Unternehmen und Sicherheit: Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 3515111298, 9783515111294

Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen wird unter verschiedenen Prämissen diskutiert: Dabei muss sich unter

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INHALTSVERZEICHNIS
TABELLEN- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1 FRAGESTELLUNG UND THEMATISCHE EINGRENZUNG
1.2 METHODISCHER ZUGANG: DAS UNTERNEHMEN IM ZENTRUM
1.3 FORSCHUNGSSTAND UND QUELLENBASIS
1.4 AUFBAU DER UNTERSUCHUNG
2. DIE ANFÄNGE DES MODERNEN ARBEITSSCHUTZES: BETRIEBLICHE UNFALLVERHÜTUNG ZWISCHEN RATIONALISIERUNG UND IDEOLOGISIERUNG (1920 BIS 1945)
2.1 UNTERNEHMEN UND ARBEITSSCHUTZRECHT BIS 1945
2.2 DAS NEUE NETZWERK DER BETRIEBLICHEN SICHERHEITSORGANISATION
2.3 NEUE MASSNAHMEN DER BETRIEBLICHEN UNFALLVERHÜTUNGSPROPAGANDA
3. KONTINUITÄT UND AUSBAU: ZUR FORMALISIERUNG DES BETRIEBLICHEN ARBEITSSCHUTZES (1945 BIS CA. 1969)
3.1 WIEDERAUFBAU, ENTFLECHTUNG UND MITBESTIMMUNG SEIT 1945
3.2 UNFALLENTWICKLUNG IM KONJUNKTURZYKLUS?
3.3 DIE VERNETZUNG DER BETRIEBLICHEN AKTEURE IM ARBEITSSCHUTZ
3.4 ALTE UND NEUE WEGE ZWISCHEN SCHUTZ, ANREIZ UND WERBUNG IN DER BETRIEBLICHEN UNFALLVERHÜTUNG
3.5 IM INTERESSE DER ARBEITNEHMER? MITBESTIMMUNG IM BETRIEBLICHEN ARBEITSSCHUTZ
4. NEUE ZIELE IM ARBEITSSCHUTZ: ZUR „PROGRAMMIERTE[N] ARBEITSSICHERHEIT“ UND „HUMANISIERUNG DER ARBEIT“ (1970ER BIS 1980ER JAHRE)
4.1 WANDEL DER ARBEITSWELT
4.2 SINKENDE UNFALLZAHLEN ALS INDIKATOR VON „SICHERHEIT“ IM BETRIEB?
4.3 VOM „SCHUTZ“ ZUR „SICHERHEIT“: SYSTEMATISIERUNG UND NEUORDNUNG DER BETRIEBLICHEN UNFALLVERHÜTUNG
4.4 ARBEITSSCHUTZ ALS NETZWERK BETRIEBLICHER ARBEITSSICHERHEIT, ARBEITSGESTALTUNG UND GESUNDHEITSSCHUTZ
4.5 ÖFFENTLICHER DISKURS UND FORSCHUNGSFÖRDERUNG ALS ANREIZ BETRIEBLICHER ARBEITSGESTALTUNG
5. ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNG
5.1 BETRIEBLICHER ARBEITSSCHUTZ IM VERFLECHTUNGSPROZESS: VON DER UNFALLVERHÜTUNG ZUM GESUNDHEITSSCHUTZ
5.2 MOTIVE UNTERNEHMERISCHEN HANDELNS IM ARBEITSSCHUTZ
6. ANHANG
6.1 TABELLEN
6.2 ABBILDUNGEN
7. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
7.1 UNGEDRUCKTE QUELLEN
7.2 SERIELLE QUELLENAUSWERTUNG
7.3 INTERNETQUELLEN
7.4 GEDRUCKTE QUELLEN UND SEKUNDÄRLITERATUR
8. REGISTER
8.1 PERSONEN
8.2 FIRMEN
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Unternehmen und Sicherheit: Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945
 3515111298, 9783515111294

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Nina Kleinöder

Unternehmen und Sicherheit Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945

Geschichte Franz Steiner Verlag

VSWG – Beiheft 234

Nina Kleinöder Unternehmen und Sicherheit

vierteljahrschrift für sozialund wirtschaftsgeschichte – beihefte Herausgegeben von Günther Schulz, Jörg Baten, Markus A. Denzel und Gerhard Fouquet

band 234

Nina Kleinöder

Unternehmen und Sicherheit Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Kokillenguss im Stahlwerk Peine der Ilseder Hütte AG, 1960 Quelle: Salzgitter AG-Konzernarchiv, Fotograf Helmut Trexler Die Dissertation wurde unter dem Titel „Betrieblicher Arbeitsschutz in der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie im 20. Jahrhundert. Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse“ an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf eingereicht. D61 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Satz: DTP + TEXT Eva Burri Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11129-4 (Print) ISBN 978-3-515-11131-7 (E-Book)

DANK Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Oktober 2013 an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereicht habe. Nach einer intensiven Arbeits- und Lebensphase ist die Zeit gekommen, die Unterstützer zu würdigen, ohne deren Hilfe diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Ganz besonders bedanke ich mich bei meiner Betreuerin Frau Professor Dr. Susanne Hilger für die langjährige Begleitung, die mich sowohl fachlich als auch organisatorisch immer bestärkt hat. Mein Dank geht ebenso an Professor Dr. Jörg Vögele, der das Zweitgutachten übernommen hat. Die finanzielle Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes hat mir die Ruhe und Zeit verschafft, ein solch umfangreiches Projekt zu bewältigen. Dafür bedanke ich mich an dieser Stelle ebenso wie für den großzügigen Druckkostenzuschuss durch die Messe Düsseldorf GmbH, der die Veröffentlichung in diesem Rahmen erst möglich gemacht hat. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Beihefte“ bedanke ich mich bei den Herausgebern, bei Martina Leiber für das sprachliche Lektorat und beim Team des Steiner Verlages für die kompetente Betreuung bei der Drucklegung. Insgesamt boten sich mir zahlreiche Gelegenheiten zum fachlichen Austausch auch über den Tellerrand des oft so engen eigenen Forschungsgegenstandes hinaus. Stellvertretend bin ich den Mitgliedern des Arbeitskreises für Unternehmens-, Technik- und Organisationsgeschichte sowie meinem langjährigen Kollegen Thorsten Halling zu besonderem Dank verpflichtet. Auch den zahlreichen Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken fühle ich mich verbunden, auf deren Hilfsbereitschaft ich mich immer verlassen konnte und die mir beträchtliche Aktenberge und große Mengen an Literatur bereitstellten. Abschließend gilt mein Dank meiner Familie und meinen Freunden, die mich alle auf ihre ganz persönliche Art durch die Höhen und Tiefen der Promotionsphase getragen haben. Besonders dankbar bin ich meinen Eltern für die unermüdliche Unterstützung bis zum Schluss sowie meinem Mann, der mich über die gesamte Zeit bedingungslos und geduldig begleitet hat. Ihnen widme ich dieses Buch. Oberhausen im Frühjahr 2015

Nina Kleinöder

INHALTSVERZEICHNIS Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ...........................................................

13

Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................

17

1.

Einleitung ........................................................................................

21

1.1

Fragestellung und thematische Eingrenzung....................................

22

1.2

Methodischer Zugang: Das Unternehmen im Zentrum....................

31

1.3

Forschungsstand und Quellenbasis ..................................................

39

1.4

Aufbau der Untersuchung ................................................................

46

2.

Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes: Betriebliche Unfallverhütung zwischen Rationalisierung und Ideologisierung (1920 bis 1945) .....................................................

49

2.1 2.1.1 2.1.2

Unternehmen und Arbeitsschutzrecht bis 1945................................ 50 Die Entwicklung der Unternehmen bis zum Zweiten Weltkrieg...... 50 Die Regulierung des Arbeitsschutzes in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus .................................................................... 52

2.2

Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation .................................................................... Die Kosten der Unfälle: Erfassung und Bewertung von Unfallzahlen in den Unternehmen.................................................... Steigende Unfälle in den Unternehmen ........................................... Die Unfallhäufigkeit während des Krieges ...................................... Neue Akteure in der betrieblichen Unfallverhütung ........................ Innerbetriebliche Organisation der Unfallverhütung über Zentralstellen und Sicherheitsingenieure ................................. Unfallvertrauensleute als Vertreter der Belegschaft ......................... Neuordnung des betrieblichen Arbeitsschutzes im Nationalsozialismus? ..................................................................

2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 2.3 2.3.1

Neue Maßnahmen der betrieblichen Unfallverhütungspropaganda ........................................................... „Safety First“: Amerikanisierung der Unfallverhütung in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie ..........................................

54 55 55 57 60 60 63 65 67 67

8

2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3

Inhaltsverzeichnis

Medien und Rezeption der Unfallverhütungswerbung in der betrieblichen Praxis .................................................................... Koordination im Arbeitsschutz über nationale Unfallverhütungsaktionen ................................................................ Werkszeitschriften ............................................................................ Unfallverhütungsfilme......................................................................

72 72 74 78

3.

Kontinuität und Ausbau: Zur Formalisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes (1945 bis ca. 1969) .......................

3.1 3.1.1

Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945 ............ Die Unternehmen zwischen Wiederaufbau, ökonomischer Prosperität und Konzentrationsprozessen ........................................ Der Wiederaufbau in den Unternehmen ........................................... Rekonstruktion montanindustrieller Strukturen in den 1950er Jahren............................................................................. Arbeitsproduktivität, Rationalisierung und Fusionen in den 1960er Jahren............................................................................. Die Entwicklung des legislativen Arbeitsschutzes bis zum Maschinenschutzgesetz (1968) ........................................................

81

Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus? ....................................... Die Unfallentwicklung im Unternehmensvergleich ......................... Die Unfälle in der Nachkriegszeit .................................................... Steigende Unfallzahlen als Folge der Lohnfortzahlung? ................. Gegen den Trend? Unfallzahlen in der Hochkonjunktur der 1960er Jahre ............................................................................... Betriebliche Unfallursachenanalyse und Unfallkosten .................... Ein „Gastarbeiterproblem“? ............................................................. Die Ausweitung der Unfallursachenanalyse .................................... Vorbild Amerika I: Die Frage der direkten und indirekten Unfallkosten ..................................................................................... Interbetriebliche Anbindung: Die Ausweitung der Kostenanalyse durch die EGKS ............................................................................... Ergebnisse der differenzierten statistischen Unfallanalyse ..............

92 93 93 95

3.1.1.1 3.1.1.2 3.1.1.3 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.2.2.5 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2

Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz ........... Professionalisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes ................... Die erweiterte innerbetriebliche Organisation des Arbeitsschutzes................................................................................. Arbeitsschutz oder Arbeitsmedizin? Der Ausbau der werksärztlichen Dienststellen nach 1945 ............... Arbeitsschutz als Aufgabe von Führungskräften ............................. Formalisierung der überbetrieblichen Zusammenarbeit .................. Vorbild Amerika II: Reisende als Transmitter .................................. Formalisierung und Professionalisierung über die Fachverbände ...

81

81 82 84 86 89

99 104 104 106 110 112 114 116 116 117 120 124 126 130 137

Inhaltsverzeichnis

3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3

Europäisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes über die EGKS .. Gremienarbeit und Forschungsprogramme bei der EGKS .............. Nationale Disparität zwischen Wirtschaftlichkeit und Humanität ... Die Ausbildung von Forschungsnetzwerken im ersten Rahmenprogramm der EGKS ................................................

3.4

Alte und neue Wege zwischen Schutz, Anreiz und Werbung in der betrieblichen Unfallverhütung ............................................... Die Verbreitung der persönlichen Schutzausrüstung........................ Schutzhelme ..................................................................................... Sicherheitsschuhe ............................................................................. Wiederbelebte Anreizsysteme im Arbeitsschutz .............................. Prämienwettbewerbe bei der HOAG................................................ Vorbilder und Nachahmer im Arbeitsschutzwettbewerb .................. Alte Darstellungen im neuen Format: Medien des betrieblichen Arbeitsschutzes ....................................... Werkszeitschriften ............................................................................ Filme und Ausstellungen .................................................................. Eine Neuausrichtung der betrieblichen Unfallverhütung? ...............

3.4.1 3.4.1.1 3.4.1.2 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.2 3.4.3 3.4.3.1 3.4.3.2 3.4.3.3 3.5 3.5.1 3.5.1.1 3.5.1.2 3.5.2 3.5.2.1 3.5.2.2 3.5.2.3 3.5.3 3.5.3.1 3.5.3.2 3.5.3.3

Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz .............................. Die Arbeitnehmervertretung im Arbeitsschutz................................. Die wachsende Gremienstruktur im Arbeitsschutz .......................... Die Sonderrolle der Eisen- und Stahlindustrie ................................. Arbeitsdirektoren „als Schrittmacher“ im betrieblichen Arbeitsschutz .................................................................................... Die „Düsseldorfer Philippika“ ......................................................... Die Arbeitsschutzdebatte unter den Arbeitsdirektoren ..................... Das Arbeitsschutznetzwerk von Karl Strohmenger ......................... Die Rolle der IG Metall für den betrieblichen Arbeitsschutz........... Die IG Metall und die HOAG .......................................................... Der Aufbau einer eigenen Arbeitsschutz-Programmatik bei der IG Metall .................................................................................... Die Interaktion zwischen Arbeitsdirektoren und Gewerkschaft ......

9

145 146 150 152 158 158 160 164 169 169 174 176 176 182 185 186 187 188 190 192 196 199 203 205 205 208 210

4.

Neue Ziele im Arbeitsschutz: Zur „Programmierte[n] Arbeitssicherheit“ und „Humanisierung der Arbeit“ (1970er bis 1980er Jahre)............................................................... 213

4.1 4.1.1 4.1.1.1 4.1.1.2

Wandel der Arbeitswelt .................................................................... Die Unternehmen in Krise und Konzentration................................. Stahlkrise und technischer Wandel................................................... Die wirtschaftliche und organisatorische Entwicklung in den Unternehmen ......................................................................... Vom nationalen Arbeitssicherheitsgesetz (1973/74) zur europäischen Harmonisierung im Arbeitsschutz (1986/1989) .........

4.1.2

214 214 215 217 219

10

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.3 4.4.2.4 4.4.3 4.4.3.1 4.4.3.2 4.4.3.3

Inhaltsverzeichnis

Sinkende Unfallzahlen als Indikator von „Sicherheit“ im Betrieb? ....................................................................................... Unfallzahlen im Branchenvergleich ................................................. Die Unfallzahlen im Unternehmensvergleich .................................. Die Unfallentwicklung in der Eisen- und Stahlindustrie ................. Vom „Schutz“ zur „Sicherheit“: Systematisierung und Neuordnung der betrieblichen Unfallverhütung ............................................................................... Zentralisierung der Arbeitssicherheit im Konzentrationsprozess..... Die werksübergreifende Vernetzung bei Krupp ............................... Vernetzung durch Fusionen bei Hoesch und Thyssen ...................... Unternehmenskonzentration als Motor des betrieblichen Arbeitsschutzes................................................................................. Über die freiwillige Arbeitsschutzorganisation hinaus: Die Einführung des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) 1973/74..... Quantitative Auswirkungen des ASiG.............................................. Macht oder Antizipation? Das ASiG als Gegenstand betrieblicher Interessenpolitik................ Das ASiG als Ergebnis einer erfolgreichen Vernetzungsstrategie.... Effizienz durch Standardisierung: Die Lösung der betrieblichen Unfallfrage? ...................................... Die Komplexität von Sicherheitsrisiken und die Einführung einer neuen Sicherheitsmethodik ..................................................... Arbeitsplatz-Sicherheitsanalysen bei der ATH................................. „Programmierte Sicherheit“ in der Eisen- und Stahlindustrie?........ Arbeitsschutz als Netzwerk betrieblicher Arbeitssicherheit, Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz........................................ Betriebsärzte als Akteure gesundheitlicher Prävention .................... Ergonomen als betriebliche Experten für Arbeitswissenschaft ........ Die Verbreitung der „Ergonomie“ in der Eisen- und Stahlindustrie.................................................................................... Belastungen am Arbeitsplatz: Die Verbindung von Umwelt- und Arbeitsschutz............................. Ergonomen zwischen Sicherheitsingenieuren und Betriebsärzten... Das Ergonomiezentrum in Salzgitter als Vorbild für die Eisen- und Stahlindustrie? .......................................................... Interdisziplinäre Verflechtung durch neue Expertengremien ........... Der ergonomische Erfahrungsaustausch bei FKH ........................... Ergonomische Netzwerke in den Unternehmen ............................... Überbetriebliche Arbeitsgestaltung in der Eisenund Stahlindustrie.............................................................................

222 222 223 229

231 232 234 236 239 239 240 244 249 252 253 256 260 261 262 265 266 268 271 273 276 277 280 283

Inhaltsverzeichnis

4.5 4.5.1 4.5.1.1 4.5.1.2 4.5.1.3 4.5.2 4.5.2.1 4.5.2.2 4.5.2.3

Öffentlicher Diskurs und Forschungsförderung als Anreiz betrieblicher Arbeitsgestaltung......................................................... Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung im Fokus der Gesellschaft: „Humanisierung der Arbeitswelt“ .................................................... Das Programm „Humanisierung der Arbeitswelt“ ........................... Strukturen und Motive unternehmerischer Forschungsbeteiligung ..................................................................... Öffentliche Kritik und Ergebnisse der Humanisierungsforschung................................................................ Betriebliche Verbundforschung als Beitrag zur europäischen Harmonisierung im Arbeits- und Gesundheitsschutz ....................... Ergonomieprogramme der EGKS zwischen wissenschaftlich-institutioneller Forschung und betrieblicher Praxis........................................................................... Verflechtung der ergonomischen Forschung in den 1980er Jahren............................................................................. Umfang und Folgen der ergonomischen Forschungskooperationen.................................................................

11

288 288 289 290 296 300 301 305 308

5.

Abschließende Betrachtung........................................................... 311

5.1

5.1.4

Betrieblicher Arbeitsschutz im Verflechtungsprozess: Von der Unfallverhütung zum Gesundheitsschutz ........................... Unfallverhütung in der Zwischenkriegszeit ..................................... Der Ausbau des Arbeitsschutzes in den 1950er und 1960er Jahren ................................................................................... Arbeitssicherheit, „Humanisierung“ und Gesundheitsschutz seit den 1970er Jahren ...................................................................... Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz ....................

5.2 5.2.1 5.2.2

Motive unternehmerischen Handelns im Arbeitsschutz ................... 322 Unternehmerische Pionierarbeit und staatliche Regulierung ........... 322 Motivkonglomerat im betrieblichen Arbeitsschutz .......................... 324

6.

Anhang ............................................................................................ 327

6.1

Tabellen ............................................................................................ 327

6.2

Abbildungen ..................................................................................... 341

7.

Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................... 347

7.1

Ungedruckte Quellen........................................................................ 347

7.2

Serielle Quellenauswertung.............................................................. 348

7.3

Internetquellen.................................................................................. 351

7.4

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur ........................................ 351

5.1.1 5.1.2 5.1.3

311 313 314 317 320

12

Inhaltsverzeichnis

8.

Register............................................................................................ 381

8.1

Personen ........................................................................................... 381

8.2

Firmen .............................................................................................. 382

TABELLEN- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS TABELLEN Tab. 1: Unfallzahlen der HWBG, 1919–1938 .............................................. Tab. 2: Entwicklung der Beschäftigten und der Rohstahlgewinnung im Ruhrgebiet, 1950 und 1961 ......................................................... Tab. 3: Unternehmensübersicht bis ca. 1969................................................ Tab. 4: Unfallentwicklung Werk Hörde, 1947–1954 ................................... Tab. 5: Unfallhäufigkeits- und Rohstahlproduktionsverlauf in der Eisenund Stahlindustrie, 1950–1959......................................................... Tab. 6: 1.000-Mann-Quote der Hüttenwerke in der BRD, 1961–1968 ........ Tab. 7: Unfallhäufigkeit im Unternehmensvergleich, HWBG und Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, 1959–1970 ....... Tab. 8: Kosten der Abteilung Sicherheitswesen (ATH-Bereich), 1958/59... Tab. 9: Unfallhäufigkeit bei den Gesellschaften der Hoesch AG, 1972 und 1982 im Vergleich ..................................................................... Tab. 10: Meldepflichtige Unfälle und Berufserkrankungen je 1.000 Belegschaftsmitgliedern bei der TN AG, 1972/73–1977/78.............................................................................. Tab. 11: Unfallgeschehen der Thyssen AG, 1970/71–1980/81 ...................... Tab. 12: Unfallgeschehen der FKH, 1972–1981 ............................................ Tab. 13: Meldepflichtige Betriebsunfälle der Lohnbelegschaft gemäß Unfallstatistik der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Unfallhäufigkeit, 1979 und 1980 im Vergleich ........ Tab. 14: Meldepflichtige Betriebsunfälle der Gesamtbelegschaft gemäß Unfallstatistik der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Unfallhäufigkeit, 1980 ............................................. Tab. 15: Unternehmensvergleich der Sicherheitsfachkräfte, 1971................. Tab. 16: Unfallentwicklung Dortmunder Union, 1913–1936 ........................ Tab. 17: Unfallentwicklung GHH, Oberhausener Hüttenwerke, 1924–1935 ........................................................................................ Tab. 18: Unfallentwicklung Thyssenhütte, 1927–1940.................................. Tab. 19: Unfallentwicklung Krupp, Friedrich-Alfred-Hütte, 1930–1945 ...... Tab. 20: Produktions- und Beschäftigungsübersicht für die Eisenund Stahlindustrie, BRD und NRW, 1936–1960 .............................. Tab. 21: Produktions- und Beschäftigungsübersicht für die Eisenund Stahlindustrie, NRW, 1961–1990 .............................................. Tab. 22: Produktions- und Beschäftigungsübersicht für ausgewählte Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie, 1959–2010................. Tab. 23: Unfälle je 1.000 Beschäftigte/Versicherte im Unternehmensvergleich, 1950–1959 ................................................

55 85 88 94 99 101 103 160 224 225 227 228 230 230 241 327 327 328 328 329 330 331 333

14

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab. 24: Häufigkeitsraten der angezeigten und tödlichen Arbeitsunfälle der 14 Berufsgenossenschafts-Gruppen, 1950–1960 ....................... Tab. 25: Häufigkeit der angezeigten Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter nach Gruppen der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1961–1970 ........................................................................................ Tab. 26: Unfallentwicklung der Eisen- und Stahlindustrie im internationalen Vergleich (EGKS), 1960/61 .................................... Tab. 27: Kosten der ausgegebenen Arbeitsschutzartikel im ATH-Bereich, 1958/59 ............................................................................................. Tab. 28: Meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter nach gewerblicher Berufsgenossenschaft, 1969–2011 ............................. Tab. 29: Entwicklung der Unfallquote und Ausfallzeiten in der Eisenund Stahlindustrie, 1956–2010......................................................... Tab. 30: Unfallhäufigkeit (meldepflichtige Unfälle) der Konzerne und Gesellschaften im Vergleich, 1970–1980 .........................................

334 336 337 337 338 339 340

ABBILDUNGEN Abb. 1: Unfallhäufigkeit in der Eisen- und Stahlindustrie und den gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1956–2010 ......................... Abb. 2: Entwicklung der Unternehmen im 20. Jahrhundert ......................... Abb. 3: Übersicht zur betrieblichen Arbeitssicherheit (schematische Darstellung, Auswahl) .............................................. Abb. 4: Unfallschutz-Zentrale Oberhausen, 1936 ......................................... Abb. 5: Schematische Darstellung des betrieblichen Arbeitsschutzes in der Eisen- und Stahlindustrie, Ende der 1920er Jahre (Auswahl) ......................................................................................... Abb. 6: Organisationsplan der HOAG, Werk Oberhausen, vom 4.9.1968 (Auswahl) .................................................................. Abb. 7: Akteure der betrieblichen Arbeitsschutztagungen (schematische Darstellung) .............................................................. Abb. 8: Funktionsplan „Sicherheitswesen“, HWR, ca. 1962 ........................ Abb. 9: Entstehungszusammenhang der Richtlinie für den Einsatz von Sicherheitsingenieuren und die Einrichtung eines Hauptausschusses „Arbeitssicherheit“ der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, 1957 (schematische Darstellung) ........... Abb. 10: Ausschusswesen der Arbeitssicherheit bei der EGKS, ca. 1954–1965 (schematische Darstellung, Auswahl)...................... Abb. 11: Institutionelle und personelle Verbindungen im Rahmen der EGKS-Forschung, ca. 1957–1966 (schematische Darstellung, Auswahl) ..............................................

27 29 37 61 63 119 126 129

143 147 154

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abb. 12: Deutsche Unternehmensvertreter im Allgemeinen Ausschuss für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie, 1970–1980 (schematische Darstellung, Auswahl) .............................................. Abb. 13: „Vati, das passiert Dir nicht wieder!“ ............................................... Abb. 14: „Jupp und Egon“ .............................................................................. Abb. 15: Sicherheitsschuh in der Oberhausener Arbeitsschutzausstellung (HOAG), 1970.................................................................................. Abb. 16: Institutionelles Netzwerk zur Arbeitsschutzfrage von Arbeitsdirektor Strohmenger, ca. 1957–1962 (Auswahl) ................ Abb. 17: Egozentriertes Netzwerk Karl Strohmengers zur Arbeitsschutzfrage, ca. 1957–1962 (Auswahl) ................................ Abb. 18: Rückkopplung der Ergebnisse der Durchführungsund Wirkungskontrollen ................................................................... Abb. 19: Ergonomie-Messwagen Stahlwerke Peine-Salzgitter AG, 1986 ...... Abb. 20: Organisatorische Zuordnung des gemeinsamen Unterausschusses „Ergonomie“ (Wirtschaftsvereinigung und VDEh), 1973 ............... Abb. 21: EGKS-Projekt an der Stranggießanlage im Hüttenwerk Huckingen, 1981–1985 (schematische Darstellung)........................ Abb. 22: Zeitleiste des betrieblichen Arbeitsschutzes in der Eisenund Stahlindustrie, ca. 1920–1990 (Auswahl) ................................. Abb. 23: Übersicht zur betrieblichen Arbeitssicherheit in der Eisenund Stahlindustrie (schematische Darstellung, Auswahl) ................ Abb. 24: Übersicht der Forschungsprogramme für Arbeitsmedizin, Arbeitshygiene und Arbeitssicherheit der EGKS (31.12.1966) ....... Abb. 25: Organisationsplan der Sicherheitsabteilung bei der HOAG, 1957... Abb. 26: Innerbetriebliche Kommunikation in der Mitbestimmung, 1965 (schematische Darstellung) .............................................................. Abb. 27: Informationsbeziehungen im Bereich des Arbeitsdirektors, Thyssen Niederrhein, 1973 (Schematische Darstellung) ................. Abb. 28: Arbeitssicherheitssystematik: Auslösekriterien und Methodiken, 1973 (schematische Darstellung) .....................................................

15

156 166 179 183 193 204 255 274 286 307 312 321 341 342 343 344 345

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS A+A Abb. Abt. AdsD AFL AG AHCE AK ArbSchG Arbeitsstd. ASiG ATH Aufl. BAK BASF BAU Bd./Bde. BDA betr. BetrVG Bl. BMAS BMFT BRD bzw. ca. CECA CfP CSR DAF DDR ders./dies. DGB DHHU DHHV DINTA DIN Diss. DM EDV EEA EG EGKS EO etc. EU e. V.

Internationaler Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Abbildung Abteilung Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung American Federation of Labor Aktiengesellschaft Archives Historiques de la Commission Européenne Arbeitskreis Arbeitsschutzgesetz Arbeitsstunde/-n Arbeitssicherheitsgesetz August Thyssen-Hütte Auflage Bundesarchiv, Koblenz Badische Anilin- und Sodafabrik Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallverhütung Band/Bände Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände betreffend Betriebsverfassungsgesetz Blatt/Blätter Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerien für Forschung und Technologie Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise circa Communauté européenne du charbon et de l’arcier Call for Papers Corporate Social Responsibility Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik der-/dieselbe/n Deutscher Gewerkschaftsbund Dortmund-Hörder Hüttenunion Dortmund-Hörder Hüttenverein Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung Deutsches Institut für Normung Dissertation Deutsche Mark elektronische Datenverarbeitung Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft/-en Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Eisenhütte Oberhausen et cetera (und so weiter) Europäische Union eingetragener Verein

18 f. FAH FAZ FKH FNA FSchr. Gesolei GHH HAK HdA Hg. HOAG Hoe HWBG HWR i. A. IGMA/IG Metall ILO Kgf. LAV NRW Lohnbesch. MA MAGS MAK MAN Map. MaSchG Mio. Mrd. NO NRW/NW NS o. Ä. o. D. o. J. o. O. PSA REFA RKW RUWo RWWA S. SI SIT SPD SVR t Tab. TKA TNO TÜV u. a. Uh

Abkürzungsverzeichnis folgende Friedrich-Alfred-Hütte Frankfurter Allgemeine Fried. Krupp Hüttenwerke Fachnormenausschuss Firmenschrift Große Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen Gutehoffnungshütte Historisches Archiv Krupp Humanisierung des Arbeitslebens/der Arbeitswelt Herausgeber Hüttenwerk Oberhausen Aktiengesellschaft Hoesch Hütten- und Walzwerksberufsgenossenschaft Hüttenwerk Rheinhausen im Auftrag Industriegewerkschaft Metall International Labour Organization/Internationale Arbeitsorganisation Kriegsgefangene/-r Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Lohnbeschäftigte(r) Salzgitter AG-Konzernarchiv/Mannesmann-Archiv Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Maximale-Arbeitsplatz-Konzentration Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Mappe Maschinenschutzgesetz Million/-en Milliarde/-n Neu-Oberhausen Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus oder Ähnliches ohne Datum ohne Jahr ohne Ort Persönliche Schutzausrüstung Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft Reichsunfallverhütungswoche Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Seite/-n Sicherheitsingenieur/-e Archiv der Stiftung zur Industriegeschichte Thyssen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk Tonne/-n Tabelle/-n ThyssenKrupp Konzernarchiv Thyssen Niederrhein Oberhausen Technischer Überwachungs-Verein und andere/unter anderem Unfallhäufigkeit, Unfälle bezogen auf die Arbeitsstunden

Abkürzungsverzeichnis URL USA usw. UV UVNG UVV v. a. VDEh VDI VDRI VDSI VoC vorm. VSt WAZ WHO WO WVE z. B. z. T. ZefU

Uniform Resource Locator United States of America und so weiter Unfallverhütung Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz Unfallverhütungsvorschrift vor allem Verein Deutscher Eisenhüttenleute Verein Deutscher Ingenieure Verein Deutscher Revisions-Ingenieure Verein/Verband Deutscher Sicherheitsingenieure Varieties of Capitalism vormals Vereinigte Stahlwerke AG Westdeutsche Allgemeine Zeitung World Health Organization Walzwerk Oberhausen Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl zum Beispiel zum Teil Zentralstelle für Unfallverhütung

19

1. EINLEITUNG „Gerade die Höhe der durchschnittlichen Kosten je Unfall sollte Veranlassung geben, der Unfallverhütung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die hohen Unfallkosten zeigen, daß es allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen ‚lohnt‘, Unfälle zu verhüten.“1

Der Wandel der Arbeitswelt von der Fabrikarbeit des 19. Jahrhunderts zum vollautomatisierten Betrieb des 20. Jahrhunderts wird an der Eisen- und Stahlindustrie besonders deutlich, und insbesondere der Arbeitsschutz bildet diesen Wandel über die Technisierung und Automation hinaus eindrücklich ab.2 Der Arbeitsschutz kann dabei als ständiger Begleiter der Industriearbeit betrachtet werden: zunächst als „natürliche Risiken“3 in der Fabrikarbeit im 19. Jahrhundert, über die technische Unfallverhütungsarbeit mit Maschinen- und Körperschutz seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zu umfassenden Fragen des qualitativen Arbeitseinsatzes im Betrieb, beispielsweise im Kontext der Bewegung „Humanisierung der Arbeit“ seit den 1970er Jahren. Dabei ging es gerade auch aus unternehmenshistorischer Sicht nicht nur um die Verminderung menschlichen Leids aufgrund des Verlusts der Arbeitskraft als individuelle Existenzgrundlage, sondern zunehmend auch um den kostenverursachenden Aspekt der Betriebsunfälle, also um das Spannungsfeld zwischen Zusatzkosten und Kostenreduzierung durch Unfallverhütungsmaßnahmen.4 Wie begegneten die Unternehmen dem Problemfeld „Unfall“? Das eingangs genannte Zitat zeigt die Bedeutung der Frage nach den Unfallkosten im Arbeitsschutzdiskurs: Die Studie des Ausschusses für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie zählte zu den ersten ihrer Art in der Bundesrepublik Deutschland. Zu Beginn der 1950er Jahre wurden die Unfälle und ihre Kosten in sechs anonymisierten Werken der westdeutschen Eisen- und Stahlbranche untersucht.5 Die durch viele Faktoren beeinflusste Berechnung der Unfallkosten wurde in den folgenden Jahrzehnten konsequent fortgeführt bzw. revidiert. Zwar können die Folgekosten etwa über die Kranken- bzw. Unfallversicherung mindestens teilweise externalisiert werden. Gleichzeitig müssen die Ausgaben für die Unfallverhütungsorganisation und -maßnahmen von den Unternehmen selbst getragen werden, die sich dadurch auch immer wieder einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen.6 Nach wie vor werden Arbeitsunfälle immer als Kostenfaktor sowohl

1 2 3 4 5 6

Brinkmann u. a., Die direkten und indirekten Kosten, S. 21. Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher, insbesondere S. 21–33. Milles, „Künstliche“ und „natürliche“ Risiken. Vgl. in ersten Ansätzen für die Eisen- und Stahlindustrie Steinisch, Arbeitszeitverkürzung, S. 124; Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 284. Vgl. Brinkmann u. a., Die direkten und indirekten Kosten. Vgl. Schürmann, Regulierung der Silikose, S. 245.

22

1. Einleitung

für die betriebswirtschaftliche Analyse als auch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen herangezogen.7 So bezifferte beispielsweise der Thyssen-Konzern 1970 für seine August Thyssen-Hütte (ATH) über 630.000 unfallbedingte Ausfallstunden mit einem wirtschaftlichen Gesamtverlust von fast 34 Mio. DM., „beinahe ein Prozent des gesamten Umsatzes der ATH.“8 Auch im Hoesch-Konzern wurden die Einsparungen von rund 450 DM je vermiedenem Unfall (Lohn, Lohnnebenkosten, Arbeitsplatzkosten, Aufschlag der Berufsgenossenschaft) in den Vergleichsjahren 1982 und 1984 mit einer Reduzierung von insgesamt fast 11.000 Ausfalltagen, also Einsparungen von rund 5 Mio. DM, berechnet.9 Aktuell misst der Arbeitsschutzbericht des Bundesarbeitsministeriums die wirtschaftlichen Auswirkungen der jährlichen Unfälle am Ausfall der Arbeitstage und den Konsequenzen für die Bruttowertschöpfung: Für das Jahr 2011 wurden statistisch rund 460 Mio. Arbeitsunfähigkeitstage ermittelt, dies entspricht rund 13 Tagen je Arbeitnehmer. Insgesamt schätzt das Ministerium den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf rund 80 Mrd. Euro, also auf über drei Prozent des Bruttonationaleinkommens.10 Auch wenn hier die genannten Werte nach Unternehmens- und Betrachtungsgröße stark variieren, geben sie doch einen deutlichen Hinweis für die Annäherung an den Betrachtungsgegenstand: Der Arbeitsschutz des 20. Jahrhunderts offenbart sich als unternehmenshistorisches Untersuchungsfeld zwischen sozialer Verpflichtung und betrieblicher Kosteneinsparung im Spannungsfeld betrieblicher Sozialpolitik und politisch-gesellschaftlicher Reglementierung. Hieran knüpft die vorliegende Arbeit an. 1.1 FRAGESTELLUNG UND THEMATISCHE EINGRENZUNG Die vorliegende Studie zur Geschichte des betrieblichen Arbeitsschutzes folgt zwei Leitlinien. Zunächst begegnet sie dem Forschungsdesiderat als Untersuchung des Arbeitsschutzes am konkreten Fallbeispiel der Eisen- und Stahlindustrie. Sie folgt dabei den inhaltlichen und organisatorischen Strukturen in der Längsschnittperspektive des 20. Jahrhunderts. Ziel ist die unternehmenshistorische Analyse einer brancheninternen Perspektive, etwa über die Entwicklung der Unfallzahlen und ihrer zeitgenössischen Rezeption, den Wandel der Arbeitsschutzmittel und der persönlichen Schutzausrüstungen sowie die wachsende Bedeutung der Arbeitsgestaltung für den betrieblichen Arbeitsschutz.

7 8 9 10

Vgl. BMAS (Hg.), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011. Unfallverhütungsbericht Arbeit, Dortmund u. a. 2013, S. 10 f. und S. 40 f., online verfügbar, URL: (18.06.2013). „Programmierte Sicherheit. ATH geht mit konzentrierter Energie gegen Arbeitsunfälle vor“, in: Unsere ATH (1971), Nr. 6/7, S. 3–5, hier: S. 3. Vgl. „Sozialbericht. Arbeitsschutz“, in: Werk und Wir (1984), Nr. 3, S. 111 f., hier: S. 111. Vgl. BMAS, Unfallverhütungsbericht Arbeit 2011, S. 40 f.

1.1 Fragestellung und thematische Eingrenzung

23

Darüber hinaus erfolgt eine Analyse der Strukturen gesellschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher und institutioneller Einflüsse und Rückwirkungen auf den betrieblichen Arbeitsschutz. Die Arbeit stellt somit keine Neuauflage zur Geschichte des deutschen Arbeitsschutzes im Allgemeinen dar; dies ist bereits an anderer Stelle ausführlich geleistet worden. Vielmehr stehen Wirkungs- und Verflechtungsmechanismen im Fokus, die die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung des betrieblichen Arbeitsschutzes thematisieren und die Rolle der Unternehmen am Fallbeispiel vertiefen. Untersucht wird die individuell gesteuerte, aber zugleich strukturell bedingte Positionierung der Unternehmen und ihrer Interaktion auf Branchen-, verbandlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Ebene. Hierzu zählen etwa formelle Beziehungen einer gemeinsamen Gremienarbeit wie auch informelle Beziehungsebenen der Akteure und Unternehmen untereinander. Das besondere Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf die erzielten Wechselwirkungen zwischen Motiven, Wirkungen und Reaktionen der betrieblichen Maßnahmen, auch in Auseinandersetzung mit einer zunehmenden staatlichen Reglementierung und einer Verwissenschaftlichung der Unfall-Problematik. Die Untersuchung ist dabei von der Annahme geleitet, dass sich der betriebliche Arbeitsschutz spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem umfassenden, präventiv angelegten Gesundheitsschutz ausdifferenzierte: Fragen der Ergonomie und der Belastungen am Arbeitsplatz nahmen einen zunehmenden Raum ein.11 Dies setzt zugleich eine zunehmende Komplexität des (betrieblichen) Arbeitsschutzes voraus, in dessen theoretischen Rahmen, legislative Regulierungen und die tägliche Betriebspraxis auch eine wachsende Zahl von Akteuren, Einflüssen und Institutionen eingebunden waren. Der betriebliche Arbeitsschutz war mit einer zunehmenden personellen und thematischen Ausdifferenzierung konfrontiert, die es nicht nur zu füllen, sondern auch aktiv zu gestalten galt. Betriebliche Arbeitsschutzgeschichte wird hier somit als Verflechtungsgeschichte beschrieben, die die Rolle des Unternehmens, seine Handlungsspielräume, Einflussmöglichkeiten und Rückwirkungen auf das Gesamtsystem auslotet. Zugleich steckt sie Grenzen bei den internen Interessenskonflikten betrieblicher Arbeitsschutzakteure zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialem Engagement ab: Diente eine strategische Vernetzung der Unternehmen hier gar als ein „Erfolgskonzept“ aktiver Arbeitsschutzpolitik der Unternehmen? Welche Verbindungen von Gruppen wurden eingegangen, die in sonst meist isolierten Bereichen agieren (Ingenieure und Ärzte o. Ä.)? An welchen zentralen Schnittstellen könnte eine solche Strategie der Verflechtung offenbar werden? Wo ist sie gescheitert? Mit dem Aufstieg der Schwerindustrie zu einem Leitsektor der deutschen Industrialisierung wuchsen im 19. Jahrhundert auch die Unfall- und Gesundheitsrisiken. Durch die erhöhte Kraft und Geschwindigkeit der Anlagen und die zunehmende Technisierung und neue Arbeitsprozesse waren auch die individuellen Arbeitsbedingungen, Belastungen und Risiken in den Hüttenbetrieben einem stetigen

11

Vgl. Bieneck u. a., Vom Arbeitsschutz zum Gesundheitsschutz.

24

1. Einleitung

quantitativen und qualitativen Wandel unterworfen.12 Zugleich rückte die Bewertung dieser Gefährdungspotenziale im Spannungsfeld zwischen Technikeuphorie und -kritik, zwischen dem Glauben an den Fortschritt und die Beherrschbarkeit der Technik gegenüber der Ablehnung ihrer Gefahren in den Blickpunkt.13 Arne Andersen und René Ott zufolge wurde letztendlich „[…] der Interessenkonflikt zwischen Schutz der Industrie und Schutz vor Industrie eindeutig zugunsten der ersten entschieden […].“14 Im Laufe der Industrialisierung kam es so zwar zu vielfachen Technisierungs-, Mechanisierungs- und Automationsprozessen, insbesondere auch in der Eisen- und Stahlindustrie, ohne dass, nach dem Urteil Christian Kleinschmidts, „[…] die Gestaltung des Arbeitsplatzes selbst Gegenstand der Unternehmens- bzw. Betriebsleitung geworden ist.“15 Die Frage des „natürlichen Risikos“16 der Fabrikarbeit betraf nach den bisherigen Ergebnissen der Forschung zu diesem Zeitpunkt weniger den grundlegenden Arbeiterschutz. Menschliche und ökonomische Folgebelastungen von Arbeitsausfällen, Berufsunfähigkeit und deren Kompensation rückten in den Vordergrund.17 Ein Blick in die betriebliche Praxis der Eisen- und Stahlindustrie bestätigt diese ersten Entwicklungslinien seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Grundsätzliche Arbeitsschutzregelungen setzten zunächst die Auflagen der Gewerbeordnung um, die durch die Betriebsgenehmigungen der Gewerbeaufsicht sowohl Maßnahmen zum Umweltschutz (als Anwohnerschutz über die Luftreinhaltung) als auch erste Auflagen zu Arbeitsschutzbedingungen, wie Maschinenschutz und die Gestaltung einzelner Arbeitsstätten, berücksichtigten.18 Der organisatorische Unfallschutz blieb dabei auf das Rettungswesen und die Unfallstationen größerer und mittlerer Werke bei Hoesch, der Gutehoffnungshütte (GHH), Thyssen und Krupp beschränkt.19 Die Unfallverhütungsmaßnahmen waren einerseits in den für die Unternehmen individuell herausgegebenen Arbeitsordnungen festgeschrieben, oblagen in der unmittelbaren Ausführung und Kontrolle jedoch dezentral den Betriebsleitern und Aufsichtspersonen selbst.20 Hinzu kamen die von der für die hier betrach12

13 14 15 16 17 18 19

20

Vgl. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 215–218. Die Produktions- und Arbeitsbedingungen in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik sind durch zahlreiche Studien (insbesondere aus den 1990er Jahren) dokumentiert. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung; Pietsch, Die Feuerarbeiter; Welskopp, Arbeit und Macht; Zumdick, Hüttenarbeiter. Vgl. Pletz, Technische Arbeitssicherheit, S. 7–10. Andersen u. a., Risikoperzeption, hier: S. 109. Kleinschmidt, Arbeit und Industrieforschung, hier: S. 71. Milles, „Künstliche“ und „natürliche“ Risiken, hier: S. 117 f. Vgl. Martin, Arbeiterschutz, S. 5 f.; Radkau, Technik in Deutschland 1989, S. 239. Vgl. MA, M 44.009, Abschrift der Genehmigungsurkunde zur Errichtung eines Martinstahlwerkes der Firma Blechwalzwerk Schulz-Knaudt AG, 17. März/8. Dezember 1908. Vgl. Timo Hauge, Stellenwert und Entwicklung des Arbeitsschutzes, hier: S. 38; Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 94. Vgl. in den Quellen Jahresbericht königlich preußische Regierungsund Gewerberäte und Bergbehörden 1910, S. 357 und S. 433 f.; Schlesinger, Unfallverhütungstechnik, S. 95–102. Vgl. u. a. TKA, Hoesch-Archiv, H/279, Arbeits-Ordnung für die Arbeiter der Dortmunder Hütte des Eisen- und Stahlwerks Hoesch A.-G., 1920, S. 8; TKA, A/878/2, Rundschreiben Nr. 275 der ATH, 28.2.1924 und Nr. 8/25, 19.1.1925.

1.1 Fragestellung und thematische Eingrenzung

25

teten Unternehmen zuständigen Hütten- und Walzwerksberufsgenossenschaft (HWBG) herausgegebenen Unfallverhütungsvorschriften (UVV). Sie wurden mit Plakaten bekannt gemacht und als persönliche Handreichungen an neue Arbeiter verteilt.21 Häufig leiteten die Unternehmen entsprechende Maßnahmen jedoch erst reaktiv nach Eintritt schwerer Unfälle ein. Sie betrafen vielfach die sicherheitstechnische Gestaltung von Treppen, Leitern, Transportvorrichtungen, Dampf- und Kraftmaschinen oder elektrischer Anlagen sowie die Entwicklung erster persönlicher Schutzausrüstungen (z. B. Schutzbrillen).22 So bemängelten Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass „[…] einem großen Teil der Arbeiter das richtige Verständnis und das Interesse für die auf Unfallverhütung gerichteten Bestrebungen abgeht.“ Auch bei den Unternehmern seien Schutzeinrichtungen teilweise nur durch „polizeiliche Verfügungen erzwungen“23 worden. Die von der Forschung für sozialpolitische Fragen des 19. Jahrhunderts grundsätzlich herausgearbeitete Vorreiterrolle der Schwerindustrie (etwa im Kassenwesen) verharrte bei der betrieblichen Unfallverhütung somit weitestgehend im legislativ vorgegebenen Handlungsrahmen. Obwohl sie nach dem Bergbau die Branche mit den höchsten Unfallzahlen war, waren sowohl das fürsorgliche Verständnis der Unternehmer wie auch der Einfluss staatlicher Intervention und Kontrolle im betrieblichen Arbeitsschutz zu diesem Zeitpunkt noch gering.24 Einen organisatorischen und inhaltlichen Schub, einen Aufbruch „zum modernen Arbeitsschutz“25 des 20. Jahrhunderts, erfuhr die westdeutsche Eisen- und Stahlindustrie erst in den 1920er Jahren, als die Fragen eines systematischen Unfallschutzes auch als unternehmenspolitische Grundsatzproblematik erkannt wurden. Dabei wandelten sich in dieser Phase auch erstmals die Begrifflichkeiten von einem der „Gewerbehygiene“ verwandten Begriff des „Arbeiterschutzes“ zum „Arbeitsschutz“.26 Während die Gewerbehygiene sich als Arbeitsmedizin27, insbesondere im Kontext der Berufskrankheiten entwickelte, konzentrierte sich der „Arbeitsschutz“ in den Betrieben zunächst insbesondere auf die Frage der „Unfallverhütung“. Dabei kam es auch zu einer Schärfung bzw. Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten, die auch Fragen der Unfallverhütung und der Arbeitsgestaltung im medizinischen Sinne stärker vereinte. Daher ist im Folgenden insbesondere der Blick auf die Frage nach der „menschengerechten“ Arbeitsgestaltung im Betrieb zu richten, die als „menschenwürdige“ oder an menschlichen Bedürfnissen orientierte 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. HWBG, Jahresbericht des technischen Aufsichtsbeamten 1912, S. 3. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 93 und S. 97. Vgl. in den Quellen Schlesinger, Unfallverhütungstechnik; Jahresberichte preußischer Regierungs- und Gewerberäte und Bergbehörden 1910–18. Beide Zitate Jahresbericht preußischer Regierungs- und Gewerberäte und Bergbehörden 1910, S. 354. Vgl. auch HWBG, Bericht über die technische Aufsicht 1913, S. 6. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 89 und S. 93; Steinisch, Arbeitszeitverkürzung, S. 119. Weber, Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz. Vgl. Bieneck u. a., Vom Arbeitsschutz zum Gesundheitsschutz, hier: S. 96; Martin, Arbeiterschutz, S. 5 f. Vgl. Martin, Arbeiterschutz, S. 6; Vgl. im Überblick Hofmann, Arbeitsmedizinische Praxis; Andreas Wulf, Ludwig Teleky.

26

1. Einleitung

Gestaltung von Arbeitsprozessen und Arbeitsplätzen insbesondere ab den 1970er Jahren unter dem politischen Slogan der „Humanisierung der Arbeitswelt“ einen Paradigmenwechsel vom Arbeits- zum Gesundheitsschutz markierte.28 Der semantische Wechsel der heute im Allgemeinen weitestgehend synonym verwendeten Begriffe des „Arbeitsschutzes“ und der „Arbeitssicherheit“ unterscheidet in der betrieblichen Praxis zwischen einem organisatorischen Anspruch als Schutz vor Gefahren und einem erreichten sicheren Zustand. Ebenso verweisen die Begriffe auf die inhaltliche Unterscheidung des betrieblichen Arbeitsschutzes zwischen Unfallverhütung und Berufskrankheiten sowie zwischen korrektiven und präventiven Vorgehensweisen.29 Hinzu kommen weitere Unterscheidungsebenen des technischen Arbeitsschutzes (als unmittelbarer Betriebs- und Gefahrenschutz oftmals als Arbeitssicherheit bezeichnet) und des sozialen Arbeitsschutzes (Schutz spezieller Personengruppen, Arbeitszeit, Lohnpolitik u. Ä.), der in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt wird.30 Die Analyse konzentriert sich auf den betrieblichen Arbeitsschutz im engeren Sinne, der sich zunächst auf den Kernbereich der Sicherheitsarbeit („Unfallverhütung“) und im Laufe des 20. Jahrhunderts auch auf die Bereiche der „Arbeitsgestaltung“31 und „Ergonomie“32 (als angewandte Arbeitswissenschaft) sowie den allgemeinen Gesundheitsschutz (Prävention etwa durch betriebsärztliche Tätigkeiten) erstreckte. Maßnahmen zur Reduzierung schädlicher Umgebungseinflüsse und die Gestaltung von Arbeitsprozessen und Gesundheitsvorsorge bildeten hier ein Bindeglied zwischen Arbeits- und Gesundheitsschutz.33 Grundsätzliche Fragen der Berufskrankheiten und die bislang von der Forschung weitestgehend unberücksichtigte Untersuchung der Wegeunfälle bleiben in der vorliegenden Arbeit ausgeklammert.34 Bis heute umfassen die Risiken beim Zusammentreffen von Mensch und Maschine in der Eisen- und Stahlindustrie sowohl allgemeine Verletzungsgefahren durch Stolpern, Fallen, fallende Objekte oder bewegte Maschinen als auch branchenspezifische Gefährdungspotenziale der Produktion. Diese haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich hin zu psychischen Belastungen im hoch technisierten Produktionsprozess verschoben. Hierzu zählen etwa die ständige Wiederholung einseitiger Tätigkeiten und psychischer Stress, der beispielsweise durch die 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. Bieneck u. a., Vom Arbeitsschutz zum Gesundheitsschutz; Binkelmann, Humanisierung, Arbeit und Technik. Vgl. Lehder u. a., Taschenbuch Arbeitssicherheit, S. 19; Pieper u. a., Handbuch Arbeitsschutz, S. 291. Vgl. Bethge u. a., Arbeitsschutz, 1945–1949, hier: S. 213–215; vgl. ausführlich Ergebnisse bei Stefan Remeke, Gewerkschaften, S. 223–369. Grandjean, Physiologische Arbeitsgestaltung. Kirchner, Was ist Ergonomie?. Vgl. eine erste Zusammenschau von Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz am Beispiel von Siemens bei Condrau, Arbeitsplatz. Insbesondere die Frage der Verkehrssicherheit zeigt den Beitrag der Unternehmen zur Verkehrserziehung. Dabei geriet die Problematik der Wegeunfälle als Folge einer zunehmenden Motorisierung sowie als Unfallquelle auf dem Werksgelände zunehmend in den betrieblichen Fokus. Vgl. bislang z. B. Niemann, Straßenverkehrssicherheit; Vogt, „Das Schaurige Schlachtfeld“.

1.1 Fragestellung und thematische Eingrenzung

120

Eisen- und Stahlindustrie

27

Gewerbliche Berufsgenossenschaften insgesamt

100 80 60 40 20 0

Abb. 1: Unfallhäufigkeit in der Eisen- und Stahlindustrie und den gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1956–201035 Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Statistischen Jahrbüchern der Eisen- und Stahlindustrie, 1959/60–2012; BMAS, Unfallverhütungsbericht Arbeit 2011, S. 168 (online verfügbar).

Überwachungstätigkeit der Normalproduktion gegenüber dem Störfall ausgelöst wird, da die Tätigkeit jederzeit von Monotonie in abrupten Handlungsdruck mit zumeist fatalen Konsequenzen, umschlagen kann.36 Entgegen den Bildern leerer Fabrikhallen und vollautomatischer, entstaubter und eingekapselter Hochöfen, Konverter und Gießanlagen ist jedoch in Einzelbereichen die körperliche Arbeitskraft, häufig in unnatürlicher körperlicher Zwangshaltung, keinesfalls vollständig von der massiven Mechanisierung ersetzt worden.37 Gleichzeitig ist die Branche noch immer vom Umgang mit teilweise lebensbedrohlichen Chemikalien, erhitzten Stoffen, Gasen, Dämpfen und Stäuben geprägt, auch wenn viele Gefahrenherde entschärft und möglichst abgeschirmt wurden. Auch Lärm, Vibration und Hitze wirken grundsätzlich weiterhin an vielen Arbeitsplätzen mit unterschiedlichen gesundheitlichen Konsequenzen auf den menschlichen Körper ein.38 Abb. 1 zeigt die insgesamt kontinuierlich sinkenden Unfallzahlen seit Beginn der 1970er Jahre. Dabei lagen die Ergebnisse der Eisen- und Stahlindustrie deutlich über dem Gesamtdurchschnitt der gewerblichen Wirtschaft in der Bundesrepublik. Allein seit der deutschen Wiedervereinigung sind die durchschnittlichen Werte in 35 36 37 38

Unfallhäufigkeit (Uh), Arbeitsunfälle je 1 Mio. Arbeitsstunden. Vgl. Stephan Cramer u. a., Interaktion, Risiko, Governance, hier: S. 279 f. Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher, S. 31–33. Vgl. International Labour Office, Safety and health, S. 33–82.

28

1. Einleitung

der Stahlbranche um mehr als das Fünffache und seit 1970 sogar um das Zehnfache zurückgegangen. Die Verringerung des Gefahrenpotenzials durch Technisierung und Automatisierung sowie der gesetzliche Ausbau von Arbeitsschutzmechanismen sind dabei zu berücksichtigen, bieten hier jedoch eine unbefriedigende und zu kurz greifende Erklärung. Der Technikhistoriker Wolfhard Weber betonte bereits in den 1990er Jahren die Notwendigkeit einer vertieften Analyse der Arbeitsschutzgeschichte, „[…] eine Betrachtung nur der gesetzlichen und administrativen Grundlagen und Werkzeuge“ müsse „oberflächlich bleiben.“39 Die vorliegende Untersuchung analysiert die Entwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Dies erfordert bei einem so langen Betrachtungszeitraum ein hohes Maß an Selektion und Abgrenzung, sodass wesentliche Entwicklungsschübe aus dem Gesamtkorpus herausgegriffen werden müssen. Teilweise kann dabei auf Ergebnisse aus der Forschung zurückgegriffen werden, in anderen Fällen wären weitere Detailstudien wünschenswert. Um auch die grundlegenden Kontinuitätslinien und Paradigmenwechsel nachzuverfolgen, wird die Untersuchung des Zeitabschnittes vor 1945 bewusst miteinbezogen – ohne dabei den Kern des Forschungsdesiderats und der einbezogenen Quellen mit Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vernachlässigen. Die Arbeit ergänzt und vertieft somit bisherige Ergebnisse der Arbeitsschutzgeschichte in der Eisen- und Stahlindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei deuteten sich bereits in diesem frühen Zeitabschnitt neue Entwicklungen und erste Verflechtungsmechanismen an, ohne die die weitere Ausgestaltung des betrieblichen Arbeitsschutzes nach 1945 nur unzureichend zu erklären ist und die daher in dieser Studie ausdrücklich mit einbezogen werden. So datierte Weber den Beginn des „Weg[es] zum modernen Arbeitsschutz“40 für die hier betrachtete Eisen- und Stahlindustrie auf die 1920er Jahre. Diese These gibt Anlass, die zeitliche Kontinuität und die Kriterien eines solchen „modernen Arbeitsschutzes“ über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus zu hinterfragen und durch unternehmensbezogene mikroanalytische Ergebnisse zu stützen. Das Hauptaugenmerk ist gerichtet auf die Zeitspanne zwischen 1945 und den 1970er Jahren. Eine (aus Unternehmenssicht externe) Zäsur ist die Durchsetzung des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) 1973. Zugleich markiert sie einen organisatorischen Umbruch innerhalb der Unternehmen, von denen auch der Arbeitsschutz über konzernübergreifende Zentralisierungstendenzen bei zunehmender inhaltlicher Ausdifferenzierung betroffen war. Auch den Auswirkungen einer zunehmenden Europäisierung und internationalen Harmonisierung der Arbeitsschutzfragen muss seit den 1970er Jahren Rechnung getragen werden. Endogene und exogene Zäsuren sowie Paradigmenwechsel werden mit einem Ausblick auf den Wandel der Arbeitswelt verfolgt. Sie enden unter Beachtung archivalischer Sperrfristen zu Beginn der 1980er Jahre. Daher können erst seit Kurzem freigegebene Archivalien in der Analyse berücksichtigt werden. Der Kernbereich der Untersuchung deckt somit 39 40

Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 220. Vgl. auch Lengwiler, Risikopolitik, S. 331. Weber, Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz. Vgl. auch Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 431.

29

1.1 Fragestellung und thematische Eingrenzung Dortmunder Union Hörder Verein

1933/1951 DHHV/DHHU 1966

Hoesch (Westfalenhütte)

1989

Krupp

1991 1999

1968

Thyssen (ATH) GHH

ThyssenKrupp

HOAG

Mannesmann

Vodafone/ Salzgitter

Abb. 2: Entwicklung der Unternehmen im 20. Jahrhundert Quelle: Eigene Darstellung nach einer grafischen Vorlage der Salzgitter AG, URL: (10.05.2013).

einen Zeitraum ab, der im Folgenden als Phase der endgültigen Durchsetzung des modernen Arbeitsschutzsystems, das noch heute die BRD prägt, überprüft wird. Untersuchungsgegenstand sind ausgewählte Hüttenbetriebe der Rhein-RuhrRegion, die sich zum Ende des Betrachtungszeitraumes in vier Großkonzerne der Eisen- und Stahlindustrie (Hoesch, Mannesmann, Krupp, Thyssen) gliederten. Wie Abb. 2 zeigt, war die Entwicklung der betrachteten Unternehmen vielfältigen Wandlungen unterworfen, die sich insbesondere durch die organisatorische Beschlagnahme, Entflechtung und Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, einen anschließenden ökonomischen Boom bis in die Krise der 1970er Jahre und eine massive Unternehmenskonzentration bis zur Jahrtausendwende charakterisieren lassen.41 Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf den engeren Eisen und Stahl produzierenden Prozess, den Christian Kleinschmidt und Thomas Welskopp in ihren Untersuchungen definiert und erprobt haben. Die Produktionsbereiche der Vorbereitung und Rohstoffe (wie der Kokerei) oder der Weiterverarbeitung (z. B. der Walzanlagen bei integrierten Hüttenwerken) sind dabei nicht immer ganz eindeutig, werden aber nur in Einzelfällen berücksichtigt, wenn sie zu einem verbesserten Verständnis beitragen.42 Die ausgewählte Branche ermöglicht aufgrund bisheriger Forschungsleistungen und der umfassenden Quellenlage einen intensiven Blick auf den betrieblichen Arbeitsschutz. Dabei sind ihr aber auch deutliche Grenzen, etwa aufgrund ihrer Sonderrolle gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen, gesetzt: Die Untersuchung beschränkt sich daher bewusst auf eine brancheninterne Analyse – so vielversprechend die Erkenntnisgewinne eines Branchenvergleichs auch sein könnten. Da es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine Pionierarbeit für den ge41 42

Vgl. u. a. in der Übersicht Petzina, Wirtschaft und Arbeit; ders., Zwischen Neuordnung und Krise; Wienert, Wandel. Siehe dazu u. a. definiert und operationalisiert Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 16; Welskopp, Arbeit und Macht, S. 35.

30

1. Einleitung

wählten Zeitraum handelt, konnten bislang nur punktuelle Querverweise zu anderen Industriezweigen berücksichtigt werden. Ergänzende Fallstudien würden einen weiterreichenden Vergleich sowohl qualitativ als auch quantitativ rechtfertigen. Gleichzeitig sichert die (regionale) Betrachtung der Eisen- und Stahlindustrie eine relative Vergleichbarkeit weitestgehend einheitlicher formaler Vorgaben (Richtlinien und Vorschriften, z. B. durch die Mitgliedschaft in einer gemeinsamen Berufsgenossenschaft) oder durch ähnliche Belastungs- und Gefahrenkonstellationen am Arbeitsplatz. Die Berücksichtigung überregionaler Beispiele, wie etwa die Stellung und Rolle der Hüttenanlagen in Salzgitter, kann zumindest einen schlaglichtartigen Einblick über den engeren Betrachtungsrahmen hinaus geben.43 Im Besonderen sind der hohe Kooperationsgrad der betrachteten Unternehmen, organisatorisch etwa in Kartelltraditionen wie auch durch regionale Verflechtungen und die zunehmenden Unternehmensfusionen, zu beachten, die auf die innerbetrieblichen Auswirkungen für den Arbeitsschutz hinterfragt werden.44 Bezüglich der Rolle der Interessenpolitik ist auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmerseite auf den erweiterten Akteursradius zu verweisen (z. B. Verein Deutscher Eisenhüttenleute, VDEh; Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie; Industriegewerkschaft Metall, IG Metall).45 Gleichzeitig boten großindustrielle Strukturen und ökonomische Gesamtlage finanzielle und organisatorische Handlungsspielräume, die sich, stärker als in anderen Unternehmen, auch in der Umsetzung und Gestaltung des Arbeitsschutzes niederschlugen. Es wird zu hinterfragen sein, inwieweit in diesem sozialen Feld der Unternehmenspolitik auch die Frage der Montanmitbestimmung, sowohl durch die Funktion der Arbeitsdirektoren wie auch früher Erfahrungswerte der Arbeitnehmerbeteiligung, in besonderem Maße zu speziellen Ausformungen und einer Vorbildfunktion der Eisen- und Stahlindustrie beitrug. Weber deutete die besondere Rolle der Schwerindustrie bereits an und verfolgte in seinem impulsartigen Beitrag, „[…] welchen Stellenwert seit Beginn unseres Jahrhunderts die Frage der Arbeitssicherheit hatte […] und wie die bestorganisierte deutsche Branche nach der Chemie, die Schwerindustrie, in ihren Betrieben damit umging.“46 Aufgrund des Ausschnitts und der Sonderrolle erheben die hier gewählten Beispiele in dieser Untersuchung keinen Anspruch auf Repräsentativität, doch die herausragende Rolle der Eisen- und Stahlindustrie in der Entwicklung des deutschen Arbeitsschutzes spricht für eine vertiefende Längsschnitt- und Detailstudie.

43

44 45 46

Jedoch steht eine umfassende, vergleichende Studie der Eisen und Stahl produzierenden Branche in der Zusammenschau, insbesondere für die Zeit nach 1945, noch immer aus. Mit Ausnahme der umfassenden Studien zu Krupp und MAN (HOAG) fehlen, abgesehen von zahlreichen Fest- und Jubiläumsschriften, auch weitere wissenschaftliche Einzelstudien. Sie sind bislang teilweise in umfassenderen wissenschaftlichen Untersuchungen, etwa zur Mitbestimmung bei Karl Lauschke (Westfalenhütte Dortmund), enthalten. Vgl. z. B. Gall, Krupp im 20. Jahrhundert; Bähr u. a., Die MAN; Lauschke, Hoesch-Arbeiter. Vgl. u. a. Grabher, The weakness of strong ties. Vgl. für den Umweltschutz Heckhoff, Umweltschutz, hier: S. 727 f. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 215.

1.2 Methodischer Zugang: Das Unternehmen im Zentrum

31

1.2 METHODISCHER ZUGANG: DAS UNTERNEHMEN IM ZENTRUM Der Betrachtungsrahmen betrieblicher Unfallverhütung wird somit im sozialpolitischen Bereich verortet und ist zugleich Gegenstand ökonomischer, politischer (und technischer) Rahmenbedingungen sowie konkreter betrieblicher Entscheidungsund Handlungsmuster.47 Die Geschichte des Arbeitsschutzes dient als Zugriffspunkt, um in der Tiefenschärfe des Fallbeispiels betriebliche Strukturen und Motive aufzudecken. Aktuelle Forschungsansätze nähern sich in zahlreichen Disziplinen der Rolle spezifischer Akteure in Handlungsprozessen, ihren Beziehungen und der Analyse von Strukturen, von denen auch die vorliegende Untersuchung inspiriert ist.48 Dabei liegt der Fokus auf der Rolle der Unternehmen und ihrer einzelnen Vertreter im inhaltlichen Arbeitsfeld „Arbeitsschutz“ über institutionelle Grenzen von einzelnen Betrieben, Unternehmen, Verbänden etc. hinaus. Bislang ist der deutsche Arbeitsschutz in der Forschung als weitgehend „duales“ Aufsichtssystem zwischen den beiden Kontrollorganen, der allgemeinen Gewerbeaufsicht und der branchenspezifischen Berufsgenossenschaften, beschrieben worden.49 Das Erkenntnisinteresse des vorliegenden Zugriffs ist dagegen die Konzentration auf den dritten Akteur, die Unternehmen. Die Darstellung der praktischen Unfallverhütung bewegt sich dabei als funktionaler Arbeitsschutz zwischen Kontrolle und Gestaltungsfreiheit im Spannungsbogen von Aufsicht und Eigenverantwortung.50 Im Sinne des aus der Betriebswirtschaft entlehnten „Stakeholder-Prinzips“ werden die Unternehmen als gestaltende Akteure des betrieblichen Arbeitsschutzes stärker als bisher in das Zentrum der Betrachtung gerückt.51 Seit den 1980er Jahren erhielt das „Stakeholder Concept“ insbesondere durch die Arbeiten von R. Edward Freeman eine konzeptionelle Grundlage, die den Ansatz auch in der praktischen Anwendung operationalisierbar machte.52 Stakeholder werden dabei als beeinflusste oder selbst einflussnehmende Akteure definiert, deren Interessen als Gruppe oder Individuum durch die Tätigkeit und die Unternehmensziele berührt werden.53 In der Interaktion mit der Umwelt zeichnet der Stakeholder-Ansatz das Bild eines 47 48

49 50 51 52 53

Vgl. Spoerer, Mikroökonomie, hier: S. 176–179. Vgl. z. B. für die Unternehmensgeschichte Beiträge von Thomas Welskopp und Morten Reitmayer auf der Tagungsveranstaltung „Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte III“, Tagungsbericht Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte III. 15.11.2012– 16.11.2012, Bonn, in: H-Soz-u-Kult, 19.01.2013, URL: (18.03.2013). Vgl. Ayass, Regulierte Selbstregulierung; Bauerdick, Arbeitsschutz; Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht; Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung. Vgl. Gensch, Das System des Arbeitsschutzes, hier: S. 533. Vgl. grundsätzlich die von Gernot Grabher nach Mark Granovetter fortentwickelte Wahrnehmung von Unternehmen als „embedded firm“ in einem erweiterten (sozialen Verhaltens-) Kontext: Grabher, Embedded firm; Granovetter, The strength of weak ties; ders., Economic action. Vgl. Rowley, Beyond dyadic ties, hier: S. 888 f. Vgl. in der Übersicht Phillips, Stakeholder theory. Vgl. Freeman, Strategic Management, S. 46.

32

1. Einleitung

umfassenden sozialen Systems über die Interessen der Eigenkapitalgeber (Shareholder-Ansatz) hinaus, die das Unternehmen fördern, aber auch behindern oder einschränken können.54 Freeman verlagerte den Ansatz in die Unternehmensethik, wobei sich insbesondere die Forschung der „Corporate Social Responsibility“ (CSR), der Frage nach der „gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“55, zunehmend den Stakeholder-Ansatz zunutze macht.56 So erfolgt der neuere Ausbau der Stakeholder-Theorie auch unter dem Aspekt von interdependenten Multi-Stakeholder-Netzwerken und Rückkopplungseffekten, der für die der vorliegenden Arbeit vorangestellten Fragen und Analyseschwerpunkte besonders fruchtbar erscheint:57 In welcher Weise wurden die betrieblichen Maßnahmen durch externe Interessen und Auflagen gesteuert und wie begegnete man ihnen in der anwendungsorientierten, betrieblichen Sicherheitsarbeit bzw. wie wurden sie selbst beeinflusst?58 In welcher Weise ging der Arbeitsschutz über die regulierten Bereiche, etwa der betrieblichen Unfallverhütungsarbeit, hinaus, indem er Probleme erkannte und eigenverantwortlich löste?59 Der Themenkomplex des betrieblichen Arbeitsschutzes greift in eine ganze Reihe aktueller Zugänge ein. Hierzu zählen etwa Fragen des externen Handlungsdrucks und die Auseinandersetzungen und Konflikte in der Untersuchung zwischen Regulierung, Selbstverpflichtung und Effizienz bzw. Kostenargumenten von Unternehmen. So sind Konzepte der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ und der CSR inzwischen nicht mehr nur Gegenstand der Management-Literatur, sondern werden auch aus historischer Perspektive im differenzierten Interaktionsfeld von Unternehmen aufgegriffen.60 Sie gehen von einer strategischen Motivation zur freiwilligen Verpflichtung der Unternehmen aus, in ihrer Tätigkeit auch Aspekte ökonomischer, umweltbedingter und zunehmend auch sozialer Nachhaltigkeit zu berücksichtigen.61 Motive im CSR-Bereich werden dabei als langfristig ökonomischer Faktor 54 55

56 57 58 59 60

61

Vgl. Kakabadse u. a., Corporate social responsibility, hier: S. 291; Phillips u. a., What Stakeholder Theory Is Not, hier: S. 481. Bertelsmann Stiftung (Hg.), Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Dokumentation der Ergebnisse einer Unternehmensbefragung der Bertelsmann Stiftung, 2005, URL: (03.06.2013). Vgl. Elms u. a., Bounding the world’s miseries. Vgl. Rowley, Beyond dyadic ties, hier: S. 892. Siehe auch Fassin, The Stakeholder Model Refined; Post u. a., Managing the Extended Enterprise; Svendsen u. a., Convening Stakeholder Networks sowie Werhane, Globalization. Vgl. für ein aktives Networking-Verhalten der Unternehmen Vanderkerckhove u. a., A Network Perspective. Vgl. Gensch, Das System des Arbeitsschutzes, hier: S. 533. Vgl. zur Flexibilität aus arbeitsrechtlicher Perspektive Tupay, Arbeitsrecht. Vgl. z. B. im Kontext des Umweltschutzes Hilger, Umweltschutz, hier: S. 425–435; Miriam Gassner / Mathias Mutz, „Unternehmen und staatliche Regulierung im ‚ökologischen Zeitalter‘“, 25.–26.10.2012, Göttingen, Tagungsankündigung, URL: (31.10.2012). Vgl. in der Übersicht Crane u. a., Business Ethics, S. 31–37; ausführlich u. a. Elkington, Cannibals with Forks; Brejning, Corporate Social Responsibility, S. 29–41. Dabei wird die Selbstre-

1.2 Methodischer Zugang: Das Unternehmen im Zentrum

33

und gleichzeitig als grundsätzliche Steigerung sozialer Legitimität gegenüber einer zurückhaltenden staatlichen Regulierung gedeutet.62 Im Spannungsfeld von Umwelt und Unternehmen hat auch die historische Forschung erste Zugriffspunkte „freiwilliger Selbstverpflichtung“ definiert und insbesondere die Frage des aktiven unternehmerischen Handelns zwischen staatlicher Politik und gesellschaftlicher Regulierung aufgeworfen.63 Auch für den Arbeitsschutz ist zu prüfen, inwieweit Unternehmen eine reaktive Verhaltensweise gegenüber staatlicher Reglementierung oder eine aktivere Mitgestaltungsrolle zugeschrieben werden kann. Dabei sind sowohl ökonomische Motive zur Verhinderung der Unfallhäufigkeit wie auch langfristige Effekte zur Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze, Philanthropie und Unternehmenskultur oder Aspekte zur Verhinderung staatlicher Intervention in den Blick zu nehmen.64 Diese Hypothese wird auch von den bisherigen Ergebnissen der unternehmenshistorischen Forschung zur betrieblichen Sozialpolitik gestützt, in deren erweitertes Aktionsfeld auch der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz fällt. Sie stellt bereits für den Zeitraum bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die „Maxime der Bewahrung größtmöglicher unternehmerischer Handlungsautonomie“65 (Thomas Welskopp) auf und hat auch ökonomische Aspekte als zentrale Motive betrieblicher Sozialpolitik der Eisen- und Stahlindustrie (1870er bis 1930er Jahre) in den Blick genommen.66 Dies gilt nicht nur in Fragen innerbetrieblicher Arbeitsbeziehungen, sondern auch gegenüber staatlichen Interventionsmechanismen: Neben Arbeitsmarktregulierung oder „Bindungs- und Disziplinierungspolitik gegenüber den eigenen Belegschaften“ dient die Selbstverpflichtung betrieblicher Sozialpolitik als „Legitimations- und Autonomiesicherungspolitik, vor allem gegenüber den Stand-

62

63

64 65 66

gulierung insbesondere durch Verhaltenskodizes der Unternehmen (Codes of Conduct) im globalen Kontext untersucht. Vgl. exemplarisch Biedermann, Sozialstandards durch Private Governance. Vgl. Burke u. a., How Corporate Social Responsibility Pays Off, hier: S. 421 f. und S. 428. Vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch. Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, Brüssel 2001, speziell auch zum Arbeitsschutz S. 9 f., URL: (03.06.2013). Für eine aktuelle Abgrenzung der Konzepte „betrieblicher Sozialpolitik“, „Nachhaltigkeit“, „Corporate Social Responsibility“ und „Corporate Citizenship“ aus unternehmenshistorischer Perspektive vgl. ausführlich Nuhn, Entwicklungslinien, S. 63–106. Vgl. Miriam Gassner / Mathias Mutz, „Unternehmen und staatliche Regulierung im ‚ökologischen Zeitalter‘“, 25.–26.10.2012, Göttingen, Tagungsankündigung, URL: (31.10.2012); Melanie Arndt / Ralf Ahrens, „Von der Konflikt- zur Verflechtungsgeschichte? Wirtschaft und Umwelt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, Tagungsbericht Von der Konflikt- zur Verflechtungsgeschichte? Wirtschaft und Umwelt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 29.09.2011–30.09.2011, Potsdam, in: H-Soz-u-Kult, 09.12.2011, URL: (08.03.2013). Vgl. für die USA z. B. Asher, Limits, hier: S. 30 f. Welskopp, Betriebliche Sozialpolitik, hier: S. 364. Vgl. mit Bezug auf Herbert Hax Hilger, Sozialpolitik, S. 47. Siehe hierzu auch Stremmel, Gesundheit – ein Unternehmensziel? und ders., Gesundheitstechnik als unternehmerischer Faktor.

