnerschaft47. Allerdings erbringen im Falle eines Muscharakah alle Parteien Kapital- oder Sacheinlagen. So bringt bei einer einfachen Muscharakah-Struktur der Schuldner Vermögenswerte als Sacheinlagen ein, eine Zweckgesellschaft bringt über die Emission von Sukuk den Emissionserlös als Kapital ein. Die Gewinnverwendung bzw. -ausschüttung kann zwischen den Parteien frei vereinbart werden, Verluste müssen jedoch im Verhältnis der Beteiligungsquote getragen werden48. ee) Salam-Sukuk
25.19 Das Salam-Konzept wird in erster Linie für kurzfristige, häufig rohstoffbasierte Finanzie-
rungen eingesetzt. Diese Struktur beruht auf einem Kaufvertrag, bei dem sich der Verkäufer verpflichtet, zu einer genau bestimmten, zukünftigen Erfüllungszeit an einem bestimmten Erfüllungsort einen bestimmten Kaufgegenstand zu liefern; der Kaufpreis ist jedoch bereits bei Abschluss des Vertrages fällig49. Im Rahmen von Sukuk wird bei Vertragsschluss regelmäßig bereits die Weiterveräußerung zu einer vertraglich vereinbarten Marge vereinbart, der Verkäufer tritt dabei häufig als Beauftragter (Agent) des Käufers auf. Die Sukuk-Emittentin tritt als Käufer auf und schüttet die Differenz zwischen Kaufund Verkaufspreis an die Sukuk-Gläubiger aus50.
b) Umwandlung des vermögenswertbezogenen Risikos in ein schuldnerbezogenes Risiko
25.20 Würden Sukuk ausschließlich die sich aus dem islamischen Grundgeschäft abgeleiteten
Rechte, also das Recht an dem zugrundeliegenden Vermögenswert bzw. Ansprüche auf die Ausschüttung der aus dem Vermögenswert erwirtschafteten Erträge verbriefen, würden die Sukuk-Gläubiger nicht wie bei herkömmlichen Anleihen ein Kreditrisiko tragen, das abhängig von der jeweiligen Bonität des Emittenten oder Garanten ist. Investoren würden vielmehr das Risiko tragen, dass der Wert des Vermögenswerts am Ende der Laufzeit bzw. im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung nicht ausreicht, um beispielsweise durch Veräußerung den Rückzahlungsanspruch der Sukuk-Gläubiger zu befriedigen oder dass die aus dem Vermögenswert erwirtschafteten Erträge nicht ausreichen, um die Zahlungsansprüche der Gläubiger während der Laufzeit zu erfüllen.
25.21 Aus diesem Grund geht der eigentliche Schuldner51, dessen Funktion mit der einer Garantin bei konventionellen Anleihen vergleichbar ist, Verpflichtungen gegenüber der Emittentin der Zertifikate ein, die das den Vermögenswerten immanente Risiko kompensieren52. Diese Verpflichtungen sind wohl das wichtigste Element jeder Sukuk-Struktur. Der eigentliche Schuldner übernimmt durch vertragliche Vereinbarungen das Risiko, dass der Veräußerungserlös der Vermögenswerte bzw. der aus diesen erwirtschaftete Profit
47 48 49 50 51 52
Vgl. Siebel, BKR 2002, 98. Müller, WM 2008, 102, 105 m.w.N. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 119, 152; El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 30. Müller, WM 2008, 102, 105. In der englischsprachigen Dokumentation grundsätzlich als Obligor bezeichnet. Müller, WM 2008, 102, 105.
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nicht ausreicht, um die Ansprüche der Sukuk-Gläubiger an den jeweiligen Fälligkeitsterminen zu befriedigen. Dies kann in Form einer Garantie oder Liquiditätsfazilität (Liquidity Facility) geschehen, in der Praxis wird jedoch hauptsächlich die sog. Kaufverpflichtung genutzt53. Durch die Kaufverpflichtung des Schuldners kann die Emittentin die Rückabwicklung bzw. Auflösung der Transaktion zu Lasten des Schuldners verlangen. Es ist jedoch zu beachten, dass formal die Ansprüche der Gläubiger nur aus den SukukVermögenswerten erfüllt werden können, durch die Ausgestaltung der Kaufverpflichtung, insbesondere durch Festlegung des Kaufpreises in Höhe der Ansprüche der Zertifikategläubiger, wird jedoch erreicht, dass etwaige negative Veränderungen des Marktwertes ausschließlich zu Lasten des Schuldners gehen. Dadurch wird die Struktur von einer vermögenswertbasierten in eine schuldnerbasierte Struktur umgewandelt und somit mit herkömmlichen Anleihen vergleichbar. Denn die Sukuk-Gläubiger tragen nicht mehr das Risiko, dass der Vermögenswert, auf dem die islamische Struktur beruht, nicht ausreichend werthaltig ist bzw. nicht die Erzielung ausreichender Profite ermöglicht. Vielmehr tragen sie das Risiko, dass der Schuldner seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Emittentin nicht erfüllen kann, wenn Ausgleichszahlungen erforderlich werden54. Es ist jedoch zu beachten, dass Kaufverpflichtungen inzwischen im Zusammenhang mit Muscharakah- und Mudaraba-Sukuk – die ein quasi eigenkapitalähnliches Investment zum Gegenstand haben – in Bezug auf ihre Schari’a-Konformität weitgehend kritisch gesehen werden, wenn diese auf einem zu Laufzeitbeginn festgelegten Festpreis beruhen. Auslöser hierfür war eine Entscheidung des Schari’a Board der AAOIFI55. Sukuk-Strukturen mit Kaufverpflichtungen mit einem Festpreis findet man deshalb in der Praxis vor allem noch bei Strukturen, denen ein materieller Vermögenswert in Form einer Sache zugrunde liegt, beispielsweise als Ijara-Sukuk. Quasi Eigenkapital-Strukturen wie bei Muscharakah- und Mudaraba-Sukuk findet man in der aktuellen Markpraxis aufgrund dieser Herausforderung kaum noch. Diese Strukturen wären jedoch grundsätzlich nach wie vor denkbar, so sollte es bei einer Anwendung variabler Kaufpreise durch anderweitige Ausgleichsansprüche möglich sein, ein vergleichbares wirtschaftliches Ergebnis zu erzielen.
25.21a
Es ist deshalb zwischen dem Schuldner in der Gesamtstruktur („Schuldner“) und der Zweckgesellschaft als Emittentin der Sukuk und Zertifikateschuldnerin zu unterscheiden.
25.22
c) Verbriefung Schari’a-konformer Ansprüche Eine weitere Besonderheit von Sukuk ist, dass die Sukuk-Vermögenswerte von der Emittentin grundsätzlich in ein Treuhandvermögen56zugunsten der Zertifikategläubiger eingebracht werden. Durch die Zertifikate wird dann das Miteigentum an dem Treuhandvermögen verbrieft. Die Sukuk werden deshalb in der Praxis allgemein mit dem Begriff Treuhandzertifikate (Trust Certificates) bezeichnet. Die Zertifikategläubiger erwerben auf diese Weise einen Miteigentumsanteil57 an den Vermögenswerten proportional zu ihrem Anteil am Nominalbetrag der Sukuk sowie einen Anspruch auf einen entsprechenden Teil der 53 Müller, WM 2008, 102, 105. 54 Müller, WM 2008, 102, 105. 55 Abrufbar unter: https://islamicbankers.files.wordpress.com/2008/09/aaoifi_sb_sukuk_feb2008_eng. pdf (Stand 27.6.2018). 56 In der Praxis handelt es sich regelmäßig um einen Trust nach englischem Recht. 57 Bei diesem Anspruch handelt sich im Falle eines Trust nach englischem Recht grundsätzlich um einen eigentumsähnlichen Anspruch, dem sog. beneficial ownership.
Müller | 875
25.23
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daraus erzielten Erträge58. Dies ist erforderlich, da nur so eine unmittelbare Beteiligung der Zertifikategläubiger erreicht werden kann. Würden die Sukuk lediglich einen Anspruch auf Rückzahlung und Vergütung von den der Emittentin zur Investition in das islamische Geschäftsmodell zur Verfügung gestellten Mitteln verbriefen, würden die Gläubiger de facto nur eine Vergütung für das zur Verfügung stellen von Geld erhalten. Dies würde einen Verstoß gegen das Riba-Verbot darstellen59. Denn der Umstand, dass die Emittentin mit dem Emissionserlös ein Schari’a-konformes Geschäft tätigt, wäre allein nicht ausreichend, um eine Vergütung der Sukuk-Gläubiger nach islamischen Rechtsgrundsätzen zu rechtfertigen. Denn wie bereits dargestellt, ist es erforderlich, dass die Gläubiger selbst ein gewerbliches Risiko eingehen, das nicht im reinen Bereitstellen von Geld liegen kann. Durch den Erwerb des Miteigentums an den Sukuk-Vermögenswerten wird eine direkte Beteiligung der Investoren an diesem gewerblichen Risiko erreicht60.
III. Dokumentation von Sukuk 25.24 Die Dokumentation islamischer Zertifikate lässt sich in zwei Teilbereiche aufteilen: Die
Verträge und Dokumente, welche die islamische Struktur abbilden oder sich darauf beziehen, werden oft als Islamische Dokumente (Islamic Documents) bezeichnet; die Dokumente, die sich unmittelbar auf die Übernahme oder die Platzierung der Zertifikate beziehen, bezeichnet man als Kapitalmarktdokumente (Capital Markets Documents) oder Transaktionsdokumente (Transaction Documents)61.
1. Islamische Dokumente a) Islamischer Vertrag
25.25 Der das islamische Grundgeschäft abbildende Vertrag („islamischer Vertrag“), beispiels-
weise bei einem Mudaraba-Sukuk der Mudaraba-Vetrag, ist die Basis der islamischen Dokumente. Die Ausgestaltung des islamischen Vertrages ist sehr stark abhängig von den Umständen der jeweiligen Transaktion, sie folgt aber den bereits dargestellten Konzepten. Insbesondere dieser Vertrag ist eng mit den islamischen Rechtsgelehrten abzustimmen, da die einzelnen Regelungen dieses Vertrages grundlegenden Einfluss auf die Schari’a-Konformität der Transaktion haben62.
25.26 Die jeweilige Struktur kann es erforderlich machen, dass Zweckgesellschaften gegründet
werden, dass Rechte übertragen werden oder dass das Eigentum an Sachen übertragen bzw. belastet wird. Insbesondere im Falle von Ijara-Sukuk sind sachenrechtliche Verfügungen erforderlich. Ein tatsächlicher Eigentumsübergang ist in der Praxis allerdings eher
58 Die AAOIFI definiert Sukuk deshalb als „Investment Sukuk are certificates of equal value representing undivided shares in ownership of tangible assets, usufruct and services or (in the ownership of) the assets of particular projects or special investment activity, however, this is true after receipt of the value of the Sukuk, the closing of subscription and the employment of funds received for the purpose for which the Sukuk were issued.“ Shari’a Standard, No. 17, S. 468, Mai 2003, abrufbar unter: http://aaoifi.com/shariaa-standards/?lang=en (Stand 27.6.2018). 59 Müller, WM 2008, 102, 106. 60 Müller, WM 2008, 102, 106. 61 Müller, WM 2008, 102, 106. 62 Müller, WM 2008, 102, 106.
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die Ausnahme. Immobilien werden in der Praxis im Allgemeinen dinglich belastet und nicht tatsächlich übertragen. Eine Übertragung des Eigentums kommt eher bei Mobilien, beispielsweise Flugzeugen, vor. Jene Übertragungen, Belastungen und anderen erforderlichen Verfügungen richten sich in der Regel nach lokalem Recht. Erforderlich ist dies gerade bei sachenrechtlichen Verfügungen mit der Folge, dass der islamische Vertrag und gegebenenfalls die weiteren islamischen Dokumente deshalb häufig lokalem Recht unterliegen63. Islamisches Recht, d.h. die Schari’a, wird in der Praxis generell nicht auf die islamischen Verträge oder die Transaktionsdokumente angewendet. Denn die Schari’a ist als nicht kodifizierte Rechtsordnung aufgrund unterschiedlicher Auslegungen durch islamische Gelehrte verschiedener Rechtsschulen und der sich daraus ergebenden Interpretationsspielräume zu unbestimmt, um sie auf Verträge anzuwenden64. Im Gegensatz zu herkömmlichen Finanzierungsformen erfordern die islamischen Geschäftsmodelle aus den dargestellten Gründen, dass die Partei, die eine Vergütung erhält, ein Risiko trägt, um diesen Profit zu rechtfertigen. Dies würde jedoch dazu führen, dass ein finanzierendes Kreditinstitut, bzw. im Falle von Sukuk die Zertifikategläubiger, Risiken übernehmen, die diese bei konventionellen Finanzierungen nicht tragen müssen. Um für Sukuk-Investoren vergleichbare Risikoprofile anbieten zu können wie bei herkömmlichen Anleihen, werden meist in den islamischen Vertrag Regelungen aufgenommen oder Nebenvereinbarungen getroffen, welche diese Risiken, soweit unter islamischem Recht möglich, wieder an den Schuldner übertragen. Das kann im Falle eines Ijara-Sukuk, dem eine Immobilie des Schuldners als Vermögenswert zugrunde liegt, beispielsweise ein Servicevertrag sein, der sämtliche Erhaltungspflichten auf den Schuldner als Beauftragten (Agent) überträgt65. Überdies kommt der Abschluss von Versicherungen in Betracht, um Risiken an Dritte zu übertragen66. Diese Nebenvereinbarungen unterliegen in der Regel dem gleichen Recht wie der islamische Vertrag. Die Grenzen dieser Risikoallokation ergeben sich aus dem islamischen Recht, da die islamische Struktur als solche erhalten bleiben muss. Deshalb sind insbesondere Freistellungsansprüche (Indemnities) sehr sorgfältig auf ihre Schari’a-Konformität zu prüfen67. Allerdings ist es in der Praxis möglich, die Risikoverteilung weitgehend einer herkömmlichen Finanzierung anzunähern68.
25.27
Darüber hinaus sollte sichergestellt sein, dass der Emittentin zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen ausreichend Mittel für Zahlungen an die Zertifikategläubiger zur Verfügung stehen, um eine vorzeitige Rückzahlung der Zertifikate wegen Verzuges zu vermeiden. Wenn dies durch die jeweilige Sukuk-Struktur nicht sichergestellt werden kann, gehen die Schuldner häufig Verpflichtungen ein, die eine ausreichende Liquidität der Emittentin sicherstellen. Diese Verpflichtungen sehen dann vor, dass der Schuldner im Falle, dass die Erträge, welche aus den Sukuk-Vermögenswerten erwirtschaftet werden, nicht ausreichen,
25.28
63 Müller, WM 2008, 102, 106. 64 Zu diesem Schluss kommt auch der englische Court of Appeal in seiner Entscheidung in der Sache Shamil Bank v Beximco aus dem Jahr 2004 ([2004] 1 WLR 1784, erstinstanzliche Entscheidung des High Court of England and Wales [2003] EWHC 2118 (Comm)), vgl. dazu Bälz, IPRax 2005, 44 ff.; vgl. zur Rechtswahl unter deutschem Recht Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 162; Bälz, WM 1999, 2443, 2448; Siebel, BKR 2002, 98, 99; zum islamischen Recht in der Schiedsgerichtsbarkeit vgl. Adolphsen/Schmalenberg, SchiedsVZ 2007, 57 ff. 65 Müller, WM 2008, 102, 106. 66 Müller, WM 2008, 102, 106. 67 Müller, WM 2008, 102, 106. 68 Zu den Risiken für Banken im Zusammenhang mit islamischen Bankgeschäften vgl. Wegen/ Wichard, RIW 1995, 826, 829.
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die Differenz zu fälligen Zahlungen unter den Zertifikatebedingungen an die Emittentin zur Weiterleitung an die Sukuk-Gläubiger zu zahlen hat69. Solche Verpflichtungen sind beispielsweise bei Mudaraba-Sukuk erforderlich, bei denen die Erträge aus den Mudaraba-Vermögenswerten nicht absehbar sind. Bei einem Ijara-Sukuk, bei dem die Schuldnerin innerhalb des Ijara-Vertrages bereits Zahlungsverpflichtungen für die Nutzung der IjaraVermögenswerte eingegangen ist, die eine ausreichende Liquidität der Emittentin an den jeweiligen Fälligkeitsterminen sicherstellen, sind solche Verpflichtungen der Schuldner in der Regel nicht erforderlich.
25.29 In der Praxis wird in aller Regel darauf geachtet, dass durch den islamischen Vertrag keine
Gesellschaft begründet wird. Das Verhältnis der Parteien wird ausschließlich vertragsrechtlich gestaltet, denn es liegt im Interesse der Parteien, dass sich das Rechtsverhältnis abschließend aus den Bestimmungen des Vertrages ergibt. Insbesondere die Anwendung lokalen Gesellschaftsrechts liegt nicht im Interesse der Parteien70. b) Kauf- und Verkaufsverpflichtung
25.30 Neben dem islamischen Vertrag sind vor allem die sog. Kaufverpflichtung (Purchase Un-
dertaking) des Schuldners und die Verkaufsverpflichtung (Sale Undertaking) der die Sukuk emittierenden Zweckgesellschaft von größter Bedeutung, denn durch diese wird der Schuldner in die Sukuk-Struktur eingebunden und das vermögenswertbezogene Risiko in ein Bonitätsrisiko umgewandelt71. Durch die Kaufverpflichtung verpflichtet sich der Schuldner, unter bestimmten Bedingungen bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt die jeweils der Struktur zugrunde liegenden Vermögenswerte von der emittierenden Zweckgesellschaft zu erwerben. Die Verkaufsverpflichtung enthält eine entsprechende Verpflichtung der Emittentin, die Vermögenswerte an den Schuldner zu veräußern.
25.30a
Von zentraler Bedeutung für die Funktionsweise von Sukuk-Strukturen ist es, dass die Kauf- und Verkaufsverpflichtung aus sich heraus – also isoliert von den übrigen vertraglichen Vereinbarungen des zugrunde liegenden islamischen Vertrages – durchsetzbar sind, denn sie ermöglichen die Auflösung der Struktur zu im Voraus festgelegten Werten und bestimmen so das Risikoprofil der Anleger. Die Kauf- und Verkaufsverpflichtung unterliegen deshalb immer einem in Finanzmarktkreisen anerkannten Recht und sehen einen entsprechenden Gerichtsstand vor. Dies ist in der Praxis in der Regel englisches Recht und als Gerichtsstand werden englische Gerichte vorgesehen.
25.31 Die Verpflichtungen sind in der Regel als einseitige förmliche Erklärungen (deed) unter
englischem Recht ausgestaltet, und sie enthalten grundsätzlich das Muster eines detaillierten Kaufvertrags sowie der jeweiligen Ausübungserklärung (exercise notice). Eine Ausgestaltung der Kauf- und Verkaufsverpflichtung nach deutschem Recht ist jedoch unproblematisch möglich, denkbar wäre dies insbesondere in Form eines gegenseitigen Vertrages.
25.32 Diese Verpflichtungen ermöglichen der Emittentin, die Rückabwicklung bzw. Auflösung
(dissolution) der jeweiligen islamischen Struktur durch Übertragung der Vermögenswerte an den Schuldner gegen Zahlung eines festgelegten Betrages zu verlangen. Dieses Recht ist
69 Müller, WM 2008, 102, 106 f. 70 Vgl. zur Qualifikation des islamischen Vertrages sowie kollisionsrechtlichen Fragen Bälz, WM 1999, 2443, 2447 ff. 71 Müller, WM 2008, 102, 107.
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erforderlich, da die Emittentin durch die Auflösung vom Schuldner die für die Befriedigung der Ansprüche der Sukuk-Gläubiger benötigten Mittel erhält. Deshalb sollte der Kaufpreis auch mindestens dem Rückzahlungsbetrag entsprechen, den die Emittentin an die Zertifikategläubiger gemäß den Bedingungen der Sukuk zu zahlen verpflichtet ist72. Die Rückzahlung des Gesamtnennbetrages der Zertifikate wird – wie bei herkömmlichen Anleihen – grundsätzlich bei Endfälligkeit bzw. im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung fällig. Bei konventionellen Anleihen finden sich Kündigungsgründe bzw. Kündigungsrechte in den Anleihebedingungen. Bei Sukuk sind entsprechende Regelungen bezüglich des Schuldners, der in diesem Zusammenhang eine mit einer Garantin bei herkömmlichen Schuldverschreibungen vergleichbare Funktion hat, jedoch nicht in den Bedingungen der Zertifikate, sondern in der Kaufverpflichtung bzw. in der Verkaufsverpflichtung enthalten, denn diese regeln die Auflösung der Sukuk-Struktur73. Kündigungsgründe bzw. Kündigungsrechte werden deshalb in diesem Zusammenhang als Auflösungsereignisse (dissolution events) bezeichnet. Soweit diese Rechte den Gläubigern bzw. der Emittentin zustehen, sind diese Bestandteil der Kaufverpflichtung; Kündigungsrechte des Schuldners, beispielsweise aus steuerlichen Gründen, sind Bestandteil der Verkaufsverpflichtung. Die Auflösung am Ende der Laufzeit wird üblicherweise als vorgesehene Auflösung (scheduled dissolution) bezeichnet74. Die Ausübung von Auflösungsrechten erfordert grundsätzlich die Abgabe der Ausübungserklärung, diese ist jedoch für eine Auflösung zum vorgesehenen Auflösungstag (scheduled dissolution date) nicht erforderlich. Die Zertifikatebedingungen beziehen sich wiederum auf die Regelungen der Kauf- bzw. Verkaufsverpflichtung, so dass sich diese Regelungen decken bzw. ergänzen. Der Eintritt eines Auflösungsereignisses und, soweit erforderlich, die Ausübung des sich daraus ergebenden Auflösungsrechts führen somit auch immer zur Rückzahlung der Zertifikate75. Es ist jedoch zu beachten, dass die Emittentin nur zur Auszahlung der vom Schuldner erhaltenen Beträge verpflichtet ist. Die Bindung der Sukuk an das Bestehen der islamischen Struktur ist zwingend, da sichergestellt sein muss, dass die Zertifikate nicht fortbestehen können, wenn die Bedingungen entfallen, welche die Schari’a-Konformität sicherstellen. Die Kauf- und Verkaufsverpflichtung und die sich daraus ergebende Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung sind auch deshalb für den Schuldner von größter Bedeutung, da durch sie sichergestellt wird, dass es im Falle eines Verzuges der Emittentin nicht zu einer Verwertung der Vermögenswerte durch die Sukuk-Gläubiger kommt, denn dies liegt in der Regel nicht im Interesse des Schuldners76.
25.33
Die in konventionellen Anleihebedingungen enthaltenen marktüblichen Verpflichtungen (covenants) des Schuldners, wie beispielsweise eine Negativverpflichtung (negativ pledge), sind ebenso in der Kaufverpflichtung enthalten77.
25.34
Darüber hinaus enthält die Kaufverpflichtung auch Zusicherungen und Gewährleistungen des Schuldners, die im Zusammenhang mit konventionellen Anleihen Bestandteil des Übernahmevertrages zwischen den Platzeuren, der Emittentin und der Garantin sind78. 72 Zur Problematik von Festpreiskaufverpflichtungen im Zusammenhang mit Muscharakah- und Mudaraba-Sukuk vgl. Rz. 25.21 ff. 73 Müller, WM 2008, 102, 107. 74 Müller, WM 2008, 102, 107. 75 Müller, WM 2008, 102, 107. 76 Müller, WM 2008, 102, 107. 77 Müller, WM 2008, 102, 107. 78 Müller, WM 2008, 102, 107.
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25.34a
Die eigenständige Durchsetzbarkeit von Kauf- und Verkaufsverpflichtungen ist jedoch aktuell im Falle des Dana Gas Sukuk umstritten und entsprechende Rechtsstreitigkeiten sind sowohl vor den englischen Gerichten und den Gerichten der Vereinigten Arabischen Emiraten anhängig. Konkret wird die Durchsetzbarkeit der Kaufverpflichtung von dem Schuldner der Struktur, Dana Gas PJSC, in Frage gestellt. Hintergrund des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Kaufverpflichtung zu einem festen Rückkaufpreis zulässig war (vgl. Rz. 25.21 ff.). Etwas unpräzise wird in dem Dana Gas Fall immer wieder die Frage der Schari’a-Konformität als zentrales Problem benannt. Tatsächlich geht es jedoch um die Durchsetzbarkeit der Kaufverpflichtung als eigenständige vertragliche Verpflichtung. Denn Dana Gas beruft sich darauf, dass die Kaufverpflichtung nicht durchsetzbar ist, da sie zusammen mit dem islamischen Vertrag zu sehen ist; im konkreten Fall handelt es sich um einen Mudaraba-Vertrag. In diesem Fall würden sich Beschränkungen des lokalen Handelsrechts auf die Durchsetzbarkeit der Kaufverpflichtung durchschlagen, die ähnlich der AAOIFI Festpreiskaufverpflichtungen in Bezug auf Mudaraba-Verträge für unzulässig erklären (vgl. Rz. 25.21 ff.). Grundlage hierfür sind natürlich die Grundsätze der Schari’a, allerdings ist hier sehr genau zu trennen, dass eine sich nachträglich geänderte Einschätzung zur Schari’a-Konformität der Struktur sich im Dana Gas Fall gerade nicht durchschlägt, sondern vielmehr die Beschränkungen des lokalen Rechts, die auf die gleichen Prinzipien zurückgehen wie die AAOIFI-Entscheidung.
25.34b
Englische Gerichte haben die Durchsetzbarkeit der Kaufverpflichtung jedoch bejaht, die Entscheidung ist inzwischen rechtskräftig79. Damit wird die Funktionsweise der SukukStrukturen grundsätzlich bestätigt. Sollten die sich parallel mit diesen Fragen befassten lokalen Gerichte abweichend entscheiden, könnte dies den Markt für Sukuk nachhaltig erschüttern, da die erforderliche Berechenbarkeit der Strukturen in Frage gestellt würde. Für internationale Investoren würde diese Wertpapiergattung damit wesentlich unattraktiver. c) Islamisches Rechtsgutachten und Schari’a-Einwände
25.35 Um Zertifikate als Schari’a-konform bezeichnen und somit vermarkten zu können, ist es
erforderlich, dass ein islamischer Rechtsgelehrter die Vereinbarkeit der Zertifikate mit den Gesetzen des Islam bestätigt. Ein solches Rechtsgutachten wird als Fatwa80 bezeichnet81. Im Einzelnen bestätigt dieses Gutachten nicht nur, dass die islamische Struktur Schari’akonform ist, sondern auch, dass die Dokumentation die Struktur zutreffend widerspiegelt. Das Fatwa kann von einem oder mehreren Rechtsgelehrten ausgestellt werden. Ob ein islamisches Rechtsgutachten von einem oder mehreren Gelehrten ausgefertigt wird, ist primär von zwei Faktoren abhängig. Ein Fatwa, das nur von einem Rechtsgelehrten unterschrieben wird, wird regelmäßig nur akzeptiert, wenn dieser allgemein im Markt anerkannt ist82; ist
79 https://www.ft.com/content/cdbf4690-cf2a-3cea-bbf2-55dd5891d803 (Stand 27.6.2018); https:// www.thenational.ae/business/energy/dana-gas-says-appeal-against-blackrock-joining-sukuk-trialrejected-1.685318 (Stand 27.6.2018). 80 Vgl. Schacht, An Introduction to Islamic Law, S. 73. In der grundsätzlichen englischsprachigen Dokumentation wird auch der Begriff Pronouncement verwendet. 81 Zu wettbewerbsrechtlichen Aspekten der Werbung mit Angaben zur Schari’a-Konformität und zur Prospekthaftung für unrichtige Angaben zur islamischen Erlaubtheit einer Anlage vgl. Bälz, BKR 2002, 447, 451. 82 Zudem ist zu beachten, dass die Zugehörigkeit der Aussteller zu bestimmten Rechtsschulen und die sich daraus ergebende unterschiedliche Auslegung der Schari’a Einfluss auf die Akzeptanz des Fatwa hat. Vor allem die Auslegung des islamischen Rechts durch Rechtsgelehrte aus
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dies nicht der Fall, wird grundsätzlich die Ausstellung durch ein sog. Shari’a-Board83 erforderlich, das üblicherweise mit mindestens drei Rechtsgelehrten besetzt ist, von denen wenigstens zwei das Rechtsgutachten unterzeichnen. Zum anderen können auch lokale Börsenvorschriften die Ausfertigung des Fatwa durch mehr als eine Person erforderlich machen84. Welcher Rechtsgelehrte bzw. welches Shari’a Board ein Fatwa ausstellt, ist von dessen Zweck abhängig. Im Falle von Sukuk-Transaktionen werden zumindest der Emittent und die die Transaktion begleitenden Banken ein Fatwa in Auftrag geben, das zum einen der Vermarktung und zum anderen ggf. Listing-Zwecken dient. Daneben kann es jedoch weitere Fatwas geben, die potentielle Investoren selbst in Auftrag geben. Insbesondere Institutionen, die ausschließlich Schari’a-konform tätig sind, unterhalten eigene Shari’a Boards, um sicherzustellen, dass alle erworbenen oder vertriebenen Produkte den eigenen Vorgaben genügen85.
25.36
Das Fatwa sollte grundsätzlich vor Beginn des Angebots der Sukuk, also in der Regel vor Beginn einer Roadshow, ausgestellt werden. Sollte dies nicht möglich sein, sollte zumindest eine Bestätigung des ausstellenden Rechtsgelehrten vorliegen, die besagt, dass die Struktur gebilligt werden wird. Andernfalls könnten Änderungen in der Struktur die Anpassung von Dokumenten, etwa des islamischen Vertrages oder des Prospekts, erforderlich machen, die bereits unterzeichnet oder gebilligt sind. Das Fatwa selbst wird jedoch in der Regel nicht veröffentlicht, es ist jedoch den Investoren auf Verlangen zugänglich86.
25.37
Doch auch wenn ein Fatwa vorliegt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einhaltung der Regeln der Schari’a in Frage gestellt werden. Es besteht dann die Gefahr, dass auch die Wirksamkeit der Transaktion in Frage gestellt wird, man spricht insoweit vom Schari’a-Risiko87. Im Falle von Sukuk geben die Parteien üblicherweise keine Gewährleistungen in Bezug auf die Schari’a-Konformität ab. Es wird lediglich die Vorlage eines Fatwa als Auszahlungsvoraussetzung vorgesehen. Darüber hinaus wird auch gegenüber Investoren keine Gewährleistung für die Schari’a-Konformität übernommen88. Möchte man dennoch ausdrücklich Einwände in diesem Zusammenhang ausschließen, so besteht die Möglichkeit in die Dokumentation einen Waiver of Sharia Defence aufzunehmen. Der Investor verpflichtet sich, durch diese Klausel auf Einwände in Bezug auf die Wirksamkeit zu verzichten, soweit sich diese auf Schari’a-Prinzipien stützen89. Das Schari’a-Risikio ist jedoch sehr genau von Fragen der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen zu unterscheiden, die sich aus der Sukuk-Dokumentation, insbesondere aus den Kauf- und Verkaufsverpflichtungen ergeben (vgl. Rz. 25.34 ff.).
25.38
83 84 85 86 87 88 89
dem asiatischen Raum (insbesondere Malaysia) wird im arabischen Raum oft als zu liberal angesehen. Aus diesem Grund beauftragen islamische Investoren in der Regel noch ihre eigenen Shari’a Boards mit der Erstellung eines Fatwa zusätzlich zu den von der Emittentin und den Platzeuren eingeholten islamischen Rechtsgutachten. Vgl. Bälz in Siebel, Projekte und Projektfinanzierung, Rz. 161. So sehen beispielsweise die Börsenregeln der Dubai International Financial Exchange (DIFX) vor, dass ein Fatwa von einem Shari’a Board abgegeben werden muss, die Ausstellung durch einen einzelnen Rechtsgelehrten ist nicht ausreichend. Zur Funktion von Shari’a-Boards vgl. Grieser, WM 2009, 586 f.; zum Verhältnis von Shari’a Boards zur Geschäftsleitung von Kreditinstituten vgl. Sorge, ZBB 2010, 363 ff. Müller, WM 2008, 102, 108. Dazu ausführlich Bälz, ZVglRWiss 109 (2010), 272, 287 f. Zur Prospekthaftung im Falle mangelnder Scharia-Konformität vgl. Casper, CFL 2012, 170, 174 ff. Dazu ausführlich Bälz, ZVglRWiss 109 (2010), 272, 288.
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2. Kapitalmarktdokumente 25.39 Die Kapitalmarktdokumente umfassen grundsätzlich die gleichen Verträge und sonstigen
Dokumente wie dies bei einer konventionellen Anleiheemission üblich ist. Dazu zählen in erster Linie der Wertpapierprospekt, der Übernahmevertrag, der Zahlstellenvertrag sowie der Treuhandvertrag (declaration of trust). Die Dokumente richten sich in der Praxis in der Regel nach englischem Recht90. Eine Dokumentation unter deutschem Recht ist jedoch ebenso möglich und kommt in der Praxis auch durchaus vor, so bspw. der IjaraSukuk des Landes Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2004, wobei die Begebung der islamischen Zertifikate aus steuerlichen Gründen über eine niederländische Stiftung (Stichting Sachsen Anhalt Trust) erfolgte.
25.40 Der Wertpapierprospekt dient grundsätzlich primär der Börsenzulassung der islamischen
Zertifikate. Ein prospektpflichtiges öffentliches Angebot der Sukuk findet üblicherweise nicht statt, der Prospekt wird Investoren jedoch zur Verfügung gestellt. Der Inhalt des Prospekts richtet sich grundsätzlich nach dem jeweils einschlägigen Prospektrecht, entspricht jedoch weitgehend dem im europäischen Markt üblichen Standard. Prospekte, die innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums gemäß den Regelungen der EU-Prospektrichtlinie91 (RL 2003/71/EG) bzw. der nationalen Umsetzungsgesetze gebilligt werden, enthalten jedoch im Gegensatz zu Prospekten, die außerhalb des Anwendungsbereichs der EUProspektrichtlinie gebilligt wurden, häufig keinen Hinweis auf das Fatwa, um Angaben gemäß Anhang IX Nr. 13 der EU-Prospektverordnung92 (VO 2017/1129) zu vermeiden93.
25.41 Der Übernahmevertrag unterscheidet sich nur unwesentlich von entsprechenden Verträ-
gen im Zusammenhang mit herkömmlichen Anleiheemissionen. Ähnlich wie eine Garantin bei konventionellen Anleihen gibt der Schuldner ebenso wie die Emittentin die marktüblichen Zusicherungen und Gewährleistungen ab. Auch der Zahlstellenvertrag unterscheidet sich nicht von vergleichbaren Vereinbarungen im Zusammengang mit herkömmlichen Schuldverschreibungen94.
25.42 Aufgrund der dargestellten Erfordernisse des islamischen Rechts ist der Treuhandvertrag (declaration of trust) ein unerlässlicher Teil der Transaktionsdokumente. Durch diesen
90 Müller, WM 2008, 102, 108. 91 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, abgedruckt in ABl. EG Nr. L 345 v. 31.12.2003, S. 64 ff., in seiner geänderten Fassung, zuletzt geändert durch Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 (ABl. EU Nr. L 327 v. 11.12.2010, S. 1 ff.). 92 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG); die Verordnung wird nun schrittweise die Prospektrichtlinie und die auf ihr beruhende nationale Umsetzungsgesetzgebung ablösen. Übergangsweise gelten auch weiterhin die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, abgedruckt in ABl. EG Nr. L 186 v. 18.7.2005, S. 3 ff., in seiner geänderten Fassung. 93 Müller, WM 2008, 102, 108. 94 Müller, WM 2008, 102, 108.
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Vertrag wird das Treuhandvermögen zugunsten der Zertifikategläubiger begründet. Dieser Vertrag regelt detailliert, welche Vermögenswerte unter welchen Voraussetzungen in den Trust eingebracht werden sowie die Ansprüche der Vertragsparteien und der Sukuk-Gläubiger95. Die Emittentin wird grundsätzlich im Treuhandvertrag als Treuhänder bestimmt, sie delegiert jedoch alle Rechte und Pflichten unbedingt und unwiderruflich an eine dritte Partei, die in der Regel als Delegate bezeichnet wird96. Die Emittentin in ihrer Funktion als Treuhänder ist dann nicht mehr berechtigt, diese Rechte selbst auszuüben. Das islamische Recht erfordert es, dass der Emittent selbst Treuhänder ist; somit ist es nicht wie bei herkömmlichen Anleihen möglich, direkt eine dritte Partei als Treuhänder zu bestimmen, durch die Delegation wird jedoch praktisch dasselbe Ergebnis erreicht97. Der Inhalt des Treuhandvertrages entspricht weitgehend dem Inhalt vergleichbarer Verträge im Rahmen herkömmlicher Anleihen unter englischem Recht, die eine Treuhandstruktur nutzen. Allerdings enthalten sie zudem häufig einige grundlegende Zusicherungen und Gewährleistungen (representations and warranties) der Emittentin gegenüber den Sukuk-Gläubigern wie sie in den Übernahmeverträgen für herkömmliche Schuldverschreibungen zu finden sind. Diese Marktpraxis ist jedoch nicht auf Anforderungen des islamischen Rechts zurückzuführen98. Die Zertifikatebedingungen unterscheiden sich hauptsächlich durch zwei Besonderheiten von den Bedingungen herkömmlicher Anleihen. Zum einen enthalten sie detaillierte Regelungen, die sich aus der Treuhandstruktur ergeben. Diese umfassen insbesondere die Darstellung des Trust und die sich daraus ergebenden Rechte der Gläubiger, Regelungen zur Zahlung von Erträgen sowie Bestimmungen im Hinblick auf die Auflösung des Treuhandvermögens99. Zum anderen sind in den Bedingungen nur ein Teil der Auflösungsereignisse, die den Kündigungsgründen bei konventionellen Schuldverschreibungen entsprechen, enthalten100. Auflösungsereignisse bezüglich der Emittentin sind Bestandteil der Sukuk-Bedingungen, Auflösungsereignisse in Bezug auf den Schuldner werden jedoch nur durch Verweis auf die Kaufverpflichtung Bestandteil der Bedingungen101. Die Zertifikatebedingungen enthalten zudem, wie herkömmliche Anleihebedingungen, häufig die marktüblichen Verpflichtungen (covenants) der Emittentin.
25.43
IV. Abgrenzung von Sukuk und Asset Backed Securities Sukuk werden zum Teil als Asset Backed Securities („ABS“) bezeichnet102. Diese Einordnung ist jedoch nicht zutreffend103. Dies wird schon aus der Bezeichnung der die Vermögenswerte zur Verfügung stellenden Partei deutlich. Beim Sukuk wird diese, wie bereits ausgeführt, als Schuldner, Obligor, bezeichnet; bei einer ABS-Transaktion wäre diese lediglich ursprünglicher Inhaber, Originator104. Islamische Zertifikate basieren zwar auf einem 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104
Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 108. Müller, WM 2008, 102, 107. Bolsinger/Breschendorf, ZBB 2009, 460, 465; El Mogaddedi, Die Bank 8.2002, 28, 29. Müller, WM 2008, 102, 108. Zeising, BKR 2007, 311, 312.
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25.44
§ 25 | Islamic Finance
konkreten Vermögensgegenstand, ein True Sale, der für eine echte ABS-Transaktion erforderlich wäre105, findet jedoch in der Sukuk-Praxis grundsätzlich nicht statt. Ein True Sale würde dazu führen, dass der Vermögenswert als Bilanzposition aufgelöst werden würde106. Die Mehrheit der Schuldner will häufig jedoch nicht, dass die für eine Sukuk-Emission zur Verfügung gestellten Vermögenswerte nicht mehr in ihrer Bilanz geführt werden. Wie bereits erläutert, findet häufig nicht einmal ein Eigentumsübergang statt, das Eigentum wird in der Regel nur dinglich belastet bzw. der Emittentin werden eigentumsähnliche Rechte eingeräumt. Ebenso liegt eine Vollstreckung durch Zertifikategläubiger im Falle eines Verzugs in die Vermögenswerte nicht im Interesse des Schuldners. Denn die Verfügbarkeit der Vermögenswerte, die beispielsweise bei Ijara-Sukuk als Mietobjekt vom Schuldner an die Emittentin übertragen werden, ist oft von größter Bedeutung für den Schuldner. Durch die Übernahme des vermögenswertbezogenen Risikos durch den Schuldner haben die Gläubiger deshalb mittelbar Rückgriff auf den Schuldner, nicht nur auf die Emittentin und die Vermögenswerte. Der Schuldner trägt somit weiterhin das Risiko des Ausfalls des Vermögenswertes, bei einer klassischen True Sale-Transaktion müsste dieses Risiko die übernehmende Partei, also die Emittentin, tragen107. Aus diesem Grund sind Sukuk-Transaktionen auch nicht mit synthetischen ABS-Transaktionen vergleichbar, bei denen das Risiko des Ausfalls des Vermögenswertes durch den Einsatz von Derivaten auf die Zweckgesellschaft übertragen wird108. Folglich sind Sukuk keine ABS. Da sie aber auch wesentliche Unterschiede zu konventionelle Anleihen aufweisen, insbesondere durch die Verbriefung des Miteigentums an den Sukuk-Vermögenswerten, sind islamische Zertifikate als Vermögenswert basierte Wertpapiere sui generis einzuordnen.
105 106 107 108
Zeising, BKR 2007, Zeising, BKR 2007, Zeising, BKR 2007, Vgl. Pannen/Wolff,
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311, 312. 311, 312. 311, 312. ZIP 2006, 52, 53; Litten/Cristea, WM 2003, 213, 214.
§ 26 Schuldscheindarlehen I. Begriff/Erscheinungsformen . . II. Vor- und Nachteile gegenüber anderen Finanzierungsformen .
_ _ _ _ __ __ __ __ __ __ __ _ __ __ __ _ __
26.1 26.7
III. Versicherungsaufsichtsrechtliche Bestimmungen . . . . . . . . 26.14 1. Anforderungen der §§ 124 ff. VAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.14a 2. Anforderungen für kleine Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Sterbekassen . . 26.15 IV. Rechtliche Einordnung . . . . . . 26.22 1. Direktes System . . . . . . . . . . . 26.23 2. Indirektes System . . . . . . . . . . 26.25 V. Platzierungsabreden . . . . . . . . 26.28 VI. Schuldscheindarlehensverhältnis 1. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . a) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auszahlungsvoraussetzungen . c) Laufzeit und Tilgung . . . . . . d) Verzinsung . . . . . . . . . . . . . e) Rangverhältnis . . . . . . . . . . f) Negativerklärung (mit covenants) . . . . . . . . . . . . . g) Sicherheiten . . . . . . . . . . . . aa) Bürgschaften und Garantien . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verpfändung oder Sicherungsübereignung von Wertpapieren . . . . . . . . cc) Grundpfandrechte . . . . . h) Informationspflichten . . . . . . 2. Vertragsstörungen . . . . . . . . . a) Verzug . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung . . . . . . . . . . . . . aa) Ordentliche Kündigung . . bb) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . cc) Kündigungserklärung . . .
26.30 26.30 26.30 26.32 26.35 26.39 26.43 26.44 26.50 26.51 26.54 26.55 26.58 26.60 26.60 26.62 26.62 26.71 26.82
_ _ __ _ __ _ _ __ __ _ _ _ _ __ _ _ __ __ _
dd) Ansprüche bei vorzeitiger Kündigung . . . . . . . . . . 26.85 3. Aufrechnung und Ausübung sonstiger Gegenrechte . . . . . . . 26.87 VII. Weitergabe an Endkreditgeber . 1. Abtretungsmodell . . . . . . . . . . a) Abtretungsvertrag . . . . . . . . b) Rechtskauf als schuldrechtliches Grundgeschäft . . . . . . c) Wirkungen der Abtretung . . . d) Auswirkungen für den Darlehensnehmer . . . . . . . . . . . . e) Ausübung von Gestaltungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . f) Restrukturierung des Darlehens nach erfolgter Abtretung g) Bedeutung des Schuldscheins . 2. Vertragsübernahmemodell . . . . a) Übernahmevertrag . . . . . . . . b) Rechtskauf als schuldrechtliches Grundgeschäft . . . . . . c) Wirkungen der Vertragsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auswirkungen für den Darlehensnehmer . . . . . . . . . . . . e) Ausübung von Gestaltungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zahlstellendienst des Kreditinstituts . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichten der Zahlstelle . . . . 2. Haftung der Zahlstelle . . . . 3. Beendigung des Zahlstellendienstes . . . . . . . . . . . . . . IX. 1. 2. 3.
Treuhandverhältnis . . . . Rechtsnatur . . . . . . . . . . Pflichten des Treuhänders Haftung des Treuhänders
. . . .
. . . .
26.91 26.91 26.91 26.95 26.96 26.99
26.102 26.104 26.106 26.107 26.107 26.108 26.109 26.111 26.112
. . 26.113 . . 26.113 . . 26.115 . . 26.117 . . . .
. . . .
26.119 26.119 26.122 26.124
X. Schlussbemerkungen . . . . . . . . 26.125
Schrifttum: BaFin, Rundschreiben 11/2017 v. 12.12.2017, abrufbar unter https://www.bafin.de/Shared Docs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/2017/rs_1711_hinweise_anlage_sicherungsvermoegen _va.html; Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, §§ 1–610, CISG, 3. Aufl. 2012 BayernLB, Fixed Income Spezial, Schuldscheindarlehen – Ein Finanzierungsinstrument „Made in Germany“, 22.7.2008; Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 5. Aufl. 2016; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Bearbeitung, 1981; EIOPA, Leitlinien zum Governance-System, EIOPABoS-14/253, abrufbar unter https://eiopa.europa.eu/publications/eiopa-guidelines/guidelines-on-sys tem-of-governance-solvency-ii; Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, 2014; Erman,
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§ 26 | Schuldscheindarlehen Bürgerliches Gesetzbuch, Band 1, 15. Aufl. 2017; Europäische Zentralbank, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 19. Dezember 2014 über die Umsetzung des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems, Amtsblatt der Europäischen Union vom 2.4.2015, L 91/3; GDV, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten durch Versicherungsgesellschaften – Schuldscheindarlehen –, 5. Aufl. 2013; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, Universitäts-/Akademieschriften 2001; Hasler/ Launer/Wilhelm, Praxishandbuch Debt Relations, 2013; Hellner/Steuer/Schröter, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblattsammlung, Stand: 130. Ergänzungslieferung 2017; Hessling/Theiselmann, ForderungsPraktiker 2010, 226; Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 3, 18; Laars/Both, NomosBundesrecht, Versicherungsaufsichtsgesetz, 4. Online-Aufl. 2017; Mucke, Negativerklärung (Negative Pledge Clauses) als Instrument der Kreditsicherung, inhaltliche Anforderungen des deutschen Rechts, WM 2006, 1804; Münchener Kommentar zum BGB, Bände 2, 3 und 4, 7. Aufl. 2016; Münchener Kommentar zum BGB, Band 5und 6, 7. Aufl. 2017; Münchener Kommentar zum HGB, Band 4, 3. Aufl. 2013; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Aufl. 2018; Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, 17. Aufl. 2017; Prölss/Dreher, Versicherungsaufsichtsgesetz, 13. Aufl. 2018; Schmitt, Schuldscheindarlehen als Alternative zum Bankkredit – Voraussetzungen und praktische Hinweise, BB 2012, 2039; Schubert, Corporate Schuldscheindarlehen als Alternative für Investoren und Emittenten, o.J.; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 1113–1203, Neubearbeitung 2015; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 397–432, Neubearbeitung 2017; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 488–490, Neubearbeitung 2015; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 620–630, Neubearbeitung 2016; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 925–984, Neubearbeitung 2017; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Auflage 1989, Vorbem. 326 ff. zu §§ 607 ff.; Steuer/Wessling, VW 2010, 1218; Wagemann, Die gestörte Vertragsübernahme, AcP 205 (2005), 547; Wehrhahn, Unternehmensfinanzierung durch Schuldscheindarlehen, BKR 2012, 363; Wilhelm, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt und das Recht der Gesellschafterdarlehen, ZHR 180 (2016), 776; Witte, Das Schuldscheindarlehen in rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, Diss. Essen/Ruhr, 1967; Wittig, Financial Covenants im inländischen Kreditgeschäft, WM 1996, 1381; Zimmermann/Werner/Kilian, Wie verbreitet sind Covenants?, Die Bank 2011, 20.
I. Begriff/Erscheinungsformen 26.1
Schuldscheindarlehen sind anleiheähnlich ausgestaltete langfristige Großkredite von Kapitalsammelstellen an Unternehmen und die öffentliche Hand. Sie haben den klassischen Konsortialkredit jedenfalls in einigen Sektoren weithin verdrängt. Typischerweise kommen sie durch Vermittlung eines Kreditinstituts oder eines Finanzmaklers zustande (Arrangeur) und werden von diesem bei einer größeren Zahl institutioneller und anderer Großanleger, z.B. Versicherungsunternehmen als den neben Kreditinstituten in der Praxis volumenmäßig bedeutsamsten Investoren, platziert (sog. Durchhandeln). Sie sind in der Regel nicht durch klassische Real- oder Personalkreditsicherheiten besichert1; vielmehr gibt der Darlehensnehmer eine Negativerklärung ab (s. Rz. 26.44 ff.). Die Refinanzierung der ersten Darlehensgeber erfolgt mittels Teilabtretungen an Dritte oder einer partiellen Vertragsübernahme durch Dritte.
26.2
Bei dem in der Praxis selten vorkommenden direkten System beschränkt sich der Arrangeur als Vermittler auf die bloße Maklertätigkeit (Darlehensvermittlung), der Abschluss des Darlehensvertrags (Kreditbedingungen, Darlehensschuldschein) erfolgt von vornherein zwischen dem oder den mehreren Kreditgebern und dem Kreditnehmer. 1 Anders bisher Berger in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2012, Vor § 488 Rz. 51: stets.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Beim indirekten System schließt der Arrangeur, z.B. ein Kreditinstitut, den Darlehensvertrag selbst ab. Er wird rechtlich der erste Kreditgeber, so dass die Kreditbedingungen für das Gesamtdarlehen einheitlich sind und auch, wenn überhaupt, nur ein Schuldschein ausgestellt wird. In der Regel noch vor Valutierung wird das Darlehen in Teilbeträgen an die Endkreditgeber gegen Vergütung weitergereicht. Diese Weitergabe erfolgt mittels Abtretung oder im Wege einer Vertragsübernahme2:
26.3
Beim Abtretungsmodell3 überträgt das Kreditinstitut entsprechend gestückelte Darlehensteilbeträge – Teilrückzahlungsforderung und anteilige Zinsansprüche – an die endgültigen Kreditgeber (Refinanzierer/Investoren), regelmäßig ergänzt um eine Abtretung auch aller (anteiligen) Nebenrechte im rechtlich möglichen Umfang sowie um die Ermächtigung des Endkreditgebers zur Geltendmachung aller Rechte im eigenen Namen. Die endgültigen Kreditgeber übernehmen die Darlehensteilforderungen regelmäßig langfristig für die gesamte Laufzeit des Kredits4 (kongruente Refinanzierung im Gegensatz zum laufzeitinkongruenten Revolvingkredit5).
26.4
Beim Vertragsübernahmemodell6 schließt das Kreditinstitut den Darlehensvertrag im eigenen Namen, überträgt aber die Rechte und Pflichten daraus mit Zustimmung des Kreditnehmers an die endgültigen Kreditgeber.
26.5
Um die Durchführung und Abwicklung des Darlehensvertrags möglichst unaufwendig zu gestalten, fungiert das arrangierende Kreditinstitut in der Regel auch als Zahlstelle. Im Einzelfall kann gegenläufig auch einmal vorgesehen sein, dass der Arrangeur zur Vereinfachung der (kollektiven) Abwicklung die Darlehensgeberrechte als Treuhänder für alle Endkreditgeber wahrnimmt. Neben einer Minderung des Verwaltungsaufwands hat dies aus Sicht des Darlehensnehmers den zusätzlichen Vorteil, dass der Personenkreis mit unmittelbarem Einblick in wichtige Geschäftsunterlagen möglichst klein bleibt. Im Falle der Besicherung des Schuldscheindarlehens durch klassische Kreditsicherheiten wird das arrangierende Kreditinstitut zudem die Stellung als Sicherheitentreuhänderin der endgültigen Kreditgeber gegenüber dem Kreditnehmer übernehmen7.
26.6
2 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 557; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.265; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 365 f.; Schmitt, BB 2012, 2039. 3 S. Rz. 26.91 ff. 4 Eine Weiterveräußerung war in der Vergangenheit unüblich und gestaltete sich aufgrund eines fehlenden Sekundärmarktes schwierig. Seit 2017 betreibt die BÖAG Börsen AG eine Schuldscheinbörse für im Umlauf befindliche Schuldscheindarlehen. Zahlen zum Umfang der gehandelten Volumina liegen noch nicht vor. 5 Bei revolvierenden Schuldscheindarlehen (Revolvingkreditvermittlungsgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 KWG) geht es wirtschaftlich um die Finanzierung eines langfristigen Kreditbedarfs durch kurzfristig verfügbare Gelder. Es revolvieren also die Kreditgeber, nicht der Kredit, in dem Sinne, dass er innerhalb einer bestimmten Laufzeit mehrmals zurückbezahlt und wieder in Anspruch genommen werden könnte. Je nachdem wie weit der Kreditvermittler sich selbst engagiert und wer das bei den jeweiligen Anschlussfinanzierungen auftretende Risiko des nicht rechtzeitigen Zustandekommens des neuen Kreditgeschäfts (Terminrisiko) und das Risiko, dass sich für Neukredite der Zinssatz erhöht (Zinsänderungsrisiko) trägt, unterscheidet man das direkte System, das indirekte System und das 7-M-System. Mangels derzeitiger praktischer Bedeutung sei für nähere Einzelheiten verwiesen auf Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 577 ff. und weitergehend Hopt/Mülbert in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Vorbem. 326 ff. zu §§ 607 ff. 6 S. Rz. 26.107 ff. Anders Früh/Müller-Arends in Hellner/Steuer/Schröter, Rz. 3/270: nur Abtretungsmodell. 7 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 559.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
II. Vor- und Nachteile gegenüber anderen Finanzierungsformen 26.7
Für den Kreditnehmer bietet dieses kapitalmarktnahe Finanzierungsverfahren einige Vorteile gegenüber der alternativen Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt durch Industrieanleihen oder öffentliche Anleihen8. Die Kreditgeber sind einzelne und nicht anonym, die Kreditbedingungen können flexibel mit ihnen abgesprochen werden, insbesondere können die Liquiditätserwartungen des Darlehensnehmers bei Festlegung der Tilgungsmodalitäten berücksichtigt werden9. Eine feste Untergrenze existiert nicht, meist werden Schuldscheindarlehen ab ca. 15 Mio. Euro ausgegeben10. Formalitäten wie bei der Emission und insbesondere die Publizität bei Börseneinführung entfallen11, wodurch sich der Zeitaufwand für die Mittelbeschaffung verringert und niedrigere Kosten anfallen12. Eine Bilanzierung durch den Kreditnehmer nach IAS/IFRS ist nicht erforderlich, vielmehr ist die HGB-Bilanzierung ausreichend. Was den Kreis der Darlehensnehmer angeht, ist die frühere Beschränkung auf emissionstaugliche erste Adressen, die für die praktische Ausgestaltung der Schuldscheindarlehensverträge prägend wirkte, seit einigen Jahren entfallen. Auch wenn als Emittenten überwiegend Unternehmen mit Investmentgrade auftreten13, finden sich unter den Kreditnehmern zunehmend auch kleine und mittelständische Unternehmen14 und der Kreditnehmerkreis wird internationaler15.
26.8
Ein Nachteil gegenüber Anleihen liegt darin, dass eine vorzeitige Tilgung in Form des Eigenerwerbs nur im Ausnahmefall möglich ist, da ein Sekundärmarkt bisher kaum existiert16. Im Übrigen verbleibt dem Kreditnehmer nur eine ordentliche Kündigung, die jedoch nur ausnahmsweise möglich sein wird und in der Regel eine Vorfälligkeitsentschädigung nach sich zieht, oder eine Vereinbarung mit Endkreditgebern darüber, den (Teil-)Kredit gegen ein frei ausgehandeltes Vorfälligkeitsentgelt abzuwickeln (dazu Rz. 26.85). Eine Restrukturierung nach Abtretung der Darlehensforderungen wird sich zudem oft schwierig gestalten, da eine Einigung mit einer Vielzahl von Gläubigern erzielt werden muss (Rz. 26.104). 8 Zum Folgenden Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 561; s. auch Früh/Müller-Arends in Hellner/Steuer/Schröter, Rz. 3/261; Schubert, Corporate Schuldscheindarlehen, S. 10 f. 9 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 561; Perridon/Steiner/Rathgeber, D.II.3.c; Schmitt, BB 2012, 2039, 2041. 10 Vgl. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 4. Bei sehr kleinen Darlehensbeträgen werden mehrere Darlehen zusammengefasst platziert. Das hat zur Folge, dass die Darlehensbedingungen nicht in gleicher Weise flexibel gestaltet werden können. Zur Möglichkeit der Verbriefung der Darlehen in diesem Fall s. Schmitt, BB 2012, 2039, 2040. 11 Zur Prospektpflicht und Prospekthaftung s. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 90. 12 S. auch Wehrhahn, BKR 2012, 363; Becker, Börsen-Zeitung v. 3.3.2018, Nr. 44, S. 6. Zur Gewinnung von Investoren ist es selbstverständlich erforderlich, die wesentlichen Informationen zur Transaktion und zum Darlehensnehmer potentiellen Investoren zu präsentieren (s. hierzu auch Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13, Rz. 26; Kuhn in Hasler/ Launer/Wilhelm, Praxishandbuch Debt Relations, Kap. 36.3, S. 553 f. 13 S. Becker, Börsen-Zeitung v. 2.12.2011, Nr. 233, S. 11 und v. 20.10.2012, Nr. 203, S. 11. 14 Seelig, Corporate Finance, 2017, S. 364 f.; Börsen-Zeitung v. 6.4.2018, Nr. 66, S. 11; Börsen-Zeitung v. 5.7.2018, Nr. 126, S. 8. 15 S. hierzu Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 17 ff.; Weiand, Börsen-Zeitung v. 13.5.2017, Nr. 92, S. 13; Becker, Börsen-Zeitung v. 3.3.2018, Nr. 44, S. 6; FAZ v. 3.5.2017, Nr. 102, S. 25: Das Ausland entdeckt den Schuldschein. 16 Allerdings gibt es mit den Schuldscheinbörsen der BÖAG Börsen AG, der Landesbank BadenWürttemberg und der HSBC Deutschland Bestrebungen, diesen auf- und auszubauen.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Anders ist dies nur, wenn der Darlehensvertrag, was in der Praxis bislang aber wohl kaum der Fall ist, besondere Regeln für eine Vertragsänderung durch einen Mehrheitsbeschluss aller Gläubiger oder eine besondere Gläubigerversammlung vorsieht. Keine Erleichterung bringt insoweit das Schuldverschreibungsgesetz (SVG), da dieses auf Schuldscheindarlehen keine Anwendung findet17, 18. Für den Kreditgeber sind Schuldscheindarlehen eine flexibel ausgestaltbare langfristige Kapitalanlage. Der Dokumentationsaufwand ist mit meist allenfalls 15 bis 20 Seiten gering19; nur im Falle strukturierter Schuldscheindarlehen mit einer Derivatkomponente ist die Dokumentation teils sehr viel umfangreicher. Der bis 2015 bestehende Schutz für Schuldscheindarlehen an Kreditinstitute für solche Investoren, die ihrerseits kein Institut sind, ist mit Einführung des Einlagensicherungsgesetzes weitgehend entfallen. Denn nach § 6 EinSiG sind insbesondere die Einlagen von Kreditinstituten, Versicherungsunternehmen und staatlichen Stellen nicht geschützt und der weitergehende Schutz des freiwilligen Einlagensicherungsfonds ist mit der Reform des Fonds zum 1.10.2017 für Schuldscheindarlehen vollständig entfallen20, 21. Schuldscheindarlehen, für die keine klassischen Kreditsicherheiten bestellt sind, gehören zudem zu den nach § 91 SAG berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten bei der Gläubigerbeteiligung (bail-in; §§ 89 ff. SAG) bei der Abwicklung eines Instituts nach Maßgabe der §§ 62 ff. SAG22. Des Weiteren unterfallen Schuldscheindarlehen dem Recht der Gesellschafterdarlehen und können daher als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu behandeln sein23. Daher ist beim direkten System entscheidend, ob der Endkreditgeber Gesellschafter ist. Beim indirekten System wirkt sich hingegen schon die Gesellschaftereigenschaft des Arrangeurs aus, welche auch Folgen für die Endkreditgeber haben kann24.
26.9
Für Kreditinstitute im Besonderen kann ein arrangiertes Schuldscheindarlehen aus mehreren Gründen eine erwägenswerte Alternative zum Konsortialkredit bilden. Ein Kreditinstitut kann hierdurch eine Kreditgrößenordnung darstellen, die ihm allein nicht möglich wäre, und die Partizipation von Versicherungen und anderen Nichtbanken als Endkreditgebern vermeidet eine andernfalls erforderliche Hinzuziehung von Wettbewerbern25. Versicherungen ihrerseits erhalten Zugang zu Marktsegmenten wie dem gehobenen Mittelstand im kapitalmarktnahen Bereich, der über Aktien und Anleihen nicht erreichbar ist26. Bei der Kreditgewährung können sie zudem die Informationsgrundlage der Kreditinstitute indirekt für sich nutzbar machen und ihre Finanzierung auf der Basis einer gesicherten Banken-
26.10
17 Aufgrund der geringeren Anzahl an Darlehensgläubigern dürfte sich die Restrukturierung eines Schuldscheindarlehens dennoch einfacher gestalten als die Restrukturierung einer Anleihe. Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 561; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 364. 18 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17 § 1 SchVG Rz. 19; Weiand, Börsen-Zeitung v. 3.3.2018, Nr. 44, S. 9. 19 Der Umfang kann bei Gebietskörperschaften noch geringer sein. S. Schmitt, BB 2012, 2039, 2040. 20 S. Artzinger-Bolten/Weiss, Börsen-Zeitung v. 23.12.2017, Nr. 247, S. 9. 21 Natürliche Personen und rechtsfähige Stiftungen sind weiterhin geschützt, aber als Darlehensgeber für Schuldscheindarlehen nicht relevant. 22 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 562; Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, 13. Kap. Rz. 5 Fn. 13. 23 Hierzu ausführlich Wilhelm, ZHR 180 (2016), 776 ff. 24 Wilhelm, ZHR 180 (2016), 776, 786. 25 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 562. 26 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 562.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
finanzierung aufbauen. Folgerichtig legen sie teils auch Wert darauf, dass das arrangierende Kreditinstitut einen kleineren Teil des Darlehens (ca. 10 %) in den eigenen Büchern behält (Selbstbehalt), damit dieses den Kreditnehmer weiterhin auch im Eigeninteresse überwacht27. Allerdings müssen Versicherungsunternehmen, die den Anlagegrundsätzen der §§ 124 ff. VAG unterliegen, zusätzlich eine eigene Kreditrisikoprüfung vornehmen28.
26.11 Beim Kreditgeber kann die Bilanzierung im Grundsatz sowohl nach IFRS/IAS als auch
nach den HGB-Bilanzierungsvorschriften zu fortgeführten Anschaffungskosten erfolgen, sodass sich Abschreibungen in volatilen Zinsphasen vermeiden lassen, wenn die Wertminderung voraussichtlich nur vorübergehend besteht29. Bei der Bilanzierung nach IFRS/IAS folgt dies aus IAS 39. Forderungen aus Schuldscheindarlehen sind als „Loans and Receivables“ einzuordnen, ggf. auch als „Held to Maturity“. Eine Ausnahme hiervon machen strukturierte Schuldscheindarlehen, die Derivate enthalten, und der Kategorie „At fair value through profit or loss“ zuzuordnen sind. Ist gemäß den HGB-Vorschriften zu bilanzieren und gehört der Darlehensrückforderungsanspruch zum Anlagevermögen, erfolgt eine Bilanzierung zu fortgeführten Anschaffungskosten (§ 253 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 5 HGB). Hierbei dürfen Kreditinstitute den Nennbetrag ansetzen, wenn der Unterschiedsbetrag zu den Anschaffungskosten Zinscharakter hat30, verbunden mit der Passivierung eines Rechnungsabgrenzungspostens in gleicher Höhe und unter planmäßiger Abschreibung des Betrags (§ 340e Abs. 1, 2 Satz 3 HGB). Für Versicherungen ist diese Möglichkeit für nach dem 31.12.2010 beginnende Geschäftsjahre entfallen (§ 341c Abs. 3 HGB)31.
26.12 Gemäß § 198 KAGB können Schuldscheindarlehen auch als Anlageobjekte für Geldmarktfonds dienen. Diese haben nach § 168 Abs. 4 KAGB allerdings nicht die Möglichkeit der Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten.
26.13 Unter bestimmten Voraussetzungen können Schuldscheindarlehen heute eine EZB-fähige
Sicherheit bilden. Seit dem 1.1.2007 gilt nämlich für notenbankfähige Sicherheiten im Eurosystem ein einheitliches Sicherheitenverzeichnis (neu gefasst im Jahr 2015), das auch nicht-marktfähige Sicherheiten erfasst. Der früher bestehende Nachteil, dass Schuldscheindarlehen nicht als Sicherheiten im Rahmen von Repo-Geschäften dienen konnten, hat sich damit zumindest teilweise erledigt. Aufgrund der hohen Anforderungen an EZB-fähige Sicherheiten32 wird ein Großteil der Schuldscheindarlehen jedoch weiterhin nicht erfasst33.
III. Versicherungsaufsichtsrechtliche Bestimmungen 26.14 Versicherungsunternehmen sind zur Darlehensvergabe regelmäßig nur bereit, wenn sich
das Darlehen zur Anlage des Sicherungsvermögens von Versicherungsunternehmen nach Maßgabe der versicherungsaufsichtsrechtlichen Bestimmungen eignet. Nach der Neufassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes 2016 gelten hierfür die §§ 124 ff. VAG. Für 27 28 29 30
Schmitt, BB 2012, 2039, 2041. EIOPA, Leitlinien zum Governance-System, Leitlinie 27, Ziff. 1.64. Hessling/Theiselmann, ForderungsPraktiker 2010, 226. Der Zinscharakter wird bei einem Disagio regelmäßig bejaht. S. Böcking/Löw/Wohlmannstetter in MünchKomm. HGB, § 340e Rz. 24 m.w.N. 31 S. Steurer/Wessling, VW 2010, 1218. 32 Zu den Anforderungen im Einzelnen s. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 87 ff.; Zlatanov, Recht der Finanzinstrumente, 2016, S. 119 ff. 33 S. auch BayernLB, Fixed Income Spezial, S. 12 f.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Sterbekassen und kleine Versicherungsunternehmen, die in den Anwendungsbereich der §§ 212 ff. VAG fallen, gilt hingegen weiterhin die Anlageverordnung (s. §§ 215, 217, 219, 235 VAG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 3, 4 AnlV). Hieraus ergeben sich bestimmte Vorgaben an die Gestaltung des Schuldscheindarlehensvertrags, die vom arrangierenden Kreditinstitut als erstem Kreditgeber und vom Kreditnehmer zu beachten sind, wenn auch Versicherungen als Investoren angesprochen werden sollen34. Denn andernfalls ist eine (Teil-)Abtretung an Versicherungen oder eine (partielle) Vertragsübernahme durch diese nur eingeschränkt möglich.
1. Anforderungen der §§ 124 ff. VAG Versicherungsunternehmen, die nicht Sterbekassen, Pensionskassen35 oder kleine Versicherungsunternehmen sind, haben ihre Vermögenswerte gemäß § 124 VAG nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht anzulegen, wobei die Vorschrift nur qualitative Vorgaben für Kapitalanlagen enthält36. Präzise quantitative Vorgaben, wie sie die Anlageverordnung enthält, existieren derzeit nicht37, können jedoch aufgrund Art. 111 Abs. 2 RL 2009/138/EG (Solvency-II-Richtlinie) durch die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung erlassen werden. Derzeit müssen die Versicherungsunternehmen einen eigenen Anlagekatalog erstellen, um die Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität der Kapitalanlage sicherzustellen38. Dabei gelten die neuen Regelungen nicht nur für das Sicherungsvermögen, sondern für sämtliche Kapitalanlagen39. Durch die Neuregelung sollen die bisherigen Vorgaben nicht gelockert, sondern den Versicherungsunternehmen mehr Eigenverantwortung abverlangt werden40. Da Schuldscheindarlehen nicht an einem geregelten Finanzmarkt zugelassen sind, sind diese gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 VAG auf einem vorsichtigen Niveau zu halten. Welcher prozentuale Anteil noch als niedrig zu erachten ist, muss im Einzelfall aufgrund einer gesamtheitlichen Betrachtung entschieden werden41.
26.14a
Eine Konkretisierung des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht erfolgt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10.10.2014, die von der EIOPA herausgegebenen Leitlinien zum Governance-System samt Erläuterungen hierzu, sowie durch die Auslegungsentscheidung der BaFin42, 43. Von besonderer Bedeutung sind
26.14b
34 S. hierzu auch Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 560. 35 Pensionskassen unterliegen zwar dem Anwendungsbereich des § 124 VAG (Lipowsky in Prölss/ Dreher, VAG, § 124 Rz. 6), allerdings enthält § 235 VAG eine Verordnungsermächtigung, aufgrund derer die Anlagenverordnung anzuwenden ist. 36 Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 12. 37 Both/Laars in Nomos-BR, § 124 Rz. 2; Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 9. 38 BaFin, Rundschreiben 06/2017 vom 13.6.2017; Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 9. 39 Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 6. 40 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/2956 v. 22.10.2014, S. 266 f.; Both/Laars in Nomos-BR, § 124 Rz. 2; Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 11. 41 Zu den Kriterien, die hierbei zu berücksichtigen sind, s. Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 27. 42 Auslegungsentscheidung zum Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht (Prudent Person Principle, PPP) vom 21.12.2015, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Auslegungsentscheidung/dl_ae_grundsatz_unternehmerischer_Vorsicht_va.html. 43 Lipowsky in Prölss/Dreher, VAG, § 124 Rz. 4 f.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
hier Art. 261 DelVO 2015/35 (Delegierte Verordnung), die Leitlinie 33 zum GovernanceSystem bzw. Abschn. X der Auslegungsentscheidung für „Nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassene Vermögenswerte“. Vorgaben ähnlich der Anlageverordnung sind jedoch auch darin nicht enthalten.
2. Anforderungen für kleine Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Sterbekassen 26.15 Für kleine Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Sterbekassen sind weiterhin
die Anforderungen der Anlageverordnung einzuhalten. Schuldscheindarlehen an die öffentliche Hand eignen sich auch ohne Besicherung für die Anlage des Sicherungsvermögens durch Versicherungen. Hierunter fallen im Wesentlichen aber nur Schuldscheindarlehen an die Bundesrepublik, Länder und Gemeinden, an vergleichbare Körperschaften eines anderen EWR-Staates, an internationale Organisationen mit der Bundesrepublik als Mitglied, an Darlehensnehmer, deren Schuldscheinverbindlichkeiten durch eine der vorgenannten Körperschaften garantiert werden sowie an eine Abwicklungsanstalt im Sinne des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes für die eine Verlustausgleichspflicht durch eine der vorgenannten Körperschaften besteht (s. § 2 Abs. 1 Nr. 3 AnlV). Nicht erfasst sind also Schuldscheindarlehen an rechtlich selbständige Wirtschaftsunternehmen von Bund, Ländern und Kommunen ohne eine solche Besicherung.
26.16 Schuldscheindarlehen an Unternehmen erfordern im Hinblick auf die Bonität des Schuld-
ners, dass auf Grund seiner bisherigen und zu erwartenden künftigen Entwicklung der Ertrags- und Vermögenslage die vertraglich vereinbarte Verzinsung und Rückzahlung gewährleistet erscheinen. Zudem ist eine Besicherung durch erstrangige Grundpfandrechte, durch Forderungen, durch Wertpapiere mit Zulassung an einem bzw. Einbeziehung in einen organisierten Markt oder durch eine vergleichbare Sicherheit erforderlich. Eine Erklärung des Darlehensnehmers gegenüber dem Versicherungsunternehmen, bestimmte, für dieses nachteilige Belastungen und Verfügungen zu unterlassen (Negativerklärung), ggf. ergänzt um die zusätzliche Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Finanzrelationen (financial covenants)44, kann eine Sicherung des Darlehens nur ersetzen, wenn und solange der Darlehensnehmer bereits auf Grund seines Status als einer sog. „ersten Adresse“ die Gewähr für die Verzinsung und Rückzahlung des Darlehens bietet (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 AnlV)45. Eine Konkretisierung dieser Vorgaben, die jedoch nicht rechtsverbindlich ist, erfolgte durch die BaFin in ihrem Rundschreiben 11/2017 (VA) unter B.4.3.d)46.
26.17 Was die Bonität des Unternehmens angeht, lässt die BaFin zwei Überprüfungsmöglich-
keiten zu. Zum einen können die mit ihr abgestimmten „Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten durch Versicherungsgesellschaften – Schuldscheindarlehen“ Verwendung finden. Diese sehen sechs Unternehmenskennzahlen in Form von drei Kennzahlenblöcken (Zinsdeckungsgrad, Verschuldung und Kapitalstruktur) mit je zwei Kennzahlen vor, wobei die Parteien jeweils eine der beiden Kennzahlen auswählen können. Andere Umstände oder Risiken, wie z.B. aktuelle negative Unternehmensnachrichten oder all-
44 Rz. 26.44 ff., 26.48. 45 Für unbesicherte Schuldscheindarlehen prüft die BaFin derzeit, ob diese wegen der Gläubigerbeteiligung nach den §§ 89 ff. SAG als unbesicherte Bankschuldtitel nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 AnlV einzuordnen sind (BaFin Journal, 5/2017, S. 23, 25). 46 BaFin, Rundschreiben 11/2017 (VA).
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Schuldscheindarlehen | § 26
gemeine Marktentwicklungen, dürfen keine abweichende negative Beurteilung nahe legen. Alternativ kann die Bonitätsprüfung auch auf der Grundlage einer gleichwertigen eigenen Beurteilung durch das Versicherungsunternehmen erfolgen47. In jedem Fall muss der Schuldner über eine Bonität mit Investment-Grade-Qualität verfügen48. Die Bonitäts(mindest)anforderungen differieren je nachdem, ob die Besicherung durch klassische Kreditsicherheiten wie Garantien, Bürgschaften, erstklassige Grundpfandrechte, Abtretung/Verpfändung von Forderungen/Wertpapieren oder aber durch schuldrechtliche Verpflichtungserklärungen des Darlehensnehmers erfolgt; im zweiten Falle stellt die BaFin besonders strenge Anforderungen.
26.18
Im Falle der klassischen Kreditbesicherung49 hat der Darlehensschuldner, wenn die Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten Verwendung finden, die dort genannten Mindestanforderungen an je eine Kennzahl aller drei Kennzahlenblöcke zu erfüllen. Im Einzelnen sehen diese drei Alternativkennzahlenpaare wie folgt aus50:
26.19
– Cash Flow Kennzahlen zum Zinsdeckungsgrad – EBIT Interest Coverage
> 3,0 (Faktor)
– EBITDA Interest Coverage
> 4,5 (Faktor)
– Kennzahlen zur Verschuldung – Total Debt/EBITDA
< 3,0 (Faktor)
– Net Debt/EBITDA
< 2,5 (Faktor)
– Kennzahlen zur Kapitalstruktur – Risk Bearing Capital
> 20 %
– Total Debt/Capital
< 60 %
Wird lediglich eine Negativerklärung als Sicherheit vereinbart, gelten strengere Anforderungen an die Kennzahlen zur Kapitalstruktur. Erforderlich ist dann eine Risk Bearing Kapital Quote von > 27 % oder ein Wert von < 50 % bei der Kennzahl Total Debt/Capital und es ist nicht zulässig, während der Laufzeit des Darlehens zwischen den Kennzahlen eines Blocks zu wechseln. Der Darlehensgeber hat sich zudem ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall der Verletzung einer Kennzahl vorzubehalten51.
26.20
Die Verwendung von Verpflichtungserklärungen (Negativerklärung; financial covenants)52 genügt nur bei auch als „erste Adressen“ bezeichneten „besonders bonitätsstarken Unternehmen, die eine herausragende Stellung in ihrer Branche haben“. Hat eine solche
26.21
47 Dazu BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d). 48 Investment-Grade-Ratings sind langfristige Ratings von mindestens BBB- (Standard & Poor’s und Fitch) oder Baa3 (Moody’s) und kurzfristige Ratings von mindestens A-3 (Standard & Poor’s), F 3 (Fitch) oder Prime 3 (Moody’s). 49 Dazu BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d). 50 Zur Bestimmung der einzelnen Kennzahlen s. GDV, Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten, S. 16 ff. Verbreitet wird dabei von „Kreditleitfaden“ gesprochen, was den Titel der Vorauflagen dieser Publikation reflektiert; s. zuletzt Leitfaden für die Vergabe von Unternehmenskrediten – Schuldscheindarlehen (Kreditleitfaden), 3. Aufl. 2000. 51 BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d). 52 BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d).
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
„erste Adresse“ ein Langfristrating einer anerkannten Ratingagentur von mindestens A(Fitch, S&P) oder A3 (Moody’s), genügt eine Negativerklärung, andernfalls ist diese mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Finanzrelationen (financial covenants) zu verbinden. Im Übrigen differiert der von der BaFin erwartete Inhalt der Negativerklärung je nachdem, ob der Darlehensnehmer zugleich mit einer Schuldverschreibung am organisierten Kapitalmarkt vertreten ist (dazu Rz. 26.49).
IV. Rechtliche Einordnung 26.22 Die rechtliche Einordnung des Schuldscheindarlehens hat dem Ineinandergreifen verschie-
dener Geschäftsvorgänge und dem Zusammenwirken mehrerer Beteiligter in verschiedenen Rollen (Kreditgeber, Kreditnehmer, Arrangeur, Zahlstelle, Treuhänder) Rechnung zu tragen.
1. Direktes System 26.23 Zwischen Kreditnehmer und Kreditgebern liegt beim direkten System53 rechtlich ein Darlehensvertrag (§§ 488 ff. BGB) vor.
26.24 Im Verhältnis zwischen Kreditvermittler (erlaubnispflichtig nach § 34c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GewO mit Ausnahme für Kreditinstitute, Abs. 5 Nr. 154) und (endgültigen) Kreditgebern besteht beim direkten System, bei dem der Kreditvermittler auch nicht vorübergehend selbst Kreditgeber wird, ein Maklervertrag (§§ 93 ff. HGB)55.
2. Indirektes System 26.25 Zwischen dem arrangierenden Kreditinstitut als erstem Kreditgeber und dem Kreditneh-
mer liegt auch beim indirekten System ein Darlehensvertrag i.S.d. §§ 488 ff. BGB vor. Daneben tritt die Vereinbarung über die Arrangierung des Darlehens, die einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Charakter darstellt (§§ 675, 611 BGB)56.
26.26 Die Weitergabe von Darlehensteilforderungen – Teilrückzahlungsanspruch und antei-
liger Zinsanspruch – durch das als erster Kreditgeber und Arrangeur tätige Kreditinstitut an die Endkreditgeber erfolgt beim Abtretungsmodell durch eine Forderungsabtretung nach § 398 BGB und beim Vertragsübernahmemodell durch eine im BGB nicht ausdrücklich geregelte partielle Vertragsübernahme, wodurch ein Endkreditgeber hinsichtlich seines Teilbetrags vollumfänglich in die Stellung des arrangierenden Kreditinstituts als Darlehensvertragspartei einrückt57. Die schuldrechtliche Grundlage der Forderungsabtretung gegen Entgelt besteht beim Abtretungsmodell in einem Rechtskauf (§§ 453, 433 ff. BGB). Das gilt auch für eine Vertragsübernahme gegen Entgelt nach dem Vertragsübernahme53 Angesichts der geringen praktischen Bedeutung wird nachfolgend nicht weiter darauf eingegangen. S. hierzu Schubert, Corporate Schuldscheindarlehen, S. 13. 54 Allgemein zu den aufsichtsrechtlichen Aspekten s. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 80 ff. 55 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 563; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 365 mit Fn. 36. 56 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 365. 57 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 365 f.
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Schuldscheindarlehen | § 26
modell58, weil der Vertragsübernahme ebenso wie der Abtretung verfügender Charakter zukommt. Bei der Abtretungsgestaltung ist der Kreditgeber/Arrangeur als Darlehensvertragspartei zur Geltendmachung der Rechte aus dem Darlehensvertrag berechtigt. Ob er dazu auch verpflichtet ist, hängt davon ab, ob der Kreditgeber/Arrangeur lediglich als Zahlstelle fungiert oder sich durch eine flankierende Treuhandabrede zur Interessenwahrung gegenüber den Endkreditgebern verpflichtet hat. Die Vereinbarung des Zahlstellendienstes ebenso wie eine etwaige Treuhandabrede sind ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Charakter (§§ 675, 611 BGB) oder, bei Unentgeltlichkeit, ein Auftrag (§ 662 BGB)59.
26.27
V. Platzierungsabreden Was die (Weiter-)Platzierung des Darlehens beim indirekten System anbelangt, treffen das arrangierende Kreditinstitut unterschiedliche Pflichten je nachdem, ob ein Best Efforts- oder ein Back Stop-Underwriting im Rahmen des Mandats vereinbart wurde. Bei einem Best Efforts-Underwriting hängt die Darlehenshöhe von der vom Arrangeur eingeworbenen Zahl der Investoren und den von ihnen zugesagten Volumina ab. Der dementsprechend geschlossene Darlehensvertrag kommt zwischen Arrangeur und Darlehensnehmer zustande, nicht unmittelbar zwischen Kreditnehmer und Endkreditgebern. Vielmehr stellen diese dem Arrangeur/Kreditgeber lediglich die Darlehensvaluta zur Verfügung, der diese dann an den Kreditnehmer auszahlt. Aus dem Darlehensvertrag verpflichtet ist weiterhin der erste Kreditgeber, im Falle der Vertragsübernahme jedoch nur, bis diese wirksam wird60.
26.28
Im Falle eines Back Stop-Underwritings trägt das Refinanzierungsrisiko hingegen der erste Darlehensgeber. Dieser sagt die Auszahlung des Darlehens fest zu und muss die Darlehenssumme während der gesamten Laufzeit ggf. selbst aufbringen61.
26.29
VI. Schuldscheindarlehensverhältnis 1. Vertragsinhalt a) Form Für den Darlehensvertrag schreibt das Gesetz keine bestimmte Form vor. In der Praxis wird der an sich auch mündlich wirksame Vertrag zu Beweiszwecken gleichwohl stets in schriftlicher Form abgeschlossen.
26.30
Der eigentliche Schuldschein ist aufgrund des ohnehin in Schriftform vorliegenden Darlehensvertrags rechtlich ohne große Bedeutung. Insbesondere hängt die Wirksamkeit des Schuldscheindarlehens nicht von der Ausstellung eines Schuldscheins ab, so dass diese in
26.31
58 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 563; Rieble in Staudinger, BGB, § 414 Rz. 114; Ulmer, JZ 1997, 654, 655. Nach Wagemann, AcP 205 (2005), 547, 554 ff. hängt es von der Entgeltlichkeit des Vertrages ab, ob ein Rechtskauf vorliegt oder ob die Vertragsübernahme ihren Grund in sich trägt. 59 Rz. 26.113 und Rz. 26.119. 60 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 558. 61 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 558.
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der Regel unterbleibt62. Erst recht unüblich ist die Ausstellung mehrerer Teilschuldscheine für die jeweiligen endgültigen Kreditgeber, weil der Gesetzgeber Teilschuldscheine für die frühere Wertpapiersteuer (§ 12 Abs. 3 KVStG) und für die Börsenumsatzsteuer (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 KVStG) ausdrücklich den Teilschuldverschreibungen gleichsetzte. Wird über das Darlehen im Einzelfall gleichwohl ein Schuldschein ausgestellt, hat dies lediglich beweisrechtliche Bedeutung; der Schuldschein ist bloße Beweisurkunde i.S.d. § 371 BGB63. b) Auszahlungsvoraussetzungen
26.32 Die Auszahlung der Darlehensvaluta kann vertraglich von weiteren Bedingungen abhän-
gig gemacht werden64. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Auszahlung der Darlehensvaluta nur erfolgt, wenn der Darlehensvertrag wirksam zustande kam, die Sicherheiten wirksam bestellt wurden und nicht schon im Zeitpunkt der Valutierung mit einem Forderungsausfall zu rechnen ist. Daher sind unter anderen ggf. folgende Unterlagen bzw. Nachweise vom Darlehensnehmer rechtzeitig vor dem vereinbarten Auszahlungstermin einzureichen: – Beschluss des Vorstands/der Geschäftsführung und (wenn erforderlich) des Aufsichtsrats der Darlehensnehmerin über die Eingehung des Darlehensvertrags, – Nachweis über die Bestellung der vereinbarten Sicherheiten, – Satzung der Darlehensnehmerin, – aktueller Auszug aus dem Handelsregister hinsichtlich der Darlehensnehmerin, – Vorlage des letzten von unabhängigen Wirtschaftsprüfern geprüften Jahres- und Konzernabschlusses der Darlehensnehmerin und aller seitdem verfügbaren Zwischenberichte,
– Erklärung der Darlehensnehmerin über das (Nicht-)Vorliegen eines Ereignisses, das den Darlehensgeber zur Kündigung berechtigen würde, – Legal Opinion zur Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag.
26.33 Eine sukzessive Auszahlung der Darlehenssumme kann zur Einsparung von Zinsen ver-
einbart werden, wenn das Darlehen der Finanzierung eines bestimmten Projekts dient. Höhe und Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung werden entweder bereits bei Vertragsschluss festgelegt oder müssen mit einem gewissen Vorlauf dem Darlehensgeber gegenüber angekündigt werden. Darin ist die Vereinbarung eines Leistungsbestimmungsrechts des Darlehensnehmers nach § 315 BGB zu sehen, das sich nur auf die Leistungszeit bezieht.
26.34 Nimmt der Darlehensnehmer das Darlehen überhaupt nicht oder nur teilweise in Anspruch, obwohl er sich hierzu verpflichtet hat, kann der Darlehensgeber eine Nichtabnah-
62 Schmitt, BB 2012, 2039; Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 28; anders Wehrhahn, BKR 2012, 363, 364: Schuldschein wird stets ausgestellt. 63 OLG Stuttgart v. 20.10.2004 – 9 U 127/04, WM 2005, 969, 970; Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 564; Berger in MünchKomm. BGB, Vor § 488 Rz. 51, § 488 Rz. 152; Früh/MüllerArends in Hellner/Steuer/Schröter, Rz. 3/265; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.265; Hessling/Theiselmann, ForderungsPraktiker 2010, 226, 227; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 364; Schmitt, BB 2012, 2039. 64 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366.
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Schuldscheindarlehen | § 26
meentschädigung nach den §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB verlangen. Ersatzfähig ist der Schaden, der bis zur frühest möglichen Kündigung entsteht (zur Berechnung und weiteren Einzelheiten s. Rz. 26.86). c) Laufzeit und Tilgung Die Laufzeit des Darlehens beträgt regelmäßig 5–7 Jahre. Längere Laufzeiten als 10 Jahre sind aufgrund der zwingenden Kündigungsmöglichkeit nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (s. dazu Rz. 26.65) jedenfalls gegenüber anderen Darlehensnehmern als der öffentlichen Hand zwar unüblich, aber rechtlich möglich. Die Laufzeit hängt insbesondere vom aktuellen Marktumfeld und der Bonität des Emittenten ab.
26.35
Die Rückzahlung wird meist so gestaltet, dass die gesamte Darlehenssumme am Ende der Laufzeit zurückzuzahlen ist65. Möglich ist aber auch die Vereinbarung von laufenden Tilgungsleistungen. Soweit das Schuldscheindarlehen der Finanzierung einer bestimmten Anlage oder eines bestimmten Planungsvorhabens dient, liefe es dem Finanzierungszweck allerdings zuwider, würde die Tilgungspflicht sogleich einsetzen. Daher werden in solchen Fällen die ersten fünf Jahre in der Regel tilgungsfrei gestellt. Sind die Zinsen und die Tilgungsraten nachträglich zu zahlen (s. Rz. 26.39 ff.), bestehen dann effektiv sechs tilgungsfreie Jahre.
26.36
Reichen die geleisteten Zahlungen nicht zur Tilgung sämtlicher fälliger Schulden aus, bestimmt sich die Tilgungsreihenfolge unter Berücksichtigung der §§ 366, 367 BGB. Ist der Darlehensnehmer (auch) mit Zinszahlungen im Rückstand, werden Zahlungen zunächst auf die fälligen Zinsen und erst dann auf die Hauptleistung angerechnet (§ 367 BGB). Trifft der Darlehensnehmer eine abweichende Tilgungsbestimmung, kann der Darlehensgeber die Zahlung ablehnen. Übersteigt die Rückzahlungsleistung den geschuldeten Zinsbetrag, kann der Darlehensnehmer bestimmen, welche Rückzahlungsverpflichtungen er tilgen möchte. Trifft er keine Bestimmung, gilt die in § 366 Abs. 2 BGB vorgesehene Reihenfolge.
26.37
Die gesetzlichen Regelungen können vertraglich abgeändert werden. Soll das Tilgungsbestimmungsrecht auf den Darlehensgeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen übertragen werden, muss sicher gestellt sein, dass die Belange des Darlehensnehmers ausreichend berücksichtigt werden66.
26.38
d) Verzinsung Schuldscheindarlehen sehen regelmäßig eine Festzinsvereinbarung vor. Dabei wird entweder ein bestimmter Zinssatz für die gesamte Laufzeit vereinbart oder es werden mehrere feste Zinssätze für jeweils kürzere Zeiträume festgelegt. Wird ein variabler Zinssatz vorgesehen, kann eine Zinssatzänderung jederzeit eintreten, weswegen dem Darlehensnehmer ein jederzeitiges Kündigungsrecht zusteht (§ 489 Abs. 2 BGB). Mischformen sind ebenfalls möglich. So kann für die ersten Jahre ein fester Zinssatz und für den Anschlusszeitraum ein variabler Zinssatz vereinbart werden, wiederum mit der Folge eines Kündigungsrechts des Darlehensnehmers (§ 489 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB). Um die Platzierung zu erleichtern, kann das Darlehen auch derart in Tranchen aufgeteilt werden, dass für einen Teil ein Fest65 Hessling/Theiselmann, ForderungsPraktiker 2010, 226, 227; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366. 66 BGH v. 20.6.1984 – VIII ZR 337/82, NJW 1984, 2404, 2405 = WM 1984, 1100, 1101 f.; Fetzer in MünchKomm. BGB, § 366 Rz. 7, § 367 Rz. 3.
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26.39
§ 26 | Schuldscheindarlehen
zins und für den anderen Teil ein variabler Zinssatz vereinbart wird67. Damit lässt sich unterschiedlichen Vorstellungen von Investoren Rechnung tragen. Die Darlehensteile sind dann rechtlich getrennt zu behandeln, insbesondere auch, was die Kündigungsrechte des Darlehensnehmers anbelangt.
26.40 Die Zinshöhe hängt vor allem vom Kreditrisiko und der Liquidität ab. Im Vergleich zu
Anleihen mit ähnlichen Bedingungen lagen die Zinsen für Schuldscheindarlehen früher immer über dem Niveau von Anleihen. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahren geändert. Der Markt misst jedenfalls in Krisenzeiten der Kreditsicherheit mehr Bedeutung zu als der schnellen Veräußerungsmöglichkeit. Daher lagen die Zinssätze zeitweise deutlich unter den Zinssätzen bei Anleihen, um schließlich wieder fast zum Anleiheniveau aufzuschließen68.
26.41 Die Zahlung der Zinsen hat je nach Vereinbarung jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich nachträglich zu erfolgen.
26.42 Bei den sog. roll-over-Krediten wird der Zinssatz periodisch (vierteljährlich, halbjährlich
oder jährlich) an einen Referenzzinssatz (v.a. EURIBOR oder LIBOR) angepasst. Hinsichtlich der genauen Bestimmung des jeweiligen Zinssatzes kann auf die Ausführungen zur Verzinsung von Anleihen verwiesen werden (s. Rz. 16.39 ff.). e) Rangverhältnis
26.43 Über den Rang der Darlehensrückzahlungsforderung kann eine Vereinbarung getroffen
werden. Die Zulässigkeit einer Nachrangvereinbarung bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 AnlV, wenn die Darlehensrückzahlungsforderung Sterbekassen, Pensionskassen und kleinen Versicherungsunternehmen zur Anlage des Sicherungsvermögens dienen soll. Aufgrund des erhöhten Risikos stellt die BaFin über den Wortlaut der Vorschrift hinaus weitere Anforderungen an die Darlehensbedingungen69. Für Versicherungsunternehmen, die unter die Regelung von Solvency II fallen, enthält die Auslegungsentscheidung der BaFin (s. Rz. 26.14b) unter Abschn. X. Rz. 58 ebenfalls entsprechende Vorgaben. Im Übrigen kann auf die Ausführungen zur Anleihe verwiesen werden (s. Rz. 16.56 f.). f) Negativerklärung (mit covenants)
26.44 Die Negativerklärung (negative pledge, negative covenant) – in der Regel verbunden mit
einer Gleichstellungsverpflichtung70 (pari passu covenant) und ggf. ergänzt um die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Finanzrelationen (financial covenants) –, ist keine Kreditsicherheit im herkömmlichen Sinne71. Die Sicherung besteht allein darin, dass das Vermögen des Darlehensnehmers vor weiteren Belastungen während der Darlehenslaufzeit geschützt ist. Eine solche komplexe Erklärung kann jedoch insbesondere auch gegenüber
67 BayernLB, Fixed Income Spezial, S. 9. 68 BayernLB, Fixed Income Spezial, S. 14. 69 So muss der Darlehensnehmer einen Jahresabschluss zur Verfügung stellen, der in entsprechender Anwendung der für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften aufgestellt und geprüft ist, und einen solchen zu jedem Bilanzstichtag erneut vorlegen. Außerdem besteht für Versicherungsunternehmen nach § 3 Abs. 3 AnlV eine quantitative Beschränkung. S. im Einzelnen BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.5.b). 70 Mucke, WM 2006, 1804, 1805; Zimmermann/Werner/Kilian, Die Bank 2011, 20, 22. 71 Mucke, WM 2006, 1804, 1805.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Versicherungen als Sicherheit i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4a) cc) AnlV dienen und hat klassische Kreditsicherheiten auf dem Schuldscheindarlehensmarkt weitgehend verdrängt. Diese Verschiebung entspricht dem im Bankkreditgeschäft mit (größeren) mittelständischen Unternehmen anzutreffenden Trend zur Verwendung von Gläubigerschutzklauseln mit Bonitätskennzahlen – anstelle oder ergänzend zu dinglichen Besicherungen72. Die Negativerklärung ist ein schuldrechtliches Belastungs- und Verfügungsverbot mit dem Inhalt, keinem anderen Gläubiger zukünftig Kreditsicherheiten einzuräumen73. Darüber hinaus dürfen wesentliche Werte des Anlagevermögens ohne vorherige Zustimmung des Darlehensgebers nicht veräußert werden, wenn dadurch das haftende Vermögen geschmälert oder die Ertragskraft des Unternehmens beeinträchtigt wird. Schließlich dürfen die wesentlichen Werte des Anlagevermögens dem Zugriff der Gläubiger auch nicht anderweitig entzogen werden. Diese Verbote haben nur schuldrechtliche Wirkung74. Ein Verstoß dagegen bildet einen vertraglich vereinbarten Kündigungsgrund und kann einen Schadensersatzanspruch begründen, die Übertragung der Vermögenswerte wird dadurch aber nicht unwirksam (§ 137 BGB). Durch die Gleichstellungsverpflichtung erhält der Darlehensgeber einen Anspruch auf die Bestellung von Sicherheiten, sofern anderen Gläubigern ebenfalls Sicherheiten gewährt werden75.
26.45
Bestimmte Verbindlichkeiten und/oder Sicherheiten werden von der Negativerklärung ausgenommen, um die ungehinderte Fortsetzung der Geschäftstätigkeit zu ermöglichen. Dies betrifft vor allem Lieferantensicherheiten im üblichen Geschäftsverkehr, wie die Einräumung von Eigentumsvorbehalten, andere Belastungen, die kraft Gesetzes oder im normalen Geschäftsverkehr entstehen, und das Pfandrecht nach den AGB-Banken und den AGB-Sparkassen.
26.46
Die Negativerklärung kann in Ausnahmefällen mit § 1136 BGB in Konflikt geraten. Danach ist eine Vereinbarung nichtig, durch die sich der Eigentümer dem Darlehensgeber gegenüber verpflichtet, das Grundstück nicht zu veräußern oder nicht weiter zu belasten. Ein Problem kann sich hier nur dann ergeben, wenn zugunsten des Darlehensgebers Grundpfandrechte bestellt werden, was jedoch nur selten vorkommt76. Aufgrund bestehender Unsicherheiten hinsichtlich der Reichweite des § 1136 BGB empfiehlt es sich, Grundstücke, die bereits zugunsten des Darlehensgebers mit einem Grundpfandrecht belastet sind, von der Negativerklärung auszunehmen77.78
26.47
Zur Negativerklärung kann die Vereinbarung bestimmter Finanzrelationen hinzutreten, etwa Unternehmenskennzahlen zu Kapitaldienstdeckung, Verschuldung oder/und Kapitalstruktur (für Beispiele s. Rz. 26.19). Diese sind vom Unternehmen während der gesamten
26.48
Allgemein zur Verbreitung von Covenants s. Zimmermann/Werner/Kilian, Die Bank 2011, 20 ff. Mucke, WM 2006, 1804, 1805; Zimmermann/Werner/Kilian, Die Bank 2011, 20, 24. Mucke, WM 2006, 1804, 1805. Mucke, WM 2006, 1804, 1805; ähnlich auch Zimmermann/Werner/Kilian, Die Bank 2011, 20, 24. 76 S. Rz. 26.56. Angesichts der geringen Bedeutung für die Praxis soll hierauf nicht weiter eingegangen werden. Ausführliche Darstellung bei Mucke, WM 2006, 1804, 1805 ff. und Wolfsteiner in Staudinger, BGB, § 1136 Rz. 4 ff. 77 Mucke, WM 2006, 1804, 1806. 78 Ob die Vorschrift durch die Vereinbarung eines Grundes zur außerordentlichen Kündigung im Falle der Veräußerung oder Belastung des Grundstücks wirksam umgangen werden kann, ist zweifelhaft. S. hierzu Eickmann in MünchKomm. BGB, § 1136 Rz. 7 ff. 72 73 74 75
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
Darlehenslaufzeit einzuhalten. Für den Fall des Über- bzw., je nachdem, Unterschreitens der vereinbarten Kennzahlenschwellen ist vertraglich regelmäßig ein außerordentliches Kündigungsrecht vorgesehen. Teilweise wird stattdessen aber auch ein Zins-Step-up vereinbart79, ggf. auch in Kombination mit einem Kündigungsrecht bei anhaltender Verletzung der vereinbarten Schwelle.
26.49 Versicherungsaufsichtsrechtlich ist die Besicherung durch eine Negativerklärung nur zuläs-
sig, wenn der Darlehensnehmer als sog. „erste Adresse“ besonders bonitätsstark ist und zudem über eine herausragende Stellung in seiner Branche verfügt (Rz. 26.21). Der aufsichtsrechtlich geforderte Verpflichtungsumfang im Einzelnen ist unterschiedlich weit. Erfolgt die Bonitätsprüfung auf der Grundlage des Langfristratings einer anerkannten Ratingagentur, kommt es darauf an, ob der Darlehensnehmer mit einer Schuldverschreibung bereits an einem organisierten Markt vertreten ist oder jedenfalls die Zulassung beantragt hat80. Bei solchen kapitalmarktorientierten Darlehensnehmern (s. § 264d HGB) ist eine eingeschränkte Negativerklärung ausreichend, die sich auf „Kapitalmarktverbindlichkeiten“ oder „Finanzverbindlichkeiten“ beschränkt. Bei sonstigen Darlehensnehmern mit einem Rating von mindestens A- bzw. A3 verlangt die BaFin dagegen weiterhin eine uneingeschränkte, sich auf alle Darlehensverbindlichkeiten beziehende Verpflichtungserklärung. Erfolgt die Bonitätsprüfung des Darlehensnehmers hingegen auf Basis der „Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten durch Versicherungsgesellschaften – Schuldscheindarlehen“ (s. hierzu Rz. 26.17), muss die Negativerklärung mit der Verpflichtung zur Einhaltung der Finanzrelationen verbunden werden. Für Versicherungsunternehmen, die unter die Regelungen von Solvency II fallen, fehlen derzeit konkrete Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen eine Besicherung durch eine Negativerklärung zulässig ist (s. hierzu Rz. 26.14a). g) Sicherheiten
26.50 Klassische Kreditsicherheiten81 sind heute in Schuldscheindarlehensverträgen mit Ausnahme von Garantien kaum mehr anzutreffen (dazu schon soeben Rz. 26.44). aa) Bürgschaften und Garantien
26.51 Die übliche klassische Kreditsicherheit sind Bürgschaften und Garantien von Bund, Ländern und Gemeinden oder einem anderen EWR-Staat bzw. dessen Gebietskörperschaften oder ein öffentlich-rechtliches Kreditinstitut (§ 2 Abs. 1 Nr. 3e) AnlV).
26.52 In einer Garantie verpflichtet sich der Garant, auf Verlangen eines Gläubigers unmittelbar die Verpflichtungen des Darlehensnehmers aus dem Darlehensvertrag zu erfüllen. Einwendungen des Schuldners gegenüber dem Garantienehmer sind für den Garanten ausgeschlossen82. Regelmäßig ist die Garantie als Garantie auf erstes Anfordern ausgestaltet. Eine vorherige Inanspruchnahme des Darlehensnehmers ist dann nicht erforderlich. Der
79 Schubert, Corporate Schuldscheindarlehen, S. 14; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 367. 80 Zum Folgenden s. BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d). 81 Die nachfolgenden Ausführungen zu den versicherungsaufsichtsrechtlichen Anforderungen beziehen sich nur auf Pensionskassen, Sterbekassen und kleine Versicherungsunternehmen, die in den Anwendungsbereich der Anlageverordnung fallen. Versicherungsunternehmen, die den Regelungen von Solvency II unterfallen, haben eigenverantwortlich einen Anlagekatalog (innerbetriebliche Leitlinien) aufzustellen (§§ 26, 124 VAG). 82 Habersack in MünchKomm. BGB, Vor § 765 Rz. 20.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Garant ist schon dann zur Zahlung verpflichtet, wenn der Darlehensgeber den Eintritt des Garantiefalls behauptet83. Diese strengen Anforderungen für Versicherungen gelten allerdings nicht, soweit die Bürgschaft oder Garantie nur als zusätzliche Sicherheit bestellt werden soll und die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 4 AnlV bereits erfüllt sind.
26.53
bb) Verpfändung oder Sicherungsübereignung von Wertpapieren Die Verpfändung oder Sicherungsübereignung von Wertpapieren oder Forderungen ist versicherungsaufsichtsrechtlich nur dann als Sicherheit geeignet, wenn diese unmittelbar dem Sicherungsvermögen einer Versicherung zugeführt werden können84. Sie müssen also den Anforderungen der §§ 217, 219, 235 VAG i.V.m. § 2 AnlV bzw. des § 124 VAG genügen. Hierbei sind vorsichtige Beleihungsgrenzen anzusetzen.
26.54
cc) Grundpfandrechte Die grundpfandrechtliche Besicherung kann gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 a) aa) AnlV durch erstrangige Grundschulden und Hypotheken oder innerhalb eines erststelligen Grundschuldgleichrangrahmens erfolgen. Innerhalb eines Grundschuldgleichrangrahmens darf die Summe aller gleichrangigen erststelligen Gesamtbelastungen den jeweiligen Beleihungswert nicht überschreiten. Wurde das Darlehen in Teilbeträgen abgetreten, sodass es mehrere Kreditgeber gibt, wird das Grundpfandrecht zugunsten des Treuhänders bestellt, der die Verwaltung für alle Darlehensgeber übernimmt.
26.55
Aufgrund der hohen Kosten – Ermittlung des Beleihungswertes, Aufwendungen für die notarielle Beurkundung85 und die Eintragung ins Grundbuch, Verwaltung durch einen Treuhänder –, die mit der Bestellung und Verwaltung des Grundpfandrechts einhergehen, wird von dieser Form der Besicherung kaum je Gebrauch gemacht86.
26.56
Den versicherungsaufsichtsrechtlichen Anforderungen entspricht die Besicherung des Darlehens durch erstrangige Grundpfandrechte nur, wenn die Verzinsung und die Rückzahlung schon allein durch das Grundpfandrecht gesichert sind. Daher hat die Ermittlung des Beleihungswertes sehr vorsichtig zu erfolgen. Nach dem Rundschreiben 11/2017 der BaFin (VA) ist ein „ausreichender Sicherheitsabschlag vorzunehmen und die Belastung bei industrieller oder gewerblicher Nutzung mit niedriger Drittverwertbarkeit auf maximal 40 %, bei Wohnungsgrundbesitz und gewerblichem Grundbesitz mit hoher Drittverwertbarkeit auf maximal 60 % zu begrenzen.“ Innerhalb eines Grundschuldgleichrangrahmens darf die Summe aller gleichrangigen erststelligen Gesamtbelastungen den jeweiligen Beleihungswert nicht überschreiten87.
26.57
83 Näher zur Garantie s. Habersack in MünchKomm. BGB, Vor § 765 Rz. 27 ff. 84 BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.4.3.d). 85 Bei einer nicht vollstreckbaren Grundschuld wäre jedoch eine Unterschriftsbeglaubigung ausreichend. 86 A.A. Perridon/Steiner/Rathgeber in Perridon/Steiner/Rathgeber, D.II.3.c: Absicherung durch erstrangige Grundschulden überwiegt bei weitem. 87 GDV, Grundsätze für die Vergabe von Unternehmenskrediten, S. 22.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
h) Informationspflichten
26.58 Der Darlehensnehmer wird dazu verpflichtet, in regelmäßigen Abständen bestimmte Ge-
schäftsdaten zu übermitteln, damit der Darlehensgeber die Einhaltung der Negativerklärung, der Finanzrelationen und die wirtschaftliche Entwicklung des Darlehensnehmers überprüfen kann. Dies betrifft vor allem den von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer geprüften Jahresabschluss und den Geschäftsbericht, aber auch die Veröffentlichungen nach den §§ 114 ff. WpHG, sofern solche erstellt wurden. Liegt die Darlehenssumme bei über 750.000 Euro, ist die Vorlage dieser Unterlagen verpflichtend (§ 18 KWG)88. Kreditinstitute, die der unmittelbaren Aufsicht der EZB unterliegen, müssen zur Vermeidung von bzw. zum Umgang mit notleidenden Krediten ein Frühwarnsystem einrichten89. Um sicherzustellen, dass die hierfür erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, ist im Darlehensvertrag eine entsprechende Verpflichtung des Darlehensnehmers aufzunehmen90.
26.59 Um dem Darlehensgeber die möglichst umgehende Ausübung seines Kündigungsrechts zu ermöglichen, ist ferner die Vereinbarung einer Pflicht zur sofortigen Information bezüglich solcher Ereignisse angezeigt, die wesentliche Rückwirkungen auf das Vertragsverhältnis oder nachhaltigen Einfluss auf die Vermögens- oder Ertragsverhältnisse haben oder Veränderungen bei den Pfandgegenständen bewirken können.
2. Vertragsstörungen a) Verzug
26.60 Die Fälligkeit von Tilgungsleistungen und Zinszahlungen wird im Darlehensvertrag stets
kalendermäßig fixiert. Leistet der Darlehensnehmer solche Zahlungen nicht rechtzeitig zum vereinbarten Kalendertag, kommt er auch ohne Mahnung in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Ab diesem Zeitpunkt hat er Verzugszinsen auf die rückständigen Tilgungsleistungen zu zahlen; der Verzugszinssatz liegt bei fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 BGB). Darlehensvertragszinsen als Entgelt für die Darlehensgewährung unterliegen dagegen dem Zinseszinsverbot (§ 289 Satz 1 BGB), so dass der Darlehensgeber einen weitergehenden Verspätungsschaden nur nach den allgemeinen Regeln geltend machen kann (§ 289 Satz 2 BGB; §§ 286, 280 Abs. 1, 2, 288 Abs. 4 BGB).
26.61 Weitere Schäden kann der Darlehensgeber ebenfalls geltend machen (§ 288 Abs. 4 BGB).
Dies ist auch in Form eines pauschalisierten Schadensersatzes möglich, etwa dergestalt, dass Schadensersatz mindestens i.H.v. 1 % p.a. über dem vereinbarten Zinssatz zu zahlen ist. Dem Darlehensnehmer bleibt bei einer solchen Klausel immer noch die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Darlehensgeber lediglich einen niedrigeren Schaden erlitten hat. Diese Möglichkeit kann auch gegenüber Unternehmen in den Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht wirksam ausgeschlossen werden (§ 307 BGB)91. Andererseits ist ein ausdrücklicher Hinweis auf die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren Schadens nicht 88 Zur Kündigung bei Verletzung dieser Pflicht s. Rz. 26.75. 89 EZB, Leitfaden für Banken zu notleidenden Krediten, März 2017, Kap. 3.6. Der Leitfaden ist zwar nicht verbindlich; bei Abweichungen hiervon sind diese jedoch plausibel zu begründen (s. Kap. 1.1 des Leifadens). 90 Management von Kreditrisiken, Der EZB-Leitfaden für notleidende Kredite, die bank 09/2017, S. 45 f. 91 OLG Köln v. 9.1.2007 – 3 U 158/05, OLGR Köln 2007, 524.
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Schuldscheindarlehen | § 26
erforderlich92. Im praktischen Ergebnis führt die Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes also lediglich zu einer Beweislastumkehr bezüglich der Höhe des entstandenen Schadens. b) Kündigung aa) Ordentliche Kündigung Ein ordentliches Kündigungsrecht nach § 488 BGB kommt bei Schuldscheindarlehen weder Darlehensgeber noch Darlehensnehmer zu, da eine feste Laufzeit vereinbart und damit auch ein Rückzahlungstag bestimmt ist (§ 488 Abs. 3 Satz 1 BGB).
26.62
aaa) Bedeutsam sind die Kündigungsmöglichkeiten des Darlehensnehmers nach § 489 Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift greift dann ein, wenn der Sollzinssatz zumindest für einen Teil der Darlehenslaufzeit gebunden ist. Unter Sollzinssatz ist der periodische Prozentsatz zu verstehen, der pro Jahr auf das in Anspruch genommene Darlehen angewendet wird. Ein gebundener Sollzinssatz liegt vor, wenn ein Sollzinssatz durch eine feststehende Prozentzahl bzw. mehrere Sollzinssätze durch mehrere feststehende Prozentzahlen für einen bestimmten Zeitraum vereinbart sind93. Diesem Merkmal wird nach seinem Sinn auch dann genügt, wenn mehrere Zinsbestandteile (Zinsmargen) vereinbart werden, die jeweils durch eine bestimmte Prozentzahl ausgedrückt werden, sodass sich der vereinbarte Zinssatz aus der Addition dieser einzelnen Zinsbestandteile als fester Prozentsatz im Sinne einer bestimmten Zahl ermitteln lässt. Die bloße Bestimmbarkeit des Zinssatzes ist hierfür nicht ausreichend. Auch roll-over-Kredite fallen unter den Begriff des gebundenen Sollzinssatzes94.
26.63
Ist ein fester Zinssatz nicht für die gesamte Darlehenslaufzeit vereinbart, endet also die Festzinsvereinbarung vor der Darlehenslaufzeit, eröffnet § 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine Kündigungsmöglichkeit. Die Kündigung mit einer Kündigungsfrist von einem Monat kann frühestens zu dem Tag erfolgen, an dem die Zinsbindung endet. Roll-over-Kredite können nach der Sonderregelung des § 489 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BGB nur zum jeweiligen Zinsanpassungstermin gekündigt werden95. In allen Fällen entfällt die Kündigungsmöglichkeit, wenn eine neue Vereinbarung über den Zinssatz getroffen wird, wobei es sich bei dem neuen Zinssatz auch um einen variablen Zinssatz handeln kann96.
26.64
Nach Ablauf von zehn Jahren nach Auszahlung der Darlehenssumme ist stets eine Kündigung mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten möglich (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Eine Kündigung ist also höchstens für 10 1/ 2 Jahre97 ausgeschlossen, soweit von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht ausnahmsweise vertraglich abgewichen werden kann (dazu sogleich Rz. 26.67 f.).
26.65
bbb) Bei Vereinbarung eines veränderlichen Zinssatzes ist eine Kündigung jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten möglich (§ 489 Abs. 2 BGB). Möchte ein Darlehensnehmer auch in Zukunft auf Kreditfinanzierungen zurückgreifen, kann die
26.66
92 Wurmnest in MünchKomm. BGB, § 309 Nr. 5 Rz. 27; Becker in Bamberger/Roth, BGB, § 309 Nr. 5 Rz. 41. 93 Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 22. 94 Krepold in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 79 Rz. 23; s.a. Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 39. 95 Näher Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 39. 96 Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 30. 97 Ausführlich Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 52.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
potentiell rufschädigende Wirkung eines solchen Vorgehens Anlass geben, von dieser Kündigungsmöglichkeit nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen98.
26.67 ccc) Die in § 489 Abs. 1 und 2 BGB genannten Kündigungsrechte sind nach § 489 Abs. 4
Satz 1 BGB zwingend, können also weder durch Allgemeine Geschäftsbedingungen noch durch eine Individualvereinbarung ausgeschlossen werden. Entgegenstehende Vereinbarungen sind gemäß § 134 BGB nichtig99. Auch jede Erschwerung des Kündigungsrechts ist unzulässig. Daher dürfen weder zusätzliche Voraussetzungen aufgestellt noch die Kündigungsfristen verlängert werden100. Selbst die Vereinbarung einer Vorfälligkeitsentschädigung (dazu Rz. 26.85) für diese Kündigungsfälle ist unzulässig, weil diese Zahlungspflicht den Darlehensnehmer von der Ausübung eines Kündigungsrechts abhalten könnte101.
26.68 Keine Geltung haben die vorgenannten Einschränkungen für bestimmte juristische Per-
sonen des öffentlichen Rechts als Darlehensnehmer, nämlich für den Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband, die Europäischen Gemeinschaften oder ausländische Gebietskörperschaften (§ 489 Abs. 4 BGB)102.
26.69 ddd) Weitere Kündigungsrechte lassen sich im Darlehensvertrag vereinbaren. 26.70 eee) Dient ein Schuldscheindarlehen wie in der Regel der Finanzierung eines bestimmten Vorhabens, ist das Interesse an einer ordentlichen Kündigung auf beiden Seiten gering. Daher findet sich in manchen Darlehensverträgen die Regelung, dass ein ordentliches Kündigungsrecht sowohl für den Darlehensnehmer als auch für den Darlehensgeber im Rahmen des gesetzlich Zulässigen ausgeschlossen ist103. Von diesem Kündigungsausschluss ist jedoch nur das Kündigungsrecht nach § 488 Abs. 3 BGB erfasst, das ohnehin kaum je von Bedeutung sein wird. Die Kündigungsmöglichkeiten des Darlehensnehmers nach § 489 Abs. 1 und 2 BGB sind von diesem Ausschluss nur dann erfasst, wenn Darlehensnehmer eine der in § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB genannten Personen (im Wesentlichen Bund, Länder und Gemeinden) ist. bb) Außerordentliche Kündigung
26.71 aaa) Der Darlehensnehmer hat nach § 490 Abs. 2 BGB ein Recht zur außerordentlichen
Kündigung für den Fall, dass der Darlehensvertrag einen gebundenen Sollzinssatz vorsieht und ein Grund- oder Schiffspfandrecht als Sicherheit bestellt wurde. Voraussetzung dieses Kündigungsrechts ist ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers an der Kündigung und dass seit der Auszahlung der vollständigen Darlehensvaluta mindestens sechs Monate vergangen sind. Als Beispiel für ein berechtigtes Interesse nennt das Gesetz das Bedürfnis nach einer anderweitigen Verwertung der Sicherheit. Ein solches berechtigtes Interesse kann im Einzelfall auch bei Unternehmen, gewerblichen Darlehensnehmern oder der öffentlichen Hand vorliegen. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate104. 98 BayernLB, Fixed Income Spezial, S. 5. 99 Begr. RegE BT-Drucks 10/4741, 23; Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 66; Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 3, 18; Berger in MünchKomm. BGB, § 489 Rz. 19; Krepold in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 79 Rz. 56. 100 Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 69 ff. 101 Näher Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 71. 102 Näher Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 74. 103 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 367. 104 Ausführlich Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 56 ff.
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Schuldscheindarlehen | § 26
bbb) Für den Darlehensgeber ist eine Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund in § 490 Abs. 1 BGB geregelt105. Ein Kündigungsrecht besteht, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers oder die Werthaltigkeit einer gestellten Sicherheit wesentlich verschlechtert haben oder eine solche Verschlechterung jedenfalls einzutreten droht und dadurch die Rückzahlung des Darlehens gefährdet wird. Die Frage, ob eine Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs vorliegt, beurteilt sich dabei auch unter Berücksichtigung des Erlöses einer etwaigen Verwertung der Sicherheit106.
26.72
ccc) Sowohl Darlehensgeber als auch Darlehensnehmer steht im Übrigen das allgemeine Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zur Verfügung (§§ 314, 490 Abs. 3 BGB). Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn eine Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass dem Kündigenden ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist107. Zur Konkretisierung dieser Vorschrift enthält der Darlehensvertrag in aller Regel eine (nicht abschließende) Aufzählung der Umstände, die einen wichtigen Kündigungsgrund für den Darlehensgeber bilden:
26.73
– Rückstand mit Zahlungen für einen gewissen Zeitraum (10–30 Tage), – Darlehensnehmer verstößt gegen Verpflichtungen aus einer Negativerklärung oder hält vereinbarte Finanzrelationen nicht ein (dazu Rz. 26.44 ff.), – Vereinbarte Sicherheit ist oder wird unwirksam, – Drittverzugsklausel: Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung aus einer von ihm eingegangenen Geldaufnahme oder Garantie für eine Geldaufnahme gegenüber Dritten, – Liquidation des Darlehensnehmers, – Einstellung oder wesentliche Änderung des Geschäftsbetriebes, – Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte, wenn damit eine Vermögensminderung einhergeht und dadurch die Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen gefährdet wird, – Vorliegen eines Insolvenzgrundes, – Eingliederung des Darlehensnehmers in ein anderes Unternehmen und dadurch Gefährdung der Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen, – Abschluss, Änderung oder Kündigung eines Unternehmensvertrags nach §§ 291 f. AktG und dadurch Gefährdung der Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen, – Kontrollwechsel. Auf Seiten des Darlehensnehmers ist die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit für den Fall, dass aufgrund einer Gesetzesänderung Quellensteuern erhoben werden, die der Darlehensnehmer aufgrund einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung oder kraft ergänzender Vertragsauslegung zu tragen hat (gross-up), von praktischer Bedeutung108. Eine vertragliche Präzisierung der Kündigungsgründe darf das Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht nennenswert einschränken109. Sollte die vertragliche Auflistung dies 105 106 107 108 109
Ausführlich Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 6 ff. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 29 ff. Zu Einzelheiten s. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 134 ff. Wehrhahn, BKR 2012, 363, 367. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 167; Unberath in Bamberger/Roth, BGB, § 314 Rz. 26; Gaier in MünchKomm. BGB, § 314 Rz. 4.
Mülbert/Bernauer | 905
26.74
§ 26 | Schuldscheindarlehen
im Einzelfall bezwecken, blieben die allgemeinen Regeln für das Vorliegen eines wichtigen Grundes gleichwohl maßgeblich.
26.75 Umgekehrt werden regelmäßig Kündigungstatbestände vereinbart, die nach den allgemeinen
Regeln keinen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Diese Erweiterungen des Kündigungsrechts dergestalt, dass diese Tatbestände stets einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen, ist grundsätzlich wirksam möglich und kann etwa hinsichtlich der Pflicht aus § 18 Abs. 1 KWG sogar aufsichtsrechtlich geboten sein110. Hierfür bestehende Grenzen sind im Bereich der Schuldscheindarlehen von geringerer praktischer Bedeutung. Im Einzelnen:
26.76 Eine Kündigungsabrede, die dem Darlehensgeber in der Sache ein in seinem freien Ermes-
sen liegendes Kündigungsrecht und damit die Möglichkeit einer willkürlichen Kündigung einräumt, ist wegen ihres knebelnden Charakters unwirksam (§ 138 BGB). Weitergehende Einschränkungen unter dem Aspekt, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber gegenüber strukturell unterlegen ist (§ 138 BGB)111, spielen bei Schuldscheindarlehen deswegen praktisch keine Rolle, weil bei Unternehmen und der öffentlichen Hand als Darlehensnehmern regelmäßig keine derartige Unterlegenheit begründet ist.
26.77 Bei Klauseln in AGB, die das Kündigungsrecht erweitern, ergeben sich zusätzliche Ein-
schränkungen aus den §§ 305 ff. BGB, die für das Schuldscheindarlehen jedoch von keiner großen Bedeutung sind. Bei einem Ratenkreditvertrag ist es mit der Wertung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB nicht zu vereinbaren (vgl. § 307 BGB), formularmäßig ein Kündigungsrecht schon beim einmaligen Verzug mit einer Zins- bzw. Tilgungsrate festzuschreiben; und erst recht nicht beim bloßen Teilverzug mit einer Rate112. Die Heranziehung dieser Wertung auch bei einem Unternehmenskredit erscheint allerdings nicht angezeigt, insbesondere nicht beim Verzug mit einer vollen Rate. Gegen § 307 BGB soll es ferner verstoßen, wenn ein Kreditinstitut bei Verlust oder erheblicher Beschädigung einer Sicherheit selbst dann kündigen kann, wenn der Darlehensnehmer gleichwertigen Ersatz stellt113.
26.78 Auch dies lässt sich für Unternehmenskredite mit guten Gründen anders sehen. Im Einzel-
fall kann es an einem wichtigen Grund fehlen, obwohl ein vertraglich vereinbarter Kündigungsgrund oder ein Umstand vorliegt, der das Festhalten am Vertrag an sich unzumutbar macht. Besteht der Grund der Kündigung in der Verletzung einer Vertragspflicht, ist eine Kündigung aus wichtigem Grund nur möglich, wenn der Kündigende zuvor erfolglos eine Abhilfefrist gesetzt oder dieses Verhalten erfolglos abgemahnt hatte (§ 314 Abs. 2 BGB). Entbehrlich ist die Fristsetzung bzw. Abmahnung nur dann, wenn der Darlehensnehmer die Erfüllung der Vertragspflichten ernsthaft und endgültig verweigert, wenn eine bestimmte Frist vereinbart war und der Darlehensgeber sein Leistungsinteresse an die Einhaltung dieser Frist geknüpft hat, oder wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass eine
110 Kreditinstitute haben sich nach Auffassung der BaFin zivilrechtlich die Voraussetzungen für ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall zu verschaffen, dass der Kreditnehmer dem Verlangen nach der gemäß § 18 Abs. 1 KWG erforderlichen Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachkommt (Bock in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 18 Rz. 48; Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 170). 111 Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 171; Unberath in Bamberger/Roth, BGB, § 314 Rz. 26; Gaier in MünchKomm. BGB, § 314 Rz. 4. 112 S. OLG Hamm v. 20.12.1985 – 11 U 108/85, NJW-RR 1986, 402 = WM 1986, 1216, 1217: beim Ratenkredit Verzug mit mindestens zwei vollen Raten. S. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 173. 113 OLG Hamm v. 20.12.1985 – 11 U 108/85, NJW-RR 1986, 402 = WM 1986, 1216, 1217.
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Schuldscheindarlehen | § 26
Abmahnung im Einzelfall nicht zumutbar war (§ 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB)114. Das vereinbarte Kündigungsrecht wegen Nichteinhaltung von vereinbarten Finanzrelationen (financial covenants) kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn der Darlehensgeber aus einer Verletzung von financial covenants trotz Kenntnis hiervon wiederholt keine Konsequenzen gezogen, sondern auf deren Einhaltung deswegen verzichtet hat, weil die Verfehlung der vereinbarten Kennzahlen keine materiell bedeutende Verschlechterung des Kreditrisikos beinhaltete115. In einem solchen Fall entfällt des Kündigungsrecht wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB).