34

1. Einleitung

ortkommunen und gegenüber drohenden staatlichen Interventionen und Reglementierungen“67. Einzelne Lösungsansätze wurden von der Forschung insbesondere im Bereich verbandlicher Arbeitsschutzregulierung (etwa durch den TÜV oder die Berufsgenossenschaften) als strategische Abwehrmaßnahmen staatlicher Intervention für das 19. Jahrhundert bereits thematisiert.68 Betrieblicher Arbeitsschutz betrifft hier insbesondere die Frage der Kontinuität, in den Unternehmen auch über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus eigene Sicherheitsmaßnahmen zu schaffen, um staatlichen Eingriffen vorzugreifen. Daran schließt sich die Forderung nach mehr Raum für die Rolle von Unternehmen bei der Ausprägung von Institutionen und (wohlfahrtsstaatlichen) Strukturen als sozialpolitisches Aktionsfeld etwa an die seit den 2000er Jahren formulierte Theorie der „Varieties of Capitalism“ (VoC) an. Dieses im Ursprung politikwissenschaftliche Konzept findet in der deutschen historischen Forschung erst allmählich Widerhall.69 Der Fokus der in der VoC formulierten politikökonomischen Thesen zielt auf einen Vergleich westlicher Kapitalismussysteme ab, die auch Fragen zur Ausbildung und Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Regime berücksichtigen. Kern der Theorie ist nach Peter Hall und David Soskice eine neue firmen- und akteurszentrierte Perspektive, „[…] which is to say we see the political economy as a terrain populated by multiple actors, each of whom seeks to advance his interests in a rational way in strategic interaction with others […].“70 Auf der Grundlage interner (Arbeitnehmer) und externer (Zulieferer, Kunden, Gewerkschaften, Verbände, Regierungen etc.) Beziehungen des Unternehmens werden Koordinations- und Interaktionsstrategien (Entscheidungsmuster) verschiedenen Bereichen der Arbeitsbeziehungen, Aus- und Weiterbildung, Betriebsführung oder unternehmensübergreifenden Verbindungen (Standardisierungs- und Transfermechanismen) zugeordnet und analysiert. Ausgehend von der Unterscheidung nationaler Marktwirtschaftsmodelle (liberal vs. koordiniert) werden dabei unterschiedliche Handlungsmuster identifiziert und an verschiedenen Fallbeispielen überprüft.71

67 68 69

70 71

Welskopp, Betriebliche Sozialpolitik, hier: S. 350. Vgl. Bauerdick, Arbeitsschutz, S. 69–78; Weber, Arbeitssicherheit, S. 104–107. Vgl. auch Uekötter, Umweltschutz; für den angelsächsischen Raum u. a. Dawson u. a., Safety at work. Vgl. Hall u. a., Varieties of capitalism. Vgl. auch Abelshauser u. a., „Varieties of Capitalism. Interdisciplinary Debate and Methodological Reflection“ Summer School, Bielefeld/Reading, UK 05/2012, URL: (27.01.2012); World Business History Conference/Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V., 16./17.03.2014 in Frankfurt/Main, CfP vom 08.01.2013, URL: (25.02.2013); Christian Kleinschmid / Jeffrey Fear, „Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Staat nach 1945“, 05.–06.07.2012, Marburg, CfP vom 14.02.2012, URL: (07.06.2013). Vgl. zum aktuellen Forschungsstand Sattler, Rheinischer Kapitalismus. Hall u. a., Introduction, hier: S. 6. Das deutsche System wird der koordinierten Marktwirtschaft zugeordnet und durch enge und stabile Verbindungen von Unternehmen, Zulieferern und Kunden, Arbeitnehmern und unternehmensübergreifenden Beziehungen (z. B. zu Konkurrenzunternehmen, einflussreichen Verbänden) charakterisiert. Vgl. ebenda, hier: S. 21–28.

1.2 Methodischer Zugang: Das Unternehmen im Zentrum

35

Der VoC-Ansatz gibt jedoch über den Systemvergleich keine eigenen Erklärungszusammenhänge, sondern lenkt vielmehr die Aufmerksamkeit auf Rahmenbedingungen und Handlungszusammenhänge: Im Spannungsfeld von Regulierung und Freiwilligkeit der Unternehmen gerät so auch die Frage nach der strategischen Position von Unternehmen und ihrer Möglichkeiten der Einflussnahme auch bei sozialpolitischen Aspekten in den Fokus. Angewandte Erklärungsmuster gehen davon aus, dass Forschungen zur Arbeitnehmerseite lange Zeit die Frage nach der Rolle von Arbeitgebern und Sozialpolitik überdeckt hätten.72 Daher vertritt etwa Isabela Mares die These, dass sozialpolitische Maßnahmen nicht immer als eine Belastung für Unternehmen verstanden werden und nicht grundsätzlich den Interessen der betroffenen Unternehmen zuwiderlaufen müssen.73 So liegt der Mehrwert für die vorliegende Untersuchung in der Hinterfragung eines vielfach unterstellten Antagonismus und einem differenzierteren Blick auf die Relationen zwischen den sozialen Interessen von Staat, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite.74 Dabei ist es nicht Ziel der Arbeit, die grundsätzliche Frage nach kooperativen Mustern eines deutschen Kapitalismussystems zu beantworten. Vielmehr geht es darum, dass die Theorie der VoC nicht nur strategische Handlungsweisen der Unternehmen in unterschiedlichen Formen zwischen Markt und Hierarchie anerkennt, sondern auch gezielt erprobte Positionen, Wandel und Wechselwirkungen von Institutionen, Organisationen und Unternehmen hinterfragt:75 Konnten freiwillige Institutionen der Unternehmen und betriebliche Akteure zu Vorbildern für legislative Initiativen werden?76 Einzelne Ergebnisse werden mit ihrem starken Blick auf unternehmerische Motivstränge im Erklärungshorizont der VoC durchaus kritisch bewertet.77 Die Kritik richtet sich dabei insbesondere gegen die tatsächliche Gewichtung unternehmerischer Motive und Aktivitäten.78 Im Kontext von Erklärungsmodellen der „Machtressourcen“ wird demgegenüber das strategische Verhalten von Unternehmen in sozialpolitischen Entscheidungsprozessen über eine stärkere historische 72 73 74

75 76

77 78

Vgl. Mares, Firms and the Welfare State, hier: S. 184 f. und S. 211 f. Vgl. ebenda, hier: S. 207, sowie Hacker u. a., Business Power und Hyman, The State in Industrial Relations. Vgl. auch die Kritik bei Welskopp, Der Betrieb als soziales Handlungsfeld, hier: S. 121 f. Vgl. zum Ansatz der Mikropolitik in der Unternehmensgeschichte auch instruktiv Lauschke u. a., Mikropolitik im Unternehmen; dazu auch Franz, Kooperation statt Klassenkampf?, u. a. S. 10 und S. 18. Vgl. Hall u. a., Introduction, hier: S. 9–14. Vgl. dazu auch die von Lutz Raphael (1996) angestoßene Debatte zur „Verwissenschaftlichung des Sozialen“, die unter Einbezug unternehmerischer Akteure die Zusammenhänge unterschiedlichen Expertenwissens in der staatlichen Regulierung berücksichtigt. Vgl. Lutz Raphael, „Die Verwissenschaftlichung des Sozialen“; zuletzt in der Übersicht David Kuchenbuch: Rezension zu: Brückweh, Kerstin; Schumann, Dirk; Wetzell, Richard F.; Ziemann, Benjamin (Hg.): Engineering Society. The Role of the Human and Social Sciences in Modern Societies, 1880–1980. Basingstoke 2012, in: H-Soz-u-Kult, 05.03.2013, URL: (07.06.2013); für den hier betrachteten Untersuchungsgegenstand Rosenberger, Experten für Humankapital, S. 13–17. Vgl. u. a. Korpi, Power Resource. Vgl. Emmenegger u. a., Business, hier: S. 21 f.

36

1. Einleitung

Kontextualisierung berücksichtigt und untersucht, inwieweit generelle (politischinstitutionelle) Machtstrukturen unternehmerische Positionen und Entscheidungsmuster zwischen struktureller Durchsetzungsmacht und strategischer Antizipation determinieren.79 Den neueren politikwissenschaftlichen Fragestellungen ist dabei ein Appell für eine stärkere Akteurszentrierung und Berücksichtigung auch von unternehmerischen Motiven und Verhaltensmustern gemein.80 Ökonomische Motive und politisch-strategische Handlungsspielräume stehen dabei im Folgenden nicht zwangsläufig im Widerspruch dazu. Sie verweisen vielmehr auf das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit nach einer stärkeren Fokussierung und Klärung der unternehmerischen Rolle in der Ausbildung des deutschen Arbeitsschutzes: Welche Handlungs- und Einflussmöglichkeiten waren inhaltlich, welche strukturell, welche strategisch bedingt und wie wurden sie ausgestaltet? Die Einflüsse, die sich hinter verallgemeinernden Begriffen wie Umwelt, Gesellschaft, Soziales etc. verstecken, sind dabei konkret zu benennen und an einzelnen Beispielen wie unter einem Brennglas zu betrachten. Abb. 3 veranschaulicht, dass die „Säulen“ des „dualen“ deutschen Arbeitsschutzes um den betrieblichen Arbeitsschutz ergänzt werden, und identifiziert übergreifende Akteure, Institutionen und Einflussfaktoren:81 Wie gestaltete sich die allgemeine unternehmerische und produktionstechnische Umwelt? Welche technischen Möglichkeiten forcierten den Arbeitsschutz? Welchen Einfluss übte die wirtschaftliche Gesamtsituation auf das unternehmerische Verhalten aus? Inwiefern wirkten gesamtgesellschaftliche Strömungen darauf ein? Welchen Druck übten sie auf die Akteure aus bzw. inwiefern nahmen die Unternehmen ihrerseits Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse? Inwieweit bildete der Arbeitsschutz einen Teil der individuellen Unternehmenspolitik, der sich zugleich auch in übergreifende sozialpolitische Debatten und Konzepte von Regierungen und Gewerkschaften einordnen ließ? Insgesamt müssen vielfältige Einflüsse und Akteure, die auf den betrieblichen Arbeitsschutz und den Umgang der Unternehmen mit der Unfallfrage in unterschiedlichen Handlungs- und Argumentationsfeldern einwirkten, berücksichtigt werden. Somit rückt auch der teilweise etwas überstrapazierte Begriff des „Netzwerkes“82 in den Fokus der theoretisch-methodischen Überlegungen. Grundsätzlich zeichnet sich der ursprünglich aus den Sozialwissenschaften stammende 79 80

81 82

Vgl. Paster, German Employers, S. 2–5; ausführlich Hacker u. a., Business Power; Emmenegger u. a., Business. Vgl. hierzu auch Welskopp, Betriebliche Sozialpolitik, hier: S. 363 f. Vgl. Forschungsprojekt am Department Geschichte der Universität Basel seit 2012, mit Fokus auf Einrichtungen der sozialen Sicherung in netzwerktheoretischer und globalhistorischer Perspektive: Martin Lengwiler / Milena Guthörl, „Patterns of transnational regulation: how networks and institutions shaped societies and markets throughout the 20th C.“, Projektbeschreibung online verfügbar, URL: (24.08.2012). Vgl. im Anschluss an die ökonomischen Stakeholder-Modelle auch Hérrigel, Roles and Rules. Bethge, Arbeitsschutz, 1957–1966, hier: S. 214; Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht. Vgl. dazu Halling u. a., Netzwerke, hier: S. 267 f. Zu Begriffsgeschichte und -gebrauch ausführlich Faßler, Netzwerke, S. 35–161.

1.2 Methodischer Zugang: Das Unternehmen im Zentrum

Legislativer Rahmen

Versicherungsträger

Betrieblicher Arbeitsschutz

Land Bund EU

Berufsgenossenschaften

Arbeitgeber

37

Arbeitnehmer

Gewerbeaufsicht

Überwachungsstellen und Sachverständige

Betriebliche Arbeitssicherheitsorganisation

Duales Arbeitsschutzsystem der BRD Verbände und Kommissionen

Interessenvertretung

Gesellschaftliche Gruppierungen

Sozialpartner

Wissenschaft und Technolgie

Anwohner

Fördermittel und Subventionen

Betriebliche Voraussetzungen

Gesellschaftliche Diskussion, Normund Wertevorstellungen

Ökonomische Ziele und wirt. Konkurrenz Unternehmensleitbilder

Abb. 3: Übersicht zur betrieblichen Arbeitssicherheit (schematische Darstellung, Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung.

Netzwerkansatz durch eine zum Teil unüberschaubare Variabilität von Netzwerkformen und Methodenreichtum aus.83 Dabei hat die historische Forschung durchaus erkannt, dass ein eigener Zugang als hermeneutisches Verfahren durchaus nutzbar ist.84 Bislang fand insbesondere in der Wirtschafts- und Technikgeschichte verstärkt ein konzeptueller Netzwerkbegriff seinen Niederschlag.85 Untersuchungen der Netzwerkanalyse fokussieren sich in diesem Bereich insbesondere auf Fragen der Familien- oder Handelsbeziehungen, Unternehmensstrukturen, (regionale) Produktionsverflechtungen in Form von Clustern, aber auch Personalverflechtungen oder Kapitalbeziehungen.86 So plädieren Vertreter der neueren Unternehmensgeschichte 83 84

85 86

Siehe im Überblick Grabher u. a., Introduction; Weyer, Netzwerkforschung. Vgl. Reitmayer u. a., „Netzwerkansätze“, hier: S. 870. Vgl. dazu Workshops „Historische Netzwerkforschung“ seit 2009, zuletzt Tagungsankündigung The Future of Historical Network Research. 13.09.2013–15.09.2013, Hamburg, in: H-Soz-u-Kult, 18.08.2013, URL: (19.08.2013). Vgl. Halling u. a., Netzwerke, hier: S. 278; Weber, Technikvermittlung, hier: S. 36; allgemein Berghoff, Unternehmerische Netzwerke. Vgl. Hartmut Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 172–184; ders. u. a., Unternehmerische Netzwerke – theoretische Konzeption und historische Erfahrungen, hier: S. 18–36; Grabher, Embedded firm; Reitmayer u. a., Netzwerkansätze, hier: S. 872 f.

38

1. Einleitung

verstärkt für eine Akteurs- und Handlungsorientierung, wobei tragfähige theoretisch-methodische Ansätze zunächst noch ausgelotet werden müssen.87 Problematisch erscheint hier noch immer die empirische Übertragbarkeit quantitativer Methodenmodelle, die durch die teilweise fragmentierte Überlieferungslage der Quellen und die Dynamik von Netzwerken im historischen Zeitverlauf begrenzt werden.88 Die Leistung liegt dabei insbesondere in der Identifikation und Anerkennung von Kooperationsstrukturen durch die qualitative Bewertung von Handlungsmustern oder spezifischen Netzwerkeffekten.89 Sie ist, trotz aller empirischen Probleme, ein konzeptionelles Instrument, um zentrale Akteure auf den unterschiedlichen Betrachtungsebenen zu identifizieren, ihre Interaktion zu charakterisieren und beeinflussende Faktoren von der Mikro- zur Makroebene zu konkretisieren.90 Ziel ist es dabei in erster Linie, über eine Analyse der Interaktion der Akteure Argumente für eine Verflechtung gemeinsamer Interessen und den Einfluss auf die Gesamtentwicklung des deutschen Arbeitsschutzes, über einen reinen Unternehmensvergleich hinaus, sichtbar zu machen.91 Der Prozess der Verflechtung nimmt sowohl innerbetriebliche Organisationsformen (vertikal-hierarchisch, z. B. als Kommunikationsweg und Übertragung von Pflicht und Verantwortung etwa vom Vorstand über die Beschäftigten in der Arbeitsschutzabteilung bis zu den sogenannten „Arbeitsschutzbeauftragten“ in den einzelnen Betrieben) als auch interbetriebliche Anbindungen an Interessenvertretungen (z. B. die Wirtschaftsvereinigung), Verbandsarbeit (z. B. Verband Deutscher Sicherheitsingenieure VDSI), Forschung und Entwicklung über wissenschaftliche Einrichtungen sowie staatliche Behörden und Organisationen (z. B. die Bundesanstalt für Arbeitsschutz) in den Blick. Er hinterfragt dabei letztendlich auch den Charakter einzelner Beziehungen als spezifische Institutionalisierungsprozesse, wie sie sich beispielsweise über informelle Netzwerkverbindungen in der zeitlichen Dynamik auch zu formellen Verbindungen (wie gemeinsame Gruppen- und Ausschussarbeit bis hin zur Etablierung neuartiger Institutionen) entwickeln können. 87 88

89 90 91

Vgl. Christian Kleinschmid / Jeffrey Fear, „Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Staat nach 1945“, 05.–06.07.2012, Marburg, CfP vom 14.02.2012, URL: (07.06.2013). Vgl. u. a. Tagungsbericht Workshop „Historische Netzwerkforschung“. 12.12.2009– 13.12.2009, Köln, in: H-Soz-u-Kult, 03.02.2010, URL: (07.03.2013); Rezension Marcel Berlinghoff zu: Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram; Leucht, Brigitte (Hg.): Netzwerke im europäischen Mehrebenensystem. Von 1945 bis zur Gegenwart. Networks in European multi-level Governance. From 1945 to the Present. Wien 2009, in: H-Soz-u-Kult, 13.11.2009, URL: (07.03.2013). Dabei eignet sich die historische Netzwerkanalyse bislang insbesondere zur Untersuchung individuellen Netzwerkhandelns, vgl. Marx, Paul Reusch, insbesondere S. 21–26. Vgl. Reitmayer u. a., Netzwerkansätze, hier: S. 876; Wald, Netzwerkansätze in der Managementforschung, hier: S. 631. Vgl. dazu auch am Anwendungsbeispiel der EU Kaiser u. a., Networks, hier: S. 10–16. Dabei bilden auch „Vergleich“ und „Verflechtung“ in der Geschichtswissenschaft eigene methodische Kategorien. Sie sind bislang weitestgehend auf die Untersuchung geografischer Phänomene, insbesondere in globalhistorischer Perspektive, beschränkt geblieben. Vgl. in der Übersicht u. a. Pernau, Transnationale Geschichte.

1.3 Forschungsstand und Quellenbasis

39

Die methodische Vielfalt netzwerkartiger Zugriffe ist damit weder in der hier angestrebten Darstellungsweise noch in der Forschungspraxis erschöpft. Vielmehr herrscht eine weitverzweigte Heterogenität der Methoden, die sich auch in der vorliegenden Arbeit als Zusammenschnitt verschiedener Ansätze versteht, um die Leitidee der Verflechtung für den hier betrachteten Gegenstand nutzbar zu machen und sich der zunehmenden Komplexität, den Einflussfaktoren und Wechselwirkungen des betrieblichen Arbeitsschutzsystems anzunähern. Die Fragestellung nach Freiwilligkeit und (indirekter) Regulierung stellt sich somit auch jenseits der dualistischen Pole zwischen Berufsgenossenschaft und Gewerbeaufsicht, Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder ähnlichen Konstellationen.92 1.3 FORSCHUNGSSTAND UND QUELLENBASIS Bislang ist die deutsche Arbeitsschutzgeschichte in vielen Bereichen „weitgehend ein Desiderat geblieben“93. Dies gilt insbesondere für die unternehmenshistorische Betrachtung des Arbeitsschutzes als alleinstehenden Forschungsgegenstand.94 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Geschichte des Arbeitsschutzes bislang gänzlich unerforscht ist, vielmehr ist sie in vielen Forschungsbereichen, insbesondere von der Technikgeschichte, bereits aufgegriffen worden.95 Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt dabei noch deutlich im Bereich der Industrialisierung, der Bismarckschen Sozialgesetzgebung und der weiteren Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist in betrieblichen Detailstudien bislang kaum über die Zäsur von 1945 hinweggeführt worden.96 Die Arbeitsschutzgeschichte berührt in ihren interdisziplinären Fragestellungen die historischen Fach- und Teildisziplinen. Einen besonderen Beitrag hat bislang die Technikgeschichte geleistet. Wolfhard Weber hat nicht nur einen grundlegenden Überblick einer normativen Gesamtdarstellung der deutschen Arbeitsschutzentwicklung (1988) vorgelegt, sondern auch den Blick auf die Sonderrolle der Eisen- und Stahlindustrie gelenkt.97 Mit seiner Untersuchung zu den 1920er Jahren hat er insbesondere die betriebliche Entwicklung der Unfallverhütungsarbeit über die Institution neuer Sicherheitsingenieure aufgezeigt und auch auf die grundsätzliche Sicherheitswahrnehmung und Risikobewertung in der Industriegesellschaft ausgeweitet.98 Diese Ergebnisse hat Christian Kleinschmidt mit Blick auf die unternehmerischen Rationalisierungsstrategien vertieft und um eine Analyse der 92 93 94 95 96 97 98

Vgl. dazu auch als ersten Problemaufriss Kleinöder, Risikoregulierung, hier: S. 185–189. Kilger, Die DASA, hier: S. 92. Vgl. zum Forschungsdesiderat Tenfelde, Geleitwort, hier: S. 5; Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 230. Vgl. Erker, Die Erforschung der Unfallversicherung, hier: S. 64. Vgl. zum Forschungsstand in der Übersicht Kleinschmidt, Technik und Wirtschaft, S. 119–124. Vgl. bereits 1992 dazu Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 230. Vgl. u. a. Weber, Gesetzgebung und Technik; ders., Technik und Sicherheit; ders., Arbeitssicherheit. Vgl. u. a. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz; ders., Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz; ders., Sicherheit und Risiko; ders., Science, technology, and society; ders., Technikvermittlung. Vgl. auch Radkau, Periodisierung.

40

1. Einleitung

betrieblichen Unfallwahrnehmung als Problem der Unternehmen zwischen 1895 und 1935 umfassend ergänzt.99 Angedeutet wurden dabei auch erste Verbindungen zu amerikanischen Vorbildern der „Safety First“-Bewegung, die im angelsächsischen Raum maßgeblich durch Mark Aldrich und durch die „Workmen’s Compensation“ von Price Fishback umfassend erforscht wurden.100 Dabei wurde auch der Beitrag amerikanischer Eisen- und Stahlunternehmen (US Steel) in den Blick genommen, wobei der Forschungsschwerpunkt jedoch im Umfeld des Bergbaus und der Eisenbahngeschichte liegt.101 Hinzu kommen zahlreiche Untersuchungen mit Fokus auf der Entstehungsgeschichte des „dualen“ deutschen Arbeitsschutzsystems und seiner weiteren Ausprägungen.102 Dabei wurde die Entwicklung des legislativen Rahmens des deutschen Arbeitsschutzsystems seit Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum einheitlichen Arbeitsschutzgesetz in den 1990er Jahre von der Forschung als starkes Einzel- und Stückwerk charakterisiert, dessen Abhängigkeit von den institutionellen Strukturen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besteht:103 Durch den Einsatz von Fabrikinspektoren entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein rechtlich-organisatorischer Rahmen bis hin zu Bismarcks Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre, der zwischen staatlicher Kontrolle über die Gewerbeaufsicht und der branchenspezifischen Unfallversicherungsträger die Grundzüge des deutschen Arbeitsschutzes bis heute bestimmt:104 „Folgenbewältigung statt Ursachenbekämpfung wurde zum Prinzip sozialstaatlichen Handelns […]“105 erhoben und mit dem Fortbestand des sozialstaatlichen Systems bis in die 1970er Jahre gefestigt.106 Unkalkulierbaren, individuellen 99 Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 89–95, S. 185–189, S. 284–297, S. 324–330; vgl. auch Lupa, Ethik. Vgl. zu Technik, Rationalisierung und Arbeitsbedingungen in Hüttenwerken vor 1930 auch Welskopp, Arbeit und Macht; Wengenroth, Unternehmensstrategien; Zumdick, Hüttenarbeiter. 100 Vgl. u. a. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 294; ders. u. a., Amerika aus deutscher Perspektive, hier: S. 96; Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, S. 224. In den USA zahlreiche Publikationen von Aldrich und Fishback, u. a. Aldrich, Safety-First; Fishback u. a., Prelude to the Welfare State; ders., The Irony of Reform. 101 Vgl. die Zusammenfassung bei Aldrich, Safety First, S. 259–282. Darüber hinaus zahlreiche Einzelpublikationen: u. a. Aldrich, Death Rode the Rails; Burnham, Accident Prone; Curran, Dead laws for dead men; Cooter u. a., Accidents in History; Corn, Environment and health; Decker u. a., Work-related accidents. Vgl. zur britischen Arbeitsschutzentwicklung u. a. Bartrip u. a., The wounded soldiers; ders., Workmen’s compensation; Wilson, Politics of safety and health. 102 Vgl. u. a. Bauerdick, Arbeitsschutz; Breger, Anteil der deutschen Großindustriellen; Bremkens, Arbeitsschutz im Kaiserreich; Dietrich, Berufskrankheiten; Machtan, Arbeiterschutz als sozialpolitisches Problem; Pensky, Schutz der Arbeiter; Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht; Ueberschär, Betriebsschutz. Vgl. umfassend für die schweizerische Unfallverhütung Lengwiler, Risikopolitik. 103 Vgl. Tupay, Arbeitsrecht. 104 Vgl. ausführlich zur Geschichte des Arbeitsschutzes im 19. Jahrhundert Machtan, Arbeit und Krankheit; Pensky, Schutz der Arbeiter; Weber, Arbeitssicherheit, S. 55–121. 105 Machtan u. a., Erwerbsarbeit als Gesundheitsrisiko, hier: S. 137. Vgl. auch ders., Arbeitsschutz als sozialpolitisches Problem, hier: S. 136. 106 Vgl. Thomas Hänseroth u. a., Riskante Technologien. Wahrnehmung und Regulierung in der Hochmoderne, 14.11.2012–15.11.2012, Technische Universität Dresden, CfP vom 05.07.2012, URL: (08.10.2012).

1.3 Forschungsstand und Quellenbasis

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Entschädigungsansprüchen der Arbeitnehmer wurde durch die Zahlung allgemeiner (rentenähnlicher) Leistungen im plötzlich eingetretenen Unfallgeschehen vorgegriffen – chronische Berufskrankheiten waren von dieser oftmals bescheidenen finanziellen Kompensationszahlung zunächst noch nicht erfasst.107 Während die Gewerbeaufsicht die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in Bezug auf Arbeitsschutz und Gesundheit überwachte, ergänzten die Berufsgenossenschaften diese Tätigkeit im Bereich der Unfallverhütung.108 Dieses dualistische Überwachungssystem sowie die Unterteilung in Kompensation (Versicherung) und Prävention (Unfallverhütungsvorschriften) blieb in seiner historisch begründeten Ausdifferenzierung seit Ende des 19. Jahrhunderts bis heute bestehen.109 Die 1980er Jahre gelten dabei generell als besonders produktive Phase der Arbeitsschutzgeschichte. Sie äußerte sich, auch im internationalen Kontext, insbesondere als Gesellschafts- und Technikkritik.110 Hierzu zählen auch die Forschungen im Umfeld von Dietrich Milles und seiner These zur „Dethematisierung“111 des deutschen Arbeitsschutzes. Sie übten zentrale Kritik am eingeengten Versicherungssystem in Deutschland, ausgehend von und fortgeführt nach der Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre. Ausgangspunkt war die Untersuchung des Zusammenhangs von Industriearbeit und Berufskrankheiten, teilweise auch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein.112 Die Technikgeschichte nahm aber auch verstärkt die Frage des Gesundheitsrisikos als Teil der Technikfolgendebatte auf.113 Dabei wurde insbesondere die historische Risikowahrnehmung an der Grenze zur Umweltgeschichte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert untersucht: Arne Andersen, Lothar Machtan und René Ott analysierten diese Fragen zum Verhältnis von Gesellschaft und Natur in der Industrialisierung und dem damit verbundenen Wandel der Wahrnehmungsweise von Risiken, auch mit ausdrücklichem Bezug auf die Arbeitergesundheit.114 Ergänzt werden diese Ergebnisse durch zunehmende Einzelstudien, die einzelne Branchen, insbesondere den Bergbau oder die chemische Industrie, mit einem besonderen Schwerpunkt 107 Vgl. Machtan u. a., Erwerbsarbeit als Gesundheitsrisiko, hier: S. 137; Pensky, Schutz der Arbeiter, S. 55–58; Weber, Arbeitssicherheit, S. 108; sowie ausführlich Breger, Haltung der industriellen Unternehmer. 108 Vgl. Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht, S. 70–85. 109 Vgl. ebenda, S. 2 f. 110 Vgl. dazu auch Labisch, Social History, hier S. 41 f. Vgl. aus internationaler Perspektive Weindling, Social History of Occupational Health sowie Hien, Arbeitsverhältnisse und Gesundheitszerstörung der Arbeitenden; European Social Science History Conference (ESSHC), Network of Health and Environment, 23.–26.4.2014, Wien, CfP vom 11.03.2013, URL: (12.03.2013). 111 Dietrich Milles, Pathologie des Defektes. 112 Vgl. u. a. Milles u. a., Berufsarbeit und Krankheit. Soziales Problem und soziale Verantwortlichkeit; ders., „Künstliche“ und „natürliche“ Risiken; ders., Gesundheitsrisiken; ders., Das Unfallparadigma; ders., Die Gesundheit der Arbeiter. Vgl. auch Bargholz u. a., Arbeit, Mensch, Gesundheit. 113 Vgl. Andersen, Historische Technikfolgenabschätzung. 114 Vgl. Andersen u. a., Risikoperzeption; ders., Historische Technikfolgenabschätzung; Machtan u. a., Erwerbsarbeit als Gesundheitsrisiko; Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Arbeitsschutz und Umweltgeschichte.

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1. Einleitung

auf den Gefahrstoffen.115 Für die Unfallverhütung im Bergbau wurde auch die Frage nach dem Spannungsfeld unternehmerischer Interessen und der Gesundheit der Arbeiter, etwa durch Studien von Josef Boyer, institutionell über die Knappschaft, oder von Michael Martin über die Entwicklung der Arbeitsmedizin, behandelt.116 Die Perspektive werksärztlicher Dienste wurde bereits seit dem Deutschen Kaiserreich berücksichtigt: Die unternehmenshistorische Forschung hat ihre Tradition, insbesondere in der Eisen- und Stahlindustrie, seit dem 19. Jahrhundert mit Blick auf eine kurative Grundversorgung über eigene Werkskrankenhäuser und vertrauensärztliche Funktionen über die Betriebskrankenkassen, gut dokumentiert.117 Somit waren die Anfänge betriebsärztlicher Arbeit und Maßnahmen der Arbeitsgestaltung keine Erfindung der Nationalsozialisten, auch wenn dieser Zeitraum von der Forschung als eigentliche institutionelle Implementierung des Betriebsärztewesens bezeichnet wird.118 Unter den Prämissen nationalsozialistischer Leistungsideologie und der Übernahme vertrauensärztlicher Funktionen wurden die Betriebsärzte zu betrieblichen „Gesundschreibern“119, die den Ruf der Betriebsärzte und der Arbeitsmedizin auch in der Nachkriegszeit prägten und das Vertrauen der Beschäftigten in ihre ärztliche Tätigkeit beschädigte.120 Insbesondere für die Zeit des Zweiten Weltkrieges stellt die Forschung über die betriebliche Unfallverhütungsarbeit noch ein weitgehendes Desiderat dar. Zwar wurden bereits in allgemeineren Darstellungen der Industriearbeit im Dritten Reich, maßgeblich von Rüdiger Hachtmann, einzelne Aspekte von Unfallentwicklung, Arbeitsbedingungen und Sicherheitsarbeit berücksichtigt.121 Eine aktuelle, umfassende Studie für die Eisen- und Stahlindustrie jedoch steht noch aus, die über einzelne Unternehmensdarstellungen, insbesondere für die Zwangsarbeiterfrage, etwa nach dem Vorbild Hans-Christoph Seidels für den Bergbau des Ruhrgebiets, hinausgeht.122 115 Vgl. u. a. Farrenkopf, Schlagwetter; Hien, Chemische Industrie und Krebs; Jobmann, Disziplinierung der chemischen Körper; Martin, Arbeiterschutz; Schaad, Chemische Stoffe; Trischler, Arbeitsunfälle; sowie Bartels, Berufliches Risiko; Fessner u. a., Auf breiten Schultern; Jungkind, Risikokultur; Schramm, Strahlenschutz; Schütterle, Kumpel, Kader und Genossen. 116 Vgl. Bauer u. a., Arbeitssicherheit; Boyer, Unfallversicherung und Unternehmer; Martin, Arbeiterschutz; zuletzt auch Schürmann, Regulierung der Silikose. 117 Vgl. u. a. für die Eisen- und Stahlindustrie Hilger, Sozialpolitik, S. 247–250; Pütz-Majer, Einrichtungen sozialer Betriebspolitik, S. 185–191; in der längeren Perspektive für die chemische Industrie Thiess, Arbeitsmedizin; allgemein Milles, Betriebsärzte. 118 Zur Entwicklung betriebsärztlicher Dienste u. a. Elsner, Arbeitsmedizin, hier: S. 94–97; Höfler-Waag, Arbeits- und Leistungsmedizin, S. 84–91; Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen, hier: S. 123–126; sowie noch immer zahlreiche Publikationen von Karbe, u. a. Das nationalsozialistische Betriebsarztsystem. 119 Ernst Holstein, zitiert nach: Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen, hier: S. 125. Vgl. z. B. zur GHH Hachtmann, Die Arbeiter der Gutehoffnungshütte, hier: S. 115–117; allgemein Weber, Arbeitssicherheit, S. 173–175. 120 Vgl. Elsner, Arbeitsmedizin, hier: S. 97; Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen, hier: S. 125; Condrau, Arbeitsplatz, hier: S. 245. 121 Vgl. u. a. Rüdiger Hachtmann, Industriearbeit im Dritten Reich; ders., Die Arbeiter der Gutehoffnungshütte; ders., Lage der Industriearbeiterschaft; Herbert, Fremdarbeiter; Frese, Betriebspolitik; Hisashi Yano, Hüttenarbeiter. 122 Vgl. Seidel, Ruhrbergbau.

1.3 Forschungsstand und Quellenbasis

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Insgesamt ist der Arbeitsschutz im Bereich der Politik- und Sozialgeschichte bislang vornehmlich in der normativen Gesamtdarstellung, etwa durch die Überblicksdarstellung von Wolfhard Weber (1988) wie auch die einzelnen Beiträge in der Reihe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Geschichte der Sozialpolitik in den beiden deutschen Staaten nach 1945, umfassend dargestellt worden.123 Aktuelle unternehmenshistorische Untersuchungen nehmen den Arbeitsschutz aus der Sicht der betrieblichen Sozialpolitik, die Arbeitsbedingungen und den allgemeinen Gesundheitszustand für die Zeit nach 1945 zunehmend in den Blick. Sie beziehen sich sowohl auf Einzelstudien von Unternehmen aus der BRD wie auch der DDR.124 Somit greift die Arbeit, über den engeren und in großen Teilen älteren Kreis der Arbeitsschutzforschungen hinaus, auch aktuelle Anknüpfungspunkte im Forschungsdiskurs auf: Hierzu zählen Themenbereiche der Gesundheit und Prävention, die insbesondere in Verbindung mit Industriearbeit und wechselnden bzw. neuen Belastungen in der zweiten Hälfte und zum Ende des 20. Jahrhunderts bislang von der historischen Forschung ein weitgehendes Desiderat darstellen.125 Neuere Forschungsansätze verweisen auf die Verbindungen der Arbeitergeschichte im Wandel der Arbeitswelt etwa in Fragen der Automation, zur „Humanisierung der Arbeitswelt“ (HdA) seit den 1970er Jahren oder zur Bestimmung von Grenzwerten.126 Stefan Remeke hat eine umfassende Untersuchung zur Geschichte des Arbeitsschutzes der 1960er und 1970er Jahre aus gewerkschaftshistorischer Sicht vorgelegt, die vor allem auf die Rolle der IG Metall verweist.127 Eine Berücksichtigung der Frage von Arbeitsbedingungen, mit teilweise deutlichen Bezügen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, findet sich auch bei verschiedenen Oral-History-Projekten, die insbesondere seit dem Rückgang der Arbeitsplätze und den Werksschließungen in der Eisen-und Stahl- sowie Metallindustrie seit den 1980er Jahren durchgeführt wurden.128 Die Debatten sind dabei immer wieder von Begriffen wie „Risiko“, „Gefahr“ und „Sicherheit“ geprägt.129 Auch die aktuelle Zeitgeschichte bezieht sich noch

123 Vgl. Weber, Arbeitssicherheit; Beiträge von Dietrich Bethge und Lutz Wienhold zum „Arbeitsschutz“ in BRD und DDR jeweils in: Hockerts, Geschichte der Sozialpolitik. 124 Vgl. u. a. Lauschke, Die halbe Macht, S. 91–103; Schütterle, Kumpel, Kader und Genossen, S. 141–162; Süß, Kumpel und Genossen, S. 140–142. 125 Vgl. Kleinschmidt, Technik und Wirtschaft, S. 123. Vgl. mit Blick auch über die Zäsur 1945 hinaus Condrau, Arbeitsplatz; Kuhn u. a., Gesundheit als Preis der Arbeit? 126 Vgl. u. a. Seibring, Humanisierung der Arbeit; dies., Die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er-Jahren sowie Andersen, Auseinandersetzungen; Bächi, Grenzwertpolitik; Milles, Grenzen natürlicher Selbstregulierung und Müller, Grenzwerte. 127 Vgl. Remeke, Gewerkschaften. 128 Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher; Wolfgang Hien u. a., Ein neuer Anfang. Vgl. in der musealen Auseinandersetzung Lepp u. a., Arbeit. Sinn und Sorge. 129 Vgl. u. a. Luhmann, Soziologie des Risikos; Radkau, Periodisierung; Weber, Arbeitssicherheit, S. 8–10; ders., Industrielle Entfaltung. Vgl. zur Kulturgeschichte des Unfalls Heßler, Kulturgeschichte der Technik, S. 175–191; in der Übersicht Zwierlein, Sicherheitsgeschichte, hier: S. 366–375.

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1. Einleitung

immer auf Ulrich Becks vielzitierte Diagnose der „Risikogesellschaft“130 aus den 1980er Jahren, in der das „Risiko“ zu einem gesamtgesellschaftlichen Konstrukt erhoben und bis heute vielfach reproduziert wird.131 Sie wird als Kennzeichen eines Paradigmenwechsels in der Wahrnehmung unterschiedlicher Ausprägungsformen von Sicherheit und Risiko gedeutet, die etwa als „Sicherheitsgeschichte“132 aktuell auch in der historischen Rezeption eine Renaissance (z. B. bei Eckart Conze) erfährt. Sie wird auch vor dem Hintergrund der Diskussion um den „Strukturbruch“ und das Theorem des „Wertewandels“ in der Bewertung der 1970er und 1980er Jahre wiederholt bemüht.133 Einen zentralen Beitrag zur gesundheitlichen „Risiko“-Debatte leistet auch die Medizingeschichte.134 Dabei rückt für die Medizinhistoriker aktuell insbesondere der Begriff der „Prävention“135 ins Zentrum des Interesses.136 Im Sinne der OttawaCharta (1986) ist diese Forschungsrichtung in der erweiterten Definition der „Gesundheit“ zu verorten, die auch im Bereich der Arbeitsumgebung nicht mehr nur beschränkt ist auf die „Abwesenheit von Krankheiten sondern auch de[n] Zustand körperlichen und geistigen Wohlbefindens“137 ausdrücklich einbezieht. Aktuelle Beiträge untersuchen insbesondere die Fragen der präventiven Praktiken, die den Wissenstransfer und den Wandel der gesellschaftlichen Präventionskultur auch seit 130 Beck, Risikogesellschaft, insbesondere S. 29–31. 131 Vgl. Wehner, Grenzen der Versicherbarkeit, hier: S. 581 f.; dazu kritisch Graf u. a., Zeitgeschichte, hier: S. 483 und S. 486–488. 132 Mit Übersicht zum Forschungsstand Zwierlein, Sicherheitsgeschichte sowie die gesamte Ausgabe Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), Nr. 3: „Sicherheit und Epochengrenzen“. 133 Vgl. z. B. Conze, Suche nach Sicherheit, S. 15–18 und S. 545–578; ders., Securitization; Beiträge in Archiv für Sozialgeschichte 52 (2012): „Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er Jahre“; durchaus kritisch Neuheiser, Der „Wertewandel“ zwischen Diskurs und Praxis. Vgl. mit Bezug auf die Arbeitswelt Andresen u. a., Nach dem Strukturbruch. 134 Vgl. European Association for the History of Medicine and Health, Biennial Conference „Risk and Disaster in Medicine and Health“, 04.–07.09.2013, Universität Lissabon/Portugal, CfP vom 08.10.2012, URL: (07.03.2013). 135 Vgl. Stöckel u. a., Prävention im 20. Jahrhundert; Wenzel, Entwicklung der Leitbilder, hier: S. 31–38; in der historischen Rückschau Labisch u. a., Prävention (1871–1945) und Prävention (1949–ca. 1965). 136 Vgl. Forschungsschwerpunkte im Umfeld des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart, u. a. Tagungsbericht 11. Arbeitskreis Sozialgeschichte der Medizin: „Prävention. Nachfrage und Inanspruchnahme gesundheitserhaltender Maßnahmen seit 1918“. 21.11.2012–23.11.2012, Stuttgart, in: H-Soz-u-Kult, 04.02.2013, URL: (08.03.2013); Dissertationsprojekt von Sebastian Knoll-Jung, „Von der ‚Knochenmühle‘ in die ‚Rentenquetsche‘ – Unfallopfer in Kaiserreich und Weimarer Republik zwischen Prävention, Unfallerfahrung und Folgenbewältigung“, Projektbeschreibung, URL: (08.03.2013). 137 Zitiert nach Lehder u. a., Taschenbuch Arbeitssicherheit, S. 24; Ottawa-Charter („Ottawa Charter for Health Promotion, 1986) online verfügbar über die WHO (Regionalbüro Europa), URL:

(08.03.2013). Vgl. auch Faller, Was ist eigentlich BGF?, hier: S. 15 f.; Kuhn, Der Betrieb als gesundheitsförderndes Setting, hier: S. 27.

1.3 Forschungsstand und Quellenbasis

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der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend in den Blick nehmen.138 Dabei beziehen sich erste Projekte auch explizit auf die unternehmerische Gesundheitspolitik und die betriebsärztliche Praxis nach 1945.139 Sowohl die Medizin- (Risiko und Prävention), die Technik- (Risiko als Technikfolge)140 als auch die Politik- und Gesellschaftsgeschichte beschäftigen sich somit aktuell noch immer mit dem Verhältnis der Produktion und Rezeption von „Sicherheit“ und „Risiko“, auch über die eigenen disziplinären Grenzen hinaus. Der für die Untersuchung grundlegende Quellenkorpus stützt sich in erster Linie auf die Primär-Überlieferung in den zahlreichen Unternehmensarchiven der heutigen Konzerne als Nachfolgegesellschaften der betrachteten Werke und Unternehmen (Krupp, Mannesmann, Thyssen). Diese verfügen über eine für den Arbeitsschutz ausführliche Quellenüberlieferung, deren Schwerpunkte sich vor allem auf die Zeit nach 1945 fokussieren. Dabei weisen die einzelnen Quellen eine vergleichsweise hohe Streuung durch die unterschiedlichen Bestände auf, da Fragen des Arbeitsschutzes in unterschiedlichen betrieblichen Kontexten etwa von Vorstand und Aufsichtsrat, über die Arbeitsschutzabteilungen und die einzelnen Gremien, den Betriebsrat bis in die einzelnen technischen Bereiche und Werksteile bearbeitet und somit auch dokumentiert wurden. Hierzu zählen u. a. Protokolle und Unterlagen der Vorstands-, Betriebsrats- und Fachgremien, Nachlässe einzelner betrieblicher Akteure, Berichte und Vorträge, Richtlinien, die Werkszeitschriften oder auch statistisches Material.141 Die Recherche zu Krupp fokussierte sich dabei auf den Konzernbereich der Gussstahlfabrik in Essen sowie das Hüttenwerk in Rheinhausen im Speziellen (Historisches Archiv Krupp, Essen, HAK). Für den Bereich Mannesmann wurden ebenfalls Quellen zum Gesamtkonzern sowie dem Hütten138 Vgl. u. a. Tagungsbericht „Translating Health“: Cultures of Prevention and (Bio)Medicine in Europe after 1945. 23.05.2013–25.05.2013, Mainz, in: H-Soz-u-Kult, 02.08.2013, (02.08.2013); Vgl. auch Kury, Der überforderte Mensch; Vgl. insbesondere das Konzept des „präventiven Selbst“ bei Lengwiler u. a., Präventionsgeschichte, hier: S. 17–28. 139 Siehe u. a. Forschungsprojekt von Sylvelyn Hähner-Rombach zu „Prävention im Betrieb. Angebote, Nachfrage und Inanspruchnahme gesundheitserhaltender Maßnahmen in westdeutschen Unternehmen der Nachkriegszeit“, Projektbeschreibung online verfügbar, URL: (08.03.2013). 140 Vgl. zuletzt u. a. Tagungsveranstaltungen Gesellschaft für Technikgeschichte e. V./Rachel Carson Center for Environment and Society, Tagungsbericht Verflechtungen. Naturkatastrophen und Technikversagen in modernen Gesellschaften. 18.05.2012–20.05.2012, München, in: HSoz-u-Kult, 07.07.2012, URL: (07.03.2013); Thomas Hänseroth u. a., Tagungsbericht Riskante Technologien. Wahrnehmung und Regulierung in der Hochmoderne. 14.11.2012–15.11.2012, Dresden, in: H-Soz-u-Kult, 18.01.2013, URL: (07.03.2013). 141 Dabei stellen einige der genannten Quellen eine inhaltliche und zugleich analytische Kategorie für die Untersuchung dar. So geben die Werkszeitschriften nicht nur inhaltliche Hinweise auf die betrieblichen Entwicklungen, sondern sind auch ein Untersuchungsgegenstand der Studie selbst, indem sie seriell als Medium der Arbeitsschutzvermittlung untersucht wurden. Vgl. zu Werkszeitschriften als unternehmenshistorischem Untersuchungsgegenstand auch Michel, Fabrikzeitung, S. 11–21.

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1. Einleitung

werk in Duisburg-Huckingen herangezogen (Salzgitter AG-Konzernarchiv/Mannesmann-Archiv, Mülheim/Ruhr, MA).142 Im Konzernarchiv Thyssen (TKA) ist derzeit der größte Teil des berücksichtigten Quellenkorpus überliefert. Mit der Übernahme des Hoesch-Archivs (ehemals in Dortmund) beziehen sich die Quellen hier nun auf die originären Thyssen-Bereiche der Thyssenhütte, das Hüttenwerk Oberhausen (HOAG bzw. TNO) sowie die Hoesch-Bereiche Westfalenhütte und Dortmund-Hörder Hüttenunion (DHHU, ThyssenKrupp Konzernarchiv, Duisburg). Die Quellen der GHH für den Zeitraum vor 1945, aus der die HOAG nach dem Zweiten Weltkrieg hervorging, wurden separat im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv (RWWA, Köln) ausgewertet. Diese Bestände wurden durch die Berücksichtigung der einschlägigen Fachverbände, Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht, Forschungsinstitutionen und der gesetzgeberischen Ebene in der Gegenüberlieferung ergänzt. Die staatlichen/ öffentlichen Quellen beziehen sich dabei in erster Linie auf die Tätigkeit des Landesarbeitsministeriums und der lokalen Gewerbeaufsichtsbehörden (Landesarchiv NRW, Düsseldorf, LAV NRW) sowie der legislativen nationalen und europäischen Ebene (Bundesarchiv Koblenz, BAK bzw. Historisches Archiv der Europäischen Kommission/Archives Historiques de la Commission Européenne, Brüssel, AHCE). Auch die Überlieferung der Industriegewerkschaft Metall (Archiv der sozialen Demokratie, Bonn, AdsD) wurde punktuell berücksichtigt. Hinzu kam die serielle Auswertung aus dem gedruckten Berichtswesen der Fachorgane von Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft wie auch Fachzeitschriften und weiterführende gedruckte Quellen (z. B. zeitgenössische Ratgeberliteratur, Selbstzeugnisse der Akteure). 1.4 AUFBAU DER UNTERSUCHUNG Die Analyse folgt in groben Zügen der institutionellen Entwicklung der Arbeitsschutzorganisation in den einzelnen Betrieben zwischen den 1920er und den 1980er Jahren. Sie gliedert sich dabei chronologisch in Teile, die sich sowohl an endo- als auch exogenen Zäsuren orientieren und in den jeweiligen Textabschnitten hinterfragt bzw. begründet werden. Die einzelnen Teile werden jeweils durch eine Übersicht der legislativen, technischen, ökonomischen und organisatorischen Rahmenbedingungen entsprechend den einzelnen Zeitabschnitten eingeleitet und anhand inhaltlicher Schwerpunkte betrieblicher Arbeitsschutzmaßnahmen vertieft. Zunächst verfolgt der erste Teil der Arbeit (Kapitel 2, ca. 1920 bis 1945) eine Synthese bisheriger Studien und die Ergänzung weiterer Ergebnisse aus den Quel142 Die Ergebnisse aus dem erweiterten Bereich der Akteure und des Unternehmens Mannesmann stützen sich dabei auch auf eine Pilotstudie, „Die Geschichte des Arbeitsschutzes in der Bundesrepublik am Beispiel des Werkes Huckingen nach 1945“, im Rahmen einer vorangegangenen Magisterarbeit (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2009). Sie konnte bereits erste Hinweise auf Zäsuren, Handlungs- und Motivstränge des betrieblichen Arbeitsschutzes am Einzelbeispiel liefern. Die Ergebnisse und Thesen werden hier mit der erweiterten empirischen Analyse zur Einordnung und Bewertung des Branchenvergleichs zusammengeführt und überprüft.

1.4 Aufbau der Untersuchung

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len der Unternehmen zwischen 1920 und 1945. Hier sind in der Wechselwirkung einer Produktionsaufnahme der Friedenswirtschaft und neuartigen Formen der Mitbestimmung auch die Grundsteine und Neuausrichtung eines „modernen“ betrieblichen Arbeitsschutzes erkennbar, die sich in erster Linie an der Einrichtung erster Arbeitsschutzabteilungen in den Unternehmen sowie der Einführung neuer betrieblicher Akteure (Sicherheitsingenieure, Unfallvertrauensleute) äußerten. Mit diesen organisatorischen Neuerungen ging auch eine verstärkte und inhaltlich deutlich ausgeweitete Unfallverhütungsarbeit einher, die auch im Licht nationalsozialistischer Ideologisierung seit den 1930er Jahren in den Blick genommen wird. Die vorliegende Untersuchung hält dabei formell an der Zäsur 1945 fest, die im zweiten Teil (Kapitel 3, ca. 1945 bis 1970) über den Wechsel von Kontinuitätslinien und Wandel einen tatsächlichen Neuanfang im betrieblichen Arbeitsschutz zugleich auch hinterfragt. Einerseits deuten Faktoren wie Zerstörung, Produktionsumstellung, Entflechtung oder die Einführung der Montanmitbestimmung durchaus auf einen Bruch für die betrachteten Unternehmen hin. Andererseits geht die Untersuchung dem tatsächlichen Charakter eines Paradigmenwechsels im betrieblichen Arbeitsschutz vor dem Hintergrund organisatorischer und inhaltlicher Kontinuitätslinien nach, die ein schnelles Anknüpfen an Vorkriegsbedingungen begünstigten bzw. sie ununterbrochen fortsetzten. Der abschließende dritte Teil (Kapitel 4, ca. 1970er bis 1980er Jahre) leitet mit Beginn der 1970er Jahre in eine stärker präventiv ausgerichtete Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsschutzkonzeption über. Die Zäsur wird auch hier sowohl an exogenen Faktoren im Umfeld einer deutlichen Belebung der Arbeitsschutzgesetzgebung (Maschinenschutzgesetz von 1968, Arbeitssicherheitsgesetz von 1973) überprüft als auch an einer inhaltlichen Neuausrichtung „menschengerechter“ Arbeitsgestaltung bzw. Prämissen einer „humanen“ Arbeitswelt im organisatorischen Umfeld von Konzernumstrukturierungen und Konzentrationsprozessen der Branche und innerhalb der Unternehmen verortet. Dabei sind Akteurskonstellationen mit einer zunehmenden Komplexität und Ausdifferenzierung unterschiedlicher Professionen wie auch Einflussmechanismen bis hinauf zur europäischen Ebene zu berücksichtigen.

2. DIE ANFÄNGE DES MODERNEN ARBEITSSCHUTZES1: BETRIEBLICHE UNFALLVERHÜTUNG ZWISCHEN RATIONALISIERUNG UND IDEOLOGISIERUNG (1920 BIS 1945)

2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945) Die unternehmenshistorische Forschung zur Eisen- und Stahlindustrie seit den 1990er Jahren hat gezeigt, dass nach Ende des Ersten Weltkrieges nicht nur eine soziale Novellierung industrieller Arbeit durch die Einrichtung betrieblicher Mitbestimmung einsetzte, sondern auch technische Neuerungen und ökonomische Wechsellagen ganz neue Maßstäbe an die unternehmerischen Handlungsspielräume stellten.2 Christian Kleinschmidt arbeitete in diesem Zusammenhang für die betrachteten Unternehmen das Zusammenspiel technischer, organisatorischer und sozialer Rationalisierungsmechanismen heraus, in deren Kontext er auch die Entwicklung der betrieblichen Unfallverhütung verortete.3 Durch die neuartige „Beschäftigung mit den Themen Arbeit und Produktion“4 erhielt die praktisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Begleiterscheinungen und Steuerungsinstrumente industrieller Arbeit eine neue Dimension. Neben der grundsätzlichen Rezeption tayloristischer und fordistischer Produktionsmodelle sind von der Forschung auch zahlreiche Einzelaspekte identifiziert worden, die mit dem Schwerpunkt der Arbeitsphysiologie in das Umfeld der betrieblichen Unfallverhütung einzuordnen sind.5 Hierzu zählen vielfältige Konzepte der Arbeitszeitgestaltung und Ermüdungsforschung, der Arbeitsplatzgestaltung oder der sich in diesem Bereich des Arbeitseinsatzes explizit herausbildenden „Psychotechnik“ mit den entsprechenden Organisationsformen des Reichsausschusses für Arbeitszeitermittlung (REFA) oder des Deutschen Instituts für technische Arbeitsschulung (DINTA).6 Im innerbetrieblichen Kontext wurde die Unfallverhütung nach Karl Ellerbrock seit den 1920er Jahren „[…] in der Eisen- und Stahlindustrie als eines der wichtigsten Instrumente der ‚sozialen Rationalisierung‘ erkannt.“7 Christian Kleinschmidt und Wolfhard Weber haben diesen Entwicklungsschub bereits durch die Institutionalisierung von Abteilungen für Unfallverhütung und der Bestellung sogenannter „Sicher1 2 3 4 5 6 7

Weber, Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, 359–364; ausführlich Welskopp, Arbeit und Macht, S. 435–707. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 20 f., S. 89–95, S. 185–189, S. 284–297 und S. 324– 330. Weber, Industrielle Entfaltung, hier: S. 207. Vgl. u. a. Hachtmann, Ein Kind der Ruhrindustrie?; mit Bezug zur Unfallverhütung Kleinschmidt, Arbeit und Industrieforschung, hier: S. 75–78. Vgl. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 221 und ders., Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz, hier: S. 207. Darüber hinaus u. a. Lupa, Ethik; Schottdorf, Arbeits- und Leistungsmedizin, S. 86–169; zuletzt Patzel-Mattern, Ökonomische Effizienz. Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 31.

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

heitsingenieure“ für die Eisen- und Stahlindustrie aufgezeigt.8 Im vorliegenden Forschungskontext gilt es, den Arbeitsschutz als einen eigenständigen Problemhorizont der Unternehmen aufzugreifen, Unfallverhütungsmaßnahmen wie die Einstellung von Sicherheitsingenieuren zu untersuchen und nach den differenzierten Beweggründen und Handlungszusammenhängen der ergriffenen Maßnahmen – auch über die Rationalisierung hinaus – zu fragen. Dabei wird insbesondere die auffällig parallele Entwicklung der Unfallverhütung in den einzelnen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie in Betracht genommen und die Grundlage für die Entwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts skizziert. 2.1 UNTERNEHMEN UND ARBEITSSCHUTZRECHT BIS 1945 2.1.1 Die Entwicklung der Unternehmen bis zum Zweiten Weltkrieg Die Gründungsphase der betrachteten Hüttenwerke konzentriert sich auf die Mitte des 19. Jahrhunderts.9 Im Dortmunder Raum zählten die Unternehmensgründungen von Hoesch (seit 1871)10 und die Errichtung der Werke der späteren Dortmund-Hörder-Hüttenunion (DHHU, mit dem Hörder Bergwerks- und Hütten-Verein ab 1852 und der Dortmunder Bergbau und Hütten AG ab 1857)11 zu den zentralen Zäsuren. Neben dem Ausbau der Gutehoffnungshütte (GHH, ab 1873) in Oberhausen12 setzte die Erweiterung der westlich gelegenen Werke der Eisen- und Stahlproduktion dagegen zeitlich verzögert seit den 1890er Jahren ein:13 Hierzu zählte das 1890/91 errichtete Stahl- und Walzwerk in Hamborn-Bruckhausen als Kern der späteren August Thyssen-Hütte (ATH)14, die Errichtung der FriedrichAlfred-Hütte (FAH) von Krupp in Rheinhausen im Jahr 1896/9715 und schließlich das 1909 in Huckingen von der Essener Firma Schulz-Knaudt errichtete SiemensMartin-Stahl- und Blechwalzwerk.16 Mit der Massenstahlproduktion bildeten sich Großunternehmen wie Krupp, Mannesmann und Thyssen heraus, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die Rhein-Ruhr-Region maßgeblich prägten.17 Bis in die 8 9

10 11 12 13 14 15 16 17

Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 284–288; Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 228 f. Eine Ausnahme stellte die GHH dar, deren Ursprünge mit der Hütte „St. Antony“ bis in das 18. Jahrhundert zurückreichen, vgl. ausführlich Banken, Die Gutehoffnungshütte, hier: S. 15–95. Vgl. auch Feldenkirchen, Standortfaktoren; ders., Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets 1879–1914. Vgl. Horst Mönnich, Aufbruch, S. 91–96 und S. 109–112. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 33–39. Vgl. Banken, Die Gutehoffnungshütte, hier: S. 96–129; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 253. Vgl. Duckwitz u. a., Kulturlandschaftswandel, S. 28–32. Vgl. Rasch, August Thyssens Firma, hier: S. 312; ausführlich Treue, Feuer, S. 32–54. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 212 und S. 259. Eine umfassende unternehmenshistorische Darstellung des Hüttenwerkes Rheinhausen steht noch aus. Vgl. Tenfelde, Krupp, hier: S. 22, Anmerkung zu Fußnote 11 (S. 591). Vgl. Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 119–122. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 210–214.

2.1 Unternehmen und Arbeitsschutzrecht bis 1945

51

1920er Jahre setzte sich so ein Prozess zum Ausbau zahlreicher integrierter Hüttenwerke, also der vertikalen Integration der Produktionsschritte der Grundstoffe bis zu Halb- und Fertigzeugen im Verbundsystem wie auch eine zunehmende Rationalisierung18 und „Konzernierungsbewegung“19 kontinuierlich fort.20 Wirtschaftlich war die Branche dabei bis zum „[…] Ende des Ersten Weltkrieges […] erheblichen Konjunkturschwankungen unterworfen.“21 Und auch danach schlossen sich zunächst Inflation und Weltwirtschaftskrise sowie mit der erneuten Rüstungsproduktion wiederholte wirtschaftliche Wechsellagen und zahlreiche branchenspezifische „Sonderkonjunkturen“22 bis 1945 an. Dabei stiegen die Beschäftigtenanteile der Eisen- und Stahlerzeugung im Gesamtgebiet des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) im gleichen Zeitraum mit einem Anteil an allen Gewerbezweigen von unter 7 Prozent im Jahr 1907 kontinuierlich auf über 17 Prozent im Jahr 1933 an (bis 1939 erfolgte dann ein Rückgang auf rund 13 Prozent).23 Insgesamt stellte die Region an den Beschäftigtenzahlen des Deutschen Reiches zwar nur zwischen 5 und 8 Prozent, davon nahm jedoch allein die Eisen- und Stahlerzeugung einen Anteil von rund einem Drittel (1933 sogar über 45 Prozent) ein.24 Auch im Bereich der Produktion erreichte das Ruhrgebiet bereits um die Jahrhundertwende rund 40 Prozent (3 Mio. t) der Roheisenerzeugung der deutschen Gebiete und stieg bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise auf einen Anteil von über 80 Prozent (10 Mio. t), brach in den Folgejahren jedoch massiv ein. Erst zur Mitte der 1930er Jahre erreichte die Roheisenerzeugung des Ruhrgebietes wieder die 10-Millionen-Tonnen-Marke (bis 1938 12 Mio. t).25 Die Unternehmen bewegten sich im Nationalsozialismus (NS) zwischen neuen ökonomischen Chancen und Restriktionen. Sie waren spätestens mit den Zielsetzungen des Vierjahresplanes (ab 1936) im Umfeld einer „gelenkte[n] Wirtschaft“26 mit Fragen der Aus- und Einfuhren und einer strengen Autarkiepolitik konfrontiert. In deren Umfeld galt auch die Gründung der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ 1937 als Herausforderung der Ruhrindustrie.27 Gleichzeitig boten sich mit der „Ausrichtung der Produktion auf rüstungsrelevante Sparten“28 auch neue Produktions-, Absatz- und Gewinnchancen für die Konzerne.29 Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren die betrachteten Hüttenwerke 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung. Hilger, Sozialpolitik, S. 76. Vgl. u. a. in der Übersicht Duckwitz u. a., Kulturlandschaftswandel, S. 32; Hilger, Sozialpolitik, S. 67–70 und S. 74–76; Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 39. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 35. Ebenda, S. 101. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 101 f., Tab. Nr. 40. Vgl. ebenda, S. 103, Tab. Nr. 41. Vgl. ebenda, S. 226–228, Tab. Nr. 67. Feldenkirchen, Deutsche Wirtschaft, S. 20. Vgl. dazu ausführlich Mollin, Montankonzerne. Vgl. Bähr, GHH und M. A. N., hier: S. 293; ausführlich Mollin, Montankonzerne, S. 52–173. Feldenkirchen, Deutsche Wirtschaft, S. 20. Vgl. zur Rolle der Unternehmen in der NS-Wirtschaft u. a. mit Überblick zum neueren Forschungsstand Schneider, Rüstung, „Arisierung“, Expansion; ausführlich Abelshauser u. a., Wirtschaftsordnung.

52

2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

zwar technisch weitestgehend ausgebaut und auf ein hohes Produktionsniveau eingestellt, vielfach gestaltete sich die Umstellung auf die Kriegswirtschaft und die Umsetzung der von den Nationalsozialisten festgelegten Vorgaben dennoch als problematisch.30 Ausfälle in der Rohstoffversorgung und auch zunehmende Luftangriffe der Alliierten lähmten zeitweise die Produktionsabläufe, während die Ausfälle von Arbeitskräften durch die Einberufung der Belegschaft zum Militärdienst zunehmend durch den Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen kompensiert wurde.31 Organisatorisch wählten die Unternehmen zwischen den beiden Weltkriegen unterschiedliche Wege, um den neuen Herausforderungen des Marktes zu begegnen. Nach der Überwindung der konjunkturellen Schwankungen von „Kohlekrise, Hyperinflation und Ruhrbesetzung“32 sah sich die Eisen- und Stahlindustrie zur Mitte der 1920er Jahre auch einer neuen internationalen Wettbewerbslage ausgesetzt. Die Produktionsquoten in Asien und den USA hatten stark zugenommen, und insbesondere die französische und belgische Konkurrenz setzten die deutsche Eisen- und Stahlindustrie nach Christian Kleinschmidts Analyse mit ihrem „Preisdumping“ bei eigenen „steigende[n] Selbstkosten und Löhne[n]“ sowie „hohe[n] Frachtraten“33 zunehmend unter Druck: Dabei zeigten sich in den Produktionsanlagen zunehmende Unterauslastungen, denen die Unternehmen sowohl durch Zusammenschlüsse, zum Beispiel zu den Vereinigten Stahlwerken (VSt), und Kontingentierung als auch durch unternehmensinternen Kapazitätsausbau begegneten.34 2.1.2 Die Regulierung des Arbeitsschutzes in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich – insbesondere durch den Schutz der Arbeitskraft in der Weimarer Verfassung von 1919 – erstmals die Rahmenbedingungen des Arbeitsschutzes grundlegend verändert: Neben den zunehmenden Mitbestimmungs- und Arbeitnehmerrechten rückte auch die Gestaltung betrieblicher Unfallverhütung in den Fokus der neu definierten industriellen Beziehungen. Zu einer grundlegenden Änderung des dualistischen Prinzips führte dies jedoch nicht.35 30 31

32 33 34 35

Vgl. zu den Unternehmen u. a. Abelshauser, Rüstungsschmiede, hier: S. 328–353; Bähr, GHH und M. A. N., hier: S. 291–298 und S. 314–318; Koch, 75 Jahre Mannesmann, S. 121–123; in der Übersicht Mollin, Eisen- und Stahlindustrie. Vgl. u. a. Abelshauser, Rüstungsschmiede, hier: S. 400–431; Bähr, GHH und M. A. N., hier: S. 330–336; Ellerbrock u. a., Jenseits der Ökonomie, hier: S. 127 f.; Hachtmann, Lage der Industriearbeiterschaft, hier: S. 255–259; Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 143 f. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 106. Ebenda, S. 107. Vgl. ebenda, S. 106–109 und S. 197–208. Vgl. Gabriele Moser, „Alle diese Verhältnisse“, hier: S. 59 f.; Weber, Arbeitssicherheit, S. 124 f.

2.1 Unternehmen und Arbeitsschutzrecht bis 1945

53

Vielmehr engagierten sich die Akteure für die Ausweitung im Bereich des Arbeits- und Maschinenschutzes: Die Berufsgenossenschaft ergriff zu Beginn der 1920er Jahre die Initiative zur Gründung einer Zentralstelle für Unfallverhütung und einer Arbeitsgemeinschaft für Unfallverhütung, um insbesondere staatliches Eingreifen zu verhindern und ihre autonome Stellung im Arbeitsschutzsystem zu behaupten. Das Reichsarbeitsministerium versicherte sich der „Ernsthaftigkeit […] der Absicht zur Verhinderung von Unfällen“36 durch die Arbeitsgemeinschaft und verzichtete seinerseits zunächst auf eine gesetzliche Intervention. Erst unter dem anhaltenden Druck des konjunkturellen Aufschwungs nach 1923 und der trotz aller Gegeninitiativen weiterhin steigenden Unfallzahlen wurden die Planungen eines umfassenden Arbeitsschutzgesetzes erneut aufgegriffen. Dies blieb jedoch ohne nachhaltigen Erfolg: Zu einer Umsetzung kam es im Ringen um verschiedene Entwürfe nicht mehr, sondern die Bemühungen um eine gesetzliche Ausweitung des Arbeitsschutzes wurden mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 abrupt gestoppt.37 Anders gestaltete sich die Lage bei der Umsetzung der ersten Berufskrankheiten-Verordnung von 1925: Hier wurden erstmals chronische Folgen gesundheitsschädigender Arbeit im Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaften berücksichtigt.38 In diesem Fall ging das gesteigerte Engagement der Regierung jedoch auf eine konkrete Verpflichtung der Bestimmungen von Versailles zurück, die Vorschriften des Internationalen Arbeitsamtes national umzusetzen. Der Erlass einer eigenen Berufskrankheiten-Verordnung, der auch die Berufsgenossenschaften schließlich zustimmten, „[u]m letztlich nicht eine internationale Liste akzeptieren zu müssen […]“39 war an dieser Stelle ein Akt zur Wahrung der Handlungsautonomie. An der Grundstruktur des deutschen Arbeitsschutzes änderte diese Regelung nichts. Auch bei den Berufskrankheiten wurden grundsätzliche Schäden und Gefährdungen im Arbeitsprozess vorausgesetzt und erst im Nachhinein entschädigt.40 Somit überdauerte nach Rolf Simons Einschätzung „[…] das Aufsichtssystem die Weimarer Republik fast unverändert […].“41 Im nationalsozialistischen Regime erfolgte schließlich im Bereich des Arbeitsschutzes eine massive Politisierung. Dies wurde insbesondere über die Idee einer systematischen Leistungssteigerung der Arbeiterschaft fest im Konzept der nationalsozialistischen Gesundheitsförderung verankert und instrumentalisiert.42 Zwi-

36 37 38 39 40 41 42

Weber, Technik und Sicherheit, S. 126. Vgl. ebenda, S. 122–134. Vgl. ebenda, S. 139–156; Moser, „Alle diese Verhältnisse“, hier: S. 67–73. Weber, Technik und Sicherheit, S. 148 f. Vgl. zu den Bemühungen im Rahmen der International Labour Organization (ILO) Weindling, Die medizinischen Wissenschaften. Vgl. Milles u. a., Chancen und Blockaden, hier: S. 105. Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht, S. 356. Vgl. Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen; Sachße u. a., Wohlfahrtsstaat, S. 274 f.; Schwoch, „Ein neuer Weg“, hier: S. 79 f.

54

2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

schen 1933 und 1945 wurden so auch verstärkt Regulierungen des Arbeitsschutzes in einem bis dahin kaum gekannten Ausmaß durchgesetzt, auch mit Geltungsdauer über 1945 hinaus. Dies umfasste sowohl die betriebliche Ausweitung der Unfallverhütungsarbeit und eine Leistungssteigerung der Belegschaft durch den Einsatz von Betriebsärzten („Leistungsmedizin“),43 als auch gesetzliche Initiativen im Bereich des sozialen Arbeitsschutzes wie die Arbeitszeitverordnungen (1934 und 1938), das Jugend- (1938) oder das Mutterschutzgesetz (1942).44 2.2 DAS NEUE NETZWERK DER BETRIEBLICHEN SICHERHEITSORGANISATION Die Entwicklung der Unfallzahlen ist in der Forschung bislang insbesondere der rasanten Industrialisierung und Technisierung zugeschrieben worden, „[…] denen noch kein funktionsfähiger Unfallschutz gegenüberstand“45. Die Betrachtung der Belegschaftszahlen liefert Hinweise auf die Problematik gesteigerter Unfallgefahren in Bezug auf Betriebszugehörigkeit und Tätigkeitswechsel.46 Doch die Korrelation zwischen Belegschaftsstärke und Unfallzahlen allein bietet kein ausreichendes Erklärungsmuster für betriebliche Unfallentwicklungen. So hat Christian Kleinschmidt mit Blick auf die Eisen- und Stahlindustrie für die 1920er Jahre belegt, dass auch die „Wirkung technischer Rationalisierungsmaßnahmen“ über „Vollmechanisierung“47 sowohl Gefahrenstellen eliminieren wie auch neue Belastungsmomente schaffen konnte.48 Einerseits gestalteten sich die Arbeitsbedingungen über die zunehmende Elektrifizierung von Werksanlagen, wie etwa der Hebe- und Transportprozesse, im Modernisierungsprozess der Hüttenanlagen insgesamt technisch sicherer.49 Durch den Mechanisierungs- und Automatisierungsprozess reduzierten sich nicht nur Personal- und Produktionskosten, sondern auch Unfallgefahren, da der einzelne Arbeiter häufig vom eigentlichen Produktionsort weiter entfernt tätig war. Andererseits stiegen jedoch durch Produktionstempo und -druck die Unfallgefahren im Betrieb, sodass eine exakte qualitative oder gar quantitative Einschätzung der tatsächlich gesteigerten Sicherheit kaum möglich ist.50

43 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Vereinheitlichung der UVV (1934) und Aufbau eines Betriebsärztesystems (1937), Elsner, Arbeitsmedizin, hier: S. 94–97; Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen, hier: S. 123–125. Vgl. Bethge u. a., Arbeitsschutz, 1945–1949, hier: S. 219 f. Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 30. Vgl. auch zur Rolle von Mechanisierung, Elektrifizierung und Steigerung der Arbeitsintensität, Steinisch, Arbeitszeitverkürzung, S. 121 f.; dies. u. a., Technischer Wandel, hier: S. 55–59. Vgl. Steinisch, Arbeitszeitverkürzung, S. 122–124. Beide Zitate Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 327. Vgl. ebenda, S. 330. Vgl. Weber, Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz, S. 203 f. Vgl. Kroker, Arbeitsplatz, hier: S. 136; Weber, Auf dem Weg zum modernen Arbeitsschutz, hier: S. 207.

55

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

2.2.1 Die Kosten der Unfälle: Erfassung und Bewertung von Unfallzahlen in den Unternehmen 2.2.1.1 Steigende Unfälle in den Unternehmen Ein besonderer Handlungsdruck entstand mit steigenden Unfallzahlen bei zunehmender Belebung von Konjunktur und Produktion um die Mitte der 1920er Jahre.51 Tatsächlich schloss sich eine Phase schwankender Unfallzahlen im Wirkungszusammenhang von positiven und negativen (technischen) Effekten der Rationalisierung, Konjunkturverlauf und zunehmender betrieblicher Unfallverhütungsarbeit an. So erreichten die Unfallzahlen in der konjunkturellen Hochphase zum Ende der 1920er Jahre in Tab. 1 und 16 bis 19 (im Anhang) sowohl in der gesamten Branche wie auch in den einzelnen Unternehmen zunächst einen erneuten Höchststand und sank in der folgenden Krisenzeit bis 1932 deutlich ab.52 Tab. 1: Unfallzahlen der HWBG, 1919–1938 Jahr

Zahl der durchschnittlich Versicherten

Zahl der Unfälle (Betriebsunfälle)

gemeldete

1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938

255.748 280.970

203.770 221.428 175.466 207.454 215.083 221.781 185.372 134.696 105.160 126.988 176.742 214.858 244.401 266.745 294.503

21.802 20.086 23.026 24.311 14.380 25.038 28.680 23.891 34.121 34.338 34.097 22.498 12.595 8.614 11.516 18.073 23.392 29.976 31.908 40.750

(erstmals) entschädigungspflichtige 2.802 2.134 2.247 2.207 1.741 1.515 1.699 1.557 1.658 1.936 1.756 1.570 1.092 543 529 758 1.063 1.199 1.249 1.442

tödliche

320 256 239 270 244 175 173 153 183 198 163 128 69 55 72 93 133 133 130 154

Auf 1.000 Arbeiter/Versicherte entfallen Unfälle (Betriebsunfälle ab 1926) gemeldete (erstmals) tödliche entschädigungspflichtige 95,2 12,24 1,35 78,54 8,34 1 81,95 8 0,85

136,15 161,45 155,06 148,2 117,11 89,53 78,52 86,91 102,26 108,87 122,65 119,62 138,37

8,87 7,82 8,7 7,49 8,13 7,63 4,87 4,02 4,29 4,95 4,91 4,68 4,9

0,87 0,87 0,86 0,69 0,66 0,47 0,46 0,54 0,52 0,62 0,54 0,49 0,52

Quelle: HWBG, Technische Berichte für die Jahre 1920–1938. 51 52

Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 188. Vgl. ebenda, S. 324 f. Vgl. bislang noch immer die umfassendste Übersicht der Unfallzahlen in der deutschen Industrie bis 1932 bei Zumpe, Unfallverhältnisse.

56

2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

Insgesamt war die Eisen- und Stahlindustrie dabei weiterhin nach dem Bergbau mit der höchsten Unfallhäufigkeitsrate am häufigsten betroffen. Zugleich verzeichnete die HBWG die höchsten Unfallziffern im nationalen Vergleich.53 In der Rezeption der Unternehmen rückten die steigenden bzw. stagnierenden Unfallzahlen, auch unter legislativem Handlungsdruck, seit Mitte der 1920er Jahre verstärkt ins Blickfeld. Durch eine generelle Zuwendung zur wissenschaftlichen Betriebsführung wurden auch Unfalluntersuchungen anhand quantifizierender Methoden als „quasi wissenschaftliche[r]“54 Versuch gewertet, dem bislang reaktiv als Begleiterscheinung des Arbeitsprozesses gedeuteten Unfallgeschehen durch aktive Maßnahmen zu begegnen. Dies löste auch einen inhaltlichen Wahrnehmungswandel aus: Die Unfallfrage wurde fortan als kostenverursachendes Element auf verschiedenen Ebenen problematisiert. Hierzu zählten Produktionsausfall und Zeitverlust, wie auch steigende Rentenkosten für die Berufsgenossenschaft. Zudem wurde die Unfallverhütung nicht mehr allein als kostenerzeugendes, sondern zunehmend auch als kosteneinsparendes Instrument erkannt und verteidigt.55 Ab 1933/34 folgte mit der erneut anziehenden Konjunktur auch bei der betrieblichen Unfallentwicklung eine Zäsur, nach der sowohl Beschäftigungs- als auch Unfallzahlen wieder deutlich anwuchsen.56 Der Blick in die Unternehmen in Tab. 16 bis 19 (im Anhang) bestätigt diese Entwicklung:57 So stiegen etwa bei der GHH die Unfallzahlen ab 1934 wieder deutlich an.58 Dabei thematisierten die betrieblichen Akteure die Verbindung von Unfallentwicklung und Arbeitsleistung zunehmend selbst: Wie bereits Heinrich Bitter für die Hoesch-Werke (1927)59 herausgestellt hatte, bezog sich nun auch die Oberhausener „Unfallhäufigkeitsziffer“ erstmals auf die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden. Sie lieferten erste statistische Rückschlüsse auf die Verbindung von Mehrarbeit und Unfällen – über den Produktionsdruck innerhalb der Arbeitszeit sagte dies jedoch noch nichts aus.60 Die Anfänge einer komplexeren Wahrnehmung des Unfallgeschehens sind bei den Unternehmen durchaus erkennbar – die größeren Zusammenhänge, gerade auch weil nachhaltige Rückgänge der Unfallzahlen ausblieben, konnten die Ak-

53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. Zumpe, Unfallverhältnisse, S. 532 f. Kleinschmidt, Arbeit und Industrieforschung, hier: S. 75. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 287, S. 291 f. und S. 329. Vgl. ebenda, S. 325. Vgl. Gollasch, Unfallschutz und Betriebssicherheit auf der Dortmunder Union 1927, 1929– 1934; ders., Unfallschutz und Unfallbewegung auf dem Dortmund Hörder Hütten Verein 1935– 1937. Vgl. Sieler, „Unfallschutz der Oberhausener Hüttenwerke“, in: GHH-Werkzeitschrift (1939), Nr. 6, S. 10 f., hier: Bild 1, S. 10. Vgl. Bitter, Unfallverhütung Hoesch, hier: S. 572. Vgl. Sieler, „Unfallschutz der Oberhausener Hüttenwerke“, in: GHH-Werkzeitschrift (1939), Nr. 6, S. 10 f., hier: S. 10; vgl. ähnliche Ergebnisse einer Gegenüberstellung für die Jahre 1913/14 und 1938 bei Bültmann, Unfälle, hier: S. III 217. Rüdiger Hachtmann führt dies auch auf eine seit 1933 „restriktivere Entschädigungspraxis der Krankenkassen“ zurück, Hachtmann, Die Arbeiter der Gutehoffnungshütte, hier: S. 118.

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

57

teure zeitweise jedoch noch nicht erkennen.61 Die Frage der Konjunkturabhängigkeit der Unfallentwicklung wurde, etwa durch die Erfassung der Unfallzahlen in Relation zur Stärke der Arbeiterschaft und den Arbeitsstunden, zwar vermutet, konnte jedoch erst aus der historischen Perspektive eindeutig belegt werden.62 Zugleich konzentrierte sich die Berücksichtigung von Unfallkosten weiterhin allein auf den Lohn- und Produktionsausfall, die Heilbehandlung und Rentenleistungen, die den Unternehmen allerdings nur mittelbar über Betriebskrankenkasse bzw. Berufsgenossenschaft zu Buche schlugen. Die Frage der Kosten für Unfallverhütungsmaßnahmen wurde lediglich als Leistungskatalog der Berufsgenossenschaften thematisiert.63 Insgesamt ist mit der nationalsozialistischen Machtergreifung eine sukzessive Rückkopplung der Unfallentwicklung an die NS-Ideologie erkennbar.64 So begründete etwa die August Thyssen-Hütte (ATH) 1938 den Rückgang der Unfälle (seit 1933) nicht mehr mit dem unmittelbaren Wandel von Produktionsbedingungen oder Unfallverhütungsmaßnahmen allein, sondern vielmehr als „[…] eine Folge des neuen Geistes, der seit jenen Tagen, wie überall in Deutschland, auch bei uns sich siegreich durchsetzte.“65 Die ideologische Aufladung der Unfallzahlen wird etwa durch Slogans in den Werkszeitschriften vom „Dienst am Volke“66 und als Unterstützung der Soldaten von der Heimatfront offenbar.67 2.2.1.2 Die Unfallhäufigkeit während des Krieges Maßgeblich für diesen Zeitraum waren v. a. die deutlich forcierten Produktionszahlen und der Leistungsdruck, der bis zum Kriegsende auf den Belegschaften lastete; die Ziele konnten nur mit einer gesteigerten Beschäftigtenzahl sowie einem forcierten Produktionstempo erreicht werden.68 61 62 63 64 65 66 67

68

Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 328. Vgl. auch „Bericht über die Hauptversammlung“ 1929, hier: S. 759; sowie die Erarbeitung einer einheitlichen Betriebsstatistik durch die HWBG, vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/2480, Rundschreiben HWBG, 27.12.1926. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 325–330. Vgl. Sieler, „Unfallschutz der Oberhausener Hüttenwerke“, in: GHH (1938), Nr. 7, S. 5–7, hier: S. 5. Auch die Frage des Zusammenhangs von Arbeitsplatzumgestaltungen und Arbeitsschutz wurde als Wirtschaftlichkeitsargument thematisiert. Vgl. Brandt, Arbeitsschutz, S. 137 f. Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1933, S. 9. „Unfälle und ihre Verhütung“, in: Werkszeitung ATH (1938), Nr. 15, S. 4 f., hier: S. 5. „Unfallverhütung ist Dienst am Volke“, in: Werkszeitung ATH (1938), Nr. 19, S. 3 f. Vgl. „Soldat der Arbeit!“, in: Werkszeitung ATH (1942), Nr. 2, S. 4; vgl. bei der GHH bereits 1936 Schwantke, „Wir Soldaten der Arbeit“, in: GHH (1936), Nr. 24, S. 2; Otto Runkler, „Unfallverhütung ist kriegswichtig“, in: GHH (1941), Nr. 7, S. 5; „Unfallschutz in Kriegszeiten“, in: Hüttenzeitung (1939), Nr. 19, S. 5. So waren beispielsweise von den rund 9.500 Beschäftigten auf der Westfalenhütte nach eigenen Angaben zu diesem Zeitpunkt rund ein Drittel Zwangsarbeiter (untergliedert nach „Ostarbeiter“, „ausländische Zivilpersonen“ und „Kriegsgefangene“). Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/4372, Hoesch AG, Statistische Unterlagen des Hüttenwerkes 1945, Schreiben an USA, General-Head-Quarters II, 8.5.1945, XIX Arbeitsstatistik, Blätter 1 und 2. Bei Krupp in Essen belief sich in Absprache mit der Gewerbeaufsicht die Arbeitszeit 1943/44 auf bis zu 69 Wo-

58

2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

Eine exponierte Untersuchung der zivilen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen zeichnet sich in den betrieblichen Quellen zum Arbeitsschutz kaum ab.69 Dabei differieren bereits die Angaben zum Meldewesen und zur Erfassung ihrer Unfälle sowohl im Zeitverlauf zwischen 1942 und 1945 als auch innerhalb der Unternehmen.70 Hinweise auf das Unfallgeschehen von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen liefern auch einzelne Dokumente zu tödlichen Unfällen.71 Konkrete Rückschlüsse auf gefährliche Einsatzorte, technische Mängel, individuelle Unwissenheit, Sprachbarrieren, Sabotage, Fahrlässigkeit o. Ä. sind daraus jedoch nicht ersichtlich. Einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen vermittelt dagegen zumindest implizit die mangelhafte Versorgungslage, die sich nicht nur im Bereich der „Zivilversorgung“ niederschlug, sondern sich über Arbeits- und Schutzkleidung (etwa die Schuhversorgung) auch unmittelbar auf die Unfallgefährdung auswirkte. Dabei sind die steigenden Unfallzahlen in der Kriegszeit, insbesondere im Bereich der Verbrennungen, Stich- und Schnittwunden, durchaus mit dieser Mangellage in Verbindung zu bringen.72 Im Kontext von Autarkiebestreben, Bewirtschaftung und Kriegseinflüssen blieb insbesondere die 1942 eingeführte Bezugsscheinpflicht für Arbeitskleidung aus Spinnstoffen nicht ohne Folgen für die Unfallverhütung, wenngleich Schutzmittel wie Säureanzüge, Asbestkleidung, Schweißeranzüge, Wetterschutz oder Dachschuhe generell „punktefrei“ blieben – sie mussten allerdings auch verfügbar sein.73 Grundsätzlich richtete sich die Versorgung mit Arbeits- und Berufskleidung bereits seit 1940 nach den erlassenen Richtlinien über Berufs- und Arbeitskleidung der Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete, die zunächst eine grundle-

69 70

71

72 73

chenstunden. Vgl. HAK, WA 7 f./1314, Jahresbericht Arbeitsschutz 1943/44, 20.12.1944, Essen, S. 3 f.; Vgl. auch Hachtmann, Lage der Industriearbeiterschaft, hier: S. 249 f. Vgl. allgemein zu Begrifflichkeit und Entwicklung noch immer grundlegend Herbert, Fremdarbeiter und Spoerer, Zwangsarbeit. Vgl. u. a. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b12, Mitteilung Büro für Unfall- und Krankenkassenangelegenheiten, 22.5.1942; HAK, WA 40B/1073, „Arbeitsschutz für Ausländer“, 13.11.1945, Blatt 56; TKA, A/4101, Unfallmeldungen von russischen Kriegsgefangenen, Rundschreiben 11/43, 24.3.1943. Zu Anzahl und allgemeinen Arbeitsbedingungen in der Industrie vgl. u. a. Hachtmann, Lage der Industriearbeiterschaft, hier: S. 255–259; ders., Industriearbeiterschaft und Rationalisierung, hier: S. 235–244; zur Frage der Zwangsarbeiter in den einzelnen Werken u. a. Abelshauser, Rüstungsschmiede, hier: S. 400–431; Bähr, GHH und M. A. N., hier: S. 330–339; Ellerbrock u. a., Jenseits der Ökonomie, hier: S. 127 f.; Marx, Paul Reusch, S. 239–480; Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 143–145; „Zwangsarbeit in Dortmund (1939–1945)“, in: Heimat Dortmund (2002), Nr. 3. Für eine differenzierte Aussage zu einer erhöhten Unfallgefährdung müsste eine erweiterte Forschungsarbeit zur Zwangsarbeit speziell in der Eisen- und Stahlindustrie die betriebsinternen Einsatzorte genauer in den Fokus nehmen. Vgl. MA, M 12.821, Bd. 1, Bericht über den Fremdarbeitereinsatz bei den MannesmannröhrenWerken Abt. Heinrich-Bierwes-Hütte Duisburg-Huckingen, deutsche Übersetzung des englischen Berichts vom 31.8.1945; TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b18, Sterbeurkunden von „Ostarbeitern“, 1944. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1944/45, S. 1. Vgl. auch allgemein zu Arbeits- und Lebensbedingungen u. a. in der Metallindustrie Herbert, Fremdarbeiter, S. 317–344. Vgl. TKA, A/4100, Rundschreiben Nr. 10/42, 6.3.1942.

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

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gende Ausstattung noch weitestgehend sicherstellen konnte.74 Schutzkleidung (Schürzen, Handleder) und Lederschuhe (insbesondere für Hitzearbeiten) mussten von den Unternehmen über die zuständige Gewerbeaufsicht bei den Wirtschaftsämtern beantragt werden.75 Die Verteilung im Betrieb erfolgte nach Bedarf und in Abstimmung mit einem festgelegten Katalog.76 Durch eine stringente Buchführung sollte verhindert werden, dass Schutzkleidung als allgemeine Arbeits- und Berufskleidung oder auch als Abhilfe gegen den privaten Mangel mit Blick auf die knappe Zivilversorgung eingesetzt wurde.77 Dabei war insbesondere die Sonderrolle der Bekleidung der so genannten „Ostarbeiter“ zu Beginn ihres Arbeitseinsatzes noch nicht geklärt und wurde erst im Dezember 1942 durch einen Runderlass des Reichsarbeitsministers eindeutig geregelt.78 So wurden u. a. Versuche zu Ersatzstoffen der Lederarbeitsschuhe etwa durch angegossene Gummisohlen oder die Ausgabe von gebrauchtem Schuhwerk an russische Arbeiter im Austausch gegen neues Schuhwerk für die deutschen Arbeiter unternommen.79 Schließlich wurde für die „Ostarbeiter“ ein eigener Bekleidungstyp eingesetzt, die Schuhe sollten dabei v. a. mit Holzsohlen und Oberstoff (kein Leder) oder als Vollholzschuhe eingesetzt werden. Die Schutz- und Berufsbekleidung sollte weiterhin über Bezugsscheine beantragt und allen Arbeitern grundsätzlich gestellt werden.80 Inhaltlich folgten sie somit auch den Maßstäben nationalsozialistischer Rassenideologie: Deutsche Arbeiter, Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“ standen auch bei der Kleidung in teilweise deutlicher Abstufung zueinander, wobei die Versorgung mit expliziter Schutzkleidung nach den allgemeinen Bestimmungen für alle Beschäftigten geregelt war.81 Das Mindestmaß der Schutzausrüstungen spiegelt dabei das Kalkül zwischen Vernichtung und Erhalt der Arbeitskraft wider.82 74 75 76 77 78 79

80 81 82

Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/1384, Sozialbericht 1941/42, S. 44 f. Vgl. u. a. König, „Ueber Arbeits- und Berufsbekleidung auf Hüttenwerken“, in: Hoesch (1941), Nr. 10, S. 2–4 und HAK, WA 7 f./1314, Jahresbericht Arbeitsschutz 1943/44, 20.12.1944, S. 10 f. Vgl. u. a. bei Krupp HAK, WA 7 f./1314, Jahresbericht Arbeitsschutz 1943/44, 20.12.1944, S. 11; WA 137/58, Aktenvermerk Abt. Arbeitsschutz, 7.12.1942, Abschrift. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/1384, Sozialbericht 1941/42, S. 46. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b11, Reichswirtschaftsminister/Schreiben der Bezirksgruppe Nordwest, 29.12.1942, „Versorgung der im Reichsgebiet eingesetzten Ostarbeiter mit Bekleidung und Schuhwerk“ (Runderlass vom 18.12.1942). Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b11, Aktennotiz, 16.9.42 mit Schreiben der Bezirksgruppe Nordwest, 15.12.1942 und Notiz zu Versorgungsfragen, 20.10.1942; ähnlicher Hinweis auch MA, M 12.821, Bd. 1, Schreiben des Kriegsverwaltungsinspektors betr. der Versorgung der Kgf. mit Arbeits- und Berufskleidung, 13.6.1941, Abschrift. Vgl. zur Problematik der Ersatzstoffsohlen bei Arbeitsschuhen auch Sudrow, Der Schuh, S. 514 f. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b11, Reichswirtschaftsminister/Schreiben der Bezirksgruppe Nordwest, 29.12.1942, „Versorgung der im Reichsgebiet eingesetzten Ostarbeiter mit Bekleidung und Schuhwerk“ (Runderlass vom 18.12.1942), S. 1 f. Vgl. auch HAK, WA 137/58, Aktenvermerke Arbeitsschutz, 25.2.1944, 30.6.1944, 26.8.1944. Ein Licht werfen auch die sogenannten „Kraut-Aktionen“ auf die Ambivalenz zwischen „Vernichtung“, „Erhalt“ und „Steigerung“ der Arbeitskraft. So erfolgten 1943/44 in Kooperation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für Arbeitsphysiologie mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Tests zum Verhältnis von Nahrungsmittelrationen, Arbeitsleistung, Krankenstand und Unfallhäufigkeit an Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen der Eisen- und Stahlin-

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

Die Dringlichkeit der Mangellage war zum einen über wirtschaftliche Motive eindeutig definiert und wurde zum anderen nach individuellem Maß der Arbeitsplätze formuliert: „Die Versorgung muß so ausreichend sein, daß die Ostarbeiter eine befriedigende Arbeitsleistung aufbringen.“83 So war es durchaus im Interesse der Unternehmen, zur „Gesunderhaltung“ der Arbeitskraft die Versorgung mit Bekleidung und Schuhwerk, aber auch die Vermittlung und Beachtung grundlegender Unfallverhütungsmaßnahmen und -kenntnisse in einem Mindestmaß sicherzustellen.84 2.2.2 Neue Akteure in der betrieblichen Unfallverhütung 2.2.2.1 Innerbetriebliche Organisation der Unfallverhütung über Zentralstellen und Sicherheitsingenieure Mit der Gemengelage aus wachsendem öffentlichen Druck und der von den Unternehmen in den eigenen Produktionsbetrieben wahrgenommenen Unfallsituation war zur Mitte der 1920er Jahre auch ein Aufbruch zu neuen Maßnahmen der Unfallverhütung verbunden.85 Die Neuausrichtung schlug sich organisatorisch insbesondere in der Einrichtung von Zentralstellen für Unfallverhütung unter der Leitung sogenannter „Sicherheitsingenieure“ nieder.86 Die Eisen- und Stahlindustrie zählte mit diesen Maßnahmen zu einer der ersten Branchen, die eine institutionelle Verankerung der Unfallverhütung im Betrieb vornahm.87 Die Entwicklung blieb nicht auf die Eisenund Stahlindustrie beschränkt, sondern breitete sich zeitgleich auch in anderen gewerblichen Branchen wie etwa der chemischen Industrie (z. B. Henkel) rasch aus.88

83 84

85 86 87 88

dustrie. Vgl. Hachtmann, Ein Kind der Ruhrindustrie?, hier: S. 144–147; Kleinschmidt, Arbeit und Industrieforschung, hier: S. 78 sowie Budraß, Kaiser-Wilhelm-Institut, hier: S. 283–292, und Raehlmann, Forschungen des Kaiser-Wilhelm-Instituts, hier: S. 129–135. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G7b11, Aktennotiz „Versorgungsfragen der Ostarbeiter“, 28.10.1942. Vgl. auch Hachtmann, Lage der Industriearbeiterschaft, hier: S. 256 f. Vgl. TKA, A/4101, Merkblatt über die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung der im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte, 1.7.1943, S. 1; SIT, VSt/142, Arbeitsschutz ausländischer Arbeitskräfte und Ostarbeiter, Abschrift aus Amtlichen Mitteilungen des Reichstreuhänders der Arbeit und Präsidenten des Gauarbeitsamtes Köln-Aachen, 20.2.44, Nr. 4; Ausgabe fremdsprachiger Unfallverhütungsmittel etwa durch die Eisen- und Metall-Berufsgenossenschaften, HAK, WA 40B/1039, Verband der Eisen- und Metall-Berufsgenossenschaften (Hg.), Wie arbeite ich unfallsicher? Deutsch-ukrainische Ausgabe, o. D.; ders. (Hg.), Vorschriften für Kranführer und Anbinder, November 1943, jeweils niederländische und russische Sprachausgabe. Vgl. auch allgemein Weber, Arbeitssicherheit, S. 175 f. Vgl. „Zehn Jahre H-Zentrale für Unfallschutz auf dem Dortmund-Hoerder Hütten-Verein, Werk Dortmund, einschließlich Dortmunder Union Brückenbau-A.-G. und Eisen-Werk Rothe Erde G. m. b. H. (frühere Union)“, in: Hüttenzeitung (1935), Nr. 17, S. 3–10, hier: S. 3. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 183–185 und S. 188. Vgl. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 228. Vgl. für die elektrochemische Industrie Klebe, Arbeitsschutzes, S. 35 und für die Mitteldeutschen Stahlwerke Haide, Mitteldeutsche Stahlwerke; für Henkel vgl. Schöne, Arbeitsschutz 1977, 15.

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

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Abb. 4: Unfallschutz-Zentrale Oberhausen, 1936 Quelle: Sieler, „Unfallschutz-Zentrale der Oberhausener Hüttenwerke“, in: GHH-Werkzeitung (1936), Nr. 24, S. 7.

Die Funktion der Sicherheitsingenieure richtete sich insbesondere auf die erstmals zentrale Koordinierung aller Unfallfragen im Betrieb. Als Ansprechpartner für die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft vertraten sie für die Unternehmen ein neues und durchaus erfolgreiches „Modell der Selbstüberwachung“89. In Ergänzung öffentlicher Überwachungspersonen stellten die Unternehmen eigene Sicherheitsfachleute bereit, die als betriebliche Experten selbst Einfluss auf Unfallverhütung und Unfalluntersuchungen nehmen sollten, um nicht zuletzt auch weiterreichende staatliche Eingriffsmöglichkeiten durch eigenes Personal vorab zu besetzen.90 Abb. 4 zeigt, dass durch die Einrichtung von Zentralstellen die betriebliche Unfallverhütung als zentrales Organ gezielt zwischen Werksleitung und Betrieb geschaltet wurde.91 89 90 91

Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 286. Vgl. auch Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 225. Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 286. Vgl. dazu auch Vögler auf der Hauptversammlung des VDEh 1926: HWBG, Technischer Bericht 1926, S. 6. Vgl. auch „Zehn Jahre H-Zentrale für Unfallschutz auf dem Dortmund-Hoerder Hütten-Verein, Werk Dortmund, einschließlich Dortmunder Union Brückenbau-A.-G. und Eisen-Werk Rothe Erde G. m. b. H. (frühere Union)“, in: Hüttenzeitung (1935), Nr. 17, S. 3–10.

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

Die von der Forschung für diesen Zeitraum beschriebene endgültige Durchsetzung von Betriebsärzten (zumeist im organisatorischen Zuständigkeitsbereich der Betriebskrankenkassen) im nationalsozialistischen Leistungsgedanken spielte dabei für den Arbeitsschutz nur eine untergeordnete Rolle. Mit Ausnahme der ErsteHilfe-Leistung lag die betriebliche Unfallverhütung mit einer verstärkt technischen statt medizinischen Ausprägung deutlich im Verantwortungsbereich der Sicherheitsingenieure.92 So konzentrierten sich sowohl die Ausbildung als auch die Bezeichnung der Sicherheitsfachkräfte in den Hüttenbetrieben einheitlich auf die Ingenieurstätigkeit, die auch die Ausrichtung betrieblicher Unfallverhütungsarbeit über die Zäsur 1945 hinaus determinierte. Ein Effekt der organisatorischen Zentralisierung war neben einem erweiterten Unfallverhütungsinstrumentarium auch die zunehmende Reflektion über Unfallgeschehen und Gegenmaßnahmen. Aufgrund der zentralen statistischen Erfassung sowie der Bündelung der betrieblichen Erfahrungswerte und des Know-hows ergab sich ein genaueres Bild von der Unfallsituation in den Betrieben. Dazu suchten die Sicherheitsingenieure zunehmend auch den Erfahrungsaustausch untereinander. Konkret wurde die Berufsgenossenschaft seit Mitte der 1920er Jahre selbst zum Diskussionsforum für verschiedene Fragen der Unfallverhütung – z. B. durch regelmäßige Treffen der Sicherheitsingenieure und leitender Beauftragter für Unfallverhütung in den einzelnen Werken.93 Die HWBG fungierte als Plattform des (auch persönlichen) Austauschs, die fachliche Hinweise und Impulse in die Unternehmen einbrachte und in der Rückwirkung um deren Erfahrungswerte zur zu diesem Zeitpunkt noch weitestgehend als „Trial-and-Error“-Prozess zu verstehenden betrieblichen Unfallverhütungsarbeit ergänzt wurde. Die Anregungen für die inhaltliche Arbeit stammten zu einem großen Teil aus den Erfahrungswerten der Unternehmen selbst, wurden diskutiert und fortentwickelt und an andere Unternehmen weitergegeben. Dieses Vorgehen unterstreicht die individuelle Rolle der unternehmerischen Sicherheitsfachleute bei den durch die Berufsgenossenschaft verbreiteten Unfallverhütungsmaßnahmen, indem sie aus ihrem eigenen Erfahrungshorizont auch ganz eigene Impulse setzten. Die überraschende Bereitschaft zur Offenlegung eigener Erfahrungen erklärt sich auch aus der strategischen Position der Unternehmen, den Vorteilen des Gewinns weiterreichender Erfahrungen und einem gemeinsamen Lernprozess, der das Risiko von Wiederholungsfehlern mindern konnte. Die Unternehmen profitierten bei solchen Kooperationen in erster Linie vonder Menge und Differenziertheit des eingebrachten Wissens und seiner möglichst effizienten Diffusion. Im gesetzlichen Rahmen der Unfallversicherung aktivierte die Berufsgenossenschaft hier auch eine gezielte Gemeinschaftsarbeit der Unternehmen, die deutlich über den sozialstaatlichen Rahmen der Versicherungsleistungen hinausreichte.94

92 93 94

Vgl. auch Kapitel 3.3.1. Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1927, S. 6; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/2480, Korrespondenz der VSt AG, Hoerde und HWBG, 1926–1928. Vgl. Hall u. a., Introduction, hier: S. 45 f.

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

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HWBG

Gewerbeaufsicht Sicherheitsingenieure

Unfallvertrauensleute

Abb. 5: Schematische Darstellung des betrieblichen Arbeitsschutzes in der Eisen- und Stahlindustrie, Ende der 1920er Jahre (Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung.

Die Ebenen dieses betrieblichen Teilnetzwerkes in Abb. 5 umfassten dabei insbesondere die Sicherheitsingenieure untereinander sowie ihre Verbindungen zu den Vertretern der Berufsgenossenschaft und der Gewerbeaufsicht (mit jeweils weiteren Beziehungen zu anschließenden Netzwerken). Sie können als zentraler Knoten des betrieblichen Arbeitsschutznetzwerks zum Ende der 1920er Jahre identifiziert werden und ergänzten deutlich das bis dahin vorherrschende dualistische System. Die weitestgehend institutionalisierten Beziehungen manifestierten sich zu diesem Zeitpunkt insbesondere in den gemeinsam durchgeführten Betriebsbegehungen und dem Austausch von Informationen. Sie reichten dabei auch erstmals deutlich als übergreifende Relation über die Werks- und Unternehmensgrenzen hinaus. Kennzeichen dieser Verbindungen waren in erster Linie kommunikativ-instrumentelle Beziehungen zum Informationsaustausch, deren Handlungsträger sich durch die inhaltliche Thematik des Arbeitsschutzes deutlich eingrenzten. Hinzu kam auch die in der Betriebshierarchie formale Unterordnung und Anbindung der sogenannten „Unfallvertrauensleute“.95 2.2.2.2 Unfallvertrauensleute als Vertreter der Belegschaft Neben der Implementierung zentraler Koordinationsstellen für Unfallverhütung stellte sich in den Unternehmen die Problematik der tatsächlichen Ansprache der Arbeiterschaft, die die „Unfallvertrauensleute“ übernehmen sollten.96 Die Idee ei95 96

Vgl. zur Unterscheidung von „Relationsinhalten“ Jansen, Netzwerkanalyse, S. 59, Tab. 3.1. Die begriffliche Abgrenzung ist dabei aus den Quellen nicht immer klar ersichtlich. Hier kam es zu Doppel- und Umbenennungen. Vgl. dazu beispielhaft Mehrfachnennungen der Thyssenhütte von „Unfallvertrauensleuten“ (1938), „Unfall-Beauftragten“ (1939), „Sonderbeauftragten für Unfallverhütung“ (1944), „Unfallvertrauensmänner“ (1944). Vgl. „Unfälle und ihre Verhütung“ und „Neue Maßnahmen zur Unfallverhütung“, jeweils in: Werkszeitung ATH (1938), Nr. 15, S. 4 f. und (1939), Nr. 19, S. 7; TKA, A/4099, Rundschreiben Nr. 9/39, 22.3.1939, Nr. 31/39, 7.8.1939, Nr. 30/44, 12.7.1944; A/4101, Bekanntmachungen zu Unfallvertrauensmännern, 12.1.1944 und 18.2.1944. Hinzu kam der Einsatz von „Sicherheitsmännern“ bei der GHH, vgl. Sieler, „Unfallschutz-Zentrale der Oberhausener Hüttenwerke“, in: GHH (1936), Nr. 24, S. 7.

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ner solchen Einrichtung gründete auf einem Entschluss des Berufsgenossenschaftstages vom Oktober 1919, auf dem erstmals ein übergreifender Beschluss zur Einführung so genannter „Unfallvertrauensmänner“ verabschiedet wurde.97 Ihre Kompetenzen überschnitten sich jedoch mit den im Betriebsrätegesetz (1920)98 übertragenen Aufgaben in der Unfallverhütung an die Betriebsräte. Noch vor ihrer endgültigen Institutionalisierung im Nationalsozialismus kann ein zunehmender Einsatz betrieblicher Unfallvertrauensleute, insbesondere in der Großeisenindustrie, bereits seit den 1920er Jahren ausgemacht werden.99 Auch der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund warb für eine aktive Rolle der Betriebsräte, denn er sah für die Arbeiterschaft erstmals die Gelegenheit, bei der Gestaltung der betrieblichen Unfallverhütung aus der Rolle des reinen Objekts herauszutreten.100 Ihr Einsatz wurde mit der neuen allgemeinen Unfallverhütungsvorschrift der HWBG von 1934 in Betrieben mit über 20 Beschäftigten vorgeschrieben.101 Insgesamt muss die tatsächliche Handlungskraft der Arbeitnehmervertreter im betrieblichen Unfallverhütungseinsatz durchaus differenziert betrachtet werden. Einige Beispiele belegen zwar regelmäßige Verbesserungsvorschläge, gemeinsame Werksbegehungen oder die Mitwirkung an Unfallverhütungsaktionen durch die Belegschaftsmitglieder.102 Die Aussage über ihre tatsächliche Reichweite und Durchsetzungskraft, auch mit eigenen Themen und Vorschlägen, ist jedoch begrenzt. Auch die Akzeptanz dieser neuen Einrichtung innerhalb der Belegschaft gestaltete sich durchaus problematisch und musste wiederholt durch die Betriebsleitung beworben werden: Schließlich agierten die Unfallvertrauensleute im eigenen Kollegenkreis im Auftrag der Werksleitung als Kontaktpersonen, die zugleich als Kontrollinstanz und disziplinierendes Betriebsorgan fungierten.103 In der Struktur der industriellen Beziehungen ist daher weiterhin ein Übergewicht der Unternehmensleitung gegenüber der Belegschaft in Fragen des Arbeitsschutzes erkennbar. Rechtlich fixiert durch die Arbeitsordnungen erfolgten nicht nur Vorschriften, Kontrolle und Bestrafung über die Unternehmensleitung, sondern auch die „erzieherische“ Unfallverhütungspropaganda gestaltete sich als ein in ers97 Vgl. Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 177; In den Quellen u. a. Kaufmann, Betriebsüberwachung. 98 Vgl. Milert u. a., Die andere Demokratie, S. 126–134. 99 Vgl. Jahresbericht preußische Regierungs- und Gewerberäte 1921, S. 470 f. 100 Vgl. Sachs, Betriebsrat, hier: S. III 41 f. Vgl. auch König, Interessenvertretung, hier: S. 83 und S. 85. 101 Vgl. HWBG, Unfallverhütungsvorschriften 1934, §§ 7–8/S. 6–8. Zum Einsatz der Belegschaft in der Unfallverhütung des benachbarten Bergbaus an der Ruhr, vgl. Trischler, Arbeitsunfälle, hier: S. 143–145. 102 Vgl. Jahresbericht preußische Regierungs- und Gewerberäte 1921, S. 470 f.; Gollasch, Unfallvertrauensmänner; Heinrich Bitter, „Die Unfallverhütung beim Eisen- und Stahlwerk Hoesch im Jahre 1927“, in: Hütte und Schacht (1928), Nr. 21, S. 166–169, hier: S. 167; „Die Unfallkurve unserer Hütte“, in: Unsere Hütte (1929), Nr. 5, S. 4; MA, M 44.009.4, Protokolle des Arbeiter-Ausschusses, Werk Huckingen 1917–1925. 103 Vgl. „Unfallbekämpfung in den Hüttenwerken“ und Hofmann, „Unfallverhütung ist Dienst am Volk“, jeweils in: GHH (1936), Nr. 21, S. 4 und Nr. 24, S. 3; Zweiling, „Unfallverhütung, ein wichtiges Gebot unserer Zeit“, in: Hoesch (1940), Nr. 3, S. 12 und ders.: „Der Unfallvertrauensmann“, in: Werkszeitung ATH (1944), Nr. 3/4, S. 1 f.

2.2 Das neue Netzwerk der betrieblichen Sicherheitsorganisation

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ter Linie von oben gesteuerter Arbeitsschutz. Zwar darf die wachsende Rolle der Mitbestimmung und der Ausschüsse zur Mitwirkung der Arbeitnehmer (über das Betriebsrätegesetz und dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit) nicht gänzlich außer Acht gelassen werden.104 Ihre praktischen Auswirkungen blieben jedoch zunächst insbesondere auf den Bereich des technischen (Maschinen-) Schutzes als Verbesserungsvorschläge beschränkt.105 Organisatorisch bleibt der Beleg, dass die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Unfallverhütung in den 1920er Jahren durch Unternehmen und Berufsgenossenschaften weder grundsätzlich verhindert werden konnte, noch dass sie als Institution der „Unfallvertrauensmänner“ eine Erfindung der Nationalsozialisten war. Sie war eine wenn auch begrenzt erprobte Praxis, die nach 1933 gleichermaßen in die organisatorische Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes im ideologischen Konzept der „Betriebsgemeinschaft“ inkorporiert und zugleich über die externe Regulierung vorangetrieben wurde. 2.2.2.3 Neuordnung des betrieblichen Arbeitsschutzes im Nationalsozialismus? Grundsätzlich versuchte das nationalsozialistische Regime, in Arbeitsschutzfragen gezielt die betrieblichen Organisationsstrukturen zu durchdringen. Nach Einschätzung Matthias Freses „bedrängte“ die Deutsche Arbeitsfront (DAF) „bei der Unfallbekämpfung massiv die staatlichen Behörden und Institutionen“106. Auch in den Unternehmen versuchte sie, etwa durch die Bestellung der Unfallvertrauensmänner, einen aktiven personellen und konzeptionellen Einfluss auszuüben.107 Dabei sollte insbesondere Einfluss auf die allgemeine, betriebliche Leistungsfähigkeit im Sinne der ideologischen „Leistungsgemeinschaft“ genommen werden. Daneben sollte über die Organe der Betriebsführer, den Vertrauensrat, den Betriebsobmann der DAF und einen neu eingeführten „Arbeitsschutzwart“ (auch „Arbeitsschutzwalter“) die Unfallverhütung vorangetrieben werden.108 Mit dem „Arbeitsschutzwart“ wurde eine zusätzliche Institution des betrieblichen Arbeitsschutzes geschaffen, die in der Praxis verstärkt in Personalunion als Unfallvertrauensmann der Berufsgenossenschaft und als Vertreter des Vertrauensrates agieren sollte.109 In Betrieben mit einer Belegschaft von mehr als 20 Mitglie104 Vgl. beratende Funktion der Sicherheitskommissionen und Betriebsräte in Zusammenarbeit mit der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaft u. a. „Dein Leben ist kurz, verkürze es nicht!“, in: Unsere Hütte (1928), Nr. 13, S. 3–5. 105 Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 285 f.; König, Interessenvertretung, hier: S 83 f. Zur Praxis der Betriebsräte in Weimarer Republik und NS vgl. auch allgemein Milert u. a., Die andere Demokratie, S. 167–186 und S. 296–313. 106 Frese, Betriebspolitik, S. 354. 107 Vgl. ebenda, S. 353–361. Vgl. zum Einfluss der DAF auf die betriebliche Sozialpolitik der Hüttenindustrie auch Yano, Hüttenarbeiter, S. 118, S. 147–157 und S. 161 f. 108 Vgl. Brandt, Arbeitsschutz, S. 7. Gleichzeitig erhielt die DAF ab 1937 auch Mitentscheidungsrecht bei der Besetzung der Unfallvertrauensleute, vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 355. 109 Vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 354. Vgl. dazu auch TKA, A/5455, Richtlinien für die Tätigkeit des Arbeitsschutzwalters. Ergänzungsblatt Nr. 1, 1.2.1938, und Brandt, Arbeitsschutz, S. 9.

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

dern wurden sie als zusätzliches Scharnier zwischen Belegschaft und externen Stellen eingeführt und sollten als verlängerter Arm den unmittelbaren Austausch mit den sachlich zuständigen Stellen der Berufsgenossenschaften, der Gewerbeaufsicht und insbesondere zur DAF sicherstellen.110 Jedoch sahen die Unternehmen diese neuen Regelungen keineswegs als Ersatz der bisherigen Strukturen, sondern hielten vielmehr an ihren eigenen Maßnahmen aus der Weimarer Republik mit Sicherheitsingenieuren als eigenen unternehmerischen Vertretern fest.111 Sie versuchten, ihre eigene Linie durchzusetzen, indem sie im Gegensatz zu den weiterreichenden Kompetenzen der Sicherheitsingenieure die Arbeitsschutzwalter vielmehr auf ihre beratenden Tätigkeiten verwiesen.112 Der praktische Funktionsradius der DAFStellen wurde von den Unternehmen systematisch beschränkt und insbesondere auf propagandistische Aufgaben des Arbeitsschutzwalters reduziert.113 Übereinstimmend mit den Ergebnissen von Matthias Frese ist daher zu konstatieren, dass auch die unmittelbaren Unfallverhütungsmaßnahmen von der DAF in der betrieblichen Praxis nicht vereinnahmt werden konnten.114 Diesen stand vielmehr das erprobte und bereits institutionalisierte System der Sicherheitsingenieure und Meister gegenüber, die über das Vertrauen der Unternehmensleitungen verfügten und weiterhin als verlässliche Kontaktpersonen für Berufsgenossenschaft und Gewerbeaufsicht fungierten. Ihre Position wurde durch einen Erlass des Reichsarbeitsministers im Jahr 1943 von staatlicher Seite noch gestärkt.115 Insgesamt blieb auch hier der Einfluss der Arbeitermitbestimmung mit nachhaltigen gestalterischen Effekten gering: Das belegt nicht zuletzt auch die beratende Funktion von Unfallvertrauensleuten und Arbeitsschutzwaltern, die ihnen keinerlei Weisungsbefugnisse einräumte und somit handfeste Instrumente eigener Eingriffe und Beschwerde- wie auch Kontrollmechanismen verwehrte. Letztendlich bedeutete die Einführung dieser zusätzlichen innerbetrieblichen Akteure für die Unternehmensleitungen keinen Interessenskonflikt, da die Regelungen im Sinne der von Thomas Welskopp für diesen Zeitraum herausgestellten „unternehmerischen Handlungsautonomie“116 eine Befriedung der betrieblichen Arbeitswelt in der Unfallverhütung suggerierte. Das eigentliche Macht- und Durchsetzungsgefüge wurde jedoch nicht berührt.117 Auch das Prinzip der Selbstverwaltung und die Begrenzung externer Einflussnahme auf die betrieblichen Arbeitsschutzstrukturen setzten sich fort und die Unternehmen verteidigten erfolgreich ihre eigene Umsetzung von Unfallverhütungsmaßnahmen. Aus der Kompromisslösung 110 Vgl. Brandt, Arbeitsschutz, S. 8–10. 111 Vgl. Schwantke, „Stellung und Aufgaben“; Frese, Betriebspolitik, S. 355. 112 Vgl. u. a. „Unfallbekämpfung in den Hüttenwerken“, in: GHH (1936), Nr. 21, S. 4; TKA, A/5455, Richtlinien für die Tätigkeit des Arbeitsschutzwalters. Ergänzungsblatt Nr. 1, 1.2.1938. 113 Vgl. beispielsweise die Publikationstätigkeit des Arbeitsschutzwalters der GHH bei der Werkszeitschrift, „Arbeitsschutzwalter Peppmüller richtet eine ernste Frage an uns zu Beginn des neuen Jahres“, in: GHH (1942), Nr. 1/2, S. 11. 114 Vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 356 und S. 360 f. 115 Vgl. SIT, VSt/145, Rundschreiben VSt/Sozialwirtschaftliche Abteilung Nr. 4/45, 18.1.1944 und Anlage: Abschrift Schreiben Syrup betr. Sicherheitsingenieure, 15.12.1943. 116 Welskopp, Arbeit und Macht, S. 688. 117 Vgl. ebenda, S. 680–688.

2.3 Neue Maßnahmen der betrieblichen Unfallverhütungspropaganda

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des Sicherheitsingenieurs zwischen strategischer Handlungsautonomie und Rationalisierungsinstrument der Eisen- und Stahlunternehmen war eine betriebliche Institution geworden, die nun in der gesamten Industrie eingeführt werden sollte.118 Zu einer rechtlich bindenden Umsetzung kam es jedoch vor Kriegsende nicht mehr und auch nach 1945 verblieben diese Fragen des betrieblichen Arbeitsschutzes zunächst weiterhin im freiwilligen Handlungsrahmen der Unternehmen. 2.3 NEUE MASSNAHMEN DER BETRIEBLICHEN UNFALLVERHÜTUNGSPROPAGANDA 2.3 Neue Maßnahmen der betrieblichen Unfallverhütungspropaganda Zwischen 1925 und 1927 mehrten sich die Meldungen über sinkende Unfallzahlen aus den einzelnen Unternehmen.119 Dabei waren die Unternehmensleitungen bemüht, dies als unmittelbare Bestätigung ihrer verstärkten Sicherheitsarbeit zu verbuchen.120 Die Erfolgsmeldungen der Unternehmen reduzierten sich jedoch nicht auf technische und organisatorische Maßnahmen, vielmehr trat die Unfallverhütung als ehemaliges „Abfallprodukt der technischen Entwicklung“121 zunehmend aus dem Schatten der Rationalisierung als eigenes betriebliches Handlungsfeld heraus. Zu einem besonderen Arbeitsfeld der neuen Sicherheitsingenieure wurde hier die Zuwendung zur „psychologischen Unfallverhütung“122 durch eine gezielte Unfallschutzwerbung. 2.3.1 „Safety First“: Amerikanisierung der Unfallverhütung in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie Eine von der Forschung bereits angebotene Erklärungshilfe ist das amerikanische Vorbild für die deutsche Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit. Hier waren zunächst v. a. technische und organisatorische Maßnahmen der amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie rezipiert worden, in deren Blickfeld jedoch zuneh118 Vgl. RWWA, 130–400140/29, Entwurf eines Betriebsschutzgesetzes, 1941; HAK, WA 123/1, Reichsgruppe Industrie, Erörterungen und Stellungnahmen zum Betriebsschutzgesetz 1941 (verschiedene Entwürfe); vgl. auch Erlass des Reichsarbeitsministers vom 15.12.1943 über die Empfehlung zur Bestellung von Sicherheitsingenieuren, SIT, VSt/145, VSt/Sozialwirtschaftliche Abteilung, Rundschreiben Nr. 4/45, 18.1.1944 und Anlage: Abschrift Schreiben Syrup betr. Sicherheitsingenieure vom 15.12.1943. Zu Kontinuität und Vorbildfunktion der allgemeinen betrieblichen Sozialpolitik der Eisen- und Stahlindustrie im NS vgl. auch Hachtmann, Die Arbeiter der Gutehoffnungshütte, hier: S. 134. 119 Vgl. Budde, „Betriebsunfälle der Dortmunder Union über 3 Tage Arbeitsverlust“, in: HüttenZeitung (1926), Nr. 40, S. 6; Bitter, „Unfallverhütung Hoesch“, hier: S. 572; Bitter, „Unfallverhütung Hoesch 1927“, hier: S. 1193 f.; „Im Zeichen der Unfallbekämpfung“, in: Werkszeitung ATH (1936), Nr. 23, S. 2. 120 Vgl. u. a. Heinrich Bitter, Fortsetzung „Aus dem Jahresbericht der Unfallverhütungs-Abteilung des Eisen- und Stahlwerks Hoesch für das Jahr 1926“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 9, S. 69 f. 121 Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 187. 122 Weber, Arbeitssicherheit, S. 139.

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mend auch eine Beschäftigung mit den sozialen Produktionsverhältnissen in den USA rückte.123 Von besonderem Interesse für die deutschen Unternehmen war dabei die Annahme, dass das Unfallgeschehen auch über einen technischen Maschinenschutz hinaus beeinflussbar sei. So wurde etwa die betriebliche Organisation unter Führung der Sicherheitsingenieure zum Instrument einer verstärkten Unfallverhütungsarbeit, die sich allein diesem Thema im Betrieb widmete und sich einer zunehmenden „Aufklärung“ der Arbeiter verschrieb.124 Bereits seit Beginn der 1920er Jahre verdichten sich in den Unternehmensquellen die Hinweise auf die über Kontrolle und Druck ausgerichteten Unfallverhütungsmaßnahmen. Wiederholt wurde hier insbesondere die Pflicht des Aufsichtspersonals in Fragen der Unfallverhütung hervorgehoben.125 Mit dem Blick über den Atlantik lernten die deutschen Betriebe Formen der Unfallverhütungswerbung kennen, die durch Bilder geprägt war.126 Die amerikanische „Unfallverhütungspropaganda“127 setzte statt der Kontrolle von Arbeitsauflagen und technischen Einrichtungen auf die psychologische Beeinflussung der Arbeiter im Betrieb, um besonders die Eigenverantwortlichkeit und das Selbstverschulden der Unfallopfer zu betonen. Die Problematik der Indoktrination und Bevormundung der Arbeiterschaft begleitete die Übernahme in die deutschen Unfallverhütungskampagnen dabei von Anfang an. In der retrospektiven Bewertung Wolfhard Webers verrieten die häufig „[…] militärische[n] Bezüge in der Wahl der Begriffe […] wenig Sensibilität für das Umfeld, aus dem Unfälle heraus entstehen.“128 Die psychologischen Maßnahmen umfassten die Beeinflussung über Bild- und Textwerbung in den Werkszeitschriften, auf den Lohntüten und Krankenscheinen sowie die Veröffentlichung aktueller Unfallstatistiken, das Anbringen großer und weithin sichtbarer Transparente auf dem Werksgelände und die Kennzeichnung von Gefahrenzonen. Unfallverhütung sollte – zumindest visuell – allgegenwärtig sein. Die Studienreisen von Ingenieuren ergänzten die eigenen Erfahrungen um die Eindrücke amerikanischer Produktionsverhältnisse der Eisen- und Stahlindustrie und weckten zugleich die Aufmerksamkeit für betriebliche Unfallverhütung.129 123 Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 217 f. und allgemeiner ders., „Amerikanischer Plan“. Vgl. zur „Amerikanisierung des Präventionsdiskurses“ auch Lengwiler, Risikopolitik, S. 177. 124 Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 217. 125 Vgl. u. a. TKA, A/878/2, Rundschreiben Nr. 275, 28.2.1924 und Nr. 8/25, 19.1.1925. 126 Vgl. Hinweise auf eine erste Reise deutscher Eisenhüttenleute im Jahr 1924 sowie programmatische Stellungnahmen zur Vorbildfunktion für die Industrie bei Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 33; Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 217 f.; Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 224; vgl. auch allgemein Braun, Von Amerika lernen?. 127 Die weitestgehend synonym verwendeten Begriffe „Propaganda“ und „Reklame“ suggerieren bereits in ihrer Bedeutung den belehrenden Charakter der Maßnahmen, der nicht nur das individuelle Verhalten, sondern die gesamte Einstellung des Arbeiters gegenüber der Unfallgefahr systematisch beeinflussen sollte. Vgl. u. a. „Die Aufgaben der Werkszeitungen“, in: Hütte und Schacht (1926), Nr. 8, S. 3; Heinrich Bitter, „Aus dem Jahresbericht der UnfallverhütungsAbteilung des Eisen- und Stahlwerks Hoesch für das Jahr 1926“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 8, S. 61 f.; Bitter, Unfallverhütung Hoesch; Bitter, Unfallverhütung Hoesch 1927. 128 Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 225. 129 Vgl. Kleinschmidt, „Amerikanischer Plan“; ders. u. a., Amerika aus deutscher Perspektive. So bemängelte der Berliner Ingenieur Georg Müller 1925, dass zwar umfassende Studienreisen in

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Multipliziert wurden die Erfahrungen zum Arbeitsschutz in den USA auch durch Reiseberichte in der Branchenzeitung „Stahl und Eisen“ oder der Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Sie blieben nicht auf die Eisen- und Stahlindustrie beschränkt.130 Wolfhard Weber verweist auf eine erste Reise von Eisenhüttenleuten im Jahr 1924.131 So sprach der Vorsitzende des Vereins deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) Albert Vögler bei der Hauptversammlung 1924 nach ersten Eindrücken sogar von amerikanischen „Sicherheitskreuzzügen, die man dort organisiert hat.“132 Neben diesen vom Branchenverband organisierten Reisen zeugen auch Einzelerfahrungen der Unternehmen und individueller betrieblicher Akteure von einem frühen Know-how-Transfer amerikanischer Unfallverhütung. So zeigte die GHH im Jahr 1929 in den USA selbst gedrehte Filme wie „Mit der Filmkamera durch Amerika“ und „Was können wir von der amerikanischen Sicherheitsbestrebung lernen?“.133 Der Sicherheitsfilm wurde anlässlich der Reichs-Unfallverhütungswoche (1929) schließlich auch in Essen einem erweiterten Zuschauerkreis vorgeführt und kommentiert.134 Die Multiplikation erstreckte sich dabei durchaus auch auf die sicherheitstechnischen Fachkreise. So hielt ein Oberhausener Ingenieur in einer Sitzung der Sicherheitsingenieure der HWBG (1928) einen Vortrag zu seinen Erfahrungen in der amerikanischen Unfallverhütung, von dem wiederum in der Werkszeitschrift der Thyssenhütte berichtet wurde.135 Reisen und Kontakte in die Vereinigten Staaten verweisen auf direkte Transferkanäle der sogenannten amerikanischen „Safety-First“-Bewegung136 in die deutschen Eisen- und Stahlkonzerne. Als Transmitter dienten hier in erster Linie Unternehmer und Ingenieure, deren individuelle Erfahrungen durch publizierte Berichte sowie Filmmaterial und persönliche Vorträge innerhalb und zwischen den Unternehmen weiter diffundierten. Mit Blick auf die neuere Amerikanisierungsforschung können diese Ergebnisse nach Harm Schröters Definition der „Amerikanisierung“ als „[…] selektive, adaptive und freiwillige Übernahme grundsätzlicher amerikanischer Organisationsformen, Verfahren, Einstellungen und Werten durch europäische Produzenten, Konsu-

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die USA durchgeführt worden seien, besondere Berichte zu Stand und Dynamik der „Safety First“-Bewegung lägen aber nicht vor. Vgl. Müller, Unfallverhütungsbild, hier: S. 126. Vgl. demgegenüber Berichte von Koppenberg, Unfallverhütung; ders., Eindrücke der Eisenindustrie, S. 72–86. Vgl. u. a. Ammon, Neue Maßnahmen; Arnhold, Aufmerksamkeit; Hartmann, Unfallverhütung. Auch in anderen Branchen sind solche Reisen, z. B. von Fritz und Hugo Henkel, als Anregung für die weitere Unfallverhütungsarbeit gedeutet worden. Vgl. Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 13. Vgl. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 224. Zitiert nach: Bericht über die Hauptversammlung 1924, hier: S. 1601. „Krieg dem Unfall“, in: GHH (1929), Nr. 5, S. 2. Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1929, S. 7. Vgl. „Dein Leben ist kurz, verkürze es nicht!“, in: Unsere Hütte (1928), Nr. 13, S. 3–5, hier: 3 f.; HWBG, Technischer Bericht 1928, S. 7 f. Vgl. ausführlich Bennett u. a., Safety First.

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menten sowie politische und ökonomische Entscheidungsträger“137 eingeordnet werden. Zeitlich gliedert sich diese Vorbildfunktion als Teilelement in die „First Wave“ der Amerikanisierung für den Zeitraum vor 1945 ein, die insgesamt jedoch weit über die Rezeption der sogenannten „Safety-First“-Bewegung hinausging.138 In Anknüpfung an die betriebswirtschaftlichen Vorbilder stand für die deutschen Rezipienten insbesondere das Wirtschaftlichkeitsargument der amerikanischen Unfallverhütungsarbeit im Zentrum des Interesses.139 Tatsächlich verortet auch die amerikanische Forschung die Unfallverhütung als Kostenfrage im Kontext des seit Anfang des 20. Jahrhunderts expandierenden „Scientific Managements“. Die Wirtschaftlichkeit ist dabei eng mit der Ausbreitung der „Workmen’s compensation“ – den unternehmerischen Entschädigungszahlungen im Falle eines Unfalls, verbunden.140 Dabei verweisen die ersten Ansätze im amerikanischen Arbeitsschutz im Sinne einer Rückverflechtung in ihren Ursprüngen auch auf deutsche Vorbilder.141 So bezogen sich die ersten Untersuchungen zur Entwicklung einer umfassenden Datenbasis auch auf deutsche Erfahrungswerte, um das Spektrum amerikanischer Kompensationsleistungen zu modifizieren.142 Vertreter der American Federation of Labor (AFL) zeigten sich vom Engagement deutscher Unternehmer in der Unfallverhütung beeindruckt.143 Fünfzehn Jahre später hatte sich das Blatt gewendet. Carl Arnhold bemerkte im Jahr 1926, dass „[…] der vermeintliche Schüler den Meister geschlagen hat.“144 Deutschland setzte demgegenüber das Bismarcksche System durch die Unfallversicherung, zunächst ohne finanzielle Rückkopplung an das tatsächliche betriebliche Unfallgeschehen, fort. Der Unterschied zwischen den USA und Deutschland lag im Versicherungssystem begründet, das in Amerika zur Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Unfalllast auch das Unfallverhütungsengagement in den einzelnen Unternehmen unmittelbar finanziell belohnte. Durch ein Bündnis zwischen 137 Eigene Übersetzung nach Schröter, Americanization, S. 205. Die Amerika-Forschung führt auch eine kritische Begriffsdiskussion, u. a. bei Doering-Manteuffel als „Westorientierung“ oder Nolan und Koch zu „Modernität“. Vgl. Doering-Manteuffel, Dimensionen, hier: S. 26; Koch u. a., Modernisierung; Nolan, Visions. Vgl. in der Übersicht u. a. Erker, „Amerikanisierung“; Rausch, Blickwechsel. Zum Verweis auf Anti-Amerikabewegungen und Amerikanisierungs-/Amerikanismusdebatten, vgl. u. a. Dienel, „Hier sauber und gründlich“; Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen?, S. 20–43; Hilger, Amerikanisierung, S. 28– 32. 138 Vgl. Übersicht der Amerikanisierungswellen bei Schröter, Americanization, S. 206 f. 139 Vgl. u. a. Bayerischer Ministerialrat Heinrich Klebe nach Milles, Gesundheit der Arbeiter, hier: S. 52–54; HWBG, Technischer Bericht 1925, S. 5. 140 Vgl. in der zeitgenössischen Wahrnehmung Hartmann, Unfallverhütung, hier: S. 1312. Vgl. auch Bennett u. a., Safety First, hier: S. 244 und S. 250. 141 Vgl. zur Bedeutung der Rückverflechtung in der Amerikanisierungsforschung u. a. Rausch, Blickwechsel. 142 Vgl. Aldrich, Safety First, S. 105. Hinzu kommt auch die Auseinandersetzung der psychologischen Unfallverhütung mit dem Konzept der „Unfallneigung“ des deutschen Psychologen Karl Marbe (Würzburg), deren internationale Rezeption jedoch vergleichsweise gering blieb. Auf einzelne Ausnahmen verweist Burnham, Accident Prone, S. 36–50, S. 81 und S. 98. 143 Vgl. Aldrich, Safety First, S. 94. 144 Arnhold, Aufmerksamkeit, hier: S. 686.

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Reformern, Gewerkschafts- und Unternehmensvertretern wurden neben Kompensationsvereinbarungen auch zunehmend Sicherheitsgesetze auf staatlicher Ebene durchgesetzt. Sie bildeten den Kern eines aktiven Netzwerks aus öffentlichen und privaten Institutionen sowie individueller Sicherheitsaktivitäten in den einzelnen Unternehmen unter dem Schlagwort der „Safety First“-Bewegung. Sie erreichte eine gesellschaftsübergreifende Dynamik, deren Ausmaß in Deutschland zu diesem Zeitpunkt jedoch bei weitem nicht erreicht wurde.145 Die Adaption bezog sich vielmehr auf eine organisatorische Neubewertung wie eine auch inhaltliche Ausweitung auf die Unfallverhütungswerbung in der Wirtschaft.146 Die Berufsgenossenschaft fungierte bei der Unfallbildpropaganda in der gestalterischen Zusammenarbeit mit der Grafischen Anstalt der Fried. Krupp AG als Transmitter für die Eisen- und Stahlbranche.147 Die Unfallverhütungsplakate waren zwar seit Längerem ein regelmäßiges Instrument der Unfallverhütung und wurden von der zuständigen Berufsgenossenschaft bereits seit den 1880er Jahren regelmäßig zur Verfügung gestellt.148 Neu war jedoch die grafische Gestaltung dieser Plakate mit eindrücklichen Bildern und werbeartigen Slogans, die nach der Einrichtung einer Unfallverhütungsbild-GmbH ab 1924 auch zentral vertrieben wurden.149 Die amerikanische Unfallverhütungswerbung fand seit Mitte der 1920er Jahre systematischen Eingang in die betriebliche Sicherheitsarbeit. Mangels eines geeigneten deutschen Äquivalents übernahmen die Unternehmen den englischen Begriff „Safety First“ als Aufhänger für eigene Maßnahmen.150 Jedoch verzögerte sich die Annahme amerikanischer Impulse bis zur Mitte der 1920er Jahre auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Schwerpunkte europäischer und amerikanischer Arbeitsschutzpolitik. Während der europäische Fokus auf Einrichtungen des Maschinenschutzes und der Rahmengesetzgebung zur Prävention lag, konzentrierte sich die amerikanische Arbeitsschutzbewegung verstärkt auf die psychologische Unfallverhütungsarbeit durch Erziehungsarbeit.151 Daraus erklärt sich die inhaltliche Anziehungskraft der amerikanischen Unfallverhütungsvariante für die deutschen Unternehmer im Kontext des Arguments eigener Handlungsautonomie. Statt vermehrter Sicherheitsvorkehrungen legte sie 145 Vgl. Aldrich, Safety First, S. 107 f., S. 120 f. und ausführlich S. 275–282 sowie Bennett u. a., Safety First. Zu diesem Zeitpunkt war der Slogan in den USA bereits in die Kritik geraten, vgl. ebenda, hier: S. 255 f. 146 Vgl. Arnhold, Aufmerksamkeit. 147 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1924, S. 5. 148 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/2023 und 2042, Korrespondenz Hörder Bergwerks- und Hüttenverein und HWBG, 1885–1891. 149 Vgl. „Das Unfallverhütungsbild“, in: Kruppsche Mitteilungen (1924), Nr. 21, S. 98; ihre Einführung wurde auch im Reichsarbeitsblatt ab 1925 massiv propagiert, vgl. Michels, Unfallverhütungspropaganda. Vgl. ausführlich Farrenkopf, „Dein Kopf ist nicht aus Gummi“; Schwoch, „Ein neuer Weg“; Lengwiler, Risikopolitik, S. 184 f. 150 Vgl. „RuWo-Preisausschreiben. 1500 Mark für ein paar Worte!“, in: Hütte und Schacht (1929), Nr. 5, S. 35. 151 Vgl. Arnhold, Aufmerksamkeit, hier: S. 686; Lengwiler, Risikopolitik, S. 179 f. und S. 184; Aldrich, Safety First, S. 132.

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den Schwerpunkt nun auf die individuelle erzieherische Unfallverhütungsarbeit, um den steigenden Unfallzahlen zu begegnen.152 Nicht die verbesserte Regulierung, sondern die individuelle Unfallschuld wurde so zum Argument der Unfallentwicklung erhoben. Gerade die pragmatischen Vorbilder der täglichen betrieblichen Sicherheitsarbeit nahmen die deutschen Unternehmen nun besonders in den Blick. Daher verwundert es nicht, dass sich die Unternehmen auf psychologische Einflussmethoden und Bildpropaganda konzentrierten, während der Maschinenschutz als ausreichend eingestuft wurde.153 Die Konzepte der amerikanischen „Safety First“-Bewegung spielten eine herausragende Rolle in der neuen Dynamik der deutschen Unfallverhütungsfrage der Weimarer Republik. Gerade in der Eisen- und Stahlindustrie konnte durch den methodischen Transfer-Zugriff eine nachhaltige Wirkung auf der Unternehmensebene belegt werden, die sich langfristig weniger als Kopie, sondern als Adaption im Systemvergleich niederschlug. Mit den 1930er Jahren verschwanden die Bezüge zur amerikanischen Vorreiterrolle zunehmend. Folgt man der Periodisierung Schröters, erlebte die Amerikanisierungswelle erst mit der „Second Wave“ in der Nachkriegszeit im Umfeld der amerikanischen Besatzung und dem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wiederaufbau ihren endgültigen Durchbruch. Auch in der betrieblichen Unfallverhütungsarbeit wurde dann der amerikanische Slogan „Safety First“ wieder aufgegriffen.154 2.3.2 Medien und Rezeption der Unfallverhütungswerbung in der betrieblichen Praxis 2.3.2.1 Koordination im Arbeitsschutz über nationale Unfallverhütungsaktionen Einen besonderen Niederschlag fanden die gesamtgesellschaftlichen Ansprüche einer nach amerikanischem Vorbild als „Volksbewegung“155 deklarierten Entwicklung während der nationalen Unfallverhütungskampagnen in den Jahren 1929 und 1936. Zentral gesteuert und über die Werkstore hinaus wahrnehmbar sollte die Sicherheit zumindest über einen festgelegten Aktionszeitraum besondere Aufmerksamkeit erhalten.156 152 Vgl. Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 217. 153 Vgl. Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 32. 154 Siehe Kapitel 3.3.2. Hierbei ist eine zunehmende Nachfrage und Resonanz auf amerikanische Einflüsse auf die Bundesrepublik zu beobachten. Sie wurden seit den späten 1990er Jahren auch in der wirtschafts- und unternehmenshistorischen Forschung aufgegriffen. Vgl. zur Forschungslage etwa Hilger, Amerikanisierung, S. 15–26; Kleinschmidt, Der produktive Blick, S. 44–53; Schröter, Americanization, S. 7 f. Die Verbindung politischer Beziehungen, Kultur und Wirtschaft im Phänomen der Amerikanisierung spiegelt sich auch in verschiedenen Sammelbänden und Tagungsprogrammen wider: Vgl. u. a. Barjot u. a., L’américanisation; Berg u. a., Deutschland und die USA; Becker u. a., Mythos USA. 155 Heinrich Bitter, „Aus dem Jahresbericht der Unfallverhütungs-Abteilung des Eisen- und Stahlwerks Hoesch für das Jahr 1926“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 8, S. 61 f., hier: S. 61. 156 Vgl. Hofmann, „Unfallverhütung ist Dienst am Volk“, in: GHH (1936), Nr. 24, S. 3.

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Die Durchführung einer „Reichsunfallverhütungs-Woche“ (RUWo) markierte 1929 eine erste regional- und branchenübergreifende Unfallverhütungsaktion, an der die betrachteten Unternehmen beteiligt waren. Sie fand erstmals im März 1929 statt und war von den Verbänden der deutschen Berufsgenossenschaften initiiert und zentral vorbereitet worden.157 Inhalte dieser „Großkampfwoche“158 sind durch umfassende Berichterstattungen in den Werkszeitschriften überliefert, wobei die Berichte zum Motto „Helft Unfälle verhüten“ wie ein „Feldzug gegen die Betriebsunfälle“ und als „Krieg dem Unfall“ gehalten waren.159 Diese branchen- und industrieübergreifende Aktion wurde durch die Bereitstellung von Material für die Gestaltung der Woche weitgehend zentral gesteuert. Die tatsächliche Umsetzung spiegelt sich daher auch in einer auffälligen Gleichförmigkeit in den Betrieben, bis hin zum Wortlaut in den Werkszeitschriften, wider. Es gab allgemeine und Betriebsvorträge, Preisausschreiben und Verbesserungsvorschläge, Übungen und Vorträge in den Lehrwerkstätten sowie Lichtbild- und Filmvorführungen. Der Erfolg der Aktionswoche muss entgegen der allgemein positiven Bewertung etwa bei Ernst Wickenhagen beim Blick in die einzelnen Unternehmen stärker differenziert werden.160 Die Berufsgenossenschaft äußerte sich auf der Grundlage der Besucherzahlen und Akteure zunächst zufrieden.161 Tatsächlich reagierten jedoch die Belegschaften offenbar vielfach noch mit Zurückhaltung auf die Maßnahmen, sodass Ergebnisse und Beteiligung in den Unternehmen hinter den Erwartungen von einer „Volksbewegung“ nach amerikanischem Vorbild deutlich zurückblieben. Sowohl Vertreter von Krupp als auch von Hoesch zeigten sich auf der betrieblichen Ebene ernüchtert über das geringe Interesse und die Beteiligung beispielsweise an den Wettbewerben zu Verbesserungsvorschlägen. Die Aktionen hätten „wenig neues gebracht“162. An der Idee aufsehenerregender Sonderaktionen wurde trotzdem grundsätzlich festgehalten; sie wurde Mitte der 1930er Jahre als branchenspezifische „Unfallverhütungsaktion“ der Reichsarbeitsgemeinschaft Eisen und Metall (1936) wieder aufgegriffen und diesmal von einem erweiterten Akteurskreis von Reichsbehörden, DAF, Wirtschaft und Berufsgenossenschaften ausgerufen.163 Die Federführung für 157 Vgl. Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 205; „Reichs-Unfallverhütungs-Woche“, in: GHH (1929), Nr. 4, S. 3. 158 „Krieg dem Unfall“, in: Hütte und Schacht (1929), Nr. 4, S. 26. 159 „Krieg dem Unfall!“, in: Unsere Hütte (1929), Nr. 5, S. 1 f.; „Krieg dem Unfall“, in: GHH (1929), Nr. 5, S. 2; „Krieg dem Unfall“, in: Hütte und Schacht (1929), Nr. 4, S. 26. Zur Teilnahme anderer Unternehmen wie Henkel, vgl. Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 16–19. 160 Vgl. Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 205. 161 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1929, S. 7. 162 „Ergebnis des Preisausschreibens für Unfallverhütung vom 20. Februar 1929“, in: Kruppsche Mitteilungen (1929), Nr. 7, S. 43. Vgl. auch TKA, H/352, Mitteilung Unfallverhütung an Stat. Büro, 10.6.1929. 163 Vgl. RWWA, 130–400101/3, Bekanntmachung und Aufruf über eine Unfallverhütungsaktion vom 4.11. bis 31.12.1936 durch die Betriebsleitung der GHH, 2. und 3.11.1936; Titelblatt der GHH 24/1936 und Aufruf in Stahl und Eisen: Unfallverhütungsaktion der Reichsbetriebsgemeinschaft 6 1936. Vgl. dazu auch Frese, Betriebspolitik, S. 359 f.

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die betrachteten Unternehmen oblag nun der Reichsarbeitsgemeinschaft, die branchenspezifische Richtlinien herausgab, nach denen die Aktion in den Unternehmen einheitlich durchgeführt werden sollte.164 Diese Vorgehensweise war bereits 1929 bei der RUWo erprobt worden und umfasste im Kern die gleichen Maßnahmen und Ziele. Neu war lediglich die ideologische Aufladung durch das NS-Regime.165 Dabei erbrachten die Unfallverhütungswochen insgesamt kaum grundlegende inhaltliche Neuerungen für die Unternehmen. Sie fungierten vielmehr als ein zentral gesteuertes „Einfallstor“ der Arbeitssicherheit in die Betriebe, indem sie zentrale Materialien der Berufsgenossenschaften transferierten. Dies zeugt von einer gesellschaftlichen Dynamik auch über die Debatten etwa zur Einführung eines technischen Arbeits- und Maschinenschutzgesetzes zum Ende der 1920er Jahre hinaus, blieb jedoch inhaltlich ohne größere Auswirkungen für die in den Betrieben seit einigen Jahren erprobten Unfallverhütungsmethoden. So kommentierte der Dortmunder Sicherheitsingenieur Gollasch im „Reichsarbeitsblatt“, dass die RUWo „[f]ür die Großeisenindustrie, die auf ihren Werken seit Jahr und Tag systematisch durch psychologische und praktische Methoden die Unfälle bekämpft […] nichts Neues, sondern nur eine Art verschärfter Propaganda in der betreffenden Woche“166 bedeutet hatte. 2.3.2.2 Werkszeitschriften Die Maßnahmen der Unfallverhütungsaktionen stützten sich in erster Linie auf die betrieblichen Medien. Die Werkszeitschriften liefern neben inhaltlichen Anhaltspunkten der Unfallverhütungsmaßnahmen auch als Medium selbst einen Beleg innerbetrieblicher Arbeitsschutzkommunikation. Ihnen wurde von Werksleitungen und Sicherheitsingenieuren seit den 1920er Jahren gleichermaßen eine herausragende Rolle zugesprochen.167 Nur durch ein Verständnis für die Unfallgefahren sollte eine eigenverantwortliche Unfallverhütung des einzelnen Arbeiters möglich sein.168 Nach dem Motto gegen „Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit“169 wurde in jeder Ausgabe die Frage der Unfallverhütung (nahezu) allgegenwärtig. Über Bilder, Slogans, Unfallberichte und über Rettung aus Lebensgefahr, Belohnung und Auszeichnungen der Berufsgenossenschaften sowie allgemeine Informationen lieferten die Schriftleitungen der Unternehmen regelmäßig eine ganze Reihe innerbetriebli164 Vgl. Werner, „Im Zeichen der Unfallbekämpfung“, in: Werkszeitung ATH (1936), Nr. 23, S. 2, und Sonderausgabe der GHH 24/1936. 165 Vgl. „Schutz und Sicherheit in der Eisen- und Metallindustrie“, in: Krupp Zeitschrift (1936), Nr. 3, S. 44 f., hier: S. 44. Vgl. zum Zusammenhang der Kampagnen zur Arbeitsplatzgestaltung und Unfallverhütung auch Frese, Betriebspolitik, S. 359. 166 Gollasch, „Die RUWo“. 167 Vgl. Untersuchung von Werkszeitschriften als eigenständiges Medium und Quelle, u. a. bei Michel, Fabrikzeitung, S. 13. Beispiele sind hier u. a. Bleckmann, Gesundheitsfürsorge; Ellerbrock, Hoesch-Werkzeitschriften; Heitkamp, Erwerbsarbeit und Männlichkeit; Zengerling, Mitwissen, Mitdenken, Mitarbeiten. 168 Vgl. dazu auch Schwantke, Unfallverhütung, hier: S. 243. 169 „Wir Arbeiter und die Unfallverhütung“, in: Unsere Hütte (1928), Nr. 6, S. 2.

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cher Berichterstattungen. Die auf den ersten Blick überraschende Übereinstimmung in der Berichterstattung ist der ihnen gemeinsamen Schriftleitung des DINTA-Verlags geschuldet.170 Als „besonders wirksam“171 bewarb die DINTA das Instrument der Werkszeitung in der Unfallverhütung. Die Funktion der Werkszeitung für die psychologische Unfallverhütung fügt sich so inhaltlich und organisatorisch in den Motivkontext der Rationalisierungsbewegung – ein vornehmlich schwerindustrielles Kooperationsprojekt, das Ende der 1920er Jahre mit 85 Ausgaben eine Gesamtauflage von einer halben Million erreichte.172 Alle betrachteten Unternehmen verfügten seit spätestens 1928 über eine eigene Werkszeitschrift als betriebliches Kommunikationsmedium. So unterstreichen die hier ausgewerteten Werkszeitschriften die von Alexander Michel in einer vergleichenden Studie zu Werkszeitschriften industrieller Großunternehmen formulierte These eines zunehmenden Wandels zu einem Instrument der „modernisierten Erwachsenenbildung“173. Zwar können durchaus neue Elemente wie der Versuch zur Objektivierung der Unfallzahlenanalyse und die Argumentation über die Wirtschaftlichkeit in der Berichterstattung ausgemacht werden. Zugleich muss aber berücksichtigt werden, dass Ton und Darstellung der Unfallverhütung zu diesem Zeitpunkt selten von einer Ansprache an eine grundlegend emanzipierte Arbeiterschaft zeugen und durch z. T. drastische Darstellungen in den Unfallverhütungsbildern einer eher abschreckenden Vorgehensweise anhingen. Es herrschte eine Mischung aus Kooperation und Appell, Argumentation und Belehrung, Aufklärung und Bevormundung, wobei die Funktion der Werkszeitschrift als „Propagandamittel“174 nach amerikanischem Vorbild auch gegenüber ihrer Leserschaft offen artikuliert wurde.175 Wie die serielle Analyse der Berichterstattung zeigt, übernahmen die Werkszeitschriften als Kommunikationsorgan auch eine wichtige Klammerfunktion innerhalb der Konzerne. Gemeinsame Berichterstattungen über Unfallverhütungsarbeit, sowohl in den Bergbau- als auch den Hüttenbetrieben, forcierten einen werksübergreifenden Informationsaustausch.176 Durch die übergeordnete Schriftleitung wie auch die gegenseitige Berichterstattung fungierten die Werkszeitschriften als zentrale Schnittstelle. Sie leiteten auch einen neuen Wissenstransfer über den Stand der praktischen Unfallverhütungsarbeit der Branche ein. Neben der zunehmenden Berichterstattung in der Branchenzeitung „Stahl und Eisen“ entwickelten sich die Werkszeitschriften zu zentralen Medien betrieblicher Unfallverhütungsaktivitäten. Eine werksübergreifende Thematisierung der Unfallverhütung in „Stahl und Eisen“ erfolgte in erster Linie durch die Veröffentlichung von Unfallverhütungsbildern, 170 Wenn auch inhaltlich auf die Werke zugeschnittene Textbeiträge dominierten, sind gerade formale Übereinstimmungen, wie z. B. die Veröffentlichung des Unfallverhütungsbildes auf Seite zwei der untersuchten Werkszeitschriften, besonders deutlich. 171 HAK, WA 77/2216, Schreiben Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung an FAH, 16.12.1925. 172 Vgl. Michel, Fabrikzeitung, S. 120. 173 Ebenda, S. 400. 174 „Unfallschutz und Unfallverhütung“, in: Union Zeitung (1925), Nr. 3, S. 5 f. 175 Vgl. auch Bleckmann, Gesundheitsfürsorge, hier: S. 43. 176 Schließlich spielte gerade in den Bergbaubetrieben die Frage der Unfallverhütung eine übergeordnete Rolle. Vgl. u. a. Farrenkopf, Schlagwetter; Martin, Arbeiterschutz.