26.79
Stets ist die Kündigung aus wichtigem Grund nur innerhalb einer angemessenen Frist ab Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund zulässig (§ 314 Abs. 3 BGB). Die Angemessenheit hängt von der Komplexität des zugrunde liegenden Sachverhalts ab, insbesondere davon, ob noch umfangreiche Ermittlungen oder gründliche rechtliche Prüfungen erforderlich sind116. Nach der Rechtsprechung ist ein zweimonatiges Zuwarten bei einem Kreditvertrag jedenfalls nicht mehr angemessen117.
26.80
ddd) In besonderen Ausnahmefällen, die auf Umständen außerhalb des Darlehensvertrages beruhen118, kommt schließlich das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 313 Abs. 1, 3 Satz 2 BGB wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht.
26.81
cc) Kündigungserklärung Die Erklärung der Kündigung ist grundsätzlich formlos möglich. Auch die Angabe eines Kündigungsgrundes ist nicht erforderlich119. Zur Gewährleistung von Rechtssicherheit empfiehlt sich jedoch eine Kündigung zumindest in Textform. Üblich ist sogar die Vereinbarung der Schriftform. Für deren Einhaltung ist erforderlich, dass die Kündigungserklärung eigenhändig vom Kündigenden selbst oder einem Vertretungsberechtigten unterzeichnet ist (§§ 127, 126 BGB). Für die Übermittlung der Kündigungserklärung genügt deren telekommunikativ mittels Telegramm, Telefax oder auch e-mail herbeigeführter Zugang beim Kündigungsempfänger. Wird eine solche Form gewählt, kann der Empfänger nachträglich zu Beweiszwecken die Übermittlung der unterschriebenen Kündigungserklärung im Original oder in elektronischer Form (§ 126a BGB) verlangen (§ 127 Abs. 2 BGB); die Wirksamkeit der Erklärung bleibt aber unberührt.
26.82
Die weitergehende Klausel, dass die Kündigung in Schriftform oder durch eingeschriebenen Brief erfolgen muss, begründet ein besonderes Zugangserfordernis zu Lasten des Kündigenden. Ob eine solche Abrede auch Unternehmen und die öffentliche Hand unangemessen benachteiligt und sich daher in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht
26.83
114 Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 147; Gaier in MünchKomm. BGB, § 314 Rz. 17; Unberath in Bamberger/Roth, BGB, § 314 Rz. 19. 115 Wittig, WM 1996, 1381, 1388; Berger in MünchKomm. BGB, § 490 Rz. 54; Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 182. 116 Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 152; Gaier in MünchKomm. BGB, § 314 Rz. 20. 117 OLG Karlsruhe v. 25.6.2001 – 9 U 143/00, WM 2001, 1803. 118 Näher Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 124 f.; Unberath in Bamberger/Roth, BGB, § 314 Rz. 7. 119 Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 47, 77.
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§ 26 | Schuldscheindarlehen
wirksam vereinbaren lässt (§ 307 Abs. 1 BGB)120, hat die Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Aufgrund des besonderen Bedürfnisses nach klaren Rechtsverhältnissen im Wirtschaftsleben sollte es im Unterschied zur Verwendung dieser Klausel gegenüber Verbrauchern121 bei der Wirksamkeit dieser Klausel sein Bewenden haben122. Unabhängig davon empfiehlt es sich jedenfalls, bis zur höchstrichterlichen Klärung dieser Frage schriftlich bzw. durch eingeschriebenen Brief zu kündigen, wenn dies vereinbart wurde.
26.84 Die Kündigung kann sich im Falle des § 489 Abs. 1 BGB auch nur auf einen Teilbetrag des Darlehens erstrecken. Dies ist in der Kündigung hinreichend deutlich zum Ausdruck zu bringen. Im Zweifel ist vom gesetzlichen Regelfall und damit von einer Kündigung des gesamten Darlehens auszugehen123.
dd) Ansprüche bei vorzeitiger Kündigung
26.85 Wird dem Darlehensnehmer das ordentliche Kündigungsrecht für einzelne vertraglich
festgelegte Fälle belassen und macht er hiervon Gebrauch, schuldet er nur dann ein Vorfälligkeitsentgelt, wenn dies vereinbart wurde. Die Höhe dieses Vorfälligkeitsentgelts können die Parteien grundsätzlich frei vereinbaren124. Kann der Darlehensnehmer eines grundpfandrechtlich besicherten Schuldscheindarlehens ausnahmsweise wegen eines berechtigten Interesses kündigen (§ 490 Abs. 2 BGB), schuldet er lediglich eine Vorfälligkeitsentschädigung nach Maßgabe des § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB125.
26.86 Kündigt der Darlehensgeber das Schuldscheindarlehen aus einem vom Darlehensnehmer
schuldhaft gesetzten wichtigen Grund, kann er Schadensersatz wegen vorzeitiger Beendigung analog § 628 Abs. 2 BGB verlangen126. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Darlehensvertrag ordentlich oder außerordentlich gekündigt oder ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird. Entscheidend ist nicht die Art des Beendigungs-/Abwicklungsmechanismus, sondern dessen Anlass127. Der Schadensersatzanspruch soll den Verlust ausgleichen, der dem Darlehensgeber durch die vorzeitige Rückzahlung der Darlehensvaluta entsteht. Der Anspruch umfasst den Ersatz der entgangenen Darlehenszinsen und alle weiteren Schäden des Darlehensgebers aus der vorzeitigen Kündigung128. Der Darlehensgeber kann die Höhe des entgangenen Gewinns pauschalieren (zu den Grenzen s. Rz. 26.61). Im Anwendungsbereich des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darf die Pauschale jedoch den beim gewöhnlichen Lauf der Dinge entstehenden Schaden nicht übersteigen129.
120 Bei Verwendung gegenüber einem Verbraucher ist die Klausel zwingend unwirksam gemäß § 309 Nr. 13 BGB. 121 Dazu s. vorige Fn. 122 S. näher Wurmnest in MünchKomm. BGB, § 309 Nr. 13 Rz. 6. 123 Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 3, S. 7; Mülbert in Staudinger, BGB, § 489 Rz. 37. 124 Näher Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 108. 125 Zur Berechnung s. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 89 ff. 126 Allgemeine Meinung, s. BGH v. 31.1.1985 – III ZR 105/83, NJW 1986, 376 = WM 1985, 473, 474 = ZIP 1985, 466 m. Anm. Bunte; BGH v. 28.4.1988 – III ZR 57/87, WM 1988, 929; BGH v. 8.2.2000 – XI ZR 313/98, WM 2000, 718; Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 161; Preis in Staudinger, BGB, § 628 Rz. 34; Henssler in MünchKomm. BGB, § 628 Rz. 55. 127 Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 162; Preis in Staudinger, BGB, § 628 Rz. 41; vgl. BAG v. 10.5.1971 – 3 AZR 126/70, NJW 1971, 2092 f. = WM 1971, 1521, 1522; BAG v. 12.6.2003 – 8 AZR 341/02, BB 2003, 2747. 128 Zu den Einschränkungen des Anspruchs s. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 163. 129 BGH v. 11.11.1997 – XI ZR 13/97, WM 1998, 70, 71; BayObLG v. 1.6.1981 – BReg 2 Z 34/81, DB 1981, 1616 = DNotZ 1983, 44; Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 164b.
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Schuldscheindarlehen | § 26
3. Aufrechnung und Ausübung sonstiger Gegenrechte Eine Aufrechnung durch den Darlehensgeber mit dem Anspruch auf Darlehensgewährung ist im Hinblick auf den Zweck des Schuldverhältnisses ausgeschlossen. Eine gesonderte Vereinbarung über das Verbot der Aufrechnungsvalutierung ist nicht erforderlich130.
26.87
Demgegenüber kann für die Darlehensnehmerin ein Aufrechnungsverbot grundsätzlich wirksam vereinbart werden. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist ein Aufrechnungsverbot grundsätzlich nur wirksam, wenn es unbestrittene und rechtskräftig festgestellte Forderungen von dem Verbot ausnimmt (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB)131.
26.88
Gegenüber Versicherungsunternehmen hat der Darlehensnehmer nach der Verwaltungspraxis der BaFin einen Aufrechnungsverzicht zu erklären, der den Verzicht des Schuldners auf die Erklärung der Aufrechnung und die Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten beinhaltet132. Aufgrund der versicherungsaufsichtsrechtlichen Besonderheiten, die in eine Interessenabwägung einzustellen sind, dürfte die Aufrechnungsverzichtserklärung, die sich auch auf unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen erstreckt, mit § 307 BGB vereinbar sein.
26.89
Klauseln, die weitere Gegenrechte wie insbesondere Zurückbehaltungs- und Pfandrechte ausschließen, sind ebenfalls nur unter den soeben genannten Voraussetzungen wirksam133, also nur bei Ausklammerung unbestrittener und rechtskräftig festgestellter Forderungen.
26.90
VII. Weitergabe an Endkreditgeber 1. Abtretungsmodell a) Abtretungsvertrag Beim indirekten System in Form des Abtretungsmodells werden an die Endkreditgeber der in Teilbeträge zerlegte Darlehensrückzahlungsanspruch und der anteilig gestückelte Zinsanspruch vom ersten Kreditgeber/Arrangeur durch einen Abtretungsvertrag gemäß § 398 BGB abgetreten. Daneben tritt die arrangierende Bank typischerweise auch alle Nebenrechte, soweit zulässig, ab134 und ermächtigt den Endkreditgeber (§ 183 BGB), die ihm nicht abgetretenen Rechte im eigenen Namen geltend zu machen. Diese umfassende Entlastung des Arrangeurs wird auch beim Fehlen einer ausdrücklichen Abrede regelmäßig 130 BGH v. 24.2.1978 – V ZR 182/75, NJW 1978, 883, 884 = WM 1978, 318; Dennhardt in Bamberger/Roth, BGB, § 387 Rz. 37.1. 131 Hierbei wird der Rechtsgedanke des § 309 Nr. 3 BGB für Verträge mit Verbrauchern auch auf Verträge zwischen Unternehmen übertragen. S. dazu BGH v. 20.6.1984 – VIII ZR 337/82, BGHZ 91, 375, 383 = WM 1984, 1100, 1102; BGH v. 16.10.1984 – X ZR 97/83, BGHZ 92, 312, 316 = WM 1985, 31, 32; BGH v. 1.12.1993 – VIII ZR 41/93, NJW 1994, 657, 658 = WM 1994, 548, 549; BGH v. 27.6.2007 – XII ZR 54/05, WM 2007, 1810; Wurmnest in MünchKomm. BGB, § 309 Nr. 3 Rz. 10. 132 Geschäftsbericht BAV 1999, Teil A, S. 59, Nr. 1.1.7, Geschäftsbericht BAV 1997, Teil A, S. 68, Nr. 1.1.7. Daran festhaltend BaFin, Rundschreiben 15/2005, I und Rundschreiben 13/2005 (VA), B.2.3.8; Rundschreiben 4/2011, B.1; Rundschreiben 11/2017, B.1. 133 Becker in Bamberger/Roth, BGB, § 309 Nr. 2 Rz. 17. 134 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.265; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366.
Mülbert/Bernauer | 909
26.91
§ 26 | Schuldscheindarlehen
kraft ergänzender Vertragsauslegung anzunehmen sein, weil der Arrangeur nach erfolgter Abtretung für alle Beteiligten ersichtlich kein Interesse mehr hat, als Vertragspartner noch Rechte aus dem Darlehensvertrag wahrzunehmen. Die Vereinbarung, dass das arrangierende Kreditinstitut als Zahlstelle bei der Durchführung des Schuldscheindarlehens tätig wird, spricht vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen dafür, dass sich das Institut seiner Rechte aus dem Darlehensvertrag zugunsten der Endkreditgeber so weit wie möglich entledigen möchte135.
26.92 Der Abtretungsvertrag ist wie schon der Darlehensvertrag formfrei wirksam. Gleichwohl
wird auch dieser zu Beweiszwecken schriftlich geschlossen. Hieran besteht auch ein besonderes Interesse des Darlehensnehmers, der am Abschluss des Abtretungsvertrags nicht beteiligt ist, aber dennoch zuverlässige Kenntnis von dessen Inhalt haben soll. Daneben ist in der Regel eine Anzeigepflicht gegenüber dem Darlehensnehmer vorgesehen. Diese Anforderungen an die Abtretung haben zur Folge, dass die Forderung nicht (mehr) EZB-fähig ist. Dem kann jedoch durch die Bestimmung abgeholfen werden, dass im Falle der Abtretung an eine Notenbank des Eurosystems zu Zwecken der Besicherung keine Zustimmungs- und Anzeigeerfordernisse gelten136.
26.93 Die Abtretung durch das arrangierende Kreditinstitut als erstem Darlehensgeber kann
grundsätzlich ohne Mitwirkung des Darlehensnehmers erfolgen. Die Abtretbarkeit der Forderungen kann aber eingeschränkt werden (§ 399 2. Alt. BGB), insbesondere durch die darlehensvertragliche Vereinbarung eines Zustimmungsvorbehalts des Darlehensnehmers137. Bei der konkreten Ausgestaltung eines solchen Zustimmungsvorbehalts können die Interessen von Darlehensnehmer und Darlehensgebern gleichermaßen berücksichtigt werden. Um den ersten Darlehensgeber (Zedent) nicht unnötig in seinem wirtschaftlichen Handlungsspielraum einzuschränken, werden von diesem Zustimmungsvorbehalt regelmäßig Ausnahmen für einen bestimmten Personenkreis zugelassen (z.B. Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften, Zentralbanken)138. Spiegelbildlich hierzu ist es aber auch möglich, nur für einen bestimmten Personenkreis (insbes. Wettbewerber) einen Zustimmungsvorbehalt zu vereinbaren. Die verbotswidrige, also ohne Zustimmung des Darlehensnehmers erfolgende Abtretung durch das arrangierende Kreditinstitut ist unwirksam (§ 354a Abs. 2 HGB). Als eine weitere Einschränkung der Abtretbarkeit wirkt die Vereinbarung einer Mindeststückelung, die eine zu große Streuung verhindern soll139.
26.94 Die umfassende Information des Abtretungsempfängers über das Kreditrisiko ist nur
möglich, wenn der Darlehensnehmer das arrangierende Kreditinstitut vom Bankgeheimnis befreit140. Dies erfolgt in der Regel bereits im Darlehensvertrag. Unterbleibt eine Befreiung
135 136 137 138
Zum Ganzen Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 567. BayernLB, Fixed Income Spezial, S. 8. Busche in Staudinger, BGB, § 399 Rz. 53. Die Vereinbarung eines Zustimmungsvorbehalts für den Fall der Abtretung der Forderung durch ein Versicherungsunternehmen ist jedoch mit den Anlagegrundsätzen nicht vereinbar. S. BaFin, Rundschreiben 11/2017, B.3.1.b); BaFin, Auslegungsentscheidung zum Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht, Abschn. X. Rz. 62. 139 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 367; Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 64 Fn. 115. 140 Ausführlich zum Bankgeheimnis s. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 93 ff.
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Schuldscheindarlehen | § 26
im Einzelfall und werden die Informationen trotzdem weitergegeben, bleibt die Wirksamkeit der Abtretung hiervon unberührt141. b) Rechtskauf als schuldrechtliches Grundgeschäft Erfolgt die Abtretung, wie wohl praktisch stets, gegen Entgelt, liegt ein Forderungskauf (§§ 433, 453 BGB) zugrunde. Das die Teilforderung abtretende Kreditinstitut haftet gegenüber den Endkreditgebern (Zessionare) lediglich für den Bestand der Forderung (Veritätshaftung), nicht für die Bonität des Darlehensnehmers, es sei denn, es wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart142.
26.95
c) Wirkungen der Abtretung Alle abgetretenen Teilforderungen stehen vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarungen mit gleichem Rang selbständig nebeneinander, da sie auf demselben rechtlichen Grund beruhen143. Jeder Gläubiger einer Darlehens(teil)forderung kann die ihm abgetretenen Ansprüche (und Nebenrechte) daher unabhängig von den anderen Darlehensteilgläubigern geltend machen. Eine Koordination der Teilkreditgeber lässt sich erreichen, indem ein Treuhänder vorgesehen wird (Rz. 26.119 ff.).
26.96
Im Übrigen bleibt der erste Kreditgeber weiterhin Partei des von ihm ursprünglich abgeschlossenen Darlehensvertrags144 und kann vorbehaltlich abweichender Abreden weiterhin die hieraus folgenden Rechte, etwa Kündigungsrechte (dazu Rz. 26.102) und Rechte betreffend die Sicherheiten, wahrnehmen.
26.97
Kreditsicherheiten für die Ansprüche aus dem Schuldscheindarlehensvertrag – Zinsen, Rückzahlung – gehen mit der Abtretung kraft Gesetzes über, soweit es sich um akzessorische Sicherheiten wie Bürgschaften oder Hypotheken handelt (§ 401 BGB). Nichtakzessorische Sicherheiten wie etwa Garantien oder Grundschulden müssen je gesondert abgetreten werden (§§ 413, 398 BGB), ohne dass die Übertragung – vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen bei der Bestellung der Sicherheit – der Zustimmung des Darlehensnehmers bedürfte.
26.98
d) Auswirkungen für den Darlehensnehmer Gegenüber den Endkreditgebern kann der Darlehensnehmer diejenigen Einwendungen und Einreden145 aus dem Vertrag mit dem ersten Kreditgeber geltend machen, die zum Zeitpunkt der Abtretung begründet waren (§ 404 BGB)146. Eine anderweitige Regelung ist durch eine Vereinbarung zwischen dem Darlehensnehmer und ersten Darlehensgeber oder dem Endkreditgeber möglich147. 141 BGH v. 23.1.2007 – XI ZR 44/06, WM 2007, 643, 644; OLG München v. 24.10.2007 – 7 U 1707/07, WM 2008, 1151, 1153; OLG Köln v. 15.9.2005 – 8 U 21/05, WM 2005, 2385; Berger in MünchKomm. BGB, § 488 Rz. 146; a.A. OLG Frankfurt v. 25.5.2004 – 8 U 84/04, WM 2004, 1386, 1387. 142 Westermann in MünchKomm. BGB, § 453 Rz. 11. 143 Busche in Staudinger, BGB, § 398 Rz. 48; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366. 144 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366. 145 Busche in Staudinger, BGB, § 404 Rz. 10 ff. 146 Zum Übergang des Nachrangrisikos gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO s. Wilhelm, ZHR 180 (2016), 776, 794 ff. 147 Grüneberg in Palandt, BGB, § 404 Rz. 35 ff.; Roth in MünchKomm. BGB, § 404 Rz. 19.
Mülbert/Bernauer | 911
26.99
§ 26 | Schuldscheindarlehen
26.100
Die Endkreditgeber müssen vom Darlehensnehmer an den ersten Kreditgeber geleistete Tilgungs- und Zinszahlungen gegen sich gelten lassen, die der Darlehensnehmer vor Kenntniserlangung von der Abtretung erbracht hat (§ 407 Abs. 1 BGB). Ein Ausgleich hat dann zwischen dem Zedenten und dem Abtretungsempfänger (Zessionar) zu erfolgen. Wenn eine Zahlstelle eingerichtet wird, sind alle Zahlungen über diese abzuwickeln. Erfüllung tritt aber erst dann ein, wenn die Zahlungen an die jeweiligen Zessionare weitergeleitet wurden. Wenn keine Pfandbriefbanken beteiligt sind, die die Hypothek oder Grundschuld in die Pfandbriefdeckung nehmen wollen, wird häufig die Vereinbarung getroffen, dass bereits die Zahlung an die Zahlstelle Erfüllungswirkung hat, die Zahlstelle also Empfangsbevollmächtigte ist148. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass die Zahlstelle rechtzeitig von der Person der Zessionars Kenntnis erlangt. Auch bei einer rechtzeitigen Abtretungsanzeige gegenüber der Zahlstelle hat der Ausgleich fehlgeleiteter Zahlungen zwischen dem Zedenten und dem Zessionar zu erfolgen. Die Zahlstelle macht sich jedoch schadensersatzpflichtig, wenn sie trotz Abtretungsanzeige weiterhin an den Zedenten zahlt. Besteht zwischen den Endkreditgebern und dem ersten Kreditgeber ein Treuhandvertrag, sind die Leistungen ohnehin weiter an den ersten Kreditgeber als Treuhänder zu erbringen, so dass der Darlehensnehmer mit der Zahlung an den ersten Kreditgeber selbst bei Kenntnis von der Abtretung seine Zahlungspflicht erfüllt hat.
26.101
Die Endkreditgeber müssen ferner Aufrechnungen mit Forderungen gegen den Zedenten im Rahmen des § 406 BGB gegen sich gelten lassen. Danach ist die Aufrechnung nur dann ausgeschlossen, wenn der Darlehensnehmer bei Erwerb der Forderung Kenntnis von der Abtretung hatte oder wenn die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist. Da ein für den Darlehensnehmer vereinbartes Aufrechnungsverbot (dazu Rz. 26.88) weiterhin besteht, sind auch insoweit die Risiken des Endkreditgebers gering. e) Ausübung von Gestaltungsrechten
26.102
Die Ausübung eines bestehenden Kündigungsrechts auf Darlehensgeberseite hat auch nach erfolgter (Teil-)Abtretung grundsätzlich durch den ersten Darlehensgeber zu erfolgen, nicht durch die einzelnen Endkreditgeber. Das Kündigungsrecht geht nämlich nicht ohne weiteres kraft Gesetzes (§ 401 BGB) auf den jeweiligen Endkreditgeber über149. Erforderlich ist vielmehr dessen gesonderte Abtretung150 oder jedenfalls eine Vereinbarung, 148 Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 71. 149 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 568 u. 306 unter Hinweis darauf, dass die Darlehenskündigung vom BGH (Urt. v. 9.7.2002 – XI ZR 323/01, WM 2002, 1764) und der ganz h.M. (Nachweise ebenda Rz. 292) zu Recht als eine das gesamte Schuldverhältnis betreffende Aufhebungskündigung und nicht als eine nur den Rückzahlungsanspruch betreffende Fälligkeitskündigung eingeordnet wird; a.A. BGH v. 22.3.2006 – IV ZR 6/04, NJW-RR 2006, 1091, 1094 = WM 2006, 1237, 1241 (mit unbehelflichem Verweis auf BGH v. 1.6.1973 – V ZR 134/72, NJW 1973, 1793 = WM 1973, 1270) mit der begründungslosen Behauptung, dass es sich bei der Darlehenskündigung um eine Fälligkeitskündigung handele. 150 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.265. Die Wirksamkeit einer solchen Abtretung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang nicht ausdrücklich anerkannt, weil sich die Abtretungserklärung im Falle ihrer Unwirksamkeit in der Regel jedenfalls in eine Ermächtigung zur Ausübung des Kündigungsrechts umdeuten (§ 140 BGB) lasse, s. BGH v. 23.2.1977 – VIII ZR 124/75, BGHZ 68, 118, 124 f. = WM 1977, 447, 449; BGH v. 10.12.1997 – XII ZR 119/96, NJW 1998, 896, 897 = WM 1998, 461.
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Schuldscheindarlehen | § 26
wonach der Abtretungsempfänger zur Ausübung des Kündigungsrechts im eigenen Namen ermächtigt wird151. Dies gilt gleichermaßen für das ordentliche und das außerordentliche Kündigungsrecht. Im Falle der außerordentlichen Kündigung ergeben sich jedoch im Rahmen der Interessenabwägung Besonderheiten je nachdem, ob der Darlehensnehmer der Abtretung zugestimmt hat. Die Interessen des ersten Darlehensgebers sind einzustellen, wenn die Abtretung ohne Zustimmung des Kündigungsempfängers erfolgt; hat der Kündigungsempfänger – ggf. auch antizipiert – der Abtretung zugestimmt, sind die Interessen des Endkreditgebers bei der Abwägung zu berücksichtigen152. Der Darlehensnehmer seinerseits kann, da nach den Teilabtretungen jeweils selbständige Forderungen bestehen, diese je einzeln kündigen153. Die Kündigung hat gegenüber dem ersten Darlehensgeber zu erfolgen, da der Bestand des Vertrages betroffen ist. Ob die Möglichkeit der Teilkündigung des Vertrages abbedungen werden kann, wurde bislang, soweit ersichtlich, gerichtlich noch nicht entschieden. Da darin eine Einschränkung des Kündigungsrechts gesehen werden könnte, ist die Abbedingung jedenfalls für die Kündigungsrechte nach §§ 489 Abs. 1 und 2 BGB und das Recht zur außerordentlichen Kündigung zweifelhaft.
26.103
f) Restrukturierung des Darlehens nach erfolgter Abtretung Eine umfassende Restrukturierung des Darlehens ist nach der Abtretung nur noch mit Zustimmung aller Beteiligten möglich154. Da der erste Darlehensgeber weiterhin Vertragspartner ist, kann nur dieser einen Änderungsvertrag mit dem Darlehensnehmer abschließen, der den Darlehensvertrag insgesamt neu gestaltet. Dieser Änderungsvertrag bedarf der Zustimmung der endgültigen Endkreditgeber, soweit deren Rechtsstellung betroffen ist. Die im Änderungsvertrag häufig enthaltenen Verfügungen (Stundung, Teilerlass, Änderung von Laufzeit und Tilgungsmodalitäten) sind ohne deren Zustimmung unwirksam (§ 185 Abs. 1 BGB). Der erste Darlehensgeber ist nicht mehr Inhaber sämtlicher Forderungen und daher auch nicht verfügungsbefugt. Die einzelnen Endkreditgeber können über ihre Forderung unabhängig von den anderen Zessionaren verfügen und diese beispielsweise stunden. Eine umfassende Restrukturierung kann auf diesem Wege jedoch nicht erreicht werden155. Hierfür wäre eine Konsortialvereinbarung zwischen den Kreditgebern erforderlich, die entsprechende Vetorechte einzelner Investoren ausschließen156.
26.104
Eine zwischen arrangierendem Kreditinstitut und Darlehensnehmer getroffene Restrukturierungsabrede hat auch dem Endkreditgeber gegenüber Wirkung, sofern der Darlehensnehmer von der Abtretung noch keine Kenntnis erlangt hat (§ 407 Abs. 1 BGB).
26.105
151 152 153 154
Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 306 ff., 568, § 490 Rz. 159 f. S. Mülbert in Staudinger, BGB, § 490 Rz. 159. Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 73. S. zur Problematik der Restrukturierung von Schuldscheindarlehen in der Krise Hessling/Theiselmann, ForderungsPraktiker 2010, 226, 228 ff.; Warneke/Becker, ZIP 2018, 1332, 1336 ff. 155 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 570; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 368; Lürken, BörsenZeitung v. 10.2.2018, Nr. 29, S. 13. 156 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 565a; Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AGFinanzierung, Kap. 13 Rz. 105 ff.
Mülbert/Bernauer | 913
§ 26 | Schuldscheindarlehen
g) Bedeutung des Schuldscheins
26.106
Mit der Abtretung der Darlehensforderung geht das Eigentum am Schuldschein auf den neuen Gläubiger über (§ 952 Abs. 1 Satz 1 BGB); dieser kann die Aushändigung des Schuldscheins verlangen (§§ 402 2. Alt., 985 BGB). Mit der Abtretung einer oder mehrerer Darlehensteilforderungen entsteht Miteigentum aller Gläubiger am Original157; die neuen Teilgläubiger können die Übergabe einer öffentlich beglaubigten Abschrift des Schuldscheins verlangen, nicht aber die zeitweilige Überlassung des Originals158. Es kann jedoch vertraglich vereinbart werden, dass ein oder mehrere neue Schuldscheine ausgestellt werden159.
2. Vertragsübernahmemodell a) Übernahmevertrag
26.107
Beim indirekten System in Form des Vertragsübernahmemodells rücken die Endkreditgeber im Wege der Teilvertragsübernahme in die Stellung des arrangierenden Kreditinstituts als ursprünglicher Vertragspartei ein. Diese Vertragsübernahme kann durch einen nicht formbedürftigen160 dreiseitigen sog. Übernahmevertrag erfolgen oder durch einen Vertrag zwischen dem ersten Darlehensgeber und dem jeweiligen Endkreditgeber, dem der Darlehensnehmer zustimmen muss161. Diese Zustimmung kann auch schon im Voraus im Schuldscheindarlehensvertrag erklärt werden162. Sie kann sich auf bestimmte Endkreditgeber beschränken oder, genau umgekehrt, bestimmte Endkreditgeber von der Zustimmung ausnehmen163. Auch eine formularmäßige Vereinbarung sollte wirksam sein. In die Interessenabwägung nach § 307 BGB – nicht § 309 Nr. 10 BGB, weil die Klausel gegenüber einem Unternehmen oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bzw. eines Sondervermögens verwendet wird (§ 310 Abs. 1 BGB) – ist einzustellen, dass der Darlehensvertrag nach der übereinstimmenden Intention der Vertragsparteien gerade darauf ausgelegt ist, dass Dritte daran beteiligt werden sollen und deswegen von vornherein kein Raum für die im Regelfall zu bejahende Annahme einer Verletzung der Interessen des Darlehensnehmers besteht164. Eine fehlende Zustimmung hat die Unwirksamkeit des Vertragsübernahmevertrags zur Folge. Im Einzelfall lässt sich die unwirksame Vertrags157 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 569; Gursky/Wiegand in Staudinger, BGB, § 952 Rz. 17; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366. 158 Str.; s. Busche in Staudinger, BGB, § 402 Rz. 19 m.w.N. 159 Koller in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 13 Rz. 65. 160 Formbedürftig ist der Übernahmevertrag nur dann, wenn der übernommene Vertrag formbedürftig war (BGH v. 29.11.1978 – VIII ZR 263/77, NJW 1979, 369, 370 = WM 1979, 208, 209; BGH v. 12.3.2003 – XII ZR 18/00, NJW 2003, 2158, 2159 = WM 2003, 1094, 1096 f.). 161 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 571; Bydlinski in MünchKomm. BGB, Vor § 414 Rz. 8. 162 BGH v. 18.10.1995 – VIII ZR 149/94, WM 1996, 128, 131; Wehrhahn, BKR 2012, 363, 367. 163 S. hierzu die entsprechenden Ausführungen zur Abtretung in Rz. 26.93. Die Ausgangslage ist dabei nicht identisch. Die Abtretung ist grundsätzlich zustimmungsfrei, wenn keine Beschränkungen vereinbart sind. Die Vertragsübernahme bedarf hingegen immer der Zustimmung, wobei im Schuldscheindarlehensvertrag der Umfang einer generellen Zustimmung geregelt werden kann. 164 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 571. Zu § 309 Nr. 10 BGB s. Wurmnest in MünchKomm. BGB, § 309 Nr. 10 Rz. 9. Für die Regelannahme s. nur Grüneberg in Palandt, BGB, § 309 Rz. 100.
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Schuldscheindarlehen | § 26
übernahme in eine kombinierte Abtretung von Darlehensrückzahlungsanspruch und anteiligem Zinsanspruch umdeuten165. b) Rechtskauf als schuldrechtliches Grundgeschäft Erfolgt die Vertragsübernahme wie wohl praktisch stets gegen Entgelt, liegt ein Forderungskauf (§§ 433, 453 BGB) zugrunde. Hinsichtlich der Bonitäts- und Veritätshaftung gelten die Ausführungen zur Abtretung entsprechend (Rz. 26.95).
26.108
c) Wirkungen der Vertragsübernahme Bei der Übertragung von Darlehensteilbeträgen im Wege der Vertragsübernahme an die Endkreditgeber scheidet das arrangierende Kreditinstitut vollständig aus dem Vertragsverhältnis aus, sofern es nicht selbst einen Teil des Darlehens im eigenen Bestand behält. Der Darlehensvertrag wird zwischen den neuen Vertragsparteien inhaltlich unverändert fortgesetzt166.
26.109
Nichtakzessorische Kreditsicherheiten – Garantien, Grundschulden – für die Zinsansprüche und den Rückzahlungsanspruch sind gesondert auf den neuen Endkreditgeber im Wege der Abtretung zu übertragen (§§ 413, 398 BGB). Bei akzessorischen Sicherheiten ist dies entbehrlich.
26.110
d) Auswirkungen für den Darlehensnehmer Ein Schutz des Darlehensnehmers folgt zunächst daraus, dass die Vertragsübernahme nur mit seiner Zustimmung wirksam wird. Erklärt er seine Zustimmung hierzu zulässigerweise schon im ursprünglichen Darlehensvertrag, gelten die Grundsätze zur Abtretung167 mittels entsprechender Anwendung der §§ 404 ff., 418 BGB168. Der hierdurch gewährleistete Schutz betrifft die Vorgänge zwischen dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vertragsübernahme und der Kenntniserlangung des Darlehensnehmers hiervon. § 418 BGB ist für das Schulscheindarlehen allerdings ohne Bedeutung, da er nur die Sicherheiten für diejenige Forderung betrifft, deren Schuldner wechselt, und die Person des Schuldners des besicherten Darlehensrückzahlungsanspruchs sich nicht ändert. Die Anwendung des § 404 BGB kann auch hier ausgeschlossen werden (s. hierzu die Ausführungen zur Abtretung Rz. 26.99).
26.111
e) Ausübung von Gestaltungsrechten Bezüglich des übertragenen Anteils ist Vertragspartner des Schuldscheindarlehensvertrags nur noch der Endkreditgeber. Deshalb ist auch nur dieser zur Ausübung von Gestaltungsrechten berechtigt169. Umgekehrt kann der Darlehensnehmer auch nur ihm gegenüber Gestaltungsrechte ausüben. Eine Ausnahme gilt nur für die Anfechtung des Vertragsübernah165 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, ZIP 1996, 1516, 1519 = WM 1996, 1649, 1652; OLG München v. 24.10.2007 – 7 U 1707/07, WM 2008, 1151, 1153; Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 571; Roth/Kieninger in MünchKomm. BGB, § 398 Rz. 5, 185. 166 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 572; Bydlinski in MünchKomm. BGB, Vor § 414 Rz. 7. 167 Roth/Kieninger in MünchKomm. BGB, § 398 Rz. 188; s. hierzu Rz. 26.99 ff. 168 Grüneberg in Palandt, BGB, § 398 Rz. 44; OLG Hamm v. 30.8.1989 – 31 U 39/89, NJW-RR 1991, 48, 49 = WM 1990, 1152, 1154 f. 169 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 572; Röthel in Erman, BGB, Vor § 414 Rz. 9; Warneke/ Becker, ZIP 2018, 1332, 1335.
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26.112
§ 26 | Schuldscheindarlehen
mevertrags, die sowohl gegenüber dem ersten Darlehensgeber als auch gegenüber dem Endkreditgeber erfolgen muss170.
VIII. Zahlstellendienst des Kreditinstituts 1. Pflichten der Zahlstelle 26.113
Meist wird der Arrangeur nach der Abtretung bzw. Vertragsübernahme den Zahlstellendienst übernehmen. Im Falle der Unentgeltlichkeit dieses Dienstes liegt ein Auftrag (§ 662 BGB) zugrunde, sonst ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 675, 611 BGB). Dabei verpflichtet sich der Arrangeur, eingehende Zahlungen und Informationen unverzüglich an die Endkreditgeber weiterzuleiten171. Vorbehaltlich anderweitiger Abreden ist damit aber keine Pflicht zur Prüfung der eingehenden Informationen oder zur Überwachung der Covenants verbunden172.
26.114
Der Darlehensnehmer hat sämtliche Zahlungen bei Fälligkeit an die Zahlstelle zu erbringen. Eine Verzinsungspflicht der Zahlstelle ist dabei in der Regel ausgeschlossen. Die Zahlstelle ist zur Zahlung nur verpflichtet, wenn sie selbst vom Darlehensnehmer die Zahlungen erhalten hat. Zumeist wird sie aber zu einer vorherigen Zahlung an die Endkreditgeber ermächtigt, wobei eine Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers vereinbart wird, wenn die Zahlstelle in Vorleistung tritt. Dabei kann auf einen Referenzzinssatz (z.B. den European OverNight Index Average) Bezug genommen werden173.
2. Haftung der Zahlstelle 26.115
Das Kreditinstitut als Zahlstelle haftet auch nur innerhalb dieser genannten Pflichten, insbesondere im Falle der verspäteten Weiterreichung der Zahlungen für den Verzugsschaden (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB). Bei einer unterlassenen oder verspäteten Weitergabe der Informationen kann sich ein weiterer Schaden aus einer unterlassenen oder verzögerten Kündigung ergeben.
26.116
Das Kreditinstitut lässt sich jedoch meist durch den Darlehensnehmer von Ansprüchen Dritter, insbesondere der Endkreditgeber, von der Haftung freistellen, soweit es nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat174.
3. Beendigung des Zahlstellendienstes 26.117
Sofern ein Auftrag zugrunde liegt, kann dieser sowohl vom Darlehensnehmer als auch von der Zahlstelle jederzeit gekündigt werden (§ 671 BGB), wobei aber auch abweichende Regelungen zulässig sind. Der Geschäftsbesorgungsvertrag kann nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes fristlos gekündigt werden (§ 626 BGB). Eine ordentliche Kündigung ist 170 171 172 173
Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 572; Bydlinski in MünchKomm. BGB, Vor § 414 Rz. 7. Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366. Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 573. Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 573. S. zur Anleihe Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, § 6 S. 128. 174 Wehrhahn, BKR 2012, 363, 366.
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Schuldscheindarlehen | § 26
nur nach Maßgabe des § 621 BGB möglich. Die Länge der Kündigungsfrist variiert demnach entsprechend den Zahlungsperioden nach Tagen und Wochen. Erfolgt die Vergütung nicht nach Zeitabschnitten, so ist auch hier eine jederzeitige Kündigung möglich. Die Benennung einer neuen Zahlstelle nach Kündigung obliegt dem Darlehensnehmer. Um zu verhindern, dass für einen Übergangszeitraum keine Zahlstelle vorhanden ist, wird die bisherige Zahlstelle zur Benennung einer neuen Zahlstelle ermächtigt, wenn der Darlehensnehmer seiner Pflicht innerhalb einer bestimmten Frist nicht nachgekommen ist.
26.118
IX. Treuhandverhältnis 1. Rechtsnatur Zusammen mit der Abtretung der Darlehens(teil)forderungen kann zwischen dem arrangierenden Kreditinstitut und dem bzw. den jeweiligen Zessionaren ein Treuhandvertrag abgeschlossen werden, um die Abwicklung des Darlehensvertrags zu erleichtern.
26.119
Soll das arrangierende Kreditinstitut die Rechte der Endkreditgeber im eigenen Namen geltend machen, wird das Institut im Rahmen des Vertragsübernahmemodells als ermächtigter Treuhänder tätig; im Rahmen des Abtretungsmodells liegt eine je nach Umfang der abgetretenen Nebenrechte unterschiedliche Kombination von Vollrechts- und Ermächtigungstreuhand vor175.
26.120
Bei Vereinbarung einer (zusätzlichen) Sicherheitentreuhand hält das Kreditinstitut zur Sicherheit bestellte Grundschulden des Kreditnehmers als Vollrechtstreuhänderin176. Es erlangt also die volle dingliche Rechtsstellung an der Sicherheit, ist aber schuldrechtlich gewissen Beschränkungen unterworfen. Die wirksame Begründung der Treuhandstellung des Kreditinstituts gegenüber den Kreditgebern als Treugebern hängt nicht davon ab, dass die Sicherheit unmittelbar von den Treugebern dem Kreditinstitut übertragen wurde177. Andernfalls käme es besonders beim indirekten System zu unsinnigen Übertragungen und Rückübertragungen der Grundsicherheiten zwischen dem ersten und den folgenden Kreditgebern. Vielmehr muss die Offenkundigkeit der Treuhand hier den Ausschlag geben, so dass es für die Außenwirksamkeit des Treuhandverhältnisses genügen kann, wenn der Kreditnehmer die Sicherheiten sogleich dem Kreditinstitut bestellt.
26.121
2. Pflichten des Treuhänders Dem als Treuhänder für die Vertragsdurchführung berufenen Kreditinstitut obliegen die Überweisung der Zinsbeträge und der Tilgungsraten sowie Kontroll- und Warnpflichten zum Schutz der Kreditgeber, denen aus veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen der Sicherheiten oder des Kreditnehmers Schaden drohen kann. So hat der Treuhänder regelmäßig die Einhaltung der Covenants zu überwachen, die vom Darlehensnehmer vorgeleg175 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 574. 176 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1382. Zur Ungeeignetheit der Ermächtigungstreuhand und der Bestellung eines Grundbuchvertreters s. Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 575. 177 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 575. Im Ansatz ebenso Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1383.
Mülbert/Bernauer | 917
26.122
§ 26 | Schuldscheindarlehen
ten Informationen zu überprüfen und nach Information der Endkreditgeber auch die entsprechenden Darlehensgeberrechte, insbesondere Kündigungsrechte, auszuüben, sofern nicht in der Treuhandabrede abweichende Regelungen getroffen werden178.
26.123
Ist das Kreditinstitut (daneben) als Sicherheitentreuhänder berufen, obliegt ihm die einheitliche ordnungsgemäße Verwaltung der Sicherheiten.
3. Haftung des Treuhänders 26.124
Verletzt der Treuhänder eine der genannten Pflichten schuldhaft, macht er sich gegenüber den Darlehensgläubigern nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig. Als Schadensposition kommt bei den Darlehensgläubigern insbesondere ein Forderungsausfall in Betracht, wenn aufgrund der unterlassenen Überwachung eine Kündigung des Darlehens nicht rechtzeitig erfolgen konnte.
X. Schlussbemerkungen 26.125
Das von einem Kreditinstitut arrangierte Schuldscheindarlehen bildet eine interessante kapitalmarktnahe Alternative für fremdkapitalsuchende Unternehmen und für Investoren zu Unternehmensfinanzierungen am Kapitalmarkt. Für die Weitergabe von einzelnen Darlehenstranchen an Investoren hat die Praxis mit dem Abtretungsmodell und dem Vertragsübernahmemodell zwei Gestaltungsalternativen entwickelt, die bei (weitgehend) störungsfreier Durchführung des Darlehensverhältnisses praktisch gleichwertig sind. Beim Abtretungsmodell bleibt zwar das arrangierende Kreditinstitut im Unterschied zum Vertragsübernahmemodell weiterhin Vertragspartner. Mittels der Abtretung aller Nebenrechte, soweit möglich, und der Ermächtigung des Abtretungsempfängers, die nicht abtretbaren Rechte im eigenen Namen geltend zu machen, erhalten die Endinvestoren aber eine weitgehend gleichwertige Rechtsposition. Eine im Einzelfall ggf. notwendige Restrukturierung erfordert beim Abtretungsmodell im Gegensatz zum Vertragsübernahmemodell allerdings stets die Mitwirkung auch des arrangierenden Kreditinstituts als dem Vertragspartner.
178 Mülbert in Staudinger, BGB, § 488 Rz. 576; Witte, Das Schuldscheindarlehen in rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, S. 131 ff.
918 | Mülbert/Bernauer
§ 27 Derivate
I. Einführung . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . 2. Kategorien von Derivaten . . a) Festgeschäfte . . . . . . . . . . b) Optionsgeschäfte . . . . . . . 3. Einsatzzwecke von Derivaten a) Hedging . . . . . . . . . . . . . b) Trading . . . . . . . . . . . . . c) Arbitrage . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
II. Allgemeine Rechtsfragen . . . . . . 1. Verbindlichkeit von Derivategeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ultra-Vires-Lehre . . . . . . . . . . b) Spieleinwand nach § 762 BGB . 2. Haftungsrisiken bei Derivategeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftungsrisiken für Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegenüber Kunden . . . . . . . . . b) Haftungsrisiken für Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsgestaltung bei OTCDerivaten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inlandsgeschäfte . . . . . . . . . . b) Grenzüberschreitende Derivategeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . a) Lösungsklausel . . . . . . . . . . . b) Close-Out Netting . . . . . . . . . c) Zusammenfassung zu einheitlichem Vertrag . . . . . . . . . . .
__ __ __ __ __ __ _ _ _ _ __ __ __ _
27.1 27.5 27.10 27.11 27.12 27.14 27.15 27.16 27.17 27.18 27.18 27.18 27.22 27.26 27.26 27.35 27.43 27.44 27.53 27.59 27.60 27.61 27.64
5. Marktinfrastruktur . . . . . . . . a) Clearing- und Handelspflicht b) Risikominderungspflichten . . c) Transaktionsregister . . . . . .
. . . .
. . . .
III. Besondere Rechtsfragen von Derivaten, die der Unternehmensfinanzierung dienen . . . . . . 1. Einsatz von Derivaten zur direkten Mittelaufnahme . . . . . . a) Naked Warrants . . . . . . . . . . b) Covered Warrants . . . . . . . . . c) Huckepack-Optionen . . . . . . . d) Aktienswaps zur Monetisierung von Beteiligungen . . . . . . . . . 2. Einsatz von Derivaten zu Hedging-Zwecken . . . . . . . . . . . a) Hedging von Zinsrisiken . . . . . aa) Zinsswaps . . . . . . . . . . . . bb) Zinssatz-Caps . . . . . . . . . cc) Forward Rate Agreements . b) Hedging von Währungsrisiken . aa) Devisentermingeschäfte . . . bb) Währungsswaps . . . . . . . . c) Hedging von Aktienpreisrisiken aa) Call-Optionen auf eigene Aktien . . . . . . . . . . . . . . bb) Call-Optionen auf Aktien eines Drittemittenten . . . . cc) Call-Spread-Transaktionen auf eigene Aktien . . . . . . . d) Einsatz von Derivaten zum Beteiligungsaufbau . . . . . . . . .
__ __ _ __ __ _ __ __ __ ___ _ _ _ _
27.66 27.68 27.70 27.71
27.72 27.73 27.75 27.80 27.81 27.85
27.90 27.91 27.92 27.94 27.96 27.97 27.98 27.100 27.102 27.104 27.110 27.112 27.117
Schrifttum: Ahrendt in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2017; Balthasar in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Loseblattsammlung, Stand 2017; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017; Baums, Risiko und Risikosteuerung im Aktienrecht, ZGR 2011, 218; Baums/Sauter, Anschleichen an Übernahmeziele mit Hilfe von Aktienderivaten, ZHR 173 (2009), 454; Baur/Holle, Zur privilegierenden Wirkung der Business Judgment Rule bei Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage, AG 2017, 597; Becker/Follner, Beratungspflichten der Bank bei der Empfehlung von Swap-Geschäften, ZIP 2016, 2400; Behrends in Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016; Broichhausen, Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen auf eigene Aktien, NZG 2012, 86; Bücker, Finanzinnovationen und kommunale Schuldenwirtschaft, 1993; Busch, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss, AG 1999, 58; Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, 2001; Clouth, Aufklärungs- und Beratungspflichten bei Swaps in Grüneberg/Habersack/Mülbert/Wittig, Bankrechtstag 2015, 163; Cramer/Lang/ Schulz, Anmerkung zu BGH IX ZR 378/13, BKR 2015, 380; Cymutta in Kölner Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 2, 2017; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000; Dittrich/Fried in Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016; Dreher, Die Vorstandsverantwortung im Geflecht von Risikomanagement, Compliance und interner Revision, FS Hüffer, 2010, S. 161; Edelmann/Kuch in Münchener Ver-
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§ 27 | Derivate tragshandbuch, Band 4, Wirtschaftsrecht III, 7. Aufl. 2012; Emmenegger, Creeping Takeovers in Deutschland und in der Schweiz, FS Hopt, 2010, 1763; Emmerich in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, §§ 241–432, 7. Aufl. 2016; Endler in Zerey, Finanzderivate, 4. 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Derivate | § 27 Schüwer in Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016; Selzner, SPAC-Transaktionen in Deutschland, ZHR 174 (2010), 318 ; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016; Spindler, Aufklärungspflichten im Bankrecht nach dem „Zins-Swap-Urteil“ des BGH, NJW 2011, 1920; Spindler, Von der Früherkennung von Risiken zum umfassenden Risikomanagement, FS Hüffer, 2010, S. 985; Spindler, Compliance in der multinationalen Bankengruppe, WM 2008, 905; Steiner, Isoliert begebene Optionsscheine mit Finanzierungsfunktion, 2012; Storck in Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016; Teuber/Schöpp, Derivate-Regulierung EMIR, RdF 2013, 209; Vetter, Die Gegenleistung für den Erwerb einer Aktie bei Ausübung einer Call Option, AG 2003, 478; Weck, Anmerkung zu BGH XI ZR 316/13, BKR 2015, 211; Weichert/Wenninger, Die Neuregelung der Erkundigungs- und Aufklärungspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. Art. 19 RiL 2004/39/EG (MiFID) und Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, WM 2007, 627; von Westphalen, Derivategeschäfte, Risikomanagement und Aufsichtsratshaftung, 2000; Wohlfarth/Brause, Die Emission kursorientierter Wertpapiere auf eigene Aktien, WM 1997, 397; Wulff/Kloka, Umsetzung von EMIR-Pflichten im Zusammenhang mit Vereinbarungen nicht-geclearter Derivategeschafte, WM 2015, 215. Die Autoren danken Herrn Rechtsreferendar Christoph Kalb für die hilfreiche Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.
I. Einführung Nach den von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlichten Daten beliefen sich die ausstehenden außerbörslichen (OTC) Derivate zum 31.12.2016 auf nominal 483 Billionen US$1. Der größte Anteil entfiel dabei auf zinsbezogene Derivate (76 %), gefolgt von Fremdwährungskontrakten (14 %) und Credit Default Swaps (2 %). Im Hinblick auf börsliche Derivatetransaktionen (Futures und Optionen) lag das ausstehende Volumen nach den Veröffentlichungen der BIZ zum 31.12.2016 weltweit bei nominal etwa 84 Billionen US$2. Der größte Anteil entfiel wiederum auf Zinsderivate, gefolgt von aktienbasierten Derivaten.
27.1
Aufgrund dieser enormen Volumina und der bisweilen hohen Komplexität und relativ geringen Transparenz der Instrumente überrascht es nicht, dass OTC-Derivate schon vor der Insolvenz von Lehman Brothers und dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im September 2008 als wesentliches Risiko für die globale Finanzmarktstabilität angesehen wurden. Mit dem Aufkeimen der Staatsschuldenkrise rückten dann ferner Credit Default Swaps in den politischen Blickpunkt, da deren Leerverkäufe mit zu dem unerwartet schnellen Anstieg der Renditen von Anleihen der sog. PIIGS-Staaten beigetragen haben mögen. Vor diesem Hintergrund einigte sich die politische Führung der G-20 Staaten auf ihrem Gipfeltreffen in Pittsburgh am 26.9.2009 dahingehend, dass standardisierte OTC-Derivate, soweit angemessen, an Börsen oder auf elektronischen Handelsplattformen gehandelt und zur Verringerung des Kontrahentenrisikos über zentrale Gegenparteien (Central Counterparties oder CCPs) abgewickelt werden sollten3, sog. Clearing. Heute beträgt die Quote, die über CCPs abgewickelt wird, bereits mindestens 61 % des gesamten OTC-Derivatmarktes4. Ferner sollten Geschäfte in OTC-Derivaten an zentrale Datensammelstellen gemeldet werden (Reporting), um die Markttransparenz zu erhöhen. OTC-Derivate, die nicht über zen-
27.2
1 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, OTC derivatives statistics at end-December 2016, May 2017, abrufbar unter www.bis.org. 2 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIS Quarterly Review, June 2017, Summary Tables, Table 4, abrufbar unter www.bis.org. 3 http://www.g20.org/images/stories/docs/eng/pittsburgh.pdf. 4 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIS Quarterly Review, June 2017, Box A abrufbar unter www.bis.org.
Apfelbacher/Kopp | 921
§ 27 | Derivate
trale Gegenparteien abgewickelt werden (können), sind von Banken und Finanzinstituten mit höheren Eigenmitteln zu unterlegen.
27.3
Zentrale Bestandteile der in der Folge auf EU-Ebene getroffenen regulatorischen Maßnahmen sind die Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (VO Nr. 648/2012, European Market Infrastructure Regulation – EMIR), die Marktmissbrauchsverordnung (VO Nr. 596/2014, Market Abuse Regulation – MAR), die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (RL 2014/65/EU, Markets in Financial Instruments Directive – MiFID II), und die Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente (VO Nr. 600/2014, Markets in Financial Instruments Regulation – MiFIR). Ferner werden mit der Verordnung über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (VO Nr. 236/2012, Short Selling and Certain Aspects of Credit Default Swaps Regulation – SSR) Leerverkäufe in Aktien und in Schuldtiteln öffentlicher Schuldner eingeschränkt sowie Transparenzpflichten hinsichtlich solcher Leerverkäufe begründet. Es folgten mehrere konkretisierende technische Standards, Durchführungsverordnungen und Leitlinien5. Die höheren Eigenkapitalanforderungen an Banken und Finanzinstitute sind in der Eigenkapitalrichtlinie (RL 2013/36/EU, Capital Requirements Directive IV – CRD IV) sowie der Eigenkapitalverordnung (VO Nr. 575/2013, Capital Requirements Regulation – CRR) geregelt.
27.4
Die systemischen Risiken, die mit OTC-Derivaten aus verschiedenen Gründen verbunden sein können, wie sich in der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise deutlich gezeigt hat, dürfen nicht dazu verleiten, deren erheblichen volkswirtschaftlichen Nutzen, auch und gerade in der Praxis der Unternehmensfinanzierung, aus den Augen zu verlieren. In der Praxis der Unternehmensfinanzierung werden Derivate sowohl zur direkten Mittelaufnahme als auch zur Absicherung unterschiedlichster Risiken eingesetzt. Derivate sind also für Unternehmen sowohl als Finanzierungsinstrumente als auch als Bestandteile eines effektiven Risikomanagements unverzichtbar. Nachfolgend werden zunächst zentrale Begriffe und Konzepte sowie allgemeine Rechtsfragen erläutert, die für sämtliche Derivate von Bedeutung sind, bevor auf die rechtlichen Besonderheiten von Derivaten im Unternehmensfinanzierungskontext eingegangen wird.
1. Begriffsbestimmung 27.5
Aus ökonomischer Perspektive sind „Derivate“ ganz allgemein Finanzinstrumente, deren Wert aus einer vertraglich festgelegten Beziehung zu einer zugrundeliegenden Variablen (Basiswert, Basistitel, Underlying) abgeleitet wird (latein derivare = ableiten, entspringen)6. Dieser Begriff verweist nicht auf eine statische Gruppe von Finanzinstrumenten. Führt man sich vor Augen, dass Derivate auch selbst als Basiswert fungieren können7, wird schnell deutlich, dass dem Erfindungsreichtum bei der Schaffung immer neuer derivativer Finanzinstrumente praktisch keine Grenzen gesetzt sind.
27.6
In rechtlicher Hinsicht werden Derivate in § 2 Abs. 35 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 3b WpHG bzw. § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG definiert, die jeweils den europäischen Vorgaben der RL 2014/65/EU (MiFID II) und VO Nr. 600/2014 (MiFIR) entsprechen. Charakteristi5 Zum momentanen Stand vgl. Jordans, BKR 2017, 273, 274 ff. sowie die Übersichten auf http:// www.kapitalmarktrecht-im-internet.eu/de/Rechtsgebiete/Kapitalmarktrecht. 6 S. nur Hull, Optionen, Futures und andere Derivate, S. 24; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 1. 7 Z.B. bei Optionen auf Finanzswaps (sog. „Swaptions“).
922 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27
sches Merkmal derivativer Geschäfte ist, dass ihr Wert unmittelbar oder mittelbar von den in den genannten Vorschriften einzeln aufgeführten Basiswerten abhängt und sie zeitlich verzögert zu erfüllen sind. Finanzielle Differenzgeschäfte (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 WpHG, § 1 Abs. 11 Satz 4 Nr. 3 KWG) sowie Kreditderivate (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 WpHG, § 1 Abs. 11 Satz 4 Nr. 4 KWG) werden dabei unabhängig von einem konkreten Basiswert erfasst. Für die Einordnung als Derivat im Sinne dieser Regelungen spielt es keine Rolle, ob die Geschäfte an einer Börse oder außerbörslich, d.h. im sog. Over the Counter- oder OTC-Markt zustande kommen. Unerheblich ist zudem, ob die Produkte verbrieft sind oder nicht. Eine weitere Definition findet sich in IFRS 9 Anh. A. Danach ist ein Derivat ein Finanzinstrument: (1) dessen Wert sich infolge einer Änderung einer Referenzvariable wie eines Zinssatzes, Wertpapierkurses, Rohstoffpreises, Wechselkurses, Preis- oder Zinsindexes, Bonitätsratings oder Kreditindexes oder einer ähnlichen Variablen verändert, (2) das keine oder im Vergleich zu anderen Vertragsformen, von denen zu erwarten ist, dass sie in ähnlicher Weise auf Änderungen der Marktbedingungen reagieren, geringere Anschaffungskosten erfordert, und (3) das zu einem späteren Zeitpunkt beglichen wird.
27.7
Da § 2 Abs. 35 i.V.m. Abs. 3 sowie Abs. 1 Nr. 3b WpHG und § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG den Begriff der „Derivate“ bzw. „derivativen Geschäfte“ allein für den Zweck der Anwendung des WpHG bzw. des KWG definieren, wird im Folgenden – soweit nicht anders vermerkt – der allgemeinere ökonomische Derivatebegriff zugrunde gelegt.
27.8
Kennzeichnend für Derivategeschäfte ist, dass die überwiegende Anzahl der gehandelten Instrumente nicht auf physische Lieferung (physical settlement) des Basiswertes gerichtet ist, sondern lediglich auf Barausgleich (cash settlement), also auf Zahlung der Differenz zwischen dem vorab vereinbarten Preis und dem Kurs des Basiswerts im Erfüllungszeitpunkt. Bei fiktiven Basiswerten, wie z.B. einem Index, scheidet eine physische Lieferung von vorneherein aus. Sofern die Derivate standardisiert sind, sind sie dem Börsenhandel zugänglich. In der Praxis werden vor allem Futures und Optionen börslich gehandelt. Der – volumenmäßig deutlich größere (s. dazu bereits Rz. 27.1) – außerbörsliche Handel hat demgegenüber u.a. den Vorteil, dass die Parteien in der Ausgestaltung der Derivate sehr flexibel sind und daher die einzelnen Geschäfte individuell auf ihre Bedürfnisse maßschneidern können.
27.9
2. Kategorien von Derivaten Üblicherweise werden Derivate in die Kategorien Festgeschäfte und Optionsgeschäfte unterteilt8.
27.10
a) Festgeschäfte Festgeschäfte sind unbedingte Termingeschäfte. Ihnen liegt die Vereinbarung zugrunde, einen bestimmten Vermögenswert zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt zu einem bestimmten Preis zu kaufen (Long-Position) bzw. zu verkaufen (Short-Position). Zu den Festgeschäften zählen insbesondere „Forwards“, „Futures“ und „Swaps“. „Forwards“ sind nicht standardisiert, d.h. sie werden zwischen den Beteiligten frei ausgehandelt und nur 8 Müller in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, § 59 Rz. 12; Rudolf in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 19.17; Schüwer in Zerey, Finanzderivate, § 1 Rz. 4.
Apfelbacher/Kopp | 923
27.11
§ 27 | Derivate
außerbörslich (OTC) gehandelt. „Futures“ hingegen sind standardisiert und werden an den Terminbörsen gehandelt. Ein Swapgeschäft ist schließlich die Vereinbarung, in der Zukunft unterschiedliche Zahlungsströme über einen festgelegten Zeitraum zu vorab definierten Zeitpunkten zu „tauschen“ (englisch to swap = austauschen)9. Es gibt zwei Grundformen von Swapgeschäften: den Zinsswap und den Währungsswap. Bei einem Zinsswap wird eine Vereinbarung über den Austausch von unterschiedlichen Zinssätzen auf einen festgelegten Nominalbetrag getroffen. Häufig werden dabei feste gegen variable Zinssätze getauscht (Plain-Vanilla Zinsswap). In der einfachsten Form des Währungsswaps werden Kapital und Zinsen in einer Währung gegen Kapital und Zinsen in einer anderen Währung getauscht. Swaps sind nicht standardisierte Geschäfte, die auf die konkreten Bedürfnisse der Parteien abgestimmt werden. b) Optionsgeschäfte
27.12 Optionsgeschäfte sind bedingte Termingeschäfte. Ein Optionsgeschäft gewährt einer Ver-
tragspartei (Optionskäufer) das Recht, einen bestimmten Vermögenswert zu einem bestimmten Preis (Basispreis) in der Zukunft zu kaufen (Kaufoption – Call) bzw. zu verkaufen (Verkaufsoption – Put). Der Optionskäufer zahlt der Gegenseite (Stillhalter) für den Erwerb der Option eine Optionsprämie. Kann die Option zu jedem Zeitpunkt bis zum Fälligkeitstermin ausgeübt werden, wird sie als „Amerikanische Option“ bezeichnet. „Europäische Optionen“ können hingegen nur am Fälligkeitstermin ausgeübt werden. Eine Zwischenform nehmen „Bermuda Optionen“10 ein, die während ihrer Laufzeit an einem von mehreren vorab festgelegten Terminen ausgeübt werden können. Übt der Optionskäufer die Option nicht innerhalb des entsprechenden Ausübungszeitraums oder an dem bzw. den entsprechenden Ausübungstag(en) aus, verfällt sie. Häufig sehen Optionsverträge auch eine automatische Ausübung zum Laufzeitende vor.
27.13 Sämtliche am Markt anzutreffenden Derivate sind einer dieser Kategorien zuzuordnen oder stellen eine Kombination von verschiedenen Elementen dieser Kategorien dar11.
3. Einsatzzwecke von Derivaten 27.14 Derivate werden regelmäßig zu drei Zwecken eingesetzt: zum Risikomanagement (Hedging), zur Spekulation (Trading) und zur Erzielung von Arbitrage-Gewinnen. a) Hedging
27.15 Das Hedging dient zur Absicherung gegen zukünftige Wert- oder Preisveränderungen
des Basiswerts, der gleichzeitig Gegenstand oder wertbildendes Element einer weiteren Transaktion oder Position (sog. Grundgeschäft) einer Partei eines Derivategeschäfts ist.
9 Zivilrechtlich handelt es sich nicht um einen Tausch i.S.d. § 480 BGB, sondern um einen atypischen Vertrag, der auf die gegenseitige Zahlung von Geldschulden gerichtet ist, BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 143 f.; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdb., § 114 Rz. 137–139; Rudolf in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 19.124 f. 10 Benannt nach der Lage der Bermuda-Inseln zwischen Amerika und Europa. 11 So sind z.B. „Swaptions“ eine Mischung aus Swap und Option, die dem Käufer gegen Zahlung einer Optionsprämie das Recht vermitteln, zu einem späteren Zeitpunkt in einen Swap einzutreten.
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Derivate | § 27
Dabei wird die wirtschaftliche Verknüpfung zwischen Derivat und Grundgeschäft als Konnexität bezeichnet. b) Trading Insbesondere aufgrund der sog. „Hebelwirkung“ (Leverage Effect) werden Derivate auch zu spekulativen Zwecken eingesetzt. Der Leverage Effect besteht darin, dass sich unter Verwendung eines vergleichsweise geringen Kapitaleinsatzes ein vergleichsweise hoher Gewinn erzielen lässt. Beim Einsatz von Derivaten zu Tradingzwecken fehlt i.d.R die wirtschaftliche Verknüpfung mit einem Grundgeschäft und damit die Konnexität12.
27.16
c) Arbitrage Arbitrage beschreibt das Ausnutzen von Preisdifferenzen eines Wirtschaftsguts. Wird etwa ein Wirtschaftsgut an zwei verschiedenen Handelsplätzen zeitgleich zu unterschiedlichen Kursen gehandelt, kauft der Arbitrageur das Wirtschaftsgut zum niedrigeren Preis und verkauft es simultan zum höheren Preis13. Die Arbitragemöglichkeit besteht hierbei in der Regel nur für einen sehr kurzen Zeitraum.
27.17
II. Allgemeine Rechtsfragen 1. Verbindlichkeit von Derivategeschäften a) Ultra-Vires-Lehre Im Januar 1991 hat das House of Lords in dem Fall Hazell v Hammersmith and Fulham London Borough Council entschieden, dass dem London Borough of Hammersmith and Fulham die Rechtsfähigkeit (Capacity, Vires) dazu fehlte, Swapgeschäfte einzugehen. Die entsprechenden Verträge seien demnach „ultra vires“ abgeschlossen worden und unwirksam14. Seither beschäftigt sich die Finanzwelt mit der Frage, ob die Ultra-Vires-Lehre im Einzelfall der Wirksamkeit von Derivategeschäften entgegensteht15.
27.18
Die Ultra-Vires-Lehre, also die Lehre von der nach Zweck und Gegenstand beschränkten Rechtsfähigkeit von juristischen Personen, findet auf deutsche juristische Personen des Privatrechts keine Anwendung16. Anderes gilt für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Bundesgerichtshof hatte in einem Grundsatzurteil vom 28.2.1956 entschieden, dass diese nur beschränkt im Rahmen des ihnen zugewiesenen Aufgaben- und Wirkungskreises rechtsfähig sind und ihre Organe daher nur in diesem Rahmen wirksam Privatrechtsgeschäfte vornehmen können17. Ob der BGH an dieser Rechtsprechung auch weiterhin festhalten wird, ließ er in einem neueren Urteil explizit offen18.
27.19
12 13 14 15
Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 53 Rz. 19. Beispiel bei Hull, Optionen, Futures und andere Derivate, S. 5. Vgl. Bücker, Finanzinnovationen und kommunale Schuldenwirtschaft, S. 162 ff. Vgl. Global Derivatives Study Group, Derivatives: Practices and Principles, Published by the Group of Thirty, Washington, DC, July 1993, S. 51. 16 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 V 2; Reuter in MünchKomm. BGB, Vor § 21 Rz. 14. 17 BGH v. 28.2.1956 – I ZR 84/54, BGHZ 20, 119 ff.; ferner BGH v. 15.7.1969 – NotZ 3/69, BGHZ 52, 283, 286. Grundlegend zur Ultra-Vires-Lehre K. Schmidt, AcP 184 (1984), 529 ff. 18 BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 139; bereits Klarheit sieht Lehmann, ZBB 2015, 282, 283.
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§ 27 | Derivate
27.20 Der Aufgaben- und Wirkungskreis von juristischen Personen des öffentlichen Rechts
wird durch die sie konstituierenden Rechtsnormen bestimmt. Nach der bisherigen Rechtsprechung war in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen, ob der Abschluss von Derivategeschäften von den Rechtsnormen gedeckt war, welche die handelnde juristische Person des öffentlichen Rechts verfassten. Einigkeit bestand jedoch dahingehend, dass die Ultra-Vires-Lehre den vom Bund und von den Ländern abgeschlossenen Derivategeschäften wegen deren unbeschränkter Rechtsfähigkeit nicht entgegensteht19.
27.21 Die Diskussion, ob und in welchem Umfang Kommunen durch den Abschluss von Deri-
vateverträgen wirksam verpflichtet werden20, hat der BGH mit Urteil vom 28.4.2015 abschließend geklärt: Er sah es als Teil der gemeindlichen Finanzhoheit an, Swapverträge einzugehen – völlig unabhängig von der Motivation des Vertragsschlusses21. Insofern sind Kommunen in ihrer Rechtsfähigkeit zum Abschluss von Derivategeschäften Bund und Ländern gleichgestellt. Auf die Frage der möglichen Nichtigkeit von Derivateverträgen mit Kommunen wegen Verstoßes gegen des kommunale Spekulationsverbot soll hier nicht näher eingegangen werden. b) Spieleinwand nach § 762 BGB
27.22 Gemäß § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB wird durch Spiel oder Wette eine Verbindlichkeit nicht begründet. § 99 Satz 1 WpHG bestimmt, dass der Einwand des § 762 BGB gegen Ansprüche aus Finanztermingeschäften, bei denen mindestens ein Vertragsteil ein Unternehmen ist, das gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Finanztermingeschäfte abschließt oder deren Abschluss vermittelt oder die Anschaffung, Veräußerung oder Vermittlung von Finanztermingeschäften betreibt, nicht erhoben werden kann.
27.23 § 99 Satz 1 WpHG ist als § 37e Satz 1 WpHG a.F. im Zuge des Vierten Finanzmarktförde-
rungsgesetz 200222 im Interesse der Rechtsklarheit geschaffen worden, da „nicht ausgeschlossen werden [kann], dass der Abschluss eines Finanztermingeschäfts eines Unternehmens mit einem Vertragspartner, der das Geschäft ausschließlich zu Spekulationszwecken tätigt, als Abschluss einer Spielwette gemäß § 762 BGB gewertet werden könnte“23.
27.24 Diese Gefahr resultiert daraus, dass unter § 762 BGB auch „Glücksspiele“ fallen. Ein
Glücksspiel ist ein Vertrag, bei dem der Eintritt des bezweckten Gewinns nicht von den Kenntnissen, den Fähigkeiten oder der Geschicklichkeit der Beteiligten, sondern ganz wesentlich oder doch hauptsächlich vom Zufall abhängt24. Aus Sicht der Vertragschließenden mag es durchaus der Zufall sein, der die zukünftige Preis- oder Wertentwicklung des Underlyings und damit auch des Derivats bestimmt, so dass es den objektiven Tatbestand des Glücksspiels erfüllen kann25. In subjektiver Hinsicht muss allerdings hinzukommen, dass
19 Endler in Zerey, Finanzderivate, § 30 Rz. 72 ff.; Kewenig/Schneider, WM Sonderbeilage Nr. 2/ 1992, S. 5; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 161 ff. 20 Vgl. zum ehemaligen Streitstand Endler in Zerey, Finanzderivate, § 30 Rz. 72 ff. 21 BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 141. 22 BGBl. I 2002, 2010. 23 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, BT-Drucks. 14/8017, S. 96. 24 BGH v. 29.9.1986 – 4 StR 148/86, NJW 1987, 852 f.; Sprau in Palandt, BGB, § 762 Rz. 2; vgl. auch Habersack in MünchKomm. BGB, § 762 Rz. 7; Mülbert/Böhmer, WM 2006, 937, 943. 25 Instruktiv: Roberts, DStR 2010, 1082 ff.
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Derivate | § 27
der Vertrag von beiden Seiten26 zur Unterhaltung und/oder Gewinnerzielung abgeschlossen wird, ein „ernsthafter“ wirtschaftlicher Zweck also fehlt27. An dieser subjektiven Voraussetzung fehlt es bei Derivategeschäften in aller Regel28. Liegt ein Glücksspiel im konkreten Fall vor, so schließt § 99 WpHG den aus § 762 BGB resultierenden Einwand der Unverbindlichkeit aus, sofern die Voraussetzungen des § 99 WpHG erfüllt sind29. Tatbestandsvoraussetzung dieser Vorschrift ist zum einen die qualifizierte Unternehmenseigenschaft einer der Vertragsparteien. Zum anderen muss das in Rede stehende Geschäft ein Finanztermingeschäft i.S.d. § 99 Satz 2 WpHG sein, worunter neben derivativen Geschäften i.S.d. § 2 Abs. 3 WpHG auch Optionsscheine fallen.
27.25
2. Haftungsrisiken bei Derivategeschäften a) Haftungsrisiken für Wertpapierdienstleistungsunternehmen gegenüber Kunden Haftungsrisiken bei Derivategeschäften ergeben sich für Wertpapierdienstleistungsunternehmen in erster Linie aus potentiellen Schadensersatzansprüchen des Kunden wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten.
27.26
Grundsätzlich gelten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 10 WpHG beim Abschluss von Derivategeschäften – auch mit Unternehmenskunden – bestimmte Verhaltenspflichten nach §§ 63 f. WpHG. Das zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG) überführte die vorher in § 31 WpHG a.F. enthaltenen Regelungen unter Umsetzung der in Art. 24–30 RL 2014/65/EU (MiFID II) normierten Anforderungen in §§ 63 f. WpHG. Konkretisiert werden die Verhaltensregeln durch die DelVO 2017/565, insbesondere durch deren Art. 54–56, auf die § 63 Abs. 13 WpHG verweist.
27.27
Die allgemeinen Verhaltensregeln des § 63 WpHG umfassen u.a. allgemeine Informationspflichten, Erkundigungspflichten zu den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden in Bezug auf Geschäfte mit bestimmten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen sowie Hinweispflichten, etwa, dass das vom Kunden gewünschte Finanzinstrument oder die Wertpapierdienstleistung für den Kunden nicht angemessen ist.
27.28
§ 64 WpHG normiert daneben besondere Verhaltens- und Informationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, soweit diese Anlageberatung und Finanzportfolio-
27.29
26 Engel in Staudinger, BGB, § 762 Rz. 3; Mülbert/Böhmer, WM 2006, 937, 948; Janoschek in Bamberger/Roth, BGB, § 762 Rz. 5. 27 BGH v. 29.9.1977 – III ZR 164/75, BGHZ 69, 295, 301; Sprau in Palandt, BGB, § 762 Rz. 2; Müller in Erman, BGB, § 762 Rz. 2; Engel in Staudinger, BGB, Vorb. zu §§ 762–764 Rz. 4b. 28 Engel in Staudinger, BGB, § 762 Rz. 48; Kessler/Heda, WM 2004, 1812, 1815 f.; speziell zu Zertifikaten Salewski, BKR 2012, 100, 103 ff. Das OLG Stuttgart v. 27.10.2010 – 9 U 148/08, BB 2011, 139, 142 f. hat jedoch den zwischen einem kommunalen Abwasserzweckverband und einer Bank abgeschlossenen CMS Spread Sammler Swap ausdrücklich als Spiel i.S.d. § 762 BGB qualifiziert. Soweit ersichtlich, hat diese Ansicht keine weiteren Anhänger gefunden, wobei allerdings verschiedene Gerichte Swapverträge als „eine Art Glücksspiel“ bezeichnet haben, s. etwa OLG Frankfurt v. 30.12.2009 – 23 U 175/08, ZIP 2010, 921, 924; LG Wuppertal v. 16.7.2008 – 3 O 33/08, WM 2008, 1637, 1645; OLG München v. 29.3.2012 – 5 U 216/12, WM 2012, 1716 (zu einem Cross Currency Swap). 29 OLG Stuttgart v. 27.10.2010 – 9 U 148/08, BB 2011, 139, 143; Jung in Fuchs, WpHG, § 37e Rz. 2.
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§ 27 | Derivate
verwaltung erbringen, etwa Informationspflichten dazu, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird, auf welche Finanzinstrumente sich die Anlageberatung stützt und ob regelmäßig eine Beurteilung der Geeignetheit der empfohlenen Finanzinstrumente zur Verfügung gestellt wird.
27.30 Unmittelbar löst die Verletzung der vorgenannten Verhaltenspflichten wohl keine Scha-
densersatzpflichten gegenüber Kunden des Wertpapierdienstleistungsunternehmens aus. Jedenfalls hat der BGH in seiner zu §§ 31 ff. WpHG a.F. ergangenen Rechtsprechung den Beratungs- und Informationspflichten keinen Schutzgesetzcharakter, allenfalls „Ausstrahlungswirkung“ auf Privatrechtsverhältnisse zugebilligt30. Die Erweiterung und Neufassung der Verhaltenspflichten in Umsetzung der RL 2014/65/EU (MiFID II) durch das 2. FiMaNoG hat an der rechtlichen Qualität der Verhaltenspflichten nichts geändert.
27.31 Unabhängig von den anwendbaren Verhaltenspflichten nach §§ 63 f. WpHG besteht für
Anbieter von Derivaten nach §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB bzw. auf der Grundlage eines selbständigen Beratungsvertrags die – für die Praxis äußerst bedeutsame – Pflicht zur individualisierten, d.h. auf den Kunden zugeschnittenen, Risikoaufklärung, deren Verletzung Schadensersatzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gegenüber dem Kunden auslösen kann. Das Bestehen und die Reichweite dieser Aufklärungspflicht hängen von den individuellen Umständen ab.
27.32 In der Regel wird bei einem Verstoß gegen die Verhaltenspflichten der §§ 63 f. WpHG
regelmäßig auch die Verletzung einer (vor-)vertraglichen Pflicht vorliegen31, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei den Verhaltenspflichten um eine direkte gesetzliche Ausgestaltung schuldrechtlicher Nebenpflichten handelt32. Aufgrund der Einzelfallabhängigkeit der (vor-)vertraglichen Informationspflichten bei Derivategeschäften verbieten sich hier verallgemeinernde Aussagen33.
27.33 Hinzuweisen ist auf die differenzierte Rechtsprechung des BGH zu Swapverträgen34. Den Ausgangspunkt bildet das Grundsatzurteil vom 22.3.2011 zu Aufklärungspflichten beim Abschluss eines CMS Spread Ladder Swaps35. Hier entwickelte der BGH neben den hohen Anforderungen an eine objektgerechte Beratung bei einem komplex strukturierten
30 BGH v. 8.5.2001 – XI ZR 192/00, BGHZ 147, 343, 348; BGH v. 19.12.2006 – XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226, 232; BGH v. 19.2.2008 – XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276, 279 ff. = AG 2008, 548; BGH v. 22.6.2010 – VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58, 67 f. = AG 2010, 670; BGH v. 17.9.2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983, 1984 = AG 2013, 803; Edelmann in Assmann/Schütze, Hdb. Kapitalanlagerecht, § 3 Rz. 98; Möllers in KölnKomm. WpHG, § 31 Rz. 447. Zur abweichenden Auffassung des Schrifttums: Fuchs in Fuchs, WpHG, Vor §§ 31 ff. Rz. 103; Koller in Assmann/ Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 63 Rz. 9 ff.; Spindler in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 33 Rz. 66; Ekkenga in MünchKomm. HGB, Effektengeschäft, Rz. 283; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.179. 31 Fuchs in Fuchs, WpHG, Vor §§ 31 ff. Rz. 98; Weichert/Wenninger, WM 2007, 627, 635; missverständlich insoweit BGH v. 17.9.2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983, 1984 = AG 2013, 803. 32 Fuchs in Fuchs, WpHG, Vor §§ 31 ff., Rz. 81 ff.; Möllers in KölnKomm. WpHG, § 31 Rz. 445 f. 33 Für die Einzelheiten vgl. etwa Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 687 ff., 694 ff., 698 ff.; Reiner, Derivative Finanzinstrumente im Recht, S. 121 ff.; Fuchs in Fuchs, WpHG, § 31 Rz. 174 ff. 34 Instruktiv hierzu Lehmann, NJW 2016, 2913 ff.; Becker/Follner, ZIP 2016, 2400 ff. 35 BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, BGHZ 189, 13; dazu Lehmann, JZ 2011, 749 ff.; Schmitt, BB 2011, 2824 ff.; Spindler, NJW 2011, 1920 ff.
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Derivate | § 27
und riskanten Produkt eine Pflicht der Bank, den Kunden über einen negativen Marktwert eines Swaps aufzuklären, da dieser Ausdruck eines schwerwiegenden Interessenkonfliktes der Bank sein könnte36.
27.34
Dabei hat der BGH wie folgt unterschieden37: Im Zweiparteienverhältnis, d.h. wenn die Bank gleichzeitig Partei eines Bankvertrags und Gegenpartei des Swaps ist, besteht keine Aufklärungspflicht, soweit ein konnexes38 Grundgeschäft vorliegt. Umgekehrt besteht eine Aufklärungspflicht, wenn es sich bei dem abgeschlossenen Vertrag um eine „reine Zinswette“ handelt39, weil der Kunde hier –möglicherweise unzutreffend – davon ausgeht, die Bank verdiene nur bei für sie günstiger Zinsentwicklung. Im Dreiparteienverhältnis besteht für die Bank, die lediglich auf Grund einer Geschäftsbeziehung einen Swap vermittelt, keine Pflicht zur Aufklärung über einen anfänglich negativen Marktwert. Hier kann die Bank mangels Einflussmöglichkeit auf den negativen Marktwert des Swaps keinem Interessenkonflikt ausgesetzt sein40. Allerdings soll eine Aufklärungspflicht dann entstehen, wenn sich der negative Marktwert außerhalb des Rahmens der „üblichen Gewinnmarge“ der Bank bewege41. b) Haftungsrisiken für Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
27.35
Mit Blick auf den Abschluss von Derivategeschäften kommt als Pflichtverletzung u.a. ein Verstoß gegen § 91 Abs. 2 AktG in Betracht. Danach hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Nach der Gesetzesbegründung gehört zu solchen Entwicklungen der Abschluss risikobehafteter Geschäfte – und damit auch der Abschluss von Derivategeschäften42 –, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken43. § 91 Abs. 2 AktG wird von der überwiegenden und zutreffenden Ansicht so verstanden, dass das Überwachungssystem nicht der Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen dient, sondern lediglich den Zweck verfolgt, die tatsächliche Um-
27.36
36 BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, BGHZ 189, 13, 27 f. = AG 2011, 412; seither st. Rspr. BGH v. 22.3.2016 – XI ZR 425/14, BB 2016, 1237, 1238; BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 130 f.; BGH v. 20.1.2015 – XI ZR 316/13, WM 2015, 572, 578 = AG 2015, 314, dazu Weck, BKR 2015, 211 ff. 37 Vgl. ausführlich: Clouth, Bankrechtstag 2015, S. 163 ff. 38 Ausführlich zum Merkmal „Konnexität“: Becker/Follner, ZIP 2016, 2400, 2403 ff. 39 BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 131; dazu Cramer/Lang/Schulz, BKR 2015, 380 ff.; kritisch Ludwig/Clouth, NZG 2015, 1369, 1372 f.; Hanke, BKR 2017, 358, 360. 40 BGH v. 20.1.2015 – XI ZR 316/13, WM 2015, 575, 578 = AG 2015, 314. 41 BGH v. 20.1.2015 – XI ZR 316/13, WM 2015, 572, 578 = AG 2015, 314; hierzu Lehmann, NJW 2016, 2913, 2915 f. 42 Kort in Großkomm. AktG, § 91 Rz. 30; Hüffer/Koch, AktG, § 91 Rz. 6; Spindler in MünchKomm. AktG, § 91 Rz. 20; von Westphalen, Derivategeschäfte, Risikomanagement und Aufsichtsratshaftung, S. 95. 43 S. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), BT-Drucks. 13/9712, S. 15.
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§ 27 | Derivate
setzung der vom Vorstand angeordneten Maßnahmen zur Früherkennung zu kontrollieren44.
27.37 Die Frage, ob sich aus § 91 Abs. 2 AktG die weitergehende Pflicht zur Einrichtung eines
umfassenden Risikomanagementsystems ergibt, ist durch § 289 Abs. 4 HGB und § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG in Verbindung mit den zugrundeliegenden Richtlinien (Abschlussprüferrichtlinie45 [RL 2014/56/EU], Änderungsrichtlinie zur Bilanzrichtlinie46 [RL 2006/46/ EU]) neu entzündet worden. Mit der überwiegenden Auffassung ist diese Frage nicht zuletzt aufgrund der Begründung des Gesetzesentwurfs zum Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG), die eine solche Verpflichtung ausdrücklich ablehnt47, zu verneinen48.
27.38 Die zu treffenden Maßnahmen sind „geeignet“ im Sinne des Gesetzes, wenn sie es ermög-
lichen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen frühzeitig, d.h. zu einem Zeitpunkt zu erkennen, in dem noch Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft ergriffen werden können49. Die konkrete Ausformung der durch § 91 Abs. 2 AktG statuierten Pflicht ist von unterschiedlichen Faktoren, insbesondere von der Größe, der Branche, der Struktur und dem Kapitalmarktzugang des jeweiligen Unternehmens abhängig50. Es besteht insoweit ein unternehmerisches Ermessen des Vorstands51. Die Einrichtung eines „Überwachungssystems“ ordnet das Gesetz allerdings zwingend an52. Darunter ist eine „Organisationsanforderung des Inhalts [zu verstehen], dass eine Früherkennung von Bestandsgefährdungen durch die Begründung unmissverständlicher Zuständigkeiten im Sinne des Aufbaus einer personellen Organisationsstruktur und durch ein umfassendes, engmaschiges Informationsnetz mit nachvollziehbaren Organisationsflüssen (Berichtswesen und Dokumentation) gewährleistet wird“53. In Bezug auf Derivategeschäfte bedeutet dies als Minimum, dass die Risiko-, d.h. die maximale Verlustposition laufend überwacht und bei Überschreiten bestimmter Grenzen unverzüglich geschlossen wird.
27.39 Auch den Aufsichtsrat trifft eine Pflicht die Risiken bedeutsamer Derivategeschäfte eigenständig abzuschätzen bzw., sollte ihm aufgrund aller verfügbaren Information keine Risikoabschätzung möglich sein, gegen die Derivategeschäfte einzuschreiten54.
44 Hüffer/Koch, AktG, § 91 Rz. 9 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, § 91 Rz. 29; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 119; a.A. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 91 Rz. 26. 45 Richtlinie 2014/56/EU v. 16.4.2014. 46 Richtlinie 2006/46/EG v. 14.6.2006. 47 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 76 sowie 102. 48 Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161, 164 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rz. 35; Helmrich, NZG 2011, 1252, 1253; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 91 Rz. 26; a.A. Spindler, WM 2008, 905, 906 f.; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, § 91 Rz. 8; ebenso für kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaften Hommelhoff/Mattheus, BB 2007, 2787, 2788. 49 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; ferner Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rz. 33; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 91 Rz. 25. 50 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rz. 33; Spindler in MünchKomm. AktG § 91 Rz. 28. 51 Vgl. OLG Frankfurt v. 12.12.2007 – 17 U 111/07, AG 2008, 453, 454 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 91 Rz. 7; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rz. 33; Kort in Großkomm. AktG, § 91 Rz. 47; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 91 Rz. 25; Spindler in FS Hüffer, 2010, S. 985, 993 f. 52 Kort in Großkomm. AktG, § 91 Rz. 49; Hüffer/Koch, AktG, § 91 Rz. 8; zur strafrechtlichen Relevanz eines unzureichenden Risikomanagementsystems Helmrich, NZG 2011, 1252 ff. 53 Kort in Großkomm. AktG, § 91 Rz. 52. 54 OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, AG 2012, 298, 300 f.; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rz. 25.
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Derivate | § 27
Nach § 317 Abs. 4 HGB ist bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft im Rahmen der Prüfung des Jahresabschlusses durch den Abschlussprüfer zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in geeigneter Form getroffen hat und ob das einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann.
27.40
Weiter steht bei Risikogeschäften55 im Falle der Realisierung des Risikos leicht der Vorwurf der Verletzung der allgemeinen Verhaltenspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG im Raume56. Bei der Beurteilung, ob der Abschluss eines Risikogeschäfts im konkreten Fall eine Pflichtverletzung darstellt, ist insbesondere § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG von Bedeutung, mit dem die „Business Judgment Rule“57 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde58. Nach dieser liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln59. Eine unvollständige Informationsbeschaffung kann auch strafrechtliche Konsequenzen für den Vorstand (§ 266 StGB) haben60.
27.41
Bei der Bewertung fehlgeschlagener Risikogeschäfte nach der „Business Judgment Rule“ ist von den fünf – teils impliziten – Tatbestandsmerkmalen (unternehmerische Entscheidung, Gutgläubigkeit, Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, Handeln zum Wohle der Gesellschaft, Handeln auf der Grundlage angemessener Information)61 in der Mehrzahl der Fälle entscheidend, ob das Vorstandsmitglied annehmen durfte, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Das ist nicht der Fall, „wenn das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist62“. Zum Wohle der Gesellschaft kann darüber hinaus der Abschluss eines Derivategeschäfts nie beitragen, das außerhalb des Gesellschaftszwecks und Unternehmensgegenstands liegt63. Insbesondere bei spekulativen Derivategeschäften ist deshalb Vorsicht geboten.
27.42
55 56 57 58 59 60 61 62
63
Eingehend zu Risikogeschäften aus aktienrechtlicher Sicht Baums, ZGR 2011, 218 ff. Fleischer, NJW 2009, 2337, 2342 f.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rz. 80 ff. S. hierzu umfassend die Kommentierung von Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rz. 59 ff. Regierungsbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Hierzu insbesondere unter Berücksichtigung der Finanzkrise Meyer, CCZ 2011, 41 ff.; Lutter, ZIP 2009, 197; zur neueren Diskussion insb. ob nur grobe Fehler eine Haftung begründen: Baur/Holle, AG 2017, 597. BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, WM 2017, 24, 28 = AG 2017, 72. Regierungsbegründung zum Entwurf des UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Regierungsbegründung zum Entwurf des UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 unter Verweis auf BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 f.: „[Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands] kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.“ Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 53 Rz. 60; BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, WM 2013, 456, 458 = AG 2013, 259.
Apfelbacher/Kopp | 931
§ 27 | Derivate
3. Vertragsgestaltung bei OTC-Derivaten 27.43 Für die vertragliche Gestaltung von OTC-Derivaten – bei börslich gehandelten Derivaten
stellt sich aufgrund ihrer Standardisierung die Frage nach der Vertragsgestaltung nicht – sind mehrere Musterrahmenverträge von Bedeutung64. Zweck dieser Rahmenverträge ist in erster Linie, ein einheitliches Regelwerk für eine Vielzahl von zwischen denselben Vertragsparteien abgeschlossenen Einzelgeschäften zur Verfügung zu stellen und die einzelnen Geschäfte quasi unter ein gemeinsames „Dach“ zu bringen. Sie können jedoch auch dann verwendet werden, wenn nur ein einzelnes Derivategeschäft eingegangen werden soll. Die relevanten Musterrahmenverträge lassen sich danach unterscheiden, ob sie primär Inlandsgeschäfte betreffen oder grenzüberschreitende Derivategeschäfte zum Gegenstand haben sollen. a) Inlandsgeschäfte
27.44 Marktstandard für den Abschluss von Derivategeschäften zwischen deutschen Parteien ist
der „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ (Rahmenvertrag – RV)65. Dieser wurde unter Federführung des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) im Jahre 1993 erarbeitet. Er ersetzte den Rahmenvertrag für Swap-Geschäfte aus dem Jahr 1990. Der Rahmenvertrag wurde letztmals im Jahre 2001 überarbeitet. Das Muster des Rahmenvertrags enthält auch Klauseln im Hinblick auf Quellensteuern, deren Anwendung die Parteien bei internationalen Geschäften vereinbaren können. Deshalb ist auch eine Verwendung des Rahmenvertrags für grenzüberschreitende Geschäfte grundsätzlich möglich.
27.45 Unter dem Rahmenvertrag kann eine große Anzahl von unterschiedlichen Typen von
Derivategeschäften abgeschlossen werden, u.a. Aktienindexoptions-, Aktienoptions-, Anleiheoptions-, Cap-, Collar-, Devisentermin-, Swapoptions-, Warenoptions-, Währungsswap- und Zinsswapgeschäfte66.
27.46 Nach Nr. 1 Abs. 2 RV bilden alle Einzelabschlüsse untereinander und zusammen mit dem
Rahmenvertrag einen einheitlichen Vertrag. Nr. 7 Abs. 1 Satz 4 RV schließt folgerichtig eine isolierte Kündigung von Einzelabschlüssen aus. Aus der Einheitlichkeit folgt allerdings nicht, dass mehrere Pflichtverletzungen aus verschiedenen Einzelabschlüssen unter dem Rahmenvertrag als Einheit betrachtet werden müssen und daher z.B. die Verjährung von Schadensersatzansprüchen erst mit der letzten Pflichtverletzung beginnt67.
27.47 Aus Nr. 2 RV ergibt sich, dass die Einzelgeschäfte mündlich abgeschlossen werden können. Nr. 3 Abs. 3 Satz 1 RV enthält die Vereinbarung des „Zahlungs-Netting“ (Settlement Netting):
64 Vgl. für eine Übersicht über die existierenden Rahmenverträge Edelmann/Kuch in Münchener VertragsHdb. Band 4 Wirtschaftsrecht III, S. 827 ff.; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 51 ff.; König in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, BankR VIII Rz. 44 ff. 65 Der Rahmenvertrag nebst Zusatzvereinbarungen und Anhängen kann auf der Webseite des BdB (www.bankenverband.de) abgerufen werden. Für eine umfassende Kommentierung des Rahmenvertrages s. Behrends in Zerey, Finanzderivate, § 6 Rz. 6 ff.; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 53 ff.; Clouth/Vollmuth in Hopt, Vertragsund Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, S. 1831 ff. 66 Vgl. die „Geschäftstypenliste“, die auf der Webseite des BdB (www.bankenverband.de) abgerufen werden kann. 67 BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117, 137 f. unter expliziter Verwerfung dieser „Verklammerungsthese“ der Vorinstanz.
932 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27 „Haben beide Parteien an demselben Tag aufgrund des Vertrags Zahlungen in der gleichen Währung zu leisten, zahlt die Partei, die den höheren Betrag schuldet, die Differenz zwischen den geschuldeten Beträgen.“
Nr. 7 RV statuiert ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (Abs. 1) und sieht vor, dass der Vertrag auch ohne Kündigung im Insolvenzfall endet (Abs. 2). Ein Insolvenzfall ist nach Nr. 7 Abs. 2 Satz 2 RV gegeben, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei beantragt wird und diese Partei den Antrag entweder selbst gestellt hat, zahlungsunfähig oder sonst in einer Lage ist, welche die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigt68. Gemäß Nr. 7 Abs. 3 RV ist nach Beendigung des Vertrags keine Partei mehr zu Zahlungen oder sonstigen Leistungen verpflichtet, die gleichzeitig oder später fällig geworden wären. An deren Stelle treten die Ansprüche auf Schadensersatz nach Nr. 8 RV und auf Abschlusszahlung nach Nr. 9 RV.
27.48
Nach Nr. 8 Abs. 1 RV steht der kündigenden bzw. solventen Partei im Fall der Beendigung des Vertrags ein Schadensersatzanspruch zu. Die Schadensberechnung erfolgt aufgrund von tatsächlich abgeschlossenen oder fiktiven Deckungsgeschäften.
27.49
Wird der Vertrag beendet, findet nach Nr. 9 RV ein „Liquidations-Netting“ (Close-Out Netting)69 statt:
27.50
„Rückständige Beträge und sonstige Leistungen und der zu leistende Schadensersatz werden von der ersatzberechtigten Partei zu einer einheitlichen Ausgleichforderung in Euro zusammengefasst, wobei für rückständige sonstige Leistungen (…) ein Gegenwert in Euro ermittelt wird. Eine Ausgleichsforderung gegen die ersatzberechtigte Partei wird nur fällig, soweit diese keine Ansprüche aus irgendeinem rechtlichen Grund gegen die andere Partei (…) hat. Bestehen Gegenansprüche, so ist deren Wert zur Ermittlung des fälligen Teils der Ausgleichsforderung vom Gesamtbetrag der Ausgleichsforderung abzuziehen (…).“
Nr. 11 Abs. 2 RV schließlich bestimmt, dass der Vertrag dem Recht der Bundesrepublik Deutschland unterliegt.
27.51
Der Rahmenvertrag wird ergänzt durch diverse Anhänge und Mustertexte für Bestätigungen. Aktuell liegen Anhänge für folgende Geschäfte vor: Devisengeschäfte und Optionen auf Devisengeschäfte, Wertpapierderivate, Emissionsrechte, Rohwarengeschäfte sowie verschiedene Deckungsgeschäfte. Daneben existieren u.a. zur Erfüllung der Clearing- und Meldepflicht zum Transaktionsregister nach der EMIR der EMIR-Anhang70 sowie der Clearing-Anhang. Von Bedeutung sind auch der FATCA-Anhang, der Besicherungsanhang, der Besicherungsanhang nach EMIR und der Anhang über die vorzeitige Erfüllung durch Ausgleichszahlung.
27.52
b) Grenzüberschreitende Derivategeschäfte Von den Rahmenverträgen, die grenzüberschreitende Derivategeschäfte betreffen, sind mehrere in ihrem sachlichen Anwendungsbereich auf bestimmte Typen von Derivategeschäften begrenzt. Produktübergreifend anwendbar sind in erster Linie das von den europäischen Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft (Bankenvereinigung der Europäischen Union, Eu68 Zu den insolvenzrechtlichen Problemen s. Rz. 27.59 f. 69 Zu den insolvenzrechtlichen Problemen s. Rz. 27.61 f. 70 Vertiefend hierzu Wulff/Kloka, WM 2015, 215, 217 f.
Apfelbacher/Kopp | 933
27.53
§ 27 | Derivate
ropäische Sparkassenvereinigung, Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken) entwickelte „Master Agreement for Financial Transactions“ (European Master Agreement – EMA)71 und das von der International Swaps and Derivatives Association, Inc. (ISDA) erarbeitete „ISDA Master Agreement (Multicurrency-Cross Border)“ (ISDA Master Agreement – ISDA-MA) aus dem Jahr 1992 bzw. – in einer Neufassung – aus dem Jahr 200272. In der internationalen Finanzpraxis der Derivate konnte sich das EMA bislang nicht gegen das ISDA-MA durchsetzen73.
27.54 Section 1(c) ISDA-MA statuiert, dass alle Einzelabschlüsse (Transactions) und der ISDAMA einen einheitlichen Vertrag (Single Agreement) bilden. Nach Section 9(e)(ii) können die Einzelabschlüsse wirksam formlos eingegangen werden. Ein Settlement Netting findet nach Section 2(c) ISDA-MA in Ermangelung einer weitergehenden Abrede nur in Bezug auf Ansprüche aus demselben Einzelgeschäft statt. Die Parteien können das Settlement Netting aber ausweiten, so dass es Ansprüche aus mehreren Einzelabschlüssen erfasst:
„The parties may elect in respect of two or more Transactions that a net amount will be determined in respect of all amounts payable on the same date in the same currency in respect of such Transactions, regardless of whether such amounts are payable in respect of the same Transaction.“
27.55 Als „Event of Default“ bestimmt Section 5(a)(vii) ISDA-MA u.a. die Zahlungsunfähigkeit
einer der Vertragsparteien und den Fall, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und nicht innerhalb von 30 Tagen bzw. – nach der Neufassung 2002 – innerhalb von 15 Tagen negativ beschieden wird (Bankruptcy). Der Gegenseite steht nach Section 6(a) ISDA-MA im Fall des Eintritts eines „Event of Default“ ein Kündigungsrecht „in respect of all outstanding Transactions“ zu, welches innerhalb einer Frist von 20 Tagen ausgeübt werden muss. Für den Fall der Bankruptcy können die Parteien auch vereinbaren, dass der Vertrag automatisch endet.
27.56 Section 6(e) ISDA-MA legt fest, dass bei Vertragsbeendigung ein Close-Out Netting
stattfindet. Die Bestimmung enthält weiter Regelungen über die Berechnung der Abschlusszahlung (Early Termination Amount). In der Neufassung des Jahres 2002 ist in Section 6(f) ISDA-MA eine „Set-Off-Klausel“ vorgesehen, nach der die vertragstreue Partei (Non-defaulting Party) für den Fall, dass sie es ist, die die Abschlusszahlung leisten muss, gegenüber der vertragsbrüchigen Partei (Defaulting Party) auch mit solchen Ansprüchen aufrechnen kann, die aus Geschäften resultieren, welche nicht unter dem Dach des ISDAMA abgeschlossen worden sind:
„Any Early Termination Amount payable to one party (the ‚Payee‘) by the other party (the ‚Payer‘), in circumstances where there is a Defaulting Party (…), will, at the option of the Non-defaulting Party (…), be reduced by its set-off against any other amounts (…) payable by the Payee to the Payer (whether or not arising under this Agreement, matured or contingent and irrespective of the currency, place of payment or place of booking of the obligation).“
71 Der Text des EMA nebst Erläuterungen kann auf der Webseite der European Banking Federation (www.ebf-fbe.eu) abgerufen werden. Für eine kurze Kommentierung des EMA s. Behrends in Zerey, Finanzderivate, § 6 Rz. 76 ff.; Vollmuth in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, S. 1889 ff. 72 Das 2002 ISDA-Masteragreement ist abgedruckt bei Reiner, ISDA-MA, S. 1 ff. 73 Reiner, ISDA-MA, S. 56 f.
934 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27
Nach Section 13(a) ISDA-MA können die Parteien das anwendbare Recht wählen. Das ISDA-MA ist auf die Geltung New Yorker oder englischen Rechts ausgelegt74. Entsprechend wird nach Section 13(b) ISDA-MA in der Regel auch die Zuständigkeit englischer Gerichte oder der Gerichte des Staates New York vereinbart.
27.57
Bestandteil des ISDA-MA ist weiter ein formularmäßig auszufüllender, fünfteiliger („Termination Provisions“, „Tax Representations“, „Agreement to Deliver Documents“, „Miscellaneous“, „Other Provisions“) Anhang (Schedule)75. Daneben treten zahlreiche produktbezogene Anhänge (Definitions)76. Schließlich hat die ISDA vier Mustersicherungsverträge zum ISDA-MA (Credit Support Annexes) erarbeitet77.
27.58
4. Insolvenzrecht Die Vertragspraxis bei Derivategeschäften wirft verschiedene insolvenzrechtliche Fragen auf. Zentrum der Diskussion bildet stets § 119 InsO, der aus Masseschutzgründen Abweichungen von §§ 103–118 InsO für unwirksam erklärt. In den oben dargestellten Rahmenverträgen bedürfen drei Vorschriften der besonderen Betrachtung (stets vorausgesetzt, dass deutsches Insolvenzrecht zur Anwendung kommt): Die „Lösungsklausel“ des Nr. 7 Abs. 2 RV bzw. Section 5 (a) vii) ISDA-MA, die Vorschrift zum Close-Out Netting gemäß Nr. 9 RV bzw. Section 6 (e) ISDA-MA sowie die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Vertrag gemäß Nr. 1 Abs. 2 RV bzw. Section 1 (c) ISDA-MA.
27.59
a) Lösungsklausel Auf die kontroverse Diskussion um die Wirksamkeit sog. allgemeiner „Lösungsklauseln“, die eine Vertragsbeendigung für den Fall der Insolvenzantragsstellung vorsehen, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden78. Der BGH geht mit der herrschenden Meinung davon aus, dass insolvenzabhängige Lösungsklauseln, die einer spezialgesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entsprechen, wirksam sind79. Insofern wird man auch Lösungsklauseln in Rahmenverträgen, die lediglich den Rechtsgedanken des § 104 Abs. 3, Abs. 4 InsO reflektieren und weiterführen, als wirksam anzunehmen haben80.
Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 88. Abgedruckt bei Reiner, ISDA-MA, S. 380 ff. Hierzu im Speziellen Reiner, ISDA-MA, S. 333 ff. Abgedruckt bei Reiner, ISDA-MA, S. 400 ff. Für deren Zulässigkeit: Huber in MünchKomm. InsO, § 119 Rz. 22 m.w.N.; BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, BGHZ 124, 76, 79; BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, BGHZ 96, 34, 36; dagegen nunmehr: BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 ff.; zur anschließenden Diskussion Huber in MünchKomm. InsO, § 119 Rz. 28 ff. 79 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348, 353. 80 Reiner, Derivative Finanzinstrumente im Recht, S. 191; kritisch Hess in KölnKomm. InsO, § 119 InsO Rz. 31 f.; speziell zu Nr. 7 Abs. 2 RV auch Behrends in Zerey, Finanzderivate, § 6 Rz. 37 ff.; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 62; Clouth/ Vollmuth in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, S. 1841; Ahrendt in HamburgerKomm. InsO, § 104 Rz. 14; differenzierend: Kliebisch/Linsenbarth, DZWIR 2013, 449, 456. 74 75 76 77 78
Apfelbacher/Kopp | 935
27.60
§ 27 | Derivate
b) Close-Out Netting
27.61 Aus dem Insolvenzrecht ist für Derivate insbesondere die Vorschrift des § 104 InsO von Bedeutung, die bei Finanzleistungen eine Abwicklung nach einem Verfahren vorsieht, das dem des Close-Out Netting nach den Rahmenverträgen stark ähnelt.
27.62 Nach § 104 Abs. 1 und Abs. 2 kann der Insolvenzverwalter – abweichend von der all-
gemeinen Regel des § 103 InsO – im Hinblick auf schwebende Geschäfte nicht Erfüllung verlangen, wenn für Finanzleistungen, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart war und die Zeit oder der Ablauf der Frist erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt. Vielmehr kann nur eine Forderung wegen Nichterfüllung geltend gemacht werden. Diese richtet sich auf den Markt- oder Börsenpreis, der am Erfüllungsort mit einen Vertrag mit der vereinbarten Erfüllungszeit erzielt wird oder werden könnte. Maßgeblich ist dabei der Markt- oder Börsenpreis bei unverzüglicher Vornahme eines Ersatzgeschäfts – spätestens jedoch am fünften Werktag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Wird kein Ersatzgeschäft vorgenommen, gilt der hypothetische Markt- und Börsenpreis, der am zweiten Werktag nach Verfahrenseröffnung hätte erzielt werden können, als maßgeblich. Sollte das Marktgeschehen einen Abschluss eines Ersatzgeschäfts nicht zulassen, muss der Markt- und Börsenwert nach Methoden bestimmt werden, die eine angemessene Bewertung des Geschäfts erlauben. Dies können beispielsweise synthetische Marktpreise oder Auktionen sein81. Finanzleistungen für Zwecke des § 104 InsO werden in einem nicht abschließenden Katalog in § 104 Abs. 1 Satz 3 InsO aufgezählt.
27.63 Mit seinem Urteil vom 9.6.2016 brachte der Bundesgerichtshof allerdings erhebliche Ver-
unsicherung in die Diskussion um das Close-Out Netting, indem er entschied, dass eine Vereinbarung in Rahmenverträgen, die eine Abweichung des Nettingverfahrens von dem in § 104 Abs. 2 und 3 InsO a.F. gesetzlich geregelten Verfahren vorsieht, unwirksam sei82. Grund hierfür war nach Sicht des BGH, dass § 104 InsO als Masseschutzvorschrift nicht von den Parteien zu Lasten der Insolvenzmasse abbedungen werden könne. Wegen der damit einhergehenden Risiken für die Finanzmarktstabilität, nicht zuletzt im Hinblick auf die Folgen für die Eigenkapitalausstattung von Banken, erließ die BaFin noch am Tag des Urteils eine Allgemeinverfügung nach § 14 WpHG (entspricht § 4a WpHG a.F.), wonach Nettingvereinbarungen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen unter Nichtanwendung des BGH-Urteils vereinbarungsgemäß abzuwickeln sind83. Der Gesetzgeber griff diese Allgemeinverfügung im dritten Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung84 auf und fasste § 104 InsO neu. Durch den neugeschaffenen § 104 Abs. 4 InsO wird nunmehr klargestellt, dass eine von § 104 Abs. 1 und Abs. 2 InsO abweichende Nettingvereinbarung zulässig ist. c) Zusammenfassung zu einheitlichem Vertrag
27.64 Nach § 104 Abs. 3 InsO gelten Geschäfte über Finanzleistungen, die in einem Rahmenvertrag oder durch das Regelwerk einer zentralen Gegenpartei zu einem einheitlichen Vertrag zusammengefasst sind, der vorsieht, dass die einbezogenen Geschäfte bei Vorliegen bestimmter Gründe nur einheitlich beendet werden können, als ein Geschäft i.S.d. § 104 Abs. 1 InsO.
81 82 83 84
Cymutta in KölnerKomm. InsO, § 104 Rz. 53. BGH v. 9.6.2012 – XI ZR 314/14, WM 2016, 1168, 1173. BaFin, Allgemeinverfügung vom 9.6.2016; hierzu Schäfer, BKR 2016, 321 ff. BGBl. I 2016, 3147.
936 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27
Mit dieser Regelung soll „sichergestellt werden, dass im Insolvenzfall alle noch nicht erfüllten Ansprüche aus zwischen zwei Parteien bestehenden Finanzgeschäften saldiert werden können („Netting“)“, da „[a]n einer solchen generellen Saldierungsmöglichkeit (…) auch im internationalen Geschäftsverkehr ein erhebliches Interesse [besteht]85.“ Dieses Interesse ist darin begründet, dass durch § 104 Abs. 3 InsO ein sog. „cherry-picking“ durch den Insolvenzverwalter verhindert wird86. Damit ist Folgendes gemeint: Häufig schließen zwei Parteien nicht nur ein einzelnes Derivategeschäft, sondern eine Vielzahl solcher Geschäfte miteinander ab. Würde im Fall der Insolvenz eines Vertragspartners die allgemeine Regel des § 103 InsO Anwendung finden, würde der Insolvenzverwalter für die dem Schuldner günstigen Geschäfte Erfüllung wählen und für die dem Schuldner ungünstigen Geschäfte die Erfüllung verweigern, mit der Folge, dass der Gläubiger die Forderung wegen Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen könnte. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 Abs. 3 InsO wird ein solches „cherry-picking“ ausgeschlossen, da alle Geschäfte auch insolvenzrechtlich wie ein einziger Vertrag behandelt werden. Sowohl der Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (s. Nr. 1 Abs. 2, Nr. 3 Abs. 3, Nr. 7 Abs. 1 Satz 4, Nr. 7 Abs. 2 RV) als auch das ISDA Master Agreement (s. Section 1(c), Section 5(a)(vii), Section 6(a) ISDA-MA) fallen tatbestandlich unter diese Vorschrift87.
27.65
5. Marktinfrastruktur Die Finanzmarktkrise hat OTC-Derivate ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörden der G-20 Staaten gerückt und eine tiefgreifende Reform zur Stärkung der Stabilität des Finanzsystems im Allgemeinen und des OTC-Derivatemarkts im Besonderen auf den Weg gebracht. Auf EU-Ebene ist EMIR (VO Nr. 648/2012) Kernstück dieses regulatorischen Maßnahmebündels und verfolgt im Wesentlichen die gleichen Ziele wie der „Dodd-Frank Act“ in den USA.
27.66
EMIR (VO Nr. 648/2012) reguliert im Wesentlichen drei Teilbereiche: Die Verordnung sieht ein verbindliches Clearing standardisierter (sog. qualifizierter) OTC-Derivate über zentrale Gegenparteien als zwischengeschaltete Intermediäre vor. Für OTC-Derivate, die dem Clearing nicht unterfallen, sieht sie spezielle Risikominderungspflichten vor. Zur Steigerung der Transparenz des Derivatemarkts wurde eine Meldepflicht für Transaktionen mit OTC-Derivaten an sog. Transaktionsregister statuiert88.
27.67
a) Clearing- und Handelspflicht Die Verpflichtung zum Clearing über eine zentrale Gegenpartei („Central Counterparty“ oder „CCP“) gilt zwar im Grundsatz gemäß Art. 4 VO Nr. 648/2012 (EMIR) sowohl für 85 Bericht des Rechtsausschusses zu dem Insolvenzordnungsentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 12/7302, S. 168, Hervorhebung hinzugefügt. 86 Cymutta in KölnKomm. InsO, § 104 Rz. 39; Balthasar in Nerlich/Römermann, InsO, § 104 Rz. 6, 8. 87 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 145; Reiner, ISDA-MA, S. 78 f. 88 Vgl. zum gesamten Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 208 ff.; Dittrich/Fried in Zerey, Finanzderivate, § 33 Rz. 13 ff.; Hartenfels, ZHR 178 (2014), 173 ff.; Litten/Schwenk, DB 2013, 857 ff., 918 ff.; Schuster/Ruschkowski, ZBB 2014, 123 ff.; Köhling/Adler, WM 2012, 2125 ff.
Apfelbacher/Kopp | 937
27.68
§ 27 | Derivate
Gegenparteien aus dem Finanzsektor („FCs“) (insbesondere Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, Investmentfonds, Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge und Verwalter alternativer Investmentfonds) als auch für sonstige Gegenparteien („NFCs“), für letztere allerdings nur, wenn deren Positionen in OTC-Derivatekontrakten einen bestimmten Clearing-Schwellenwert für einen Zeitraum von mindestens 30 Tagen überschreiten („NFC+“). Diese Schwellenwerte sind in technischen Regulierungsstandards der Kommission89 derzeit für fünf Underlying-Klassen definiert90. Bei Berechnung dieser Positionen bleiben gemäß Art. 10 VO Nr. 648/2012 (EMIR) jene OTC-Derivatekontrakte außer Betracht, die objektiv messbar Risiken reduzieren, die direkt mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement einer nicht aus dem Finanzsektor stammenden Gegenpartei verbunden sind. OTC-Derivate, die im Rahmen des Risikomanagements eines Unternehmens außerhalb des Finanzsektors eingesetzt werden, begründen für das Unternehmen daher grundsätzlich keine Verpflichtung zum Clearing über eine zentrale Gegenpartei und können daher (wie bisher) auch bilateral mit einem Kredit- oder Finanzinstitut abgeschlossen und abgewickelt werden. Auch gruppeninterne OTC-Derivatgeschäfte bleiben unberücksichtigt91. Beim Clearing über CCPs sind OTC-Derivate zu besichern (vgl. Art. 40 ff. VO Nr. 648/2012 [EMIR])92.
27.69 Im Interesse einer verbesserten Transparenz der Derivatemärkte unterwirft Art. 28 VO
Nr. 600/2014 (MiFIR) bestimmte liquide OTC-Derivate einer Handelspflicht auf organisierten Märkten, Multilateral Trading Facilities (MTF), Organized Trading Facilities (OTF) oder als äquivalent erachteten Handelsplätzen in Drittstaaten. Das mit der Handelspflicht einhergehende verbesserte Informationsniveau zu Preisen, Liquidität und Risiken soll der Verbesserung der Integrität der Derivatemärkte insgesamt dienen93. Dabei hängt die Handelspflicht eng mit der Clearingpflicht unter EMIR (VO Nr. 648/2012) zusammen. Sofern eine bestimmte Kategorie von OTC-Derivaten der Clearingpflicht unter EMIR (VO Nr. 648/2012) unterliegt, muss die ESMA gemäß Art. 32 VO Nr. 600/2014 (MiFIR) festlegen, ob und inwieweit für diese OTC-Derivate auch die Handelspflicht gilt. Gemäß Art. 34 VO Nr. 600/2014 (MiFIR) hat die ESMA ein Verzeichnis der der Handelspflicht unterliegenden Kategorien von Derivaten zu veröffentlichen. b) Risikominderungspflichten
27.70 Allerdings sind auch bei OTC-Derivaten, die nicht über eine CCP gecleart werden, nach
Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 648/2012 (EMIR) bestimmte Risikominderungspflichten zur Verringerung von Ausfallrisiken der Gegenparteien zu beachten. Dazu gehören u.a. eine zeitnahe Bestätigung von Einzelabschlüssen, tägliche Kontraktbewertungen, Portfolioabgleichungen, die Einrichtung von Streitbeilegungsverfahren und die Prüfung von Portfoliokomprimierungsmöglichkeiten94. Elementar ist die in Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 648/2012 (EMIR) vorgesehene Besicherungspflicht für OTC-Derivate von clearingpflichtigen Gegenparteien, die in der DelVO 2016/2251 im Einzelnen geregelt ist und seit 4.2.2017 schrittweise bis 1.9.2020 eingeführt wird.
89 90 91 92 93 94
Art. 11 der DelVO Nr. 149/2013. Hartenfels, ZHR 178 (2014), 173, 198. Binder in Langenbucher/Bliesner/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 37 Rz. 38. Schuster/Ruschkowski, ZBB 2014, 123, 128. Vorschlag der Kommission zur MiFIR v. 20.10.2011, KOM 2011 (652), 13. Hartenfels, ZHR 178 (2014), 173, 200 ff.; Litten/Schwenk, DB 2013, 861 ff.; Teuber/Schöpp, RdF 2013, 209, 210 f.
938 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27
c) Transaktionsregister Jede Gegenpartei muss Derivategeschäfte spätestens am nächsten Arbeitstag nach Abschluss des Kontrakts einem registrierten und anerkannten Transaktionsregister melden. Dabei ist es unerheblich, ob die Derivate börslich oder außerbörslich gehandelt werden. Auch gruppeninterne Geschäfte fallen unter die Meldepflicht95. Den Umfang der Meldung regeln die technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards der Kommission96.
27.71
III. Besondere Rechtsfragen von Derivaten, die der Unternehmensfinanzierung dienen Speziell zur Unternehmensfinanzierung werden Derivate in zweifacher Weise genutzt. Sie werden zum einen zur direkten Mittelaufnahme eingesetzt (s. Rz. 27.73 ff.). Zum anderen sichert sich ein Unternehmen mit Derivaten gegen die mit herkömmlichen Finanzierungsinstrumenten verbundenen Risiken ab (s. Rz. 27.90 ff.).
27.72
1. Einsatz von Derivaten zur direkten Mittelaufnahme Der Einsatz von Derivaten zur direkten Mittelaufnahme konzentriert sich auf die Ausgabe von Derivaten auf eigene Aktien97 sowie auf den Einsatz von Derivaten zur Monetisierung von Beteiligungen.
27.73
Unter die Rubrik der Derivate auf eigene Aktien fallen in dem hier interessierenden Finanzierungszusammenhang die Emission von Optionen auf Aktien in Verbindung mit Schuldverschreibungen (Wandel-, Options- und Umtauschanleihen), die Emission von selbständigen Optionsscheinen (Naked Warrants/Covered Warrants) und die Ausgabe von Optionen auf Aktien im Zusammenhang mit einer Aktienemission. Zu Wandelund Optionsanleihen sowie Umtauschanleihen s. §§ 11 und 12. Zu den Einzelheiten der „Greenshoe“-Option im Rahmen des Bookbuilding-Verfahrens bei Börsengängen oder Kapitalerhöhungen s. Rz. 3.85, Rz. 5.108 ff. und Rz. 6.5998. An dieser Stelle werden daher aus dem Bereich der Derivate auf eigene Aktien allein die durch Naked Warrants, Covered Warrants und sog. „Huckepack-Optionen“ aufgeworfenen Rechtsfragen dargestellt. Zudem werden einige Aspekte des Einsatzes von Aktienswaps bei der Monetisierung von Beteiligungen diskutiert.
27.74
a) Naked Warrants Naked Warrants sind verbriefte Optionsrechte auf junge, also noch zu schaffende Aktien des Emittenten, die nicht in Verbindung mit anderen Finanzierungsinstrumenten, sondern eigenständig ausgegeben werden99. 95 96 97 98 99
Hartenfels, ZHR 178 (2014), 173, 209 ff. VO Nr. 1247/2012, DelVO Nr. 148/2013. Vgl. hierzu umfassend Kniehase, Derivate auf eigene Aktien. Instruktiv zur „Greenshoe“-Option auch Schanz, BKR 2002, 439 ff. Die Terminologie ist uneinheitlich. Wie hier Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 25 mit Fn. 92; Fuchs in MünchKomm. AktG, § 192 Rz. 48. Ausführlich dazu Steiner, Optionsscheine, S. 18 f., 28 ff.
Apfelbacher/Kopp | 939
27.75
§ 27 | Derivate
27.76 Die Vorteile, die Naked Warrants dem Emittenten im Vergleich zur Ausgabe von Opti-
onsanleihen im weiten Sinne100 einerseits und zur „ordentlichen“ Aktienemission andererseits bieten, bestehen im Wesentlichen in vier Punkten: (1) Zufluss von Eigenkapital ohne Aufnahme von zu verzinsendem Fremdkapital, (2) Festlegung des Ausübungspreises oberhalb des Aktienkurses zum Emissionszeitpunkt, (3) sofortiger Zufluss der Optionsprämie und (4) Möglichkeit der flexiblen Ausgestaltung der Optionsbedingungen101. Naked Warrants ermöglichen der Aktiengesellschaft danach eine flexible und effiziente Eigenkapitalsteuerung102. Aus diesen Gründen sind sie tatsächlich bereits begeben worden103.
27.77 Dass sich Naked Warrants bislang dennoch nicht als Finanzierungsinstrument am Ka-
pitalmarkt etabliert haben, hat seinen Grund wohl darin, dass sich insbesondere einige Instanzgerichte vor dem Hintergrund der §§ 187, 221 AktG und § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG gegen die Zulässigkeit nackter Optionsscheine104 sowie gegen die Möglichkeit, für ihre Ausgabe ein bedingtes Kapital zu schaffen105, ausgesprochen haben. Die Bedenken, die gegenüber einer erweiterten bzw. analogen Anwendung der §§ 192 Abs. 2 Nr. 1, 221 AktG auf Naked Warrants geltend gemacht werden, werden in dem Bericht der Regierungskommission Corporate Governance vom 10.7.2001106 wie folgt zusammengefasst:
„Gegen die Möglichkeit, von vorneherein nackte Optionen ausgeben zu können, wird Folgendes eingewandt: – Dies ermögliche den Unternehmen in sehr viel stärkerem Maß als bei Verknüpfung mit einer Anleihe die Möglichkeit der Spekulation in eigenen Aktien. Sei die Option „im Geld“, so hätten die Altaktionäre, die sich an dieser Spekulation nicht hätten beteiligen können oder wollen, u.U. erhebliche Verwässerungsverluste zu tragen. – Es sei regelmäßig nicht Sache der Gesellschaft, als Stillhalter in eigenen Aktien zu fungieren und sich hierfür eine Prämie zahlen zu lassen. Dabei handele es sich um eine spezielle Finanzdienstleistung, die von den dazu berufenen Dienstleistungsinstituten wie z.B. Investmentbanken zu erbringen sei. – Die Emission von naked warrants vermittle dem Vorstand der Gesellschaft den Anreiz, vor Fälligwerden der Option den Aktienkurs zu drücken, um die Ausübung der Option zu verhindern. – Die Ziele, die mit der Emission von naked warrants zu Finanzierungszwecken verfolgt würden, seien im Wesentlichen auch mit Optionsanleihen zu erreichen. Nach Abwägung dieser Argumente und in Anbetracht dessen, dass der Gesetzgeber mehrfach, zuletzt während der Vorbereitung des KonTraG, die Zulassung nackter Optionen erwogen, aber im-
100 Unter Optionsanleihen im weiten Sinne fallen Wandel-, Umtausch- und Optionsanleihen im engen Sinne. 101 Grundlegend Fuchs, AG 1995, 433, 435 f.; Steiner, Optionsscheine, S. 83 ff.; s. auch Schlitt/ Löschner, BKR 2002, 150, 151; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, S. 79 f. 102 Fuchs in MünchKomm. AktG, § 192 Rz. 50. 103 Vgl. die Nachweise bei Steiner, Optionsscheine, S. 57 ff. und Anhang I; Fuchs, AG 1995, 433 f.; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, S. 75 ff.; Schäfer, ZGR-Sonderheft 16, 2000, S. 62, 78 mit Fn. 60; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 mit Fn. 4; Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256, 1257. 104 LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41, 43; LG Braunschweig v. 11.3.1998 – 22 O 234/97, NZG 1998, 387, 388. 105 OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 ff. 106 BT-Drucks. 14/7515.
940 | Apfelbacher/Kopp
Derivate | § 27 mer wieder zurückgestellt hat, sieht die Regierungskommission gleichfalls von einer entsprechenden Empfehlung ab107.“
Auch wenn diese Bedenken überzeugend widerlegt worden sind und die besseren Argumente letztlich für die Zulässigkeit von Naked Warrants samt bedingter Kapitalerhöhung sprechen108, ist ihre Emission vor dem Hintergrund des derzeitigen Meinungsstands109 mit hohen rechtlichen Risiken verbunden.
27.78
Mit der Einfügung des § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 AktG durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009110 wurde zumindest klargestellt, dass in dem Beschluss über das bedingte Kapital zur Bedienung von Bezugsrechten die Angabe eines Mindestausgabebetrags für die neuen Aktien genügt111.
27.79
b) Covered Warrants Im Zusammenhang mit Naked Warrants werden auch immer wieder Covered Warrants genannt. Im aktienrechtlichen Schrifttum werden darunter Optionsscheine verstanden, die anders als Naked Warrants nicht auf den Bezug junger, sondern bereits bestehender Aktien des Emittenten gerichtet sind112. In der Praxis wurde eine Bedienung der Optionsscheine mit eigenen Aktien bereits vorgesehen, wenn auch nur als Alternative zur Bedienung mit aus einem bedingten Kapital stammenden neuen Aktien113. Da bei einer Unterlegung mit bereits bestehenden Aktien weder § 187 AktG noch § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG berührt sind, ist die Zulässigkeit von Covered Warrants unbestritten. Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Frage, ob § 221 AktG (Hauptversammlungsbeschluss, Bezugsrecht der Aktionäre) bei der Emission solcher Optionsscheine ebenfalls (zumindest analog) anzuwenden ist114. Die Frage ist zu verneinen, da die Bedienung mit eigenen Aktien keine mit einer Kapitalerhöhung vergleichbare Verwässerung bestehender Anteilsrechte auslöst. Zu beachten sind allerdings die Vorgaben der §§ 71 ff. AktG.