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eine sporadische betriebliche Berichterstattung zur Unfallverhütungsarbeit sowie seit 1929 eine regelmäßige Zusammenfassung der Jahresberichte der HWBG und ihrer Unfallverhütungsarbeit.177 Diese werksübergreifende Berichterstattung ist auch ein Scharnier zwischen den Erfahrungswerten aus der Eisen- und Stahlindustrie und anderen Branchen.178 Die Rolle der Werkszeitschriften wurde insbesondere dadurch gestützt, dass unterschiedliche Akteure aus dem Kreis der Unternehmen selbst, aber auch Vertreter der Gewerbeaufsicht oder der Berufsgenossenschaft mit eigenen Beiträgen die Werkszeitschriften als Multiplikator von Arbeitsschutzinhalten oder Parolen zur Unfallverhütungspropaganda intensiv nutzten. Über Vorschläge bei Wettbewerben, sowohl zu technischen Verbesserungen als auch Anregungen zu Bildern und Sprüchen, sollte die Belegschaft über die Werkszeitschriften unmittelbar angesprochen und als Vorläufer des betrieblichen Vorschlagswesens179 auch das spezifische Know-how der Arbeiter an ihren Arbeitsplätzen nutzbar gemacht werden.180 Dabei blieb jedoch die Resonanz der Belegschaften, insbesondere in technischen Fragen, deutlich hinter den unternehmerischen Erwartungen zurück.181 Für diesen geringen Rücklauf und eine allgemein verfehlte Kommunikation machte das Betriebsratsmitglied der Dortmunder Union, Adolf Dünnbacke, „Fehler und falsche Formen der Propaganda“182 verantwortlich. Wenn er auch den neuen Weg als durchaus erfolgreich gegen die Vernachlässigung von Betriebsgefahren einschätzte, so wandte er sich 1927 doch deutlich gegen das methodische Vorgehen der bislang ergriffenen Maßnahmen: „Worte wie Leichtsinn und Unvorsichtigkeit, Bilder, auf denen ein als Arbeiter gekleideter, idiotischer Trunkenbold zu sehen ist, müssen das Ehrgefühl des Arbeiters verletzen. […] Inschriften wie ‚Kommt ausgeruht zur Arbeit‘, in einem Betriebe mit zwölfstündiger

177 Vgl. „Ueber die Tätigkeit des Vereins deutscher Eisenhüttenleute“ 1926, hier: S. 1623. Beispiele sind u. a. zu finden in Stahl und Eisen (1925), Nr. 46, S. 1904; (1926), Nr. 7, S. 248; (1927), Nr. 3, S. 120; Bitter, Unfallverhütung Hoesch; ders., Unfallverhütung Hoesch 1927; ders., Die Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft, Rein, Unfallverhütungsmaßnahmen. 178 Vgl. „Verein deutscher Revisionsingenieure“ 1928. Vgl. auch Publikationstätigkeit im Reichsarbeitsblatt, Schwantke, Sicherheitsingenieur; ders., Die Unfallverhütung in der Hüttenindustrie. Hier verdeutlicht sich auch noch einmal die Abgrenzung des dargestellten betrieblichen Netzwerkes, die sich an solchen Knoten auch mit weiteren Verbindungen zu anderen Netzwerkakteuren andeutet. 179 Vgl. „Gauausstellung für das betriebliche Vorschlagswesen im Gau Westfalen-Süd“, in: Hoesch (1943), Nr. 8/9, S. 2–4, hier: S. 2. 180 Vgl. Weber, Gedanken zum Arbeitsschutz, hier: S. 228. Vgl. zeitgenössisch u. a. „‚Kamerad, hab’ acht!‘ Von Maschinist J. Möllers“ und „Nochmals das Preisausschreiben zur Bekämpfung der Unfälle“ mit Abdruck der Bilder, jeweils in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 4, S. 29, Nr. 5, S. 37 und Nr. 6, S. 46. 181 Vgl. beispielhaft Möllers, „Kamerad, hab’ acht!“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 4, S. 29; „Ergebnis des Preisausschreibens für Unfallverhütung vom 20. Februar 1929“, in: Kruppsche Mitteilungen (1929), Nr. 7, S. 43. 182 Adolf Dünnbacke, „Unfallverhütung und Arbeiterschaft“, in: Reichsarbeitsblatt 7. Jg. NF Nr. 5 (1927), S. 29–30, zitiert nach: Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 35.

2.3 Neue Maßnahmen der betrieblichen Unfallverhütungspropaganda

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Schicht angebracht, rufen ein ironisches Lächeln und bittere Reminiszenzen hervor, wirken aber nicht werbend.“183 Auch die Veröffentlichung betrieblicher Unfallergebnisse diente, neben dem Wettbewerbscharakter zwischen Betrieben und Unternehmen, eher als internes Druckmittel: Neben der Veröffentlichung der Zahlen in den Werkszeitschriften wurde auch das aktuelle Unfallgeschehen im unmittelbaren Betriebsvergleich auf dem Werksgelände selbst dargestellt.184 Zugespitzt wurde dies durch die Einführung eines neuartigen und vergleichsweise modernen Prämiensystems beim Hörder Verein, das Betriebe, deren Unfallzahl unter dem Durchschnitt des Vorjahres lag, finanziell auszeichnete.185 Der Wettbewerbsgedanke in der Unfallverhütung kann in den betrachteten Unternehmen bereits seit den 1920er Jahren nachgewiesen werden. So ist Matthias Freses These zum Wettbewerb in der Unfallverhütung im Kontext des NS-Leistungskampfes zu modifizieren.186 Zwar handelte es sich um eine im Sinne der Leistungsideologie instrumentalisierte, jedoch keine grundsätzlich neue Idee.187 Eine Ideologisierung und Politisierung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütungswerbung im Nationalsozialismus ist besonders deutlich am Medium der Werkszeitschriften ablesbar.188 Die Organe vermitteln eine durchaus in der Tradition der 1920er Jahre zu verortende Funktion der Unfallverhütung für die Wirtschaftlichkeit des Betriebes, die im Fahrwasser der NS-Ideologie jedoch auf einen leistungsideologischen „Dienst am Volk“189 überhöht wurde. Mit Aufrüstung und Krieg war die Frage der Unfallverhütung weniger Selbstzweck, sondern verblieb ein unternehmerisches Mittel, um Betriebsstörungen und somit Kosten und Leistungseinbrüche zu verhindern. Dies äußerte sich auch in der Agitation des Unfall183 Ebenda. Vgl. dazu auch die Gegendarstellung eines anonymen Sicherheitsingenieurs, der sich gegen die pauschale Verurteilung der Unfallverhütungspropaganda wandte und die mangelnde Unterstützung der Arbeitnehmerseite beklagte, sich zugleich aber deutlich vom allgemeinen Argument des „Selbstverschulden“ abgrenzte. Vgl. „Unfallverhütung und Arbeiterschaft“ 1927. 184 Vgl. Bitter, Unfallverhütung Hoesch, hier: S. 572, und „Betriebsunfälle der Dortmunder Union über 3 Tage Arbeitsverlust“ in: Hütten-Zeitung (1926), Nr. 40, S. 6; HWBG, Technischer Bericht 1928, S. 7. 185 Vgl. „Was bedeutet der Wimpel auf dem Dach des südlich der Straße gelegenen Gebläsehauses der Hoerder Hochofenwerke?“ und „Aus den Unfallschutzbestrebungen des Hoerder Vereins“, jeweils in: Hütten-Zeitung (1929), Nr. 3, S.6 f. und (1931), Nr. 6, S. 5 f. 186 Vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 360 f. 187 Auch die Nordwestliche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft hatte bereits 1931 eine unfalltechnische Gemeinschaftsarbeit mit Prämienwettbewerben bei den Hüttenwerken durchgeführt und auch bei der Firma Henkel in Düsseldorf sind frühere Unfallverhütungswettbewerbe nachweisbar. Vgl. Kleditz, Neue Wege; Kranenberg, Die psychologische Unfallverhütung. 188 Vgl. Ellerbrock, Hoesch-Werkzeitschriften, S. 169 f. Die Werkszeitschriften dienten auch als unmittelbares Sprachrohr der DAF, in die die Schriftleitung der DINTA ab 1933 eingegliedert wurde. Vgl. u. a. Werkzeitung Hoesch – Kölnessen ab Ausgabe 9 (1933), ausführlich „Der nationalsozialistische Betrieb: ‚Die Nation im kleinen‘. Blut und Geist als Grundlage des neuen deutschen Arbeitsmenschen – Dinta-Aufgaben im neuen Reich“, in: Werkzeitung Hoesch– KölnNeuessen (1933), Nr. 12, S. 93 f. 189 „Schönheit der Arbeit“, o. J., o. S., zitiert nach: Schwoch, „Ein neuer Weg“, hier: S. 86.

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

schutzes und wurde zunehmend als Instrument der betrieblichen „Kriegsführung“ verstanden.190 Die Berichterstattung wurde dabei nicht nur von der Unternehmensleitung selbst, sondern in gleicher Weise auch von den von der DAF eingesetzten Arbeitsschutzwaltern wie auch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten als aktives Propagandainstrument genutzt.191 Zugleich litten die Werkszeitschriften damit jedoch immer mehr unter einem Akzeptanzverlust in der Belegschaft.192 2.3.2.3 Unfallverhütungsfilme Die belehrende Funktion der Unfallverhütungsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie der 1920er Jahre wird auch an einem Filmprojekt der Hoesch-Fotostelle deutlich, die 1927 ihren ersten Film – einen Arbeitsschutzlehrfilm – anlässlich der Konferenz des Gewerbehygiene-Ausschusses des Völkerbundes 1927 in Düsseldorf produzierte.193 Der Titel „Kamerad, hab’ Acht“ entsprang einem betriebsinternen Wettbewerb aus dem Jahr 1926/27, bei dem die Werkszeitschrift „Hütte und Schacht“ zu einem Unfallverhütungs-Wettbewerb aufgerufen und einen Beitrag mit dem Titel „Kamerad, hab acht!“ ausgezeichnet hatte.194 Inhaltlicher und methodischer Mittelpunkt des Stummfilms war das wiederholte „Selbstverschulden“ des Arbeiters im Unfallgeschehen: Im Kampf gegen Unkenntnis und Gewöhnung an die Gefährdung sollte, ganz im Tenor amerikanischer Unfallverhütungspropaganda, auf Unfallgefahren hingewiesen und sollten Elemente der Unfallverhütungsarbeit bei Hoesch vorgestellt werden.195 Doch auch hier 190 Vgl. „Das betriebliche Vorschlagswesen“ und „Gauausstellung für das betriebliche Vorschlagswesen im Gau Westfalen-Süd“, jeweils in: Hoesch (1942), Nr. 8/9, S. 7 f. und (1943), Nr. 8/9, S. 2–4. 191 „Arbeitsschutzwalter Peppmüller richtet eine ernste Frage an uns zu Beginn des neuen Jahres“, in: GHH (1942), Nr. 1/2, S. 11. Vgl. dazu u. a. Berichte von Gewerberat Zweiling sowohl bei Thyssen als auch bei Hoesch und der GHH, u. a. Werkszeitung ATH, diverse Ausgaben (1939), Nr. 23, S. 3; (1940), Nr. 3, S. 3 f.; (1940), Nr. 10, S. 5 f.; (1941), Nr. 1, S. 5 f.; (1941), Nr. 7, S. 6; (1942), Nr. 5, S. 2 f.; (1942), Nr. 14, S. 3; (1943), Nr. 16, S. 2; (1944), Nr. 3/4, S. 1 f.; Zweiling, „Unfallverhütung, ein wichtiges Gebot unserer Zeit“, in: Hoesch (1940), Nr. 3, S. 12 und ders., „Hütet das Leben! Verhütet Unfälle!“, in: GHH (1939), Nr. 2, S. 7; Vgl. auch Beitrag vom Dortmunder Geweberat Bönig als Reaktion auf eine Welle schwerer Unfälle im Sommer 1940, „Ueber Unfälle und Unfallgefahren auf dem Hüttenwerk der Firma Hoesch A.-G., Dortmund“, in: Hoesch (1940), Nr. 8, S. 2–5. 192 Vgl. Ellerbrock, Hoesch-Werkzeitschriften, hier: S. 169 f. 193 Vgl. Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 26. Vgl. auch TKA, Hoesch-Archiv, H/325, Eisen- und Stahlwerke Hoesch AG, Dortmund, Film: „Kamerad hab’ Acht“, 1927, PAL ’67. Dabei verfügten die Werke Krupp in Essen und die Dortmunder Union bereits seit einigen Jahren über eigene Filme, sowohl als Ausschnitte aus einem Lehrfilm als auch über die Herstellung eines eigenen Unfallfilms in Dortmund. Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1925, S. 5. Darüber hinaus erwarb auch die HWBG zunächst Filme von der Zentralstelle des Verbandes der deutschen Berufsgenossenschaften zur Vorführung in den Mitgliedswerken, wie etwa 1927 mit dem Titel „Der Mensch in Gefahr“, vgl. HWBG, Technischer Bericht 1927, S. 6. 194 Vgl. Möllers, „Kamerad, hab’ acht!“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 4, S. 29. 195 Vgl. Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 34.

2.3 Neue Maßnahmen der betrieblichen Unfallverhütungspropaganda

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spiegelt sich die externe positive Resonanz (auch bei der Berufsgenossenschaft in Essen durch die Arbeitervertreter) bei der Vorführung im Werk selbst nicht wider. Im Gleichklang mit den Slogans der Werkszeitschrift gelang es auch über das neue Medium offenbar nicht, die eigentliche Zielgruppe des Lehrfilms zu erreichen. Der Sicherheitsingenieur zeigte sich überrascht über das geringe Echo bei den Werksangehörigen.196 Nach wiederholten Vorführungen des Hoesch-Films entschloss sich schließlich auch die HWBG, in Kooperation mit der kinematographischen Abteilung der Fried. Krupp AG einen eigenen Unfallverhütungsfilm in insgesamt zwölf Mitgliedswerken der Ruhrindustrie zu produzieren.197 Der Tonfilm feierte unter dem Titel „Der Unbekannte. Der gute Geist vom 17. November“ am 19.5.1940 in der Essener Lichtburg Premiere. Auch in Berlin wurde er zunächst vor Funktionären aus Verwaltung und Politik, Industrie und Fachpresse vorgeführt. Erst im Anschluss kam er als eigentlicher Lehrfilm für die Belegschaften der Eisen- und Stahlunternehmen zum Einsatz.198 Die Berichterstattung in der begleitenden Werkspresse zeigte sich über den Erfolg euphorisch und so wurde der Film aus der Krupp’schen Abteilung auch als Eigenproduktion bejubelt.199 Inhalt und Konzept des Films bestanden aus der Idee der „rettenden Aufmerksamkeit“, die in der Gestalt eines Schutzgeistes die Arbeiter im Werk für einen Tag begleitet. Die Krupp-Zeitschrift war dabei nun erstmals darauf bedacht, gerade auch in Abgrenzung gegenüber der in der vorangegangenen Zeit fehlgeschlagenen psychologischen Unfallverhütungsmaßnahmen, diesen Film deutlich von der Belehrung und Bevormundung der Belegschaft abzugrenzen und „Schulmeisterei“200 zu vermeiden. Tatsächlich vollzog der Film keine inhaltliche Kehrtwende, sondern warnte vielmehr durch die Darstellung „leichtsinniger“ Beinaheunfälle vor individueller Unvorsichtigkeit und Leichtsinn. Auch die Anpassung des „arbeitenden Menschen an den ‚Takt der Maschine‘“201 wurde nicht grundsätzlich hinterfragt. Beide Filme etablierten sich als Standardwerke der Unfallverhütung in der Eisen- und Stahlindustrie und verbreiteten diese Werte der Unfallverhütung.202 Inhaltliche Verflechtungen der Unfallverhütungsarbeit entstanden zwischen den Unternehmen entweder über die gleichen Filmaufführungen oder wurden von 196 Vgl. Heinrich Bitter, „Die Unfallverhütung beim Eisen- und Stahlwerk Hoesch im Jahre 1927“, in: Hütte und Schacht (1928), Nr. 21, S. 166–169, hier: S. 167. 197 Vgl. Paul Didier, „‚Der Unbekannte‘. Ein Film der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft, in: HWBG, Technischer Bericht 1940, S. 22–25; „‚Der Unbekannte‘ Ein Film aus der Eisen- und Stahlindustrie“, in: Krupp Zeitschrift (1940), Nr. 17, S. 167 f.; TKA, Hoesch-Archiv, H/352, Film: „Der Unbekannte. Der gute Geist vom 17. November“, PAL 50’ 36’’. 198 Paul Didier, „‚Der Unbekannte‘. Ein Film der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft“, in: HWBG, Technischer Bericht 1940, S. 22–25, hier: S. 23 f. 199 Vgl. „‚Der Unbekannte‘ Ein Film aus der Eisen- und Stahlindustrie“, in: Krupp Zeitschrift (1940), Nr. 17, S. 167 f., hier: S. 167. 200 Ebenda. 201 Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 34. 202 Vgl. u. a. Einstellung der Filmvorführungen in Dortmund 1944/45, TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1944/45, S. 2.

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2. Die Anfänge des modernen Arbeitsschutzes (1920 bis 1945)

vornherein als Gemeinschaftsproduktion über die Berufsgenossenschaft koordiniert. So wurde auch gezielt Werbematerial zum Film „Der Unbekannte“ an die Werke versandt, das sowohl Werbebroschüren als auch Vorschläge für das Rahmenprogramm der unternehmensinternen Vorführungen durch die HWBG beinhaltete.203 Zugleich wurde der Film auch in der Zeitschrift „Stahl und Eisen“ besprochen und empfohlen.204 Ende des Jahres 1944 wurden die Vorführungen von „Kamerad, hab’ Acht“ und „Der Unbekannte“ schließlich aufgrund anhaltender Fliegerangriffe in den Lichtspieltheatern eingestellt.205 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die betriebliche Unfallverhütungsarbeit nach ihrer grundsätzlichen Implementierung bis zum Ende der 1920er Jahre auch im Verlaufe des nationalsozialistischen Regimes insgesamt eine hohe Kontinuität und den Ausbau der bewährten inhaltlichen Strukturen und Medien der Unfallverhütungswerbung aufwies. Das eigentliche Innovationspotenzial muss daher in der betrieblichen Unfallverhütung, insbesondere durch die Rolle der Amerikanisierung, bereits deutlich in der Weimarer Republik verortet werden. Strukturen und Medien wurden, wie Frese für die DAF treffend formulierte, durch die (staatliche) „Militarisierung des Alltags“206 allerdings neu akzentuiert und im ideologisierten Leistungsgedanken auf die Spitze getrieben.207 Die Kontinuität der grundsätzlichen Ausrichtung der Unfallverhütungsarbeit zur Weimarer Republik tritt dagegen deutlich hervor und die DAF griff diese Maßnahmen in vielen Bereichen lediglich zu eigenen Zwecken auf.208 Der Blick in die Unternehmen zeigt, dass die Grundausrichtung betrieblicher Unfallverhütung zwischen Kostenargumenten und individueller Unfallschuld auch in den unterschiedlichen Medien der Vermittlung überdauerte, und dass diese in zunehmendem Maße durch übergreifende Kampagnen auch systematisch miteinander verquickt waren. Besonders deutlich wird dies an den überbetrieblich durchgeführten Unfallverhütungsaktionen, deren Organisation und Inhalte durch ausführliche Berichte in den Werkszeitschriften gestützt wurden und – durch eine erste Unfallverhütungswoche in der BRD 1949 flankiert – unmittelbar nach Kriegsende auch wieder reaktiviert wurden.209

203 Vgl. HAK, WA 123/2, Internes Schreiben zur Beiratssitzung der HWBG vom 26.6.1940, 3.7.1940 und Rundschreiben HWBG, 18.11.1940; WA 123/8, Werbebroschüre „Der Unbekannte“; WA 123/9, Information/Anschreiben HWBG, 11.3.1940. So kam es bei Krupp nicht nur zur Vorführung des Films vor der Arbeiterschaft, sondern er wurde auch als Kasino-Veranstaltung abgehalten. Vgl. WA 77/764, Einladung Kasino-Verein, 15.2.1941. 204 Vgl. „Der Film als Hilfsmittel“, hier: S. 554. 205 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1944/45, S. 2. 206 Frese, Betriebspolitik, S. 333. 207 Vgl. zur „Militarisierung der Arbeit“ auch Buggeln u. a., Arbeit im Nationalsozialismus (Einleitung), hier: S. XXVII. 208 Vgl. Frese, Betriebspolitik, S. 359. 209 Vgl. „Kampf dem Transportunfall“, in: Westfalenhütte AG Mitteilungsblatt (1949), Nr. 9, S. 9; LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 17, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1949, Bl. 31.

3. KONTINUITÄT UND AUSBAU: ZUR FORMALISIERUNG DES BETRIEBLICHEN ARBEITSSCHUTZES (1945 BIS CA. 1969)

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969) Die These des Bruchs und der „Stunde null“ hat sich in verschiedenen historiografischen Phasen immer wieder gewandelt und ist bis heute umstritten.1 Der ambivalenten Zäsur 1945 wird im Folgenden auch aus der Sicht der Unternehmen und den damit verbundenen Fragen des Arbeitsschutzes begegnet: Hierzu zählten einerseits die Unterbrechung der Produktion und ein Neuanfang durch die Zerstörung und Demontage der Anlagen, die Entflechtung der Organisationsstrukturen sowie andererseits die Einführung der Mitbestimmung und die damit verbundenen Brüche im Produktionsalltag. Dabei stellt sich die Frage nach nachhaltigen Veränderungen und dem Anknüpfen an betriebliche Traditionen wie die Bestellung von Sicherheitsingenieuren, Mitbestimmung durch Vertrauensleute, Kontinuität der Kostenfrage und Inhalte der Unfallverhütungswerbung. Diese Bereiche mussten sich zunächst an die Nachkriegsbedingungen anpassen und folgten schließlich einer zunehmenden Dynamik des betrieblichen Arbeitsschutzes seit den 1950er Jahren. 3.1 WIEDERAUFBAU, ENTFLECHTUNG UND MITBESTIMMUNG SEIT 1945 3.1.1 Die Unternehmen zwischen Wiederaufbau, ökonomischer Prosperität und Konzentrationsprozessen Die Phase der unmittelbaren Nachkriegszeit war in den Unternehmen der Eisenund Stahlindustrie sowohl vom Wiederaufbau der Produktionsstrukturen und der von der Militärregierung verordneten organisatorischen Auflösung der Konzernkonzentrationen im Zechen- und Hüttenbereich als auch von der Demontage von Produktionsanlagen gekennzeichnet.2 Dies erfolgte organisatorisch in losen Zusammenhängen der Zechen als Werksabteilungen der Hüttenbetriebe bis hin zur kompletten Trennung von Konzernverbünden wie etwa der Vereinigten Stahlwerke bei der GHH oder des Krupp-Konzerns.3 In den einzelnen Unternehmen und Werksbereichen gestalteten sich Umsetzung und Konsequenzen jedoch unterschiedlich. Außerdem zeichnete sich bereits seit Beginn der 1950er Jahre auch ein deutlicher Trend zur Rückverflechtung der Konzernstrukturen ab. Damit sollten 1 2 3

Vgl. z. B. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 22–28; Braun u. a., Stunde Null; Klessmann, Stationen. Vgl. u. a. in der Übersicht Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 60–174; Petzina, Wirtschaft und Arbeit, hier: S. 497–505. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 219 f.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

nach den Unternehmensinteressen die Vorteile einer integrierten Produktion von der Rohstoffförderung bis zur Weiterverarbeitung, wie sie schon zuvor erfolgreich bestanden hatte, schnellstmöglich rekonstruiert werden.4 3.1.1.1 Der Wiederaufbau in den Unternehmen Im Dortmunder Raum war etwa die Westfalenhütte zunächst von Demontagen betroffen, doch bereits im Februar 1948 erhielt das Werk die Genehmigung zum Wiederaufbau.5 Die Anteile der Rohstahlerzeugung der Hütte an der Gesamterzeugung des Bundesgebiets bewegten sich bei vergleichsweise konstanten 8 Prozent (1947–1954), die nach Aussage des ehemaligen Arbeitsdirektors Alfred Berndsen auch auf eine vergleichbare und parallele Bautätigkeit aller Hüttenwerke schließen ließen.6 Gleichzeitig erfolgte die endgültige Herauslösung der Zechen aus dem Konzernverbund und die Zerteilung der übrigen Produktionsbetriebe in selbständige Gesellschaften. Dabei schied auch die Hütte „1947 als ‚Westfalenhütte AG‘ aus dem großen Verbund aus.“7 Durch die Neugründung 1952 unter dem Namen „Hoesch-Werke AG“ als Holdinggesellschaft, in der auch die Westfalenhütte eingegliedert war, gelang jedoch bereits ab 1955/56 die sukzessive Rückverflechtung von Hütten- und Bergwerksbetrieben, die seit 1958 auch wieder den alten Firmennamen „Hoesch AG“ führten.8 In der Dortmunder Nachbarschaft wurden zeitgleich die Werke Hörde und Dortmunder Union aus dem ehemaligen Verbund der Dortmund-Hörder Hüttenverein AG der VSt gelöst und zunächst als eigenständige Gesellschaften „Hüttenwerk Hörde AG“ (1947) und „Hüttenwerk Union AG“ (1948) geführt. Doch auch sie wurden bereits 1951 unter der „Dortmund-Hörder Hüttenunion“ (DHHU) wieder vereint. Ziel war es im Sinne der Rückverflechtung auch, die „Vereinzelung“9 des Dortmunder und des Hörder Werkes für eine rationellere Produktionsabstimmung aufzulösen.10 Die Hüttenwerke in Rheinhausen und Huckingen sowie die Oberhausener Gutehoffnungshütte erhielten ebenfalls rasche „Permits“ der Militärregierung zur Wiederaufnahme der Produktion. In Rheinhausen erfolgte der Produktionsbeginn mit dem Anlaufen der Walzstraße und dem Anblasen des Hochofens bis zum Herbst 1950.11 Organisatorisch erfolgte ebenfalls die formelle Entflechtung durch die 4 5 6 7

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Vgl. Wessel, Kontinuität im Wandel, S. 277. Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 36; Mönnich, Aufbruch, S. 345. In der Zusammenfassung Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 33–43; zu den einzelnen Großbauvorhaben Berndsen u. a., Wir alle faßten an, S. 13–23. Vgl. Berndsen u. a., Wir alle faßten an, S. 19. Mönnich, Aufbruch, S. 348. Schließlich erfolgte 1950 die Liquidation der Altgesellschaft mit den Nachfolgegesellschaften Hoesch Werke AG, Altenessener Bergwerks-AG und Industriewerte AG. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 47. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 47; Mönnich, Aufbruch, S. 355 f. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 46. Vgl. ebenda. Vgl. Abelshauser, Rüstungsschmiede, hier: S. 451.

3.1 Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945

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Ausgliederung aus dem Krupp-Konzern mit der Neugründung der „Hüttenwerk Rheinhausen AG“ (Anlagen der ehemaligen FAH) im Jahr 1947 in der neuen Holdinggesellschaft „Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG“, in die sie bei der Neuordnung des Kruppkonzerns ab 1953 endgültig eingegliedert wurde.12 Auch die Produktionsaufnahme der Gutehoffnungshütte in Oberhausen erfolgte mit einer zunächst noch geringen Produktion und der organisatorischen Ausgliederung der Zechen aus dem ehemaligen Verbund durch die britische Militärregierung.13 Daran schloss sich die Entflechtung durch eine neu gegründete „Hüttenwerke Oberhausen Aktiengesellschaft“ (HOAG) mit Verpachtung durch die GHH (Eisenwerke Oberhausen I und II, Stahl- und Walzwerke Neu-Oberhausen) an. „Wirtschaftlich zerfiel sie […] in drei Teile: die GHH, die HOAG und die Zechenbetriebe.“14 Im Jahr 1951 kam das Werk Gelsenkirchen in einen neuen Verbund der HOAG hinzu, der Sterkrader Bereich der GHH (Weiterverarbeitung) wurde dagegen endgültig abgetrennt und verblieb im Verbund der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN). Doch auch im Hütten- und Bergbaubereich zeichnete sich schnell die Rückverflechtung der „Bergbau AG Neue Hoffnung“ mit der HOAG als Bergbau-Betriebsabteilung zu einer integrierten Produktionseinheit ab.15 Auch im Huckinger Werk gab es keine langfristige Demontage. Das Werk wurde als rechtlich selbständige „Hüttenwerk Huckingen AG“ aus dem Mannesmann-Konzern herausgelöst. Nach der Rekonstruktionsphase wurde auch hier eine Rückverflechtung mit dem ehemaligen Mutterkonzern vorangetrieben und das Werk als „Mannesmann-Hüttenwerke AG“ mit den Werken Grillo Funke und Finnentrop zusammengeschlossen.16 Eine besondere Situation stellte dagegen die Lage der Thyssenhütte dar. Anders als bei den bisherigen Beispielen erhielt die Hütte nach dem Produktionsstillstand durch Luftangriffe im Januar 1945 auch nach Kriegsende zunächst keine weitergehende Produktionserlaubnis – letztendlich sollte nach alliierten Plänen das gesamte Hüttenwerk demontiert werden. So beschränkten sich die Tätigkeiten der verbliebenen Belegschaftsmitglieder zunächst auf die Produktion geringer Mengen Blech und auf Aufräumarbeiten. Dies wurde von den 1948 bis 1950 erfolgenden Demontagearbeiten unterbrochen, die erst mit dem „Petersberger Abkommen“ im November 1949 endgültig gestoppt wurden. Wiederaufbau und offiziell genehmigter Produktionsbeginn begannen daher erst verzögert im Frühjahr 1950 – zu diesem Zeitpunkt lief die Produktion in den anderen Werken, die schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt ein „Permit“ erhalten hatten, im Aufschwung der Währungsreform bereits wieder auf Hochtouren.17 Organisatorisch erfolgte 1953 die Gründung einer neuen „August Thyssen-Hütte AG“ (ATH AG), die als übergeordnete Aktiengesellschaft als neue Eigentümerin der Anlagen (Werksbezeichnung Hamborn im

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Vgl. ebenda; Gall, Entlassung, hier: S. 486 f. Vgl. Bähr, GHH und M. A. N., hier: S. 340–342. Ebenda, hier: S. 346, vgl. ausführlich S. 344–349. Vgl. ebenda, S. 350–353; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 253 f. Vgl. Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 145 f. und S. 155 f. Vgl. Rasch, August Thyssens Firma, hier: S. 317 f.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Folgenden: „August Thyssen-Hütte“ (ATH) oder „Thyssenhütte“) fungierte.18 Der verzögerte Wiederaufbau (erste Roheisenproduktion im Mai 1951) erfolgte mit einer stetig wachsenden Belegschaft, die bis 1957 die Marke von 10.000 Beschäftigten überschritt. Wie in den anderen Unternehmen war auch bei der ATH der Wiederaufbau mit dem Ausbau und der Modernisierung der Anlagen verbunden. So meldete sich Thyssen erst zum Ende der 1950er Jahre mit einer Rohstahlerzeugung von 2,4 Mio. t, über 12.000 Beschäftigten und einem jährlichen Umsatz von über 1 Milliarde DM im Wettbewerb zurück.19 Daran schloss sich auch hier der Beginn der Rückverflechtungen zum Ausbau eines umfassenden Stahlkonzerns an. Er erfolgte durch die Beteiligung bzw. Übernahme anderer Werke der Region wie der Niederrheinischen Hütte AG und der Deutschen Edelstahlwerke AG (1956/57) durch die Phoenix-Rheinrohr AG Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke bis hin zur Hüttenwerk Oberhausen AG (1964 bzw. 1968).20 3.1.1.2 Rekonstruktion montanindustrieller Strukturen in den 1950er Jahren Mit dem Beginn der „‚goldenen fünfziger Jahre“21 war für die Eisen- und Stahlindustrie die Rekonstruktion alter montanindustrieller Strukturen verbunden, flankiert durch den gesamtwirtschaftlichen Wiederaufstieg im Koreaboom und das Investitionshilfegesetz bis hin zur Vollbeschäftigung, die sich insbesondere auch in massiven Investitionen in die Erneuerung der Betriebsanlagen äußerte.22 Langfristig bedeutete dies jedoch auch eine Festigung altindustrieller Strukturen – eine Hypothek, die zu diesem Zeitpunkt noch als uneingeschränktes „Symbol des Wiederaufbaus“ und „beneidetes Vorbild“23 gefeiert wurde.24 Karl Lauschke veranschaulicht diese Phase des massiven Ausbaus der Produktionsanlagen für die Westfalenhütte zwischen 1953 und 1962, die mit Kapazitätsausweitungen und Qualitätssteigerungen verbunden war.25 An die eigentliche Rekonstruktion des Werkes schloss sich hier, gestützt etwa durch die „Sonderabschreibungsmöglichkeiten des Investitionshilfegesetzes vom Januar 1952“26, auch ein Ausbau der einzelnen Produktionsanlagen an. Er verzahnte zur Aufrechterhaltung der effizienten Produktion aus „einer Hitze“ systematisch die Ausbaustufen der Eisen und Stahl produzierenden Betriebe (etwa Großhochöfen VI und IV oder Siemens-

18 19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. ebenda, hier: S. 318; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 246. Vgl. Uebbing, Wege und Wegmarken, S. 64–66. Vgl. Rasch, August Thyssens Firma, hier: S. 319; Uebbing, Wege und Wegmarken, S. 60–63; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 246 f. Petzina, Wirtschaft und Arbeit, hier: S. 506. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 47–49, sowie in der Übersicht für die Ruhrindustrie Petzina, Wirtschaft und Arbeit, hier: S. 506–517. Beide Zitate: Petzina, Wirtschaft und Arbeit, hier: S. 506, vgl. auch S. 517. Vgl. Petzina, Krise und Aufbruch, hier: S. 107 f.; Hilger, Kleine Wirtschaftsgeschichte, S. 79– 93. Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 42–55. Ebenda, S. 42. Vgl. auch Mönnich, Aufbruch, S. 390.

85

3.1 Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945

Tab. 2: Entwicklung der Beschäftigten und der Rohstahlgewinnung im Ruhrgebiet, 1950 und 1961 Beschäftigte

Rohstahlgewinnung

Anteil der Eisen- und Stahlerzeugung an Gesamt in v. H.

Anteil des SVRGebietes am Gebiet der BRD

im Ruhrgebiet

Montanunion

Jahr

Gebiet der BRD

Ruhrgebiet (SVR)

Gesamt

Eisenund Stahlerzeugung

in 1.000 t

in v. H. BRD

in 1.000 t

1950

3,8

12,8

13,0

43,4

9.706

80,1

31.763

1961

2,9

13,5

11,5

53,1

22.472

67,2

73.511

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 101 f., Tab. 40; S. 103, Tab. 41; S. 238, Tab. 81.

Martin-Stahlwerk III) mit den weiterverarbeitenden Betrieben (Walzstraßen).27 So wuchs auch die Belegschaftsstärke (Arbeiter und Angestellte) der Westfalenhütte von rund 6.000 Beschäftigten bei der Wiederaufnahme des Produktionsbetriebs bis 1962 auf über 17.000 Belegschaftsmitglieder. Damit hatte sie sich seit Kriegsende fast verdreifacht.28 Die Produktionsaufteilung der benachbarten und wiedervereinigten Werke der DHHU in Dortmund und Hörde gestaltete sich dagegen zunächst problematisch, da beiden Werken in der Zeit der VSt die Funktion vollständiger Hüttenwerke zugekommen war und „[…] deren Erzeugungsprogramm sich in weiten Bereichen überschnitt.“29 Im weiteren Verlauf gab es jedoch eine zunehmende Aufgabenteilung zwischen Dortmund (Profilerzeugnisse) und Hörde (Roheisen- und Stahlerzeugung, Flachprodukte) und somit auch einer verbesserten Positionierung in einem horizontal und vertikal verflochtenen Unternehmensverbund.30 Wie in Tab. 2 ersichtlich, waren in der Gesamtentwicklung von Beschäftigung und Produktion die Anteile der Eisen und Stahl produzierenden Branche im Gesamtgebiet des SVR in dieser Phase vergleichsweise stabil und betrugen in den Stichjahren 1950 und 1961 rund 13 Prozent aller Gewerbezweige.31 Dabei lag der Anteil des SVR-Gebietes an den Beschäftigtenzahlen der BRD insgesamt zwischen 11 und 13 Prozent, davon machte jedoch allein die Eisen- und Stahlerzeugung mit Belegschaftssteigerungen, verschobenen Grenzlinien und Produktionsgebieten einen Anteil von bis zu 50 Prozent (1961) aus. Dieser Stand war zuvor nur im Jahr 1933 knapp erreicht worden.32 So steigerte sich die absolute Beschäftigung in der Eisen- und Stahlindustrie von rund 180.000 Beschäftigten im Jahr 1948 vergleichsweise kontinuierlich, bis sie mit über 420.000 Beschäftigten zu Beginn der 1960er 27 28 29 30 31 32

Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 43–53; Mönnich, Aufbruch, S. 390–398. Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 64, Tab. 5. Mönnich, Aufbruch, S. 413. Vgl. ebenda, S. 412 f. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 101 f., Tab. Nr. 40. Vgl. ebenda, S. 103, Tab. Nr. 41.

86

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Jahre ihren Scheitelpunkt erreichte und im Zuge von Automatisierung, Rationalisierung und Stahlkrise wieder kontinuierlich absank.33 Auch die Produktion knüpfte seit 1950 an die Vorkriegswerte an und erreichte im Jahr 1953 mit rund 9 Mio. t einen Anteil der Rhein-Ruhr-Region von über 80 Prozent an der Rohstahlproduktion der BRD. Sie stieg bis auf über 20 Mio. t zur Mitte der 1960er Jahre an, allerdings mit sinkenden Gesamtanteilen, bezogen auf die BRD, von knapp 70 Prozent und knapp einem Drittel der Gesamtproduktionsmenge der (internationalen) Montanunion (rund 80 Mio. t).34

3.1.1.3 Arbeitsproduktivität, Rationalisierung und Fusionen in den 1960er Jahren Wie Tab. 20 bis 22 (im Anhang) zeigen, markierte seit Beginn der 1960er Jahre ein kontinuierlicher Rückgang absoluter Beschäftigtenzahlen von über 250.000 (1961) auf unter 130.000 (1990) die Entwicklung der nordrhein-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie. Dabei wurde durch verbesserte technische Rahmenbedingungen die Rohstahlerzeugung im gleichen Zeitraum zwischenzeitlich sogar noch gesteigert – im Jahr 1990 produzierte etwa die Hälfte der Beschäftigten noch immer etwa die gleiche Menge Rohstahl von 23 Mio. t wie im Jahr 1961.35 An den produktionstechnischen Ausbau schloss sich im Laufe der 1960er Jahre auch ein Prozess der Rationalisierung und Fusionen an, der sich zunächst in unternehmensinternen Reorganisationen äußerte. Darüber hinaus gab es auch verschiedene unternehmensübergreifende Kooperationen (bis zur Gründung etwa der Walzstahl-Kontore seit 1966).36 Ein Beispiel hierfür ist die Kooperation der Westfalenhütte mit der DHHU.37 Sie mündete in eine endgültige Fusion (1966) mit den Hüttenwerken des HoeschKonzerns „Werk Westfalenhütte“ (Dortmund), „Werk Phönix“ (Hörde) und „Werk Union“ (Dortmund).38 Hier übernahm der einst kleinere und jüngere Konkurrent Hoesch die beiden großen Werke Dortmunder Union und Hörder Verein.39 Zum Ende der 1960er Jahre erfolgte im Rahmen des Umwandlungssteuergesetzes (1969) auch die endgültige Neuordnung der Konzernstruktur über die Errichtung von Betriebsführungsgesellschaften in den einzelnen Werksbereichen.40 So wurden u. a. 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 66, Tab. 6. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 238, Tab. Nr. 81. Vgl. ausführlich Beschäftigung und Produktion in NRW und BRD, Tab. 20 (im Anhang). Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 142. Vgl. in der Übersicht Müller, Strukturwandel, S. 377–386. Vgl. Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 63. Vgl. ebenda, S. 62 f.; Mönnich, Aufbruch, S. 408; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 256. Hinzu kam 1969 auch die endgültige Ablösung des Bergbau-Bereiches mit dem Übergang auf die Ruhrkohle AG, vgl. Mönnich, Aufbruch, S. 389. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, S. 39. Vgl. Mönnich, Aufbruch, S. 421.

3.1 Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945

87

die drei Werke Westfalenhütte, Phoenix und Union fortan unter der „Hoesch AG Hüttenwerke“ im Hoesch-Konzern organisatorisch vereint.41 In ähnlicher Weise wurden auch bei Krupp und Mannesmann größere Werkseinheiten organisatorisch zusammengefasst. Nach der Fusion der Kruppschen Bergbaubetriebe wurden sie zunächst im Jahr 1959 an die „Hütten und Bergwerke Rheinhausen AG“ angebunden und 1965 von der „Rheinhausen AG“ in die „Fried. Krupp Hüttenwerke“ (FKH) umbenannt. Durch die Verschmelzung mit dem „Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG“ erfolgte 1965 zugleich auch hier eine neue Untergliederung nach Werksabteilungen im Hüttenbereich, etwa über die neuen Bezeichnung „Hüttenwerke Rheinhausen“.42 Und auch bei Mannesmann wurden die bereits zusammengehörigen Werke Huckingen, Grillo Funke und Finnentrop 1967 in der „Mannesmann AG Hüttenwerke“ mit dem Breitflachwalzwerk Duisburg-Großenbaum unter „einheitlicher Leitung“ in Duisburg-Huckingen zu einer Werksgruppe „zusammengefaßt“.43 Eine weitere Fusion – und damit den vorläufigen Abschluss – bildete im Unternehmenssample die Übernahme der HOAG durch Thyssen als „Thyssen Niederrhein Oberhausen“ (TNO), der Endpunkt „[…] umfangreiche[r] Rückverflechtungen zur alten Betriebsgesellschaft August Thyssen-Hütte AG mit ihren damaligen Werken sowie horizontalen Neuerwerbungen.“44 Der Schwerpunkt lag auf einer Kapazitätsausweitung in der Eisen- und Stahlproduktion, in dem die kränkelnde HOAG über eine Zusammenfassung mit der Niederrheinischen Hütte den Produktionsfluss im Konzern optimieren sollte.45 Zusammengefasst endete der hier gesteckte Betrachtungszeitraum (siehe Übersicht in Tab. 3) somit in einem massiven Konzentrationsprozess der Unternehmen durch die Fusion der DHHU und der Hoesch AG im Jahr 1966, der Krupp Hüttenwerk AG mit der Fusion des Bochumer Vereins 1965 bis zur Krupp Stahl AG sowie der Eingliederung der Oberhausener Hütte (HOAG) in den Thyssen-Konzern.46 Bei den übergeordneten Reorganisationsmaßnahmen war auch die Sonderrolle der betrachteten Unternehmen im Rahmen der Montanmitbestimmung zu berücksichtigen:47 Seit der 1947 für die Eisen- und Stahlindustrie eingerichteten paritätischen Mitbestimmung fungierten neben den Betriebsräten und Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten auch die Arbeitsdirektoren als neue betriebliche Akteure der Mitbestimmung. Hiermit, zunächst auch als „Sozialdirektor“48 be41 42 43 44 45 46 47 48

Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, S. 52. Vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 261. Wessel, Kontinuität im Wandel, S. 370; vgl. auch ders., Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 164. Rasch, August Thyssens Firma, hier: S. 319; vgl. auch Uebbing, Wege und Wegmarken, S. 80 f. Vgl. Uebbing, Wege und Wegmarken, S. 80 f. Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 139. Vgl. zur rechtlichen Kontextualisierung u. a. komprimiert Müller, Mitbestimmung; Plumpe, Mitbestimmung, sowie ausführlich Müller, Strukturwandel, und Müller-List, Montanmitbestimmung. Lauschke, Die halbe Macht, S. 26.

88

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969) Tab. 3: Unternehmensübersicht bis ca. 1969 vor 1945

nach 1945/50

nach 1960

GHH Gutehoffnungshütte Oberhausen AG

Hüttenwerke Oberhausen AG (HOAG)

Thyssen Niederrhein Oberhausen (TNO)

Hoesch Werke AG (Westfalenhütte)

Hoesch AG Hüttenwerke (Werk Westfalenhütte, Werk Union, Werk Phönix)

Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG (Hüttenwerk Rheinhausen AG, HWR)

Fried. Krupp Hüttenwerke AG (FKH) (Hüttenwerke Rheinhausen, HWR)

Mannesmann Hüttenwerke AG

Mannesmann AG Hüttenwerke

„alte“ August Thyssen-Hütte AG (mit Thyssenhütte)

„neue“ August Thyssen-Hütte AG (ATH AG) (mit Werksbezeichnung „Thyssenhütte“ oder „August Thyssen-Hütte“, ATH)

August Thyssen-Hütte AG (ATH AG)

Dortmund-Hörder Hüttenverein AG (DHHV)

Dortmund-Hörder Hüttenunion AG (DHHU)

Vereinigung mit Hoesch

Hoesch Hoesch-Köln-Neuessener AG für Bergbau und Hüttenbetrieb Krupp Friedrich-Alfred-Hütte

Mannesmann Mannesmann AG (Heinrich-Bierwes-Hütte) VSt

Quelle: Eigene Zusammenstellung.

kannt, war erstmals die Zuständigkeit eines Mitglieds der Unternehmensleitung für den Personal- und Sozialbereich, neben dem technischen und kaufmännischem Vorstand, definiert.49 In einer „Doppelfunktion“ waren die Arbeitsdirektoren „gewerkschaftlich gebunden und als Vorstandsmitglied zugleich den Anteilseignern verpflichtet“50. Ihnen unterstand das Ressort des Personal- und Sozialbereichs, in dessen Tätigkeitsbereich die Arbeitsdirektoren sowohl unter den Vorstandskollegen wie auch in der Belegschaft zunehmend an Akzeptanz gewannen.51 In ihrer Tätigkeit verbanden sich die Führungsqualitäten eines Vorstandsmitgliedes mit Blick auf die wirtschaftliche Rentabilität und die soziale Vertretung der Arbeitnehmer-

49 50 51

Vgl. ausführlich die Auseinandersetzungen um Einsatz und Funktionsbereiche der Arbeitsdirektoren Lauschke, Mitbestimmungseliten; Ders., Die halbe Macht, S. 26–29. Beide Zitate Lauschke, Mitbestimmungseliten, hier: S. 320. Zur Stellung der Arbeitsdirektoren im Interessensausgleich etwa in Fragen von Zechenschließungen in der Bergbaukrise vgl. ausführlich Vollmer, Montanmitbestimmung, S. 255–271. Vgl. Lauschke, Mitbestimmungseliten, hier: S. 321 und S. 323 f.

3.1 Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945

89

schaft.52 Zu den ersten „mitbestimmten“ Werken der Bundesrepublik zählten etwa die HOAG mit ihrem Arbeitsdirektor Karl Strohmenger (ehemaliger Betriebsratsvorsitzender der Klöckner Werke) und die Westfalenhütte mit Alfred Berndsen (ehemaliger Betriebsratsvorsitzender im Werk Hörde der DHHU).53 Das Arbeitsgebiet der Arbeitsdirektoren schloss von vornherein das Tätigkeitsfeld des Arbeitsschutzes ausdrücklich mit ein. Dabei handelten sie in ihrem Fachgebiet weitestgehend selbständig mit einem eigenen Budget. Arbeitsschutz als Thematik des Gesamtvorstandes oder des Aufsichtsrates ist über die allgemeine Berichtstätigkeit hinaus indes kaum überliefert. Die Bemühungen beim Arbeitsschutz wurden im Verlaufe der 1950er Jahre weiter ausgebaut.54 Dies stand auch im Kontext einer generellen Neuorientierung der betrieblichen Sozialpolitik seit den 1950er Jahren, wie sie in neueren Forschungsarbeiten diskutiert wird.55 Auch zeitgenössisch gab es insgesamt einen von dem Betriebssoziologen Ludwig Geck diskutierten und in den Unternehmen rezipierten Ansatz einer verstärkt kooperativ ausgerichteten „sozialen Betriebsführung“56, also einer zunehmenden Mitgestaltungsmöglichkeit für „Arbeiter oder Betriebsausschüsse“57. Im Kontext dieser erneuten Debatte über die Ausrichtung betrieblicher Sozialpolitik griff etwa Arbeitsdirektor Berndsen (Hoesch) die ökonomische Komponente des Arbeitsschutzes als Teil betrieblicher Sozialarbeit auf.58 Inwieweit diese theoretische Neuausrichtung auch eine tatsächliche Individualisierung und Mitbestimmungspraxis in Fragen des betrieblichen Arbeitsschutzes auslöste, ist im Folgenden zu klären. 3.1.2 Die Entwicklung des legislativen Arbeitsschutzes bis zum Maschinenschutzgesetz (1968) Der legislative Rahmen für den in den Unternehmen praktizierten Arbeitsschutz zeichnete sich nach 1945 in erster Linie durch seine grundsätzliche Kontinuität aus.59 Dabei fokussierte sich die Politik der alliierten Besatzungsmächte auf einen konsensorientierten, raschen Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft, hinter dem eine grundlegende und systematische Neuordnung des Arbeitsschutzsystems zurückstand.60 Die bislang bestehenden Institutionen des dualen Arbeitsschutzes 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. ebenda, hier: S. 327. Vgl. ebenda, hier: S. 329. Vgl. Jungbluth, Die Aufgabe des Arbeitsdirektors, hier: S. 496 und ausführlich ders., Arbeitsdirektor und Betrieb, S. 241–249; Geisler u. a., Arbeitsdirektor, hier: S. 181; Jansen, 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft, S. 46–54. Vgl. u. a. Bartels, Monetarisierung und Engelen, Demokratisierung, S. 288–292. Vgl. Berndsen u. a., Wir alle faßten an, S. 39 f.; Das Handbuch war von Ludwig Geck bereits in den 1930er Jahren publiziert worden und erschien 1953 in einer erneuerten und erweiterten Auflage Geck, Soziale Betriebsführung. Vgl. u. a. ausführlich Hilger, Sozialpolitik, S. 36–47. Zitiert nach: Berndsen u. a., Wir alle faßten an, S. 40. Vgl. Ebenda, S. 45. Vgl. auch Milert u. a., Die andere Demokratie, S. 427–429. Vgl. auch Milles u. a., Am „Null Punkt“, hier: S. 127. Eine Ausnahme war die landesrechtliche Regelung Berlins, die erstmals die Einrichtung betrieblicher Sicherheitsorgane regelte – sie blieb jedoch ein singuläres Ereignis. Vgl. Bethge

90

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

wurden, auf der Grundlage des Grundgesetzes und der staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschenwürde, der körperlichen Unversehrtheit und des Sozialstaatsprinzips, zwischen Zuständigkeiten der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaften fortgeführt.61 Und auch in der Folgezeit war der Arbeitsschutz in der BRD zunächst kein exponiertes Handlungsfeld, mit dem Aufschwung des Wirtschaftswunders war eine politische Fokussierung auf den „Konsens mit der Wirtschaft“62 gerichtet. Nach Lutz Wienhold „[…] hatte der Arbeitsschutz keinen besonderen Stellenwert“63 während der ersten beiden bundesdeutschen Legislaturperioden, sodass weder von betrieblicher noch von staatlicher Seite Handlungsdruck bestanden habe. Auch Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften sei es in diesem Zeitraum nicht gelungen, den deutlich ansteigenden Unfallzahlen entgegenzuwirken.64 Dennoch waren diese Zahlen den Unternehmen und Arbeitsschutzexperten bekannt. Insbesondere die vor 1945 implementierten Werksärzte und Sicherheitsingenieure versuchten nun durch verbandliche Zusammenschlüsse und über Richtlinien und Vereinbarungen ihre Position und Tätigkeitsfelder abzusichern. Trotz einiger Etappenziele wie den „Richtlinien für die werksärztliche Tätigkeit“ oder der „Vereinbarung über die Tätigkeit von Sicherheitsingenieuren in der gewerblichen Wirtschaft“ (VDSI) erreichten diese auf „freie Initiative gerichteten Anstöße […] keinen durchgreifenden Erfolg.“65 Nach Ansicht der bisherigen Forschung wurden die steigenden Unfallzahlen im Verlauf der 1950er Jahre insbesondere auf der Ebene der Experten und Kontrollinstanzen zwar wahrgenommen, sie wurden jedoch mit weitgehend aus der Vorkriegszeit bekannten Mitteln des „Unfäller“-Prinzips gedeutet. In diesem Zusammenhang wurden auch die Maßnahmen der Unfallverhütungswerbung zur „Erziehung zur Sicherheit“ sowie zur „Auslese der Menschen“ fortgeführt.66 Die Bereitschaft, sich den Fragen des Arbeitsschutzes zuzuwenden, sei somit noch weitgehend auf ein „einseitiges Ursachenverständnis“67 menschlichen Fehlverhaltens beschränkt geblieben.68 Daraus ergab sich auch kein nachhaltiger Handlungsdruck und es gelang den einzelnen Arbeitsschutzakteuren zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Frage der Unfallverhütung auf eine gesellschaftspolitische Ebene zu heben. Somit blieb auch der institutionelle Einsatz fachlicher Gesundheits- und Arbeitsschutzexperten bis in die 1970er Jahre für die Unternehmen weiterhin freiwillig.69 Darüber hinaus wurden jedoch Mitbestimmungsrechte der Belegschaften am Unfallschutz, in Kontinuität des Betriebsrätegesetzes (1920), auch im Betriebsver-

61 62 63 64 65 66 67 68 69

u. a., Arbeitsschutz, 1945–1949, hier: S. 231–237; Hauptamt für Arbeitsschutz Berlin, Bericht 1. Oktober 1945 bis 30. September 1946, S. 25 f. und S. 54, Anlage 8. Vgl. Wienhold, Arbeitsschutz, 1949–1957, hier: S. 229–232. Ebenda, hier: S. 263. Ebenda. Vgl. ebenda, hier: S. 243. Alle Zitate ebenda, hier: S. 234, S. 238 und S. 239. Beide Zitate ebenda, hier: S. 240. Vgl. auch Weber, Arbeitssicherheit, S. 183–187. Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 263. Vgl. ebenda, hier: S. 239–241. Vgl. ebenda, hier: S. 234–239; Bethge, Arbeitsschutz 1957–1966, hier: S. 211–215.

3.1 Wiederaufbau, Entflechtung und Mitbestimmung seit 1945

91

fassungsgesetz (1952) für die BRD ausformuliert. Zugleich gingen jedoch auch hier nachhaltige Mitbestimmungselemente „im Streit um wirtschaftliche Mitbestimmung unter“70 und eine umfassende Mitbestimmung, etwa in grundlegenden Fragen der Arbeitsgestaltung und ihrer Durchsetzungsinstrumente, wurde erst mit der Novellierung (1972) eingelöst.71 So resümiert auch Wienhold, dass beim bundesrepublikanischen Arbeitsschutz in dieser Phase „[…] allenfalls von der Wiedererreichung des Vorkriegsstandes […] gesprochen werden [kann], der leichte Weiterentwicklungen erfuhr.“72 Gleichzeitig wurden im Expertenkreis aber auch neue technische Elemente des Arbeitsschutzes angestoßen, wie die Verhandlung der Berufsgenossenschaften mit der Maschinenbauindustrie und die Überwachung technischer Anlagen, die sich im Erlass des Maschinenschutzgesetzes (MaSchG 1968) konkretisierten.73 Diese Bestrebungen wurden auch im internationalen Kontext flankiert, etwa durch die Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Erlass eines solchen Gesetzes. Politische Debatten entfalteten sich insbesondere um die Praktikabilität solcher Vorgaben – mit diesem Argument war von Seiten der Wirtschaft das Gesetz bereits mehrfach erfolgreich bekämpft worden.74 In den 1960er Jahren wurde ein Kompromiss über „einheitlich anerkannte Regeln der Sicherheitstechnik“ (durch den Deutschen Normenausschuss) erreicht, die verbindlich für alle Hersteller die Beschaffung technischer Arbeitsmittel vorschrieben, damit „[…] Gefahren für Leben oder Gesundheit der Benutzer möglichst vermieden wurden.“75 Legislativ bedeutete dies eine deutliche Zäsur in der bundesrepublikanischen Arbeitsschutzgeschichte. Entgegen allen bislang gescheiterten Vorstößen wurde nun erstmals die eindeutige Verantwortung für die sichere Gestaltung von Arbeitsplätzen und die präventive Ursachenbekämpfung an der Gefahrenquelle der Wirtschaft zugewiesen. Die Bestrebungen konzentrierten sich insbesondere auf den durch technischen Wandel hervorgerufenen Gefahrenkomplex, dem durch technische Sicherheitsmaßnahmen wie z. B. die grundlegend sicherere Gestaltung von Arbeitsmaschinen und eine stärkere Überwachung von Anlagen begegnet werden sollte.76 Zudem richtete sich der politische Fokus zunehmend auf die nicht mehr zu ignorierenden Unfallzahlen in der Bundesrepublik. Mit dem UnfallversicherungsNeuregelungsgesetz (1963) war nicht nur die stärkere Betonung der Unfallverhütungsarbeit durch die Berufsgenossenschaften, sondern auch die Einführung eines umfassenden jährlichen Unfallverhütungsberichts durch die Regierung verbunden. Dadurch wurde erstmals eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Thematik gelenkt, deren tatsächlicher Nutzen für die Praxis aufgrund fehlender Vergleichsstatistiken oder konkreter Anregungen zur betrieblichen Unfallverhütungs70 71 72 73 74 75 76

Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 233. Vgl. ebenda, hier: S. 232–234. Ebenda, hier: S. 263. Vgl. ebenda, hier: S. 241 f. Vgl. Bethge, Arbeitsschutz 1957–1966, hier: S. 202 und S. 206. Ebenda, hier: S. 203. Vgl. Bethge, Arbeitsschutz 1957–1966, hier: S. 199–209 und S. 230–233; Weber, Arbeitssicherheit, S. 201 f.

92

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

arbeit zunächst jedoch umstritten war. Dennoch rückte nun ins Bewusstsein der Gesellschaft, welche Kosten durch Unfälle und Berufskrankheiten für die Gesamtgesellschaft tatsächlich entstanden.77 Von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zu den 1960er Jahren blieben die Unternehmen in praktischen und organisatorischen Arbeitsschutzfragen noch weitgehend auf sich gestellt. Zugleich wurden durch die ersten institutionellen Regelungen für betriebliche Fachkräfte, insbesondere in der werksärztlichen Tätigkeit, Gesundheit und Schutz am betrieblichen Arbeitsplatz, allmählich unter neue Prämissen gestellt: „Die Gestaltung der Arbeit unter Mitwirkung ärztlicher Experten wurde damit als betriebliches Anliegen verstanden, zu dessen Umsetzung nicht erst Anordnungen der Gewerbeaufsicht oder der Berufsgenossenschaft notwendig waren.“78 3.2 UNFALLENTWICKLUNG IM KONJUNKTURZYKLUS? In der Gesamtentwicklung sind die absoluten gewerblichen Unfallzahlen in NRW zwischen 1900 und 1958 um mehr als das Sechsfache angestiegen – bei einer gleichzeitig ebenfalls stark anwachsenden Beschäftigungsrate (um rund das Fünffache). Dabei ist zwischen 1930 und 1958 durchaus eine Abflachung dieser Tendenz erkennbar: So sei es in der Rückschau der Gewerbeaufsicht in NordrheinWestfalen „[…] gelungen, […] trotz der außergewöhnlich raschen Entwicklung der Technik […] die Anzahl der Unfälle […] fast gleichbleibend bei 6 auf 100 Beschäftigte zu halten und nicht höher rücken zu lassen.“79 Die methodische Problematik der statistischen Erfassung und Bewertung der Unfallzahlen stellt sich in verschiedener Hinsicht. Einerseits liegen teilweise nur lückenhafte Daten vor, die aufgrund zahlreicher betrieblicher Umstrukturierungen und Erfassungskriterien nur bedingt vergleichbar sind. Andererseits stellt die statistische Datenerfassung eine zeitgenössische Quelle dar, die zur betrieblichen und überbetrieblichen Bewertung der Unfallentwicklung eingerichtet wurde, sich nach unterschiedlichen Parametern richtete und sich dabei zunehmend weiterentwickelte. Daher geht es in Kapitel 3.2 nicht nur darum, die Entwicklung der Unfallzahlen zu skizzieren, sondern vor allem auch, den Bedeutungszusammenhang betrieblicher Statistiken zu hinterfragen. Die immer umfassenderen Analysemethoden dienten als Instrument, um Unfallursachen und ihre Folgen auch mit einem differenzierteren Blick zu bewerten und Konsequenzen für den qualitativen Umgang mit Unfällen im Betrieb abzuleiten.

77 78 79

Vgl. ebenda, hier: S. 209–211; Weber, Arbeitssicherheit, S. 191 f. und S. 196. Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 264. Vgl. auch Bethge, Arbeitsschutz 1957–1966, hier: S. 211–215. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1959, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1959, S. NrW 7.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

93

3.2.1 Die Unfallentwicklung im Unternehmensvergleich 3.2.1.1 Die Unfälle in der Nachkriegszeit In der unmittelbaren Nachkriegszeit schlugen sich zunächst auch im Arbeitsschutz das generelle Versorgungsproblem und die Frage des allgemeinen Produktionsumfangs nieder. Ein Indikator für diese Entwicklung ist die sprunghafte Unfallentwicklung bis in das Jahr 1949.80 Dabei ist eine ansteigende Unfalltendenz vornehmlich in den Unternehmen überliefert, die auch von den Zeitgenossen auf mannigfaltige Nachkriegsfolgen zurückgeführt wurde.81 Es wurden die zerstörten bzw. stark in Mitleidenschaft gezogenen Produktionsanlagen als eine der Hauptursachen steigender Unfallzahlen benannt.82 Hiermit war auch eine Kritik an den geforderten Produktionsleistungen verbunden.83 So beschrieb der Dortmunder Werksarzt sogar die langfristigen Folgen als „[…] schamlose[n] Raubbau mit der menschlichen Arbeitskraft […].“84 Zugleich war die Zahl der Unfälle bei Hoesch, bezogen auf die Arbeitsstunden, jedoch geringer als vor Kriegsbeginn, „[…] da 1938 in den Betrieben wohl erheblich intensiver gearbeitet wurde als im Geschäftsjahr 1946/47.“85 Des Weiteren schienen die Unfallzahlen auch durch den schlechten Gesundheitszustand, insbesondere als Folge der chronischen Unterernährung der Belegschaft, bedingt zu ein. So wurde festgestellt, dass rund 90 Prozent des Unfallaufkommens leichteren Unfällen zugeschrieben werden konnten, die insbesondere mit einer verzögerten Reaktionsfähigkeit und generell geminderter Arbeitsleistung aufgrund körperlicher Mangelerscheinungen in Verbindung gebracht wurden.86 Auch schlechtere Heilungsprozesse bereits eingetretener Verletzungen wurden diesem Umstand zugeschrieben.87 80 81 82

83 84 85 86

87

Über die Bemühungen zu einer raschen Rückkehr der systematischen Unfallstatistik vgl. auch Helmuth, Unfallstatistik; Theodor Kolb, Ziele und Grenzen. Vgl. Ausnahme: TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/596, Hüttenwerk Hörde AG, Arbeitsbericht der Sozialwirtschaft 1947–1949. Zusammenfassende Darstellung 1947–1950, S. 4 f. und Anlage VI. Vgl. TKA, TNO/4567, Abschrift/Entwurf Geschäftsbericht der HOAG an die Treuhandverwaltung, 1.3. bis 30.9.1947, S. 8; Schreiben zur 10. Aufsichtsratssitzung, 29.10.1948 bezüglich des Absturzes eines Schienenverladekrans; MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 3 f. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G8a7, Zusammenfassung der Ergebnisse des Werksarztes zu Ernährung, Gesundheitszustand und Arbeitsleistung, 9.6.1947, S. 7. Ebenda. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1946/47, 30.09.1947, S. 2. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G8a7, Bericht des Werksarztes, Gesundheits- und Ernährungszustand im Monat Mai, 5.6.1947, und Zusammenfassung der Ergebnisse des Werksarztes zu Ernährung, Gesundheitszustand und Arbeitsleistung, 9.6.1947; HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1945/46, 26.9.1946, S. 1; AdsD, 5/IGMA 280007, Bericht über die Gesundheits- und Ernährungslage der Belegschaft. Dortmund 15.10.1947, Abschrift und Schreiben Dinkelbach an den Vorstand der IG Metall, 14.1.1948. Vgl. auch Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 90–92. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 20/G8a7, Zusammenfassung der Ergebnisse des Werksarztes zu Ernährung, Gesundheitszustand und Arbeitsleistung, 9.6.1947, S. 2.

94

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Der größte Teil der Unfälle war aufgrund von Bauarbeiten mit Abriss- und Aufräumarbeiten sowie schlechter Wegeverhältnisse zu verzeichnen. Hinzu kam eine mangelhafte Ausstattung bei der Unfallverhütung etwa mit Tragen und Decken für Erste-Hilfe-Leistungen oder durch fehlende bzw. unvollständige Schutzbekleidung.88 Tab. 4: Unfallentwicklung Werk Hörde, 1947–1954 Im Monatsdurchschnitt

Rohstahlerzeugung in 1.000 t

Belegschaftsziffer

Unfallzahlen bezogen auf 1.000 Arbeiter

Unfälle bezogen auf 1.000 t Rohstahl

1947

27

6.900

16,6

4,3

1948

46

7.600

15

2,5

1949

69

8.100

10,9

1,3

1950

80

8.450

8,9

0,9

1951

86

8.950

8,6

0,9

1952

102

9.660

11,2

1,1

1953

93

10.220

12,3

1,3

1954

98

9.960

11,4

1,2

Quelle: Hüttenwerk Hörde AG Mitteilungsblatt, Sonderausgaben der Betriebsvertretung 1955.

Wie in Tab. 4 deutlich wird, sanken entgegen den etwa in Dortmund und Huckingen beobachteten steigenden Unfallzahlen im Werk Hörde zwischen 1947 und 1950 die Unfallzahlen kontinuierlich. Zwar wurden auch hier schwierige Arbeitsbedingungen und massive Zerstörungen, also insbesondere schlechte technische Voraussetzungen für den Unfallschutz beklagt. Trotz Leistungssteigerung und Neueinstellung sei hier jedoch die niedrigste Unfallziffer der Berufsgenossenschaft zu verzeichnen: „[…] so ist damit der Beweis erbracht, daß auch bei voller Produktion die Unfallzahlen niedrig gehalten werden können.“89 Dies wurde von der Unternehmensleitung insbesondere auf eine „enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitsdirektor, Betriebsvertretung und Arbeitsschutzstelle“90 zurückgeführt.

88

89 90

Vgl. MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 84; M 44.084, Vorstandsbericht für die 8. Aufsichtsratssitzung am 29.3.1949; RWWA, 130–4001149/59, Jahresberichte Abteilung A. 1945/46, S. 22, 1946/47, S. 15 und 1947/48, S. 14; TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsbericht Unfallverhütung 1945/46, 26.9.1946, S. 2 f.; TKA, A/5456, Bericht Abteilung Unfallwesen zur Unfallverhütungswoche der HWBG 1947, o. D.; LAV NRW/ Abt. R, NW 0037, Nr. 32, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1949, Bl. 180. „Überblick über das Unfallgeschehen auf unserem Werk“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1950), Nr. 3/4, S. 1 f. Vgl. auch „Unfallbericht 1950“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 8 f.; HWBG, Technischer Bericht 1948, Essen, S. 7. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/596, Hüttenwerk Hörde AG, Arbeitsbericht der Sozialwirtschaft 1947–1949. Zusammenfassende Darstellung 1947–1950, S. 5. Vgl. auch DHHU/2637, Vorla-

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

95

Richtig ist, dass in Hörde eine frühe Wiederbelebung des systematischen Arbeitsschutzes unter Einbeziehung der Belegschaft nach Kriegsende zu beobachten ist. Dies galt jedoch auch für die anderen Unternehmen, die die Bedeutung einer möglichst raschen Sicherheitsarbeit mit Schulung und Vorbeugung, regelmäßiger Überwachung der technischen Sicherheit, Aufstockung einer zweckmäßigen Schutzausrüstung sowie kontinuierlicher Aufklärung und Schulung besonders gefährdeter Berufsgruppen und eine rasche Reorganisation der Sicherheitseinrichtungen ebenfalls als Schlüssel zur nachhaltigen Senkung der Unfallzahlen betrachteten.91 Damit wurde zwar erstmals eine Entkopplung der Produktions- und Unfallwerte konstatiert, die jedoch rasch wieder relativiert werden musste: Auch in Hörde stiegen die Unfallzahlen, wie in Tab. 4 ersichtlich, ab dem Berichtsjahr 1952/53 wieder deutlich an. Festzuhalten bleibt ein vergleichsweise einheitlicher Wendepunkt der Versorgung durch die Währungsreform, der auch durch eine Verbesserung der Ernährungslage und eine Normalisierung der Produktionsverhältnisse Einfluss auf die Unfallverhütungsarbeit in den einzelnen Werken nahm. Hierzu zählte sowohl die verbesserte körperliche Konstitution der Belegschaft durch eine zunehmende Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln als auch die Bereitstellung von Arbeits- und Arbeitsschutzmitteln in den Unternehmen in ausreichender Zahl und Qualität.92 Dennoch handelte es sich nicht um eine langfristige oder nachhaltige Erfolgsgeschichte sinkender Unfallzahlen, vielmehr meldete auch das Werk Huckingen bereits ab 1950 wieder eine Zunahme der Unfallzahlen, insbesondere durch den stärkeren Zugang jüngerer und berufsfremder Arbeiter: „Einer völlig wieder aufgebauten und in einer langen Friedensperiode ohne Erschütterung laufenden Wirtschaft wird es vorbehalten bleiben, auch auf dem Gebiete der Unfallverhütung endgültige Erfolge herbeizuführen.“93 Auch die Gewerbeaufsicht äußerte sich über die weitere Entwicklung der Unfallzahlen im Jahr 1950 in diesem Sinne noch zurückhaltend und verwies „[…] in den Gewerbezweigen, die durch die günstige wirtschaftliche Entwicklung ihre Produktion wesentlich erhöhen und ausweiten konnten […]“94 auf deutlich gestiegene Unfallzahlen. 3.2.1.2 Steigende Unfallzahlen als Folge der Lohnfortzahlung? Insgesamt stellte sich auch im Verlauf der 1950er Jahre keine grundlegende Lösung der Arbeitsschutzaufgabe ein. Vielmehr stiegen die Unfälle in der Gesamttendenz fortlaufend. Hier zollte die Entwicklung der Unfallzahlen der konjunkturellen Be-

91 92

93 94

gen für Sozialbericht bis ca. 1950, Bl. 2; „Überblick über das Unfallgeschehen auf unserem Werk“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1950), Nr. 3/4, S. 1 f. Vgl. etwa MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 83 f. Vgl. u. a. „Kurzbericht“, in: Mitteilungsblatt (Westfalenhütte) (1949), Nr. 1, S. 3 f.; RWWA, 130–400149/59, Jahresbericht Abteilung A. 1948/49, S. 17; TKA, Fschr., HOAG, Geschäftsberichte 1948/49, S. 45, und 1949/50, S. 23 f.; A/3244, Hüttenwerke Ruhrort-Meiderich AG, Sozial-Bericht, April 1950, S. 8 f. MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 84. Jahresbericht Gewerbeaufsichtsverwaltung NRW 1950, S. 32.

96

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

wegung und den steigenden Produktionsauslastungen scheinbar weiterhin Tribut. Zugleich setzte sich die Ambivalenz zwischen der Mechanisierung der Produktionsanlagen und der Entwicklung der Unfallzahlen wie schon in der Zwischenkriegszeit weiter fort. So urteilte die Duisburger Gewerbeaufsicht 1953 optimistisch, dass die Modernisierung der Werke und deren „[…] nahezu restlose Mechanisierung und Automatisierung zu einer wesentlichen Herabsetzung der früheren spezifischen Unfallgefahren dieser Anlagen beitragen.“95 Gleichzeitig war der wirtschaftliche Aufschwung mit einem akuten Arbeitskräftemangel, stark steigendem Produktionsdruck und erhöhter Arbeitsintensität verbunden. Dieser Aufschwung belastete sowohl die physische als auch die psychische Arbeitsleistung im Betrieb. Dabei erhöhte sich offenbar die Unfallgefahr insbesondere bei unqualifizierten oder nur unzureichend eingewiesenen Arbeitern.96 Die Unfallhäufigkeit in den einzelnen Betrieben und Unternehmen variierte dabei, wie in Tab. 23 (im Anhang) ersichtlich, trotz ähnlicher Strukturen teilweise beträchtlich. Die Tab. 24 und 25 (im Anhang) zeigen darüber hinaus, dass die Eisen- und Stahlindustrie weiterhin zu den unfallträchtigsten Gewerbegruppen zählte. In der Schwerpunktregion NRW lagen die gemeldeten Unfälle der Eisen- und Stahlindustrie (hinter dem Schiffsbau und der feinkeramischen und Glasindustrie) an dritter Stelle. Mit rund 15 Unfällen je 100 Beschäftigten lag sie deutlich über dem Durchschnittswert (fünf bis sechs Unfälle je 100 Beschäftigte) in der gesamten gewerblichen Wirtschaft mit weiter ansteigender Tendenz.97 Dabei war sie nach wie vor (hinter dem Bergbau und der Verkehrswirtschaft) eine der gefährlichsten Industrien: Mit über 80 tödlichen Unfällen im Jahr 1960 traten im Schnitt 0,2 tödliche Unfälle auf 1.000 Beschäftigte in dieser Branche auf.98 Betrieben mit hauptberuflichen Sicherheitsingenieuren und/oder Sicherheitskommissionen wie den betrachteten bescheinigte die nordrhein-westfälische Gewerbeaufsicht einen besseren Unfallstand, jedoch bleibe „[d]er Einfluß vieler nebenamtlicher Sicherheitsingenieure, die neben ihren Hauptaufgaben selten die erforderliche Zeit für die Durchführung eines wirksamen Unfallschutzes aufbringen können […] nach wie vor unbefriedigend.“99 Einen zeitgenössischen Erklärungsansatz steigender, insbesondere leichterer Unfälle bildete auch die 1957 von der IG Metall durchgesetzte Lohnfortzahlung, die eine Debatte um Sinn und Anreiz sozialstaatlicher Leistungen entfachte. Sie wurde von den Arbeitgebern teilweise als Anreiz zum Krankfeiern gedeutet, „[…] während früher vielleicht Krankheiten verschleppt wurden und dann zu längeren 95 96 97 98 99

LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 158, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1953, Bl. 15; Vgl. auch Nr. 251, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1956, Bl. 17. Vgl. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1955, in: BMA, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1955, S. NrW 12. Vgl. Jahresberichte Gewerbeaufsicht NRW 1955 und 1958, jeweils in: BMA, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1955 und 1958, S. NrW 11 und S. NW 9. Vgl. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1960, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1960, S. NrW 11. Jahresbericht der Gewerbeaufsicht NRW 1958, in: BMAS, Jahresberichte der Gewerbe-Aufsicht 1958, S. NrW 8.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

97

Ausfallzeiten führten.“100 Auch die Gewerbeaufsicht äußerte sich skeptisch, dass trotz Erfolgen im Bereich der Anreizsysteme wie Belohnungen oder Prämiensystemen der Sicherheitsgedanke tatsächlich vor dem Krankfeiern stehe.101 So formulierten zunächst auch Vertreter der HOAG mit (kurzfristig) steigenden Unfallzahlen ähnliche Befürchtungen in der Werkszeitschrift. Detailliertere Studien des Unternehmens widerlegten diese Annahme jedoch rasch, da diese Regelung offenbar keineswegs zur Verlängerung der Wochenenden missbraucht wurde.102 Vielmehr wurden Maßnahmen wie die Einführung von Anreizsystemen angeführt, um beispielsweise durch ein Prämiensystem die Unfallzahlen zu senken. Die Problematik sozialer Konflikte, etwa um die Verhinderung der Meldung von Unfällen, wurde dabei jedoch nicht reflektiert.103 Gleichzeitig propagierte Strohmenger eine drastische Vorgehensweise bei der Kontrolle des tatsächlichen Krankenstandes im Werk. So kommentierte der „Spiegel“ 1962 in einem Bericht zur Frage des Missbrauchs den Oberhausener Rückgang des Krankenstandes v. a. dadurch, dass „Arbeitsdirektor Karl Strohmenger […] vor einigen Wochen kurzerhand 50 krankgeschriebene Arbeiter“ entlassen hatte, „die bei Kontrollen zum zweitenmal [sic!] außerhalb ihres Bettes angetroffen worden waren.“104 Der Blick in die Unternehmen zeigt in Tab. 23 (im Anhang) insgesamt eine vergleichsweise heterogene Unfallsituation. Während Thyssen und Krupp in Duisburg steigende bzw. schwankende Zahlen verzeichneten, sanken die Unfälle in Dortmund und Oberhausen zwischen 1950 und 1959 teilweise deutlich. Ein einheitliches Muster ist jedoch nicht zu erkennen. So vermeldete die Westfalenhütte kontinuierlich rückläufige Zahlen, wenn auch auf vergleichsweise hohem Niveau. Für die zeitgenössische Betrachtung wurde hier das Argument eines quasi natürlichen Zusammenhangs von Unfallzahlen und Beschäftigung konstruiert, etwa durch Arbeitstempo, Überstunden und „betriebsfremde Arbeitskräfte“105. Tatsächlich 100 HAK, WA 65/2.65, HWR AG, Geschäftsbericht 1957, S. 16. 101 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 268, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1957, Bl. 19. So hatte die Westfalenhütte bereits 1949 über eine Betriebsvereinbarung den Verdienstausfall innerhalb der ersten drei Tage nach einem Unfall, also vor Eintreten der Versicherungsleistung, zugesichert. Diese Regelung wurde nach Angaben der Gewerbeaufsicht Dortmund rasch wieder zurückgenommen, nachdem sich die Zahl der Unfälle schlagartig verdoppelt hatte, und dann nur noch ab einer Ausfallzeit von insgesamt über 7 Tagen Leistungen gewährte. Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 16, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1949, Bl. 55; vgl. weitere Versuche mit ähnlichen Ergebnissen, Nr. 157, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1953, Bl. 12. 102 Vgl. „So geht das nicht weiter!“, in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 13, S. 154; „Der guten Sache einen Dienst erwiesen. Unfallkurve normalisiert“, in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 19, S. 229. 103 Vgl. Wilhelm Throm, „Schach dem Leichtsinn“, in: FAZ, 6.2.1958 (HAK, WA 123/17). Auch auf dem „Kongreß für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ 1959 in Düsseldorf wurden die Folgen des Gesetzes über die Lohnfortzahlungen noch kontrovers diskutiert, vgl. Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Jahresbericht Ausschuss für Sozialwirtschaft 1959, Düsseldorf 1960, S. 41. 104 „Die Nachhol-Kranken“ 1962, hier: S. 38 f. Vgl. zuvor etwas differenzierter „Das Werksgericht“ 1959. 105 TKA, Hoesch-Archiv, Hoe/3, Protokoll Aufsichtsratssitzung, 18.11.1955, Arbeits- und Sozialbericht, S. 177.

98

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

muss eine grundsätzliche Unfallsteigerung offenbar von der massiven Ausweitung der Produktion von 9 t (1952/53) auf knapp 14 t (1965/66) je Arbeiter und Angestelltem langfristig entkoppelt werden. So schienen die Arbeitsschutzbemühungen zunehmende Gefährdungen zwar kompensieren, jedoch langfristig auch hier noch nicht grundsätzlich reduzieren zu können.106 Das gelang auch der von der Berufsgenossenschaft günstig bewerteten HOAG nicht.107 So war die günstige Unfallentwicklung (meldepflichtige Unfälle) in Oberhausen zum Ende der 1950er Jahre von einigen „Ausreißern“ (1957/58) geprägt.108 Ein Blick auf die Unfallhäufigkeit (Uh: Unfälle bezogen auf die Arbeitsstunden) in Oberhausen zeigt zudem, dass in Abhängigkeit von den Produktionsverhältnissen auch hier die Unfallzahlen bereits seit 1957 wieder kontinuierlich anstiegen.109 So konnten umfassende Arbeitsschutzmaßnahmen die Unfallentwicklung noch nicht grundsätzlich beeinflussen. Die mit der Konjunkturlage mittelbar verbundenen Beschäftigungszahlen schufen nicht nur durch Produktionsdruck, sondern vielmehr auch durch ständige Neueinstellungen und Umbesetzungen offenbar eine zusätzliche Unfallproblematik in den Betrieben.110 So wurde die Zahl der Unfälle, die auf einen Zusammenhang von Produktionshöhe und Unfallziffer hindeuteten, geringer eingeschätzt als etwa durch technische Mängel oder psychologische Ursachen.111 Auch die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie resümierte in ihrer ersten Zusammenschau der seit zehn Jahren erhobenen betrieblichen Unfallstatistik (1950–59) in Bezug auf die Rohstahlerzeugung eine verzögerte Entwicklung der Unfallkurve, die sich nach ihrer Beurteilung im selben Zeitraum „in einem ‚gemäßigteren‘ Rahmen bewegte.“112 Wie Tab. 5 zeigt, hatte sich nach ihren Ergebnissen die Erzeugungsquote zwischen 1950 und 1960 gegenüber den meldepflichtigen Unfällen deutlich stärker erhöht. Den Rückgang schwerer Unfälle belegt die Quote tödlicher Betriebs- und Wegeunfälle, die zwischen 1951 und 1959 in der Eisen- und Stahlindustrie um

106 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/978 Jahresbericht Betriebswirtschaft, Anlage 9 zum Arbeitseinsatzbericht 1965/66; LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 168, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1954, Bl. 18. 107 Im Vergleich schnitt das der HOAG zugeordnete Werk Gelsenkirchen deutlich schlechter ab, vgl. TKA, Fschr., Geschäftsberichte der HOAG 1955/56, S. 18; 1956/57, S. 15; 1957/58, S. 24; 1958/59, S. 28. 108 Vgl. „Ein Brief, auf den wir stolz sind“, „Und das ist noch zu viel …“, „Unfallverhütung“ und „So geht das nicht weiter!“, jeweils in: Echo der Arbeit (1954), Nr. 2, S. 17; (1956), Nr. 16, S. 192; (1957), Nr. 2, S. 15 und Nr. 13, S. 154; TKA, Fschr., HOAG, Geschäftsbericht 1957/58, S. 23–25. 109 Vgl. TKA, TNO/5751, Arbeitsschutzmaßnahmen HOAG, o. D., Anlagen 1 und 2. 110 Vgl. TKA, Fschr., HOAG, Geschäftsbericht 1959/60, S. 46. Diese Einschätzung teilte auch die Gewerbeaufsicht, vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 167, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1954, Bl. 22 f. 111 Vgl. TKA, TNO/5751, Bericht über eine Untersuchung der Produktionshöhe auf die Unfallzahl, ca. 1954, S. 9. 112 Vgl. Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie u. a. (Hg.), Zehn Jahre überbetriebliche Unfallstatistik in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie (1950–1960). Eine statistische Bilanz, Düsseldorf 31. Mai 1961, S. 11 (HAK, WA 230/v551).

99

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus? Tab. 5: Unfallhäufigkeits- und Rohstahlproduktionsverlauf in der Eisen- und Stahlindustrie, 1950–1959 Anzeigepflichtige Betriebsunfälle (ohne Todesfälle) je 1.000 Lohnbeschäftigte

Rohstahlproduktion in 1.000 t (Bundesgebiet ohne Saarland)

je 1 Mill. Arbeitsstunden

Jahr

Absolut

Indexziffer

Absolut

Indexziffer

Absolut

Indexziffer

1950

144

100

62

100

12.121

100

1951

157

109

64

103

13.506

111

1952

167

116

67

108

15.805

130

1954

164

114

68

110

17.434

144

1956

155

108

63

102

23.189

191

1957

160

111

70

113

24.507

202

1958

164

114

74

119

22.785

188

1959

174

121

80

129

25.822

213

Quelle: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Zehn Jahre überbetriebliche Unfallstatistik (1950–1960), S. 9, Tafel 2 (HAK, WA 230/v551).

mehr als ein Viertel gesunken war.113 Dabei schloss die deutsche Eisen- und Stahlindustrie im Gesamtergebnis im Vergleich mit anderen Branchen, aber auch im internationalen Vergleich, jedoch weiterhin deutlich schlechter ab.114 Dies lag an der im Branchenvergleich noch immer ungleich höheren Unfallgefährdung schwerer mechanischer Tätigkeiten im Umfeld von Gefahrstoffen wie Gasen oder flüssigen Werkstoffen. Darüber hinaus wurde dies zeitgenössisch noch immer mit einer vergleichsweise mangelhaften Kenntnis von Unfallursachen in Verbindung gebracht, „[…] um eine gezielte und damit erfolgreichere Unfallverhütung betreiben zu können.“115 3.2.1.3 Gegen den Trend? Unfallzahlen in der Hochkonjunktur der 1960er Jahre Auch die Aufsichtsbeamten begründeten die insgesamt anwachsenden Zahlen zunehmend leichterer Unfälle im Umfeld des Facharbeitermangels mit dem Einsatz betriebsfremden Personals sowie einem wachsenden Zeitdruck in der Hochkon113 Vgl. Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Zehn Jahre überbetriebliche Unfallstatistik (1950–1960), S. 10 und S. 14 (HAK, WA 230/v551); Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften/Zentralstelle für Unfallverhütung (Hg.), Die Unfallentwicklung in der gewerblichen Wirtschaft von 1950 bis 1960, Bonn o. D., S. 16 und S. 26 (jeweils HAK, WA 230/v551). Vgl. Tab. 24 (im Anhang). 114 Vgl. Lauschke, Die halbe Macht, S. 97. 115 Ebenda, S. 97.

100

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

junktur.116 Bezogen auf die angezeigten Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter zeichnete sich in Tab. 25 (im Anhang) zwischen 1961 und 1970 in allen Branchen eine weitestgehend einheitlich sinkende Tendenz ab. Gemessen an der Arbeitsleistung und damit in der konjunkturellen Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie spiegelte sich dieser Rückgang jedoch nicht so deutlich wider.117 Die Einschätzung der Gewerbeaufsicht blieb daher bei kurzfristig rückläufigen Unfallzahlen (1962 und 1963) zunächst vorsichtig. Die Bewertung des Unfallgeschehens zeigte zwar ein wachsendes Maß an Unfallverhütungs- und Aufklärungsarbeit, die Rolle von Modernisierung und Automatisierung der Produktionsanlagen sowie die „zunehmende Erkenntnis über den wirtschaftlichen Wert der Unfallverhütung“118. Gleichzeitig sei eine nachhaltige Tendenz rückläufiger Unfallzahlen, insbesondere im Bereich der Unfallschwerpunkte in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft, auch im Bereich der Erzeugung und Weiterverarbeitung der Eisen- und Stahlindustrie, erst abzuwarten. Tatsächlich stiegen die Unfallzahlen Mitte der 1960er Jahre wieder an.119 Aufschluss über einen allgemeinen Bundestrend liefert die 1964 beginnende jährliche Berichterstattung der Bundesregierung zum Stand der Unfallverhütung (im Kontext der Unfallversicherungs-Neuregelung 1963). Hier deutete sich bei der Zahl der angezeigten Unfälle und Erkrankungen aller gewerblichen Berufsgenossenschaften seit Anfang der 1960er Jahre erstmals eine sinkende Tendenz an – die nordrhein-westfälische Gewerbestruktur wich hier also zunächst noch vom allgemeinen Bundestrend ab.120 Im internationalen Vergleich in Tab. 26 (im Anhang) belegte die bundesrepublikanische Eisen- und Stahlindustrie dagegen einen Platz im Mittelfeld. Herausragend waren hier die niedrigen niederländischen Unfallzahlen, gefolgt von Frankreich und Italien. So war der Unfallhäufigkeitsgrad (gemessen an den Arbeitsstunden) der deutschen Werke in dieser ersten internationalen Vergleichsaufstellung etwa doppelt so hoch wie in den Niederlanden. Inwieweit dies auf unterschiedliche Produktions- und Arbeitsbedingungen, eine umfassendere und erfolgreichere Unfallverhütungsarbeit oder eine systematische Sicherheitsorganisation zurückzuführen war, ist aus der Quelle jedoch nicht ersichtlich und müsste durch eine international vergleichende Studie gesondert in den Blick genommen werden.121 116 Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsicht NRW 1960 und 1961, jeweils in: BMAS, Jahresberichte der Gewerbe-Aufsicht 1960 und 1961, S. NW 8 und S. NW 10. 117 Vgl. Statistische Jahrbücher der Eisen- und Stahlindustrie, 1959/60, 1965, 1979. 118 Jahresbericht der Gewerbeaufsicht NRW 1962, in: BMAS, Jahresberichte der Gewerbe-Aufsicht 1962, S. NW 11. 119 Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsicht NRW 1963, 1964, 1965 und 1967, jeweils in: BMAS, Jahresberichte der Gewerbe-Aufsicht 1963, S. NW 10; 1964, S. NW 9; 1965, S. NW 9 und 1967, S. NW 12. 120 Vgl. Siegfried Dörner, „Der Unfallverhütungsbericht 1966. Eine Kurzfassung“, in: Arbeitsschutz. Fachteil des Bundesarbeitsblattes Beiheft 1 (1969), S. 2 f. 121 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU, 4962/1, Rundschreiben Wirtschaftsvereinigung an Mitglieder Arbeitskreis „Unfallstatistik“, 25.7.1962; zur weiteren Entwicklung im internationalen Vergleich der EGKS bis 1970 siehe Eurostat (Hg.), Sozialstatistik. Betriebsunfälle Eisen und Stahl 1960–1973, o. O. o. J., Tab V/1, S. 41, online verfügbar, URL: (18.06.2013).

101

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

Auch innerhalb der Unternehmen wichen die Unfallergebnisse, etwa bezogen auf die Unfälle je 1.000 Beschäftigten in Tab. 6, noch deutlich von einer kontinuierlich sinkenden Tendenz ab. In der Deutungsweise der betrachteten Unternehmen folgten die steigenden und zeitweise schwankenden Unfallzahlen den alten Erklärungsmustern. Auch hier zeigte sich erneut die Verbindung von Unfallzahlen und konjunktureller Entwicklung. Sowohl die HOAG als auch die ATH bezogen die Unfallquoten insbesondere auf Neueinstellungen und wachsende Mehrarbeit (mit steigender Produktion wie auch betriebsspezifischen Produktionsbedingungen und Umstrukturierungen).122 Die Mitglieder des Oberhausener Sicherheitsausschusses betonten, dass die Belegschaft durch den akuten Personalmangel zunehmend unter Druck gerate und auch überfordert sei.123 Tab. 6: 1.000-Mann-Quote der Hüttenwerke in der BRD, 1961–1968124

Hüttenwerk Oberhausen AG, Oberhausen

1961

1962

1963

1964

1965

1966

1967

1968

4,5

4,8

5,4

6,3

5,9

5

4,4

5,2

August Thyssen-Hütte AG, Werk Ruhrort

12,7

10,5

9,7

10,3

10

7,2

6,1

7,1

August Thyssen-Hütte AG, Werke Hamborn

8

7,3

6,9

8,1

9,8

7,6

6,2

7,4

Salzgitter Hüttenwerk AG

11,5

8,4

8,9

10,9

9,4

7,6

6,8

7,8

Hoesch AG Hüttenwerke, Dortmund

8

7,5

7,5

8,1

6,9

6,2

7,3

8,4

Rheinstahl Hüttenwerke AG, Werk Ruhrstahl Henrichshütte, Hattingen

10,1

9,3

8

10,4

9,5

8

7,2

9,1

Thyssen Röhrenwerke AG, Werk Mülheim

13,1

11,8

11

13

13,7

12,2

10,6

10,1

Fried. Krupp Hüttenwerke, Rheinhausen

10,3

9,2

9

10,2

10,5

11

10,4

10,7

Mannesmann AG, Hüttenwerk Huckingen

14,1

14,5

13,4

14,9

16,4

14,5

12,5

13,4

Fried. Krupp Hüttenwerke AG, Bochum

16,9

13,5

13,6

15,9

15,8

12,6

11,5

15,6

Quelle: „Drei Werke der Thyssen-Gruppe an der Spitze der Sicherheits-Erfolgsskala“, in: Unsere ATH (1969), Nr. 9, S. 13. 122 Vgl. TKA, Fschr., HOAG, Geschäftsberichte 1961/62–1968/69; TKA, A/31819, Bericht Abt. Sicherheitswesen 1959/60, S. 3, und Fschr., ATH AG, Geschäftsberichte 1960/61–1969/70. Vgl. auch schwankende Unfallzahlen in Rheinhausen, HAK, WA 65/5.60–5.64, Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG Essen, Geschäftsberichte 1960–64; WA 65/7.65, FKH AG Rheinhausen, Geschäftsbericht 1965; WA 65/8.66–8.67, FKH AG Bochum, Geschäftsberichte 1966–67. 123 Vgl. TKA, TNO/5751, Protokoll Ausschuss für Arbeitssicherheit, 2.11.1964. 124 4-n-Tage Unfälle im Monatsdurchschnitt, mehr als 8.000 Beschäftigte.

102

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Dabei wurde auch die statistische Erfassung systematisch ausgeweitet, in der nun in allen Betrieben auch die Auswertung der Unfallhäufigkeit (Unfälle bezogen auf 1 Mio. geleistete Arbeitsstunden) hinzugezogen wurde. Bereits 1956 hatte Hans Steeg im Namen des „Vereins deutscher Sicherheitsingenieure“ (VDSI) die Einführung einer neuen Betriebs-Unfallstatistik im Fachteil Arbeitsschutz des „Bundesarbeitsblattes“ vorgestellt.125 Neu war hier neben der grundsätzlichen Beibehaltung der Erfassung der 1.000-Mann-Quote (meldepflichtige Unfälle bezogen auf 1.000 Arbeiter) insbesondere die Umstellung der Unfallhäufigkeitsquote (Uh) bezogen auf die Arbeitsstunden von 100.000 auf eine Bezugsgröße von nun 1 Mio. Arbeitsstunden, wie sie auch im internationalen Vergleich gebräuchlich war.126 Auch hier stiegen nach einer kurzfristig rückläufigen Phase Mitte der 1960er Jahre, wie Tab. 7 zeigt, die Unfallwerte ab 1967/68 erneut an. Sogar die HOAG als ehemaliger „Branchenprimus“ büßte zunehmend ihre Vorreiterstellung gegenüber den anderen Unternehmen ein. Trotz weiterhin unterdurchschnittlicher Werte (unter einem Drittel der Berufsgenossenschaftsergebnisse) war dies nicht allein durch eine Verschlechterung der eigenen Kennzahlen, sondern vielmehr auch durch den stetigen Aufholprozess der anderen Unternehmen in Maßnahmen und Unfallzahlen der 1960er Jahre zu erklären. In diesem Kontext stellten sich die Oberhausener Akteure zunehmend die Frage nach einer möglichen Begrenzung der maximalen Unfallsenkung, also entlang der Argumentation eines quasi natürlichen Risikos im Produktionsprozess, das nicht unterschritten werden konnte.127 Eine Ausnahme bildete zunächst Hoesch mit der Westfalenhütte, die im gesamten Verlauf im Jahresdurchschnitt von stetig verbesserten Unfallkennwerten der 1960er Jahre ausging.128 Gleichzeitig offenbart ein Blick in die genaue Entwicklung der Unfallzahlen durchaus Schwankungen.129 So betonten die zuständigen Sicherheitsingenieure auch hier weniger eine grundlegend systematische Vorgehensweise, da man den Gesamtzusammenhang des Unfallgeschehens insgesamt noch nicht verstehe. Er sei vielmehr noch viel zu komplex, da die Zahlen für einige Betriebe, Konzernbereiche auch innerhalb eines Jahres noch immer deutlich schwankten.130 Auch 125 Vgl. Steeg, Betriebsunfallstatistik. 126 Vgl. auch den deutsch-amerikanischen Vergleich der HOAG-Zeitschrift „Arbeitsschutz in USA: Sicherheit als ‚Business‘“, „England vor Deutschland. Ein Vergleich der Unfallzahlen“ und „Mr. Andrews verkauft nicht nur Autos. Chef der Ford-AG wirbt für die Sicherheit“, jeweils in: Echo der Arbeit (1958), Nr. 2/3, S. 28–30, hier: S. 30; (1958), Nr. 7, S. 81, und (1960), Nr. 4, S. 39 f., hier: S. 39; Die sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1961, hier: S. 838. 127 Vgl. TKA, TNO/2462, Sozialbericht HOAG, März 1960, S. 40; TNO/2465, HOAG, Jahresbericht Personal- und Sozialarbeit 1967/68, Werk Oberhausen, S. 15. 128 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Zusammenstellung statistischer Unterlagen über das Unfallgeschehen bei den Hoesch AG Hüttenwerken, Werk Westfalenhütte, 1966/67. Vgl. auch sinkende Zahlen der meldepflichtigen Betriebsunfälle bei der Maxhütte zwischen 1960 und 1972; der Aussagewert absoluter Unfallzahlen muss jedoch beschränkt bleiben, Süß, Kumpel und Genossen, S. 335. 129 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, Fschr., Hoesch AG Westfalenhütte, Dortmund, Geschäftsberichte 1960/61–65/66, und Hoesch AG Hüttenwerke, Geschäftsberichte 1966/67–1969/70. 130 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Jahresbericht Abteilungen Arbeitssicherheit und Werkspsychologischer Dienst 1965/66, S. 2.

103

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus? Tab. 7: Unfallhäufigkeit im Unternehmensvergleich, HWBG und Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, 1959–1970131132133134135 Westfalenhütte AG Dortmund132

HOAG (Werk Oberhausen)133

ATH AG134

1959 1960

HWR135

HWBG Wirtschafts(Gemeldete vereinigung Arbeitsunfälle) Eisen und Stahl

65,0

88,0

52,0

74,0

97,0

1961

49,8

35,0

78,0

94,0

1962

46,2

43,0

54,7

70,0

86,0

1963

48,4

52,0

53,1

1964

46,4

60,0

55,9

1965

45,3

59,0

74,1

1966

41,1

57,0

63,7

1967

37,6

52,0

1968 1969 1970

79,0 72,2

87,0

76,8

74,0

90,0

86,5

66,4

83,0

49,0

80,0

60,3

75,0

59,0

52,9

79,9

66,0

83,0

71,9

66,3

86,9

72,3

92,0

64,0

75,7

90,9

76,4

98,0

Quelle: TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Statistische Unterlagen Geschäftsjahr 1966/67; TKA, Fschr., Geschäftsberichte HOAG bzw. TN AG 1960/61–1970/71; TKA, A/34916, „Die wichtigsten Entwicklungen im Personal- und Sozialwesen der August Thyssen-Hütte AG im Zeitraum von Anfang 1964 bis Ende des Geschäftsjahres 1974/75“; A/1402, Belegschaftsangelegenheiten 1961/62–1962/63; HAK, WA 78/1770, Unfallübersicht HWR, o. D.; WA 78/424, Unfall-Vergleichsstatistik nach den Erhebungen der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie; HWBG, Unfallverhütungsbericht 1972, Essen 1973, S. 26; Statistische Jahrbücher der Eisen- und Stahlindustrie 1965 und 1979.

hier wurden die Unfallzahlen, insbesondere zum Ende der 1960er Jahre, auf die zugespitzte Lage des Facharbeitermangels und die Mehrarbeit bezogen, die auch eine ökonomische Prämisse der Produktionsbedingungen offenbart, denn „[…] aus gesetzlichen Gründen und im Hinblick auf die Unfallgefahren […]“136 seien diese Bedingungen eigentlich nicht mehr vertretbar. Bezogen auf die Verbindung von Konjunktur und Unfallgeschehen bestätigen auch die Angaben der Wirtschaftsvereinigung einen Zusammenhang dieser Entwicklungen. Gemessen an den durchschnittlichen Ausgangswerten im Jahr 1960 und bezogen auf die Arbeitsstunden stiegen mit dem konjunkturellen Zwischen131 132 133 134 135 136

Uh, je eine Million geleistete Arbeitsstunden. 1961–67 (Geschäftsjahre 1960/61–1966/67). 1968–1970 (Geschäftsjahre 1967/68–1970/71). 1964–1970 (Geschäftsjahre 1963/64–1969/70). Ab 1965 nur Werk Rheinhausen. TKA, Hoesch-Archiv, Hoe/70, Aufsichtsratssitzung Hoesch AG, 13.11.1968, S. 16.

104

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

hoch Mitte der 1960er Jahre sowohl die Unfallhäufigkeit als auch die Todesrate an, wurden aufgrund der Rationalisierungsmaßnahmen um 1967 kurzfristig unterbrochen, wuchsen dann jedoch weiter an. Bei der Unfallschwere (gemessen an den durchschnittlichen Ausfalltagen) zeichnet sich bis auf einen kurzfristigen Anstieg der leichteren Unfälle (und den Rückgang der Ausfalltage) im Schub der Jahre 1964/65 jedoch keine grundsätzliche Veränderung ab: Die Ausfalltage je Unfall stagnierten im Vergleich zum Jahr 1960.137 Entsprechend den von Dietmar Süß für die Maxhütte (Bayern) herausgearbeiteten Ausfallzeiten stieg offenbar auch in der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie „[…] der ‚Belastungsgrad‘ der Arbeitnehmer“138 immer weiter an. Dabei bargen die vielen technischen Neuerungen im Produktionsprozess wie bereits in der Weimarer Republik neue Risiken, mit denen die Arbeitnehmer noch keine betrieblichen Erfahrungen hatten.139 Auch mit zunehmend ausdifferenzierten Analysemethoden war noch kein eindeutiger Zeitpunkt zu erkennen, an dem die Unfallzahlen sich endgültig vom Konjunkturzyklus lösten; Gegenmaßnahmen schufen zwar kurzfristige Verbesserungen oder Bremsmechanismen und zeigten, dass ein Verständnis und der Versuch einer Gegensteuerung in den Unternehmen vorhanden war. Allerdings gelang es langfristig immer noch nicht, die Unfallzahlen kontinuierlich zu senken. 3.2.2 Betriebliche Unfallursachenanalyse und Unfallkosten 3.2.2.1 Ein „Gastarbeiterproblem“? Die vertieften Unfall-Untersuchungen lieferten auch Datenmaterial und Hinweise zu Unfallschwerpunkten der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen innerhalb der Betriebe: Bei ausländischen Mitarbeitern waren die Gesamtzahlen der Unfallhäufigkeit im Vergleich mit ihren deutschen Kollegen um das Dreifache erhöht. Diese wurden mit „sprachliche[n] Verständigungsschwierigkeiten, unzureichende[n] körperliche[n] Voraussetzungen […], mit den Gefahren der Arbeitsplätze, […] aber auch mit unzureichender oder gar fehlender Industrieerfahrung“140 begründet. Die Anzahl der ausländischen Arbeitnehmer stieg in den betrachteten Unternehmen mit den Anwerbeverfahren seit 1955 und betrug etwa bei den inländischen Mannesmanngesellschaften im Jahr 1963 rund 7 Prozent der Gesamtbelegschaft (1968/69 bei der ATH ebenfalls rund 7 Prozent).141 Im selben Jahr errechnete die Mannesmann AG in den Kerngesellschaften ein Unfallverhältnis, bei dem auf einen Unfall eines deutschen Beschäftigten mehr als zwei Unfälle eines ausländischen 137 138 139 140 141

Vgl. „Die Unfälle in der Eisen- und Stahlindustrie“ 1969, hier: S. 1366, Bild 3. Süß, Kumpel und Genossen, S. 335. Vgl. ebenda, S. 336. MA, M 21.074, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1964, S. 23. Vgl. MA, M 21.530.18, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1963, S. 1; Eigene Berechnungen nach TKA, Fschr., ATH AG, Arbeitssicherheit. Bericht 1970/71, S. 17. Vgl. allgemeine Angaben zur BRD bei Herbert, Ausländerpolitik, S. 206–229.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

105

Kollegen kamen.142 Die HOAG wurde durch eine externe Publikation zur Unfallhäufigkeit bei „Gastarbeitern“ dazu veranlasst, eigene Rechnungen anzustellen. Im Ergebnis der HWBG, so ein Artikel der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) vom August 1964, seien im Jahr 1963 ausländische Beschäftigte dreimal so oft von Arbeits- und Wegeunfällen sowie Berufskrankheiten betroffen gewesen.143 Nach den eigenen Oberhausener Berechnungen hatten die Unfallzahlen der ausländischen Beschäftigten 1962 mit bis zu 7-fachen Werten zunächst sogar noch höher gelegen. Der Rückgang wurde vor allem mit der wachsenden Betriebserfahrung der bereits seit einem längeren Zeitraum beschäftigten Arbeitnehmer begründet.144 Im Gegensatz dazu stieg die Unfallbeteiligung ausländischer Beschäftigter etwa bei der ATH AG bis in die 1970er Jahre hinein weiter an und lag als Kennwert zeitweise doppelt so hoch wie bei den deutschen Beschäftigten.145 Auch die Gewerbeaufsicht NRW schätzte den Anteil der Unfälle bei den „Gastarbeitern“ besonders hoch ein.146 Dabei erfolgte eine gesonderte Auswertung der Unfallzahlen im Jahr 1967 auch hier vergleichsweise spät. Während sich ihr durchschnittlicher Anteil an den Beschäftigungszahlen um etwa 6 Prozent bewegte, war bei einem Anteil von 13,5 Prozent der Unfälle (7,5 Prozent der tödlichen Unfälle) auch hier „[…] eine relativ hohe Unfallhäufigkeit […]“147 festgestellt worden. In der Begründung schloss sich die Gewerbeaufsicht dabei den unternehmerischen Vermutungen an: Sowohl die ungewohnte Arbeitsumgebung und die Unerfahrenheit als auch Verständigungsprobleme dienten als Erklärung.148 Es darf jedoch die grundsätzliche Art des Arbeitseinsatzes nicht außer Acht gelassen werden. Wenn auch keine detaillierten Aufschlüsselungen zu Besetzungen und deren Auswirkungen in Bezug auf ausländische Arbeiter in den Unternehmen vorliegen, ist dennoch eine unterschiedliche Belastung und Gefährdung an verschiedenen Einsatzorten (u. a. auch Qualifikation und Frage der Überstunden) anzunehmen.149 Bei diesen statistischen Ergebnissen ging es also nicht um eine grundsätzliche Neubewertung des Arbeitseinsatzes einzelner Beschäftigungsgruppen. Dennoch versuchten die betrieblichen Akteure, nun die Unfallverhütungsarbeit explizit auch auf die ausländischen Beschäftigungsgruppen anzupassen, um insbesondere die besondere Unfallhäufung im Anfangsstadium der Beschäftigung zu senken. Bei Mannesmann wurden etwa die Sicherheitsunterweisungen unter Mitwirkung der Sicher142 143 144 145 146 147 148 149

Vgl. MA, M 21.074, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1964, S. 24. Vgl. „Unfälle bei Gastarbeitern sehr hoch“, in: WAZ, 7.8.1964 (TKA, TNO/5751). Vgl. TKA, TNO/5751, Vermerk Personalabteilung, 14.8.1964. Vgl. TKA, Fschr., ATH AG, Arbeitssicherheit. Berichte 1970/71, S. 17, 1971/72, S. 17, und 1972/73, S. 24. Vgl. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1960, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1960, S. NW 8. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1967, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1967, S. NW 12. Vgl. ähnliche Ergebnisse in der Zusammenstellung der BRD für die Jahre 1964–1969 bei Deppe, Industriearbeit, S. 101–111. Vgl. Herbert, Ausländerpolitik, S. 212; Weber, Arbeitssicherheit, S. 197; BMAS (Hg.), Unfallverhütungsbericht ’73, S. 144, online verfügbar, URL: (18.06.2013).

106

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

heitsbeauftragten und durch „Tonbildschauen“ sowie die Werkszeitung (etwa mit einer türkischsprachigen Beilage) ausgeweitet.150 Probleme der sprachlichen Verständigung sollten durch die Herausgabe mehrsprachiger Informationsschriften oder Beschilderungen im Werk behoben werden.151 Vorreiter waren hier jedoch zunächst andere Großunternehmen wie die Farbwerke Hoechst AG, die Ford-Werke AG, Henkel oder auch Siemens, die bereits zu Beginn der 1960er Jahre zahlreiche fremdsprachige Informationsschriften, auch zur weiteren Verbreitung über den Konzern hinaus, zur Verfügung stellten.152 Dies geschah aus der betrieblichen Praxis heraus deutlich früher, bevor sich auch öffentliche Stellen diesem Thema zuwandten.153 In der langfristigen Perspektive bestätigte eine in den 1970er Jahren vorgelegte Studie der gewerblichen Berufsgenossenschaften diese Entwicklungstendenzen. Bei der Auswertung der Unfallzahlen von 1964 bis 1970 zeichnete sich eine Angleichung der Unfallhäufigkeit bei vergleichbaren Tätigkeiten und Betriebszugehörigkeitszeiten ab. So thematisierte eine Darstellung in der IG Metall Zeitung in erster Linie den inhaltlichen Faktor des „Neulingsproblem[s]“ sowie der allgemeinen Unfallquote in der Bundesrepublik, „[…] daß hier nicht ein Gastarbeiterproblem vorliegt.“154 3.2.2.2 Die Ausweitung der Unfallursachenanalyse Bei einer Umfrage der Gesellschaft für soziale Betriebspraxis hatten bereits Ende 1953 einige Sicherheitsingenieure der Eisen- und Stahlindustrie ihre Unzufriedenheit mit dem Stand der Arbeitsschutzmaßnahmen geäußert, sodass „[…] sie auf der Suche nach neuen Wegen seien.“155 Im Sinne des überbetrieblichen Know-how-Transfers wurden die betrieblichen Arbeitsschutzkräfte auch von zunehmenden Forschungsarbeiten und Forschungskooperationen mit industrienahen Partnern inspiriert. Hierzu zählten auch die Gesellschaft für soziale Betriebspraxis in Düsseldorf mit Untersuchungen zum Stand der Unfallverhütung und der Unfallursachenanalyse oder die in Dortmund vom Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Institut vorangetriebenen Forschungen in Fra150 Vgl. MA, M 21.074, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1964, S. 23; „Türkische Mitarbeiter sollen besser informiert werden“, in: Der Werktag (1966), Nr. 10, S. 3. 151 Vgl. u. a. zweisprachiges (deutsch und türkisch) Hitzeschutzmerkblatt „Zehn Gebote bei extremer Hitze“, in: Hans Munker, Hitzeschutz am Arbeitsplatz. Das Wichtigste in Kürze für betriebliche Führungskräfte, Neubauplaner, Sicherheitsfachkräfte und andere Führungskräfte (= Schriftenreihe Arbeitsgestaltung bei Mannesmann, Bd. 2), Düsseldorf 1977 (MA, M 21.517). Vgl. auch Die arbeits- und sozialwirtschaftliche Tätigkeit, 1966, hier: S. 694. 152 Vgl. Koch, Arbeitsschutz ausländischer Arbeiter; Deutsches Arbeitsschutzmaterial 1961; BMAS (Hg.), Unfallverhütungsbericht ’73, S. 156 f., online verfügbar, URL: (18.06.2013); Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 47. 153 Vgl. u. a. jeweils MAGS NRW (Hg.), Jahresberichte Gewerbeaufsicht NRW 1971, S. NW 63 f. und 1974, S. NW 68. 154 Hofmann, Unfallursachen. Vgl. auch BMAS (Hg.), Unfallverhütungsbericht ’73, S. 147–153, online verfügbar, URL: (18.06.2013). 155 Mausolff, Stand der Unfallverhütung, hier: S. 91.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

107

gen der Arbeitsphysiologie.156 Die Dortmunder „Sozialforschungsstelle an der Universität Münster e. V.“ war u. a. durch das Engagement des Soziologen Otto Neuloh 1946 gegründet worden und befasste sich ebenfalls als industrienahes Forschungsinstitut insbesondere mit dem Wandel der Arbeitswelt im Bergbau und in der Eisenund Stahlindustrie.157 Fragen der Unfallverhütung wurden in enger Kooperation zwischen den Instituten und den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie bis zum Ende des Betrachtungszeitraumes auch mit engen personellen Verflechtungen fortgeführt. In der betrieblichen Rezeption deuteten die steigenden Unfallzahlen in der Rückwirkung insgesamt immer stärker auch auf Faktoren der Neu- und Umbesetzungen, also eine Konzentration auf neu- und umlernende Arbeiter und weniger auf eine alleinige Verbindung zur allgemeinen Produktionsauslastung hin.158 Erhebungen aus der Westfalenhütte belegten besondere Unfallschwerpunkte bei ungelernten und angelernten Arbeitern.159 Die Unfallfolgen konzentrierten sich nach diesen Untersuchungen auf Prellungen, Schnittwunden, Quetschungen, Brüche und Verbrennungen.160 Besonders entscheidend für das Unfallgeschehen war dabei offenbar die Beschäftigungszeit im Werk: So fiel die Unfallwahrscheinlichkeit bei einer Tätigkeit nach dem ersten Jahr etwa bei der HOAG deutlich ab. Die jüngeren Beschäftigten bis ca. 30 Jahre waren besonders vom Unfallgeschehen betroffen.161 So betonte auch ein Beitrag in „Stahl und Eisen“ des Oberhausener Assistenten von Karl Strohmenger und späteren Arbeitsdirektors bei Hoesch, Alfred Heese, die „Eingliederung der Arbeitnehmer in den Großbetrieb“ im Kontext des konjunkturellen Aufschwungs und steigender Beschäftigtenzahlen als zentrales Ziel der „Personal- und Sozialarbeit eines Hüttenwerkes“.162 Dies bezog sich nicht zuletzt auf 156 Vgl. u. a. Bornemann u. a., Stand der Unfallverhütung; Mausolff, Arbeitsgemeinschaft „Unfallverhütung“, S. 140–150; Graf u. a., Arbeitsunfall; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5237, Gesellschaft für soziale Betriebspraxis mbH, Unfallursachen. Bericht Unfallursachenforschung, DHHU (Hörde), 1954/55; „Vorsicht ist keine Feigheit“, in: Werk und Wir (1953), Nr. 4, S. 111– 114, hier: S. 112 f.; in der Übersicht Lauschke, Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie, hier: S. 492–504; Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 239–241. A. Mausolff war zugleich Werksärztin der DHHU, vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4960/1, Aktenvermerk zur Unfallstatistik, 17.2.1957. Vgl. zur Forschungsarbeit der Gesellschaft für soziale Betriebspraxis Lauschke, Die halbe Macht, S. 98–103; Rosenberger, Experten für Humankapital, S. 215 f. Zur Geschichte der Arbeitsphysiologie in Dortmund vgl. Plesser u. a., Arbeit, Leistung und Ernährung. 157 Vgl. Kleinschmidt, Arbeit und Industrieforschung, hier: S. 79. 158 Vgl. u. a. „Unfallbericht 1950“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 8 f.; HAK, WA 78/554, Entwicklung und Stand der Sozialwirtschaft in der HWR AG Rheinhausen, 1947–1950, S. 28; MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 20. 159 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/4001, Betriebsunfälle, Tab. 4. 160 Vgl. ebenda, Tab. 5. Vgl. auch HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 7 f. 161 Vgl. TKA, TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 51 f.; TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/4001, Betriebsunfälle, Tab. 13 und 14; Heese, Personal- und Sozialarbeit, hier: S. 1064, Tafel 1. 162 Beide Zitate: Heese, Personal- und Sozialarbeit, hier: S. 1063. Alfred Heese gehörte zur zweiten Generation der Arbeitsdirektoren. Er hatte als Assistent Karl Strohmengers seit 1956 in Oberhausen (HOAG) erste Erfahrungen auf dem Gebiet gesammelt

108

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

die steigenden Kosten und die „Sonderstellung der Neulinge“ in Fragen von „Unfallständen, Krankheitsfällen und Fluktuation“.163 Vermeintliche „Unfäller“-Charaktere der 1920er Jahre, also Personenkreise mit persönlich bedingter Unfallneigung, oder besondere zeitliche Häufungen wurden dagegen mit den ausgeweiteten Untersuchungsmethoden in den Unternehmen kaum mehr identifiziert.164 Auch die Gewerbeaufsicht warnte zunehmend davor, den Anteil persönlicher Mängel (z. B. im Jahr 1956 von rund 70 Prozent der Unfälle in NRW) allein auf die Unfallopfer zu projizieren. Denn zum menschlichen Versagen zählten nicht nur Fehlverhalten, Nachlässigkeit oder Leichtsinn, sondern auch mangelhafte Aufsicht und Zusammenarbeit oder unterlassene Prüfungen von Betriebseinrichtungen. Vielmehr rechnete die Gewerbeaufsicht damit, dass dieser Anteil des menschlichen Fehlverhaltens bei der Anwendung neuerer Ursachenstatistiken zukünftig sinken werde.165 Auch in den Unternehmen formulierten die Akteure zunehmend die Notwendigkeit tiefgreifender Ursachenanalysen für die kommenden Jahre.166 So wurde bei Mannesmann 1962 eine zentrale Erfassung der Betriebsunfälle für eine verbesserte Unfallverhütung durch die Ermittlung von Unfallschwerpunkten und besonders gefährdeter Arbeitsplätze eingeführt, um Verhütungsmaßnahmen gezielter einleiten zu können.167 Erste Ergebnisse zeigten, dass insgesamt über 70 Prozent der Arbeitsplätze im Betrachtungszeitraum (Hüttenwerke) unfallfrei geblieben waren. Umgekehrt bedeutete dies wiederum, dass sich alle Unfälle auf rund ein Viertel der Arbeitsplätze konzentrierten, deren Unfallverhütungsmaßnahmen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Im Ergebnis entfiel daher tatsächlich ein hoher Anteil der Unfälle auf eine nur geringe Anzahl von Arbeitsplätzen.168 Zu diesen besonders unfallträchtigen Arbeitsplätzen gehörte etwa die Bedienung der Rollenrichtmaschine, die Tätigkeit als Blechtrenner, Flämmer, Blocklader, Gießer, Schmelzer, Anhänger und Rangierer, auf deren Unfallverhütungsarbeit sich die Akteure nun gezielt konzentrieren konnten.169

163 164

165 166 167 168 169

und war dann über die Leitung des Personal- und Sozialressorts bei der HOAG über den Vorstand der Rheinstahl Hüttenwerke AG in Hattingen (1973) bis hin zum Arbeitsdirektor (1978) bei Hoesch aufgestiegen. Vgl. Kruse u. a., Alfred Heese, S. 14 f., S. 22 und S. 25. Beide Zitate: Heese, Personal- und Sozialarbeit, hier: S. 1064. Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt 1956–1958; „Stoppt die Unfallkurve! Ein ernster Appell an alle Belegschaftsmitglieder“, in: Unsere ATH (1958), Nr. 9, S. 4–6, hier: S. 5; TKA, Fschr., ATH AG, Geschäftsbericht 1956/57, S. 41 f. Vgl. dagegen allgemein Weber, Arbeitssicherheit, S. 184. Vgl. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1956, S. 10; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1960, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1960, S. NW 8. Ähnlich kritisch auch Küll, Arbeitsunfälle. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, Fschr. Hoesch AG, Geschäftsbericht 1959/60, S. 33. Vgl. MA, M 21.074, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1962, S. 15. Vgl. MA, M 21.530.18, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1963, S. 18. Vgl. ebenda; „Unfallschwerpunkte werden untersucht. Aus der Statistik Lehren gezogen – Eine aufschlussreiche Arbeitstagung“, in: Der Werktag. Ausgabe Hü (1964), Nr. 11/12, S. 10. Vgl. zur Ursachenanalyse an Unfallschwerpunkten bei der ATH, TKA, A/32800, Bericht der ATH Revision vom 27.4.1960, S. 4.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

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Für ein vollständigeres Bild des Unfallstandes, möglicher Unfallgefahren und der Häufung leichterer Verletzungen wurden nicht mehr nur meldepflichtige Unfälle, sondern alle Unfälle bereits ab dem ersten Unfalltag ausführlich dokumentiert.170 Praktisch gehörte dazu auch eine ausgeweitete Berichterstattung der Arbeitsschutzstellen: Sowohl interne Sozialberichte zu Unfallstand, Maßnahmen für Werksleitung und Aufsichtsrat als auch die umfassende Veröffentlichung in Werkszeitungen oder Geschäftsberichten nahmen deutlich an Regelmäßigkeit und Umfang zu.171 Gerade in den Geschäftsberichten wurde gegenüber Stake- und Shareholdern die Unfallentwicklung festgehalten, die auch auf eine erneute Akzentuierung des Kosten- und Wirtschaftlichkeitsarguments abzielte. So betonte beispielsweise die HOAG in ihrem Geschäftsbericht die eingesparten Kosten durch Unfallverhütung bildlich. Während 1952/53 jeder neunte Beschäftigte von einem Unfall betroffen war, so war es 1955/56 nur noch jedes 19. Belegschaftsmitglied. Diese Differenz entsprach etwa der Tätigkeit von 70 Arbeitnehmern.172 Die wiederbelebte Wertschätzung statistischer Unfallerfassung wurde dabei auch an die Belegschaft und deren Angehörigen, z. B. über die Werkszeitschriften, transportiert. Auch hier fungierten die Unfallzahlen als Argument einer intensivierten Unfallverhütung. Die Statistik beweise „[…] die Notwendigkeit der Unfallverhütungsmaßnahmen und enthält die Mahnung an alle, an ihrer Wirksamkeit mitzuarbeiten.“173 Zu nachhaltigen Veränderungen in der Risikowahrnehmung trug dabei nicht zuletzt die technische Neuausrichtung der Unternehmen in diesem Zeitabschnitt bei. Vielfach verlief der Wiederaufbau unter starker Ausweitung der Produktionskapazitäten und der Erneuerung der Werksanlagen seit den 1950er Jahren.174 Dabei verweist eine zeitgenössische Studie der Sozialforschungsstelle aus dem Jahr 1957 auch auf die Ambivalenz der Technisierung in der Nachkriegszeit: Trotz gestiegener „geistig-nervlicher Belastung“, etwa bei Steuerleuten, überwog hier einerseits zunächst ein positives Gesamturteil der befragten Arbeiter zur allgemeinen „physischen Erleichterung der Arbeit“175 durch technische Neuerungen. Bei genauerer Analyse zeigten sich andererseits auch ganz neue Formen dieser ehemals schweren körperlichen „Arbeit“ etwa durch die gestiegenen psychischen Belastungen wegen der neuen Arbeitsprozesse. So erklärte ein befragter Arbeiter zu den mechanisierten Walzenstraßen: „Ich kann Ihnen nicht sagen wie sehr wir geistig beansprucht wer170 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/4001, Betriebsunfälle Westfalenhütte 1954/55; TKA, TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 49–52; „Überblick über das Unfallgeschehen auf unserem Werk“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1950), Nr. 3/4, S. 1 f. 171 Vgl. TKA, A/3611, Meldungen an die Werksleitung, 1957–67; A/31819, Meldungen der Unfälle an die Direktion ATH AG, 1951–1962; TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Tätigkeitsberichte Arbeitsschutzstelle 1956–1969; HAK, WA 70/988, Arbeitsschutzberichte 1954–58. 172 Vgl. TKA, Fschr., HOAG, Geschäftsbericht 1955/56, S. 18. 173 „Die ATH in der Unfallstatistik. Betriebsunfälle unter dem Bundesdurchschnitt – Zunahme der Wegeunfälle“, in: Unsere ATH (1955), Nr. 4, S. 14; vgl. auch „Unfallbericht 1950“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 8 f. 174 Vgl. zu Hoesch etwa Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 37–58, oder zu Huckingen Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, S. 156–159. 175 Beide Zitate HAK, WA 78/553, Ernst August Jüres/Hanno Kesting, Die Reaktion von Hüttenarbeitern auf technische Neuerungen, Dortmund Juni 1957, S. 101 f.

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den. […] Der Körper macht dabei schon mit, aber die Nerven nicht. Auf die Dauer kann diese Beanspruchung kein Mensch aushalten.“176 Besonders zentral traten so die veränderten Wahrnehmungen von Körperlichkeit, Gefahren und Belastungen im Arbeitsprozess der Hüttenarbeiter zutage. Neben einer deutlichen Entlastung wurden gerade die Charakteristika einer körperlich anstrengenden und ermüdenden Tätigkeit betont, um sich auch weiterhin als Arbeiterschicht vom „‚Kapital‘, dem ‚Unternehmer‘, ‚denen da oben‘“177 abzugrenzen. Dieser Umbruch in den Produktionsverhältnissen äußerte sich auch zunehmend im Verständnis von Schutz und Gesundheit am Arbeitsplatz. Doch erst Ende der 1960er Jahre schlug sich diese Wahrnehmung auch in einer endgültigen Neubewertung und Neustrukturierung des Arbeitsschutzes in den einzelnen Unternehmen deutlich nieder. 3.2.2.3 Vorbild Amerika I: Die Frage der direkten und indirekten Unfallkosten Schließlich kam es 1960 auch zu der schon länger geforderten Einführung der international etablierten Vergleichsformel der Unfallhäufigkeit (Unfälle ab dem ersten Ausfalltag je 1 Mio. „verfahrene“ Arbeitsstunden) in der Unfallstatistik der Wirtschaftsvereinigung. Sie hatte Einfluss auf die zunehmende inhaltliche Verflechtung auch auf der internationalen Ebene. Die neue Formel ließ nun, zumindest anhand einheitlich verfügbarer statistischer Werte, auch einen internationalen Vergleich der Unfallentwicklung in der Eisen- und Stahlindustrie zu.178 Mit ihrer Hilfe erstellte die Wirtschaftsvereinigung, ähnlich wie die Berufsgenossenschaft, selbst eine Rangfolge des Unfallstandes in den einzelnen Unternehmen.179 Vorreiter war hier wiederum das Hüttenwerk Oberhausen, das konsequent die eigenen Ergebnisse mit anderen Werken (etwa der Aufstellung der Unfallzahlen durch die HWBG) verglich.180 Motiviert durch das eigene, dauerhaft gute nationale Abschneiden hatten die Oberhausener Sicherheitsingenieure bereits in den 1950er Jahren den internationalen Vergleich gewagt. Ihre positive Grundstimmung wurde dort jedoch sogleich enttäuscht, denn das Oberhausener Werk lag trotz aller Bemühungen im Vergleich mit amerikanischen Unternehmen noch deutlich zurück. Dies 176 Ebenda, S. 105 f. 177 Ebenda, S. 106. 178 Vgl. Die sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1961, hier: S. 838; Jungbluth, Unfallverhütung. Dabei hatte die Wirtschaftsvereinigung bereits 1956 die Betriebs-Unfallstatistik an Erhebungen der Gewerbeaufsicht, der Berufsgenossenschaft und des VDSI angeglichen, um sowohl eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen als auch statistische Doppelarbeit zu vermeiden, vgl. Antoni, Unfallstatistik, hier: S. 1692. 179 Vgl. Die sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1962, hier: S. 711; Vgl. auch Kongreß und Ausstellung; Die arbeits- und sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1966, hier: S. 694. 180 Vgl. TKA, TNO/2460, Sozialbericht HOAG, Dezember 1956, darin: Kopie Schreiben HWBG, 23.1.1956. Vgl. zur Vorreiterrolle Oberhausens auch verschiedene Berichte der Gewerbeaufsicht, LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 60, Berichte Gewerbeaufsicht Duisburg 1950, Bl. 35; Nr. 158, 1953, Bl. 59 f.; Nr. 168, 1954, Bl. 18 und Nr. 222, 1955, Bl. 25.

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lag u. a. am technischen Vorsprung und unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, der umfassenderen und bereits länger etablierten Arbeitsschutztradition der Amerikaner und einer in den USA abweichenden Unfallstatistik mit so genannten „Invalidenarbeitsplätzen“ zur Umbesetzung bei leichteren Unfällen.181 Nun richtete sich der transnationale Blick wie schon in der Zwischenkriegszeit erneut auf die amerikanische Unfallverhütung. Die Kontinuitätslinien zu den für die 1920er Jahre identifizierten Amerikanisierungstendenzen traten hier nun insbesondere in einer neu entflammten Kostendebatte der Unfälle zutage. Es ist ein Übergang von der als „First Wave of Americanization“182 charakterisierten Phase erkennbar, die nach Schröters Definition nun in einen politisch begründeten amerikanischen Einfluss mündete. Diese Tendenz war eingebettet in einen erneuten Amerikanisierungsschub, der sich auch im ökonomischen Bereich langfristig etwa in der Fortentwicklung der Massenproduktion oder auch der Einführung neuer Elemente, wie etwa der Rezeption des amerikanischen Management-Systems und der Marketingstrategien, auf dem Weg in eine neue europäische Konsumgesellschaft niederschlug.183 Der Einfluss konzentrierte sich für den Arbeitsschutz zunächst insbesondere auf die statistische Unfallentwicklung und -bewertung. Der Wertetransfer wurde dabei über die erneute Kostendebatte offensichtlich. Verschiedene deutsche Beiträge betonten seit den 1950er Jahren erneut die amerikanische Anerkennung der Wirtschaftlichkeit von Unfallverhütungsmaßnahmen. So brachte auch Peter Haurand als Aufsichtsratsmitglied bei Hoesch den Kostenaufwand für Unfallverhütung stellvertretend auf den Punkt: Die USA zeigten aus Erfahrung, dass Unfallverhütung „immer ein gutes Geschäft“184 sei. Diese amerikanischen Einflüsse forcierten nun auch die deutschen Forschungsbemühungen im Bereich der Kostenanalyse. Ursprung einer solchen Untersuchung war z. B. ein vom Sicherheitsingenieur Franz Zemelka aus Rheinhausen geschilderter Besuch amerikanischer Vertreter im Ausschuss für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung im November 1950, dem sich ein weiterer Besuch eines Sicherheitsdirektors und eines Betriebshygienikers 1952 anschloss. Als unmittelbare Reaktion richtete die Wirtschaftsvereinigung 1953 selbst eine spezielle „Untersuchungsstelle für Arbeitsschutzfragen“185 ein, die 181 Vgl. TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 53; AdsD, 5/IGMA 130105, Vergleichende Studie über die Unfallsituation in der deutschen und amerikanischen Stahlindustrie, ca. 1957, S. 11; „‚Drüben‘ arbeitet jeder mit. Mitarbeit bei der Unfallverhütung kommt jedem zugute“, in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 6; TKA, A/32800, Bericht ATH Revision vom 27.4.1960, S. 3. 182 Schröter, Americanization, S. 15. 183 Vgl. ebenda, S. 45–123. Während Volker Berghahn die Bedeutung amerikanischer Verhaltensmuster für die deutsche Montanindustrie für die 1950er Jahre grundsätzlich belegte, betont Christian Kleinschmidt in seiner Studie gerade die in neueren Industrien stärker ausgeprägten Amerikanisierungstendenzen. Vgl. Volker Berghahn, The Americanization of West German Industry, 1945–1973, New York 1986 und Kleinschmidt, Der produktive Blick, zitiert nach Schröter, „Nicht kopieren“, hier: S. 140. 184 Peter Wilhelm Haurand, „Denkschrift zur Unfallverhütung“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 2, S. 100 f., hier: S. 101. 185 Vgl. Brinkmann u. a., Die direkten und indirekten Kosten, S. 3; Franz Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16, hier: S. 14.

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sich u. a. mit wirtschaftlichen Fragen der Unfallverhütung beschäftigen sollte.186 Herausgegeben wurde ein Forschungsbericht über „[d]ie direkten und indirekten Kosten von Arbeitsunfällen“ aus sechs Werken der Eisen- und Stahlindustrie.187 Ergebnis war die erstmalige, unternehmensübergreifende Berechnung von Unfallkosten nach Unterscheidung und Verhältnis direkter (Aufwendungen der Krankenkasse, Berufsgenossenschaft und Unfallversicherungen) und indirekter Kosten (etwa Arbeitszeitverluste, Aufwendungen für Erste Hilfe und Hinterbliebene, Materialschäden und Produktionsausfälle) nach amerikanischem Vorbild.188 Nach diesen Ergebnissen überstiegen die direkten Kosten für die Produktionsbetriebe deutlich die indirekten Aufwendungen für Versicherungen, insbesondere durch hohe Materialschäden oder längere Produktionsausfälle.189 Im Vergleich zu den USA spiegelte sich auch hier erneut der grundlegende Unterschied des deutschen Versicherungssystems wider, das insbesondere die direkten Kosten (rund 800 DM je Unfall) im Vergleich zu den USA (rund 25 DM je Unfall) deutlich hervorstechen ließ.190 Gleichzeitig leiteten die Autoren hieraus nicht mehr – wie noch in der Zwischenkriegszeit – eine umfassende Forderung zur Reformierung der deutschen Unfallversicherung ab. Vielmehr betonten sie im Gegenteil die Wirtschaftlichkeit der Unfallverhütung gerade auch innerhalb der einzelnen Unternehmen.191 3.2.2.4 Interbetriebliche Anbindung: Die Ausweitung der Kostenanalyse durch die EGKS In diesem transnationalen Kontext kam es mit Beschluss vom Frühjahr 1961 auch zu einer erneuten Unfallkosten-Untersuchung durch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in deutschen Hüttenwerken (u. a. Huckingen, Rheinhausen, Westfalenhütte) sowie weiteren Werken in Belgien, Frankreich, Italien und Österreich.192 Hierbei wurde die deutsch-amerikanische Verflechtungsebene auch auf den europäischen Bereich ausgeweitet. Nach einer Darstellung der Huckinger Ergebnisse in einem Bericht in „Stahl und Eisen“ 1964 ging es den Projektteilnehmern nicht, wie noch in der Studie zuvor, um die generelle Ermittlung der durch186 Vgl. TKA, A/5456, Schreiben Untersuchungsstelle für Arbeitsschutzfragen, 27.5.1953. 187 Vgl. Franz Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16, hier: S. 14; Brinkmann u. a., Die direkten und indirekten Kosten. 188 Vgl. Brinkmann u. a., Die direkten und indirekten Kosten, S. 5 f. 189 Vgl. ebenda, S. 19. 190 Vgl. ebenda S. 21. 191 Vgl. ebenda. Vgl. auch einen viel beachteten Vortrag von J. S. Andrews (Ford Automobil AG, Köln) bei der IHK in Köln im März 1960 mit dem Titel „Arbeitssicherheit als Aufgabe wirtschaftlicher Betriebsführung“, u. a. „Mr. Andrews verkauft nicht nur Autos. Chef der Ford-AG wirbt für die Sicherheit“, in: Echo der Arbeit (1960), Nr. 4, S. 39 f.; BAK, B 149–10510, diverse Schreiben Ford und BMAS, April/Mai 1960, Bl. 5–18; B 136–1351, VDSI u. a. (Hg.), Arbeitssicherheit als Aufgabe wirtschaftlicher Betriebsführung, 1960, Bl. 60–90. 192 Vgl. ausführlich AHCE, CEAB 11/1443–1445, Groupe de travails „Couts des accidents de travail dans la sidérurgie“, 1959–66. Zu den anfänglichen Auseinandersetzungen um diese Studie bei der EGKS siehe ausführlich Kapitel 3.3.3.2.

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schnittlichen Unfallkosten. Vielmehr sollte nun ein verfeinertes Instrumentarium entwickelt werden, um „[…] die variablen Kosten der nach Schwereklassen gegliederten Unfälle zu ermitteln, also die Kosten, die unmittelbar durch einen Unfall hervorgerufen werden.“193 Frühere Ergebnisse wurden nun mit einer gewissen Skepsis betrachtet, da diese sich in erster Linie auf die Anwendung und Umrechnung amerikanischer Daten bezogen. Ihre Aussagekraft wurde durch die grundsätzlich bereits über die Unfallversicherung verankerten Unterschiede der nationalen Arbeitsschutzsysteme zunehmend infrage gestellt und jetzt auch kontrovers diskutiert.194 So waren sich gerade die deutschen Praktiker durchaus dieser Problematik bewusst, wie Klaus Bohr (HOAG) in einer vergleichenden Studie anmerkte. Die Unterschiede begründeten sich einerseits in dem amerikanischen „technischen Vorsprung, den größeren Anlagen der Werke und den durchweg günstigeren Arbeitsbedingungen. Weiterhin steht außer Frage, daß ein bestimmter Teil von Unfällen, der in den deutschen Statistiken erscheint, in Amerika nicht ausgewiesen wird.“195 Auch Franz Zemelka (Rheinhausen) äußerte sich skeptisch, ob aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsgrundlage von Unfallhäufigkeit und -schwere ein statistischer Vergleich amerikanischer und deutscher Unfallverhütungsarbeit sinnvoll sei.196 So scheute auch die Bundesregierung in ihrem Unfallverhütungsbericht davor zurück, die genauen Kosten der Arbeitsunfälle zu beziffern, da ein exaktes Berechnungsinstrumentarium fehle. Zunächst wurden lediglich die Gesamtausgaben der Berufsgenossenschaften als Kosten der Arbeitsunfälle (1964 rund 3 Mill. DM) angegeben.197 Dadurch war die neue Studie der EGKS eine Weiterentwicklung der Erhebung der Unfallkosten durch die Wirtschaftsvereinigung von 1953/54. Die in der deutschen Untersuchung entwickelten Parameter hatten sich rasch von ihren engen amerikanischen Vorbildern emanzipiert. Die Studien richteten sich gezielt gegen die zuvor praktizierte Übernahme und Umrechnung amerikanischer Zahlen und bezogen sich nun explizit auf die deutschen Rahmenbedingungen.198 Hierzu zählten etwa die Berücksichtigung der einzelnen Unfallschwereklassen, die Aufwendungen für die Betriebskrankenkassen sowie die Berechnung der Unfallkosten nach einzelnen Betrieben. Die Erhebungen bezogen darüber hinaus diesmal speziell auch „Bagatellunfälle“ (ab dem ersten Ausfalltag), einen längeren Untersuchungszeitraum und die Hüttenwerke mit ein, um eine verbesserte Aussagekraft gerade für diese Produktionsbereiche zu erreichen.199 193 Kurz u. a., Betriebliche Unfälle, hier: S. 1444. Vgl. auch AHCE, CEAB 11/1443, Gemeinschaftsforschung. Erläuterungen zum Erhebungsformular, 28.11.1961, Bl. 133–141. 194 Vgl. Kurz u. a., Betriebliche Unfälle, hier: S. 1444 f. 195 AdsD, 5/IGMA 130105, Vergleichende Studie über die Unfallsituation in der deutschen und amerikanischen Stahlindustrie, o. D. (ca. 1957), S. 11. Diese Studie war Ergebnis einer Rundreise von Klaus Bohr in den USA mit der Besichtigung verschiedener Stahlbetriebe. Vgl. Bohr, Vergleichende Untersuchung. 196 Vgl. Franz Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16, hier: S. 14. Vgl. dazu auch kritisch Walter, Vergleich Unfallzahlen. 197 Vgl. Unfallverhütungsbericht 1964, 1966, hier: S. 28. 198 Vgl. Kurz u. a., Betriebliche Unfälle, hier: S. 1445. 199 Vgl. ebenda.

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Dagegen hatte Bohr (HOAG) noch 1961 einen Beitrag entsprechend der älteren Vorgehensweise der Erfassung direkter und indirekter Kosten in „Stahl und Eisen“ veröffentlicht, in dem er die deutschen Unfallkosten weiterhin an amerikanischen und britischen Ergebnissen maß. Gleichzeitig vermutete er jedoch auch hier bereits eine differenziertere Korrelation von schwereren Unfällen und steigenden Unfallkosten.200 Die Huckinger Ergebnisse bestätigten im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts diese Vermutung. Durch eine umfassende Auswertung des Unfallgeschehens nach Ursachen und Schwereklassen, zeitlicher Dimension über Wochentage und Tagesstunden, persönlichen Leistungskurven, Altersstrukturen, Nationalitäten und Werkszugehörigkeitsdauer sowie Art der Verletzung und Einsatz von Körperschutzmitteln erfolgte hier erstmals eine umfassende Zusammenführung der einzelnen Parameter. Insgesamt konnte tatsächlich eine Korrelation von Unfallschwere und -kosten, gerade in Bezug auf die Unterscheidung nicht-meldepflichtiger und meldepflichtiger Unfälle (ab dem dritten Ausfalltag), nachgewiesen werden. Lediglich rund 10 Prozent der gesamten variablen Kosten bezogen sich auf über 90 Prozent der nicht meldepflichtigen Unfälle im Unfallgeschehen.201 Unter Anpassung an die deutschen Sozialversicherungsverhältnisse nahm Mannesmann hier schließlich auch die Berücksichtigung der Vorbelastungen der Berufsgenossenschaft sowie zusätzliche Aufwendungen der Betriebskrankenkasse auf. Die Kosten lagen somit in den leichtesten Schwereklassen mit einer Ausfallzeit von unter drei Tagen bei durchschnittlich 2 DM und bei den Ausfällen ab drei Tagen bis zum Todesfall bei durchschnittlich 250 DM je Unfall (125 DM ohne Berücksichtigung der Vorbelastung bei der Berufsgenossenschaft). Insgesamt errechnete sich ein durchschnittlicher variabler Kostenaufwand im Hüttenwerk Huckingen im Untersuchungszeitraum von rund 20 DM je Unfall.202 Zwei Drittel der Kosten entstanden dabei in den Erzeugungsbetrieben. Insbesondere in der Blockdreherei zeichnete sich ein Unfallschwerpunkt oberhalb des Kostendurchschnitts der Hütte ab, da hier in der Regel ein Besuch der Verbandstube immer mit einem Produktionsausfall gekoppelt war. Generell ließen sich aber keine Verbindungen zwischen den Unfallkosten und der Unfallhäufigkeit der einzelnen Betriebe ziehen, sondern sie hingen offenbar stark von Unfallschwere, Produktionsbedingungen und Schäden im Einzelfall ab.203 3.2.2.5 Ergebnisse der differenzierten statistischen Unfallanalyse Im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre erfolgte mit der statistischen Differenzierung eine immer genauere Beobachtung der Unfallschwerpunkte und -schwankungen. Es war zudem eine deutlich zeitnähere Reaktion auf (auch kurzfristig) anstei200 201 202 203

Vgl. Klaus Bohr, Was kosten die Unfälle. Vgl. Kurz u. a., Betriebliche Unfälle, hier: S. 1451 f. Vgl. ebenda, hier: S. 1452, Tafel 8. Vgl. ebenda, hier: S. 1453, Bild 14. Auch auf der internationalen Vergleichsebene variierten die Ergebnisse dabei z. T. beträchtlich. Vgl. AHCE, CEAB 11/1443, Resultats de l’Enquete „Cout des Accidents“, Dezember 1964, mit Anlagen, Bl. 284–313.

3.2 Unfallentwicklung im Konjunkturzyklus?

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gende Unfallzahlen, etwa über Appelle in der Werkszeitung oder Unfallverhütungsaktionen, zu beobachten. So rief beispielweise die DHHU aufgrund steigender Unfallzahlen 1953 in Zusammenarbeit zwischen Werksleitung und Betriebsrat eine Kampagne ins Leben, die unter dem Slogan des „umgehenden Unfallteufels“ Mahnungen in der Werkszeitung veröffentlichte sowie eine umfassende Thematisierung während der Unfallverhütungswoche 1954 vornahm.204 Einen tiefen Einschnitt bildete die Hochofenexplosion im Werk Hörde 1955 mit sieben Todesopfern. Nicht zuletzt das öffentliche Interesse führte zu einer Intensivierung der Unfallverhütungsmaßnahmen im Unternehmen – und die eingeleitete Kampagne schien den Akteuren durch rasch sinkende Unfallzahlen (zumindest) vorläufig recht zu geben.205 1960 reagierten die Werksleitungen in Dortmund und Hörde erneut auf hohe Unfallzahlen mit einer raschen Arbeitsschutzaktion, die diesmal ihren Schwerpunkt in der Schulung von Obermeistern, Meistern, Hilfsmeistern, Schichtführern, Vorarbeitern und Unfallvertrauensmännern hatte.206 Eine stärkere Einbeziehung der Führungskräfte in die Unfallverhütung erfolgte durch eine verbesserte Information der entsprechenden Stellen.207 Auch in Oberhausen, Rheinhausen und Duisburg können unmittelbare Zusammenhänge zwischen steigenden Unfallzahlen und eingeleiteten Gegenmaßnahmen nachgewiesen werden. Diese beschränkten sich in erster Linie auf Appelle an die Belegschaft, denen durch die Absprache und Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat Nachdruck verliehen werden sollte.208 So betonte etwa der Arbeitsdirektor der ATH, „[…] ohne die Mithilfe aller Belegschaftsmitglieder stehe er in Fragen des Unfallschutzes ohnmächtig da.“209 Eine langfristige und vor allem nachhaltige Senkung der Unfallzahlen wurde damit allein jedoch nicht erreicht. Vielmehr stellte

204 Vgl. „Augen auf – der Unfallteufel geht um!“, in: Mitteilungsblatt (DHHU). Sonderausgabe der Betriebsvertretung des Werkes Dortmund zur Betriebsratswahl am 30. und 31. März 1953; „Der Unfallteufel lauert überall“ und „Unsere Unfallverhütungswochen“, jeweils in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1953), Nr. 8, und (1954), Nr. 1. 205 Vgl. auch Trauerreden, TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/182, Kondolenzmappe 1955; DHHU/937, Rundschreiben an die Werksangehörigen, Kondolenzliste, Todesanzeige 1955; DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt 1956–1958; „Sozialbericht“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1958), Nr. 2. 206 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4963, Rundschreiben an die technischen Werksleitungen Dortmund und Hörde, 18.1.1960; DHHU/4965, „Grundlehrgang. Arbeitssicherheitsschulung. Kurzfassung der Vorträge, die anläßlich der Arbeitssicherheitsschulung 1960/61 gehalten wurden“, herausgegeben von den Sozialwirtschaftsbetrieben der DHHU. 207 Vgl. MA, M 21.530.18, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1966, S. 19. 208 Vgl. „So geht das nicht weiter!“ und „Ein ernstes Thema entschlossen diskutiert“, jeweils in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 13, S. 154, und (1959), Nr. 14, S. 162–165; „Im Spiegel der Statistik. Ein Unfalljahr“, in: Unser Profil (1954), Nr. 7/8, S. 248–255; TKA, A/4109, Bekanntmachung ATH, 19.4.1960; vgl. auch persönliches Anschreiben des Vorstandes Krupp Rheinhausen an die Vorgesetzten, HAK, WA 78/1770, Schreiben der Personalabteilung, 8.2.1965, Anlage: Vordrucke des Schreibens des Vorstandes vom 26.1.1965; Antwortschreiben Stahlwerk, 15.2.1965, Liste der ausgehändigten Schreiben. 209 „Stoppt die Unfallkurve! Ein ernster Appell an alle Belegschaftsmitglieder“, in: Unsere ATH (1958), Nr. 9, S. 4–6, hier: S. 6.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

sich eine zunehmende Ernüchterung über die bisherigen Erfolge ein, denn nach der Erwartung der Akteure hätte der Rückgang deutlich höher ausfallen müssen.210 3.3 DIE VERNETZUNG DER BETRIEBLICHEN AKTEURE IM ARBEITSSCHUTZ Neben dem Wiederaufbau bzw. der Wiederinbetriebnahme der Produktionsanlagen stellte sich für die Unternehmen auch die Frage der personellen und institutionellen Reorganisation des Arbeitsschutzes. Dabei erfolgte in allen betrachteten Unternehmen die Wiederaufnahme der Tätigkeit der Abteilungen für Arbeitsschutz unter hauptamtlicher Leitung eines Sicherheitsingenieurs.211 Zugleich war damit mittelfristig ein Ausbau der bisherigen Arbeitsschutzstrukturen verbunden, für den sowohl zusätzliches Personal wie auch eine zunehmende inhaltliche Koordinierung erforderlich wurde. Diese erstreckte sich dann auch zunehmend auf werksübergreifende Kooperationen, die eine Ausweitung des betrieblichen Arbeitsschutznetzwerkes seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch im europäischen Rahmen, förderten. 3.3.1 Professionalisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes Erste Nachweise einer Wiederaufnahme systematischer Unfallverhütungsarbeit finden sich in den einzelnen Unternehmen etwa ab dem Jahr 1947.212 So bezeichnete das Gewerbeaufsichtsamt Duisburg bereits 1949 die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsingenieuren als „einwandfrei und äußerst rege“213 und die Dortmunder Kollegen vermerkten, dass ihr Einsatz in der Großeisenindustrie grundsätzlich „nicht mehr wegzudenken“214 sei. Die Reorganisation nach bereits erprobten Mustern war dabei in den einzelnen Werken auch einer starken personellen Kontinuität der Sicherheitsingenieure zu verdanken. Bei Hoesch führte beispielsweise der bereits in den 1930er Jahren aktive Sicherheitsingenieur Franz Wierzba unter grundsätzlicher Beibehaltung der Strukturen bis 1960 seine Arbeit fort. Erst mit seiner 210 Vgl. „Es muß noch vieles besser werden!“, in: Unsere ATH (1961), Nr. 12, S. 40 f., hier: S. 40. 211 Vgl. hierzu auch die einheitliche Empfehlung der Wirtschaftsvereinigung von 1957: HAK, WA 78/1779, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/Ausschuss für Sozialwirtschaft (Hg.), Richtlinien für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberuflichen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses „Arbeitssicherheit“ in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie, 1. Januar 1957. 212 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5048/1, Schreiben Unfallschutzstelle und Sozialwirtschaft, 8.4.1947; DHHU/2637, Vorlagen für den Sozialbericht bis ca. 1950, Bl. 2; TKA, A/4102, Rundschreiben 1/46, 11.1.1946, und A/4103, Rundschreiben 6/47, 11.3.1947. Vgl. für Oberhausen und Rheinhausen TKA, TNO/4567, Unfallbericht für den Monat Oktober 1948, 6.11.1948; „Die Organisation des Arbeitsschutzes“, in: Mitteilungsblatt der Hüttenwerk Rheinhausen A. G. (1949), Nr. 2, S. 6 f. 213 LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 17, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1949, Bl. 32. 214 LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 16, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1949, Bl. 30.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

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personellen Ablösung im Jahr 1960 erfolgte eine organisatorische Verselbständigung von der „Arbeitsschutzstelle“ der Werksaufsicht zur „Hauptabteilung Arbeitsschutz“, die auch mit einer inhaltlichen Neuausrichtung der Sicherheitsarbeit auf der Westfalenhütte verbunden war.215 3.3.1.1 Die erweiterte innerbetriebliche Organisation des Arbeitsschutzes Zunächst wurde die Wiederherstellung alter Strukturen mit z. T. ähnlich begrenztem Personalaufwand wie noch in der Vorkriegszeit betrieben. Mit den 1950er Jahren setzte sich anstelle einer grundsätzlichen Neuordnung ein kontinuierlicher Ausbau der „Einmann-Betriebe“216 zu umfassenden Arbeitsschutzabteilungen und eine zunehmende Ausdifferenzierung der Tätigkeitsbereiche mit bis zu 16 Beschäftigten (HOAG) durch.217 Dies erfolgte durch den Einsatz weiterer Sicherheitsingenieure, die nun auch unter ausdrücklicher Einbeziehung und Billigung der Betriebsräte erfolgen musste.218 Gleichzeitig gestaltete sich dieser Ausbau insbesondere aufgrund des Mangels an entsprechend ausgebildeten Personen aus der Sicht der Berufsgenossenschaft als durchaus problematisch. Dabei waren die Unternehmen insbesondere auf die eigene Ausbildung von Sicherheitsingenieuren angewiesen.219 So umfasste der Stab der Arbeitssicherheit der Hoesch AG beispielsweise zum Ende der 1950er Jahre insgesamt 36 hauptamtliche Sicherheitsingenieure und -beauftragte, 17 Unfallobmänner und 288 Unfallvertrauensleute in allen Werken.220 Die Ausdifferenzierung der Tätigkeiten innerhalb der Abteilungen schlug sich insbesondere in der zusätzlichen Bestellung von Mitarbeitern für die Unfalluntersuchungen, wie etwa bei der ATH (ab 1956) oder der HOAG mit Sachbearbeitern für Statistik und Meldewesen, nieder.221 Darüber hinaus erfolgte im Vergleich zu anderen Unternehmen im Werk Huckingen der Ausbau des Arbeitsschutzes durch Assistenten unter Einbezug eines Arbeitspsychologischen Dienstes mit einem Arbeitspsychologen bereits Ende der

215 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Tätigkeitsbericht Hauptabteilung Arbeitsschutz im Monat Oktober 1960, 9.11.1960. 216 „Ordnung ist das ganze Leben. So lautet das Motto des Arbeitsschutzes im Werk Ruhrort und im Hüttenbetrieb“, in: Unsere ATH (1967), Februar/März, S. 19 f., hier: S. 19. 217 Vgl. TNO/5751, Arbeitsschutzmaßnahmen HOAG, ca. 1959; TNO/2401, Antwortbogen an die IG Metall zum Stand der Arbeitssicherheit 1958/59, 1960, S. 1. 218 Vgl. TKA, TNO/6161, Niederschriften Betriebsratssitzungen, 5.10.1951 und 17.10.1952. Dabei gab es z. B. bei der Einstellung eines neuen Oberheildieners für die Unfallstationen des Werkes Oberhausen durchaus Unstimmigkeiten über die Auswahl zwischen Betriebsrat und Werksleitung. Vgl. ebenda, Niederschriften über außerordentliche Betriebsratssitzungen, 25.9.1952 und 28.11.52 sowie Niederschrift Betriebsratssitzung, 1.10.1952. 219 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 8 f. 220 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, Fschr., Hoesch AG, Geschäftsbericht 1958/59, S. 32. 221 Vgl. TKA, Fschr., ATH AG, Fernsprech-Teilnehmer-Verzeichnis, Ausgabe März 1956; TNO/2401, Antwortbogen an die IG Metall zum Stand der Arbeitssicherheit 1958/59, 1960, S. 1.