27.80
c) Huckepack-Optionen Als Huckepack-Optionen werden Optionsscheine bezeichnet, die gemeinsam mit Aktien begeben werden und zum Bezug weiterer Aktien der emittierenden Gesellschaft berechtigen. 107 BT-Drucks. 14/7515, S. 101, Rz. 222. 108 Vgl. Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 36 ff.; Fuchs in MünchKomm. AktG, § 192 Rz. 48 ff.; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 153 f.; Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256 ff. 109 S. für umfassende Nachweise zum Meinungsstand Steiner, Optionsscheine, S. 106 ff.; Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 97 mit Fn. 281; Scholz in MünchnerHdb. AG, § 58 Rz. 9. 110 BGBl. I 2009, 2479. 111 Bereits zuvor hatte der BGH in einer Entscheidung vom 18.5.2009 – II ZR 262/07, AG 2009, 625 die Angabe eines Mindestausgabebetrags für ausreichend erklärt. Anders noch OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, AG 2008, 85, 86 sowie die umfangreichen Nachweise bei Fuchs in MünchKomm. AktG, § 193 Rz. 13 mit Fn. 35. 112 Ekkenga/Maas in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Kennz. 055, Rz. 95; Habersack in FS Nobbe, S. 539, 556; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 36. 113 Vgl. Steiner, Optionsscheine, S. 58. 114 Dafür etwa Ekkenga/Maas in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Kennz. 055, Rz. 95; Habersack in FS Nobbe, S. 539, 561 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 36, 24; dagegen etwa Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 57, ebenso für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen auf eigene Aktien Broichhausen, NZG 2012, 86 ff.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 221 Rz. 16; Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 58.
Apfelbacher/Kopp | 941
27.81
§ 27 | Derivate
27.82 Huckepack-Optionen haben primär eine „dienende“ Funktion. Sie steigern – wie die Op-
tionskomponente bei Optionsanleihen im weiten Sinne – die Attraktivität des Primärfinanzierungsinstruments, namentlich der zu emittierenden Aktien. Auf diese Weise wird die Platzierung der jungen Aktien erleichtert. Diese können zu einem höheren Kurs begeben werden115. Der Kapitalmarkt hat Huckepack-Emissionen daher – wenn auch selten – bereits gesehen116.
27.83 Ein weiteres Anwendungsgebiet von Huckepack-Optionen besteht im Rahmen des Börsen-
gangs einer Special Purpose Acquisition Company. Das typische Transaktionsmodell einer SPAC sieht vor, dass die Gesellschaft zur Finanzierung der angestrebten Akquisition eines anderen Unternehmens Einheiten bestehend aus einer Aktie und einem oder zwei Optionsscheinen emittiert (s. zu SPAC-Transaktionen Rz. 4.155 ff.). 2010 hat mit der Luxemburger Helikos SE erstmals ein SPAC-IPO an der Frankfurter Wertpapierbörse stattgefunden117. Im Zusammenhang mit dem Börsengang der Luxemburger European Clean-Tech SE, einer weiteren SPAC-Transaktion, wurden Huckepack-Optionen eingesetzt. Allerdings gibt es bislang keine SPAC in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder deutschen SE.
27.84 Gerichtsentscheidungen zur aktienrechtlichen Zulässigkeit von Huckepack-Optionen und
der Möglichkeit, für ihre Ausgabe bedingtes Kapital zu schaffen, liegen – soweit ersichtlich – nicht vor. Die deutlich überwiegende Meinung im Schrifttum hält sie für zulässig. Das gilt einmal für die Autoren, die bereits keine Bedenken gegen die Ausgabe von Naked Warrants haben118. Aber auch einige der Autoren, die sich gegen die Zulässigkeit von nackten Optionsscheinen aussprechen, äußern sich aufgrund der funktionalen Vergleichbarkeit mit den in § 221 AktG genannten Finanzierungsinstrumenten positiv über Huckepack-Emissionen119. Für die Praxis ist die Begebung von Huckepack-Optionen daher als relativ abgesicherte Equity-linked-Emission anzusehen120. d) Aktienswaps zur Monetisierung von Beteiligungen
27.85 Die Mittelaufnahme am Kapitalmarkt ist nicht nur durch Ausgabe von Wertpapieren und
sonstigen Finanzinstrumenten, sondern auch durch die Veräußerung von Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften möglich. Hier kann man an die Umplatzierung von Aktien und die Ausgabe von Umtauschanleihen denken, s. § 7 und § 12. Sofern aus rechtlichen, steuerlichen oder anderen Gründen eine direkte Veräußerung in der beschriebenen Form nicht möglich ist, ist an eine indirekte Form der Monetisierung, etwa durch Aktienswaps zu denken.
27.86 Beim Grundfall des Aktienswaps zahlt die eine Partei, der Inhaber des Aktienpakets, variable Beträge, und die Gegenpartei zahlt feste Beträge. Die variablen Beträge bemessen
115 Grundlegend Martens, AG 1989, 69 ff.; s. auch Fuchs, AG 1995, 433, 437; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, S. 67; eingehend zu den Motiven für den Einsatz von Huckepack-Optionen Steiner, Optionsscheine, S. 70 ff. 116 Vgl. die Nachweise bei Steiner, Optionsscheine, S. 54 f. mit Fn. 149; Schäfer, ZGR-Sonderheft 16, 2000, S. 62, 66 mit Fn. 14, und Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256, 1257. 117 Hierzu Schanz, NZG 2011, 1407 ff.; Selzner, ZHR (174) 2010, 318 ff. 118 Vgl. etwa Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 39; Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 30; Fuchs, AG 1995, 433 ff. 119 Etwa Schanz, NZG 2011, 1407, 1411; Martens, AG 1989, 69, 72; ähnlich auch Assmann in Großkomm. AktG, Einl. Rz. 474; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 9 Rz. 8. 120 Schäfer, ZGR-Sonderheft 16, 2000, S. 62, 79.
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Derivate | § 27
sich nach den Erträgen des Aktienpakets, d.h. den Dividenden und sonstigen Ausschüttungen. Hinsichtlich von Kursgewinnen oder -verlusten gibt es verschiedene Gestaltungsformen, entweder werden auch diese in der Berechnung der variablen Zahlungen berücksichtigt oder nur zum Ende der Laufzeit einmalig ausgeglichen121. Sollte im maßgeblichen Zeitpunkt der Aktienkurs gegenüber dem Aktienkurs am Referenztag gesunken sein, muss die Gegenpartei die negative Differenz an den Inhaber des Aktienpakets zahlen. Der Kurswert der Beteiligung kann durch einen Aktienswap wie folgt monetisiert werden: Zunächst einmal sollte es möglich sein, die durch einen Aktienswap vollständig gegen Kursschwankungen abgesicherte Beteiligung in (nahezu) voller Höhe zur Besicherung einer Mittelaufnahme, etwa eines Darlehens, heranzuziehen. Weiterhin kann der Inhaber des Aktienpakets mit der Gegenpartei auch einen sog. „Prepaid“ Aktienswap vereinbaren. Dabei erhält der Inhaber des Aktienpakets zu Beginn der Laufzeit des Swaps von der Gegenpartei vorab den Kurswert der Aktien zu einem bestimmten Referenztag ausgezahlt. Je nachdem, ob zum Ende der Laufzeit physische Lieferung oder Barausgleich vorgesehen ist, hat die Gegenpartei einen Anspruch auf Lieferung der Aktien oder – bei einem Kursanstieg – Zahlung der Differenz zwischen dem aktuellen Kurswert der Aktien zum Laufzeitende und dem Kurswert zum anfänglichen Referenztag. Ökonomisch betrachtet ist ein Prepaid Aktienswap einem Prepaid Forward Verkauf oder dem Verkauf einer Prepaid Call Option nicht unähnlich.
27.87
Bei Aktienswaps auf Aktien Dritter sind vor allem folgende rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen: Sofern die zugrundeliegenden Aktien zum Handel im regulierten Markt einer Börse in Deutschland oder in einem anderen EWR Staat zugelassen sind, handelt es sich bei dem Swap um ein Finanzinstrument gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d) VO Nr. 596/2014 (MAR), da der Preis, d.h. der Wert des Aktienswaps vom Börsenpreis der zugrundeliegenden Aktien abhängt122. Dementsprechend ist die Eingehung eines Aktienswaps und Abtretung der Rechtsposition daraus unzulässig, soweit sie unter Nutzung einer Insiderinformation nach Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 (MAR) erfolgt, s. Art. 14 lit. a) VO Nr. 596/2014 (MAR)123.
27.88
Unabhängig davon, ob der Aktienswap physische Lieferung der Beteiligung oder Barausgleich bei Laufzeitende vorsieht, wäre der Aktienswap für die Gegenpartei gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 WpHG bei Überschreiten der Schwellen von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 % meldepflichtig, wobei ggf. bis zu 5 % der Stimmrechte unberücksichtigt bleiben, wenn und soweit die Gegenpartei sie im Handelsbestand hält, s. § 36 Abs. 1 WpHG.
27.89
2. Einsatz von Derivaten zu Hedging-Zwecken Nach dem Derivatives Usage Survey der ISDA aus dem Jahr 2009124, einer Befragung der 500 gemessen an ihren Umsätzen weltweit größten Unternehmen, nutzen 94 % dieser Un121 Vertiefend Storck in Zerey, Finanzderivate, § 12 Rz. 12 f. 122 So für Aktienoptionen Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 107 Rz. 27. 123 Zum Begriff der Nutzung s. Erwägungsgrund 26 VO Nr. 596/2014 (MAR). 124 Die Zusammenfassung des 2009 Derivatives Usage Survey kann auf der Webseite der ISDA (www.isda.org) abgerufen werden.
Apfelbacher/Kopp | 943
27.90
§ 27 | Derivate
ternehmen Derivate zu Hedging-Zwecken. Der größte Teil der befragten Unternehmen (88 %) setzt Derivate zur Absicherung gegen Währungsrisiken (Currency Risks) ein. Fast ebenso viele Unternehmen (83 %) kontrollieren mit Hilfe von Derivaten Zinsrisiken (Interest Rate Risks). An dritter Stelle folgt die Absicherung gegen Waren- bzw. Rohstoffpreisrisiken (Commodity Price Risks) (49 %). 29 % der befragten Unternehmen schließlich verringern mit derivativen Finanzinstrumenten die Risiken von Aktienkursschwankungen (Equity Price Risks). Da das Hedging von Waren- bzw. Rohstoffpreisrisiken in keinem direkten Zusammenhang mit der Unternehmensfinanzierung steht, werden die zu diesem Zweck eingesetzten Derivate nachfolgend nicht behandelt. a) Hedging von Zinsrisiken
27.91 Zinsrisiken entstehen für ein Unternehmen, wenn es zu Finanzierungszwecken Fremdkapi-
tal aufnimmt. Zur Absicherung gegen das Zinsänderungsrisiko nutzen Unternehmen in erster Linie Zinsswaps, Zinssatz-Caps und Terminsatzgeschäfte (Forward Rate Agreements). aa) Zinsswaps
27.92 Gegenstand eines Zinsswapgeschäfts ist der Austausch von Geldbeträgen, die auf Grund-
lage von variablen oder festen Zinssätzen ermittelt werden. Die Vertragsparteien vereinbaren, über die Laufzeit des Vertrags zu fest bestimmten Zeitpunkten an die jeweils andere Partei Zahlungen zu leisten, die ausgehend von einem vertraglich festgelegten nominellen Bezugsbetrag als Zinsen zu unterschiedlichen Zinssätzen auf diesen Betrag berechnet werden. Beim Plain-Vanilla Zinsswap erfolgt diese Berechnung für die eine Partei auf Grundlage eines festen und für die andere Partei auf Grundlage eines variablen Zinssatzes.
27.93 Seiner Rechtsnatur nach ist der Zinsswap ein atypischer gegenseitiger Vertrag sui generis125. Zur Bestimmung der aus dem Vertrag fließenden Rechte und Pflichten kann daher nicht auf die gesetzlich kodifizierten Vertragstypen zurückgegriffen werden; der Vertragsinhalt ergibt sich allein aus der Vereinbarung der Parteien. Zinsswaps stellen Finanztermingeschäfte i.S.d. § 2 Abs. 3 WpHG bzw. i.S.d. § 99 Satz 2 WpHG dar und fallen in der Insolvenz unter die „Netting-Bestimmung“ des § 104 Abs. 1, 2 InsO126. bb) Zinssatz-Caps
27.94 Bei einem Zinssatz-Cap, der unter die Rubrik der Begrenzungsgeschäfte fällt127, vereinbaren die Parteien, dass die eine Seite (Capverkäufer) die andere Seite (Capkäufer) gegen Zahlung einer Prämie dagegen „versichert“, dass ein variabler Zinssatz (Basissatz) während der Vertragslaufzeit, die in Zinsperioden aufgegliedert wird, einen festgelegten Höchstsatz (Cap Rate) überschreitet. Liegt der Basissatz am Ende einer Zinsperiode über der Cap Rate, leistet der Capverkäufer an den Capkäufer eine Ausgleichszahlung in Höhe der Differenz zwischen Basissatz und Cap Rate bezogen auf den vereinbarten nominalen Grundbetrag.
125 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 54 Rz. 37; Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 137; Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, S. 43. 126 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 67. 127 Zu diesen gehören neben den Caps noch die Floor- und Collarvereinbarungen.
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Derivate | § 27
Überschreitet der Basissatz die Cap Rate nicht, macht der Capverkäufer einen Gewinn in Höhe der an ihn gezahlten Prämie. Auch der Zinssatz-Cap stellt einen atypischen gegenseitigen Vertrag sui generis dar128, der in der Regel unter dem Dach eines Rahmenvertrags abgeschlossen wird. Zinssatz-Caps sind Finanztermingeschäfte i.S.d. § 2 Abs. 3 WpHG/§ 99 Satz 2 WpHG und fallen in der Insolvenz unter die „Netting-Bestimmung“ des § 104 Abs. 1, 2 InsO129.
27.95
cc) Forward Rate Agreements Ein Forward Rate Agreement besteht in der Abrede, an die jeweils andere Partei eine auf einen vereinbarten Nominalbetrag bezogene Ausgleichszahlung zu leisten, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt der Basissatz einen festgelegten Terminsatz über- bzw. unterschreitet. Der Unterschied zum Zinssatz-Cap liegt darin, dass das Verlustrisiko für beide Parteien gleich groß ist, d.h. keine der Parteien lediglich den Verlust einer im Voraus bestimmten Risikoprämie befürchten muss130. Anders als beim Zinssatz-Swap trifft die Zahlungspflicht beim Forward Rate Agreement immer nur eine der Parteien131. Im Hinblick auf die angesprochenen rechtlichen Aspekte gilt für das Forward Rate Agreement dasselbe wie für den Zinsswap und den Zinssatz-Cap (atypischer gegenseitiger Vertrag sui generis132, Ausgestaltung durch Rahmenverträge, Finanztermingeschäft im Sinne des WpHG133, Anwendbarkeit des § 104 Abs. 1, 2 InsO134).
27.96
b) Hedging von Währungsrisiken Seit Abschaffung des Systems der festen Wechselkurse von Bretton-Woods im März 1973 sehen sich international operierende Unternehmen Währungsrisiken ausgesetzt. Währungsrisiken bestehen im Finanzierungszusammenhang darin, dass der Wert der Währung, in der das Unternehmen seine Einnahmen erzielt, im Vergleich zu der Währung, in der das Unternehmen seine Verbindlichkeiten aus Finanzierungsgeschäften bedienen muss, fällt. Typischerweise werden zur Begrenzung des Währungsrisikos Devisentermingeschäfte und Währungsswaps eingesetzt.
27.97
aa) Devisentermingeschäfte Gegenstand eines Devisentermingeschäfts ist die Vereinbarung, festgelegte Beträge unterschiedlicher Währung zu einem bei Vertragsabschluss festgelegten Kurs zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu „tauschen“, wobei der Tauschtermin zeitlich nach dem für Kassageschäfte üblichen Erfüllungszeitraum von zwei Geschäftstagen liegt. 128 Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 140; Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, S. 52 f. 129 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 68. 130 Mit Berechnungsbeispielen: Läger in Zerey, Finanzderivate, § 2 Rz. 2. 131 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 54 Rz. 29. 132 Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 141; Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, S. 40; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, § 54 Rz. 32. 133 Roth in KölnKomm. WpHG, § 2 Rz. 91; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 2 Rz. 57. 134 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 68.
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27.98
§ 27 | Derivate
27.99 Ein Devisentermingeschäft ist nach herrschender Meinung Rechtskauf i.S.d. § 453 BGB135,
nämlich der Kauf einer Fremdwährungsforderung gegen Zahlung des Kaufpreises in der anderen Vertragswährung. Devisentermingeschäfte werden regelmäßig unter dem Dach eines Rahmenvertrags abgeschlossen. Sie sind nach § 2 Abs. 3 WpHG136/§ 99 Satz 2 WpHG Finanztermingeschäfte und stellen Verträge über Finanzleistungen i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 3 InsO dar137.
bb) Währungsswaps
27.100
Bei einem Währungsswap vereinbaren die Parteien, wertgleiche Kapitalbeträge unterschiedlicher Währung zum Kassakurs auszutauschen (Anfangstausch) und zu einem späteren Zeitpunkt zum selben Kurs (Pari-Terminkurs) zurückzutauschen (Schlusstausch). Gleichzeitig wird die Abrede getroffen, sich zu fest bestimmten Zeitpunkten während der Vertragslaufzeit gegenseitig Geldbeträge zu zahlen, die sich an dem aktuellen Zinsniveau der jeweiligen Währung orientieren.
27.101
Überwiegend wird der Währungsswap als ein atypischer gegenseitiger Vertrag mit starken kaufvertraglichen Elementen qualifiziert: Die Leistung der Währungsbeträge im Rahmen des Anfangs- und Schlusstausches stellen Devisenkäufe dar; die Verknüpfung dieser Zahlungsverpflichtungen mit der Verpflichtung, periodische Zahlungen zu leisten, verleiht dem Vertrag seinen atypischen Charakter138. Im Übrigen gilt das zu Zinsswaps Gesagte (Ausgestaltung durch Rahmenverträge, Finanztermingeschäft im Sinne des WpHG139, Anwendbarkeit des § 104 Abs. 1, 2 InsO140). c) Hedging von Aktienpreisrisiken
27.102
Aktienpreisrisiken können durch Derivate auch speziell im Finanzierungszusammenhang, d.h. im Zusammenhang mit der Emission eines Finanzierungsinstruments, abgesichert werden. Ein Aktienpreisrisiko besteht, wenn das begebene Finanzierungsinstrument für das Unternehmen mit der Verpflichtung verbunden ist, den Anlegern in der Zukunft eigene Aktien oder die Aktien eines Drittemittenten zu gewähren, und der Preis der zu gewährenden Aktien zwischen der Emission des Finanzierungsinstruments und der Fälligkeit der Verpflichtung zur Gewährung der Aktien steigt. Dieses Aktienpreisrisiko besteht insbesondere bei der Emission von Wandel- und Optionsanleihen141 und bei der Emission von Umtauschanleihen, bei denen die Umtauschverbindlichkeit (teilweise) durch erst noch zu erwerbende Aktien der Zielgesellschaft erfüllt werden soll142. Das Aktienpreisrisiko des Unternehmens liegt in beiden Fällen darin, dass der Preis der Aktien im Vergleich zum 135 Hadding/Hennrichs in FS Claussen, S. 447; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, (7) BankGesch N/1. Zu abweichenden Ansichten vgl. Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, S. 14 ff. 136 Roth in KölnKomm WpHG, § 2 Rz. 88. 137 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 65. 138 Jahn/Reiner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 114 Rz. 138; Zu abweichenden Ansichten vgl. Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanzderivate, S. 22 ff. 139 Roth in KölnKomm. WpHG, § 2 Rz. 89; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 2 Rz. 56. 140 Jahn/Fried in MünchKomm. InsO, § 104 Rz. 65. 141 Hierzu Rz. 11.39 ff.; Schäfer, ZGR-Sonderheft 16, 2000, S. 62, 71 f. 142 S. hierzu Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 41.
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Derivate | § 27
Begebungszeitpunkt des Finanzierungsinstruments steigt. Gegen dieses Risiko sichert sich das Unternehmen durch den Erwerb von Call-Optionen ab. Einen Sonderfall der Absicherung gegen Aktienpreisrisiken durch Derivate im Finanzierungszusammenhang stellen sog. Call-Spread-Transaktionen dar, die häufig im Zusammenhang mit der Ausgabe von Wandelanleihen abgeschlossen werden (s. Rz. 27.112 ff.).
27.103
aa) Call-Optionen auf eigene Aktien Der Erwerb von Call-Optionen auf eigene Aktien wirft in erster Linie die aktienrechtlichen Fragestellungen des Verbots des Erwerbs eigener Aktien (§§ 71, 71a AktG), des Gleichbehandlungsgebots (§ 53a AktG) und des Verbots der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) auf.
27.104
Der Anwendungsbereich des § 71 AktG ist überhaupt nur bei Call-Optionen eröffnet, die physische Lieferung vorsehen143. Selbst dann steht das Verbot des Erwerbs eigener Aktien nach §§ 71, 71a AktG dem Erwerb der Call-Option als solchem nicht entgegen, weil der Aktienerwerb aufgrund der Unsicherheit, ob das Optionsrecht tatsächlich ausgeübt wird, durch den Erwerb der Call-Option – anders als etwa bei Vorverträgen – nicht vorweggenommen wird144. Allerdings unterliegt der durch die Ausübung der Call-Option entstehende Kaufvertrag145 bzw. nach dem engen Erwerbsbegriff das dingliche Rechtsgeschäft, das die Gesellschaft zum Inhaber der Aktien werden lässt146, dem Verbotstatbestand. Erforderlich ist daher eine Ermächtigung der Hauptversammlung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, die mit bestimmten Einschränkungen (Festlegung des niedrigsten und höchsten Gegenwerts147 und des Anteils am Grundkapital) verbunden und auf einen Zeitraum von höchstens 18 Monaten befristet ist. Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, bietet es sich an, unter Beachtung des § 71d AktG einen Treuhänder einzuschalten, der bei Ausübung des Optionsrechts durch einen Anleihegläubiger die ihm von dem Emittenten übertragene Option ausübt und den Anleihegläubiger befriedigt (s. Rz. 11.43 ff.)148.
27.105
Sollte sich bei einer Call-Option mit Barausgleich der Stillhalter seinerseits durch Erwerb von Aktien der Gesellschaft absichern, stellt dies keinen Fall des § 71a AktG dar. Denn zwischen der Aktiengesellschaft und dem Stillhalter gibt es keine Abrede über die Verwendung von Mitteln zum Erwerb von Aktien der AG, wie es für § 71a AktG Voraussetzung wäre149. Vielmehr ist der Stillhalter in der Verwendung der von der Aktiengesellschaft erhaltenen Mittel vollständig frei.
27.106
Die Anforderungen, die das Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG an den Erwerb von Call-Optionen mit physischer Lieferung durch die Aktiengesellschaft stellt, sind im Einzel-
27.107
143 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 82. 144 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 82; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 187; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, § 71 Rz. 32 f.; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 9; Vetter, AG 2003, 478, 479. 145 Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71 Rz. 73; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 187, 35; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, § 71 Rz. 31; Vetter, AG 2003, 478, 479. 146 Merkt in Großkomm. AktG, § 71 Rz. 142; Rieckers in MünchHdb. AG, § 15 Rz. 9; Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 234. 147 Hierzu im Kontext J. Vetter, AG 2003, 478, 480 f. 148 So auch Busch, AG 1999, 58, 66. 149 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 71a Rz. 3; Oechsler in MünchKomm. AktG, § 71a Rz. 35.
Apfelbacher/Kopp | 947
§ 27 | Derivate
nen umstritten150. Einigkeit besteht jedoch insoweit, dass dem Gleichbehandlungsgebot jedenfalls dann Genüge getan ist, wenn der Optionsvertrag mit einem Finanzdienstleister abgeschlossen wird, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Optionsvertrags noch nicht Aktionär der Gesellschaft ist und der im Fall der Ausübung der Option nur solche Aktien an die Gesellschaft weitergibt, die er selbst zu diesem Zweck über die Börse erworben hat (s. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG)151.
27.108
Schließlich ist § 57 Abs. 1 AktG zu beachten. Insoweit gilt, dass der Erwerb einer Call-Option von einem Aktionär nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt, wenn er zu marktgerechten Bedingungen erfolgt152. Die Gesellschaft darf also keine Optionsprämie zahlen, die über dem Marktüblichen liegt.
27.109
Wertpapierhandelsrechtlich stellt sich die Frage, ob die Aktiengesellschaft beim Erwerb von Call-Optionen auf eigene Aktien nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) WpHG mitteilungspflichtig oder nach § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG veröffentlichungspflichtig ist. Gegen die Mitteilungspflicht spricht § 13 WpAV (vormals § 17a WpAIV a.F.), gegen die Veröffentlichungspflicht, dass § 40 Abs. 1 Satz 2 WpHG im Hinblick auf den Inhalt der zu veröffentlichenden Erklärung nur auf § 33 Abs. 1 Satz 1 WpHG und nicht auch auf § 38 Abs. 1 WpHG verweist. bb) Call-Optionen auf Aktien eines Drittemittenten
27.110
Mit dem Erwerb von Call-Optionen, die auf den Bezug von Aktien eines Drittemittenten gerichtet sind, sind kaum spezielle Rechtsfragen verbunden. Hinzuweisen ist jedoch auf die Mitteilungspflicht des § 38 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) WpHG. Danach ist derjenige, der Call-Optionen auf zum Handel an der Börse zugelassene und mit Stimmrechten verbundene Aktien eines Drittemittenten erwirbt, verpflichtet, das Erreichen oder Überschreiten der in § 33 WpHG genannten Stimmrechtsanteilsschwellenwerte unverzüglich dem Emittenten und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mitzuteilen. Handelt es sich um Optionen, aufgrund derer der Erwerber durch bloße Annahmeerklärung Eigentümer der Aktien werden kann (dingliche Optionen), besteht bereits eine Meldepflicht nach § 34 Abs. 1 1 Nr. 5 WpHG mit der Folge, dass die Meldeschwellen hierfür bereits bei 3 % beginnen.
27.111
§ 39 WpHG sieht in Übereinstimmung mit der Vorgängerregelung des § 25a WpHG a.F. im Hinblick auf Mitteilungspflichten eine Zusammenrechnung der Stimmrechte aus den Beteiligungen nach §§ 33 f. WpHG und aus den Instrumenten gemäß § 38 WpHG vor. Eine Mehrfachberücksichtigung von Stimmrechten ist ausweislich der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie ausgeschlossen153.
150 Vgl. zum Meinungsstand Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 238 ff.; Cahn in Spindler/ Stilz, AktG, § 71 Rz. 188. 151 Storck in Zerey, Finanzderivate, § 12 Rz. 85; Mick, DB 1999, 1201, 1205; Grobecker/Michel, DStR 2001, 1757, 1762 f.; J. Vetter, AG 2003, 478, 479; Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 241. 152 J. Vetter, AG 2003, 478, 480; Schmid/Mühlhäuser, AG 2001, 493, 496; Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 250. 153 BT-Drucks. 18/5010, S. 47.
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Derivate | § 27
cc) Call-Spread-Transaktionen auf eigene Aktien „Call-Spread“ bezeichnet eine Optionsstrategie, die darin liegt, auf Barausgleich gerichtete europäische Call-Optionen auf den gleichen Basiswert und mit dem gleichen Fälligkeitstermin, aber mit unterschiedlichem Basispreis gleichzeitig zu kaufen und zu verkaufen.
27.112
Im Finanzierungszusammenhang sind in der Praxis Call-Spread-Transaktionen auf eigene Aktien von Bedeutung, die gleichzeitig mit der Begebung einer Wandelanleihe abgeschlossen werden154. Der Basispreis der gekauften Call-Optionen liegt dabei über dem Wandlungspreis, aber unter demjenigen der verkauften Call-Optionen und der Fälligkeitstermin der Call-Optionen deckt sich mit der Endfälligkeit der Wandelanleihe. Die vom Emittenten im Ergebnis aufzubringende Optionsprämie für den Kauf der Call-Optionen ist Null oder vergleichsweise gering, da der Emittent im Gegenzug für den Verkauf der Call-Optionen seinerseits eine Optionsprämie erhält. Mittels der Call-Spread-Transaktion partizipiert der Emittent an einer möglichen Kurssteigerung zum Fälligkeitstermin, jedoch maximal bis zur Höhe der Differenz aus dem Basispreis der verkauften und der gekauften Call-Option. Bei ökonomischer Betrachtung erhöht sich hierdurch die Wandlungsprämie um den Betrag, den der Emittent nach Durchführung der Call-Spread-Transaktionen als Gewinn erzielt.
27.113
Bei der rechtlichen Bewertung sind die einzelnen Bestandteile des Call-Spread-Geschäfts, also der Erwerb bzw. die Ausgabe der auf Barausgleich gerichteten Call-Optionen, getrennt zu analysieren155.
27.114
Mit Blick auf das Aktienrecht gilt, dass auf die Ausgabe von Call-Optionen auf eigene Aktien mit Barausgleich § 221 Abs. 1, Abs. 3 AktG keine (analoge) Anwendung findet156. Auf die Ausgabe von Call-Optionen auf eigene Aktien sowie den Erwerb von Call-Optionen mit Barausgleich ist § 71 AktG per se nicht anwendbar. Soweit der Erwerb und die Veräußerung der Call-Option jeweils at arm’s length erfolgt, ist ebenso wenig § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG anwendbar157.
27.115
Wertpapierhandelsrechtlich löst der Erwerb von Call-Optionen auf eigene Aktien mit Barausgleich weder eine Mitteilungspflicht nach § 38 WpHG aus158 (vgl. § 13 WpAV159), noch besteht eine Veröffentlichungspflicht gemäß § 40 WpHG.
27.116
d) Einsatz von Derivaten zum Beteiligungsaufbau Dem Risiko eines ansteigenden Aktienkurses der Zielgesellschaft wurde vereinzelt von Bietern im Vorfeld einer etwaigen Übernahme durch den Einsatz derivativer Finanzinstrumente begegnet. Ein solches „Anschleichen“ war bis zum Jahre 2011 möglich, da eine 154 In Europa fand der Abschluss einer vertikalen Call-Spread-Transaktion im Zusammenhang mit der Begebung einer Wandelanleihe erstmals im Jahr 2003 statt, als sich die TUI AG für ein solches Vorgehen entschied, vgl. Börsen-Zeitung Nr. 193 v. 8.10.2003, S. 9 („TUI platziert Wandelanleihe und versprüht Zuversicht“). 155 S. Clouth, Rechtsfragen der außerbörslichen Finanz-Derivate, S. 30. 156 Scholz in MünchHdb. AG, § 64 Rz. 60; Wohlfarth/Brause, WM 1997, 397, 398 ff.; Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 167 f.; a.A. Karollus in G/H/E/K, AktG, § 221 Rz. 319. 157 Kniehase, Derivate auf eigene Aktien, S. 172, 178, 181, 185 und zusammenfassend S. 186. 158 S. Rz. 27.109. 159 Vormals § 17a WpAIV a.F.
Apfelbacher/Kopp | 949
27.117
§ 27 | Derivate
Meldepflicht nur für Finanzinstrumente bestand, die ihrem Inhaber einen Anspruch auf physische Lieferung von Aktien gewähren. Angesichts dessen haben die Erwerber in der Regel mit einer oder mehreren Banken Total Return Equity Swaps auf Aktien der Zielgesellschaft vereinbart, die allein einen Barausgleich vorsahen. Die Banken sicherten sich gegen das Kursrisiko sodann über den Abschluss entsprechender Derivate oder durch den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft ab160.
27.118
Auf diese Praxis hat der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 25a WpHG a.F. durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG) reagiert, der durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie geändert und mittlerweile in § 38 WpHG integriert wurde. Demnach ist auch der Inhaber von Instrumenten, die auf Grund ihrer Ausgestaltung rechtlich, faktisch oder wirtschaftlich den Zugriff auf die mit Stimmrechten verbundenen und bereits ausgegebenen Aktien eines deutschen Emittenten ermöglichen, verpflichtet, den Erwerb solcher Instrumente dem Emittenten und der BaFin zu melden. Hierzu zählen u.a. finanzielle Differenzgeschäfte, Swaps, CallOptionen mit Barausgleich, Put-Optionen und andere Geschäfte „mit vergleichbarer wirtschaftlicher Wirkung“, d.h., bei denen ein Stimmrechtserwerb aufgrund der diesen zugrundeliegenden wirtschaftlichen Logik zumindest möglich ist.
27.119
Aufgrund dieser Erweiterung der Beteiligungstransparenz sollte ein unbemerktes Anschleichen durch den Einsatz von Derivaten, wie es etwa in den Fällen Schaeffler/Continental oder Porsche/VW stattgefunden hat161, kaum mehr möglich sein. Dennoch überraschte im Februar 2018 Liu Shufu (Geely Group Co., Ltd.) mit der Mitteilung des Erwerbs von knapp 10 % der Stimmrechte an der Daimler AG den Markt. Der Umstand, dass die Beteiligungstransparenz erst weit jenseits der anfänglichen Meldeschwellen von 3 % (Aktien) bzw. 5 % (Instrumente) hergestellt wurde, löste Fragen nach Lücken bei den derzeit geltenden Meldepflichten aus. Diese Fragen werden wohl erst dann sinnvoll beantwortet werden können, wenn die BaFin ihre Prüfung einer möglichen Verletzung von Meldepflichten abgeschlossen hat162.
160 Eingehend dazu Baums/Sauter, ZHR 173 (2009), 454 ff.; ferner Schiessl, Der Konzern 2009, 291 ff. 161 S. dazu Emmenegger in FS Hopt, 2010, S. 1763, 1766 ff. 162 Handelsblatt v. 27.2.2018 („Geely-Einstieg bei Daimler ist Thema im Bundestag“), abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/chinesischer-autobauer-geely-einstiegbei-daimler-ist-thema-im-bundestag/21007208.html; WirtschaftsWoche v. 12.5.2018 („Geely-Einstieg bei Daimler wurde zu spät gemeldet“), abrufbar unter https://www.wiwo.de/unternehmen/ auto/ministerium-geely-einstieg-bei-daimler-wurde-zu-spaet-gemeldet/21598528.html.
950 | Apfelbacher/Kopp
§ 28 Aktiendividende I. Einführung . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstruktur der Aktiendividende . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbreitung in Europa und Deutschland . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Sachdividende 4. Motive . . . . . . . . . . . . . . . .
.. .. .. .. ..
II. Strukturierung . . . . . . . . . . . . . 1. Gewinnverwendungsbeschluss . . 2. Keine besondere Satzungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . 3. Schaffung der Dividenden-Aktien a) Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . b) Verwendung von eigenen Aktien III. Implementierung . . . . . . . . . . . 1. Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . a) Kapitalerhöhungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat . . . . b) Bezugsangebot . . . . . . . . . . . .
_ _ __ _ __ __ __ _ _ __
28.2 28.2 28.3 28.6 28.8
28.12 28.12 28.16 28.17 28.17 28.18 28.20 28.20 28.21 28.25
c) Bezugs- und Übertragungserklärungen . . . . . . . . . . . . d) Bewertung der Sacheinlage . . . e) Volumenfestlegung, Einbringung, Zeichnung der Aktien und Settlement durch die Transaktionsbank . . . . . . . . . f) Prospektpflicht und prospektbefreiendes Dokument . . . . . g) Besonderheiten bei der Strukturierung als 10 % Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgabe eigener Aktien . . . . . . a) Verwendungsermächtigung . . b) Repartierung . . . . . . . . . . . . IV. 1. 2. 3.
Dokumentation . . . . . . . . . . . Transaktionsvertrag . . . . . . . . Einbringungsvertrag . . . . . . . . Prospektbefreiendes Dokument und Informationsdokument . . .
__ _ _ __ __ __ _ _
. 28.26 . 28.29
. 28.30 . 28.33 . . . .
28.35 28.36 28.37 28.38
. 28.39 . 28.39 . 28.43 . 28.44
Schrifttum: Arntz/Remmel, RdF 2014, 229; Ernst Wolff in FS Pinner, 1932, S. 656; Grund, Sachdividende, S. 36; Hasselbach/Wicke, NZG 2001, 599; Krause, ZHR 181 (2017), 641; Mense/Klie, GWR 2016, 111; v. Korff/Starke, MM Warburg & Co, Offen gesprochen – Die Aktiendividende – Bleibt Cash King?; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175; Schmidtmann, DB 2017, 2695; Schwendemann, AG 2015, R40; Sickinger/Zipperle, AG 2015, R189; Wegmann, HV Magazin 2014, 24; Wettich, AG 2014, 534; WinterSchieszl/Haberl, AG 2015, R8. Die Verfasser danken Frau Wirtschaftsjuristin Nona Naydenova, Herrn Rechtsassessor Dr. Christopher Dassbach sowie Herrn Rechtsreferendar Christian Schröder für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages.
In den letzten Jahren hat eine zunehmende Anzahl von börsennotierten Gesellschaften von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihren Aktionären ein Wahlrecht zwischen der klassischen Bardividende und einer Gewinnausschüttung in Form von Aktien anzubieten. Diese sog. Aktiendividende (scrip dividend), die auf ausländischen Kapitalmärkten schon lange etabliert war, hat in Deutschland zunächst ein Schattendasein geführt. Seit einigen Jahren entdecken immer mehr börsennotierte Gesellschaften die Vorteile dieses flexiblen TreasuryInstruments. Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend wesentliche rechtliche Aspekte des Rechtsinstituts der Aktiendividende beleuchtet werden.
Schlitt/Kreymborg | 951
28.1
§ 28 | Aktiendividende
I. Einführung 1. Grundstruktur der Aktiendividende 28.2
Wesentliches Charakteristikum der Aktiendividende ist, dass die Gesellschaft ihren Aktionären das Wahlrecht einräumt, innerhalb einer Bezugsfrist zwischen einer Bar- und einer Aktiendividende zu wählen. Dabei sind die Aktien, die den sich für eine Aktiendividende entscheidenden Aktionären ausgegeben werden, in aller Regel neue Aktien, die im Zuge einer Kapitalerhöhung – zumeist im Form einer Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage1 – geschaffen werden. Es ist aber auch denkbar, dass die Gesellschaft die Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss schafft bzw. zuvor zurückerworbene eigene Aktien verwendet.
2. Verbreitung in Europa und Deutschland 28.3
Die Aktiendividende ist in vielen europäischen Ländern und den USA schon seit langer Zeit verbreitet2. So haben etwa Royal Dutch Shell p.l.c. (Niederlande), British Petroleum (BP) p.l.c. (Großbritannien), Telefónica S.A. und Iberdrola S.A. (Spanien), Credit Suisse Group AG (Schweiz) und Statoil ASA (Norwegen) von diesem Instrument Gebrauch gemacht3.
28.4
Vorreiter der Aktiendividende in Deutschland war die alstria office REIT-AG, die 2009 erstmals ihren Aktionären ein solches Wahlrecht eingeräumt hat. Die Gesellschaft hatte damals aber bei der Bedienung der Wünsche nach einer Aktiendividende auf eigene Aktien zurückgegriffen. Wegbereiter für die Aktiendividende in Form von neuen Aktien in Deutschland war die Deutsche Telekom AG, die im Jahre 2013 als erste deutsche Gesellschaft eine Aktiendividende in Form von neuen Aktien ausgegeben hat4. Dem Beispiel der Deutschen Telekom sind in den letzten Jahren eine Vielzahl großer und mittelständischer börsennotierten Unternehmen gefolgt5. Dabei hat sich gezeigt, dass das Instrument gerade für Real Estate Unternehmen, die aufgrund ihrer Akquisitionsaktivitäten stets einen hohen Barmittelbedarf haben, attraktiv ist.
28.5
Dass das Rechtsinstrument der Aktiendividende in Deutschland zunächst keine große Verbreitung gefunden hat, dürfte maßgebend darauf zurückzuführen sein, dass die Struktur der Aktiendividende aufgrund der strengen aktienrechtlichen Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorgaben – komplexer ist als im Ausland. So wird in ausländischen Jurisdiktionen den Aktionären häufig entweder eine Bardividende gezahlt und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, mit diesen Mitteln neue Aktien der Gesellschaft zu erwerben. Alternativ werden dem Aktionär zunächst Aktien gewährt, die sie dann gegen Erhalt einer Barzahlung zurückgeben können6. Solche Gestaltungen könnten nach deutschem Recht in der 1 Die Aktiendividende ist praktisch die einzig denkbare Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage. 2 Winter-Schieszl/Haberl, AG 2015, R8; v. Korff/Starke, MM Warburg & Co, Offen gesprochen – Die Aktiendividende abrufbar unter https://www.mmwarburg.de/de/geschaeftskunden/offen-ge sprochen/Die-Aktiendividende-Bleibt-Cash-King/; Schmidtmann, DB 2017, 2695, 2695. 3 Vgl. auch Wettich, AG 2014, 534, 535. 4 Wegmann, HV Magazin 2014, 24, 25. 5 Zu den Anwendungsfällen auch Schwendemann, AG 2015, R40; Wegmann, HV Magazin 2014, 24, 25; Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646; Schmidtmann, DB 2017, 2695. 6 v. Korff/Starke, MM Warburg & Co, Offen gesprochen – Die Aktiendividende; mit Blick auf die spanische Rechtslage Wettich, AG 2014, 534, 535.
952 | Schlitt/Kreymborg
Aktiendividende | § 28
Regel als verdeckte Sacheinlage zu qualifizieren sein. Doch hat sich gezeigt, dass eine Aktiendividende auch nach deutschem Recht rechtwirksam vereinbart werden kann, wenn sie im Zuge einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage oder im Tausch gegen Ausgabe eigene Aktien ausgegeben werden.
3. Abgrenzung zur Sachdividende Die Aktiendividende ist von der Sachdividende abzugrenzen. Bei einer Sachdividende beschließt die Hauptversammlung statt einer Bardividende eine Sachausschüttung, sofern die Satzung dies zulässt (§ 58 Abs. 5 AktG). Wie bei einer Aktiendividende schüttet die Gesellschaft bei einer Sachdividende an ihre Aktionäre also statt (oder zusätzlich zu) einer Barzahlung einen Sachwert aus. Beiden Instrumenten ist damit gemeinsam, dass das Unternehmen seine Liquidität schonen kann7. Bei einer Sachdividende kann der Sachwert in eigenen Aktien der Gesellschaft oder in (zumeist börsennotierten) Aktien an einer dritten Gesellschaft liegen. Der konkrete Sachwert ist im Gewinnverwendungsbeschluss ebenso festzulegen wie der Anteil, mit der er auf eine einzelne Aktie entfällt8. Schüttet die Gesellschaft bei der Sachdividende eigene Aktien aus, sind sich beide Instrumente sehr ähnlich.
28.6
Maßgebender Unterschied zwischen beiden Instrumenten ist, dass die Aktionäre bei einer Sachdividende kein Wahlrecht zwischen einer Barzahlung und einer Aktiendividende haben. Dieses Fehlen eines Wahlrechts setzt den Beschluss über eine Sachausschüttung nach § 58 Abs. 5 AktG einem tendenziell größeren Anfechtungsrisiko aus, wiewohl dieses Risiko geringer ist, wenn der ausgegebene Sachwert in Anteilen einer börsennotierten Gesellschaft besteht, weil sie dann fungibel sind und ihr Marktwert daher leicht in Geld realisiert werden kann9. Anders als bei einer Aktiendividende kann es bei einer Sachdividende zu einem Konflikt mit dem Kapitalerhaltungsgebot (vgl. § 57 AktG) kommen. Übersteigt nämlich deren Ausschüttungswert – unabhängig davon, wie er zu berechnen ist10 – den im Jahresabschluss ermittelten Bilanzgewinn, droht bei Auszahlung einer „überwertigen“ Sachdividenden eine unzulässige Einlagenrückgewähr11.
28.7
4. Motive Die Aktiendividende ist für die Gesellschaft aus einer Reihe von Gründen ein attraktives Instrument. So erweist sich das Instrument aus „Treasury“-Perspektive als vorteilhaft, da die Reduzierung des für die Bardividende „reservierten“ Betrages der Gesellschaft hilft, 7 Für die Aktiendividende: Sickinger/Zipperle, AG 2015, R189; für die Sachdividende: Grund, Sachdividende, S. 36. 8 Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 170 Rz. 63; Grigoleit/Zellner in Grigoleit, AktG, § 58 Rz. 39; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 174 Rz. 25. 9 Grigoleit/Zellner in Grigoleit, AktG, § 58 Rz. 40; Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 32; Hasselbach/ Wicke, NZG 2001, 599, 600. 10 Zum Streitstand (Abstellen auf Buch- oder Verkehrswert): Bayer in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 58 Rz. 129 f.; Waclawik in Hölters, AktG, § 58 Rz. 38 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33. 11 Nachweis für AG: Grigoleit/Zellner in Grigoleit, AktG, § 58 Rz. 40; Bayer in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 58 Rz. 129 f.; Hasselbach/Wicke, NZG 2001, 599, 600; vgl. zur GmbH: Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 29 Rz. 128.
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28.8
§ 28 | Aktiendividende
Liquidität zu schonen und ihre Kapitalbasis zu stärken. Gleichzeitig ist sie nicht mit einer Kürzung der Dividende verbunden, so dass negative Signale an den Kapitalmarkt vermieden werden, wie sie eine Absenkung des Dividendensatzes bzw. der Ausschüttungsquote hervorrufen würde12. Die eingesparten Barmittel, deren Höhe einen erheblichen Umfang erreichen kann, kann die Gesellschaft anderweitig – etwa zur Wachstumsfinanzierung oder zum Abbau von Verschuldung – einsetzen.
28.9
Zugleich bleibt die Gesellschaft berechtigt, innerhalb des Jahres nach der Ausgabe der Aktiendividende eine 10 %-Kapitalerhöhung prospektfrei durchzuführen, was gerade für akquisitionsstarke Unternehmen wichtig sein kann. Da die Aktiendividende in der Regel als Bezugsrechtsemission strukturiert ist, bleibt eine etwa vorhandene Ermächtigung zum Bezugsrechtsauschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG unberührt. Da die prospektfreie Zulassung bei einer Aktiendividende auf einen besonderen Befreiungstatbestand gestützt werden kann, wird das nach Art. 1 Abs. 5 lit. a) VO 2017/1129 (ProspektVO (neu)) für eine prospektfreie Zulassung vorhandene Volumen von 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung, die bereits zum Handel an demselben organisierten Markt zugelassen sind, nicht angegriffen13.
28.10 Auch wenn die Annahmequote für die Gesellschaft und die begleitende Bank zuweilen
nicht ganz sicher prognostizierbar ist, dürfte der Kostenaufwand für eine Aktiendividenden-Transaktion nur in wenigen Fällen ein Argument sein, eine Aktiendividende nicht in Betracht zu ziehen. Da es keines Wertpapierprospekts, sondern lediglich eines prospektbefreienden Dokuments bedarf, ist der Dokumentationsaufwand für die Gesellschaft, insbesondere bei einer wiederholten Auflage, zeit- und kostenmäßig überschaubar.
28.11 Die Aktiendividende stellt sich auch aus Sicht der Aktionäre als interessante Ausschüt-
tungsform dar, weil die Gesellschaft ihnen eine Alternative zur Dividendenzahlung in bar eröffnet. Die auf diese Weise geschaffene Optionalität kann insbesondere bei einer heterogenen Aktionärsstruktur unterschiedlich ausgerichtete Aktionärsinteressen adressieren14. So ziehen Investoren, wie Versicherungen, Pensionskassen und spezielle Dividendenfonds, häufig eine Barausschüttung vor15, während andere Aktionärsgruppen daran interessiert sind, ihre Unternehmensbeteiligung auszubauen, zumal die Aktien typischerweise mit einem Abschlag in Höhe von 2 % bis 3 % zum aktuellen Börsenpreis ausgegeben werden16.
II. Strukturierung 1. Gewinnverwendungsbeschluss 28.12 Im Zentrum der Aktiendividende steht der Gewinnverwendungsbeschluss, den die Hauptversammlung mit grundsätzlich einfacher Stimmmehrheit fasst (§§ 174 Abs. 1 Satz 1, 133 Abs. 1 AktG). Mit der Beschlussfassung entsteht der Dividendenanspruch und der Aktio-
12 Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a; Wegmann, HV Magazin 2014, 24; Schwendemann, AG 2015, R40, R41. 13 So auch Winter-Schieszl/Haberl, AG 2015, R8 (zur alten Rechtslage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 WpPG). 14 Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a; Schwendemann, AG 2015, R40. 15 Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a; Schwendemann, AG 2015, R40. 16 Lediglich für Investoren, die nur über einen geringen Anteilsbesitz verfügen, kann sich die Wahl der Aktiendividende möglicherweise nicht lohnen, wenn die Gesellschaft die anfallenden Depotkosten nicht (teilweise) übernimmt, Sickinger/Zipperle, AG 2015, R189.
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Aktiendividende | § 28
när wird zum Gläubiger der Gesellschaft. Dabei orientiert sich die Hauptversammlung i.d.R. an dem Gewinnverwendungsvorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 170 Abs. 2, 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Im Gewinnverwendungsbeschluss wird über die Verwendung des Bilanzgewinns entschieden (§ 174 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Voraussetzung für die Durchführung einer Aktiendividende ist damit zunächst, dass im HGB-Jahresabschluss ein ausschüttungsfähiger Bilanzgewinn für das letzte Geschäftsjahr ausgewiesen ist. Auch wenn nur die Feststellung über den Gesamtbetrag der Ausschüttung in diesem Beschluss rechtliche Qualität hat17, wird im Gewinnverwendungsbeschluss häufig auch angegeben, welcher Geldbetrag pro dividendenberechtigter Aktie ausgeschüttet wird18.
28.13
Bei einer Aktiendividende werden den Aktionären im Gewinnverwendungsbeschluss i.d.R. drei Ausschüttungsvarianten angeboten: Sie können sich entweder nur für eine Bar- bzw. für eine Aktiendividende entscheiden oder sie kombinieren beide Dividendenformen, in dem sie für einen Teil ihres Anteilsbesitzes für die Aktiendividende optieren und für den anderen für die Bardividende. Je nachdem, ob die Gesellschaft steuerfrei ausschütten kann, wird darauf hingewiesen, dass auch bei Wahl der Aktiendividende ein Anteil der Dividende in bar geleistet wird, damit die Steuerschuld des Aktionärs beglichen werden kann, ohne dass dieser Barmittel hinzuschießen muss. Im Gewinnverwendungsbeschluss wird auf die Darstellung weiterer Einzelheiten zur Barausschüttung und der Möglichkeit, Aktien zu wählen, verzichtet und stattdessen auf das prospektbefreiende Dokument und ein ergänzendes freiwilliges sog. Informationsblatt verwiesen. Beide Dokumente werden bereits mit der Einladung zur Hauptversammlung erstmals veröffentlicht und enthalten Informationen über die Anzahl und Art der Aktien, die Gründe für die Durchführung einer Aktiendividende und weitere Einzelheiten zu diesem Wahlangebot an die Aktionäre (dazu näher Rz. 28.44 ff.).
28.14
Der Dividendenanspruch wird am dritten Werktag nach Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses fällig (§ 58 Abs. 4 AktG). Da jedoch erst nach Ablauf der Bezugsfrist ermittelt werden kann, welche Dividendenansprüche eingebracht bzw. abgetreten wurden bzw. welche Aktionäre weiterhin ihren Barzahlungsanspruch geltend machen wollen19, muss die Fälligkeit des Gewinnverwendungsbeschluss im Hauptversammlungsbeschluss auf einen späteren Zeitpunkt, in der Regel ungefähr vier Wochen nach der Beschlussfassung, verschoben werden20.
28.15
2. Keine besondere Satzungsermächtigung Anders als die Sachdividende (§ 58 Abs. 5 AktG, dazu näher Rz. 28.6) bedarf die Aktiendividende keiner besonderen Satzungsermächtigung. Sollen die zu gewährenden Aktien aus einer Kapitalerhöhung stammen, bedarf es lediglich eines ausreichenden genehmigten 17 Euler/Klein in Spindler/Stilz, AktG, § 174 Rz. 13. 18 Im Gewinnverwendungsbeschlussvorschlag findet sich häufig ein Hinweis, dass dieser entsprechend angepasst wird, wenn sich die Anzahl der dividendenberechtigen Aktien nach Einberufung der Hauptversammlung ändert Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 174 Rz. 25. 19 Vgl. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 647. 20 Schwendemann, AG 2015, R40, R41; Schmidtmann, DB 2017, 2695.
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28.16
§ 28 | Aktiendividende
Kapitals21. Zudem muss die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage erfolgen können. Hingegen bedarf es keiner Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss, da die Aktien in der Regel im Zuge einer Bezugsrechtsemission ausgegeben werden (s. dazu Rz. 28.20 ff.). Will die Gesellschaft eigene Aktien verwenden, muss die Verwendung als Aktiendividende von der Verwendungsbestimmung in der Ermächtigung zum Rückkauf eigener Aktien gedeckt sein.
3. Schaffung der Dividenden-Aktien a) Kapitalerhöhung
28.17 In den meisten Fällen werden die Dividenden-Aktien im Zuge einer Kapitalerhöhung ge-
schaffen. Dabei wird in der Praxis immer ein vorhandenes genehmigtes Kapital ausgenutzt (§§ 202 ff. AktG). Für eine reibungslose Durchführung der Aktiendividende hat dies gegenüber einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) den Vorteil, dass nicht der Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) abgewartet und im Falle einer erfolgten Anfechtung kein zeitaufwändiges Freigabeverfahren (§ 246a AktG) eingeleitet werden muss22. Der Umfang der durch die Kapitalerhöhung für die existierenden Altaktionäre eintretenden Verwässerung ist überschaubar, da sich die Volumina der Kapitalerhöhungen typischerweise zwischen 2–3 % des Grundkapitals bewegt.
b) Verwendung von eigenen Aktien
28.18 Die Gesellschaft kann statt neuen Aktien aber auch existierende eigene Aktien ausgeben.
Diese Gestaltungsvariante ist in der Praxis bislang die Ausnahme geblieben. Aber sie dürfte von der Gesellschaft immer dann in Betracht gezogen werden, wenn sie über einen ausreichenden Bestand eigener Aktien verfügt23, um diejenigen Aktionäre eigene Aktien liefern zu können, die sich für die Aktiendividende entschieden haben. In diesem Fall wird die Gesellschaft häufig geneigt sein, den Bestand der eigenen Aktien abzubauen und eine weitere Verwässerung der existierenden Aktionäre zu vermeiden24.
28.19 Als nachteilig kann sich bei dieser Variante möglicherweise der Umstand erweisen, dass
sich nach Ablauf der Bezugsfrist herausstellt, dass der Bestand eigener Aktien nicht ausreicht, um sämtliche Dividendenansprüche der Aktionäre zu befriedigen. Hierauf kann zwar mit einer sog. Repartierung reagiert werden (näher dazu Rz. 28.38). Je nach Umfang kann eine Repartierung zur Folge haben, dass die Aktionäre in ihrer Erwartung, eine bestimmte Anzahl von Aktien (zu einem Discount) zu erhalten, enttäuscht werden. Zudem greift die liquiditätsschonende Wirkung einer Aktiendividende nicht vollständig durch. Eine solche Repartierung ist bei einer Kapitalerhöhung in aller Regel nicht erforderlich, da die Kapitalerhöhung als „Bis-zu“-Kapitalerhöhung konzipiert wird (dazu Rz. 28.21), und ihr Umfang somit an die Nachfrage angepasst werden kann.
21 Wird die Aktiendividende ausnahmsweise als 10 % Kapitalerhöhung strukturiert, bedarf es noch einer Ermächtigung zum Bezugsrechtsauschluss. 22 Schwendemann, AG 2015, R40, R41. 23 Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 33a; Winter-Schieszl/Haberl, AG 2015, R8. 24 Vgl. etwa Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, § 71 Rz. 6 ff. und in diesem Lichte auch Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.3 sowie Laubert in Hölters, AktG, § 71 Rz. 2 zum Regelungszweck des in § 71 Abs. 1 AktG geregelten grundsätzlichen Verbots, eigene Aktien derivativ zu erwerben.
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Aktiendividende | § 28
III. Implementierung 1. Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage Wie bereits bemerkt werden in der Praxis Aktiendividenden-Transaktionen zumeist als Bezugsrechtsemission gegen Sacheinlage strukturiert. Nachfolgend sollen die wesentlichen Schritte bei der Abwicklung einer solchen Transaktion skizziert werden:
28.20
a) Kapitalerhöhungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat Unmittelbar im Anschluss an die Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses durch die Hauptversammlung beschließt der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats die Ausnutzung des vorhandenen genehmigten Kapitals. Dabei wird die Kapitalerhöhung i.d.R. als sog. „Bis zu“-Kapitalerhöhung beschlossen25. Insofern wird das Kapitalerhöhungsvolumen noch nicht fix beschlossen, sondern das Grundkapital um „bis zu“ einem bestimmten Betrag erhöht. Damit wird erreicht, dass die Kapitalerhöhung auch tatsächlich nur in dem Umfang durchgeführt wird, in dem sich Aktionäre für die Aktiendividende entscheiden. Gleichzeitig wird auf diese Weise vermieden, dass mit der begleitenden Bank eine Festübernahme etwa nicht bezogener Aktien vereinbart werden muss oder nicht bezogene Aktien übrig bleiben.
28.21
Die Ausgabe der neuen Aktien erfolgt gegen Sacheinlage, die in dem Dividendenanspruch der Aktionäre besteht, der mit der Fassung des Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung entsteht. Die Durchführung der Transaktion als Sacheinlage ist erforderlich, da die Auszahlung der Bardividende durch die Gesellschaft an den Aktionär bei nachfolgender Bareinlage dieses Betrages (oder eines Teils davon) ein unzulässiges Hin- und HerZahlen darstellen könnte26. Außerdem wird die Gewinnberechtigung der neuen Aktien festgelegt und die Transaktionsbank zur Zeichnung der neuen Aktien zum geringsten Ausgabebetrag (§§ 204 Abs. 1, 9 Abs. 1 AktG) zugelassen.
28.22
Schließlich wird festgelegt, dass die neuen Aktien den Altaktionären zum Bezug angeboten werden. Dabei wird die Bezugsfrist aus abwicklungstechnischen Gründen im Vergleich zur gesetzlichen Mindestfrist von zwei Wochen (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG) häufig länger angesetzt. Im Hinblick auf Bezugspreis und Bezugsverhältnis wird von der Möglichkeit des sog. flexiblen Preisfestsetzungsverfahrens Gebrauch gemacht (§ 186 Abs. 2 Satz 1 AktG). Danach reicht es aus, wenn zunächst lediglich die Grundlagen für die Festlegung von Bezugspreis und Bezugsverhältnis mitgeteilt werden und der endgültige Bezugspreis spätestens drei Tage vor Ende der Bezugsfrist veröffentlicht wird (§§ 203 Abs. 1, 186 Abs. 2 Satz 2 AktG)27. In Umsetzung dieser Vorgaben wird bei Aktiendividenden im Bezugsangebot i.d.R. festgelegt, dass der Bezugspreis dem volumengewichteten Durchschnittskurs (VWAP) der Aktien am vierten Tag vor Ende der Bezugsfrist abzüglich eines Abschlags auf den aktuellen Börsenkurs entspricht28.
28.23
Die Einräumung eines solchen „Discounts“ ist zulässig, weil sämtlichen Aktionären ein Bezugsrecht auf die neuen Aktien eingeräumt wird. Damit ist der Emittent bei der Bemes-
28.24
25 26 27 28
Hüffer/Koch, AktG, § 58 Hüffer/Koch, AktG, § 27 Wegmann, HV Magazin Insoweit zu Ausnahmen
Rz. 33a. Rz. 30. 2014, 24, 25; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 15. Schwendemann, AG 2015, R40, R41.
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§ 28 | Aktiendividende
sung der Höhe des Abschlags nicht an die starren Vorgaben einer 10 %-Kapitalerhöhung gebunden (§ 186 Abs. 4 Satz 4 AktG). Der Abschlag könnte sich daher auch auf mehr als 5 % belaufen29, liegt aber dennoch in der Regel zwischen 2 % und 3 %30. Der gewährte Abschlag soll den Aktionären bei grundsätzlich marktnaher Platzierung einen Anreiz zur Wahl der Aktiendividende bieten31, zum anderen aber auch eine möglichst marktnahe Preisbildung ermöglichen. b) Bezugsangebot
28.25 Ein Tag nach Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses durch die Hauptversammlung
und der „Bis zu“-Kapitalerhöhungsbeschlüsse durch Vorstand und Aufsichtsrat wird neben der Dividendenbekanntmachung das Bezugsangebot im Bundesanzeiger und auf der Website der Gesellschaft mit Hinweis auf das prospektbefreiende Dokument veröffentlicht (§ 49 Abs. 1 WpHG)32. Damit wird zugleich die Bezugsfrist für die Aktionäre in Gang gesetzt. Bezugsberechtigt sind dabei sämtliche Aktionäre, die zum Dividendenstichtag über Aktien der Gesellschaft in ihrem Depot verfügen33. Dividendenstichtag ist der Tag der Hauptversammlung34. Dieser Stichtag ist vom Ex-Tag35 und dem Record Date36 abzugrenzen, die beide nur abwicklungstechnische Bedeutung haben. Wie oben dargelegt (Rz. 28.23), werden der Bezugspreis und das sich daraus ergebende Bezugsverhältnis i.d.R. am vierten Tag vor Ende der Bezugsfrist festgelegt. c) Bezugs- und Übertragungserklärungen
28.26 Entscheiden sich Aktionäre innerhalb der Bezugsfrist für die Aktiendividende, müssen sie
eine entsprechende Ausübungserklärung abgeben. Hierfür können sie Bezugs- und Übertragungserklärungsformular nutzen, das ihnen von ihrer Depotbank im Nachgang zur Hauptversammlung in Papierform zur Verfügung gestellt wird37. Den ausgefüllten Vordruck unterzeichnen die Aktionäre und senden ihn an ihre Depotbank zurück, die sämtliche Bezugs- und Übertragungserklärungen in einer Sammelbezugserklärung bündelt, die sie an die Transaktionsbank weiterleitet. Gibt ein Aktionär die Erklärung nicht fristgerecht oder überhaupt nicht ab, erhält er im Fälligkeitszeitpunkt eine reine Barzahlung auf seine
29 30 31 32 33 34 35 36
37
Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 3 S. 54. Vgl. Schwendemann, AG 2015, R40, R41. Schwendemann, AG 2015, R40, R41. Vgl. zu diesen Veröffentlichungsvorgaben auch Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2179; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 Rz. 166; Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 3 S. 54. Wegmann, HV Magazin 2014, 24, 25; Winter-Schieszl/Haberl, AG 2015, R8. Hüffer/Koch, AktG, § 58 Rz. 28; Arntz/Remmel, RdF 2014, 229, 230 f. Hierunter ist der Tag zu verstehen, ab dem die Aktien ohne das Recht auf die Dividende wieder gehandelt werden. Es handelt sich um den unmittelbar auf die Hauptversammlung folgenden Tag. Bei dem Record Date handelt es sich gemäß der deutschen Regulierungsstandards um den zweiten Tag nach der Hauptversammlung, der vor allem eingeführt wurde, um nachträgliche Kompensationen noch offener – noch nicht belieferter – Börsengeschäfte zu minimieren. Insofern bucht die Clearstream AG infolge der regulierten Börsengeschäfte und den daraus resultierenden Beständen am Folgetag des Record Dates denjenigen Aktionären die Bezugsrechte ein, die per Record Date abends die Aktien halten. Arntz/Remmel, RdF 2014, 229, 231; Sickinger/Zipperle, AG 2015, R189, R190.
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Aktiendividende | § 28
Dividendenansprüche, die ihm grundsätzlich einen Tag nach der Hauptversammlung eingebucht werden38. Die Übermittlung in Papierform entspricht geübter Praxis, auch wenn keine durchgreifenden Bedenken bestehen, dass das Bezugsrecht auch elektronisch ausgeübt werden kann. Denn das Bezugsrecht kann formlos ausgeübt werden39, sofern die Bezugsbedingungen nicht Schriftform vorsehen. Eine rechtswirksame elektronische Bezugs- und Übertragungserklärung könnte etwa unter Nutzung des etablierten TAN-Verfahrens abgegeben werden.
28.27
In der Bezugs- und Übertragungserklärung bestimmen die Aktionäre, dass sie das Bezugsangebot annehmen, indem sie ihre Dividendenansprüche – abzüglich eines Steuerbetrags40 – auf die Transaktionsbank übertragen und keine Erklärungen bezogen auf eine Verfügung über ihre Dividendenansprüche bis zum Abschluss der Abwicklung des Bezugsangebots mehr abgeben. Zugleich wird die Transaktionsbank beauftragt, die so übertragenen anteiligen Dividendenansprüche treuhänderisch im eigenen Namen, auf Rechnung der Aktionäre als Sacheinlage in die Gesellschaft einzubringen, eine entsprechende Anzahl neuer Aktien zu zeichnen und die nach Zeichnung und Eintragung der Durchführung der Bezugsrechtskapitalerhöhung in das Handelsregister, bezogenen Aktien an die Aktionäre zu liefern. Die Übertragung der anteiligen Dividendenansprüche erfolgt dabei im Wege der Abtretung verbunden mit einer Übertragung der Miteigentumsanteile an dem Inhaberglobalgewinnanteilsschein, der die anteiligen Dividendenansprüche verbrieft.
28.28
d) Bewertung der Sacheinlage Die Höhe der durch diese Einbringung der Dividendenansprüche eintretenden Befreiung der Gesellschaft von der Verpflichtung zur Zahlung einer Bardividende stellt den Wert der Sacheinlage im Rahmen der Kapitalerhöhung dar41. Insoweit sind die gesetzlichen Vorgaben bei einer Sachkapitalerhöhung zu beachten. Mithin bedarf es einer Werthaltigkeitsprüfung durch einen unabhängigen Prüfer (§ 205 Abs. 5 AktG). Zum Zwecke dieser in der Regel wenig komplexen Sacheinlageprüfung bestellt das Registergericht auf Vorschlag der Gesellschaft einen Wirtschaftsprüfer als Sacheinlageprüfer42. Dabei bestehen im Grundsatz keine Einwendungen dagegen, dass diese Rolle vom Abschlussprüfer der Gesellschaft übernommen wird43. Prüfungsgegenstand ist die Feststellung der Werthaltigkeit der einzubringenden Bardividendenansprüche44. Hierbei finden die allgemeinen Grundsätze der Forderungsbewertung Anwendung45. Für die Feststellung der Vollwertigkeit ist eine Betrachtung des Werts entscheidend, den die Verminderung der Passiva für die Gesellschaftsgläubiger hat46. 38 Vgl. auch Schmidtmann, DB 2017, 2695, 2695. 39 Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 15. 40 Anderes gilt nur, wenn die Gesellschaft über ein steuerliches Einlagenkonto verfügt und demnach steuerfrei ausschütten kann. 41 Vgl. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646. 42 Vgl. Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646. 43 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 183 Rz. 60; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/ Schröer, Handbuch AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 363. 44 Durch die Sacheinlageprüfung soll insofern sichergestellt sein, dass der Wert der Sacheinlage den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) der dafür gewährten Aktien nicht unterschreitet. Hierzu etwa Rieder/Holzmann in Grigoleit, AktG, § 205 Rz. 12. 45 Zusammenfassend Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rz. 17 m.w.N. 46 Krause, ZHR 181 (2017), 641, 646.
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28.29
§ 28 | Aktiendividende
e) Volumenfestlegung, Einbringung, Zeichnung der Aktien und Settlement durch die Transaktionsbank
28.30 Steht nach Ablauf der Bezugsfrist fest, wie viele Aktionäre sich für die Aktiendividende
entschieden und zu diesem Zweck ihre Dividendenansprüche über ihre jeweilige Depotbank an die Transaktionsbank abgetreten haben, kann der Vorstand der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats das exakte Volumen der Kapitalerhöhung beschließen. Sodann unterzeichnet die Transaktionsbank in ihrer Rolle als „Subscription Agent“ den Zeichnungsschein und schließt den Einbringungsvertrag über die Übertragung der Dividendenansprüche ab (s. Rz. 28.43). Dabei wird die Zeichnung häufig unter die auflösende Bedingung gestellt, dass sie unverbindlich wird, wenn die Durchführung der Kapitalerhöhung bis zu einem bestimmten Tag nicht in das Handelsregister der Gesellschaft eingetragen ist (§ 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AktG).
28.31 Nach erfolgter Zeichnung ist die Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in
das Handelsregister durch die Gesellschaft anzumelden (§ 203 Abs. 1 i.V.m. § 188 AktG). Ist die Eintragung erfolgt und die Kapitalerhöhung damit wirksam durchgeführt (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 189 AktG), können die neuen Aktien am darauffolgenden Tag zugelassen werden. Die Lieferung dieser Aktien in die Depots der Aktionäre erfolgt dann meist zwei Tage später durch die Transaktionsbank in ihrer Rolle als „Settlement Agent“.
28.32 Soweit auf Grundlage des festgestellten Bezugsverhältnisses anteilige Dividendenansprüche eines Aktionärs oder Teile davon verbleiben, auf die keine volle neue Aktie entfällt, werden die verbleibenden Dividendenansprüche durch Zahlung eines Restbetrags in bar ausgeglichen. Dies bedeutet, dass Aktionäre, bei denen die Anzahl der anteiligen Dividendenansprüche (oder Teile davon), die zum Zwecke der Sacheinlage abgetreten sowie übertragen wurden, nicht für den Erhalt jeweils einer vollen neuen Aktien ausreicht, ihre Dividende insoweit ausschließlich in bar erhalten. Haben sich Aktionäre hingegen nicht für die Aktiendividende innerhalb der Bezugsfrist entschieden, erhalten sie die reguläre Barausschüttung an dem im Gewinnverwendungsbeschluss festgelegten (hinausgeschobenen) Fälligkeitstag. f) Prospektpflicht und prospektbefreiendes Dokument
28.33 Aus dem Umstand, dass die ProspektVO für Bezugsrechtsemissionen Erleichterungen für
den Inhalt des Wertpapierprospektes vorsieht (vgl. Anhänge XXIII und XXIV VO 2017/ 1129 (ProspektVO)), ergibt sich, dass diese grundsätzlich als öffentliches Angebot anzusehen sind47. Wenn hingegen eine Aktiendividende als Bezugsrechtsemission strukturiert wird, muss weder für das Bezugsangebot noch für die Börsenzulassung der neuen Aktien zum regulierten Markt ein Wertpapierprospekt erstellt werden48. Diese Sichtweise steht in Übereinstimmung mit der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Frankfurter Wertpapierbörse sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum; Uneinigkeiten bestehen nur im Hinblick darauf, ob als dogmatische
47 Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 202; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.14; Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, 3. Aufl. 2017, § 4 WpPG Rz. 5 f. 48 Mense/Klie, GWR 2016, 111, 113; Winter-Schieszl/Haberl, AG 2015, R8; Schlitt in Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 20.
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Aktiendividende | § 28
Grundlage § 4 Abs. 1 Nr. 4 WpPG bzw. § 4 Abs. 2 Nr. 5 WpPG in direkter oder analoger Weise heranzuziehen ist49. Erstellt werden muss damit lediglich ein sog. prospektbefreiendes Dokument (im Einzelnen dazu Rz. 28.47 ff.)50. Diese Unterlage ist grundsätzlich erst mit der Veröffentlichung des Bezugsangebots im Nachgang zur Hauptversammlung zu veröffentlichen. Da jedoch nicht völlig auszuschließen ist, dass in der Veröffentlichung der Hauptversammlungseinladung bereits ein öffentliches Angebot gesehen wird51, wird das Dokument in der Praxis der Regel bereits mit der Einladung zur Hauptversammlung veröffentlicht52.
28.34
g) Besonderheiten bei der Strukturierung als 10 % Kapitalerhöhung Die Strukturierung als Bezugsrechtsemission ist zwar die weit überwiegend verwendete Transaktionsform, ihre Wahl ist aber nicht zwingend. Denkbar ist auch, die Dividendenaktien im Zuge einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss zu schaffen. Wenn die Gesellschaft ein über ein genehmigtes Kapital sowie eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG verfügt, kann hierauf zurückgegriffen werden. Dabei stellt die Limitierung des zulässigen Discounts auf 5 %53 im Grundsatz kein Problem dar, da der Abschlag bei Aktiendividenden meist nur 2 %-3 % beträgt54. Auch reicht der zulässige Rahmen von 10 % des bestehenden Grundkapitals praktisch immer aus, da die Kapitalerhöhungen bei Aktiendividenden sich in der Größenordnung von ca. 3 % des Grundkapitals bewegen. Umgekehrt kommt der Tatsache, dass bei einer Kapitalerhöhung mit erleichtertem Bezugsrechtsauschluss keine zwingende zweiwöchige Bezugsfrist einzuhalten ist, kommt keine große Bedeutung zu, da schon aus Abwicklungsgründen eine entsprechend lange Angebotsfrist bestimmt werden muss. Einen gewissen Vorteil stellt dar, dass bei einer Kapitalerhöhung mit erleichtertem Bezugsrechtsauschluss die Festlegung des Ausgabepreises am letzten Tag der bestimmten Frist erfolgen kann, während sie bei einer Bezugsrechtsemission spätestens 3 Tage vor dem Ende der Bezugsrechtsfrist veröffentlicht werden muss (s. Rz. 28.23). Damit kann auch das geringe Restrisiko eines Kursverfalls in dieser 3-Tage-Frist ausgeschlossen werden. Als nachteilig erweist sich demgegenüber, dass die sog. 10 % Ermächtigung nach Abwicklung der Aktiendividende dann teilweise verbraucht ist, was die Finanzierungsmöglichkeit der Gesellschaft einschränkt. 49 Für eine direkte Anwendung nur von § 4 Abs. 1 Nr. 4 WpPG etwa Krause, ZHR 181 (2017), 641, 649; für eine solche nach § 4 Abs. 2 Nr. 5 WpPG Mense/Klie, GWR 2016, 111, 113; für eine solche nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 WpPG und § 4 Abs. 2 Nr. 5 WpPG Wegmann, HV Magazin 2014, 24, 25. 50 Wegmann, HV Magazin 2014, 24, 25. 51 S. auch Sickinger/Zipperle, AG 2015, R189, R190. 52 Zu den sich hieran anschließenden möglichen negativen Folgen Groß in Kapitalmarktrecht, § 3 WpPG Rz. 12 ff. 53 Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 Rz. 135; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d; Apfelbacher/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 76. 54 Allerdings ist nicht unumstritten, ob im Hinblick auf die Festlegung der Höhe des Abschlags nur auf den Zeitpunkt der Preisfeststellung abgestellt werden darf. Dafür etwa: Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 Rz. 134; Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rz. 42; Seibt, CFL 2011, 74, 80; Scholz in MünchHdb. AG, § 57 Rz. 127; dagegen etwa Servatius in Spindler/Stilz, AktG, § 186 Rz. 59; von Dryander/Niggemann in Hölters, AktG, § 186 Rz. 76. Diese Frage kann virulent werden, da im Vergleich zu einer klassischen 10 %-Kapitalerhöhung eine längere Angebotsfrist angesetzt wird und somit das Risiko eines sinkenden Kursniveaus größer ist.
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28.35
§ 28 | Aktiendividende
2. Ausgabe eigener Aktien 28.36 Auch wenn in der Praxis die Dividendenaktien zumeist im Rahmen einer Kapitalerhöhung geschaffen werden, können die zu liefernden Aktien alternativ einem vorhandenen Pool eigener Aktien entnommen werden55. In einem solchen Fall sind im Hinblick auf die Transaktionsstruktur die folgenden Besonderheiten zu beachten: a) Verwendungsermächtigung
28.37 So muss die Veräußerung eigener Aktien zur Durchführung einer Aktiendividende von
der erforderlichen Verwendungsermächtigung durch die Hauptversammlung gedeckt sein. In der Praxis erfolgen die meisten Aktienrückkäufe aufgrund einer Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG. In diesem Fall ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand56 häufig dazu, über die Art der späteren Veräußerung eigener Aktien und einen etwaigen Bezugsrechtsausschluss57 zu entscheiden58. In einer zunehmend größeren Anzahl von Fällen finden sich in Rückerwerbs- und Wiederveräußerungsermächtigungen ausdrückliche Bestimmungen dazu, dass die eigenen Aktien zur Bedienung von Aktiendividenden verwendet werden können. Fraglich ist aber, ob es einer solchen ausdrücklichen Regelung bedarf. Dies wird man verneinen können, wenn die neuen Aktien zum Bezug angeboten werden, da in diesem Fall der Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet ist59. Werden die neuen Aktien hingegen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ausgegeben (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbsatz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 AktG), um die Durchführung zu flexibleren Preisbestimmungsbedingungen zu ermöglichen (s. Rz. 28.35), bedarf es entweder der allgemeinen Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG (s. Rz. 28.16) oder einer speziell auf Aktiendividenden zugeschnitten Ermächtigung60. b) Repartierung
28.38 Übersteigt nach Ablauf der Bezugsfrist die Zahl der aufgrund der Ausübung des Wahl-
rechts zu liefernden Aktien den Gesamtbestand der vorhandenen und angebotenen eigenen Aktien, findet eine Zuteilung unter allen annehmenden Aktionären im Verhältnis der Zahl der angebotenen eigenen Aktien zu der Zahl der aufgrund der Ausübung des Wahlrechts zu liefernden Aktien statt („Repartierung“). Soweit Aktien in diesem Fall nicht zugeteilt werden können, wird eine Dividende in entsprechender Höhe in bar ausgezahlt. Für den Fall einer solchen Repartierung erfolgen sowohl die Auszahlung der Bardividende und der Restbeträge als auch die Lieferung der Aktien in der Regel eine Woche später als bei Abwicklung der Aktiendividende ohne Repartierung.
55 So etwa die E.ON SE in 2014, 2015 und 2017. Darüber hinaus hat die Patrizia AG bei Ihrer Aktiendividende 2018 diesen Weg beschritten. 56 Im Rahmen des Ermächtigungsbeschlusses kann die Hauptversammlung den Vorstand auch an die Zustimmung des Aufsichtsrats binden, vgl. hierzu Hüffer/Koch, AktG, § 71 Rz. 19 f. 57 Nach herrschender Meinung dürfte den Aktionären bei der Veräußerung eigener Aktien außerhalb der Börse ein Bezugsrecht zustehen. Hierzu etwa Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.54. 58 Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.55. 59 Vgl. Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rz. 118. 60 Vgl. Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 50.55.
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Aktiendividende | § 28
IV. Dokumentation 1. Transaktionsvertrag In der Regel zeitgleich mit der Einberufung der Hauptversammlung schließen Gesellschaft und die Transaktionsbank den sog. Transaktionsvertrag ab, in dem die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Partei bei der Transaktionsimplementierung festgehalten werden. Der Transaktionsbank kommt bei der Emission neuer Aktien eine Doppelrolle als Zeichner und als Zahlstelle zu. Insofern verpflichtet sich die Transaktionsbank in ihrer Rolle als sog. Settlement Agent das Bezugsangebot für die Bezugsrechtskapitalerhöhung technisch abzuwickeln, die neuen Aktien treuhänderisch für die beziehenden Aktionäre zu zeichnen, an diese – nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister – zu liefern und zusammen mit der Gesellschaft den Antrag auf Zulassung der neuen Aktien an den Börsen zu stellen. Damit ist die Verpflichtung verbunden, über die Einbindung der Depotbanken mit den Aktionären zuvor Verträge zur Übertragung ihrer Dividendenansprüche zu schließen, die nach dem festzulegenden Bezugsverhältnis für die neuen Aktien als Sacheinlage einzulegen sind.
28.39
Soweit die Transaktionsbank zur Zeichnung, Übernahme und Lieferung der neuen Aktien verpflichtet wird, begründen die hierauf bezogenen Regelungen im Transaktionsvertrag einen echten Vertrag zu Gunsten der Aktionäre (§ 328 BGB), die sich für die Aktiendividende entschieden haben. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer gewöhnlichen Bezugsrechtsemission61. Sie erhalten damit insbesondere das (einklagbare) Recht, von der Transaktionsbank die Lieferung der gezeichneten Akten nach Maßgabe des Bezugsangebots verlangen zu können.
28.40
Daneben fungiert die begleitende Bank in der Regel auch als Zahlstelle62. In dieser Rolle als sog. Paying Agent obliegt es der Transaktionsbank, die von der Gesellschaft bereit gestellten Beträge an diejenigen Aktionäre, die sich für den Bardividendenanspruch entschieden haben, zu zahlen bzw. gegenüber denjenigen Aktionären, die sich für die Aktiendividende entschieden haben, einen etwaigen Restausgleich durch Barzahlung vorzunehmen.
28.41
Die Gesellschaft verpflichtet sich ihrerseits, die erforderliche Anzahl von Aktien auszugeben sowie die Durchführung der Kapitalerhöhung umgehend nach Übergabe des Zeichnungsscheins durch die Transaktionsbank und Abschluss des Einbringungsvertrags (dazu Rz. 28.43) zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Zudem verpflichtet sich die Gesellschaft, die wesentlichen Transaktionsdokumente (Bezugsangebot; Veröffentlichung von festgelegten Bezugspreis und Bezugsverhältnis; prospektbefreiendes Dokument) mit der Transaktionsbank vor der Veröffentlichung abzustimmen. Ähnlich wie bei sonstigen Vereinbarungen, die anlässlich einer prospektfreien Zulassung von neuen Aktien abgeschlossen wird, enthält die Vereinbarung einen Katalog von Garantien und Gewährleistungen, eine Freistellungsklausel sowie eingeschränkte Abstands- bzw. Kündigungsrechte sowie gewisse Informationsrechte der Transaktionsbank.
28.42
61 Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 47; Schürnbrand in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 186 Rz. 156; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 186 Rz. 47; vgl. bereits Ernst Wolff in FS Pinner, 1932, S. 656, 661. 62 Sofern mit einem anderen Kreditinstitut eine generelle Zahlstellenvereinbarung besteht, wird diese in der Regel für die Dauer der Transaktion aufgehoben.
Schlitt/Kreymborg | 963
§ 28 | Aktiendividende
2. Einbringungsvertrag 28.43 Im Falle einer Ausgabe neuer Aktien schließen die Gesellschaft und die begleitende Bank
nach Ablauf der Bezugsfrist (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG) und kurz vor Anmeldung der Kapitalerhöhung einen Einbringungsvertrag ab. Dabei bringt die Transaktionsbank die an sie abgetretenen Dividendenforderungen in die Gesellschaft als Sacheinlage ein. Die Einbringung der Dividendenforderungen und die Zeichnung neuer Aktien durch die Transaktionsbank erfolgt im Innenverhältnis für Rechnung derjenigen Aktionäre, die die Dividendenforderungen auf die Bank übertragen haben. Mit Übertragung der Dividendenforderungen auf die Gesellschaft tritt Konfusion ein, weil die Gesellschaft als Schuldnerin dieser Forderungen zugleich deren Gläubigerin wird. Die Hauptleistungspflichten werden flankiert durch eine Reihe von Gewährleistungen. So gewährt die Gesellschaft etwa, dass die neuen Aktien bei Ausgabe an die Transaktionsbank frei von Rechten Dritter sind, rechtswirksam ausgegeben wurden und frei übertragbar sind. Umgekehrt gewährleistet die Bank typischerweise, dass sie Inhaberin der Dividendenforderungen ist und über diese frei verfügen kann.
3. Prospektbefreiendes Dokument und Informationsdokument 28.44 Wie unter Rz. 28.36 bereits ausgeführt, besteht bei der Durchführung einer Aktiendivi-
dende keine Pflicht zur Erstellung eines Wertpapierprospekts, sondern lediglich eines prospektbefreienden Dokuments. Dieses Dokument muss Informationen über die Anzahl und Art der Aktien, sowie Gründe zu den Einzelheiten des Angebots enthalten (§ 4 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 5 WpPG). Es ist deutlich weniger umfangreich als ein Prospekt und enthält primär „technische“ Angaben zu der geplanten Transaktion.
28.45 Der Inhalt eines solchen prospektbefreienden Dokuments wird in den Empfehlungen der
Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) näher spezifiziert63. Danach muss das prospektbefreiende Dokument Angaben zur Identität des Emittenten, Hinweise auf zusätzliche, zugängliche Informationen über den Emittenten, Gründe für das Angebot sowie nähere Angaben zum Bezugsangebot enthalten, die jedoch im Vergleich zu den Angaben in einem Wertpapierprospekt abgekürzt und zusammengefasst werden können. Zwar enthält das prospektbefreiende Dokument – wenn es erstmals mit der Hauptversammlungseinladung veröffentlicht wird – noch keine konkreten Angaben zum Bezugspreis und zum Bezugsverhältnis, da diese Angaben erst im Laufe der Bezugsfrist festgelegt werden. Dieses Dokument legt aber die Grundlagen der Preisberechnung dar und erläutert diese typischerweise anhand einer Beispielsrechnung. Zudem werden Hinweise zur technischen Abwicklung der Aktiendividende, sowie deren steuerlichen Behandlung gegeben und der voraussichtliche Zeitplan aufgezeigt. Ebenso wie ein Prospekt nach dem WpPG darf das prospektbefreiende Dokument keinen werbenden Charakter haben und sich nicht allein auf die Wiedergabe positiver Angaben beschränken64, sondern muss als Informationsdokument eine ausgewogene Darstellung der Fakten enthalten.
28.46 Das Dokument bedarf nicht der Billigung durch die BaFin und muss nicht in gleicher
Weise wie ein Wertpapierprospekt breit veröffentlicht werden. Vielmehr reicht es aus, 63 ESMA/2013/319, Ziffer 173 ff. 64 Schlitt in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, § 4 WpPG Rz. 12; Khol/Berghammer, Rz. 43.60.
964 | Schlitt/Kreymborg
Aktiendividende | § 28
dass dieses den den bezugsberechtigten Aktionären als potentiellen Empfängern der Aktien zugänglich gemacht wird. Dies erfolgt i.d.R. zeitgleich mit der Einladung zur Hauptversammlung (s. schon Rz. 28.14), indem es z.B. auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht wird. Im Laufe der Transaktion wird das prospektbefreiende Dokument durch ergänzende Veröffentlichungen oder markierte Fassungen aktualisiert. So werden Nachträge veröffentlicht, wenn das Bezugsverhältnis und der Bezugspreis festgelegt werden. Parallel dazu wird in der Regel ein Informationsdokument in Q&A-Form veröffentlicht, das praktisch relevante Fragen zur Aktiendividende in besonders prägnanter und gebündelter Form beantwortet. Dadurch können sich Aktionäre deutlich schneller als bei Lektüre des prospektbefreienden Dokuments über die Mechanik der Aktiendividende informieren und deren wesentlichen Eckpunkte erfassen. Es handelt sich um eine Serviceleistung der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären; eine Verpflichtung zur Bereitstellung besteht nicht.
Schlitt/Kreymborg | 965
28.47
6. Teil Vertrags- und Rechtsverhältnisse § 29 Übernahmevertrag bei Aktienemissionen I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 1. Transaktionsformen . . . . . . . . a) Börsengang . . . . . . . . . . . . . b) Bezugsrechtsemission . . . . . . c) Bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Block Trade . . . . . . . . . . . . 2. Vertragstypen . . . . . . . . . . . . a) Klassische Platzierungsofferte . b) Übernahmevertrag . . . . . . . . 3. Rechtsnatur des Übernahmevertrages . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
__ __ __ __ _ __ __ __ __ __ _ _ __ __ __ __ _ __ _
29.1 29.4 29.4 29.5
. 29.6 . 29.7 . 29.8 . 29.9 . 29.10
7.
. 29.11
II. Typischer Inhalt . . . . . . . . . . . . 1. Übernahme bzw. Zeichnung der Aktien durch Konsortialbanken . a) Bestehende Aktien . . . . . . . . . b) Neue Aktien aus Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preisbestimmung . . . . . . . . . . . a) Festpreis . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bookbuilding . . . . . . . . . . . . c) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht 3. Mehrzuteilungsoption . . . . . . . . a) Mehrzuteilungsoption durch Altaktionäre . . . . . . . . . . . . . b) Mehrzuteilungsoption durch die Emittentin . . . . . . . . . . . . c) Belieferung mit geliehenen Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergütung der Konsortialbanken a) Provisionen . . . . . . . . . . . . . . b) Erstattung von Kosten . . . . . . . 5. Gewährleistungen . . . . . . . . . . . a) Gewährleistungen des Emittenten aa) Gewährleistungen bezüglich Wertpapierprospekt . . . . . bb) Sonstige Gewährleistungen . b) Gewährleistungen der Altaktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewährleistungen der Konsortialbanken . . . . . . . . . . . . . . 6. Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . a) Verpflichtungen des Emittenten bezüglich des Prospekts . . . . . .
29.12 29.13 29.13 29.15 29.18 29.19 29.21 29.23 29.24
8.
29.25 29.26 29.27 29.29 29.30 29.31 29.32 29.33
9.
29.34 29.36 29.41 29.44 29.47 29.48
10. 11.
b) Verpflichtungen des Emittenten und der Altaktionäre zum Schutz des Sekundärmarktes . . . . . . . c) Sonstige Verpflichtungen des Emittenten und der Altaktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verpflichtungen der Konsortialbanken bezüglich Verkaufsbeschränkungen . . . . . . . . . . . Haftungsfreistellung . . . . . . . . . a) Freistellung von Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freistellung von den Folgen einer Vertragsverletzung . . . . . c) Aktienrechtliche Grenzen der Freistellung . . . . . . . . . . . . . . d) Kreis der freistellungsberechtigten Personen . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsverteidigung . . . . . . . . . f) Freistellung des Emittenten durch die Konsortialbanken . . . Bedingungen für die weitere Vertragsdurchführung . . . . . . . . a) Legal Opinions, Disclosure Opinions und Comfort Letter . . b) Weitere Dokumente . . . . . . . . c) Börsennotierung . . . . . . . . . . d) Wesentliche nachteilige Änderung der Verhältnisse . . . . . . . Vertragsstörungen . . . . . . . . . . a) Platzierung von Altaktien . . . . b) Aktien aus Kapitalerhöhung . . . aa) Abbruch vor Anmeldung der Kapitalerhöhung . . . . . bb) Abbruch nach Anmeldung der Kapitalerhöhung . . . . . cc) Abbruch nach Eintragung der Kapitalerhöhung . . . . . c) Nichtabnahme durch eine oder mehrere Konsortialbanken . . . . d) Folgen der Vertragsbeendigung . Lieferung gegen Zahlung . . . . . . Sonstige Vertragbestimmungen; Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . .
_ _ __ _ _ _ __ _ _ __ _ __ __ _ _ _ __ _ _
29.50 29.53 29.56 29.57 29.58 29.59 29.60 29.64 29.65 29.66 29.67 29.69 29.72 29.73 29.74 29.77 29.78 29.79 29.80 29.81 29.82 29.85 29.87 29.88 29.89
Haag | 967
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen Schrifttum: Assmann, Prospektaktualisierungspflichten – Aktualisierungs-, Berichtigungs- und Nachtragspflichten im Recht der Haftung für Prospekte und Angebotsunterlagen, FS Ulmer, 2003, S. 757; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, 2006; Fleischer, Umplatzierung von Aktien durch öffentliches Angebot (Secondary Public Offering) und verdeckte Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 AktG, ZIP 2007, 1969; Groß, Das Ende des so genannten „Greenshoe“?, ZIP 2002, 160; Groß, Bookbuilding, ZHR 162 (1998), 318; Grundmann/Selbherr, Börsenprospekthaftung nach der Reform, WM 1996, 985; Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014; Heider, Börsengang, Prospekthaftung und Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG, FS Sigle, 2000, S. 251; Hein, Rechtliche Fragen des Bookbuildings nach deutschem Recht, WM 1996, 1; Hoffmann-Becking, Neue Formen der Aktienemission, FS Lieberknecht, 1997, S. 25; Keusch/Wankerl, Die Haftung der Aktiengesellschaft für fehlerhafte Kapitalmarktinformation im Spannungsfeld zum Gebot der Kapitalerhaltung, BKR 2003, 744; Klein, Die Rechtsstellung der Emissionsbank bei der Aktien- und Wandelanleiheemission und ihre Auswirkung auf die Unterpariemission nach § 199 Abs. 2 Satz 1 AktG, AG 2017, 415; Kort, Neuere Entwicklungen im Recht der Börsenprospekthaftung (§§ 45 ff. BörsG) und der Unternehmensberichtshaftung (§ 77 BörsG), AG 1999, 9; Krämer/Baudisch, Neues zur Prospekthaftung und zu den Sorgfaltsanforderungen bei Unternehmenskauf, WM 1998, 1161; Leuschner, Öffentliche Umplatzierung, Prospekthaftung und Innenregress, NJW 2011, 3275; Oppen/Menhart/Holst, Die Ermittlung des Platzierungspreises bei einer 10 %-Kapitalerhöhung im beschleunigten Bookbuilding-Verfahren, WM 2011, 1835; Pfüller/Flatten, Aktienübernahmeverträge und Platzierungsrisiko, FB 2001, 388; Pfüller/Maerker, Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Zuteilung von Aktien, Die Bank 1999, 670; Rosch, Aktuelle Rechtsfragen des Börsengangs, Beilage zu KSzW 4/2011, 12; Schlitt, Die öffentliche Umplatzierung von Aktien, CFL 2010, 304; Schneider, Die Freistellung der Banken von der Prospekthaftung bei Aktienemissionen, Diss. 2011; Seibt, Sanierungskapitalerhöhungen: Dogmatische Überlegungen und Praxisgestaltungen, Der Konzern 2009, 261; Seibt/Voigt, Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken, AG 2009, 133; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, Diss. 1998; Sittmann, Die Prospekthaftung nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz, NZG 1998, 490; Stephan, Prospektaktualisierung, AG 2002, 3; Technau, Rechtsfragen bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen („Underwriting Agreements“) in Zusammenhang mit Aktienemissionen, AG 1998, 445; Wackerbarth, Prospektveranlassung durch Altaktionäre und Einlagenrückgewähr, WM 2011, 193.
I. Allgemeines 29.1
Der Übernahmevertrag ist das zentrale Vertragswerk bei einer Aktienemission. Er enthält detaillierte Regelungen der Rechte und Pflichten des Emittenten bzw. Verkäufers von Aktien einerseits und der platzierenden Konsortialbanken andererseits. Der Übernahmevertrag ersetzt oder ergänzt die Mandatsvereinbarung (letter of engagement – LoE), mit dem die Konsortialbanken zunächst mit der Vorbereitung der Aktienemission beauftragt werden1. Die Mandatsvereinbarung enthält üblicherweise eine Beschreibung der Transaktionsstruktur und weist den Parteien Aufgaben und Verantwortungsbereiche für die Vorbereitung der Emission zu. In manchen Fällen enthält die Mandatsvereinbarung bereits Detailregelungen, die wörtlich in den endgültigen Übernahmevertrag übernommen werden sollen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Vertragspartner der Konsortialbanken die Verhandlung kritischer Punkte des Übernahmevertrages bereits vor endgültiger Mandatserteilung abschließen wollten, um ihre in dieser Phase größere Verhandlungsmacht auszuspielen2. Der endgültige Text des Übernahmevertrages wird meist erst abgestimmt, wenn die Vorbereitungen der Emission weit fortgeschritten sind. Manchmal hat sogar das öffentliche 1 Die Mandatsvereinbarung ist kein Vorvertrag im rechtlichen Sinne. Er ist in der Regel jederzeit kündbar und verpflichtet keine Seite, die Platzierung tatsächlich durchzuführen. Weiterführend zur Mandatsvereinbarung vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 54. 2 Zu den kritischen Punkten bei der Platzierung von Altaktien gehört regelmäßig die Reichweite der von den Altaktionären abzugebenden Gewährleistungen. S. dazu Rz. 29.32 ff.
968 | Haag
Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
Angebot schon begonnen. Zu diesem Zeitpunkt ist es dem Emittenten bzw. den Verkäufern der Aktien aus praktischen Gründen unmöglich geworden, das Bankenkonsortium auszuwechseln. Dementsprechend geschwächt ist ihre Verhandlungsposition. Unterzeichnet wird der Übernahmevertrag regelmäßig in engem zeitlichen Zusammenhang mit der endgültigen Preisbestimmung für die zu platzierenden Aktien3. Manche Emissionshäuser bevorzugen es, den Vertrag zu unterschreiben, bevor die Aktien zum Verkauf angeboten werden. Begründet wird dies mit der bereits zu diesem Zeitpunkt beginnenden Prospekthaftung4. Allerdings kann es zu einer Prospekthaftung nicht kommen, wenn sich die Parteien anschließend über den Preis nicht einigen und die Emission schließlich nicht durchgeführt wird. Die Unterzeichnung in Zusammenhang mit der Preisfestsetzung ist daher genügend.
29.2
Parteien des Übernahmevertrages sind regelmäßig der Emittent, bei zu platzierenden Altaktien auch die verkaufenden Aktionäre sowie die Konsortialbanken. Die von den Parteien aufgrund des Übernahmevertrages jeweils geschuldeten Leistungen bzw. die von ihnen zu übernehmende Haftung hängen im Einzelnen von der Transaktionsstruktur ab.
29.3
1. Transaktionsformen a) Börsengang Der Börsengang ist die erstmalige öffentliche Platzierung von Aktien in Verbindung mit der Einführung zum Handel an einer Wertpapierbörse. In diesem Fall werden üblicherweise bereits vorhandene Aktien aus Aktionärsbesitz (sog. Altaktien) sowie neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung angeboten. Die Platzierung von Altaktien5 erhöht die Liquidität, vermindert den Einfluss des bestehenden Aktionärskreises und ermöglicht es Altaktionären, durch Verkauf ihrer Aktien vom Börsengang finanziell zu profitieren. Durch die Kapitalerhöhung werden der Gesellschaft neue Mittel zugeführt, die sie zur Expansion ihres Unternehmens nutzen kann. Die Platzierung ausschließlich von Altaktien ist in der Praxis eher selten, weil Investoren damit regelmäßig die Vorstellung verbinden, eine Gesellschaft, die kein neues Eigenkapital brauche, habe keine Wachstumsperspektiven und stelle daher keine lohnende Investition dar. Der Börsengang diene nur dem Ziel der Altaktionäre, „Kasse zu machen“. Die Platzierung allein von neuen Aktien aus einer Kapitalerhöhung kommt dagegen häufiger vor. Prominentes Beispiel ist der Börsengang der Deutschen Telekom AG im Jahr 1996. Der Gesetzgeber hatte der Deutschen Telekom AG im Postneuordnungsgesetz6 das Vorrecht gegenüber ihrem Aktionär Bundesrepublik Deutschland eingeräumt, für die Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis Mittel auf dem Kapitalmarkt zu schöpfen, bevor der Bund mit dem Verkauf seiner Aktien beginnen durfte. 3 Zur Frage, ab welchen Zeitpunkt eine Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität besteht, s. Pfüller in Fuchs, WpHG, § 15 Rz. 234. Danach entsteht die Verpflichtung nicht erst mit Abschluss des Zeichnungsvertrags, sondern bereits durch die entsprechenden Organbeschlüsse. Nach dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie besteht ferner in der Regel keine Meldepflicht nach den §§ 38 f. WpHG, dazu Tautges, WM 2017, 512, 513 ff. 4 Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 WpPG ist der Angebotsprospekt spätestens einen Werktag vor Beginn des öffentlichen Angebots zu veröffentlichen (nach Inkrafttreten der neuen ProspektVO am 21.7.2019 reicht die Veröffentlichung spätestens mit Beginn des öffentlichen Angebots, Art. 21 Abs. 1 Satz 2 VO 2017/1129). 5 S. hierzu auch § 8 bezüglich der Umplatzierung bereits bestehender Aktien. 6 Vom 14.9.1994, BGBl. I 1994, 2325.
Haag | 969
29.4
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
b) Bezugsrechtsemission
29.5
Bei einer Bezugsrechtsemission werden Aktien des emittierenden Unternehmens bereits an der Börse gehandelt7. Gemäß § 186 Abs. 1 AktG muss jedem Aktionär auf sein Verlangen ein seinem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechender Anteil der neuen Aktien zugeteilt werden. In der Praxis wird das Bezugsrecht der Aktionäre meist durch das sog. mittelbare Bezugsrecht gewahrt. Dabei werden die Aktien von den Konsortialbanken mit der Maßgabe übernommen, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten8. c) Bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung
29.6
Soweit das Bezugsrecht der Aktionäre in rechtlich zulässiger Weise ausgeschlossen werden kann, können Aktien auch bei bestehendem Streubesitz bezugsrechtsfrei platziert werden9. Große praktische Bedeutung besitzt in diesem Zusammenhang der Ausschluss des Bezugsrechts gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG10. Nach dieser Vorschrift kann der Vorstand ermächtigt werden, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen, wenn es sich um eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen handelt, die 10 % des Grundkapitals nicht übersteigt, und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. Eine Ermächtigung des Vorstands ohne besondere Voraussetzungen für den Ausschluss des Bezugsrechts kommt in der Praxis seltener vor. Nach der Rechtsprechung bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts besonderer Rechtfertigung. Ein Bezugsrechtsausschluss, der an keine Bedingungen geknüpft ist, wird daher regelmäßig von einzelnen Aktionären angefochten. Ein genehmigtes Kapital mit der Befugnis zum Bezugsrechtsausschluss ohne weitere Voraussetzungen findet sich bisweilen in Satzungen von Gesellschaften, die erst vor kurzem an der Börse eingeführt wurden. Das genehmigte Kapital stammt dabei aus der Zeit vor der Börseneinführung, als wegen des engen Aktionärskreises keine Anfechtungsgefahr bestand. d) Block Trade
29.7
Bei einem Block Trade will ein Altaktionär ein größeres Aktienpaket unter Mitwirkung einer oder mehrerer Banken über die Börse so umzuplatzieren, dass der Börsenkurs von dem großen Transaktionsvolumen möglichst wenig beeinträchtigt wird.11 Dabei werden die Aktien meist bei institutionellen Investoren platziert. Da es sich um bereits börsennotierte Aktien handelt, ist ein Wertpapierprospekt nicht erforderlich. Institutionelle Investoren gehören regelmäßig zu den qualifizierten Anleger i.S.v. § 2 Nr. 6 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 2 lit. e VO 2017/1129). Auch das Angebot kann daher prospektfrei erfolgen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpPG) (ab 21.7.2019 Art. 1 Abs. 4 lit. a VO 2017/1129)12. Die Bank übernimmt beim Block Trade ein Platzierungsrisiko, indem sie sich unter Einschätzung der Marktsituation zur Zahlung eines Fixpreises oder zur Einhaltung einer Preis7 S. hierzu auch § 5 Bezugsrechtsemissionen und Seibt, Der Konzern 2009, 261 ff.; Seibt/Voigt, AG 2009, 133 ff. 8 Zur Rechtsstellung der Konsortialbanken bei der Bezugsrechtsemission s. Klein, AG 2017, 415, 416. 9 S. hierzu auch § 6 Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss. 10 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39a ff. mit eingehender Kritik zu dieser Norm. 11 S. hierzu auch Rz. 7.2, 7.16 ff. 12 Die gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 WpPG a.F. bestehende Ausnahme, wonach grundsätzlich kein Prospekt erforderlich ist, wenn Wertpapiere angeboten werden, für die bereits (früher) ein Prospekt veröffentlicht wurde (z.B. im Rahmen der Börsenzulassung), ist mit Inkrafttreten der Novelle des WpPG zum 1.7.2012 entfallen.
970 | Haag
Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
untergrenze verpflichtet. Weil bei einem Block Trade typischerweise Finanzinvestoren untereinander handeln, gibt es regelmäßig keine emittentenbezogenen Gewährleistungen im Vertrag. Etwas anderes kann gelten, wenn sich z.B. ein Unternehmen von einem größeren Paket von Aktien einer Tochtergesellschaft trennen will, die bereits an der Börse notiert ist. Hier gehen die platzierenden Banken davon aus, dass der Verkäufer der Aktien das Unternehmen des Emittenten genauer kennt und diesbezügliche Gewährleistungen übernehmen kann.
2. Vertragstypen Seiner äußeren Erscheinungsform nach hat sich der Übernahmevertrag in den letzten rund 20 Jahren grundlegend gewandelt. Während noch bis Mitte der 90er Jahre die sog. Platzierungsofferte üblich war, bildet der Übernahmevertrag nach heutigem Standard ein komplexes Vertragswerk mit manchmal bis zu 100 Seiten. Mit Rücksicht auf das meist internationale Bankenkonsortium ist Vertragssprache regelmäßig Englisch.
29.8
a) Klassische Platzierungsofferte Die Platzierungsofferte alten Stils hatte die Form eines Briefes, den das Platzierungskonsortium an den Emittenten bzw. Aktienverkäufer richtet. Das Schreiben erläuterte in wenigen, sehr schlanken Formulierungen die Transaktionsstruktur, das Leistungsspektrum des Bankenkonsortiums sowie Pflichten des Emittenten. Darin ähnelte die Platzierungsofferte dem heutigen Mandatsbrief, der dem Übernahmevertrag vorangeht. Besonders deutlich wird der formale Unterschied zwischen einem Übernahmevertrag moderner Prägung und der Platzierungsofferte, wenn man die für die Platzierungsbanken zentrale Vertragsbestimmung betrachtet, durch die die Haftungsrisiken bezüglich des Platzierungsprospektes der Emittentin zugewiesen werden. Wo sich heute als Garantien ausgestaltete Gewährleistungen bezüglich einzelner Umstände, die das Unternehmen der Emittentin betreffen, über bis zu zehn Seiten ausbreiten, wurde bei der Platzierungsofferte das gleiche Thema mit der kursorischen Feststellung behandelt, der Emittent sei für den Prospektinhalt ausschließlich verantwortlich. Die Platzierungsofferte kommt in dieser Form heute nur noch selten vor.
29.9
b) Übernahmevertrag Anfang der 90er Jahre begannen deutsche Großunternehmen, beraten durch die in Deutschland präsenter werdenden angelsächsischen Investmentbanken, sich nach verbesserten Platzierungsmöglichkeiten im Ausland umzusehen. Im Frühjahr 1990 führte die Volkswagen AG in Zusammenarbeit mit einer US-amerikanischen Investmentbank eine weltweite Umplatzierung von Bezugsrechten durch, wodurch der typischerweise mit einem hohen Abschlag versehene Bezugspreis aufgrund höherer Investorennachfrage näher am aktuellen Börsenkurs festgesetzt werden konnte. 1994 kam erstmals das sog. Bookbuilding-Verfahren bei der Platzierung einer Kapitalerhöhung der Dresdner Bank AG zum Einsatz. Diese veränderten Emissionstechniken in Verbindung mit dem wachsenden Einfluss der führenden angelsächsischen Investmentbanken führten zu grundlegend geänderten Anforderungen an die Vertragsdokumentation. Die traditionellen Vertragsformen mussten den Ansprüchen der internationalen Kapitalmärkte angepasst, dabei die strengen und oft wenig flexiblen Vorgaben des deutschen Aktienrechts beachtet und in neue Regelungskonzepte eingefügt werden. Inzwischen hat sich auch im deutschen Markt ein Haag | 971
29.10
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
Standard für Übernahmeverträge etabliert, der den Erwartungen von international tätigen Emissionshäusern entspricht.
3. Rechtsnatur des Übernahmevertrages 29.11 Eine eindeutige Klassifizierung des Übernahmevertrages in eine der Vertragstypen des
deutschen Zivilrechts ist angesichts der Verschiedenartigkeit der Leistungen, zu denen sich insbesondere das Bankenkonsortium verpflichtet, schwierig13. Die Bankenseite schuldet nicht nur die Übernahme von Aktien gegen Zahlung des vereinbarten Preises, sondern z.B. auch die sachgerechte Durchführung des Preisfindungsverfahrens (Bookbuilding) beim Börsengang bzw. die möglichst kursschonende Unterbringung bestehender Aktien bei einem bereits notierten Unternehmen. Hinzu treten Leistungen im Zusammenhang mit der Börseneinführung oder auch die Übernahme des Zahlstellendienstes für die Übermittlung von Dividendenzahlungen an die Aktionäre. Zumindest bei der Platzierung von Altaktien, die von einem oder mehreren Altaktionären gegen Zahlung eines vereinbarten Betrages übernommen werden, stehen die kaufvertraglichen Elemente des Übernahmevertrages im Vordergrund14. Bei der Platzierung junger Aktien aus einer Kapitalerhöhung treten gesellschaftsrechtliche Elemente hinzu15. Die konsortialführende Bank zeichnet die neuen Aktien im Auftrag und für Rechnung16 der übrigen Konsortialbanken und wird dabei vorübergehend selbst Aktionär. In dieser Funktion übernimmt sie die unmittelbare Haftung für die Einzahlung des geringsten Ausgabebetrages der neuen Aktien, wenn auch abgesichert durch einen auftragsrechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber den übrigen Konsortialbanken. Im Rahmen der weiteren Abwicklung der Platzierung werden die neuen Aktien dann für eigene Rechnung der federführenden Bank sowie für Rechnung der übrigen Konsortialbanken an die Investoren geliefert. Sollte ausnahmsweise überhaupt kein fester Preis für die Abnahme bestehender Aktien vereinbart worden sein (sog. Best-Efforts-Platzierung), handelt es sich um einen reinen Dienstvertrag, bei dem die Banken lediglich verpflichtet sind, den erzielten Erlös – abzüglich einer Provision – an den verkaufenden Altaktionär abzuführen. Angesichts der verschiedenen Ausprägungsformen des Übernahmevertrages ist die Zuweisung zu einem bestimmten Vertragstypus nicht zielführend. Allerdings muss zur Bestimmung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, insbesondere bei Leistungsstörungen, in Bezug auf bestimmte Vertragselemente ggf. eine nähere Einordnung vorgenommen und auf die vertragstypischen Regelungen des BGB zurückgegriffen werden. Die Einordnung unter die Vertragstypen des
13 Singhof, Außenhaftung, S. 59; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/308e; Müller in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.110 ff.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 73; Schäfer in MünchKomm. BGB, Vor § 705 Rz. 57: „schuldrechtlicher Vertrag sui generis“. 14 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.112; Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, § 8 III 2; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 24. 15 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.112. 16 A.A. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/316c, der entweder einen Weiterverkauf der Aktien durch den Konsortialführer an die Konsortialbanken annimmt oder eine Zeichnung in fremdem Namen. Letzteres kommt in der Praxis wegen der Komplikationen bei der Abwicklung höchstens bei außerordentlich hohen Risiken vor. Zeichnet der Konsortialführer (bisweilen auch die Gruppe der gemeinsamen Konsortialführer) allein, handelt er regelmäßig in eigenem Namen, aber im Auftrag und für Rechnung der übrigen Konsortialbanken. Den von ihm eingezahlten Ausgabebetrag kann er Zug um Zug gegen Übertragung der Aktien als Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) zurückverlangen.
972 | Haag
Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
BGB kann auch unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Klauselkontrolle erforderlich sein. Der Übernahmevertrag basiert regelmäßig auf schon aus anderem Anlass verwendeten Vorlagen. Seine Bestimmungen können daher ganz oder teilweise als Allgemeine Geschäftsbedingungen qualifiziert werden. Bei Prüfung der Frage, ob eine Bestimmung den Vertragspartner unangemessen benachteiligt, greifen die Gerichte auf die gesetzlichen Vertragstypen als Maßstab zurück (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
II. Typischer Inhalt Ein vom Markt allgemein akzeptiertes Muster für Übernahmeverträge gibt es nicht17. Im Detail bestehen zwischen den Vertragsmustern der einzelnen Emissionshäuser bisweilen erhebliche Unterschiede. Auch in der Form gibt es Abweichungen. US-amerikanische Investmentbanken bevorzugen vereinzelt noch Übernahmeverträge in Briefform, die jedoch in Umfang und Regelungsdichte nicht hinter der heute weitgehend üblichen, klassischen Vertragsform zurückbleiben. Unbeschadet möglicher Abweichungen im Einzelnen enthalten alle Übernahmeverträge einen sich aus der Natur der Transaktion ergebenen Regelungskanon.
29.12
1. Übernahme bzw. Zeichnung der Aktien durch Konsortialbanken a) Bestehende Aktien Sind Gegenstand der Platzierung auch oder ausschließlich bestehende Aktien aus dem Besitz von Altaktionären, sieht der Übernahmevertrag eine Verpflichtung der Konsortialbanken zum Kauf bzw. eine Verpflichtung der Altaktionäre zum Verkauf dieser Aktien vor. Die Verpflichtung der Konsortialbanken ist einzelschuldnerisch, d.h. jede Konsortialbank ist nur zum Erwerb einer bestimmten Anzahl von Aktien verpflichtet. Eine Haftung für die Erfüllung der Kaufverpflichtung der anderen Konsortialbanken besteht grundsätzlich nicht18 (s. aber Rz. 29.86, Vertragsstörung – Nichterfüllung seitens einer Konsortialbank). Die Anzahl der auf jede der Konsortialbanken entfallenden Aktien wird meist in einer Anlage zum Übernahmevertrag festgehalten. Dabei handelt es sich regelmäßig um eine Höchstanzahl („… bis zu …“). Die endgültige Anzahl der von jeder Konsortialbank zu übernehmenden Aktien wird vom Ergebnis des Bookbuilding-Verfahrens abhängig gemacht. Im Bookbuilding-Verfahren wird auch erst der Kaufpreis bestimmt. Kommt es zu keiner Einigung über den Kaufpreis, ist die Kaufverpflichtung der Konsortialbanken nicht wirksam zustande gekommen und die Platzierung wird nicht durchgeführt. Ein rechtlich bindender Kaufvertrag kommt daher erst mit der Einigung über den Preis zustande19. 17 Einen Eindruck von der Marktpraxis vermitteln die bei Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/ 324 und 10/326 abgedruckten Mustertexte. 18 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.282; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 17, mit dem Hinweis darauf, dass der Muster-Konsortialvertrag (Version 1) der International Capital Market Association (ICMA) von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Konsorten gegenüber dem Emittenten ausgehen. 19 Bei der dinglichen Übertragung der Aktien wird durch die Vertragsgestaltung ein Durchgangserwerb der Konsortialbanken ausgeschlossen. Die für die Abwicklung verantwortliche Konsortialbank (Settlement Agent) überträgt dieAktien als Vertreter der verkaufenden Altaktionäre unmittelbar an die Investoren. Grund dafür ist die Vermeidung der Meldepflichten nach § 33 Abs. 1 WpHG. Die Ausnahmeregelung des § 36 Abs. 1 WpHG für den Handelsbestand ist wegen der dort festgelegten Höchstgrenze von 5 % der Stimmrechte regelmäßig nicht anwendbar.
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29.13
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
29.14 Da bei der Platzierung von bestehenden Aktien die Altaktionäre als Verkäufer auftreten,
müssen sie Partei des Übernahmevertrages werden. Wird zur Platzierung bzw. Börseneinführung der Aktien ein Verkaufs- oder Wertpapierprospekt benötigt, ist auch die Emittentin Vertragspartei. In dieser Rolle muss sie vor allem die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts übernehmen und die Konsortialbanken von einer etwaigen Haftung für unrichtige oder unvollständige Angaben freistellen (s. nachfolgend Rz. 29.58). b) Neue Aktien aus Kapitalerhöhung
29.15 Falls Gegenstand der Platzierung auch oder ausschließlich neue Aktien sind, d.h. solche,
die im Rahmen einer Kapitalerhöhung bei der Emittentin erst geschaffen werden müssen, ist Inhalt der Verpflichtung der Konsortialbanken im Verhältnis zur Emittentin zunächst die Zeichnung der neuen Aktien. Dabei sollen die Konsortialbanken nicht Aktionäre bleiben; die Übernahme der Aktien geschieht wie beim Kauf von Altaktien zum Zweck der Weiterplatzierung, ggf. in Verbindung mit der Börsenzulassung20. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtung müssen die Konsortialbanken bei der Gesellschaft einen Zeichnungsschein einreichen und den Ausgabebetrag i.S.v. § 188 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 36a Abs. 1 AktG einzahlen. Für die Konsortialbanken handelt dabei das konsortialführende Institut als Zeichner. In der Praxis wird auf dem Zeichnungsschein als Ausgabebetrag der Nennbetrag der Aktie bzw. bei Stückaktien der geringste Ausgabebetrag angegeben. Auf diesen Ausgabebetrag ist gemäß § 36a Abs. 1 AktG mindestens ein Viertel einzuzahlen. Regelmäßig ist der anvisierte Platzierungspreis wesentlich höher als der Ausgabebetrag. Würde die Differenz von vornherein auf dem Zeichnungsschein als Aufgeld deklariert, müsste dieser Betrag bei Zeichnung voll eingezahlt werden. Dies entspricht aber weder der Interessenlage der Konsortialbanken noch der der Emittentin. Die Konsortialbanken würden in diesem Fall ein wesentlich höheres Risiko eingehen, wenn die Platzierung am Ende nicht zustande kommt. Sie hätten im Ergebnis eine Platzierungsgarantie übernommen, ohne dass vorher die Möglichkeit bestanden hätte, Nachfrage und Preis für die Aktien zu ermitteln. Die Emittentin müsste dieses Risiko mit wesentlich erhöhten Provisionen und einem Abschlag vom wahren Wert ihrer Aktien bezahlen.
29.16 Die Unterscheidung zwischen Angebotspreis und Ausgabebetrag ist bei Bezugsrechts-
emissionen von jeher üblich. Dort übernehmen Banken die zum Bezug angebotenen Aktien ebenfalls zum geringsten Ausgabebetrag, obwohl von vornherein feststeht, dass der Bezugspreis darüber liegen wird. Der Mehrerlös ist an die emittierende Gesellschaft abzuführen. Bei einer bezugsrechtsfreien Emission besteht in dieser Beziehung kein relevanter Unterschied21. Zwar sind die Konsortialbanken nicht verpflichtet, den Aktionären die neuen Aktien im Wege eines mittelbaren Bezugsrechtes zum Bezug anzubieten. Aber auch bei der Emission ohne Bezugsrecht ist das Bankenkonsortium nur dazwischen geschaltet, weil die Zeichnung durch eine Vielzahl von Investoren praktisch nicht durchführbar wäre. Es handelt sich also auch hier um ein mittelbares Angebot von Aktien durch die Emitten20 Die wirtschaftliche Stellung der Konsortialbanken im Platzierungsprozess spielt auch dann eine Rolle, wenn aus dem Emissionserlös eine Darlehensforderung der Konsortialbank getilgt werden soll. Ist die Bank nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich (vorübergehend) als Aktionär anzusehen, läge in diesem Fall eine (verdeckte) Sacheinlage mit der Folge einer möglichen Differenzhaftung für die Einlageverbindlichkeit vor; vgl. Klein, AG 2017, 415, 416. 21 So auch die h.M.; vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/300e, 10/316d jeweils m.w.N.; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 71.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
tin. Dabei ist die Zeichnung zum geringsten Ausgabebetrag auch dann zulässig, wenn ausnahmsweise bei Zeichnung der Platzierungspreis bereits feststeht22. Auch in diesem Fall ist es noch nicht letztlich sicher, ob die Emission wirklich erfolgreich abgeschlossen werden kann oder wegen höherer Gewalt noch abgesagt werden muss. Das Platzierungsrisiko darf den Konsortialbanken auch in diesen Fällen nicht aufgebürdet werden. Der auf den Ausgabebetrag einzuzahlende Teil wird der Gesellschaft durch Gutschrift auf ein Sonderkonto Kapitalerhöhung zur Verfügung gestellt. Damit steht dieser Betrag zur freien Verfügung der Gesellschaft. Trotzdem ist es in der Praxis üblich, den Betrag nicht vor endgültiger Abrechnung des Emissionserlöses nach Abschluss der Platzierung abzurufen23.
29.17
2. Preisbestimmung Der von den Konsortialbanken für die Aktien zu zahlende Preis kann auf unterschiedliche Weise ermittelt werden.
29.18
a) Festpreis Bei der Übernahme zum Festpreis24 vereinbaren die Konsortialbanken mit der Gesellschaft bzw. den verkaufenden Altaktionären einen festen Betrag je Aktie. In diesem Fall tragen die Banken das volle Platzierungsrisiko. Um sich vor Verlusten zu schützen, müssen die übernehmenden Banken den Kaufpreis vorsichtig kalkulieren. Das volle Preispotential am Markt kann nicht ausgereizt werden. Seit der Einführung effizienterer Preisfindungsmechanismen wie dem Bookbuilding kommen Übernahmen zum Festpreis in der Praxis so gut wie nicht mehr vor25.
29.19
Eine Ausnahme findet sich bei der beschleunigten Platzierung großer Aktienpakete, den sog. Block Trades26. Hier ist es üblich geworden, die Platzierungsdokumentation, insbesondere den Übernahmevertrag, vor endgültiger Mandatierung einer oder mehrerer Platzierungsbanken vorzubereiten. Anschließend werden verschiedene Banken eingeladen, kurzfristig (d.h. binnen weniger Stunden) einen festen Preis für die Übernahme der Aktien zu quotieren. Regelmäßig handelt es sich dabei um Aktien, für die bereits ein Marktpreis existiert, weil die Aktien selbst oder Aktien gleicher Gattung schon an der Börse notiert
29.20
22 Bei den ersten im Bookbuilding-Verfahren durchgeführten Kapitalerhöhungen hat man den Umstand, dass bei Zeichnung der Platzierungspreis noch nicht bekannt ist, als ein Argument für die Zulässigkeit der Zeichnung zu pari herangezogen. Dieses Argument trägt aber nicht, wenn die Zeichnung nach Preisfestsetzung stattfindet, wie z.B. regelmäßig bei der Greenshoe-Tranche. Entscheidend ist, dass der Emittent – wie beim mittelbaren Bezugsrecht – durch die Zwischenschaltung von Kreditinstituten bei der Platzierung keine wesentlichen Risiken in Bezug auf den Platzierungserlös eingeht. 23 Dies ist freilich nur die (unverbindliche) Praxis. Da das Geld zur freien Verfügung des Vorstandes stehen muss (§ 36 Abs. 2 AktG), kann es jederzeit abgerufen werden. Um das Vorleistungsrisiko der zeichnenden Bank zu reduzieren, ist es zulässig, eine Bedingung aufzunehmen, wonach der Betrag erst nach Eintragung der Kapitalerhöhung zu freien Verfügung steht (Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/317). 24 Zum Festpreisverfahren instruktiv: Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.26 f. 25 Vgl. Groß, ZHR 162 (1998), 318. 26 Dazu Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.38.
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§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
sind. Die den Zuschlag erhaltende Bank hat dann die Möglichkeit, die erworbenen Aktien umgehend am Markt unterzubringen. Zwar trägt sie auch in diesem Fall ein Platzierungsrisiko, das jedoch wegen des bereits vorhandenen Sekundärmarktes und des kurzen Zeitraums zwischen Preisbestimmung und Weiterplatzierung überschaubar ist. b) Bookbuilding
29.21 Beim Bookbuilding27 werden dem Anlegerpublikum die Aktien öffentlich zum Erwerb an-
geboten bevor der Platzierungspreis feststeht. Kommuniziert wird lediglich eine Preisspanne, innerhalb derer der endgültige Platzierungspreis erwartet wird. Dabei stellen die Eckwerte der Preisspanne keine unveränderbaren Grenzen dar. Insbesondere bei schwacher Nachfrage kann es zu einer Zuteilung der Aktien zu einem Preis unterhalb der Untergrenze der Spanne kommen. Auch kann die Preisspanne während des Angebots gesenkt werden, wenn beim Anlegerpublikum nicht genügend Kaufinteresse besteht28. Der endgültige Platzierungspreis wird anhand der Investorennachfrage ermittelt. Ausschlaggebend sind dabei regelmäßig die institutionellen Investoren. Ihnen wird das Unternehmen im Rahmen von Präsentationen, sog. Road Shows, vorgestellt, um sie für eine Investition in die Aktien zu gewinnen. Wenn Erwerbsinteresse besteht, übermittelt der Investor sein Kaufgebot an die Konsortialbanken, die es dann mit den Angeboten anderer Kaufinteressenten im sog. Orderbuch zusammenfassen. Nach Ende der Angebotsphase wird das Buch geschlossen und der Preis anhand der vorliegenden Kaufangebote ermittelt. Dabei kommen nicht automatisch die höchsten Angebote zum Zuge. Auch die Qualität der Investoren spielt eine Rolle, insbesondere die Frage, ob sie voraussichtlich mit einem raschen Wiederverkauf der Aktien den Sekundärmarkt belasten werden. Ermittelt wird dann ein Preis, bei dem möglichst das ganze Angebot zugeteilt werden kann und die Investorenbasis ausgewogen ist29.
29.22 Auch Angebote von Privatinvestoren fließen in das Orderbuch ein. Zeichnungswünsche
werden entweder direkt bei der Konsortialbank oder bei der Hausbank platziert, die sie dann an das buchführende Institut weiterleitet. Die Nachfrage von Privatinvestoren ist für die Preisbildung allerdings häufig wenig aussagekräftig, weil die Angebote in der Regel kein Preislimit enthalten. Damit wäre immer die Zuteilung an der oberen Grenze der Preisspanne möglich. Bei überschäumender Nachfrage kann es dazu kommen, dass Privatinvestoren den Preis über den Wert hinaustreiben, den institutionelle Anleger zu zahlen bereit sind. Andererseits wollen Kleinanleger ihren Gewinn häufig nach der ersten Kurs-
27 Eine detaillierte Darstellung des Bookbuilding-Verfahrens findet sich bei Groß, ZHR 162 (1998), 318 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.30 ff.; Hein, WM 1996, 1; s. auch Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 30; zum beschleunigten Bookbuilding-Verfahren: Oppen/Menhart/Holst, WM 2011, 1835 ff. 28 Es empfiehlt sich, auf eine mögliche Veränderung bei der Preisspanne im öffentlichen Angebot hinzuweisen, um dem Vorwurf zu begegnen, das verbindliche Kaufangebot eines Investors könne nicht wirksam zu einem Preis unterhalb der Spannenuntergrenze angenommen werden. Allerdings stellt die Senkung der Preisspanne einen wichtigen, neuen Umstand dar, der durch Nachtrag (§ 16 WpPG; ab 21.7.2019 Art. 23 VO 2017/1129) zu veröffentlichen ist. Der Nachtrag löst ein Widerrufsrecht des Investors aus (§ 16 Abs. 3 Satz 1 WpPG; ab 21.7.2019 Art. 23 Abs. 2 VO 2017/1129). 29 Als in der Hochphase des Neuen Marktes der Frankfurter Wertpapierbörse regelmäßig kurzfristige Zeichnungsgewinne erzielt werden konnten, war die Frage der gerechten Zuteilung ein aktuelles Thema; vgl. dazu Escher-Weingart, AG 2000, 164, 166.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
steigerung realisieren und ihre Aktien wieder verkaufen. Dies würde zu großer Volatilität im Sekundärmarkt führen. Der Trend geht daher dahin, der Nachfrage von Seiten des breiten Anlegerpublikums bei der Preisbildung geringe oder keine Bedeutung beizumessen. Privatanleger werden zu dem von institutionellen Anlegern gebotenen Preis bedient. c) Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht Bei der traditionellen Bezugsrechtskapitalerhöhung übernehmen die platzierenden Kreditinstitute die neuen Aktien vor Beginn der Bezugsperiode bis zum Bezugspreis. Sie tragen daher das Risiko, dass der Aktienkurs während der Bezugsfrist unter den Bezugspreis sinkt und Bezugsrechte nicht ausgeübt werden. Um dieses Risiko zu verringern, wurde der Bezugspreis regelmäßig zu einem Wert deutlich unter dem aktuellen Börsenkurs festgelegt. Dabei war ein Abschlag i.H.v. etwa 20 % zum theoretischen Preis nach Abzug des Wertes des Bezugsrechtsrechts (TERP) üblich30. Der Abschlag führt im Ergebnis zu einer Verminderung des Mittelzuflusses bei der emittierenden Gesellschaft. Seit einiger Zeit ist deshalb ein Emissionsverfahren üblich geworden, bei dem der Bezugspreis nicht schon zu Beginn der Bezugsfrist sondern erst wenige Tage vor ihrem Ablauf festgesetzt wird. Dadurch verringert sich das Risiko der die Emission führenden Banken und der Abschlag fällt entsprechend geringer aus. Dieses Verfahren hat in § 186 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 AktG seinen Niederschlag gefunden. Danach ist der endgültige Bezugspreis spätestens am dritten Tag vor Ablauf der Bezugsfrist zu veröffentlichen31.
29.23
3. Mehrzuteilungsoption Aufgrund der Mehrzuteilungsoption (nach dem Namen der Gesellschaft, bei der dieses Verfahren erstmalig zur Anwendung kam, auch Greenshoe genannt) haben die Konsortialbanken das Recht, über die Haupttranche hinaus zusätzliche Aktien zu beziehen32. Sie ermöglicht es dem Bankenkonsortium, zunächst mehr Aktien zuzuteilen als sie aufgrund des Übernahmevertrages fest übernehmen müssen. Die zusätzlich zugeteilten Aktien können dann ggf. zur Stabilisierung des Kurses33 zurückerworben werden. Sind Stabilisierungsmaßnahmen nicht erforderlich, müssen die Banken die Möglichkeit haben, sich mit der erforderlichen Anzahl von Aktien einzudecken. Üblicherweise beläuft sich das Volumen der Mehrzuteilungsoption auf etwa 15 % der Haupttranche34. Die Ausübungsfrist beträgt in der Regel zwei Wochen nach Abschluss der Platzierung.
30 Zum TERP (Theoretical Ex-Rights Price): Seibt, Der Konzern 2009, 261, 266. 31 Zu den praktischen Auswirkungen vgl. Schlitt/Seiler, WM 2004, 2175, 2180. 32 Instruktiv zur Greenshoe-Option: Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 34 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.68 ff.; Groß, ZIP 2002, 160 ff.; zu den kapitalmarktrechtlichen Grenzen der Mehrzuteilungsoption vgl. Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Börseneinführung Rz. 16.4 ff. 33 Im Übernahmevertrag wird regelmäßig eine Stabilisierung des Marktpreises der Aktien nach der Platzierung durch einen von den Konsortialbanken bestimmten Stabilization Manager vereinbart, um etwaigem Abgabedruck entgegenzuwirken. Für die Abgrenzung zwischen zulässigen Stabilisierungsmaßnahmen und verbotener Marktmanipulation vgl. Art. 5 DelVO 2016/ 1052 (Delegierten Verordnung (EU) 2016/1052). 34 Groß, ZIP 2002, 160, 161; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.82: „bis zu 15 %“.
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29.24
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
a) Mehrzuteilungsoption durch Altaktionäre
29.25 Sind Gegenstand der Emission Aktien aus dem Besitz von Altaktionären, stellen sich bei Strukturierung der Mehrzuteilungsoption im Übernahmevertrag normalerweise keine besonderen Probleme. Die verkaufenden Aktionäre verpflichten sich gegenüber den Konsortialbanken, bei Ausübung der Option eine der Höhe nach begrenzte zusätzliche Anzahl von Aktien zum Platzierungspreis zu verkaufen.
b) Mehrzuteilungsoption durch die Emittentin
29.26 Stehen keine Altaktionäre zur Bedienung der Mehrzuteilungsoption bereit, können zusätz-
liche Aktien nur im Rahmen einer weiteren Kapitalerhöhung zur Verfügung gestellt werden. In diesem Fall verpflichtet sich die Emittentin gegenüber den Konsortialbanken, ggf. zusätzliche Aktien zum Platzierungspreis auszugeben. In der Regel handelt es sich dabei um eine erneute Ausnutzung des genehmigten Kapitals35. Der Ablauf der Kapitalerhöhung erfolgt wie bei der Haupttranche, d.h. Zeichnung der zusätzlichen Aktien durch eine Konsortialbank und Einzahlung des Ausgabebetrages. Wegen der bereits sicheren Platzierung der Aktien sieht der Übernahmevertrag für die Mehrzuteilungsoption allerdings i.d.R. vor, dass auf die neuen Aktien sofort der gesamte Platzierungspreis einzuzahlen ist36. c) Belieferung mit geliehenen Aktien
29.27 Die Konsortialbanken müssen in der Lage sein, die zusätzlich zugeteilten Aktien zusammen mit der Haupttranche bei Abrechnung der Emission an die Investoren zu übertragen. Zu diesem Zeitpunkt haben sie aber die Mehrzuteilungsoption noch nicht ausgeübt. Die Aktien müssen daher zunächst von anderer Seite zur Verfügung gestellt werden. Dies geschieht regelmäßig in Form einer Aktienleihe37. Am einfachsten ist es, die Aktien von einem Großaktionär zu leihen, der über eine ausreichende Anzahl von börsenzugelassenen Aktien verfügt. Dabei muss der Großaktionär nicht bereit sein, seine Aktien auch zu verkaufen. Er hat gegenüber den Konsortialbanken einen Anspruch auf Rücklieferung von Aktien, die ausstattungsgleich (vertretbar) mit den verliehenen Aktien sind. Solche Aktien erhalten die Banken nach Ausübung der Mehrzuteilungsoption von der Gesellschaft oder einem anderen Altaktionär. Ist der Verleiher der Aktien und Schuldner der Mehrzuteilungsoption derselbe Altaktionär, kann der Rücklieferungsanspruch mit dem Lieferungsanspruch aus der Mehrzuteilungsoption verrechnet werden38.
35 Auch die zweite Ausnutzung des genehmigten Kapitals sollte schon im ursprünglichen Vorstandsbeschluss enthalten sein, um die Aktien der Haupttranche und der Mehrzuteilungstranche zum selben Preis ausgeben zu können. Im Falle eines Bezugsrechtsauschlusses gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG kann dies sonst bei steigenden Kursen während der Stabilisierungsphase problematisch werden. Zu diesem sog. Zwei-Tranchen-Modell vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/276a. 36 Sind die Banken dazu nicht bereit, ist jedenfalls die Volleinzahlung des Nennbetrages bzw. geringsten Ausgabebetrages die Regel, auch deshalb, weil die Aktien schnell gebraucht werden, um die Wertpapierleihe zurückzuführen, und vor Volleinzahlung keine Inhaberaktien ausgegeben werden dürfen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AktG). 37 Es handelt sich um ein Sachdarlehen i.S.v. §§ 607 ff. BGB. Da der Großaktionär ein Eigeninteresse an der Transaktion hat, ist das Darlehen üblicherweise kostenfrei. Vgl. zur Aktienleihe Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.67; Groß, ZIP 2002, 160, 161; zur Wertpapierleihe generell: Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 7.4. 38 Als Kaufpreis wird in diesem Fall regelmäßig der Platzierungspreis vereinbart.
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Die emittierende Gesellschaft kommt regelmäßig nicht als Verleiher zusätzlicher Aktien in Frage, da sie nicht über die erforderliche Anzahl eigener Aktien verfügt, die eine Aktiengesellschaft nur in engen Grenzen erwerben und halten darf39. Steht kein Großaktionär als Verleiher bereit, können die zur Belieferung der Mehrzuteilung erforderlichen Aktien möglicherweise von einem anderen Investor im Wege einer Aktienleihe zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere bei liquiden Werten sind Aktienleihgeschäfte unter Banken üblich. Falls auch diese Möglichkeit nicht zur Verfügung steht, können Investoren angesprochen werden, die im Begriff sind, Aktien aus der aktuellen Emission zu erwerben. Mit diesen Investoren wird vereinbart, dass anstelle der Belieferung zum Abrechnungszeitpunkt eine Wertpapierleihe in Kraft tritt. Die Aktien werden dann erst nach Ausübung der Mehrzuteilungsoption geliefert (sog. deferred settlement).
29.27a
Ist Verleiher der Aktien nicht ein verkaufender Altaktionär, der schon in dieser Eigenschaft Partei des Übernahmevertrages ist, wird die Aktienleihe außerhalb des Übernahmevertrages in einem Wertpapierleihvertrag dokumentiert.
29.28
4. Vergütung der Konsortialbanken Bei ihrer Mitwirkung an der Platzierung verdienen die Konsortialbanken außer bei einer Platzierung zum Festpreis nicht am Durchhandeln der Aktien. Sie erhalten für ihre Dienstleistung daher eine Provision. Zusätzlich ist es üblich, ihnen bestimmte Kosten im Zusammenhang mit der Platzierung zu erstatten40.
29.29
a) Provisionen Die Provision wird als Prozentsatz des Emissionsvolumens, d.h. die Anzahl der platzierten Aktien multipliziert mit dem Platzierungspreis, ausgedrückt. Üblich ist ein Satz zwischen 1 % und 3 %, bei großen Emissionsvolumina etablierter Gesellschaften, wie z.B. Kapitalerhöhungen von DAX-Werten, aber auch weniger. Soweit die Gesellschaft selbst für die Platzierung sorgt, z.B. im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogrammes, wird der entsprechende Anteil üblicherweise von der Provisionsbasis abgesetzt. Erfolgsabhängige Provisionsbestandteile kommen ebenfalls vor. In diesem Fall regelt der Übernahmevertrag, dass die Gesellschaft bei einer erfolgreichen Platzierung nach ihrem Ermessen die Provision erhöhen und allen oder besonders erfolgreichen Banken zuteilen kann. Abgesehen von Provisionsbestandteilen, über deren Entstehung und Verwendung die Gesellschaft entscheidet, unterliegt die Verteilung der Provision der weiteren Vereinbarung unter den Konsortialbanken. Gezahlt wird die Provision durch Abzug vom Platzierungserlös, der der Gesellschaft bzw. dem Altaktionär nach Abrechnung mit den Investoren weitergeleitet wird.
39 Insbesondere stellen sich die Fragen, ob das Verleihen eigener Aktien ein vom Erwerbsbeschluss regelmäßig nicht gedeckter, weil unzulässiger Handel mit eigenen Aktien ist und ob die Übertragung der Aktien an den entleihenden Konsortialführer zur Zuteilung an einzelne Investoren trotz des Rücklieferungsanspruchs gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3, 53a AktG verstößt. 40 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 76; Meyer in MarschBarner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.102.
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29.30
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
b) Erstattung von Kosten
29.31 Neben den Bankenprovisionen fallen erhebliche Kosten für die Vorbereitung der Platzie-
rung an. Hierzu gehört vor allem das Schreiben des Prospekts (bei deutschen Gesellschaften meist in deutscher Sprache und englischer Übersetzung) und dessen drucktechnische Herstellung, die Vorbereitung und Durchführung der Analystenpräsentation, die vor allem der Ermittlung der Preisspanne dient, und der Road Show zur Ansprache von Investoren. Während die eigenen internen Kosten der Banken durch die verdiente Provision abgegolten sind, ist es üblich, ihnen Auslagen ganz oder zumindest zum großen Teil zu erstatten. Hierzu gehören vor allem Kosten für die Rechtsberatung der Banken, ggf. auch zusätzlich beauftragte Wirtschaftsprüfer. Abhängig von der Größe des Unternehmens, dessen Aktien platziert werden sollen, können diese Kosten ohne Weiteres höhere sechsstellige Euro-Beträge erreichen41. In der Regel sieht der Übernahmevertrag vor, dass diese Kosten nach Anforderung und Rechnungstellung erstattet werden. Sind die Kosten bereits bei Abschluss der Emission bekannt, kommt auch der Abzug unmittelbar vom Platzierungserlös in Betracht.
5. Gewährleistungen 29.32 Breiten Raum nehmen im Übernahmevertrag die sog. Gewährleistungen ein (in englisch-
sprachigen Verträgen: representations and warranties). Damit sichern sich die Parteien gegenseitig das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Umstände oder Rechtspositionen zu. In deutschem Recht unterliegenden Übernahmeverträgen werden Gewährleistungen üblicherweise in Form von selbständigen verschuldensunabhängigen Garantien abgegeben42. Durch eine Garantieerklärung kann die Haftung für die Richtigkeit einer bestimmten Aussage übernommen werden, auch wenn sich diese Aussage nicht auf die rechtliche oder tatsächliche Eigenschaft einer Sache bezieht, sondern z.B. auf vorangegangenes Verhalten, wie etwa die Garantie des Emittenten, sämtliche Steuererklärungen in Bezug auf sein Unternehmen rechtzeitig und vollständig abgegeben zu haben, wodurch sich die Konsortialbanken davor schützen wollen, dass nicht erkennbare Steuerverbindlichkeiten bestehen43. Selbständig (d.h. abstrakt) ist die Garantie, damit ihre Rechtswirksamkeit auch dann unberührt bleibt, wenn sich z.B. andere Garantien aus Rechtsgründen als unwirksam herausstellen. Ausdrücklich verschuldensunabhängig ist die Garantie, um dem Garantieverpflichteten den Einwand abzuschneiden, die Einhaltung der garantierten Umstände liege außerhalb seines Einflussbereichs, er habe die Garantie deshalb nicht schuldhaft verletzt und hafte nicht44. 41 Ein ganz erheblicher Kostenblock entfällt dabei auf die sog. Due Diligence (s. dazu § 33). Abhängig von der Größe des Unternehmens können mit der rechtlichen Due Diligence fünf bis sechs Rechtsanwälte zwei bis drei Wochen beschäftigt sein. Hinzu kommt die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer bei der Durchleuchtung des Zahlenwerks. 42 Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.285. 43 Es handelt sich deshalb meist nicht um Beschaffenheitsgarantien i.S.v. § 443 BGB, bei neuen Aktien schon deshalb nicht, weil kein Kaufvertrag vorliegt. 44 Beispiel hierfür ist die Garantie, die Emission verstoße in keinem Land, in dem der Emittent tätig ist, gegen Rechtsvorschriften. Die Richtigkeit dieser Aussage wird garantiert, auch wenn der Emittent nichts dagegen tun kann, wenn rechtliche Beschränkungen plötzlich eingeführt werden. Diese Risikoverteilung ist Ausfluss des Umstands, dass die Konsortialbanken mit der Platzierung ein fremdes Geschäfts besorgen.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
a) Gewährleistungen des Emittenten Hauptsächlich dienen die Gewährleistungen dazu, die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens der Emittenten, so wie sie gegenüber den Konsortialbanken im Rahmen der Due Diligence und der Präsentationen des Managements dargestellt wurden, rechtlich abzusichern. Dadurch wollen sich die Mitglieder des Platzierungskonsortiums vor einer Inanspruchnahme enttäuschter Investoren schützen, falls sich der Aktienkurs später negativ entwickelt.
29.33
aa) Gewährleistungen bezüglich Wertpapierprospekt Die größten Haftungsgefahren ergeben sich für die Konsortialbanken im Falle eines unrichtigen Wertpapierprospekts, wenn sie die Unrichtigkeit i.S.v. §§ 21 f. WpPG45 zu vertreten haben. Sie sind deshalb bestrebt, keine Aussagen im Prospekt zuzulassen, deren Richtigkeit nicht zuvor im Rahmen einer gründlichen Unternehmensprüfung verifiziert werden konnten. Dieser Vorgehensweise sind jedoch aus Praktikabilitätsgründen Grenzen gesetzt. Nicht jede für die Investoren relevante Information im Prospekt ist einer objektiven Überprüfung zugänglich. In vielen Fällen müssen sich die Banken auf die Aussagen des Emittenten verlassen. Die vom Emittenten abgegebenen Gewährleistungen dienen dem Zweck, den Emittenten in Regress nehmen zu können, falls sich später eine für die Investitionsentscheidung der Anleger relevante Prospektaussage als falsch herausstellt und eine Konsortialbank wegen Prospekthaftung in Anspruch genommen wird46. Umfangreiche Gewährleistungen entlasten die Banken darüber hinaus in einem etwaigen Prospekthaftungsprozess von dem Vorwurf, grob fahrlässig i.S.v. § 23 Abs. 1 WpPG gehandelt zu haben (s. hierzu im Einzelnen § 41).
29.34
Dementsprechend haben die Gewährleistungen bezüglich des Wertpapierprospekts zentrale Bedeutung. Früher war es üblich, sich auf die allumfassende Gewährleistung zu beschränken, dass der Prospekt keine Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten enthält, die für die Entscheidung, angebotene Aktien zu erwerben, von Bedeutung sein können, und auch im Übrigen keine Angaben zu wesentlichen Tatsachen gemacht oder unterlassen wurden, die den Prospektinhalt für einen Investor irreführend erscheinen lassen können47. Damit ist im Grundsatz alles Erforderliche gesagt. Schon wegen der räumlichen Trennung des Textteils im Prospekt vom Finanzteil, der die Jahresabschlüsse enthält, kann aber auf weitergehende Gewährleistungen zu den im Prospekt enthaltenen Unternehmenszahlen nicht verzichtet werden. Zu diesem Zweck hat der Emittent außerdem zu erklären, dass die Jahresabschlüsse in Einklang mit den für sie geltenden Vorschriften aufgestellt wurden, die Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens für die maßgeblichen Zeitpunkte bzw. Zeiträume zutreffend wiedergeben, konsistent, d.h. ohne Änderung bei der Ausübung von Bilanzierungswahlrechten aufgestellt wurden, sowie nach dem Stichtag des letzten wiedergegebenen Jahresabschlusses keine wesentlichen negativen Entwicklungen eingetreten sind, die im Prospekt offengelegt werden müssten48.
29.35
45 Gemäß § 22 WpPG findet die Haftungsnorm des § 21 WpPG für unrichtige oder unvollständige Börsenzulassungsprospekte auch auf reine Angebotsprospekte Anwendung. 46 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 84. 47 Diese Aussage wird regelmäßig noch durch anwaltliche Disclosure Opinions abgesichert; s. dazu Rz. 35.50 f. 48 Zur Funktion eines sog. Comfort Letters des Wirtschaftsprüfer des Emittenten s. Rz. 34.9.
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§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
bb) Sonstige Gewährleistungen
29.36 In der Praxis ist es üblich, dem Emittenten über die unmittelbar auf den Prospekt bezo-
genen Gewährleistungen weitere Zusicherungen abzuverlangen. Zwar wird dadurch die Verantwortung des Emittenten für die Kapitalmarktinformation nicht erweitert. Die Platzierungsbanken können aber so den Nachweis führen, den Emittenten nach für die Bewertung der Aktien besonders kritischen Aspekten eingehend befragt und die ausdrückliche Bestätigung eingeholt zu haben, dass die zugrundeliegenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände unbedenklich sind. Dies erleichtert den Banken die Verteidigung49 gegenüber dem Vorwurf, sie hätten sich auf die pauschale Übernahme der Prospekthaftung durch den Emittenten verlassen und hätten grob fahrlässig die Augen vor der Realität verschlossen. Dies ist schon deshalb ratsam, weil sich die gegenüber den Anlegern haftenden Emissionshäuser nicht in allen Fällen beim Emittenten schadlos halten können. Gerade im Falle krass unrichtiger oder unvollständiger Aussagen im Prospekt, bei denen nicht selten auch Anlagebetrug im Spiel ist, ist der Rückgriffsanspruch weitgehend wertlos, wenn über das Vermögen des Emittenten das Insolvenzverfahren eröffnet werden musste50.
29.37 Aber auch der Emittent wird durch einen umfangreichen Katalog von Einzelgewährleis-
tungen besser vor Haftungsrisiken geschützt. Die intensive Befassung mit jeder Zusicherung zwingt den Emittenten, sich über die Richtigkeit der Aussage klar zu werden und ggf. noch einmal Nachforschungen anzustellen, Missstände rechtzeitig zu beseitigen oder, falls das nicht möglich ist, im Prospekt darauf hinzuweisen. In diesem Sinne ist der Gewährleistungskatalog auch eine Checkliste für die gründliche Vorbereitung der Aktienemission.
29.38 Welche Zusicherungen im konkreten Fall zu verlangen sind, hängt von den Umständen,
insbesondere von der Art des Unternehmens des Emittenten ab. Zum Standard gehören Erklärungen, dass die angebotenen Aktien frei von rechtlichen Mängeln sind und die im Prospekt angegebenen Teilnahmerechte verkörpern, sämtliche zur Ausgabe der Aktien und ihrer Platzierung erforderlichen Organbeschlüsse vorliegen, der Emittent nach den Bestimmungen des anwendbaren Gesellschaftsrechts wirksam gegründet wurde und besteht, das öffentliche Angebot der Aktien nicht in Widerspruch zu vertraglichen Verpflichtungen steht, die der Emittent eingegangen ist, der Emittent und seine Tochtergesellschaften keine wesentlichen Rechtsverletzungen begangen haben oder begehen und über alle betriebsnotwendigen Erlaubnisse und Genehmigungen verfügen sowie ähnliche Bestätigungen, die sich auf die Abwesenheit von geschäftlichen Risiken beziehen. Hinzu kommen in der Regel eine Reihe von Erklärungen, mit denen sich die Banken gegen die Verletzung US-amerikanischer Wertpapiergesetze schützen wollen. Damit sind nur die Themen der jeweiligen Gewährleistungen genannt. In der vertraglichen Ausformulierung beansprucht jede Zusicherung erheblichen Raum, was vor allem auf den angelsächsisch geprägten, oft redundanten Sprachstil zurückzuführen ist. Bei 20 oder gar mehr Einzelpositionen erstrecken sich die Gewährleistungen des Emittenten meist über viele Seiten des Übernahmevertrages.
29.39 In die Zukunft gerichtete Zusicherungen, z.B. den künftigen Geschäftsverlauf betreffende,
können nicht verlangt werden. Der Prospekt enthält hierzu, wenn überhaupt, nur wenige 49 Im US-amerikanischen Sprachgebrauch deshalb auch als Due-Diligence-Defence bezeichnet. 50 Geradezu sprichwörtlich ist der Fall des am Neuen Markt eingeführten Unternehmens Comroad AG geworden, das ca. 95 % seiner Umsätze frei erfunden hatte.
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und eingeschränkte Aussagen51. Sinn und Zweck der Gewährleistungen im Übernahmevertrag ist es nicht, den Emittenten zur Übernahme einer Garantie für den geschäftlichen Erfolg seines Unternehmens zu veranlassen. Nicht nur der Katalog der Themen, die durch Gewährleistungen erfasst werden sollen, wird oft intensiv zwischen Emittent und Bankenkonsortium verhandelt. Streitpunkt ist regelmäßig auch, ob eine Aussage absolut, d.h. ohne jede Einschränkung getroffen werden kann, oder ob sie relativiert werden muss. Dazu zwei Beispiele: Soll der an der Spitze eines weltumspannenden Konzerns stehende Emittent bestätigen, dass sämtliche seiner Tochtergesellschaften über alle behördlichen Erlaubnisse und Genehmigungen verfügen, die der Betrieb ihrer Unternehmen erfordert, drängt sich die Frage auf, ob es in der Zentrale wirklich bekannt wäre, wenn ein kleines Tochterunternehmen in einem fernen Land diese Bedingung nicht erfüllen würde. Der Verhandlungsführer des Emittenten wird deshalb zögern, seinem Vorstand eine entsprechende Garantieerklärung zuzumuten. Als Kompromiss einigen sich die Parteien oft darauf, die Bestätigung nur nach bestem Wissen (to the issuer’s best knowledge) abzugeben, jedoch flankiert durch die weitere Aussage, dass eine angemessene unternehmensinterne Überprüfung stattgefunden hat (after due inquiry)52. Eine vergleichbare Situation besteht, wenn der Emittent gewährleisten soll, gegen das Unternehmen würden keinerlei Prozesse geführt. Bei einem Großunternehmen wird diese Aussage in ihrer Absolutheit immer falsch sein. An dieser Stelle wird in der Vertragstechnik das Konzept der „wesentlichen nachteiligen Auswirkung“ eingesetzt. Sie wird im Vertrag definiert als ein Ereignis, das die Vermögens- oder Ertragslage des Unternehmens in einer Art und Intensität beeinträchtigt, die im Ergebnis Auswirkungen auf den Aktienkurs hätten. Die Gewährleistung wird also nur solche Rechtsstreitigkeiten erfassen, die, falls sie gegen den Emittenten entschieden würden, eine wesentliche nachteilige Auswirkung haben. Gibt es derartige Rechtsstreitigkeiten, wäre es überdies ratsam, sie im Platzierungsprospekt unter näherer Angabe der Risiken offenzulegen.
29.40
b) Gewährleistungen der Altaktionäre Bei der Platzierung von bestehenden Aktien sind, wie bereits erwähnt (Rz. 29.3), auch die veräußernden Aktionäre Vertragsparteien des Übernahmevertrages. In dieser Eigenschaft 51 In gewissem Umfang zukunftsgerichtete Aussagen verlangt Ziffer 12 des Anhang I zur EU-Prospektverordnung (Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission, zuletzt geändert durch die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 486/12 v. 1.7.2012, ABl. EG Nr. L 150 v. 9.6.2012, S. 1), wonach Informationen zu wichtigen Trends zu geben sind, die das Geschäft des Emittenten zumindest im laufenden Geschäftsjahr wesentlich beeinträchtigen dürften. Gewinnprognosen i.S.v. Ziffer 13 des Anhanges I kommen in der Praxis hingegen nur selten vor, weil die Prognosen vom Abschlussprüfer plausibilisiert worden sein müssen (z.B. Anhang I Ziffer 13.2). Dafür verlangen Wirtschaftsprüfer einen kaum zu erreichenden Grad von Sicherheit. Nach den Vorschlägen der EU-Kommission für die Anhänge zur neuen Prospektverordnung ((EU) 2017/1129), die ESMA in seinem Technical Advice vom 28.3.2018 unterstützt, soll die Mitwirkung des Abschlussprüfers künftig entfallen und durch eine Erklärung des Emittenten ersetzt werden. S. auch Rz. 36.57 ff. 52 Besondere Bedeutung haben in den letzten Jahren die sog. Anti-Financial-Crime Gewährleistungen erlangt. In diesem Zusammenhang erwarten die Konsortialbanken sehr weitgehende Zusicherungen des Emittenten, dass er nicht unmittelbar oder mittelbar gegen staatliche Sanktionen gegenüber anderen Ländern oder Personen verstößt, nicht zur Geldwäsche beiträgt oder gar Korruption begeht. Gerade bei den Sanktionen ist dies oft nicht einfach, weil sich die Sanktionslisten der Industrienationen nicht immer decken.
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§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
müssen sie ebenfalls als Garantien ausgestaltete Gewährleistungen übernehmen. Dies ist selbstverständlich, was die Rechtsmängelfreiheit der verkauften Aktien sowie die eigene Befugnis, diese Aktien zu verkaufen, anbelangt. Ist ein Altaktionär auch Verleiher von Aktien im Rahmen der Mehrzuteilungsoption, erstrecken sich diese Gewährleistungen auch auf die verliehenen Aktien und den Wertpapierleihvertrag.
29.42 Zwischen den Parteien umstritten ist immer wieder die Frage, ob ein Altaktionär auch
prospekt- und unternehmensbezogene Gewährleistungen abgeben soll. Die Konsortialbanken haben hieran regelmäßig ein Interesse, weil sie einen oder mehrere zusätzliche Schuldner für ihren Regressanspruch im Falle eines fehlerhaften Prospektes erhalten würden. Der Altaktionär wendet regelmäßig ein, seine Aktien seien nur eine Finanzinvestition und er kenne das Unternehmen nicht genau genug, um eine Haftung übernehmen zu können. Mit diesem Einwand kann freilich nur ein Aktionär gehört werden, der nicht selbst in der Unternehmensleitung tätig ist. Aus anderen Gründen problematisch liegt der Fall, wenn die Muttergesellschaft weitere Aktien einer bereits börsennotierten Tochtergesellschaft verkauft. Hier wird die Muttergesellschaft einwenden, schon aus aktienrechtlichen Gründen habe sie keine genauere Kenntnis der Verhältnisse beim Tochterunternehmen als jeder andere Aktionär. Ob dies wirklich den Tatsachen entspricht, insbesondere mit Blick auf die Konzernzugehörigkeit, hängt vom Einzelfall ab.
29.43 Die Verhandlungen über die Reichweite von Gewährleistungen eines Altaktionärs kön-
nen oftmals durch einen Kompromiss beim Haftungsumfang entschärft werden. Wenn der verkaufende Aktionär sich nur verpflichtet, im Haftungsfall den von ihm empfangenen Verkaufserlös herauszugeben, und dies auch nur, wenn die Konsortialbanken zuvor erfolglos versucht haben, beim Emittenten Rückgriff zu nehmen, wird sich der betreffende Altaktionär eher damit abfinden können, auch für den Inhalt des Prospekts in die Verantwortung genommen zu werden. c) Gewährleistungen der Konsortialbanken
29.44 Die Konsortialbanken erbringen eine Dienstleistung in Zusammenhang mit der Platzie-
rung der Aktien. Besonderen Haftungsrisiken setzen sie den Emittenten bzw. Veräußerer der Aktien nur in Bezug auf die Steuerung des Platzierungsprozesses sowie insofern aus, als sie selbst zum Prospektinhalt verantwortlich beigetragen haben. Deshalb können ihnen nur in dieser Beziehung Gewährleistungen abverlangt werden.
29.45 Als Dienstleister schulden die Banken nicht den Erfolg der Platzierung. Aber sie sind dafür
verantwortlich, dass die Aktien in allen Ländern, in denen sie verkauft werden sollen, nur in Übereinstimmung mit den dort jeweils gültigen Gesetzen angeboten werden. Zu diesem Zweck enthält der Übernahmevertrag sog. Verkaufsbeschränkungen (selling restrictions), in denen die auf Aktienangebote anwendbaren Vorschriften der einzelnen in Frage kommenden Länder zusammengefasst sind. Da der Übernahmevertrag oft erst nach Beginn des Angebotes an potentielle Investoren unterzeichnet wird, ist es angemessen, wenn die Konsortialbanken gegenüber Emittenten und verkaufenden Aktionären gewährleisten, die betreffenden Bestimmungen eingehalten zu haben. Dadurch können sich Emittent und verkaufende Aktionäre gegen das Risiko schützen, dass ihnen das Handeln der Banken und damit auch etwaige Gesetzesverstöße zugerechnet werden.
29.46 Eher fernliegend sind dagegen Haftungsrisiken, die aus falschen Angaben herrühren, die
die Platzierungsbanken zum Prospekt beigesteuert haben. Zum einen handelt es sich da984 | Haag
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bei um eng begrenzte Informationen wie z.B. die Namen der beteiligten Banken oder auch eine Beschreibung des Angebots- und Preisfindungsprozesses. Zum anderen dürften diese Daten, auch wenn sie ausnahmsweise Fehler enthalten sollten, nur in den seltensten Fällen kaufentscheidend und damit haftungsrelevant sein. Wenn der Emittent auf einer ausdrücklichen Gewährleistung dieser Angaben seitens der Konsortialbanken besteht, so ist dies nur als Streben nach Waffengleichheit zu verstehen. Die von den Banken zu verantwortenden Angaben wurden früher in Briefform, heute in einer Anlage zum Übernahmevertrag festgehalten. In Bankenkreisen wird das Schriftstück unter übertriebener Anspielung auf die daraus resultierenden Haftungsrisiken als blood letter bezeichnet.
6. Verpflichtungen Neben den Gewährleistungen, die sich auf die Aktien, den Prospekt oder Verhalten in der Vergangenheit beziehen, enthält der Übernahmevertrag noch eine Reihe von in die Zukunft gerichteten, ausdrücklichen Pflichten der Vertragsparteien.
29.47
a) Verpflichtungen des Emittenten bezüglich des Prospekts Hierher gehört zunächst die selbstverständliche Pflicht, für den Druck einer genügenden Anzahl von Prospektexemplaren zu sorgen und sie den Platzierungsbanken zur Verfügung zu stellen. Weiterhin wird dem Emittenten üblicherweise auferlegt, den Prospekt in geeigneter Weise zu berichtigen, falls nach Drucklegung ein Fehler oder eine Unvollständigkeit erkannt wird oder neue Entwicklungen eingetreten sind, die eine Aktualisierung des Prospekts erforderlich machen. Eine Verpflichtung zur Aktualisierung besteht gemäß § 16 Abs. 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 23 Abs. 1 VO 2017/1129) nur während der Dauer des Angebots bzw. bis zum Zeitpunkt der Notierungsaufnahme, sofern diese später erfolgt. Ist das Angebot abgeschlossen, müssen die Angebotsunterlagen nicht mehr fortgeschrieben werden53. Statt dessen findet die gesetzliche Verpflichtung zur Ad hoc-Publizität i.S.v. Art. 17 VO Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung)54 Anwendung. Die Berichtigung unrichtiger oder unvollständiger Angaben empfiehlt sich im Hinblick auf die Regelung in § 23 Abs. 2 Nr. 4 WpPG auch nach vollendeter Platzierung, weil sich Erwerber im Sekundärmarkt sechs Monate lang auf den Prospekt berufen können (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG).
29.48
Der Übernahmevertrag sieht typischerweise vor, dass Änderungen oder Ergänzungen des Prospekts vor ihrer Veröffentlichung mit den Konsortialbanken abzustimmen sind, wenn nicht Gefahr im Verzuge die schnellstmögliche Veröffentlichung gebietet.
29.49
b) Verpflichtungen des Emittenten und der Altaktionäre zum Schutz des Sekundärmarktes Die Investoren haben ein grundlegendes Interesse daran, dass der Sekundärmarkt nicht rasch nach der Platzierung durch ein Überangebot an Aktien oder wirtschaftlich damit ver53 Stephan, AG 2002, 3, 6; a.A. Assmann in FS Ulmer, 2003, S. 757, 768; Groß, AG 1999, 199, 203; Rz. 36.91. 54 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1.
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gleichbarer Instrumente belastet und der Kurs nach unten getrieben wird. Daher hat sich der Emittent zu verpflichten, während eines bestimmten Zeitraumes (üblicherweise drei bis sechs Monate) keine neuen Aktien auszugeben und über den Markt zu verkaufen, sog. lock-up)55. Diese Verpflichtung gilt auch für Wertpapiere, die in den Platzierungsaktien entsprechende Aktien umgetauscht oder gewandelt werden können oder deren Wert auf andere Weise an die Preisentwicklung derartiger Aktien gebunden ist (z.B. Wandel- oder Optionsanleihen, Optionsscheine oder Zertifikate, die an den Kurs der Aktien gekoppelt sind). Die Verpflichtung hat die Gesellschaft auch für ihre Tochtergesellschaften zu übernehmen.
29.51 Im Falle der Ausgabe neuer Aktien, die nicht durch Ausnutzung genehmigtem Kapitals
(§ 202 AktG) geschaffen werden56, sondern unmittelbar durch einen Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 182 AktG), kann sich die Gesellschaft allerdings nicht wirksam verpflichten, den Beschluss nicht durchzuführen57. Die Verpflichtung des Emittenten im Übernahmevertrag, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes keine neuen Aktien auszugeben, muss daher insoweit eingeschränkt werden, als dies aktienrechtlich zulässig ist. In Betracht kommt allenfalls die Erklärung, der Hauptversammlung im maßgeblichen Zeitraum keine Kapitalerhöhung in der Tagesordnung vorzuschlagen.
29.52 Bleiben Aktien verkaufende Altaktionäre nach Abschluss der Platzierung im Besitz von
Altaktien, müssen sie sich in gleicher Weise verpflichten, die Aktien innerhalb der Lockup-Periode nicht direkt oder durch Zwischenschaltung anderer Instrumente zu veräußern. c) Sonstige Verpflichtungen des Emittenten und der Altaktionäre
29.53 Emittent und Altaktionäre haben zu erklären, weder mittelbar noch unmittelbar Maßnah-
men ergriffen zu haben, die in irgendeiner Weise als Kursmanipulation zur Förderung des Absatzes der Aktien gewertet werden können. Damit schützen sich die Konsortialbanken davor, dass derartige Maßnahmen ihnen möglicherweise zugerechnet würden.
29.54 Der Emittent muss ferner die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Börsennotierung übernehmen58. Dazu gehört vor allem die rechtzeitige Erfüllung aller mit der Notie-
55 Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 38, Fn. 83; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.164; zu Marktschutzvereinbarungen im Allgemeinen s. Fleischer, WM 2002, 2305; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 161 ff. Marktschutzvereinbarungen waren früher nach den Bedingungen des Neuen Markts Pflicht. Sie gehören weiterhin zum üblichen Inhalt von Übernahmeverträgen, schon weil die Konsortialbanken ihre Investoren von durch Großabgaben hervorgerufenem Preisdruck schützen wollen. Marktschutzvereinbarungen sind gemäß Ziffer 7.3 von Anhang III der EU-Prospektverordnung (voraussichtlich künftig Ziffer 7.4 von Anhang II der neuen EU-Prospektverordnung VO 2017/1129) im Prospekt offen zu legen. 56 Beim genehmigten Kapital kann sich der Vorstand im Rahmen seiner Finanzierungsverantwortung für die Gesellschaft zur Nichtausnutzung verpflichten (Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/292b). Da es sich quasi um eine negative Ausnutzungsentscheidung handelt, empfiehlt es sich, die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen. Zur Zulässigkeit des Verzichts auf Ausübung des genehmigten Kapitals: Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rz. 78. 57 Vorstand und Vorsitzender des Aufsichtsrats sind gegenüber der Gesellschaft zur Anmeldung verpflichtet; Hüffer/Koch, AktG, § 184 Rz. 3. 58 Bei einer erstmaligen Börseneinführung enthält der Übernahmevertrag meist eine Regelung, dass die Zulassung gemeinsam mit den Konsortialbanken beantragt und das entsprechende Verfahren betrieben wird, s. hierzu Groß in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 40 Rz. 56.
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rung verbundenen Berichts- und Veröffentlichungspflichten. Im Hinblick auf eine in der Zukunft möglicherweise anstehende Aufgabe der Notierung (sog. delisting) sollte die Verpflichtung aber nicht zeitlich unbegrenzt gelten. Ein Zeitraum von fünf Jahren dürfte angemessen sein. Sollen im Rahmen des Platzierungsangebotes auch institutionelle Investoren in den USA angesprochen werden59, haben Emittent und Altaktionäre außer dem eine Reihe von Verhaltenspflichten, die sich aus US-amerikanischen Wertpapiergesetzen ableiten, zu beachten. Die Formulierungen sind durch gesetzliche Vorgaben weitgehend festgelegt. Auf sie soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden.
29.55
d) Verpflichtungen der Konsortialbanken bezüglich Verkaufsbeschränkungen Wie bereits ausgeführt, tragen die Konsortialbanken die Hauptverantwortung für den ordnungsgemäßen Angebots- und Platzierungsprozess. Hierzu gehört auch die Beachtung der einschlägigen Wertpapiergesetze in Ländern, in denen Investoren angesprochen werden sollen. Eine entsprechende Zusicherung geben die Konsortialbanken regelmäßig bezüglich der bei Abschluss des Übernahmevertrages schon beendeten Teilschritte des Angebotes ab. Für die danach noch folgenden Maßnahmen verpflichten sie sich zur Einhaltung der maßgeblichen Bestimmungen auch für sie Zukunft.
29.56
7. Haftungsfreistellung Die Platzierungsbanken verlassen sich regelmäßig nicht auf die gesetzlichen Folgen einer Vertragsverletzung seitens des Emittenten. Marktüblich ist vielmehr eine detailliert ausformulierte Klausel, in der diese Folgen im Einzelnen angesprochen werden, bis hin zur Art und Weise der Führung von Prozessen mit etwaigen Drittklägern.
29.57
a) Freistellung von Prospekthaftung Zentrale Bedeutung hat die Freistellung von der Haftung für einen unrichtigen Prospekt60. Dementsprechend sieht die marktübliche Klausel im Übernahmevertrag etwas wortreich die Freistellung von jeglichen Verlusten, Ansprüchen, Schäden oder Haftungsverbindlichkeiten vor, denen eine an der Emission beteiligte Bank in Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder angeblichen Unrichtigkeit des Prospekts (mit Ausnahme derjenigen Angaben, für die die Konsortialbanken ausdrücklich die Haftung übernommen haben) ausgesetzt ist. Auf den ersten Blick verwundern mag die Freistellung für eine angebliche Unrichtigkeit. Damit ist z.B. der Fall gemeint, dass ein Investor einen Prospektmangel behauptet, eine Bank verklagt, schließlich aber unterliegt, weil das Gericht den Prospekt für ordnungsgemäß hält. Jedoch können auch in dieser Konstellation der betroffenen Bank für die Rechtsverteidigung erhebliche Kosten entstehen, die sie möglicherweise vom unterle59 Sog. Rule 144A-Platzierung, benannt nach der entsprechenden Rule aufgrund des U.S. Securities Act von 1933. Sollen nicht nur institutionelle Anleger, sog. QIBs (qualified institutional buyers), angesprochen worden, ist die Registrierung der Emission in den USA erforderlich. Der damit verbundene Aufwand ist erheblich. Im Übrigen scheuen deutsche Emittenten heutzutage die als übermäßig streng empfundenen amerikanischen Corporate Governance Bestimmungen, denen sie sich bei einer Börseneinführung in den USA zu unterwerfen hätten. 60 Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rz. 28.
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genen Kläger nicht voll erstattet erhält. Da die Bank die Prospekthaftung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 4 WpPG im Interesse des Emittenten bzw. verkaufenden Altaktionärs übernimmt und den Prospektinhalt nur eingeschränkt überprüfen kann, ist es sachgerecht, sie auch in diesem Fall vor Schaden zu schützen. b) Freistellung von den Folgen einer Vertragsverletzung
29.59 Oft erstreckt sich die Freistellungsverpflichtung auf Schäden, die aus einer Vertragsverletzung seitens des Emittenten herrühren. Unbedingt erforderlich ist dies nicht. Zum einen haben die Platzierungsbanken in diesen Fällen regelmäßig gesetzliche Ansprüche. Zum anderen ist die praktische Bedeutung gering, weil der Emittent in aller Regel ein vorrangiges Interesse am erfolgreichen Abschluss der Emission hat und seine Mitwirkungspflichten regelmäßig erfüllt61. Über das Ziel hinaus schießt die in manchen Verträgen auftauchende Formulierung, wonach die Freistellung auch für „behauptete“ (alleged) Vertragsverletzungen gelten soll. Was bei der von einem Dritten geltend gemachten Unrichtigkeit des Prospekts durchaus seinen Sinn hat, ist im Verhältnis der Vertragsparteien untereinander eher kurios. Es ist kaum sachgerecht, die Gegenseite zur Erstattung von Kosten, z.B. für Rechtsberatung, zu verpflichten, die einer Vertragspartei in Zusammenhang mit der bloßen Behauptung einer Verletzung des Übernahmevertrages entstanden sind. Hierbei handelt es sich um eine kautelarjuristische Übertreibung, die auf die undurchdachte Übertragung juristischer Konzepte zurückgeht. c) Aktienrechtliche Grenzen der Freistellung
29.60 Seit jeher ist unter den rechtlichen Beratern bei Aktienplatzierungen umstritten, ob eine
Aktiengesellschaft derart weitreichend Freistellungsverpflichtungen rechtswirksam begründen kann. Zweifel ergaben sich im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen effektiver Kapitalaufbringung bzw. Kapitalerhaltung bei der AG einerseits und der im Gesetz vorgesehenen Prospekthaftung des Emittenten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 WpPG (ab 21.7.2019 Art. 11 Abs. 1 Satz 2 VO 2017/1129) andererseits62. In Bezug auf die Emission neuer, aus einer Kapitalerhöhung stammender Aktien könnte man eine Schadensersatzzahlung des Emittenten an eine Bank wegen eines unrichtigen Prospekts63 als unzulässige Einlagenrückgewähr ansehen, wenn die empfangende Bank die Aktien gezeichnet hat64. Bei der Platzierung von Altaktien kann man argumentieren, die interne Haftungsübernahme diene nur den Interessen des veräußernden Aktionärs, so dass Zahlungen der Gesellschaft aufgrund der Freistellungsvereinbarung eine mittelbare Leistung an einen Aktionär darstellen, die das Rückgewährverbot gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verletzt.
29.61 Für den Fall der Platzierung von neuen Aktien ist die Rechtslage geklärt. Sowohl die herr-
schende Meinung in der Literatur als auch die Rechtsprechung erkennen den Vorrang der 61 Denken könnte man eventuell an die Nichtbeachtung von Verkaufsbeschränkungen, die sich die Banken zurechnen lassen müssen und für die sie zur Verantwortung gezogen werden. 62 Dabei muss zwischen der Außenhaftung gegenüber den Aktionären und der Haftungsverteilung zwischen den Gesamtschuldnern der Außenhaftung unterschieden werden. Bei der Außenhaftung mehren sich die Befürworter einer uneingeschränkten Haftung wegen Fehlinformation des Kapitalmarktes. S. hierzu Rz. 41.7 f. 63 Zu Voraussetzungen und Umfang der Prospekthaftung s. § 41. 64 Die Zeichnung darf nicht an Bedingungen geknüpft sein, § 185 Abs. 2 AktG. Zur Frage der Zulässigkeit eines Widerrufsrechts s. LG Frankfurt a.M. v. 26.2.1999 – 3-11 T 15/99, AG 1999, 472.
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kapitalmarktrechtlichen Haftung einer Aktiengesellschaft an, die sich zur Generierung neuen Eigenkapitals an das Investorenpublikum wendet65. Da die Gesellschaft bei einem Prospektmangel den Aktionären auch unmittelbar haftet, besteht kein Anlass, den nur aus Vereinfachungsgründen bei der Abwicklung der Emission dazwischengeschalteten Konsortialbanken den Rückgriff gegen den Emittenten zu versagen. Die bei einem Wertpapierprospekt gemäß § 5 Abs. 4 Satz 4 WpPG vorgeschriebene zusätzliche Haftungserklärung jedenfalls einer emissionbegleitenden Konsortialbank für Zwecke der Zulassung dient nur der Schaffung eines zusätzlichen Haftungssubjekts zum Schutze des Anlegers und präjudiziert in keiner Weise die alleinige Haftungszuweisung an die Gesellschaft im Innenverhältnis. Anders ist die Situation bei der Platzierung bestehender Aktien. In diesem Fall fließen der Gesellschaft keine neuen Mittel zu. Der Platzierungserlös kommt nur den verkaufenden Altaktionären zugute. Die Übernahme der Prospekthaftung jedenfalls im Verhältnis zu den Altaktionären ist daher nicht ohne weiteres im Interesse der Gesellschaft. Der BGH sieht hier bereits in der Übernahme der Prospekthaftung durch die Gesellschaft eine verbotene Einlagenrückgewähr gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG, wenn der veräußernde Aktionär die Gesellschaft nicht von der Prospekthaftung freistellt66. Die Leistung der Gesellschaft bestehe darin, dass sie sich gegenüber dem Aktionär zur Erstellung des Prospekts verpflichte und für diesen gegenüber den Anlegern die Haftung übernehme67. Ein etwaiges durch die Anteilsveräußerung entstehendes Eigeninteresse der Gesellschaft könne nur dann im Rahmen des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG berücksichtigt werden, wenn es sich dabei um einen konkreten, bilanzierbaren Aktivposten handele. Dies resultiere aus der rein bilanziellen Betrachtungsweise des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG. Vor diesem Hintergrund könne 65 Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 37; Technau, AG 1998, 445, 454; Heider in FS Sigle, 2000, S. 251, 258; Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, §§ 44, 45 BörsG Rz. 13; OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.1999 – 21 U 260/97, ZIP 1999, 1005; Schneider, S. 97 f. jedenfalls bei der Haftung für von der Gesellschaft stammende Angaben. Insbesondere führt der Umstand, dass die die neuen Aktien übernehmende Konsortialbank vorübergehend Aktionär ist, nicht zu einer verbotenen Einlagenrückgewähr, Bayer in MünchKomm. AktG, § 57 Rz. 80. Auch die anschließende Platzierung beim Ersterwerb der Aktien gilt nach h.M. als Umsatzgeschäft, so dass einem etwaigen Prospekthaftungsanspruch das Kapitalaufbringungsgebot nicht entgegensteht (zum Meinungsstand s. Rz. 41.6 f.). 66 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Dritter Börsengang, NJW 2011, 2719 = AG 2011, 548. Im Ergebnis wie der BGH bereits die 1. Instanz (LG Bonn v. 1.6.2007 – 1 O 552/05, ZIP 2007, 1267 = AG 2007, 715), die bei einer reinen Sekundärplatzierung in der Übernahme der Prospekthaftung durch die Aktiengesellschaft eine gegen § 57 AktG verstoßende Vermögenszuwendung sieht; ebenso Bayer in MünchKomm. AktG, § 57 Rz. 80; differenzierend Heider in FS Sigle, 2000, S. 251, 264. Für das Verhältnis zwischen Vermögensbindung bei der AG und vorsätzlich sittenwidriger Schädigung vgl. BGH v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270 = AG 2005, 609. Für die Wirksamkeit der Haftungsfreistellung bei der Platzierung von Altaktien hingegen: Schlitt, CFL 2010, 304, Schwark in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, §§ 44, 45 BörsG Rz. 13 in Anlehnung an die Vorinstanz (OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.1999 – 21 U 260/97, ZIP 1999, 1005), die einen Konflikt mit dem Kapitalerhaltungsgebot gemäß § 57 AktG nur gegenüber solchen Aktionären gesehen hatte, die ihre Aktien unmittelbar durch Zeichnung erworben haben. 67 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Dritter Börsengang, NJW 2011, 2719, 2720 = AG 2011, 548, 549 Rz. 15; so schon Fleischer, ZIP 2007, 1969, 1973; Schäfer, ZIP 2010, 1877, 1880 f.; Techau, AG 1998, 445, 457; Podewils, NZG 2009, 1101, 1102; Leuschner, NJW 2011, 3275; a.A. Wackerbarth, WM 2011, 193, 200; Schlitt, CFL 2010, 304, 309; Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747, 767.
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in der Regel nur eine Freistellungsvereinbarung als Kompensation dienen68. Diese Auffassung ist in der Literatur69 zu recht überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Sie verkennt, dass auch bilanziell nicht anzusetzende Werte (wie z.B. ersparter Werbeaufwand70) einen angemessenen Gegenwert bilden können. Nach einer – in den Details differierenden – Literaturansicht71 sollen trotz fehlender Bilanzierbarkeit konkrete und bezifferbare Vorteile der AG als Kompensation geeignet sein. Doch auch diese Auffassung erscheint noch zu eng. Mit der extensiven Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Leistung“ i.S.v. § 57 AktG muss eine extensive Auslegung des diese kompensierenden Vorteils einhergehen. Dazu können grundsätzlich auch weiche Faktoren gehören wie die Verminderung der Einflussmöglichkeiten eines Großaktionärs durch Stärkung des Streubesitzes. Abhängig von der bisherigen Politik des Großaktionärs können sich dadurch die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft entscheidend verbessern, ohne dass dieser Vorteil ohne weiteres bezifferbar wäre. Gleiches gilt für die Zweitnotierung der Aktien an einer ausländischen Börse. Wie diese Überlegungen zeigen, ist schon der Ausgangspunkt BGH, wonach ein Eigeninteresse der Gesellschaft nur berücksichtigungsfähig sei, wenn es sich in einem bilanzierbaren Aktivposten niederschlage, verfehlt. Hier werden zwei Fragen vermischt. Wenn die Haftungsübernahme durch einen Aktivposten in der Bilanz kompensiert wird, fehlt es bereits an einer relevanten Vermögensminderung. Auf das Eigeninteresse der Gesellschaft kommt es dann nicht mehr an72. Erst wenn kein bilanzierbarer Ausgleichsposten vorliegt, ist nach dem Eigeninteresse der Gesellschaft zu fragen. Für ein solches Eigeninteresse sprechen regelmäßig alle anerkennenswerte Vorteile aus der Aktienplatzierung, ob bezifferbar oder nicht73. In jedem Fall empfiehlt es sich, die der Gesellschaft entstehenden Vorteile schriftlich, und – mit Rücksicht auf die wohl herrschende Auffassung in der Literatur – soweit möglich beziffert74 festzuhalten. Fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Platzierung der Aktien zumindest mittelbar im Interesse der Gesellschaft ist, kommt die Zahlung einer Haftungsvergütung durch den die 68 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Dritter Börsengang, NJW 2011, 2719, 2721 = AG 2011, 548, 550 Rz. 25; so schon Schäfer, ZIP 2010, 1877, 1882; Podewils, NZG 2009, 1101, 1102; Ziemons, GWR 2011, 404. 69 Habersack in FS Hommelhoff, 2012, S. 303, 306 ff.; Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747, 767, 773 f.; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1082 f. (nicht bilanzielle Erfassbarkeit, sondern konkrete Bezifferbarkeit entscheidend); Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 131 ff.; Arbeitskreis zum Deutsche Telekom III-Urteil, CFL 2011, 377, 378. 70 Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1082 hingegen halten die Werbung für grundsätzlich aktivierbar. 71 Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1082; Arbeitskreis zum Deutsche Telekom III-Urteil, CFL 2011, 377, 378; Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747, 773; nach Podewils, NZG 2009, 1101, 1102 ist das Eigeninteresse der Gesellschaft überhaupt nicht berücksichtigungsfähig. 72 Die Ansicht des BGH ist insofern nicht mit der bilanziellen Betrachtungsweise vereinbar und somit in sich widersprüchlich. Sie verkennt, dass ein Freistellungsanspruch erst aktiviert werden kann, wenn die Verbindlichkeit, von der der Schuldner freigestellt werden soll, konkret bezifferbar entstanden ist, d.h. nach endgültiger Feststellung des Prospekthaftungsschadens. 73 In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen des Arbeitskreises zum Deutsche Telekom IIIUrteil, CFL 2011, 377, 378, der danach fragt, wer die Haftungsübernahme veranlasst hat. Dieses Kriterium kann in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten bereiten. Es kann nicht entscheidend sein, ob die Gesellschaft oder der Großaktionär den ersten Anstoß für die Aktienplatzierung gegeben hat. Maßgeblich ist, ob die Platzierung allein im Interesse des Großaktionärs erfolgt oder ob die Gesellschaft damit auch eigene Belange verfolgt. Damit bestimmt sich die Veranlassung letztlich wieder nach der Interessenlage. 74 Z.B. der durch eine Werbekampagne im Rahmen der Platzierung ersparte eigene Werbeaufwand (Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1082).
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
Aktien veräußernden Aktionär in Betracht75. Dabei wäre es zu eng, lediglich einen Freistellungsanspruch gegen den seine Aktien veräußernden Aktionär als Kompensation genügen zu lassen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Freistellungsverpflichtung des Aktionärs nicht auch durch eine Prospekthaftpflichtversicherung zugunsten der Gesellschaft kompensiert werden kann. Diese Versicherung kann die Gesellschaft selbst oder der Aktionär abschließen. Entscheidend ist allein, dass der Aktionär die Versicherungsprämien bezahlt76. Festzuhalten ist, dass auch im Falle einer nicht ausgeglichenen Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 AktG, d.h. bei fehlendem Eigeninteresse der Gesellschaft an der Übernahme der Prospekthaftung, die Wirksamkeit der Freistellung der an der Platzierung mitwirkenden Banken unberührt bleibt77. Diese gilt auch für den Fall, dass die Banken bei einer Sekundärplatzierung aus abwicklungstechnischen Gründen ausnahmsweise vorübergehend selbst Aktionäre werden sollten. Die Banken übernehmen in diesem Fall die Prospekthaftung im Rahmen ihrer Dienstleistung für die Beteiligten. Ihr wirtschaftliches Interesse an der Platzierung beschränkt sich auf die vereinbarte Provision, die eine Übernahme des Haftungsrisikos im Innenverhältnis regelmäßig nicht abdeckt. Verschiedentlich werden Zweifel an der Rechtswirksamkeit der umfassenden Freistellung von Prospekthaftung damit begründet, die den Prospekt unterzeichnenden Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute78 hätten im Sinne einer kapitalmarktrechtlichen Garantenstellung eine eigene Prüfungspflicht hinsichtlich der von ihnen verbreiteten Kapitalmarktinformationen, von der sie sich nicht durch eine vollständige Haftungsfreistellung im Innenverhältnis befreien dürfen. Diese Zweifel sind unberechtigt. Ihrer Verantwortung gegenüber dem Anlegerpublikum werden die emissionbegleitenden Institute bereits durch die gesetzlich angeordnete Prospektaußenhaftung gerecht. Insbesondere für den gravierendsten Schadensfall, der Insolvenz des Emittenten, wird den Investoren dadurch ein solventer Haftungsschuldner verschafft. Schon aus diesem Grund wird das Institut seine Prüfungsmöglichkeiten hinsichtlich des Prospekts ausschöpfen. Ob sich das Institut ggf. im Innenverhältnis beim Emittenten erholen kann, ist für das Schutzinteresse des Anlegers nicht relevant79.
29.63
d) Kreis der freistellungsberechtigten Personen Die Freistellung erstreckt sich ihrem Wortlaut nach nicht nur auf die Konsortialbanken als juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften, sondern auch auf ihre Organe, Angestellten und Gesellschafter. Dies entspricht der Übung im angelsächsischen Rechts75 Da die Beteiligten regelmäßig von der Vollständigkeit und Richtigkeit des Prospektes ausgehen, sind Wahrscheinlichkeit und Höhe eines Schadens ex ante nicht bezifferbar. Es reicht daher, wenn der Altaktionär eine marktgerechte, einer Versicherungsprämie vergleichbare Haftungsvergütung zahlt. Eine vollständige Freistellung der Gesellschaft von etwaigen Haftungsschäden ist nicht erforderlich; vgl. dazu Leuering, NJW 2011, 3275, 3276. 76 Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747, 772; Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 137; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328, 338; Arbeitskreis zum Deutsche Telekom III-Urteil, CFL 2011, 2719, 377, 379; Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1083; Habersack in FS Hommelhoff, 2012, S. 303, 311. 77 Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 148 f. 78 Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 4 WpPG ist der Zulassungsantrag und damit auch der Prospektentwurf von Emittent und antragstellendem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut zu unterzeichnen. 79 Eine andere Frage ist, ob sich das Institut vom Emittenten entgegenhalten muss, es habe den Prospektinhalt selbst geprüft und trage deshalb eine Mitschuld. Dagegen spricht jedoch, dass die Prüfungsmöglichkeiten des Instituts aus praktischen Gründen stets beschränkt sind und nur der Emittent in der Lage ist, für die Vollständigkeit und Richtigkeit des Prospekts zu sorgen.
Haag | 991
29.64
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
raum, wo es wesentlich leichter ist als z.B. in Deutschland, auch die für ein Unternehmen handelnden natürlichen Personen80 oder deren Gesellschafter im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch zu nehmen. e) Rechtsverteidigung
29.65 Die marktübliche Vertragsbestimmung zur Haftungsfreistellung regelt auch Einzelheiten
der Rechtsverteidigung gegenüber Haftungsklagen Dritter. Grund dafür ist das Auseinanderfallen von Beklagtem, der Konsortialbank, und Träger des wirtschaftlichen Risikos des Prozesses, dem Emittenten. Um sicherzustellen, dass die erstattungsberechtigte Bank den Prozess sorgfältig und im Interesse des Emittenten führt, kann dieser in vielfältiger Weise Einfluss nehmen, von der Auswahl der Rechtsanwälte über den Inhalt der Schriftsätze bis hin zur Einlegung von Rechtsmitteln oder dem Abschluss von Vergleichen. Dieses Prinzip ist eingeschränkt, soweit die verklagte Bank schutzwürdige Eigeninteressen hat, die bei einer durch den Emittenten koordinierten Prozessführung nicht gewahrt werden können. f) Freistellung des Emittenten durch die Konsortialbanken
29.66 Jedenfalls soweit die Konsortialbanken ausdrücklich die Verantwortung für die von ihnen zugelieferten Prospektinformationen übernommen haben (vgl. dazu Rz. 29.46), ist es üblich, von ihnen eine spiegelbildliche Freistellungserklärung zugunsten des Emittenten und ggf. der Altaktionäre zu verlangen. In seltenen Fällen findet man weitergehende Freistellungsverpflichtungen der Banken ausdrücklich im Vertrag geregelt, z.B. für die fahrlässige Verletzung von Verkaufsbeschränkungen. Hierfür reichen in der Regel die gesetzlichen Ansprüche bei Vertragsverletzung aus.
8. Bedingungen für die weitere Vertragsdurchführung 29.67 Die erfolgreiche Durchführung der Platzierung hängt davon ab, dass der Emittent seine
Mitwirkungspflichten zu bestimmten Zeitpunkten erfüllt. Außerdem dürfen sich bis zur Abrechnung der Emission mit den Investoren (Lieferung der Aktien gegen Zahlung des Platzierungspreises) weder die wirtschaftliche Situation des Emittenten noch die Verhältnisse an den internationalen Kapitalmärkten wesentlich negativ verändert haben (wesentliche nachteilige Änderung der Verhältnisse). Der Übernahmevertrag sieht daher für die Verpflichtung der Konsortialbanken, die neuen Aktien zu zeichnen bzw. den vereinbarten Platzierungspreis zu zahlen, eine Reihe von Bedingungen vor81. 80 Auch hierzulande gibt es Tendenzen, die persönliche Haftung von Managern für die Fehlinformation des Kapitalmarktes gesetzlich zu verankern. Nach heftigen Protesten aus der Wirtschaft hat die Bundesregierung den Entwurf für ein Kapitalmarktinformations-Haftungsgesetz (KapInHaG) im November 2004 zurückgezogen. 81 Dabei handelt es sich im Wesentlichen um aufschiebende Bedingungen. Das Konzept der aufschiebenden Bedingung passt aber nicht für den Fall einer wesentlichen nachteiligen Änderung der Verhältnisse (vgl. Rz. 29.74), die ihrer Natur nach eine auflösende Bedingung ist. Andernfalls wäre die Bedingung erst eingetreten, wenn die Banken endgültig darauf verzichtet hätten, eine nachteilige Änderung geltend zu machen, wozu sie nicht bereit sein werden. In der Praxis wird üblicherweise offen gelassen, ob eine Bedingung des Übernahmevertrages aufschiebend oder auflösend ist.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
Mit der Zeichnung der neuen Aktien durch die beauftragte Konsortialbank (vgl. dazu Rz. 29.15) übernimmt das Bankenkonsortium erstmalig ein Vorleistungsrisiko. Auch wenn die Aktien zum Mindestnennbetrag bei Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder zum geringsten Ausgabebetrag bei Stückaktien (§ 8 Abs. 3 Satz 3 AktG) von je 1 Euro ausgegeben werden, kann der Gesamtzeichnungsbetrag erhebliche Größenordnungen erreichen82. Die in der Praxis übliche Einzahlung von zunächst nur einem Viertel des Ausgabebetrages (vgl. § 188 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 36a Abs. 1 AktG) wirkt sich nicht risikomindernd aus, weil der restliche Ausgabebetrag der Gesellschaft auch dann geschuldet wird, wenn die weitere Platzierung scheitert83. Nach Eintragung der Kapitalerhöhung ist der nächste unter Risikogesichtspunkten relevante Schritt die Abrechnung mit den Investoren und die Weiterleitung des Erlöses an den Emittenten. Danach sind die Aktien im Markt und die Banken der vollen Prospekthaftung ausgesetzt. Der Übernahmevertrag knüpft deshalb für die Zeitpunkte, an denen die Bedingungen erfüllt sein müssen, an der Aushändigung des Zeichnungsscheins einerseits und der Zahlung des Emissionserlöses andererseits an84. Den Konsortialbanken bleibt das Recht vorbehalten, auf die Erfüllung einzelner Bedingungen zu verzichten, um die Platzierung nicht ungewollt zum Stillstand zu bringen.
29.68
a) Legal Opinions, Disclosure Opinions und Comfort Letter Zu den vor der Zeichnung vom Emittenten zu erfüllenden Bedingungen gehört an erster Stelle die Beibringung von sog. Legal und Disclosure Opinions sowie Comfort Letters. Die Legal Opinions sind standardisierte Rechtsgutachten in Kurzform, in denen sowohl die Rechtsberater des Emittenten als auch die der Konsortialbanken zu bestimmten Rechtsfragen Stellung nehmen, deren positive Beantwortung für den weiteren Platzierungsprozess elementar ist (zu den Legal Opinions im Einzelnen vgl. § 35). Hierzu zählen unter anderem die wirksame Errichtung und das Bestehen der emittierenden Aktiengesellschaft, die rechtswirksame Unterzeichnung des Übernahmevertrages und anderer, damit in Zusammenhang stehender Verträge durch den Emittenten, die juristische Unbedenklichkeit dieser Verträge sowie die Feststellung, dass die nach Satzung und Aktienrecht erforderlichen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Kapitalerhöhung vorliegen. Die Legal Opinions werden an die Konsortialbanken adressiert. Sie sind i.d.R. vor Zeichnung neuer Aktien und vor Zahlung vorzulegen. Die Legal Opinions bei Zahlung enthalten im Wesentlichen eine bloße Bestätigung der Aussagen in den früheren Opinions. Bei der Emission neuer Aktien kommt regelmäßig noch eine Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit der inzwischen eingetragenen Kapitalerhöhung hinzu. 82 Bei der ersten Tranche der Privatisierung der Deutsche Telekom AG 1996 haben die drei globalen Koordinatoren für Rechnung des Bankenkonsortiums insgesamt 600 Mio. Stück Aktien gezeichnet. 83 Die Rückgabe der Aktien an die Gesellschaft scheitert auch bei vorhandener Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien am Gleichbehandlungsgebot (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 i.V.m. § 53a AktG). 84 Ob darüber hinaus auch aufschiebende Bedingungen für die Zahlung im Hinblick für die sog. Greenshoe-Tranche (vgl. Rz. 29.24) angemessen sind, sehen die einzelnen Emissionshäuser unterschiedlich. Dagegen spricht, dass bei Ausübung der Option die Aktien regelmäßig bereits platziert sind, die Banken lediglich ihre Verpflichtung aus der Wertpapierleihe erfüllen wollen und mit der Übernahme keine Marktrisiken mehr eingehen. Im Hinblick auf Haftungsrisiken gegenüber dem Entleiher der platzierten Aktien wäre es jedoch nicht unbillig, eine Legal Opinion zur Rechtsbeständigkeit der Greenshoe-Aktien zu verlangen.
Haag | 993
29.69
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
29.70 Disclosure Opinions sind anwaltliche Erklärungen zum Prospektinhalt (bzgl. Funktion
und Aufbau der Disclosure Opinions vgl. Rz. 35.51 f.). Dabei wird nicht etwa in Bausch und Bogen bestätigt, der Prospekt sei inhaltlich richtig und vollständig. In der Disclosure Opinon berichtet der Anwalt in formalisierter Weise über das Ergebnis der von ihm durchgeführten rechtlichen Due Diligence-Prüfung. Die Kernaussage der Disclosure Opinion ist, dass dem die rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaften prüfenden Juristen keine bewertungserheblichen Umstände zur Kenntnis gelangt sind, die im Prospekt offenzulegen wären und nicht offengelegt wurden. Mit dieser Erklärung können sich die Konsortialbanken in einem etwaigen Prospekthaftungsprozess von dem Vorwurf entlasten, sie seien bei der Prüfung von den Emittenten betreffenden Rechtsfragen nicht sorgfältig vorgegangen und hätten daher grob fahrlässig i.S.v. § 23 Abs. 1 WpPG gehandelt. Opinions werden üblicherweise vor Veröffentlichung des Wertpapierprospekts erwartet. U.U. verlangen die Konsortialbanken danach noch ein oder mehrmals Bestätigungen, dass keine neuen Vorkenntnisse vorliegen, z.B. vor Zeichnung der Aktien und vor Lieferung der Aktien an die Investoren. Disclosure Opinions werden üblicherweise von den anwaltlichen Beratern des Emittenten und der Konsortialbanken abgegeben85, bei einer Platzierung in den USA zusätzlich auch von deren jeweiligen US-amerikanischen Anwälten86.
29.71 Bei den Comfort Letters handelt es sich um Bestätigungen des Wirtschaftsprüfers des Emittenten bezüglich der im Prospekt enthaltenen Zahlen, insbesondere der Jahresabschlüsse87. Auch die Comfort Letters werden zu mehreren Zeitpunkten in Laufe der Transaktion eingeholt. b) Weitere Dokumente
29.72 Zusätzlich zu den in Rz. 29.69, 29.70 genannten Unterlagen kann der Übernahmevertrag
die Vorlage weiterer Dokumente zur Bedingung für den Fortgang der Transaktion machen. Üblich ist eine Erklärung des Vorstandes, dass alle Gewährleistungen zum betreffenden Datum zutreffen und der Emittent alle bis dahin zu erfüllenden Verpflichtungen erfüllt hat. Nach Eintragung der Kapitalerhöhung wird ferner regelmäßig die Übergabe eines beglaubigten Handelsregisterauszuges verlangt, der den neuen Stand des Grundkapitals reflektiert. Zur Lieferung der Aktien an die Investoren ist außerdem die Übergabe einer Aktien-Sammelurkunde erforderlich, die bei Clearstream Banking AG als Wertpapiersammelbank eingeliefert wird. Schließlich müssen sich die Parteien über den Platzierungspreis geeignet und zu diesem Zweck den Preisfestsetzungsvertrag unterzeichnet haben. 85 Bei kleineren Transaktionen sehen die Konsortialbanken oft eine Disclosure Opinion durch den Anwalt des Emittenten als ausreichend an. Dadurch können erhebliche Kosten gespart werden, weil der Bankenanwalt in diesem Fall keine eigene Due Diligence-Prüfung durchführen muss. 86 Da nach US-amerikanischem Verständnis der dem (gebilligten) Wertpapierprospekt entsprechende Marketingprospekt (red herring) nur vorläufigen Charakter hat und später ergänzt werden kann (subject to completion), kommt es immer wieder zu Friktionen, wenn die Banken auch von amerikanischen Anwälten eine Disclosure Opinion auf diese Prospektversion verlangen. Jede spätere Ergänzung ist potentiell geeignet, die ursprüngliche Disclosure Opinion zu widerlegen. 87 Zu den Comfort Letters, insbesondere auch den mit ihnen verbundenen schwierigen Haftungsfragen, vgl. Rz. 34.17.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
c) Börsennotierung Die Erwerber wollen unmittelbar nach Erhalt der Aktien über die Börse handeln können. Deshalb müssen die Voraussetzungen für die Notizaufnahme spätestens beim Closing88, d.h. der Lieferung der Aktien an die Investoren gegen Zahlung des Platzierungspreises erfüllt sein. Regelmäßig streben die Platzierungsbanken an, den Börsenhandel schon mit der Zuteilung der Aktien, d.h. zwei Geschäftstage vor Closing beginnen zu lassen89. Damit soll eine etwaiger grauer Markt in den Aktien verhindert werden.
29.73
d) Wesentliche nachteilige Änderung der Verhältnisse Die wesentliche nachteilige Änderung der Verhältnisse meint den Eintritt eines Ereignisses höherer Gewalt, das den Erfolg der weiteren Platzierung in Frage stellt. In diesem Fall sollen die Banken berechtigt sein, den Platzierungsprozess vorübergehend anzuhalten oder die Platzierung abzusagen. Eine wesentliche nachteilige Änderung kann in der Sphäre des Emittenten oder im Bereich der internationalen Kapitalmärkte begründet sein. Eine relevante Veränderung beim Emittenten ist z.B. die plötzlich eingetretene, erhebliche Verschlechterung der Finanz- oder Ertragslage des Emittenten, die nicht bereits aus den Angebotsunterlagen hervorgeht. In Bezug auf die Kapitalmärkte sollen nicht vorhergesehene Entwicklungen wie z.B. ein Zusammenbruch der Aktienmärkte oder Turbulenzen auf den Devisenmärkten erfasst werden90.
29.74
In der üblichen Systematik des Übernahmevertrages ist der Nichteintritt der nachteiligen Änderung als Bedingung für die weitere Vertragserfüllung formuliert. Die (auflösende) Bedingung gilt als eingetreten, wenn die Konsortialführer die nachteilige Änderung feststellen. In den Verhandlungen über den Übernahmevertrag wird häufig kontrovers diskutiert, ob die Bankenseite allein das Recht haben soll, den Fall der nachteiligen Änderung festzustellen oder ob dazu das Einvernehmen des Emittenten bzw. abgebenden Aktionärs erforderlich ist. Da in kritischen Fällen es eher das Interesse der Banken sein wird, ihre Kunden zu schützen, während Emittent bzw. abgebende Aktionäre lieber mit der Platzierung fortfahren wollen, würde bei dieser Vertragsgestaltung die Uneinigkeit der Parteien dazu führen, dass der Fall der nachteiligen Änderung nicht festgestellt und die Emission fortgesetzt wird. Das ist für die Bankenseite regelmäßig nicht akzeptabel. Als Kompromiss wird häufig eine Verpflichtung der Banken vorgesehen, den Emittenten bzw. die abgebende Aktionäre zu konsultieren, bevor sie sich auf höhere Gewalt berufen, es sei denn, es ist eine sofortige Entscheidung erforderlich.
29.75
Ein Fall der nachteiligen Änderung der Verhältnisse kann grundsätzlich bis zum Abschluss der Platzierung, d.h. der Lieferung der Aktien an die Investoren gegen Zahlung des Kaufpreises reklamiert werden. Die Emission kann also selbst dann noch angehalten werden, wenn die Aktien bereits zugeteilt wurden und wirksame Kaufverträge mit den Erwerbern
29.76
88 Gemäß § 52 BörsZulV dürfen zugelassene Wertpapiere frühestens an dem auf die erste Veröffentlichung des Prospekts folgenden Werktag in den Börsenhandel eingeführt werden. 89 Dies ist gemäß § 38 Abs. 2 BörsG zulässig. Der Börsenhandel vor Zuteilung wäre ein „per Erscheinen“, der wegen der damit verbunden Unsicherheiten bezüglich der Belieferbarkeit abgeschlossener Handelstransaktionen unerwünscht ist. 90 Bei der Privatisierung der British Petroleum im Jahre 1987, die mit dem Aktiencrash im Oktober zusammenfiel, haben die Konsortialbanken Hunderte Millionen Pfund verloren, weil der Vertrag keine Möglichkeit vorsah, die Platzierung wegen höherer Gewalt anzuhalten.
Haag | 995
§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
der Aktien zustande gekommen sind91. Dies gilt sogar, wenn der Börsenhandel bereits aufgenommen wurde92.
9. Vertragsstörungen 29.77 Zu einer Störung bei der Durchführung des Übernahmevertrages kommt es, wenn entwe-
der eine der vereinbarten Bedingungen nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt wurde bzw. eine auflösende Bedingung eingetreten ist oder eine oder mehrere Konsortialbanken ihrer Verpflichtung nicht nachkommen (können), Aktien gegen Zahlung des vereinbarten Preises abzunehmen. Für die sich aus der Störung ergebenden Rechtsfolgen unterscheidet der Übernahmevertrag typischerweise danach, ob es sich um Altaktien oder Aktien aus einer Kapitalerhöhung handelt und in welchem Stadium der Transaktion die Störung eingetreten ist. Bei Nichterfüllung durch eine Konsortialbank ist außerdem innerhalb gewisser Grenzen eine Auffanglösung vorgesehen. a) Platzierung von Altaktien
29.78 Ein Anhalten oder Absagen der Transaktion ist im Falle bestehender Aktien unproblematisch. Soweit die Altaktionäre eine Vorleistung erbracht haben, indem sie z.B. die Aktien zur weiteren Abwicklung bereits an das Bankenkonsortium übertragen haben, ist die Rückübertragung jederzeit möglich. b) Aktien aus Kapitalerhöhung
29.79 Schwieriger kann sich die Rückabwicklung bei Aktien aus einer Kapitalerhöhung gestalten, weil mit dem Handelsregister Dritte an der technischen Umsetzung der Kapitalerhöhung beteiligt sind, deren Verhalten sich nicht jederzeit beherrschen lässt, und die auf das neue Kapital eingezahlten Mittel der strengen Vermögensbindung bei der Aktiengesellschaft unterliegen und nicht einfach zurückgezahlt werden können93. Da es sich bei der Durchführung der Kapitalerhöhung um einen mehrstufigen Prozess handelt, ist je nach Stadium der Durchführung zu unterscheiden. aa) Abbruch vor Anmeldung der Kapitalerhöhung
29.80 Hat die für das Konsortium zeichnende Bank den Zeichnungsschein zwar schon unter-
schrieben und dem Emittenten übergeben, ist die Kapitalerhöhung aber noch nicht angemeldet worden, ist der Emittent auf Verlangen der Bank verpflichtet, den Zeichnungsschein herauszugeben. Die Bank ist berechtigt, das Guthaben auf dem Kapitalerhöhungskonto zu stornieren.
91 Ein entsprechender Vorbehalt sollte ausdrücklich in das Verkaufsangebot aufgenommen werden, dessen Bedingungen zum Bestandteil des Kaufvertrages mit den Erwerbern der Aktien werden. Andernfalls lässt sich der Vorbehalt nur mit kapitalmarktrechtlichen Gepflogenheiten begründen. 92 Die Absage der Emission nach Aufnahme des Börsenhandels bedeutet, dass bereits getätigte Börsenhandelsgeschäfte annulliert werden müssen, weil sie vom Verkäufer, der die ihm zugeteilten Aktien nicht erhalten hat, nicht erfüllt werden können. Damit dürften erhebliche praktische Probleme verbunden sein, die mangels eines konkreten Anwendungsfalles bisher nicht gelöst werden mussten. 93 Die das Kapitalerhöhungskonto führende Bank kann deshalb auch dann nicht die Gutschrift stornieren, wenn die Gesellschaft darüber bisher nicht verfügt hat.
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Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
bb) Abbruch nach Anmeldung der Kapitalerhöhung Wurde die Kapitalerhöhung bereits zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet, kommt es darauf an, wie weit der Eintragungsprozess fortgeschritten ist. Vor der richterlichen Verfügung über die Eintragung liegt noch keine Entscheidung in der Sache vor94. In diesem Fall könnte der Emittent den Eintragungsantrag noch zurückziehen, um den Vollzug der Kapitalerhöhung zu verhindern. Dementsprechend sieht der Übernahmevertrag vor, dass der Emittent sich nach besten Kräften um die Rücknahme zu bemühen habe, wenn die konsortialführende Bank ihn dazu auffordert. Gelingt die Rücknahme, kann auch das Guthaben auf dem Kapitalerhöhungskonto storniert werden.
29.81
cc) Abbruch nach Eintragung der Kapitalerhöhung Die einmal eingetragene Kapitalerhöhung lässt sich nur durch eine ordentliche Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff. AktG) oder durch eine Kapitalherabsetzung mittels Einziehung von Aktien (§§ 237 ff. AktG) rückgängig machen, was jedoch praktisch nicht umsetzbar ist95. Der Übernahmevertrag sieht deshalb ein anderes Verfahren vor, um eine so weit wie möglich interessengerechte Rückabwicklung zu erreichen. Die Konsortialbanken wollen den von ihnen gezahlten Ausgabebetrag von regelmäßig 1 Euro je Aktie zurückbekommen96. Die Gesellschaft ist daran interessiert, dass die Konsortialbanken die neuen Aktien nicht einfach gegen Zahlung des geringsten Ausgabebetrages verkaufen und damit der Gesellschaft ein erzielbares Aufgeld entgeht.
29.82
Der Übernahmevertrag gibt deshalb zunächst dem Emittenten das Recht, den Banken einen oder mehrere Erwerber zu benennen, die bereit sind, die Aktien gegen Zahlung eines Kaufpreises von den Banken zu erwerben. Ist der Preis höher als der Ausgabebetrag, führen die Banken den Übererlös abzüglich Kosten an den Emittenten ab97. Diese Art der Verwertung kommt nur in Betracht, wenn der Emittent über einen Kreis aufnahmeberei-
29.83
94 Gemäß § 25 Abs. 1 HRV entscheidet der Richter über die Eintragung durch Verfügung. Der Vollzug der Eintragung durch das Schreibbüro hat keine rechtliche Wirkung. Die einmal erlassene Verfügung kann nur mit der Beschwerde angegriffen oder gemäß § 395 FamFG rückgängig gemacht werden. Dafür müsste die Eintragung aber unzulässig gewesen sein, was hier nicht gegeben ist. Der bloße Wunsch, den Zeichnungsschein zurückzuziehen, macht diesen nicht unwirksam. 95 Die ordentliche Kapitalherabsetzung scheidet schon wegen der sechsmonatigen Wartefrist gemäß § 225 Abs. 2 Satz 1 AktG und dem Anspruch der Gläubiger auf Sicherstellung (§ 225 Abs. 1 AktG) aus. Die Kapitalherabsetzung durch Einziehung verlangt einen entsprechenden Satzungsvorbehalt. Die Vorschriften für die ordentliche Kapitalherabsetzung sind außerdem nur dann nicht zu beachten, wenn das Einziehungsentgelt zu Lasten des Bilanzgewinns oder der Kapitalrücklage gebucht (§ 237 Abs. 3 Nr. 2 AktG) bzw. bei Stückaktien ohne Verminderung des Grundkapitals erfolgen kann. Die außerdem noch in Frage kommende vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG) ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig, der Rückkauf der Aktien durch die AG scheitert regelmäßig schon am Gleichbehandlungsgebot, § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 i.V.m. § 53a AktG. 96 Wenn die zeichnenden Konsortialbanken zunächst nur ein Viertel des Ausgabebetrages eingezahlt haben, haften sie für die Einzahlung des Restbetrages, solange sie Aktionäre sind. Um der Gesellschaft die Feststellung ihres Schuldners jederzeit zu ermöglichen, dürfen vor vollständiger Leistung der Einlage nur Namensaktien ausgegeben werden, § 10 Abs. 2 Satz 1 AktG. 97 Der Übererlös kann von der Gesellschaft in die Kapitalrücklage gebucht werden und stellt keinen steuerpflichtigen Ertrag dar. Der Fall ist insofern der Erlösabführung bei mittelbarem Bezugsrecht gleichzustellen.
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§ 29 | Übernahmevertrag bei Aktienemissionen
ter Großaktionäre verfügt. Erteilt der Emittent innerhalb einer bestimmten Frist keine Weisung, können die Banken die Aktien bestmöglich an Dritte verkaufen. Auch in diesem Fall ist ein etwaiger Übererlös abzuführen.
29.84 Problematisch ist diese Art der Verwertung, wenn die Aktien ursprünglich unter Aus-
schluss der Bezugsrechts der Aktionäre gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG platziert werden sollten. Der Ausschluss des Bezugsrechts ist nach dieser Bestimmung nur zulässig, wenn die Aktien zu einem Preis veräußert werden, der den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet98. Bei einer Notverwertung sind diese Bedingungen u.U. nicht mehr einzuhalten. Der Bezugsrechtsausschluss wäre damit rechtswidrig99. Als möglicher Ausweg bietet sich die nachträgliche Umgestaltung in eine Emission mit Bezugsrecht an100. Da der Bezugspreis erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist festgesetzt werden muss (§ 186 Abs. 2 Satz 2 AktG)101, kann die Gesellschaft einen weitgehend marktgerechten Emissionserlös erzielen.
c) Nichtabnahme durch eine oder mehrere Konsortialbanken
29.85 Ist eine Konsortialbank nicht in der Lage, die von ihr erworbenen Aktien gegen Zahlung
des vereinbarten Preises abzunehmen, dürfte es sich um einen Fall der Insolvenz bzw. insolvenznaher aufsichtsrechtlicher Maßnahmen gegen die Bank handeln. Da die Konsortialbanken für die Abnahme und Zahlung nicht gesamtschuldnerisch, sondern nur ihrer Quote nach haften, würden die Aktien der vertragsuntreuen Bank nicht platziert. Andererseits haben weder der Emittent noch die übrigen Banken ein Interesse daran, dass ein Teil der Gesamtemission liegen bleibt.
29.86 Das Prinzip der einzelschuldnerischen Haftung wird deshalb teilweise durchbrochen. Die
Konsortialbanken verpflichten sich, ihre Übernahmequote proportional zu erhöhen (step-up), wenn der Ausfall nicht mehr als einen bestimmten Bruchteil (üblicherweise 1/11) des Gesamtvolumens der Emission beträgt102. Der Konsortialführer ist berechtigt, die Zuteilung entsprechend zu ändern. Wird die maximale Ausfallquote überschritten, kann der Konsortialführer für alle Banken den Rücktritt vom Vertrag erklären. In diesem Fall hat der Emittent nur die Möglichkeit, die ihre Abnahmepflicht verletzende Bank auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. 98 Die Frage, wann eine Unterschreitung wesentlich ist und aufgrund welcher Referenzperiode der Börsenpreis zu berechnen ist, ist nicht endgültig geklärt (vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39d). 99 Beim Regelfall der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital kommt eine Anfechtung des zugrundliegenden Beschlusses der Hauptversammlung (etwa wegen § 255 AktG; s. zum Meinungsstand Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 39e) nicht mehr in Betracht. Auch vorbeugender Rechtsschutz scheidet aus, weil den Aktionären die relevanten Umstände nicht rechtzeitig bekannt werden. Die Gesellschaft kann sich aber schadensersatzpflichtig machen (Hüffer/Koch, AktG, § 203 Rz. 38). 100 Bei dem Beschluss des Vorstandes, das genehmigte Kapital auszunutzen, handelt es sich um eine einfache Geschäftsführungsmaßnahme. Der Bezugsrechtsausschluss wird auch nicht in das Handelsregister eingetragen. Eine nachträgliche Änderung ist deshalb unproblematisch. 101 Diese durch Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 19.7.2002 in das AktG eingefügte Bestimmung soll den vorher bestehenden Nachteil eines hohen Abschlages des Bezugspreises gegenüber dem Börsenpreis beseitigen und hat die praktische Bedeutung des Bezugsrechtsausschlusses gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erheblich reduziert. 102 Die auf den ersten Blick merkwürdige Step-up-Quote von 1/11 des Gesamtvolumens entspricht einer Quotenerhöhung bei den übrigen Banken von jeweils 10 %. Bei kleinen Konsortien beträgt selbst die kleinste Quote oft mehr als 1/11. In diesen Fällen kann auf die Klausel verzichtet werden.
998 | Haag
Übernahmevertrag bei Aktienemissionen | § 29
d) Folgen der Vertragsbeendigung Wird der Übernahmevertrag endgültig nicht mehr durchgeführt, sei es weil eine Bedingung definitiv nicht mehr eintreten wird und die Konsortialbanken auf die Erfüllung nicht verzichten wollen, sei es weil die eine der Parteien in zulässiger Weise vom Vertrag zurückgetreten ist, erlöschen alle Ansprüche des Emittenten gegenüber dem Konsortium auf Abnahme der Aktien und Zahlung des Kaufpreises. Im Übrigen bleibt der Vertrag in Kraft, insbesondere in Bezug auf die Verpflichtung des Emittenten zur Kostenerstattung und Freistellung103. Unberührt bleiben naturgemäß auch die Regelungen zur Abwicklung einer bereits eingetragenen Kapitalerhöhung (s. dazu Rz. 29.82 ff.).
29.87
10. Lieferung gegen Zahlung Die Vertragbestimmung zur eigentlichen Abrechnung der Emission (closing) sehen vor, dass am vorgesehenen Closing-Datum die vorher dem Konsortialführer durch Girosammelgutschrift oder Übergabe einer Aktien-Sammelurkunde bereits zur Verfügung gestellten Aktien an die Anleger übertragen werden und das beim Konsortialführer dafür eingegangene Geld an den Emittenten ausgekehrt wird. Damit die konsortialführende Bank bei der Übertragung der Aktien kein Vorleistungsrisiko eingehen muss, wird sie den Lieferung-gegen-Zahlung Service der zentralen deutschen Wertpapiersammelbank Clearstream nutzen. Dadurch wird sichergestellt, dass das Eigentum an den Aktien nur übergeht, wenn gleichzeitig der Gegenwert gutgeschrieben wird. Soweit Aktien von anderen Konsortialbanken platziert wurden, überträgt der Konsortialführer die Aktien zunächst auf deren Wertpapierkonten, von wo sie taggleich auf die Konten der Investoren weiter übertragen werden können.
29.88
11. Sonstige Vertragbestimmungen; Anlagen Die übrigen Bestimmungen des Übernahmevertrages entsprechen dem Üblichen wie z.B. Vereinbarungen zur Art und Weise der Abgabe von Erklärungen zwischen den Parteien, dem für den Vertrag geltenden Recht, Gerichtsstand104 und bei im Ausland ansässigen Parteien die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigen. Übernimmt eine der Konsortialbanken den Zahlstellendienst für die Übermittlung von Dividendenzahlungen an die Aktionäre, finden sich bisweilen im Übernahmevertrag auch dazu Regelungen105.
29.89
Die Anlagen zum Vertrag bestehen im Allgemeinen aus einer Aufstellung der Übernahmequoten der einzelnen Banken, einem Muster der Preisfestsetzungsvereinbarung, einem Muster der Ausübungserklärung für die Mehrzuteilungsoption sowie Mustern der Legal Opinions. Haben die Banken ausdrücklich die Verantwortung für bestimmte Prospektinformationen übernommen, so werden auch diese in einer Anlage genau definiert.
29.90
103 Wenn die Emission nicht stattgefunden hat, können die Banken zwar nicht aus Prospekthaftung in Anspruch genommen werden. Denkbar sind aber Ansprüche von Anlegern, denen Aktien zugeteilt wurden, die sie dann nicht erhalten haben. 104 Zur zulässigen Wahl des anwendbaren Rechts und des Gerichtstandes s. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 196. 105 Üblicher ist aber ein separater Vertrag.
Haag | 999
§ 30 Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Wandelschuldverschreibungen . . 1. Übernahmevertrag . . . . . . . . . . a) Ausgabe- und Übernahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergütung der Emissionsbanken c) Garantien . . . . . . . . . . . . . . . d) Verpflichtungen . . . . . . . . . . . e) Stabilisierungsmaßnahmen . . . . f) Börsenzulassung und -notierung g) Freistellung . . . . . . . . . . . . . . h) Bedingungen und Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Sonstige Bestimmungen . . . . . .
_ __ ___ __ __ __
30.1 30.6 30.6
30.6 30.13 30.14 30.19 30.25 30.26 30.29 30.32 30.39
_ __ __ _ _ _ _
2. Besonderheiten bei einer indirekten Emission . . . . . . . . . . . . . . 30.40 III. 1. 2. 3. 4. 5.
Umtauschanleihen . . . . . . . . . . Übernahmepflicht . . . . . . . . . . . Garantien und Gewährleistungen Verpflichtungen des Emittenten . Erklärungen der Bank . . . . . . . . Bedingungen und Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.41 30.41 30.42 30.43 30.46 30.47
IV. Vertrag mit Zahl- und Wandlungs-/Umtauschstelle . . . . . . . . 30.48 V. Book-Entry Registration Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . 30.50
Schrifttum: S. die Nachweise in § 11 und § 12.
I. Allgemeines 30.1
Auch bei der Emission von aktienverwandten Wertpapieren werden die Rechte und Pflichten der Parteien in einem Übernahmevertrag geregelt. Die Ausgestaltung des Übernahmevertrags ähnelt typischerweise dem für herkömmliche Anleihen (dazu § 31). Vertragsparteien sind die Emissionsbank bzw. die im Konsortium zusammengefassten Emissionsbanken einerseits und der Emittent der aktienverwandten Wertpapiere andererseits. Bei einer indirekten Emission, bei der Wandelschuldverschreibungen über eine ausländische Finanztocher emittiert werden (Rz. 11.7), tritt die garantierende Aktiengesellschaft als weitere Vertragspartei hinzu.
30.2
Beim Übernahmevertrag handelt es sich um einen Vertrag eigener Art, der Elemente eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 BGB) und eines Dienstvertrages1 sowie, bei Ausgestaltung als Festübernahme, eines Kaufvertrages (Rz. 30.8)2, aufweist. Werden Wandelschuldverschreibungen ausnahmsweise im Zuge einer Bezugsrechtsemission gemäß § 186 Abs. 5 AktG begeben, stellt der Übernahmevertrag einen echten Vertrag zugunsten Dritter dar3.
30.3
Emissionen aktienverwandter Produkte erfolgen zumeist im Zuge des sog. beschleunigten Bookbuildings (accelerated bookbuilding, Rz. 11.22, Rz. 12.9). Anders als bei gewöhnlichen 1 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 10 Rz. 10.146; abweichend Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, 2006, Rz. 310; zur Einordnung des Übernahmevertrages bei Aktienemissionen statt vieler Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.104. 2 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.111. 3 Zur vergleichbaren Situation bei Aktienemissionen BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = AG 1991, 270; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, WM 1992, 1225, 1229 = AG 1992, 312; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, WM 1993, 944, 946, 947; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, 1998, S. 38; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2182; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.127.
1000 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
Anleihen (Rz. 16.40) wird der Platzierungspreis also i.d.R. nicht zu Beginn des Angebots fixiert, sondern eine Spanne vorgegeben. Der Preis wird sodann nach Abschluss des Bookbuildings festgelegt. Werden Wandelanleihen im Wege einer Bezugsrechtsemission platziert, muss die Angebotsfrist mindestens zwei Wochen betragen (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG)4. In diesem Fall kann der Bezugspreis entweder vor Beginn der Bezugsfrist fixiert werden. Möglich ist aber auch, zunächst lediglich die Grundlagen der Festlegung des Ausgabebetrages und den finalen Ausgabebetrag erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist bekannt zu geben (Rz. 11.18). Der Ablauf des Platzierungsverfahrens beeinflusst sowohl den Zeitpunkt des Abschlusses als auch die Struktur des Übernahmevertrages. In zeitlicher Hinsicht wird der Übernahmevertrag entweder unmittelbar vor Beginn oder unmittelbar nach Abschluss des Accelerated Placements abgeschlossen. Bei Abschluss vor Beginn des Angebots ist zur Festlegung der finalen Konditionen (Zinssatz, Prämie und Wandlungs- bzw. Umtauschpreis) der Anleihebedingungen (terms and conditions) und des endgültigen Volumens erforderlich, dass ergänzend eine Preisfestsetzungsvereinbarung zwischen den Parteien des Übernahmevertrages abgeschlossen wird. Die eigentliche Entstehung der Schuldverschreibungen durch den Begebungsakt (Ausgabe der Urkunde und Abschluss eines Begebungsvertrages) erfolgt wie ihre Abrechnung am Tag des Closing5. Bis dahin werden (nur) „Rechte auf Bezug“ des Instruments (Lieferansprüche) gehandelt.
30.4
In einigen Fällen behält sich der Emittent eine Erhöhungsoption (step-up option) vor. In diesem Fall kann er bei entsprechend großer Nachfrage während oder nach Abschluss des Bookbuildings das Maximalvolumen der zu begebenden Anleihe erhöhen. Eine solche Erhöhungsoption ist in dem vor Beginn des Bookbuildings zu fassenden Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat vorgesehen und kann mit einer Mehrzuteilungs- und GreenshoeOption kombiniert werden (dazu Rz. 30.25).
30.5
II. Wandelschuldverschreibungen 1. Übernahmevertrag a) Ausgabe- und Übernahmepflicht Wesentliche Vertragsbestandteile sind die Verpflichtung des Emittenten, die Wandelanleihen zu den vereinbarten Anleihebedingungen6 am Closing-Tag zu emittieren, sowie die Verpflichtung der Emissionsbanken, die Anleihen bei Investoren zu platzieren (unterzubringen), am Closing-Tag zu erwerben, anschließend gegen Zahlung des Emissionserlöses an die Investoren zu übertragen und den Emissionserlös an den Emittenten auszukehren.
30.6
Besondere Bedeutung kommt dabei der Ausgestaltung der Übernahmepflicht der Emissionsbank sowie der Risikoverteilung unter den Parteien zu. Wandelschuldverschreibungs-
30.7
4 Zur Möglichkeit eines Bookbuilding im Zuge einer Bezugsrechtsemission Rz. 11.18. 5 Habersack in MünchKomm. AktG, § 221 Rz. 199; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, 2006, Rz. 311. 6 Die Anleihebedingungen werden dem Übernahmevertrag als Anlage beigefügt. Wird der Übernahmevertrag vor dem Bookbuildung abgeschlossen, bleiben die noch festzulegenden Konditionen (Zinssatz, Wandlungspreis) zunächst offen.
Schlitt/Gei | 1001
§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
emissionen werden, wenn sie unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre emittiert werden (vgl. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG; dazu Rz. 11.49 f.), häufig als Best-EffortsUnderwriting strukturiert7. In diesem Fall verpflichtet sich die Bank zur bestmöglichen Platzierung (Unterbringung) der Wertpapiere8. Es handelt sich also um einen Fall des Soft Underwritings. Das endgültige Emissionsvolumen, das von der Emissionsbank übernommen wird, wird ebenso wie die endgültigen Konditionen aufgrund von Indikationen aus dem Bookbuilding, d.h. auf Grundlage der eingehenden Gebote von Investoren, gemeinsam vom Emittenten bzw., bei Emission über eine Finanztochter auch der Garantin, und der Emissionsbank in dem am Ende des Bookbuildings abgeschlossenen Preisfestsetzungsvertrag festgelegt. Da der Übernahmevertrag unter der Bedingung des Abschlusses eines Preisfestsetzungsvertrages steht, wird die Übernahmeverpflichtung erst mit seinem Abschluss bindend. Erst nach Abschluss wird die festgelegte Anzahl von Wertpapieren gegen Überweisung des Emissionserlöses (abzüglich Provisionen und Kosten der Emissionsbank) entweder unmittelbar an die Investoren oder in einem ersten Schritt an die Emissionsbank übertragen, die diese an die Investoren weiterleitet.
30.8
Denkbar ist aber auch, dass die Emission als Back-Stop-Transaktion ausgestaltet wird9. In diesem Fall verpflichtet sich die Emissionsbank, ein bestimmtes (Mindest-)Emissionsvolumen zu bestimmten Konditionen (sog. Back-Stop-Pricing Terms) fest zu übernehmen. Die Emissionsbank muss die Wertpapiere dann in diesem Umfang zu einem vorbestimmten Zinssatz und Wandlungspreis erwerben, wenn sich nicht ausreichend Investoren finden oder die Gebote der Investoren nicht die Mindestkonditionen der Back-Stop-PricingTerms erreichen. Es handelt sich mithin um eine Form der Festübernahme (Hard Underwriting). Der endgültige Emissionspreis wird dann, ebenso wie beim Best-Efforts-Underwriting, aufgrund von Preisindikationen aus dem Bookbuilding in einem Preisfestsetzungsvertrag vereinbart. Für den Fall, dass sich ausreichend Investoren gefunden haben und die beim Verkauf erzielten Konditionen die Back-Stop-Terms übertreffen, wird damit die Back-Stop-Vereinbarung grds. gegenstandslos.
30.9
Seltener sind bei Equity-Linked-Emissionen demgegenüber Bought Deal-Konstruktionen10. In diesem Fall kauft die Emissionsbank eine bereits feststehende Anzahl von Wertpapieren zu einem festen Preis, zumeist unter der Verpflichtung zur Weiterveräußerung an Investoren.
30.10 Sowohl bei der Vereinbarung eines Back Stop-Underwritings als auch im Falle eines
Bought Deals werden die vereinbarten Konditionen in der Regel vertraulich behandelt. Infolge der durch die MiFiR deutlich erweiterten Nachhandelstransparenzpflichten stellt sich die Frage nach einer möglicherweise bestehenden Offenlegungspflicht der Emissionsbanken. Bezog sich die vormals in § 31h WpHG geregelte Veröffentlichungspflicht noch auf Geschäfte im Rahmen von Wertpapierdienstleistungen mit zum Handel an einem or7 Zum Best-Efforts-Underwriting im Rahmen einer Kapitalerhöhung Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991, Rz. 24; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, 1998, S. 45 ff.; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.115; König/van Aerssen in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, B Rz. 243. 8 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.90 ff. 9 Zu Back-Stop-Konstruktionen Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/81; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.191. 10 Vgl. Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 34 ff.; s. auch Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/47.
1002 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
ganisierten Markt zugelassenen Aktien und Aktien vertretenden Zertifikaten, besteht nunmehr grundsätzlich auch eine Veröffentlichungspflicht für Geschäfte mit Schuldverschreibungen, die an einem geregelten Markt, MTF oder OTF gehandelt werden (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 600/2014 [MiFiR] i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 16 VO Nr. 600/2014 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 24 RL 2014/65/EU [MiFiD II]). Auf Primärmarkttransaktion wie die Begebung von Anleihen ist das MiFiR-Transparenzregime jedoch nicht anwendbar11, sodass sich dabei die Frage nach Nachhandelstransparenz- und Offenlegungspflichten von vornherein nicht stellt. Werden Wandelanleihen im Wege der Bezugsrechtsemission ausgegeben, handelt es sich um einen Fall der festen Übernahme (§ 186 Abs. 5 AktG)12, solange die Emission – was zulässig ist – nicht als Bis-zu-Emission ausgestaltet ist. Im Fall einer Bezugsrechtsemission werden im Übernahmevertrag die Einzelheiten des Bezugsangebots festgelegt. Hierzu gehören insbesondere das Bezugsverhältnis sowie die Bezugsfrist.
30.11
Haben die Emissionsbanken den Emissionserlös von den Investoren am Tag der Abrechnung (closing) erhalten, sind sie verpflichtet, diesen an die Gesellschaft weiterzuleiten.
30.12
b) Vergütung der Emissionsbanken Die Vergütung der Emissionsbanken besteht typischerweise in einer prozentual am Emissionserlös bemessenen Provision. Häufig wird neben der Provision für die Übernahme der Anleihen (underwriting oder base fee) noch eine ins Ermessen des Emittenten gestellte Provision (incentive fee) vereinbart. Die Vergütung wird von den Banken i.d.R. nicht gesondert geltend gemacht, sondern vom Emissionserlös abgezogen. Zumeist ist noch eine Verpflichtung des Emittenten vorgesehen, den Emissionsbanken ihre sachlichen Kosten (Reisekosten, Anwaltskosten) zu erstatten.
30.13
c) Garantien Im Übernahmevertrag gibt der Emittent umfangreiche Gewährleistungen und Zusicherungen (representations and warranties) ab, die i.d.R. als selbständige, verschuldensunabhängige Garantien ausgestaltet sind. Diese sind, insbesondere im gängigen Fall einer prospektfreien Emission, im Vergleich zu Aktienemissionen (Rz. 29.32 ff.) typischerweise etwas weniger umfangreich.
30.14
Der Katalog der Garantien umfasst typischerweise insbesondere die folgenden Aussagen:
30.15
– die Wirksamkeit der Anleihebegebung, der Anleihebedingungen, des Übernahmevertrages und – im Falle einer indirekten Emission (Rz. 11.7) – der sonstigen Verträge; – den Gleichrang der Anleihegläubiger im Vergleich zu anderen Gläubigern des Emittenten (pari passu ranking), insbesondere zu anderen Anleihegläubigern, das Nichtvorliegen eines Beendigungsgrundes sowie die Nichtgewährung von Sicherheiten in Erfüllung der Negative Pledge-Verpflichtung (Rz. 11.72); 11 ESMA – Questions and Answers on MiFID II and MiFIR transparency topics (12.07.2018), Answer 4 (S. 21). 12 Mangels Handelsregistereintragung kann die Kündigung des Übernahmevertrages im Vergleich zu Aktienemissionen erleichtert erfolgen.
Schlitt/Gei | 1003
§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
– die Wirksamkeit des Ermächtigungsbeschlusses sowie der zur Emission der Anleihe gefassten Ausnutzungsbeschlüsse von Vorstand und i.d.R. Aufsichtsrat13, sowie die Wirksamkeit eines etwaigen Bezugsrechtsauschlusses; – die Wirksamkeit des zur Absicherung der Wandlungsrechte geschaffenen bedingten Kapitals oder vorhandener eigener Aktien (bzw. des Ermächtigungsbeschlusses zum Rückkauf solcher), die Wirksamkeit und Dividendenberechtigung der aus bedingtem Kapital im Wandlungsfall ausgegebenen Aktien; – die Richtigkeit des letzten Konzern- und/oder Jahresabschlusses (s. Rz. 30.16); – die Erfüllung aller Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten, insbesondere die vollständige Veröffentlichung ad-hoc-pflichtiger Umstände nach Maßgabe von Art. 17 VO Nr. 596/2014 (MAR); – das Nichtvorliegen von Insiderinformationen; – die Existenz des Emittenten/Garanten und seiner Tochtergesellschaften; – das Vorhandensein aller Erlaubnisse, Genehmigungen, etc. für den Geschäftsbetrieb; – das Bestehen von gewerblichen Schutzrechten, Steuern, das Vorhandensein eines Risikomanagements; – das Nichtanhängigsein von Rechtsstreitigkeiten, an denen der Emittent bzw. Garant beteiligt ist und deren Ausgang möglicherweise erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz oder Ertragslage des Emittenten bzw. des Garanten haben kann; – dass das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen vom Registrierungserfordernis bei der US-amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) nach Regulations S erfolgen kann14.
30.16 Wird die Anleihe an der Börse zugelassen oder ausnahmsweise öffentlich angeboten, wird darüber hinaus die Richtigkeit und Vollständigkeit des für diese Zwecke erstellten Prospekts zugesichert. Zudem erstreckt sich die „Bilanzgarantie“ dann auf alle in den Prospekt aufgenommenen Abschlüsse. Equity-linked Instrumente werden im Gegensatz zu Aktien in der Regel nicht an einem organisierten Markt zugelassen, sondern meistens in den Freiverkehr (Open Market) an der Frankfurter Wertpapierbörse einbezogen oder am Euro MTF Market der Luxemburger Wertpapierböse zugelassen. Wird die Anleihe ausnahmsweise an einem organisierten Markt zugelassen, ist in bestimmten Jurisdiktionen – anders als in Deutschland (vgl. § 32 Abs. 2 BörsG, § 5 Abs. 4 Satz 4 WpPG) – die Zulassungsantragstellung und damit die Übernahme der Prospektverantwortung durch die Emissionsbank nicht zwingend. In diesem Fall sind die Garantien des Emittenten hinsichtlich des Prospektes für die Emissionsbank von geringerer Bedeutung als bei Mitunterzeichnung und Verantwortungsübernahme für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospektes (s. auch Rz. 30.27).
30.17 Wie bei Aktienemissionen werden die Garantien, je nach Zuschnitt der Unternehmen, teil-
weise dadurch eingeschränkt, dass die Erklärungen nur „nach Kenntnis“ bzw. „nach bestem Wissen“ (to the issuer’s (best) knowledge) abgegeben werden, wobei jedoch häufig hin13 Die Mitwirkung des Aufsichtsrates ist vom Gesetz nicht zwingend, jedoch in den meisten Wandelschuldverschreibungsermächtigungen vorgesehen, s. Rz. 11.30. 14 Eine Platzierung von Wandelschuldverschreibungen nach Rule 144A kommt in der Praxis sehr selten vor.
1004 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
zugefügt wird, dass der Emittent den Umstand zuvor angemessen geprüft hat (after due inquiry). Die Einschränkung kann auch darin bestehen, dass das Nichtzutreffen der Garantie eine wesentliche nachteilige Auswirkung (material adverse change) haben muss. Eine Einschränkung dergestalt, dass die Garantien sich nicht auf solche Umstände beziehen, die im Prospekt offen gelegt werden (except as disclosed in the prospectus) findet sich bei Equity-Linked-Instrumenten selten, da – anders als bei Aktienemissionen – im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Übernahmevertrages (noch) kein finaler Prospekt vorliegt, wenn ein solcher überhaupt erstellt wird (s. Rz. 30.14). Soweit sich die Garantien auf die operativen Tochtergesellschaften beziehen, findet sich häufig eine Einschränkung auf die wesentlichen Tochtergesellschaften (material subsidiaries). Wird die Anleihe indirekt begeben (Rz. 11.7), gibt die deutsche Aktiengesellschaft, die hinter der Begebung steht, als Garant umfangreichere Garantien ab als die emittierende ausländische Tochtergesellschaft, die im Regelfall außer der Begebung von Anleihen keinen weiteren Geschäftsgegenstand und keinen Einblick in die Geschäftstätigkeit der Muttergesellschaft hat. Die Garantien des ausländischen Emittenten konzentrieren sich im Wesentlichen auf die wirksame Beschlussfassung der Gremien, die Wirksamkeit der Anleihe und – im Falle einer indirekten Emission – der sonstigen Verträge (Rz. 30.40), den Rang der Anleihe, die Einhaltung der Negative Pledge-Verpflichtung und das Nichtvorliegen eines MAC- oder Termination Events sowie die Nichtkenntnis von Insiderinformation und die Nichtvornahme von marktpreisbeeinflussenden Maßnahmen. Demgegenüber gibt der deutsche Garant Garantien über die ordnungsgemäße Errichtung der Finanztochter sowie nach Maßgabe des oben dargestellten Kataloges (Rz. 30.15) ab.
30.18
d) Verpflichtungen In Ergänzung zu den Garantien und Gewährleistungen gibt der Emittent noch eine Reihe von zukunftsgerichteten Verpflichtungen (undertakings) ab. So übernimmt er in vielen Fällen die Verpflichtung, die Anleihe zum Handel an einer bestimmten Börse (z.B. Euro MTF Market der Luxemburger Börse) zuzulassen bzw. ihre Einbeziehung in den Freiverkehr zu bewirken und die Notierung für einen bestimmten Zeitraum aufrechtzuerhalten bzw. für den Fall, dass er die Notierung an der betreffenden Börse nicht mehr als sachgerecht ansieht, in Abstimmung mit den Emissionsbanken die Notierung an einer anderen Börse zu bewirken (dazu im Einzelnen Rz. 30.26).
30.19
Für den Fall, dass ein Prospekt veröffentlicht wird, für den die Banken die Prospekthaftung übernehmen, ist eine Verpflichtung vorgesehen, mit den Banken etwaige Nachträge zu dem Prospekt abzustimmen sowie die Banken für einen i.d.R. sechs Monate betragenden Zeitraum über alle Umstände in Kenntnis zu setzen, die den Prospekt als unvollständig oder unrichtig erscheinen lassen.
30.20
Darüber hinaus verpflichtet sich der Emittent häufig, für einen bestimmten Zeitraum keine Aktien, Bezugs- oder Optionsrechte auf Aktien oder in Aktien umwandelbare Wertpapiere auszugeben. Eine solche Marktschutzvereinbarung erstreckt sich meist auf einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten15.
30.21
Anders als bei der Begebung von hochverzinslichen Anleihen (High-Yield Bonds), bei denen sich der Emittent für einen längeren Zeitraum zur Einhaltung bestimmter Vorgaben
30.22
15 Zu Marktschutzvereinbarungen Fleischer, WM 2002, 2305.
Schlitt/Gei | 1005
§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
hinsichtlich seiner Geschäftstätigkeit, z.B. das Erreichen bestimmter Bilanzkennziffern, verpflichtet (Rz. 17.59 ff.), sind solche Financial Covenants bei Wandelschuldverschreibungen i.d.R. nicht anzutreffen16. Jedoch übernimmt der Emittent die gegenüber den Investoren in den Anleihebedingungen abgegebene Negative Pledge-Verpflichtung (Rz. 11.72) auch gegenüber den Emissionsbanken.
30.23 Verbreitet sind zusätzliche Verpflichtungen des Emittenten, keine Maßnahmen zu ergrei-
fen, die auf eine Marktbeeinflussung gerichtet oder sonst geeignet sind, ein öffentliches Angebot und damit eine Prospektpflicht auszulösen. Schließlich verpflichtet sich der Emittent auch gegenüber den Emissionsbanken, die Zulassungsfolgepflichten zu erfüllen sowie für einen bestimmten Zeitraum (z.B. 6 Monate) alle Veröffentlichungen, die einen Bezug zu den emittierten Anleihen haben, mit den Emissionsbanken abzustimmen.
30.24 Der Katalog der Verpflichtung der Emissionsbanken ist regelmäßig begrenzt. Sie ver-
pflichten sich zur Einhaltung von Verkaufsbeschränkungen (selling restrictions), die der Vermeidung eines öffentlichen, d.h. i.d.R. prospektpflichtigen Angebots in anderen Staaten dienen17. Der Übernahmevertrag regelt i.d.R. ausdrücklich, in welchen Ländern die Anleihe angeboten wird und ob dort ein öffentliches Angebot oder lediglich eine Privatplatzierung erfolgt. e) Stabilisierungsmaßnahmen
30.25 Auch im Rahmen von Emissionen von Wandelschuldverschreibungen, jedenfalls wenn
diese unter Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG emittiert werden, sieht der Übernahmevertrag als Stabilisierungsmittel häufig eine Mehrzuteilungsoption der Emissionsbanken vor18. Den Emissionsbanken wird von der Gesellschaft zu diesem Zweck die Möglichkeit der Mehrzuteilung (overallotment option) eingeräumt. Anders als bei Aktienemissionen bedarf es keines Wertpapierdarlehens. Da bis zum Closing nur Lieferansprüche gehandelt werden (Rz. 30.4), ist es möglich, eine Mehrzuteilung dieser Rechte vorzunehmen und je nach Kursentwicklung zu entscheiden, ob in einem bestimmten Umfang Lieferansprüche über den Markt zurückerworben (sinkende Kurse) oder durch Ausgabe einer größeren Zahl von Wandelschuldverschreibungen (steigende Kurse) befriedigt werden. Im Vergleich zu Aktienemissionen steht typischerweise bis zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe (settlement) und damit häufig bereits nach wenigen Tagen fest, wie hoch das endgültige Emissionsvolumen ist. f) Börsenzulassung und -notierung
30.26 Je nach der Art der angesprochenen Investoren19 übernimmt die Gesellschaft im Übernahmevertrag die Verpflichtung, die Anleihe im Nachgang zur Platzierung an einer Börse zum Handel zuzulassen. Ist dies der Fall, wird die Zulassung zum Börsenhandel jedoch nur
16 Zu den Grenzen der Zulässigkeit solcher Covenants s. auch Fleischer, ZIP 1998, 313; Kusserow/ Dittrich, WM 2000, 745, 749 ff. 17 Zur Situation bei Aktienemissionen Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.161. 18 Groß, ZIP 2002, 160 Fn. 4; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 265 f. 19 Fondsgesellschaften etwa dürfen häufig aufgrund von Beschränkungen im Verhältnis zu den Anlegern, deren Anlage sie verwalten, nur in eine bestimmte Art Wertpapiere, z.B. ausschließlich in börsennotierte Anleihen, investieren.
1006 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
noch selten als aufschiebende Bedingung für das Settlement, d.h. die Überweisung des Emissionserlöses von der Emissionsbank an den Emittenten, ausgestaltet. Zumeist wird lediglich eine Verpflichtung des Emittenten zur Prospekterstellung und Einbeziehung in den Börsenhandel (etwa im Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse) vertraglich vereinbart, ohne dass die Erfüllung dieser Verpflichtung zur Bedingung für die Auszahlung des Emissionserlöses erhoben wird. Eine Zulassung der Anleihe zum regulierten Markt setzt i.d.R. die Veröffentlichung eines Prospekts voraus. Für die Zulassung zu einem organisierten Markt (in Deutschland: regulierter Markt) schreibt das WpPG die Erstellung eines Prospekts, dessen Billigung und anschließende Veröffentlichung vor (dazu Rz. 11.82 ff., Rz. 12.56 ff.)20. Vor diesem Hintergrund werden Wandelanleihen in der Praxis häufig auf Grundlage eines deutlich schlankeren Prospekts zum Euro MTF Market der Luxemburger Börse zugelassen oder, was in der jüngeren Vergangenheit zunehmend vorkam, prospektfrei in den Freiverkehr (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse einbezogen (s. auch Rz. 11.81, Rz. 12.56). Während bei einer Zulassung zum regulierten Markt der Emittent die Mitwirkung der Emissionsbank bei der Verantwortungsübernahme benötigt (vgl. § 32 Abs. 2 BörsG, § 5 Abs. 4 Satz 4 WpPG), kann er die Zulassung zum Euro MTF Market und die Einbeziehung in den Freiverkehr selbst betreiben. Im Fall einer Zulassung zum Euro MTF Market drängen die Emissionsbanken sogar darauf, dass ihre Erwähnung im Prospekt unterbleibt. Anders ist es, wenn Wandelschuldverschreibungen ausnahmsweise im Zuge einer Bezugsrechtsemission in Deutschland öffentlich angeboten werden und die Banken daher die Prospektverantwortlichkeit übernehmen müssen21.
30.27
Von der Börsenzulassung der Wandelanleihe zu unterscheiden ist die Zulassung des zur Absicherung der Wandlungsrechte geschaffenen bedingten Kapitals (Rz. 11.33 ff.). Der Übernahmevertrag sieht i.d.R. auch eine Verpflichtung des Emittenten vor, dieses gemeinsam mit einer der Emissionsbanken zuzulassen. Die Zulassung an dem Markt, an dem die bereits bestehenden Aktien notiert sind (i.d.R. der regulierte Markt der FWB), konnte vor Inkrafttreten der VO 2017/1129 (Neue ProspektVO) prospektfrei erfolgen, ohne dass dabei Volumengrenzen zu beachten waren (§ 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG a.F.)22. Nunmehr gilt für die prospektfreie Zulassung von Aktien aus bedingtem Kapital eine Volumengrenze von 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind (Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. b) VO 2017/1129 [Neue ProspektVO], s. auch § 4 Abs. 2 Satz 1 WpPG). Bei der Ausnutzung dieses Volumens ist eine gegenseitige Anrechnung mit anderen Ausnahmetatbeständen vorgesehen (Art. 1 Abs. 6 Satz 2 VO 2017/1129 [Neue ProspektVO]), so dass im Zeitpunkt der Wandlung durch Anleihegläubiger das für eine prospektfreie Zulassung zur Verfügung stehende Volumen bereits teilweise aufgezehrt sein kann. Daher ist darauf zu achten, dass stets ein ausreichendes Restvolumen vorhanden sein muss, um praktisch jederzeit eine prospektfreie Zulassung der Aktien erwirken zu können, die an wandelnde Anleihegläubiger zu liefern sind (Rz. 11.82b).
30.28
g) Freistellung Im Zuge von Equity-linked-Emissionen abgeschlossene Übernahmeverträge enthalten i.d.R. eine Freistellungsverpflichtung des Emittenten gegenüber den Emissionsbanken. 20 S. auch Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 39. 21 Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 36. 22 S. dazu Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 71.
Schlitt/Gei | 1007
30.29
§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
Diese bezieht sich auf alle Schäden der Emissionsbanken, ihrer verbundenen Unternehmen, Organmitglieder und Arbeitnehmer, die auf eine Vertragsverletzung des Emittenten zurückgehen, insbesondere im Falle einer Verletzung der Garantien und Verpflichtungen. Im Falle einer indirekten Emission trifft die Freistellungspflicht sowohl den Emittenten als auch den Garanten. Im Übernahmevertrag ist i.d.R. ausdrücklich bestimmt, dass eine Kenntnis von bestimmten Umständen die Freistellungspflicht nicht einschränkt (no release).
30.30 Wird im Zuge der Emission ein Prospekt veröffentlicht, erstreckt sich die Freistellungs-
verpflichtung, jedenfalls wenn die Emissionsbanken für diesen ebenfalls die Verantwortung übernehmen müssen (Rz. 30.27), auch auf Verluste und Schäden, die auf eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts zurückgehen, i.d.R. auch selbst dann, wenn diese nur behauptet (alleged breach) werden. Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen Regel bestehen nicht. Insbesondere besteht – anders als bei Aktienemissionen (Rz. 29.57 ff.) – kein Spannungsverhältnis mit § 57 AktG, da die Emissionsbanken keine vorübergehende Aktionärsstellung einnehmen. Ihre Grenze finden solche Freistellungsvereinbarungen jedoch dann, wenn es um vorsätzliche Verstöße der Emissionsbanken gegen ihre Sorgfaltspflichten geht23.
30.31 Eine spiegelbildliche Freistellung des Emittenten durch die Emissionsbanken findet sich demgegenüber nur in seltenen Fällen.
h) Bedingungen und Rücktrittsrechte
30.32 Zur Reduzierung des Übernahmerisikos der Emissionsbanken wird der Übernahmevertrag
unter bestimmte Bedingungen gestellt, so dass im Falle des Nichteintritts bestimmter Umstände die Erwerbs- und Zahlungspflicht der Banken von vorneherein nicht entsteht (aufschiebende Bedingungen) oder, sollten bestimmte Umstände eintreten, die Erwerbs- und Zahlungspflicht entfällt (auflösende Bedingung). Vertragstechnisch kann alternativ an den Eintritt bestimmter Umstände ein Rücktrittsrecht der Konsortialbanken geknüpft werden24. Der Übernahmevertrag bestimmt i.d.R., dass die Bedingungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses25 und des Closing vorliegen müssen26.
30.33 Als eine Bedingung wird regelmäßig vorgesehen, dass die Zusicherungen und Gewährleis-
tungen des Emittenten zutreffend sind und der Emittent alle Verpflichtungen erfüllt hat, soweit sie bis zu diesem Zeitpunkt zu erfüllen sind. Das Entstehen der Pflichten der Banken wird ferner meistens davon abhängig gemacht, dass der Emittent mit der Bank, die die Zahlstellenfunktionen übernimmt, ein Agency Agreement (Rz. 30.48 ff.) abgeschlossen hat und Vorstand und Aufsichtsrat und – bei einer indirekten Emission (Rz. 11.7 f.) – die Gremien der Finanztochter die erforderlichen Beschlüsse gefasst haben.
30.34 Werden – wie etwa beim Best-Efforts-Underwriting – die finalen Anleihebedingungen
(Zinssatz, Wandlungspreis) erst nach Abschluss der Platzierung festgelegt, wird der Über-
23 Fleischer, ZIP 2007, 1969, 1973. 24 S. etwa Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, 2006, Rz. 374; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, § 10 Rz. 10.143. 25 Streng genommen handelt es sich nicht um eine Bedingung, da die Parteien bei Nichtvorliegen einer Voraussetzung den Übernahmevertrag nicht abschließen würden. 26 Im Falle der Veröffentlichung eines Prospekts, für den die Emissionsbanken die Verantwortlichkeit übernehmen, werden die Bedingungen auch noch auf den Zeitpunkt von dessen Veröffentlichung bezogen.