118

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

1950er Jahre.222 Die anderen Unternehmen folgten dieser Entwicklung in den nächsten Jahren. So richteten etwa die Westfalenhütte oder die HOAG zu Beginn der 1960er Jahre eigene werkspsychologische Stellen für die Durchführung von Eignungsuntersuchungen, die Feststellung von Arbeitsanforderungen und die Durchführung von Schulungen für Führungskräfte ein. Diese waren zusätzlich mit dezidierten Aufgaben des Arbeitsschutzes wie der innerbetrieblichen Information und Werbung betraut.223 Die grundsätzliche institutionelle Zuordnung entsprach dabei weitestgehend einheitlich dem Zuständigkeitsbereich des neu geschaffenen Arbeitsdirektors. Die jeweilige Untergliederung unterschied sich jedoch teilweise aufgrund der historischen Entwicklungen innerhalb der einzelnen Unternehmen. In der Tradition der ersten Hälfte des Jahrhunderts blieb auf der Westfalenhütte der Arbeitsschutz bis 1960 im Zuständigkeitsbereich der Werksaufsicht, während in anderen Hüttenwerken eigene Abteilungen geschaffen wurden. Dies erfolgte entweder als eigener Teilbereich der Sozialwirtschaft (Oberhausen siehe in Abb. 6 und Huckingen) oder im Bereich des Belegschaftswesens (DHHU und Rheinhausen).224 An dieser Stelle wird deutlich, dass trotz eines intensivierten Austauschs zwischen den Werken keineswegs eine grundlegend einheitliche Entwicklung auf der Abteilungsebene erfolgte. Vielmehr waren die einzelnen Arbeitsschutzabteilungen individuellen Organisationsmustern und Unternehmenstraditionen verhaftet. Wichtigstes Ergebnis bleibt dabei jedoch, dass alle Unternehmen den Arbeitsschutz einheitlich dem Zuständigkeitsbereich des Arbeitsdirektors unterstellten. Dies zeugt von einem stärkeren, mindestens institutionell verankerten Einfluss der Belegschaftsvertretung und einer endgültigen organisatorischen Ab-

222 Vgl. MA, M 21.075, Erhebung über sozialwirtschaftliche Dienststellen, Einrichtungen und Maßnahmen in den Mitgliedswerken der Wirtschaftsvereinigung, 11.4.1958, S. 9. Vorreiter war hier u. a. das Werk Salzgitter unter Adolf Jungbluth, vgl. „Hier spricht der Gesundheitsdienst. Heute: Über die Arbeit des Werkspsychologen“, in: Unsere Hütte (1954), Nr. 6, S. 112 f. Vgl. auch allgemein Platz, Seeleningenieure; Rosenberger u. a., Psychologische Eignungsdiagnostik; dies., Experten für Humankapital, S. 137–150. 223 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, Faktensammlung Hoesch-Geschichte. Bericht Nr. 3.5 – Personalwesen, Anlage 9, Organisationspläne Personalabteilung und Anlage 10, Organisationspläne Bereich Arbeitsdirektor Hüttenwerke; TKA, TNO/2043, Schreiben Jungbluth an Strohmenger, 3.11.1959, und Antwortschreiben, 4.12.1959; TKA, TNO/3468, Aktenvermerk, 1.3.1960; TKA, TNO/2464, Erweiterter Sozialbericht der HOAG, Juni 1961, S. 50. 224 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, Faktensammlung Hoesch-Geschichte. Bericht Nr. 3.5 – Personalwesen, Anlage 9, Organisationspläne Personalabteilung und Anlage 10, Organisationspläne Bereich Arbeitsdirektor Hüttenwerke; „Organisationsplan: Stand 1. Januar 1950“, in: „Echo der Arbeit“ (1950), Nr. 1, S. 3; MA M 44.012, Organisationsplan Sozialbericht 1947–50 Huckingen, S. 103; „Aus dem Bereich der Sozialwirtschaft. Aus dem Belegschaftswesen“ und „Organisationsplan der Sozialwirtschaft, Stand 1.9.1951“, jeweils in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1949), Nr. 2 und (1951), Nr. 1, Rückseite; HAK, WA 78/554, Organisationsplan HWR, 1.4.1949; WA 78/274, Dienststellengliederung, 1.10.1953; WA 78/274, Organisationsplan „Soziale Leitung“, 1.8.1961; WA 78/274, Organisationspläne „Sicherheitswesen“, ca. 1962; „Unser Sicherheitswesen berichtet“ und „Arbeitssicherheit beim Hüttenwerk Rheinhausen“, jeweils in: Unser Profil (1962), Nr. 4/5, S. 82 f. und Nr. 11/12, S. 205.

Pers.Sachbear. u. Geh.Abrechn. für AT-Angest.

Geh.Abrechng. Tarif-Angest. u. Monatslöhner

Zentrale Lohnvermittlung

Gesamtwerkl. Reg. Arbeitsgestalt.

Arbeitszeit u. Berichtswesen

Tarifrecht u. Grundsatzfragen

Rentenbüro

Betriebskrankenkasse

Pers.Sachbear. Tarif-Angest. u. Monatslöhner

Leistungsentlohnung

Personalsachbearb.

Arbeitsrecht u. Disziplinarfrag.

Bewerb., Tarife u. Arbeitsrecht

Personalabt. für Angest.

Grundlohngesi., Arbeitsbewertung

Arbeitswirtschaft

Einst., Versatz, Entlassungen

Personalabt. für Arbeiter

Personalleitung

Sozialbetriebe

Sozialräume

Erwachsenenfortbildung Vorschlagswesen

Sozialberatung Fürsorge

Technische Lehrlingsausb.

Neubauten u. Baustellen

Betriebsabt. WO

Betriebsabt. BO

Betriebsabt. EO/Vk

Arbeitssicherheit

Kraftwagenbetrieb

Vordruckstelle

Poststelle u. Fernsprechzentr.

Haus- u. Inventarverw., Abr. WG

Allgemeine Verwaltung

Verwaltung

Werksgasthaus

Investitionsgr., Wirstchaftl.R.

Sonderaufgaben

Bau- u- Investitionsgr., So. Aufg.

Lohnprüfungen, Allgem. Prüf.

Kaufmännischer Bereich

Werkszeitschrift

Abschlußgr. der Bet., Ordnungspr.

Technischer Bereich

Grundstückswaren

Allgemein

Sonderaufgaben

Stabsabteilungen Revision Rechtsabt.

Öffentlichkeitsarbeit

Presse- u. WohInformati- nungsgeonsabt. sellschaft

Abb. 6: Organisationsplan der HOAG, Werk Oberhausen, vom 4.9.1968 (Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung nach Schubert, Eisen- und Stahlindustrie, S. 60 f.

Werkschutz

Psychologischer Dienst

Gesundheitsdienst

Sozialabteilung

Kaufmännische Lehrlingsausb.

Aus- und Fortbildung

Vorstandsbereich Arbeitsdirektor 3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

119

120

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

kehr von der Zuordnung des Arbeitsschutzes zum Bereich der Betriebswirtschaft, wie sie etwa in der Zwischenkriegszeit favorisiert worden war.225 Nicht zufällig fiel dieser Ausbau in eine Phase der „verhältnismäßig günstige[n] wirtschaftliche[n] Entwicklung“226. Doch nicht nur in den großen Konzernen der Eisen- und Stahlindustrie schuf dies eine positive Grundstimmung gegenüber zusätzlichen Ausgaben für den Arbeitsschutz. Nach Einschätzung der HWBG schlug sich ein wchsender Fachkräftemangel auch in kleineren Betrieben nieder, denen ein ganz eigener Anreiz zur Unfallverhütung und damit der Verhinderung von ausfallenden Arbeitskräften zukam.227 Nach einer Erhebung der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie stieg der Einsatz von Sicherheitsingenieuren von insgesamt 123 hauptberuflichen Fachkräften im Jahr 1957 auf über 250 im Jahr 1965 (bei rund 100 Mitgliedswerken). Dies geschah meist durch die Einstellung von Sicherheitsmeistern oder die Umwandlung der neben- in eine hauptberufliche Tätigkeit der Sicherheitsingenieure. Organisatorisch waren die Sicherheitsingenieure überwiegend (in 96 von 113 Mitgliedswerken) unmittelbar an die Unternehmens- oder Werksleitung angebunden. Der gestiegene Einsatz der Sicherheitsmeister in den Betrieben war dabei auch die Folge eines von der Wirtschaftsvereinigung initiierten Fortbildungslehrgangs für Sicherheitsmeister in der Eisen- und Stahlindustrie, der den Mangel an fachlichen Ausbildungsstätten im Sicherheitswesen kompensieren sollte.228 3.3.1.2 Arbeitsschutz oder Arbeitsmedizin? Der Ausbau der werksärztlichen Dienststellen nach 1945 Neben den Arbeitsschutzabteilungen waren auch die werksärztlichen Abteilungen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Gesundheit der Belegschaft zuständig, und auch sie wurden nach 1945 kontinuierlich ausgebaut.229 Sie gewinnen jedoch erst mit den späten 1960er Jahren Relevanz für den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsgestaltung und damit auch für die hier übergeordnete Fragestellung.230 225 Dabei kam es auch in der Nachkriegszeit bei der Thyssenhütte in Duisburg zu einer kurzfristigen organisatorischen Ansiedelung des Arbeitsschutzes im betriebswirtschaftlichen Bereich, die dann im Verlauf der 1950er Jahre als eigenständige Abteilung herausgelöst wurde. Vgl. TKA, Fschr., ATH AG, Fernsprech-Teilnehmer-Verzeichnis, Ausgabe April 1954, S. 12 und Ausgabe Juni 1958, S. 12. 226 HWBG, Technischer Bericht 1961, S. 6. 227 Vgl. Ebenda. 228 Vgl. Die arbeits- und sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1966, hier: S. 693 f. 229 Vgl. zu einem branchenübergreifenden Vergleich auch Entwicklungen der chemischen Industrie bei der BASF oder bei Henkel, Thiess, Arbeitsmedizin, S. 3–39; Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 10–12. 230 Vgl. dazu auch den Vortrag der Autorin (mit Thorsten Halling) „Arbeitsschutz und Betriebsärzte in der Schwerindustrie 1930–1970“ bei der Tagung „Prävention. Nachfrage und Inanspruchnahme gesundheitserhaltender Maßnahmen seit 1918“ am Institut für Geschichte der Medizin

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

121

Wenn die Maßnahmen der Arbeitsgestaltung und Erhaltung der Arbeitskraft bereits in der nationalsozialistischen Leistungsideologie im weiteren Sinne dem Arbeitsschutz dienten, so ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine systematische Zusammenarbeit, auch nicht in personeller Form, zwischen betrieblicher Unfallverhütung und betriebsärztlicher Gesundheitsführung zu erkennen. Zwar verhandelten die Reichsgruppe Industrie, das DAF-Amt Gesundheit und Volksschutz und die NSDAP seit 1936 über eine Richtlinie zur Bestellung von Betriebsärzten, dadurch stieg ihre Zahl von knapp 500 (1939) auf 8.000 (1944).231 In der Leistungsideologie orientierten sich deren Aufgaben jedoch eher außerhalb der Arbeitsschutzfragen und galten z. B. in vertrauensärztlichen Funktionen dem Aufspüren von „Arbeitsbummelanten“232. Langfristig beschränkte sich die Tätigkeit der Werksärzte in Fragen des Arbeitsschutzes in erster Linie auf Erste-Hilfe-Maßnahmen und das erweiterte Feld der regelmäßigen Eignungs- und Überwachungsuntersuchungen. Der Ausbau der Verbandstuben zu werksärztlichen Dienststellen im Sinne moderner Gesundheitsprävention (mit Aufgaben in erster Linie außerhalb des engeren Arbeitsschutzverständnisses) erfolgte in den Unternehmen sukzessive seit den 1950er Jahren unter dem Eindruck gestiegener Beschäftigungszahlen.233 Die erweiterten inhaltlichen und räumlichen Tätigkeitsbereiche erstreckten sich vom Ausbau der Untersuchungs- und Behandlungseinrichtungen bis zur Einrichtung einer „Gesundheitsstation“ der 1950er Jahre – in Fragen der Unfallverhütung und -ursachenforschung zunehmend auch in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsingenieuren.234 So meldete schließlich allein das Gewerbeaufsichtsamt Duisburg für den Bezirk im Jahresbericht 1950 die Fertigstellung von drei Gesundheitshäusern bzw. ärztlichen Dienststellen (darunter das Hüttenwerk Huckingen und das Hüttenwerk RuhrortMeiderich).235 Auch Vorsorgeuntersuchungen wurden als Arbeitsschwerpunkt aufgenommen. Hierzu zählten etwa die Röntgenreihen-Untersuchungen, Einstellungsoder die vom Gewerbearzt angeordneten Überwachungsuntersuchungen.236

231 232 233 234 235 236

der Robert Bosch Stiftung Stuttgart am 22.11.2012: Tagungsbericht 11. Arbeitskreis Sozialgeschichte der Medizin: „Prävention. Nachfrage und Inanspruchnahme gesundheitserhaltender Maßnahmen seit 1918“. 21.11.2012–23.11.2012, Stuttgart, in: H-Soz-u-Kult, 04.02.2013, URL: (04.02.2013). Vgl. Elsner, Arbeitsmedizin, hier: S. 94–97; Milles u. a., Tendenzen und Konsequenzen, hier: S. 124 f. Weber, Arbeitssicherheit, S. 174. Vgl. auch ausführlich Herbert, Fremdarbeiter, S. 347–357. Vgl. Kammel u. a., Arbeitsmedizinisches Zentrum, S. 13 und S. 15; Dückershoff, Werksärztlicher Dienst, hier: S. 50 f. Vgl. „Die ärztliche Betreuung im Werk Dortmund. Verbandstelle und Eigeneinrichtungen“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1955), Nr. 5. Vgl. LAV NRW, NW 0037, Nr. 60, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg, 1950, Bl. 70. Vgl. TKA, A/3244, Hüttenwerke Ruhrort-Meiderich AG, Sozial-Bericht, April 1950, S. 15; HAK, WA 65/2.50–51–2.56, HWR AG, Geschäftsberichte 1950/51–1956; WA 70/20, Niederschrift erweiterte Vorstandssitzung der HWR AG, 2.5.1950, S. 2; WA 78/274, Organisationsplan soziale Leitung, Stand: 1.8.1961; WA 78/554, Entwicklung und Stand der Sozialwirtschaft HWR AG Rheinhausen, 1947–1950, S. 29 f.; „Der Betriebsrat spricht“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1950), Nr. 12, S. 50; MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 75 f.; M 44.084, Bericht Werksvorstand für den Aufsichtsrat, 9.5.1950, S. 12 f.

122

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Dieser Ausbau war Teil einer bundesweiten Tendenz, wie sie sich z. B. auch in der elektrotechnischen und chemischen Industrie bei Siemens und der BASF (Badische Anilin- und Sodafabrik) niederschlug.237 Auch hier ist insgesamt weniger ein paradigmatischer Bruch als vielmehr ein allmählicher Wandel der Entwicklungen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu konstatieren. Eine organisatorisch-verwaltungstechnisch zusammenhängende Struktur von Arbeitsschutz und Gesundheitswesen zeichnete sich jedoch noch nicht ab. Die Bereiche agierten formal noch separat und für die Tätigkeiten im Gesundheitsschutz gab es noch kein organisatorisch übergreifendes Konzept.238 Problematisch gestaltete sich die Akzeptanz und tatsächliche Inanspruchnahme der von Unternehmensseite angebotenen werksärztlichen Dienste. Daher unternahmen die Unternehmen gezielte Versuche, um sich vom Stigma des vertrauensärztlichen Betriebsärztewesens zu lösen: Die „Richtlinie für die Werksärztliche Tätigkeit“ regelte bereits seit 1951 zwischen Gewerkschaftsbund und Arbeitgeberverbänden die Unabhängigkeit ihrer Tätigkeit, nach der der Werksarzt nach § 5 „nur seinem ärztlichen Gewissen verantwortlich“239 ist. Auch in Huckingen betonte der Sozialbericht die Auseinandersetzung um das Behandlungsrecht bereits 1950, in dem der betriebliche Mediziner „[…] auf keinen Fall vertrauensärztliche Funktionen für die Werksleitung ausüben“240 dürfe. Um die in der Belegschaft verbreiteten Vorurteile anzubauen, erfolgten ausführliche Vorstellungen der werksärztlichen Dienste und der neuen Richtlinie in den Werkszeitschriften – auch unterstützt durch die Betriebsräte.241 Die Reorganisation und Rekonstruktion betriebsärztlicher Dienste erfolgten unter Ausweitung der bereits vor dem Krieg implementierten Verhältnisse nach dem Motto „Krankheit verhüten ist besser und billiger als Krankheit heilen.“242 Auch die Verbindung von Rationalisierung und Arbeitsmedizin zeigte sich hier, trotz aller strukturellen Veränderungen, als eine wichtige Kontinuitätslinie.243 Als freiwillige Einrichtung betrieblicher Sozialpolitik stand sie jedoch zu diesem Zeitpunkt unter einem ökonomischen, innerbetrieblichen Rechtfertigungsdruck. So betonte Adolf Jungbluth, Leiter des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW) und Arbeitsdirektor der Hüttenwerk Salzgitter AG, 1957 zwar 237 Vgl. Condrau, Arbeitsplatz, hier: S. 254; Thiess, Arbeitsmedizin, S. 32–34. 238 Vgl. u. a. HAK, WA 78/274, Dienststellengliederung des Sozialbereiches/Hüttenwerk Rheinhausen AG, 1.10.1953. 239 Zitiert nach: Werner Matzies, Der Werksarzt in der modernen industriellen Welt, Köln 1952, S. 25. Vgl. auch Deppe, Industriearbeit und Medizin, S. 21–25; Hofmann, Arbeitsmedizinische Praxis, S. 60–65; Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 234–237. 240 MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 74. 241 Vgl. „Und hier spricht der Werksarzt“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1950), Nr. 12, S. 50 f.; „Ausbau des Werksärztlichen Dienstes“, in: Unsere ATH (1960), Nr. 11, S. 6; „Die Aufgaben des Werksarztes“, in: Unser Profil (1961), Nr. 4, S. 58–60. Gleichzeitig waren die gewerkschaftlichen Vertreter (DGB) grundsätzlich jedoch noch „[v]on der Bereitschaft zu einem Werksärztegesetz […] weit entfernt.“ Remeke, Gewerkschaften, S. 122. 242 MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 74. 243 Vgl. dazu auch Uhl, Geschlechterordnung, hier: S. 94; ders., Humane Rationalisierung? S. 11– 15.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

123

die Aufgabe des Werksarztes im Bereich der „Erhaltung und Hebung“ bzw. „Wiederherstellung der Lebenstüchtigkeit“. Mit diesem könne dabei „[…] sekundär so gut wie immer auch eine Produktivitätssteigerung verbunden“244 werden. In diesem Sinne kam dem werksärztlichen Dienst eine wachsende Bedeutung für präventive Arbeitsplatzanalysen zu.245 So beschäftigte etwa die DHHU ab 1955 einen hauptamtlichen Werksarzt, der die alleinige Zuständigkeit für medizinische Untersuchungen am Arbeitsplatz erhielt.246 Die Beachtung der Gestaltung der Arbeitsplätze nach menschlichen Bedürfnissen bedeutete ebenfalls eine Wiederbelebung arbeitsmedizinischer Überlegungen der 1920er Jahre, die auch im Zeichen fordistischer und tayloristischer Produktionsmodelle nicht ausschließlich auf die Anpassung des Menschen an die Maschine beschränkt geblieben waren.247 Nun wurde der Mensch erneut in den Mittelpunkt betrieblicher Sozialwirtschaft gerückt.248 Zugleich wurde die medizinische Tauglichkeit arbeitsplatzspezifischer Belastungs- und Anforderungsanalysen (über die Abstimmung von Eignung und Anforderungen) als Hauptaufgabe der Arbeitsgestaltung weiterhin unter dem Motto „Den richtigen Mann an den richtigen Platz“249 definiert. Im Kontext des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) – unter Prämisse präventiver Unfallverhütung – kam es in Politik und Gesetzgebung spätestens zu Beginn der 1960er Jahre zu einer nun auch öffentlichen „Betonung von Sicherheit“250. Anders als Flurin Condrau es mit Blick auf die Medizin formuliert, gewannen in der Eisen- und Stahlindustrie nicht erstmals die Sicherheitsingenieure im „[…] Prozess der Demedikalisierung […] auf Kosten der Werksärzte an Bedeutung.“251 Vielmehr wuchs die gemeinsame Tätigkeit der Ingenieure und Ärzte an der Schnittstelle der Gesundheit am Arbeitsplatz. Statt der bisherigen Überschneidung der Kompetenzen verbesserte sich nun die Zusammenarbeit. Auch Doppelarbeit konnte zunehmend vermieden werden. Arbeitsplätze sollten zukünftig nicht nur „sicher“, sondern auch „gesund“ sein.252 Die regulären Aufgaben der betriebsärztlichen Dienste beschränkten sich hinsichtlich des Arbeitsschutzes zunächst weiterhin auf die traditionelle Unfallversor244 245 246 247 248 249

250 251 252

Alle Zitate Jungbluth, Arbeitsdirektor, S. 170. Vgl. ebenda, S. 171–173. Vgl. Kammel u. a., Arbeitsmedizinisches Zentrum, S. 13. Vgl. Uhl, Geschlechterordnung, hier: S. 94 f. Vgl. auch TKA, Hoesch-Archiv, Film/Hoe/324, Film: „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, PAL ’44; Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“. „‚Schwarzer Freitag‘ mahnt alle: Bei jeder Arbeit Sicherheit zuerst!“, in: Unsere ATH (1959), Nr. 7/8, S. 9; „Unfallverhütung in unserer Hütte“, in: Westfalenhütte (1960), Nr. 4, S. 190–192, hier: S. 190; „Belegschafts- und Sozialbericht für das Geschäftsjahr 1961/62“, in: Unser Werksbild (1963), Nr. 2, S. 10–15, hier: S. 14; Berndsen u. a., Wir alle faßten an, S. 46. Bereits in den 1920er Jahren unter dem gleichen Slogan H. Bitter, „Aus dem Jahresbericht der Unfallverhütungs-Abteilung des Eisen- und Stahlwerks Hoesch für das Jahr 1926“, in: Hütte und Schacht (1927), Nr. 9, S. 69 f., hier: S. 69. Vgl. zur arbeitsmedizinischen Debatte um die Eignungsuntersuchungen im Spannungsfeld von Auslese und Tauglichkeit Schottdorf, Arbeitsund Leistungsmedizin, S. 71–76. Condrau, Arbeitsplatz, hier: S. 246. Ebenda, hier: S. 246 f. Vgl. „Ausbau des Werksärztlichen Dienstes“, in: Unsere ATH (1960), Nr. 11, S. 6.

124

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

gung und die (freiwilligen und obligatorischen) Einstellungs-, Überwachungs- und Vorsorgeuntersuchungen. Sie erstreckten sich fortan jedoch immer mehr auch auf die Abstimmung von Arbeitsanforderungen und Arbeitseignung, die gesundheitliche Überwachung und die konkrete Arbeitsgestaltung am Arbeitsplatz.253 Dieser Bereich entwickelte sich im Zuge des gewandelten Verständnisses von gesundheitlicher Prävention in den 1970er Jahren endgültig zu einem deutlich verstärkten Arbeitsfeld an der Schnittstelle zur Sicherheitsarbeit. So wurden auch die Betriebsärzte schließlich nach diesem neuen, erweiterten Verständnis (Sicherheit und Gesundheit) zu einem zentralen Akteur des betrieblichen Arbeitsschutzes, wie in Kapitel 4.4.1 genauer untersucht wird. 3.3.1.3 Arbeitsschutz als Aufgabe von Führungskräften Die innerbetrieblich gewachsenen organisatorischen Grundstrukturen des Arbeitsschutzes setzten sich also auch nach 1945 fort und waren von einem sukzessiven Ausbau der Arbeitsschutzabteilungen bei weiter differenzierten Tätigkeitsfeldern geprägt. Erst Ende der 1960er Jahre konnte in allen Unternehmen eine tatsächliche Neuordnung und Systematisierung der Abteilungen beobachtet werden. Dies geschah durch die Einrichtung von Zentralstellen für Arbeitsschutz im Kontext der Fusionen und grundsätzlichen organisatorischen Neuordnungen innerhalb der Branche. Diese waren in der heutigen Rückschau schon auf die zukünftige Arbeit des Arbeitsschutzes der 1970er Jahre ausgerichtet. Der größte institutionelle Umbruch ist für die betrachteten Unternehmen seit 1945 jedoch in der langfristigen organisatorischen Zuordnung im Bereich des Arbeitsdirektors und im Kontext der neuen Mitbestimmung zu verorten. Auch die Gewerbeaufsicht bewertete die kontinuierliche Tätigkeit hauptberuflicher Sicherheitsingenieure als zunehmenden Einflussfaktor auf sinkende Unfallzahlen. Ihnen wurde eine wichtige Funktion auch in der überbetrieblichen Entfaltung des Arbeitsschutzes zugeschrieben, denn auch der fachliche Austausch der Großbetriebe und der Wirtschaftszweige sei insbesondere über die Sicherheitsingenieure „sehr rege“254. Gleichzeitig erfolgte auch eine Neubewertung der Tätigkeit der Sicherheitsingenieure als Führungskräfte. Organisatorisch zeigte sich diese Wahrnehmung etwa durch Sonderprämien für eine positive Entwicklung der Unfallzahlen.255 Der Aufwertung des Arbeitsschutzes bis in die höheren Führungsebenen sollte darüber hinaus in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften in der eigenen Abteilung

253 Vgl. „Das Gesundheitswesen auf der Hütte: Fürsorgen und Vorbeugen“, in: Der Werktag. Ausgabe Hüttenwerk (1971), Nr. 10, S. 22 f. 254 Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1965, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1965, S. NW 10. 255 Vgl. TKA, TNO/3469, Vermerke Personalabteilung, 18.11.1958, 31.3.1960, 17., 19. und 29.1.1962; MA, M 44.043, Bd. 2, Niederschrift Vorstandssitzung, 18.4.1957, S. 5.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

125

für Arbeitsschutz Rechnung getragen werden.256 So führte Ende der 1950er Jahre Arbeitsdirektor Strohmenger die Praxis ein, dass junge Nachwuchskräfte (z. B. Ingenieure) vor der Aufnahme ihrer eigentlichen Tätigkeit im Produktionsbetrieb in Oberhausen einige Zeit in der Abteilung Arbeitsschutz eingesetzt werden sollten. Ziel war es, Anerkennung und Verständnis für die Unfallverhütung in allen Bereichen des Produktionsprozesses zu implementieren und eine fehlende grundlegende Sicherheitsausbildung dieser Berufsgruppen auszugleichen.257 Diese Regelung schien jedoch aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten zunächst nicht überall konsequent umgesetzt worden zu sein. Doch in der Zielgruppe der neu eingestellten Ingenieure spiegelt sich eben jenes fehlende Verständnis für Arbeitsschutzfragen wider. So äußerten zwar verschiedene Abteilungsleiter die Befürchtung, dass aufgrund des gegenwärtigen Arbeitskräftemangels solche Ausfälle aus dem Produktionsbetrieb auf Kosten der anderen Mitarbeiter nicht zu rechtfertigen seien.258 Doch Strohmenger bestand mit Nachdruck auf der Umsetzung dieser Maßnahme, verkürzte jedoch die geplante Aufenthaltsdauer in der Arbeitsschutzabteilung auf wenige Tage.259 Mit der Konzentration auf die Rolle der Führungskräfte wurden auch regelmäßige Abendveranstaltungen als „Arbeitsschutz-Colloquien“ eingeführt, bei denen die höheren Führungskräfte für aktuelle Fragen des Arbeitsschutzes sensibilisiert werden sollten.260 Auch die anderen Unternehmen folgten mit der zunehmenden Fokussierung auf die Führungskräfte im Arbeitsschutz, etwa durch spezielle Schulungs- und Ausbildungsmaßnahmen, in den folgenden Jahren.261 Nach diesen Vorbildern wurde die Maßnahme schließlich als Teil der Ausbildungsrichtlinie des VDEh festgelegt, die ihrerseits entsprechende Ausbildungskurse im Arbeitsschutz für Jung-Ingenieure anbot.262 Die Aufmerksamkeit richtete sich jedoch nicht nur auf das Führungspersonal, Ziel wurde auch eine verbesserte Arbeitsschutz-Kommunikation auf allen Ebenen im Unternehmen. So kam es ab etwa 1955 zur Durchführung von jährlichen Arbeitsschutztagungen bei der HOAG.263 Die Treffen der Werksleitung mit Vertretern 256 Vgl. TKA, TNO/2401, Antwortbogen an die IG Metall zum Stand der Arbeitssicherheit 1958/59, S. 3; TNO/3468, Niederschrift Kaminsitzungen, 3. und 17.4.1959. 257 Vgl. TKA, TNO/3468, Vermerke, 29.9. und 29.10.1958. Durch diese Eigeninitiative versuchte man einen Mangel zu beseitigen, auf den man bereits seit längerem hingewiesen hatte. Beispiel für die Einbindung der Maschinensicherheit ist auch ein erstes Pilotprojekt „Konstruktiver Arbeitsschutz“ an der Staatlichen Ingenieurschule Duisburg im Winterhalbjahr 1948/49, u. a. durch das Engagement des Huckinger Ingenieurs Steeg. Vgl. Steeg, Konstrukteur und Arbeitsschutz. 258 Vgl. TKA, TNO/3468, Bericht Abteilungsleitersitzung, 8.4.1959. 259 Vgl. TKA, TNO/3468, Vermerk Abteilungsleitersitzung, 29.9.1959; Vermerke, 16.11.1959, 22.6.1960, und Schreiben, 30.6.1960. 260 Vgl. TKA, TNO/3468, Einladungen Arbeitsschutz-Colloquien am 13.12.1966 und 9.6.1969. 261 Vgl. Einführung der Schulung von Meistern in der Abteilung Sicherheitswesen und von JungIngenieuren, TKA, A/34209, ATH Rundschreiben 9/65, 21.4.1965; „Alle Jungingenieure studieren acht Tage lang Unfallschutz“, in: Unsere ATH (1963), Nr. 10/11, S. 7 f. 262 Vgl. TKA, TNO/3468, Protokoll Ausschuss für Arbeitssicherheit, 2.1.1967, S. 2. 263 Vgl. TKA, TNO/2276, Skripte Arbeitstagung Betriebsleiter und Unfallvertrauensleute, u. a. am 24.2.1955.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Werksleitung Externe Fachbeiträge und Gäste

Sicherheitsfachkräfte

Betriebsrat

Berichterstattung (z. B. Werkszeitschrift)

Unfallvertrauensleute

Abb. 7: Akteure der betrieblichen Arbeitsschutztagungen (schematische Darstellung) Quelle: Eigene Darstellung.

des Betriebsrates und Unfallvertrauensleuten dienten dem Erfahrungsaustausch. Sie veranschaulichen abschließend auch die zunehmende innerbetriebliche Verflechtung der einzelnen Arbeitsschutzakteure. Sie fungierten, wie Abb. 7 darstellt, als institutionalisierte Kommunikationsplattform der stark ausdifferenzierten betrieblichen Arbeitsschutzorganisation von den betrieblichen Unfallvertrauensleuten bis in die obersten Unternehmensetagen und auf diese Weise als gezielte Kommunikation „von unten“, in der auch die Unfallvertrauensleute mit der Werksleitung unmittelbar in Kontakt traten. Hinzu kamen Teilnahme und Beiträge externer Fachreferenten und Gäste sowie die anschließende Berichterstattung in der Werkszeitschrift, in der die Ergebnisse für ein breiteres Publikum aufbereitet wurden.264 Damit erreichten sie eine deutliche Strahlkraft über die Unternehmensgrenzen hinaus.265 Auf diese Weise wurde die Expertise einzelner Konzernunternehmen und Werke erstmals zu einem systematischen Austausch zusammengeführt. 3.3.2 Formalisierung der überbetrieblichen Zusammenarbeit Insgesamt nahmen im Laufe der 1950er Jahre neben der Ausdifferenzierung der Arbeitsschutzorganisation im Sinne einer zunehmenden überbetrieblichen Verflechtung des Arbeitsschutzes auch die persönlichen Kontakte der betrieblichen Akteure untereinander mit gemeinsamer Generierung und dem Austausch von Wissen über die Unternehmensgrenzen hinweg deutlich zu. Dies ebnete zugleich auch neue Wege des Know-how-Transfers in die Unternehmen selbst. Unterschiedliche Institutionen fungierten darüber hinaus als fachliche Foren des Austausches. Hierzu zählte etwa das 1949 zunächst als Zentralinstitut neu gegründete Bundesinstitut für Arbeitsschutz (ab 1951) für die gezielte Bündelung und Verbreitung von Arbeitsschutzinformationen, etwa über die regelmäßig in den Un-

264 Vgl. „Immer wieder: Kampf dem Unfall“; „Parole für 1957: Keinen Unfalltoten!“; „Arbeitsschutz-Jahrestagung: ‚Jeder spielt aktiv mit!‘“; „An erster Stelle steht die Sicherheit. Arbeitsschutz-Jahrestagung der Betriebsleiter, Meister und Unfallvertrauensleute“, jeweils in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 5, S. 58 f.; (1957), Nr. 3, S. 40; (1958), Nr. 5, S. 53 f.; (1959), Nr. 4, S. 36. 265 Vgl. auch „‚Schwarzer Freitag‘ mahnt alle: Bei jeder Arbeit Sicherheit zuerst!“, in: Unsere ATH (1959), Nr. 7/8, S. 9; „Die erste Hoesch-Arbeitsschutz-Tagung. Mehr Zusammenarbeit im Arbeitsschutz“, in: Werk und Wir (1968), Nr. 1, S. 10 f.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

127

ternehmen in Umlauf gebrachten Arbeitsschutznachrichten.266 Hinzu kam auf der Landesebene die Abteilung Arbeitsschutz beim Arbeitsministerium NRW. Hier gab es neben politischen und verwaltungstechnischen Aufgaben auch Aktivitäten in der betrieblichen Unfallverhütung, die Organisation und Durchführung von Schulungslehrgängen für Sicherheitsingenieure, an denen auch Vertreter der ATH teilnahmen.267 Des Weiteren übernahm der Sachbearbeiter für Arbeitsschutzfragen im Arbeitsministerium NRW den Vorsitz der 1947 wiedergegründeten, vom Verein Deutscher Revisions-Ingenieure (VDRI) begründeten „Arbeitsgemeinschaft Betriebsschutz“ beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Auch Unternehmensvertreter nahmen verstärkt daran teil, um eine enge Anbindung an die überbetriebliche Arbeit und den Anschluss an weitere Kreise sicherzustellen.268 Dies wurde auch in den Unternehmen entsprechend rezipiert: So stellte beispielsweise die ATH ihre Sicherheitsingenieure für eine regelmäßige Teilnahme frei.269 Wichtig für die betriebliche Sicherheitsarbeit blieb jedoch in erster Linie der brancheninterne Vergleich und Austausch, da die Unternehmen weiterhin in hohem Maße auf eigene Versuche und Erfahrungswerte angewiesen waren. So stellten die Unternehmensvertreter der Westfalenhütte bei einem Besuch des Bundesinstitutes für Arbeitsschutz in Soest ernüchtert fest, dass „[…] das dort Gebotene nicht den gewünschten Erwartungen“ entsprach.270 Daher konzentrierten sich die Akteure insbesondere auf instrumentelle Beziehungen mit konkreten Inhalten, die einen möglichst homogenen Austausch von Informationen gewährleisten sollten. Beobachtung und Austausch mit umliegenden Werken konnten eigenes Scheitern verhindern helfen oder gemeinsame Synergieeffekte bündeln. Die ideengebenden und teilweise experimentellen Maßnahmen einzelner Werke wurden von umliegenden Unternehmen genau beobachtet. Die Lektüre der Werkszeitschriften hatte dabei eine zentrale Transmitterfunktion, wie sowohl die umfangreiche Informationssammlung der DHHU als auch bei Krupp belegen.271 Hinzu kam die Vermittlung und Rezeption der Arbeitsschutz-Aktivitäten über die lokale und regionale Berichterstattung. Werkszeitschriften und Tagespresse

266 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4961/1, Ausgaben der „Arbeitsschutznachrichten“ des Bundesinstituts für Arbeitsschutz. Vgl. allgemein Bundesinstitut für Arbeitsschutz, 1952; Stephany, Bundesinstitut für Arbeitsschutz; Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 245. 267 Vgl. TKA, A/5456, Schreiben ATH an Arbeitsminister NRW, 31.5.47; Anmeldung Unfallingenieur zum Arbeitsschutz-Lehrgang der Arbeitsministeriums, 21.10.1950. 268 Vgl. TKA, A/5456, Schreiben VDI Ratingen an ATH, „Arbeitsgemeinschaft Betriebsschutz“, o. D. 269 Vgl. TKA, A/5456, Antwortschreiben der ATH an den VDI Ratingen, 6.10.1947. 270 „Unfälle im Monat Juli“, in: Mitteilungsblatt (Westfalenhütte) (1952), Nr. 8. 271 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Unterlagen zum Prämiensystem HOAG, u. a. Auszüge aus „Echo der Arbeit“; Berichte zum Verlauf des Prämiensystems 1956–58, Monatliche Unfallkennzahlen der HWBG 1956/56, Presse- und Informationsdienst aus Wirtschaft und Politik, Nr. 22, 26.01.1957: mit einem Auszug aus dem Bericht zur Sozialpolitik der HOAG, verschiedene Artikel der Tagespresse; HAK, WA 123/17, Prämienkatalog und Werbebroschüre mit Anschreiben der Firma Cappel, Mac Donald and Company Verkaufsförderung GmbH, 27.2.1958 und einem Artikel von Throm, „Schach dem Leichtsinn“, in: FAZ, 6.2.1958.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

zitierten sich dabei durchaus auch gegenseitig.272 Zudem lässt sich eine wachsende Verbindung der einzelnen Akteure erkennen, die sich im Verlauf der 1950er Jahre noch weitestgehend auf den formalisierten Austausch über Medien und Organisationen beschränkte. Der darüber hinaus weiterreichende persönliche Austausch gründete in erster Linie auf Kontaktvermittlungen durch die Führungsebenen. So sprach beispielsweise auf Einladung des Hüttenwerks Rheinhausen das Dortmunder Aufsichtsratsmitglied Peter Wilhelm Haurand in der Lehrwerkstatt persönlich zu den in einer Denkschrift niedergelegten internationalen Erfahrungswerten im Arbeitsschutz. Dies war eine externe Rezeption der zunächst intern ausgerichteten Denkschrift der Westfalenhütte von 1954, die Haurand auch beim Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit 1955 in München einem erweiterten Fachkreis vorstellte.273 Eine Sonderstellung der HOAG lässt sich dabei über die externen Kontakte des Arbeitsdirektors Karl Strohmenger als zentralem Knoten des betrieblichen Arbeitsschutznetzwerks in den 1950er Jahren definieren. Seine engen Kontakte nutzte Strohmenger insbesondere für die Verbreitung seiner Arbeitsschutzbemühungen in der Branche.274 Gleichzeitig begrüßten die anderen Unternehmen den Zugang zu externem Informationsmaterial.275 So wurden diese Beziehungen über die institutionellen Verbindungen gemeinsamer Gremienarbeit auch im persönlichen Austausch gezielt aktiviert und gepflegt. Zusätzlich knüpfte Strohmenger über den engeren Kreis der Stahlunternehmen an Rhein und Ruhr hinaus Kontakte. Hierzu zählte insbesondere die Anbindung an die sonst eher isoliert agierende Hüttenwerk Salzgitter AG durch ein zunehmend freundschaftliches Verhältnis der beiden Arbeitsdirektoren Karl Strohmenger und Adolf Jungbluth.276 Geeint in ihren regen Bemühungen um Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung (Jungbluth insbesondere in seiner Funktion im RKW) begann Ende der 1950er Jahre ein intensiver Austausch der beiden Akteure. Gegenstand war zunächst eine geplante Forschungskooperation zu „psychischen Belastungen“ sowie der Austausch in Personalfragen, wie etwa bei der Einstellung eines Werkspsycho-

272 Vgl. „Bewährter Ansporn: mehr Prämien für weniger Unfälle“, Abdruck in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 18, S. 216, ursprünglich erschienen in: WAZ, 28.9.1956; „Hoesch AG: Farben gegen den Unfalltod! Unfallziffern der Westfalenhütte schon weit unter dem Durchschnitt“, in: WAZ, 23.2.1956. 273 Vgl. „Verantwortung im Kampf gegen Unfälle“, in: Duisburger General-Anzeiger, 22.12.1955 (HAK, WA 70/432); „Betriebsunfall ist Feind Nr. 1“, in: Unser Profil (1955), Nr. 12, S. 444; AHCE, CEAB 11/1606, Programmheft: Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 27.– 29.10.1955 in München, Bl. 65. 274 Vgl. ausführlich Kapitel 3.5.2. 275 Vgl. TKA, TNO/2043, Schreiben Albert Kohlitz an Strohmenger, 23.12.1959. Vgl. ähnlich auch Austausch von Sozialberichten mit der DHHU, TKA, TNO/2043, Schreiben Strohmenger an Wilhelm Schäfer, 20.12.59; oder mit Stahlwerke Bochum AG zur Frage der Unfallstatistik, TKA, TNO/2043, Schreiben Strohmenger an Wagner, 20.11.1959. 276 Vgl. zu Adolf Jungbluth ausführlich Siebel u. a., Menschengerechte Rationalisierung, S. 12– 17; zu seinen Vorstellungen des betrieblichen Arbeitsschutzes konkret Jungbluth, Arbeitsdirektor, S. 241–249.

Werkschutz Eigentumsschutz Ermittlungsdienst Ordnungsdienst Verkehrssicherheit Pförtnerdienst Plakatierung Sachschädenprüfung Fundsachen Entwesungen Zusammenarbeit mit den PolizeiDienststellen und Verkehrsbehörden

Sachbearbeitung Statistik Werbung

B.-Vorschlagwesen

Zusammenarbeit in Fragen des Sicherheitswesens mit: der Neubauabteilung den Betrieben speziellen Abteilungen dem Betriebsrat der technischen Konferenz dem Ordnungsausschuß

Abb. 8: Funktionsplan „Sicherheitswesen“, HWR, ca. 1962 Quelle: Eigene Darstellung nach HAK, WA 78/274, Funktionsplan „Sicherheitswesen“, ca. 1962.

Feuerwehr Vorbeugender und abwehrender Brandschutz Nothilfe Unfall- und Krankentransporte Atemschutz Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- und Ausbildungswesen Partner im Löschhilfevertrag

Arbeitsschutz

Zusammenarbeit mit der Planungsabteilung und den Betrieben dem Ausbildunsgwesen u. dem Gesundheitswesen Unfalluntersuchungen Unfallmeldewesen Unfallstatistik Unfallverhütungswerbung Überwachung der Arbeitsschutzartikel und Arbeitskleidung Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und den Sicherheitsvertrauensmännern Zusammenarbeit mit dem Staatl. Gewerbeaufsichtsamt und den Berufsgenossenschaften

Zusammenarbeit in Fragen des Sicherheitswesens mit: der Wirtschaftsvereinig. Eisen- u. Stahlind. dem Staatl. Gewerbeaufsichtsamt den Berufsgenossenschaften den Polizei-Dienststellen den Bau- und Verkehrsbehörden den Berufs- und Werksfeuerwehren

Arbeitsschutz Brandschutz Nothilfe Ordnungsdienst Wachdienst Vorschlagwesen

Sicherheitswesen

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

129

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

logen.277 Dabei unterstützten die beiden Arbeitsdirektoren in zunehmendem Maße den Austausch ihrer engeren Mitarbeiter und Sicherheitsingenieure, die in Gemeinschaftsarbeit wechselseitig Informationen bereitstellen sollten.278 Die ursprünglich institutionalisierte Verbindung zwischen Strohmenger und Jungbluth wandelte sich allmählich zu einer persönlichen Beziehung mit einer kommunikativ-instrumentellen Bedeutung, konzentrierte sich insbesondere auf den zielgerichteten Informationsaustausch innerhalb der Branche sowie die Verbreitung der Arbeitsschutzfrage nach außen. Der Wissenstransfer diente einerseits dem Erkenntnisgewinn beider Seiten, andererseits wurde er genutzt für die Fürsprache in Fragen der Karrierechancen und den gegenseitigen Austausch ihrer Mitarbeiter. Die Verbindung der beiden Akteure wurde zu einer emotionalen Beziehung auf freundschaftlicher Ebene.279 Ein Funktionsplan des „Sicherheitswesens“ für das Werk Rheinhausen fasst in Abb. 8 die Verflechtung der internen und externen Akteure im Arbeitsschutz zwischen offiziellen und internen Stellen und die inhaltlichen Funktionsgliederungen zu Beginn der 1960er Jahre zusammen. 3.3.2.1 Vorbild Amerika II: Reisende als Transmitter Das amerikanische Motto „Safety First“ stellte als eine „Volksbewegung“280 für den deutschen Arbeitsschutz auch nach 1945 einen zentralen Bezugspunkt dar. Neben der wiederholten Bezugnahme auf die ungleich niedrigere amerikanische Unfallentwicklung in der Kostendebatte ging es wie bereits in den 1920er Jahren erneut um konkrete inhaltliche Vorbilder für die deutsche Unfallverhütungsarbeit.281 Aufschluss geben hier zahlreiche Berichte von USA-Reisen während der 1950er und 1960er Jahre. Sie waren, wie bereits in den 1920er Jahren, im Kontext allgemeiner technischer Interessen an der amerikanischen Hüttenindustrie auch als dezidierte Gruppenreisen für die Sicherheitsingenieure organisiert, z. B. von der Wirtschaftsvereinigung bzw. dem VDEh.282 Auffällig ist die argumentative Kontinuität sozialer Beziehungen und der konkreten Unfallverhütungsarbeit, die immer wieder mit der mangelnden ökonomischen Wertschätzung von Kosteneinsparungen 277 Vgl. TNO/2043, Korrespondenz Jungbluth und Strohmenger, 9.4.1957, 4.5.57, 7.5.1957; Vermerk Strohmenger, 11.2.1958. Vgl. zum Werkspsychologen TKA, TNO/2043, Schreiben Jungbluth an Strohmenger, 3.11.1959 mit Antwortschreiben, 4.12.1959; TNO/3468, Aktenvermerk, 1.3.1960. 278 Vgl. TNO/2043, Korrespondenz Jungbluth und Strohmenger, 12.3., 17.3., 31.3., 9.4., 8.9. und 16.9.1958. 279 Vgl. zum Charakter sozialer Beziehungen in Netzwerken allgemein Halling u. a., Netzwerke, hier: S. 271 f., sowie ausführlich Jansen, Netzwerkanalyse, S. 28–32 und S. 59, Tab. 3.1. 280 BAK, B 136–1351, VDSI u. a. (Hg.), Arbeitssicherheit als Aufgabe wirtschaftlicher Betriebsführung, 1960, Bl. 60–90, hier: Bl. 81. 281 Vgl. „‚Drüben‘ arbeitet jeder mit. Mitarbeit bei der Unfallverhütung kommt jedem zugute“, in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 6. 282 Vgl. ausführlich Braun, Von Amerika lernen?

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

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in Deutschland gegenüber den Einstellungen in den USA betont wurde.283 Hinzu kam in Anknüpfung an die Idee der „Safety-First“-Bewegung auch die Betonung des herausragenden allgemeinen Arbeitsschutzstandards.284 Die im Vergleich zu Deutschland niedrigen Unfallzahlen schienen ihnen recht zu geben. Während in der Bundesrepublik die Häufigkeitsrate bei rund 2.300 Unfällen pro 1 Mio. t Rohstahl stagnierte, wurden in den USA nur 53 Unfälle registriert.285 Dieser Unterschied war sowohl auf den höheren Grad der Mechanisierung als auch auf die konsequente Sicherheitsarbeit der Amerikaner zurückzuführen.286 Die Reisenden waren sich durchaus bewusst, dass die amerikanischen Ergebnisse „[…] so bemerkenswert [waren], dass sie in Europa noch in bestimmten Kreisen unglaubhaft, wenn nicht sogar ‚zweifelhaft‘ erscheinen.“287 Neu im Vergleich zu den Reisen der 1920er Jahre war ihre explizite Ausrichtung auf die Fragen des Arbeitsschutzes. Viele der Reisenden waren in Deutschland Akteure der betrieblichen Unfallverhütung, sowohl als allgemeine Vertreter der Sozialabteilungen wie auch erstmals als Sicherheitsingenieure. Als Reiseeindrücke transportierten sie konkrete Bilder des amerikanischen Arbeitsschutzstandards nach Deutschland, um diese, wie etwa der Oberhausener Sicherheitsingenieur Bohr als Referent der IG Metall, über die betrieblichen Grenzen hinweg weiterzuvermitteln.288 Aber auch Personalreferenten und Ingenieure lernten die amerikanischen Schutzeinrichtungen kennen.289 Hinzu kamen auch gemischte Reisegruppen mit verschiedenen Vertretern aus Industrie, Gewerkschaft und öffentlichen Arbeitsschutzstellen, die sich ebenfalls der Forderung nach einer größeren Aufmerksamkeit für den Arbeitsschutz in Deutschland anschlossen, etwa durch die Einrichtung eines „Deutschen Sicherheits-Kuratoriums“ nach dem amerikanischen Vorbild des „Safety Council“. Konkret schlossen sich zusätzlich auch Forderungen nach einem stärkeren Eingreifen der Verwaltung über Gesetze und Richtlinien an.290 283 Vgl. u. a. „Anton Behrendt: Im Werk sicherer als zu Hause“; „Arbeitsschutz wirtschaftlich gesehen“ und Bohr, „Arbeitsschutz in USA: Sicherheit als ‚Business‘“, jeweils in: Echo der Arbeit (1951), Nr. 19, S. 6–8; (1952), Nr. 8, S. 89–92, hier: S. 89, und (1958), Nr. 2/3, S. 28–30; „‚Drüben‘ arbeitet jeder mit. Mitarbeit bei der Unfallverhütung kommt jedem zugute“, in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 6. Vgl. aber auch über die betrachteten Unternehmen hinaus etwa Reisen des Assistenten Junghans von Jungbluth aus Salzgitter. Horst Großmann, „Arbeitsschutz in USA“, in: Unsere Hütte (1958), Nr. 12, S. 410 f. 284 Vgl. „USA Eindrücke“, in: Westfalenhütte (1954), Nr. 3. 285 Vgl. Weber, Arbeitssicherheit, S. 26. 286 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130105, Vergleichende Studie über die Unfallsituation in der deutschen und amerikanischen Stahlindustrie, o. D. (ca. 1957), S. 11. 287 EGKS/Hohe Behörde, Grundsätze und Aufbau der Unternehmensführung, S. 113, online verfügbar, URL: (17.05.2013). 288 Vgl. hier auch Auswertung von Klaus Bohr (HOAG) zur amerikanischen und deutschen Unfallsituation, 1957: AdsD, 5/IGMA 130105, Vergleichende Studie über die Unfallsituation in der deutschen und amerikanischen Stahlindustrie, o. D. (ca. 1957). 289 Vgl. „USA Eindrücke“, in: Westfalenhütte (1954), Nr. 3; Braun, Von Amerika lernen?, hier: S. 396–398. 290 Vgl. Hoffmann u. a., Unfallverhütung in USA, S. 25; Freytag, Industrial Safety; Gliwitzky, Organisation und Durchführung. Vgl. ausführlich das Engagement von J. S. Andrews (Ford Köln) zur Einrichtung einer deutschen „Arbeitsgemeinschaft für Sicherheitsfragen“ nach ame-

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Die deutschen Sicherheitsingenieure reisten mit einem eigenen Blick in die USA. Für sie war insbesondere die Frage der Professionalisierung zentral, mit der sie sich ihrer eigenen Position in Deutschland zu versichern suchten. Auch zur Legitimation der eigenen Stellung war das Argument des amerikanischen Vorbilds durchaus geeignet. Einblick gewährt eine 1953 von der Wirtschaftsvereinigung vermittelte Studienreise in die Vereinigten Staaten, um „Erfahrungen aus den amerikanischen Sicherheitsbestrebungen“291 zu sammeln.292 Teilnehmer der rund dreimonatigen Rundreise waren die Sicherheitsingenieure Hans Steeg (Huckingen) und Franz Zemelka (Rheinhausen) sowie zwei weitere Kollegen der Henrichshütte Hattingen und der Stahlwerke Bochum.293 Idee dieser Reise war nach Schilderungen Zemelkas ein zwischen der Wirtschaftsvereinigung und amerikanischen Regierungsvertretern gewachsenes Austauschprogramm, bei dem seit 1950 vor allem ein statistischer Vergleich angestrebt wurde.294 Kontakte und Auslandsreisen bedeuteten eine Wiederbelebung des deutschamerikanischen Know-how-Transfers. Das amerikanische Vorbild gab so erneut organisatorische und technische Impulse für den deutschen Arbeitsschutz der Nachkriegszeit. Die umfassende Berichterstattung war sowohl als exklusive Information für die Delegation als auch für andere Mitgliedswerke der Wirtschaftsvereinigung und weitere Kreise der Branche interessant.295 Transmitter waren insbesondere Einzelpersonen (Sicherheitsingenieure), deren Reisen von den übergeordneten Institutionen koordiniert wurden.296 Daran schloss sich die umfassende Berichterstattung in der Heimat über Werkszeitschriften und Fachorgane, Vorträge und Rundschreiben (etwa der Wirtschaftsvereinigung) als Medien an, um individuelle Erfahrungen in den deutschen Arbeitsschutzdiskurs zu überführen.297 Die Sicherheitsingenieure

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rikanischem Vorbild des „National Safety Council“, BAK, B 149–10510, Arbeitsgemeinschaft für Sicherheitsfragen, 1960–1962. MA, R 2.60.09, Bd. 1, Rundschreiben Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 3.8.1953. Vgl. ebenda, Anlage: Bemerkenswerte Beobachtungen während einer Reise durch die U. S. A. zum Studium der Sicherheit; Fünfteilige Berichterstattung F. Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, jeweils in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16; (1953), Nr. 2, S. 85–91; (1953), Nr. 3, S. 130–132; (1954), Nr. 4/5, S. 174–177; (1954), Nr. 6, S. 196–202. Vgl. MA, R 2.60.09, Bd. 1, Rundschreiben Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 3.8.1953. Vgl. Ruhe, Erfahrungen, hier: S. 122; F. Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16. Vgl. dazu auch die Reise des Vertreters aus Hörde Klaus Theis mit Unterstützung der amerikanischen „Mutual Security Agency“, die in der Studie amerikanischer Arbeits- und Lebensverhältnisse auch die Unfallverhütung der Eisen- und Stahlindustrie untersuchte. Vgl. Theis, Arbeits- und Lebensverhältnisse, hier: S. 1334 f. Vgl. MA, R 2.60.09, Bd. 1, Rundschreiben Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 3.8.1953. Vgl. zur Transmitterfunktion von US-Reisen in diesem Zeitraum auch Hilger, Amerikanisierung, S. 33 f. Vgl. Fünfteilige Berichterstattung F. Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, jeweils in: Unser Profil (1953), Nr. 1, S. 14–16; (1953), Nr. 2, S. 85–91; (1953), Nr. 3, S. 130–132; (1954), Nr. 4/5, S. 174–177; (1954), Nr. 6, S. 196–202. Vgl. auch „Anton Behrendt: Im Werk sicherer als zu Hause“, in: Echo der Arbeit (1951), Nr. 19, S. 6–8; Peter Wilhelm Haurand, „Denkschrift zur Unfallverhütung“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 2, S. 100 f.; „USA Eindrücke“, in: Westfa-

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

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waren ein zentraler Mittler in der deutsch-amerikanischen Verflechtung für die Wirtschaftsvereinigung und bei der Umsetzung ihrer Erkenntnisse im eigenen Unternehmen wie auch, um ihre eigenen Interessen zu vertreten. Gleichzeitig hatten die Teilnehmer durchaus auch eigene Meinungen und Erfahrungswerte in die USA transportiert, insbesondere im persönlichen Austausch mit den betrieblichen und überbetrieblichen Akteuren vor Ort.298 Einige dieser Kontakte hatten offenbar auch Bestand über die eigentliche Reise hinaus.299 Dies gilt insbesondere auch für die kommunikativ-instrumentelle Relation (zielgerichteter Kontakt über die USAReise in Arbeitsschutzfragen) zwischen den deutschen Teilnehmern Zemelka und Steeg, die sich durch die Zusammenarbeit im Kreis der Sicherheitsingenieure und der Wirtschaftsvereinigung weiter festigte. Die Berichte lassen jedoch noch keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Anwendung amerikanischer Vorbilder zu. Eine grundsätzliche Übernahme amerikanischer Werte sowie die wiederholte Betonung einer amerikanischen Sicherheitskultur und des Arguments der Unfallkosten ist differenzierter zu betrachten. Ähnliche Motive des amerikanischen Vorbilds zwischen verstärkter Sicherheitsarbeit und unternehmerischer Handlungsautonomie waren wie in der Zwischenkriegszeit die Ideale der deutschen Sicherheitsfachkräfte. Grundsätzlich war die Umsetzung auch weiterhin keine Kopie amerikanischer Verhältnisse. Vielmehr wurde wieder eine „selektive Adaption“ (Schröter) in den USA erprobter Methoden und insbesondere von Verhaltensmustern angestrebt.300 Auch das Dortmunder Aufsichtsratsmitglied Haurand (Westfalenhütte) warnte in seiner 1954 verfassten Denkschrift zum amerikanischen Vorbild davor, „es einfach abzuklatschen“301, sondern es an eigene Rahmenbedingungen effektiv anzupassen. Leitlinien des zukünftigen Arbeitsschutzes sollten Maßnahmen zum institutionellen Ausbau, zur Professionalisierung und insbesondere zur Anerkennung des Arbeitsschutzes in den deutschen Werken werden.302 Haurand fordert dazu eine umfassende betriebliche Neuordnung mit einem Sicherheitsrat (Safety Council) und eine stärkere Einbeziehung des betrieblichen Überbaus aller Betriebseinheiten,

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lenhütte (1954), Nr. 3; „Das geht uns alle an: Verhütet Unfälle“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 3, S. 102; „Betriebsunfall ist Feind Nr. 1“, in: Unser Profil (1955), Nr. 12, S. 444; „Eisenindustrie und Unfallverhütung“ von Hüttendirektor Dr. Albrecht Harr auf der Tagung „Arbeitsschutz und Unfallverhütung“, Auszüge, in: Westfalenhütte (1956), Nr. 1, S. 17–21; „‚Drüben‘ arbeitet jeder mit. Mitarbeit bei der Unfallverhütung kommt jedem zugute“, in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 6. Vgl. u. a. F. Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1954), Nr. 6, S. 196–202, hier: S. 201. Vgl. ebenda, hier: S. 197. Vgl. Schröter, „Nicht kopieren“, hier: S. 133. „Zweite Denkschrift über neuzeitliche Mittel und Wege der Unfallverhütung in der amerikanischen eisenschaffenden Industrie“, Abdruck in: Peter Wilhelm Haurand, „Unfallverhütung. Eine Wissenschaft und eine Kunst“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 11, S. 388–391, hier: S. 391. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, H/1928, Übersendung der Druckfassung der Denkschrift, 5.2.1954, Anlage: „Vorschläge aus der Praxis der Unfallverhütung“.

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also der betrieblichen Führungskräfte im Arbeitsschutz.303 Anlass der programmatischen Denkschrift waren die hohen Unfallzahlen der Westfalenhütte.304 Verbreitung fand sie sowohl durch die Werkszeitschrift als auch durch die persönliche Vortragstätigkeit Haurands, etwa vor Unfallvertrauensleuten.305 Motiviert durch die große Aufmerksamkeit, die er damit erzielte, hielt er seine Überlegungen insbesondere zur amerikanischen Vorbildfunktion in einer weiterführenden Denkschrift im selben Jahr fest. Er entwickelte darin seine Forderungen zur Implementierung eines grundsätzlichen gesellschaftlichen Sicherheitsbewusstseins in der Bundesrepublik unter dem noch aus der Zwischenkriegszeit bekannten Slogan „Safety First“weiter.306 Auffällig war die wiedererstarkte Orientierung an amerikanischen Vorbildern. Haurand schloss sich dabei der kontinuierlichen Kritik an einem fehlenden deutschen Sicherheitsbewusstsein sowie der mangelnden Akzeptanz des Arbeitsschutzes in Belegschaft und Gesellschaft an. Die Denkschrift ist das seltene Beispiel einer konkreten Einmischung und Stellungnahme der Unternehmensführung im Bereich des Arbeitsschutzes, über die Tätigkeit des Arbeitsdirektors als Vorstandsmitglied hinaus. Einen unmittelbaren Handlungsdruck übte die Denkschrift auf das Unternehmen jedoch nicht aus. Erst mit dem Übergang des Arbeitsschutzes der Westfalenhütte von Franz Wierzba auf Helmut Karl wurde durch den Generationenumbruch der vom Aufsichtsrat geforderte Einzug von Effizienz, Systematik und ein generell rationell orientierter Arbeitsschutz nach amerikanischem Vorbild eingeleitet: Die Anregungen wurden vom Arbeitsdirektor aufgenommen und vom neuen Sicherheitsingenieur Karl sowohl über den personellen als auch den räumlichen Ausbau der Abteilung forciert.307 In den kommenden Jahren erfolgte bei Hoesch tatsächlich die geforderte Überarbeitung und Ausweitung der statistischen Erfassung und der Unfallursachenanalyse, der Beginn umfassender Arbeitsplatzanalysen sowie die Einführung von Schwerpunktprogrammen in der Arbeitssicherheit.308 Die grundsätzliche Vorbildfunktion amerikanischer Einflüsse in der betrieblichen Sicherheitsarbeit blieb dabei unter dem Schlagwort „Sicherheit zuerst“309 unangetastet. Insgesamt setzte sich hier das von Christian Kleinschmidt und Thomas Welskopp herausgearbeitete Argument der von der Unternehmensseite stark stilisierten amerikanischen sozialen Produktionsbedingungen für die Zeit bis 1930 in den Betrieben fort. Sie galt als Voraussetzung deutscher Unfallverhütungsarbeit 303 Vgl. Peter Wilhelm Haurand, „Denkschrift zur Unfallverhütung“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 2, S. 100 f., hier: S. 101. 304 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, H/1928, Übersendung der Druckfassung der Denkschrift, 5.2.1954. 305 Vgl. „Das geht uns alle an: Verhütet Unfälle“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 3, S. 102. 306 Vgl. „Zweite Denkschrift über neuzeitliche Mittel und Wege der Unfallverhütung in der amerikanischen eisenschaffenden Industrie“, Abdruck: Peter Wilhelm Haurand, „Unfallverhütung. Eine Wissenschaft und eine Kunst“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 11, S. 388–391. 307 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Tätigkeitsberichte Arbeitsschutz, 8.2. und 11.12.1961. 308 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Tätigkeitsberichte Arbeitsschutz, 1960–1969. 309 Gesamtausgabe unter dem Titel „Sicherheit zuerst“, in: Echo der Arbeit (1952), Nr. 8. Vgl. auch „Sicherheit zuerst“, in: Echo der Arbeit (1952), Nr. 18, S. 216; „Sicherheit zuerst! Oberstes Gebot und mahnende Pflicht für jedes Mitglied der Belegschaft“, in: Unsere ATH (1955), Nr. 11/12, S. 32 f.; „Die Bilanz der Gleichgültigkeit“, in: Westfalenhütte (1957), Nr. 8, S. 444.

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und wurde im Fallbeispiel auch deutlich über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinaus bemüht.310 Auch in den 1950er Jahren erfolgte die Beobachtung amerikanischer Unternehmen und ihrer spezifischen Arbeitsbedingungen zwischen den Idealen einer beispielhaften Kontrolle des „Faktor[s] Arbeit“ und der „Reibungslosigkeit des Betriebsablaufs“311. In Auseinandersetzung mit der weiterhin deutlichen Diskrepanz zwischen der deutschen Gewerbe- und Versicherungsordnung und der amerikanischen Gesetzgebung zeigte sich etwa Zemelka besonders von der amerikanischen Regulierung überzeugt, „[…] die ihre Ziele einerseits möglichst weit steckt, dem Unternehmer und auch dem Bürger aber andererseits die Möglichkeit der Entfaltung seiner Initiative und Selbstverwaltung gibt.“312 Dies knüpfte auch unmittelbar an unternehmerische Forderungen nach einer weitestgehenden Handlungsautonomie in Fragen des betrieblichen Arbeitsschutzes an. Diese starke, insbesondere weiterhin konkret betriebliche Orientierung an amerikanischen Vorbildern blieb in Belegschaftskreisen jedoch nicht ohne Kritik. Der Druck eines ständigen Vergleichs schlug sich durchaus auch negativ auf die Grundeinstellung gegenüber amerikanischen Verhältnissen nieder. Gerade innerhalb der Belegschaft wurde die Annahme grundsätzlich unterschiedlicher Sozialverhältnisse wie ein höherer Lebensstand und Entlohnung sowie kürzere Arbeitszeiten amerikanischer Arbeiter durchaus problematisiert.313 Reisen waren in dieser Zeit nicht auf die USA allein beschränkt, der Blick auf die Niederlande oder nach England vervollständigte das internationale Bild des Arbeitsschutzes. Auch hier standen die Arbeitsschutzorganisation in den Betrieben sowie die Arbeitsschutzwerbung im Zentrum des Interesses.314 Dabei wurden insbesondere für England deutliche Parallelen zum amerikanischen „Safety-First“-Gedanken gezogen. Die bemerkenswert geringe Unfallhäufigkeit wurde auch hier weniger auf eine starke Unfallverhütungswerbung zurückgeführt als vielmehr die ebenfalls „[…] positivere Einstellung zum Unfallschutz im allgemeinen […]“315 betont. Die Frage des Arbeitsschutzes blieb jedoch nicht auf einen einseitigen Transferkanal beschränkt. Die Weiter- und Rückverflechtung wird anhand einiger Einzel310 Vgl. Kleinschmidt u. a., Amerika aus deutscher Perspektive, hier: S. 89–100, insbesondere S. 96. Vgl. zum Interesse deutscher Arbeitsschutzakteure an den sozialen Beziehungen in den amerikanischen Betrieben für die 1950er Jahre auch Höniger, Labor Relations. 311 Kleinschmidt u. a., Amerika aus deutscher Perspektive, hier: S. 89. 312 F. Zemelka, „Amerika von mir gesehen“, in: Unser Profil (1954), Nr. 6, S. 196–202, hier: S. 200. 313 Vgl. TKA, TNO/2286, Diskussionsbeitrag in der Belegschaftsversammlung vom 24.6.1959. 314 Vgl. für die HOAG Besuch der Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabriken N. V. Ymuiden oder kleinere und größere englische Werke Appleby-Frodingham Steel Company/ Scunthorpe, Richard Thomas and Baldwins Ltd./Scunthorpe, Briggs Motor Bodies Ltd./Dagenham/Essex, British Thomson Houston Company Ltd./Rugby. TKA, TNO/3468, Bericht über Erfahrungen auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes gelegentlich des informatorischen Besuches in Holland und England vom 9. bis 19.12.1951. 315 TKA, TNO/3468, Bericht über Erfahrungen auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes vom 9. bis 19.12.1951, S. 2. Vgl. auch die Berichte von Bohr, Unfallverhütung in der englischen Eisenund Stahlindustrie; „England vor Deutschland. Ein Vergleich der Unfallzahlen“, in: Echo der Arbeit (1958), Nr. 7, S. 81; Unfallstatistische Vergleiche, 1959.

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beispiele deutlich. So verbrachte etwa ein englischer Sicherheitsingenieur (der Stahlgesellschaft Stewards & Lloyds) 1959 im Rahmen eines Austauschprogramms für Ingenieure einige Wochen im Oberhausener Werk. Dank der Kontakte Strohmengers hospitierte er auch in den Abteilungen für Arbeitsschutz in anderen Werke (etwa Rheinhausen).316 Im Rahmen der Koordination der englischen und deutschen Wirtschaftsvereinigungen Eisen und Stahl kamen 1959 zunächst zwei weitere Vertreter der Britisch Iron and Steel Federation und 1960 auch englische Parlamentarier nach Oberhausen, um sich über den dortigen Stand der Unfallverhütungsarbeit zu informieren:317 Sie berichteten im verbandseigenen Organ „Safety“ auch über die Schwerpunkte der Oberhausener Sicherheitsarbeit und empfahlen ihrerseits die Nachahmung des deutschen Systems der Unfallvertrauensmänner.318 Der zunehmend internationale Einfluss auf die deutsche Arbeitsschutzarbeit war demnach keinesfalls eine Einbahnstraße. Vielmehr wurde im Sinne einer Verflechtung auch die deutsche Sicherheitsarbeit im Ausland verstärkt rezipiert. So entwickelten sich die einzelnen Maßnahmen allmählich zu internationalen Standards. Dies bezog sich zunächst allein auf den betrieblichen und verbandlichen Austausch der Unfallverhütungserfahrungen, insbesondere über persönliche Netzwerke: Die daraus erwachsenen institutionalisierten Bestrebungen zu einer internationalen Harmonisierung des Arbeitsschutzes (etwa über die EGKS) setzten sich erst später endgültig durch. Insgesamt vermitteln die deutschen Reisenden neben der abstrakten Vorbildfunktion amerikanischer Wertvorstellungen betrieblicher Unfallverhütung auch vergleichsweise konkrete Maßnahmen der Arbeitsschutzorganisation und -werbung in die BRD.319 Dabei entwickelten die in den 1950er Jahren zwar in allen betrachteten Unternehmen eingesetzten, aber weiterhin noch nicht auf einer rechtlich verankerten Basis agierenden Sicherheitsingenieure auch in Bezug auf ihre eigene Professionalisierung und Legitimierung im Interesse der eigenen Sache. Die Reisenden beobachteten im Ausland eine grundsätzlich positivere Einstellung gegenüber den Fragen des Arbeitsschutzes, die sie sich auch für ihre eigene Arbeit und ihre betriebliche Legitimation wünschten. Sie sahen darin eine Chance, diese auch nach Deutschland zu transferieren.320 Die Reisegruppe um Zemelka und Steeg war insbesondere überrascht über das persönliche Interesse der amerikanischen Führungskräfte, die Verantwortung jedes Einzelnen wie auch des großen öffentlichen Interesses am Arbeits-

316 Vgl. TKA, TNO/2043, Schreiben Strohmenger an Zimbehl, 21.5.1959; „Ein Gast wundert sich“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 8, S. 88. 317 Vgl. „Der Sicherheit auf der Spur“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 11, S. 124; TKA, TNO/2276, Redemanuskript Strohmenger „engl. Parlamentarier“, 3.60; Besuch englischer Personalleiter am 6.5.1960. 318 Vgl. „What are they doing in Germany?“, gekürzte Fassung in: „Was Tut man in Deutschland?“, in: Echo der Arbeit (1960), Nr. 2/3, S. 30 f. 319 Vgl. u. a. MA, R 2.60.09, Bd. 1, Rundschreiben Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 3.8.1953, Anlage: Bemerkenswerte Beobachtungen während einer Reise durch die U. S. A. zum Studium der Sicherheit; Mintert, Deutsche Unfallverhütungsarbeit. 320 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130105, Vergleichende Studie über die Unfallsituation in der deutschen und amerikanischen Stahlindustrie, o. D. (ca. 1957), S. 13.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

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schutz, das sie als „Volkstümlichkeit des Sicherheitsgedankens“321 charakterisierten. Dort sei auch der Sicherheitsmann fest im Produktionsbetrieb etabliert und könne sich – im Gegensatz zu deutschen Verhältnissen, wie es scheint – auf die Zusammenarbeit mit Betriebsführern und Belegschaft als integrierter Partner verlassen, auch in Fragen präventiver Neubauplanungen und Betriebsneuerungen im Arbeitsprozess.322 Elemente dieser Entwicklung lassen sich in den folgenden Jahren in den Bemühungen um eine Professionalisierung der deutschen Sicherheitsingenieure etwa in der Gründung des VDSI oder der Etablierung einheitlicher Richtlinien zur Beschäftigung von Sicherheitsingenieuren, u. a. um die Akteure Hans Steeg und Franz Zemelka, wiederentdecken. 3.3.2.2 Formalisierung und Professionalisierung über die Fachverbände Die Sicherheitsingenieure der Eisen- und Stahlindustrie forcierten auch aus eigenem Interesse eine gesteigerte Akzeptanz ihrer Arbeit und bemühten sich um die rechtliche Fundierung ihrer Position. Zeichen bzw. Ergebnis der Legitimationsversuche ihres Berufsstandes ist ihr organisatorischer Zusammenschluss. Bereits im Sommer 1951 berichtete „Stahl und Eisen“ über die Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft der Sicherheitsingenieure“323. Ziel war es, die überbetriebliche Zusammenarbeit zu stärken. Dies belegt auch die These, dass die Organisation der Sicherheitsingenieure aus Vertretern der Eisen- und Stahlindustrie an der Ruhr ihren Anfang nahm.324 Hans Steeg (Sicherheitsingenieur in Huckingen) wurde als einer der Gründungsväter erster Vorsitzender. 1954 benannte sich die Arbeitsgemeinschaft in „Verein Deutscher Sicherheitsingenieure“ (VDSI) um.325 Motiv war hier vor allem der regelmäßige Austausch von Erfahrungen, um einheitliche Qualitätsstandards in der betrieblichen Sicherheitsarbeit zu gewährleisten. Die Einrichtung zentraler Arbeitskreise (u. a. Statistik, Körperschutz, Verkehrssicherheit, Maschinenschutz, Lärmbekämpfung, Werbung, Ausbildung in Arbeitssicherheit) führte in den folgenden Jahren zu einer institutionellen Bündelung und einem Transfer des bislang v. a. betrieblich basierten Know-hows. Problematisch gestaltete sich jedoch in den 1960er Jahren die personelle Besetzung der Arbeitskreise. So war die Zahl der hauptamtlichen Sicherheitsingenieure vor der Einfüh321 MA, R 2.60.09, Bd. 1, Rundschreiben Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 3.8.1953, Anlage: Bemerkenswerte Beobachtungen während einer Reise durch die U. S. A. zum Studium der Sicherheit, S. 8. 322 Vgl. ebenda, S. 1–3 und S. 5. Vgl. dazu auch Steeg, Betrieblicher Arbeitsschutz in Hüttenwerken. 323 Vgl. Zusammenschluß der Sicherheitsingenieure, 1951; Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheitsingenieure, 1951. 324 Vgl. ebenda; Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 237. 325 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Schreiben Düsseldorfer Regierungspräsident an den Arbeitsminister NRW, 2.3.1953, Bl. 181; Verband Deutscher Sicherheitsingenieure e. V., Festschrift, S. 12 und S. 61. Hans Steeg war bereits vor 1945 für den Unfallschutz in Huckingen zuständig gewesen. Vgl. MA, M 44.015, Gliederung der Heinrich-Bierwes-Hütte, ca. 1934–40.