1008 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
nahmevertrag entweder erst zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder der Abschluss einer Preisfestsetzungsvereinbarung als Bedingung in einem vor der Platzierung abgeschlossenen Übernahmevertrag aufgenommen. Kann eine Einigung über das finale Emissionsvolumen und die endgültigen Bedingungen nicht erzielt werden, besteht in diesem Fall keine Übernahmepflicht der Emissionsbanken. Zu den zu erfüllenden Bedingungen gehört u.a. die Vorlage von Legal Opinions des anwaltlichen Beraters und der Gesellschaft (dazu § 35). Die Emissionsbanken erwarten insbesondere, dass in den Legal Opinions Aussagen zur wirksamen Ausgabe der Anleihe und zur Wirksamkeit, Durchsetzbarkeit und Vollstreckbarkeit des Übernahmevertrages getroffen werden. Eine Abgabe von Disclosure Letters (dazu § 35) wird von den anwaltlichen Beratern typischerweise auch dann nicht erwartet, wenn im Anschluss ein Prospekt für die Zulassung veröffentlicht wird, da das Prospekthaftungsrisiko der Banken mangels ihrer Erwähnung im Prospekt allenfalls ein sehr eingeschränktes ist. Anders kann es sich verhalten, wenn die Emissionsbanken ausnahmsweise die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts übernehmen müssen, etwa weil die Wandelschuldverschreibungen im Zuge einer Bezugsrechtsemission öffentlich angeboten werden (Rz. 30.16). Verbreitet wird als Bedingung auch die Abgabe von sog. Officers’ Certificates vorgesehen, in denen der Vorstand des Emittenten (bzw. bei indirekten Emissionen des Garanten) nochmals bestätigt, dass die Garantien und Gewährleistungen zutreffend sind.
30.35
Besteht keine Prospektverantwortlichkeit der Bank, weil es überhaupt keinen Prospekt für die Zulassung der Anleihe gibt oder weil dieser von der Gesellschaft im Nachgang zur Platzierung alleinverantwortlich erstellt wird, erübrigt sich an sich die Einholung eines Comfort Letter (dazu ausführlich § 34) als Verteidigungsinstrument gegen potentielle Prospekthaftungsansprüche. Anders ist es, wenn Wandelschuldverschreibungen ausnahmsweise im Zuge einer Bezugsrechtsemission platziert werden und die Banken die Prospekthaftung übernehmen. Einzelne Banken fordern die Abgabe von Comfort Letters aus „Policy“-Gründen auch dann, wenn die Anleihen lediglich privat platziert werden.
30.36
Als aufschiebende Bedingung wird typischerweise auch vorgesehen, dass beim Emittenten bzw. Garanten keine wesentliche nachteilige Änderung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage (material adverse change) eingetreten ist. Beispiel für einen solchen „MAC“ kann sein, dass sich wesentliche Bilanzkennziffern geändert haben, so dass es zu einer Herabstufung des Ratings des Emittenten bzw. Garanten gekommen ist. Die Verpflichtung der Banken kommt auch dann nicht zum Tragen, wenn es zu einer Handelsunterbrechung an einer relevanten Börse (New York, London, Frankfurt), einem Bankenmoratorium, erheblichen negativen Veränderung in den nationalen oder internationalen wirtschaftlichen, politischen, industriellen, rechtlichen oder finanziellen Rahmenbedingungen oder zu einem Ausbruch oder Eskalation von Feindseligkeiten oder terroristischen Aktivitäten (force majeure) gekommen ist.
30.37
Die Emissionsbanken drängen darauf, dass die Entscheidung, ob die erforderlichen Bedingungen eingetreten sind, in ihrem alleinigen Ermessen steht. Zuweilen bestehen Emittenten darauf, dass sie vorher zu konsultieren sind (after consultation), jedenfalls sofern dies möglich und sachgerecht ist (if appropriate). Der Übernahmevertrag sieht i.d.R. klarstellend vor, dass die Emissionsbanken auf den Eintritt jeder Bedingung verzichten können.
30.38
Schlitt/Gei | 1009
§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
i) Sonstige Bestimmungen
30.39 Der Übernahmevertrag enthält die üblichen Abschlussbestimmungen (Schriftformklausel,
salvatorische Klausel, etc.). Da die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen sehr stark von zwingendem Aktienrecht (§§ 221, 186 AktG) determiniert ist, sieht der Übernahmevertrag i.d.R. die Geltung deutschen Rechts vor. Gegen eine solche Rechtswahl bestehen auch dann keine Bedenken, wenn die Anleihe nicht direkt, sondern über eine Finanztochter emittiert wird. Als (nicht ausschließlicher) Gerichtsstand wird häufig Frankfurt am Main festgelegt, selbst wenn der Emittent seinen Sitz an einem anderen Ort hat.
2. Besonderheiten bei einer indirekten Emission 30.40 Wandel- und Optionsanleihen werden aus steuerlichen Gründen häufig nicht unmittelbar von einer deutschen Aktiengesellschaft ausgegeben, sondern über eine meist erst zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft emittiert, die ihren Sitz in einem aus steuerlicher Sicht günstigeren Staat wie den Niederlanden oder Luxemburg hat (eingehend Rz. 11.51 f.). Die Finanztochter ist dann als Emittent und die deutsche Muttergesellschaft als Garant am Übernahmevertrag mit der Emissionsbank beteiligt. Neben dem Übernahmevertrag ist bei einer indirekten Wandelschuldverschreibungsemission der Abschluss weiterer Vereinbarungen erforderlich, die ein sofortiges Ausscheiden der Tochtergesellschaft aus dem Geschehensablauf nach Ausgabe der Anleihe sichern sollen, um in den Anwendungsbereich des § 221 AktG zu fallen (Rz. 11.7, 11.51). Bei diesen Dokumenten, deren Abschluss häufig eine im Übernahmevertrag vereinbarte Bedingung für die Überweisung des Emissionserlöses durch die Emissionsbank ist, handelt es sich um eine Garantie der Muttergesellschaft zugunsten der Anleihegläubiger (guarantee), eine Verpflichtungserkläung der Muttergesellschaft zur Gewährung der Aktien an die Anleihegläubiger im Falle der Wandlung (undertaking), einen Darlehensvertrag der Tochtergesellschaft mit der Muttergesellschaft sowie einen Abtretungsvertrag der Tochtergesellschaft gegenüber den Anleihegläubigern (assignment agreement). Da die Anleihegläubiger noch nicht feststehen, werden die in der Garantie, der Verpflichtungserklärung und dem Abtretungsvertrag ihnen gegenüber abzugebenden Willenserklärungen einer Bank27 gegenüber erklärt, die aufgrund einer in den Emissionsbedingungen enthaltenen Ermächtigung insoweit für Rechnung der Anleihegläubiger handelt.
III. Umtauschanleihen 1. Übernahmepflicht 30.41 Typischerweise enthält auch bei Umtauschanleiheemissionen der Übernahmevertrag Be-
stimmungen über die Risikoverteilung zwischen dem die Anleihe begebenden Aktionär (nachfolgend: Emittent) und Emissionsbank, nämlich ob die Bank verpflichtet ist, lediglich bestmögliche Platzierungsbemühungen zu entfalten (beim Best-Efforts-Underwriting), die Anleihen zu einem Mindestpreis zu übernehmen (back-stop) oder sie zu einem festen Preis zu erwerben (bought deal). Darüber hinaus finden sich Bestimmungen über die Zah27 Dabei handelt es sich i.d.R. um die Bank, die während der Laufzeit der Anleihe auch die Funktion der Umtauschstelle erfüllt. Diese kann, muss aber nicht identisch mit der Emissionsbank sein.
1010 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
lung des Gesamtausgabebetrags bzw. des Platzierungserlöses an den Emittenten, Regelungen über die Provision für die Emissionsbank, ggf. die Kostenübernahme durch den Emittenten, über die Kündigung des Vertrages, insbesondere für Fälle einer nachteiligen wirtschaftlichen Veränderung beim Anleiheemittenten (material adverse change) und höherer Gewalt (force majeure), sowie Garantien, weitere Verpflichtungen des Emittenten und damit verbunden eine Haftungsfreistellung28.
2. Garantien und Gewährleistungen Da sich bei einer Umtauschanleihe die Kenntnisse des Emittenten über die die Aktien emittierende Gesellschaft (nachfolgend: Zielgesellschaft) häufig auf die öffentlich verfügbaren Informationen beschränken, ähneln die von ihm abzugebenden Garantien und Verpflichtungen denen beim Block Trade (dazu auch Rz. 7.25 ff.)29. Der Garantiekatalog des Emittenten beinhaltet i.d.R. Zusagen bezüglich der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten, seiner Bereitschaft und Fähigkeit zur Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen, der Unbelastetheit der Anleihen sowie der zu liefernden Aktien mit Rechten Dritter, der Gleichrangigkeit der Anleihen mit anderen von ihm begebenen Schuldverschreibungen sowie untereinander, der Börsennotierung der zu liefernden Aktien, die Zusicherung, dass der Emittent über keine Insiderkenntnisse bezüglich der Zielgesellschaft verfügt, sowie einer Zusicherung über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Befreiung vom Registrierungserfordernis bei der US-amerikanischen Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) nach Regulation S. Da der Emittent keinen Einblick und keine Einflussmöglichkeiten auf die Zielgesellschaft hat, beziehen sich nur wenige Zusicherungen auf die Zielgesellschaft. Diese werden häufig nach bestem Wissen (best knowledge) abgegeben.
30.42
3. Verpflichtungen des Emittenten Zusätzlich zu den Garantien übernimmt der Emittent regelmäßig eine Reihe weiterer Verpflichtungen (undertakings). Hierzu gehört typischerweise die Pflicht, alle gesetzlich geforderten Mitteilungen und Veröffentlichungen vorzunehmen und keine kursstabilisierenden Maßnahmen zu ergreifen. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch eine Sicherheitenbestellung zugunsten der Anleihegläubiger hinzutreten.
30.43
Ergänzend wird eine Freistellung der Emissionsbank durch den Emittenten (indemnity) vereinbart, falls dieser die Garantien oder sonstige übernommene Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß erfüllt. Im Falle der Veröffentlichung eines Prospekts erstreckt sich diese Freistellungsverpflichtung des Emittenten auch auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Prospekt, jedenfalls wenn der Emissionsbank auch die Prospektverantwortlichkeit obliegt.
30.44
Im Zuge der Platzierung kann zur Preisstabilisierung eine Mehrzuteilung durch die begleitende Bank vorgenommen werden (s. auch Rz. 2.49)30. Um den Aktienkurs nach der Emis-
30.45
28 Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.143 ff. 29 Zur vergleichbaren Situation beim Block Trade Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 349. 30 Die Zulässigkeit solcher Stabilisierungsmaßnahmen bestimmt sich nunmehr nach Art. 5 Abs. 3 VO Nr. 596/2014 (MAR) i.V.m. der DelVO 2016/1052 zur Ergänzung der MAR durch technische Regulierungsstandards für die auf Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen anwendbaren Bedingungen.
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§ 30 | Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen
sion möglichst stabil zu halten, wird häufig eine Lock-up-Periode31 vereinbart, während der der Emittent keine Aktien der Zielgesellschaft anbieten oder verkaufen oder weitere Umtauschanleihen in Aktien der Zielgesellschaft platzieren darf.
4. Erklärungen der Bank 30.46 Die Garantien und weiteren Verpflichtungen der Emissionsbank beschränken sich üblicherweise auf die Einhaltung von Verkaufsbeschränkungen, die insbesondere die Einhaltung der Regulation sicherstellen (selling restrictions).
5. Bedingungen und Rücktrittsrechte 30.47 Die Pflichten der Emissionsbank nach dem Vertrag stehen dabei i.d.R. unter der aufschie-
benden Bedingung, dass bestimmte Dokumente, etwa Legal Opinions der anwaltlichen Berater des Emittenten sowie ein Officers’ Certificate des Emittenten zum Zahlungstag ausgestellt werden. Wie bei der Emission von Wandelschuldverschreibungen können diese Umstände rechtstechnisch auch als Rücktrittsgründe ausgestaltet werden.
IV. Vertrag mit Zahl- und Wandlungs-/Umtauschstelle 30.48 Vervollständigt wird die Dokumentation bei Equity-linked-Transaktionen durch ein sog.
Agency Agreement, das die Vereinbarungen des Emittenten mit einer oder mehreren Zahl- und Wandlungs- bzw. Umtauschstellen enthält, die die Zahlung von Zinsen und die Rückzahlung der Anleihe bzw. die Wandlung/den Umtausch abwickeln. Im Falle einer Zulassung der Anleihe an einem organisierten Markt ist der Emittent, für den Deutschland der Herkunftsstaat ist, zur Benennung mindestens einer Zahlstelle nach § 48 Abs. 1 Nr. 4 WpHG verpflichtet, bei der für die gesamte Dauer der Zulassung der Anleihen alle erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich der Anleihen, im Falle ihrer Vorlegung kostenfrei, bewirkt werden können. Insbesondere bei internationalen Platzierungen werden i.d.R. mehrere Zahl- und Wandlungs- bzw. Umtauschstellen benannt, von denen eine mit der zentralen Abwicklung und Verwaltung betraut wird (Hauptzahl- und –wandlungs-/umtauschstelle).
30.49 Neben der Erteilung des Auftrags an den „Agent“ enthält das Agency Agreement typi-
scherweise Bestimmungen zur Ausgabe, Form und Verbriefung der Anleihe (s. dazu auch Rz. 30.50 f.) und den Zahlungsbedingungen und -modalitäten hinsichtlich Zinszahlungen und der Rückzahlung der Anleihe. Weiterer Regelungsgegenstand sind die detaillierten Abläufe und Modalitäten im Falle einer Wandlungs- oder Umtauscherklärung eines Anleihegläubigers. Nach den vertraglichen Regelungen ist die Zahl- und Wandlungs- bzw. Umtauschstelle verpflichtet, die Übereinstimmung der Ausübung des Wandlungs- oder Umtauschrechts mit den Vorgaben der Anleihebedingungen zu prüfen und ggf. Berechnungen zu der Anzahl der zu liefernden Aktien vorzunehmen. Auch im Hinblick auf Zinszahlungen besteht eine Berechnungspflicht der Zahlstelle. Sollten hierbei Unklarheiten auftauchen, ist die Zahl- und Wandlungs- bzw. Umtauschstelle i.d.R. berechtigt, in Abstim-
31 Typischerweise beträgt die Dauer einer solchen Lock-up-Periode bei einer Umtauschanleihe zwischen drei und sechs Monaten.
1012 | Schlitt/Gei
Übernahmevertrag bei aktienverwandten Emissionen | § 30
mung mit dem Emittenten der Anleihe einen Anwalt oder anderen Sachverständigen hinzuzuziehen. Ebenfalls geregelt wird im Agency Agreement das Vorgehen bei einem Wechsel der Zahl- und Wandlungs- bzw. Umtauschstelle, der bei der regelmäßig mehrjährigen Laufzeit der Anleihe nicht ausgeschlossen werden kann.
V. Book-Entry Registration Agreement Solche Equity-Linked-Investoren, die einer Steuerpflicht in den USA unterliegen, sind dort in bestimmten Fällen nachteiligen Steuerkonsequenzen ausgesetzt, wenn die Anleihen von den dortigen Steuerbehörden als Inhaberpapiere eingestuft werden. Da die Ausgabe von auf den Namen lautenden Anleihen an das Publikum nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KWG als Einlagengeschäft ein Bankgeschäft darstellen würde32, werden Anleihen in Deutschland in der Regel als Inhaberpapiere ausgegeben. Um sicherzustellen, dass dennoch keine Steuernachteile entstehen, enthält der Übernahmevertrag häufig Gewährleistungen des Emittenten (sog. TEFRA provisions), die zur Folge haben, dass die Wandelschuldverschreibung oder Umtauschanleihe zunächst in einer vorläufigen Globalurkunde verbrieft wird, eine Wandlung oder ein Umtausch innerhalb von 40 Tagen nach Begebung ausgeschlossen ist und die vorläufige Globalurkunde nach 40 Tagen gegen eine permanente Globalurkunde ausgetauscht wird. Die Wandlungs- oder Umtauschstelle verpflichtet sich im „Agency Agreement“ (s. Rz. 30.48 f.) gegenüber dem Emittenten, sicherzustellen, dass etwaige Zinszahlungen oder sonstige Zahlungen während der 40-Tage-Frist nur vorgenommen werden, wenn das Nichtbestehen US-amerikanischen wirtschaftlichen Eigentums daran (certification of nonU.S. beneficial ownership) nachgewiesen wird. Diese Nachweise werden von der ClearingStelle erstellt. Auch der Austausch der vorläufigen Globalurkunde durch die endgültige Globalurkunde ist an die Voraussetzung gekoppelt, dass ein solcher Nachweis hinsichtlich sämtlicher Anleihegläubiger vorgelegt wird.
30.50
Alternativ zu einem Austausch von vorläufiger und endgültiger Globalurkunde hat sich in Deutschland insbesondere bei Wandelschuldverschreibungen die Praxis durchgesetzt, dass der Emittent mit der deutschen Clearing-Stelle (Clearstream Banking AG) ein standardisiertes Book-Entry Registration Agreement abschließt. In diesem verpflichtet sich die Clearing-Stelle, ein Namensregister aller Anleihegläubiger zu führen und Übertragungen unmittelbar darin festzuhalten. Spiegelbildlich sehen die Anleihebedingungen in diesem Fall vor, dass eine Übertragung der Anleihe nur im Falle der Umtragung in diesem Register wirksam sein soll. Diese schuldrechtliche Vereinbarung bewirkt, dass die als Inhaberpapiere ausgegebenen Anleihen für Zwecke des U.S.-amerikanischen Steuerrechts grundsätzlich als Namenspapiere gelten und die nachteiligen Steuerfolgen damit vermieden werden können.
30.51
32 Eine Platzierung an Kreditinstitute und Versicherungen stellt hingegen keine Platzierung an das Publikum dar, so dass Namensschuldverschreibungen ohne Verstoß gegen das KWG begeben werden können, wenn sie ausschließlich an Kreditinstitute und Versicherungen veräußert werden, s. BaFin-Merkblatt „Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts“ vom Juni 2011, 1.b)cc).
Schlitt/Gei | 1013
§ 31 Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _
31.1
II. Platzierungsarten . . . . . . . . . . 31.3 1. Firm Commitment und Soft Underwriting . . . . . . . . . . . . . 31.4 2. Öffentliche Platzierung – private Platzierung . . . . . . . . . . . . . . 31.8 3. Tender- und Bookbuilding-System, öffentliche Zuteilung (Subskription), freihändiger Verkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.11 4. Daueremission, Emissionsprogramme . . . . . . . . . . . . . . 31.21 5. Rechtsnatur des Übernahmevertrages . . . . . . . . . . . . . . . . 31.22 III. Wesentliche Verpflichtungen der Vertragsparteien . . . . . . . . 1. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen des Bankenkonsortiums . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Übernahme der Emission . . . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Unterbringung der Emission . . . . . . . . . . . . . . c) Zahlung des Emissionserlöses . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beratungspflicht . . . . . . . . . e) Sonstige Pflichten . . . . . . . . 2. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen der Emittenten . . 3. Drittwirkende Verpflichtungen aus dem Übernahmevertrag . . . 4. Vorvertragliche Regelungen (Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) . .
31.28 31.28 31.28 31.33 31.37 31.38 31.39 31.46 31.50 31.53
_ __ _ _ _ _ _ _ __ _ __ _
IV. Begebung der Anleihe . . . . . . . 31.59 1. Begebungsvertrag und Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.59 2. Verbriefung und Verwaltung . . 31.62 V. Representations and Warranties 31.65 1. Darstellung der wesentlichen Representations and Warranties . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.66 2. Rechtsnatur der Representations and Warranties nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.68 VI. Haftungsfreistellung . . . . . . . . 31.72 1. Freistellung der Konsortialbanken von der Prospekthaftung und sonstigen Ansprüchen durch den Emittenten . . . . . . . 31.72 2. Freistellung des Emittenten durch die Konsortialbanken . . . 31.76 VII. Bedingungen und rechte . . . . . . . . 1. Bedingungen . . . 2. Rücktrittsrechte .
Rücktritts. . . . . . . . . . 31.77 . . . . . . . . . . 31.78 . . . . . . . . . . 31.86
VIII. Sonstige Regelungen . . . . . . . . 31.91 1. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 31.91 2. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . 31.94
__ _
IX. Weitere Dokumente im Zusammenhang mit der Begebung von Anleihen . . . . . . . . . . . . . 31.96 1. Zahlstellenvertrag . . . . . . . . . . 31.96 2. Weitere Dokumente . . . . . . . . 31.102
Schrifttum: Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwaltshandbuch Bank- und Kapitalmarktrecht, 2010; Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 23. Aufl. 2008; Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz Kommentar, 5. Aufl. 2016; Brox/Henssler, Handelsrecht, 22. Aufl. 2016; Busch, Aktien- und börsenrechtliche Aspekte von Force Majeure-Klauseln in Aktienübernahmeverträgen, WM 2001, 1277; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981; Einsele, Depotgeschäft, in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2014; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, 2005; Groß, Bookbuilding, ZHR 162 (1998), 318; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001; Hein, Rechtliche Fragen des Bookbuildings nach deutschem Recht, WM 1996, 1; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen – Recht und Praxis in der EG, in Deutschland und der Schweiz, 1991; Hopt, Emissionsgeschäft und Emissionskonsortien, FS Kellermann, 1991, S. 182; Martiny, Rom I-VO, in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2018; Reimnitz, Das Primärgeschäft im Emissionsbereich, in Büschgen/Richolt (Hrsg.), Handbuch des internationalen Bankgeschäfts, 1989, S. 240; Staudinger, Kom-
1014 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31 mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 433–480, Neubearbeitung 2013, §§ 779–811, Neubearbeitung 2015; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Rom I-VO, Neubearbeitung 2016.
I. Einleitung Bei der Ausgabe und Platzierung von Anleihen bedienen sich Emittenten in der Regel der Mitwirkung von Kreditinstituten. Diese wirken bei der Begebung der Wertpapiere mit und platzieren die Anleihen sodann bei Investoren. Bei größeren Emissionen tritt dabei nicht nur ein einzelnes Kreditinstitut, sondern ein Bankenkonsortium unter Führung eines Konsortialführers auf (s. dazu § 32).
31.1
Die Tätigkeit des Bankenkonsortiums und insbesondere seine Rechte und Pflichten sowie die Rechte und Pflichten des Emittenten gegenüber dem Bankenkonsortium werden oftmals in einem sog. Übernahmevertrag geregelt. Parteien des Vertrags sind in der Regel die Banken (bzw. bei einem Bankenkonsortium die Konsortialführer) und der Emittent bzw. bei Begebung der Anleihe über eine Tochtergesellschaft auch die Muttergesellschaft des Emittenten. Im Folgenden sollen die verschiedenen Typen eines solchen Vertrags und ihre Inhalte näher dargestellt werden; dabei wird angenommen, dass der Vertrag unter deutschem Recht abgeschlossen wird.
31.2
II. Platzierungsarten Wesentlicher Bestandteil des Übernahmevertrags ist die Vereinbarung über die Art der Platzierung.
31.3
1. Firm Commitment und Soft Underwriting Grundsätzlich sind folgende Verpflichtungen hinsichtlich der Platzierung zu unterscheiden: das sog. Firm Commitment Underwriting (auch feste Übernahme) und das kommissionsweise Soft Underwriting des ggf. nur teilweise platzierten Teils der Anleihe1. Teilweise wird statt von einem Firm Commitment auch von einem Hard Underwriting und statt von einem Soft Underwriting (des ggf. nur teilweise platzierten Teils der Anleihe) auch von einem Best Effort Underwriting gesprochen.
31.4
Bei einem Firm Commitment tragen die Banken das gesamte Platzierungsrisiko2. Dieses Risiko kann jedoch dadurch minimiert werden, dass die Banken aufgrund ihrer Erfahrung und genauer Kenntnis der jeweiligen Verfassung des Kapitalmarkts den Emissionserfolg
31.5
1 Vgl. Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 198; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.90 und 15.93; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 68 f.; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.19. 2 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.93; auch Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 101; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 68; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 1 Rz. 112; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 14; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.19.
Diekmann | 1015
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
bereits im Voraus beurteilen. Darüber hinaus enthalten die Übernahmeverträge typischerweise verschiedene von den Platzierungsbemühungen abhängige Rücktrittsmöglichkeiten oder aufschiebende Bedingungen, wonach sich die Banken im Falle des Nichteintritts einer Bedingung von dem Vertrag lösen können3. Schließlich wird der Vertrag oft erst mit Platzierung der Anleihe abgeschlossen, so dass letztlich nur das bis zum Vollzug (in der Regel 2 bis 3 Bankarbeitstage nach abgeschlossener Platzierung) ein Risiko der Nichtdurchführbarkeit der Platzierung besteht (s. auch Rz. 31.30).
31.6
Beim Soft Underwriting oder auch sog. Best Effort Underwriting4 wird das Platzierungsrisiko von den Banken nicht übernommen. Hierbei verpflichten sich die Banken vielmehr, die Anleihe nur in dem (ggf. nur teilweise) vorher fest platzierten Umfang zu übernehmen5. Dies kann dazu führen, dass eine Anleihe über bis zu 1 Mrd. Euro angekündigt wird, letztlich aber (nach nicht so erfolgreichen Platzierungsbemühungen) nur i.H.v. z.B. 750 Mio. Euro begeben und platziert wird. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Begebungs-Konsortium gesprochen6. Dieser Vertragstyp wird international insbesondere verwendet bei sog. Start-Up sowie Distressed Unternehmen. Als weitere Ausgestaltung des Soft Underwriting gibt es das sog. Part or Non oder On All or Nothing. Dies bedeutet, dass im Falle des Nichtverkaufs einer festgelegten Zahl der Wertpapiere sowie einer Nichterhaltung der Geldleistung sämtlicher Investoren zum Zeitpunkt der Fälligkeit die gesamte Emission nicht durchgeführt wird. Im Übrigen sind Platzierungen nach dem Best-Effort-Verfahren aufgrund des verschärften Wettbewerbs auf den internationalen Kapitalmärkten heute jedoch wohl kaum noch durchsetzbar7.
31.7
Die Übernahme durch die Banken erfolgt in den Fällen des Best Effort Underwriting kommissionsweise (§§ 383 ff. HGB)8.
2. Öffentliche Platzierung – private Platzierung 31.8
Im Rahmen der Platzierungsmethode ist weiter zwischen öffentlicher Platzierung (public placement) und privater Platzierung (private placement) zu unterscheiden.
3 Nach Sudmeyer in Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshdb. Aktienrecht, § 47 Rz. 130 dagegen ist beim Firm Underwriting eine Rückgabeoption nicht gegeben. 4 Vgl. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 12; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.19. 5 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 10; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.19. 6 So auch Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 14. 7 So auch Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 24; vgl. auch Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 293, 295; ferner Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 70; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 14 spricht von „Bedeutungslosigkeit“; a.A. wohl Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.19, die bei reinen Anleiheemissionen davon ausgehen, dass das hard underwriting eher die Ausnahme darstellt und bei Equity-Linked-Emissionen in der Regel nur „Best Efforts“Platzierungen vereinbart werden. 8 Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 34; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 217; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.91; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 6; Sudmeyer in Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshdb. Aktienrecht, § 47 Rz. 131.
1016 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
Unter einer öffentlichen Platzierung wird verstanden, dass sich der Veräußerer an eine unbestimmte Vielzahl von potentiellen Abnehmern wendet9. In der Regel löst dies eine Prospektpflicht aus, d.h. der Emittent hat – selbst bei nicht gewünschter Börsennotierung der Anleihe – einen Prospekt für die Platzierung zu fertigen und ihn – nach deutschem Recht – der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Billigung vorzulegen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 VO 2017/1129 [Prospektverordnung] bzw. bei Börsenzulassung in der EU der ausländischen Behörde). Allerdings stehen die Ausnahmen nach dem Wertpapierprospektgesetz zur Verfügung, wonach ein Prospekt nicht zu erstellen ist, wenn die Anleihe in Stückelungen von mindestens 100 000 Euro ausgegeben wird (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 4 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 1 Abs. 4 lit. c) VO 2017/1129) oder jeder Anleger Wertpapiere ab einem Mindestbetrag von 100 000 Euro erwerben kann (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 3 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 1 Abs. 4 lit. d) VO 2017/1129). Weiterhin sollen zukünftig Emissionen von CRR-Kreditinstituten und Emittenten, die bereits an einem organisierten Markt zugelassen sind, bis zu einem Wert von 5 Mio. Euro in einem Zeitraum von zwölf Monaten (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 5 WpPG in der Fassung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung, im Folgenden Regierungsentwurf Ausübung Optionen EU-Prospektverordnung) prospektfrei erfolgen können. Schließlich sollen öffentliche Angebote ohne Europäischen Pass bis zu einer Schwelle von 8 Mio. Euro in einem Zeitraum von zwölf Monaten von der Prospektpflicht ausgenommen sein (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 6 WpPG Regierungsentwurf Ausübung Optionen EU-Prospektverordnung in Ausübung der mitgliedstaatlichen Option des Art. 3 Abs. 2 lit. b) VO 2017/1129). In letzterem Fall ist stattdessen ein dreiseitiges Wertpapierinformationsblatt zu veröffentlichen und bei der BaFin zur Billigung vorzulegen (vgl. § 3a Abs. 1 WpPG Regierungsentwurf Ausübung Optionen EU-Prospektverordnung). Der Inhalt des Wertpapierinformationsblattes bestimmt sich nach § 3 Abs. 3 bis 5 und 6 Satz 2 sowie Abs. 7 Satz 4 WpPG.
31.9
Bei einer Privatplatzierung werden die Wertpapiere nur an einen begrenzten, individuell bestimmten Personenkreis, zumeist institutionelle Großanleger, veräußert10. In der Regel begründen solche Angebote keine gesetzlichen Prospekt-, Registrierungs- oder ähnliche Publizitätspflichten, weil sie nur einem eng begrenzten Personenkreis angeboten werden11. Dies ist der Fall bei einem Angebot nur an qualifizierte Anleger (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 2 Nr. 6 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 1 Abs. 4 lit. a), Art. 2 lit. e) VO 2017/1129) sowie bei einem Angebot an weniger als 150 nicht qualifizierte Anleger in jedem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 1 Abs. 4 lit. b) VO 2017/1129). Dabei ist aber nicht auszuschließen, dass zunächst im Rahmen einer Privatplatzierung verkaufte Anleihen zu einem späteren Zeitpunkt zum Handel an einer Börse zugelassen werden, nachdem eine Börsenzulassung unter Einreichung eines entsprechenden Prospekts erteilt worden ist. Oft wird jedoch, um eine Prospektpflicht auch weiterhin, nicht zuletzt wegen der drohenden Prospekthaftung, zu vermeiden, eine Notierung an einem nicht regulierten Markt vorgezogen (z.B. Freiverkehrssegmente der deutschen Börsen)12.
31.10
9 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.97; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/82; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 200; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 182, 186; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 19. 10 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/87; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 182, 187; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 21. 11 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.98; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/87; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 21. 12 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.98.
Diekmann | 1017
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
3. Tender- und Bookbuilding-System, öffentliche Zuteilung (Subskription), freihändiger Verkauf 31.11 Unabhängig von der gewählten Platzierungsart hängt der Erfolg einer Emission entschei-
dend von einem angemessenen Preis für das angebotene Wertpapier ab. Dabei sind die widerstrebenden Interessen des Emittenten und der Anleger gleichermaßen zu berücksichtigen und es ist eine faire Verteilung des Emissionsrisikos zu gewährleisten13. Die Preisfestlegung, das Pricing, erstreckt sich auf die Festlegung des Zinskupons und des Ausgabekurses für das neu zu emittierende Papier. Dabei kann auf eine Referenzanleihe zurückgegriffen werden, die mit der geplanten Emission weitgehend identisch ist. Auch können Primär- und Sekundärmarktrenditen ähnlicher Anleihen herangezogen werden, die dann für die zu platzierende Anleihe an das besondere Rating und Kreditstanding sowie den Bekanntheitsgrad des Emittenten angepasst werden14.
31.12 Weiter ist zu unterscheiden zwischen einem Open Pricing und einem Fixed Pricing. Bei
einem Open Pricing wird zu Beginn des Angebots nur ein vorläufiger Preis festgelegt. Bei einem Fixed Pricing wird der Preis bereits zu Beginn des Angebots fixiert. Im Gegensatz zum Aktienmarkt dominiert im Anleihemarkt nach wie vor das Fixed Pricing, das Festpreisverfahren15. Nur gelegentlich wird bei Anleiheemissionen das im Aktienmarkt inzwischen übliche Bookbuilding-Verfahren, eine Variante des Open Pricing, verwandt16. Beim Bookbuilding-Verfahren17 werden zunächst gezielt größere institutionelle Investoren darauf angesprochen, ihre Preisvorstellungen mitzuteilen. Auf der Basis der so ermittelten Preisspanne werden die potentiellen Investoren zur Abgabe von Angeboten aufgefordert (invitatio ad offerendum), die durch Zuteilung von den Banken angenommen werden können18.
31.13 Innerhalb dieser Preisspanne und innerhalb eines festgelegten Zeitraums, sog. Zeichnungsphase oder auch Bookbuilding-Phase, nimmt der Konsortialführer Angebote zum Kauf der Wertpapiere entgegen. Ein Bookbuilding-Verfahren ist auch ohne Preisspanne möglich. Diese Verfahrensart wird als Accelerated Bookbuilding bezeichnet19. Dabei werden zeitnah zur Emission die Wertpapiere ohne begleitendes Informationsmaterial den institutionellen Investoren angeboten und an diese anschließend veräußert.
31.14 Nach Ablauf der Bookbuilding-Phase werden die Angebote in einem Buch (book) aufbereitet. Dabei werden institutionelle Anleger in der Regel offen gelegt, Privatanleger bleiben da-
13 S. zur Problematik der Preisfindung auch R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.86 f.; Reimnitz in Büschgen/Richolt, S. 240, 260 f. 14 Ekkenga/Maas Das Recht der Wertpapieremissionen, § 2 Rz. 121; Reimnitz in Büschgen/Richolt, S. 240, 261. 15 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 154; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/92. 16 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/86 und 10/92; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 2 Rz. 129; a.A. wohl Groß, ZHR 162 (1998), 318; für syndizierte Anleiheemissionen ferner R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.87. 17 S. dazu R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.87; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/86 und Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/262a ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 69. 18 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.87; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/266; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 71. 19 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/263b; vgl. auch Seiler in Spindler/Stilz, AktG, § 221 Rz. 50 zu Wandelanleihen; ferner Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 260 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 74.
1018 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
gegen pauschal und anonym. Anschließend trifft der Konsortialführer in der Regel gemeinsam mit dem Emittenten anhand der aus dem Bookbuilding-Vorgang gewonnenen Erkenntnisse die Entscheidung über den Preis und ggf. auch über die Zuteilung der Wertpapiere20. Die Angebote von Investoren im Rahmen des Bookbuilding sind zwar bindend, können jedoch bis zur Annahme durch die jeweilige Bank widerrufen und auch abgeändert werden21. Dies entspricht der Interessenlage beider Parteien22. Die Abänderbarkeit bzw. Widerruflichkeit des Angebots folgt aus der Auslegung des Angebots des Investors. Es handelt sich dabei um ein Kapitalmarktgeschäft, das grundsätzlich zeitnah zum Erwerb vereinbart und unmittelbar danach abgeschlossen wird. Dies bedingt die Schnelligkeit des Kapitalmarkts. Dementsprechend muss dem Investor ein Widerrufsrecht gewährt werden, sofern das Geschäft erst zu einem späteren Zeitpunkt – nach Preisfestlegung und Zuteilung – abgeschlossen wird. Im Übrigen entspricht dies auch der Wertung des Gesetzes, das im Falle eines Nachtrags zum Prospekt einen Widerruf ausdrücklich grundsätzlich innerhalb von zwei Werktagen nach Veröffentlichung des Nachtrags zulässt (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 1 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 VO 2017/1129).
31.15
Das Angebot des Investors wird durch Zuteilung an den Investor angenommen, so dass mit Zuteilung der Kaufvertrag zwischen Investor und Emissionsbank über die Wertpapiere zustande kommt, ohne dass die Annahme dem Investor zugehen muss (§ 151 Abs. 1 BGB)23.
31.16
Sofern Bookbuilding-Phase und/oder Preisspanne nach Abgabe von Angeboten durch Investoren geändert werden, deckt – mit Ausnahme eines entsprechenden Vorbehalts bei der Aufforderung zur Zeichnung – das Angebot des Investors nicht mehr eine nach Änderung der Bookbuilding-Phase und/oder Preisspanne etwaig vorgenommene Annahme, so dass ein Vertrag nicht zustande kommt24. Deshalb muss – sofern das Angebot des Investors berücksichtigt werden soll – dem Investor nach entsprechender Änderung die Gelegenheit gegeben werden, sein Angebot zu aktualisieren. Dem wird im Rahmen eines öffentlichen Angebots Rechnung getragen, indem der Investor nach Veröffentlichung eines Nachtrags zum Prospekt grundsätzlich innerhalb von zwei Werktagen sein Angebot widerrufen kann (§ 16 Abs. 3 Satz 1 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 VO 2017/ 1129). Wer sich an einer Platzierung beteiligt, die an eine unbestimmte Anzahl der potenziellen Investoren gerichtet ist, muss auch damit rechnen, dass die Bedingungen der invitatio ad offerendum in der gleichen Weise geändert werden können, wie sie ursprünglich gestellt und veröffentlicht worden sind.
31.17
Bei der öffentlichen Zeichnung (Subskription) werden Anleger von den Konsortialbanken aufgefordert, für Wertpapiere, die Gegenstand einer bestimmten Emission sind, zu einem vorgegebenen Preis (und nicht wie beim Bookbuilding innerhalb einer Preisspanne sowie innerhalb einer bestimmten Frist)25 Erwerbsangebote abzugeben, d.h. die Wertpapiere zu
31.18
20 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/86 und Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/263a; vgl. auch Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 241; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.87. 21 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.87; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/266; Hein, WM 1996, 1, 4; Groß, ZHR 162 (1998), 318, 329. 22 Vgl. dazu Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/266. 23 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/267; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 75. 24 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/269a ff.; Hein, WM 1996, 1, 5; Groß, ZHR 162 (1998), 318, 331. 25 Anders wohl Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.16.
Diekmann | 1019
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
zeichnen. Erst nach Vorliegen des gesamten Zeichnungsergebnisses wird eine grundsätzlich gleichmäßige Zuteilung an die Anleger vorgenommen26. Die Zuteilungskriterien können im Vorhinein veröffentlicht und mehr oder weniger fixiert sein. Die Zeichnung als solche begründet noch keinen Anspruch auf Zuteilung. Die Banken haben also einen Ermessensspielraum, wem sie die Wertpapiere zuteilen, es sei denn, sie haben sich vorab verpflichtet, die veröffentlichten Zuteilungskriterien einzuhalten27. Mit der Zuteilung kommt der Erwerbsvertrag zustande28.
31.19 Beim Tendersystem wird ein fester Kurs nicht vorgegeben. Dafür steht meist eine andere
Größe, z.B. der Zinssatz (Zinstender), fest29. Der Zeichner wird gebeten, ggf. unter Berücksichtigung eines festgelegten Mindestkurses, einen Angebotskurs anzugeben. Die Zuteilung erfolgt sodann an die Anbieter, die einen im Nachhinein bestimmten Kurs geboten oder überboten haben, zu dem von ihnen gebotenen oder einheitlich zu dem nachträglich bestimmten Kurs30. Mit der Zuteilung kommt der Erwerbsvertrag zustande. Das Tenderverfahren findet vor allem bei der Emission von öffentlichen Anleihen Anwendung31.
31.20 Beim freihändigen Verkauf verkaufen die Konsorten die ihnen zugeteilten Wertpapiere
nach eigenem Ermessen, d.h. sie bestimmen, in welcher Höhe und wer Wertpapiere erwerben kann32. Den Anlegern kann sofort eine Abrechnung erteilt werden; der Kaufvertrag kommt mit Zeichnung durch den Investor (und nicht erst mit Zuteilung) zustande. Anders als bei Bookbuilding, Subskription und Tenderverfahren ist das Abwarten des gesamten Zeichnungsergebnisses hier nicht erforderlich.
4. Daueremission, Emissionsprogramme 31.21 Bei einer Daueremission werden Wertpapiere von einem Emittenten laufend begeben. Es
erfolgt keine Übernahme zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Preis ändert sich dabei entsprechend den Marktverhältnissen33. Emissionsprogramme sind Rahmenvereinbarungen für künftige Privatplatzierungen oder auch öffentliche Angebote34, wobei der Emittent im Rahmen von öffentlichen Angeboten sich eines Basisprospekts bedienen kann, der alle An-
26 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.100; Reimnitz in Büschgen/ Richolt, S. 240, 259. 27 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.100; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/84. 28 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.16; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/84. 29 Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 2 Rz. 133; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.106; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.18; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 218. 30 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/85; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 218; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 29 f.; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 182, 186 f.; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.106. 31 Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarkrecht, § 57 Rz. 19; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 2 Rz. 134; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.106; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.18; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 218. 32 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Bd. 5, Rz. 10/83; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 218; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.103. 33 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/89; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.128. 34 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/91; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.272; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 118.
1020 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
gaben über den Emittenten und die Wertpapiere enthält, nicht jedoch die endgültigen Bedingungen des Angebots (vgl. § 6 Abs. 1 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 8 Abs. 4 VO 2017/1129).
5. Rechtsnatur des Übernahmevertrages Die Rechtsnatur des Vertrags zwischen dem Emittenten und der Emissionsbank bzw. dem Emissionskonsortium ist entsprechend den Erscheinungsformen der Emission unterschiedlich zu beurteilen. Bei kommissionsweiser Platzierung liegt regelmäßig ein Kommissionsvertrag i.S.d. §§ 383 ff. HGB vor35.
31.22
Im Fall einer Übernahme der Anleihen durch die Emissionsbank wird vertreten, es handele sich um einen Kaufvertrag oder kaufähnlichen Vertrag36, einen Darlehensvertrag37 oder einen Vertrag eigener Art mit kaufrechtlichen sowie Darlehens- und Geschäftsbesorgungselementen38.
31.23
Beim Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuerstatten (vgl. § 488 Abs. 1 BGB). Insofern könnte der Übernehmer zunächst ein Darlehen gewähren, das der Emittent sodann durch Übereignung der Schuldverschreibungen an Erfüllungs statt (§ 364 BGB) zurückzahlt. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Emittent sein Geld nach dem Übernahmevertrag in der Regel erst gegen Aushändigung der Wertpapiere (und nicht schon vorher) erhält39. Die Wertpapiere werden in der Regel unmittelbar nach ihrer Begebung Zug-um-Zug gegen Zahlung des vereinbarten Ausgabepreises (ggf. abzüglich Provision sowie Kosten) übernommen40. Eine Kreditierung, wie sie ein Darlehensverhältnis vorsieht, liegt daher nicht vor. Die Emissionsbanken gewähren bei der Festübernahme dem Emittenten daher kein Darlehen. Ein Darlehensverhältnis, das die Kreditierung mit der anschließenden Rückzahlung zum Gegenstand hat, ist nicht gegeben.
31.24
Im Rahmen eines Kaufvertrags verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer eine Sache zu übergeben und ihm Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Käufer ist seinerseits verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). Forderun-
31.25
35 Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 182, 190; Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2243. 36 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/68; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 38; Hopt in FS Kellermann, 1991, S. 182, 190; Martens/Spiegelberg in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarkrecht, § 57 Rz. 38; a.A. Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2243. 37 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2243. 38 Schäfer in MünchKomm. BGB, Vor § 705 Rz. 57; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.111; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 145, 149; vgl. Rz. 30.2; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/68; Hopt, Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, Rz. 38; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.23 „eigenständiger Verpflichtungsvertrag“. 39 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/69; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.21. 40 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.281; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.21; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 149; Schäfer in MünchKomm. BGB, Vor § 705 Rz. 57; vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/69; Hartwig-Jacob, Vertragsbeziehungen, S. 129.
Diekmann | 1021
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
gen, die auf Geldzahlungen gerichtet sind, so z.B. Schuldverschreibungen, Order- oder Rektapapiere, sind ein Rechtskauf41. Rechte können dabei auch zukünftige Rechte sein42. Wertpapiere sind zunächst primär ein Rechtskauf, zugleich aber auch ein Sachkauf, weil zur Ausübung des Rechts der Besitz erforderlich ist43. Sofern die Anleihe begeben ist, verpflichtet sich der Emittent, die Anleihe dem Übernehmer zu verschaffen; der Übernehmer verpflichtet sich, dem Emittent den dafür vereinbarten Preis zu zahlen. Insofern könnte der Übernahmevertrag einen Kaufvertrag darstellen, als Rechtskauf, der zugleich ein Sachkauf ist, weil zur Ausübung des Rechts der Besitz erforderlich ist. Etwas anderes mag gelten, wenn zukünftig unverbriefte Titel begeben werden.
31.26 Bestandteil des Übernahmevertrags ist jedoch auch die Verpflichtung des Bankenkonsor-
tiums, die Anleihe zu platzieren. Auch ist in der Regel Bestandteil des Übernahmevertrags die Begebung der Anleihe unter Mitwirkung des Konsortialführers oder des Bankenkonsortiums44. Gerade dies zeichnet den Übernahmevertrag als ein einheitliches, auf Übernahme und Platzierung der Wertpapiere im Finanzierungsinteresse des Emittenten gerichtetes Schuldverhältnis aus45. Der Übernahmevertrag zielt in erster Linie auf die Schaffung und Platzierung der Anleihe. Er ist deshalb auch nicht als Kaufvertrag mit Geschäftsbesorgungselementen zu kennzeichnen46, sondern als Vertrag eigener Art, der sowohl kaufrechtliche als auch Geschäftsbesorgungselemente enthält.
31.27 Die Übernahme der Anleihe stellt daher grundsätzlich einen Vertrag eigener Art dar, der sowohl kaufrechtliche als auch Elemente der Geschäftsbesorgung aufweist. Etwas anderes gilt bei kommissionsweiser Übernahme. Dann handelt es sich um einen Kommissionsvertrag. Weiter können die Anleihen im fremden Namen und für fremde Rechnung platziert werden. Dann handelt es sich um einen Vermittler- oder Maklervertrag47.
III. Wesentliche Verpflichtungen der Vertragsparteien 1. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen des Bankenkonsortiums a) Pflicht zur Übernahme der Emission
31.28 Bei der Übernahmeverpflichtung ist zu unterscheiden zwischen einem Firm Commitment (auch Hard Underwriting) und einer kommissionsweisen Übernahme nur der platzierten (Teile der) Anleihe (Soft Underwriting) (s. Rz. 31.4 ff.).
41 Westermann in MünchKomm. BGB, § 453 Rz. 3; als sonstigen Kaufgegenstand einordnend Wilhelmi in BeckOK/BGB, § 453 Rz. 193; differenziert Beckmann in Staudinger, § 453 Rz. 76 der für Rektapapiere einen Rechtskauf annimmt, aber für Wertpapiere i.e.S. bspw. Orderpapiere grds. einen sonstigen Kaufgegenstand. 42 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 4; Saenger in Schulze, BGB, § 435 Rz. 2; Westermann in MünchKomm. BGB, § 453 Rz. 3. 43 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 10, 1; vgl. Westermann in MünchKomm. BGB, § 453 Rz. 5; a.A. Wilhelmi in BeckOK/BGB, § 435 Rz. 193; Beckmann in Staudinger, BGB, § 435 Rz. 76. 44 Vgl. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.22. 45 Schäfer in MünchKomm. BGB, Vor § 705 Rz. 57. 46 So auch Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/68; vgl. auch Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 212; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.111. 47 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.22; Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 34; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.91 f.
1022 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
Sofern ein Firm Commitment vereinbart wurde, stellt die Pflicht zur Übernahme der Anleihen die Hauptpflicht des Vertrags zwischen der Emissionsbank und dem Emittenten dar. Demnach verpflichten sich die Emissionsbanken, die vom Emittenten ausgegebenen Wertpapiere abzunehmen und den Übernahmepreis (abzüglich Kosten, Provisionen) zu zahlen48. Bei einem Konsortium verpflichten sich die Konsortialbanken gegenüber dem Emittenten i.d.R. nicht gesamtschuldnerisch, sondern nur anteilig zur Übernahme der Anleihen49.
31.29
Die Übernahme wird dabei oftmals so gestaltet, dass erst nach oder kurz vor Beendigung der Platzierung der Übernahmevertrag unterzeichnet bzw. die Anleihe begeben wird. Zu diesem Zeitpunkt steht in der Regel fest, ob und in welchem Umfang die Anleihe platziert werden kann. Ggf. kann dann auch – bei nicht so erfolgreicher Platzierung – die Anleihe in einem kleineren Umfang begeben werden (z.B. statt vorgesehenem Nennbetrag von 1 Mrd. Euro nur noch 750 Mio. Euro). Insofern ist das Risiko der übernehmenden Bank deutlich verringert, da sie ggf. nur wenige Tage im Risiko steht50. Im Ergebnis kommt dieses einem Soft Underwriting gleich.
31.30
Im Übrigen werden zur weiteren Reduzierung des Übernahmerisikos regelmäßig Krisenklauseln, sog. Business Material Adverse Change Clauses (Business MAC) und Market Material Adverse Change Clauses (Market MAC), vereinbart51. Diese sehen vor, dass die Verpflichtung zur Übernahme unter bestimmten Bedingungen entfällt.
31.31
Eine Pflicht zur Übernahme der Emission besteht nicht bei einem Soft Underwriting. Beim Soft Underwriting verpflichtet sich der Emittent, die Anleihe nur in der Höhe zu begeben und die Bank, die Anleihe nur in der entsprechenden Höhe zu zeichnen, wie die Anleihe erfolgreich bei Investoren platziert werden konnte. Üblicherweise geschieht dies dadurch, dass die Banken als Kommissionär die Wertpapiere für Rechnung des Emittenten (vgl. § 383 Abs. 1 HGB) platzieren52. Das heißt, sie schließen die Geschäfte in eigenem Namen ab, so dass die Banken selbst Vertragspartei werden. Die wirtschaftlichen Folgen treten jedoch beim Emittenten ein53.
31.32
b) Pflicht zur Unterbringung der Emission Neben der Übernahme bzw. der Pflicht, die Anleihe Investoren zum Erwerb anzubieten, trifft die Bank, falls nicht anderweitig vereinbart, eine Pflicht, sich um eine möglichst vollständige Platzierung der Anleihe bei Investoren zu bemühen. 48 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2250; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 112 ff.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 74. 49 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 144; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.23; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 213; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.282; Gesamtschuldnerhaftung wird aber im englischen Recht regelmäßig vereinbart, vgl. R. Müller ebenda; ferner Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 83 f. 50 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 138. 51 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2252 f.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdb., § 112 Rz. 72; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.295, 15.299 f.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 190; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. Börsennotierte AG, Rz. 8.167; zum Inhalt der Klauseln s. unten Rz. 31.81. 52 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.22; vgl. Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 34; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.91 f. 53 Brox/Henssler, Handelsrecht, Rz. 424 ff.
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31.33
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
31.34 Beim Soft Underwriting folgt dies aus dem Kommissionsvertrag. Zwar liegt das Risiko des
Platzierungserfolges hier grundsätzlich beim Emittenten54. Jedoch ist aus der Tätigkeit als Kommissionär allein zu folgern, dass die Bank sich um eine möglichst vollständige Unterbringung zu bemühen hat55.
31.35 Auch bei fester Übernahme der Emission hat der Emittent ein erhebliches Interesse, dass die Emission bei Investoren vollständig platziert wird. Im Fall der fehlenden ausdrücklichen Vereinbarung ist grundsätzlich aufgrund ergänzender Vertragsauslegung (§ 157 BGB) eine Nebenpflicht der Banken anzunehmen, sich um die Platzierung der Wertpapiere zu bemühen56.
31.36 Etwas anderes kann sich nur aus besonderen Umständen ergeben57, wie z.B. in der Präambel dargelegten Zweifeln an der Unterbringung der gesamten Anleihe. c) Zahlung des Emissionserlöses
31.37 Das Emissionskonsortium ist verpflichtet, den Emissionserlös (in der Regel nach Abzug
der Emissionsvergütung)58 an den Emittenten zu zahlen. In der Regel erfolgt dies unverzüglich nach Erhalt der Zahlungen durch Investoren, also in der Regel am Tag der Abrechnung (Closing) der Platzierung59. d) Beratungspflicht
31.38 Wesentlicher Grund für die Einschaltung eines Bankenkonsortiums in den Emissionsvor-
gang ist die besondere Sachkunde der Kreditinstitute. Die Beratung erfolgt typischerweise vor Abschluss des Übernahmevertrags und ausschließlich durch den Konsortialführer. Der Konsortialführer hat daher die Pflicht, den Emittenten in allen für die Emission wesentlichen Fragen zu beraten, wie die Wahl des Emissionszeitpunkts, die Höhe des festzulegenden Kurses, die Ansprache konkreter Investoren und ggf. die Platzierung in ausländischen Rechtsordnungen (z.B. USA) vorzunehmen60. Bzgl. des Letzteren haben die Kreditinstitute keine Pflicht zur Rechtsberatung. Sie sind jedoch aufgrund ihrer Erfahrung in solchen, mehrere Jurisdiktionen umfassenden Angeboten verpflichtet, den Emittenten auf etwaige erforderliche Schritte hinzuweisen.
54 Anders beim Übernahmegarantievertrag, bei dem sich die mitwirkenden Kreditinstitute verpflichten, die nicht platzierten Wertpapiere in den Eigenbestand zu übernehmen und damit garantiemäßig für den Erfolg der Platzierung einstehen; s. Rz. 31.5. 55 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2255; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdb., § 112 Rz. 75. 56 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2255; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 118 ff.; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 86 ff.; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 143; kritisch gegenüber der Annahme einer Platzierungspflicht ohne ausdrückliche Vereinbarung Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 75. 57 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2255; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 87 f.; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 143. 58 Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 160; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 146; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.283. 59 Vgl. ferner zur Emissionsvergütung Rz. 31.47. 60 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2249; Reimnitz in Büschgen/Richolt, S. 240, 256; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 77.
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Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
e) Sonstige Pflichten In vielen Fällen verpflichtet sich das Bankenkonsortium, die Anleihe zu begeben (s. dazu Rz. 31.59). Des Weiteren verpflichtet sich gelegentlich der Konsortialführer, die Funktion der Zahlstelle (dazu Rz. 31.96 ff.) zu übernehmen. Schließlich werden Pflichten der Banken hinsichtlich der Platzierungsmodalitäten begründet. Dazu gehören die Fragen, wie und wo platziert werden darf, so z.B. die Verpflichtung der Banken, die Anleihen nur privat und nicht öffentlich zu platzieren (s. Rz. 31.8 ff.).
31.39
Eine weitere Pflicht, die häufig vereinbart wird, ist die Pflicht zur Beantragung der Zulassung des Handels der Wertpapiere an einer bestimmten Börse61, wobei dies auch in einem getrennten Dokument vereinbart werden kann. Hier ist die Mitwirkung einer Bank i.d.R. unerlässlich (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 BörsG für die Mitwirkung bei Zulassung zum regulierten Markt)62.
31.40
Für die Börsenzulassung wird in der Regel ein Prospekt benötigt (vgl. § 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG). Die Erstellung eines Prospekts zur Börsenzulassung hat aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung zu den Anlegern und des damit verbundenen Haftungsrisikos eine besondere Bedeutung. Dabei wird die Erstellung des Prospektes Gegenstand einer detaillierten Regelung im Übernahmevertrag sein. Obwohl die Publizitätspflicht primär den Emittenten trifft, übernimmt oftmals das Bankenkonsortium bzw. der Konsortialführer die Pflicht zur Prospekterstellung63. Die Banken sollten aufgrund ihres Fachwissens und ihrer Kapitalmarkterfahrung regelmäßig besser dazu befähigt sein als der Emittent. Allerdings ist der Konsortialführer bei der Erstellung des Prospektes notwendigerweise auf die Mithilfe des Emittenten angewiesen. Er benötigt umfangreiche Informationen über das Unternehmen, darunter auch solche, die noch nicht veröffentlicht sind. Viele Übernahmeverträge sehen daher vor, dass der Emittent alle Informationen für die zutreffende Darstellung seiner wirtschaftlichen Situation beibringen soll, während der Konsortialführer dafür Sorge tragen soll, dass der Prospekt den formalen Anforderungen deutschen Rechts genügt64.
31.41
Sofern der Konsortialführer den Prospekt zu erstellen hat, wird in dem Übernahmevertrag durch den Konsortialführer oftmals eine Klarstellung gefordert, dass ihn durch diese Aufgabe keine zusätzliche Verantwortlichkeit trifft65. Hiermit soll die Einwendung des Emittenten ausgeschlossen werden, dass dieser letztlich aufgrund der Führung des Konsortialführers bei der Prospekterstellung für etwaige Ansprüche aus Prospekthaftung nicht einstehen muss. Im Außenverhältnis ist der Emittent zwar stets – auch bei Erstellung des Prospektes durch den Konsortialführer – für den Prospekt (mit)verantwortlich66. Daran
31.42
61 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2257 f.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 81; Reimnitz in Büschgen/Richolt, S. 240, 262; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 10.141. 62 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 213. 63 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 93; vgl. zu möglichen Ausnahmengestaltungen auch Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.33. 64 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 93; Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, § 16.02 Rz. 18.1; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 85. 65 So auch Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 373 a.E. 66 Vgl. § 32 Abs. 2 BörsG sowie § 5 Abs. 4 WpPG und § 21 Abs. 1 WpPG n.F. (§ 44 Abs. 1 BörsG a.F., ab 21. Juli 2019 vgl. auch Art. 11 Abs. 1 VO 2017/1129); Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, HGB, VII Rz. 55.
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§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
ändert auch die Prospekterstellung durch den Konsortialführer nichts67. Im Innenverhältnis kommt jedoch eine Regresshaftung des prospekterstellenden Konsortialführers gegenüber dem Emittenten in Betracht. Mit der genannten Klausel kann die Haftung der Banken für den Inhalt des Prospekts im Innenverhältnis zwar beschränkt werden. Eine solche Klausel kann den Konsortialführer allerdings nicht vollständig von der Haftung für die von ihm übernommenen Aufgaben im Rahmen der Prospekterstellung befreien. Denn die Haftung aus Vorsatz kann im Voraus nicht erlassen werden (s. § 276 Abs. 3 BGB). Sofern dem Konsortialführer daher bei der Prospekterstellung Fehler unterlaufen, die auf vorsätzliches Handeln zurückzuführen sind, ist er insofern auch im Innenverhältnis gegenüber dem Emittenten zum Schadenersatz verpflichtet.
31.43 Dies mag auch ein Grund dafür sein, insbesondere bei größeren Emissionen die Prospekterstellung dem Emittenten (bzw. seinem Rechtsvertreter) federführend zu überlassen.
31.44 Der Konsortialführer verpflichtet sich in der Regel, den Antrag auf Billigung des Prospekts
sowie der Börsenzulassung der Anleihe gemeinsam mit dem Emittenten zu stellen68. Weiter verpflichten sich die Parteien, dementsprechend auch im Außenverhältnis die Verantwortung für das Dokument zu übernehmen (s. auch § 5 Abs. 4 WpPG, ab 21. Juli 2019 vgl. auch Art. 11 Abs. 1 VO 2017/1129)69. Die Zulassung der Wertpapiere zum Börsenhandel geschieht dabei gelegentlich erst nach einer vorab im Rahmen einer Privatplatzierung vorgenommenen Unterbringung der Anleihe bei institutionellen Investoren.
31.45 Angesichts des umfangreichen Organisationsaufwandes und anderer Anforderungen an
den Prospekt und daraus folgender Haftungsrisiken wird man eine Pflicht zur Börsenzulassung nur bei ausdrücklicher Vereinbarung annehmen und dem Übernahmevertrag eine konkludente Verpflichtung nicht entnehmen können70.
2. Wesentliche vertragliche Verpflichtungen der Emittenten 31.46 Der Emittent schuldet bei der Festübernahme die Lieferung der Wertpapiere bzw. die
Begebung der Wertpapiere71. Bei der kommissionsweisen Übernahme ist die Lieferung der Effekten nur eine Obliegenheit (vgl. § 396 Abs. 1 Satz 2 HGB)72. Den Emittenten trifft weiter die Pflicht, eine Zahlstelle zu begründen und ggf. für einen Trust zu sorgen (s. Rz. 31.96 ff.). Er kann darüber hinaus verpflichtet werden, bis zum Abschluss der Platzierung gewisse Handlungen zu unterlassen, die die Platzierung gefährden.
31.47 Um die Veräußerbarkeit der Anleihe nach Platzierung zu ermöglichen, wird der Emittent
gelegentlich verpflichtet, nicht nur die Anleihe an einer Börse zum Handel zuzulassen, sondern auch die Börsennotierung während der Laufzeit der Anleihe aufrechtzuerhalten73.
67 Vgl. hierzu Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 55. 68 Die Zulassung ist vom Emittenten gemeinsam mit einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut zu beantragen, vgl. § 32 Abs. 2 BörsG. 69 S. auch zur Freistellung Rz. 31.72 ff. 70 Hartwig-Jacob, Recht der internationalen Anleihen, S. 92; Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 81; a.A. Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2257 f. 71 Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 114; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 76; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 145; zur Begebung s. Rz. 31.59; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 163. 72 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 76. 73 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.289.
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Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
Weiter schuldet der Emittent den Banken eine Emissionsvergütung, die in der Regel nicht selbstständig geltend gemacht wird, sondern durch die Differenz zwischen Übernahmeund Verkaufspreis der Anleihe realisiert wird74. Daneben sind bei entsprechender Vereinbarung noch weitere Provisionsansprüche der Banken möglich, wie zum Beispiel die Vereinbarung einer besonderen Vergütung für die Einführung der Effekten an der Börse75. Aufwendungen, die nicht die Übernahme oder Unterbringung der Effekten betreffen, sind grundsätzlich vom Emittenten zu erstatten. Anspruchsgrundlage hierfür sind §§ 675, 670 BGB76. Aus Sicht des Emittenten empfiehlt sich deshalb eine abschließende Regelung der Aufwandserstattung im Übernahmevertrag.
31.48
Darüber hinaus wird oftmals eine Verpflichtung des Emittenten zur Freistellung des Bankenkonsortiums von Forderungen Dritter begründet, denen das Konsortium im Zusammenhang mit der Emission ausgesetzt ist77.
31.49
3. Drittwirkende Verpflichtungen aus dem Übernahmevertrag Der Übernahmevertrag zwischen Bankenkonsortium und Emittent ist in der Regel nicht als ein Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB anzusehen. Daher haben die Investoren daraus keinen Anspruch auf Zuteilung78. Der Konsortialführer ist grundsätzlich frei in der Wahl des Modus für die Repartierung einer Emission bei Überzeichnung, es sei denn, er hat vertraglich mit dem Emittenten etwas anderes vereinbart.
31.50
Bei vorheriger öffentlicher Mitteilung der vorgesehenen Repartierungsweise ist die Bank allerdings an die veröffentlichte Art der Repartierung gebunden79. Bei Abweichungen ist eine Haftung der Banken nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB und u.U. auch aufgrund des Verbots des venire contra factum proprium möglich80.
31.51
Weitere drittwirkende Verpflichtungen können sich ebenfalls daraus ergeben, dass die Anleihe nicht so abgesichert ist, wie angekündigt. Denn solche Sicherheiten sind auf die Verwertung gerichtet und Erlöse daraus können daher nur den Anlegern gebühren81.
31.52
Weiter sind Rechte Dritter im Rahmen des Bezugsrechts denkbar, d.h. bei Ausgabe von Schuldverschreibungen mit Bezugsrechten von Aktionären (wie z.B. Genussrechten, Wan-
31.52a
74 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2259; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.283; ausf. zur Ausgestaltung der Provision Singhof/Wilhemi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.10 f.; vgl. ferner Rz. 31.37. 75 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2260; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 115 f.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 76. 76 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2260; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdb., § 112 Rz. 83; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 115; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.13. 77 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2261; vgl. ausführlich Rz. 31.72 ff. 78 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2267; Horn, Recht der Internationalen Anleihen, S. 107 f.; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 131; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.25. 79 A.A. Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 131. 80 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2269. 81 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 132 a.E.; vgl. auch R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.127 f.
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§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
del- und Optionsanleihen). Hier wird die Bank in der Regel verpflichtet, ein Bezugsrechtsangebot an die Aktionäre abzugeben (vgl. §§ 221 Abs. 4, 186 Abs. 5 AktG). Dies begründet einen Anspruch der Aktionäre auf Bezug der Anleihe als Vertrag zugunsten Dritter82.
4. Vorvertragliche Regelungen (Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) 31.53 Die rechtliche Beziehung zwischen dem Emittenten und dem Bankenkonsortium beginnt
mit der Aushandlung der Anleihebedingungen und der diesbezüglichen Beratung durch den Konsortialführer83. Gelegentlich wird vor Beginn der Tätigkeiten ein Letter of Intent unterzeichnet. In diesem verpflichtet sich in der Regel nur der Konsortialführer, den Emittenten bei der Begebung und Platzierung zu beraten84. Ausdrücklich sollte in diesem Dokument klargestellt werden, dass mit dem Letter of Intent eine Übernahmeverpflichtung nicht begründet wird.
31.54 Selbst wenn keine Vereinbarungen in einem Letter of Intent getroffen worden sind,
kommt dennoch eine Haftung des Konsortialführers gegenüber dem Emittenten aus der Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) in Betracht85. Zu denken ist zunächst an einen Schadensersatzanspruch aufgrund falscher, irreführender Darstellung der Marktverhältnisse bzw. der Platzierbarkeit der Anleihe86. Der Konsortialführer ist auch verpflichtet, den Emittenten auf ggf. platzierungsschädliche oder fehlende, von Investoren erwartete Bestimmungen in den Anleihebedingungen hinzuweisen. Insoweit hat er dem Emittenten seine Erfahrung, sein Wissen bzw. die Kenntnisse, die man von einem Konsortialführer erwarten kann, zur Verfügung zu stellen und dementsprechend zu beraten.
31.55 Bei Verletzung dieser Pflichten ist der Emittent so zu stellen, als wäre er richtig beraten wor-
den (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB)87. Im Fall des Firm Commitment (s. dazu Rz. 31.5) soll es in der Regel jedoch an einem Schaden des Emittenten fehlen, weil die Banken die Anleihe übernehmen und das Unterbringungsrisiko selbst tragen88. Dem kann jedoch nur eingeschränkt zugestimmt werden. Wenn vor allem der Platzierungspreis und damit der den Emittenten zufließende Erlös von der Zeichnung der Anleihe durch die Investoren abhängt, kann – trotz Festübernahme – ein Schaden entstehen. Allerdings wird
82 BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2766 = AG 1991, 270; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, NJW 1992, 2222, 2225 = AG 1992, 312; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, NJW 1993, 1983; vgl. Rz. 30.2; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 152; Canaris, Bankvertragsrecht Rz. 2270. 83 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 133; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 71. Das Konsortium konstituiert sich erst nach Festlegung der Bedingungen. 84 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb, § 39 Rz. 135. 85 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2249; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 40; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 344; Schäfer in Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2003, § 23 Rz. 99. 86 Ähnlich Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 71; vgl. auch Schücking in Münchener Hdb. GesR, Band 1, § 32 Rz. 98. 87 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2249. 88 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2249; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 344.
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Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
der Emittent in der Regel einen Schaden wohl nur bedingt substantiieren und beweisen können89. Hinsichtlich der Frage, ob der Emittent einen anderen und damit richtigen Rat der Banken auch befolgt hätte, ist die Beweislast jedoch zu Lasten der Banken umzukehren90. Neben der Verletzung der Beratungspflichten kommt eine Haftung des Konsortialführers bei treuwidriger Verhinderung des Vertragsschlusses in Betracht91. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Konsortialführer ohne Grund die Platzierung der Anleihe verweigert und dies zu einem für den Konsortialführer erkennbaren Schaden des Emittenten führt. Darüber hinaus trifft den Konsortialführer eine vorvertragliche Schweigepflicht92.
31.56
Die Haftung trifft grundsätzlich alle am Konsortium beteiligten Banken, sofern das Konsortium schon zum Zeitpunkt der vorvertraglichen Pflichtverletzung bestand und der Konsortialführer bei der Pflichtverletzung für das Konsortium gehandelt hat93. In der Regel wird jedoch die gesamtschuldnerische Haftung der Konsortialbanken im Rahmen des Übernahmevertrags ausgeschlossen, so dass die oben dargestellte Haftung dann nur den (oder bei mehreren die) Konsortialführer trifft. Denn grundsätzlich „führen“ die Konsortialführer die Platzierung; sie strukturieren und beraten. Die anderen Konsortialbanken nehmen eine untergeordnete Rolle ein, so dass sich insofern etwas anderes i.S.d. § 426 BGB ergibt, so dass die nicht das Konsortium führenden Banken deshalb nicht zur Haftung herangezogen werden können. Sofern ein Übernahmevertrag (noch) nicht unterzeichnet worden ist, kommt daher zunächst nur eine Haftung der Konsortialführer in Betracht, da es sich insoweit um (vorvertragliche) Pflichten handelt, die i.d.R. nicht das Konsortium, sondern nur den (späteren) Konsortialführer treffen94.
31.57
Neben dem Konsortialführer hat auch der Emittent vorvertragliche Pflichten zu beachten. Er hat den Konsortialführer über seine Verhältnisse aufzuklären, wobei er über alle Umstände zu informieren hat, welche für den Entschluss des Bankenkonsortiums, an der Emission mitzuwirken, von erkennbarer Bedeutung sind95.
31.58
IV. Begebung der Anleihe 1. Begebungsvertrag und Übergabe In der Regel werden auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen begeben (§§ 793 ff. BGB)96. Geschaffen werden die Schuldverschreibungen durch Begebung. Dies ist ein 89 Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 344. 90 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2249; vgl. zur Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens allgemein BGH v. 12.5.2009 – XI ZR 586/07, NZG 2009, 828, 830 m.w.N. 91 Näher dazu Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 77 f.; s. auch Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 71. 92 Näher dazu Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 78. 93 In der Regel existiert zum Zeitpunkt der vorvertraglichen Beratung noch kein Konsortium, vgl. auch Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 344; Schantz in Schwintowski, Bankrecht, § 23 Rz. 38 ff., 52 ff. 94 Schantz in Schwintowski, Bankrecht, § 23 Rz. 40, 52; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 358. 95 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 75 f. 96 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 29; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 127; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.261.
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31.59
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
Rechtsgeschäft zwischen dem Emittenten und einem Dritten. Erforderlich ist die Ausgabe der Urkunde unter Abschluss eines Begebungsvertrags97. Dritter zum Abschluss des Begebungsvertrags sind in der Regel das Bankenkonsortium (handelnd durch den Konsortialführer) oder der Konsortialführer des Bankenkonsortiums98.
31.60 Der Emittent hat sich in der Urkunde zu einer bestimmten Leistung an den jeweiligen Inhaber zu verpflichten. Der Ausstellungsakt ist durch die Unterschrift abzuschließen (Skriptur)99. Darüber hinaus ist ein vom Aussteller mit dem ersten Nehmer zu schließender Begebungsvertrag erforderlich (Vertragstheorie)100. Der Begebungsvertrag hat einen doppelfunktionalen Charakter. Er ist Übereignungs- und zugleich auch Verpflichtungsvertrag. Er begründet die Verpflichtung des Emittenten (an den Inhaber) zu leisten und verschafft damit dem Bankenkonsortium bzw. dem Konsortialführer das verbriefte Recht. Zugleich ist er darauf gerichtet, das Eigentum an der Urkunde zu übertragen. Sowohl der Verpflichtungs- als auch der Übereignungsvertrag vollziehen sich in einem einheitlichen Akt101.
31.61 Bei der kommissionsweisen Übernahme wird dagegen kein Begebungsvertrag geschlossen, weil die in die Übernahme miteinbezogenen Papiere bereits vorhanden sind.
2. Verbriefung und Verwaltung 31.62 Die urkundliche Verbriefung der Schuldverschreibung ist zur Entstehung des Rechts zwingend erforderlich (s. Rz. 31.59). Heute werden fast ausschließlich Sammelurkunden, auch Globalurkunden genannt, ausgegeben. Die herkömmliche Verwahrung von einzeln ausgedruckten Wertpapierurkunden und ihre Verwaltung wurde als zu kostspielig und risikogefährdet angesehen102. Die Wertpapiere werden in Sammelverwahrung genommen, so dass die Anteile der einzelnen Investoren ungetrennt von den Beständen vieler anderer Hinterleger derselben Wertpapiere (§ 5 DepotG) verwahrt werden103 und in einer Sammelurkunde verbrieft sind (§ 9a Abs. 1 Satz 1 DepotG)104.
31.63 Die Sammelurkunde bzw. Globalurkunde ist ein Wertpapier, das mehrere Rechte ver-
brieft, die jedes für sich in vertretbaren Wertpapieren einer und derselben Art verbrieft
97 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz und Scheckgesetz, WPR Rz. 43; Brox/Henssler, Handelsrecht, Rz. 610; Sprau in Palandt, BGB, § 793 Rz. 8; Marburger in Staudinger, BGB, Vor §§ 793–808 Rz. 18. 98 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 149; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 311. 99 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz und Scheckgesetz, WPR Rz. 43; es genügt jedoch Faksimile Brox/Henssler, Handelsrecht, Rz. 610. 100 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz und Scheckgesetz, WPR Rz. 43; Brox/Henssler, Handelsrecht, Rz. 610. 101 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz und Scheckgesetz, WPR Rz. 43; vgl. Sprau in Palandt, BGB, § 793 Rz. 8, Rz. 1; Marburger in Staudinger, BGB, Vor §§ 793–808 Rz. 18; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.13. 102 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 6; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.94. 103 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 6; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.93; s. auch Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 767 ff. 104 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 6; genauer dazu Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.118; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 759.
1030 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
sein können. Sie wird bei der Wertpapiersammelbank eingeliefert. Der einzelne Investor hat zwar kein Sondereigentum an dem Wertpapier, dafür aber Miteigentum nach Bruchteilen an den im Sammelband befindlichen Wertpapieren derselben Gattung105. Einzige deutsche Wertpapiersammelbank i.S.d. § 1 Abs. 3 DepotG ist die Clearstream Banking AG. Einzelstücke können sich die Investoren grundsätzlich ausliefern lassen (§§ 7, 8 i.V.m. 9a Abs. 3 DepotG). Dieser Anspruch wird jedoch in den Emissionsbedingungen regelmäßig ausgeschlossen (vgl. § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG)106. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der einzelne Rechtsinhaber über seine Rechte nur im Wege des Effektengiroverkehrs verfügen kann. Durch Umbuchung bei der Sammelbank werden die Einzelrechte übertragen107.
31.64
V. Representations and Warranties Zwischen den Parteien des Übernahmevertrags werden in der Regel sog. Representations and Warranties vereinbart. Damit gibt (im erheblichen) Umfang der Emittent und ggf. auch das Bankenkonsortium gewisse Zusicherungen und Gewährleistungen ab108.
31.65
1. Darstellung der wesentlichen Representations and Warranties Durch den Emittenten in der Regel abzugebende Representations and Warranties sind nicht nur allgemeine, üblicherweise zu findende Gewährleistungen, sondern auch solche, die einen konkreten Bezug zur Geschäftstätigkeit des Emittenten aufweisen. Wesentliche allgemeine Gewährleistungen sind folgende109: – Wirksamkeit der zu emittierenden Anleihen und die Gleichrangigkeit der begebenen Anleihen mit schon bestehenden und zukünftig zu begebenden Anleihen des Emittenten, – Richtigkeit des Jahresabschlusses (Konzernabschlusses) des Emittenten, – Richtigkeit und Vollständigkeit des Wertpapierprospekts bzw. der sonstigen Verkaufsunterlage zur Platzierung bzw. zur Börsennotierung der Anleihe, – vollständige Einzahlung der Einlagen des Emittenten und keine Rückzahlung der Einlagen des Emittenten und seiner Tochtergesellschaften sowie – keine anhängige Klage, keine anderweitigen rechtlichen Verfahren oder Schiedsverfahren, die einen erheblichen nachteiligen Effekt auf die Finanz- und Ertragslage des Emittenten haben könnten, die nicht bekannt und in der Verkaufsunterlage bzw. dem Wertpapierprospekt offengelegt sind. 105 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 6; vgl. auch Kumpan in Baumbach/ Hopt, HGB, § 9a DepotG Rz. 2; Einsele in MünchKomm. HGB, Depotgeschäft, Rz. 53. 106 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 7; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 311; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 81; in diesen Fällen liegt eine Dauer-Globalurkunde vor. 107 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 7; Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 72 Rz. 57. 108 Zur Rechtsnatur dieser Representations and Warranties s. Rz. 31.68 ff. 109 Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/101; Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 373; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.286.
Diekmann | 1031
31.66
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
31.67 Das Bankenkonsortium kann seinerseits als Representation and Warranty im Übernahme-
vertrag angeben, dass es die für die zu emittierenden Wertpapiere bei der Platzierung zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen befolgt und ggf. nur eine Privat- (und keine öffentliche) Platzierung durchführt mit Ausnahme in den Jurisdiktionen, die die Voraussetzungen einer öffentlichen Platzierung (in der Regel nur aufgrund eines Prospekts) erfüllen.
2. Rechtsnatur der Representations and Warranties nach deutschem Recht 31.68 Aufgrund der kaufrechtlichen Elemente des Übernahmevertrags (s. Rz. 31.25 ff.) sind hin-
sichtlich der Rechtsstruktur der Representations and Warranties zunächst die Vorschriften des Kaufrechts zu berücksichtigen. Dabei finden auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen die Vorschriften über den Kauf von Sachen entsprechende Anwendung (§ 453 BGB). Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn das verkaufte Recht nicht besteht, nicht in dem Umfang besteht, wie im Kaufvertrag vorausgesetzt oder wenn andere Rechte dem entgegenstehen110. Der Verkäufer haftet für den Bestand des Rechts. Das Recht muss den Inhalt und den Rang haben, wie im Kaufvertrag vereinbart worden ist111. Der Verkäufer haftet für das Bestehen und die Übertragbarkeit nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht (§§ 281, 283 bis 285, 311a und 326 BGB)112. Besteht ein belastendes Drittrecht, so liegt ein Rechtsmangel in entsprechender Anwendung des § 435 BGB vor mit den Rechtsfolgen des § 437 BGB113.
31.69 In den Representations and Warranties ist zu den dargelegten gesetzlichen Rechtsfolgen
eine Garantieübernahme (§ 311 BGB) zu sehen. Denn aufgrund der durch eine ausdrückliche Auflistung hervorgehobenen besonderen Wichtigkeit der von Representations and Warranties erfassten Umstände lässt der Parteiwille auf die Übernahme einer verschuldensunabhängigen Haftung schließen. Die Garantie lässt die gesetzlichen Rechte des Käufers unberührt, begründet aber eine zusätzliche verschuldensunabhängige Haftung114.
31.70 Insoweit führt die Zusicherung des Emittenten im Übernahmevertrag bezüglich der Wirk-
samkeit der Anleihen zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Emittenten115. Dies ist aufgrund der dargelegten Auslegung selbst dann der Fall, wenn – was häufig geschieht – die Representations and Warranties nicht ausdrücklich als verschuldensunabhängige Garantie bezeichnet werden.
31.71 Durch die Aufnahme von Representations and Warranties im Übernahmevertrag ergibt
sich für die Vertragsparteien daher eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht (Garantiehaftung, § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB)116. Die Parteien verpflichten sich, den aus der Verletzung der Representations and Warranties entstandenen Schaden zu ersetzen. Eine Einschränkung erfolgt teilweise die durch sog. „best knowledge“ oder „material adverse 110 111 112 113 114 115
Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 18. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 21. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 19. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 453 Rz. 20a. R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.285. Im Hinblick auf die Abschaffung des § 437 BGB a.F. ergibt sich die Erforderlichkeit der Zusicherung der Wirksamkeit des emittierten Wertpapiers auch für das deutsche Recht, vgl. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/101; zu Auswirkungen einer Due Diligence auf Haftungsansprüche s. Rz. 33.46 ff.; vgl. auch Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.32. 116 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.285.
1032 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
change“ Qualifier. Das heißt einzelne Garantien werden auf das Wissen des Emittenten beschränkt bzw. werden nur dann verletzt, wenn sie das Geschäft des Emittenten wesentlich beeinflussen117. Darüber hinaus wird oftmals eine Freistellung des Geschädigten von Schäden und allen Aufwendungen vereinbart, die im Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung und Verteidigung von rechtlichen Verfahren oder Klagen gemacht werden (vgl. zur Freistellung Rz. 31.72 ff.). Des Weiteren kann dem Bankenkonsortium bei Verletzung der Representations and Warranties durch den Emittenten ein Rücktrittsrecht eingeräumt werden118. Auch können zum sog. Closing (s. dazu Rz. 31.37) die Einhaltung der Representations and Warranties als Bedingung für das Zustandekommen des Übernahmevertrags ausgestaltet sein (s. Rz. 31.78).
VI. Haftungsfreistellung 1. Freistellung der Konsortialbanken von der Prospekthaftung und sonstigen Ansprüchen durch den Emittenten Übernahmeverträge sehen regelmäßig eine Freistellung der Mitglieder des Bankenkonsortiums vor. Dies betrifft eine Freistellung im Falle von Ansprüchen aufgrund der Verletzung der Representations and Warranties und insbesondere die Freistellung von der Prospekthaftung nach § 21 WpPG (ab dem 21. Juli 2019 Art. 11 VO 2017/1129)119. Werden die Konsortialbanken im Rahmen der Prospekthaftung in Anspruch genommen, so wird den Konsortialbanken ein Rückgriffsrecht gegen den Emittenten gewährt. Die Freistellung wird in der Regel auf die Inanspruchnahme von Mitarbeitern und Organmitgliedern ausgedehnt (vgl. Rz. 29.57 ff.).
31.72
Die Zulässigkeit vollständiger Haftungsfreizeichnungen der Banken im Innenverhältnis soll die Gefahr in sich bergen, dass diese die Angaben des Emittenten im Hinblick auf den Prospekt nicht mehr sorgfältig genug prüfen und somit die Anleger nicht hinreichend vor unsicheren Emissionen schützen120. Solche Haftungsfreistellungen der Banken sind jedoch im Innenverhältnis üblich121. Sie werden von den Banken verlangt und sind grundsätzlich nicht verhandelbar122. Ihre Zulässigkeit könnte bestritten werden mit dem Argument, dass die gesetzlich vorgeschriebene gesamtschuldnerische Haftung des Bankenkonsortiums für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts (§ 21 WpPG, ab 21. Juli 2019 Art. 11 VO 2017/1129) unterlaufen würde. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die gesamtschuldnerische Haftung den Anleger schützen soll. Dieser Schutzzweck wird durch die Vereinbarung einer Freistellung zwischen Emittent und Bankenkonsortium im
31.73
117 Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.32; vgl. Rz. 30.17; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 168; zur Aktienemission s. Rz. 29.40; Technau, AG 1998, 445, 454. 118 Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 374. 119 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.291; Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 55. 120 S. auch Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 131, der einen bestimmten Kernbereich eigener Sorgfaltspflichten der Banken annimmt, für deren Beachtung sie sich möglicherweise auch im Innenverhältnis nicht vollkommen freizeichnen können. 121 Vgl. auch zu den Haftungsfreistellungen Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 93; Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2261. 122 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.292; Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 90.
Diekmann | 1033
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
Innenverhältnis nicht unterlaufen. Denn diese Freistellung ändert nichts an dem Schutz durch die nach wie vor gegenüber dem Anleger gegebene gesamtschuldnerische Haftung des Bankenkonsortiums und des Emittenten. Außerdem wird durch die Haftungsfreistellung auch den unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen der Parteien des Übernahmevertrags Rechnung getragen123. Denn die wirtschaftlichen Vorteile aus der Platzierung erhält zum größten Teil der Emittent, während den Konsortialbanken nur ein verhältnismäßig geringer Vorteil durch die Provision zufließt. Auch hat der Emittent einen erheblich besseren Zugang zu den prospektrelevanten Informationen als die Banken.
31.74 Allerdings kann durch die Haftungsfreistellung der Verstoß der Banken gegen ihre eigenen Sorgfaltspflichten bei vorsätzlichem Handeln nicht ausgeschlossen werden (§ 276 Abs. 3 BGB)124. Da der Prospekt jedoch i.d.R. ein Dokument des Emittenten ist (vgl. hierzu aber auch Rz. 31.42 f.), kommt ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten seitens der Banken nur für die in der Regel sehr wenigen von den Banken für die Prospekterstellung gelieferten Informationen in Betracht.
31.75 Fraglich ist, ob der Freistellungsanspruch der Banken ausdrücklich geregelt werden muss
oder ob er mangels Vereinbarung auch aus dem Sinn und Zweck des Übernahmevertrags hergeleitet werden kann, etwa weil er Ausdruck allgemein geltender Grundsätze über die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Emittenten und Banken im Innenverhältnis bei Ansprüchen Dritter ist. Aus dem Übernahmevertrag ergibt sich die Pflicht des Emittenten, alle Informationen für die zutreffende Darstellung seiner wirtschaftlichen Situation beizubringen. Dies folgt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung. Deshalb kann sich ein Rückgriffsanspruch der Bank im Falle einer Falschinformation durch den Emittenten aus den früher ungeschriebenen und heute kodifizierten Rechtsinstituten der positiven Vertragsverletzung (pVV) sowie der culpa in contrahendo (c.i.c., §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) ergeben125. Hierfür ist allerdings ein Verschulden des Emittenten erforderlich. Im Übrigen stellt eine Freistellungsvereinbarung eine weitgehende, ggf. belastende Regelung dar, die nicht ohne ausdrückliche Festschreibung als vereinbart gelten kann.
2. Freistellung des Emittenten durch die Konsortialbanken 31.76 Im Übernahmevertrag stellen die Konsortialbanken den Emittenten regelmäßig hinsicht-
lich der von ihnen im Prospekt gemachten Angaben bei Inanspruchnahme des Emittenten durch Dritte frei126.
VII. Bedingungen und Rücktrittsrechte 31.77 Grundsätzlich trägt das Bankenkonsortium in der Zeit zwischen Übernahmevertrag und
dem Valutierungstag das Platzierungsrisiko, sofern die Banken ein Firm Commitment übernommen haben (s. Rz. 31.5). Während dieser Zeit versuchen die Konsortialmitglieder, die Wertpapiere, zu deren Übernahme sie sich verpflichtet haben, zu platzieren. Aufgrund 123 Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, VII Rz. 55; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 15.292. 124 So wohl auch Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 93; vgl. auch Rz. 31.42 f. 125 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 93 f. 126 Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 130; a.A. „manchmal“ Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 90.
1034 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
von politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen können sich in dieser Zeit die Marktverhältnisse aber derart ändern, dass die für die Übernahme vereinbarten Konditionen nicht mehr marktgerecht sind und die Emission sinnvollerweise nicht mehr durchgeführt wird127. Der Übernahmevertrag wird daher unter gewisse Bedingungen gestellt; alternativ werden Rücktrittsrechte vereinbart. Bei einem Soft Underwriting (s. Rz. 31.6) wird in der Regel der Vertrag erst mit erfolgter Platzierung und Festlegung der Platzierungskonditionen (des sog. Pricing) abgeschlossen. Der Übernahmevertrag kann weiter aufschiebend bedingt auf die Festlegung der Konditionen, eines sog. Preisfestsetzungsvertrags (Pricing Agreement), geschlossen werden. Im Pricing Agreement werden die Konditionen der Anleihe geregelt. Eine Verpflichtung zum Abschluss des Pricing Agreement gibt es jedoch nicht. Sofern es zu einer Einigung zwischen Emittent und Banken über die Konditionen der Anleihe nicht kommt, wird der Übernahmevertrag nicht wirksam128.
31.77a
1. Bedingungen Übliche aufschiebende Bedingungen sind zunächst, dass die Representations and Warranties der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Abrechnung der Anleiheemission richtig sind. Darüber hinaus müssen dem Konsortialführer üblicherweise einige Dokumente übergeben werden129. Dies betrifft insbesondere sog. Legal Opinions, mit denen die Wirksamkeit des Übernahmevertrags bestätigt wird (s. dazu Rz. 33.7, Rz. 35.11 ff.).
31.78
Weiter kommt in Betracht, dass die Parteien des Übernahmevertrags zum Abrechnungszeitpunkt sich über den Emissionspreis und sonstige Bedingungen (z.B. Kupon) einigen und ein Pricing Agreement abschließen (s. Rz. 31.77a).
31.79
Darüber hinaus kann als aufschiebende Bedingung vorgesehen sein, dass unvorhersehbare Ereignisse (sog. Force Majeure) nicht eintreten130. Dies sind Ereignisse, wie zum Beispiel die Zerstörung von wesentlichen Betriebsstätten des Emittenten aufgrund höherer Gewalt. Im Ergebnis ist dies nichts anderes als die schriftliche Festlegung des allgemeinen Grundsatzes „rebus sic stantibus“131.
31.80
Weitere aufschiebende Bedingungen sind sog. Material Adverse Change-Klauseln, d.h. die Übernahme der Anleihen steht unter der Bedingung, dass ein Material Adverse Change nicht eingetreten ist. Diese haben eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Emittenten (sog. Business MAC) sowie einen sog. Market MAC zum Gegenstand (s. Rz. 31.31). Ein Business MAC tritt ein, wenn im Geschäft des Emittenten wesentliche Änderungen zwischen Unterzeichnung des Übernahmevertrags und letztlich Lieferung der platzierten Anleihe an die Investoren eingetreten sind. Beispiele sind eine wesentliche Veränderung von wirtschaftlichen Bilanzkennzahlen oder auch eine Herabstufung
31.81
127 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 72; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.295, 15.299 f. 128 Vgl. auch Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.27. 129 Neben Legal Opinions auch der sog. Comfort Letter; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.296; s. ferner unter § 34. 130 R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.295; häufig als Grund für ein Rücktrittsrecht Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.44. 131 Ähnlich Schantz in Schwintowski, Bankrecht, § 23 Rz. 77.
Diekmann | 1035
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
des Emittenten im Rating bei Standard & Poors oder bei Moody’s. Durch die Market MAC ist eine Übernahme dann ausgeschlossen, wenn aufgrund einer allgemeinen Marktsituation, z.B. aufgrund wesentlicher nachteiliger Ereignisse, die Anleihe nicht mehr oder zur Zeit nicht veräußerbar ist. Als Paradebeispiel eines Market MAC sind die Terror-Ereignisse des 11. September 2001 zu nennen. In den Verträgen wird hierzu z.B. angeknüpft an eine vorübergehende Schließung von größeren Börsen (z.B. New York Stock Exchange oder auch der Frankfurter Wertpapierbörse) bzw. an ein erhebliches, in der Regel genau bestimmtes Absinken wichtiger Börsen-Indices. Auch in Betracht kommt die Anordnung des vorübergehenden Ruhens des Bankverkehrs oder des Handels an Wertpapierbörsen durch die Bundesregierung nach § 46g Abs. 1 Nr. 2 und 3 KWG bzw. § 25 Abs. 1 BörsG oder durch ausländische Stellen aufgrund deren Bestimmungen.
31.82 Ein Market MAC kann auch eine Aussetzung des Währungsmarkts in Deutschland oder der USA bezüglich des Tauschs von Euros und U.S.-Dollars oder die Auferlegung jeglicher beschränkender Gesetze in Bezug auf die Währung oder den Tausch darstellen.
31.83 Bedingungen, die bis zum Closing nicht eintreten sollen, werden dabei auch als auflösende
Bedingung angesehen132. Die Parteien wollen jedoch in diesem Fall, dass ein Vertrag nicht entsteht. Ihr Wille zielt nicht darauf ab, den Vertrag aufzulösen, sondern Verpflichtungen aus dem Vertrag überhaupt, d.h. von Anfang an nicht begründen zu wollen. Deshalb sind diese Bedingungen in der Regel als aufschiebende Bedingungen aufzufassen (vgl. Rz. 29.67).
31.84 Darüber hinaus wird vereinbart, dass das Vorliegen eines Business MAC oder Market MAC
durch das Bankenkonsortium bzw. auch nur durch den Konsortialführer als Vertreter des Bankenkonsortiums, ggf. nach vorab erfolgter Beratung mit dem Emittenten, festgestellt wird. Dies gibt letztendlich dem Bankenkonsortium die Handhabe, den Übernahmevertrag einseitig beenden zu können. Das Bankenkonsortium wird dies aber aufgrund vertraglicher Nebenpflichten nicht im freien eigenen Ermessen tun können. Im Zweifel ist jedoch durch das Bankenkonsortium nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für einen Business MAC bzw. Market MAC erfüllt waren, d.h., dass in dem im Vertrag beschriebenen Rahmen die Anleihe nicht (oder nicht zu den festgelegten Bedingungen) platzierbar ist.
31.85 Darüber hinaus wird vereinbart, dass das Bankenkonsortium einseitig auf die Einhaltung
der Bedingungen verzichten kann. Dies führt dazu, dass ggf. trotz Business MAC oder Market MAC die Anleihe platziert wird und damit die Platzierung nicht gegenstandslos wird. Dies dient vor allem der Rechtssicherheit. Bei Zweifelsfragen, ob eine Bedingung eingetreten ist, kann durch einen Verzicht klargestellt werden, dass der Übernahmevertrag trotzdem durchgeführt werden soll.
2. Rücktrittsrechte 31.86 Vertragstechnisch kann anstelle einer Bedingung auch ein Rücktrittsrecht vereinbart wer-
den133, welches je nach Vertragsgestaltung sowohl von dem Bankenkonsortium als auch von dem Emittenten ausgeübt werden kann. Als vertraglich festgelegte Rücktrittsgründe
132 Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 129; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.293. 133 Vgl. Busch, WM 2001, 1277, 1278, dessen Aufsatz Aktienemissionen zum Gegenstand hat; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 129; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.299.
1036 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
kommen namentlich der Eintritt unvorhersehbarer Ereignisse134 und die wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Emittenten bis zum Zeitpunkt der Valutierung in Betracht. Vereinzelt wird bei Verletzung der Gewährleistung der anderen Vertragspartei neben der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ein Rücktrittsrecht eingeräumt.
31.87
Gesetzlich kommt ein Rücktrittsrecht nach §§ 323 ff. BGB wegen Unmöglichkeit oder bei Mängeln der Effekten (zur kaufrechtlichen Gewährleistung s. Rz. 31.68) sowie bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten nach § 321 BGB oder bei Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB in Betracht135.
31.88
Bei Eintritt der Ereignisse, die zum Rücktritt berechtigen, können sowohl der Emittent als auch das Bankenkonsortium zurücktreten, ohne dass hierdurch irgendwelche Ansprüche entstehen. In diesem Fall haben – vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung – beide Parteien die ihnen entstandenen Kosten selbst zu tragen136. Aus Gründen der Rechtsklarheit wird das Rücktrittsrecht auf Seiten des Bankenkonsortiums meist ausdrücklich dem Konsortialführer zugewiesen. Erfolgt eine solche ausdrückliche Zuweisung nicht, dürfte die Ausübung des Rücktrittsrechts jedoch aufgrund der Wesentlichkeit eines Rücktritts für das Konsortium als Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine Geschäftsführungsmaßnahme sein, so dass auch der mit Alleingeschäftsführungsbefugnis ausgestattete Konsortialführer nicht zum Rücktritt befugt ist.
31.89
Oft wird vertraglich festgelegt, dass die Feststellung über ein zum Rücktritt berechtigendes Ereignis im Ermessen des Konsortialführers steht137. Hierbei steht den Konsortialführern jedoch kein uneingeschränktes Ermessen zu. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen zu entscheiden, ob die Anleihe noch unter den angestrebten Konditionen platzierbar ist138.
31.90
VIII. Sonstige Regelungen 1. Rechtswahl Da der Übernahmevertrag sich als Vertrag sui generis darstellt, gelten die allgemeinen Regeln des Internationalen Privatrechts zum Vertragsstatut139. Anwendbar ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 VO Nr. 593/2008 (Rom I-VO) zunächst das von den Parteien ausdrücklich oder stillschweigend gewählte Recht. Die Parteien sind in der Wahl des anwendbaren Rechts grundsätzlich frei; sie können den Vertrag auch einem Recht unterstellen, zu dem er sonst keine Beziehung aufweist. 134 Busch, WM 2001, 1277, 1278. 135 Vgl. Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 72; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.301; diese als bedeutungslos ansehend Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.45. 136 Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 72; a.A. R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.300. 137 Busch, WM 2001, 1277, 1278 Fn. 15. 138 Zur Auslösung der Bedingungen durch den Konsortialführer und der insoweit auch beim Rücktrittsrecht geltenden Beweislast s. Rz. 31.84. 139 S. ausführlich zu Fragen des anwendbaren Rechts: Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 306 ff.
Diekmann | 1037
31.91
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
31.92 Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, gilt das Recht des Staates, in dem die Par-
tei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 VO Nr. 593/2008 [Rom I-VO])140. Art. 4 Abs. 1 lit. a VO Nr. 593/2008 ist nicht anwendbar, da es sich nicht um einen Kaufvertrag handelt141.
31.93 Grundsätzlich erbringt bei einem Kaufvertrag der Verkäufer die charakteristische Leis-
tung, da der Käufer lediglich zu einer uncharakteristischen Geldleistung verpflichtet ist. Bei Übernahmeverträgen geht es aber über die kaufrechtlichen Elemente hinaus um die Platzierung von Effekten und um das Ob und Wie der Platzierung beim Anlegerpublikum. Auch übernimmt das Bankenkonsortium ggf. Verwaltungs- und andere Pflichten. Es ist also davon auszugehen, dass das Bankenkonsortium die charakteristische Leistung erbringt142. Treten mehrere Banken als Konsortium auf, so ist das Recht des Ortes, an dem der Konsortialführer seine Niederlassung hat, maßgeblich143. Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 1 lit. b VO Nr. 593/2008144.
2. Gerichtsstand 31.94 Die Regeln über die internationale Zuständigkeit sind so komplex und umstritten, dass Gerichtsstandsvereinbarungen zur Vermeidung von Konflikten vorteilhaft sind145. Es ist allgemein anerkannt, dass der Gerichtsstand durch Parteivereinbarung bestimmt werden kann146. Grundsätzlich dürften sich keine Probleme bezüglich der Gerichtswahl ergeben, weil die Parteien Kaufleute bzw. öffentlich-rechtliche Emittenten sind, und die Schriftform gewahrt wird147.
31.95 Wird ein Gericht außerhalb des Landes des Emittenten für zuständig erklärt, so ist darauf zu achten, dass Anerkennung und Vollstreckung im Land des Emittenten gewährleistet sind. Grundsätzlich ist es günstig, lex fori und lex causae übereinstimmen zu lassen, da das zuständige Gericht wegen der Nähe zu dem anwendbaren Recht besser in der Lage ist, eine schnelle und gründliche Entscheidung zu finden148.
140 Zum gleichen Ergebnis kam man gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB a.F., vgl. 2. Aufl. § 25 Rz. 89 ff. und die Nachweise dort. 141 Schuldverschreibungen fallen nicht unter die Norm, vgl. Magnus in Staudinger, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 38. 142 Martiny in MünchKomm. BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 218 f.; für die im Kern inhaltsgleichen Vorgängerregeln: Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 223; Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 115 m.w.N.; a.A. für Unterscheidung nach der jeweiligen Verpflichtung: Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 312; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 197. 143 Magnus in Staudinger, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 295f, 285; Grundmann in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 86; zum alten Recht Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken, Rz. 223. 144 Vgl. hierzu Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 86; Martiny in MünchKomm. BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 219. 145 Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 312. 146 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 116 m.w.N. 147 S. dazu auch Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 413 f. 148 Vgl. auch Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, § 4 Rz. 312.
1038 | Diekmann
Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen | § 31
IX. Weitere Dokumente im Zusammenhang mit der Begebung von Anleihen 1. Zahlstellenvertrag Der Emittent, für den die Bundesrepublik Deutschland Herkunftsstaat ist (vgl. § 2 Abs. 6 WpHG a.F. nunmehr § 2 Abs. 17 WpHG), hat neben der Übergabe und Begebung der Wertpapiere sicherzustellen, dass der Zinsdienst und auch die Rückzahlung der Anleihe ordnungsgemäß abgewickelt werden. Deshalb hat er eine Zahlstelle zu benennen (vgl. § 30a Abs. 1 Nr. 4 WpHG a.F. nunmehr durch das 2. FiMaNoG verschoben in § 48 Abs. 1 Nr. 4 WpHG)149. Die Vereinbarung über die Beauftragung einer Zahlstelle kann Teil des Übernahmevertrags sein, kann jedoch auch in einem separaten Vertrag vereinbart werden150. Oft wird eine sog. Hauptzahlstelle benannt. Dies ist oft der Konsortialführer151.
31.96
Aufgabe der Zahlstelle ist es, „alle erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich der Wertpapiere zu bewirken“ (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 4 WpHG). Hierunter fallen unter anderem die fälligen Zins- und Tilgungszahlungen gegen Einreichung der Kupons und Schuldverschreibungen durch die Anleihegläubiger termingerecht durchzuführen, vorläufige Schuldverschreibungen gegen endgültige umzutauschen oder beschädigte und verlorene gegen neue Schuldverschreibungen einzutauschen152. Sofern die Anleihe – was bei börsennotierten Anleihen heute üblich ist – (ausschließlich) girosammelverwahrt ist, wird die Zahlstelle von dem Emittenten die erforderlichen Mittel für fällige Zins- und Tilgungszahlungen anfordern, um diese sodann über die Clearingstelle (z.B. Clearstream Banking AG) zur Zahlung an die Depotbanken zur Verfügung zu stellen.
31.97
Der Emittent verpflichtet sich, der Hauptzahlstelle die für die Zins- und Tilgungszahlungen erforderlichen Beträge rechtzeitig bereitzustellen. Regelmäßig wird vereinbart, dass die Mittel nicht verzinst werden müssen und die entsprechenden Konten des Emittenten bei der Hauptzahlstelle provisionsfrei geführt werden153.
31.98
Die Zahlstelle erhält für ihre Dienste eine Vergütung, die – im Falle nicht ausschließlich girosammelverwahrter Stücke – proportional zur Zahl der eingelösten oder sonst bearbeiteten Schuldverschreibungen und Kupons berechnet werden kann. Zudem erhält die Zahlstelle die ihr im Zusammenhang mit ihren Aufgaben entstehenden besonderen Auslagen ersetzt154.
31.99
Im Übrigen lässt sich die Zahlstelle in der Regel von Ansprüchen Dritter aufgrund ihrer Tätigkeit freistellen. Die Freistellung kann sich dabei nicht auf etwaige Ansprüche Dritter aufgrund vorsätzlichen und grob fahrlässigen Verhaltens der Zahlstelle begründen.
31.100
149 Geibel in Albrecht/Karahan/Lenenbach, Fachanwalts-Hdb., § 39 Rz. 152; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.55; vgl. zum Zahlstellenvertrag auch Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 161. 150 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 123; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 783. 151 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 123; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 782 f. 152 Ausführlich zu den Verpflichtungen der Zahlstelle: Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 127 ff.; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 330 ff.; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 30a WpHG Rz. 34; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.55. 153 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 143. 154 S. dazu auch: Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 144; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 333; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 794.
Diekmann | 1039
§ 31 | Übernahmevertrag bei Anleiheemissionen
31.101
Die Zahlstelle wird als Erfüllungsgehilfin des Emittenten i.S.d. § 278 BGB tätig155. Nach überwiegender Auffassung handelt sie aufgrund eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses mit Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 670 BGB und nicht als Dritte im Rahmen des § 267 BGB156.
2. Weitere Dokumente 31.102
Neben der Zahlstelle ist insbesondere der im Bereich des angelsächsischen Rechts entstandene Anleihetrust zu regeln. Dieser dient dazu, eine umfassende, einheitliche, rechtliche und organisatorische Regelung zu schaffen. Dadurch wird eine zusammengefasste Verwaltung und Ausübung der Rechte zahlreicher Anleihegläubiger erreicht157.
31.103
So verwaltet der Trustee u.a. die für die Anleihe bestellten Sicherheiten158. Er überprüft gewisse Verpflichtungen des Emittenten während der Laufzeit der Anleihe, wie z.B. die Einhaltung gewisser Bilanzrelationen. Er passt ggf. die Gläubigerrechte an veränderte Verhältnisse an. Dies kann durch Vereinbarung mit dem Anleiheschuldner erfolgen. Durch solche Regelungen soll auf veränderte Verhältnisse flexibel reagiert werden. Es besteht aber auch die Gefahr einer unkontrollierten Verkürzung der Rechte der Obligationäre. Daher ist zumeist in den Bestimmungen der Anleihetrusts vorgesehen, dass der Trustee Änderungen nur in Angelegenheiten untergeordneter Art selbstständig vereinbaren kann und dass bei wichtigen Angelegenheiten die Zustimmung der Anleihegläubiger erforderlich ist159.
31.104
Schließlich setzt der Trustee auch Gläubigerrechte bei Leistungsstörungen durch160. Verträge, die die Beziehungen des Emittenten als Anleiheschuldner und der neben ihm verpflichteten Personen zu den Anleihegläubigern organisatorisch regeln, bezeichnet man auch als Anleiheorganisationsverträge161.
31.105
Für Anleihen nach dem deutschen Recht hat der Gesetzgeber mit dem Schuldverschreibungsgesetz vom 5. August 2009 die Figur des gemeinsamen Vertreters der Gläubiger gestärkt. Dieser kann nun auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens von den Gläubigern gewählt oder in den Anleihebedingungen bestellt werden162. Insofern ist eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen, wenn der Vertreter der Gläubiger bereits in den Anleihebedingungen bestellt wird.
155 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 30a WpHG Rz. 32; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.55. 156 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 145; Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 335; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 787. 157 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 581; Oulds in Veranneman, SchVG, Vor § 5 Rz. 38. 158 Vgl. hierzu ausführlich R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.392; ferner Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 516 ff. 159 Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 352. 160 Hartwig-Jacob, Internationale Anleiheemissionen, S. 121; s. auch Oulds in Veranneman, SchVG, Vor § 5 Rz. 38. 161 Zu dem Begriff der Anleiheorganisationsverträge s. Horn, Recht der internationalen Anleihen, S. 326. 162 Vgl. §§ 7, 8 SchVG; ausführlich hierzu Oulds in Veranneman, SchVG, §§ 7, 8 Rz. 2.
1040 | Diekmann
§ 32 Konsortialvertrag I. Konsortialgeschäft der Banken .
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32.1
Effektenkonsortialgeschäft . . Emissionsgeschäft . . . . . . . Platzierung . . . . . . . . . . . . Börseneinführung . . . . . . . Verwaltung von Sicherheiten Weitere Dienstleistungen . . . a) Kuponeinlösung . . . . . . . b) Konversion und Umtausch von Urkunden . . . . . . . . c) Tilgungen . . . . . . . . . . . d) Information der Anleger . . e) Stabilisierung . . . . . . . . .
. . . . . . .
. 32.3 . 32.4 . 32.7 . 32.8 . 32.10 . 32.11 . 32.11
. . . .
. . . .
III. 1. 2. 3. 4. 5.
Funktion des Konsortiums Vermittlungskonsortium . . Begebungskonsortium . . . . Garantiekonsortium . . . . . Übernahmekonsortium . . . Einheitskonsortium . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
IV. 1. 2. 3. 4.
Interessen der Beteiligten Konsortialführer . . . . . . Konsortialbanken . . . . . . Unterbeteiligte . . . . . . . . Dritte . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
Gestaltungsformen Außenkonsortium Innenkonsortium . Unterkonsortium .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
II. 1. 2. 3. 4. 5.
32.12 32.13 32.14 32.15 32.16 32.17 32.18 32.19 32.20 32.21 32.22 32.23 32.24 32.26 32.27
3. Geschäftsführung und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigentumsverhältnisse und Außenhaftung . . . . . . . . . . . . 5. Haftung im Innenverhältnis . . . 6. Gewinn- und Verlustbeteiligung 7. Zusätzliche Regelungen . . . . . . 8. Nicht geregelte Gegenstände . . X. Rechte und Pflichten der Konsortialbanken . . . . . 1. Rechte der Konsorten . . 2. Pflichten der Konsorten 3. Haftungsmaßstab . . . . .
VI. Rechtsnatur des Konsortiums . 32.31
XIV. 1. 2. 3.
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
VII. Anwendbares Recht . . . . . . . . 32.37 VIII. Zustandekommen des Konsortialvertrags . . . . . . . . . . . . . 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelkonsortium . . . . . . . . . 3. Einheitsvertragskonsortium . . 4. Einladungsschreiben . . . . . . . 5. Konsortialvertrag . . . . . . . . .
. . . . . .
32.38 32.38 32.39 32.40 32.42 32.44
IX. Inhalt des Konsortialvertrags . . 32.45 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.46 2. Mitglieder und Quoten . . . . . . 32.47
. . . .
. . . .
. . . . . . . .
32.48 32.50 32.53 32.55 32.59 32.61 32.63 32.63 32.66 32.69 32.70 32.70 32.71 32.72
. 32.73 . 32.74
XII. Änderungen des Konsortialvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . 32.75 XIII. 1. 2. 3.
. . . .
. . . .
XI. Zusätzliche Rechte und Pflichten des Konsortialführers . . . 1. Geschäftsführung . . . . . . . . . 2. Vertretung . . . . . . . . . . . . . 3. Gewinnbeteiligung . . . . . . . . 4. Aufwendungsersatz und Haftungsfreistellung . . . . . . . 5. Auskunftspflichten . . . . . . . .
32.28 32.28 32.29 32.30
V. 1. 2. 3.
. . . .
_ __ __ _ __ __ __ __ __ _ __ __ __ __ __ __ __ _
Auflösung des Konsortiums Zweckerreichung . . . . . . . Kündigung . . . . . . . . . . . Insolvenz . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Öffentliches Wirtschaftsrecht Bankaufsichtsrecht . . . . . . . Kartellrecht . . . . . . . . . . . . Kapitalmarktrecht . . . . . . . a) Verhaltenspflichten . . . . . b) Insiderrecht . . . . . . . . . . c) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten . . . . . . . d) Wertpapierübernahmerecht 4. Währungs- und Devisenrecht 5. Außenwirtschaftsrecht . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . .
. . . .
32.76 32.76 32.78 32.79 32.81 32.82 32.83 32.85 32.85 32.86 32.88 32.89 32.91 32.93
XV. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . 32.94
Schrifttum: Andreas, Das Bundesanleihekonsortium, Probleme der Ordnung und Regulierung des Kapitalmarktes (Schriftenreihe des Instituts für Kapitalmarktforschung), 1972, S. 102; Assmann, Zur Haftung von Konsortien für das rechtsgeschäftliche Handeln ihrer Vertreter, ZHR 152 (1988), 371; Bärwaldt, Emissionskonsortium, in Beck’sches Hdb. Personengesellschaften, 4. Aufl. 2014, § 22 Rz. 71 ff.; Biber, Das Konsortialgeschäft der Banken in steuerlicher Sicht, 1980; Böse, Der Einfluss
Schücking | 1041
§ 32 | Konsortialvertrag zwingenden Rechts auf internationale Anleihen, 1963; Delorme/Hoessrich, Konsortial- und Emissionsgeschäft, 2. Aufl. 1971; De Meo, Bankenkonsortien, 1994; Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer (Stand: März 2018); Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR VII Rz. VII 16 ff.; Groß/Klein, Kein Untergang von Verlusten nach § 8c KStG beim Börsengang, AG 2007, 896; Grundmann in Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2016, BankvertragsR, 6. Teil Rz. 23 ff., 34 ff.; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001; Hopt, Emissionsgeschäft und Emissionskonsortien, FS Alfred Kellermann, 1991, S. 181; Hottenrott, Ausgesuchte Fragen des Rechts der Begebung von Globalanleihen durch deutsche Emittenten, 2002; Immenga, Die Stellung der Emissionskonsortien in der Rechts- und Wirtschaftsordnung, 1981; Koch, Das Konsortialgeschäft der Banken, BankA 1921/22, 237; Köndgen, Zur Theorie der Prospekthaftung, AG 1983, 85 und 120; Möschel, Das Konsortialgeschäft der Kreditinstitute im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Emissionskonsortien als marktbeherrschende Unternehmen, ZHR 136 (1972), 273; W. Obermüller/M. Obermüller, Die Unterbeteiligung im Bankgeschäft, Eine Übersicht über die Praxis, FS W. Werner, 1984, S. 607; Pöhler, Das internationale Konsortialgeschäft der Banken, 1988; Reiter, Das Bundesanleihekonsortium im Zusammenhang mit Gesamtwirtschaft, Staat, Banken und Kapital, 1967; Freiherr von Rosen, Der zentrale Kapitalmarktausschuss, 1975; Freiherr von Rosen, Freiwillige Selbstkontrolle für DM-Auslandsanleihen, ZKW 1973, 894; Scholze, Das Konsortialgeschäft der deutschen Banken (2 Halbbände), 1973; Scholze, Das Konsortialgeschäft, ZKW 1954, 160; Scholze, Vorfinanzierung und Emission, ZKW 1954, 188; Scholze, Zeichnung und Prospekthaftung, ZKW 1954, 216; Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl. 1976; Schücking, Das Internationale Privatrecht der Banken-Konsortien, WM 1996, 281; Schücking, Emissionskonsortien, in MünchHdb. GesR Bd. 1, 5. Aufl. 2018, § 32; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, 1998; Storck, Das Konsortialgeschäft der Euro-Banken, Die Bank 1979, 529; Sydow, Über Consortien oder so genannte Syndikate zur Actienbegebung, ZHR 19 (1874), 427; Timm/Schöne, Zwingende gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder eines Übernahmekonsortiums?, ZGR 1994, 113; Ungnade, Rechtliche Aspekte der DM-Auslandsanleihen, BB 1975, 300; Vallenthin, Rechtsgrundlagen des Bankgeschäfts, 1974; H.P. Westermann, Das Emissionskonsortium als Beispiel der gesellschaftsrechtlichen Typendehnung, AG 1967, 285; Wielens, Die Emission von Auslandsanleihen, 1971.
I. Konsortialgeschäft der Banken 32.1
Zum Konsortialgeschäft der Banken gehören zum einen die dem Kreditgeschäft zuzuordnenden Kredit-, Sicherheiten- und Sanierungskonsortien und zum anderen die im Zusammenhang mit dem Effektengeschäft eingegangenen Konsortialverträge, für die sich der Oberbegriff „Emissionskonsortien“ eingebürgert hat. Die Abgrenzung der Emissionskonsortien von den Kredit- und Sicherheitenkonsortien ist nicht so scharf, wie dies auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn es gibt Emissionen von Wertpapieren, die parallel mit der Gewährung eines Konsortialkredits durchgeführt werden. So hat z.B. die Heidelberger Zement AG 2003 gleichzeitig eine Erhöhung ihres Grundkapitals und eine von ihr begebene Wandelschuldverschreibung bei Anlegern platziert und einen Konsortialkredit aufgenommen. Auch bei der Finanzierung der Monsanto-Übernahme durch die Bayer AG werden sowohl Kredit- als auch Emissionskonsortien benötigt. In anderen Fällen werden zur Finanzierung von Unternehmenskäufen durch Finanzinvestoren gleichzeitig konsortialiter gewährte Akquisitionskredite aufgenommen und gegenüber diesen nachrangige High Yield Bonds begeben und bei Investoren platziert. Zudem werden bei der Begebung von Anleihen in manchen Fällen Sicherheitentreuhänder eingesetzt, die eine ähnliche Rolle wie die Treuhänder von Sicherheitenpools spielen.
32.2
Gemeinsam mit den Beteiligungskonsortien machen die genannten Kredit- und Emissionskonsortien das Konsortialgeschäft der Banken aus. Dieses Geschäft ist entsprechend 1042 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
seiner lateinischen Wurzel „consors“ (= Schicksalsgenosse) dadurch gekennzeichnet, dass die mit größeren Geschäften verbundenen Risiken auf mehrere Beteiligte verteilt werden. Bei den Kreditkonsortien steht der Gedanke der Risikoteilung so stark im Vordergrund, dass sie als Gefahrengemeinschaften einzustufen sind. Demgegenüber gewinnt bei den Emissionskonsortien die gemeinsame Erbringung einer Dienstleistung gegenüber dem Motiv der Risikoteilung so viel Gewicht, dass sie als Leistungsgemeinschaften angesehen werden, bei denen der Zusammenschluss gerade auch deshalb erfolgt, um gemeinsam Leistungen zu erbringen, zu denen jeder einzelne Konsorte für sich allein entweder gar nicht oder nicht gleich gut und gleich schnell im Stande wäre.
II. Effektenkonsortialgeschäft Für Bankenkonsortien, die wertpapierbezogene Geschäfte erbringen, hat sich der Begriff „Emissionskonsortium“ als Bezeichnung durchgesetzt. Solche Konsortien sind aber keineswegs nur im Emissionsgeschäft in dem engen Sinne tätig, wie es etwa in § 1 Abs. 1 Nr. 10 KWG und in § 2 Abs. 8 Nr. 5 WpHG beschrieben ist. Sie erbringen vielmehr zahlreiche weitere Dienstleistungen.
32.3
1. Emissionsgeschäft Das Emissionsgeschäft bildet den Schwerpunkt der Tätigkeit der Banken im Effektenkonsortialgeschäft. Der vom lateinischen „emittere“ (= aussenden, ausschicken) abgeleitete Begriff Emission bezeichnet die „Ausgabe“ von Wertpapieren. Dabei hat das Fremdwort „Emission“ denselben zweifachen Sinn wie das deutsche Wort „Ausgabe“. Es bezeichnet zum einen die Gesamtheit aller gleichzeitig ausgegebenen Wertpapiere einer Gattung und zum anderen den Vorgang der Ausgabe von Wertpapieren. Im Emissionsgeschäft der Banken geht es um diesen Vorgang der Ausgabe von Wertpapieren. Dementsprechend befassen sich die Banken im Emissionsgeschäft mit der Ausstellung, Begebung, Übernahme und Platzierung neuer Wertpapiere sowie mit der Platzierung bereits bestehender oder neu ausgegebener Wertpapiere, sowohl in Form von Schuldverschreibungen als auch von Aktien. Aktien kommen im Emissionsgeschäft als „alte Aktien“, wie sie bei der Privatisierung von Staatsunternehmen und beim Börsengang von Unternehmen (IPO) platziert werden, und auch als „junge Aktien“ aus Kapitalerhöhungen vor.
32.4
Das Emissionsgeschäft liegt nahezu ausschließlich in der Hand von Banken und Finanzdienstleistungsinstituten. Die Gründe dafür liegen im Kapitalmarkt- und im Aktienrecht. Denn nur Banken oder Finanzdienstleistungsinstitute, die die in § 32 Abs. 2 BörsG genannten Voraussetzungen erfüllen, können die Zulassung von Wertpapieren zum regulierten Markt beantragen. Bei der Emission von Aktien wirkt sich die in § 186 Abs. 5 AktG getroffene Regelung zugunsten der Banken aus, dass das mittelbare Bezugsrecht der Aktionäre nur durch inländische und bestimmte ausländische Kreditinstitute abgewickelt werden darf. Zudem setzen die Übernahme von Wertpapieren und die Abgabe von Platzierungsgarantien nach §§ 1 Satz 2 Abs. 1 Nr. 10, 32 KWG eine Bankerlaubnis und die bloße, als Dienstleistung erbrachte Platzierung von Wertpapieren nach §§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1c, 32 KWG eine Finanzdienstleistungserlaubnis voraus.
32.5
Das Emissionsgeschäft der Banken wird durch weitere Dienstleistungen vor und nach der Ausgabe neuer Wertpapiere ergänzt, die von den Banken zusätzlich zu ihren Dienstleis-
32.6
Schücking | 1043
§ 32 | Konsortialvertrag
tungen bei der Ausgabe und Platzierung der Wertpapiere erbracht werden. Dies gilt sowohl für die Beratung des Emittenten über die zweckmäßige Emissionspolitik, die Art der auszugebenden Wertpapiere, eine geeignete Strategie zur Platzierung der Wertpapiere und die Wahl des besten Zeitpunkts für die geplante Emission als auch für eine Reihe nachstehend angesprochener Dienstleistungen, die im Anschluss an die Ausgabe und Platzierung der neuen Wertpapiere erbracht werden.
2. Platzierung 32.7
Im Mittelpunkt des Emissionsgeschäfts steht die Platzierung der Wertpapiere bei geeigneten Investoren. Dabei geht es dem Emittenten vor allem darum, die von ihm ausgestellten Wertpapiere unterzubringen. Darüber hinaus legt er jedoch auch Wert darauf, seine Emission bei langfristig orientierten Kapitalanlegern zu platzieren, damit der Kurs der Wertpapiere nicht durch kurzfristige Verkäufe unter Druck gerät. Die Wertpapiere werden regelmäßig öffentlich platziert und zwar auf der Grundlage eines Verkaufsprospekts, für den die Bestimmungen des Wertpapierprospektgesetzes gelten. Bisweilen werden Wertpapiere auch durch ein Private Placement im Wege einer individuellen Ansprache einzelner Investoren platziert, ohne dass ein öffentliches Angebot stattfindet.
3. Börseneinführung 32.8
Da die Anleger bevorzugt in fungible Wertpapiere investieren, ist die Börseneinführung der angebotenen Wertpapiere in aller Regel Voraussetzung für deren erfolgreiche Platzierung. Gleichwohl sind die Dienstleistungen der Börseneinführung und der Platzierung von Wertpapieren nicht untrennbar miteinander verbunden und es gibt auch Emissionskonsortien, die nur die eine oder die andere dieser Dienstleistungen erbringen.
32.9
Das von den Konsortialbanken zur Herbeiführung einer Börseneinführung zu leistende Programm richtet sich nach den für das jeweilige Marktsegment geltenden Vorschriften. Sie finden sich für den regulierten Markt in den §§ 32 ff. BörsG und den Vorschriften der Börsenzulassungsverordnung. §§ 48 f. BörsG sowie die Handelsordnung für den Freiverkehr der jeweiligen Wertpapierbörse und vor allem die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des jeweiligen Börsenträgers für den Freiverkehr regeln die Einbeziehung von Wertpapieren in den geregelten Freiverkehr der betreffenden Börse.
4. Verwaltung von Sicherheiten 32.10 Unternehmensanleihen werden bisweilen durch Grundpfandrechte, Bürgschaften oder Ga-
rantien sichergestellt. In diesen Fällen bedarf es eines Grundbuchvertreters gemäß §§ 187, 189 BGB oder eines Sicherheitentreuhänders. Er nimmt die gestellte Sicherheit für Rechnung der Anleihegläubiger entgegen, verwaltet sie und verwertet sie im Sicherungsfall. Diese Dienstleistung übernimmt typischerweise der Konsortialführer. Er wird aufgrund eines mit dem Emittenten zugunsten der Anleihegläubiger als unmittelbar berechtigten Dritten (§ 328 BGB) abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags tätig.
1044 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
5. Weitere Dienstleistungen a) Kuponeinlösung Wertpapiere können nur zum Börsenhandel zugelassen werden, wenn mindestens eine Bank als Zahlstelle die Zinsen oder Dividenden an die Inhaber der zu den zugelassenen Wertpapieren gehörenden Zins- oder Dividendenscheine auszahlt. Deshalb übernehmen Emissionskonsortien oder eines ihrer Mitglieder häufig auch die Kuponeinlösung für den Emittenten.
32.11
b) Konversion und Umtausch von Urkunden Soweit im Effektengeschäft überhaupt noch Einzelurkunden ausgegeben werden1, wird es von Zeit zu Zeit erforderlich, solche Wertpapiere umzutauschen, etwa bei einer Änderung der Firma des Emittenten, bei der Herabsetzung des Nennwerts der Aktien, bei der Umstellung auf Stückaktien oder bei Durchführung von Verschmelzungen. Bei festverzinslichen Wertpapieren machen Konversionen, d.h. Herab- oder Heraufsetzungen des Zinssatzes, den Umtausch der Anleiheurkunden erforderlich, und eine andere Form der Konversion eines Wertpapiers in ein anderes liegt vor, wenn Wandlungsrechte (z.B. aus einer Wandelanleihe) ausgeübt und dazu Urkunden über die Wandelanleihe gegen Aktienurkunden ausgetauscht werden. Alle diese Fälle lassen sich nur unter Mithilfe einer Bank oder eines Bankenkonsortiums abwickeln.
32.12
c) Tilgungen Festverzinsliche Wertpapiere sind am Ende ihrer Laufzeit an die Investoren zurückzubezahlen. Die Tilgung der Anleihen wird technisch vom Emissionskonsortium oder einem seiner Mitglieder für Rechnung des Emittenten abgewickelt.
32.13
d) Information der Anleger Da die Emittenten bei der in Deutschland überwiegenden Ausgabe von Inhaberwertpapieren ihre Anleger allenfalls ausnahmsweise kennen, kommt den Bankenkonsortien oder ihren damit beauftragten Mitgliedern mit der Weitergabe von Informationen des Emittenten an die Anleger eine wichtige Funktion im Rahmen der Kommunikation zwischen den Emittenten und den Inhabern der von ihnen ausgegebenen Wertpapiere zu. Dies betrifft die Verteilung von Geschäftsberichten, Zwischenberichten, Hauptversammlungseinladungen, Bezugsaufforderungen, Umtauschangeboten und anderen die ausgegebenen Wertpapiere oder den Emittenten betreffenden Mitteilungen und ist rechtlich in dem Umfang geboten, dass die Banken die ihnen nach § 128 AktG obliegende Verpflichtung zur Information ihrer Depotkunden erfüllen können.
32.14
e) Stabilisierung Zu den Dienstleistungen der Banken im Anschluss an eine Emission gehören auch die unten in § 39 ausführlich behandelten Stabilisierungsmaßnahmen, mit denen die nach der 1 S. Than in FS Schimansky, 1999, S. 821, 828 ff.; Scherer, DepotG, 2012, Vor § 1 Rz. 4 und Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 1 ff.
Schücking | 1045
32.15
§ 32 | Konsortialvertrag
Aufnahme des Börsenhandels für neu ausgegebene Wertpapiere erfahrungsgemäß überdurchschnittlich starken Ausschläge des Kurses nach der einen oder anderen Seite vermieden oder abgemildert werden sollen2.
III. Funktion des Konsortiums 32.16 Emissionskonsortien übernehmen bei der Emission von Wertpapieren unterschiedliche
Funktionen, die sich in den Bezeichnungen wiederfinden, die für die einzelnen Typen von Emissionskonsortien verwendet werden.
1. Vermittlungskonsortium 32.17 Ein Vermittlungskonsortium übernimmt es, die neu ausgegebenen Wertpapiere gegen Pro-
vision im Markt zu platzieren und dem Emittenten Anleger nachzuweisen, die zum Erwerb der Wertpapiere bereit sind. Solche bloß auf die Vermittlung der Wertpapiere beschränkten Konsortien sind im derzeitigen Kapitalmarkt häufiger als früher zu finden, vor allem bei Sekundärplatzierungen bereits börsennotierter Wertpapiere.
2. Begebungskonsortium 32.18 Dagegen stoßen wir heutzutage selten auf Begebungskonsortien, die die ausgegebenen
Wertpapiere den Investoren im eigenen Namen anbieten, im Innenverhältnis jedoch auf Rechnung des Emittenten handeln, bei dem das Platzierungsrisiko verbleibt3.
3. Garantiekonsortium 32.19 Zu den in der Praxis seltenen Konsortien gehören auch die Garantiekonsortien, die sich
nicht mit der Platzierung der neuen Wertpapiere befassen, sondern sich darauf beschränken, dem Aussteller dieser Wertpapiere die Unterbringung der angebotenen Wertpapiere zu garantieren4.
4. Übernahmekonsortium 32.20 Übernahmekonsortien erwerben sämtliche neu ausgestellten Wertpapiere und bezahlen sie
sofort an den Emittenten, ohne eine Verpflichtung zur Weiterplatzierung der Wertpapiere zu übernehmen5. Den Mitgliedern eines Übernahmekonsortiums steht es demgemäß frei, die übernommenen Wertpapiere früher oder später an Kapitalanleger weiterzugeben oder sie zu behalten.
2 S. F. Schäfer, WM 1999, 1345. 3 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/78; Delorme/Hoessrich, Konsortial- und Emissionsgeschäft, S. 54. 4 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/78. 5 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/77; Delorme/Hoessrich, Konsortial- und Emissionsgeschäft, S. 54 f.
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Konsortialvertrag | § 32
5. Einheitskonsortium Die im Emissionsgeschäft vor allem bei Primärplatzierungen überwiegende Form des Konsortiums ist das Einheitskonsortium, dessen Mitglieder sich gegenüber dem Emittenten sowohl zur festen Übernahme der Emission als auch dazu verpflichten, die Wertpapiere bei Investoren zu platzieren6. Das Einheitskonsortium verbindet also die Funktion eines Übernahmekonsortiums mit derjenigen eines Begebungskonsortiums. Der auf die Funktion des Konsortiums abstellende Begriff „Einheitskonsortium“ ist nicht mit dem Begriff Einheitsvertragskonsortium (vgl. Rz. 32.38) zu verwechseln, der daran anknüpft, wie der Konsortialvertrag zustande kommt.
32.21
IV. Interessen der Beteiligten Das Verständnis von Konsortialverträgen und ihre Auslegung werden durch einen Blick auf die Interessen der am Effektenkonsortialgeschäft Beteiligten erleichtert.
32.22
1. Konsortialführer Angesichts der herausgehobenen Rolle, die der Markt dem Konsortialführer zumisst und der Chancen, auch bei Folgegeschäften attraktive Provisionserträge zu erzielen, sind als Konsortialführer beauftragte Banken daran interessiert, möglichst oft mit erfolgreichen Emissionen als Konsortialführer in Verbindung gebracht zu werden. Daneben richten sich die Interessen der Konsortialführer regelmäßig darauf, ihre eigene Rolle bei der Abwicklung des Emissionsgeschäfts gegenüber den übrigen Konsortialbanken zu stärken und die Mitwirkungs- und Mitspracherechte der Konsortialbanken gering zu halten. Gleichzeitig liegt es im Interesse des Konsortialführers, möglichst viele der mit dem Emissionsgeschäft verbundenen Risiken nach Maßgabe der Konsortialquoten im Konsortium zu verteilen und eine Alleinhaftung des Konsortialführers (für den Ausfall einzelner Konsorten, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts oder für Schadensersatzansprüche des Emittenten) nach Möglichkeit zu vermeiden.
32.23
2. Konsortialbanken Die Konsortialbanken haben einerseits das gemeinsame Interesse, das jeweilige Emissionsgeschäft erfolgreich durchzuführen und die Wertpapiere reibungslos zu platzieren. Hierfür sind die Wahl des Verfahrens zur Ermittlung des Platzierungspreises und die Festlegung der Rendite (als Funktion des Nominalzinses, der Laufzeit und des Ausgabekurses) bei Anleihen sowie des Ausgabepreises bei Aktien ganz entscheidende Faktoren. Daneben ist jede einzelne Konsortialbank daran interessiert, sich selbst dauerhaft im Emissionsgeschäft zu etablieren und für die Übernahme von Konsortialführungen zu qualifizieren.
32.24
Bei der Festlegung der Quoten und der Verteilung der Provisionserträge sowie der Haftungs- und Ausfallrisiken innerhalb des Konsortiums haben die Konsortialbanken im Verhältnis untereinander und vor allem zum Konsortialführer gegenläufige Interessen.
32.25
6 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/80; diese Art von Konsortium wird auch als Übernehmerkonsortium bezeichnet, vgl. auch Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rz. 52.
Schücking | 1047
§ 32 | Konsortialvertrag
3. Unterbeteiligte 32.26 Wer sich an der Beteiligung eines Konsorten an einem Emissionskonsortium unterbeteiligt, hat zum einen ein Interesse daran, dass der Hauptbeteiligte seinerseits innerhalb des Konsortiums eine möglichst starke Stellung hat, was seine Mitwirkungsbefugnisse und seine Beteiligung an den Provisionserträgen angeht. Zum anderen ist jeder Unterbeteiligte daran interessiert, dass der Hauptbeteiligte ihn ungekürzt, wenn auch quotal im Umfang der Unterbeteiligung, an der Provision beteiligt und sich vor der Ausübung von Mitspracherechten mit dem Unterbeteiligten abstimmt.
4. Dritte 32.27 Das Interesse der Emittenten, sich mit Hilfe der Konsortialbanken einen Zugang zu lang-
fristig orientierten Kapitalanlegern zu schaffen, der ihnen möglichst auch für Folgeemissionen zur Verfügung steht, und die durch die Tragung der Emissionsprovision und die Übernahme von Auslagen der Konsortialbanken verursachten Kosten gering zu halten, wirkt sich allenfalls mittelbar auf die Konsortialverträge zwischen den beteiligten Kreditund Finanzdienstleistungsinstituten aus. Dasselbe gilt für das Interesse der Investoren, erstklassige Wertpapiere gut fundierter Aussteller möglichst preisgünstig und mit der Chance auf Kurssteigerungen erwerben zu können.
V. Gestaltungsformen 1. Außenkonsortium 32.28 In der Praxis des Emissionsgeschäfts überwiegt das Außenkonsortium. Es wird auch als
offenes Konsortium bezeichnet. Die Konsortialbanken treten gegenüber Dritten als Konsortium auf, und der Konsortialführer handelt grundsätzlich im Namen und für Rechnung des Konsortiums. Der Bundesgerichtshof hat die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von BGB-Gesellschaften an das Vorliegen eines Gesamthandvermögens geknüpft7, dessen Entstehung im Konsortialvertrag eines Emissionskonsortiums regelmäßig ausgeschlossen wird. Deshalb gehört ein Emissionskonsortium selbst dann, wenn es als Außenkonsortium am Rechtverkehr teilnimmt, nicht zu den BGB-Außengesellschaften, die der Bundesgerichtshof als rechtsfähig behandelt und bei denen er § 31 BGB und §§ 128 f. HGB hinsichtlich der persönlichen Haftung der Beteiligten für das der Gesellschaft zugerechnete Organverschulden entsprechend anwendet8. Denn einem solchen Konsortium fehlt das für die Rechtsfähigkeit konstitutive gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen, welches über die bloßen Sozialansprüche hinausgehen muss. Das Außenkonsortium ist gesellschaftsrechtlich nur eine Innengesellschaft, die indes nach außen auftritt.
2. Innenkonsortium 32.29 Ein Innenkonsortium tritt im Rechtsverkehr nicht als Konsortium hervor. Die konsortialführende Bank handelt vielmehr im eigenen Namen, aber für Rechnung des Konsortiums. 7 S. BGH v. 23.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 343 f. 8 S. BGH v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, BGHZ 154, 88, 94 f.
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Konsortialvertrag | § 32
Typischerweise vereinbaren die an einem Innenkonsortium beteiligten Banken die Vertraulichkeit des zwischen ihnen bestehenden Konsortialverhältnisses.
3. Unterkonsortium Wenn eine Konsortialbank an ihrer Beteiligung am Emissionskonsortium einem Dritten eine Unterbeteiligung einräumt, entsteht damit ein Unterkonsortium. Es wird regelmäßig ebenso vertraulich behandelt wie das Innenkonsortium. In einem Emissionskonsortium können mehrere Unterkonsortien vorkommen, und zwar auch in der Weise, dass ein Unterkonsorte einem Dritten wiederum eine Unterbeteiligung an der von ihm gehaltenen Unterbeteiligung einräumt.
32.30
VI. Rechtsnatur des Konsortiums Während Konsortialverträge im 19. Jahrhundert zunächst als Austauschverträge angesehen wurden, setzte sich nach der gesetzlichen Regelung der Gelegenheitsgesellschaft in Art. 266 bis 270 ADHGB in der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts9 und im Schrifttum10 die bis heute herrschende Auffassung durch, dass Emissionskonsortien Gelegenheitsgesellschaften sind11. Ihr haben sich auch das Reichsgericht12 und der Bundesgerichtshof13 angeschlossen.
32.31
Diese rechtliche Qualifikation der Emissionskonsortien ist in neuerer Zeit mehrfach in Frage gestellt worden. 1967 hat H.P. Westermann an die Feststellung von Grzimek aus dem Jahre 191014 erinnert, dass das Emissionskonsortium diejenige Gesellschaft sei, „für die sämtliche Vorschriften des Gesellschaftsrechts abbedungen sind“, und Emissionskonsortien als Beispiel gesellschaftsrechtlicher Typendehnung dargestellt15. In diesem Zusammenhang hat er auch die Frage aufgeworfen, ob die Vertragsfreiheit es gestatte, den „lebensmäßig ausgebildeten Typus des Emissionskonsortiums“ ganz aus dem Recht der BGB-Gesellschaft zu entlassen und ihn als einen autonomen Vertragstyp zu behandeln16.
32.32
Diese Frage ist von Bosch wieder aufgegriffen worden17. Er hat darauf hingewiesen, dass in vielen Konsortialverträgen die Einordnung des Konsortiums als BGB-Gesellschaft ausdrücklich ausgeschlossen wird. Dies gelte insbesondere für Verträge, die den Mustern der International Primary Markets Association (IPMA) folgen. Diese Organisation ist heute in der International Capital Market Association (ICMA) aufgegangen. Bosch hielt die Behandlung von Emissionskonsortien als Personengesellschaften in ihren praktischen
32.33
9 S. ROHG 13, 306. 10 Vgl. Sydow, ZHR 19 (1874), 427, 440. 11 S. Hadding/Kießling in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2012, Vor § 705 Rz. 47; Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rz. 51 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 233; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.65 und Rz. 4.68. 12 S. RGZ 67, 394, 395 f. 13 S. BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = AG 1992, 312. 14 S. Grzimek, Die Rechtsgrundsätze der Begebungskonsortien, 1910, S. 29 ff. 15 S. H. P. Westermann, AG 1967, 285. 16 S. H. P. Westermann, AG 1967, 285, 292. 17 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/32.
Schücking | 1049
§ 32 | Konsortialvertrag
Auswirkungen für wenig klar und für international nicht akzeptanzfähig18. Ähnlich haben sich Ekkenga/Maas19, Groß20, Grundmann21, A. Meyer22 und R. Müller23 geäußert. R. Müller hat die Überlegungen von Bosch dahin weiterentwickelt, dass Marktpraxis und weiter fortgeschrittene Internationalisierung zu einer umfassenden vertraglichen Regelung aller transaktionsrelevanten Gesichtspunkte geführt hätten, die es überflüssig mache, den Vertragstyp des Konsortialvertrages näher zu bestimmen.
32.34 Das Problem mangelnder internationaler Akzeptanz der dem deutschen Recht eigentüm-
lichen Qualifikation von Emissionskonsortien als Personengesellschaft sollte indessen eher auf der Ebene des Kollisionsrechts als im materiellen Recht berücksichtigt werden. Und selbst der ausdrückliche Ausschluss der Qualifikation als Gesellschaft kann dahin ausgelegt werden, dass die Beteiligten nicht das Vorliegen einer Personengesellschaft als solche, sondern bloß einzelne der mit ihr verbundenen Rechtsfolgen, wie die Vertretungsmacht des Konsortialführers nach § 714 BGB oder die Entstehung eines gesamthänderisch gebundenen Gesellschaftsvermögens nach §§ 718 f. BGB, ausschließen wollen. Es erscheint deshalb als zu weitgehend, aus dem ausdrücklichen Ausschluss der Einordnung als Personengesellschaft, der sich in zahlreichen Konsortialverträgen findet, darauf schließen zu wollen, dass die Zuordnung der Emissionskonsortien zu den BGB-Gesellschaften insgesamt obsolet geworden sei24. Zudem versagt die von R. Müller fortentwickelte Ansicht von Bosch bei der für die Ermittlung des anwendbaren Rechts unerlässlichen kollisionsrechtlichen Qualifikation sowie materiell-rechtlich auch dann, wenn doch einmal ein nicht im Konsortialvertrag geregelter Fall eintreten sollte. Denn selbst eine noch so differenzierte vertragliche Regelung kann sich auch bei einem internationalen Vertrag nicht völlig von den Bedingungen lösen, die ihr überhaupt erst Geltungs- und Gestaltungskraft verleihen.
32.34a
Bei der Diskussion über die Rechtsnatur eines Emissionskonsortiums besteht die Gefahr, dass verschiedene tatsächliche Aspekte miteinander vermischt werden. Zum einen gilt es, die das Konsortium ausmachende Zusammenarbeit der beteiligten Konsorten bei der Übernahme und Platzierung der Wertpapiere klar von den zur Ausführung dieser Übernahme und Platzierung geschlossenen Austauschverträgen zu unterscheiden, die selbstverständlich nicht den §§ 705 ff. BGB unterliegen. Zum anderen müssen wir selbst bei den Rechtsbeziehungen zwischen den Konsortialbanken danach unterscheiden, ob es sich um konsortialiter eingegangene und regelmäßig mehrseitige Rechtsbeziehungen handelt oder um zweiseitige Austauschverträge. Letztere können etwa vorliegen, wenn die Konsortialführerin einer Konsortialbank vom Emittenten ausgegebene Wertpapiere im Rahmen der Zuteilung überträgt25. Zu Missverständnissen bei der rechtlichen Einordnung trägt ge18 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/36; für Kreditkonsortien jetzt ähnlich Rauch/Kaufmann, WM 2018, 652. 19 S. Ekkenga/Maas in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Teil 055 Rz. 265; vgl. auch Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 205 ff. 20 S. Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, BankR VII Rz. VII 16 ff.; Groß in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 40 Rz. 29 f. 21 S. Grundmann in FS Boujong, 1996, S. 161 ff., 164 f., 171 ff.; Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 88 ff. 22 S. A. Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 8.193 f. 23 S. R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.123 ff., 15.316 ff. 24 S. Singhof/Weber oben Rz. 3.103; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten, S. 88 ff.; Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.68. 25 So auch Grundmann, BankvertragsR, Rz. 35, der lediglich missverständlich von Kaufverträgen „für die Quote“ statt „für die Zuteilung“ spricht.
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Konsortialvertrag | § 32
legentlich auch bei, dass die quotale Platzierungsverpflichtung, die eine Konsortialbank übernimmt, mit der Stückzahl der Wertpapiere gleichgesetzt wird, die die betreffende Konsortialbank tatsächlich zum Zwecke der Platzierung bei Investoren erhält. Diese Gleichsetzung kann tatsächlich (bei einer schwierig verlaufenden Emission oder auch zufällig) einmal vorliegen. In der Regel trifft sie jedoch nicht zu. Denn die quotale Platzierungsverpflichtung betrifft die Quote, mit der die betreffende Konsortialbank am Risiko (der Nichtplatzierbarkeit) der emittierten Wertpapiere und an bestimmten Provisionserlösen beteiligt ist. Die Zuteilung an Wertpapieren, die eine Konsortialbank zum Zwecke der Platzierung bei den von ihr angesprochenen Investoren tatsächlich erhält, hängt demgegenüber vom Umfang und der Qualität der von ihr bei ihren Platzierungsbemühungen generierten Nachfrage von ihr angesprochener Investoren ab. Was nun die mehrseitigen Rechtsbeziehungen zwischen den Konsortialbanken angeht, so ist zwar ein Emissionskonsortium sicher keine typische BGB-Gesellschaft. Doch spricht viel dafür, es auch weiterhin den Vorschriften der §§ 705 ff. BGB zu unterstellen, deren Anwendbarkeit auf Emissionskonsortien sich seit über 100 Jahren insgesamt durchaus bewährt hat. Demgegenüber erscheint es als fraglich, ob etwas damit gewonnen würde, die inhaltliche Ausgestaltung materiellem deutschem Recht unterliegender Verträge gestützt auf die in § 311 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Vertragsfreiheit in die Hände internationaler privater Vereinigungen wie der ICMA zu legen. Denn sie besitzen ihrerseits keine Rechtsmacht, die freie vertragliche Gestaltung von Konsortialverträgen oder die Wahl des auf sie anwendbaren Rechts zu gewährleisten.
32.35
Nach einer von Grundmann26 entwickelten und bei Ekkenga/Maas27 auf Zustimmung gestoßenen, vermittelnden Auffassung hat das Emissionskonsortium eine gemischttypische Rechtsnatur, die sowohl gesellschaftsvertragliche als auch außergesellschaftsvertragliche Komponenten aufweist. Die letztgenannten Komponenten sollen in den Bereichen der Konsortialführung und der Übernahme und Platzierung der Wertpapiere liegen, die wiederum die Gestalt eines „Geflechts von Absatzverträgen mit den Emittenten“ haben soll. Diese Ansicht verkennt, dass es nicht darum geht, das Emissionskonsortium phänomenologisch einzuordnen, sondern das Rechtsverhältnis zwischen seinen Mitgliedern zutreffend zu qualifizieren, und dass die Absatzverträge nicht Teil des Konsortialvertrages, sondern Gegenstand des Übernahmevertrags zwischen den Konsortialbanken und dem Emittenten sind. Zudem hat die Praxis längst Vertragsgestaltungen gefunden, die es auch bei einer Qualifikation des Emissionskonsortiums als BGB-Gesellschaft vermeiden, dass das Konsortium gesamthänderisch zur Übernahme der emittierten Wertpapiere berechtigt oder verpflichtet wird oder diese Wertpapiere gar zur gesamten Hand erwirbt. Schließlich vernachlässigt die Meinung von Grundmann das dem Emissionsgeschäft eigentümliche und auch bei der Qualifikation des Vertragsverhältnisses zwischen den Konsortialbanken als Drittinteresse zu berücksichtigende Interesse der Emittenten nicht nur am Absatz der emittierten Wertpapiere, sondern auch an deren erfolgreicher Platzierung bei geeigneten Anlegern28.
32.36
26 S. Grundmann in FS Boujong, 1996, S. 161 ff., 164 f., 171 ff.; Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 112 Rz. 88 ff. 27 S. Ekkenga/Maas in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Teil 055 Rz. 265. 28 S. Schanz, Börseneinführung, § 9 Rz. 29.
Schücking | 1051
§ 32 | Konsortialvertrag
VII. Anwendbares Recht 32.37 Sobald dem Emissionskonsortium mindestens eine ausländische Bank angehört, entsteht
ein internationales Konsortium. Solche Konsortien werden in aller Regel gerade deshalb gebildet, weil eine internationale Emission mit der Platzierung von Wertpapieren im Ausland geplant ist. Bei der Bestimmung des für internationale Emissionskonsortien anwendbaren Rechts besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der Rechtspraxis, die mit Rechtswahlklauseln arbeitet, und den Regeln des Internationalen Privatrechts. Diese lassen es jedenfalls nach herkömmlicher Auffassung als höchst fraglich erscheinen, ob internationale Emissionskonsortien überhaupt einer Rechtswahl nach Art. 3 VO Nr. 593/2008 (ROM I) zugänglich sind. Letzteres wird nur für internationale Innenkonsortien und Unterbeteiligungen allgemein bejaht29. Bei den Außenkonsortien muss zwischen deren Innenund Außenverhältnis unterschieden werden. Zur Regelung des Innenverhältnisses kann das anwendbare Recht entsprechend der weitverbreiteten Praxis durch eine ausdrückliche Rechtswahl bestimmt werden. Für das Außenverhältnis lässt die herrschende Meinung keine Rechtswahl zu, sondern knüpft an das Sitzstatut des Emissionskonsortiums an30. Da Außenkonsortien indes materiell-rechtlich keine rechtsfähigen Außengesellschaften, sondern bloß nach außen auftretende Innengesellschaften sind, können sie auch kollisionsrechtlich insgesamt als Schuldverträge qualifiziert werden. Damit lässt sich eine Diskrepanz zwischen der seit langem üblichen Praxis der Rechtswahl und den nur scheinbar abweichenden Regeln des Internationalen Gesellschaftsrechts vermeiden31. Die im bisher nicht vorangekommenen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für eine Kodifizierung des Gesellschaftskollisionsrechts vom 8.1.200832 geplante Anerkennung der Gründungstheorie in Art. 10 EGBGB n.F. würde dieses Problem endgültig lösen.
VIII. Zustandekommen des Konsortialvertrags 1. Form 32.38 Konsortialverträge kommen wie alle anderen Gesellschaftsverträge über Personengesell-
schaften grundsätzlich formfrei zustande. Werden Emissionskonsortien als Außenkonsortien gebildet, entspricht die Schriftform indes dem üblichen Handelsbrauch. Selbst bei Innenkonsortien kommen mündlich abgeschlossene Konsortialverträge nur in seltenen Ausnahmefällen vor.
2. Einzelkonsortium 32.39 Bei der Bildung eines Emissionskonsortiums durch Einzelkonsortien schließt der Konsor-
tialführer mit jeder Konsortialbank einen Einzelvertrag ab, und es entstehen Rechtsbeziehungen jeweils nur zwischen der einzelnen Konsortialbank und dem Konsortialführer, nicht aber zwischen den einzelnen Konsortialbanken. Diese heute nicht mehr gebräuchliche Form der Bildung eines Emissionskonsortiums hatte für den Konsortialführer den
29 S. Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 32 Rz. 101. 30 Vgl. Großfeld in Staudinger, BGB, 1998, IntGesR Rz. 777; Kindler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2018, IntGesR Rz. 290. 31 S. Schücking, WM 1996, 281, 287 f. 32 S. G. Hohloch in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Anh. II Art. 12 EGBGB Rz. 8.
1052 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
Vorteil, dass jede Konsortialbank nur die sie selbst betreffenden Regelungen kannte, während der Konsortialführer die Möglichkeit hatte, in den verschiedenen Einzelkonsortien sogar wirtschaftlich unterschiedliche Bestimmungen zu vereinbaren. Zu seinem Schutz ist dem Konsortialführer bei der Vereinbarung von Einzelkonsortien allerdings zu empfehlen, dass die einzelnen Konsortialverträge aufschiebende Bedingungen des Inhalts enthalten, dass sie nur alle gleichzeitig oder gar nicht entstehen.
3. Einheitsvertragskonsortium Der heute üblichen Praxis entspricht es, dass der Konsortialführer und sämtliche Konsortialbanken (mit Ausnahme etwaiger still unterbeteiligter Banken) ein und denselben Konsortialvertrag unterzeichnen33. Durch diesen Vertrag, der sowohl die Rechtsbeziehungen der Konsortialbanken zum Konsortialführer als auch ihre Rechtsbeziehungen untereinander regelt, entsteht ein einziges einheitliches Emissionskonsortium, innerhalb dessen grundsätzlich Transparenz über die wirtschaftlichen Absprachen besteht.
32.40
Der Konsortialvertrag eines Einheitsvertragskonsortiums muss nach §§ 127 Satz 1, 126 Abs. 2 Satz 1 BGB von allen Konsortialbanken unterzeichnet werden und anschließend allen Konsortialbanken gemäß § 130 BGB zugehen. Um Zeitverlust und technische Probleme beim Abschluss des Konsortialvertrags zu vermeiden, empfiehlt es sich, im Konsortialvertrag einerseits vorzusehen, dass er zustande kommt, sobald dem Konsortialführer von jeder Konsortialbank ein gegengezeichnetes Exemplar des Konsortialvertrags vorliegt, und andererseits von § 127 Abs. 2 BGB Gebrauch zu machen sowie per Telefax oder als pdf-Datei übermittelte Erklärungen für ausreichend zu erklären. Auf § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB und auf den Zugang der Annahmeerklärungen der übrigen Konsortialbanken sollte entweder verzichtet oder der Konsortialführer ermächtigt werden, im Namen jeder Konsortialbank die auf den Abschluss des Konsortialvertrags gerichteten Willenserklärungen aller anderen Konsortialbanken entgegenzunehmen.
32.41
4. Einladungsschreiben Mit einem im Schrifttum gelegentlich auch in Erinnerung an frühere Formen eilbedürftiger Kommunikation als „Einladungstelex“ bezeichneten Einladungsschreiben bestätigt die als Konsortialführerin beauftragte Bank den von ihr in Absprache mit dem Emittenten ausgewählten Banken die zuvor am Telefon besprochene Absicht, sie in das zu bildende Emissionskonsortium aufzunehmen, dessen Zweck, Struktur und wesentliche Konditionen den eingeladenen Instituten zugleich vorgestellt werden. Des Weiteren wird die für den künftigen Konsorten vorgesehene Beteiligungsquote vorläufig festgelegt. Der Konsortialführer bittet den angesprochenen Konsorten regelmäßig um die schriftliche Bestätigung seiner Teilnahme zu den mitgeteilten Bedingungen34. In der Praxis haben sich auch abweichende Formen des Abschlusses des Konsortialvertrags entwickelt, z.B. durch entsprechende Klauseln im Übernahmevertrag, die die gleichzeitige Annahme des vorgeschlagenen Konsortialvertrags bestätigen35. 33 S. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.69; Bosch, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 10/40. 34 S. die Muster in Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/240, 10/244, 10/333a und 10/333d. 35 S. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.70.
Schücking | 1053
32.42
§ 32 | Konsortialvertrag
32.43 Das Einladungsschreiben erweist sich damit rechtlich als ein kaufmännisches Bestäti-
gungsschreiben, das einen Vorvertrag36 zum Abschluss eines Konsortialvertrags zum Gegenstand hat37. Auf eine Gegenzeichnung durch den Adressaten kommt es rechtlich nur an, wenn entweder der Nachweis seines Zugangs zweifelhaft ist oder sein Inhalt mehr als nur in unwesentlichen Nebenpunkten von den vorausgegangenen Gesprächen abweicht. Dass dieser Vorvertrag nur zwischen jeweils zwei der häufig zahlreichen Parteien des späteren Konsortialvertrags abgeschlossen wird, wirft die Frage auf, ob er gleichwohl Schutzwirkungen zugunsten anderer (präsumptiver) Konsorten oder gar des Emittenten entfaltet, wenn ein eingeladener Konsorte später trotz Annahme des Einladungsschreibens ausfallen sollte.
5. Konsortialvertrag 32.44 Dem Einladungsschreiben folgt dann der eigentliche Konsortialvertrag, der bei internationalen Transaktionen, auch wenn sie deutschem Recht unterliegen, als „Agreement among Managers“ oder als „Agreement among Underwriters“ bezeichnet wird. Sein Inhalt ist sogleich ausführlich zu behandeln. Für sein Zustandekommen gelten die in Rz. 32.41 gegebenen Hinweise. Sie sind indes gegenstandslos, wenn die Konsorten bereits mit der Gegenzeichnung des Einladungsschreibens Vollmacht an Mitarbeiter des Konsortialführers erteilt haben, sie beim Abschluss des Konsortialvertrags und ggf. auch des Übernahmevertrages mit dem Emittenten zu vertreten38.
IX. Inhalt des Konsortialvertrags 32.45 Die Regelungen des Konsortialvertrags stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang
mit dem Übernahmevertrag, den das Konsortium mit dem Emittenten der Wertpapiere schließt und der je nach deren Art in §§ 29 bis 31 erörtert wird. Dieser Zusammenhang folgt daraus, dass sich das Emissionskonsortium ja gerade zu dem Zweck bildet, den Übernahmevertrag gemeinsam durchzuführen.
1. Zweck 32.46 Regelmäßig bereits in der Präambel des Konsortialvertrags wird der Zweck des Konsortiums bestimmt. Hierzu ist es üblich, auf den Übernahmevertrag mit dem Emittenten zu verweisen, dessen endgültiger Entwurf dem Konsortialvertrag häufig als Anlage beigefügt wird.
2. Mitglieder und Quoten 32.47 Da die Konsortialbanken die bei dem Emissionsgeschäft auf sie entfallenden Wertpapiere
im Übernahmevertrag jeweils einzeln und unter Ausschluss gesamthänderischer Bindung übernehmen, lassen sich die Zusammensetzung des Konsortiums und die auf seine Mitglieder entfallenden Quoten am einfachsten dadurch beschreiben, dass der Konsortialver-
36 S. Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 2 Rz. 31. 37 A.A. Bärwaldt in Beck’sches Hdb. PersG, 4. Aufl. 2014, § 22 Rz. 77: Konsortialvertrag kommt durch Einladungsschreiben zustande. 38 S. das Muster bei Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/333d (a.E.).
1054 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
trag auch in diesem Punkt auf den als Anlage beigefügten endgültigen Entwurf des Übernahmevertrags verweist.
3. Geschäftsführung und Vertretung Die Geschäftsführungsbefugnis des Konsortialführers wird im Konsortialvertrag vorausgesetzt und nur dadurch geregelt, dass der Konsortialführer als solcher bezeichnet wird.
32.48
Die Vertretungsmacht des Konsortialführers erfährt dagegen eine ausführliche Regelung durch entsprechende Vollmachten im Konsortialvertrag. Dabei finden sich in der Praxis zwei verschiedene Modelle hinsichtlich der Vollmacht zum Abschluss des Übernahmevertrags mit dem Emittenten. Es gibt Konsortialverträge, in denen die Konsorten den Konsortialführer generell zur Vornahme aller für das jeweilige Emissionsgeschäft und seine Durchführung erforderlichen Rechtshandlungen bevollmächtigen. Daneben finden sich Verträge, in denen es sich die Konsorten vorbehalten, den Übernahmevertrag mit dem Emittenten selbst zu unterzeichnen oder dafür eine Spezialvollmacht zugunsten des Konsortialführers oder zur Vermeidung von Problemen mit dem Verbot des Selbstkontrahierens in § 181 BGB zugunsten von Mitarbeitern des Konsortialführers39 auszustellen. Werden der Konsortialvertrag und der Übernahmevertrag zugleich unterschriftsreif, können die Konsorten den Konsortialführer oder von ihm benannte Mitarbeiter stets bevollmächtigen, den bereits im endgültigen Entwurf vorliegenden Übernahmevertrag für sie abzuschließen.
32.49
4. Eigentumsverhältnisse und Außenhaftung Die Konsorten eines Emissionskonsortiums schließen im Konsortialvertrag regelmäßig sowohl die Entstehung von Gesamthandeigentum als auch diejenige von Miteigentum nach Bruchteilen aus. Mit derselben Regelmäßigkeit vereinbaren sie, dass sie nur teilschuldnerisch nach Maßgabe ihrer jeweiligen Quoten haften. In manchen Fällen wird die Klausel, dass der Konsortialvertrag nicht zur Entstehung einer Personengesellschaft führe, so auszulegen sein, dass sie sich nur auf die angesprochenen vermögensrechtlichen Folgen einer solchen Gesellschaft bezieht.
32.50
In jedem Fall müssen die im Innenverhältnis getroffenen Regelungen auch im Außenverhältnis des Konsortiums zu Dritten umgesetzt werden. Dies geschieht zum einen im Übernahmevertrag durch die Vereinbarung, dass die Konsorten die Wertpapiere und alle Rechte und Ansprüche aus dem Übernahmevertrag jeweils einzeln erwerben und dass sie als Teilschuldner haften (Rz. 29.13 und Rz. 31.29). Zum anderen ist bei der Zeichnung neuer Aktien das „Auftragsmodell“40 zu empfehlen, um die Entstehung gesamtschuldnerischer Einzahlungsverpflichtungen zu vermeiden.
32.51
Mit diesen vertraglichen Regelungen ist das Risiko einer gesamtschuldnerischen Haftung der Konsortialbanken noch nicht völlig ausgeschlossen. Das gilt vor allem für gesetzliche Haftungen, insbesondere für die Prospekthaftung (vgl. Rz. 41.13 ff.).
32.52
39 S. Groß in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 40 Rz. 19 in Fn. 39; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 253 u. Fn. 651. 40 S. Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/316c.
Schücking | 1055
§ 32 | Konsortialvertrag
5. Haftung im Innenverhältnis 32.53 Deshalb liegt es nahe, die Verteilung einer eventuellen Prospekthaftung im Innenverhält-
nis der Konsortialbanken untereinander für den Fall zu regeln, dass die mit dem Emittenten vereinbarte Freistellung von dieser Haftung nicht durchgesetzt werden kann. Das größte Interesse daran hat stets der Konsortialführer. Denn die Erfahrung lehrt, dass er im Falle einer Prospekthaftung stets als erster und oft als einziger in Anspruch genommen wird41, häufig schon deshalb, weil die Anspruchsteller glauben, ihm werde der Nachweis eines Haftungsausschlusses nach § 23 Abs. 1 WpPG weniger leicht gelingen als einem einfachen Mitglied des Konsortiums. Da der Konsortialführer als einzige Konsortialbank an der Erstellung des Prospekts mitgewirkt und gegebenenfalls eigene Prüfungen beim Emittenten vorgenommen hat, spricht einiges dafür, dass er in Ermangelung abweichender Vereinbarungen im Konsortialvertrag eine etwaige Prospekthaftung allein zu tragen hat. Deswegen folgen die Konsortialführer zunehmend einer Empfehlung von Hopt42 und internationaler Praxis, indem sie versuchen, ihren Mitkonsorten eine quotale Mithaftung für solche Risiken vorzuschlagen. Sofern solche Vorschläge mit einer angemessenen Regelung für die Aufteilung der Börseneinführungsprovision einhergehen, werden sie nicht nur wegen ihrer Üblichkeit im internationalen Emissionsgeschäft, sondern auch deshalb im Markt akzeptiert, weil die Prospekthaftung der Banken in der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte bisher selten geblieben ist und noch nicht zu Großschäden geführt hat.
32.53a
Singhof 43 weist zutreffend darauf hin, dass eine alleinige Zuweisung der Prospekthaftung an den Konsortialführer dann ausscheidet, wenn im Konsortialvertrag die von Singhof als üblich bezeichnete Verteilung entsprechender Aufwendungen nach den Konsortialquoten vorgesehen ist. Für Anleihekonsortien berichten Singhof/Wilhelmi44 davon, dass die Haftung gegenüber Dritten nach dem ICMA-Mustervertrag für ein Agreement among Managers (Version 1, Clause 9) typischerweise allein den Konsortialführern zugewiesen werde. Darin sehen sie einen Unterschied zu Aktienemissionen, für die eine quotale Haftung der Konsorten im Innenverhältnis üblich sei45. Neben diesen Kriterien spielt bei den Verhandlungen über die Haftungsverteilung im Innenverhältnis stets auch eine Rolle, in welchem Umfang die Konsortialführer bereit sind, Provisionsanteile, die (wie die Börseneinführungsprovision) ihre Führungsarbeit vergüten, an ihre Mitkonsorten weiterzugeben.
32.54 Zur Haftung im Innenverhältnis gehört auch die Haftung der übrigen Konsorten für den
Ausfall eines Mitglieds des Konsortiums. In einem solchen Fall droht eine ernstliche Störung des Emissionsgeschäfts. Denn die Konsortialbanken haften ja regelmäßig gegenüber dem Emittenten aus dem Übernahmevertrag nur quotal, so dass ein Ausfall eines Konsorten den Emittenten gegebenenfalls in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnte. Die herrschende Meinung nimmt deshalb an, dass die übrigen Konsortialbanken im Innenverhältnis für den Ausfall eines Konsorten analog § 735 BGB einzustehen haben46. Richtigerweise
41 42 43 44 45 46
Beispiele bei Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 32 Rz. 35 in Fn. 23. S. Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, S. 60. S. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 257. S. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.82. S. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 257. S. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rz. 54; Bosch/Groß, Emissionsgeschäft, Rz. 10/321e; Martens/Spielberg in Derleder/Knops/Bamberger, Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht, § 57 Rz. 34; a.A. Bärwaldt in Beck’sches Hdb. PersG, 4. Aufl. 2014, § 22 Rz. 82.
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Konsortialvertrag | § 32
sollte dieses Ergebnis auf §§ 713, 670, 257 BGB gestützt werden. Die in der Praxis üblichen vertraglichen Regeln sehen eine quotale Ausfallhaftung der Konsorten vor, allerdings bisweilen um eine Höchstgrenze ergänzt (z.B. bis zu einer Vergrößerung der Quote um max. 10 %). Dies ermöglicht es den Konsorten besser, die mit ihren Verpflichtungen aus dem Emissionsgeschäft verbundenen Kreditrisiken (§ 19 Abs. 1 KWG) unter Kontrolle zu halten.
6. Gewinn- und Verlustbeteiligung In Emissionskonsortien erfolgt die Gewinnverteilung dadurch, dass die Provisionen, die der Emittent für die Platzierung der Wertpapiere bezahlt, unter den Konsorten verteilt werden. Dafür wird im Konsortialvertrag ein Schlüssel vereinbart. Von den Konsortialbanken aus dem Weiterverkauf der Wertpapiere an ihre Kunden generierte Provisionserträge stehen den jeweiligen Konsortialbanken zu und werden nicht im Konsortium geteilt.
32.55
Kursgewinne aus Stabilisierungsmaßnahmen werden in dem Maße nach Quoten im Konsortium verteilt, wie auch Verluste aus solchen Maßnahmen im Konsortium aufgeteilt werden (vgl. sogleich Rz. 32.58).
32.56
Verluste entstehen im Emissionsgeschäft vor allem dann, wenn einem Übernahmekonsortium die Platzierung nicht vollständig gelingt und anschließend der Kurs der Wertpapiere fällt. Solche Verluste entstehen unmittelbar bei den jeweiligen Konsortialbanken und bedürfen keiner Verteilung im Konsortium.
32.57
Daneben können Verluste aus Kosten und vor allem aus der Marktstabilisierung erwachsen. Hierzu sehen die Konsortialverträge häufig vor, dass solche Verluste mit Erträgen aus solchen Maßnahmen saldiert und danach bis zur Höhe ihres jeweiligen Anteils an der Provision von den Konsorten mitgetragen und dementsprechend nach Ablauf der Stabilisierungsfrist mit den Provisionsansprüchen der Konsortialbanken verrechnet werden.
32.58
7. Zusätzliche Regelungen Bisweilen findet sich in Konsortialverträgen eine § 708 BGB entsprechende Regelung über die Haftungsverteilung im Konsortium. Sie ist empfehlenswert, um Zweifel daran auszuschließen, ob auch der Konsortialführer dieses Haftungsprivileg beanspruchen kann (vgl. Rz. 32.69).
32.59
Daneben enthalten Konsortialverträge häufiger Einschränkungen gegenüber der Einräumung von Unterbeteiligungen sowie Verpflichtungen,
32.60
– den Emissionspreis für eine bestimmte Zeit beim Verkauf der Wertpapiere nicht zu unterschreiten; – Verkaufsbeschränkungen hinsichtlich bestimmter Länder oder Kundengruppen zu beachten; – eigene Stabilisierungsmaßnahmen zu unterlassen; und – sogenannte „Black-out Perioden“ zu beachten, in denen keine Research-Berichte für die Wertpapiere veröffentlicht werden dürfen, um deren Platzierung es geht.
Schücking | 1057
§ 32 | Konsortialvertrag
8. Nicht geregelte Gegenstände 32.61 Konsortialverträge enthalten meistens keine Regelungen über – eine Ersetzung des Konsortialführers; – die Beendigung des Konsortiums; – die Auseinandersetzung des Konsortiums und – Änderungen des Konsortialvertrags.
32.62 Für solche Regelungen besteht meist kein praktisches Bedürfnis. Teilweise bestehen auch,
wie z.B. für die Beendigung des Konsortiums, praktisch sinnvolle gesetzliche Regelungen (vgl. Rz. 32.76 ff.).
X. Rechte und Pflichten der Konsortialbanken 1. Rechte der Konsorten 32.63 Aus dem Vertrag über das Emissionskonsortium sind die Konsortialbanken berechtigt, mit
der für sie festgelegten Quote am Emissionskonsortium teilzunehmen und die ihnen zugeteilten Wertpapiere im Zuge der Platzierung weiter zu veräußern. Hiermit ist für sie in Fällen starker Nachfrage die Möglichkeit verbunden, bei ihren Anlagekunden Ansehen zu gewinnen, wenn sie Wertpapiere anbieten können, die andere Banken nicht zum Emissionspreis beschaffen können. Daneben bietet die Platzierung der Wertpapiere auch noch Chancen, Provisionen von den Kunden zu verdienen, bei denen die neuen Wertpapiere platziert werden.
32.64 Zu den vertraglichen Rechten der Konsortialbanken gehört auch die im Konsortialvertrag
geregelte Beteiligung an den Gewinnen des Konsortialgeschäfts, welche aus Provisionserträgen und dem Saldo der Gewinne und Verluste aus den Stabilisierungsmaßnahmen bestehen.
32.65 Kraft Gesetzes sind die Konsorten berechtigt, vom Konsortialführer Auskunft an einen
einzelnen Konsorten gemäß § 716 BGB47 oder an die Gesamtheit aller Konsorten gemäß §§ 713, 666 BGB zu verlangen. Darüber hinaus steht den Konsorten nach §§ 721, 259 BGB das gesetzliche Recht zu, vom Konsortialführer Rechnungslegung zu verlangen.
2. Pflichten der Konsorten 32.66 Aus dem Konsortialvertrag obliegen den Konsorten im Verhältnis untereinander mehrere
Hauptpflichten. Deren erste korrespondiert mit dem Recht auf Teilnahme an der Emission und ist darauf gerichtet, bis zur Höhe der Beteiligungsquote des jeweiligen Konsorten die ihm zugeteilte Zahl der Wertpapiere gegen Bezahlung des Emissionspreises zu übernehmen. Die zweite Hauptpflicht besteht in der Platzierung der dem einzelnen Konsorten zugeteilten Wertpapiere bei geeigneten Anlegern. Sofern auch die Börseneinführung der Wertpapiere zum Zweck des Konsortiums zählt, treten die Stellung des Zulassungsantrags bei der betreffenden Wertpapierbörse und die Unterzeichnung des Börsenzulassungspro47 S. Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft Rz. 261.
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Konsortialvertrag | § 32
spekts zu den Hauptpflichten aus dem Konsortialvertrag hinzu. Von den entsprechenden Pflichten aus dem Übernahmevertrag (vgl. Rz. 31.40) unterscheiden sich die Pflichten aus dem Konsortialvertrag hinsichtlich des Gläubigers: Ist es beim Übernahmevertrag der Emittent, so sind es im Konsortialvertrag die Mitkonsorten. Zu den vertraglichen Nebenpflichten aus dem Konsortialvertrag gehören die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses sowie die Verpflichtung, die Wertpapiere nicht unter dem Emissionspreis zu verkaufen. Solche Nebenpflichten gelten entweder kraft stillschweigender Vereinbarung, aufgrund eines entsprechenden Handelsbrauchs oder sind in § 242 BGB begründet.
32.67
Zu den gesetzlichen Pflichten der Konsorten gehört neben der bereits (in Rz. 32.54) erwähnten Ausfallhaftung aus §§ 713, 670, 257 BGB, die andere aus einer Analogie zu § 735 BGB herleiten48, vor allem die Pflicht, dem Konsortialführer Auskunft zu erteilen, wenn begründete Zweifel daran entstanden sind, ob das betreffende Mitglied des Konsortiums seine Pflichten aus dem Konsortialvertrag vertragsgemäß erfüllt hat. Diese Pflicht beruht auf § 716 BGB und wird auch von einfachen Konsorten gegenüber dem Konsortialführer geschuldet. Denn das sich aus ihm spiegelbildlich ergebende Kontrollrecht steht jedem Gesellschafter zu49, also auch dem Konsortialführer.
32.68
3. Haftungsmaßstab Im Verhältnis der Konsortialbanken untereinander gilt der Haftungsmaßstab des § 708 BGB. Die Mitglieder von Emissionskonsortien haften einander nur für eigenübliche Sorgfalt. Auf dieses Haftungsprivileg kann sich auch der Konsortialführer berufen50. Die Gegenansicht51 übersieht, dass § 347 HGB in seinem zweiten Absatz einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Haftungsprivilegien des BGB enthält, der auch § 708 BGB erfasst52.
32.69
XI. Zusätzliche Rechte und Pflichten des Konsortialführers 1. Geschäftsführung In Konsortialverträgen wird typischerweise vereinbart, dass eine oder mehrere Konsortialbanken die Führung des Konsortiums übernehmen. Werden mehrere Führungsbanken bestellt, so übernimmt eine von ihnen regelmäßig die „Federführung“ innerhalb der Füh48 S. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rz. 54; Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2306. 49 S. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 716 Rz. 1. 50 S. RGZ 67, 394, 395 f.; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 2. Bearb., Rz. 2309; Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, BankR VII Rz. VII 23; Schönle, Bank- und Börsenrecht, § 19 II 4b; Rz. 1038; Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 32 Rz. 66; Singhof/Wilhelmi in Hopt/ Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.80. 51 S. De Meo, Bankenkonsortien, S. 84; Ekkenga/Maas in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Teil 055 Rz. 279; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, S. 49. 52 S. Düringer/Hachenburg, HGB, 2. Aufl. 1910, § 347 Anm. 16 (b); Hefermehl in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1976, § 347 Rz. 31; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, § 347 Rz. 5; Joost in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 347 Rz. 36; K. Schmidt in MünchKomm. HGB, § 347 Rz. 23; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 347 Rz. 5 a.E.
Schücking | 1059
32.70
§ 32 | Konsortialvertrag
rungsgruppe und für das ganze Emissionskonsortium. Wird eine Bank als Konsortialführer bezeichnet, während andere Banken die Mitführung übernehmen, liegt die Federführung bei der als Konsortialführer bezeichneten Bank. Obwohl der Konsortialvertrag in der Regel keine anderen Vereinbarungen über die Geschäftsführung und Vertretung des Emissionskonsortiums enthält, wird allein mit der Bezeichnung einer Bank als Konsortialführerin das in § 709 BGB enthaltene Prinzip der Gesamtgeschäftsführung grundsätzlich abbedungen und die Geschäftsführungsbefugnis dem Konsortialführer oder dem Federführer der mehreren Führungsbanken übertragen53. Bei der Platzierung der im Übernahmevertrag von ihnen quotal zu Alleineigentum erworbenen Wertpapiere führen die Konsortialbanken, auch wenn sie hierbei ausschließlich für ihre eigene Rechnung handeln, ein Geschäft des Konsortiums aus. Denn dieses hat sich gegenüber dem Emittenten als Ganzes verpflichtet, die Wertpapiere zu platzieren. Dementsprechend ist die Geschäftsführungsbefugnis des Konsortialführers bei der Platzierung der Wertpapiere auf die Platzierung der ihm nach der Zuteilung der Wertpapiere an die übrigen Konsorten im Rahmen seiner eigenen Quote zur Platzierung verbliebenen Titel eingeschränkt.
2. Vertretung 32.71 Gemäß § 714 BGB vertritt der Konsortialführer das Konsortium im Rahmen der Abwicklung des Emissionsgeschäfts54. Hiervon ist lediglich die Platzierung der von den Banken quotal zu Alleineigentum erworbenen Wertpapiere ausgenommen, die die Konsorten im eigenen Namen vornehmen55.
3. Gewinnbeteiligung 32.72 Bei der Verteilung der Provisionen zwischen den Mitgliedern des Emissionskonsortiums
erhält der Konsortialführer regelmäßig eine seine Quote übersteigende überproportionale Beteiligung am Gewinn des Konsortiums. Damit werden die von ihm zusätzlich übernommenen Aufgaben angemessen honoriert. Diese zusätzliche Gewinnbeteiligung des Konsortialführers geschieht in der Regel dadurch, dass ein Teil der Provision im Übernahmevertrag als „Führungsprovision“ bezeichnet und im Konsortialvertrag dem Konsortialführer zugewiesen wird.
4. Aufwendungsersatz und Haftungsfreistellung 32.73 Soweit im Konsortialvertrag über eine Freistellung des Konsortialführers von Haftungsrisi-
ken keine abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden, kann der Konsortialführer von den Mitgliedern des Konsortiums grundsätzlich gemäß §§ 713, 670, 257 BGB Aufwendungsersatz und Haftungsfreistellung verlangen. Dieser Anspruch besteht jedoch nicht, soweit es um Aufwendungen oder Ansprüche geht, die in die Sphäre des Konsortialführers fallen, weil er selbst Fehler bei der Erfüllung seiner Geschäftsführungsaufgaben begangen hat. Beispiele hierfür sind Fehler bei der Beratung des Emittenten, bei der Planung, Vorbereitung oder Durchführung der Emission oder auch Ansprüche aus Prospekthaftung, es
53 S. De Meo, Bankenkonsortien, S. 70 f. 54 S. Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, S. 95. 55 S. De Meo, Bankenkonsortien, S. 89; H. P. Westermann, AG 1967, 285, 290.
1060 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
sei denn, eine Konsortialbank habe ausnahmsweise besseren Einblick in die Verhältnisse des Emittenten gehabt als der Konsortialführer und ihre Erkenntnisse diesem vorenthalten56.
5. Auskunftspflichten Der Konsortialführer ist den Mitgliedern des Emissionskonsortiums verpflichtet, deren Auskunftsansprüche aus § 716 BGB (an den einzelnen Konsorten) und §§ 713, 666 BGB (an das Emissionskonsortium) und zur Rechnungslegung nach §§ 721, 259 BGB zu erfüllen.
32.74
XII. Änderungen des Konsortialvertrags In der Praxis kommen Änderungen von Verträgen über Emissionskonsortien schon deshalb nur sehr selten vor, weil diese Verträge meist erst kurzfristig vor der dann zügig abgewickelten Durchführung des Emissionsgeschäfts abgeschlossen werden. In Ermangelung abweichender vertraglicher Regelungen bedarf die Änderung eines Konsortialvertrags der Zustimmung aller Konsorten.
32.75
XIII. Auflösung des Konsortiums 1. Zweckerreichung Wenn der Konsortialvertrag Regelungen über die Auflösung und Beendigung des Konsortiums enthält, lässt sich ihnen entnehmen, wann das Konsortium aufgelöst wird und endet. In der Praxis fehlen solche Bestimmungen jedoch meistens. Dann folgt aus den gesetzlichen Bestimmungen, wann das Emissionskonsortium aufgelöst wird. Den für solche Konsortien wichtigsten Auflösungsgrund sieht § 726 BGB vor. Das Emissionskonsortium endet mit der Erreichung seines Zwecks. Wann dies der Fall ist, folgt aus dem Gesellschaftszweck des Emissionskonsortiums. Gehört hierzu nicht nur die Platzierung und Börseneinführung der Wertpapiere, sondern auch eine gemeinsame Durchführung der Marktstabilisierung, so endet das Emissionskonsortium erst mit dem Ablauf der hierfür vereinbarten Zeitperiode. Im Schrifttum wird hiervon abweichend die Auffassung vertreten, ein Emissionskonsortium ende in jedem Fall mit der Börseneinführung der Wertpapiere, weil alle anderen Pflichten der Konsortialbanken nur Nebenpflichten seien57. Diese Auffassung stellt allerdings die Börseneinführung der Wertpapiere zu sehr in den Mittelpunkt der den Konsortialbanken obliegenden Pflichten. Zahlstellendienst oder Bonifikationsregelungen können im Einzelfall zu einer längeren Dauer eines Emissionskonsortiums führen. Denn auch bei Gelegenheitsgesellschaften wie Emissionskonsortien ist es ohne weiteres möglich, dass sich das Geschäft, für das sie gebildet wurden, über eine längere Zeit hinzieht, die auch die Dauer eines Geschäftsjahrs (§ 721 Abs. 2 BGB) überschreiten kann.
32.76
Nicht zutreffend wäre es allerdings, eine Zweckerreichung des Emissionskonsortiums i.S.v. § 726 BGB erst dann anzunehmen, wenn die eventuellen Ansprüche der Anleger auf Pro-
32.77
56 S. De Meo, Bankenkonsortien, S. 81; Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 32 Rz. 73; teilweise abw. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.82. 57 S. Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 2. Bearb., Rz. 2324; De Meo, Bankenkonsortien, S. 96.
Schücking | 1061
§ 32 | Konsortialvertrag
spekthaftung verjährt sind. Denn auch ein aufgelöstes Emissionskonsortium ist durchaus in der Lage, in einem Liquidationsverfahren oder einem Nachtragsliquidationsverfahren Ansprüche abzuwickeln, die gegen das aufgelöste Emissionskonsortium geltend gemacht werden58.
2. Kündigung 32.78 Ein Emissionskonsortium kann von einem Konsorten nur aus wichtigem Grund gekün-
digt werden. Dies folgt aus dem Charakter des Emissionskonsortiums als Gelegenheitsgesellschaft zur Abwicklung eines bestimmten Emissionsgeschäfts. Das Konsortium ist nämlich stillschweigend für die Dauer dieses Geschäfts befristet. § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB findet deshalb keine Anwendung59. Als ein eine Kündigung des Konsortiums rechtfertigender wichtiger Grund ist es anzusehen, dass der Übernahmevertrag wirksam gekündigt wird60. Denn dann kann der Zweck des Konsortialvertrags nicht mehr erreicht werden.
3. Insolvenz 32.79 Dass ein Emissionskonsortium selbst insolvent wird, erscheint durch die rechtliche Aus-
gestaltung des Konsortialvertrags als ausgeschlossen. Denn sowohl der Konsortialvertrag als auch die Verträge des Emissionskonsortiums mit Dritten werden so abgeschlossen, dass weder ein über die Sozialansprüche hinausgehendes Gesamthandvermögen noch Gesamthandverbindlichkeiten entstehen. Deshalb fehlt es einem Emissionskonsortium, auch wenn es nach außen auftritt, an Gesellschaftsgläubigern. Eine solche Gesellschaft ist trotz der Grundregel des § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO nicht insolvenzfähig61.
32.80 Dagegen sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung oder die Eröffnung eines Insolvenz-
verfahrens bezüglich eines einzelnen Konsorten sehr wohl denkbar. In diesen Fällen droht eine Auflösung des Konsortiums nach § 725 Abs. 1 oder nach § 728 Abs. 2 BGB. Ob diese Vorschriften eingreifen, hängt zunächst davon ab, ob der Konsortialvertrag den Fall der Einzelzwangsvollstreckung gegen einen Konsorten oder seine Insolvenz regelt. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, wird angenommen, dass die durch die Vollstreckungsmaßnahme oder den Insolvenzantrag dokumentierte Krise eines Konsorten das Konsortium nicht auflöse. Vielmehr wird es unter den verbliebenen Konsorten fortgesetzt. Sie haben die Quote ihres ausgefallenen Mitkonsorten im Verhältnis ihrer jeweiligen eigenen Quoten untereinander aufzuteilen62. Damit wird dasselbe Ergebnis erzielt, das auch sonst beim Ausfall eines Konsorten gilt. Allerdings ist mit praktischen Schwierigkeiten zu rechnen, wenn das Emissionsgeschäft bei der Insolvenz des betroffenen Konsorten schon so weit vorangeschritten war, dass die Wertpapiere unter den Konsorten verteilt waren und sich damit ein Teil dieser Wertpapiere im Vermögen des faillierten Mitkonsorten befindet. In diesem Fall können die verbliebenen Mitglieder des Emissionskonsortiums ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter des ausgefallenen Konsorten mitwirkt.
58 59 60 61 62
S. Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 2. Bearb., Rz. 2324. S. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 723 Rz. 16; § 723 Rz. 24 f. S. Singhof/Wilhelmi in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 4.87. Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 728 Rz. 5. S. Delorme/Hoessrich, Konsortial- und Emissionsgeschäft, S. 21.
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Konsortialvertrag | § 32
XIV. Öffentliches Wirtschaftsrecht Das öffentliche Wirtschaftsrecht wirkt mit einer Vielzahl von Vorschriften auf Emissionskonsortien und die von ihnen vorgenommenen Geschäfte ein. Die nachstehenden Hinweise sollen hierzu eine Übersicht geben, die nicht beansprucht, die mit der Anwendung der genannten Rechtsvorschriften auf Emissionskonsortien verbundenen Rechtsprobleme umfassend zu erörtern.
32.81
1. Bankaufsichtsrecht Die bloße Beratung potenzieller oder künftiger Emittenten über die Unternehmensfinanzierung und Kapitalstruktur ist bankaufsichtsrechtlich als erlaubnisfreie Tätigkeit eines Finanzunternehmens nach § 1 Abs. 3 Nr. 7 KWG anzusehen. Demgegenüber sind die Übernahme von Wertpapieren für eigenes Risiko und die Übernahme gleichwertiger Garantien gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG Bankgeschäfte, die nur von Kreditinstituten mit einer entsprechenden Bankerlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG ausgeführt werden dürfen. Die Teilnahme an Vermittlungskonsortien (vgl. Rz. 32.17) ist je nach Ausgestaltung entweder eine erlaubnispflichtige Anlagevermittlung nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG oder eine ebenfalls erlaubnispflichtige Abschlussvermittlung nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 KWG. Mit der Einführung der Finanzdienstleistung des Platzierungsgeschäfts gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1c KWG wurde 2007 die Tätigkeit der Vermittlungskonsortien, die in offener Stellvertretung des Emittenten handeln, ein (überflüssiges) weiteres Mal unter den Erlaubnisvorbehalt des § 32 Abs. 1 KWG gestellt.
32.82
2. Kartellrecht Ein Konsortialvertrag mehrerer Banken verstößt dann nicht gegen das in § 1 GWB enthaltene Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, wenn die betreffenden Banken alleine nicht in der Lage wären, sich um das Mandat für die Platzierung der betreffenden Wertpapiere zu bewerben. In solchen Fällen besteht nämlich gar kein potenzieller Wettbewerb63 zwischen den beteiligten Konsorten. Für Banken spielen dabei insbesondere Erwägungen zur Risikobegrenzung eine Rolle, die durch die aufsichtsrechtlichen Grenzen für die Eingehung von Risiken noch unterstrichen werden.
32.83
Die die Fusionskontrolle betreffenden Vorschriften der §§ 35 ff. GWB finden auf den Zusammenschluss der Konsortialbanken im Emissionskonsortium keine Anwendung. Projektgesellschaften, die nur auf einzelne Geschäfte gerichtet sind, sind nämlich keine Unternehmen i.S.d. §§ 35 ff. GWB. Nach § 37 Abs. 3 GWB ist eine vorübergehende vertikale Beteiligung der Emissionsbanken am Emittenten im Rahmen eines Emissionsgeschäfts gesetzlich von der Fusionskontrolle freigestellt.
32.84
63 Vgl. Bunte in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 13. Aufl. 2018, Einleitung zum GWB Rz. 110 ff., 115.
Schücking | 1063
§ 32 | Konsortialvertrag
3. Kapitalmarktrecht a) Verhaltenspflichten
32.85 Soweit die Konsortialbanken beim Emissionsgeschäft Wertpapierdienstleistungen gemäß
§ 2 Abs. 8 WpHG erbringen, müssen sie die in den §§ 63 ff. WpHG vorgeschriebenen Verhaltensregeln beachten. b) Insiderrecht
32.86 Informationen über bevorstehende Emissionsgeschäfte sind in der Mehrzahl der Fälle Insiderinformationen i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) VO Nr. 596/2014 (MAR)64. Deshalb ist das Emissionsgeschäft so zu organisieren, dass auf Seiten der Emissionsbanken ein besonderer Vertraulichkeitsbereichs für Emissionsgeschäfte durch einen „Chinese Wall“ abgeschirmt wird. Zudem werden Wertpapiere, deren Emittenten neue Emissionen planen, von den Compliance-Abteilungen der beteiligten Banken zur Vermeidung von Konflikten auf bankinterne Beobachtungs- oder Sperrlisten gesetzt65. Die bei den Emittenten und auch bei den Konsorten mit Emissionsgeschäften befassten Personen sind von den Emittenten und von den Konsorten66 nach Art. 18 VO Nr. 596/2014 in geführte Insiderverzeichnisse aufzunehmen.
32.87 Wenn der Emittent seine Pflicht zur Ad-hoc-Publizität gemäß Art. 17 VO Nr. 596/2014
gewissenhaft erfüllt, reduziert er damit das Risiko, dass es zu verbotenen Insidergeschäften kommt. Dabei berät ihn der Konsortialführer. c) Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten
32.88 Die §§ 33 ff. WpHG ordnen zur Förderung der Transparenz im Wertpapierhandel Mittei-
lungs- und Veröffentlichungspflichten für den Fall an, dass ein Erwerber Stimmrechte an Aktien börsennotierter Gesellschaften erwirbt, die bestimmte Schwellen überschreiten. Zu einer Überschreitung der Schwellen kann es auch beim Emissionsgeschäft mit Aktien kommen, insbesondere beim erstmaligen Börsengang (vgl. § 33 Abs. 2 WpHG). Da die Konsortialbanken die Aktien beim Emissionsgeschäft nicht für das Gesamthandeigentum des Konsortiums, sondern jeweils für ihr eigenes Vermögen erwerben, trifft die Meldepflicht grundsätzlich die einzelnen Konsortialbanken und nicht das Emissionskonsortium als solches. Je nach Lage des Falles, sind jedoch Sachverhalte denkbar, in denen die von den anderen Konsorten gehaltenen Aktien der jeweils meldepflichtigen Konsortialbank nach § 34 Abs. 2 WpHG zugerechnet werden. Unter den Voraussetzungen des § 36 WpHG bleiben die von den Konsortialbanken im Emissionsgeschäft vorübergehend gehaltenen Stimmrechte bei der Berechnung ihrer Stimmrechtsanteile am Emittenten kraft Gesetzes unberücksichtigt.
64 ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1 ff. 65 S. BaFin Rundschreiben 4/2010 (MaComp) AT 6.2 Tz. 3; BT 3 Tz. 4 S. 3); Gebauer/Niermann in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 48 Rz. 32 ff.; Gebauer in GS Bosch, 2006, S. 31, 35 f.; Eisele/Faust in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., § 109 Rz. 138 f.; Eisele, WM 1993, 1021, 1024 f. 66 S. BaFin, Emittentenleitfaden (Stand 22.7.2013), Abschnitt VII.2.3.
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Konsortialvertrag | § 32
d) Wertpapierübernahmerecht Wenn ein Emissionskonsortium im Rahmen einer Kapitalerhöhung einer inländischen Aktiengesellschaft, deren Aktien bereits in Deutschland oder im Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, beabsichtigt, 30 % oder mehr des (erhöhten) stimmberechtigten Grundkapitals dieser Aktiengesellschaft zum Zwecke der Weiterplatzierung zu übernehmen, so stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des WpÜG. Denn der Konsortialführer könnte entweder für das in seiner Eigenschaft als „Personengesellschaft“ als „Bieter“ i.S.v. § 2 Abs. 4 WpÜG anzusehende Konsortium oder aber für sich selbst als „Bieter“ i.S.d. §§ 2 Abs. 4, 35 Abs. 2, 29 Abs. 2 WpÜG und seine Konsorten als „gemeinsam handelnde Personen“ nach § 2 Abs. 5 WpÜG anzusehen sein. Dann müsste er gemäß § 20 WpÜG einen Befreiungsantrag bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stellen, um der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots nach § 35 WpÜG zu entgehen. Eine solche Befreiung wird indes nur dann benötigt, wenn das Konsortium ausnahmsweise entgegen üblicher Vorgehensweise als solches die neuen Aktien zeichnet und die Konsortialbanken die Aktien nicht jeweils einzeln in einem durch ihre Quote bestimmten Umfang erwerben (vgl. Rz. 32.50 f.)67. Die Befreiung ist in einem solchen Fall für das Konsortium als BGB-Außengesellschaft zu erteilen, weil es in dieser nur in Ausnahmefällen vorkommenden Konstellation in Gestalt der übernommenen Aktien ein Gesamthandvermögen besitzt, welches für die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit konstitutiv ist. Auf die Erteilung der Befreiung besteht ein Rechtsanspruch nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 WpÜG, obwohl die Konsortialbanken die betreffenden Wertpapiere nicht des Unterschieds zwischen Erwerbs- und Veräußerungspreis wegen, sondern eines Provisionsertrags halber durchhandeln. Dem Gesetzgeber ist zu empfehlen, diese Befreiung bereits kraft Gesetzes in einer am Vorbild des § 37 Abs. 3 GWB ausgerichteten Bankenklausel anzuordnen.
32.89
Im Regelfall des Emissionskonsortiums, das kein Gesamthandvermögen bildet und dessen Mitglieder die übernommenen Aktien jeweils einzeln zeichnen, bedarf es dagegen keiner Befreiung des Konsortiums, weil keine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebots besteht. Das Konsortium ist in diesem Fall kein Bieter i.S.v. § 2 Abs. 4 WpÜG. Denn es besitzt mangels Gesamthandvermögens keine eigene Rechtsfähigkeit als Personengesellschaft. Und den Konsortialbanken werden die von ihren Mitkonsorten übernommenen Aktien auch nicht zugerechnet, weil keiner der in § 30 WpÜG genannten Zurechnungstatbestände gegeben ist und es im Rahmen dieser Vorschrift gerade nicht auf „gemeinsam handelnde Personen“ (§ 2 Abs. 5 WpÜG) ankommt. Für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG ist bei Sekundärplatzierungen regelmäßig kein Raum68. Bedarf für eine Befreiung besteht allenfalls dann, wenn eine einzelne Konsortialbank bei der Sekundärplatzierung eines Emittenten mindestens 30 % des erhöhten stimmberechtigten Grundkapitals zu erwerben beabsichtigt.
32.90
4. Währungs- und Devisenrecht § 5 PrKlG nimmt den Geld- und Kapitalverkehr einschließlich der Finanzinstrumente des § 1 Abs. 11 KWG vom Indexierungsverbot des § 1 Abs. 1 PrKlG aus. Zusätzlich sind nach § 6 PrKlG auch Verträge gebietsansässiger Kaufleute mit Gebietsfremden vom Indexie67 Vgl. A. Meyer in GS Bosch, 2006, S. 133, 144. 68 S. A. Meyer in GS Bosch, 2006, S. 144 f.
Schücking | 1065
32.91
§ 32 | Konsortialvertrag
rungsverbot ausgenommen. Diese Ausnahmen kommen auch den Konsortialverträgen der Emissionskonsortien zugute.
32.92 Devisenrechtlich ist bei internationalen Emissionsgeschäften an Artikel VIII 2b des IWF-
Abkommens zu denken, auch wenn der Bundesgerichtshof den internationalen Kapitalverkehr aus dem Normbereich des Artikel VIII 2b des IWF-Abkommens ausgenommen hat69. Denn im Emissionsgeschäft kommen neben Transaktionen des Kapitalverkehrs auch Devisenverträge vor. In Ausnahmefällen kann sich auch der Konsortialvertrag eines Emissionskonsortiums als ein solcher Devisenvertrag erweisen.
5. Außenwirtschaftsrecht 32.93 Bei internationalen Emissionsgeschäften müssen die Emissionsbanken ihre Meldepflichten
nach § 11 Abs. 2 AWG i.V.m. §§ 67, 70 AWV beachten. Hierzu hat die Deutsche Bundesbank im Merkblatt „Konsortialgeschäfte mit ausländischen Wertpapieren“ (Stand: September 2013) Regelungen getroffen, die einer Vereinfachung des Meldeverfahrens bei Emissionsgeschäften unter Beteiligung Gebietsfremder dienen. Diese Regelungen richten sich nicht nur an gebietsansässige Konsortialführer, sondern auch an gebietsansässige Konsortialbanken. Daneben sehen sie Befreiungen von außenwirtschaftsrechtlichen Meldepflichten vor.
XV. Steuerrecht 32.94 Emissionskonsortien werden als Gelegenheitsgesellschaften für einzelne Effektenkonsor-
tialgeschäfte geschlossen. Dabei wird die Entstehung eines Gesamthandvermögens ausdrücklich ausgeschlossen. Deshalb erzielt ein Emissionskonsortium grundsätzlich keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG. Denn die Absicht, mit dem jeweiligen Emissionsgeschäft nachhaltig Gewinn zu erzielen, besteht zwar bei den Konsorten, nicht aber beim Emissionskonsortium als solchem. Emissionskonsortien erzielen auch nicht etwa deshalb Einkünfte aus Gewerbebetrieb, weil sie gewerblich geprägt würden. Denn § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist im Wege teleologischer Reduktion so auszulegen, dass Emissionskonsortien nicht unter diese Vorschrift fallen70.
32.95 Mit überzeugender Begründung, die sie aus der einer fremdnützigen Treuhand entspre-
chenden Stellung der Emissionsbanken bei der Durchführung von Kapitalerhöhungen und Aktienplatzierungen herleiten, haben Groß/Klein71 herausgearbeitet, dass auch § 8c Abs. 1 Sätze 1 bis 3 KStG teleologisch zu reduzieren ist. Deshalb gehen Emittenten von Eigenkapitalinstrumenten auch dann keine Risiken für etwa bei ihnen bestehende körperschaftsteuerliche Verlustvorträge ein, wenn im Zuge einer Aktienplatzierung eine oder mehrere Emissionsbanken im Zuge eines bloßen Durchgangserwerbs von mehr als 25 % (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) oder gar 50 % (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) beteiligt sein sollten72. Und aus demselben Grund ist ein Emissionskonsortium auch keine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG73. Solche „gleichgerich-
69 70 71 72 73
S. BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, WM 1994, 54. S. Schücking in MünchHdb. GesR Bd. 1, § 32 Rz. 126. S. Groß/Klein, AG 2007, 896 ff. Gleicher Ansicht für Treuhanderwerb Dötsch/Leibner, KStG, § 8c Rz. 65a. S. Groß/Klein, AG 2007, 896, 901 f.
1066 | Schücking
Konsortialvertrag | § 32
teten Interessen“ müssen auf eine einheitliche Willensbildung bei der gemeinsamen Beteiligungsgesellschaft gerichtet sein74. Daran fehlt es typischerweise bei einem Emissionskonsortium, dessen gemeinsames Interesse die Platzierung der übernommenen Aktien des Emittenten ist, nicht aber die Einwirkung auf letzteren. Wer keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG erzielt, unterliegt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG auch nicht der Gewerbesteuerpflicht. Deshalb sind Emissionskonsortien, nicht aber die an ihnen beteiligten Konsorten, von der Gewerbesteuerpflicht ausgenommen.
32.96
Für Emissionskonsortien wird auch kein einheitlicher und gesonderter Gewinn gemäß §§ 179 ff. AO festgestellt. Vielmehr unterbleibt die Anwendung dieser Vorschriften auf Emissionskonsortien gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO, und die Konsortialbanken versteuern die aus dem Emissionsgeschäft erzielten Einkünfte ebenso einzeln, wie sie sie einzeln erzielt haben.
32.97
Schließlich gilt die nach § 4 Nr. 8 lit. e UStG bestehende Freiheit von der Umsatzsteuer für Umsätze im Wertpapiergeschäft auch für die Emission von Wertpapieren und die damit verbundenen Nebenleistungen75. Zum Steuerrecht vgl. auch § 10, § 15 und § 20.
32.98
74 S. Dötsch/Leibner, KStG, § 8c Rz. 291. 75 S. Heidner in Bunjes, UStG, 16. Aufl. 2017, § 4 Nr. 8 Rz. 32 ff.; EuGH v. 10.3.2011 – C-540/09SEB, DStR 2011, 766 = AG 2011, 509.
Schücking | 1067
§ 33 Due Diligence I. 1. 2. 3.
Einführung Begriff . . . Funktion . . Beteiligte . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
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. . . .
II. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Anforderungen . . . . 2. Arten von Due Diligence und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . a) Wirtschaftliche Due Diligence b) Finanzielle Due Diligence . . . c) Rechtliche Due Diligence . . . . d) Steuerliche Due Diligence . . . e) Weitere Arten von Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . III. Organisation . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . a) Steuerung und Zeitplan . . . . . b) Due-Diligence-Listen . . . . . . c) Vorbereitung des Datenraums
. . . .
__ __ __ __ __ _ __ __ __
33.1 33.1 33.3 33.6
. 33.13 . 33.13 . . . . .
33.14 33.15 33.17 33.21 33.29
. 33.30 . . . . .
33.31 33.31 33.31 33.34 33.37
__ _ _ _ __ __ _ _ _
2. Durchführung . . . . . . . . . . . . . 33.41 3. Auswertung und Dokumentation 33.45 IV. Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . 33.46 1. Verhältnis der Due Diligence zur Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . 33.46 2. Bedeutung der Due Diligence für das Verhältnis zwischen Emissionsbanken und Emittent . . . . . 33.48 V. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Grenzen a) Verschwiegenheitspflicht . . . . b) Geheimhaltungsmaßnahmen . 2. Kapitalmarktrechtliche Grenzen 3. Datenschutzrechtliche und weitere Grenzen . . . . . . . . . . .
. . . . .
33.51 33.51 33.51 33.54 33.56
. 33.58
VI. Besonderheiten bei regelmäßiger Inanspruchnahme des Kapitalmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.61
Schrifttum: Angersbach, Due Diligence beim Unternehmenskauf, 2002; Beisel/Andreas (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Due Diligence, 3. Aufl. 2017; Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 7. Aufl. 2016; Berens/Brauner/Strauch/Knauer (Hrsg.), Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, 7. Aufl. 2013; Eggenberger, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Folgen einer Due-DiligencePrüfung, 2001; Ekkenga/Schröer (Hrsg.), Handbuch der AG-Finanzierung, 2014; Hettler/Stratz/Hörtnagl (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2013; Semler/Volhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, Unternehmensübernahme, Vorbereitung, Durchführung, Folgen. Ausgewählte Drittländer, 2001; Wirtz (Hrsg.), IPO-Management, 2001. Der Autor dankt Herrn Dr. iur. Dipl.-iur. oec. Univ. Klaus Lüftenegger für die hilfreiche Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Beitrags für die 4. Auflage.
I. Einführung 1. Begriff 33.1
Der Begriff Due Diligence – wörtlich: erforderliche Sorgfalt – kommt ursprünglich aus den USA. Er wurzelt in dem dort geltenden Grundsatz, dass der Erwerber, der einen Kaufgegenstand nicht mit der erforderlichen Sorgfalt prüft, später auch keine Gewährleistungsansprüche wegen etwaiger Mängel geltend machen kann. Dem deutschen Kaufrecht liegt ein anderes Verständnis zu Grunde; es kennt keine allgemeine Obliegenheit, einen Kaufgegenstand vor dem Kauf zu untersuchen. Aber auch im deutschen Recht gilt der Grundsatz, dass die Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ anwenden müssen. Eine Due-Diligence-Prüfung ist im deutschen Kapitalmarktrecht gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Dennoch geht sie Kapitalmarkttransaktionen fast immer voraus, insbesondere bei öffentlichen Angeboten bzw. Privatplatzierungen und Börsenzulassungen von Wertpapieren. 1068 | Nägele
Due Diligence | § 33
Bei Kapitalmarkttransaktionen versteht man unter Due Diligence ein Verfahren zur Beschaffung, Überprüfung und Auswertung von Informationen. Das Ergebnis soll eine umfassende vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogene Analyse des Unternehmens in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht sein. In Abgrenzung zur Unternehmensbewertung und auch zur Jahresabschlussprüfung, die sich nach § 317 HGB auf die Prüfung von Jahresabschluss, Lagebericht und Buchführung beschränkt, erfasst die Due Diligence das gesamte Unternehmen einschließlich seines Umfelds. Anders als die eher vergangenheitsorientierte Jahresabschlussprüfung ist die Due Diligence auch stärker auf die Erfassung zukünftiger Risiken und Chancen ausgerichtet. Im Gegensatz zur Jahresabschlussprüfung greift die Unternehmensbewertung unter Umständen auf die Ergebnisse einer Due Diligence zurück. Während letztere ein umfassendes Bild von Risiken und Chancen vermittelt, will erstere nur eine hochaggregierte Information liefern, nämlich einen möglichen Unternehmenswert.
33.2
2. Funktion Die Due Diligence ergibt sich aus der Verpflichtung – im Rahmen des öffentlichen Angebots und meist auch bei der Börsenzulassung von Wertpapieren – einen Prospekt zu veröffentlichen1. Dieser hat die Funktion, dem Publikum ein zutreffendes Urteil über den Emittenten und die Wertpapiere zu ermöglichen. Für den Inhalt des Prospekts sind der Emittent und die Emissionsbanken sowie ggf. Weitere verantwortlich, von denen der Erlass, d.h. die Veröffentlichung des Prospekts ausgeht. Sie haften gegenüber den Anlegern für unrichtige oder unvollständige Angaben des Prospekts, soweit diese Angaben für die Beurteilung der Wertpapiere wesentlich sind (s. hierzu § 41). Während der Due Diligence werden diejenigen Informationen ermittelt, die später im Prospekt veröffentlicht werden müssen. Zugleich wird über deren Wesentlichkeit entschieden sowie die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Prospekt sichergestellt.
33.3
Die Due Diligence ist also Grundlage für die Prospekterstellung und dient zugleich dem Ausschluss bzw. der Minderung von Prospekthaftungsrisiken. Zudem ergibt sich durch die Due Diligence die Möglichkeit, erkannte Missstände und Risiken noch vor Veröffentlichung des Prospekts abzustellen und somit deren Offenlegung entbehrlich zu machen.
33.4
Darüber hinaus liefert die Due Diligence Informationen und Daten, die eine Überprüfung oder Plausibilisierung der Geschäftspläne und Finanzplanung ermöglichen. Damit kommt der Due Diligence eine wichtige Funktion im Rahmen der Unternehmensbewertung bei einem Börsengang zu. Die Due-Diligence-Ergebnisse werden zudem in den Analysten- und Research-Reports verwertet2.
33.5
3. Beteiligte Federführend bei der Due Diligence sind die Emissionsbanken, die dazu eigene Mitarbeiter und externe Sachverständige einsetzen. Bei der Durchführung der wirtschaftlichen (im 1 S. hierzu § 36. Auch bei Privatplatzierungen von Wertpapieren, für die keine Prospektpflicht besteht, wird in Einzelfällen Informationsmaterial zur Verfügung gestellt, um interessierte Anleger über die angebotenen Wertpapiere angemessen zu informieren (information memorandum). Zur Reduzierung des hier bestehenden allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftungsrisikos wird dann ebenfalls eine Due Diligence durchgeführt. 2 S. Rz. 3.53 f.; vgl. auch Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation.
Nägele | 1069
33.6
§ 33 | Due Diligence
Einzelnen Rz. 33.15 f.) und der finanziellen (im Einzelnen Rz. 33.17 ff.) Due Diligence werden vor allem die hauseigenen Analysten der Emissionsbanken tätig, es können aber auch Wirtschaftsprüfer beauftragt werden, ein externes Plausibilitätsgutachten zu den zukunftsbezogenen Planzahlen zu erstellen. Der Plausibilitätsgutachter ist – um Interessenkonflikte und „Betriebsblindheit“ zu vermeiden – im Regelfall nicht mit dem bisherigen Jahresabschlussprüfer des Emittenten identisch.
33.7
Zur Durchführung der rechtlichen (im Einzelnen Rz. 33.21 ff.) Due Diligence (und zur Unterstützung bei der Prospekterstellung) beauftragen die Emissionsbanken spezialisierte Rechtsberater (underwriters’ counsel). Über das Ergebnis ihrer Prüfungen stellen die Rechtsberater sowohl des Emittenten als auch der Emissionsbanken Gutachten aus: eine Legal Opinion und ein Disclosure Letter (dazu im Einzelnen § 35). In der Legal Opinion bestätigen die Rechtsberater u.a. die Wirksamkeit der gesellschaftsrechtlichen Verträge und Beschlüsse sowie die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit des öffentlichen Wertpapierangebots, soweit dies Teil ihrer Prüfung war. Im Disclosure Letter bescheinigen die Rechtsberater, dass ihnen bei ihrer Mitwirkung an der Erstellung des Emissionsprospekts und der Due Diligence keine Umstände bekannt geworden sind, die Anlass zu der Annahme geben, dass der Prospekt eine unrichtige Angabe enthält oder eine Angabe auslässt, die für die Beurteilung des Wertes der Platzierungsaktien wesentlich ist oder ohne die die im Prospekt enthaltenen Angaben irreführend wären3.
33.8
Der Emittent trägt regelmäßig (teilweise betragsmäßig begrenzt) die externen Kosten, die den Emissionsbanken durch die Due Diligence entstehen. Bei entsprechender Größe der Emission und Marktstellung des Emittenten werden die Kosten in manchen Fällen auch von den Banken übernommen. Welche Partei welche Kosten trägt, wird üblicherweise in der Mandatsvereinbarung (letter of engagement) festgesetzt.
33.9
Daneben führt der Emittent unabhängig von den Emissionsbanken eine eigene Due Diligence durch, bei der er externen Sachverstand hinzuzieht. Er mandatiert dazu einen eigenen Rechtsberater (issuer’s counsel), der mit ihm den ersten Entwurf des Prospekts erarbeitet. Damit ist das „Vier-Augen-Prinzip“ gewährleistet, d.h., die Gefahr unrichtiger oder unvollständiger Prospektangaben wird verringert. Aufbauend auf den Ergebnissen der Due Diligence und der Mitarbeit bei der Prospekterstellung geben auch die Rechtsberater des Emittenten gegenüber den Emissionsbanken eine Legal Opinion und einen Disclosure Letter ab. Eine der Legal Opinion der Rechtsberater ähnliche Erklärung wird im Regelfall ebenso vom Leiter der Rechtsabteilung (Syndikus, General Counsel) des Emittenten erwartet (s. insgesamt § 35).
33.10 Der Altaktionär kann ebenfalls ein Interesse an der Durchführung einer Due Diligence
haben, insbesondere wenn es sich lediglich um eine Umplatzierung von Altaktien handelt und der Erlös aus dem öffentlichen Angebot allein dem Altaktionär zugute kommen soll. An der Qualität der Prospektinformation hat der Altaktionär dann ein erhebliches Eigeninteresse4, nicht zuletzt, weil er zumindest wirtschaftlich das Prospekthaftungsrisiko trägt 3 Im Prospekt enthaltene Informationen zur Rechnungslegung werden ausdrücklich ausgenommen. Üblicherweise wird zusätzlich einschränkend formuliert, dass die Rechtsberater keine Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Aussagen übernehmen. 4 Diesem Interesse an der Steuerung der Due Diligence steht die aktienrechtliche Weisungsfreiheit des Vorstands des Emittenten entgegen.
1070 | Nägele
Due Diligence | § 33
und den Emittenten von letzterem häufig freistellen muss5. Das Gleiche gilt, wenn der Altaktionär den Emissionsbanken gegenüber zusagt, bestimmte prospekt- und unternehmensbezogene Gewährleistungen abzugeben (vgl. Rz. 29.41 ff.). In diesem Fall wird der Altaktionär in der Regel eigene Rechtsberater mit der Durchführung einer – ggf. thematisch begrenzten – Due Diligence beauftragen. Mit der finanziellen Due Diligence wird neben den Analysten der Emissionsbanken regelmäßig der Jahresabschlussprüfer des Emittenten beauftragt. Aufbauend auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen gibt dieser gegenüber den Banken einen sog. Comfort Letter ab, in dem er bestimmte Angaben zu Rechnungslegung und Finanzinformationen im Emissionsprospekt bestätigt (zu den Einzelheiten s. § 34).
33.11
Comfort Letter, Legal Opinion und Disclosure Letter werden an die Emissionsbanken gerichtet und helfen diesen, ihre Sorgfalt bei der Prospekterstellung zu dokumentieren6.
33.12
II. Gegenstand 1. Rechtliche Anforderungen Die Due Diligence versetzt die Emissionsbeteiligten in die Lage, einen den Anforderungen des Wertpapierprospektgesetzes7 genügenden Prospekt zu verfassen8. Dementsprechend wird der Gegenstand der Due Diligence wesentlich durch die gesetzlichen Anforderungen an den Prospekt bestimmt (s. insgesamt § 36). Oberster Grundsatz ist, dass der Prospekt über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Beurteilung der einzuführenden Wertpapiere wesentlich sind, richtig und vollständig Auskunft geben muss (§ 5 Abs. 1 WpPG). Hinsichtlich des Emittenten muss der Prospekt insbesondere Angaben zu Kapitalausstattung, Geschäftstätigkeit, Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, Rechnungslegung, Mittelherkunft und Mittelverwendung, Beteiligungsunternehmen, Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen, Rechtsbeziehungen mit nahestehenden und verbundenen Personen sowie zum jüngsten Geschäftsgang und den Geschäftsaussichten enthalten. Dabei gibt das Wertpapierprospektgesetz selbst keine detaillierten Vorgaben für den Prospektinhalt, sondern verweist in § 7 WpPG auf die VO Nr. 809/2004 (ProspektVO)9. Diese bestimmt in ihren Anhängen mittels Schemata und Modulen Pflichtangaben für die unterschiedlichen Wertpapiere und Emittenten. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (ehemals Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden CESR) für eine europaweit konsistente Umsetzung der Prospektverordnung10. 5 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, NJW 2011, 2719. Vgl. auch Thesen des Arbeitskreises zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH, CFL 2011, 377. 6 Zum Verhältnis der Due Diligence zur Prospekthaftung s. Rz. 33.46 f. 7 Bzw. des Vermögensanlagengesetzes (VermAnlG) bei Anlagen, die nicht unter den Wertpapierbegriff des WpPG fallen. 8 Für Einzelheiten zum Wertpapierprospekt s. § 36. 9 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 v. 29.4.2004, ABl. EG Nr. L 149 v. 30.4.2004, S. 1. Ab dem 21.7. 2019 wird sie durch die Verordnung (EU) 2017/1129 v. 14.6.2017, ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6. 2017, S. 12 aufgehoben, vgl. dazu einführend Döpfner/Tatavoussian, WPg 2017, 1392 ff. 10 ESMA update of CESR’s recommendations for the consistent implementation of the European Commission’s Regulation on Prospectuses no. 809/2004, ESMA/2013/319, March 2013. Vgl. auch Questions and Answers on Prospectuses 28th Version – Updated March 2018, ESMA31-62-780.
Nägele | 1071
33.13
§ 33 | Due Diligence
2. Arten von Due Diligence und Schwerpunkte 33.14 Umfang, Prüfungstiefe und Schwerpunke der Due Diligence hängen wesentlich von der Art
der Kapitalmarkttransaktion ab (s. § 2). Bei Aktienemissionen in Form des Initial Public Offerings wird die Due Diligence entsprechend der Vielzahl der wertbestimmenden Faktoren und potenziellen Probleme des Emittenten umfassend sein. Alle relevanten wirtschaftlichen, finanziellen, rechtlichen, steuerlichen, technischen und umwelthaftungsrechtlichen Aspekte sind zu erfassen. Unter pragmatischen Gesichtspunkten ist allerdings zu berücksichtigen, dass je nach Art des Unternehmens unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Klassisches Beispiel ist die Unterscheidung zwischen der Due Diligence bei einem Softwareunternehmen und der bei einem produzierenden Chemieunternehmen. Bei Letzterem werden Umweltrisiken eine wesentliche Rolle spielen. Beim Softwareunternehmen hingegen werden vor allem der Urheberschutz und das geistige Eigentum an der entwickelten Software im Mittelpunkt der Prüfung stehen. Gleichwohl sollte eine vorschnelle Fokussierung vermieden werden, da sich im Verlauf der Prüfung in unvermuteten Bereichen Probleme zeigen können. Alle relevanten Bereiche müssen deshalb von den Verfahrensbeteiligten zunächst unvoreingenommen angesprochen werden, bevor Schwerpunkte gesetzt werden. Die verschiedenen Arten der Due Diligence (s. nachfolgend) sind dabei in der Praxis nicht scharf voneinander abgegrenzbar, sondern miteinander verzahnt. a) Wirtschaftliche Due Diligence
33.15 Prüfungsgegenstand der wirtschaftlichen Due Diligence (commercial/business due diligence)
ist die Geschäftstätigkeit des Unternehmens in seiner Gesamtheit. Deshalb ist zunächst der gesamtwirtschaftliche Rahmen zu bestimmen und zu analysieren, d.h. das allgemeine wirtschaftliche, rechtliche, politische und kulturelle Umfeld des Unternehmens, soweit es für dessen Geschäftstätigkeit relevant ist. Es werden Chancen und Risiken des Umfelds erfasst, die das Potenzial und den Wert des Unternehmens beeinflussen können. Solche Chancen und Risiken ergeben sich z.B. aus Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, des Konsumverhaltens, Schwankungen der Wechselkurse oder makroökonomischer Größen wie der Arbeitslosenquote oder der Inflationsrate. Globale Faktoren wie Rohstoffpreise oder die gesamtwirtschaftliche Vernetzung von Staaten bzw. Märkten gewinnen in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung.
33.16 Anschließend werden die relevanten Märkte und die Wettbewerbssituation unter beson-
derer Berücksichtigung der relativen Marktstellung des Emittenten untersucht – speziell die Produkt- und Dienstleistungspalette des Emittenten. Die mögliche Erschließung neuer Absatzmärkte wird insbesondere auf Marktzutrittsbeschränkungen rechtlicher, finanzieller oder technologischer Art überprüft. Bei der Analyse der Wettbewerbssituation auf den relevanten Märkten werden u.a. die Zahl aktueller und potenzieller Wettbewerber, deren jeweiliger Marktanteil sowie deren Vor- und Nachteile im Wettbewerb betrachtet. Dazu gehört auch die Analyse von Abhängigkeiten sowohl auf Kunden- als auch auf Beschaffungsseite. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen ermöglichen dann eine Plausibilitätsprüfung der vom Unternehmen vorgelegten Strategie.
b) Finanzielle Due Diligence
33.17 Die finanzielle Due Diligence (financial due diligence) beschäftigt sich mit der finanziellen Lage des Emittenten. Hier werden historische und aktuelle Finanzzahlen ausgewertet und die vom Emittenten vorgelegten Planzahlen auf ihre Plausibilität überprüft. 1072 | Nägele
Due Diligence | § 33
Ausgangspunkt sind die historischen Zahlen, d.h. die Jahresabschlussunterlagen wie Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Anhangangaben sowie die Lageberichte des Unternehmens und etwaiger Konzernunternehmen. Regelmäßig werden die letzten drei Geschäftsjahre analysiert (s. Anhang I Ziffer 20.1 VO Nr. 809/2004). Um die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens darstellen zu können und eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen, werden die Jahresabschlüsse um außerordentliche und aperiodische Erträge und Aufwendungen bereinigt sowie um bilanzpolitische Maßnahmen korrigiert. Ebenso sind sog. Pro-Forma-Finanzinformationen bei Aktienemissionen zwingend vorgesehen, wenn sich wesentliche Unternehmenskennzahlen im vergangenen oder laufenden Geschäftsjahr aufgrund einer Transaktion um mehr als 25 % verändert haben11. Nach den Empfehlungen der ESMA sind wesentliche Unternehmenskennzahlen das Vermögen, die Umsatzerlöse und Gewinne bzw. Verluste12. Auch andere Kennzahlen können im Einzelfall herangezogen werden, wenn sie geeignet sind, das Geschäft des Emittenten zu charakterisieren13. Dann wird in den Pro-Forma-Abschlüssen die vergangene Finanzlage der Gesellschaft ermittelt, unter der Annahme, dass die Gesellschaft wie zum Zeitpunkt der Prospekterstellung bereits bestanden hätte. Werden Pro-Forma-Angaben aufgenommen, muss ein Wirtschaftsprüfer deren Durchsicht bescheinigen14. Eine Überprüfung der historischen Zahlen – ähnlich einer Jahresabschlussprüfung – erfolgt während einer Due Diligence grundsätzlich nur stichprobenartig. Primär geht es um eine inhaltliche Analyse der in den Abschlüssen dokumentierten Entwicklung. Ziel ist es, aus den historischen Jahresabschlüssen Chancen, Risiken und Interdependenzen zwischen internen und externen Faktoren herauszuarbeiten. Im nächsten Schritt wird die Geschäftsentwicklung innerhalb des laufenden Geschäftsjahres analysiert – möglichst anhand von Halbjahres- oder Quartalsberichten.
33.18
Die anschließende Planungsanalyse überprüft die Plausibilität der vom Emittenten vorgelegten Planzahlen, die für die Unternehmensbewertung wichtig sind. Einzelpläne (z.B. in Bezug auf Absatz, Produktion, Investition, Personal und Finanzierung) sowie die Gesamtplanung werden auf ihre rechnerische und systematische Richtigkeit geprüft – beispielsweise muss der Umsatz aus der Absatzplanung ableitbar sein und der Materialeinsatz bzw. die Herstellungskosten aus der Produktionsplanung. Bei der Plausibilitätsprüfung werden insbesondere die der Planung zugrundeliegenden Prämissen analysiert. Hierzu wird auf Erkenntnisse aus der wirtschaftlichen Due Diligence zum gesamtwirtschaftlichen Umfeld zurückgegriffen und es werden absehbare Entwicklungen des konkreten Geschäftsverlaufs herangezogen – etwa die Beendigung von Verträgen mit Abnehmern oder die Eröffnung von Betriebsstätten. Des Weiteren werden einzelne Plan-Positionen mit denen der Vergangenheit und denen ähnlicher Unternehmen der Branche verglichen. Grundsätzlich werden alle Planwerte auf ihre Verlässlichkeit geprüft, sei es im Vergleich mit Werten aus der Vergangenheit oder mit den jeweiligen Ist-Werten.
33.19
Die finanzielle Due Diligence ist auch Grundlage für das Working Capital Statement des Emittenten. Im Wertpapierprospekt muss bestätigt werden, dass das Geschäftskapital (working capital) des Unternehmens während der kommenden zwölf Monate – zu zählen ab der Veröffentlichung des Prospekts – ausreicht, um fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen15.
33.20
11 Anhang I Ziffer 20.2 VO Nr. 809/2004, Anhang II VO Nr. 809/2004 i.V.m. Erwägungsgrund 9 VO Nr. 809/2004. 12 ESMA recommendations ESMA/2013/319, S. 23 Rz. 92. 13 Zu den im Einzelnen erforderlichen Finanzinformationen s. § 36. 14 Anhang I Ziffer 20.2 VO Nr. 809/2004; Anhang II VO Nr. 809/2004. 15 Anhang III Ziffer 3.1 VO Nr. 809/2004.
Nägele | 1073
§ 33 | Due Diligence
c) Rechtliche Due Diligence
33.21 Die rechtliche Due Diligence (legal due diligence) befasst sich mit den gesellschaftsrecht-
lichen und vertraglichen Grundlagen des Emittenten, seinen Haftungsrisiken und der rechtlichen Absicherung seiner wirtschaftlichen Situation. Auch das regulatorische Umfeld, also die rechtlichen Rahmenbedingungen der aktuellen oder geplanten Geschäftstätigkeit, wird in diesem Zusammenhang analysiert.
33.22 Nicht nur der Emittent selbst, sondern auch seine für den Geschäftsbetrieb wesentlichen
in- und ausländischen Beteiligungsgesellschaften (insbesondere wenn der Emittent eine Holdinggesellschaft ist) werden einer Überprüfung unterzogen16. Die Auswahl der zu prüfenden Unternehmen folgt den Kriterien aus der Prospektverordnung und den Empfehlungen der ESMA. Danach muss der Prospekt bei Aktienemissionen bestimmte (eingeschränkte) Angaben zu Beteiligungsunternehmen enthalten, denen bei der Bewertung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten voraussichtlich eine erhebliche Bedeutung zukommt17. Nach den Empfehlungen der ESMA sind dies Beteiligungsunternehmen mit einem Buchwert von mindestens 10 % des Eigenkapitals des Emittenten oder einem Beitrag zu dessen Jahresergebnis in gleicher Höhe18. Aber auch andere Gesellschaften sind einzubeziehen, wenn sie aus sonstigen Gründen wesentlich für den Geschäftsbetrieb des Emittenten sind (z.B. wenn eine Gesellschaft, ohne die 10 %-Grenze zu erreichen, erheblichen Schadensersatzklagen ausgesetzt ist). Auch das ergibt sich aus dem Grundsatz, dass der Prospekt alle Angaben enthalten muss, die für die Beurteilung der Wertpapiere wesentlich sind (s. Rz. 33.13, Rz. 33.46).
33.23 Der erste Schritt bei einer rechtlichen Due Diligence ist, die gesellschaftsrechtlichen
Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft zu prüfen. Bei Umstrukturierungen sind ggf. auch die Rechtsvorgänger zu untersuchen. Ein Schwerpunkt liegt insbesondere beim Börsengang auf der wirksamen Gründung der Gesellschaft, vor allem bei Sachgründungen. Sodann werden in chronologischer Reihenfolge sämtliche gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen auf ihre Rechtswirksamkeit hin überprüft – unter anderem auch Übertragungen von Beteiligungen am Emittenten, da Wirksamkeitsmängel Konsequenzen für nachfolgend gefasste Beschlüsse haben können. Eine lückenlos nachweisbare Kette von Veräußerungen und Erwerben ist auch für Altaktionäre entscheidend, die beim Börsengang ihre Aktien abgeben wollen. Unter dem Aspekt der Kapitalerhaltung (vgl. §§ 71a, 57 AktG) sind insbesondere die Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern von Interesse.
33.24 Im zweiten Schritt werden die Vertragsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und
Dritten überprüft. Sämtliche Verträge, die das Unternehmen langfristig binden und/oder wesentliche Auswirkungen auf dessen Ertragskraft haben, werden auf rechtliche Risiken sowie Abweichungen vom Üblichen untersucht. Der Fokus der Prüfung liegt dabei insbesondere auf der rechtlichen Bestandsfestigkeit, rechtlichen Abhängigkeiten, wettbewerbsbeschränkenden Absprachen, unüblich weitreichenden Gewährleistungen bzw. Garantien, Vertragsstrafeversprechen, Ausgleichsansprüchen bei Beendigung von Vertragsverhältnis-
16 Anders als bei der wirtschaftlichen und finanziellen Due Diligence, die sich mehr auf das Unternehmen insgesamt bzw. einzelne Geschäftsbereiche konzentriert, stellt die rechtliche Due Diligence auf die einzelnen Rechtssubjekte ab, d.h. die einzelnen Gesellschaften. 17 Anhang I Ziffer 25 VO Nr. 809/2004. 18 ESMA recommendations ESMA/2013/319, S. 41 Rz. 161.
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Due Diligence | § 33
sen sowie gewinn- oder umsatzabhängigen Vergütungen. Da sich durch einen Börsengang der Gesellschafterbestand ändert, müssen hierdurch ausgelöste vertragliche Kündigungsrechte („change-of-control“-Klauseln) besonders beachtet werden. Das Thema Compliance hat bei der rechtlichen Due Diligence mittlerweile eine große Bedeutung. Dabei wird geprüft, ob ein angemessenes Compliance-Managementsystem besteht und inwieweit es effizient arbeitet. Auch die Compliance-Historie, insbesondere also der Umgang mit früheren Verstößen, wird untersucht. Darüber hinaus kann sich eine Prüfung auf weitere Bereiche erstrecken, die potentiell Risiken aufweisen. Dazu zählen beispielsweise Geschäfte in Staaten mit hohem Korruptionsrisiko, der Einsatz von Beratern und Vermittlern oder die Compliance-Historie einzelner Geschäftspartner. Im Falle von anhängigen oder drohenden Untersuchungen bzw. Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaften oder andere Behörden sind auch diese auf ihre möglichen Auswirkungen zu untersuchen.
33.25
Im Bereich des Personalwesens sind die Dienstverträge der Geschäftsführung bzw. des Vorstands und der leitenden Angestellten sowie die Standardverträge der übrigen Arbeitnehmer zu analysieren. Zu achten ist dabei auf eingeräumte Sonderkonditionen (Umsatzund Gewinnbeteiligungszusagen), Geheimhaltungs- und Erfindungsübertragungsvereinbarungen sowie Wettbewerbsverbote. Besondere Aufmerksamkeit ist freien Mitarbeitern zu widmen. Bei Bewertung dieser Arbeitsverhältnisse als „Scheinselbstständigkeit“ kann die Nachzahlung erheblicher Sozialbeiträge erforderlich werden. Die betriebliche Altersversorgung und etwaige Aktienoptionsprogramme sind wegen ihrer rechtlichen Komplexität und wirtschaftlichen Bedeutung gesondert zu prüfen, ggf. durch Hinzuziehen entsprechender Experten.
33.26
Insbesondere bei Technologieunternehmen können gewerbliche Schutzrechte den Firmenwert wesentlich beeinflussen. Es muss daher überprüft werden, ob und in welchem sachlichen, geografischen und zeitlichen Umfang Patente, Gebrauchsmuster, Urheberrechte, Warenzeichen/Marken und Geschmacksmusterrechte bestehen. Zu den eigenen Schutzrechten des Emittenten kommen außerdem die vertraglich erworbenen Nutzungsrechte (Lizenzen), deren (vertragliche) Berechtigung ebenfalls überprüft werden muss.
33.27
Klassische Analysegebiete der rechtlichen Due Diligence sind zudem Versicherungsverträge, insbesondere im Hinblick auf ausreichende Deckung bei Betriebsunterbrechungen und Produkthaftung. Darüber hinaus sind alle Aktiv- und Passivprozesse, in denen der Emittent Partei ist oder zu werden droht, zu erfassen und auf ihre Erfolgsaussichten zu bewerten. Gleiches gilt für Verwaltungs- und Schiedsgerichtsverfahren. Auch gewährte Subventionen (insbesondere im Hinblick auf mögliche Rückzahlungsverpflichtungen) und öffentlich-rechtliche Erlaubnisse und Genehmigungen müssen eingehend betrachtet werden.
33.28
d) Steuerliche Due Diligence Gegenstand der steuerlichen Due Diligence (tax due diligence) ist die Identifizierung und Quantifizierung von Steuerrisiken aus der Vergangenheit. Veranlagungszeiträume, die der Verjährung unterliegen oder durch die steuerliche Betriebsprüfung abschließend geprüft sind, können in der Regel außer Acht gelassen werden. Ausgangspunkt der Untersuchung ist deshalb die letzte steuerliche Betriebsprüfung und der daraufhin ergangene Bescheid. Für die noch offenen Veranlagungszeiträume übernimmt die steuerliche Due Diligence quasi die Aufgabe einer vorgezogenen Betriebsprüfung. Darüber hinaus werden steuerliche Nägele | 1075
33.29
§ 33 | Due Diligence
Auswirkungen etwaiger Restrukturierungsmaßnahmen untersucht, die im Rahmen vorangegangener Kapitalmaßnahmen bzw. des geplanten Börsengangs stattgefunden haben oder stattfinden werden. Die steuerliche Due Diligence wird teilweise von Rechtsanwälten im Rahmen der rechtlichen Due Diligence übernommen, teilweise von Wirtschaftsprüfern zusätzlich zur wirtschaftlichen Due Diligence. Sie ist jedoch nicht der Regelfall, sondern wird in Abhängigkeit vom Einzelfall durchgeführt. e) Weitere Arten von Due Diligence
33.30 Abhängig vom Gegenstand des Unternehmens, also seinen Geschäftsfeldern, kann es wei-
tere Untersuchungsgebiete geben, etwa die technische Due Diligence, die zum einen die Produkte und Dienstleistungen des Emittenten auf ihre Konkurrenzfähigkeit untersucht, aber auch Produkthaftungs- und Gewährleistungsrisiken. Außerdem werden Investitionsbedarf und Risiken hinsichtlich der Produktionsanlagen und Forschungseinrichtungen des Emittenten ermittelt. Eine weitere Art ist die Umwelt-Due-Diligence, die sich mit der Identifizierung von Umweltschäden und -risiken sowie der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastung des Emittenten beschäftigt. Die organisatorische Due Diligence überprüft die Organisationsstruktur des Emittenten auf ihre Angemessenheit und Effizienz. Das gilt insbesondere, wenn der Emittent zuvor einem Konzern angehörte. Entscheidende Bedeutung hat dabei ein leistungsfähiges Rechnungswesen, bestehend aus einem Buchhaltungs- und Controllingsystem, sowie einem den Anforderungen des § 91 Abs. 2 AktG entsprechenden Management-Informationssystem. Die Kapitalmarkt-Due-Diligence analysiert die allgemeinen Rahmenbedingungen des Kapitalmarkts und unterstützt die Entscheidungen über Zeitpunkt und Ort sowie das anzustrebende Marktsegment des Börsengangs. Grundsätzlich gilt, dass mit der Durchführung der dargestellten Untersuchungen im jeweiligen Spezialbereich tätige Experten bzw. Sachverständige beauftragt werden.
III. Organisation 1. Vorbereitung a) Steuerung und Zeitplan
33.31 Eine Due Diligence kann das Unternehmen außerordentlich belasten, wenn sich eine grö-
ßere Menge von unternehmensfremden Personen (Vertreter der Banken, Rechtsberater, Wirtschaftsprüfer u.a.) in Räumlichkeiten des Unternehmens aufhält und über einen längeren Zeitraum aus nahezu allen Bereichen des Unternehmens Informationen oder Unterlagen anfordert. Dies kann zu Beeinträchtigungen des Geschäftsbetriebs und zu Unruhe im Unternehmen führen. Eine professionelle Vorbereitung und Steuerung des Projekts „Due Diligence“ seitens des Unternehmens und der federführenden Emissionsbanken ist deshalb unerlässlich, nicht zuletzt, um die Kosten der Due Diligence überschaubar zu halten.
33.32 In der Vorbereitungsphase, die – je nach Größe des Unternehmens – bereits mehrere
Wochen in Anspruch nehmen kann, legen die Emissionsbanken unter Mitwirkung des Unternehmens die inhaltlichen Schwerpunkte der Due Diligence fest und stimmen deren Einpassung in den Gesamtzeitplan ab. Dem Unternehmen obliegt die organisatorische bzw. logistische Vorbereitung. Diese wird häufig der Rechtsabteilung oder anderen Stabstellen übertragen, ggf. unterstützt durch ein professionelles Projektmanagement. Dieses
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Due Diligence | § 33
Due-Diligence-Team beschafft die Unterlagen im Unternehmen, stellt sie geordnet zur Verfügung und überwacht die ordnungsgemäße Durchführung der Due Diligence. Gibt es bisher kein einheitliches Unternehmensarchiv, ist damit zu rechnen, dass selbst sachlich zusammenhängende Vorgänge an verschiedenen Orten des Unternehmens verstreut dokumentiert sind. Dieser Umstand kann die Vorbereitung des Datenraums, also des physischen oder virtuellen Raums, in dem alle relevanten Unterlagen zusammengetragen werden, erschweren und ist bei der Zeitplanung zu berücksichtigen. Die Kernphase der Due Diligence – gekennzeichnet durch die Einsicht in die Dokumente und Fragerunden mit Schlüsselpersonen im Unternehmen – kann bei einer größeren Transaktion mehrere Wochen bis zwei Monate dauern. Aber auch noch nach Ablauf der Kernphase muss bis zum Ende der gesamten Transaktion dafür gesorgt werden, dass Änderungen in den Verhältnissen des Emittenten erfasst werden und Eingang in den Prospekt finden.
33.33
b) Due-Diligence-Listen In der Vorbereitungsphase entwerfen die Emissionsbanken bzw. externen Sachverständigen zunächst eine Liste der benötigten Dokumente (Dokumenten-Anforderungsliste) sowie eine Fragenliste19. Die Dokumenten-Anforderungsliste enthält eine Aufstellung aller Verhältnisse und Vorgänge, die aus Sicht der Banken für eine Prüfung des Unternehmens erforderlich sind. Alle maßgeblichen Unterlagen, die diese Vorgänge abbilden, sind vom Unternehmen im Rahmen der sog. „dokumentären Due Diligence“ (documentary due diligence) bereitzustellen. Die Fragenliste dient als Grundlage zur Befragung des (Konzern-)Vorstands (management due diligence). Eine Fragenliste ist insbesondere für die wirtschaftliche Due Diligence – also der Untersuchung des gesamtwirtschaftlichen Umfeldes – unerlässlich, da die hierfür notwendigen Informationen üblicherweise nicht ausreichend aktenmäßig erfasst sind. Die Entwürfe der Listen werden anschließend mit Vertretern des Emittenten abgestimmt. Führen mehrere Teams (Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer etc.) eine Due Diligence durch, ist zur Vermeidung von Doppelarbeit auf eine zeitnahe gegenseitige Anpassung der Listen zu achten.
33.34
Da nicht alle Unterlagen wesentlich im Sinne der Prospekthaftung sind, werden insbesondere bei der rechtlichen Due Diligence Wesentlichkeitsgrenzen vereinbart. Vorgänge, deren wirtschaftliche Bedeutung unter dieser Grenze bzw. Schwellenwert liegt, werden in der Regel nicht in die Due Diligence einbezogen. Im Zweifel und bei besonderer Risikolage wird die Schwelle eher niedrig angesetzt. Als vorläufige Richtzahl kann ein Prozentsatz einer finanziellen Kennzahl des Emittenten dienen, etwa des Jahresumsatzes (z.B. 2 %). Je größer das Unternehmen ist, desto niedriger ist der Prozentsatz, der als Wesentlichkeitsgrenze festgelegt wird. Auch die Zahl der einschlägigen Vorgänge kann zur Ermittlung der relevanten Kenngröße für die Wesentlichkeit herangezogen werden. Eine sehr große Anzahl von Vorgängen kann ein Indiz dafür sein, dass die Wesentlichkeitsgrenze zu niedrig angesetzt ist. Eine Ausnahme gilt für Vorgänge mit strategischer Bedeutung oder nicht absehbare Risiken, die immer relevant sind. Dazu zählen beispielsweise Vorgänge, die geeignet sind, das Ansehen oder die Eignung von Vorstandsmitgliedern zu beeinträchtigen. Das Gleiche gilt für Vorgänge, die zu einer Änderung der Geschäftsfelder oder strategischen Ausrichtung führen können. Ebenfalls immer relevant sind die Proto-
33.35
19 Die Begrifflichkeiten variieren; oft wird auch pauschal von einer Due-Diligence-Liste gesprochen.
Nägele | 1077
§ 33 | Due Diligence
kolle der Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen. Sie enthalten hoch konzentrierte Informationen zur Geschäftstätigkeit und zu den betrieblichen Abläufen des Emittenten. Typischerweise wird geprüft, ob die in den Gremienprotokollen angesprochenen Probleme gelöst oder beseitigt wurden.
33.36 In der Vorbereitungsphase wird auch festgelegt, welche Beteiligungsunternehmen in die
Prüfung einbezogen werden (zu den Kriterien s. Rz. 33.22). Ergeben sich aus der Art des betriebenen Unternehmens spezifische Risiken, muss dies in den Due-Diligence-Listen ebenfalls berücksichtigt werden. Schließlich ist zu bestimmen, bis zu welchem Zeitraum in der Vergangenheit relevante Sachverhalte geprüft werden. Üblicherweise umfasst er drei Jahre (vgl. Anhang I Ziffer 20.1 VO Nr. 809/2004).
c) Vorbereitung des Datenraums
33.37 Das Unternehmen stellt die angeforderten Dokumente in einem Datenraum (data room)
zur Verfügung, der entweder physisch oder virtuell angelegt sein kann. Bei einem physischen Datenraum werden Kopien der Unterlagen (ggf. auch Originale) in separaten Räumlichkeiten, typischerweise auf dem Gelände des Emittenten, zugänglich gemacht. Mittlerweile ist die Papierform aber die Ausnahme, in der Regel wird ein virtueller Datenraum eingerichtet. Die vorhandenen Unterlagen werden eingescannt und den Beteiligten über die Internetseite eines entsprechenden Dienstleisters oder mobile Datenträger zugänglich gemacht. Die zugelassenen Nutzer haben dann entsprechend ihren jeweiligen Vertraulichkeitsstufen (s. Rz. 33.39) über einen Benutzernamen und ein persönliches Passwort Zugang zum Inhalt der Datenbank (sog. workspace), wobei zur Erleichterung der Prospekterstellung in der Regel alle Dokumente ausgedruckt werden können. Die Vorteile der virtuellen Variante sind offensichtlich: Zugang rund um die Uhr, keine Notwendigkeit der Anreise und geringe Personalintensität. Trotz des hohen Sicherheitsstandards der Anbieter kann allerdings nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sensible Daten kopiert, gespeichert oder ausgedruckt werden. Besonders vertrauliche Dokumente werden deshalb häufig in einem physischen Datenraum hinterlegt, der den virtuellen Raum ergänzt. Unabhängig von der Art des Datenraums ist für eine regelmäßige oder punktuelle Anpassung des Bestandes zu sorgen, um den Dokumentenanforderungen und Fragen der Nutzer gerecht zu werden sowie aktuellen Vorfällen Rechnung zu tragen. Virtuelle Datenräume können so eingerichtet werden, dass die Nutzer über neu eingestellte Dokumente automatisch per E-Mail informiert werden.
33.38 Die Verwaltung des Datenraums obliegt dem Due-Diligence-Team des Unternehmens (s.
Rz. 33.32), das als Schnittstelle zwischen dem Emittenten und den anderen Beteiligten an der Due Diligence fungiert. Die Aufgabe des Teams ist es, den Nutzern Zugang zu den vorhandenen Dokumenten zu verschaffen und über den Bestand mittels eines Gesamtverzeichnisses (data room index) Buch zu führen. Weiterhin stellt das Team sicher, dass alle ursprünglich und im Verlauf der Due Diligence angeforderten Dokumente in den Datenraum eingestellt werden. Die Teammitglieder sollten daher über genügend Fachkompetenz und Unternehmenskenntnis verfügen, um die Dokumente und die Dokumenten-Anforderungen den entsprechenden Geschäftsbereichen zuordnen zu können. Um die Arbeit des Teams zu erleichtern, ist es ratsam, für jeden Geschäftsbereich einen Ansprechpartner zu benennen. Auch diese Ansprechpartner sollten über ausreichend Erfahrung und Autorität verfügen, um möglichst effektiv die Verantwortlichen des betreffenden Geschäftsbereichs zu ermitteln, die über die erforderlichen Dokumente und Informationen verfügen (s. auch Rz. 33.44). 1078 | Nägele
Due Diligence | § 33
Die Due Diligence führt naturgemäß zur Offenlegung von unternehmensinternen, vertraulichen und auch geheimen Informationen gegenüber den Beteiligten20. Aber nicht jede Information muss im Rahmen der dokumentären Due Diligence jedem Beteiligten zugänglich gemacht werden. Es ist üblich, die Dokumente nach Vertraulichkeitsstufen zu klassifizieren und damit den Zugang zu reglementieren. Es bieten sich drei Kategorien an:
33.39
– Streng vertraulich: Diese Dokumente dürfen nur von besonders berechtigten und vorher benannten Personen im physischen Datenraum eingesehen werden. Als besonders berechtigte Personen kommen zum Beispiel der Berufsverschwiegenheit unterliegende Berater (z.B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer) oder von Emittent und Bank(en) gemeinsam beauftragte neutrale Sachverständige in Betracht. – Vertraulich: Diese Dokumente dürfen von sämtlichen berechtigten Personen im Datenraum eingesehen, nicht aber kopiert werden. – Allgemeiner Zugang: Diese Dokumente dürfen von berechtigten Personen im Datenraum eingesehen, auf Anfrage aber auch kopiert und mitgenommen werden. Dabei ist zu beachten, dass wesentliche Informationen immer Eingang in den Prospekt finden können bzw. müssen, unabhängig von ihrer Vertraulichkeitsstufe oder davon, wer sie identifiziert hat. Schließlich werden die Emissionsbanken vom Due-Diligence-Team aufgefordert, diejenigen Mitarbeiter und Berater zu benennen, die zur Nutzung des Datenraums unter Berücksichtigung der Vertraulichkeitsstufen berechtigt sein sollen. Darüber hinaus sollte eine Vertraulichkeitsvereinbarung vorbereitet werden, die alle Nutzer des Datenraums unterzeichnen, die nicht ohnehin berufsbedingt zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (s. Rz. 33.54). Bei physischen Datenräumen ist zusätzlich eine Datenraumordnung aufzustellen, in der der Zugang zum Datenraum (z.B. Öffnungszeiten, Voranmeldungen, Ansprechpartner) und der Umgang mit den bereitgestellten Dokumenten (insbesondere Kopiermöglichkeiten) geregelt wird. Bei virtuellen Datenräumen wird das über Zugangsberechtigungen und technische Weiterverarbeitungsbeschränkungen gelöst – beispielsweise ob ein Dokument ausgedruckt oder lokal gespeichert werden kann.
33.40
2. Durchführung Am Anfang der Due-Diligence-Prüfung steht üblicherweise die Management Due Diligence mit einer Reihe von Präsentationen und Befragungen des Unternehmens- bzw. Konzernvorstands. Dessen Mitglieder geben dabei zunächst einen Überblick über die Konzernstrategie sowie über historische und aktuelle Finanzdaten, gefolgt von einer Darstellung der einzelnen Geschäftsbereiche mit den zugehörigen Finanzdaten. Teil dieses Überblicks sind auch Themen wie Marktbedingungen, Dienstleistungsangebot, Wettbewerb, Strategie, Kundenstruktur und Technologie.
33.41
Bei der anschließenden dokumentären Due Diligence werden die im Datenraum zur Verfügung gestellten Unterlagen gesichtet. Legal-Tech-Anwendungen werden langfristig den hierfür erforderlichen Arbeitsaufwand und Personaleinsatz deutlich verringern21. Das gilt insbesondere bei der Auswertung einer großen Menge von gleichförmigen Dokumenten
33.42
20 Die Gefahr des Missbrauchs von vertraulichen Informationen ist jedoch wesentlich geringer als bei einer M&A Due Diligence. Vgl. hierzu Rz. 33.53. 21 Vgl. Kilian, NJW 2017, 3043, 3049 und Wagner, BB 2017, 898, 904 f.
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§ 33 | Due Diligence
wie etwa Miet- oder Kaufverträgen (s. Rz. 33.24). Wesentliche Dokumente, die nicht in den hiesigen Verkehrssprachen Deutsch oder Englisch vorliegen, müssen in der Regel übersetzt werden, was weiterhin zu einem erheblichen Aufwand führen kann. Die dokumentäre Prüfung wird ergänzt durch Gespräche mit Verantwortlichen in der Gesellschaft – typischerweise Mitarbeiter, die Auskunft geben können über einzelne Sparten der Geschäftstätigkeit, Vertriebsorganisation, Produktion und Beschaffung, Mitarbeiterstruktur und -vergütung, Umweltfragen, Patente und Lizenzen sowie über eventuelle Rechtsstreitigkeiten etc. Hinzu kommen ggf. Gespräche mit den Wirtschaftsprüfern, Rechts- oder Patentanwälten und anderen externen Spezialisten, die mit den Verhältnissen des Unternehmens vertraut sind.
33.43 Zu einer vollständigen Due Diligence zählt bisweilen auch die Besichtigung von Produk-
tionsstätten und anderen für den Geschäftsbetrieb wesentlichen Lokalitäten des Unternehmens. Sie findet insbesondere beim Börsengang im Anschluss an die Management Due Diligence oder parallel zur dokumentären Due Diligence statt.
33.44 Da unmittelbar vor Veröffentlichung der Angebotsunterlagen möglicherweise neue Sach-
verhalte eingetreten sind, die noch erfasst werden müssen, findet als letzter Schritt eine Schlussbesprechung (bring down due diligence) statt. Gegenstand ist die Optimierung der Prospektqualität, nicht aber der Vorgang der Due Diligence oder deren Qualität. In der Schlussbesprechung wird lediglich bestätigt, dass keine weiteren relevanten Informationen vorliegen. Hierzu bestätigen sämtliche Vorstandsmitglieder mündlich, dass ihnen keine Tatsachen bzw. Vorgänge bekannt sind, die in den – mittlerweile als fertiger Entwurf vorliegenden – Angebotsunterlagen nicht erwähnt sind, deren Fehlen diese aber in einem wesentlichen Punkt unrichtig oder unvollständig machen würden. Zur Absicherung dieser Aussagen lassen sich die Vorstandsmitglieder üblicherweise ihrerseits entsprechende Bestätigungen von den jeweils zuständigen Geschäftsführern, Bereichsverantwortlichen und sonst verantwortlichen Mitarbeitern des Unternehmens geben.
3. Auswertung und Dokumentation 33.45 Bei Kapitalmarkttransaktionen finden die Ergebnisse der Due Diligence direkten Eingang in die Angebotsunterlagen (Prospekt oder Information Memorandum). Anders als bei M&ATransaktionen ist es nicht üblich, einen gesonderten Due-Diligence-Bericht (due diligence report) zu verfassen22. Es empfiehlt sich aber, neben dem Prospekt, der die Ergebnisse der Due Diligence inhaltlich widerspiegelt, auch die Durchführung der Due Diligence selbst zu dokumentieren. Dazu gehören etwa die genannten Fragenlisten, das Verzeichnis der im Datenraum zur Verfügung gestellten Dokumente (ggf. auf einem Datenträger), eine Protokollierung von wesentlichen Meetings einschließlich Feststellung der Teilnehmer sowie die gesonderte Dokumentation von Antworten auf risikorelevante Fragen. So wird nicht nur eine Qualitätssicherung ermöglicht, sondern auch der Nachweis einer sorgfältig durchgeführten Due Diligence bei etwaigen Prospekthaftungsklagen erleichtert. Die im Daten22 Dies entspricht der Kapitalmarktpraxis in den USA, die sich auch in Deutschland durchgesetzt hat (anders Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 203). Grund hierfür ist die Möglichkeit potenzieller Prospekthaftungskläger in den USA, im Rahmen der Pre-Trial Discovery einen entsprechenden Bericht herauszuverlangen und gegen die Emissionsbeteiligten zu verwenden. Das deutsche Prozessrecht hingegen kennt keinen Ausforschungsbeweis und sieht nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit vor, im Besitz des Prozessgegners befindliche Dokumente als Urkundenbeweis zu verwerten.
1080 | Nägele
Due Diligence | § 33
raum erfassten Dokumente können – nach Sachbereichen bzw. chronologisch geordnet – auch als Grundlage für die Einrichtung eines Unternehmensarchivs dienen.
IV. Rechtsverhältnisse 1. Verhältnis der Due Diligence zur Prospekthaftung Die gesetzliche Prospekthaftung23 richtet sich nach den Vorschriften der §§ 21 ff. WpPG24. Der objektive Tatbestand der Prospekthaftung setzt voraus, dass im Prospekt unrichtige oder unvollständige Angaben enthalten sind, die für die Beurteilung der Wertpapiere wesentlich sind (§ 21 Abs. 1 WpPG). Wurden tatsächlich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, wird ein Verschulden der Prospektverantwortlichen vermutet (§ 23 Abs. 1 WpPG). Der Prospektverantwortliche muss nachweisen, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht.