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rung des Arbeitssicherheitsgesetzes (1973) noch beschränkt und offenbar stieß die Thematik, insbesondere in ihrer inhaltlichen Ausarbeitung und im Austausch der Unternehmen und Branchen außerhalb der Eisen- und Stahlindustrie, auf ein eher geringes Interesse. Trotzdem rief der VDSI wiederholt zu verstärkter Mitarbeit auf, „[…] um wirklich eine Zusammenfassung verschiedenartiger Erfahrungen und Sachkenntnisse zu ermöglichen.“326 Die zunehmende Publikationstätigkeit durch regelmäßige Mitteilungen in den Aufklärungsblättern für Arbeitsschutz („Sicher ist sicher“), dem „Zentralblatt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz“, den „Nachrichten des VDI“, im Fachteil Arbeitsschutz des „Bundesarbeitsblattes“ oder auch in der Tagespresse förderten die Verbreitung der Erkenntnisse sowie eine zunehmende öffentliche Wahrnehmung des Interessenverbandes.327 Gleichzeitig fungierte der VDSI als Sachverständigenvertretung, etwa für die Gewerbeaufsicht oder in der 1961 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Arbeitssicherheit beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.328 Auch die Vertreter der Gewerbeaufsicht begrüßten den Zusammenschluss. Der Regierungspräsident von Arnsberg äußerte die Hoffnung auf einen erweiterten Erfahrungsaustausch und Ausstrahlungskraft, sodass gerade auch die mittleren und kleinen Unternehmen von diesem Know-how-Transfer profitieren könnten.329 Der VDSI etablierte sich rasch im Kreise der Fachverbände und bereits 1953 formalisierte sich auch eine übergreifende Zusammenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsschutz, der Werksärztlichen Arbeitsgemeinschaft, der Arbeitsgemeinschaft der Staatlichen Gewerbeärzte, der Bundesbahnärzte und des VDI über eine gemeinsame Arbeitsschutztagung, die zunächst 1953 in Bad Homburg abgehalten wurde.330 Sie fand 1954 erstmals in Düsseldorf statt und bildet noch heute im Turnus von zwei Jahren als A+A („Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“) eines der zentralen Foren für die Vertreter des Arbeitsschutzes in Deutschland.331 Zu den ersten Referenten zählten im Jahr 1954 auch einige Vertreter der Eisen- und Stahlindustrie wie Heinz Heidberg als Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Arbeitsdirektor Adolf Jungbluth von der Hüttenwerk Salzgitter AG sowie die beiden Sicherheitsingenieure Hubert Powischill und Walter von der HOAG bzw. vom Gußstahlwerk Bochumer Verein.332 Mit dem Verband war es nach Einschätzung von Sicherheitsingenieur Matern (ATH) in der Rückschau gelungen, den 326 VSI-Arbeitskreise rufen zur Mitarbeit auf, 1966, hier: S. 292. 327 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/1, VDSI-Bericht Jahreshauptversammlung 1961. 328 Vgl. ebenda, S. 3 und S. 13. Vgl. hierzu die Anhörung im Arbeitskreis der Sozialpolitik der SPD im Bundestag am 12.12.1962 zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz, TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/2, Niederschrift Sitzung der Fachvereinigung Arbeitssicherheit, 13.2.1962, S. 5 f.; ausführlich BAK, B 149–10425, Bd. 1, Arbeitsgemeinschaft für Arbeitssicherheit, 1955–1963; B 149–10510, Arbeitsgemeinschaft für Sicherheitsfragen, 1960–1962. 329 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Schreiben Regierungspräsident Arnsberg an den Arbeitsminister NRW, 29.11.1952, Bl. 183. 330 Vgl. Tagung für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz, 1953; Gesellschaft für Arbeitsschutz e. V., 50 Jahre, S. 47 f. 331 Vgl. Verband Deutscher Sicherheitsingenieure e. V., Festschrift, S. 12. 332 Vgl. AHCE, CEAB 11/1606, Programmheft: Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 18.–20.11.1954 in Düsseldorf, Bl. 30 f.

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„Konkurrenzgedanken“333 in Arbeitsschutzfragen abzulegen und zu einer Senkung der Unfallzahlen beizutragen. Unmittelbares Anliegen des Zusammenschlusses war den Akteuren auch die grundsätzliche Definition und Festlegung der Arbeitsbereiche für die betrieblichen Sicherheitsingenieure. Lange vor einer endgültigen gesetzlichen Regelung mit dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) von 1973 hatte es verschiedene Regulierungsansätze über den Einsatz betrieblicher Sicherheitsorgane gegeben. Bereits 1948 hatte das Arbeitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eine Richtlinie über den Einsatz von Sicherheitsingenieuren (für Betriebe über 500 Mitarbeiter) und betrieblicher Sicherheitsausschüsse erlassen.334 Über ihre Erfahrungswerte in der traditionellen Beschäftigung von Sicherheitsingenieuren knüpften die Akteure der Eisenund Stahlindustrie hier rasch an. Einerseits können die folgenden Bemühungen um eine einheitliche Regelung der betrieblichen Sicherheitsorganisation als eine Spielart des vorauseilenden Gehorsams gedeutet werden. Hierbei ging es den Branchenvertretern offenbar darum, einen zunehmenden legislativen Handlungsdruck strategisch über eigene Richtlinien abzufedern und umfassende staatliche Regulierungen außerhalb der unternehmerischen Kontrolle zu verhindern. Andererseits darf jedoch auch die schon seit mehreren Jahrzehnten erprobte Praxis der Sicherheitsorganisation nicht außer Acht gelassen werden. Insbesondere aus unternehmensinternen Beweggründen hatte sich eine umfassende und professionalisierte Sicherheitsarbeit aus sozialen und ökonomischen Motiven längst bewährt. Die Unternehmensvertreter der Eisen- und Stahlindustrie nutzten ihren Einfluss beim VDSI sowie die starke politische Stellung ihrer Wirtschaftsvereinigung für eine einheitliche Regelung. Insbesondere die unklare rechtliche Stellung der Sicherheitsfachkräfte und ihre Verantwortung für den Arbeitsschutz im Namen der Unternehmensleitung konnten nun verbindlich festgelegt werden. Auch die drängenden Fragen der Ausbildung dieser noch ungeschützten Berufsgruppe sollten auch auf höherer, staatlicher Ebene zu Gehör gebracht werden. Eine freiwillige Richtlinie konnte den bereits praktizierten Sicherheitsstandard zu einem allgemein anerkannten Standard erheben. Der VDSI entwarf 1956 eine Richtlinie, die als „Richtlinien für die Tätigkeit der Sicherheits-Ingenieure“ sowohl Aufgabenbereiche, persönliche und fachliche Voraussetzungen als auch die Stellung des Sicherheitsingenieurs im Betrieb mit

333 „Ordnung ist das ganze Leben. So lautet das Motto des Arbeitsschutzes im Werk Ruhrort und im Hüttenbetrieb. Arbeitsschutz-Abteilung besteht seit 20 Jahren“, in: Unsere ATH (1967), Nr. 2/3, S. 19 f., hier S. 20. 334 Weitere Vorlagen waren die Empfehlungen des Eisen- und Stahlausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation über die Einrichtung von Arbeitsschutzstellen und paritätischen Arbeitsschutzausschüssen sowie die Anordnung über die Einrichtung betrieblicher Sicherheitsgremien und der Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Arbeitsschutz in Berlin, beide aus dem Jahr 1946, vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Entwurf „Allgemeine Richtlinien für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberuflichen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘ in den Unternehmen der Eisenund Stahlindustrie“, 23.1.1957, Bl. 20; „Richtlinie für die Arbeitssicherheit“ 1958; Hauptamt für Arbeitsschutz, Bericht 1945 bis 1946, Anlage 8, S. 54; Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 237.

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„unmittelbare[r] Verbindung zur Unternehmensleitung oder ihrer Vertretung“335 erstmals definierte. Im Interesse der Sicherheitsingenieure lag auch, die eigene (rechtliche) Position legislativ abzusichern sowie die Profession innerhalb der betrieblichen Praxis und Hierarchie gestärkt zu wissen. Auch die Berufsgenossenschaften unterstützten diese Bestrebungen zu einer branchenübergreifenden Stärkung betrieblicher Sicherheitsfachkräfte und einem institutionalisierten Einsatz von Arbeitsschutzkommissionen in den Betrieben. Die Branchengenossenschaft der Chemischen Industrie veröffentlichte 1955 ein „Merkblatt für den Sicherheitsingenieur bzw. Sicherheitsbeauftragten“. Auch der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften förderte „die Ausarbeitung einer Unfallverhütungsvorschrift über Sicherheitsorgane“336. Nach Lutz Wienhold forcierte insbesondere die Zentralstelle für Unfallverhütung (ZefU) eine übergreifende Regelung, um die öffentlichen Kontrollstellen durch zuverlässige innerbetriebliche Organe zu entlasten. Diese Überlegungen erinnern an das in der Eisen- und Stahlindustrie forcierte „Modell der Selbstüberwachung“337 in der Zwischenkriegszeit. Die Bemühungen scheiterten jedoch an der Ablehnung der Arbeitgeberverbände. Es verwundert nicht, dass die Entwürfe insbesondere aus den Reihen der Eisen- und Stahlindustrie vorgebracht wurden, wo die Strukturen zu diesem Zeitpunkt bereits besonders ausgeprägt waren. Zugleich blieb daher jedoch ihre branchenübergreifende Reichweite, gerade auch in Verhandlungen mit den Sozialpartnern, gering.338 So hatte Hans Steeg (Huckingen) zeitgleich und in Personalunion mit den Bemühungen im VDSI eine brancheninterne Richtlinie bei der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie in Kooperation mit dem Arbeits- und Sozialministerium NRW unterstützt. In der Folge zog sie jedoch noch deutlich weitere Kreise. Die Sicherheitsingenieure der Eisen- und Stahlindustrie leisteten dazu den entscheidenden inhaltlichen wie auch personellen Beitrag: Zemelka (Rheinhausen) war an den Entwürfen beteiligt und die Erfahrungen der beiden Sicherheitsingenieure aus ihrer gemeinsamen USA-Reise (1953) spiegelten sich nun in diesem neuen Vorhaben zur Aufwertung betrieblicher Sicherheitsarbeit zwischen Sicherheitsingenieuren und Wirtschaftsvereinigung wider.339 Organisatorisch verbanden sie in dieser Funktion die professionellen Anliegen der Sicherheitsingenieure mit den spezifischen Interessen ihrer Branche und der Unternehmen. Dabei hatten die öffentlichen Vertreter bei einem Treffen betont, die Tätigkeit der Sicherheitsingenieure weiterhin keiner

335 LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Entwurf „Richtlinien für die Tätigkeit der Sicherheitsingenieure“ des VDSI, Anlage Schreiben Regierungspräsident Münster an den Arbeitsminister NRW, 27.11.1956, Bl. 176–178. 336 Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 238. 337 Kleinschmidt, Rationalisierung, S. 286. 338 Vgl. Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 237–239. 339 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Verschiedene Entwürfe und Druck der „Richtlinien für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberuflichen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘ in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie“, Wirtschaftsvereinigung, 1.1.1957, Bl. 44–47; Einladung der Wirtschaftsvereinigung zu Sitzungen des Arbeitskreises „Unfallverhütungsvorschrift Sicherheitsorgane“, 21.1.1956, Bl. 130 f.

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grundsätzlichen Pflicht unterwerfen zu wollen. Vielmehr wurde an die Selbstverpflichtung der Unternehmen appelliert, zunächst nach eigenen Lösungsansätzen zu suchen. Dem wollte die Wirtschaftsvereinigung unbedingt nachkommen.340 Sie nutzte durch den Entwurf dieser neuen „Richtlinie für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberuflichen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘ in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie“341 die strategische Möglichkeit, die Rahmenbedingungen der betrieblichen Sicherheitsorganisation nach eigenen Maßgaben zu gestalten. Bei der Erarbeitung stützte sie sich auf die bereits etablierten Arbeitskreise und Gremien, die um den Arbeitskreis „Unfallverhütungsvorschrift Sicherheitsorgane“ ergänzt wurden. Federführend war der 1949 eingerichtete „Ausschuss für Sozialwirtschaft“, dessen Arbeit durch einen Fachausschuss „Gesundheits- und Arbeitsschutz“ bzw. Fachausschuss „Arbeitssicherheit, -medizin und -psychologie“ (ab 1958) konkretisiert wurde.342 Die unterschiedlichen Ausschüsse strebten eine Vereinheitlichung der Schutzausrüstungen innerhalb der Branche an, die seit den 1960er Jahren durch die Erarbeitung von Merkblättern für den Körperschutz standardisiert wurden.343 Auch Richtlinien zu Fragen des Arbeitsschutzes in der Ausbildung oder ein Unfallursachenkatalog wurden erarbeitet.344 Regelmäßige Teilnehmer dieser Ausschüsse waren Werksvertreter aus Huckingen, Rheinhausen, Oberhausen und Dortmund.345 Diese Akteure waren auch an den Beratungen zur neuen Richtlinie der Sicherheitsbeauftragten beteiligt.346 Betrachtet man die beiden Richtlinien der Wirtschaftsvereinigung und des VDSI im Vergleich und im zeitlichen Verlauf, so waren die Rahmenbedingungen zu Arbeitsbereich und Definition der Sicherheitsfachkräfte stark verallgemeinert worden. Neu hingegen war der Einbezug der Arbeitnehmer über einen Hauptausschuss Arbeitssicherheit, der in den ersten Entwürfen der Sicherheitsingenieure (VDSI) noch nicht vorgesehen gewesen war.347 Sie beinhalteten beide die deutli340 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Interner Bericht Abteilung Gewerbeaufsicht beim MAGS NRW, 8.7.1953, Bl. 162. 341 LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, „Richtlinien für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberuflichen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘ in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie“, Wirtschaftsvereinigung, 1.1.1957. 342 Vgl. Lauschke, Die halbe Macht, S. 69. Vgl. ausführlich Die Tätigkeit des Ausschusses für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 1958, hier: S. 767 f.; 1959, hier: S. 961; 1960, hier: S. 843 f. 343 Vgl. „Rationalisierung, 1959; Die sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1963, hier: S. 620. 344 Vgl. Die Tätigkeit des Ausschusses für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung, 1959, hier: S. 961; Die sozialwirtschaftliche Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung, 1961, hier: S. 838 f. 345 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Schreiben Wirtschaftsvereinigung an Fachausschuss „Gesundheits- und Arbeitsschutz“, 19.2.1957, Bl. 18. 346 Vgl. u. a. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Schreiben Wirtschaftsvereinigung, 30.10.1956, Bl. 81; 15.1.1957, Bl. 59; 19.2.1957, Bl. 18. 347 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/ Sozialwirtschaft: „Richtlinien für den Einsatz und die Tätigkeit von haupt- und nebenberufli-

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che Aufwertung betrieblicher Sicherheitsarbeit und der Sicherheitsingenieure im Betrieb, die die Ingenieure Steeg und Zemelka in den USA erstaunt hatte und die nun in eigenen Richtlinien auch für die bundesrepublikanische Eisen- und Stahlindustrie umgesetzt wurden. Inhaltlich blieb sie zunächst auf die engeren Grenzen der Branche begrenzt, fand jedoch auch eine gewisse Verbreitung bei der Gewerbeaufsicht und den Berufsgenossenschaften, über die sie auch in andere Branchen vordrang.348 Die Vertreter des Arbeitsministeriums NRW waren mit dem Ergebnis einer verstärkten betrieblichen Sicherheitsarbeit zufrieden und leiteten die Richtlinie mit Vorbildcharakter an das Bundesministerium für Arbeit nach Bonn weiter.349 Dort fiel die Richtlinie, eine der ersten ihrer Art, auf fruchtbaren Boden. Im Kern fußte die Zusammenarbeit von Seiten der Eisen- und Stahlindustrie auf dem Beziehungsdreieck zwischen Hans Steeg (Huckingen, VDSI), Franz Zemelka (Rheinhausen, u. a. durch die gemeinsame USA-Reise als unternehmensübergreifender Relation) und der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Heinz Heidberg). Die Wirtschaftsvereinigung hatte im Austausch mit dem Arbeitsministerium in NRW eine derartige Richtlinie angestoßen. Deren Vertreter arbeiteten nun auch selbst daran und leiteten sie nach ihrer Fertigstellung an andere Branchen und bis in die politische Bundesebene weiter. Die Wirtschaftsvereinigung bündelte die unterschiedlichen Initiativen nun in einem in Abb. 9 dargestellten gemeinsamen Arbeitskreis „Unfallverhütungsvorschrift Sicherheitsorgane“ (Steeg, Zemelka, Heidberg und zwei Vertreter des Arbeits- und Sozialministeriums NRW), dessen Federführung im eigenen Hause lag.350 Dadurch erlangte Netzwerk eine instrumentelle Funktion, tauschte zielgerichtete Informationen aus und vertrat zugleich die Interessen der einzelnen Akteure. Materielles Ergebnis dieser Relationen war die verabschiedete Richtlinie. Auf der Bundesebene gewann sie bei den Verhandlungen zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (1963) sowie zum Arbeitssicherheitsgesetz (1973) eine besondere Aufwertung. Auf europäischer Ebene wurde die neue Richtlinie von Heidberg (Wirtschaftsvereinigung) an die Hohe Behörde der EGKS übermittelt und dort zur weiteren Verbreitung gebracht. Sie fand Eingang in die internationalen Auseinandersetzungen über die ungeklärte Stellung der Sicherheitsingenieure in der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation.351

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chen Sicherheitsbeauftragten und die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘ in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie“,1.1.1957, Bl. 47. Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Interner Vermerk Abteilung Gewerbeaufsicht beim MAGS NRW, 14.5.1957, Bl. 7; Abdruck im Bundesarbeitsblatt: Sicherheitsbeauftragte und Hauptausschuß „Arbeitssicherheit“, 1957. Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Schreiben Arbeitsminister NRW an den Bundesminister für Arbeit, 21.5.1957, Bl. 6. Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 461, Arbeitskreis „Unfallverhütungsvorschrift Sicherheitsorgane“: Entwurf „Allgemeine Richtlinien für den Einsatz von haupt- und nebenberuflichen Fachkräften für Arbeitssicherheit und für die Einrichtung eines Hauptausschusses ‚Arbeitssicherheit‘“. Vgl. AHCE, CEAB 11/1441, Schreiben EGKS/Hohe Behörde an die Wirtschaftsvereinigung, 18.3.1959, Bl. 62.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz VDSI

Steeg

Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie

Arbeitskreis „Unfallverhütungsvorschrift Sicherheitsorgane“

Zemelka

Arbeitsministerium NRW Bundesebene/ -politik

143

Ausschuss für Sozialwirtschaft/ Fachausschüsse „Gesundheits- und Arbeitsschutz“ und „Arbeitssicherheit, -medizin und -psychologie“

EGKS

Abb. 9: Entstehungszusammenhang der Richtlinie für den Einsatz von Sicherheitsingenieuren und die Einrichtung eines Hauptausschusses „Arbeitssicherheit“ der Wirtschaftsvereinigung Eisenund Stahlindustrie, 1957 (schematische Darstellung) Quelle: Eigene Darstellung.

Im Ergebnis wurde die Position der Sicherheitsingenieure der Eisen- und Stahlindustrie deutlich professionalisiert und war nun auch formell durch eine Richtlinie verankert. Die betrieblichen Akteuren hatten durch ihre Erfahrungswerte und Positionen eine strategische Absicherung ihrer eigenen (Führungs-) Tätigkeit verankert und sicherten sich – auch als Vertreter ihrer Unternehmen – damit einen wesentlichen Einfluss auf den Umfang und die Grenzen dieser neuen Regelungen. Ihre Anwendung blieb jedoch bis in die 1960er Jahre nach der Feststellung des VDSI für die bundesrepublikanische Gewerbelandschaft zunächst singulär.352 Die starke Vernetzung und die Konsensmöglichkeit hatte beim VDSI zwar im Interesse der Sicherheitsingenieure eine allgemeine Richtlinie geschaffen, ihre branchenübergreifende Verbreitung blieb jedoch gering. Dies gelang erst durch den starken Branchenverband der Eisenund Stahlindustrie, der über entsprechende Durchsetzungsgremien wie auch ein traditionelles Interesse an der Thematik verfügte. Das besondere Unfallrisiko der Branche wie auch die Position der Arbeitsdirektoren als Fürsprecher der Arbeitsgestaltung dürften dazu beigetragen haben.353 Die Zurückhaltung der anderen Unternehmen war dagegen im weiteren Verlauf ein wiederkehrendes Argument, um von politischer Seite auf eine übergreifende gesetzliche Regelung zu drängen. Nach dem Vorbild der Eisen- und Stahlindustrie wurde da Arbeitssicherheitsgesetz (1973) verabschiedet. Problematisch war beim praktischen Ausbau der Tätigkeit von Sicherheitsfachkräften weniger der grundsätzliche Wille als vielmehr die Verfügbarkeit entsprechender Fachkräfte nach der Maßgabe der Richtlinie. Neben den internen personellen Nachfolge- und Ablöselinien wird auch ein gewisses „Personalkarussel“ als 352 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/1, Niederschrift Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes VDSI, 24.4.1962, S. 3. Vgl. auch Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 239. 353 Vgl. Kapitel 3.5.2. Über ähnliche Bemühungen zur selbstverpflichtenden Regulierung der Sicherheitsorganisation ist bislang aus anderen Branchen wenig bekannt und müsste in gesonderten und vergleichenden Studien von der Forschung noch einmal aufgegriffen werden.

144

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Indikator der Verflechtung zwischen den Unternehmen erkennbar: So wechselte Helmut Karl als Leiter der HWBG-Schulungsstätte zur Westfalenhütte und stieg dort 1967 zum Leiter der Hauptabteilung der Hüttenwerke auf.354 Der Oberhausener Sicherheitsingenieur Rudolf Marks hingegen kam 1961 zu Jungbluth nach Salzgitter, um später als Sicherheitsingenieur der ATH ins Ruhrgebiet zurückzukehren.355 Dabei scheint diese „Fluktuation bei [den] Sicherheitsingenieuren und -assistenten“356 im Laufe der 1960er Jahre noch größere Ausmaße angenommen zu haben, als im Einzelfall zu rekonstruieren ist.357 So äußerte sich der Oberhausener Arbeitsdirektor Strohmenger gegenüber dem Aufsichtsrat besorgt über die Abwerbung der eigenen Fachkräfte und die Gefahr, „[…] daß die Abteilung Arbeitssicherheit der HOAG zur Ausbildungsstätte für qualifizierte Sicherheitsingenieure wird.“358 Strohmengers Kommentar offenbart auch eine gewisse Asymmetrie in den Arbeitsschutzbeziehungen. Die anderen Unternehmen profitierten zunehmend vom Informationsvorsprung der HOAG in Unfallschutzfragen, der über die Person des abwandernden Sicherheitsingenieurs transferiert wurde. Sie zeigt damit auch die Funktionsgrenzen des betrieblichen Arbeitsschutznetzwerks auf. Die Transaktionen gerieten in der Frage der ausgebildeten Fachkräfte zu einem Konkurrenzkampf. Insbesondere die Ausbildung der Fachkräfte erwies sich als Indikator einer entsprechenden Professionalisierung. So engagierte sich die Berufsgenossenschaft (HWBG) seit Beginn der 1950er Jahre neben der Bereitstellung allgemeiner Informationsmaterialien auch in der theoretischen und praktischen Ausbildung von Sicherheitsfachleuten in einer eigenen Schulungsstätte.359 Die Einrichtung schloss sich an die Berufsschule der Eisenwerke Gelsenkirchen AG an. Bereits 1957 konnte die Schulung von Unfallvertrauensmännern, Meistern und Betriebsleitern unter der Leitung von Helmut Karl aufgenommen werden.360 Die Belegungszahlen spiegeln den großen Bedarf fachlicher Ausbildung wider: Die Kurse waren bereits zwei Jahre im Voraus belegt.361 Die Unternehmen fungierten dabei als Quelle des in der Schulungsstätte vermittelten Know-hows. Die Vortragstätigkeit erfolgte wesentlich durch die Vertreter 354 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Schreiben Vorstand Hoesch AG an die Direktorien, Vorstände und Geschäftsführungen der Werke und Gesellschaften, 10.7.1967. 355 Vgl. TKA, TNO/2045, Schreiben Strohmenger an Jungbluth, 3.10.1962; TKA, A/5881, Schreiben Sicherheitsingenieure Marks und Matern an Hüttendirektor Doese, 4.3.1971. 356 TKA, TNO/5751, Mündliche Ausführungen zum Aufsichtsratsbericht, 4.7.1965, S. 3. 357 Auch der Oberhausener Ingenieur Powischill wechselte nach Peine (Ilseder Hütte), vgl. Powischill, Erfahrungen und ihre Nutzanwendungen. 358 TKA, TNO/5751, Mündliche Ausführungen zum Aufsichtsratsbericht, 4.7.1965, S. 3 f. 359 Vgl. „Eisenhüttenmann, schütze dich!“, in: Mitteilungsblatt (Westfalenhütte) (1950), Nr. 6, S. 14; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4996, Mitteilungen des technischen Aufsichtsdienstes Nr. 1, 1959, S.1. Vgl. auch Verweis auf das Schulungsheim in Ober-Eichen für Unfallvertrauensleute: Kein Betrieb ohne Unfallvertrauensleute, 1956; Unfallverhütung kann gelehrt werden, 1957; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4994, Niederschriften Vorstandssitzungen HWBG, 25.6.1954, S. 10, und 6.12.1954, S. 5; DHHU/4995, Niederschrift Vorstandssitzung HBWG, 19.4.1956, S. 6–8. 360 Vgl. HWBG, Verwaltungsberichte 1956, S. 2 und 1957, S. 3; HWBG, Technischer Bericht 1957, S. 11 f.; HWBG, 100 Jahre Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft, S. 34. 361 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1957, S. 12.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

145

der Unternehmen – so waren beispielsweise 1958 mehr als 30 Referenten in der Schulungsstätte nebenamtlich tätig. Hinzu kam ein reger Erfahrungsaustausch der Lehrgangsteilnehmer untereinander.362 Der Aufbau der Lehrmittelsammlung basierte auf Leihgaben und Schenkungen aus den Unternehmen.363 Im Gegenzug zeugt auch der personelle Austausch von einem Transfer. So warb die Westfalenhütte den Leiter der Schulungsstätte, Helmut Karl, als neuen Leiter der Arbeitsschutzabteilung im Jahr 1960 ab.364 Aufgrund der fehlenden übergreifenden Strukturen beschloss die Branche die Vernetzung des eigenen, in der Praxis erworbenen Know-hows in einer institutionalisierten Schulungsstätte. 3.3.3 Europäisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes über die EGKS Die Professionalisierung der betrieblichen Arbeitsschutzakteure war teilweise eng mit einer internationalen Ausweitung ihrer Tätigkeit in den Gremien- und Forschungsprojekten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) verbunden. Diese zeichnete sich durch einen hohen Praxisbezug als branchenspezifische Organisation aus, in die sich die Unternehmen aktiv einbrachten. Grundsätzlich war der Arbeitsschutz von Beginn an im Aufgabenkatalog der Gemeinschaft verankert, die nach Artikel 55 neben technischer und wirtschaftlicher Forschung auch die Steigerung der Betriebssicherheit verfolgte.365 International besetzte Ausschüsse befassten sich auch mit der Einleitung einer umfassenden europäischen Gemeinschaftsforschung in der Frage des Arbeitsschutzes. Seit Ende der 1950er Jahre wurden zur Umsetzung dieses Zieles erste Programme durchgeführt. Sie dienten insbesondere dem Erfahrungsaustausch zwischen wissenschaftlichen Institutionen, einzelnen Forschungsförderungen sowie einer systematisierten Publikation und Verbreitung der Erkenntnisse, um die bisherigen nationalen Bemühungen gezielt zu vernetzen.366 Hierzu zählte etwa die Gründung von Zentralstellen für die Dokumentation, die Einrichtung eines allgemeinen Forschungsausschusses für Arbeitshygiene und Arbeitsmedizin (1954) sowie auch eines Ausschusses für Arbeitssicherheit im gemeinsamen Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer. Dieser beschränkte sich jedoch zunächst auf Fragen der Ar362 Vgl. TKA, TNO/3468, Skript Strohmenger: „Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?“, o. D., S. 12. 363 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1958, S. 18 und S. 20. 364 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5001, Schreiben HWBG an Elshoff, 15.7. und 31.12.1960; „Dr. Helmut Karl“, in: Westfalenhütte, (1960), Nr. 10, S. 367. 365 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Besonderer Bericht über die Errichtung eines gemeinsamen Marktes für Stahl. Ergänzung zum Gesamtbericht der Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1953, S. 51; im Original: „Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“, 18.4.1951, Artikel 55, online verfügbar, URL: (17.05.2013). 366 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Besonderer Bericht über die Errichtung eines gemeinsamen Marktes für Stahl. Ergänzung zum Gesamtbericht der Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1953, S. 51 f.; dies., Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1954, S. 185 f.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

beitsmedizin und Arbeitshygiene und beschäftigte sich erst mittelfristig mit Fragen der Arbeitssicherheit.367 Dabei wurde eine besondere Praxisnähe gewahrt, indem die Kommission der Produzenten und Arbeitnehmer dem vornehmlich wissenschaftlich besetzten Forschungsausschuss Hinweise und Informationen aus der Praxis vermittelte und dadurch die Forschungsrichtung aktiv gestaltete.368 In diesem ersten Ausschuss sicherten sich auch die deutschen Unternehmen eine mitgestaltende Position, indem Willi Wagner (Stahlwerke Bochum AG) als Vorsitzender des Ausschusses Gesundheits- und Arbeitsschutz der Wirtschaftsvereinigung als betrieblicher Experte für Arbeitsschutzfragen entsandt wurde.369 3.3.3.1 Gremienarbeit und Forschungsprogramme bei der EGKS Grundsätzlich gliederte sich die Gremienarbeit der EGKS in Arbeitsschutzfragen in zwei Bereiche: Zum einen wurden Fach- und Forschungsausschüsse z. B. zu „Arbeitshygiene und Arbeitsmedizin“ und im weiteren Verlauf zu den einzelnen Forschungsprogrammen wie dem Ausschuss „Menschliche Faktoren – Arbeitssicherheit“ eingerichtet, die mit Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft besetzt waren und an der Schnittstelle betrieblicher Arbeit und internationaler Forschung arbeiteten.370 Hinzu kamen die Arbeitsausschüsse der Produzenten und Arbeitnehmer, deren Arbeit durch jeweils eigene Unterausschüsse zur Arbeitssicherheit im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie (ab 1958) konkretisiert wurde und die in einem engen Austausch mit den Forschungsausschüssen standen.371 Die Arbeitsschwerpunkte weiteten sich über den Bergbau mit ersten Forschungsprogrammen und den drängenden Fragen im Bereich der Berufskrankheiten zu Silikose, Kohlenoxydvergiftungen, Hitzearbeit und Lärmbekämpfung auf die Betriebssicherheit aus und erfassten auch spezielle Fragestellungen der Eisen- und Stahlindustrie.372 Ab 1959 wurden erste systematische Programme zur „Arbeitshygiene und Arbeitsmedizin“ sowie zur „Arbeitshygiene und Arbeitssicherheit“373 durchgeführt, die ausdrücklich die Eisen- und Stahlbetriebe in den Blick nahmen. Wie Abb. 24 367 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1955, S. 199 f. 368 Vgl. AHCE, CEAB 11/1393, Schreiben EGKS/Hohe Behörde an Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, 4.4.1955, Bl. 35. 369 Vgl. AHCE, CEAB 11/1393, Schreiben Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie an EGKS/Hohe Behörde, 30.4.1955, Bl. 106. 370 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1955, S. 199; dies., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, S. 149–182. 371 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht EGKS, Hohe Behörde, Abteilung Arbeitsschutzfragen, 7.7.1958. 372 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Vierter und Fünfter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1956 und 1957, S. 248–251 und S. 236–239; Sechster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Band 2. Die Wirtschaftliche und soziale Lage der Gemeinschaft und die Tätigkeit der Hohen Behörde, Luxemburg 1958, S. 285 f. 373 Vgl. EGKS/Hohe Behörde, Siebenter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Luxemburg 1959, S. 308; Das Portrait, 1964, hier: S. 92.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

147

Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin

Unterausschuss Arbeitssicherheit im Bergbau

Unterausschuss Arbeitssicherheit in der Eisenund Stahlindustrie (1958)

Allgemeiner Ausschuss für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie (1964/65)

Abb. 10: Ausschusswesen der Arbeitssicherheit bei der EGKS, ca. 1954–1965 (schematische Darstellung, Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung.

(im Anhang) zeigt, gliederten sich die ersten Forschungsprojekte organisatorisch in das zentrale Rahmenprogramm zu „Menschliche[n] Faktoren und Arbeitssicherheit“ (1957 bzw. 1964) ein. Dieses wurde in den Ausschüssen der EGKS entwickelt und koordiniert und in Teilprojekten umgesetzt. Die Ergebnisse wurden durch einen regelmäßigen Austausch untereinander sowie einen ausführlichen Abschlussbericht (u. a. unter Beteiligung des Sachverständigen Otto Neuloh von der mit der Eisen- und Stahlindustrie eng verbundenen Sozialforschungsstelle Dortmund und dem Oberhausener Sicherheitsingenieur Gustav Hoppe) auch über die Projektgrenzen hinaus zugänglich gemacht. Hinzu kam die Gemeinschaftsforschung „Arbeitssicherheit“, die in elf Bergbau-, Eisen- und Stahlunternehmen die Frage der Entstehung von Unfällen untersuchte.374 Ihre Ergebnisse wurden in einem zweiten Rahmenprogramm „Menschliche Faktoren und Arbeitssicherheit“ ab 1964/65 erneut aufgegriffen und vertieft.375 Erstes sichtbares Zeichen einer eigenständigen Arbeitsschutzarbeit des Eisenund Stahlbereichs bei der EGKS war die Gründung des eigenständigen „Unterausschusses Eisen- und Stahlindustrie“ für Arbeitssicherheit in Abb. 10 bei den Produzenten und Arbeitnehmern im Juli 1958.376 374 Vgl. EGKS, Menschliche Faktoren und Arbeitssicherheit. Dokumentarische Studie, S. 5–7; dies. u. a., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, S. 5–8; dies. u. a., Gemeinschaftsforschung Eisenerzbergbau. 3/7 (Düker), S. I–III, Dokument online verfügbar, URL: (17.05.2013). 375 Vgl. EGKS u. a., Gemeinschaftsforschung Eisenerzbergbau. 3/7 (Düker), S. II, Dokument online verfügbar, URL: (17.05.2013). 376 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht der EGKS, Hohe Behörde, Abteilung Arbeitsschutzfragen, 7.7.1958; AHCE, CEAB 11/1394, Schreiben EGKS/Hohe Behörde, 20.5.1958, Bl. 174; CEAB 11/1440, Schreiben EGKS/Hohe Behörde/Abteilung für Arbeitsfragen, o. D., Bl. 9.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

Auch hier brachte sich die deutsche Eisen- und Stahlindustrie in Stellung. Die entsandten Mitglieder im Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer wie auch im Unterausschuss der Eisen- und Stahlindustrie stellten insbesondere die für diesen Bereich zuständigen Arbeitsdirektoren der großen Branchenvertreter: Vertreter aus Deutschland waren u. a. die Vorstandsmitglieder Karl Harzig (Huckingen) und Willi Wagner (Stahlwerke Bochum AG), Heinz-Siegfried Heidberg als Vertreter der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie sowie Walter Hölkeskamp und Willy Michels als Vertreter der IG Metall auf der Arbeitnehmerseite.377 Später kamen Vertreter wie Wilhelm Zimbehl (ab 1962 als Nachfolger von Willi Wagner) und Kurt Doese (ab 1968) vom Hüttenwerk Rheinhausen bzw. der ATH sowie Wilhelm Henne als Arbeitsdirektor des Hüttenwerkes Huckingen (1974) hinzu.378 Aufgabe der Ausschüsse war es, als Expertengremien aus der Praxis regelmäßige Berichte und Informationen an den parlamentarischen Ausschuss zu geben. Im Sinne der europäischen Harmonisierung und des Gemeinschaftsgedankens sollten nun erstmals Unfallstatistiken der Mitgliedsstaaten zusammengeführt und eine gemeinsame Arbeitsgrundlage für einen gemeinsamen europäischen Arbeitsschutz geschaffen werden.379 Zentrale Motive waren nicht nur gemeinsame Sicherheitsideale, sondern in erster Linie auch die Angleichung von Wettbewerbsstrukturen, wie sie etwa in der Debatte um einheitliche Schutzvorschriften für Maschinen zutage trat.380 Insgesamt nahm der Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitsmedizin und Betriebssicherheit bei der Institutionalisierung der Arbeitsschutzforschung bei der EGKS eine zentrale Rolle ein. Er drängte bereits im Frühjahr 1958 auf eine Neuordnung sowie eine stärkere Koordinierung und Schwerpunktsetzung bisheriger Forschungsprogramme, aufgrund der Notwendigkeit zur Schaffung einer einheitlichen Arbeits- und Vergleichsebene, um langfristig den 1957 vom Ministerrat der Hohen Behörde gefassten Beschluss über vierjährige Forschungen zum Arbeitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie umsetzen zu können.381 Die internationalen Bestrebungen griffen gezielt auf bestehende Arbeitsschutznetzwerke in den einzelnen Mitgliedstaaten zurück. Die ersten Überlegungen zur 377 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht der EGKS, Hohe Behörde, Abteilung Arbeitsschutzfragen, 7.7.1958, S. 1, und Liste der Mitglieder der Kommission der Produzenten und Arbeitnehmer für die Arbeitssicherheit und die Arbeitsmedizin, o. D.; AHCE, CEAB 11/1395, Schreiben jeweils an die EGKS/Hohe Behörde von Harzig, 29.5.1958, Bl. 25, von Wagner, 2.6.1958, Bl. 28, von Michels, 3.6.1958, Bl. 29, und von Hölkeskamp, 3.6.1958, Bl. 30. 378 Vgl. AHCE, CEAB 11/1395, Schreiben der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie an die EGKS/Hohe Behörde, 7.12.1962 und 27.5.1968, Bl. 41 und Bl. 58; Schreiben Zimbehl an die EGKS/Hohe Behörde, 27.12.1962, Bl. 45; CEAB 11/1396, Schreiben Commission des Communautes Europeennes, 16.4.1974, Commission des Producteurs et des Travailleurs pour la Securite et la Medecine du Travail. Liste d’Adresses des Membres, Bl. 193. 379 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht der EGKS, Hohe Behörde, Abteilung Arbeitsschutzfragen, 7.7.1958, S. 2 f. 380 Vgl. u. a. EWG/Kommission, Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft im Jahre 1962, Juli 1963, S. 231 f. 381 Vgl. AHCE, CEAB 11/1237, Entwurf Entschließungsantrag im Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitsmedizin und Betriebssicherheit, 16.5.1958, Bl. 128 f.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

149

Kontaktaufnahme zu den Unternehmen und zur Sammlung von Informationen erfolgte auf deutscher Seite bereits 1958. Hierzu wurden bereits bestehende Beziehungen zu Gremienvertretern aus anderen Bereichen, etwa über die Wirtschaftsvereinigung, aktiviert. So wurden mögliche Kontakte über den VDSI-Vertreter Hans Steeg (Huckingen) oder auch den Sicherheitsingenieur Gustav Hoppe (HOAG) diskutiert.382 Gleichzeitig wurde eine enge Zusammenarbeit des neuen Unterausschusses der Produzenten und Arbeitnehmer zur Arbeitssicherheit mit dem Fachausschuss „Menschliche Faktoren der Arbeitssicherheit“ bei der EGKS angestrebt, um Doppelarbeit zu vermeiden. Dies erfolgte sowohl durch einen inhaltlichen Austausch der Arbeitsgruppen, an denen sie wechselseitig als formelle Gäste teilnahmen, wie auch über direkte, informelle Kontakte der Ausschussmitglieder untereinander.383 Letztendlich übte insbesondere der Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie (im Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin) einen maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung in der Erforschung des europäischen Arbeitsschutzes aus. Hierzu erstellten die Akteure z. B. eine Überblicksmonografie, in der erstmals die verschiedenen Aspekte und Besonderheiten der bislang national geprägten Sicherheitsarbeit aus den einzelnen Mitgliedstaaten zusammengeführt wurden. Dies war notwendig, um sich zunächst einen Überblick, insbesondere über die nationalen Unterschiede, zu verschaffen, um anschließend gemeinsame Arbeitsschutzziele auf der Grundlage individueller Erfahrungswerte diskutieren und definieren zu können. Ziel war eine erste dezidierte Internationalisierung des Arbeitsschutzdiskurses über die Institution der EGKS auch auf der praktischen Ebene.384 Die Arbeit im Gremium förderte einen intensiven Erfahrungsaustausch und erwies sich als erfolgreiche Strategie: Bereits im Oktober 1958 wurde eine erste Gliederung für die Rahmenforschung vorgelegt und durch die Gründung weiterer Arbeitsgruppen in Fragen einer umfassenderen Grundlagenforschung ergänzt.385 Das Bestreben stieß unter den Ausschussmitgliedern auf reges Interesse, nicht zuletzt, um den eigenen Einfluss auf die Richtung des europäischen Arbeitsschutzdiskurses sicherzustellen. So waren auch die deutschen Akteure darauf bedacht, rasch zentrale Positionen einzunehmen: Für die Redaktion 382 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Schreiben Sommerfeld an Walter Hölkeskamp, 6. und 8.9.1958; AHCE, CEAB 11/1595, Schreiben Hoppe an EGKS/HoheBehörde, 14.5.1958, Bl. 124. Hoppe war zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied im Forschungsausschuss „Menschliche Faktoren und Betriebssicherheit“, vgl. AHCE, CEAB 11/1237, Forschungsausschuss „Menschliche Faktoren der Betriebssicherheit“, Mitgliederliste, 15.5.1958, Bl. 29; Schreiben Hölkeskamp an EGKS/Hohe Behörde, 30.1.1958, Bl. 103–105; Schreiben Wirtschaftsvereinigung an EGKS/Hohe Behörde, 3.3.1958, Bl. 107–109. 383 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Schreiben Sommerfeld, 13.10.1958, Anlage: Notizen und Schreiben Hölkeskamp an Sommerfeld, 25.11.1958. 384 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht Sitzung des Unterausschusses Eisen- und Stahlindustrie des Ausschusses der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin am 17.10.1958, 28.10.1958, S. 2. 385 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, EGKS/Hohe Behörde, Entwurf: Monographie über die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie der EGKS. Gliederung, 28.10.1958, und Schreiben Sommerfeld an Hölkeskamp, 24.11.1958.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

der Monografie und die Teilnahme an der Arbeitsgruppe zur Koordinierung der allgemeinen Informationen wurde von deutscher Seite Heinz Heidberg (Wirtschaftsvereinigung) und für die Arbeitsgruppe zur Unfallstatistik Paul Noell (DHHU, Werk Dortmund) entsandt.386 3.3.3.2 Nationale Disparität zwischen Wirtschaftlichkeit und Humanität In der Arbeit traten durchaus auch nationale Vorprägungen, insbesondere in grundlegenden Ansätzen betrieblicher Unfallverhütungsarbeit bei der EGKS, deutlich hervor. Debatten der internationalen Akteure offenbarten schon früh den Kern politischer Auseinandersetzungen in der Arbeitsschutzfrage. Hier stieß die Harmonisierung des Arbeitsschutzes, insbesondere in der politischen Argumentation zwischen Wirtschaftlichkeit und Humanität, schnell an ihre nationalen Grenzen. Ein Beispiel hierfür ist etwa die vom deutschen Vertreter Walter Hölkeskamp (IG Metall) eingebrachte „Anregung einer Untersuchung über die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Unfallverhütung in der Eisen- und Stahlindustrie“ im Jahr 1959. Ziel war die Einrichtung einer eigenen Arbeitsgruppe im Ausschuss der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin. Die Verbindungen dieses Ausschusses sollten dazu genutzt werden, umfassende Untersuchungen zu den Kosten von Unfällen auf eine europäische Vergleichsebene zu heben.387 Die belgischen und französischen Arbeitgebervertreter stellten jedoch die Berechtigung einer solchen Grundlagenforschung infrage und wiesen eine mögliche Prämisse ökonomischer Argumente in der Unfallverhütung weit von sich. Sie wurden unterstützt von Arbeitgebervertretern aus Italien, Luxemburg und den Niederlanden.388 Die politische Position einer vornehmlich an Wirtschaftlichkeitsargumenten orientierten Debatte, wie sie zu diesem Zeitpunkt in Deutschland geführt wurde, stieß auf europäischer Ebene auf erheblichen Widerspruch. Dadurch drohte bereits zu diesem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt ein Auseinanderbrechen der noch jungen Gemeinschaftsforschung. Ansprüche und Motive der nationalen Interessen und Arbeitsschutzakteure klafften vor allem bei der grundsätzlichen Frage von Wirtschaftlichkeit und humanistischer Rechtfertigung auseinander. Die deutsche Delegation griff auf die fachliche Unterstützung von Klaus Bohr (HOAG) zurück. Er verwies noch einmal mit Nachdruck auf Stand und Vorbild amerikanischer Unfallverhü386 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280228, Kurzbericht Sitzung des Unterausschusses Eisen- und Stahlindustrie des Ausschusses der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin am 17.10.1958, 28.10.1958, S. 6 (handschriftliche Ergänzung); AHCE, CEAB 11/1442, Korrespondenz EGKS/Hohe Behörde und Noell, 9.1.1959 und 15.1.1959, Bl. 10 und Bl. 15. 387 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280230b, Bericht Sitzung Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, 30.6 und 1.7.1959, S. 32–42 und 5/IGMA 280230a, Bericht, 23.11.1959, S. 1–9. Zu fehlenden Vergleichszahlen in der europäischen Unfallstatistik vgl. Anfrage von Strohmenger im Jahr 1958, AHCE, CEAB 11/1595, Schreiben EGKS an Strohmenger, 24.9.1958, Bl. 136. 388 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280230b, Bericht Sitzung Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, 30.6. und 1.7.1959, S. 36–39, und 5/IGMA 280230a, Bericht, 23.11.1959, S. 3–5.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

151

tungsforschung für die europäische Gemeinschaft.389 Dies zeigt eine Verknüpfung mit der in Kapitel 3.2.2 analysierten nationalen Debatte um die Unfallverhütungsund Kostenfrage, die von den deutschen Akteuren nun auf die europäische Ebene gehoben wurde. So vertrat der national und international vernetzte Klaus Bohr eine auch in der BRD nicht unumstrittene Haltung bezüglich des Ausmaßes und der Kosten des Arbeitsschutzes, die insbesondere durch seinen vorgesetzten Arbeitsdirektor Karl Strohmenger befeuert wurde.390 Letztendlich wurde als Kompromiss eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu Voruntersuchungen gegründet. Sie sollte zunächst innerbetriebliche Analysen in der Industrie durchführen und der Ausschuss lediglich eine koordinierende Funktion übernehmen.391 Das grundsätzliche Interesse an Fragen der Wirtschaftlichkeit in der Unfallverhütung konnte so von allen Seiten gewahrt werden, ohne sich in moralischen Fragen grundsätzlicher Unfallverhütungsmotive positionieren zu müssen. Das von Hölkeskamp ursprünglich vorausgesetzte gemeinsame Interesse der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite schien sich in internationaler Perspektive also keineswegs grundsätzlich zu bestätigen.392 Das Projekt wurde zwischen 1961 und 1964 mit Hilfe einer schriftlichen Befragung in den Unternehmen in einem statistischen Erhebungszeitraum von einem Jahr durchgeführt.393 Insgesamt war zwar eine erste Gemeinschaftsforschung der einzelnen Werke unter dem Dach der EGKS gelungen und auch inhaltlich wurde im ursprünglichen Sinne von Hölkeskamp die Frage der Unfallkosten in einen größeren Rahmen eingebettet. Die konkreten Ergebnisse zeichneten sich jedoch durch eine so große Heterogenität aus, dass sich die Rückwirkung auf die Unternehmensebene am Ende doch wieder auf die nationalen Beziehungen beschränkte: Die Ergebnisse der Untersuchung wurden beim Treffen der Sicherheitsingenieure bei der Wirtschaftsvereinigung präsentiert und fanden auf diese Weise die Rückkopplung an die deutsche Unfallkostendebatte.394 Zugleich deckte die Studie aber auch große Parallelen zwischen dem Huckinger und dem Rheinhausener Werk auf.395 Dies mo-

389 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280230a, Bericht Sitzung Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, 23.11.1959, S. 1 und S. 6. 390 Vgl. Kapitel 3.2.2 und 3.5.2. 391 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280230a, Bericht Sitzung Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, 23.11.1959, S. 7–9. 392 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280230b, Bericht Sitzung Unterausschuss Eisen- und Stahlindustrie der Produzenten und Arbeitnehmer für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin, 30.6. und 1.7.1959, S. 33. 393 Vgl. HAK, WA 78/600, Ermittlung der Unfallkosten in der Eisen- und Stahlindustrie, 1961–65; AHCE, CEAB 11/1443–1445, Groupe de travails „Couts des accidents de travail dans la sidérurgie“, 1959–66; Kurz u. a., Betriebliche Unfälle. Vgl. auch Kapitel 3.2.2.4. 394 Vgl. HAK, WA 78/600, Einladung an Sicherheitsingenieure und Sicherheitsbeauftragte der Eisen- und Stahlindustrie, 17.3.1964, und Übersendung des Vortrages an Lelonek, 8.4.1964. 395 Vgl. AHCE, CEAB 11/1445, EGKS/Hohe Behörde, Kurzbericht der von den Unternehmen mit der Untersuchung über die Kosten der Unfälle in der Eisen- und Stahlindustrie beauftragten Personen, 28.1.1965, Februar 1965, S. 3, hier: Bl. 183.

152

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

tivierte die lokalen Akteure, die ausführliche Unfallauswertung im direkten Austausch über die Grenzen der Studie hinaus fortzuführen.396 Diese Form der Gemeinschaftsforschung der EGKS blieb in der Folgezeit für die Unfallverhütung zunächst einzigartig. Sie hatte Möglichkeiten, aber auch Grenzen einer internationalen Forschungskooperation aufgezeigt, die sich in den Folgejahren stärker auf allgemeine Rahmenfragestellungen bezog. Die Ergebnisse der einzelnen Forschungsprojekte, angestoßen und begleitet durch die Arbeitsschutz-Ausschüsse bei der EGKS, wie auch die Festlegung eines allgemeinen Rahmenprogramms waren von verschiedenen Konfliktlinien begleitet: Hierzu zählten u. a. das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, nationale Interessen und Debatten, Interessen der einzelnen Vertretergruppen aus Industrie, Wissenschaft oder der Branchen Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, die sich auch im Spannungsfeld zwischen angewandter betrieblicher Unfallverhütung und theoretisch orientierter Grundlagenforschung offenbarten.397 So stießen die Maßnahmen, die auf europäischer Ebene geplant wurden, nicht immer auf die Zustimmung der deutschen Vertreter. Sie versuchten daher – etwa auch durch den Einsatz eigener Vertreter in Fachausschüssen – strategische Positionen einzunehmen, um nachhaltig inhaltlich Einfluss auf die europäische Entwicklung im Arbeitsschutz nehmen zu können. Dazu nutzten die Akteure sowohl in der Besetzung der Fachausschüsse als auch bei der Hinzuziehung von Sachverständigen bereits bestehende Beziehungen. So traten in dieser konstituierenden Phase des europäischen Arbeitsschutzes der Eisen- und Stahlindustrie immer wieder bereits aus nationalen Netzwerken bekannte Unternehmensvertreter wie Gustav Hoppe und Klaus Bohr (beide HOAG) oder Paul Noell (DHHU), aber auch Heinz Heidkamp (Wirtschaftsvereinigung), Walter Hölkeskamp (IG Metall) oder leitende Angestellte bei der HWBG auf.398 3.3.3.3 Die Ausbildung von Forschungsnetzwerken im ersten Rahmenprogramm der EGKS Die konkrete Zusammenarbeit der Werksbeauftragten für die Durchführung gemeinsamer Forschungsvorhaben verschob sich in der Folgezeit verstärkt auf die Kooperationsgemeinschaft mit wissenschaftlichen Institutionen, die über die Forschungsprogramme als eigentliche Projektpartner der EGKS auftraten. Sie zeigen neben einer deutlichen inhaltlichen Weiterentwicklung der europäischen Arbeits-

396 Vgl. HAK, WA 78/600, WA 78/599, Schreiben Zemelka an Lelonek, 11.1.1965; WA 78/599, Vermerk Werkschutz/Arbeitsschutz, 3.5.1965. 397 Vgl. dazu beispielhaft die Auseinandersetzung um die Ausrichtung des ersten Rahmenprogramms und die Rolle der Grundlagenforschung in Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, AdsD, 5/IGMA 280230a, Schreiben Sommerfeld an Hölkeskamp, 1.11.1959, und 5/IGMA 280230b, Schreiben Sommerfeld an Hölkeskamp, 8.6.1959; AHCE, CEAB 11/1237, Schreiben Heidberg an EGKS/Hohe Behörde, 18.1.1958, Bl. 97–99. 398 Vgl. ergänzend AdsD, 5/IGMA 280230b, Schreiben Sommerfeld an Hölkeskamp, 22.7.1959; vgl. zur Verbindung der HOAG-Vertreter zur EGKS auch Abb. 17 in Kapitel 3.5.2.3.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

153

schutzpraxis auch wachsende Netzwerkstrukturen und Verflechtungen dieser internationalen Forschungsgemeinschaft seit Ende der 1950er Jahre auf. Der Know-how-Transfer verlief neben den Aktivitäten in Ausschüssen und Gremien insbesondere durch die Teilnahme an Forschungsprojekten, die sich durch Kooperationen zwischen Wissenschaftlern und Unternehmensvertretern, etwa der Arbeitsdirektoren Adolf Jungbluth (Hüttenwerk Salzgitter AG) und Karl Strohmenger (HOAG) mit dem Marburger Psychologen Heinrich Düker (Institut für Psychologie der Universität Marburg), zunehmend festigten.399 Bereits 1957 gelang durch den Kontakt von Jungbluth zu Strohmenger unter der fachlichen Leitung von Düker die Umsetzung eines Projekts zur Erforschung „Psychischer Belastungen“ durch die Technisierung. Jungbluth hatte gezielt nach einem nordrhein-westfälischen Kooperationspartner gesucht, da das Projekt bei der Förderung durch die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und die Forschungsgemeinschaft des Landes NRW in einem regionalen Unternehmen angesiedelt werden musste.400 Entscheidend ist insbesondere der neue persönliche Kontakt zwischen den beiden Arbeitsdirektoren, der sich in den Folgejahren weiter festigte und auch im Rahmen der EGKS in gezielten Forschungsfragen, wieder in Kooperation mit Düker, belebt wurde. Dieses Netzwerk eröffnete den Akteuren einen neuen finanziellen Forschungsrahmen, in den ein gemeinsames Projekt zur „Untersuchung der tatsächlichen Wirksamkeit alter und neuer psychologischer Verfahren sowie eines neuen Verfahrenssystems (unter Zusammenfassung psychologischer, psychologisch-medizinischer und soziologischer Daten) für die Unfallverhütung durch Personalauslese“401 eingebracht wurde. Das Projekt wurde von der Wirtschaftsvereinigung und der IG Metall für die Aufnahme in das Rahmenprogramm der EGKS zu „Menschlichen Faktoren bei der Entstehung von Unfällen“ vorgeschlagen.402 Es war offiziell am Institut für Psychologie der Universität Marburg unter Leitung von Düker angesiedelt und wurde zwischen 1962 und 1964 unter Mitarbeit von Friedhelm Burkardt (Psychologe), Adolf Jungbluth, Karl Strohmenger sowie Gustav Hoppe und Rudolf Marks (Sicherheitsingenieure) in den Hüttenwerken Salzgitter und Oberhausen über die EGKS durchgeführt.403 Diese Verbindungen waren auch 399 Vgl. dazu auch Abb. 17 in Kapitel 3.5.2.3. 400 Vgl. TKA, TNO/2043, Schreiben Jungbluth an Strohmenger, 9.4.1957. 401 EGKS u. a., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, S. 11, und vgl. ausführlich S. 35–37. 402 Vgl. AHCE, CEAB 11/1383, Schreiben Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie an EGKS/Hohe Behörde, 21.7.1960, Bl. 235; Schreiben Heidberg an EGKS/Hohe Behörde, 13.1.1961, Bl. 244; Schreiben EGKS/Hohe Behörde an Düker, 22.12.1961, Bl. 370 f. 403 Vgl. EGKS u. a., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, S. 11 und S. 164–182. Gleichzeitig gibt es Hinweise auf organisatorische Durchführungsschwierigkeiten mit dem Oberhausener Unternehmen, sodass unklar bleibt, in welchem Umfang die HOAG tatsächlich an diesem Projekt teilnahm. Etwa zeitgleich schied die HOAG auch aus dem Programm zur Kostenanalyse der EGKS aus. Vgl. AHCE, CEAB 11/1384, Communaute Europeenne du Charbon et de l’Acier/Haute Autorite: Expose sur l’etat d’avancement de la recherche communautaire sur la securite du travail a l’attention de la commission et de la sous-commission des producteurs et des travailleurs pour la securite et la medecine du travail de la C. E. C. A., September 1963, S. 15, hier: Bl. 69.

154

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969) Institut für Psychologie, Marburg Heinrich Düker

HOAG Karl Strohmenger Gustav Hoppe

Salzgitter

Huckingen

Adolf Jungbluth Friedhelm Burkardt Rudolf Marks (ehem. HOAG)

Abb. 11: Institutionelle und personelle Verbindungen im Rahmen der EGKS-Forschung, ca. 1957–1966 (schematische Darstellung, Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung.

für die personellen Konstellationen zwischen Salzgitter und Oberhausen, etwa durch den Wechsel von Marks nach Salzgitter, bedeutsam.404 In einem Bericht von Heinrich Düker aus dem Jahr 1967 findet noch eine weitere Kooperation der Hüttenwerke Salzgitter und Huckingen bei der allgemeinen Gemeinschaftsforschung der EGKS Erwähnung.405 Dieses Projekt war als deutscher Forschungsbeitrag zur Eisen- und Stahlindustrie inhaltlich in die übergeordnete Fragestellung des Arbeitssicherheitsprogramms der EGKS als „Gemeinschaftsforschung über die mutmasslichen Faktoren bei der Entstehung von Unfällen“ (1962–1966) eingegliedert und mit weiteren Forschungen in insgesamt vier Kohlenbergwerken, zwei Eisenerzbergwerken und fünf Eisen- und Stahlwerken verknüpft.406 Abb. 11 fasst die in diesem Forschungsrahmen initiierten und gepflegten Verbindungen der Unternehmen und Akteure überblicksartig zusammen. Persönliche Netzwerke bildeten sich durch eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Institut in Marburg und Salzgitter aus, durch deren Vermittlung weitere Akteure (Oberhausen wie Huckingen) in die internationalen Forschungsarbeiten einbezogen wurden.407 Der Marburger Forscher begründete die besondere Rolle der Hüttenwerk Salzgitter AG für die gemeinsame Forschungsarbeit mit dem langjährigen und „engen Kontakt, der eine reibungslose und ertragreiche Zusammenarbeit gewährleistet.“ Darüber hinaus bezeichnete er das Hüttenwerk als „besonders fortschrittlich und aktiv“ in Arbeitssicherheitsmaßnahmen und hob die Förderung der wissenschaftlichen Arbeit durch das Werk in „vorbildlicher Weise“ hervor.408 Beide Seiten profitierten von der Verbindung in besonderem Maße, was auch anschließende Projektvorhaben begünstigte und deren persönliche Verbindungen festigte.

404 Vgl. Kapitel 3.3.2.2. 405 Vgl. EGKS u. a., Gemeinschaftsforschung Eisenerzbergbau. 3/7 (Düker), S. IV, Dokument online verfügbar, URL: (17.05.2013); vgl. auch EGKS u. a., Gemeinschaftsforschung „Arbeitssicherheit“ (1962–1966), S. 28–35. 406 Vgl. EGKS u. a., Gemeinschaftsforschung Eisenerzbergbau. 3/7 (Düker), S. III, Dokument online verfügbar, URL: (17.05.2013). 407 Vgl. ebenda. 408 Alle Zitate: ebenda.

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

155

Grundsätzlich waren die Forschergruppen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt stark national geprägt und in erster Linie durch den internationalen Rahmen des Programms miteinander verbunden, in das sie sich mit ihrer Fragestellung einordneten und es in einem übergreifenden Abschlussbericht einzelner Forschungsgruppen wieder zusammenführten. Der Austausch der Ergebnisse erfolgte über international besetzte Gremien mit internationaler Strahlkraft, in denen die einzelnen Akteure der Forschungsgruppen auch persönlich in Kontakt traten. Bereits zu Beginn der Aktivitäten im ersten Rahmenprogramm entwickelten sich hier stark national orientierte Verbindungen. Regelmäßige Teilnehmer der betrachteten Unternehmen waren die Psychologen Burkardt und Fischer der Hüttenwerk Salzgitter AG und der Mannesmann AG Düsseldorf, Bruno Schneider (leitender Sicherheitsingenieur der Mannesmann AG) sowie H. Schneider und H. Becker als ärztlicher Direktor und Leiter des psychologischen Dienstes der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG. Auf der Gremienebene waren u. a. Heinz Heidberg und Wilhelm Zimbehl als Vertreter der Produzentenorganisationen mit Fragen der Arbeitssicherheit befasst und Akteure wie Gustav Hoppe vertraten für die HOAG die deutsche Eisen- und Stahlindustrie im Forschungsausschuss „Menschliche Faktoren – Arbeitssicherheit“.409 Dieses starke Netzwerk blieb auf allen Ebenen bis in die 1970er Jahre hinein aktiv und stabil, insbesondere durch die Ausschussarbeit und die kontinuierliche Nachfolge meist aus den eigenen Unternehmen. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erreichte ihre Tätigkeit erstmals mit der Durchführung und Vorstellung der Ergebnisse der ersten Rahmenprogramme in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre.410 Dies war mit einer zunehmenden Formalisierung der Strukturen in reinen Arbeitsausschüssen als temporären Forschungsausschüssen und -gruppen hinaus verbunden: So wurden ab 1964/65 mit der dauerhaften Einrichtung eines „Allgemeinen Ausschußes für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie“ mit 24 Mitgliedern und zehn Arbeitsgruppen feste Strukturen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Fragen des Arbeitsschutzes auf europäischer Ebene im Bereich Eisen und Stahl geschaffen, in dem auch deutsche Vertreter aus den bekannten Unternehmen und Kontexten vertreten waren.411 Wie Abb. 12 zusammenfasst, zählten Helmut Karl (Hoesch AG Hüttenwerke) als Berichterstatter für die

409 Vgl. EGKS u. a., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie, S. 149–182; TKA, TNO/2047, Schreiben an die Arbeitsdirektoren der Eisen- und Stahlindustrie, 8.12.1965, Anlage: Beteiligung der Arbeitsdirektoren an der Tätigkeit der Wirtschaftsvereinigung und Mitwirkung im Rahmen der Hohen Behörde, S. 12. 410 Vgl. EGKS u. a., Menschliche Faktoren und Arbeitssicherheit (1. und 2. Programm); dies., Menschliche Faktoren und Arbeitssicherheit. Dokumentarische Studie; dies. u. a., Menschliche Faktoren Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie. Hoppe war dabei einer der zwölf Sachverständigen zur Erstellung der dokumentarischen Studie des ersten Rahmenprogrammes. Vgl. EGKS, Menschliche Faktoren und Arbeitssicherheit. Dokumentarische Studie, S. 6. 411 Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Generaldirektion „Soziale Angelegenheiten“, Erster Bericht des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie, Luxemburg 1970, S. 7, online verfügbar, URL: (09.08.2013).

H. Schneider (HWR, FKH AG, Rheinhausen)

Arbeitsgruppe „Erste Hilfe und Rettungswesen“

H. Karl (Hoesch Westfalenhütte, Hoesch AG)

Allgemeiner Ausschuß für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie

R. Dreissig (ATH AG) K. Klages (Hoesch Hüttenwerke AG) W. Simon (FKH) K. Wenn (ATH AG) H. Wieczorek (Thyssen AG, Duisburg)

Arbeitsgruppe „Arbeitssicherheit – Sauerstoffleitungen“

K. H. Peters (ATH AG)

Arbeitsgruppe „Arbeitssicherheit – Hochofenabstich“

F. Risse (Hoesch, Westfalenhütte) G. Schnegelsberg (ATH AG, Ruhrort) H. Wieczorek (Thyssen AG, Duisburg)

Arbeitsgruppe „Arbeitssicherheit – Gasleitungen“

412 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Erster bis Zwölfter Bericht des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie (1970–1980), Brüssel und Luxemburg 1970–1980, Mitgliederverzeichnisse, online verfügbar, URL: (23.08.2013).

Abb. 12: Deutsche Unternehmensvertreter im Allgemeinen Ausschuss für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie, 1970–1980 (schematische Darstellung, Auswahl) Quelle: Eigene Darstellung.412

D. Eickelpasch (Hoesch Hüttenwerke AG) W. Aris (Fried. Krupp, Duisburg)

Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz – Elektroöfen“

K. H. Peters (ATH AG) P. Rütze (FKH AG, Rheinhausen) G. Schnegelsberg (ATH AG, Ruhrort)

Arbeitsgruppe „Verwendung von Sprengstoffen am Hochofen“

W. Geis (Thyssen AG, Hattingen) G. Hoppe (HOAG) R. Marks (ATH AG) B. Schneider (Mannesmann AG)

Arbeitsgruppe „Arbeitssicherheit – Ausbildung“

156 3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

3.3 Die Vernetzung der betrieblichen Akteure im Arbeitsschutz

157

Bundesrepublik, das Vorstandsmitglied Willy Michels und Wilhelm Henne vom Zweigbüro Düsseldorf der IG Metall und Unternehmensvertreter wie Gustav Hoppe (HOAG) oder Bruno Schneider (Mannesmann AG) zu den Mitgliedern der einzelnen Arbeitsgruppen.413 Von den insgesamt zwischen 1970 und 1980 im Allgemeinen Ausschuss und seinen Arbeitsgruppen vertretenen knapp 40 Mitgliedern (auch mit Doppel- und Mehrfachbesetzungen) wurde etwa die Hälfte der Akteure von den hier betrachteten Unternehmen gestellt. Neben den Vertretern von IG Metall (acht Mitglieder mit teilweise hoher Fluktuation), Wirtschaftsvereinigung (drei langjährige Mitglieder) und HWBG wurden lediglich fünf Teilnehmer von Unternehmen außerhalb des Rhein-Ruhr-Gebiets gestellt. Die personelle Besetzung zeichnete sich durch eine vergleichsweise hohe Kontinuität, Personalunionen und Dominanz an Einzelakteuren und beteiligten deutschen Unternehmen wie Hoesch, Krupp, Mannesmann und Thyssen aus, die sich dadurch einen nachhaltigen Einfluss auf den Informationsaustausch der internationalen Ebene sicherten.414 Dies verdeutlicht auch die strukturellen Einflussmöglichkeiten, über die die Unternehmen maßgeblich an der Mitgestaltung des europäischen Arbeitsschutzes beteiligt waren. Die inhaltliche Arbeit erstreckte sich in den einzelnen Arbeitsausschüsse von allgemeinen Fragen der Unfallverhütungsorganisation, der Sicherheitsausbildung, der Ersten Hilfe bzw. dem Rettungswesen bis hin zu technischen Einzelfragen.415 Ziele waren sowohl der Erfahrungsaustausch als auch die Forschungsarbeit, die auf erste Schritte einer Harmonisierung der Unfallverhütungsfrage abzielten.416 Der Fokus richtete sich dabei in erster Linie auf die praktische Arbeit der unternehmerischen Akteure und spielte sich weitestgehend jenseits der übergeordneten politischen Ebene ab. Das Forum diente einem Austausch konkreter Arbeitsschutzinhalte, die sich durch betriebliche Rückwirkungen auch in der nationalen Ausweitung der Unfallverhütung in unterschiedlichen Medien oder der Verbreitung neuartiger, persönlicher Körperschutzausrüstungen niederschlugen.

413 Vgl. „Unfall nicht Preis der Arbeit. Montan-Union gründet Allgemeinen Ausschuß für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie“, in: Werk und Wir. Ausgabe Hüttenwerke (1967), Nr. 1, S. 10; Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Generaldirektion „Soziale Angelegenheiten“, Erster Bericht des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie, Luxemburg 1970, Anlage 11, S. 43–52, online verfügbar, URL: (09.08.2013). 414 Vgl. jeweils Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Erster bis Zwölfter Bericht des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie (1970– 1980), Brüssel und Luxemburg 1970–1980, Mitgliederverzeichnisse, online verfügbar, URL: (09.08.2013). 415 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Siebenter Bericht des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit in der Eisen- und Stahlindustrie (1975), Brüssel und Luxemburg 1977, S. 7–13, online verfügbar, URL: (09.08.2013). 416 Vgl. dazu auch die Herausgabe des Informationsbulletins des Allgemeinen Ausschusses für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Eisen- und Stahlindustrie durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1982–1986, z. T. online verfügbar, URL: (09.08.2013).

158

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

3.4 ALTE UND NEUE WEGE ZWISCHEN SCHUTZ, ANREIZ UND WERBUNG IN DER BETRIEBLICHEN UNFALLVERHÜTUNG Die erste Unfallverhütungswoche im November 1947 war der erste Anknüpfungspunkt an Konzepte der Kriegs- und Zwischenkriegszeit. Diese orientierte sich nach dem von der BG ausgewählten Motto „Haltet die Wege frei“ an den infrastrukturellen Problemen der Nachkriegsjahre. Während Thema und inhaltlicher Rahmen durch die HWBG vorgegeben wurden, erfolgte die konkrete Umsetzung auch diesmal nach den Mustern der früheren Veranstaltungen mit Besprechungen arbeitsschutztechnischer Mängel in den Betrieben, Instandhaltungsarbeiten und gezielten Unterweisungen der Belegschaft.417 Nachdem in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Rekonstruktion der Organisationsstrukturen, der Produktionsanlagen und die Grundsicherung der Belegschaft im Vordergrund der unternehmerischen Aufmerksamkeit gestanden hatten, rückten mit der Aufnahme einer geregelten Friedensproduktion auch andere Gebiete des Arbeitsschutzes ins Zentrum des sozialpolitischen Handlungsfeldes.418 Diese sind jedoch aufgrund fehlender eigener Erfahrungswerte der Unternehmen eher als Trial-and-Error-Prozess zu charakterisieren und mit der Zurückhaltung umfassender legislativer Eingriffe weiterhin v. a. im Bereich der Freiwilligkeit betrieblicher Sozialpolitik zu verorten. Die Verbreitung der Schutzausrüstung sowie die Erprobung von Prämiensystemen und unterschiedlichen Medien der Arbeitsschutzwerbung eignen sich in besonderem Maße als Beispiel dafür, wie die einzelnen Unternehmen zunehmend vom Austausch der Informationen über die Kanäle der kommunikativ-instrumentellen Arbeitsschutzbeziehungen für die betriebliche Praxis profitierten. 3.4.1 Die Verbreitung der persönlichen Schutzausrüstung Vor allem die Versorgung mit Körperschutzmitteln bot nach dem Eindruck der Gewerbeaufsicht in den ersten Nachkriegsjahren im Rahmen des technischen Arbeitsschutzes viel Raum für Verbesserungen. So mahnte z. B. der Arbeitgeberverband Eisen- und Stahlindustrie 1946 beim zuständigen Arbeitsminister die schlechte Versorgungslage bei Arbeitsschuhen und -kleidung an.419 Zwar wurde bei der zentral koordinierten Bewirtschaftung der Gewerbeaufsicht die Eisen- und Stahlindustrie (nach dem Bergbau) bevorzugt behandelt – die grundsätzliche Mangellage konnte

417 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsberichte Abt. Unfallverhütung 1947/48, 14.12.1948, S. 2 f. In den Folgejahren wurde die Aktionswoche von der Berufsgenossenschaft kontinuierlich ausgebaut und durch übergreifende Kampagnen wie regelmäßige Verkehrssicherheitswochen ergänzt. Vgl. u. a. „Verkehrssicherheitswochen 1955“, in: Unsere ATH (1955), Nr. 4, S. 12 f.; TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Jahresbericht Arbeitsschutzstelle 1958, 6.7.1959. 418 Vgl. auch Weber, Arbeitssicherheit, S. 177. 419 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0045, Nr. 733, Schreiben Arbeitgeberverband Eisen- und Metallindustrie an den Arbeitsminister, 22.11.1946, Bl. 11.

3.4 Alte und neue Wege zwischen Schutz, Anreiz und Werbung

159

sie jedoch nicht beheben.420 Problematisch war auch die schlechte Qualität der Arbeitsschutzmittel, die einen erhöhten Verschleiß zur Folge hatte.421 Bis mindestens 1948 blieb „[d]ie Versorgung […] unzureichend.“422 Trotz der verbesserten Versorgungslage seit der Währungsreform blieb die Beschaffung teilweise zunächst noch schwierig. Sie besserte sich in den Folgejahren jedoch zusehends und wurde seit den 1950er Jahren in den Unternehmensberichten nicht mehr thematisiert.423 Das zu diesem Zeitpunkt verbreitete Repertoire der Schutzausrüstungen bezog sich jeweils auf die individuellen Gefährdungen am Arbeitsplatz. Hierzu zählten verschiedene Formen von Schutzschildern und Schutzanzügen, Hitzeschutzmänteln, Schutzeinrichtungen der Extremitäten, Sicherheitsschuhen sowie Schutzbrillen und -helmen.424 Mit der Normalisierung der Produktions- und Versorgungslage erfolgte im Laufe der 1950er Jahre eine umfassende Weiterentwicklung, insbesondere von Materialien wie etwa für „Tempex“-Hitzeschutzanzüge. Diese Anzüge versprachen aufgrund ihrer leichteren Beschaffenheit gegenüber den zuvor verbreiteten Asbestanzügen nicht nur einen erhöhten Tragekomfort. Dank der verbesserten Klimabedingungen wurden auch betriebswirtschaftliche Effekte geschaffen: So erhoffte sich beispielsweise die HOAG einen effizienteren Einsatz der Arbeitskraft. Die Anzüge sollten nicht nur vor unmittelbaren Verbrennungsgefahren schützen, sondern auch durch ihre verstärkte Hitzebeständigkeit die Einsatzzeit der Arbeiter an Hitzearbeitsplätzen verlängern helfen.425 Für die betriebswirtschaftliche Argumentation gestalteten sich darüber hinaus die zunehmenden Anschaffungskosten als wesentlicher (Einsparungs-)Faktor. Wie aus Tab. 8 und 27 (in Anhang) ersichtlich, hatte die ATH für das Jahr 1959 Gesamtausgaben von rund 500.000 DM für den Arbeitsschutz vorgesehen, von denen rund 90 Prozent für die Bereitstellung von Arbeitsschutzmitteln aufgewandt wurden – ein rationeller Umgang konnte dabei durchaus zu Buche schlagen.426 Dies bedeutet einen jährlichen Pro-Kopf-Aufwand von rund 44 DM (1959) je Arbeitnehmer. Ähnliche Angaben finden sich auch in Rheinhausen für das Jahr

420 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0045, Nr. 733, Schreiben Abt. Arbeitsschutz an den Wirtschaftsminister, 14.1.1947, Bl. 75. 421 Vgl. u. a. LAV NRW/Abt. R., NW 0045, Nr. 733, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg über den Schuhverschleiß an den leitenden Gewerbeaufsichtsbeamten, 27.10.1947, Bl. 107. 422 RWWA, 130–400149/59, Jahresbericht Abteilung A. 1947/48, S. 14. 423 Vgl. u. a. RWWA, 130–400149/59, Jahresberichte Abteilung A. 1948/49–57. 424 Vgl. u. a. TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, Anlage: Von der ATH ausgegebene gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsschutzartikel; MA, M 21.075, Erhebung über die sozialwirtschaftlichen Dienststellen, Einrichtungen und Maßnahmen in den Mitgliedswerken der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie, 11.4.1958, Anlage zu S. 7. 425 Die Temperaturbelastungen durch die Anzüge unterschieden sich bei den Tests zwischen Asbest- und Tempex-Material um über 30 Grad Celsius. Vgl. TKA, TNO/3468, Aktennotiz nach der Erprobung der Hitzeschutzbekleidung, 16.1.1953; „Invasion der Marsbewohner?“ und „Nur zu Versuchszwecken“, jeweils in: Echo der Arbeit (1953), Nr. 1, S. 10, und Nr. 18, S. 229; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1953, S. 56. 426 Vgl. TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, S. 6; vgl. dazu in ähnlichem Umfang Ausgaben beim HWR, HAK, WA 70/988, HWR Werk-Unfallstatistik 1954–1958, S. 19.

160

3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969) Tab. 8: Kosten der Abteilung Sicherheitswesen (ATH-Bereich), 1958/59 1959 DM

1958 DM

Allgemeine Unfallverhütung und Magazinmaterial

7.180,02

3.484,85

Schulung, Werbung, Propaganda, Betriebsuntersuchungen

4.332,62

3.079,92

28.076,87

20.100,98

1.314,89

4.614,90

248,40

11.891,74

Arbeitsschutzartikel

454.621,00

303.058,66

Gesamt

495.773,80

346.231,05

Löhne und Werksbeiträge Feuerwehreinsatz und Reparaturen Atemschutz (Neuanschaffung)

Quelle: TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, Anlage 2.