33.46
Es stellt sich die Frage, ob sich die Vermutung der groben Fahrlässigkeit nur durch eine Due-Diligence-Prüfung widerlegen lässt25. Die herrschende Meinung in der Rechtsliteratur lehnt dies zu Recht ab: Weder dem Emittenten, den Emissionsbanken noch den Hauptaktionären obliege eine generelle Pflicht zur Durchführung einer Due Diligence. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, sind Nachforschungen erforderlich26. Im Hinblick auf die hier bestehende Rechtsunsicherheit ist eine Due Diligence durch Emittent und Emissionsbanken jedoch dringend anzuraten. Es darf nicht verkannt werden, dass deren Durchführung im Vorfeld einer Emission – auch zurückgehend auf die US-amerikanischen Kapitalmarktgepflogenheiten – gängige Praxis ist. Gerichte können das als „Verkehrssitte“ berücksichtigen, wenn es darum geht, welcher Sorgfaltsmaßstab an einen Emittenten oder die Emissionsbanken anzulegen ist27.
33.47
2. Bedeutung der Due Diligence für das Verhältnis zwischen Emissionsbanken und Emittent Das Verhältnis zwischen Emissionsbanken, Emittent und etwaigen abgebenden Aktionären bestimmt sich wesentlich nach der Mandatsvereinbarung (letter of engagement) und dem 23 Zum 1.6.2012 wurde die gesetzliche Prospekthaftung neu geordnet und in das WpPG bzw. VermAnlG verschoben, vgl. Leuering, NJW 2012, 1905 ff. 24 Bzw. §§ 20 ff. VermAnlG; zu den Einzelheiten s. § 41. 25 In den USA ist die Durchführung einer Due Diligence zwingende Voraussetzung, um die Due Diligence Defense nach Sec. 11 (b) (3) (A) Securities Act geltend zu machen. Nur dann haben die Emissionsbanken (unter bestimmten Umständen) die Möglichkeit, sich in einem Prospekthaftungsprozess damit zu verteidigen, dass aufgrund sorgfältiger Tätigkeit kein Verschulden und damit keine Haftung vorliegt. Vgl. hierzu § 45. 26 Assmann in Assmann/Schütze, Hdb. Kapitalanlagerecht, § 5 Rz. 183; Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 45 ff., 77, 80 ff.; Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 138 ff. (zu §§ 44 f. BörsG a.F.); Kuntz in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Rz. 269 ff.; Krämer/ Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.334 ff., 10.338; Müller, Wertpapierprospektgesetz, 2. Aufl. 2017, § 23 Rz. 4 ff.; a.A. Hamann in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rz. 227. Vgl. auch Rz. 41.112 ff. 27 Vgl. BGH v. 1.12.1975 – II ZR 68/74, BGHZ 65, 304, 308; Grüneberg in Palandt, BGB, § 276 Rz. 16.
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33.48
§ 33 | Due Diligence
Übernahmevertrag (underwriting agreement)28. Die Emissionsbanken verlangen hier umfangreiche Zusicherungen und Gewährleistungen hinsichtlich der Verhältnisse des Unternehmens. Erweisen sich diese nachträglich als falsch, sind der Emittent und ggf. die abgebenden Aktionäre vertraglich verpflichtet, die Emissionsbanken von Ansprüchen Dritter freizustellen, insbesondere von Prospekthaftungsansprüchen. Das Prospekthaftungsrisiko der Emissionsbanken im Außenverhältnis wird auf diese Weise im Innenverhältnis auf den Emittenten bzw. die abgebenden Aktionäre abgewälzt. Haben die Emissionsbanken aber eine Due-Diligence-Prüfung durchgeführt, stellt sich die Frage, ob der Emittent bzw. der Altaktionär diesen Haftungsfreistellungsansprüchen der Emissionsbanken entgegenhalten kann, sie hätten durch die Due Diligence Kenntnis gehabt oder haben müssen (§ 442 BGB analog)29.
33.49 Dem Emittenten ist der Einwand der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens jedenfalls dann verwehrt, wenn in der Mandatsvereinbarung oder im Übernahmevertrag die (entsprechende) Anwendbarkeit des § 442 BGB ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen wird. Dies entspricht der gängigen Praxis. Gibt es keine vertragliche Regelung, gilt grundsätzlich folgendes: Haben die Emissionsbanken aufgrund der Due Diligence oder sonstiger Umstände von einer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts Kenntnis, müssen sie auf eine Änderung der Prospektangaben hinwirken oder – wenn der Emittent sich dem verweigert – eine ausdrückliche Freistellung verlangen. Geschieht dies nicht, darf der Emittent in der Regel darauf vertrauen, dass die im Prospekt gefundene Lösung von allen Beteiligten getragen wird30. Deshalb ist bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in diesem Fall davon auszugehen, dass der Emittent dem Freistellungsanspruch der Emissionsbanken entgegenhalten kann, diese hätten den Prospektmangel gekannt.
33.50 Anders verhält es sich mit dem Einwand des Emittenten, die Emissionsbanken hätten auf-
grund einer durchgeführten Due Diligence von einem bestimmten Umstand Kenntnis haben müssen. Wie sich der Regelung des § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB entnehmen lässt, gilt der Einwand des Kennenmüssens gerade nicht bei Beschaffenheitsgarantien. Es ist daher auch nicht möglich, ihn auf Zusicherungen im Übernahmevertrag (meist in Form eines selbstständigen Garantieversprechens) auszudehnen. Er wird zudem ausdrücklich im Übernahmevertrag ausgeschlossen.
V. Grenzen 1. Gesellschaftsrechtliche Grenzen a) Verschwiegenheitspflicht
33.51 Für den Vorstand einer AG besteht grundsätzlich die Pflicht, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft Stillschweigen zu bewahren (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG)31. Bei einer Due Diligence verlangen die Emissionsbanken jedoch, dass ihnen vom Vorstand solche unternehmensinternen Informationen zugänglich gemacht werden. In aller Regel 28 Ausführlich zum Börsengang § 3 und zum Übernahmevertrag §§ 29–31. 29 Diese Frage wird insbesondere bei Unternehmensakquisitionen diskutiert, vgl. Maier-Reimer/ Schilling, IWRZ 2016, 106 ff. und Angersbach, Due Diligence beim Unternehmenskauf, S. 136 ff. m.w.N. 30 So auch Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 152. 31 Dieses Gebot ist nach § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG strafbewehrt.
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Due Diligence | § 33
wird der Vorstand diesem Verlangen ohne Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht nachkommen können. Die Verschwiegenheitspflicht wird nämlich durch das Gesellschaftsinteresse bestimmt. Dabei hat der Vorstand zu entscheiden, welche Maßnahmen dem Gesellschaftsinteresse am ehesten entsprechen und ist deshalb zur Offenlegung berechtigt, wenn die damit verbundenen Vorteile die Risiken der Informationsweitergabe überwiegen32. Maßgebliche Kriterien bei dieser Ermessensentscheidung sind das Ausmaß der wahrscheinlichen Vorteile für die Gesellschaft und die Gefahr der zweckwidrigen Informationsverwertung. Bei einer Kapitalmarkttransaktion ist zu berücksichtigen, dass die Offenlegung von unternehmensinternen Informationen durch die Prospektpflicht rechtlich und faktisch unabdingbare Voraussetzung für einen Börsengang bzw. ein öffentliches Angebot von Wertpapieren ist. Zudem kann ein Börsengang verschiedene Vorteile für ein Unternehmen haben: Durch das öffentliche Angebot fließen der Gesellschaft in der Regel erhebliche Finanzmittel zu, die ihr ermöglichen, unternehmerische Ziele zu verfolgen, z.B. weiteres Wachstum. Aber auch wenn der Gesellschaft keine Finanzmittel zufließen, weil lediglich Altaktien platziert werden, wird man von der Zulässigkeit einer Due Diligence ausgehen müssen. Zum einen reduziert der Emittent seine Prospekthaftungsrisiken erheblich, wenn er eine Due Diligence gestattet; zum anderen ermöglicht gerade die öffentliche Platzierung – für die eine Due Diligence zwingende Voraussetzung ist – eine breitere Streuung des Anteilsbesitzes, was die Unabhängigkeit des Unternehmens stärkt. Ein hoher Streubesitz ist wiederum Voraussetzung für die Aufnahme in einen Börsenindex, was dem Emittenten weitere Vorteile verschaffen kann. Die dargestellten Vorteile einer Due Diligence müssen aber hinreichend sicher sein. Deren Durchführung liegt nicht im Unternehmensinteresse, wenn die Umsetzung (Fassung der erforderlichen Kapitalerhöhungsbeschlüsse etc.) einer geplanten öffentlichen Platzierung unwahrscheinlich ist33. Insbesondere wenn sich eine fehlende Unterstützung der Transaktion durch die Mehrheit der Aktionäre abzeichnet, wird man nur schwer einen hinreichend konkreten Vorteil annehmen können.
33.52
Bei der Frage nach den Risiken muss berücksichtigt werden, dass die Gefahr eines Missbrauchs der offengelegten Informationen bei einer Kapitalmarkttransaktion überschaubar ist. Wesentlicher Unterschied zur Due Diligence im Vorfeld von Unternehmenskäufen ist, dass keine direkten Wettbewerber an ihr teilnehmen und damit die Gefahr eines Missbrauchs vertraulicher Informationen von vornherein wesentlich geringer ist. Die Emissionsbanken stehen in aller Regel in keinem Wettbewerbsverhältnis zum Emittenten und können vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet werden (vgl. nachfolgend Rz. 33.54). Die von den Emissionsbanken beauftragten branchenfremden Sachverständigen wie Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sind regelmäßig bereits aus berufs- und standesrechtlichen Gründen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine missbräuchliche Verwendung oder Weitergabe der Informationen ist somit unwahrscheinlich. Nur in Ausnahmefällen wird sich der Vorstand bei Abwägung der dargestellten Vor- und Nachteile im Rahmen seines Ermessens gegen die Due Diligence entscheiden34. Die Entscheidung über die Durchführung einer Due Diligence ist eine Geschäftsführungsmaßnahme, welche in die
33.53
32 Dietzel in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, § 9 Rz. 75 m.w.N. 33 So auch Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 160. 34 Empfehlenswert ist ein Beschluss durch den Gesamtvorstand, da die Ressort-Kompetenz eines einzelnen Vorstandsmitglieds (nach einem etwaigen Geschäftsverteilungsplan) regelmäßig überschritten ist; vgl. auch Dietzel in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, § 9 Rz. 76 m.w.N.
Nägele | 1083
§ 33 | Due Diligence
alleinige Zuständigkeit des Vorstands fällt und keinen Hauptversammlungsbeschluss erfordert35. b) Geheimhaltungsmaßnahmen
33.54 Bei M&A-Transaktionen ist anerkannt, dass der Vorstand bestimmte Vorkehrungen zum
Schutz von Unternehmensinterna treffen muss, um seine Verschwiegenheits- und Sorgfaltspflichten zu erfüllen – auch wenn die Due Diligence grundsätzlich zulässig ist36. Dies gilt in eingeschränktem Umfang auch für Kapitalmarkttransaktionen. Mit den Emissionsbanken muss daher zunächst eine Vertraulichkeitsvereinbarung (confidentiality agreement bzw. non-disclosure agreement) abgeschlossen werden37. Dies gilt auch für alle Personen, die Zugang zu vertraulichen Dokumenten des Emittenten erhalten, d.h. Angestellte der Emissionsbanken und von ihnen beauftragte Sachverständige, soweit diese nicht berufsbedingt der Verschwiegenheit unterliegen. Kern der Vertraulichkeitsvereinbarung ist die Verpflichtung, keine im Rahmen der Due Diligence vom Emittenten erlangten vertraulichen Informationen zu offenbaren. Konkret heißt das, die zur Verfügung gestellten Informationen dürfen nur zu Zwecken der Due Diligence und Prospekterstellung verwendet werden und nicht für andere eigene oder fremde Zwecke (außer zur Verteidigung gegen mögliche Prospekthaftungsklagen); insbesondere darf Dritten ohne vorherige schriftliche Zustimmung kein Zugang zu den Informationen gewährt werden. Die Vertraulichkeitsvereinbarung kann mit einer Vertragsstrafe bewehrt sein, damit der Emittent bei Verletzung der Vereinbarung nicht in Beweisnot über einen dadurch verursachten Schaden gerät. Auch eine etwaige Datenraumordnung, die von den Nutzern des Datenraums gegengezeichnet werden muss, kann durch die in ihr aufgestellten Regeln die Vertraulichkeitsvereinbarung konkretisieren.
33.55 Weitergehende Maßnahmen sind bei der Due Diligence im Rahmen einer Kapitalmarkt-
transaktion in der Regel nicht erforderlich. Allerdings sind Konstellationen vorstellbar, in denen parallel zur Kapitalmarkttransaktion eine M&A-Transaktion geplant wird (dualtrack-Verfahren38), z.B. wenn ein Hauptaktionär sich neben einer öffentlichen Platzierung seines Aktienpakets die Möglichkeit eines Verkaufs außerhalb der Börse offen halten möchte. Hier ist darauf zu achten, dass zwei voneinander unabhängige Due-Diligence-Verfahren durchgeführt werden. Es müssen daher u.a. separate Datenräume geschaffen und voneinander unabhängige Prüfer-Teams aufgestellt werden. Nur so kann verhindert werden, dass im Rahmen der Kapitalmarkttransaktion offengelegte Informationen ungewollt in die M&A-Due-Diligence einfließen.
2. Kapitalmarktrechtliche Grenzen 33.56 Bei Emittenten, deren Wertpapiere bereits an einer deutschen oder einer anderen europäi-
schen Börse zum Handel zugelassen sind, müssen ferner insiderrechtliche Aspekte berücksichtigt werden39. Das gilt auch, wenn der Antrag auf Zulassung (oder Einbeziehung
35 So auch Eggenberger, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Folgen einer Due-DiligencePrüfung, S. 85 ff.; ihm folgend Göckeler in Beck’sches Hdb. AG, § 24 Rz. 161; s. auch Schanz, Börseneinführung, § 8 Rz. 44, 43. 36 Zu den Einzelheiten vgl. Dietzel in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, § 9 Rz. 76 m.w.N. 37 Zur Ausgestaltung vgl. Schlitt in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, § 6 Rz. 3 ff. 38 Zu den Einzelheiten s. § 4 A. 39 Vgl. Fleischer, ZGR 2009, 505, 511 ff.
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Due Diligence | § 33
in den regulierten Markt oder Freiverkehr) gestellt oder öffentlich angekündigt ist. Den Vorstandsmitgliedern solcher Emittenten ist es untersagt, eine Insiderinformation unrechtmäßig offenzulegen (vgl. Art. 14 lit. c VO Nr. 596/2014 [MAR40]). Die Insiderinformation definiert Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 596/2014 als eine nicht öffentlich bekannte, präzise Information, die Emittenten oder deren Finanzinstrumente betrifft und die geeignet ist, den Kurs erheblich zu beeinflussen. Insofern keine Pflicht zur ad-hoc-Mitteilung besteht41, ist bei der Weitergabe einer solchen Information anlässlich der Due Diligence theoretisch auch eine insiderrechtliche Strafbarkeit denkbar. Im Ergebnis wird dies aber fast immer zu verneinen sein, wenn das Unternehmensinteresse eine Weitergabe gebietet und diese daher ohne Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 AktG erfolgt (s. hierzu Rz. 33.51 ff.). Das Insiderrecht will unterbinden, dass ungerechtfertigte Sondervorteile durch status-, funktions- oder zufallsbedingte Insiderinformationen erzielt werden. Das Insiderrecht findet aber dort seine Grenze, wo Informationsflüsse erforderlich sind, um die Funktionsfähigkeit von Unternehmen zu erhalten42. Eine Weitergabe von Informationen im wohlverstandenen Unternehmensinteresse ist daher auch „rechtmäßig“ im Sinne von Artt. 10 Abs. 1 Satz 1, 14 lit. c VO Nr. 596/2014. Da die Emissionsbanken und die anderen Due-Diligence-Beteiligten vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, entsteht durch die Weitergabe an sie auch keine Verpflichtung zur Ad-hoc-Mitteilung (vgl. Art. 17 Abs. 8 Satz 2 VO Nr. 596/2014). Ist eine rechtmäßige Weitergabe von Insiderinformationen im Rahmen der Due Diligence an die Emissionsbanken erfolgt, dürfen diese die erlangten Informationen regelmäßig nur in der Emissionsabteilung nutzen und nicht auch anderen Abteilungen innerhalb der Bank zugänglich machen. Eine rechtmäßige Weitergabe innerhalb des eigenen Hauses kommt nur in Betracht, wenn dies für den ordentlichen Unternehmensablauf erforderlich ist.
33.57
3. Datenschutzrechtliche und weitere Grenzen Bei der Weitergabe von Informationen sind grundsätzlich die Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten nach dem neuen Bundesdatenschutzgesetz und der Datenschutz-Grundverordnung VO Nr. 2016/679 (DSGVO)43 zu berücksichtigen44. Die Herausgabe oder das Zugänglichmachen von personenbezogenen Daten („Verarbeitung“ nach Art. 4 Nr. 2 VO Nr. 2016/679) im Sinne dieser Vorschriften ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des BDSG und der DSGVO (insbesondere ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f VO Nr. 2016/679) oder einer anderen Rechtsvorschrift45 erfüllt 40 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 v. 16.4.2014, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1. Einführend zum neuen Marktmissbrauchsrecht Poelzig, NZG 2016, 528 ff. 41 Etwa bei fehlendem direkten Emittentenbezug der Insiderinformation oder einer vorläufigen Selbstbefreiung, s. Rz. 38.75 ff. 42 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 17, 37; s. auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, § 14 Rz. 73. 43 Verordnung (EU) Nr. 2016/679 v. 27.4.2016, ABl. EU Nr. L 119 v. 4.5.2016, S. 1. Sie ist seit dem 25.5.2018 anwendbar. 44 Einführend zur Neuregelung des Datenschutzrechts Kühling, NJW 2017, 1985 ff. und Greve, NVwZ 2017, 737 ff. Ausführlich zum alten Bundesdatenschutzgesetz Dietzel in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, § 9. 45 Zum Beispiel § 51a GmbHG; nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehören hierzu auch Betriebsvereinbarungen, vgl. etwa BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 2/13 (A), NZA 2013, 1433, 1436 Rz. 31.
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33.58
§ 33 | Due Diligence
sind oder der Betroffene eingewilligt hat (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a VO Nr. 2016/679). Dies gilt auch bei der Weitergabe an berufsrechtlich oder vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtete Dritte wie z.B. an die mit der Due Diligence betrauten Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte oder Emissionsbanken, da BDSG und DSGVO nicht danach differenzieren, ob der Empfänger selbst zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Das Datenschutzrecht steht allerdings nur dann einer Informationsweitergabe entgegen, wenn sich die Informationen auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen (Art. 4 Nr. 1 VO Nr. 2016/679).
33.59 Um einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen auszuschließen, muss eine
Anonymisierung der Daten vorgenommen werden. Die Daten sind also in einer Art und Weise darzustellen, die eine Zuordnung zu einer bestimmten Person nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit und Arbeitskraft ermöglicht. Auch durch eine Zusammenfassung von Daten (Strukturdarstellung) kann dem Datenschutz Genüge getan werden. Die Zusammenfassung muss dabei eine Personengruppe von jeweils mindestens drei Personen umfassen, damit keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen möglich sind. Beispielsweise dürfte mitgeteilt werden, dass der Emittent eine bestimmte Anzahl von Dienstverträgen abgeschlossen hat, die jeweils eine jährliche Vergütung gewähren, die über einer bestimmten Grenze liegt.
33.60 Ein weiteres Hindernis für das Offenlegen von Informationen im Rahmen der Due
Diligence ergibt sich aus Geheimhaltungsvereinbarungen des Emittenten mit Dritten. Macht er bei der Due Diligence solchen Vereinbarungen unterfallende Informationen zugänglich, kann er sich schadensersatzpflichtig machen. Kann im Zuge der Due Diligence nicht auf die Überprüfung dieser Informationen verzichtet werden, bleibt dem Emittenten nur die Möglichkeit, bei dem berechtigten Dritten auf eine Entbindung von der Geheimhaltungspflicht zumindest gegenüber den Emissionsbanken bzw. deren Sachverständigen hinzuwirken.
VI. Besonderheiten bei regelmäßiger Inanspruchnahme des Kapitalmarktes 33.61 Vom dargestellten Due-Diligence-Verfahren ergeben sich erhebliche Abweichungen, wenn
der Emittent regelmäßig Wertpapiere emittiert. Insbesondere größere börsennotierte Unternehmen finanzieren sich standardmäßig durch die Ausgabe von Anleihen und anderen Wertpapieren. Hier wäre es nicht zweckmäßig, z.B. bei jeder neuen Anleiheemission eine vollumfängliche Due Diligence durchzuführen. Vielmehr wird bei der Prospekterstellung in aller Regel auf den Erkenntnissen früherer Due-Diligence-Verfahren aufgebaut. Diese Erkenntnisse lassen sich aus bereits vorhandenen Angebotsdokumenten bzw. Prospekten entnehmen. Aber auch Regelpublikationen bauen teilweise auf einer umfassenden Due Diligence auf46. Die Emissionsbanken überprüfen deshalb im Wesentlichen nur, ob sich seit der letzten umfassenden Due Diligence Änderungen ergeben haben. Eine dokumentäre Due Diligence in der dargestellten Weise findet grundsätzlich nicht statt, insbesondere wird kein Datenraum eingerichtet. Im Hinblick auf die aktuellen, aber noch nicht testierten Finanzdaten, die im Prospekt veröffentlicht werden müssen, holen die Emissionsbanken vom Wirtschaftsprüfer des Emittenten einen Comfort Letter ein. Zum Abschluss der Due Diligence, kurz vor Begebung der Anleihe, findet schließlich eine Telefonkonferenz statt (due diligence call), bei der der Vorstand und/oder verantwortliche Vertreter der zuständigen Fachabteilungen des Emittenten versichern, dass die Prospektangaben richtig und vollständig sind. 46 Insbesondere im Fall der Einreichung von Quartals- und Jahresberichten bei der U.S. Securities and Exchange Commission (Form 6-K, Form 20-F).
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§ 34 Comfort Letter I. Die Bedeutung und Funktion des Comfort Letter . . . . . . . . . . . . . 1. US-amerikanischer Standard SAS 72 (AU-C Section 920) vor dem Hintergrund der Rechtslage in den USA . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktion des Comfort Letter in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . II. IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (IDW PS 910) . . 1. Rechtliche Einordnung . . . . . . . 2. Anwendungsbereich und Aufbau des Prüfungsstandards . . . . . . . 3. Form und Aufbau des Comfort Letter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsnatur eines Comfort Letter und Haftung . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollständigkeitserklärung . . . . . 6. Behandlung von Konzernsachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Anforderungen an den Comfort Letter nach IDW PS 910 1. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussage zu geprüften Abschlüssen a) Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks . . . . . . . . . . . . . . . . .
_ _ _ __ _ _ __ _ __ _ _
34.2 3.
34.5 34.9
34.12 34.13 34.14 34.16 34.17 34.18 34.19 34.20 34.20 34.21 34.22
4. 5. 6. 7.
b) Kritisches Lesen der Anhänge . . c) Praktische Fragen . . . . . . . . . . Aussage zur Folgeperiode . . . . . a) Aussage zu ungeprüften Abschlüssen . . . . . . . . . . . . . b) Aussage zu dem Zeitraum zwischen dem letzten Abschluss und dem Datum der Prospekterstellung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Untersuchungshandlungen zur Aktualisierung der Erkenntnisse . . . . . . . . . . bb) 135-Tage-Regel . . . . . . . . c) Platzierung im ersten Quartal nach Geschäftsjahresende . . . . d) Praktische Fragen . . . . . . . . . . Pro-Forma-Finanzinformationen und Complex Financial Histories Formeller Zahlenabgleich . . . . . . Verwendungszweck und Grundlage des Comfort Letter . . . . . . . Rechtswahlklausel und Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
__ _ _ _ __ __ __ _ _ _ _
34.27 34.28 34.30 34.31
34.34 34.34 34.35 34.38 34.40 34.42 34.46 34.47 34.48
IV. Bring Down Comfort Letter . . . . 34.50 V. Praxis bei internationalen Wertpapieremissionen . . . . . . . . . . . 34.51
Schrifttum: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilbd. 7, 6. Aufl. 2000; American Institute of Certified Public Accountants, AICPA Professional Standards Volume 1, U.S. Auditing Standards, Attestation Standards, Volume 2, U.S. Auditing Standards (Clarified), March 2018; Ahr/Loitz/Seidel, Informationsvermittlung durch Quartalsberichterstattung – wachsender Trend zur Quartalsmitteilung, BB 2017, 1451; Bosch, Expertenhaftung gegenüber Dritten – Überlegungen aus der Sicht der Bankpraxis, ZHR 163 (1999), 274; Canaris, Die Reichweite der Expertenhaftung gegenüber Dritten, ZHR 163 (1999), 206; Castellon/Von Diessl, SAS 72 letters – Seeking comfort, Practical Law Publishing, PLC May 2013, 31; Döpfner, Analyse. Der Comfort Letter nach dem Standard des AICPA. Bedeutung für deutsche Emittenten und Vergleich zu IDW PS 910, WPg 2016, 884; Doleczik, Erstellung von Finanzinformationen bei IPOs – Praxisfragen unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen beim Comfort Letter, CFL 2010, 466; Ebke/Siegel, Comfort Letters, Börsengänge und Haftung: Überlegungen aus Sicht des deutschen und US-amerikanischen Rechts, WM 2001, Sonderbeil. 2; Ensthaler (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum Handelsgesetzbuch mit UN-Kaufrecht, 8. Aufl. 2015; Eschenfelder, Wirtschaftsprüferhaftung 2017; Greene/ Rosen/Silverman/Braverman/Sperber/Grabar/Fleisher, U.S. Regulation of the International Securities and Derivatives Markets, Vol. 1 Securities Markets, 12th ed. 2017; Hazen, Treatise on the Law of Securities Regulation, 7th ed. 2016; Heppe, Nach dem Vertrauensverlust – Ist es an der Zeit, die Dritthaftung deutscher Abschlussprüfer zu verschärfen?, WM 2003, 714, 753; Herzog/Amstutz, Rechtliche Überlegungen zur Haftung des Wirtschaftsprüfers für Comfort Letters – Ungeklärte Rechtslage in der Schweiz, Der Schweizer Treuhänder 2000, 757; Hirsch, Voraussetzungen für den Widerruf eines Be-
Kunold | 1087
§ 34 | Comfort Letter stätigungsvermerks – Anmerkungen zur Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 19.9.2000, WPg 2001, 606; Hutter, Obligations of German Issuers in connection with Public Securities Offerings and Stock Exchange Listings in the United States, in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Zugang zum US-Kapitalmarkt für deutsche Aktiengesellschaften, 1998, 115; Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (IDW PS 910), IDW Auditing Standard: Standards for Issuance of a Comfort Letter (IDW AuS 910), 2004, in deutscher Sprache ohne Anhang auch abgedruckt in WPg 2004, 342 ff.; Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), IDW Prüfungsstandards (IDW PS), IDW Stellungnahmen zur Rechnungslegung (IDW RS), IDW Standards (IDW S), IDW Prüfungs- und IDW Rechnungslegungshinweise (IDW PH und IDW RH), Loseblatt; Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.), WP Handbuch 2014, Bd. II, 14. Aufl. 2014, WP Handbuch, 15. Aufl. 2017; Köhler/Weiser, Die Bedeutung des Comfort Letters im Zusammenhang mit Emissionen – Darstellung der Rechtsgrundlagen, DB 2003, 565; KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft (Hrsg.), US-GAAP Rechnungslegung nach US-amerikanischen Grundsätzen, 4. Aufl. 2007; Krämer/Gillessen, § 10 Due Diligence und Prospekthaftung, in Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018; Kunold, Entwicklung eines Muster Comfort Letter – Ein Beitrag für zuverlässigere Finanzdaten in Prospekten, NZG 2003, 320; Kopp, Finanz- und Ertragslage des Emittenten in Verkaufs- und Börsenzulassungsprospekten – Darstellung und Analyse (MD&A), RIW 2002, 661; Landmann, Die Haftung für Comfort Letters bei der Neuemission von Aktien, 2007; Langendorf, Haftungsfragen bei Anleiheemissionen – Insbesondere vor dem Hintergrund des Comfort Letter, 2006; Loss/Seligman/Paredes, Fundamentals of Securities Regulation, 7th ed. 2018; Meixner/ Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, 2013; Meyer, Der IDW Prüfungsstandard für Comfort Letters – Ein wesentlicher Beitrag zur Weiterentwicklung des Emissionsgeschäfts in Deutschland, WM 2003, 1745; Noland/Russel, A Closer Look at Comfort and Verification Letters, The Journal of Corporate Accounting & Finance 2018, 80; Oser/Staß, Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie – Neuerungen in Rechnungslegung, Berichterstattung und Enforcement, DB 2015, 2825; Ostrowski/Sommerhäuser, Wirtschaftsprüfer und Going Public – Eine explorative Studie über die Dienstleistungen von Wirtschaftsprüfern bei Börseneinführungen, WPg 2000, 961; Pellens/Knappstein/Muschallik/Schmidt, Quartalsfinanzbericht oder Quartalsmitteilung?, DB 2017, 1; Schindler, Prüferische Durchsicht von Jahres-, Konzern- und Zwischenabschlüssen, WPg 2002, 1121; Schindler/Böttcher/Roß, Erstellung von Pro-Forma-Abschlüssen – Systematisierung, Bestandsaufnahme und Vergleich mit US-amerikanischen Regelungen, WPg 2001, 22; Schindler/Böttcher/Roß, Bestätigungsvermerke und Bescheinigungen zu Konzernabschlüssen bei Börsengängen an den Neuen Markt – Anmerkungen zu dem Prüfungshinweis IDW PH 9 400.4, WPg 2001, 477; Hannes Schneider, Reichweite der Expertenhaftung gegenüber Dritten, ZHR 163 (1999), 246; Schruff, Aus der Facharbeit des IDW, WPg 2004, 449; Semler/Volhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Bd. 1, 2001; Simons/Kallweit, Quartalsberichte – Quartalsprüfung – Prüferbestellung: Praxishinweise zu den Neuerungen durch das TranspRLÄndRL-UG, BB 2016, 332; Staub, Großkommentar HGB, hrsg. v. Canaris/Habersack/Schäfer, Siebenter Bd., 1. Teilbd. §§ 316–330, 5. Aufl. 2010.
34.1
Bei Kapitalmarkttransaktionen sind verlässliche Informationen über das emittierende Unternehmen für die Bewertung der angebotenen Wertpapiere von großer Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Angaben zur Finanz-, Vermögens- und Ertragslage des Emittenten. Sie sind Grundlage für die Beurteilung des Emittenten durch emissionsbegleitende Banken und Investoren und stellen einen wesentlichen Teil der bei öffentlichen Angeboten und/oder einer Börsenzulassung von Wertpapieren regelmäßig erstellten Wertpapierprospekte dar (eingehend dazu s. § 36). Die für die Erstellung von Wertpapierprospekten Verantwortlichen müssen daher hinreichende Gewissheit haben, dass die im Prospekt enthaltenen Finanzangaben richtig und vollständig sind. Vor diesem Hintergrund ist international, aber auch in Deutschland, die Abgabe eines Comfort Letter hinsichtlich der in Prospekten enthaltenen Finanzangaben üblich1. 1 Hierzu auch Schindler/Böttcher/Roß, WPg 2001, 477, 478; Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 3; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 11.510 f.; Hutter/Leppert, NJW 2002, 2008, 2211 f.;
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Comfort Letter | § 34
I. Die Bedeutung und Funktion des Comfort Letter Bei einem Comfort Letter handelt es sich um die schriftliche Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers über Abschlüsse und Finanzzahlen, die in einem Wertpapierprospekt abgedruckt sind. Zugleich dient er der Dokumentation der diesbezüglich durchgeführten Untersuchungshandlungen. Der Grund für die Einholung dieser Bestätigung und die Durchführung von Untersuchungshandlungen liegt in der besonderen Sachkunde und Erfahrung eines Wirtschaftsprüfers, insbesondere des mit den Verhältnissen des Emittenten vertrauten Abschlussprüfers. Bei der Erteilung eines Comfort Letter im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Prospekten handelt es sich nach der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 (EU-AbschlussprüfungsVO)2 um eine zulässige Leistung eines Abschlussprüfers für ein Unternehmen von öffentlichem Interesse (sog. public interest entities – PIE)3, die ausdrücklich von dem in Art. 5 VO Nr. 537/2014 enthaltenen Katalog der verbotenen Nichtprüfungsleistungen ausgenommen ist (Art. 5. Abs. 1 UAbs. 2 lit. i sowie Erwägungsgrund 8 VO Nr. 537/2014)4. Die Beauftragung eines Wirtschaftsprüfers als Experten erfolgt dabei auch aus dem im Hinblick auf eine etwaige Prospekthaftung bestehenden Interesse der Prospektverantwortlichen, insbesondere der Emissionsbanken, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in einem Prospekt enthaltenen Finanzangaben (zur Prospekthaftung Kunold, NZG 2003, 320, 321; Meyer, WM 2003, 1745, 1746; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 135; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.211; Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.433; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 212 ff.; nach der von Ostrowski/Sommerhäuser für den Zeitraum von November 1998 bis einschließlich Juli 1999 durchgeführten Untersuchung von IPOs in den Börsensegmenten amtlicher Handel, geregelter Markt und Neuer Markt wurde bei knapp 47 % der Börsengänge ein Comfort Letter erteilt, vgl. WPg 2000, 961, 968. Dieser prozentuale Anteil dürfte in der Folgezeit deutlich zugenommen haben, insbesondere im Eigenkapitalbereich ist die Erteilung eines Comfort Letter gängige Praxis. Vgl. hierzu die nach §§ 285 Nr. 17, 314 Abs. 1 Nr. 9 HGB für große Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) uneingeschränkt bestehende Pflicht (für mittelgroße Kapitalgesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 2 HGB gelten Erleichterungsmöglichkeiten), im Anhang zum Jahres-/Konzernabschluss Angaben zum Gesamthonorar eines Abschlussprüfers – aufgeschlüsselt in vier Kategorien mit jeweils separaten Angaben – aufzunehmen, sofern entsprechende Aufwendungen angefallen sind. In der Kategorie „andere Prüfungsleistungen“ sind insbes. alle berufstypischen Prüfungsleistungen i.S.v. § 2 Abs. 1 WPO, die nicht schon in die Kategorie Abschlussprüfungsleistungen fallen, aufzunehmen, worunter auch das Honorar für die Erteilung eines Comfort Letter fällt (s. Grottel in Beck’scher Bilanz-Komm., § 285 HGB Rz. 17; Zwirner/Boecker, BC 2017, 268, 270). 2 Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 158 v. 27.5.2014, S. 77 sowie die Berichtigung der Verordnung in ABl. EU Nr. L 170/66 v. 11.6. 2016), im Folgenden VO Nr. 537/2014. 3 Als PIE gelten nach § 319 Abs. 1 HGB kapitalmarktorientierte Unternehmen i.S.d. § 264d HGB, also Kapitalgesellschaften mit an einem organisierten Markt zugelassenen Wertpapieren, sowie – unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung – CRR-Kreditinstitute i.S.d. § 1 Abs. 3d Satz 1 des KWG (mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des KWG genannten Institute) und Versicherungsunternehmen i.S.d. Art. 2 Abs. 1 RL 91/674/EWG. 4 S. auch IDW Positionspapier zu Nichtprüfungsleistungen des Abschlussprüfers (dritte Fassung Stand: 9.1.2018), Abschnitt 3.19, S. 4, wo darauf verwiesen wird, dass es sich bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit Prospekten, einschließlich der Abgabe von Comfort Letters, um Leistungen handelt, die traditionell von einem Abschlussprüfer erbracht werden; Welf Müller in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen (Hrsg.), Kommentar zum Bilanzrecht, 2018, § 319a HGB Rz. 95.
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34.2
§ 34 | Comfort Letter
s. näher Rz. 41.10, 41.13 ff.). Um die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Prospekt enthaltenen Angaben überprüfen und sich ggf. im Falle der Inanspruchnahme durch einen Anleger entlasten zu können, führen die Emissionsbanken regelmäßig eine Untersuchung der Verhältnisse des Emittenten durch (sog. „Due Diligence“, s. hierzu ausführlich § 33). Hinsichtlich der Finanzangaben ziehen sie dabei häufig einen Wirtschaftsprüfer – in der Regel den Abschlussprüfer der Gesellschaft5 – hinzu. Die Emissionsbanken können sich zwar nach ganz herrschender Meinung im Grundsatz auf die von einem Wirtschaftsprüfer geprüften und mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehenen Finanzangaben verlassen6. In der Regel ist jedoch seit dem Stichtag des letzten geprüften Abschlusses und dem Datum des Bestätigungsvermerks eine gewisse Zeit verstrichen. In diesem Zeitraum können Ereignisse eingetreten sein, die wegen ihrer Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Emittenten für die Prospekterstellung von Bedeutung sind. Um derartige Ereignisse zu ermitteln, bedarf es daher in Bezug auf diesen Zeitraum ggf. weiterer Untersuchungshandlungen eines sachkundigen und idealerweise mit den Verhältnissen des Emittenten bereits vertrauten Wirtschaftsprüfers, um die Prospektverantwortlichen, insbesondere die Emissionsbanken, bei der Prospektvorbereitung zu unterstützen. Wie die Abgabe einer Legal Opinion ist die Abgabe eines Comfort Letter eine aufschiebende Bedingung (condition precedent) für die Verpflichtungen der emissionsbegleitenden Konsortialbanken aus dem Übernahmevertrag7.
34.3
Den Untersuchungshandlungen des Wirtschaftsprüfers und dem auf deren Grundlage abzugebenden Comfort Letter können dabei im Einzelnen drei Funktionen zukommen: (1) Die Ergebnisse der Untersuchungshandlungen des Wirtschaftsprüfers sind – neben anderen Erkenntnisquellen – Grundlage der Beurteilung des Emittenten durch die Emissionsbanken und helfen so, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts sicherzustellen. (2) Ein Comfort Letter kann dem Nachweis dienen, dass die Emissionsbank die im Prospekt enthaltenen Finanzangaben durch Einschaltung von Experten mit der gebotenen Sorgfalt überprüft hat und daher für eine etwaige Fehlerhaftigkeit nicht im Rahmen der Prospekthaftung gegenüber Anlegern einstehen muss (due diligence defense). Der Comfort Letter kann damit der Führung des Entlastungsbeweises nach § 23 Abs. 1 WpPG (ab 21.7. 2019: Art. 11 Abs. 1, 2 VO 2017/11298 i.V.m. dem WpPG) dienen. 5 S. hierzu auch die Angaben bei Ostrowski/Sommerhäuser, WPg 2000, 961, 968. 6 Eine eigene Nachforschungspflicht der Emissionsbanken besteht nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der betreffenden Finanzangaben bestehen. S. hierzu BGH v. 12.7.1982 – II ZR 175/81 – Beton- und Monierbau, WM 1982, 862, 864 = AG 1982, 278; LG Frankfurt a.M. v. 17.1.2003 – 3-07 O 48/01 – EM.TV, ZIP 2003, 400, 405 f.; Rz. 41.113; Hamann in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rz. 226, 234; Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rz. 80 f.; Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, §§ 44, 45 BörsG Rz. 50 f.; Meyer, WM 2003, 1745, 1747. 7 Rz. 29.67 ff., 29.71; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 213. 8 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG (ABl. EU Nr. L 168 v. 30.6.2017, S. 12), im Folgenden VO 2017/1129. Die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbare VO 2017/1129 gilt in wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 und ersetzt die bisherige Prospektrichtlinie 2003/71/EG (s. Rz. 36.2d) sowie damit in weiten Teilen die Vorschriften des WpPG. Dies gilt jedoch u.a. nicht für Regelungen des WpPG zur Haftung sowie die in Art. 1 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 2 VO 2017/1129 den nationalen Gesetzgebern
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(3) Darüber hinaus kann der Comfort Letter ggf. Haftungsgrundlage für einen etwaigen Rückgriff gegen den Wirtschaftsprüfer sein. Für das Verständnis der Funktion von Comfort Letters sind jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen der Rechtsordnungen, in denen sie verwendet werden, zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die jeweiligen Regelungen zur Prospekthaftung.
34.4
1. US-amerikanischer Standard SAS 72 (AU-C Section 920) vor dem Hintergrund der Rechtslage in den USA In den USA ist die Abgabe eines Comfort Letter durch Wirtschaftsprüfer bei Wertpapieremissionen seit langem üblich. Hintergrund dieser Praxis ist das US-amerikanische Prospekthaftungsrecht. Gemäß Section 11 des U.S. Securities Act von 1933 (nachfolgend als SA bezeichnet) können bei öffentlich9 angebotenen Wertpapieremissionen ähnlich wie in Deutschland insbesondere der Emittent und die Emissionsbanken aus Prospekthaftung in Anspruch genommen werden10. Darüber hinaus besteht in den USA eine Expertenhaftung, d.h. ein Experte, z.B. ein Wirtschaftsprüfer, dessen Bestätigungsvermerk unter Namensnennung in dem bei der SEC einzureichenden Registration Statement abgedruckt wird, haftet für von ihm zu verantwortende Teile eines Prospekts11.
34.5
Während der Emittent für den Prospektinhalt in jedem Fall vollumfänglich einstehen muss12, können andere Prospektverantwortliche wie vor allem die Emissionsbanken (underwriter) gemäß Section 11(b)(3)(A) SA unter Hinweis auf die Vornahme von entsprechenden Untersuchungshandlungen einen Entlastungsbeweis führen (sog. due diligence defense)13. Voraussetzung hierfür ist, dass sie nach einer angemessenen Untersuchung (reasonable
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eingeräumten Optionen zu verhältnismäßigen Offenlegungspflichten und Ausnahmen von der Prospektpflicht, wovon der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze v. 10.7.2018, BGBl. I 2018, 1102 u.a. mit Aufnahme der ab 21.7.2018 geltenden Regelung, dass bei einem öffentlichen Angebot im Gesamtgegenwert berechnet auf einen Zeitraum von 12 Monaten von 100.000 Euro, aber weniger als 8 Mio. Euro statt eines Wertpapierprospekts ein sog. Wertpapier-Informationsblatt zu veröffentlichen ist (§§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, 3a bis 3c WpPG), Gebrauch gemacht hat. Bei Privatplatzierungen besteht u.U. ein Prospekthaftungsrisiko aus Section 12(a)(3) SA. Vor allem aus diesem Grund wird daher auch bei reinen Privatplatzierungen gemäß Section 4(2) SA i.V.m. Rule 144A ein Prospekt erstellt, der sich nur unwesentlich von einem Prospekt für Angebote mit SEC-Registrierung unterscheidet (Hutter in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, Rz. 176, Fn. 433; Rz. 45.89). Ähnliches gilt für die Prospekthaftung für fehlerhafte Registration Statements bei in den USA börsennotierten Wertpapieren, die aus Section 10(b) des U.S. Securities Exchange Act (SEA) und Rule 10b-5 zum SEA abgeleitet wird; vgl. Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 11 ff.; Hutter in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, Rz. 216; Meyer, WM 2003, 1745, 1747 m.w.N.; Heppe, WM 2003, 753, 756. Vgl. Section 11(a)(4) SA; Hutter in von Rosen/Seifert (Hrsg.), Zugang zum US-Kapitalmarkt für deutsche Aktiengesellschaften, S. 115, 148 f.; Strauch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 11.48. Section 11(b)(3)(A) SA; Loss/Seligman/Paredes, Ch. 11 C 2d; Hazen, Vol. 2, § 7:28, § 7:30, erster Absatz. Hierzu näher Loss/Seligman/Paredes, Ch. 11 C 2d; Hazen, Vol. 2, § 7:36; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 145.
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investigation) im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Registration Statements nachweislich davon ausgehen durften (und tatsächlich geglaubt haben), dass das Registration Statement keine falschen Angaben bezüglich wesentlicher Umstände enthielt bzw. solche Angaben nicht in irreführender Weise ausgelassen wurden. In Bezug auf den Finanzteil des Prospekts können die Emissionsbanken den Entlastungsbeweis vor allem durch die Vorlage eines Comfort Letter des Wirtschaftsprüfers führen14, was die emissionsbegleitenden Banken jedoch nicht von ihrer Pflicht, eine eigene Due Diligence durchzuführen, entbindet15. Nach zuvor uneinheitlicher Handhabung hat das American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) im Jahr 1965 erstmals einen Berufsstandard zur Abgabe von Comfort Letters veröffentlicht, der später, insbesondere in der Nachfolge des BarChris-Urteils16, mehrfach abgeändert und angepasst wurde. Hierzu hat sich das Statement on Auditing Standards No. 72 (SAS 72) „Letters for Underwriters and Certain Other Requesting Parties“17 entwickelt, welches ein für den US-amerikanischen Rechtskreis verpflichtender Berufsstandard ist18, soweit die Wertpapiere nicht bei der SEC nach Section 5 SA zu registrieren sind19. Für Comfort Letters, die ab dem 15.12.2012 ausgestellt wurden, gilt der im 14 Herzog/Amstutz, Der Schweizer Treuhänder 2000, 757, 759; Meyer, WM 2003, 1745, 1746. 15 WorldCom, Inc. Securities Litigation S.D.N.Y. – 346 F. Supp. 2d 628 (2004). Nach der WorldComEntscheidung des District Court for the Southern District of New York sollte neben dem Einholen von Comfort Lettern von den emissionsbegleitenden Banken auch eine eigene angemessene Due Diligence durchgeführt werden. So können sich die emissionsbegleitenden Banken nicht „blind“ auf den Comfort Letter verlassen, sondern müssen insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Finanzinformationen bestehen, diesen nachgehen; vgl. hierzu auch Hazen, Vol. 2, § 7:36. 16 Escott v. BarChris Construction Corporation S.D.N.Y. – 283 F. Supp. 643 (1968). Das BarChrisUrteil aus dem Jahr 1968 ist die Leitentscheidung der US-Rechtsprechung zur Prospekthaftung, zum Umfang der Due Diligence und zur Due Diligence Defense bei Wertpapieremissionen. Im BarChris-Fall gelang es den Prospektverantwortlichen (einschließlich der Underwriter) nicht, den Entlastungsbeweis nach Section 11(b) SA zu führen (eine Zusammenfassung des Falls findet sich in Harvard Law Review Vol. 82, 1969, 908 ff.); zur Bedeutung des BarChris-Urteils für die Haftung und die gebotene Due Diligence der Underwriter vgl. Hazen, Vol. 2, § 7:36. Dies führte dazu, dass die Emissionsbanken von den Wirtschaftsprüfern verlangten, im Hinblick auf die Abgabe des Comfort Letter über die im Prospekt enthaltenen Abschlüsse hinaus weitere Untersuchungshandlungen in Bezug auf andere, im Prospekt enthaltene Angaben, die sich auf die Rechnungslegung beziehen, durchzuführen. Dazu sowie zur Historie des SAS 72 näher Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 4; Köhler/Weiser, DB 2003, 565, 566. 17 American Institute of Certified Public Accountants, AICPA Professional Standards Vol. 1, AU Section 634 Letters for Underwriters and Certain Other Requesting Parties. SAS 72 wurde in 1995 durch SAS 76 und in 1998 durch SAS 86 ergänzt (hierzu auch Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 7). Diese drei Statements on Auditing Standards waren in Auditing (AU) Section 634 zusammengefasst. 18 Über Art. 2 Rule 2–02 der SEC Regulation S–X (17 CFR Part 210) wird erreicht, dass die der Interpretation der Generally Accepted Auditing Standards (GAAS) dienenden SAS wie Rechtsnormen zu behandeln sind und daher nicht nur von den Mitgliedern des AICPA, sondern von allen Abschlussprüfern bei der Prüfung von allen nicht der Aufsicht des Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) unterliegenden Unternehmen, für die die SEC-Vorschriften gelten, zwingend zu beachten sind (s. auch nachfolgende Fn.). 19 Für bei der SEC registrierungspflichtige Angebote von Wertpapieren in den USA (s. Rz. 45.23 ff. zur Registrierungspflicht bei der SEC und den Ausnahmen hiervon im Hinblick auf Wertpapierkategorien und Wertpapiertransaktionen) wurde SAS 72 durch den diesem entsprechenden Auditing Standard (AS) 6101 der der SEC unterstellten und im Rahmen des SarbanesOxley-Act von 2002 geschaffenen Aufsichtsbehörde Public Company Accounting Oversight Board
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Zusammenhang mit dem Clarity Project des AICPA20 vom Auditing Standards Board (ASB) neugefasste (clarified) Standard (Statement on Auditing Standards No. 122), der nunmehr in AU-C Section 920 kodifiziert ist. Durch das Statement on Auditing Standards (SAS) No. 12921 wurden für Comfort Letter, die ab dem 15.12.2014 ausgestellt wurden, als Folge des Clarity Project eingetretene, unbeabsichtigte Änderungen gegenüber der bisherigen Praxis korrigiert22. Die in AU-C Section 920 kodifizierte Fassung enthält keine wesentlichen Änderungen im Vergleich zu der zuvor geltenden Fassung des in AU Section 634 kodifizierten SAS 7223. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend weiterhin der Begriff „SAS 72-Comfort Letter“ verwendet. Entsprechend seiner Funktion im Rahmen der Due Diligence Defense gibt der SAS 72-Comfort Letter Auskunft über Untersuchungshandlungen, die der Wirtschaftsprüfer im Hinblick auf die betreffende Wertpapieremission durchgeführt hat, insbesondere hinsichtlich des Zeitraums seit dem Stichtag des letzten geprüften Abschlusses bis zum Emissionsdatum24. Neben dem Nachweis der Durchführung angemessener Untersuchungshandlungen können sich die Emissionsbanken in Bezug auf die von Experten beigetragenen Teile des Prospekts auch gemäß Section 11(b)(3)(C) SA entlasten. Dies betrifft im Finanzteil des Prospekts vor allem die von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer geprüften Abschlüsse und
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(PCAOB) ersetzt. AS 6101 ist abrufbar unter https://pcaobus.org/Standards/Auditing/Pages/AS 6101.aspx; zu einem Comfort Letter nach AS 6101 s. auch Noland/Russel, The Journal of Corporate Accounting & Finance 2018, 80, 81 f. sowie generell zur Anwendbarkeit der SAS die Operating Policies Auditing, Attestation and Quality Control Standards Setting Acitivities des Auditing Standard Board (ASB) des AICPA, S. 1, 17 ff., abrufbar unter https://www.aicpa.org/ content/dam/aicpa/research/standards/auditattest/asb/downloadabledocuments/asb-operating-po licies.pdf. S. hierzu AICPA, Clarity Project: Questions and Answers, July 2012, abrufbar unter http:// www.aicpa.org/interestareas/frc/auditattest/downloadabledocuments/clarity/clarity_project_qas.pdf. Die Neufassungen nahezu aller bestehenden Statements on Auditing Standards sind in SAS No. 122 enthalten (mit einer weiteren Änderung durch SAS No. 125), Journal of Accountancy December 2011, 73 ff. sowie Journal of Accountancy February 2012, 70, 76. Statement on Auditing Standards No. 129 Amendment to Statement on Auditing Standards No. 122 Section 920 Letters for Underwriters and Certain Other Requesting Parties, as Amended (AICPA, Professional Standards, AU-C sec. 920) vom Juli 2014, abrufbar auf der Website des AICPA (https://www.aicpa.org/) unter der Rubrik „Research/Standards/Audit and Attest Standards/Clarified Statements on Auditing Standards (SASs)“. S. hierzu die Executive Summary abrufbar auf der Website des AICPA unter https://www.aicpa. org/Research/Standards/AuditAttest/DownloadableDocuments/SAS_129_Summary.pdf. AICPA Professional Standards Vol. II, AU-C Section 920 Letters for Underwriters and Certain Other Requesting Parties (Redrafted), ebenfalls veröffentlicht in Journal of Accountancy October 2011, 89 ff. und abrufbar in der aktuellen Fassung auf der Website der AICPA http://www.aicpa. org unter „Research/Standards“. Neben sprachlichen Anpassungen sind z.B. in Tz. 7 Definitionen aufgenommen (sämtliche neugefassten Standards beginnen mit einer Einleitung, der jeweiligen Zielsetzung für den Wirtschaftsprüfer sowie mit einem Definitionsabschnitt, gefolgt von einem Abschnitt zu den Anforderungen und schließlich einem Abschnitt zu den Verwendungsmöglichkeiten und weiteren Erläuterungen (Application and Other Explanation) sowie konkreten Beispielen in den Exhibits). Darauf, dass hiermit keine wesentlichen Änderungen verbunden sind, wird in der AICPA Summary of Differences Between Clarified SASs and Existing SASs, Februar 2014, des Audit & Attest Standards Team auf der letzten Seite unter Nr. 920 hingewiesen, abrufbar unter http://www.aicpa.org/InterestAreas/FRC/AuditAttest/DownloadableDocu ments/Clarity/Clarity_SAS_Summary_of_Differences.pdf. Kunold, NZG 2003, 320.
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die diesbezüglichen Bestätigungsvermerke. Solange die Bank keine gegenteiligen Anhaltspunkte hat, kann sie sich daher grundsätzlich bereits mit Hinweis auf die im Prospekt abgedruckten Bestätigungsvermerke des Abschlussprüfers entlasten25. Umgekehrt ist der Experte für die Richtigkeit seiner mit seiner Zustimmung in einen Prospekt aufgenommenen Aussagen nach Section 11(a)(4) SA selbst gegenüber den Erwerbern der angebotenen Wertpapiere verantwortlich. Anspruchsberechtigt sind dabei auch die Emissionsbanken, die den Wirtschaftsprüfer ggf. für den von ihm zu verantwortenden Teil des Prospekts unmittelbar aus Prospekthaftung gemäß Section 11(a)(4) SA in Anspruch nehmen können26.
34.8
Ausgehend von diesen rechtlichen Rahmenbedingungen benötigen die Emissionsbanken keine ausdrückliche Bestätigung des im Prospekt abgedruckten Testats, sondern lediglich die Zustimmung des Wirtschaftsprüfers zum Abdruck. Dementsprechend enthält der Comfort Letter nach SAS 72 keine ausdrückliche inhaltliche Aussage zu den im Prospekt abgedruckten Abschlüssen. Diese werden lediglich nachrichtlich in der Einleitung erwähnt27.
34.8a Für Tätigkeiten von Wirtschaftsprüfern im Zusammenhang mit Wertpapieren, die auf
Grundlage einer Ausnahme von der Registrierungspflicht bei der SEC unter dem U.S. Securities Act of 1933 angeboten werden28, hat das AICPA im Juli 2017 mit dem Statement on Auditing Standards (SAS) No. 133 „Auditor Involvement With Exempt Offering Documents“ (AU-C Section 945)29 einen neuen Standard veröffentlicht, der für Angebotsdokumente gilt, die am oder nach dem 15.6.2018 zur Verfügung gestellt, verteilt oder vorgelegt werden30. Die Veröffentlichung dieses neuen Standards erfolgt vor dem Hintergrund eines größer werdenden Markts für Wertpapiere, die im Rahmen einer Ausnahme von der Registrierungspflicht angeboten werden (wie insbesondere Emissionen von kleineren Unternehmen und Crowdfunding-Emissionen31), und der damit zusammenhängenden zusätzlichen Risiken und Komplexität. Der neue Standard ist dabei aber nicht auf die Ausnahmen für kleinvolumige Emissionen und Crowdfunding-Emissionen beschränkt, sondern gilt für alle Wertpapierangebote, die auf der Grundlage einer Ausnahmeregelung von einer Registrierungspflicht erfolgen, einschließlich der häufig mit einem öffentlichen Angebot in Europa einhergehenden Privatplatzierung in den USA nach Rule 144A des SA32. Insbeson25 26 27 28 29
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Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 11. Meyer, WM 2003, 1745, 1747. Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 9; Meyer, WM 2003, 1745, 1748. Ebenfalls erfasst sind sog. franchise disclosure documents für von der Federal Trade Commission oder nach anwendbarem Franchise-Recht der einzelnen US-Bundesstaaten regulierte FranchiseAngebote. AICPA Professional Standards Vol. 2 AU-C Section 945, abrufbar unter https://www.aicpa.org/ content/dam/aicpa/research/standards/auditattest/downloadabledocuments/sas-133.pdf. Zuvor bestanden lediglich branchenspezifische Best Practice-Empfehlungen des AICPA in den AICPA Audit and Accounting Guides State and Local Governments and Health Care Entities. AICPA Professional Standards Vol. 2 AU-C Section 945.3, A4. Am 30. Oktober 2015 hat die SEC die Regulation Crowdfunding i.V.m. dem Jumpstart Our Business Startups Act von 2012 (JOBS Act), Pub. L. No. 112-106, § 102 beschlossen, welches das Angebot und den Verkauf von Wertpapieren im Wege des Crowdfunding ermöglicht. Ebenfalls im Jahr 2015 hat die SEC Regulation A zum SA im Hinblick auf die Erleichterung von kleinvolumigen Emissionen beschlossen (JOBS Act, Pub. L. No. 112-106, § 401), abrufbar unter https://www.sec.gov/rules/final/2015/33-9741.pdf. Vgl. hierzu Strauch in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 11.18 f. Eine Liste mit Beispielen für einer Ausnahme unterliegende Wertpapiere (Section 3 SA) und Transaktionen (Sections 4, 4a SA) ist dem SAS 133 als Exhibit A „Examples of Exempt Offerings“ beigefügt.
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dere legt der neue Standard fest, wann ein Wirtschaftsprüfer an der Erstellung eines „exempt offering document“ beteiligt (involved) ist und welche Untersuchungshandlungen er im Falle einer solchen „Involvierung“ durchzuführen hat. Eine Beteiligung des Wirtschaftsprüfers ist immer dann gegeben, wenn der Bestätigungsvermerk (auditor’s report) oder im Falle einer prüferischen Durchsicht von Zwischenfinanzinformationen die Bescheinigung des Wirtschaftsprüfers (auditor’s review report) in das Angebotsdokument aufgenommen wird und der Wirtschaftsprüfer bestimmte Tätigkeiten in Bezug auf das Angebotsdokument durchgeführt hat, wie etwa das Lesen des Dokuments, die Unterstützung des Emittenten bei der Erstellung von in das Angebotsdokument aufgenommenen Informationen, die Ausstellung eines Comfort Letter, die Teilnahme an Due Diligence-Gesprächen etc.33. In derartigen Fällen hat der Wirtschaftsprüfer, bevor er der Verwendung des Bestätigungsvermerks/der Bescheinigung in dem Angebotsdokument zustimmt, bestimmte Untersuchungshandlungen durchzuführen. Die Untersuchungshandlungen beziehen sich auf mögliche Ereignisse und Tatsachen, die zwischen dem Datum des Bestätigungsvermerks/der Bescheinigung und dem Datum der Zurverfügungstellung des Angebotsdokuments eingetreten bzw. bekannt geworden sind (subsequent events und subsequently discovered facts) und den Wirtschaftsprüfer ggf. veranlasst hätten, den auditor’s report, wenn diese dem Wirtschaftsprüfer im Zeitpunkt der Abgabe des auditor’s report bekannt gewesen wären, anzupassen. Die Untersuchungshandlungen umfassen u.a. die Befragung des Management, das Lesen von Protokollen von Sitzungen des Management, das Lesen etwaiger Zwischenfinanzinformationen sowie das Einholen verschiedener schriftlicher Zusicherungen des Management hinsichtlich der Vollständigkeit der Protokolle und des Nichtvorliegens von Ereignissen, Entwicklungen oder Erkenntnissen, die sich auf frühere Zusicherungen des Management oder den letzten geprüften Abschluss auswirken34. Art und Umfang dieser Untersuchungshandlungen sind den Untersuchungshandlungen ähnlich, die im Hinblick auf mögliche wertaufhellende Ereignisse auch im Zusammenhang mit dem Comfort Letter nach dem IDW PS 910 durchgeführt werden (s. dazu Rz. 34.21 ff.). Anders als beim Comfort Letter nach IDW PS 910, der eine entsprechende negative assurance vorsieht, zielt die Durchführung der Untersuchungshandlungen nach SAS 133 darauf ab, dass der Wirtschaftsprüfer der Aufnahme des Bestätigungsvermerks/der Bescheinigung in das Angebotsdokument zustimmt, was ggf. auch in Form eines sog. Inclusion Letter erfolgt. Stellt der Wirtschaftsprüfer fest, dass relevante subsequent events oder subsequently discovered facts vorliegen, ist seine Zustimmung davon abhängig, dass der Bestätigungsvermerk/die Bescheinigung zuvor angepasst bzw. durch entsprechende Hinweise ergänzt wurde.
2. Funktion des Comfort Letter in Deutschland In Deutschland unterscheidet sich die Rechtslage von der US-amerikanischen Prospekthaftung insbesondere darin, dass das Konzept der unmittelbaren Expertenhaftung gegenüber den Investoren gesetzlich nicht vorgesehen ist. Nach ganz überwiegender Ansicht steht einer spezialgesetzlichen Expertenhaftung das Prinzip der prospektrechtlichen Gesamtverantwortung entgegen35. Prospektverantwortliche i.S.v. § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2 WpPG (ab 21.7.2019: Art. 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VO 2017/1129 i.V.m. dem WpPG) sind in erster 33 AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 945.8, A6 – A26. 34 AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 945.10, A32 – A35 sowie AICPA Professiontal Standards Vol. 2, AU-C Section 720.6 – 16. 35 Zur Prospekthaftung in Deutschland näher Rz. 41.13 ff.
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Linie der Emittent und die emissionsbegleitenden Banken36. Wirtschaftsprüfer, deren Bestätigungsvermerk in den Prospekt aufgenommen wurde, werden demgegenüber nicht als Prospektverantwortliche angesehen37. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Pro36 Bei Wertpapierprospekten, auf deren Grundlage Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden sollen, folgt die Prospektverantwortlichkeit der Emissionsbanken bereits daraus, dass sie im Prospekt ausdrücklich die Verantwortung übernehmen, § 5 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. den Sätzen 1 und 2 WpPG (ab 21.7.2019: Art. 11 Abs. 1, 2 VO 2017/1129 i.V.m. dem WpPG). Das im Zuge des Inkrafttretens von Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD II UmsetzungsG) v. 17.7.2017 (BGBl. I 2017, 2446) aufgrund der Umstellung des Billigungsverfahrens von Wertpapierprospekten durch die BaFin auf ein rein elektronisches Verfahren weggefallene Unterschriftserfordernis für den Anbieter und Zulassungsantragsteller gemäß § 5 Abs. 3 WpPG a.F. ändert nichts an der Haftung für den Inhalt eines Prospekts. Mit der Verantwortlichkeitserklärung in § 5 Abs. 4 WpPG wird die frühere Unterzeichnungspflicht gemäß § 5 Abs. 3 WpPG a.F. ersetzt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Entwurf des PSD II UmsetzungsG, BT-Drucks. 18/12568 v. 31.5.2017, S. 165). Auch bei Wertpapierprospekten für öffentliche Angebote können die emissionsbegleitenden Banken für den Prospektinhalt verantwortlich sein. Vgl. BGH v. 14.7.1998 – XI ZR 173/97 – Elsflether Werft, AG 1998, 520 ff.; Krämer/Baudisch, WM 1998, 1161, 1171 f.; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, §§ 21–23 WpPG Rz. 80; Schanz, Börseneinführung, § 13 Rz. 106 ff. 37 Darüber hinaus führt allein die Aufnahme eines Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers in einen Prospekt nicht zu einer Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Prüfvertrags, so dass auch eine Haftung des Abschlussprüfers aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im Regelfall nicht in Betracht kommt (vgl. BGH v. 6.4.2006 – III ZR 256/04, AG 2006, 453 ff.). Etwas anderes gilt dann, wenn vom Emittenten freiwillig eine Gewinnprognose in den Wertpapierprospekt aufgenommen wird, was nach derzeitigem Prospektrecht gemäß § 7 WpPG i.V.m. Art. 3 und Anhang I, Ziff. 13.2 Abs. 1 VO Nr. 809/2004 (s. dazu a.E. dieser Fußnote) grundsätzlich die Aufnahme des Berichts eines Wirtschaftsprüfers in den Wertpapierprospekt nach sich zieht, in dem bescheinigt wird, dass die Prognose ordnungsgemäß und auf einer mit den von dem Emittenten angewandten Rechnungslegungsmethoden konsistenten Rechnungslegungsgrundlage erstellt wurde (vgl. hierzu Rz. 36.58 ff.). In diesem Fall wird von der Rechtsprechung (BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345, 2346 f. = AG 2014, 710) eine Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber den Anlegern aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bejaht, da die Aufnahme des Wirtschaftsprüferberichts in den Wertpapierprospekt und damit die Zurverfügungstellung an potentielle Anleger Grundlage des Auftrags zwischen Emittent und Wirtschaftsprüfer sei und es sich nicht wie bei dem Testat zum Jahres-/Konzernabschluss um eine gesetzliche Pflicht handele, allgemein Dritten einen Einblick in die wirtschaftliche Situation des geprüften Unternehmens zu gewähren. Insoweit bestehe hier keine § 323 HGB vergleichbare Wertentscheidung zur Begrenzung der Haftung des Wirtschaftsprüfers. Hierzu Anm. Juretzek, DStR 2014, 1516; Poll in BeckOK HGB, 19. Ed., Stand: 15.1.2018, § 323 HGB, Rz. 37; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.216. In dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten für eine geplante Verordnung der Kommission wird in Zukunft die Aufnahme von Gewinnprognosen in einen Wertpapierprospekt für Aktien zwar nicht mehr freiwillig sein. Es ist nach diesem Entwurf jedoch nicht mehr vorgesehen, dass ein entsprechender Wirtschaftsprüferbericht aufgenommen werden muss (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V sowie die Überlegungen von ESMA hierzu in Rz. 124 ff., insbes. Rz. 129 f., abrufbar auf der ESMAWebsite https://www.esma.europa.eu unter „Rules, Databases & Libary/ESMA Libary/Section Prospectus“). Diese Verordnung, durch die u.a. die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert werden wird (s. die in Art. 13 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 44 Abs. 3, 6 VO 2017/1129 enthaltene Ermäch-
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spekt abgedruckten Finanzangaben haften mithin in der Regel nur der Emittent und die emissionsbegleitenden Banken38. Die emissionsbegleitenden Banken können sich bei fehlerhaften Angaben jedoch entlasten, wenn sie gemäß § 23 Abs. 1 WpPG nachweisen können, dass sie die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts nicht kannten und diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhte. Dies kann – ähnlich der Due Diligence Defense nach US-Recht – durch Nachweis der durchgeführten Untersuchungen erfolgen. Anders als in den USA sehen die deutschen Prospekthaftungsregelungen allerdings eine Entlastung der Prospektverantwortlichen durch Verweis auf eine im Prospekt abgedruckte Expertenerklärung nicht ausdrücklich vor. Vor diesem Hintergrund hatten Banken in der Vergangenheit verlangt, dass der Abschlussprüfer des Emittenten – über den Inhalt von SAS 72 hinausgehend – seine in Bezug auf die im Prospekt abgedruckten Abschlüsse abgegebenen Bestätigungsvermerke im Comfort Letter wiederholt. Dem sind die Wirtschaftsprüfer mit dem Hinweis entgegengetreten, dass der Bestätigungsvermerk streng stichtagsbezogen ist, da seiner Erteilung eine tigung der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte), wird voraussichtlich gemeinsam mit weiteren sog. Technischen Regulierungsstandards in Form von Verordnungen ab 21.7. 2019 die derzeit die Mindestangaben in Bezug auf den Prospektinhalt regelnde Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission (ABl. EU Nr. L 149 v. 30.4.2004, S. 1; Berichtigung infolge eines geänderten Layouts in ABl. EU Nr. L 215 v. 16.6.2004, S. 3) zur Durchführung der Prospektrichtlinie 2003/37/EG (ABl. EU Nr. L 345 v. 31.12.2003, S. 64 ff.), geändert durch Delegierte Verordnung (EU) Nr. 311/2012 der Kommission v. 21.12.2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf bestimmte Angaben für den Prospekt und auf Werbung (Anpassung von Art. 35 betreffend die Möglichkeit der Verwendung von anerkannten Rechnungslegungsstandards von bestimmten Drittstaatenemittenten ab 1.1.2012) (ABl. EU Nr. L 103 v. 13.4.2012, S. 13), Delegierte Verordnung (EU) Nr. 486/2012 der Kommission v. 30.3. 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 in Bezug auf Aufmachung und Inhalt des Prospekts, des Basisprospekts, der Zusammenfassung und der endgültigen Bedingungen und in Bezug auf Angabepflichten (ABl. EU Nr. L 150 v. 9.6.2012, S. 1), Delegierte Verordnung (EU) Nr. 862/2012 der Kommission v. 4.6.2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/ 2004 in Bezug auf die Zustimmung zur Verwendung des Prospekts, die Informationen über Basisindizes und die Anforderungen eines von unabhängigen Buchprüfern oder Abschlussprüfern erstellten Berichts (ABl. EU Nr. L 256 v. 22.9.2012, S. 4) und Delegierte Verordnung (EU) Nr. 759/2013 der Kommission v. 30.4.2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 in Bezug auf Angabepflichten bei wandelbaren und umtauschbaren Schuldtiteln (ABl. EU Nr. L 213 v. 8.8.2013, S. 1 (im Folgenden VO Nr. 809/2004) ersetzen. 38 Der auf unbestimmte Zeit zurückgestellte Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen für ein Gesetz zur Verbesserung der Haftung für falsche Kapitalmarktinformationen (Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz – KapInHaG), Stand: 7.10.2004, abgedruckt in NZG 2004, 1042 ff., sah eine Ergänzung des Börsengesetzes durch einen neuen § 44a dahingehend vor, dass auch Dritte, die bei der Erstellung der Prospektangaben mitgewirkt und hierfür im Prospekt ausdrücklich die Verantwortung übernommen haben, unmittelbar gegenüber Anlegern haften können. Zu diesen Dritten sollten nach der Gesetzesbegründung Wirtschaftsund Abschlussprüfer, Rechtsanwälte und andere Sachverständige gehören. Anders als bei der Prospekthaftung des Emittenten und den Emissionsbanken sah der Diskussionsentwurf hinsichtlich Dritter eine im internationalen Vergleich unübliche Begrenzung der Haftung auf 4 Mio. Euro vor. Vgl. hierzu die Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts v. 26.10.2004, S. 10 f. Zu dem Gesetzentwurf insgesamt Kollmann, AG 2004, R391 f.; Sünner, DB 2004, 2460 ff.; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV v. November 2004, ZIP 2004, 2348 ff.; Semler/Gittermann, NZG 2004, 1081 ff.; Zimmer/Binder, WM 2005, 577 ff.
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aktuell durchgeführte Abschlussprüfung zugrunde liegt39. Dabei wären seit dem Abschlussstichtag eingetretene sog. wertaufhellende Ereignisse40, also Ereignisse, die nachträglich bessere Erkenntnisse über die Verhältnisse zum Abschlussstichtag liefern, bis zur Erteilung des Bestätigungsvermerks zu berücksichtigen. Eine „Neuerteilung“ des Bestätigungsvermerks im Comfort Letter würde daher eine erneute Abschlussprüfung erfordern41. Die Neuerteilung eines dann ggf. geänderten Bestätigungsvermerks könnte jedoch den Eindruck der Unrichtigkeit des ursprünglichen Bestätigungsvermerks erwecken, was zu erheblichen negativen Folgen für den Emittenten und den Abschlussprüfer führen kann42.
34.11 Des Weiteren ist das Bestehen eines unmittelbaren Rückgriffsanspruchs gegen den Wirtschaftsprüfer im Falle einer Inanspruchnahme der Emissionsbanken aus Prospekthaftung ohne eine ausdrücklich an sie gerichtete inhaltliche Aussage des Wirtschaftsprüfers zumindest fraglich43. Zwar können sich die Emissionsbanken grundsätzlich auf den mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehenen Abschluss verlassen44. Ein Abschlussprüfer haftet gemäß § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB bei schuldhaften Pflichtverletzungen im Zu-
39 IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die ordnungsgemäße Erteilung von Bestätigungsvermerken bei Abschlussprüfern (IDW PS 400) v. 28.11.2014, WPg 2005, 1382, 1391, WPg Supplement 4/2010, 25, 39, Tz. 81 und mit etwas anderer Wortwahl IDW Prüfungsstandard: Bildung eines Prüfungsurteils und Erteilung eines Bestätigungsvermerks (IDW PS 400 n.F.) v. 30.11.2017, IDW Life 2018, 29, 43, 57, Tz. 74, A71; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 322 HGB Rz. 69–72; vgl. auch Landmann, S. 209; Schmidt/Küster in Beck’scher Bilanz-Komm., § 322 HGB Rz. 11. 40 IDW Prüfungsstandard: Ereignisse nach Abschlussstichtag (IDW PS 203 n.F.) v. 9.9.2009, WPg Supplement 4/2009, 14, 15, Tz. 9. 41 Meyer, WM 2003, 1745, 1748. 42 Vgl. auch Meyer, WM 2003, 1745, 1747. Daher ist ein bereits erteiltes Testat selbst im Falle einer nachträglich festgestellten ursprünglichen Fehlerhaftigkeit nur in begrenzten Ausnahmefällen zu widerrufen. Ein Abschlussprüfer muss den Widerruf seines Bestätigungsvermerks nur dann in Betracht ziehen, wenn er bei voller Kenntnis des für die Prüfung relevanten Sachverhalts den Bestätigungsvermerk nicht oder nicht in der abgegebenen Form erteilt hätte. Der Widerruf muss zudem im Hinblick auf die Beseitigung einer Irreführung der Öffentlichkeit verhältnismäßig sein und darf die Gesellschaft nicht übermäßig belasten. Vgl. IDW Prüfungsstandard: Bildung eines Prüfungsurteils und Erteilung eines Bestätigungsvermerks (IDW PS 400 n.F.) v. 30.11.2017, IDW Life 2018, 29, 46, Tz. 92 ff. und A86 ff.; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 322 HGB Rz. 362, 364; Marsch-Barner in Ensthaler, Gemeinschaftskomm. zum HGB, § 322 Rz. 15; Kompenhans/Kindler, WP Handbuch, 15. Aufl. 2017, Abschnitt N Rz. 58 ff.; Schmidt/Küster in Beck’scher Bilanz-Komm., § 322 HGB Rz. 257 ff.; eingehend Hirsch, WPg 2001, 606 ff., insbes. 608. Aus Sicht der Wirtschaftsprüfer wird insbesondere auch die Gefahr gesehen, dass bei Wiederholung des Testats die in § 323 HGB vorgesehene Haftungsbegrenzung ausgehebelt würde, vgl. Schruff, WPg 2004, 449, 459. 43 Meyer, WM 2003, 1745, 1748. 44 Nachweise s. Rz. 34.2 Fn. 6. Ein Bestätigungsvermerk ist im Vergleich zu dem Prüfungsbericht gerade dazu bestimmt, die Öffentlichkeit über die Gesetz- und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung der Gesellschaft zu informieren. Er trifft eine Aussage darüber, ob die Rechnungslegung geeignet war, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln. Dagegen enthält er keine eigene Beurteilung über die wirtschaftliche Lage und Geschäftsführung der Gesellschaft. Hierzu IDW PS 400 v. 28.11.2014, WPg 2005, 1382, 1384, WPg Supplement 4/2010, 25, 27, Tz. 8; vgl. auch IDW PS 400 n.F. v. 30.11.2017, IDW Life 2018, 29, 34 f., Tz. 13 ff.; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 322 HGB Rz. 16 ff.; Schmidt/Küster in Beck’scher Bilanz-Komm., § 322 HGB Rz. 8 ff.; Habersack/Schürnbrand in Staub, Großkomm. HGB, § 322 Rz. 1 f.
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sammenhang mit der Abschlussprüfung jedoch grundsätzlich nur der Gesellschaft und den mit ihr verbundenen Unternehmen45. Ein Regressanspruch der emissionsbegleitenden Banken wird i.d.R. auch nicht auf deliktische Tatbestände gestützt werden können.
II. IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (IDW PS 910) Angesichts dieser Besonderheiten des deutschen Rechts und der Tatsache, dass Kapitalmarkttransaktionen zunehmend mit langwierigen Verhandlungen und Diskussionen um den Inhalt des Comfort Letter verbunden waren, hat das IDW einen Prüfungsstandard entwickelt46, der speziell auf die Besonderheiten des deutschen Rechts zugeschnittene Leitlinien schaffen soll.
34.12
1. Rechtliche Einordnung Bei dem IDW PS 910 handelt es sich um einen für die Wirtschaftsprüfer verbindlichen Berufsstandard. Die IDW Prüfungsstandards sind zwar mangels Rechtsnormcharakters für einen deutschen Wirtschaftsprüfer nicht unmittelbar rechtlich verbindlich47, aber sie entfal45 Mit einem uneingeschränkt erteilten Bestätigungsvermerk übernimmt der Abschlussprüfer keine Garantiefunktion gegenüber der Öffentlichkeit (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 322 HGB Rz. 23). Zur Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 323 HGB Rz. 176 ff. m.w.N., insbesondere auch zur uneinheitlichen Rechtsprechung zur Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (§ 323 HGB Rz. 199 ff.); Ebke in MünchKomm. HGB, § 323 Rz. 85 ff.; Habersack/Schürnbrand in Staub, Großkomm. HGB, § 323 Rz. 52 ff.; zur unmittelbaren oder analogen Anwendung von § 323 HGB auf die Durchführung von Untersuchungshandlungen im Zusammenhang mit einem Comfort Letter vgl. Langendorf, S. 204 ff. 46 IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die Erteilung eines Comfort Letter (IDW PS 910) v. 4.3.2004, WPg 2004, 342 ff. (im Folgenden zitiert als IDW PS 910). Zur Entstehung des IDW PS 910 und den Gesprächen zwischen dem IDW und dem aus Vertretern von Banken und Anwaltskanzleien bestehenden Arbeitskreis beim Deutschen Aktieninstitut e.V. (DAI) vgl. Kunold, NZG 2003, 320 f. und Meyer, WM 2003, 1745, 1749. 47 Anders zukünftig die von der EU-Kommission in EU-Recht zu übernehmenden International Standards on Auditing (ISAs), die gemäß § 317 Abs. 5 HGB nach Annahme durch die EUKommission vom Abschlussprüfer bei Durchführung der Prüfung anzuwenden sind und dann Rechtsnormcharakter haben. Eine Übernahme der ISAs durch die EU-Kommission in europäisches Recht ist jedoch bislang nicht absehbar, da bereits in fast allen EU-Mitgliedstaaten Abschlussprüfungen unmittelbar nach den ISAs durchzuführen sind und eine formale Übernahme lediglich die bestehende Prüfungspraxis kodifizieren würde (vgl. Fédération des Expertscomptables Europeéns (FEE) – seit Dezember 2016 umbenannt in Accountancy Europe –, Overview of ISA Adoption in the European Union, abrufbar unter https://www.accountancy europe.eu/wp-content/uploads/MA_ISA_in_Europe_overview_150908_update.pdf, wonach im April 2015 25 der 28 EU-Mitgliedstaaten die ISAs voll implementiert hatten, einschließlich erforderlicher Ergänzungen aufgrund gesetzlicher Anforderungen nach dem jeweiligen nationalen Recht; keine Übernahme der ISAs war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland, Frankreich und Portugal erfolgt). Auch das IDW hat sich nunmehr entschlossen, für die am oder nach dem 15.12.2018 beginnenden Berichtszeiträume von der seit Ende der 1990er Jahre erfolgten Transformation der ISAs in die IDW Prüfungsstandards zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit der ISAs unter Berücksichtigung nationaler Modifikationen im Rahmen der vom IDW festgestell-
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ten eine faktische Bindungswirkung48. Mit den IDW Prüfungsstandards soll die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer zu fachlichen Fragen der Prüfung dargelegt werden. Nach der Satzung des IDW49, das Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf freiwilliger Basis vereint50, sind die IDW Prüfungsstandards von den Mitgliedern im Rahmen ihrer beruflichen Eigenverantwortlichkeit zu beachten. Abweichungen von den in einem IDW Prüfungsstandard aufgestellten Grundsätzen können daher nur in begründeten Einzelfällen erfolgen. Sie sind schriftlich an geeigneter Stelle hervorzuheben und ausführlich zu begründen51. Wird ein IDW Prüfungsstandard ohne gewichtige Gründe nicht beachtet, so muss der Wirtschaftsprüfer im Zweifelsfall damit rechnen, dass die durch die Prüfungsstandards dokumentierte Berufsauffassung als Maßstab für die bei der Prüfung erforderliche Sorgfalt herangezogen wird52. Anders als die Abschlussprüfung ist die Erteilung eines Comfort Letter allerdings nicht gesetzlich vorgeschrieben. Der Umfang der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers ergibt sich vielmehr aus dem jeweiligen Auftragsverhältnis53. Dessen Ausgestaltung hängt insbesondere vom Emissionszeitpunkt und dem Inhalt des zu erstellenden Prospekts ab. Daher liegt keine Abweichung von dem Prüfungsstandard vor, wenn ein Comfort Letter lediglich einen Teil der in IDW PS 910 vorgesehenen Aussagen enthält und nur ein Teil der darin beschriebenen Untersuchungshandlungen durchgeführt wird54.
2. Anwendungsbereich und Aufbau des Prüfungsstandards 34.14 IDW PS 910 sieht Regelungen für die Erteilung eines Comfort Letter im Zusammenhang
mit prospektpflichtigen Kapitalmarkttransaktionen von Wertpapieren vor. Neben der
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54
ten Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung (GoA) zu wechseln, also als sog. „ISA (DE)“ in die vom IDW festgestellten deutschen GoA zu integrieren, wobei Abweichungen mit zusätzlichen „D-Textziffern“ gekennzeichnet werden sollen. Eingehend zur künftigen Anwendung der ISAs in Deutschland Gewehr/Moser, WPg 2018, 193 ff. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 323 HGB Rz. 23; Winkeljohann/Feldmüller in Beck’scher Bilanz-Komm., § 323 HGB Rz. 12. § 4 Abs. 9 der Satzung des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. v. 19.9.2005, abrufbar auf der Website des IDW (www.idw.de) unter der Rubrik „Über uns/Kurzportrait/Wichtige Dokumente“. Dem IDW gehörten am 31.12.2017 11 997 Wirtschaftsprüfer (dies entspricht 82 % der deutschen Wirtschaftsprüfer) und 1 099 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften an, s. Website des IDW (www.idw.de) unter der Rubrik „Über uns/Kurzportrait“. Der IDW Prüfungsstandard: Rechnungslegungs- und Prüfungsgrundsätze für die Abschlussprüfung (IDW PS 201) v. 5.3.2015, WPg 2006, 850, 853, WPg Supplement 2/2008, 21, 25, WPg Supplement 2/2015, 1, 5 sieht in Tz. 29 vor, Abweichungen hiervon im Prüfungsbericht hervorzuheben und ausführlich zu begründen sowie im beschreibenden Abschnitt des Bestätigungsvermerks zu benennen. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 323 HGB Rz. 23. IDW PS 910, Tz. 10. Üblicherweise enthalten die IDW Prüfungsstandards die vom IDW festgestellten Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung, also die Grundsätze zur Durchführung von Abschlussprüfungen sowie Feststellungen zu den dabei vorzunehmenden Prüfungshandlungen. Im Fall von IDW PS 910 geht es allerdings nicht um die gesetzliche Abschlussprüfung. Soweit die Beauftragung zu Untersuchungshandlungen nach IDW PS 910 und der Abgabe eines entsprechenden Comfort Letter grundsätzlich entsprechend IDW Prüfungsstandard: Beauftragung des Abschlussprüfers (IDW PS 220) erfolgen (s. IDW PS 910, Tz. 10), gelten insoweit die Grundsätze für die Beauftragung bei freiwilligen Abschlussprüfungen. So ausdrücklich der Hinweis im Anhang zu IDW PS 910 vor den einzelnen Formulierungsbeispielen.
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Platzierung und Börsenzulassung von Aktien sind damit auch die Platzierung und Börsenzulassung von Anleihen55 oder die Erstauflegung und jährlichen Aktualisierungen von Schuldverschreibungsprogrammen (insbesondere sog. MTN- und Debt Issuance-Programme) vom Anwendungsbereich des IDW PS 910 umfasst56. Im Fall einer Privatplatzierung in den USA nach Rule 144A57 kann u.U. sowohl ein Comfort Letter nach IDW PS 910 als auch nach SAS 72 erteilt werden. In diesem Fall ist der räumliche Anwendungsbereich der Comfort Letter abzugrenzen58. Vergleichbar dem US-amerikanischen Prüfungsstandard SAS 72 enthält IDW PS 910 Aussagen zu Funktion, Inhalt und Bestandteilen eines Comfort Letter sowie zu Inhalt und Durchführung des einem Comfort Letter zugrunde liegenden Auftrags mit entsprechenden Formulierungsempfehlungen. Der Prüfungsstandard wird durch einen Anhang mit Formulierungsbeispielen für Comfort Letter, die auf exemplarischen Sachverhalten beruhen, ergänzt. Die hinsichtlich des Umfangs der Untersuchungshandlungen und Aussagen unterschiedlichen Formulierungsbeispiele können nach dem Baukastenprinzip kombiniert werden59. Darüber hinaus enthält der Anhang zum Prüfungsstandard Muster für vom Emittenten abzugebende Vollständigkeitserklärungen.
34.15
3. Form und Aufbau des Comfort Letter Ein nach IDW PS 910 abzugebender und als Brief ausgestalteter Comfort Letter lehnt sich in Form und Inhalt an den Comfort Letter nach dem US-amerikanischen Prüfungsstandard SAS 72 an. Es war das erklärte Ziel bei der Entwicklung des deutschen Standards, von den Vorgaben des international gebräuchlichen SAS 72 nur insoweit abzuweichen bzw. diese zu ergänzen, wie es aufgrund der deutschen Besonderheiten erforderlich erscheint60. Dementsprechend orientieren sich die im Anhang zu IDW PS 910 enthaltenen Formulierungsbeispiele in Aufbau und Wortlaut grundsätzlich an SAS 72. Nach beiden Standards werden zunächst die geprüften und in den Prospekt aufgenommenen Abschlüsse genannt. Im Anschluss folgen die jeweils durchgeführten Untersuchungshandlun55 Anders als bei einer Fremdemission, bei der die Anleihe von einer oder mehreren Banken zunächst übernommen und dann platziert wird, wird im Fall einer Eigenemission, bei der eine Bank – soweit überhaupt eingeschaltet – nur auf Best Efforts-Basis bei der Suche nach Investoren unterstützend tätig wird, kein Comfort Letter benötigt. Dies gilt insbesondere für Anleihen, die über die Freiverkehrshandelssegmente für Mittelstandsanleihen der Börsen – wie das Börsensegment Scale der Frankfurter Wertpapierbörse – platziert werden. 56 IDW PS 910, Tz. 2; auch wenn in Tz. 2 ausdrücklich nur auf die Verwendung eines Börsenprospekts bei der Zulassung und Platzierung von Wertpapieren zur Nutzung des Kapitalmarkts abgestellt wird, kann ein Wirtschaftsprüfer selbstverständlich auch im Falle der Verwendung eines Wertpapierprospekts bei einem öffentlichem Angebot von Wertpapieren mit der Erteilung eines Comfort Letter beauftragt werden, vgl. auch Tz. 5 zur Funktion des Comfort Letter, wo ausdrücklich – noch nach der alten Terminologie vor Inkrafttreten des Wertpapierprospektgesetzes – Börsenzulassungs- und Verkaufsprospekte genannt werden. 57 Vgl. zu den Anforderungen einer Rule 144A-Platzierung Rz. 45.82 ff.; Strauch in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 11.101 ff.; 11.115 ff. 58 IDW PS 910, Tz. 3; s. näher dazu Rz. 34.52. 59 Hierzu auch Doleczik, Going Public 11/08, 10. 60 Kunold, NZG 2003, 320, 321; Meyer, WM 2003, 1745, 1749; s. zu den wesentlichen Unterschieden zwischen US-amerikanischem Standard und einem Comfort Letter nach IDW PS 910 Döpfner, WPg 2016, 884 ff.
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gen und entsprechende Aussagen hierzu. Den Schluss bildet ein Abschnitt, der den Verwendungszweck konkretisiert. In Comfort Letters nach IDW PS 910 kommt ein Verweis auf den zugrunde liegenden Prüfungsstandard sowie eine Aussage zum anwendbaren Recht und zum Gerichtsstand hinzu61.
4. Rechtsnatur eines Comfort Letter und Haftung 34.17 Der Wirtschaftsprüfer führt die Untersuchungshandlungen nach IDW PS 910 auf der
Grundlage des Auftragsverhältnisses zwischen Wirtschaftsprüfer und Emittent durch62. Dementsprechend richten sich Inhalt und Umfang des Comfort Letter sowie auch die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber dem Emittenten nach den im Rahmen des Auftragsverhältnisses getroffenen Vereinbarungen63. Ein Comfort Letter wird allerdings nicht nur an den Emittenten, sondern auch an die Emissionsbanken adressiert. Hierdurch sollen die Emissionsbanken in den Schutzbereich des Auftragsverhältnisses einbezogen werden64. Dem liegt ersichtlich die Rechtsauffassung des IDW zugrunde, dass die Rechtsbeziehung zwischen Wirtschaftsprüfer und Emissionsbanken als ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte einzuordnen ist65. Dieser Begründungsansatz entspricht der Rechtsprechung zur ähnlichen, aber nicht ohne Weiteres gleich gelagerten Haftung von Experten und Sachverständigen gegenüber Dritten, bei der andere Begründungsformen wie der stillschweigende Abschluss eines Auskunftsvertrags oder Verschulden bei Vertragsschluss66 nur in besonderen Fällen herangezogen wurden67. Zu der Frage der rechtlichen Einordnung eines Comfort 61 IDW PS 910, Tz. 20, 21. 62 IDW PS 910, Tz. 12. Nach Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 703 m.w.N. und Eschenfelder, Wirtschaftsprüferhafung, Rz. 515 handelt es sich bei dem zwischen Wirtschaftsprüfer und Emittent geschlossenen Prüfungsvertrag um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag mit werkvertraglichem Charakter. 63 IDW PS 910, Tz. 12 f. Die Haftungsvorschriften des § 323 HGB gelten hier nicht, da die durchgeführten Untersuchungshandlungen keine Abschlussprüfung darstellen (vgl. auch KPMG (Hrsg.), US-GAAP Rechnungslegung nach US-amerikanischen Grundsätzen, 18.5.2, S. 357; Habersack/Schürnbrand in Staub, Großkomm. HGB, § 323 Rz. 8, 71, 74). Die Beauftragung erfolgt jedoch gemäß IDW PS 910, Tz. 10 nach dem IDW Prüfungsstandard: Beauftragung des Abschlussprüfers (IDW PS 220) v. 9.9.2009, WPg 2001, 895 ff., WPg Supplement 4/2009, 1, 3 f., wonach auch für Untersuchungshandlungen außerhalb der gesetzlichen Abschlussprüfung regelmäßig eine Haftungsbegrenzung vorzusehen ist. Eine § 323 Abs. 2 HGB ähnliche Haftungssummenbegrenzung auf 4 Mio. Euro bei einem fahrlässig verursachten einzelnen Schadensfall bzw. 5 Mio. Euro bei einem aus mehreren Pflichtverletzungen stammenden einheitlichen Schaden sieht Ziffer 9 Abs. 2 bzw. Abs. 5 der Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften v. 1.1.2017 vor. 64 Vgl. IDW PS 910, Tz. 13. 65 Der Auffassung des IDW folgend Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 737, 739; Eschenfelder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 523 ff.; Schüppen in WP Handbuch 2014, Bd. II, Abschnitt T Rz. 66. 66 BGH v. 17.9.1985 – VI ZR 73/84, NJW 1985, 1531, 1532 (m.w.N. zur älteren Rechtsprechung), wo in Bezug auf einen Steuerbevollmächtigten, der an Vertragsverhandlungen teilgenommen und schriftlich Auskunft erteilt hatte, allerdings die Voraussetzungen für einen Auskunftsvertrag und eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss im Ergebnis verneint wurden. 67 Ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wurde z.B. angenommen in BGH v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 378, 380 ff.; BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 327/95, NJW 1997, 1235; BGH v. 13.11.1997 – X ZR 144/94, WM 1998, 440, 442; BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, JZ 1998, 1013 ff. = BGHZ 138, 257, 259 ff.; BGH v. 8.6.2004 – X ZR 283/02, DB 2004, 2153; BGH v.
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Letters hat sich – soweit ersichtlich – die Rechtsprechung bislang nicht geäußert, und es ist daher offen, ob die im IDW PS 910 zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des IDW vor Gericht Bestand hätte68. Ungeachtet der dogmatischen Einordnung bleibt jedenfalls unklar, ob die im Auftragsverhältnis zwischen Emittent und Wirtschaftsprüfer vereinbarte Haftungsbegrenzung den Emissionsbanken entgegengehalten werden kann69. IDW PS 910 erklärt zumindest eine gesonderte, für die jeweiligen Beteiligten unterschiedliche Haftungsregelung für zulässig70. Damit kann – ggf. unter Beteiligung einer Versicherung – eine den Interessen der Beteiligten Rechnung tragende Haftungsregelung vereinbart werden71. Mitt-
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14.6.2012 – IX ZR 145/11, WM 2012, 1359 ff.; BGH v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 ff. = AG 2014, 710; s. auch Fischer, DB 2012, 1489 ff. sowie Grüneberg in Palandt, BGB, § 328 Rz. 34 m.w.N. In der Literatur wird die Thematik kontrovers diskutiert, vgl. nur Canaris, ZHR 163 (1999), 206 ff.; Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246 ff.; Bosch, ZHR 163 (1999), 274 ff. Zum strittigen Verhältnis zwischen der in § 311 Abs. 3 BGB kodifizierten Vertrauenshaftung gegenüber Dritten und dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte s. Grüneberg in Palandt, BGB, § 311 Rz. 60 m.w.N. Zur rechtlichen Einordnung eines Comfort Letter vgl. Bosch, ZHR 163 (1999), 274, 282 f.; Ebke/Siegel, WM 2001, Sonderbeil. 2, S. 16 f.; Meyer, WM 2003, 1745, 1749; Schruff, WPg 2004, 449, 459; Landmann, S. 201 ff.; Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 735 ff.; Eschenfelder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 520 ff. Für die Annahme eines Auskunftsvertrags im Fall eines Comfort Letter Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.232 ff., 10.237, 10.245 f.; Langendorf, S. 164 ff., 171. Meyer, WM 2003, 1745, 1749, Fn. 37 m.w.N. Bei Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte spricht der Rechtsgedanke des § 334 BGB und der Grundsatz, dass einem geschützten Dritten keine weitergehenden Rechte zustehen können als dem unmittelbaren Vertragspartner zunächst dafür, dass Einwendungen aus dem Grundverhältnis auch einem in den Schutzbereich einbezogenen Dritten entgegengehalten werden können (vgl. BGH v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 378, 384 f.; BGH v. 13.11.1997 – X ZR 144/94, WM 1998, 440, 442, jeweils m.w.N.; Grüneberg in Palandt, BGB, § 328 Rz. 20). Die Rechtsprechung hat jedoch anerkannt, dass Einwendungen aus dem Grundverhältnis stillschweigend abbedungen werden können (BGH v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 378, 384 f.; BGH v. 13.11.1997 – X ZR 144/94, WM 1998, 440, 442); aus dogmatischer Sicht kritisch hierzu Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 216; Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246 ff., die allerdings im Ergebnis eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss befürworten, bei der ebenso wenig wie bei der jetzt in § 311 Abs. 3 BGB kodifizierten Haftung ohnehin keine Einwendungen aus einem Grundverhältnis erhoben werden können. Mit dem Hinweis darauf, dass Emittent und die die Emission begleitende(n) Bank(en) gleichermaßen durch die Ausstellung des Comfort Letter beabsichtigen, ihr Risiko einer Prospekthaftung zu verringern, argumentiert Eschenfelder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rz. 525 das gegenläufige Interessen üblicherweise nicht vorliegen und damit § 334 BGB in der Regel nicht konkludent abbedungen sei. Der Wirtschaftsprüfer könne mit dem Emittenten vereinbarte Haftungsbeschränkungen sowie ein etwaiges Mitverschulden des Emittenten im Wege einer analogen Anwendung des § 334 BGB auch den Emissionsbanken anspruchsmindernd entgegen halten. IDW PS 910, Tz. 13: „… kann die Höhe der Haftung den Beteiligten gegenüber unterschiedlich geregelt werden“. Im Zusammenhang mit Verhandlungen über eine die Haftungsbegrenzung in Höhe von 4 bzw. 5 Mio. Euro (s. Rz. 34.17 Fn. 63) überschreitende Haftung der Wirtschaftsprüfer wird sich in der Regel die Frage der Versicherung etwaiger Risiken aus der Abgabe eines Comfort Letter stellen. Die Schaffung eines Prüfungsstandards erleichtert die Versicherbarkeit derartiger Risiken. Ein Versicherer sollte rechtzeitig (d.h. nicht erst unmittelbar vor Abgabe des Comfort Letter) unter Beibringung der für eine Risikobeurteilung erforderlichen Informationen eingeschaltet werden, vgl. hierzu auch Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.225 ff.; Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 220.
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lerweile werden von Emittenten in Ergänzung zu einer D&O-Versicherung vermehrt – jedenfalls im Zusammenhang von Börsengängen – auf dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-Made-Prinzip) beruhende Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen von Wertpapieremissionen (sog. Public Offering of Securities Insurance, kurz POSI) abgeschlossen72. In diese Versicherungen werden neben z.B. einem die Wertpapiere abgebenden Alteigentümer häufig auch die Konsortialbanken in die Deckung der Police mit einbezogen sowie Freistellungen, die der Emittent im Übernahme- und Platzierungsvertrag (underwriting agreement) den Konsortialbanken gegenüber abgegeben hat, abgesichert. Wird eine solche Versicherung abgeschlossen, bedarf es keiner speziellen (und regelmäßig mit höheren Kosten verbundenen) Versicherung der Haftungsrisiken aus dem Comfort Letter.
5. Vollständigkeitserklärung 34.18 Voraussetzung für die Erteilung eines Comfort Letter ist die Abgabe einer Vollständigkeitserklärung durch den Vorstand des Emittenten. Diese Erklärung dient dem Wirtschaftsprüfer als Nachweis, dass der Vorstand seine Verantwortung für die wahrheitsgetreue und vollständige Vorlage der im Comfort Letter angesprochenen Unterlagen und der erteilten Informationen anerkennt73. Die Abgabe derartiger Vollständigkeitserklärungen ist im Rahmen der Abschlussprüfung gängige Praxis und in einem besonderen IDW Prüfungsstandard: Erklärungen der gesetzlichen Vertreter gegenüber dem Abschlussprüfer (IDW PS 303 n.F.)74 ausdrücklich geregelt. Vorstandsmitglieder sahen sich ohne Aufstellung eines Abschlusses zum Datum der Abgabe der Vollständigkeitserklärung allerdings verschiedentlich nicht in der Lage, positiv zu erklären, dass sich im Vergleich zum letzten Zwischenabschluss bzw. zur entsprechenden Periode des Vorjahres keine Veränderungen bestimmter Positionen der Bilanz bzw. der Gewinn- und Verlustrechnung (z.B. des Eigenkapitals) ergeben haben. Dies liegt an der im Formulierungsbeispiel für die Vollständigkeitserklärung enthaltenen positiven Bestätigung bestimmter Sachverhalte (insbesondere Punkt C.4.), bei der eine Subjektivierung der Erklärung („nach bestem Wissen und Gewissen“) fehlt. Eine solche Einschränkung ist nur in dem Abschnitt A. „Aufklärungen und Nachweise“ enthalten. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass IDW PS 303 a.F. und n.F. die gesamte Vollständigkeitserklärung unter den Generalvorbehalt einer nach bestem Wissen abgegebenen Erklärung stellt75. Dies gilt auch für Vollständigkeitserklärungen für die Zwecke von IDW PS 910, der ausdrücklich auf IDW PS 303 verweist76. Auch nach SAS 72
72 Eine POSI wird insbesondere im Hinblick auf eine Inanspruchnahme im Zusammenhang mit der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Wertpapierprospekts, aber auch für mündliche und schriftliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Wertpapieremission abgeschlossen. Näher zu POSI-Versicherungen Fitzpatrick, Prospectus Liability Insurance, To POSI or not to POSI?, PLC Magazine April 2018, 35 ff.; s. auch Rz. 3.97a. 73 IDW PS 910, Tz. 136. 74 IDW PS 303 n.F. v. 9.9.2019, WPg Supplement 4/2009, 19 ff. 75 IDW Prüfungsstandard: Erklärungen der gesetzlichen Vertreter gegenüber dem Abschlussprüfer (IDW PS 303) v. 6.5.2002, WPg 2002, 680, 681 f., Tz. 27 und IDW PS 303 n.F. v. 9.9.2009, WPg Supplement 4/2009, 19, 23, Tz. 32. Dies gilt auch bei Vollständigkeitserklärungen nach ISA 580 „Management Representations“ a.F. (s. ISA 580, Tz. 14) und in ähnlicher Weise auch weiterhin nach ISA 580 „Written Representations“ in der geänderten und neugefassten Form v. April 2008, der für die Prüfung von Abschlüssen für am oder nach dem 15.12.2009 beginnende Geschäftsjahre gilt (ISA 580, Tz. A5 und Appendix 2, denen IDW PS 303 a.F. bzw. n.F. entsprechen (s. IDW PS 303 a.F. und IDW PS 303 n.F., jeweils Tz. 5). 76 IDW PS 910, Tz. 136.
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werden derartige Erklärungen nur nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben77. Ein Wirtschaftsprüfer darf eine Aussage im Comfort Letter mithin nicht deshalb verweigern, weil ein Vorstand auf einer Klarstellung dahingehend besteht, dass seine Erklärungen insgesamt mit der Einschränkung „nach bestem Wissen und Gewissen“ abgegeben werden.
6. Behandlung von Konzernsachverhalten IDW PS 910 unterscheidet hinsichtlich der Behandlung von Konzernsachverhalten danach, inwieweit Abschlüsse von Tochterunternehmen in den Prospekt aufgenommen werden78. In der Regel wird ein Prospekt (ggf. neben Einzelabschlüssen des Emittenten) nur Konzernabschlüsse enthalten. In diesem Fall wird regelmäßig der Konzernabschlussprüfer beauftragt, den Comfort Letter zu erteilen79. Dabei hat sich der Abschlussprüfer die erforderlichen Kenntnisse über den Konzern zu verschaffen80 (zu Untersuchungshandlungen s. Rz. 34.29). Soweit die Abschlüsse von Tochterunternehmen von einem anderen Abschlussprüfer geprüft werden, empfiehlt IDW PS 910 die Beauftragung des anderen Abschlussprüfers mit den für die Erteilung eines Comfort Letter erforderlichen Untersuchungshandlungen und die Ausstellung eines nach den Grundsätzen von IDW PS 910 zu erteilenden Reporting Letter81. Die Ergebnisse der Prüfung und prüferischen Durchsicht des anderen Abschlussprüfers kann der Konzernabschlussprüfer nach den Grundsätzen des IDW Prüfungsstandards: Besondere Grundsätze für die Durchführung von Konzernabschlussprüfungen (einschließlich der Verwertung der Tätigkeit von Teilbereichsprüfern) (IDW PS 320 n.F.)82 für die Zwecke seiner Aussagen im Comfort Letter heranziehen.
34.19
III. Inhaltliche Anforderungen an den Comfort Letter nach IDW PS 910 1. Adressaten Adressat eines Comfort Letter ist nach IDW PS 910 neben den Emissionsbanken der Emittent. Hintergrund hierfür ist, dass der Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Emittenten tätig wird83. Darüber hinaus wird der Comfort Letter an die Emissionsbanken adressiert84. 77 AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A64. Zum Inhalt der Vollständigkeitserklärung s. AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 580 Written Representations, AU-C Section 580.A6 und A35, wo folgende Formulierung „vor die Klammer gezogen wird“: „We confirm, to the best of our knowledge and belief, …“. 78 IDW PS 910, Tz. 118. 79 IDW PS 910, Tz. 119. 80 IDW PS 910, Tz. 120. 81 IDW PS 910, Tz. 122 ff. 82 IDW PS 320 n.F. v. 10.7.2014, WPg Supplement 2/2012, 29 ff., WPg Supplement 3/2014, 515 f. IDW PS 320 n.F. hat den IDW Prüfungsstandard: Verwertung der Arbeit eines anderen externen Prüfers (IDW PS 320) v. 9.9.2009 ersetzt. 83 IDW PS 910, Rz. 12, 22. Auch ein Comfort Letter nach SAS 72 ist an den Emittenten als Auftraggeber des Wirtschaftsprüfers gerichtet (AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A27). Die in SAS 72 gewählte Bezeichnung „Letter for Underwriters“ zeigt jedoch deutlicher als IDW PS 910, dass die Abgabe des Comfort Letter in erster Linie zugunsten der Underwriter im Hinblick auf deren Due Diligence Defense erfolgt. 84 Zu den rechtlichen Auswirkungen näher oben Abschnitt „Rechtsnatur des Comfort Letter und Haftung“, Rz. 34.17.
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2. Aussage zu geprüften Abschlüssen 34.21 Wird ein geprüfter Abschluss in einem Prospekt abgedruckt, der zum Zeitpunkt seiner
Veröffentlichung richtig und vollständig sein muss85, kann dieser ohne weitere Erläuterung aufgrund der Stichtagsbezogenheit des Testats irreführend sein. Insbesondere wenn seit Aufstellung des Abschlusses und Testatserteilung bereits ein längerer Zeitraum verstrichen ist, können wertaufhellende Ereignisse zu neuen Erkenntnissen über die Verhältnisse des Unternehmens zum Abschlussstichtag geführt haben. Diese machen zwar den Abschluss zum Zeitpunkt seiner Erstellung nicht nachträglich unrichtig und führen auch nicht dazu, dass ein ursprünglich richtiges Testat vom Wirtschaftsprüfer zu widerrufen wäre (s. Rz. 34.10). Jedoch ist für eine zutreffende Darstellung der wirtschaftlichen Lage des Emittenten zum Abschlussstichtag die unkommentierte Wiedergabe eines geprüften Abschlusses im Prospekt möglicherweise nicht mehr ausreichend86.
a) Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks
34.22 Im Gegensatz zu Comfort Letters nach SAS 72 sieht IDW PS 910 daher die Möglichkeit
vor, dass der Abschlussprüfer bestimmte zusätzliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf den letzten geprüften Abschluss vornimmt und auf dieser Grundlage eine aktuelle Aussage zu dem letzten geprüften Abschluss trifft87. Die Ergebnisse der Untersuchungshandlungen sollen die Prospektverantwortlichen in die Lage versetzen, etwaige neue Erkenntnisse nach Testatserteilung im Prospekt adäquat darzustellen. Bei den vorgesehenen Prozeduren handelt es sich nicht um eine erneute Abschlussprüfung88. Eine solche erfolgt nicht, da sie einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde. Da der letzte geprüfte Abschluss bereits einer Abschlussprüfung unterworfen wurde, ist eine erneute Prüfung grundsätzlich auch nicht erforderlich.
34.23 Das Ziel der Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks („post
audit review procedures“) besteht also darin, mit vertretbarem Zeitaufwand wertaufhellende Ereignisse, die nach Erteilung des Bestätigungsvermerks dem Emittenten89 bekannt geworden sind und die bei rechtzeitiger Kenntniserlangung zu einem inhaltlich
85 Zu den Nachtragspflichten Rz. 36.90 ff. 86 Zur Vermeidung von Missverständnissen kann ein ergänzender Hinweis zu den im Prospekt abgedruckten Abschlüssen erforderlich sein, vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.1999 – 21 U 260/97 – MHM Mode, ZIP 1999, 1005 f.; Schwark in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, §§ 44, 45 BörsG Rz. 52; vgl. auch Schanz, Börseneinführung, § 8 Rz. 52. 87 IDW PS 910, Tz. 40 ff.; hierzu auch Doleczik, CFL 2010, 466, 474. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgen jetzt auch die im Fall einer Privatplatzierung nach Rule 144A in den USA für ab dem 15.6.2018 zugänglich gemachte Angebotsdokumente vorzunehmenden Untersuchungshandlungen nach dem US-amerikanischen Standard SAS 133 (s. dazu Rz. 34.8a), die nach Art und Umfang den Untersuchungshandlungen in Bezug auf wertaufhellende Ereignisse gemäß dem IDW PS 910 ähnlich sind. 88 IDW PS 910, Tz. 44. 89 In IDW PS 910, Tz. 40 wird allein auf die Kenntnis der Gesellschaft abgestellt. Daraus folgt, dass der Abschlussprüfer keine spezifischen Untersuchungen im Hinblick auf etwaige anderweitig bekannte Ereignisse durchführen muss. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass er auf Ereignisse, von denen er im Rahmen der ohnehin durchgeführten Untersuchungshandlungen Kenntnis erlangt hat, hinweisen muss (vgl. § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB). Eine entsprechende Klarstellung in IDW PS 910 wäre hier wünschenswert.
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anderen Testat geführt hätten (sog. bestätigungsvermerksrelevante Ereignisse), festzustellen90. IDW PS 910 enthält hierzu einen Katalog der von dem Abschlussprüfer der Gesellschaft durchzuführenden Untersuchungshandlungen, die vor allem Befragungen der Unternehmensleitung und geeigneter Mitarbeiter des Emittenten sowie das Lesen von Protokollen über Sitzungen der Gesellschaftsorgane oder von Berichten des Vorstands an den Aufsichtsrat und aktuellen Zwischenabschlüssen und Berichten (Quartals- und Monatsberichte) beinhalten. Darüber hinaus sind aktuelle Zwischenabschlüsse und Berichte mit dem letzten Jahres-/Konzernabschluss sowie den entsprechenden Vorjahreszwischenabschlüssen zur Feststellung von ungewöhnlichen Posten und Abweichungen zu vergleichen91. Ausdrücklich ausgenommen ist die Einbeziehung des Lageberichts in die Untersuchungshandlungen zur Feststellung bestätigungsvermerksrelevanter Ereignisse, da er in seinem Prognoseteil ständigen Veränderungen unterworfen ist und damit zum Zeitpunkt der Abgabe eines Comfort Letter ganz anders ausfallen kann92.
34.24
Diese der Plausibilitätsbeurteilung im Rahmen der prüferischen Durchsicht von Zwischenberichten93 ähnlichen Untersuchungshandlungen94 stellen eine Art Aktualisierung der Abschlussprüfung dar. Sie sind im Regelfall zur Feststellung bestätigungsvermerksrelevanter Ereignisse erforderlich, aber auch ausreichend95. Nur wenn der Abschlussprüfer im Einzelfall im Comfort Letter darauf hinweist, dass die vorgenommenen Untersuchungshandlungen noch nicht ein ausreichendes Maß an Beurteilungssicherheit gewährleisten, sind ggf. weitere Untersuchungshandlungen vorzunehmen96. Aufgrund der so durchgeführten Untersuchungshandlungen gibt der Abschlussprüfer dann eine aktuelle inhaltliche Aussage zum letzten geprüften Abschluss ab, dass ihm nichts bekannt geworden ist, was ihn – hätte er bereits damals davon Kenntnis gehabt – an der Erteilung des Bestätigungsvermerks in der abgegebenen Form gehindert hätte (sog. negative assurance)97. Maßgeblich ist insoweit der letzte geprüfte Jahresabschluss, da etwaige Fehler vorheriger Abschlüsse98 in dem jeweiligen Folgeabschluss zu berichtigen und Angaben zu einer in
34.25
90 IDW PS 910, Tz. 40, 42, 43. Vgl. auch Kunold, NZG 2003, 320, 321; Meyer, WM 2003, 1745, 1750; Schruff, WPg 2004, 449, 459. 91 IDW PS 910, Tz. 45, 46. 92 IDW PS 910, Tz. 44. Eine laufende Konkretisierung des Lageberichts wird von den Wirtschaftsprüfern nicht für möglich gehalten. 93 IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die prüferische Durchsicht von Abschlüssen (IDW PS 900) v. 1.10.2002, WPg 2001, 1078, 1079 f., Tz. 21 sowie Tz. 10, wo u.a. auf analytische Beurteilungen nach IDW Prüfungsstandard: Analytische Prüfungshandlungen (IDW PS 312), WPg 2001, 903 ff. verwiesen wird (zuletzt geändert am 13.3.2014, WPg Supplement 2/2013, 1 und WPg Supplement 3/2013, 16). 94 IDW PS 910, Tz. 44 stellt ausdrücklich klar, dass es sich bei den Untersuchungshandlungen zur Feststellung bestätigungsvermerksrelevanter Ereignisse nicht um eine prüferische Durchsicht im Sinne der anzuwendenden Standards handelt. 95 So ausdrücklich IDW PS 910, Tz. 48. 96 Zur Hinweispflicht im Comfort Letter vgl. IDW PS 910, Tz. 48; Meyer, WM 2003, 1745, 1751. 97 IDW PS 910, Tz. 51 ff. Hierbei handelt es sich um eine negative Gesamtaussage. Stattdessen kann auch vereinbart werden, dass der Abschlussprüfer über die Ergebnisse der Untersuchungshandlungen im Einzelnen berichtet, IDW PS 910, Tz. 55. 98 Ein Wertpapierprospekt enthält regelmäßig die Abschlüsse für die letzten drei bzw. (bei Schuldverschreibungen) zwei Geschäftsjahre, Anhang I, Ziff. 20.1 und Anhang IV, Ziff. 13.1 VO Nr. 809/2004. Dies ist gemäß dem von ESMA an die Kommission übermittelten Tech-
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laufender Rechnung erfolgten Fehlerkorrektur in den Anhängen der im Prospekt veröffentlichten Abschlüsse aufzunehmen sind (s. Rz. 34.27).
34.26 Die zusätzlichen Untersuchungshandlungen und die diesbezügliche aktuelle Aussage be-
treffen nur wertaufhellende Ereignisse im Zeitraum zwischen der Erteilung eines Bestätigungsvermerks für den letzten geprüften Abschluss99 und einem bestimmten Stichtag, dem in der Regel ein bis drei Arbeitstage vor dem Datum der Erteilung des Comfort Letter liegenden Cut-off Date100. Hiervon zu unterscheiden sind die sog. wertbegründenden Ereignisse, die nicht das abgelaufene Geschäftsjahr betreffen, sondern sich auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft im laufenden Geschäftsjahr auswirken101. Wertbegründende Ereignisse sind für die Erteilung des Testats für das abgelaufene Geschäftsjahr nicht relevant. Sie sind daher nicht Gegenstand der Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks, sondern werden bei den Aussagen der Wirtschaftsprüfer zur unter 3. (Rz. 34.30) erörterten Folgeperiode berücksichtigt. b) Kritisches Lesen der Anhänge
34.27 Hinsichtlich einer etwaigen Korrektur von Fehlern vorheriger geprüfter Abschlüsse be-
darf es keiner zusätzlichen Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks. Derartige Fehler können, soweit nicht ausnahmsweise ein Widerruf des Testats erfolgt, in laufender Rechnung korrigiert werden102. In diesem Fall hat der Abschlussprüfer gemäß § 265 Abs. 2 Satz 2 HGB im Anhang des darauffolgenden Abschlusses über die in laufender Rechnung vorgenommenen Änderungen zu berichten. Um derartige Informationen ggf. bei der Prospekterstellung berücksichtigen zu können, sieht IDW PS 910 vor, dass der Abschlussprüfer beauftragt werden kann, die Anhänge von Jahres- und Konzernabschlüssen kritisch zu lesen und über entsprechende Veränderungen ausdrücklich zu berichten103.
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nischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.2.1 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs des Anhangs 1 und Ziff. 11.1.1 des Entwurfs der Anhänge 3 und 4 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, auch weiterhin so vorgesehen (ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA3162-800 v. 28.3.2018, Annex V). Die Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks beziehen sich nicht auf Ereignisse, die schon bei Erteilung des Testats hätten berücksichtigt werden müssen. Solche bereits zu einer anfänglichen Unrichtigkeit des Testats führenden Ereignisse sind daher von diesen Untersuchungshandlungen nicht erfasst, d.h. von dem Abschlussprüfer wird nicht verlangt, dass er die Richtigkeit seines Testats noch einmal überprüft. Es entspricht allerdings dem Gebot der Redlichkeit und damit dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass der Abschlussprüfer auf Umstände hinweist, aufgrund derer das Testat von Anfang an unrichtig war. IDW PS 910, Tz. 24, 108 ff. IDW Prüfungsstandard: Ereignisse nach Abschlussstichtag (IDW PS 203 n.F.) v. 9.9.2009, WPg Supplement 4/2009, 14, 15, Tz. 9. Vgl. IDW PS 400 v. 28.11.2014, WPg 2005, 1382, 1394 und WPg Supplement 4/2010, 25, 42, Tz. 112 mit Hinweis auf die IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung: Änderung von Jahresabschlüssen und Anpassung der Handelsbilanz an die Steuerbilanz (IDW RS HFA 6), WPg Supplement 2/2007, 77, 79 f., Tz. 15 ff. und IDW PS 400 n.F. v. 30.11.2017, IDW Life 2018, 29, 59, Tz. A87; s. auch Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 322 HGB Rz. 367. IDW PS 910, Tz. 34.
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c) Praktische Fragen Bei den Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks und der diesbezüglichen Negative Assurance handelt es sich nicht um einen Pflichtbestandteil eines Comfort Letter nach IDW PS 910104. Letztlich hängt es von den Umständen der konkreten Transaktion und insbesondere der Entscheidung der Emissionsbanken ab, ob Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks durchgeführt werden. Bei dieser Entscheidung wird auch der zeitliche Abstand der Emission zur Testatserteilung zu berücksichtigen sein105. Dies bedeutet aber nicht, dass die Durchführung von derartigen Untersuchungshandlungen im Fall eines kurzen Zeitraums zwischen Testatserteilung und Prospekterteilung nach dem Prüfungsstandard ausgeschlossen ist. Im Einzelfall können derartige Prozeduren auch bei einem kurzen Zeitraum zur Feststellung bestätigungsvermerksrelevanter Ereignisse angebracht sein. Der Umfang der durchzuführenden Untersuchungshandlungen sollte in einer möglichst frühen Phase der Transaktion festgelegt werden, damit die Beteiligten, insbesondere der Emittent und dessen Abschlussprüfer, sich auf die Anforderungen an den Inhalt des Comfort Letter einstellen können.
34.28
Bei Konzernunternehmen kann eine konzernweite Durchführung entsprechender Untersuchungshandlungen unter Umständen in keinem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung einzelner Tochterunternehmen im Konzern stehen und schon aus Zeitgründen nicht in Bezug auf sämtliche Tochterunternehmen erfolgen. Eine derart unpraktikable Handhabung des IDW PS 910 lässt sich auch nicht aus Tz. 50 ableiten, in der (lediglich) das Verhältnis des Konzernabschlussprüfers zu den Abschlussprüfern der Tochtergesellschaften geregelt ist. Vielmehr wird es bei Konzernunternehmen i.d.R. sinnvoll sein, die zusätzlichen Untersuchungshandlungen und die entsprechende aktuelle inhaltliche Aussage auf die wesentlichen Tochterunternehmen zu beschränken106. Auch hier sollte frühzeitig Klarheit über die in die zusätzlichen Untersuchungshandlungen einzubeziehenden Tochterunternehmen geschaffen werden (zu Konzernsachverhalten s. auch Rz. 34.19).
34.29
Des Weiteren sind bei einem Wechsel des Abschlussprüfers im prospektrelevanten Zeitraum ggf. mehrere Comfort Letter auszustellen. Dies ist etwa der Fall, wenn die in dem Wertpapierprospekt aufgenommenen Finanzinformationen von verschiedenen Abschlussprüfern geprüft wurden oder der aktuelle Abschlussprüfer nicht den letzten geprüften Abschluss testiert hat. Eine solche Situation kann sich etwa ergeben, wenn der Emittent freiwillig oder aufgrund neuerdings bestehender gesetzlicher Vorgaben zu einer externen Rotation107 einen neuen Abschlussprüfer bestellt hat oder wenn der Emittent einen bedeuten-
34.29a
104 Die Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks und die diesbezügliche Negative Assurance sind ausschließlich im zweiten Formulierungsbeispiel des Anhangs zu IDW PS 910 enthalten. 105 So auch Meyer, WM 2003, 1745, 1751; Doleczik, CFL 2010, 466, 474. 106 Auch in diesem Fall bestehen aus Emittentensicht häufig noch Vorbehalte unter dem Gesichtspunkt der Vertraulichkeit der Transaktion. 107 So ist nach der VO Nr. 537/2014 für Unternehmen von öffentlichem Interesse (sog. PIE, s. Rz. 34.2 Fn. 3) eine externe Rotation des Abschlussprüfers vorgeschrieben. Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 537/2014 sieht vor, dass der Abschlussprüfer im Regelfall nach maximal zehn Jahren wechseln muss, wobei die Mitgliedstaaten jedoch auch längere Zeiträume vorsehen können. Dieses Mitgliedstaatenwahlrecht wurde von Deutschland dahingehend ausgeübt, dass dieser Zeitraum gemäß Art. 17 Abs. 4 lit. a und b VO Nr. 537/2014 i.V.m. § 318 Abs. 1a HGB bei kapitalmarktorientierten Unternehmen i.S.d. § 264d HGB, die keine Kreditinstitute oder Versicherungen sind (§§ 340k, 341k HGB), im Fall einer für das elfte Jahr erfolgenden öffent-
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den Geschäftsbereich erworben hat, der von einem anderen Wirtschaftsprüfer geprüft worden ist. Da die Abgabe des Comfort Letter nach IDW PS 910 grundsätzlich voraussetzt, dass der den Comfort Letter ausstellende Wirtschaftsprüfer die darin in Bezug genommenen Jahres- und Konzernabschlüsse selbst geprüft hat, bedarf es ggf. der Ausstellung von mehr als einem Comfort Letter108. Hat der Emittent seit seinem letzten geprüften Abschluss den Abschlussprüfer gewechselt, stellt sich zudem die Frage, ob der neue Abschlussprüfer den erforderlichen Kenntnisstand zu den Finanzinformationen des Emittenten hat oder ob er zu diesem Zweck eine eigene Prüfung durchführen müsste. In diesem Fall kann es daher erforderlich sein, dass der bisherige Abschlussprüfer den Comfort Letter abgibt109.
3. Aussage zur Folgeperiode 34.30 Der Wirtschaftsprüfer wird regelmäßig beauftragt, im Comfort Letter Aussagen zum Zeit-
raum zwischen dem Stichtag des letzten geprüften Jahres-/Konzernabschlusses und dem Cut-off Date für die Erteilung des Comfort Letter (Folgeperiode) zu treffen. Neben dem kritischen Lesen von Sitzungsprotokollen der Organe des Emittenten seit Beginn des Geschäftsjahres110 kommen dabei sowohl Aussagen hinsichtlich eines in der Folgeperiode bereits erstellten ungeprüften Zwischenabschlusses als auch Aussagen in Bezug auf den Zeitraum zwischen dem letzten (geprüften oder ungeprüften) Abschluss und dem Cut-off Date in Betracht. a) Aussage zu ungeprüften Abschlüssen
34.31 Neben dem Jahres- bzw. Konzernabschluss enthält ein Prospekt regelmäßig auch unge-
prüfte Zwischenfinanzinformationen (Halbjahresfinanz- und ggf. auch Quartalsberichte).
lichen Ausschreibung maximal 20 Jahre und im Falle eines Joint Audit von zwei Abschlussprüfern bzw. Prüfungsgesellschaften ab dem elften Jahr maximal 24 Jahre beträgt. Unabhängig von der externen Rotation besteht die interne Rotation weiter fort, nach der der verantwortliche Prüfungspartner einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nach sieben Jahren wechseln muss (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 VO Nr. 537/2014). Die Vorgaben der VO Nr. 537/2014 und die diese Verordnung konkretisierenden Regelungen, die aufgrund des am 17.6.2016 in wesentlichen Teilen in Kraft getretenen Abschlussprüferreformgesetzes in das HGB eingefügt wurden, sind auf Geschäftsjahre anzuwenden, die nach dem 17.6.2016 begonnen haben. Dabei sieht Art. 41 Abs. 1 bis 3 VO Nr. 537/2014 in Abhängigkeit von der Laufzeit des jeweiligen Bestandsmandats für denselben Abschlussprüfer (sog. Lang-, Mittel- und Kurzläufer) zum 16.6.2014 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO Nr. 537/2014) Übergangsbestimmungen zur erstmaligen Anwendung vor. S. zur externen und internen Rotation Petersen/Zwirner/Boecker, DStR 2016, 984 f.; Schüppen, NZG 2016, 247, 250 f.; Baumüller/Nguyen, IRZ 2017, 273 ff. 108 IDW PS 910, Tz. 115 ff. Tz. 116 führt aus: „Wirtschaftsprüfer sollten in einem Comfort Letter nur Aussagen zu Jahres- und Konzernabschlüssen treffen, die sie selbst geprüft haben.“ S. auch Castellon/Von Diessl, PLC May 2013, 31, 36 zum SAS 72, der die Möglichkeit der Einholung von mehr als einem Comfort Letter ausdrücklich vorsieht (s. AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A19); Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.268a sprechen in diesem Zusammenhang von „Split Comfort“. 109 Castellon/Von Diessl, PLC May 2013, 31, 36 mit weiteren Hinweisen zu den möglichen praktischen Implikationen. 110 IDW PS 910, Tz. 62 f. Soweit noch keine Protokolle vorliegen, ist hierauf im Comfort Letter hinzuweisen und die Geschäftsleitung des Emittenten nach den Inhalten der Sitzungen zu befragen (IDW PS 910, Tz. 63).
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Des Weiteren muss der Prospekt gemäß Anhang I, Ziff. 20.6.1 VO Nr. 809/2004111 vierteljährliche oder halbjährliche Finanzinformationen enthalten, soweit der Emittent solche Informationen veröffentlicht hat. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob die unterjährigen Finanzinformationen vom Emittenten aufgrund gesetzlicher Pflichten oder aus anderen Gründen veröffentlicht wurden. Eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung eines Halbjahresfinanzberichts besteht nach § 115 WpHG für Inlandsemittenten, deren Wertpapiere bereits an einem regulierten Markt zum Handel zugelassen sind. Demgegenüber wurde im Zuge der Abschaffung der in 37x WpHG a.F. geregelten Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie die früher gemäß § 51 BörsO a.F. FWB bestehende Pflicht für Emittenten, deren Aktien im Teilbereich des regulierten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) der Frankfurter Wertpapierbörse zugelassen sind, Quartalsfinanzberichte zu veröffentlichen, zum 26.11.2015 durch eine Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalsmitteilungen ersetzt112. Die Mindestanforderungen an Quartalsmitteilungen sind deutlich geringer als die Anforderungen an Quartalsfinanzberichte und entsprechen weitestgehend (mit Ausnahme der Aktualisierung der Prognoseberichterstattung) den früher in § 37x WpHG a.F. vorgesehenen Mindestanforderungen an eine Zwischenmitteilung der Geschäftsführung113. Wie diese sind Quartalsmitteilungen nicht in den Prospekt aufzunehmen, und sie bedürfen keiner prüferischen
111 Diese Regelung ist in dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.2.1 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs von Anhang 1 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, vorgesehen (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). 112 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie v. 20.11.2015 (BGBl. I 2015, 2029, 2035 f.), das die Richtlinie 2013/50/EU (Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie) v. 22.10.2013 (ABl. EU Nr. L 294 v. 6.11.2013, S. 13, 20) in deutsches Recht umsetzt und in seinen wesentlichen Teilen am 26.11.2015 in Kraft getreten ist, ist die gesetzliche Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung von Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung ersatzlos gestrichen worden. Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass es nach Erwägungsgrund 5 der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht gestattet sein soll, für die Regelpublizität eine über die Veröffentlichung von Jahresund Halbjahresfinanzberichten hinausgehende, häufigere Veröffentlichung von Finanzinformationen zu verlangen. Zulässig ist es u.a. jedoch, dass Börsen die Veröffentlichung zusätzlicher, regelmäßiger Finanzinformationen in einigen oder allen Segmenten des regulierten Marktes verlangen können. Von dieser Möglichkeit hat die Frankfurter Wertpapierbörse zeitgleich mit dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie durch Änderung der Börsenordnung am 26.11.2015 in Bezug auf den Teilbereich des regulierten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) Gebrauch gemacht, wobei jedoch die Anforderungen an die vierteljährlichen Finanzinformationen gesenkt wurden und statt der vorher bestehenden Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalsfinanzberichten in § 51a BörsO FWB (jetzt § 53 BörsO FWB) lediglich eine Veröffentlichung von Quartalsmitteilungen vorgesehen wurde. Näher hierzu Kunold in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 251. 113 Vgl. die Informationen der Deutsche Börse AG, abrufbar auf der Website http://www.deutscheboerse-cash-market.com/dbcm-de/ unter „Primary Market/Being Public/IPO-Line Being Public/ Folgepflichten Regulierter Markt/Quartalsmitteilung oder Quartalsfinanzbericht“. Hierzu Simons/ Kallweit, BB 2016, 332 ff.; Ahr/Loitz/Seidel, BB 2017, 1451, 1454; Rabenhorst in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 57.30.
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Durchsicht114. Quartalsmitteilungen sind auch keiner prüferischen Durchsicht zugänglich, soweit sie sich auf eine rein beschreibende Darstellung ohne Zahlenwerk beschränken. Eine prüferische Durchsicht kommt hingegen in Betracht, wenn die Quartalsmitteilung über die Mindestanforderungen hinaus eine Finanzaufstellung (wie insbesondere Bilanz, GuV) enthält115. In der Praxis nehmen Emittenten oft derartige Finanzaufstellungen in die Quartalsmitteilungen auf116 oder veröffentlichen weiterhin Quartalsfinanzberichte, die den Vorgaben für einen Halbjahresfinanzbericht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2, Abs. 3 und 4 WpHG entsprechen (und die dementsprechend nach Veröffentlichung in einen Wertpapierprospekt aufzunehmen sind), wobei der Anteil derjenigen Emittenten, die eine Quartalsmitteilung veröffentlichen, seit Einführung der neuen Vorschriften anzusteigen scheint117. Eine freiwillige Erstellung von Quartalsfinanzberichten erfolgt nicht zuletzt, um im Hinblick auf die Erwartungen der Investoren und die sog. 135-Tage-Regel (s. dazu Rz. 34.35 ff.) die jederzeitige Kapitalmarktfähigkeit zu gewährleisten118. Ähnliches gilt auch bei Emittenten, deren Aktien erstmalig zum Handel zugelassen werden und die daher zuvor keinen laufenden Berichtspflichten unterlegen haben. In der Regel erstellen auch diese Emittenten freiwillig Quartalsfinanzberichte, wenn die Aktienemission nicht zeitnah nach Veröffentlichung des Jahresabschlusses oder eines etwaigen Halbjahresabschlusses erfolgt. Unabhängig von etwaigen sonstigen, vom Emittenten zu erfüllenden Transparenzanforderungen muss ein Prospekt für Aktienemissionen Zwischenfinanzinformationen für zumindest die ersten sechs Monate eines Geschäftsjahres jedenfalls dann enthalten, wenn er mehr als neun Monate nach Ablauf des letzten Geschäftsjahres erstellt wird (Anhang I, Ziff. 20.6.2 VO Nr. 809/2004119). Auch soweit keine Pflicht zur Aufnahme von Zwischenfinanzinformationen in den Prospekt besteht, werden jedoch – wie oben ausgeführt – im 114 Hierzu Kunold in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 251; Müller in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, ProspektVO Anhang I Ziff. 20.6 Rz. 11. 115 Rabenhorst in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 57.32; ebenso wohl Schulze Osthoff/Rulfs in WP Handbuch, 15. Aufl. 2017, Abschnitt P Rz. 49. Ahr/Loitz/Seidel, BB 2017, 1451, 1454 stellen generell fest, dass Quartalsmitteilungen – im Gegensatz zu Quartalsfinanzberichten – keiner prüferischen Durchsicht unterzogen werden können, ohne auf die Möglichkeit einer über die Mindestanforderungen hinausgehenden (jedoch unterhalb den Anforderungen an einen Quartalsfinanzbericht i.S.v. IAS 34 oder an einen Halbjahresfinanzbericht verbleibenden) Quartalsmitteilung mit Finanzinformationen einzugehen. 116 Die meisten Emittenten haben im ersten Quartal 2017 jedenfalls eine Bilanz und eine GuV in ihre Quartalsmitteilung aufgenommen haben, vgl. die Angaben bei Ahr/Loitz/Seidel, BB 2017, 1451, 1453. 117 Laut einer von Ahr/Loitz/Seidel (BB 2017, 1451 ff.) durchgeführten Analyse erhöhte sich der Anteil von DAX30-Emittenten von weniger als ein Drittel im Jahr 2016 auf 40 % im ersten Quartal 2017 und der Anteil von MDAX-Emittenten von 50 % im ersten Quartal 2016 auf 76 % im ersten Quartal 2017. S. auch die empirischen Analysen zur quartalsweisen Berichterstattung von Pellens/Knappstein/Muschallik/Schmidt, DB 2017, 1 ff. Zur steigenden Tendenz der Veröffentlichung von Quartalsmitteilungen auch Schiereck/Bommer, Börsen-Zeitung v. 24.3.2017, S. 12. 118 Hierzu Ahr/Loitz/Seidel, BB 2017, 1451, 1454; Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 7.55. 119 Dies ist gemäß dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.2.1 Abs. 2 des Entwurfs des Anhangs 1 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, auch weiterhin so vorgesehen (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V).
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Hinblick auf die Erwartung des Marktes, dass der Prospekt möglichst aktuelle Zahlenwerke enthält, regelmäßig Zwischenfinanzinformationen in den Prospekt aufgenommen. IDW PS 910 sieht vor, dass Zwischenabschlüsse für die Zwecke des Comfort Letter einer prüferischen Durchsicht unterzogen werden. Ebenso wenig wie die Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks stellt auch die prüferische Durchsicht von Zwischenabschlüssen eine der Abschlussprüfung vergleichbare Prüfung dar. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Plausibilitätskontrolle, die mit einer gewissen Sicherheit ausschließen soll, dass der betreffende Abschluss mit den angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen in wesentlichen Belangen nicht in Übereinstimmung steht120.
34.32
Die Anforderungen an die prüferische Durchsicht ergeben sich im Einzelnen aus den betreffenden Prüfungsstandards, d.h. dem IDW Prüfungsstandard: Grundsätze für die prüferische Durchsicht von Abschlüssen (IDW PS 900)121 und/oder gleichwertigen Standards122 wie insbesondere ISRE 2400 (revised) (Engagements to Review Financial Statements; vormals ISA 910)123, ISRE 2410 (Review of Interim Financial Information Performed by the Independent Auditor of the Entity)124 und SAS 100125. Aufgrund des im Vergleich zu einer
34.33
120 IDW PS 900 v. 1.10.2002, WPg 2001, 1078, 1079, Tz. 6; IDW PS 910, Tz. 66; näher dazu Schindler, WPg 2002, 1121, 1124; Schulze Osthoff/Rulfs in WP Handbuch, 15. Aufl. 2017, Abschnitt P Rz. 1 ff. 121 IDW PS 900 v. 1.10.2002, WPg 2001, 1078 ff., WPg 2002, 474 und 1249. 122 Bei freiwilligen Assurance-Leistungen ist die Beauftragung einer ausschließlich nach ISRE 2400 (revised)/ISRE 2410 durchzuführenden prüferischen Durchsicht zulässig, während bei einer prüferischen Durchsicht des verkürzten Abschlusses und des Zwischenlageberichts eines Halbjahresfinanzberichts gemäß § 115 Abs. 5 WpHG diese nach IDW PS 900 zu erfolgen hat und die internationalen Standards ergänzend herangezogen werden können. Dazu Schulze Osthoff/Rulfs in WP Handbuch, 15. Aufl. 2017, Abschnitt P Rz. 27, 56, 163. Zu einer freiwilligen prüferischen Durchsicht s. auch Oser/Staß, DB 2015, 2825, 2826. 123 International Standard on Review Engagements ISRE 2400 „Engagements to Review Financial Statements“, der auf der Seite der International Federation of Accountants (IFAC) (http:// www.ifac.org) unter der Rubrik „Independent Standard-Setting Boards/IAASB Auditing & Assurance/Pronouncements/Standards/ISREs“ kostenlos verfügbar ist. 124 ISRE 2410 wurde für Berichtsperioden, die am oder nach dem 15.12.2006 begonnen haben, als internationaler Standard für die Durchsicht von Zwischenfinanzinformationen eingeführt. Aufgrund einer vom IAASB beschlossenen Änderung findet ISRE 2410 ab dem 1.2.2008 auf die prüferische Durchsicht sämtlicher historischer Finanzinformationen, die vom Abschlussprüfer der Gesellschaft durchgeführt wird, Anwendung. Der Anwendungsbereich von ISRE 2400 wurde hingegen auf die prüferische Durchsicht historischer Finanzinformationen durch Wirtschaftsprüfer beschränkt, die nicht Abschlussprüfer der Gesellschaft sind (ISRE 2400.2 und ISRE 2400.A2). Im September 2012 wurde vom IAASB der Standard ISRE 2400 (revised) veröffentlicht, der vor allem klarstellende Anpassungen und damit einen höheren Detaillierungsgrad aufweist. ISRE 2400 (revised) ist auf Berichtsperioden anzuwenden, die am oder nach dem 31.12.2013 enden. IDW PS 900 entspricht ISRE 2400 zum Stand bis zum Jahr 2005 (IDW PS 900, Tz. 4). Zu ISRE 2410 vgl. auch Schulze Osthoff/Rulfs in WP Handbuch, 15. Aufl. 2017, Abschnitt P Rz. 56. 125 Statement on Auditing Standards SAS 100 „Interim Financial Information“, Journal of Accountancy 2003, 86 ff. und AICPA Professional Standards Vol. 1, AU Section 722 Interim Financial Information und für eine prüferische Durchsicht von Zwischenfinanzinformationen für unterjährige Berichtsperioden für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 15.12.2012 beginnen, der neugefasste, im Vergleich zur bisherigen Fassung im Wesentlichen unveränderte Standard in AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 930 Interim Financial Statements, Journal of Accountancy September 2011, 81 ff.; IDW PS 910, Tz. 58 und 64.
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Abschlussprüfung eingeschränkten Prüfungsumfangs zielt die prüferische Durchsicht nicht auf eine positive Gesamtaussage ab. IDW PS 910 sieht daher ähnlich wie auch SAS 72 eine negativ formulierte inhaltliche Aussage des Wirtschaftsprüfers dahingehend vor, dass ihm bei der prüferischen Durchsicht des Zwischenabschlusses nichts zur Kenntnis gelangt ist, das ihn zu der Annahme veranlasst, der Zwischenabschluss sei in wesentlichen Belangen nicht in Übereinstimmung mit den anwendbaren Rechnungslegungsgrundsätzen aufgestellt worden126. Diese Formulierung steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu ISRE 2400 und IDW PS 900, die eine weitergehende Aussage in Bezug auf ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vorsehen. Bei diesen Prüfungsstandards wird jedoch der Abschluss eines Unternehmens zugrunde gelegt, der unter Beachtung ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat127, also z.B. gemäß § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB unter Zugrundelegung der Regeln für den Jahresabschluss erstellt wurde. Da die inhaltlichen Anforderungen an Zwischenabschlüsse im Vergleich zu Jahresabschlüssen geringer sind und diese letztlich eine Aktualisierung des Jahresabschlusses darstellen128, wird in der negativ formulierten Aussage bei der prüferischen Durchsicht von Zwischenabschlüssen daher nur auf die Übereinstimmung mit den angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen abgestellt129. Eine vergleichbare Aussage sieht auch ISRE 2410 vor, soweit es sich bei den durchgesehenen Finanzinformationen lediglich um einen verkürzten Zwischenabschluss handelt. Die Aufnahme einer Negative Assurance wird davon abhängig gemacht, dass über das Ergebnis der prüferischen Durchsicht eines Zwischenabschlusses nicht anderweitig eine eigenständige Bescheinigung erteilt wird130. b) Aussage zu dem Zeitraum zwischen dem letzten Abschluss und dem Datum der Prospekterstellung aa) Untersuchungshandlungen zur Aktualisierung der Erkenntnisse
34.34 Ein Prospekt muss auch im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen hinsichtlich des
Emittenten im Zeitraum zwischen dem Stichtag des letzten geprüften oder prüferisch durchgesehenen Abschlusses und dem Cut-off Date (sog. change period) richtig und voll-
126 IDW PS 910, Tz. 68; IDW PS 900 v. 1.10.2002, WPg 2001, 1078, 1081, Tz. 26 a.E. (bei prüferischer Durchsicht nach IDW PS 900) und IDW PS 910, Tz. 71 (im Falle einer prüferischen Durchsicht nach SAS 100). Ein Unterschied zu SAS 72 besteht insoweit, als nach diesem auch zu bestätigen ist, dass nichts aufgefallen ist, dass der Abschluss im Wesentlichen nicht den formalen Anforderungen der SEC entspräche, AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A92-3 Exhibit B Example A Ziff. 5. 127 IDW PS 900 v. 1.10.2002, WPg 2001, 1078, 1081, Tz. 27; ISRE 2400, Tz. 27; vgl. auch KPMG (Hrsg.), US-GAAP Rechnungslegung nach US-amerikanischen Grundsätzen, 18.4, S. 352 f. 128 IAS 34.6, ABl. EU L 261 v. 13.10.2003, S. 279, 282. 129 Vgl. zum Ganzen ausführlich Meyer, WM 2003, 1745, 1751 ff. 130 IDW PS 910, Tz. 67. Die Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission sieht vor, dass von einem Wirtschaftsprüfer erteilte Bescheinigungen im Prospekt aufzunehmen sind, vgl. z.B. Anhang I, Ziff. 20.6.1 VO Nr. 809/2004. Dies ist gemäß dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.2.1 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs des Anhangs 1 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, auch weiterhin so vorgesehen (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). Zur prüferischen Durchsicht nach WpHG (§ 115 Abs. 5 und 7 WpHG) auch Döpfner, WPg 2016, 884, 888.
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ständig sein (vgl. Anhang I, Ziff. 20.9 VO Nr. 809/2004131). Daher sieht IDW PS 910 die Durchführung von Untersuchungshandlungen zur Aktualisierung der Erkenntnisse über die Finanzsituation des Emittenten vor. Neben dem für die gesamte Folgeperiode durchzuführenden kritischen Lesen von Sitzungsprotokollen gehört hierzu insbesondere das Befragen der für das Rechnungswesen des Emittenten verantwortlichen Personen zu Veränderungen bei im Einzelfall zu bestimmenden Abschlussposten. Darüber hinaus ist das kritische Lesen etwaiger vorhandener Monatsberichte sowie eine diesbezügliche Befragung der für das Finanz- und Rechnungswesen des Emittenten verantwortlichen Personen vorgesehen. Auf der Grundlage dieser Untersuchungshandlungen gibt der Wirtschaftsprüfer die negativ formulierte Aussage ab, dass er keine Kenntnis von Veränderungen bestimmter wesentlicher Kennzahlen hat, es sei denn, diese sind im Prospekt offengelegt. bb) 135-Tage-Regel Eine solche negativ formulierte Aussage gibt der Wirtschaftsprüfer nach IDW PS 910 allerdings dann regelmäßig nicht mehr ab, wenn seit dem Stichtag des letzten geprüften oder prüferisch durchgesehenen Abschlusses 135 Tage oder mehr vergangen sind132. In diesem Fall trifft er keine eigene Aussage, sondern berichtet lediglich aufgrund vereinbarter Untersuchungshandlungen zu einzelnen Sachverhalten (agreed upon procedures) über Feststellungen zum Sachverhalt (factual findings), indem er die von den für das Finanz- und Rechnungswesen verantwortlichen Mitarbeitern des Emittenten erteilten Auskünfte im Comfort Letter wiedergibt133. Der Wirtschaftsprüfer ist dabei nicht zu einer Untersuchung der ihm mitgeteilten Informationen verpflichtet. Hat er jedoch Kenntnis von der Unrichtigkeit der mitgeteilten Informationen, so muss er darüber im Comfort Letter berichten134.
34.35
Die 135-Tage-Regel entspricht der Regelung in SAS 72 mit Ausnahme der Berechnung, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Ablaufs der 134 Tage führen kann. Nach IDW PS 910 ist für die Berechnung ein Monat mit 30 Tagen anzusetzen135, während
34.36
131 In dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten ist die wesentliche Veränderung der Finanzlage des Emittenten in Ziff. 18.7.1 des Entwurfs des Anhangs 1 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, geregelt, ohne – wie derzeit in Anhang I, Ziff. 20.9 VO Nr. 809/2004 vorgesehen – auch weiterhin auf eine wesentliche Veränderung der Handelsposition des Emittenten abzustellen (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). 132 IDW PS 910, Tz. 73 f. 133 IDW PS 910, Tz. 74 und 88 sowie Anhang, Formulierungsbeispiel 4 „Comfort Letter ohne negative assurance in der change period (135-Tage-Regel)“. Zu Aufträgen zur Durchführung von vereinbarten Untersuchungshandlungen vgl. auch International Standard on Related Services (ISRS) 4400 „Engagements to Perform Agreed-Upon-Procedures Regarding Financial Information“ sowie Pföhler/Kamping, WPg 2010, 582 ff. Nach ISRS 4400.5 obliegt es den Nutzern des Berichts, ihre Schlüsse hieraus zu ziehen. 134 IDW PS 910, Tz. 88. Unklar ist, wie in dem von Tz. 88 nicht erwähnten Fall zu verfahren ist, dass der Wirtschaftsprüfer lediglich Zweifel an der Richtigkeit der Auskünfte hat. Im Hinblick auf seine Schutzpflichten gemäß §§ 241 Abs. 2, 242 BGB liegt es nahe, dass der Wirtschaftsprüfer auch die ihm bekannten Tatsachen, die lediglich zu Zweifeln an der Richtigkeit der ihm übermittelten Informationen Anlass geben, mitteilen wird; so auch bereits Meyer, WM 2003, 1745, 1754. 135 IDW PS 910, Tz. 73.
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§ 34 | Comfort Letter
der US-amerikanische Standard eine Berechnung nach den jeweils konkreten Kalendertagen beinhaltet136.
34.36a
Anders als in den USA, wo abhängig von der Art des US-amerikanischen Emittenten von an einer US-Börse notierten Wertpapieren innerhalb von 45 Tagen oder von 40 Tagen im Falle eines Accelerated Filer oder Large Accelerated Filer137 nach Ende eines Quartals (mit Ausnahme des vierten Quartals eines Geschäftsjahres) ein Quartalsbericht vorzulegen ist138, bestand bei Schaffung des IDW PS 910 in Deutschland keine gesetzliche Pflicht, innerhalb von 45 Tagen nach Ende eines Quartals einen Quartalsfinanzbericht vorzulegen, was auch nach aktueller Rechtslage noch so gilt139. Zwischenzeitlich ist im Zuge der Abschaffung von verpflichtenden Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie v. 20.11.2015 darüber hinaus die früher in der Börsenordnung der FWB in Bezug auf den Teilbereich des regulierten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) vorgesehene Pflicht zur Veröffentlichung eines Quartalsfinanzberichts entfallen und durch eine Pflicht zur Veröffentlichung von bloßen Quartalsmitteilungen ersetzt worden140. Die Change Period kann daher im Einzelfall wesentlich länger als 135 Tage sein, ohne dass hieraus zugleich Zweifel am Rechnungswesen des Emittenten abgeleitet werden können. Die Begründung für die 135-Tage-Regel in IDW PS 910, dass der Wirtschaftsprüfer sich nach Ablauf dieses Zeitraums nicht mehr eine gewisse Sicherheit in Bezug auf die betreffenden Abschlussposten verschaffen kann, um eine negativ formulierte Aussage abgeben zu können141, überzeugt daher nicht142. So wäre bei Emittenten, die nicht regelmäßig Quartalsfinanzberichte veröffentlichen143, durchaus eine negativ formulierte Aussage möglich, die 136 AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.59 und A66. Im Zuge des Clarity Project des IASB (s. Rz. 34.6) wurde für das zweite Beispiel (Berechnung ab 31. März) der Zeitraum von „up to August 14“ (so noch AICPA Professional Standards Vol. 1, AU Section 634.46) zu „through August 12“ angepasst, so dass im Hinblick auf dieses Beispiel nunmehr der Ablauf der 134 Tage nach dem US-Standard im Vergleich zu IDW PS 910 zwei Kalendertage früher endet und damit eine taggenaue Berechnung zugrunde liegt. Soweit in Beispiel 1 (Berechnung ab 31. Dezember) ein Zeitraum „through May 14“ unverändert in AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A66 enthalten ist, ist die Situation eines Schaltjahres unberücksichtigt geblieben. Zu der unterschiedlichen Berechnung auch Döpfner, WPg 2016, 884, 887. 137 S. die Definitionen für einen „accelerated filer“ und einen „large accelerated filer“ in Rule 12b2 zum SEA (17 CFR Part 240). 138 Section 13(a)(2) SEA i.V.m. Rule 13a–13(a) der General Regulation zum SEA und Form 10-Q, General Instructions A Ziffer 1 Satz 2 UAbs. a und b. Zudem ist ein Quartalsfinanzbericht von einem Wirtschaftsprüfer prüferisch durchzusehen, Article 10 Rule 10-01(d) der SEC Regulation S–X (17 CFR Part 210). 139 Vgl. hierzu Rz. 36.38. 140 S. Rz. 34.31 mit Fn. 112. 141 IDW PS 910, Tz. 73. 142 Ähnlich Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.442 Fn. 2. 143 Quartalsberichte werden von Emittenten nach dem Wegfall der früher in § 51 BörsO a.F. FWB für den Teilbereich des regulierten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) der FWB vorgesehenen Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalsfinanzberichten im Hinblick auf Investorenerwartungen und zur Sicherstellung der Kapitalmarktfähigkeit oft freiwillig erstellt und treten dann an die Stelle der in § 53 BörsO FWB vorgesehenen Quartalsmitteilungen, die gemäß § 53 BörsO FWB innerhalb von zwei Monaten nach dem Ende des jeweiligen Mitteilungszeitraums an die Geschäftsführung der Börse zu übermitteln sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Ziffer 7.1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (Fassung v. 7.2.2017) börsennotierte Gesellschaften ihre Konzernabschlüsse und Kon-
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ggf. auf die aufgrund des zeitlichen Abstandes seit dem Stichtag des letzten Abschlusses eingeschränkte Aussagekraft hinweist144. Wird aufgrund der 135-Tage-Regel keine Aussage zur Change Period in den Comfort Letter aufgenommen, so schließt dies nicht aus, dass Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks gemäß Tz. 40 ff. des IDW PS 910 durchgeführt werden und eine entsprechende Negative Assurance in den Comfort Letter aufgenommen wird145.
34.37
c) Platzierung im ersten Quartal nach Geschäftsjahresende Soll die Platzierung eines Wertpapiers und damit die Erstellung eines Wertpapierprospekts nach Geschäftsjahresende des Emittenten, jedoch vor Veröffentlichung des Konzern-/Jahresabschlusses erfolgen146, sind die Wirtschaftsprüfer nicht ohne Weiteres bereit, eine Negative Assurance bezüglich der Finanzinformationen für das abgelaufene Geschäftsjahr oder das vierte Quartal sowie hinsichtlich etwaiger Veränderungen seit Ende des dritten Quartals des abgelaufenen Geschäftsjahres in den Comfort Letter aufzunehmen. Die Wirtschaftsprüfer berufen sich hierbei auf ein von der AICPA veröffentlichtes White Paper147.
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zernlageberichte binnen 90 Tagen nach Ende des Geschäftsjahres sowie ihre verpflichtenden unterjährigen Finanzinformationen (also Halbjahresfinanzberichte und ggf. Quartalsmitteilungen oder an deren Stelle veröffentlichte Quartalsfinanzberichte; s. Erläuterungen der Änderungsvorschläge der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex aus der Plenarsitzung vom 13.10.2016 zu Nr. 6.3, neu Nr. 6.2 des DCGK, S. 10, abrufbar unter https://www.dcgk.de unter „Konsultationen/Aktuelle Konsultationen“) binnen 45 Tagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums öffentlich zugänglich machen sollen. In diesen Fällen erscheint die 135-Tage-Regel angemessen und praktikabel. Ebenso Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.264 a.E. Die strikte Handhabung der 135-Regel auch bei Emittenten, die keine Quartalsfinanzberichte veröffentlichen, führt zu Problemen insbesondere in der praktischen Durchführung der Erstellung und Aktualisierung von Prospekten für Debt Issuance-Programme, da diese Emittenten im Einklang mit § 114 Abs. 1 WpHG (bis 2.1.2018: 37v Abs. 1 WpHG) den Jahresfinanzbericht regelmäßig erst Mitte/Ende April des Folgejahres veröffentlichen. Ende 2011 hat die Deutsche Kreditwirtschaft daher das IDW schriftlich gebeten, in Bezug auf derartige Fälle die 135-Tage-Regel zu überdenken und durch eine 150-Tage-Regel zu ersetzen. Das IDW hat dies jedoch mit Hinweis auf Ziffer 7.1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (Fassung v. 26.5.2010), dessen Beachtung auch für nicht börsennotierte Gesellschaften empfohlen werde, sowie darauf, dass wesentliche Kapitalmarkttransaktionen deutscher Emittenten i.d.R. auch einen Bezug zum US-Kapitalmarkt haben, abgelehnt. Dies gilt ungeachtet dessen, dass Formulierungsbeispiel 4 des Anhangs eine solche negativ formulierte Aussage zu dem geprüften Abschluss nicht vorsieht. Das Baukastenprinzip erlaubt es, Formulierungsbeispiel 4 mit den Abschnitten des Formulierungsbeispiels 2 „Comfort Letter bei Durchführung von Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks“ zur bereits abgelaufenen Rechnungslegungsperiode zu kombinieren. Denkbar ist etwa, dass eine für das vierte Quartal vorgesehene Wertpapieremission aufgrund volatiler Marktverhältnisse bzw. makroökonomischer Unsicherheiten verschoben werden muss, so dass die Emission erst zu Beginn des neuen Geschäftsjahres erfolgen kann. Eine Wertpapieremission, die von vornherein für den Anfang des Geschäftsjahres noch vor Veröffentlichung des Konzern-/Jahresabschlusses geplant ist, wäre zumindest im Bereich von Aktienemissionen sehr ungewöhnlich. AICPA „Comfort Letter Procedures Relating to Capsule Financial Information Presented In a Registration Statement Prior to the Issuance of the Year-End Financial Statements“, 2005; abrufbar auf der Website des Center of Audit Quality (The CAQ) unter https://www.thecaq.org/ sites/default/files/comfort_letter_procedures-2.pdf.
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34.38
§ 34 | Comfort Letter
Es handelt sich hierbei um eine unverbindliche Stellungnahme und Orientierungshilfe und stellt keinen von den Mitgliedern der AICPA verpflichtend zu beachtenden Standard dar148. Das White Paper wurde im Hinblick auf Emissionen mit SEC-Registrierung veröffentlicht. In der Praxis werden die im White Paper niedergelegten Grundsätze jedoch nicht nur im US-Kontext, sondern in der Regel auch bei europäischen Transaktionen angewendet, wenn ein SAS 72-Comfort Letter oder ein vergleichbarer Comfort Letter zu erteilen ist. Auch die deutschen Wirtschaftsprüfer orientieren sich an diesen Vorgaben bei Erteilung eines Comfort Letter nach IDW PS 910.
34.39 Für die Erteilung eines Comfort Letter nach IDW PS 910 kurz nach Ende des Geschäfts-
jahres und vor Veröffentlichung des Konzern-/Jahresabschlusses bedeutet dies, dass eine Negative Assurance in Bezug auf etwaige Veränderungen hinsichtlich bestimmter Abschlussposten in der Change Period (s. Rz. 34.34) seit dem Ende des dritten Quartals bis zu einem Cut-off Date, der dem letzten Tag des Geschäftsjahres entspricht oder nach Ende des Geschäftsjahres liegt, erst dann abgegeben wird, wenn die Prüfungshandlungen hinsichtlich des Konzern-/Jahresabschlusses im Wesentlichen beendet (substantially complete) sind149. Bei einer deutschen Aktiengesellschaft ist die Prüfung des Abschlusses jedenfalls dann beendet, wenn der Abschlussprüfer den unterzeichneten Prüfungsbericht dem Aufsichtsrat der Gesellschaft vorgelegt hat150. Nach dem White Paper können die Wirtschaftsprüfer die Prüfungshandlungen ggf. aber auch bereits dann als „im Wesentlichen“ beendet ansehen, wenn nach ihrer Überzeugung keine bedeutsamen Punkte mehr offen sind, die zu einer Änderung hinsichtlich der Abschlussposten, auf die sich die Negative Assurance bezieht, führen können151. Vor diesem Zeitpunkt kommt laut des White Paper eine Negative Assurance nur dann in Betracht, wenn der Cut-off Date für die Negative Assurance vor dem Ende des Geschäftsjahres der Gesellschaft liegt, im Falle eines dem Kalenderjahr entsprechenden Geschäftsjahres z.B. zum 30. November152. d) Praktische Fragen
34.40 Um die Durchführung der Untersuchungshandlungen und die Einhaltung des Zeitplans gewährleisten zu können, sollte die Thematik einer Aussage zur Change Period und die Beschaffenheit des internen Berichtswesens des Emittenten rechtzeitig angesprochen
148 S. hierzu auch Castellon/Von Diessl, PLC May 2013, 31, 39 f. 149 AICPA „Comfort Letter Procedures Relating to Capsule Financial Information Presented In a Registration Statement Prior to the Issuance of the Year-End Financial Statements“, 2005, S. 7 ff. Das White Paper der AICPA enthält ferner weitergehende Beschränkungen der Erteilung einer Negative Assurance in Bezug auf eine prüferische Durchsicht des Quartalsfinanzberichts bzw. ausgewählter, zusammengefasster Finanzinformationen, sog. capsule financial information, für das vierte Quartal. Dies ist jedoch in der Praxis nicht von Bedeutung, zumal eine solche Negative Assurance nach dem White Paper erst nach Beendigung der Prüfungstätigkeit und Vorliegen des Konzern-/Jahresabschlusses in „im Wesentlichen endgültiger Form“ (in substantially final form) erteilt und kurze Zeit danach der Wertpapierprospekt bereits auf der Grundlage des vollständigen, veröffentlichten Konzern-/Jahresabschlusses erstellt werden kann. 150 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 321 HGB Rz. 30; Schmidt/Deicke in Beck’scher Bilanz-Komm., § 321 HGB Rz. 10. 151 AICPA „Comfort Letter Procedures Relating to Capsule Financial Information Presented In a Registration Statement Prior to the Issuance of the Year-End Financial Statements“, 2005, S. 7, Fn. 10. 152 AICPA „Comfort Letter Procedures Relating to Capsule Financial Information Presented In a Registration Statement Prior to the Issuance of the Year-End Financial Statements“, 2005, S. 8 f.
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Comfort Letter | § 34
werden. Insbesondere ist auch der Wirtschaftsprüfer selbst verpflichtet, die durchzuführenden Untersuchungshandlungen sorgfältig zu planen und über deren Umfang mit dem Emittenten rechtzeitig Einvernehmen herzustellen153. Dies gilt auch im Hinblick auf die Frage, ob der Emittent über eine hinreichende Monatsberichterstattung, die grundsätzlich zumindest aus verkürzter Bilanz und verkürzter Gewinn- und Verlustrechnung besteht154, verfügt. Ist dies nicht der Fall, sollte geklärt werden, inwieweit die vorhandenen Zahlen für eine negativ formulierte Aussage genügen. In jedem Fall ist die Berücksichtigung des vorhandenen Zahlenmaterials auf Monatsbasis bei der Befragung der für das Finanz- und Rechnungswesen verantwortlichen Mitarbeiter in Betracht zu ziehen. In dem Sonderfall einer Platzierung nach Geschäftsjahresende im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahres (s. Rz. 34.38 f.) stellt sich die Frage, ob der Markt eine Emission zu diesem Zeitpunkt allein auf der Grundlage der Zahlen des dritten Quartals annimmt und, falls ja, ob dies von den emissionsbegleitenden Banken akzeptiert wird, insbesondere dann, wenn der Comfort Letter aufgrund der noch laufenden Prüfung des Konzern-/Jahresabschlusses keine Negative Assurance bezüglich etwaiger Veränderungen seit Ende des dritten Quartals enthält (sondern lediglich Feststellungen zum Sachverhalt) oder der Cut-off Date für die Negative Assurance vor dem Ende des Geschäftsjahres der Emittentin der Gesellschaft liegen soll.
34.41
4. Pro-Forma-Finanzinformationen und Complex Financial Histories Im Hinblick auf Pro-Forma-Angaben sieht IDW PS 910155 eine prüferische Durchsicht vor, die auf der Grundlage von IDW PS 900 und bis zum Inkrafttreten des EU-Prospektrechts zum 1.7.2005 ergänzend nach dem Prüfungshinweis IDW PH 9.900.1 v. 1.10.2002156 durchgeführt wurde. Dies schloss das kritische Lesen der nach IDW RH HFA 1.004 (alte Fassung v. 1.7.2002)157 zu erstellenden Pro-Forma-Angaben, die Befragung der zuständigen Personen zu den zugrunde liegenden Annahmen und die Überprüfung der rechnerisch richtigen Ableitung aus den historischen Abschlüssen ein. Aufgrund seiner prüferischen Durchsicht hatte der Wirtschaftsprüfer im Comfort Letter eine negativ formulierte Aussage dahingehend abgegeben, dass ihm keine Sachverhalte bekannt geworden sind, die ihn zu der Annahme veranlassen, dass (i) die den Pro-Forma-Angaben zugrunde liegenden Annahmen den wesentlichen Konsequenzen der Unternehmenstransaktionen für die Abschlüsse nicht angemessen Rechnung tragen, (ii) die vorgenommenen Pro-Forma-Anpassungen nicht sachgerecht unter Berücksichtigung der Annahmen abgeleitet wurden, (iii) die Pro-Forma-Anpassungen nicht zutreffend in der betreffenden Pro-Forma-Bilanz und Pro-Forma-Gewinn- und Verlustrechnung abgebildet wurden und (iv) die ProForma-Anpassungen nicht umfassend und verständlich in den Pro-Forma-Erläuterungen dargestellt wurden158. Dies entsprach weitgehend dem US-Standard nach SAS 76159 und ging in Bezug auf die unter (iv) wiedergegebene Aussage sogar über SAS 76 hinaus. 153 154 155 156
Vgl. IDW PS 910, Tz. 90. IDW PS 910, Tz. 75. IDW PS 910, Tz. 91 f. IDW Prüfungshinweis: Prüferische Durchsicht von Pro-Forma-Angaben (IDW PH 9.900.1), WPg 2002, 1337 ff. 157 IDW Rechnungslegungshinweis: Erstellung von Pro-Forma-Angaben (IDW RH HFA 1.004), WPg 2002, 980 ff. 158 IDW PS 910, Tz. 92. 159 AICPA Professional Standards, AT Section 300 Reporting on Pro Forma Financial Information, § 300.17 Appendix B.
Kunold | 1119
34.42
§ 34 | Comfort Letter
34.43 Ein Bericht über die vorgenommene prüferische Durchsicht und die entsprechende negativ formulierte Aussage erfolgte im Comfort Letter auch vor Inkrafttreten des harmonisierten EU-Prospektrechts allerdings nur dann, wenn keine Bescheinigung über die prüferische Durchsicht ausgestellt wurde160.
34.44 Nach dem seit 1.7.2005 geltenden Prospektrecht muss ein Wertpapierprospekt bei einer
Aktienemission in bestimmten Fällen Pro-Forma-Finanzinformationen gemäß Anhang I, Ziff. 20.2 und Anhang II VO Nr. 809/2004 enthalten161. Dabei ist aufgrund von Anhang I, Ziff. 20.2 VO Nr. 809/2004 und Anhang II, Ziff. 7 VO Nr. 809/2004 eine positiv formulierte Aussage des Wirtschaftsprüfers zu Pro-Forma-Finanzinformationen in den Prospekt aufzunehmen, wobei sich der Inhalt im Vergleich zu der vor Geltung des EU-Prospektrechts in den Comfort Letter aufgenommenen negativ formulierten Aussage (s. Rz. 34.42) geändert hat. Der Wirtschaftsprüfer muss bestätigen, dass die Pro-Forma-Finanzinformationen ordnungsgemäß auf den in den Pro-Forma-Erläuterungen dargestellten Grundlagen erstellt wurden und dass diese Grundlagen mit den Rechnungslegungsgrundsätzen sowie den Ausweis-, Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden des Emittenten konsistent sind162. Im Hinblick auf eine derartige positiv formulierte Aussage ist gemäß IDW PH 9.960.1163 eine Prüfung164 durchzuführen (und nicht etwa – wie zuvor im Fall der negativ formulierten Aussage – nur eine prüferische Durchsicht). Indem nunmehr eine 160 IDW PS 910, Tz. 92. Eine solche Bescheinigung war z.B. bis zum 1.8.2004 nach den Going Public-Grundsätzen der Deutsche Börse AG auszustellen und in den Prospekt aufzunehmen. Aufgrund der zum 1.8.2004 geänderten Ziff. 4.4 der bis zum Inkrafttreten des EU-Prospektrechts am 1.7.2005 geltenden Going Public-Grundsätze war die Wiedergabe der Bescheinigung im Prospekt jedoch entfallen. 161 S. hierzu näher zu Rz. 36.39 ff. sowie Kunold in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 215 ff., Anhang II Rz. 1 ff.; Meyer in Berrar/Meyer/ Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, ProspektVO Anhang I Ziff. 20.2 Rz. 1 ff., Anhang II Rz. 1 ff. Die Aufnahme von Pro-Forma-Finanzinformationen ist gemäß dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.4.1 des Entwurfs des Anhangs 1 sowie dem Entwurf des Anhangs 12 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, geregelt (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). 162 Dies ist unverändert vorgesehen in dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten in Ziff. 18.4.1 Abs. 3 des Entwurfs des Anhangs 1 und Ziff. 3 des Entwurfs des Anhangs 12 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). 163 IDW Prüfungshinweis: Prüfung von Pro-Forma-Finanzinformationen (IDW PH 9.960.1 v. 12.7.2017, IDW Life 2017, 1094 ff., der den IDW Prüfungshinweis: Prüferische Durchsicht von Pro-Forma-Finanzinformationen (IDW PH 9.960.1) in der Fassung v. 29.11.2005, WPg 2006, 133 ff. ersetzt hat. 164 Eine solche Prüfung beinhaltet u.a. das kritische Lesen der den Pro-Forma-Finanzinformationen zugrunde liegenden historischen Abschlüsse und der Pro-Forma-Erläuterungen sowie der Verträge über die Unternehmenstransaktion(en), das Befragen zuständiger Personen zu den angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen und Ausweis-, Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie den zugrunde liegenden Unternehmenstransaktionen und zu sonstigen Geschäftsbeziehungen und Transaktionen und die Feststellung, ob die Pro-Forma-Anpassungen folgerichtig aus den Pro-Forma-Annahmen abgeleitet wurden und widerspruchsfrei sind.
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Bescheinigung über die diesbezügliche Prüfung der Pro-Forma-Finanzinformationen in den Prospekt aufgenommen wird, besteht entsprechend IDW PS 910, Tz. 92 aus Sicht der Wirtschaftsprüfer keine Notwendigkeit, eine Aussage zu den Pro-Forma-Finanzinformationen zusätzlich auch in den Comfort Letter aufzunehmen. In der Praxis enthält daher ein nach IDW PS 910 erstellter Comfort Letter – anders als weiterhin im Comfort Letter nach SAS 72 – in der Regel keine Aussage mehr zu den Pro-Forma-Finanzinformationen. Vielmehr wird im Comfort Letter lediglich erwähnt, dass die in den Prospekt aufgenommenen und nach IDW RH HFA 1.004165 erstellten Pro-Forma-Informationen gemäß IDW PH 9.960.1 geprüft worden sind. Soweit ein Emittent eine sog. Complex Financial History, d.h. eine komplexe finanztechnische Vorgeschichte oder bedeutende finanzielle Verpflichtungen, aufweist, stellt Art. 4a VO Nr. 809/2004 aufgrund der ergänzenden Verordnung (EG) Nr. 211/2007 vom 27.2. 2007166 spezifische Anforderungen an die diesbezüglich in den Prospekt aufzunehmenden Angaben167. Welche Aussagen ein Comfort Letter zu diesen Angaben enthält, hängt von den in den Prospekt aufgenommenen Finanzinformationen ab. Hierauf sind dann die Grundsätze des IDW PS 910 anzuwenden. So können etwa im Fall der Aufnahme von Finanzinformationen anderer Gesellschaften in den Prospekt entsprechende Untersuchungshandlungen in Bezug auf diese Finanzinformationen durchgeführt werden (i.d.R. vom Abschlussprüfer dieser Gesellschaft). Dies gilt auch für einen kombinierten Abschluss (combined financial statements), der im Fall einer komplexen finanztechnischen Vorgeschichte in Gestalt einer Umgliederung innerhalb eines Konzerns bzw. der Ausgliederung von Geschäftsbereichen aus einem Unternehmen für Prospektzwecke zu erstellen ist168. Soweit der betreffende Prospekt Pro-Forma-Finanzinformationen enthält, gelten die Ausführungen in Rz. 34.43.
165 IDW Rechnungslegungshinweis: Erstellung von Pro-Forma-Finanzinformationen (IDW RH HFA 1.004) v. 12.7.2017, IDW Life 2017, 1088 ff., der IDW RH HFA 1.004 in der Fassung v. 29.11.2005, WPg 2006, 141 ff. ersetzt hat. 166 Verordnung (EG) Nr. 211/2007 der Kommission v. 27.2.2007 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Finanzinformationen, die bei Emittenten mit komplexer finanztechnischer Vorgeschichte oder bedeutenden finanziellen Verpflichtungen im Prospekt enthalten sein müssen, ABl. EU Nr. L 61 v. 28.2.2007, S. 24 ff.; s. auch die in dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten enthaltene Definition in Art. A lit. c und die Regelung in Art. J des Entwurfs für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). 167 Hierzu näher Rz. 36.42 ff.; Kunold in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 261 ff.; Meyer in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, ProspektVO Art. 4a. 168 Zu kombinierten Finanzinformationen Kunold in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG, VermAnlG, EU-ProspektVO Anhang I Rz. 283 ff.; Meyer in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/ Singhof/Wolf, FK-WpPG, ProspektVO Art. 4a, Rz. 27 ff.; s. auch IDW RH HFA 1.004 v. 12.7.2017, Tz. 2.
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34.45
§ 34 | Comfort Letter
5. Formeller Zahlenabgleich 34.46 Der Wirtschaftsprüfer wird regelmäßig beauftragt, im Einzelfall zu bestimmende, im Pro-
spekt enthaltene Zahlen mit den zugrunde liegenden Unterlagen abzugleichen und jeweils die Übereinstimmung zu bestätigen. Ein solcher Abgleich (sog. circle up oder ticking and tying169) ist auf die zutreffende Übertragung von Zahlen aus den Abschlüssen (einschließlich Pro-Forma-Abschlüsse) und anderen Daten aus der Finanzbuchhaltung des Emittenten beschränkt170. Daten wie rein operative Kennzahlen, Zahl der Arbeitnehmer, Schlüsselleistungskennzahlen (Key Performance Indicators, KPIs) und in Verträgen enthaltene Beträge (z.B. ein Darlehensbetrag), die nicht dem Buchhaltungssystem des Emittenten entnommen werden können, sind daher nicht Gegenstand eines Zahlenabgleichs. Dieser formelle, d.h. nicht mit inhaltlichen Untersuchungshandlungen verbundene, Abgleich und die diesbezüglichen Bestätigungen im Comfort Letter entsprechen weitgehend SAS 72171, wobei SAS 72 hinsichtlich der Natur des Zahlenabgleichs auf „comments“ abstellt172 und ein rein formeller Abgleich damit nicht ausreichend ist173. Darüber hinaus sind Gegenstand des Zahlenabgleichs nach dem US-amerikanischen Standard die übrigen im Prospekt enthaltenen Finanzdaten (selected financial information und Finanzdaten in der MD&A), also nicht die im Prospekt enthaltenen oder einbezogenen Abschlüsse. Bei dem Circle-up werden im Comfort Letter typischerweise mit Großbuchstaben versehene abgestufte Abstimmungshandlungen in absteigender Reihenfolge beginnend mit dem höchsten Level an Comfort (typischerweise mit dem Buchstaben „A“ gekennzeichnet) aufgenommen und die im Prospekt enthaltenen, abgeglichenen Finanzangaben eingekreist und entsprechend mit den Großbuchstaben versehen174. Die Seiten des Prospekts mit den so gekennzeichneten Finanzangaben werden dem Comfort Letter als Anhang beigefügt.
6. Verwendungszweck und Grundlage des Comfort Letter 34.47 Wie bei Comfort Letters nach SAS 72 und Legal Opinions von Rechtsanwälten üblich ent-
hält auch ein Comfort Letter nach IDW PS 910 abschließend Bestimmungen über den Verwendungszweck und eine Beschränkung der Weitergabe. Ein Comfort Letter dient ausschließlich der Information des Emittenten und der Emissionsbanken und zur Dokumentation der im Rahmen der Prospektvorbereitung durchgeführten Untersuchungen und darf nach IDW PS 910 nicht zu anderen Zwecken verwendet oder weitergegeben werden175. Im Comfort Letter wird darüber hinaus klargestellt, dass er auf der Grundlage
169 Daher wird der formelle Zahlenabgleich auch als tick-mark comfort bezeichnet. Der Level der jeweiligen Aussage (Comfort) hängt dabei von der Qualität der dem Abgleich jeweils unterliegenden Zahl ab (z.B. geprüfte oder prüferisch durchgesehene Finanzinformationen, Buchhaltungsunterlagen des Emittenten oder eine vom Emittenten erstellte Übersicht). 170 IDW PS 910, Tz. 99 f.; vgl. zum formellen Zahlenabgleich auch Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.439. 171 Meyer, WM 2003, 1745, 1755; Döpfner, WPg 2016, 884, 889 f. 172 AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.65 ff. 173 So bereits Döpfner, WPg 2016, 884, 890. 174 IDW PS 910, Tz. 103 mit der Empfehlung für eine Formulierung in Tz. 104. 175 IDW PS 910, Tz. 106 f. Dazu auch Schanz, Börseneinführung, § 8 Rz. 60. Die erst kurz vor Veröffentlichung des Prüfungsstandards in Tz. 107 eingefügte Einschränkung „soweit sie [d.h. die Adressaten] für den Inhalt des Prospekts verantwortlich sind“ ist in ihrer Zielsetzung unklar und überflüssig.
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von IDW PS 910 erstellt wird und damit unter Heranziehung der in IDW PS 910 enthaltenen Erläuterungen auszulegen ist.
7. Rechtswahlklausel und Gerichtsstand Anders als SAS 72 enthält ein Comfort Letter nach IDW PS 910 eine ausdrückliche Rechtswahlklausel. Dies trägt offenbar insbesondere dem Umstand Rechnung, dass der Comfort Letter nach IDW PS 910 den Prospektverantwortlichen auch als Haftungsgrundlage für etwaige Regressansprüche gegen den Wirtschaftsprüfer dienen kann und seine Funktion nicht auf die Unterstützung der Prospektverantwortlichen bei der Verteidigung gegen eine Inanspruchnahme aus Prospekthaftung beschränkt ist176. Wie in den Formulierungsbeispielen des Anhangs zu IDW PS 910 vorgesehen, wird der Comfort Letter regelmäßig (ausschließlich) deutschem Recht unterstellt werden177.
34.48
Zweifelhafter ist – jedenfalls aus Sicht der Emissionsbanken – die in IDW PS 910 empfohlene Wahl des ausschließlich deutschen Gerichtsstands. Dies kann – abhängig von dem anwendbaren Zivilprozessrecht – dazu führen, dass bei Prospekthaftungsklagen im Ausland eine Streitverkündung gemäß §§ 72 ff. ZPO (oder die Verwendung vergleichbarer ausländischer Rechtsinstitute) gegenüber dem Wirtschaftsprüfer nicht möglich ist.
34.49
IV. Bring Down Comfort Letter In bestimmten Fällen wird der Wirtschaftsprüfer damit beauftragt, zu einem Zeitpunkt nach dem Cut-off Date, z.B. dem Tag des Nachtrags in Bezug auf die festgelegte Preisspanne oder dem Tag des Closing (also dem Tag der Abrechnung der Platzierung), ein aktualisierendes Schreiben (sog. bring down comfort letter) auszustellen und in Bezug auf diesen verlängerten Untersuchungszeitraum entsprechende Untersuchungen durchzuführen178. Da es sich hierbei um die Neuerteilung des Comfort Letter handelt, gelten die Grundsätze von IDW PS 910 auch für dieses Schreiben. Dies gilt insbesondere auch für die 135-Tage-Regel und die Einholung einer Vollständigkeitserklärung179. Soweit der erste Comfort Letter eine Aussage zum letzten geprüften Abschluss enthält, bezieht sich die Aktualisierung auch auf die Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks.
176 Meyer, WM 2003, 1745, 1756. 177 IDW PS 910, Tz. 113. Die Regelung, dass ausschließlich deutsches Recht Anwendung finden soll, ist überflüssig, da nach deutschem Kollisionsrecht eine Spaltung des Vertragsstatuts eine ausdrücklich zu vereinbarende Ausnahme darstellt (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 3 ROM I-VO), ausführlich dazu Meyer, WM 2003, 1745, 1756 m.w.N. zum internationalen Privatrecht. Soweit der Ausschluss des internationalen Privatrechts vorgesehen ist, soll dieses die Anwendung ausländischen Rechts durch Rückverweisung (Renvoi) der deutschen Kollisionsnormen verhindern. 178 IDW PS 910, Tz. 133 ff. Vgl. dazu auch Schüppen in WP Handbuch 2014, Bd. II, Abschnitt T Rz. 66. 179 IDW PS 910, Tz. 134.
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34.50
§ 34 | Comfort Letter
V. Praxis bei internationalen Wertpapieremissionen 34.51 Ein Comfort Letter nach IDW PS 910 folgt inhaltlich sowie in Aufbau und Terminologie weitgehend dem Comfort Letter nach SAS 72. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Standards besteht in Bezug auf die Untersuchungshandlungen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks. In diesem Punkt geht der Comfort Letter nach IDW PS 910 aufgrund seiner besonderen Funktionen hinsichtlich des letzten geprüften Abschlusses über SAS 72 hinaus. Ein weiterer Unterschied besteht in der ausdrücklichen Wahl deutschen Rechts sowie der ausschließlichen Zuständigkeit deutscher Gerichte180.
34.52 Bei Transaktionen deutscher Emittenten, die auch eine Platzierung in den USA (z.B.
nach Rule 144A) umfassen, sind neben IDW PS 910 auch die US-amerikanischen Standards von Bedeutung181. Hieraus folgt jedoch nicht, dass in diesen Fällen ausschließlich ein Comfort Letter nach SAS 72 zu erteilen ist. Die Besonderheiten des deutschen Rechts, die Anlass zur Entwicklung des Prüfungsstandards waren, bleiben von einer US-Platzierung unberührt. Wird aufgrund der US-amerikanischen Markterwartungen ein Comfort Letter nach US-Standards verlangt, so wird daher – wie bereits in der überwiegenden Praxis seit Einführung von IDW PS 910 der Fall – häufig sowohl ein Comfort Letter nach SAS 72 (in Bezug auf den internationalen Prospekt mit US-Mantel) als auch ein Comfort Letter nach IDW PS 910 (in Bezug auf den internationalen182 und den deutschen Prospekt) ausgestellt werden. Eine derartige „Zwei-Brief-Lösung“ legt auch IDW PS 910 nahe, der in einem solchen Fall eine Abgrenzung der räumlichen Anwendungsbereiche beider Comfort Letter vorschreibt183. Dies kann durch ausdrückliche Bezugnahme auf das jeweilige Angebotsdokument bzw. – z.B. im Falle der Verwendung nur eines internationalen Prospekts ohne einen sog. US Wrap Around – die jeweilige Tranche in dem betreffenden Comfort Letter erfolgen184.
34.53 Soweit bei einer Rule 144A-Platzierung ein Abschnitt zur Zusammenfassung der wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechnungslegungsgrundsätzen in den Prospekt aufgenommen wird185, sieht IDW PS 910 vor, dass der Wirtschaftsprüfer mit dem kritischen
180 Zu den Unterschieden zwischen einem Comfort Letter nach US-Standard und nach deutschem Standard vgl. auch Döpfner, WPg 2016, 884 ff., der darauf hinweist, dass auch das Datum, zu dem der jeweilige Comfort Letter ausgestellt wird, unterschiedlich sein kann (S. 886 f.). 181 IDW PS 910, Tz. 3; s. auch Rz. 34.8a. 182 Dies heißt nicht, dass nicht auch im Einzelfall weitere Comfort Letter im Hinblick auf andere Jurisdiktionen, in denen das Angebot oder eine Börsenzulassung erfolgt, ausgestellt werden können. 183 IDW PS 910, Tz. 3. Hierzu auch Döpfner, WPg 2016, 884, 885. 184 S. hierzu auch Singhof in MünchKomm. HGB, Emissionsgeschäft, Rz. 215 a.E. In der Praxis erfolgt die Abgrenzung häufig ausschließlich im IDW PS 910-Comfort Letter. Einen Formulierungsvorschlag sieht IDW PS 910 indes nicht vor. 185 In der Vergangenheit wurde ein solcher Abschnitt bei Platzierungen an sog. Qualified Institutional Buyers im Hinblick auf Rule 10b-5 in den Prospekt aufgenommen. Mittlerweile ist dies jedoch unüblich. Die SEC ist zudem bei öffentlichen Angeboten oder Börsennotierungen von dem Erfordernis einer Überleitungsrechnung (reconciliation) zu US GAAP abgerückt, sofern der Emittent nach vom IASB veröffentlichten IAS/IFRS bilanziert (Acceptance From Foreign Private Issuers of Financial Statements Prepared in Accordance With International Financial Reporting Standards Without Reconciliation to U.S. GAAP, Final Rule, Release Nos. 33-8879; 34-57026 v. 21.12.2007, Federal Register v. 4.1.2008, S. 986 ff.). Auch wenn die SEC nur auf die vom IASB verabschiedeten IFRS abstellt und für bereits registrierte Emittenten, die nach
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Lesen dieses Abschnitts und einer entsprechenden Stellungnahme beauftragt werden kann186. Hinsichtlich des Wortlauts einer solchen Stellungnahme verweist IDW PS 910 auf die Regelungen des jeweiligen Berufsstandes, insbesondere des US-Berufsstandes187. Die bei internationalen Platzierungen übliche Darstellung und Analyse der Finanz- und Ertragslage des Emittenten (sog. management’s discussion and analysis – MD&A) und die der MD&A funktional vergleichbaren, nach Anhang I, Ziff. 9 VO Nr. 809/2004188 in den Prospekt aufzunehmenden Angaben zur Geschäfts- und Finanzlage (Operating and Financial Review – OFR) (hierzu Rz. 36.13, 36.47 ff., Rz. 45.60 f.)189 sind als solche ebenso wie in SAS 72190 nicht Gegenstand des IDW PS 910. Grundsätzlich wird die ordnungsgemäße Darstellung der MD&A bzw. des OFR im Prospekt von den Anwälten im Disclosure Letter (10b-5 opinion) erfasst. Ein Disclosure Letter gibt eine negativ formulierte Aussage zu dem gesamten Prospekt und nimmt typischerweise nur die Finanzzahlen als solche aus (s. näher dazu Rz. 35.50 ff., insbes. Rz. 35.59). Die Finanzzahlen werden vom Circle up erfasst und sind daher Gegenstand der von den Wirtschaftsprüfern ausgestellten Comfort Letters.
186 187 188
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den in geltendes EU-Recht übernommenen IFRS (insbesondere einschließlich des sog. „EU carve-out“ in Bezug auf IAS 39) bilanzieren, lediglich eine zweijährige Übergangsregelung geschaffen wurde, sollte die grundsätzliche Anerkennung der IFRS durch die SEC die Darstellung der wesentlichen Unterschiede zwischen IFRS und US GAAP bei Rule 144A-Platzierungen hinfällig machen. Vor dem Hintergrund, dass die SEC von EU-Emittenten, die von der Übergangsregelung Gebrauch machen können, bei öffentlichen Angeboten oder Börsennotierungen zumindest eine „audited reconcilitation to IFRS as issued by the IASB“ verlangt, stellt sich allenfalls die Frage, inwieweit die wesentlichen Unterschiede zwischen den vom IASB verabschiedeten IFRS und den in der EU verbindlichen IFRS in Bezug auf IAS 39 darzustellen sind. IDW PS 910, Tz. 114. IDW PS 910, Tz. 114; eine derartige Regelung des US-Berufsstandes existiert aber wohl lediglich in den internen SEC-Manuals der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die Aufnahme der Angaben zur Geschäfts- und Finanzlage in dem von ESMA an die Kommission übermittelten Technischen Rat zum Format und Inhalt von Prospekten ist in Ziff. 7 des Entwurfs des Anhangs 1 für eine geplante Verordnung der Kommission, durch die die in ihren wesentlichen Teilen ab dem 21.7.2019 geltende VO 2017/1129 im Hinblick auf die Mindestangaben konkretisiert wird, geregelt (s. ESMA, Final Report, Technical advice under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-800 v. 28.3.2018, Annex V). Zur MD&A SEC Regulation S–K, Item 303 Management’s Discussion and Analysis of Financial Condition and Results of Operations; vgl. auch Kopp, RIW 2002, 661 ff.; Greene/Rosen/Silverman/Braverman/Sperber/Grabar/Fleisher, § 4.06, S. 4-52 ff.; KPMG (Hrsg.), US-GAAP Rechnungslegung nach US-amerikanischen Grundsätzen, Kap. 8, S. 191 ff. In AICPA Professional Standards Vol. 2, AU-C Section 920.A92–20, Example R „Alternate Wording When Reference to Examination of Annual Management’s Discussion and Analysis and Review of Interim Management’s Discussion and Analysis is Made“ ist ein Formulierungsbeispiel mit einer Referenz zur Untersuchung von jährlicher und unterjähriger MD&A vorgesehen. Jedoch findet dieses Formulierungsbeispiel, das im Übrigen keine ausdrückliche inhaltliche Aussage zur MD&A enthält, in SAS 72-Comfort Letters in der Praxis keine Anwendung.
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34.54
§ 35 Legal Opinion und Disclosure Opinion
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I. Funktion und Bedeutung von Legal Opinion und Disclosure Opinion 35.1 1. Informations- und Risikoaufdeckungsfunktion . . . . . . . . . 35.7 2. Verteidigungsfunktion . . . . . . . 35.10 II. Legal Opinion . . . . . . . . . . . . . 1. Abgabezeitpunkt(e) . . . . . . . . . . 2. Aussteller der Legal Opinion . . . a) Berater des Emittenten . . . . . . b) Berater der Konsortialbanken . . c) Syndikus des Emittenten . . . . . d) Weitere Aussteller . . . . . . . . . 3. Adressat(en) der Legal Opinion . 4. Einleitende Aussagen . . . . . . . . a) Beschreibung der Transaktion . b) Beurteilungsgrundlagen . . . . . . c) Annahmen bei der Abgabe . . . d) Zur Behandlung von Tatsachen e) Aussagen zum untersuchten Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Materielle Aussagen . . . . . . . . . a) Existenz und Status der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalverhältnisse der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abschlussbefugnis und wirksame Vertretung . . . . . . . . . . d) Vereinbarkeit mit der Satzung und geltendem Recht . . . . . . . e) Vorliegen behördlicher Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . f) Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Verpflichtungen . . . g) Prospekterfordernisse . . . . . . . h) Steuerliche Fragen . . . . . . . . . i) Rechtswahl und Gerichtsstand .
35.11 35.11 35.13 35.13 35.14 35.15 35.16 35.18 35.20 35.20 35.22 35.23 35.25 35.26 35.27 35.28 35.29 35.30 35.31 35.32 35.33 35.34 35.35 35.36
j) Besonderheiten bei Aktienemissionen . . . . . . . . . . . . . . k) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einschränkungen des Richtigkeitsanspruchs der Legal Opinion a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzrecht etc. . . . . . . . . . c) Treu und Glauben . . . . . . . . . d) Besonderheiten bei Aktienemissionen . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Einschränkungen . . . . f) Anwendbares Recht . . . . . . . . 7. Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . III. Disclosure Opinion . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Disclosure Opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgabezeitpunkt(e) . . . . . . . . . . 3. Aussteller der Disclosure Opinion 4. Voraussetzungen für die Abgabe der Disclosure Opinion . . . . . . . 5. Einschränkungen des Richtigkeitsanspruchs der Disclosure Opinion IV. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Grundlage für die Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsgrundlage(n) bei einer Third Party Opinion . . . . . . . . c) Besonderheiten bei einer Erklärung des Syndikus . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . 3. Haftungsumfang und Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsbegrenzung . . . . . . . .
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35.37 35.38 35.40 35.40 35.41 35.42 35.43 35.45 35.47 35.48 35.50 35.51 35.56 35.57 35.58 35.59 35.61 35.61 35.62 35.63 35.64 35.65 35.68 35.68 35.69
V. Interessenskonflikte . . . . . . . . . 35.71
Schrifttum: Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, 1997; Arbeitskreis zum „Deutsche Telekom III-Urteil“ des BGH, CFL 2011, 377, 378; Arnold/Aubel, Einlagenrückgewähr, Prospekthaftung und Konzernrecht bei öffentlichen Angeboten von Aktien, ZGR 2012, 113; Biegel, Unrichtige „Legal Opinion“ des Unternehmensjuristen – Ein Fall persönlicher Haftung?, BB 2004, 1457; Bosch, Expertenhaftung gegenüber Dritten – Überlegungen aus der Sicht der Bankpraxis, ZHR 163 (1999), 274; Braverman, U.S. legal considerations affecting global offering of shares in foreign companies, 17 Northwestern Journal of International Law and Business, 1996, 30; Döser, Gutachten für den Gegner: Third Party Legal Opinions im deutschen Recht, FS Nirk, 1992, S. 151; Felton, Legal opinions in merger and acquisition transactions, New Jersey Lawyer 2002, 52; Ganter, Die Third Party Legal Opinion und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen eine „Tretmine“ in der Anwaltspraxis, NJW 2014, 1771; Giesen/Mader, Third Party
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Legal Opinion und Disclosure Opinion | § 35 Legal Opinions, RIW 2012, 21; Griffiths, Legal opinions in finance transactions, International Business Lawyer 2001, 181; Gruson, Prospekterfordernisse und Prospekthaftung bei unterschiedlichen Anlageformen nach amerikanischem und deutschem Recht, WM 1995, 89; Gruson, Persönliche Haftung deutscher Unternehmensjuristen für die Richtigkeit einer legal opinion nach US-amerikanischem Recht, RIW 2002, 596; Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, 4. Aufl. 2003; Habersack, Die Umplatzierung von Aktien und das Verbot der Einlagenrückgewähr, FS Hommelhoff, 2012, S. 303; Jander/du Mesnil de Rochemont, Die Legal Opinion im Rechtsverkehr mit den USA, RIW 1976, 332; Koch, Haftungsbeschränkungen bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, WM 2005, 1208; Krämer/Gillessen/Kiefner, Das „Telekom III“-Urteil des BGH – Risikozuweisungen an der Schnittstelle von Aktien- und Kapitalmarktrecht, CFL 2011, 328; Louven, Die Haftung des deutschen Rechtsanwalts im internationalen Mandat, VersR 1997, 1050; Maier-Reimer, Nochmals: Third Party Legal Opinion und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, NJW 2014, 2613; Mülbert/Wilhelm, Haftungsübernahme als Einlagenrückgewähr – Überlegungen zu § 57 AktG im Nachgang zu Telekom III, FS Hommelhoff, 2012, S. 747; Pan, Harmonization of US-EU securities regulation: The case for a single European securities regulator, 34 Law and Policy in International Business, 2003, 499; Reid/Underhill, Drafting workshop: equity underwriting agreements, IFLR 2004, 35; Rowe, Due Diligence with respect to the „10–B 5 opinion“, in Practising Law Institute (Hrsg.), Corporate Law and Practice Course Handbook Series, 1995, 171; Hannes Schneider, Reichweite der Expertenhaftung gegenüber Dritten, ZHR 163 (1999), 246; von Bernstorff, Die Bedeutung der Legal Opinion in der Außenhandelsfinanzierung, RIW 1988, 680; Vorpeil, Legal Opinions bei internationalen Transaktionen, IWB 2011, 527; Wink, Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft bei der Umplatzierung von Aktien und Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 AktG, AG 2011, 569; Ziemons, Die Übernahme von Transaktionskosten und Prospektrisisken durch die Aktiengesellschaft nach der BGH-Entscheidung „Dritter Börsengang“ der Telekom, GWR 2011, 404.
I. Funktion und Bedeutung von Legal Opinion und Disclosure Opinion Im Rahmen der Emission von Wertpapieren am Kapitalmarkt werden üblicherweise Legal Opinions und häufig – insbesondere bei Aktienplatzierungen – auch sog. Disclosure Opinions abgegeben1. Die entsprechende Verpflichtung der Beteiligten, solche Opinions beizubringen, beruht auf dem Übernahmevertrag, der zwischen dem Emittenten bzw. den Veräußerern der Wertpapiere und dem in die Platzierung am Kapitalmarkt eingeschalteten Kreditinstitut bzw. den Kreditinstituten abgeschlossen wird2. Abgabe und Erhalt von den inhaltlichen Vorgaben des Übernahmevertrags entsprechenden Legal bzw. Disclosure Opinions3 wird dort in der Regel als aufschiebende Bedingung für die Bindungswirkung des Übernahmevertrags (condition precedent) bzw. die Entstehung der jeweiligen Leistungspflichten der Parteien aufgenommen4. Legal und ggf. auch Disclosure Opinions werden so zu einem der zentralen Bestandteile für das Gelingen der Kapitalmarktransaktion. 1 Vgl. nur Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 247, mit dem zutreffenden Befund, die Auslegung von Legal Opinions sei inzwischen bei Anleihen und Aktienplatzierungen „Standard“ geworden. Zur Entwicklung vgl. allgemein Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 10 f. 2 Brandt in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.444; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Vergabe von Third Party Legal Opinions, S. 26. – Im Folgenden werden die Kreditinstitute häufig auch als Banken oder als Konsortialbanken bezeichnet. Soweit im Folgenden allgemein von der Legal Opinion die Rede ist, ist davon auch die Disclosure Opinion mit umfasst, es sei denn, aus dem Kontext ergibt sich etwas anderes. 3 Der Übernahmevertrag enthält in aller Regel in der Anlage entsprechende Entwürfe; Rz. 29.90; von Bernstorff, RIW 1988, 680. 4 Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 9; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 2; Hannes Schnei-
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35.1
§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
35.2
Die Legal Opinion ist eine formalisierte schriftliche Erklärung der anwaltlichen Vertreter einer Vertragspartei über die rechtliche Bewertung bestimmter, insbesondere gesellschaftsrechtlicher Voraussetzungen der Transaktion sowie der Klauseln der der Transaktion zugrundeliegenden Vertragswerke5. In Kapitalmarkttransaktionen betrifft dies im Wesentlichen die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit des (öffentlichen) Wertpapierangebots und des Übernahmevertrags6 (s. im Einzelnen Rz. 35.27 ff.).
35.3
Für die Legal Opinion ist typisch, dass sie die Fragen nur kurz und formelhaft beantwortet und nicht auf die angestellten rechtlichen Überlegungen eingeht, die zu dem dargestellten Ergebnis geführt haben7. Einschränkungen und Erläuterungen werden üblicherweise nur angefügt, wenn das Ergebnis zweifelhaft erscheint, die Legal Opinion also nicht als uneingeschränkte (clean) Legal Opinion, sondern nur qualifiziert (qualified) abgegeben werden kann8. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich bei bestimmten Einschränkungen, wie z.B. dem Insolvenzvorbehalt und dem Vorbehalt hinsichtlich der Vereinbarkeit von Haftungsfreistellungsregelungen mit § 57 AktG, um typische Einschränkungen handelt, die die Legal Opinion nicht insgesamt als qualifizierte Opinion erscheinen lassen (s. auch Rz. 35.40 ff.)9. Gestaltung und Formulierung der in der Legal Opinion getroffenen Aussagen sind inzwischen – vor allem getrieben von dem Einfluss US-amerikanischer Kautelarjurisprudenz und den Anliegen der Investmentbanken – weitgehend vereinheitlicht10. Gleichwohl kann es vorkommen, dass zwischen den Beteiligten über die einzelnen Formulierungen und Nuancen in der Legal Opinion gestritten wird. Dabei entspricht es allerdings der Übung, dass keiner der Rechtsberater der jeweils anderen Seite Aussagen in der Legal Opinion verlangen oder den Wunsch seines Mandanten nach deren Abgabe unterstützen sollte, die er nicht selbst abzugeben bereit ist11. Diskussionen entstehen zumeist über das Ob und Wie etwaiger Einschränkungen (qualifications) (s. oben) oder Annahmen (assumptions) (dazu s. Rz. 35.23 ff.).
35.4
Legal Opinions werden in der Regel entsprechend internationaler Usancen und zur besseren Vermarktbarkeit der Transaktion innerhalb eines Bankenkonsortiums in englischer Sprache abgegeben, selbst wenn der Emittent und die Mehrzahl der Konsortialbanken deutsche Häuser sind. Gelegentlich kommt aber auch (noch) die deutsche Sprache vor.
5 6 7 8 9 10 11
der, ZHR 163 (1999), 246, 248; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 21, Gruson, RIW 2002, 596. Vgl. auch das Muster eines Übernahmevertrags bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02. Vgl. allgemein zur Definition der Legal Opinion von Bernstorff, RIW 1988, 680; Biegel, BB 2004, 1457; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.98 ff.; Louven, VersR 1997, 1050, 1057. Döser in FS Nirk, 1992, S. 151; Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 247. Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 9; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 3. Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 10; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.117. Dazu s. Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.132. Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 248; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.102 zum weiteren Rahmen auch Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 3. Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 20; Felton, New Jersey Lawyer 2002, 52, 54.
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Die gleichen Grundsätze gelten für die Disclosure Opinion (oder genauer Disclosure Letter), die – wenn sie verlangt wird – neben die Legal Opinion tritt und i.d.R. in einem gesonderten Dokument abgegeben wird. In der Disclosure Opinion wird – zunächst verkürzt gesagt – zusätzlich bestätigt, dass dem abgebenden Anwalt bei seiner Mitwirkung in der Vorbereitung der Emission der Wertpapiere, insbesondere bei der Erstellung des die Emission begleitenden Prospekts, kein Umstand bekannt geworden ist, der ihn zu der Annahme veranlasst, dass der Prospekt in für die Bewertung der Wertpapiere wesentlichen Umständen unrichtig oder unvollständig bzw. irreführend ist (ausführlicher Rz. 35.50 ff.)12.
35.5
Legal und Disclosure Opinions erfüllen im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion verschiedene Funktionen, die wie folgt zusammengefasst werden können:
35.6
1. Informations- und Risikoaufdeckungsfunktion Im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion stellen Legal und Disclosure Opinions zunächst ein Glied in einer Kette von Vorkehrungen dar, durch die die an der Emission beteiligten Banken sicherstellen, dass die Annahmen, die sie ihrer Beteiligung an der Transaktion zugrunde gelegt haben, zutreffen13. Sie ergänzen bzw. wiederholen entsprechende Zusicherungen des Emittenten, die dieser im Übernahmevertrag hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen der Emission, der Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts sowie des Nichtvorliegens irreführender Umstände abgibt14 und treten neben den Comfort Letter der beteiligten Wirtschaftsprüfer15 sowie ggf. das Officers’ Certificate, welches eine Erklärung des Vorstands des Emittenten enthält, dass alle Gewährleistungen zum betreffenden Datum zutreffen und der Emittent alle bis dahin zu erfüllenden Verpflichtungen erfüllt hat (vgl. Rz. 29.72).
35.7
Der formalisierte Prüfungsumfang und die Schriftform der Opinions sollen sicherstellen, dass sich die beteiligten Anwälte mit der gebotenen Sorgfalt und Gründlichkeit mit den juristischen Problemen der Transaktion auseinandersetzen und etwaige Risiken, die der Abgabe der Opinions entgegenstehen, aufdecken16. Damit verbunden ist auch die Erwartung der Konsortialbanken, beim Fehlschlagen der Emission unter Umständen auf die Anwälte als weiteren Schuldner zugreifen zu können (näher zur Haftung Rz. 35.61 ff.)17.
35.8
12 Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 248 Fn. 2; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 127; Hutter in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, Bd. 1, 2001, § 23 Rz. 185; Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02 Rz. 23; mit Formulierungsvorschlag Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.167 ff. 13 Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 9. Vgl. allgemein Jander/du Mesnil, RIW 1976, 332, 333; Biegel, BB 2004, 1457. 14 Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 21, 28 ff.; Bosch, ZHR 163 (1999), 274, 277 Fn. 10; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 159. 15 Vgl. zum Comfort Letter § 34. 16 Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 9; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 30, der insoweit auch von der Aufdeckungsfunktion der Opinion spricht. 17 Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 31, der dies als gesonderte Sicherungsfunktion der Opinion begreift; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 1; Biegel, BB 2004, 1457; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.160; Louven, VersR 1997, 1050, 1057. Besonders betont diese Funktion Gruson, RIW 2002, 596, 606, der nur bei der Inhouse-Opinion die Verteidigungsfunktion dominieren sieht.
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§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
35.9
Es ist allerdings nicht die Aufgabe von Legal und Disclosure Opinion, den Konsortialbanken die ökonomischen Risiken abzunehmen, die sich aus der Beteiligung an der Emission der Wertpapiere ergeben, oder gegen diese zu versichern18. Genauso wenig gewährleisten die Opinions, dass der Übernahmevertrag und die sonstige Transaktionsdokumentation für jede erdenkliche Situation angemessene Regelungen enthält, oder beseitigen etwaige Mängel in der Transaktionsstruktur19.
2. Verteidigungsfunktion 35.10 Legal und Disclosure Opinions erfüllen außerdem eine wichtige Verteidigungsfunktion.
Ihre Ausstellung hilft den Konsortialbanken im Falle eines Prospekthaftungsvorwurfs bei ihrer Verteidigung gegen den Vorwurf, sie hätten die gebotene Sorgfalt bei der Platzierung der Wertpapiere nicht beachtet (vgl. Rz. 41.13, 41.111 ff.)20. Insbesondere die Disclosure Opinion stellt ein wesentliches Element der Verteidigung der Konsortialbanken dar, wenn diese vom Erwerber eines Wertpapiers nach §§ 21, 23 WpPG ggf. i.V.m. § 5 WpPG auf Schadensersatz mit der Behauptung in Anspruch genommen werden, für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Aussagen in dem Prospekt seien unrichtig oder unvollständig gewesen (due diligence defense). Insbesondere nach US-Recht können die Banken mit Hilfe einer (unqualifizierten) Disclosure Opinion versuchen, den Nachweis zu erbringen, dass sie, bzw. die von ihnen beauftragten Experten, keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von fehlerhaften Prospektangaben oder Auslassungen hatten (dazu Rz. 35.51 ff.). Zwar dürfte nach deutschem Recht die bloße Abgabe einer Legal Opinion oder Disclosure Opinion ohne eigene Befassung der Konsortialbanken mit dem Prospektinhalt den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht per se ausschließen, da die Konsortialbanken je nach Einzelfall unterschiedlich gelagerte selbständige Nachforschungs- und Kontrollpflichten haben können (im Einzelnen streitig, vgl. Rz. 41.113 f. m.w.N.) und Disclosure Opinions beispielsweise keine Aussagen zu bestimmten Prospektangaben, wie z.B. Zahlenangaben o.Ä., treffen21. Dennoch bleibt eine (unqualifizierte) Disclosure Opinion (s. dazu Rz. 35.5) auch nach deutschem Recht ein ganz wesentliches Verteidigungselement, so dass deren Einholung und die Durchführung einer vorgelagerten Due Diligence (dazu § 33) geboten erscheint22.
18 von Bernstorff, RIW 1988, 680. 19 Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 20; von Bernstorff, RIW 1988, 680; American Bar Association (Section of Business Law), Negative Assurance in Securities (2008 Revision), The Business Lawyer, Vol. 64, 2009, 395, 396. 20 S. hierzu im Einzelnen auch Seiler/Singhof in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG §§ 21 ff.; Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02 Rz. 23; Sudmeyer in Münchener AnwaltsHdb. Aktienrecht, § 47 Rz. 64. 21 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 128; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.170. 22 Die Rechtslage in Deutschland ist insoweit weitgehend mit der Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar. Auch dort dient die Abgabe der Disclosure Opinion (des 10b-5 negative assurance letter) als wesentliches Element zur Verteidigung der Konsortialbanken im Rahmen der Due Diligence Defense gegenüber einer möglichen Prospekthaftung insbesondere aus Sections 11 und 12 (a) (2) Securities Act sowie Section 10 (b) Exchange Act. Vgl. Rz. 45.163 ff.; Gruson, WM 1995, 89, 94 f.; Hutter in ArbHdb. für Unternehmensübernahmen, Bd. 1, 2001, § 23 Rz. 185; Reid/Underhill, IFLR 2004, 35; zur Rechtslage in Großbritannien vgl. etwa Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 131.
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II. Legal Opinion 1. Abgabezeitpunkt(e) Die Frage, zu welchen Zeitpunkten eine Legal Opinion abzugeben ist, beantwortet sich je nach Kapitalmarkttransaktion unterschiedlich und wird auch international unterschiedlich gehandhabt. Bei einer Börseneinführung etwa kann der Übernahmevertrag die Ausstellung von Legal Opinions zu verschiedenen Zeitpunkten als aufschiebende Bedingung für die Durchführung der Transaktion vorsehen. Legal Opinions können somit unter anderem abzugeben sein (a) am Tag der Unterzeichnung des Übernahmevertrags23, (b) am Tag der Veröffentlichung des Prospekts, (c) am Tag der Veröffentlichung des Prospektnachtrags hinsichtlich der Preisspanne im Falle eines Decoupled Bookbuilding, (d) am Tag der Preisfestlegung im Falle eines (Decoupled) Bookbuilding, (e) am Tag der Zeichnung der neuen Aktien durch die Banken, (f) am Tag des Settlement, und (g) im Falle einer Mehrzuteilungsoption, die aus genehmigtem Kapital zur Verfügung gestellt wird, teilweise auch zum Zeitpunkt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital24. Die jeweilige Legal Opinion wird dabei an den einzelnen Abgabezeitpunkten i.d.R. erst nach beanstandungsfreier Durchführung eines Bring Down Due Diligence Call abgegeben, in dem die Ergebnisse der Due Diligence durch das Management der Emittentin anhand eines Fragenkatalogs bestätigt und ggf. neue Umstände offengelegt werden. Handelt es sich dagegen etwa um eine Umplatzierung bereits bestehender und börsennotierter Aktien durch einen (Groß-)Aktionär (block trade), wird es regelmäßig ausreichend sein, wenn die Legal Opinion (nur) einmal, nämlich zum Tag des Leistungsaustauschs (closing) abgegeben wird25.
35.11
Die Legal Opinion stellt zumeist ausdrücklich klar, dass sie nur auf den Tag der Abgabe bzw. den Tag, an dem sie wirksam werden soll (as of)26 datiert und keine Verpflichtung besteht, sie zu aktualisieren (vgl. dazu Rz. 35.66).
35.12
2. Aussteller der Legal Opinion a) Berater des Emittenten Die Legal Opinion wird in aller Regel zumindest durch den Rechtsanwalt des Emittenten (issuer’s counsel) abgegeben27, weil dieser der Gesellschaft typischerweise „am nächsten steht“ und häufig aus seiner Beratungstätigkeit bereits über gute Kenntnisse über die Verhältnisse des Emittenten verfügt. Gerade an seiner Expertise haben die Konsortialbanken 23 Der Tag der Unterzeichnung des Übernahmevertrags kann mit anderen der genannten Zeitpunkte, insbesondere dem der Veröffentlichung des Prospekts oder dem Tag der Zeichnung der neuen Aktien, zusammenfallen. 24 Vgl. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.187. Vgl. auch das Muster eines Übernahmevertrags bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02. 25 Zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit Block Trades vgl. § 7 sowie Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346. 26 Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 7; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.104. 27 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118.
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in solchen Fällen ein besonderes Interesse28. Insbesondere bei Initial Public Offerings kann es jedoch vorkommen, dass der „Hausanwalt“ des Emittenten nicht über die notwendige Kapitalmarktexpertise verfügt. In diesem Fall mandatiert der Emittent regelmäßig einen weiteren Rechtsanwalt, der als eigentlicher Rechtsberater des Emittenten (issuer’s counsel) die Transaktion begleitet und die Legal Opinion abgibt. Die Rolle des „Hausanwalts“ beschränkt sich in diesen Fällen zumeist darauf, eine vom Inhalt eingeschränkte Legal Opinion (insbesondere zu den in Rz. 35.28 bis 35.31 und 35.37 angesprochenen Themen) abzugeben. b) Berater der Konsortialbanken
35.14 In der Regel gibt daneben aber auch der Rechtsanwalt der Konsortialbanken selbst, der
von diesen für die Due Diligence (und zur Unterstützung bei der Prospekterstellung) beauftragt wird (underwriters’ counsel), über das Ergebnis seiner Prüfungen eine Legal Opinion ab. Diese bleibt gelegentlich im Hinblick auf die nur punktuelle Beschäftigung mit dem Emittenten hinter der Legal Opinion des Rechtsberaters des Emittenten zurück29. In manchen Fällen, insbesondere bei kleineren Transaktionen, wird auf sie – vor allem aus Kostengründen – auch ganz verzichtet. Dies ist allerdings im Hinblick auf die Verteidigungsfunktion der Due Diligence (s. Rz. 35.10) nicht unproblematisch, weil die Konsortialbanken sich dann insoweit nur auf die Legal Opinion des Issuer’s Counsel verlassen, mit dem sie in keinem Mandatsverhältnis stehen (das möglicherweise auch abweichende Verhaltensstandards statuiert) und von deren Prüfungshandlungen sie unter Umständen nur eingeschränkte Kenntnis haben. c) Syndikus des Emittenten
35.15 Gelegentlich wird neben der Abgabe einer Legal Opinion durch den Rechtsberater des
Emittenten und der Banken auch der Leiter der Rechtsabteilung (Syndikus, general counsel) des Emittenten bzw. ein Senior Member aus der Rechtsabteilung zur Abgabe einer Legal Opinion (inhouse legal opinion) aufgefordert30. Daran besteht ein Interesse, wenn und weil der Syndikus wegen seiner besonderen Sachnähe und seiner Kenntnisse der Unternehmensinterna in der Lage ist, über bestimmte Sachverhalte eine Legal Opinion abzugeben, zu denen weder Issuer’s noch Underwriters’ Counsel ohne weiteres Aussagen treffen können oder wollen. Unter Umständen wird der Syndikus z.B. eine Legal Opinion über anhängige Gerichts- oder behördliche Verfahren abgeben müssen (vgl. näher dazu Rz. 35.28, 35.39)31. Dabei ist aber zu beachten, dass der Emittent selbst im Übernahmevertrag deckungsgleiche Aussagen abgibt, so dass sich die Bedeutung einer Aussage des Syndikus, der eben für jenen Emittenten (und nicht persönlich, vgl. Rz. 35.64) handelt, relativiert. d) Weitere Aussteller
35.16 Handelt es sich (auch) um eine Umplatzierung bereits bestehender Aktien durch einen
(Groß-)Aktionär, wird i.d.R. statt bzw. neben dem Berater des Emittenten der Anwalt 28 Bosch, ZHR 163 (1999), 274, 277. Fragen der Interessenkollision, die sich möglicherweise stellen, wenn der Anwalt für einen Nicht-Klienten eine Legal Opinion abgibt, können hier aus Platzgründen nicht behandelt werden. Vgl. dazu nur Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 4. 29 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118. 30 Vgl. Gruson, RIW 2002, 596. 31 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 4; Biegel, BB 2004, 1457, 1458.
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des veräußernden Aktionärs eine Legal Opinion abgeben. Ferner kann die Abgabe von Legal Opinions durch einen sog. Special Counsel zu rechtlichen Sonderfragen erforderlich werden32. Solche rechtlichen Sonderfragen können u.a. steuerrechtliche, insolvenzrechtliche und grundstücksrechtliche Fragestellungen sowie Fragen der gewerblichen Schutzrechte betreffen. Sofern der Emittent von Wertpapieren beispielsweise über umfangreiche gewerbliche Schutzrechte, insbesondere Patente, verfügt, werden die Banken häufig auch die Abgabe einer Legal Opinion durch einen Patentanwalt als Special Counsel verlangen. In dieser Opinion trifft der Patentanwalt Aussagen etwa sowohl zur rechtlichen als auch zur tatsächlichen Durchsetzbarkeit bzw. Angreifbarkeit von gewerblichen Schutzrechten. Derartige Opinions kommen vor allem bei Emittenten aus der Biopharma-Branche in Betracht. Grunsätzlich empfiehlt sich eine möglichst frühzeitige Klärung, ob die Einschaltung eines Special Counsel erforderlich sein wird, da die Prüfung rechtlicher Sonderfragen durch den Special Counsel erfahrungsgemäß mit einigem Aufwand verbunden ist und weitere Maßnahmen nach sich ziehen kann. Soweit sich die Legal Opinion eines Special Counsel mit rechtlichen Sonderfragen befasst, werden die übrigen Rechtsberater bestrebt sein, diesen Fragenkreis aus ihrer Legal Opinion bzw. Disclosure Opinion (sofern tatsächliche Fragen in Bezug auf gewerbliche Schutzrechte betroffen sind) auszuklammern. Auch weitere Legal Opinions von ausländischen Rechtsanwälten, z.B. zur rechtlichen Existenz von ausländischen Tochtergesellschaften oder zur Einhaltung wertpapierrechtlicher Bestimmungen im Rahmen des Platzierungsprozesses, werden je nach Lage des Falles abgegeben. Dabei ist zwischen den verschiedenen Ausstellern abzustimmen, wer für welche Fragen die Verantwortung übernimmt und inwieweit die jeweilige Legal Opinion auf die Aussage in der anderen verweisen bzw. sich auf diese verlassen darf33. Im Übrigen stehen die Legal Opinions der verschiedenen Aussteller nebeneinander, treffen also parallele Aussagen, ohne sich aufeinander zu beziehen.
35.17
3. Adressat(en) der Legal Opinion Die Legal Opinion im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion wird in der Regel nur an die Konsortialbanken adressiert34. Dies wird durch deren Nennung im Adressatenfeld und durch einen entsprechenden Abschnitt im Text der Legal Opinion dokumentiert. Handeln Konsortialführer (auch) für die anderen Konsortialbanken, wird die Legal Opinion ggf. an die Konsortialführer als Vertreter der Konsortialbanken adressiert und im Übernahmevertrag festgehalten, dass diese auch für die anderen Konsortialbanken empfangsberechtigt sind35. Ausnahmen von diesem Grundsatz hat es in einigen Fällen jüngster Zeit in Konsequenz des sog. „Telekom III“-Urteils gegeben, in dessen Folge auch der verkaufende Aktionär Adressat von Legal bzw. Disclosure Opinions (seines Rechtsberaters) geworden ist36.
35.18
Regelmäßig wird am Ende der Legal Opinion nochmals klargestellt, dass die Legal Opinion nur im Zusammenhang mit der Transaktion abgegeben und nicht für andere Personen
35.19
32 S. dazu auch Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.152 ff. 33 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.149. 34 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 118; Bosch, ZHR 163 (1999), 274, 277; vgl. allgemein Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 5. 35 Vgl. das Muster eines Übernahmevertrags bei Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02. 36 Vgl. zum sog. „Telekom III“-Urteil Rz. 35.43 im Text.
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als die Adressaten erstellt wurde und Dritten ohne vorherige schriftliche Zustimmung des abgebenden Rechtsanwalts auch nicht zur Verfügung gestellt werden darf37. Der ausstellende Anwalt will so den Kreis der möglichen Anspruchsteller eingrenzen. Allerdings gestattet der Aussteller den Konsortialbanken i.d.R. die Verwendung der Legal Opinion zum Zwecke der Verteidigung gegen etwaige gegen diese gerichtete Ansprüche im Zusammenhang mit der Transaktion, z.B. Prospekthaftungsansprüche.
4. Einleitende Aussagen a) Beschreibung der Transaktion
35.20 Der einleitende Teil der Legal Opinion enthält in der Regel eine kurze Darstellung der
Transaktion, die zu beurteilen ist, und der Rolle des die Legal Opinion abgebenden Rechtsanwalts in der Transaktion38. Vor allem bei der Legal Opinion von US-Anwälten findet sich häufig der Hinweis, der Anwalt habe als Special Counsel für die Transaktion agiert. Dieser Hinweis soll den Aussteller von dem ständigen rechtlichen Berater des Emittenten abgrenzen, der unter Umständen wegen seiner andauernden Befassung mit der Gesellschaft besonders intensive Kenntnisse von der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft hat, und hat insofern haftungsbeschränkende Funktion (vgl. zu Haftungsfragen Rz. 35.61 ff.)39. Beschränkt sich die Rolle des Ausstellers im Rahmen der Transaktion auf die Abgabe der Legal Opinion, ist er also in die Erstellung von Übernahmevertrag und Prospekt nicht einbezogen, sollte dies – auch im eigenen Interesse – klargestellt werden.
35.21 Daneben findet sich in der Einleitung ein Hinweis auf die entsprechende Bestimmung im Übernahmevertrag, auf der die Abgabe der Legal Opinion beruht40. b) Beurteilungsgrundlagen
35.22 Der Aussteller der Legal Opinion stellt sodann zumeist – etwa unter der Überschrift „Umfang der Untersuchung“ oder „Documents Reviewed“ – klar, dass er zur Anfertigung der Legal Opinion (nur) die in der Legal Opinion selbst genannten Dokumente bzw. Regis-
37 Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 157; Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 267; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 124; Biegel, BB 2004, 1457, 1461; Louven, VersR 1997, 1050, 1058. Eine Ausnahme aufgrund gesetzlicher Anordnung besteht bei einem öffentlichen Angebot (public offering) in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort ist als Anlage zum Prospekt (registration statement) u.a. eine Kopie der Legal Opinion der Rechtsanwälte beizufügen, die die Rechtmäßigkeit der Ausgabe der registrierten Wertpapiere bestätigt; vgl. dazu auch Rz. 45.33 ff. 38 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 681; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 119; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 24; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 3; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 8; vgl. auch Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 43; Felton, New Jersey Lawyer 2002, 52, 54; mit Formulierungsvorschlag Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.106. 39 Skeptisch insoweit Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 43 f. 40 Vgl. auch Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 43; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 3, Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 8.
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terunterlagen untersucht hat, wobei ihm überlassen ist, ggf. aus seiner Sicht weiter erforderliche Nachforschungen durchzuführen41. Für die Zwecke der Ausstellung der Legal Opinion im Rahmen einer Aktienemission umfassen die Unterlagen typischerweise etwa Registerauszüge der Gesellschaft, Satzung und Geschäftsordnungen der Organe einschließlich der Ausschüsse, Niederschriften der Entscheidungen der Organe, Kopien des Übernahmevertrags und des Prospekts sowie des Zeichnungsscheins. Häufig findet sich auch ein Hinweis, dass der Aussteller im Übrigen weitere Dokumente durchgesehen hat, soweit er dies für die Zwecke der Ausstellung der Legal Opinion für erforderlich gehalten hat, ohne dass diese im Einzelnen genannt sind42. Dies kann allerdings im Zweifelsfall zu Unklarheiten darüber führen, auf welche Dokumente er seine Opinion wirklich bezogen hat und sollte deshalb unter Haftungsgesichtspunkten überdacht werden43. Soweit den Untersuchungen nur Entwürfe (drafts) zugrunde lagen, ist dies – auch im eigenen Interesse des Ausstellers – kenntlich zu machen44. Jeweils sollte das Erstelldatum genannt werden. c) Annahmen bei der Abgabe Im Teil „Annahmen“ oder „Assumptions“ ist klargestellt, dass der Anwalt ohne weitere Untersuchung von der Authentizität der ihm vorgelegten Dokumente, der Richtigkeit von etwaigen Übersetzungen und der Übereinstimmung von Kopien mit den Originalen ausgegangen ist45, und er ferner vorausgesetzt hat, dass der Übernahmevertrag frei von Willensmängeln unterzeichnet wurde, ggf. dass die entsprechenden Vollmachten (einschließlich gesetzlicher Vertretungsbefugnisse) wirksam erteilt waren und fortbestehen, sowie schließlich, dass der Übernahmevertrag in der ihm vorliegenden Form unverändert fortgilt (kein Widerruf oder Kündigung)46. Liegen Dokumente nur als Entwürfe vor, sollte der Anwalt darauf hinweisen, dass er davon ausgeht, dass die Entwürfe in der vorliegenden Fassung wirksam unterzeichnet und übergeben worden sind und daher den endgültigen Dokumenten entsprechen. Weitere Annahmen sind vom Einzelfall und vom Aussteller abhängig47 und können je nach Transaktion variieren. 41 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 119; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 24; vgl. auch Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 272; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 3. Immerhin gibt aber auch eine nicht abschließende Aufzählung ein Bild von der Art der Dokumente, die untersucht worden sind; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 182; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.110. 42 Vgl. auch Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 44 f. und Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.110 zur internationalen Praxis. 43 Vgl. Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 9. Vgl. auch Biegel, BB 2004, 1457, 1460, der aus Haftungsgesichtspunkten ebenfalls empfiehlt, die der Legal Opinion zugrundeliegenden Tatsachen und Quellen möglichst genau zu beschreiben; ebenso Louven, VersR 1997, 1050, 1057. 44 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 681; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 8; Louven, VersR 1997, 1050, 1057. 45 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Louven, VersR 1997, 1050, 1057; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 182; Felton, New Jersey Lawyer 2002, 52, 54. 46 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.112. 47 So wird etwa die Legal Opinion des Syndikus in der Regel wegen seiner besonderen Sachnähe weniger Annahmen enthalten als die des Underwriters’ Counsel; vgl. etwa Gruson, RIW 2002, 596, 608.
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35.23
§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
35.24 Die Aufnahme der Annahmen beruht darauf, dass der Aussteller die entsprechenden An-
nahmen nur schwer oder gar nicht überprüfen kann (etwa die Frage der Geschäftsfähigkeit der handelnden Personen)48. Sie haben für den Aussteller risikobegrenzende Funktion (vgl. dazu näher Rz. 35.67). d) Zur Behandlung von Tatsachen
35.25 Die Legal Opinion enthält häufig die weitere Annahme, dass alle Aussagen zu Tatsachen,
die in den untersuchten Dokumenten enthalten sind, richtig wiedergegeben sind (z.B. Beschlussfassungen)49. Gelegentlich erfolgt auch eine ausdrückliche Klarstellung, dass keine unabhängigen Untersuchungen in tatsächlichen Angelegenheiten angestellt wurden50 und/oder ein genereller Vorbehalt, dass davon ausgegangen wird, dass im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Legal Opinion keine weiteren Tatsachen oder Dokumente existieren, die dem Aussteller nicht offengelegt wurden51. e) Aussagen zum untersuchten Recht
35.26 Der deutsche Rechtsanwalt als Aussteller der Legal Opinion verdeutlicht – ggf. unter einer
gesonderten Überschrift „Laws Considered“ –, dass sich seine Legal Opinion (nur) auf die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sowie deren Auslegung nach geltender Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Abgabe der Legal Opinion bezieht und er keine Aussage über die Auswirkungen anderer Gesetze auf die Aussagen in der Legal Opinion trifft (vgl. auch Rz. 35.47)52. Einen entsprechenden Vorbehalt wird auch ein ausländischer Rechtsanwalt aufnehmen, wenn von ihm ebenfalls die Abgabe einer Legal Opinion zu Fragen des ausländischen Rechts gefordert wird53.
5. Materielle Aussagen 35.27 An die Einleitung schließt sich der materielle Teil der Legal Opinion an, der die konkreten
Stellungnahmen (opinion statements) zu den einzelnen Rechtsfragen enthält. In der Regel umfasst die Stellungnahme die folgenden Aspekte: a) Existenz und Status der Gesellschaft
35.28 Eine wesentliche Aussage der Legal Opinion geht dahin, dass der Emittent der Wert-
papiere eine Aktiengesellschaft ist, die ordnungsgemäß gegründet und im Handelsregister bei dem zuständigen Amtsgericht unter einer bestimmten Handelsregisternummer eingetragen ist und nach deutschem Recht rechtswirksam als Aktiengesellschaft (fort-) be-
48 49 50 51
Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 120; allgemein Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 155. von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 121. Bei der Legal Opinion des Syndikus werden diese Annahmen aufgrund seiner besonderen Kenntnisse häufig eingeschränkt sein. Vgl. allgemein Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.115. 52 Louven, VersR 1997, 1050, 1057 f.; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 121; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.116 und Rz. 10.149. 53 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 121; von Bernstorff, RIW 1988, 680; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 6; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 156.
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steht54. Vor allem bei der Legal Opinion des Syndikus des Emittenten erstreckt sich diese Aussage unter Umständen auch auf die (wesentlichen) Tochtergesellschaften. Ebenfalls in erster Linie bei der Legal Opinion des Syndikus des Emittenten kommt der weitere Zusatz in Betracht, dass der Emittent berechtigt ist, seine Geschäftstätigkeit in dem im Prospekt beschriebenen Umfang auszuüben und seine Vermögensgegenstände zu besitzen bzw. deren Eigentümer zu sein55. b) Kapitalverhältnisse der Gesellschaft Es folgen Aussagen zu den Kapitalverhältnissen der Gesellschaft, wie sie sich aus dem Handelsregister und der Satzung ergeben. Der Aussteller bestätigt in diesem Zusammenhang regelmäßig, dass das Aktienkapital der Gesellschaft im Prospekt richtig und vollständig wiedergegeben ist56. Gelegentlich wird auch festgehalten, dass die Aktien der Gesellschaft über den im Prospekt offen gelegten Umfang hinaus keinen sich aus dem Gesetz oder der Satzung ergebenden Übertragungsbeschränkungen unterliegen57 (vgl. Rz. 35.37).
35.29
c) Abschlussbefugnis und wirksame Vertretung Der Aussteller bestätigt insoweit, dass der Emittent berechtigt ist bzw. war, den Übernahmevertrag abzuschließen und die Wertpapiere zu emittieren und beim Abschluss des Übernahmevertrags wirksam vertreten wurde (due and valid execution)58. In diesem Rahmen sollte unter anderem die Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Zustimmungserfordernisse nach Gesetz, Satzung oder Geschäftsordnung überprüft werden, auch wenn deren Einhaltung im Außenverhältnis grundsätzlich irrelevant ist. Denn häufig entsteht (Rest-) Unsicherheit über die Frage, ob die Missachtung interner Regeln nicht doch über die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht auf das Außenverhältnis durchschlagen könnte59. Die möglicherweise schwierigen Abgrenzungsfragen sollte man im Interesse der Transaktionssicherheit erst gar nicht aufkommen lassen. Erforderlich sind im Übrigen etwa Untersuchungen zu der Frage, ob der Unterzeichner die erforderliche Position innerhalb der jeweiligen Gesellschaft (noch) innehat und jeweils befugt ist, die für Zwecke der Emission erforderlichen Dokumente zu unterzeichnen. Entsprechende Erkenntnisse sind insbesondere durch Einsichtnahme in das Handelsregister sowie Überprüfung der entspre54 Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02, Rz. 23; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 25; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 122; von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9b; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 153; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 11 ff.; Biegel, BB 2004, 1457; Louven, VersR 1997, 1050, 1057; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.119. 55 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9c. 56 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 122, vgl. allgemein Jander/du Mesnil, RIW 1976, 332, 334. 57 Vgl. allgemein Jander/du Mesnil, RIW 1976, 332, 334. 58 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 26; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9c; Adolff, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Anwälte bei der Abgabe von Third Party Legal Opinions, S. 15 ff.; Biegel, BB 2004, 1457; Louven, VersR 1997, 1050, 1057. 59 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9c; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 154; etwas knapp Gruson/Hutter/Kutschera, Legal Opinions in International Transactions, S. 132 f., mit Hinweis auf die US-amerikanische Rechtspraxis Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.121.
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35.30
§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
chenden Beschlüsse zu gewinnen. Verbleibenden Unsicherheiten sollte durch geeignete assumptions (vgl. Rz. 35.23 f.) begegnet werden. Insbesondere ist dabei der Grundsatz zu beachten, dass der Anwalt keine unabhängigen Untersuchungen in tatsächlicher Hinsicht anstellt (vgl. Rz. 35.25). d) Vereinbarkeit mit der Satzung und geltendem Recht
35.31 Dieser Abschnitt der Legal Opinion enthält die Feststellung, dass die Emission der Wertpapiere durch die Gesellschaft sowie die Unterzeichnung und Erfüllung der Verpflichtungen der Gesellschaft aus dem Übernahmevertrag oder anderen Verträgen zwischen den Parteien deutsches Recht und die Satzung der Gesellschaft nicht verletzt60. e) Vorliegen behördlicher Genehmigungen
35.32 Der Aussteller der Legal Opinion bestätigt weiter, dass – unter Umständen (noch) unter
dem Vorbehalt der Zulassung und Notierungseinbeziehung der Wertpapiere zum jeweiligen Markt der entsprechenden Wertpapierbörse und der Billigung des Prospekts und etwaiger Prospektnachträge durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – keine (weiteren) behördlichen Genehmigungen erforderlich sind, um die Kapitalmarkttransaktion durchzuführen61.
f) Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Verpflichtungen
35.33 Es folgen wesentliche Aussagen zur Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge, insbesondere des Übernahmevertrags62. g) Prospekterfordernisse
35.34 Je nach Ausgestaltung der Transaktion enthält die Legal Opinion auch eine Bestätigung darüber, dass für deren Durchführung (in Ermangelung eines öffentlichen Angebots keine oder) keine weiteren als die erstellten Prospekte erforderlich sind.63 Dies kommt etwa in Betracht, wenn die Zulassung der Wertpapiere an der oder den Wertpapierbörsen unter Befreiung von dem Erfordernis, einen Prospekt zu veröffentlichen, erfolgen soll, weil die Wertpapiere anlässlich einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots angeboten werden sollen, sofern ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben denen des Prospekts gleichwertig sind (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 WpPG)64.
60 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9e; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 27; Sudmeyer in Münchener AnwaltsHdb. Aktienrecht, § 47 Rz. 62. 61 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682. Zu möglichen Problemen bei allgemeinen Aussagen zur Einhaltung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen vgl. Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 154. 62 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 122; von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9d; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 153; Biegel, BB 2004, 1457; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.123 ff. und Rz. 10.138. 63 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.139. 64 Insbesondere im Zusammenhang mit Verschmelzungen stellt sich jedoch die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein „gleichwertiges“ Dokument zum Prospekt vorliegt (s. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 4 WpPG). Die Gesetzesbegründung verweist insofern ohne weitere Erläuterungen auf den Verschmelzungsbericht (vgl. BT-Drucks. 15/4999, S. 30). Einschränkend wird
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h) Steuerliche Fragen Aussagen zu den steuerlichen Folgen der Kapitalmarkttransaktion für die Konsortialbanken beschränken sich in der Legal Opinion in der Regel auf eine Bestätigung, dass diese im Zusammenhang mit der Transaktion keine Stempel- oder ähnliche Steuern zu entrichten haben. Daneben bestätigt die Legal Opinion häufig, dass der Abschnitt im Prospekt, der sich mit der Besteuerung der Gesellschaft und der Erwerber der Wertpapiere in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, eine zutreffende Beschreibung der Rechtslage enthält65. Unter Umständen finden sich noch Aussagen zur (quellen-)steuerlichen Behandlung von Ausschüttungen auf die Wertpapiere, die Gegenstand der Transaktion sind.
35.35
i) Rechtswahl und Gerichtsstand Gelegentlich findet sich ein Hinweis darauf, dass eine getroffene Rechtswahl- und/oder Gerichtsstandsvereinbarung vom zuständigen Gericht anerkannt würde66.
35.36
j) Besonderheiten bei Aktienemissionen Bei Aktienemissionen bestätigt die Legal Opinion zusätzlich, dass die zu platzierenden Aktien wirksam ausgegeben und die erforderlichen Beschlüsse über die Ausgabe der Aktien wirksam gefasst worden sind67. Bei Neuemissionen steht diese Bestätigung je nach Zeitpunkt der Abgabe der Legal Opinion (s. Rz. 35.11) noch unter dem Vorbehalt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung bzw. der Einzahlung der Einlage zur freien Verfügung der Gesellschaft68. In erster Linie bei der Legal Opinion des Syndikus des Emittenten findet sich gelegentlich die weitere Aussage, dass die zugrundeliegenden Beschlüsse nicht angefochten bzw. gegen diese keine Widersprüche erklärt worden sind. Weiter finden sich unter Umständen Hinweise auf die Übertragbarkeit der Aktien, das Fehlen von Nachschusspflichten sowie die mit den Aktien verbundene Dividendenberechtigung.
35.37
k) Sonstiges Neben der Bezugnahme auf die Beschreibung der Kapitalausstattung der Gesellschaft (Rz. 35.29) sowie der Besteuerung in Deutschland (Rz. 35.35) im Prospekt enthält die Legal Opinion häufig noch weitere Aussagen zu Prospektteilen. In der Regel sind dies die Abschnitte, die das Angebot der Wertpapiere, die Organe der Gesellschaft sowie die Regulierung der Industrie, in der die Gesellschaft operiert, zusammenfassen.
35.38
Daneben finden sich – insbesondere in der Legal Opinion des Syndikus – zum Teil noch weitergehende inhaltliche Aussagen zum Emittenten, so z.B., dass derzeit keine Gerichts-
35.39
65 66 67 68
verlangt, dass dieser Verschmelzungsbericht nicht älter als zwölf Monate ist (vgl. § 9 Abs. 1 WpPG) und nicht allein der Umgehung der Prospektpflicht dient. In der Praxis wird aufgrund dieser Unwägbarkeiten bei der Feststellung der Gleichwertigkeit teils auf die Ausnahme in § 4 Abs. 2 Nr. 4 WpPG verzichtet und neben dem Verschmelzungsbericht auch ein vollständiger Prospekt erstellt, vgl. Schnorbus in Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, FK-WpPG, § 4 Rz. 81. Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 122. von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Giesen/Mader, RIW 2012, 21, 28; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9g; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 155. Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.138. Groß in Happ/Groß, Aktienrecht, Abschn. 16.02, Rz. 23.
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§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
oder behördlichen Verfahren anhängig bzw. nach bestem Wissen angedroht sind69, dass der Emittent Eigentümer bestimmter Vermögensgegenstände ist, die nicht mit Rechten Dritter belastet sind70 sowie, dass der Emittent über alle (wesentlichen) behördlichen Genehmigungen verfügt, die für seine Geschäftstätigkeit erforderlich sind.
6. Einschränkungen des Richtigkeitsanspruchs der Legal Opinion a) Allgemeines
35.40 Die Legal Opinion erhebt keinen uneingeschränkten Richtigkeitsanspruch. Sie unterliegt
weiteren Einschränkungen, sog. Qualifications, die im Text der Legal Opinion ausdrücklich festgehalten werden, und die neben die ungeprüften Annahmen treten, die der Legal Opinion ohnehin bereits zugrunde liegen (Rz. 35.23 f.). Art und Umfang der Qualifications hängen vom jeweiligen Einzelfall ab. Die Einschränkungen können sich auf ganze Rechtsgebiete – etwa das Steuerrecht – und/oder auf konkrete Fragestellungen beziehen71. b) Insolvenzrecht etc.
35.41 Regelmäßig stellt die Legal Opinion etwa klar, dass die in ihr getroffenen materiellen Aus-
sagen nur vorbehaltlich anwendbarer Bestimmungen zu Fragen der Insolvenz, Liquidation, Reorganisation und der Gläubigerbenachteiligung oder anderer Regelungen erfolgen, die sich auf das wirtschaftliche Ungleichgewicht von Leistung oder Gegenleistung beziehen oder sonst allgemein Einfluss auf Gläubigerrechte und ihre Durchsetzung haben oder haben können72. Dazu gehören etwa die Rechtsinstitute der Unmöglichkeit, der Aufrechnung, der Einwendung sowie der Verjährung. c) Treu und Glauben
35.42 Ein weiterer Vorbehalt betrifft die allgemeine Geltung des Prinzips von Treu und Glau-
ben (§ 242 BGB), das die Auslegung insbesondere des Übernahmevertrags, die Wahrnehmung von Rechten sowie die Erfüllung von Verpflichtungen beeinflussen kann73. d) Besonderheiten bei Aktienemissionen
35.43 Regelmäßig enthält der Übernahmevertrag die Pflicht der Gesellschaft, die Konsortialban-
ken von Schäden und etwaigen Ansprüchen freizustellen, die im Zusammenhang mit einer Verletzung der Pflichten der Gesellschaft aus dem Übernahmevertrag oder der Unrichtigkeit der im Übernahmevertrag enthaltenen Gewährleistungen gegen diese geltend gemacht werden können. Die Zulässigkeit der Vereinbarung einer solchen Freistellung ist nicht völlig unumstritten. Weitere Zweifelsfragen ergeben sich im Übrigen aus den Feststellun69 von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682. 70 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9 f. 71 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 122; von Bernstorff, RIW 1988, 680, 682; Krämer/ Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.129. 72 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 123; Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9d; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 155; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.132. 73 Griffiths, International Business Lawyer 2001, 181, 182.
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Legal Opinion und Disclosure Opinion | § 35
gen des BGH im sog. „Telekom III“-Urteil74. Danach stellt die vertragliche Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft eine gegen § 57 Abs. 1 AktG verstoßende Einlagenrückgewähr dar, wenn die Aktionäre nicht ihrerseits die Gesellschaft von der Prospekthaftung umfassend freistellen. Dem Urteil lag der Sonderfall einer öffentlichen Umplatzierung bereits bestehender und börsennotierter Aktien zugrunde, so dass sich zunächst die Frage stellt, ob und mit welchen Konsequenzen die Feststellungen des BGH auf die in der Praxis häufiger vorkommenden gemischten Platzierungen alter und neuer Aktien im Rahmen eines Börsengangs sowie allgemein auf die übliche Freistellungsvereinbarung im Übernahmevertrag zugunsten der Konsortialbanken übertragen werden können75. Bereits vor Erlass des „Telekom III“-Urteils enthielten Legal Opinions, die anlässlich der Emission von Aktien abgegeben wurden, regelmäßig einen Hinweis auf den rechtlichen Meinungsstand zu Freistellungsvereinbarungen in Übernahmeverträgen, der neben der Aufklärung des Mandanten letztlich auch das Ziel hat, den Aussteller von den verbleibenden Unsicherheiten bei der Bewertung zu entlasten (vgl. dazu Rz. 35.66)76. Im Anschluss an das „Telekom III“-Urteil empfiehlt es sich bis auf Weiteres, diesen Hinweis um eine Auseinandersetzung mit den Kernaussagen des Urteils zu erweitern, die auch auf die Besonderheiten der jeweiligen Platzierung eingeht. Der Aussteller bringt so zum Ausdruck, dass er die Freistellung im Ergebnis für wirksam hält, es aber (Rest-)Unsicherheiten gibt77. Die Legal Opinion wird unter Umständen auch auf die besonderen Fragen eingehen, die mit der Rückabwicklung der Transaktion verbunden sein können, wenn die Kapitalerhöhung bereits in das Handelsregister eingetragen ist78.
35.44
e) Sonstige Einschränkungen Sonstige Einschränkungen betreffen etwa die Frage der (zivil-)prozessualen Durchsetzbarkeit von Verpflichtungen im Übernahmevertrag und der mit der Einschaltung eines deutschen Gerichts verbundenen Schritte79.
35.45
Wird die Legal Opinion – wie regelmäßig, s. Rz. 35.4 – in englischer Sprache abgegeben, weist die Legal Opinion regelmäßig darauf hin, dass die deutschen Termini in der englischen Übersetzung möglicherweise nicht absolut deckungsgleich wiedergegeben werden können80.
35.46
74 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, NJW 2011, 2719. 75 Vgl. insbesondere das Thesenpapier des Arbeitskreises zum „Deutsche Telekom III-Urteil“, CFL 2011, 377, 378 ff. sowie Habersack in FS Hommelhoff, 2012, S. 303 ff.; Mülbert/Wilhelm in FS Hommelhoff, 2012, S. 747 ff.; Krämer/Gillessen/Kiefner, CFL 2011, 328, 340 f.; Wink, AG 2011, 569, 578 ff.; Ziemons, GWR 2011, 404. 76 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9a. 77 Vgl. zu einer möglichen Formulierung, wenn sich der Aussteller trotz der Zweifel zu seiner Auffassung bekennt, Hannes Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 272 („In our view, a court should uphold the opinion expressed above.“). An der grundsätzlichen Zulässigkeit der Freistellung hat sich u.E. durch die Aussagen des BGH im „Telekom III“-Urteil freilich nichts geändert; zutreffend Arnold/Aubel, ZGR 2012, 113, 149 m.w.N. 78 Vgl. dazu Rz. 29.82 ff. sowie etwa Technau, AG 1998, 445, 452 f. 79 Vgl. allgemein Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 9h; Vorpeil, IWB 2011, 527, 532. 80 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.133; Vorpeil, IWB 2011, 527, 529.
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f) Anwendbares Recht
35.47 Schließlich wird der Aussteller häufig klarstellen, dass er seiner Beurteilung die Annahme
zugrundegelegt hat, dass Regelungen und Verpflichtungen, die nicht dem deutschen Recht unterstehen, in vollem Umfang wirksam und durchsetzbar sind und andere Rechtsordnungen keinen Einfluss auf die Aussagen haben, die unter dem Blickwinkel des deutschen Rechts getroffen worden sind81.
7. Kostenfragen 35.48 Die Kosten für die Legal Opinion(s) sind in der Regel von dem Emittenten zu tragen.
Den Aufwand für die Legal Opinion des Underwriters’ Counsel wird dieser zwar zunächst seinem Mandanten belasten; doch wird dann häufig eine Weiterbelastung an den Emittenten erfolgen, der für die Kosten der Rechtsberatung der Konsortialbanken üblicherweise aufkommt82. Die Kosten für die Legal Opinion sind darin im Zweifel mit umfasst.
35.49 Gibt ein Anwalt im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion (nur) eine Legal Opinion ab,
so wird diese wegen der Bedeutung und des Haftungsrisikos häufig mit einem angemessenen Pauschalhonorar und nicht nach dem tatsächlich angefallenen Stundenaufwand abgerechnet83.
III. Disclosure Opinion 35.50 Insbesondere bei der Emission von Aktien wird die Legal Opinion regelmäßig durch die Disclosure Opinion ergänzt.
1. Gegenstand der Disclosure Opinion 35.51 Die Disclosure Opinion hat ihren Ursprung ebenfalls im US-amerikanischen Rechtskreis
und ist insbesondere bei Privatplatzierungen nach Rule 144A oder Börsennotierungen in den Vereinigten Staaten von Amerika von Bedeutung (vgl. dazu Rz. 45.163 ff.)84. Sie bildet dort für die Banken – wie bereits bei Rz. 35.10 angedeutet – ein formalisiertes Element der sog. Due Diligence Defense, die diese gegen die Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen von Anlegern vorbringen können. Anders als der Emittent haften die an der Emission beteiligten Banken nach US-Recht nämlich nur dann für Falschangaben über wesentliche Aussagen im Prospekt, wenn ihnen insoweit ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann. Die Disclosure Opinion dient den Banken dann zum Nachweis, dass es an einem Verschulden fehlt, weil ihnen die Anwälte auf Grundlage der von ihnen durchgeführten Due Diligence (vgl. dazu § 33) bestätigt haben, dass ihnen keine Um81 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 10; Döser in FS Nirk, 1992, S. 151, 156. 82 Allgemein zu Kostenfragen Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 12. 83 Thümmel in Münchener VertragsHdb., Bd. 4, Muster I 3, Anm. 12. 84 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 125, vgl. auch American Bar Association (Section of Business Law), Negative Assurance in Securities (2008 Revision), The Business Lawyer, Vol. 64, 2009, 395, 398.
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stände bekannt sind, dass der Prospekt wesentliche Falschangaben oder Auslassungen enthält85. Diese Verteidigung können die Banken im Grundsatz auch gegen eine Prospekthaftungsklage nach deutschem Recht führen (vgl. § 23 Abs. 1 WpPG), weshalb die Disclosure Opinion inzwischen auch bei rein deutschen Transaktionen ohne US-Element regelmäßig vorkommt. Zu der Frage, ob die Disclosure Opinion auch nach deutschem Recht als Due Diligence Defense ausreicht, s. Rz. 35.10.
35.52
In der deutschen Disclosure Opinion bestätigt der Anwalt, dass ihm nach seinem Verständnis der Propektverordnung und des Wertpapierprospektgesetzes und nach seiner Erfahrung mit der Anwendung dieser Gesetze keine Informationen bekannt sind, die Anlass zur Annahme geben würden, dass der Prospekt für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben enthält, die i.S.v. § 21 Abs. 1 i.V.m. § 5 WpPG unrichtig oder unvollständig sind86. Eine Aussage, der Prospekt sei in jeder Hinsicht richtig und vollständig, ist damit aber nicht verbunden (vgl. Rz. 35.59 f.).
35.53
Wegen ihres faktischen Hintergrunds und ihrer negativen Aussage ist die Disclosure Opinion der Sache nach eher mit dem Comfort Letter der Wirtschaftsprüfer vergleichbar als mit einer Legal Opinion87. Im US-amerikanischen Rechtskreis wird die Disclosure Opinion deshalb generell als Negative Assurance Letter (und nicht als Opinion) bezeichnet88.
35.54
Die Disclosure Opinion wird ebenso wie die Legal Opinion in der Regel nur zugunsten der Konsortialbanken und auf der Grundlage der zum Zeitpunkt ihrer Abgabe bestehenden Rechtslage abgegeben. Auch sie darf ohne vorherige schriftliche Zustimmung nicht an andere Personen als die Adressaten weitergegeben werden. Häufig dürfen jedoch an der Transaktion beteiligte Rechtsanwälte anderer Länder im Rahmen der Abgabe ihrer Disclosure Opinion auf die jeweilige Disclosure Opinion des anderen Anwalts vertrauen89.
35.55
2. Abgabezeitpunkt(e) Die Disclosure Opinion wird in der Regel auf den Prospekt in der gebilligten, also zumeist deutschsprachigen, Fassung abgegeben. Existiert neben dieser eine weitere, für ein internationales Angebot erstellte Fassung (zumeist in englischer Sprache, sog. international offering circular), wird die Disclosure Opinion regelmäßig auch auf das international offering circular abgegeben90. Die Abgabezeitpunkte für die Disclosure Opinion gleichen im Wesentlichen denjenigen der Legal Opinion (s. dazu Rz. 35.11), wobei zu einzelnen dieser Zeitpunkte auch die Abgabe nur einer Legal Opinion bzw. nur einer Disclosure Opinion in Betracht kommt. Ebenso wie die Legal Opinion wird die Disclosure Opinion an den einzelnen Ab85 Braverman, 17 Northwestern Journal of International Law and Business, 30, 46; Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 127. 86 Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.167 ff. 87 Rowe, Due diligence with respect to the „10B–5 opinion“, Practising Law Institute, 173, 174; Krämer/Gillessen in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 10.167. 88 Rowe, Due diligence with respect to the „10B–5 opinion“, Practising Law Institute, 173, 175; American Bar Association (Section of Business Law), Negative Assurance in Securities (2008 Revision), The Business Lawyer, Vol. 64, 2009, 395, 398. 89 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 129. 90 Harrer in Beck’sches Hdb. AG, § 25 Rz. 126.
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§ 35 | Legal Opinion und Disclosure Opinion
gabezeitpunkten i.d.R. erst nach beanstandungsfreier Durchführung eines Bring Down Due Diligence Call abgegeben (s. auch Rz. 35.11). Im Zuge der Securities Offering Reform bezieht sich die Disclosure Opinion auch auf den Zeitpunkt der Kaufbestätigung, dem sog. Time of Sale, an dem nach US-Recht die Haftung der Banken beginnt91.
3. Aussteller der Disclosure Opinion 35.57 Ist die Emission der Wertpapiere mit einer Privatplatzierung nach Rule 144A verbunden,
werden die Banken in den meisten Fällen sowohl von den beratenden deutschen als auch von den US-amerikanischen Rechtsanwälten eine Disclosure Opinion verlangen. Im Einzelfall kann diese jedoch auch nur durch einen der beteiligten Rechtsberater abgegeben werden, wenn nur dieser in dem für die Abgabe erforderlichen Umfang in die Due Diligence Prü