1951, wo der Betrag auf rund 30 DM veranschlagt wurde, hier allerdings noch ohne die verbreitete Nutzung des Schutzhelms.427 Über die systematische Untersuchung der Arbeitsplätze wurde ein einheitlicher Katalog der Schutzmittel entwickelt. Die Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs sollte die Bewirtschaftung der Schutzmittel rationalisieren. Hierbei ging es um Effizienzsteigerungen bei Einkauf, Lagerhaltung, Kontrolle und Ausgabe als Maßnahme gegen die rapide steigenden Aufwendungen für Arbeitsschutzmittel.428 Hierzu zählte auch die massenhafte Verbreitung einer Grundschutzausrüstung in den Belegschaften, insbesondere um die aus Schutzhüten und Fußlappen bzw. Arbeitsschuhen weiterentwickelten modernen Schutzhelme und Sicherheitsschuhe. 3.4.1.1 Schutzhelme Die Einführung der Schutzhelme für alle Belegschaftsmitglieder hatte im Verlauf der 1950er Jahre eine hohe Signalwirkung in den betrachteten Unternehmen.429 In den Dortmunder Werken der Westfalenhütte und der DHHU sowie in Huckingen und bei der HOAG kamen sie bereits um 1953/54 zum Einsatz. Rheinhausen und die August Thyssen-Hütte zogen nach der Beobachtung der Entwicklungen innerhalb der Branche bis spätestens 1955/56 nach. Dabei erfolgte keine grundlegende konzernweite Einführung, vielmehr handelten die einzelnen Hüttenwerke weitest-

427 Vgl. „Die Presse im Dienst der Unfallverhütung“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 7 f.; TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, S. 7. 428 Vgl. u. a. für die DHHU „Sozialbericht“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1957), Nr. 3; für Rheinhausen 1958/59 „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f. 429 Vgl. „Wir tragen Helme“, in: Westfalenhütte (1954), Nr. 2. Vgl. auch „Schutzhelme wurden nach amerikanischem Vorbild bei einigen Abt. der Westfalenhütte eingeführt“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 2, S. 51; „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f.; HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 12.

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gehend autark als Vorreiter.430 Die Einführung ging auf amerikanische Vorbilder und unmittelbare Erfahrungen der Sicherheitsingenieure in den USA zurück. Franz Zemelka hatte sich während seines Besuchs in amerikanischen Unternehmen 1953 von der Funktionalität solcher Schutzhelme überzeugen können.431 Die Einführung einer festen Kopfbedeckung war in den Hüttenbetrieben (Lederkappen) nicht grundsätzlich neu.432 Vielmehr erwies sich das neue Material der Helme, inzwischen leichterer Spezialkunststoff, als Schlüssel zum Erfolg.433 In den Unternehmen wurden die Helme von Spezialfirmen bezogen, dann jedoch zunächst in der betrieblichen Praxis geprüft und im Austausch von Anwendern und Produzenten in den Folgejahren kontinuierlich in Materialeigenschaften, Tragekomfort und Wirtschaftlichkeit fortentwickelt.434 Gleichzeitig erfolgte hiermit erstmals eine systematische, von Unternehmensseite forcierte Verbreitung eines allgemeinen Schutzmittels über die individuellen Anforderungen einzelner Arbeitsplätze hinaus. Insbesondere die ausgeweitete Unfallursachenanalyse hatte das besondere Augenmerk auf die Unfälle von Extremitäten und Kopf gelenkt, die nun durch einen weit verbreiteten Schutz eingedämmt werden sollten. Vorreiter war hier die Westfalenhütte, die nach eigener Aussage als eines der ersten Unternehmen in der Bundesrepublik die Schutzhelme einführte und mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit begleitete.435 Dabei wurden nicht nur innerhalb der Belegschaften das neuartige Schutzmittel und sein Nutzen beworben. Die Werkszeitschriften wurden zu diesem Zweck massiv in den Dienst des Arbeitsschutzes gestellt. Die Thematik blieb auch in den Folgejahren, insbesondere durch die lebensrettende Funktion von Schutzausrüstungen, omnipräsent. Die Artikel doku430 Vgl. „Wohl behütet im neuen Jahr“, in: Mannesmann Werkszeitung. Ausgabe Hüttenwerke, (1953), Nr. 12, S. 10 f.; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4961/2, verschiedene Entwürfe für Rundschreiben Nr. 127, 2.12.1953; „‚Behüte‘ Deinen Kopf – Du hast nur einen!“, in: Echo der Arbeit (1954), Nr. 9, S. 102 f.; „Schutzhelme wurden nach amerikanischem Vorbild bei einigen Abt. der Westfalenhütte eingeführt“, in: Werk und Wir (1954), Nr. 2, S. 51; LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 222, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1955, Bl. 60.; HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 10. 431 Vgl. F. Zemelka, „Amerika von mir aus gesehen“, in: Unser Profil (1953), Nr. 2, S. 85–91, hier: S. 86. 432 Vgl. erste Überlegungen zur Schutzfunktion von Aluminiumhelmen gegenüber den üblichen Lederkappen bei Krupp bereits im Jahr 1934. HAK, WA 77/702, Schreiben Technisches Büro, 19.1.1934. 433 Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 4, S. 50– 52; „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f. Auch die Ausführungsart konnte sich je nach Einsatzgebiet unterscheiden: z. B. im Umgang mit Elektrik aus nichtleitendem Material oder im Stahlwerk mit zusätzlichem Nackenschutz gegen Staub und Funkenflug, vgl. „Wir tragen Helme“, in: Westfalenhütte (1954), Nr. 2; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1954, S. 66. 434 Vgl. „Wohl behütet im neuen Jahr“, in: Mannesmann Werkszeitung. Ausgabe Hüttenwerke (1953), Nr. 12, S. 10 f.; „Die Erprobung erfolgt mit wissenschaftlicher Gründlichkeit“ und „Harte Hüte im Examen“, jeweils in: Echo der Arbeit (1954), Nr. 9, S. 102 f., und (1958), Nr. 16, S. 191; „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f. 435 Vgl. „Westfalenhütte führt Schutzhelme ein“, in: Westdeutsches Tageblatt, 23.2.1954 (TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917).

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mentieren im Folgenden die Umsetzungsmaßnahmen in den einzelnen Unternehmen ausführlich. Hinzu kam erstmals die starke öffentliche Werbung durch eine gezielte Information an Pressevertreter. Auch die Gewerbeaufsicht und das „Bundesarbeitsblatt“ berücksichtigten die innovative Schutzmaßnahme in ihrer Berichterstattung.436 Die Bedeutung des Körperschutzes wurde durch wiederholte Appelle bis in den Verantwortungskreis der Familien getragen.437 Dabei war die direkte Ansprache der Belegschaft, etwa durch gezielte Anschreiben, jedoch kein Garant für Erfolg. Die massiven Werbemaßnahmen und wiederholten Appelle weisen vielmehr auch auf massiven Durchsetzungsprobleme bei den neuartigen Schutzmitteln hin. Die Kritik der Belegschaft richtete sich insbesondere gegen Aussehen und Tragekomfort des zunächst auch als störend empfundenen Kopfschutzes.438 Auch wurde aus der Belegschaft kritisch hinterfragt, ob das Tragen von Schutzhelmen an allen Arbeitsplätzen grundsätzlich erforderlich sei. Die Notwendigkeit eines allgemeinen Gefahrenschutzes hatte sich noch nicht durchgesetzt.439 Die methodische Umsetzung des Arbeitsschutzes griff auf die altbewährte Mischung aus Appell, Abschreckung und Disziplinierung zurück. Schließlich beseitigte beispielweise die Dortmunder Werksleitung das Problem der Freiwilligkeit, indem die Helme an den meisten Arbeitsplätzen der Produktionsbetriebe vorgeschrieben und die Benutzung von Unfallvertrauensleuten und Sicherheitsingenieuren durch Ansprache und Kontrolle in den Betrieben überprüft wurden.440 Mit Hilfe eines „psychologischen Tricks“441 versuchte die HOAG den Schutzhelm zu etablieren: Man habe die Schutzhelme zunächst nur an Stellen mit besonderer Gefährdung ausgegeben und damit den Protest der übrigen Belegschaft provoziert.442 Doch der tatsächliche Erfolg der Maßnahme muss relativiert werden. Denn auch in Oberhausen ist ein ähnliches Ergebnis wie in den anderen Unternehmen zu beobachten. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch in Oberhausen mehrere Appelle zum Tragen der

436 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Zusammenstellung der Arbeitsschutzstelle, u. a. „Westfalenhütte führt Schutzhelme ein“, in: Der Mittag, 23.2.1954; „Schutzhelme im Hüttenwerk“, in: Rheinische Post, 23.2.1954; „Westfalenhütte führt Schutzhelme ein“, in: Westdeutsches Tageblatt, 23.2.1954; „Schutzhelme in der Westfalenhütte“, in: Westfälische Rundschau, 26.2.1954; „Vor dem Arbeitsbeginn: Helm auf!“, in: Westdeutsches Tageblatt, 26.2.1954; „Schutzhelme – je nach Verwendungszweck“, 1957. 437 Vgl. u. a. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 3, S. 38. 438 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, H/1928, Haurand, „Vorschläge aus der Praxis der Unfallverhütung“, März 1954, S. 6. 439 Vgl. ebenda. 440 Vgl. „… wie ein Rutengänger. Der Sicherheitsingenieur spürt Unfallquellen auf“, in: Westfalenhütte (1958), Nr. 4, S. 170 f.; DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 4, S. 52–54; „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f.; „Helm mit roten Streifen kennzeichnet Neuling“, in: Westdeutsche Allgemeine, 7.6.1962 (HAK, WA 70/432). 441 „Bewährter Ansporn: mehr Prämien für weniger Unfälle“, Abdruck in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 18, S. 216. 442 Vgl. ebenda.

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Schutzkleidung prominent in der Werkszeitschrift platziert.443 Das Beispiel spiegelt das patriarchalische Verständnis des Oberhausener Arbeitsdirektors Karl Strohmenger vom Arbeitsschutz als Teil der betrieblichen Fürsorge wider. Nach den Erinnerungen seines Assistenten Alfred Heese betrachtete er „[d]ie Umsetzung dieser Maßnahmen […] als eine erzieherische Aufgabe […], die er mit Nachdruck und Strenge verfolgte.“444 Hierfür nutzte er gezielt auch die vorhandenen Arbeitsschutzund Belegschaftsgremien als Durchsetzungsinstrumente. Während er mit aller Strenge die Anwendung von Arbeitsschutzvorschriften verfolgte, dienten die disziplinierenden Ausschüsse als erzieherisches Element, um die betroffenen Arbeiter nicht nur „[…] abzustrafen, sondern Einsicht zu erreichen, zu ermahnen und damit Verhaltensänderungen zu bewirken.“445 Langfristig wuchs jedoch die Akzeptanz der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA), auch durch ihre technische Weiterentwicklung in Zusammenarbeit mit den Nutzern selbst, bis in die 1960er Jahre.446 Zur konsequenten und glaubwürdigen Einführung von Schutzhelmen zählte auch die Nutzung durch alle Werksangehörigen und Besucher. Daher nahmen die Abbildungen in den Werkszeitungen mit Helmschutz deutlich zu und die Vorbildfunktion der Führungskräfte wurde stärker berücksichtigt.447 Die Besucherhelme wurden ab 1958 auch noch durch eine farbliche Kennzeichnung zusätzlich hervorgehoben.448 Die Werkszeitschrift der DHHU betonte dabei schließlich: „Es ist heute selbstverständlich, daß auch unsere Werksbesucher, wie z. B. der Bundeskanzler im April vorigen Jahres, ebenfalls im Werk einen Schutzhelm tragen.“449 Mit einer offiziellen Kennzeichnung von Funktion und Befugnissen im Werk wurden die farbigen Helme auch genutzt, um die Betriebszugehörigkeit (etwa Neulinge oder Umsetzungen) oder spezielle Tätigkeitsbereiche (Unfallvertrauensleute, Elektrik, Sprengmeister) kenntlich zu machen. Zusätzlich sollte durch auffallende Farben die bessere Sichtbarkeit für die Kranführer gefördert werden.450 443 Vgl. „Unfallmeldung: Trug keinen Schutzhelm“ und „Hättest du deine Schutzausrüstung getragen“, jeweils in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 5, S. 59, und Nr. 9, S. 106. 444 Kruse u. a., Alfred Heese, S. 15. 445 Ebenda, S. 16. 446 Vgl. „Das Sicherheitswesen hat das Wort: Ein Jahr ist vorbei“, in: Unsere ATH (1958), Nr. 12, S. 34 f., hier: S. 35. 447 Dies gelang jedoch auch in den Folgejahren nicht immer, wie Leserbriefe als Reaktionen auf fehlende Schutzausrüstungen beweisen. Vgl. u. a. „Stürme der Entrüstung. Rücktitel des JuniHeftes im Kreuzfeuer der Kritik – Hat die Redaktion geschlafen? – Vielleicht war es ein gelungener Test“, in: Der Werktag, Ausgabe Hüttenwerke (1962), Nr. 8/9, S. 7; „Provozierendes Bild testete Sicherheitsdenken“, in: Echo der Arbeit (1971), Nr. 8, S. 18 f. 448 Vgl. „Wir tragen Helme“ und „An den Schutzhelmen erkennbar“, jeweils in: Westfalenhütte (1954), Nr. 2, und (1958), Nr. 1, S. 39; Titelbild, Kommentar und „Aufsichtsrat mit Helmen“, jeweils in: Echo der Arbeit (1958), Nr. 6, Titelseite und S. 58, und (1959), Nr. 14, S. 161. 449 Eberhard Merkelbach, „Im Werk Hörde kein tödlicher Betriebsunfall“, in: Unser Werksbild (1966), Nr. 1, S. 27; vgl. mit Abbildung „Der Bundeskanzler besuchte die Hüttenunion“, in: Unser Werksbild (1965), Nr. 2, S. 16 f. 450 Vgl. „… wie ein Rutengänger. Der Sicherheitsingenieur spürt Unfallquellen auf“, in: Westfalenhütte (1958), Nr. 4, S. 170 f.; Titelbild und Kommentar, in: Echo der Arbeit, 6 (1958), Titelseite und S. 58; TKA, A/31819, Anordnung zum Tragen von Schutzhelmen, 31.10.1958, An-

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Die unermüdliche Darstellung des Schutzwertes der Helme, aber auch Disziplinarmaßnahmen von Unfallkommissionen steuerten dem Nichttragen der Schutzausrüstungen konsequent entgegen. Dabei setzte sich in breiten Teilen der Belegschaft zwischen Zwang und Appell das Tragen des Schutzhelms langfristig durch, bis er sogar einen zunehmenden Symbol- bzw. Uniformcharakter des Arbeiters – wie z. B. während der Streiks in Rheinhausen zum Ende der 1980er Jahre – ausstrahlte.451 3.4.1.2 Sicherheitsschuhe Ähnliche Akzeptanzprobleme sind auch bei der Einführung der Sicherheitsschuhe im vergleichbaren Zeitraum zu beobachten. Im Unterschied zu den Helmen wurden diese von den Werken jedoch nicht kostenfrei, sondern lediglich vergünstigt ausgegeben. Dies begründete die Gewerbeaufsicht mit einer verbesserten Pflege und Achtsamkeit im Umgang mit den Schuhen, da bei einer kostenlosen Abgabe der Schuhe „die Arbeiter an der Erhaltung der Schuhe nicht interessiert sind.“452 So wurden sie zunächst auch nicht als unmittelbar verpflichtender Teil der Schutzausrüstung eingestuft, sondern ihre Benutzung lediglich (dringend) empfohlen.453 Gleichzeitig ergab sich in einigen Arbeitsbereichen die Frage nach ihrer tatsächlichen Schutzfunktion. So stellte die Gewerbeaufsicht NRW 1950 fest, dass eng anliegende Gießereischuhe von der Belegschaft abgelehnt würden. Hierin werde weniger der tatsächliche Schutz vor brennbaren Stoffen als vielmehr eine zusätzliche Gefahr gesehen, da demgegenüber lockeres Schuhwerk „[…] bei Verbrennungsgefahr schnell abgestreift werden kann.“454 Auch die von der Gewerbeaufsicht in diesem Zusammenhang bemängelte unzureichende Verbreitung von Asbestgamaschen wirft ein Schlaglicht auf die Ambivalenz der Sicherheitsausrüstungen zwischen Sicherheit und Tragekomfort. Es wurde nicht nur eine zunehmende Schutzfunktion, sondern auch eine zusätzliche Belastung (Gewicht und zusätzliche Wärmebelastung) an den Hitzearbeitsplätzen herausgestellt.455 Die Verbreitung allgemeiner Sicherheitsschuhe in den Werksbereichen folgte ähnlichen Mustern wie bei der Einführung der Helme. Die differenzierten Unfallur-

451 452 453 454 455

lage; TKA, TNO/3468, Niederschrift Kaminsitzungen, 3. und 17.4.1959, S. 3; TKA, TNO/2462, Sozialbericht HOAG, März 1960, S. 44; „Alle unter einem Hut: Warum wurden in Huckingen die Harthüte gekennzeichnet?“ und „Das S und B am Harthut weist sie aus“, jeweils in: Der Werktag. Ausgabe Hüttenwerk (1961), Nr. 11, S. 13, und (1962), Nr. 8/9, S. 101 f.; LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 252, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1956, Bl. 53; Nr. 167, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1954, Bl. 61; Heese, Personal- und Sozialarbeit, hier: S. 1065. Vgl. Bierwirth u. a., AufRuhr. Vgl. auch „Wer braucht 12 t Handschuhe?“, in: MannesmannIllustrierte (1986), Nr. 4, S. 30 f. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW für das Jahr 1952, S. 52. Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 3, S. 38– 41. Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1950, S. 27. Vgl. ebenda.

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sachenanalysen hatten auch den Schutz der unteren Extremitäten in den Fokus der Sicherheitsingenieure gerückt. Mit dem genaueren Bild des Unfallgeschehens wie auch der technischen Fortentwicklung der Schutzmittel erfolgt nun eine flächendeckende Ausrüstung der Belegschaft mit einem Fußschutz. Die bereits aus der Zwischenkriegszeit bekannten und sowohl auf amerikanische Vorbilder als auch auf Schnürschuhe aus dem Bergbaubereich zurückgehenden „Unfallverhütungsschuhe“ wurden nun gezielt weiterentwickelt.456 Insbesondere wegen der großen Zahl an Fußverletzungen (im Hüttenwerk Rheinhausen beispielsweise gingen daraufhin die Verletzungen um nahezu ein Drittel zurück) sahen die Ingenieure die Chance, durch geeignetes Schuhwerk technisch gegenzusteuern.457 Den Anfang machte die HOAG im Jahr 1950, die anderen Unternehmen folgten diesem Vorbild jedoch in den Folgejahren rasch und ausnahmslos.458 Die Verbreitung verlief ebenfalls durch die Werbung in der Werkszeitschrift und den gezielten Einbezug öffentlicher Berichterstattung.459 Die Appelle unter direkter Ansprache der Familie wie in Abb. 13 waren unter dem Slogan „Vati, das passiert Dir nicht wieder!“460 bei der DHHU und der HOAG identisch. Auch die Akzeptanz gestaltete sich ähnlich problematisch. Hier drängte insbesondere die praxisnahe Verbesserung des Materials. Zwar waren nach Einschätzung der Gewerbeaufsicht 1955 im Schnitt bereits 30 bis 50 Prozent der Belegschaften mit Sicherheitsschuhen ausgerüstet worden, allerdings nur mit einer eingeschränkten Zufriedenheit der Zielgruppe.461 Bei einer Umfrage der HOAG wurden die zu hohen Preise und die mangelhafte Qualität für den Dauergebrauch (insbesondere von Sohle und Oberleder) bemängelt. Außerdem wurden Klagen über den mangelhaften Tragekomfort (hohes Gewicht oder Druckstellen) laut.462 Tatsächlich ergriffen die Werke in den Folgejahren etliche Maßnahmen in Kooperation mit den Herstellern, um Schutzelemente und Tragekomfort besser in Einklang zu bringen. 456 Vgl. Steeg, Sicherheitsschuh; „Alte Schuhe schaffen Unfälle“, in: WAZ, 5.4.1951 und „Schuhe können Verletzungen verhüten“, in: Duisburger General-Anzeiger, 5.4.1951 (HAK, WA 70/432). 457 Vgl. „Unfallschutzschuhe zur Verhütung von Fußverletzungen“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 7.; HAK, WA 70/20, Niederschrift erweiterte Vorstandssitzung am 29.9.1951, S. 3.; LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 83, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1951, Bl. 76. 458 Vgl. „Die Sicherheitsschuhe sind da!“, in: Echo der Arbeit (1950), Nr. 21; TKA, BRTKS/2, Protokoll Betriebsratssitzung, 13.6.1951; „Unfallschutzschuhe zur Verhütung von Fußverletzungen“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 7; „Tragt Sicherheitsschuhe“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1953), Nr. 5; „Aktion verbilligte Sicherheitsschuhe“, in: MW Information (1958), Nr. 2, S. 4. 459 Vgl. „Die Presse im Dienst der Unfallverhütung“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1951), Nr. 2/3, S. 7 f.; mit den entsprechenden Berichten „Alte Schuhe schaffen Unfälle“, in: WAZ, 5.4.1951, und „Schuhe können Verletzungen verhüten“, in: Duisburger General-Anzeiger, 5.4.1951 (HAK, WA 70/432). 460 „Sicherheitsschuhe“, in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 5, S. 62 f. und S. 65, hier: S. 62; DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 3, Titelblatt. 461 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 222, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1955, Bl. 59. 462 Vgl. „Was halten Sie von Sicherheitsschuhen?“ und „Noch einmal: Sicherheitsschuhe“, jeweils in: Echo der Arbeit (1954), Nr. 2, S. 22, und Nr. 5, S. 52.

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Abb. 13: „Vati, das passiert Dir nicht wieder!“ Quelle: DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, 3. Folge, o. D., Titelblatt.

Doch die Kritik aus der Belegschaft riss nicht ab: Rund 25 Prozent der Aussagen bezogen sich auch 1957 noch immer auf das zu hohe Gewicht und 6 Prozent empfanden die Schuhe in einigen Tätigkeitsbereichen gar als hinderlich. Daneben wurden weiterhin die hohen Anschaffungskosten bemängelt. So trugen trotz aller Werbe- und Fördermaßnahmen noch immer 14 Prozent der Arbeiter anstelle von speziellen Arbeits- und Sicherheitsschuhen für den privaten Gebrauch ausrangierte Schuhe bei der Arbeit.463 463 Vgl. „Noch tragen nicht alle Belegschaftsmitglieder Sicherheitsschuhe … und Du?“ und „Wir tragen Sicherheitsschuhe“, jeweils in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 18, S. 220 f., hier: S. 221 und Nr. 20, S. 242 f.; vgl. auch LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 168, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1954, Bl. 58.

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Auch in Oberhausen wehrten sich die Sicherheitsingenieure gegen die anhal­ tende Kritik aus der Belegschaft, indem die Errungenschaften bei der Weiterent­ wicklungen von Sicherheitsschuhen beworben wurden. Dabei gestaltete sich die Entwicklung eines „[…] leichteren und trotzdem widerstandsfähigen Sicherheits­ schuh[s] […], der den rauen Beanspruchungen eines Hüttenwerkes gewachsen ist […]“464 tatsächlich schwieriger als erwartet. Auch der Tragekomfort müsse, durch elastischeres Sohlenmaterial, erst noch erprobt werden. Beanstandungen der Quali­ tät und auch das Auftragen alter Schuhe wurden jedoch kategorisch abgewiesen.465 Diese Kritik schlug sich bezeichnenderweise tatsächlich jedoch nicht auf den ei­ gentlichen Schuhabsatz nieder. Während 1955/56 noch ein deutlicher Einbruch zu erkennen war, blieb der Schuhverkauf seit 1957 in Oberhausen weitestgehend sta­ bil. Das Interesse an den Schuhen stieg aufgrund der technischen Verbesserungen deutlich.466 Auch die Gewerbeaufsicht appellierte an die Unternehmen, vor dem Einsatz der Sicherheitsschuhe Qualitätstests durchzuführen, um einer subjektiven und alleinigen Bewertung durch die Arbeitnehmer vorzugreifen, um so nicht die Akzeptanz der Schutzmittel durch die Ausgabe minderwertiger oder nicht geeigne­ ter Produkte infrage zu stellen.467 Insgesamt gaben die Westfalenhütte und das Hüttenwerk Huckingen bis zu Be­ ginn der 1960er Jahre jeweils rund 50.000 Paar Sicherheitsschuhe aus – ihre jetzt auch optische Präsenz innerhalb der Belegschaft war nunmehr unumstritten.468 Hinzu kamen die Schutzhelme, die das gewandelte Erscheinungsbild der Arbeiter – und damit ihr Selbstverständnis – ebenfalls deutlich hervorhoben.469 In Rheinhau­ sen steigerten sich die Ausgaben für Schutzhelme kontinuierlich von 45 Stück (im Wert von rund 560 DM) 1953 auf über 4.000 Stück (rund 70.000 DM) im Jahr 1956.470 Nach den zeitgenössischen Untersuchungen der DHHU ließ sich mit der Verbreitung der Sicherheitsschuhe auch ein Rückgang der meldepflichtigen Zehen­ verletzungen nachweisen: Während im Monatsdurchschnitt 1952 noch 23 melde­ pflichtige Unfälle dieser Art eintraten, reduzierte sich ihre Anzahl bis 1956 auf 9 Unfälle. Mit steigender Verbreitung der Schuhe sank auch der Anteil der Zehenver­ letzungen an den meldepflichtigen Unfällen insgesamt, von 11 Prozent (1952) auf 4 Prozent (1956).471 464 „Wir tragen Sicherheitsschuhe“, in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 20, S. 242 f., hier: S. 242. 465 Vgl. Ebenda. Zur Prüfung von Sohlenmaterial (auch Gummi) in der allgemeinen Schuhproduk­ tion bereits „Schuhprüfstrecken“ im Nationalsozialismus vgl. Sudrow, Der Schuh, S. 511–571. 466 Vgl. „Wir tragen Sicherheitsschuhe“, in: Echo der Arbeit (1957), Nr. 20, S. 242 f., hier: S. 243. 467 Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1955, in: BMA, Jahresberichte Gewerbe­Aufsicht 1955, S. NrW 60 f. 468 Vgl. TKA, Hoesch­Archiv, HO 10/917, Jahresbericht Arbeitsschutzstelle 1958, 6.7.1959, S. 5; „Das 50 000. Paar Sicherheitsschuhe“, in: Der Werktag. Ausgabe Hüttenwerk (1961), Nr. 7/8, S. 17. 469 Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz­Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 4, S. 50. 470 In den Folgejahren trat ein Sättigungseffekt ein, ein Großteil der Belegschaft war mit Helmen ausgestattet. Vgl. „Mit dem Schutzhelm sicher leben“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 46 f. 471 Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz­Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 3, S. 40. Vgl. dazu auch Angaben nach LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 167, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1954, Bl. 62; Koch, Einige Gesichtspunkte.

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Die Umsetzung dieser technischen Schutzmaßnahme folgte den Entwicklungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die etwa in Fragen des Schuhwerks durch die Lederbewirtschaftung unterbrochen worden war. Sie wurde durch die Fortentwicklung neuartiger Materialien, wie etwa der Kunststoffhelme, gefördert (auch Leder konnte wieder bezogen werden). Die Durchsetzung erfolgte nach teilweise drastischen Belehrungs- und Disziplinierungsmustern, da sich aufgrund qualitativer Mängel, Komforteinschränkungen oder auch allgemeiner Vorbehalte gegen das Selbstbild zunächst eine kooperative Schutzwerbung kaum durchsetzten konnte. Dabei verkannte die Unternehmensleitung offenbar nicht nur Probleme wie die einschränkende Wirkung von Sicherheitskleidung im Arbeitsprozess, sondern auch den Einfluss auf die zeitgenössische Selbstwahrnehmung mit einer physisch belastbaren und nahezu unverletzbaren Körperlichkeit.472 Die Kritik an den Schutzhelmen rekurrierte häufig auch auf das Selbstbild der Arbeiter, mit den Helmen „eine komische Figur abzugeben“473. Die Scheu vor Hänseleien und Verspottung der eigenen „Feigheit“474 wurde zeitgenössisch zwar erkannt, zugleich jedoch mit dem Verweis auf „Eitelkeit“475 und das Vorbild der USA erwidert.476 Nach der großflächigen Einführung persönlicher Schutzmittel rückte der Schwerpunkt der Sicherheitsarbeit dauerhaft auf den tatsächlichen, individuellen Gebrauch seit den 1960er Jahren.477 Nachdem sich die Bereitschaft zum Tragen der Schutzmittel trotz der Appelle weiterhin in Grenzen hielt, wollten Betriebsrat und Vorstand die Beachtung der Vorschriften nun sowohl von Seiten der Arbeitervertretung als auch der Aufsichtspersonen stärker erzwingen.478 So wurde nach einem Bericht der Mannesmann AG 1963 noch knapp die Hälfte aller Unfälle mit Kopfverletzungen und rund 40 Prozent der Zehenverletzungen in den Hüttenwerken der Nichtbenutzung der verfügbaren Schutzmittel zugeschrieben.479

472 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, H/1928, „Vorschläge aus der Praxis der Unfallverhütung“, März 1954, S. 6. 473 „Eisenindustrie und Unfallverhütung“ von Hüttendirektor Dr. Albrecht Harr auf der Tagung „Arbeitsschutz und Unfallverhütung“, Auszüge in: Westfalenhütte (1956), Nr. 1, S. 17–21, hier: S. 19. 474 Ebenda. 475 „Zum Filzhut greift die Eitelkeit, der Schutzhelm dient der Sicherheit!“, in: Unser Profil (1959), Nr. 3, S. 47. 476 Vgl. „‚Drüben‘ arbeitet jeder mit. Mitarbeit bei der Unfallverhütung kommt jedem zugute“, in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 6. Vgl. auch Heitkamp, Erwerbsarbeit. 477 Vgl. TKA, A/4109, Bekanntmachung ATH, 19.4.1960; A/31819, Bericht Abt. Sicherheitswesen 1959/60, S. 4. 478 Dies galt übergreifend für die Betriebe in Hamborn, Ruhrort und für den Hochofenbetrieb Hüttenwerk. Vgl. TKA, A/4109, Entwürfe Bekanntmachung ATH, 28.2.1966 und 2.3.1966; „Alter Hut oder moderner Schutzhelm?“; „Ein ernstes Wort an unsere Mitarbeiter“; „Harte Maßnahmen bei schuldhafter Mißachtung der Sicherheitsvorschriften“ und „Bei grober Fahrlässigkeit drohen Strafen“, jeweils in: Unsere ATH (1964), Nr. 10/11, S. 16; (1966), Nr. 2, S. 3; (1966), Nr. 3/4, S. 7, und (1966), Nr. 5/6, S. 22. 479 Vgl. MA, M 21.530.18, Personal- und Sozialbericht Mannesmann AG 1963, S. 19.

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3.4.2 Wiederbelebte Anreizsysteme im Arbeitsschutz Das Hüttenwerk Oberhausen führte als erstes der betrachteten Unternehmen ab 1955 ein umfassendes Prämiensystem für unfallfreies Arbeiten ein.480 Diese Maßnahme ist symptomatisch für die in dieser Zeit vorherrschenden Trial-and-ErrorProzesse des betrieblichen Arbeitsschutzes, denn es wurden während der 1950er Jahre einige Neuerungen und Modifikationen eingeführt, deren Erfolg vorher nicht immer abzusehen war. 3.4.2.1 Prämienwettbewerbe bei der HOAG Die Entscheidung zur Einführung eines Prämiensystems kam nicht überraschend oder unvorbereitet. Auf Anregung des Arbeitsdirektors Karl Strohmenger gab es bereits seit 1955 eine umfassende Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Prämienverfahren. Die Abteilung Arbeitsschutz übernahm hierbei vergleichende Ausarbeitungen zu Kosten und Geldmitteln, Vorgehen und Voraussetzungen entsprechender Systeme. Wegen der Pionierrolle und damit fehlender vergleichbarer Erfahrungswerte in der Branche begleitete die Abteilung Arbeitsschutz die Maßnahmen intensiv und nahm immer wieder Auswertungen und daraus abgeleitete Verbesserungsvorschläge in den einzelnen Umsetzungsphasen vor. Im Sinne der Verflechtung des Know-hows wurden auch internationale Vorbilder (etwa die amerikanische Bergbaugesellschaft International Minerals & Chemical Corporation in Carlsbad) bei der Frage der Durchführung und Bewertungskriterien nachweislich berücksichtigt.481 Die Eisen- und Stahlindustrie war Teil einer allgemeinen Entwicklung, das zuerst von der HOAG aufgegriffen wurde. Henkel hatte bereits im Jahr 1948 mit dem Sicherheitsingenieur Paul Trockel den „Wettbewerbsgedanken“ als neues „finanzielle[s] Anreizsystem“482 weiterentwickelt. Die Einführung des ersten Prämiensystems 1956 als Anreizsystem erfolgte mit dem ehrgeizigen Ziel, die Unfälle im Wettbewerbszeitraum um 15 Prozent zu senken. Ziel des Unternehmens war es, die kompensatorische Orientierung des Arbeitsschutzes in eine präventive Richtung zu lenken. So wurden die finanziellen Mittel für die Aktion aus der Abschaffung der vom Unternehmen bis dahin für die Belegschaft abgeschlossenen kollektiven (Zusatz-)Unfallversicherung bereitgestellt und als Prämie für unfallfreies Arbeiten ausgelobt. Die direkten finanziellen Vorteile schufen innerhalb der Belegschaft tatsächlich einen attraktiven Anreiz – 480 Darüber hinaus gibt es Hinweise auf einen weiteren Unfallverhütungswettbewerb der Branche vor 1954, der sich auf die Mitarbeiter einer Gießerei beschränkte. Vgl. Mausolff, Stand der Unfallverhütung, hier: S. 88. 481 Vgl. TKA, TNO/3469, Entwürfe zu Prämien für erfolgreiche Unfallverhütung der Abt. Arbeitsschutz an Strohmenger, 2.8., 13.9. und 17.9.1955; Stellungnahme Personalabteilung zu Prämien für Unfallverhütung, 26.9.1955; Schreiben Arbeitsschutz, 21.8.1957, Anlage. Zu vorausgegangenen und zeitgleichen Systemen vgl. Trockel, Unfallverhütungs-Prämie. 482 Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 43; vgl. auch in der zeitgenössischen Zusammenfassung zu Henkel und Ford: Unfallprämien senken Unfälle, 1956.

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Einwendungen gegen diese Änderung sind zu diesem Zeitpunkt nicht überliefert. Besonders Strohmenger bewarb die Initiative zur Anerkennung von unfallfreiem Arbeiten als Anreizsystem, das eine Einteilung der Angestellten und Arbeiter in insgesamt 170 Wettbewerbsgruppen vorsah. Auf der Grundlage der Unfallzahlen von 1955 wurden in einem Vergleich der Abteilungen und Meistergruppen mit den eigenen Vorjahresergebnissen – nach einem festgelegten Schlüssel steigender Prämien bei ausbleibenden Unfällen – finanzielle Vergütungen an die Belegschaft ausgeschüttet.483 Als Vorbild diente das 1956 bei der HWBG umgestellte Versicherungssystem vom Umlage- auf das Vorbelastungsverfahren. Hier wurde eine unmittelbare finanzielle Belastung durch eingetretene Unfälle im Unternehmen gegenüber der Berufsgenossenschaft eingeführt. Nach dem gleichen Schema erfolgte eine finanzielle Würdigung niedriger Unfallzahlen.484 Dabei waren sich die Akteure durchaus bewusst, dass eine solche Einteilung auch zu Ungerechtigkeiten aufgrund ungleicher Gefährdungspotenziale führte. Die Benachteiligung von Betrieben mit geringerem Unfallstand wurde jedoch bewusst in Kauf genommen, da „[…] dieses System in erster Linie die Unfälle dort abbauen soll, wo sie am häufigsten vorgekommen sind.“485 Entgegen allen Erwartungen wurde das Ziel im Aktionszeitraum sogar noch übertroffen – erreicht wurde ein Rückgang der absoluten Unfälle um 37 Prozent bei gleichzeitigem Anstieg der Rohstahlproduktion um 14 Prozent. Im Ergebnis sei 1953 noch jeder 9. und 1956 nur noch jeder 22. Mitarbeiter von einem Unfall betroffen gewesen. Den relativen Rückgang (in Bezug auf 1.000 Beschäftigte) bezifferte das Unternehmen auf rund 40 Prozent, während der allgemeine Rückgang der HWBG im gleichen Zeitraum acht Prozent betrug. Anschaulich gesprochen hätten so dem Unternehmen insgesamt 86 Mitarbeiter mehr mit ihrer Arbeitskraft zur Verfügung gestanden als im Durchschnitt der Branche. Der Mehraufwand der Aktion von rund 60.000 DM wurde insbesondere durch die Einsparungen bei den finanzi483 Vgl. TKA, TNO/2460, Sozialbericht HOAG, Dezember 1956, S. 43 f.; TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse des Unfallprämiensystems; „Verhütung von Unfällen wird belohnt“; Titelblatt und „Wie sieht es bis jetzt mit den Prämien aus?“, jeweils in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 1, S. 8; Nr. 2, Titelseite und Nr. 6, S. 69. 484 Vgl. Heinz-Günter Kemmer, „Die finanziellen Lasten von Betriebsunfällen“, in: Die Welt, 17.1.1957 (TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966). Bereits ab 1954 hatten die paritätischen Vertretungen der HWBG Einführung und Entwicklung eines Vorbelastungsverfahrens, also der Kopplung von Zuschlägen oder Nachlässen der Beitragsberechnung an die Unfallentwicklung, beraten und erprobt. Unter Beteiligung der Unternehmen wurde das System beibehalten, bis dieses Vorgehen durch das UVNG (1963) vorgeschrieben wurde. Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4998, Niederschriften Vertreterversammlungen HWBG, 23.12.1954, 10.10.1955, 9.12.1957; Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Jahresbericht Ausschuss für Sozialwirtschaft 1956, Düsseldorf 1957, S. 31 f.; HWBG, Verwaltungsberichte 1957, S. 4, und 1960, S. 6; HWBG, 100 Jahre Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft, S. 40 f. Vgl. zum UVNG ausführlich Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 365–370. 485 TKA, TNO/3469, Prämien für erfolgreiche Unfallverhütung, Entwurf Abt. Arbeitsschutz, 17.9.1955. Vgl. auch TKA, TNO/3469, Stellungnahme Personalabteilung zu Prämien für Unfallverhütung, 26.9.1955, S. 1; zuvor allgemein Mausolff, Stand der Unfallverhütung, hier: S. 87 f.

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ellen Belastungen durch die Berufsgenossenschaft und die indirekten Kosten gerechtfertigt.486 In der Rückschau musste dieses positiv propagierte Resultat jedoch relativiert werden. In einer internen Aufstellung 1961 schlägt unter Berücksichtigung aller Aufwendungen für Prämien, Beiträge und die deutlich geringeren Einsparungen bei der Berufsgenossenschaft sowie die Ersparnis der Kollektiv-Versicherung tatsächlich ein Aufwand von rund 200.000 DM zu Buche, der auch im Folgejahr in diesem Rahmen blieb.487 Im Gesamtergebnis wertete Strohmenger dieses Experiment trotzdem als inhaltlich geglückt und erhob es zum „entscheidende[n] Schritt in unserer Unfallverhütungsarbeit“488. Auch die Gewerbeaufsicht schloss sich dem positiven Urteil einer erfolgreichen Präventionsmaßnahme an und nahm das Oberhausener Beispiel prominent in ihren Jahresbericht auf.489 Neu ist auch ein systematisches Ineinandergreifen von Werbemitteln und Medien zu beobachten. Flankiert wurde der neue Wettbewerb insbesondere durch eine umfassende Berichterstattung in der Werkszeitschrift sowie durch Informationen an die Fachpresse und (über)regionale Berichterstattung, die dieses neue Projekt auch über Werks- und Stadtgrenzen hinaus gezielt bewarben.490 Bei einer Neuauflage im Jahr 1957 wurden beobachtete Mängel aus der ersten Wettbewerbsphase korrigiert. Es wurden niedrigere Maximalprämien eingeführt, um insgesamt eine höhere Anzahl von Belegschaftsmitgliedern zu erreichen und sie noch stärker zur Mitarbeit im Arbeitsschutz zu motivieren.491 Neu war die zusätzliche Einteilung der Meisterbereiche in Gefahrenklassen, da sich die Befürchtungen von Ungerechtigkeiten in der Erfolgsbilanz der Betriebe in der Unfallverhütung bewahrheitet hatten.492 Tatsächlich zeigte sich jedoch, dass sich entgegen den Erwartungen der Anteil der von den Prämien profitierenden Belegschaft in Oberhausen verringerte.493 Auch beim Rückgang der Unfälle schnitt der neue Wettbewerb in diesem Jahr nicht erfolgreicher ab. Die Zahlen waren absolut angestiegen und der geringe relative Rückgang konnte mit den guten Ergebnissen des Vorjahres nicht mithalten. Es gelang jedoch aufgrund dieser Maßnahme, bei steigender Konjunktur und wachsendem Beschäftigungsstand die Unfallentwicklung zumindest stabil zu halten.494 486 Vgl. TKA, TNO/2460, Sozialbericht HOAG, Dezember 1956, S. 44 f. 487 Vgl. TKA, TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse des Unfallprämiensystems. 488 TKA, TNO/2276, Skript zum Vortrag Arbeitstagung der Betriebsleiter und Unfallvertrauensleute, o. D., S. 4. 489 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 252, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1956, Bl. 18; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1956, S. 14–16. 490 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, verschiedene Zeitungsartikel zum Oberhausener Prämiensystem, 1956–1958. 491 Vgl. TKA, TNO/2460, Sozialbericht HOAG, Dezember 1956, S. 47. 492 Vgl. TKA, TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse des Unfallprämiensystems. 493 Vgl. TKA, TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 54. 494 Vgl. TKA, TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse des Unfallprämiensystems.

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Zwar wurde der Wettbewerb auch in den folgenden Jahren fortgesetzt. Jedoch war es immer wieder erforderlich, durch neue Formen der Präsentation und Prämiengestaltung das Interesse der Belegschaft aufrechtzuerhalten. So wurden 1958/59 die Prämiengrundlagen erneut den individuellen betrieblichen Voraussetzungen angepasst, die Unfallschilder (nach dem Vorbild der Esso AG) in Prämientafeln zur Anzahl unfallfrei „verfahrener“ Schichten umgewandelt und zusätzliche Anreize durch die Verlosung von Sicherheitsschuhen geschaffen.495 Ermutigt durch die zunächst außerordentlichen Erfolge des Prämienwettbewerbssystems wurde auch in den Folgejahren an der Methode festgehalten, obwohl die Ergebnisse längst nicht mehr so beeindruckend waren. Dabei schienen die Oberhausener Arbeitsschutzakteure zwar Ungleichheiten in der Bewertung der Prämienleistung ausgeglichen zu haben, jedoch auf Kosten der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Verfahrens.496 Gleichzeitig waren sich die Akteure um Arbeitsdirektor Strohmenger über die Mängel der Maßnahme bewusst. Bereits beim Abschluss des ersten Wettbewerbs 1956 hatten sie sich kritisch über die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten geäußert. Zudem war nicht eindeutig festzustellen, ob der Rückgang der Unfälle tatsächlich auf die Werbeaktion, technische Maßnahmen oder ein allgemein gestiegenes Bewusstsein in der Belegschaft für den Unfallschutz zurückzuführen war.497 Auch die Belegschaft äußerte Kritik, z. B. an der Höhe der zu erreichenden Prämien oder an der mangelhaften Berücksichtigung individueller Arbeitsplatzbedingungen.498 1959 erfolgte der Abbruch der Aktion, den Strohmenger mit nachlassenden Anreizen des Systems rechtfertigte. Aus den Reihen der Gewerkschaft kam die Kritik, das Unternehmen wolle die Mittel einsparen.499 Tatsächlich war der Wettbewerb aus dem Jahr 1958 zunächst fortgeführt und dann im Frühjahr 1959 von der Unternehmensleitung abgebrochen worden, weil der Wettbewerb seine „Zugkraft“500 verloren habe. Gleichzeitig sah sich das Unternehmen scharfer Kritik an den Unfallzahlen ausgesetzt.501 Die überraschende überdurchschnittliche Verbesserung der Unfallstatistik während der ersten Wettbewerbsmonate hatte die HOAG 1956 dazu veranlasst, ein externes (industrienahes) Institut (Forschungsinstitut für Arbeitspsychologie und Personalwesen, Braunschweig/Düsseldorf, FORFA)502 mit der Untersuchung dieses starken Unfallrück-

495 Vgl. ebenda; TKA, TNO/3468, Niederschrift Kaminsitzungen, 3. und 17.4.1959, S. 1; „Das neue Prämiensystem“ und „Glückstrommel drehte sich“, jeweils in: Echo der Arbeit (1958), Nr. 1, S. 4 und Nr. 15, S. 176. 496 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Aktenvermerk „Erfahrungen über die verschiedenartigen Prämienverfahren im Hüttenwerk Oberhausen AG“, 1.12.1961, S. 2. 497 Vgl. TKA, TNO/2460, Sozialbericht HOAG, Dezember 1956, S. 47. 498 Vgl. TKA, TNO/2276, Skript Vortrag der Arbeitstagung der Betriebsleiter und Unfallvertrauensleute am 4.3.1958, S. 3; Stender, Unfallverhütung durch Prämien. 499 Vgl. Der Mohr, 1959; Gegendarstellung in der Werkzeitschrift „Hat der Mohr seine Schuldigkeit getan?“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 6, S. 58. 500 „An erster Stelle steht die Sicherheit“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 4, S. 36. 501 Vgl. u. a. bereits 1955 Das Soziale Gespräch, 1955, hier: S. 21. 502 Vgl. Horney, Das Forschungsinstitut für Arbeitspsychologie und Personalwesen.

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gangs bei der Einführung des Prämiensystems zu beauftragen.503 „[U]nzulässige Methoden oder Verschleierung der Unfallzahlen“504 wurden jedoch nicht festgestellt. So wiesen zwar Vertreter des Vorstands der IG Metall im Sommer 1959 bei einem Besuch der HOAG nochmals auf die Gefahr der „Unterdrückung von meldepflichtigen Unfällen“505 beim Gruppenprämien-System hin. Demgegenüber äußerten sich Vertreter der Bezirksleitung Essen der IG Metall nach einer Tagung der Unfallobleute der HWBG bei der HOAG wenige Monate später grundsätzlich positiv und anerkennend über die Erfolge des Werkes.506 Dabei ist heute nicht mehr zu rekonstruieren, ob die Kritik an den Oberhausener Unfallzahlen gerechtfertigt war. Die rasante Entwicklung der Unfallzahlen warf bei Gewerkschaften, der Berufsgenossenschaft, anderen Unternehmen und nicht zuletzt bei den Oberhausener Akteuren selbst zunächst Fragen auf.507 Das Gewerbeaufsichtsamt Duisburg sprach in seinem Bericht lediglich von einem Ende des Oberhausener Prämiensystems und übernahm die Begründung, dass sich die Wirkung durch die bereits geringen Unfallzahlen erschöpft habe und die Hütte nun neue Maßnahmen des Arbeitsschutzes nach amerikanischem Vorbild, etwa eine stärkere Einbindung der Führungskräfte, erprobe.508 1960 wurde ein neuer Wettbewerb, allerdings mit der Verlosung von Sach- und nicht mehr von Geldprämien, durchgeführt. Dieser war ebenfalls groß aufgelegt; wurde jedoch nicht als „Prämienwettbewerb“, sondern als umfassenderer „Arbeitsschutzwettbewerb“ propagiert.509 Ein Garant für sinkende Unfallzahlen waren diese Wettbewerbe jedoch nicht mehr, und das Verhalten der Belegschaft ließ sich nicht beliebig durch Werbekampagnen steuern: Unsichere Gewinnaussichten und eine weiterhin vergleichsweise unübersichtliche Verfahrensweise hatten wohl die Anreize erneut geschmälert.510 1961 kehrte die HOAG mit deutlich größerem Erfolg noch einmal zu ihrem alten Modell des Prämienwettbewerbs zurück – Grundlage der Teilnahme war die bewährte Einteilung nach Meisterbereichen. Die Ausschüttung der Prämien orien503 504 505 506 507

Vgl. Stender, Unfallverhütung durch Prämien. TKA, TNO/5751, Bericht zu Arbeitsschutzmaßnahmen der HOAG, ca. 1959, S. 11. AdsD, 5/IGMA 130124, Protokoll Besprechung im Hüttenwerk Oberhausen, 13.8.1959, S. 2. Vgl. TKA, TNO/4201, Schreiben IG Metall/Bezirksleitung Essen an Strohmenger, 12.9.1959. Dabei war der HOAG kurz zuvor auch von der Berufsgenossenschaft kein Anerkennungsschreiben mehr zugestellt worden mit der Begründung, dass man zwar die führende Stellung unter den Unternehmen behauptet habe, die Situation in der Unfallschwere aber ungünstiger ausgelegt wurde. Vgl. „Auch ohne Anerkennung: Wir wollen noch weniger Unfälle!“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 4, S. 34. 508 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0050, Nr. 203, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1959, Bl. 14. 509 Vgl. TKA, TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung der bisherigen Ergebnisse des Unfallprämiensystems; „Das Rennen um die Sicherheit“; Titelblatt; „Hoppe, Hoppe, Arbeitsschutz“; „… reitet für die Sicherheit. Fortuna lächelte den Sieger-Jokeis zu“, jeweils in: Echo der Arbeit (1960), Nr. 13, S. 147; Nr. 14, Titelseite; Nr. 14, S. 162 f.; Nr. 15, S. 176 f. und Titelblatt; vgl. auch großer Abschlussbericht in der Werkswochenschau, TKA, Video/512, HOAG: Werkswochenschau, Oktober 1960. 510 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Aktenvermerk „Erfahrungen über die verschiedenartigen Prämienverfahren im Hüttenwerk Oberhausen AG“, 1.12.1961, S. 2.

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tierte sich wieder am Rückgang der Unfallzahlen gegenüber dem Vergleichsjahr 1960.511 Obwohl die Ergebnisse des Prämiensystems dem Unternehmen nach eigenen Angaben zu einem „neue[n] Sicherheitsrekord“512 verhalfen, verschwanden die Wettbewerbe schließlich vorübergehend aus dem Repertoire der Arbeitsschutzwerbung. Erst ab 1968 finden sich wieder Hinweise auf ähnliche Wettbewerbe bei der HOAG.513 3.4.2.2 Vorbilder und Nachahmer im Arbeitsschutzwettbewerb Die grundsätzliche Idee des Wettbewerbsgedankens bei der Unfallverhütung war dabei selbstverständlich nicht neu und blieb – angeregt durch die Oberhausener Erfolgszahlen – nicht ohne Nachahmer. Unter den betrachteten Unternehmen hatte das Werk Hörde 1928/29 bereits ein ähnliches Verfahren erprobt. Und auch 1958 rief die DHHU, nun nach dem Oberhausener Vorbild, erneut eine „Belohnungsaktion für Unfallverhütung“ aus.514 Umfangreiche Zusammenstellungen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung bei der Ausarbeitung des am besten geeigneten Systems.515 Dies erfolgte durch Informationsmaterial (Berichte der Werkszeitschrift und Presseberichterstattung), aber auch durch den direkten Austausch der vernetzten Sicherheitsfachkräfte der Unternehmen. Im Forum der Arbeitsgemeinschaft der Sicherheitsingenieure waren die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Prämien- und Wettbewerbssystemen (HOAG, Niederrheinische Hütte AG, Stahlwerke Südwestfalen AG) ausführlich besprochen worden.516 Die intensive Beobachtung der Oberhausener Ergebnisse dauerte bis in die 1960er Jahre an und die Dortmunder Akteure profitierten erheblich von der Oberhausener „Versuchsreihe“517. Hierzu gehörte auch die umfassende Beschäftigung mit negativen Begleiterscheinungen der Prämien, wie etwa der Gefahr der Verschleierung von Unfällen oder dem wachsenden Gruppendruck auf einzelne Be511 TKA, TNO/1763, Schreiben Strohmenger an Haniel, 5.4.1961, Anlage: Zusammenstellung bisherige Ergebnisse Unfallprämiensystem; „Neues Prämiensystem soll weiterhelfen“; „Sicherheitswettbewerb 1961“ und „Ein eindeutiger Beweis. Durch Prämiensystem zu neuem Sicherheitsrekord“, jeweils in: Echo der Arbeit (1961), Nr. 4, S. 45 f.; Nr. 5, S. 59, und Nr. 13, S. 146. 512 „Ein eindeutiger Beweis. Durch Prämiensystem zu neuem Sicherheitsrekord“, in: Echo der Arbeit (1961), Nr. 13, S. 146. 513 Vgl. TKA, TNO/2465, HOAG, Jahresbericht Personal- und Sozialarbeit 1967/68, Werk Oberhausen, S. 15, und TNO/2466, Jahresbericht 1968/69, S. 14; „Neuer Wettbewerb mit vielen Prämien“, in: Echo der Arbeit (1968), Februar, S. 25. 514 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5048/1, Vorstandsrundschreiben, 1.7.1958. 515 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Informationsunterlagen zur Einführung des Prämiensystems 1957–1961. Bei Krupp findet sich eine ähnliche Sammlung, vgl. HAK, WA 123/17, Aktenvermerk Besprechung mit Vertreter WDI Hamm, 29.4.1957; Prämienkatalog und Werbebroschüre mit Anschreiben der Firma Cappel, Mac Donald and Company Verkaufsförderung GmbH, 27.2.1958 mit Throm, „Schach dem Leichtsinn“, in: FAZ, 6.2.1958. 516 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/1, Rundschreiben mit Protokoll, Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Sicherheitsingenieure, 15.11.1961. 517 TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Aktenvermerk „Erfahrungen über die verschiedenartigen Prämienverfahren im Hüttenwerk Oberhausen AG“, 1.12.1961, S. 3.

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legschaftsmitglieder.518 Auch nach der Bewertung der FORFA war das ursprünglich massive Absinken der meldepflichtigen Unfälle in Oberhausen mit unterschiedlichen Aspekten zu begründen. Nach der Befragung der Belegschaftsmitglieder sorgte das „Novum“ des Wettbewerbs für Interesse, Anreiz und gesteigerte Aufmerksamkeit in der Unfallverhütung. Hierzu zählte auch die „[g]egenseitige Erziehung zu unfallsicherem Arbeiten“519. Andererseits verwies der Bericht auf die Gefahr der Verschleppung von Unfallmeldungen etwa durch verzögerte Besuche bei den Heildienern, die Vertuschung von Unfällen durch die Nutzung des Tarifurlaubs für den Heilungsprozess oder die Umsetzung auf andere Arbeitsplätze bei leichteren Verletzungen, um die Prämien des Meisterbereichs nicht zu gefährden.520 Letztendlich setzte sich nach langer Überlegung und der Berechnung der tatsächlichen Einsparungsmöglichkeiten die Einführung des Prämiensystems im Sommer 1958 trotz aller Einwände bei der DHHU durch.521 Berechnungsgrundlage der Prämien war hier, im Gegensatz zum Oberhausener Verfahren, der Kostenfaktor (Lohnzahlungen, Lohnzuschüsse, Ersatzarbeitskräfte und Vorbelastungsbeiträge an die Berufsgenossenschaft) der 1957 entstandenen Unfälle. Die Umsetzung erfolgte durch die Bildung von Aktionsgruppen. Die einzelnen Betriebe starteten mit einem Guthaben, das sich dann durch meldepflichtige Unfälle und Berufskrankheiten bis zum Ende des Wettbewerbszeitraums verringerte.522 Flankiert wurde der Wettbewerb auch hier von einem umfassenden Medieneinsatz: Hierzu zählten Lohntütenbeilagen und Stechkartenaufdrucke, eine neue Ausgabe der Arbeitsschutz-Mitteilungen, gezielte Briefe an die Unfallvertrauensmänner, Informationen im Werksmitteilungsblatt, Plakate, Tafeln zu den erreichten Zwischenergebnissen sowie die Information der einzelnen Betriebschefs.523 Hinweise auf den unmittelbaren Erfolg der Aktion oder eine Fortsetzung der Maßnahme sind jedoch nicht überliefert. Bei der Einführung von Prämiensystemen im Arbeitsschutz zeigt sich somit bei den betrachteten Unternehmen eine deutliche Vorreiterrolle der HOAG. An diesem Beispiel tritt die Verflechtung der betrachteten Unternehmen besonders deutlich zutage, denn die Oberhausener Maßnahmen wurden von den anderen Werken über die formellen und informellen Medien und Beziehungen genau beobachtet und rege ausgetauscht. Das Oberhausener Prämiensystem fand über diese Kanäle ohne Zweifel einen großen Widerhall in der Branche. Gleichwohl gingen die anderen Unternehmen durchaus auch skeptisch mit den Ergebnissen und Begleiterscheinungen um – nicht alle folgten ihrem Beispiel. So wurde etwa in Aufsichtsrat und Vorstand in Huckingen 1958 „[d]ie Einführung des bei der Hüttenwerk Oberhausen 518 Vgl. Mausolff, Stand der Unfallverhütung, hier: S. 88 f. 519 Beide Zitate Stender, Unfallverhütung durch Prämien, hier: S. 134 f. Vgl. auch LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 222, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1955, Bl. 30. 520 Vgl. Stender, „Unfallverhütung durch Prämien“, hier: S. 129–131. 521 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Übersendung Genehmigungsantrag Prämienverfahren zur Unfallverhütung, 16.6.1958. 522 Vgl. ebenda; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5048/1, Vorstandsrundschreiben, 1.7.1958. 523 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4966, Zeitplan 1958.

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AG bestehenden Unfall-Prämiensystems […] wegen gewisser Mängel“ explizit „nicht empfohlen.“524 3.4.3 Alte Darstellungen im neuen Format: Medien des betrieblichen Arbeitsschutzes 3.4.3.1 Werkszeitschriften In allen betrachteten Unternehmen begann mit der Wiederaufnahme der industriellen Produktion und wachsenden Belegschaftszahlen auch die rasche Reorganisation des in der Zwischenkriegszeit gewachsenen Werkszeitungswesens. Auffällig ist der vordergründige Mitteilungscharakter der Ausgaben, der sich auch im Titel „Mitteilungsblatt“ (DHHU, HOAG, Hoesch, Rheinhausen) niederschlug. Erst im weiteren Verlauf der 1950er Jahre und mit ihrer teilweisen Reorganisation bzw. Eingliederung in werksübergreifende Gesamtausgaben bekamen sie zunehmend Elemente einer Zeitschrift mit Reportagen, wiederkehrenden Arbeitsschutz-Rubriken und -serien sowie einer entsprechenden grafischen Gestaltung und einer zunehmenden Anzahl und Größe von Bildern.525 Eine erste, oberflächliche Auswertung des Stichjahres 1953 für die Werkszeitschrift „Unser Profil“ der Hüttenwerk Rheinhausen AG mit einer Auflage von rund 14.000 Stück zeigt Hinweise auf eine deutliche quantitative Dominanz der Arbeitsschutzthematik. Von den insgesamt rund 450 Beiträgen wurden etwa 25 mit einem Bezug zum Arbeitsschutz im Sachverzeichnis aufgeführt – kein anderes Thema umfasste in diesem Jahrgang mehr Beiträge. Dabei wird auch der Wandel der Zeitungen zu zeitschriftenähnlichen Organen mit längeren Beiträgen und wachsender Bebilderung deutlich. So stach im Jahr 1963 der Arbeitsschutz mit 20 von insgesamt rund 160 Beiträgen, also etwa zwölf Prozent, mit einer Präsenz in jeder Ausgabe von „Unser Profil“ noch deutlicher hervor.526 Grundsätzlich neu waren jetzt die Loslösung der Berichterstattung aus dem ehemaligen Verbund der DINTA bzw. DAF und die nun unternehmensinterne Gestaltung der Zeitschriften. Dies schlug sich auch in einer zunehmenden Heterogeni524 MA, M 44.086.4, Niederschrift Aufsichtsratssitzung, 31.1.1958, S. 3. Vgl. auch M 21.075, Erhebung über die sozialwirtschaftlichen Dienststellen, Einrichtungen und Maßnahmen in den Mitgliedswerken der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie, 11.4.1958. 525 Herausgabe eines Mitteilungsblattes für die Westfalenhütte von 1949 bis 1960 bereits vor dem Wiedereinsetzen der Hoesch-Gesamtzeitung „Werk und Wir“ (1953). Die eigene Berichterstattung der Hütte wurde dann im Zuge der Neugliederung (Hoesch AG) eingestellt. Ebenso in Rheinhausen und der HOAG: bereits ab 1949 Ausgabe des Mitteilungsblattes (ab 1953: „Unser Profil“) und erst 1952 wieder Einsetzen der übergreifenden „Kruppschen Mitteilungen“, sie blieb hier aber, anders als bei Hoesch als hütteneigenes Organ bis zur Schließung 1991 eigenständig erhalten („Hütte und Schacht“ bzw. „Krupp Stahl“). Bei der HOAG wurde das Mitteilungsblatt ebenfalls 1950 durch „Echo der Arbeit“ abgelöst und bis Ende der 1980er Jahre fortgeführt, bereits 1952 mit einer Auflage von 15.000 Stück. Eine Ausnahme bildeten Mannesmann (Werk Huckingen) und die ATH: erst 1955 bzw. 1956 wurden in der Nachkriegszeit wieder Werkszeitungen herausgegeben. 526 Eigene Auswertung von „Unser Profil“, Inhaltsverzeichnisse der Jahrgänge 1953 und 1963.

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tät der Inhalte und der gestalterischen Aufmachung der einzelnen Organe nieder. Sie weisen dabei auch einen Zusammenhang von Themensetzung und organisatorischen Rahmenbedingungen auf. In den Hüttenwerken Dortmund und Westfalen oblag die inhaltliche Verantwortung der Werkszeitungen dem Sozialbereich bzw. den Arbeitsdirektoren, was sich auch in einem Schwerpunkt sozialer Themenbereiche bei der Berichterstattung, wie etwa dem Arbeitsschutz, zeigte.527 So vermerkte auch die Gewerbeaufsicht Duisburg 1951 einen „verhältnismäßig großen Raum“528 für die Arbeitsschutz-Berichterstattung in den lokalen Werkszeitschriften. Sie bewertete insbesondere die Veröffentlichung von Preisausschreiben für Verbesserungsvorschläge und Belohnungen als vielversprechendes Arbeitsschutz-Konzept.529 Die Werkszeitschriften fungierten als ein zentrales Elemente der Unternehmenskommunikation und waren seit den 1950er Jahren wieder Teil und Spiegel der Unternehmens- und Sicherheitskultur. Auch im Bereich des Arbeitsschutzes fungierte die Mitarbeiterkommunikation als „[…] Vernetzung von Unternehmensstrategie und Mitarbeitermotivation durch den gezielten Einsatz von Kommunikationsmitteln.“530 Die Berichterstattung erfolgte überwiegend durch die Sicherheitsingenieure, die auf diesem Wege zunehmend in das Bewusstsein der Belegschaft rückten. Doch auch die Vertreter des Betriebsrates, etwa des Unfallausschusses, nutzten das Organ für die Kommunikation von Arbeitsschutzfragen in die Belegschaft.531 Die Funktion lag dabei in der Belehrung und Ermahnung, der Bekanntgabe aktueller Unfallzahlen sowie der Information und Flankierung aktueller Sicherheitsmaßnahmen. Auch humoristisch-unterhaltende Beiträge unterstrichen dieses konservative Arbeiterbild. In einer Mischung aus Information und Beeinflussung zielten sie auch auf die allgemein gesteigerte Akzeptanz des Arbeitsschutzes in der Belegschaft, wie sie sich etwa an der korrekten Abbildung von Schutzausrüstungen äußerte.532 Insbesondere Sprache und Ton knüpften in der Berichterstattung zunächst an patriarchalische Traditionen der Vorkriegszeit an.533 Dieser Stil war zu Beginn der 527 528 529 530

Vgl. Ellerbrock, Hoesch-Werkzeitschriften, hier: S. 170 f. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 83, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1951, Bl. 40. Vgl. ebenda. Wischermann, Unternehmenskultur, hier: S. 36. Zur aktuellen Unternehmenskommunikation vgl. auch Bischl, Mitarbeiterzeitung; Mast u. a., Mitarbeiterzeitschriften. 531 Vgl. HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 9; Exemplarisch Powischill, „Unfallverhütungswoche 1950 beendet“ und August Jürs, „Gegen den Unfallteufel“, jeweils in: Echo der Arbeit (1950), Nr. 10, S. 3 und (1951), Nr. 22, S. 9; Frink, „Verkehrssündern geht’s an den Kragen. Wichtige Neuerungen im Werksverkehr. Unfallverhütungs-Woche 1956“ und Mauermann, „Das Sicherheitswesen hat das Wort: Mit dem Schutzhelm sicher arbeiten! Ein alter Hut schützt nicht vor Kopfverletzungen“, jeweils in: Unsere ATH (1956), Nr. 9, S. 5 und (1958), Nr. 6, S. 18. 532 Vgl. u. a. eine Gruppe pensionierter Betriebsleiter im Hochofenwerk Rheinhausen in HWBG, Technischer Bericht 1953, S. 25; „Aufsichtsrat mit Helmen“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 14, S. 161. 533 Vgl. dagegen zum Wandel einer „neuen Betriebspolitik“ Bleckmann, Gesundheitsfürsorge, hier: S. 44.

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1950er Jahre noch häufig dramatisierend. Insbesondere die Abschreckung wurde zur Steigerung der Aufmerksamkeit instrumentalisiert. Appelle und Anregungen sowie positive und negative Beispiele des Arbeitsschutzes dominierten die Berichterstattung.534 Bevormundung und Belehrung der Belegschaft schlugen sich in einem drastischen Tonfall mit teilweise direkten Appellen, etwa zum Tragen der Schutzausrüstungen, nieder.535 Neben der Veröffentlichung der Unfallzahlen, Geschichten von Lebensrettern und der Auslobung von Belohnungen nahm auch die Zahl der regelmäßig erscheinenden Rubriken und Serien zur Unfallverhütung in den Werkszeitschriften deutlich zu. Unter einem einheitlichen Design wurde in (fast) jeder Ausgabe ein Themenschwerpunkt des Arbeitsschutzes besonders hervorgehoben und zur Veranschaulichung und Personalisierung etwa unter dem besonderen Blickpunkt des Sicherheitsingenieurs konkretisiert.536 Neben Appellen und Beiträgen zur Abschreckung zählten nun auch unterhaltende Beiträge zu den regelmäßigen Elementen der Arbeitsschutzberichterstattung.537 Schließlich führten die Unternehmen Hoesch und HOAG spezifische Arbeitsschutz-Figuren im Comic-Stil ein. Die Westfalenhütte suchte 1955 im Rahmen eines Preisausschreibens innerhalb der Belegschaft nach einer humoristischen Identifikationsfigur für den Arbeitsschutz. Ergebnis der Einsendungen war die Figur „Lappes aus’m Martinwerk“, die in der Folge regelmäßig auf der Rückseite der Werkszeitschrift Arbeitsschutzthemen aufgriff und im Stil einer Karikatur an die Belegschaft appellierte.538 In ähnlicher Weise erschienen „Piepenhein und Wottelbuck“ bei der HOAG, die sich u. a. mit dem Nichttragen der Körperschutzausrüstungen befassten.539 Quiz und Rätsel zum jeweiligen Themenbereich sowie die beiden in jeder Ausgabe wiederkehrenden Karikaturen „Jupp und Egon“ in Abb. 14 waren auch in den Arbeitsschutz-Mitteilungen der DHHU enthalten. Sie waren als tollpatschige, aber belehrbare Figuren gestaltet und knüpften in dieser Darstellung deutlich an (nun humoristisch überdeckte) Belehrungsmuster an. Ihre Kurzgeschichten wurden in Reimform 534 Vgl. u. a. Mitteilungsblatt (Westfalenhütte) (1950), Nr. 2, Sonderbeilage zur Unfallverhütungswoche. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung und Unterscheidung von „Werbung“ und „Warnung“ vgl. Steeg, Aufklärung und Arbeitsschutz. 535 Zur Westfalenhütte vgl. „Ich hole dich ab, Vati!“; „Sein Platz ist leer…“ und „Das ist ja grausig!“, jeweils in: Westfalenhütte (1956), Nr. 1, S. 32; Nr. 4, S. 185, und (1956), Nr. 10, S. 503; sowie „Hätt’ste Sicherheitsschuhe getragen!“, in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 9, S. 106; „Überall lauert der Tod!“ und „Der Sicherheitsingenieur hat das Wort: Unsere Geduld ist zu Ende!“, jeweils in: Unsere ATH (1956), Nr. 3, S. 13, und (1957), Nr. 11, S. 14 f.; „Muß das sein…?“, in: Mitteilungsblatt (Rheinhausen) (1950), Nr. 3, S. 10. 536 Vgl. exemplarisch Hoesch mit regelmäßiger Rubrik zu Unfallhinweisen, „Scheinwerfer einschalten“ und „Lohnt sich Sicherheit eigentlich?“, jeweils in: Westfalenhütte (1955), Nr. 2, S. 82, und Nr. 3, S. 124 f.; für Thyssen ab 1957 mit der Rubrik „Der Sicherheitsingenieur hat das Wort:…“ erstmals erschienen 1957 bzw. ab 1958 „Das Sicherheitswesen hat das Wort: …“, in: Unsere ATH (1957), Nr. 2, S. 6 f., und (1958), Nr. 7/8, S. 24 f. 537 Vgl. Bleckmann, Gesundheitsfürsorge, hier: S. 44; „Sag’s mit Humor“, in: Echo der Arbeit (1955), Nr. 2, S. 18 f. 538 Vgl. „Unser Preisausschreiben. Lappes Schlörken Besserwisser“, in: Westfalenhütte (1955), Nr. 2, S. 72–75; Bleckmann, Gesundheitsfürsorge, hier: S. 44. 539 Vgl. „Unfallmeldung: Trug keinen Schutzhelm“, in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 5, S. 59.

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Abb. 14: „Jupp und Egon“ Quelle: DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, 1. Folge, Juli 1956, S. 14.

präsentiert, die an die Geschichten von „Max und Moritz“ mit der Darstellung sicherheitswidrigen Verhaltens und einer moralischen Auflösung am Schluss angelehnt waren. Sie wurden als Identifikationsfiguren implementiert, die beispielsweise in den Lohntütenbeilagen zum Prämienwettbewerb und zur Wiederbelebung der Arbeitsschutzarbeit zu Beginn der 1960er Jahre wiederholt auftraten.540 Die Arbeitsschutz-Mitteilungen der DHHU erschienen zwischen 1956 und 1958 als Beilage der Werkszeitschrift in insgesamt acht Folgen. Insbesondere die Frage der persönlichen Schutzausrüstung nahm dabei einen großen Raum ein.541 Die Ausgaben 540 Vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt 1956–1958. 541 Drei der acht Folgen widmeten sich den Themen Sicherheitsschuh, Schutzhelm und Schutzbrille, vgl. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, jeweils Folge 3: Sicherheitsschuh, Folge 4: Schutzhelm und Folge 5: Schutzbrille.

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präsentierten sich bei gleichförmigem Aufbau mit einer Mischung aus Information, direkter Ansprache und Appell sowie abschreckenden Mechanismen.542 Sie richtete sich weiterhin auch an die Familien, indem eine deutliche Verantwortung sicherheitsgerechten Verhaltens auch an die Angehörigen der Belegschaftsmitglieder externalisiert wurde: „Sie können Ihren Sohn, Ihren Mann, Ihren Vater so beeinflussen, daß er mit Vorsicht und Umsicht arbeitet und damit Ihnen erhalten bleibt.“543 Wenn auch die unmittelbare Wirkung dieser Maßnahmen über das Medium der Werkszeitschrift schwer zu fassen ist, so ist doch zumindest nach ihrer Rezeption zu fragen. Für das Hüttenwerk Oberhausen sind Leserbriefe von Arbeiterfrauen in der Werkszeitschrift veröffentlicht. Dabei handelte es sich um die Reaktion auf ein persönliches Anschreiben der Unternehmensleitung im Jahr 1961 mit dem Aufruf zur Mithilfe im Arbeitsschutz. Die Antwortbriefe an die Werksleitung belegen einerseits, dass diese Aktionen die Angehörigen tatsächlich (auch emotional) erreichten. Andererseits wehrten sich die Adressatinnen insbesondere gegen die vermeintliche Unfallursache der mangelnden (privaten) Ausgeglichenheit der Arbeiter. Das Eindringen in die Privatsphäre, aber auch die zugeschriebene Mitverantwortlichkeit wiesen die Frauen deutlich von sich und verwiesen vielmehr auf betriebliche Ursachen. Sie stellten dabei in erster Linie das Betriebsklima und damit den Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung infrage. Sowohl der Produktionsdruck als auch das Verhalten von Vorgesetzten wurden deutlich kritisiert.544 Der direkten Ansprache der Familie und deren Erfolgsaussichten waren deutliche Grenzen gesetzt. Doch auch Kritik aus der Belegschaft an einer übersteigerten Berichterstattung zum Arbeitsschutz wurde in der Werkszeitschrift für weitere Appelle in das Gegenteil verkehrt. Die Schriftleitung, mit Karl Strohmenger als verantwortlichem Arbeitsdirektor, nahm Kritik und steigende Unfallzahlen so auf, dass genau dies die Notwendigkeit noch bestätige, „[…] die Unfallverhütung auf eine möglichst breite Basis zu stellen, um auch den letzten Mann im Betrieb von der Notwendigkeit einer erfolgreichen Unfallverhütungsarbeit zu überzeugen.“545 Nach Karl Lauschkes Einschätzung wurde dabei zeitgenössisch „[…] die meinungsbildende Wirkung von Werkszeitungen ausgesprochen skeptisch beurteilt.“546 Aufschluss über die Rezeption der Werkszeitschrift liefert eine 1966 veröffentlichte 542 Vgl. u. a. DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 1, S. 1; Folge 3, S. 44 f.; Folge 5. 543 Anschreiben Vorstand und Betriebsvertretung der DHHU, in: DHHU (Hg.), ArbeitsschutzMitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 1, Juli 1956, S. 1. Vgl. auch TKA, HoeschArchiv, HO 10/917, Jahresbericht Arbeitsschutzstelle 1956/57, 11.12.1957; „Frau und Mutter!“, in: Westfalenhütte. Mitteilungsblatt. Sonderbeilage zur Unfallverhütungswoche (1950), Nr. 2, S. 7; „Eisenindustrie und Unfallverhütung“ von Hüttendirektor Dr. Albrecht Harr auf der Tagung „Arbeitsschutz und Unfallverhütung“, Auszüge, in: Westfalenhütte (1956), Nr. 1, S. 17–21, hier: S. 21; „Unfallverhütung“, Abdruck Schreiben der Abteilung Arbeitsschutz an die Frauen der Mitarbeiter vom 20.4.1952, in: Echo der Arbeit (1952), Nr. 8, S. 96; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1953, S. 12. 544 Vgl. „Frauen nahmen Stellung zum Arbeitsschutz“, in: Echo der Arbeit (1961), Nr. 1, S. 9. 545 „Zuviel Arbeitsschutz?“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 14, S. 158. 546 Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 171. Vgl. auch ders., „Wir sind heute mehr Mensch als früher“, hier: S. 143 f.

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Studie über das Leserverhalten der Zeitschrift „Werk und Wir“ von Hoesch.547 Danach bestätigt sich die allgemeine Aussage Lauschkes insbesondere in Bezug auf die angestrebte Kommunikationsfunktion des Mediums. Zwar erreichte die Zeitschrift in der Regel je Exemplar rund zwei bis drei Leser, richtete sich aber auch mit eher allgemeinen Informationen an die Belegschaft und ihre Angehörigen, statt eine unmittelbare Kommunikation am einzelnen Mitarbeiter auszurichten.548 Betrachtet man jedoch die ebenfalls explizit abgefragte Funktion der Werkszeitschrift für die Unfallverhütung, erhält man ein differenzierteres Bild. Entgegen den oben zitierten Einzelerfahrungen bei der HOAG äußerten nur wenige Befragte die Meinung, dass in der Werkszeitschrift bereits zu viel über das Thema berichtet würde. Scheinbar war noch keine Übersättigung bei der Thematik eingetreten, sondern mehr als die Hälfte der Befragten äußerte sogar den Wunsch nach einem Ausbau dieses Themenbereiches.549 Diese Ergebnisse zeigen das Potenzial der Werkszeitschrift im Arbeitsschutz, da „[…] für diesen Sachverhalt ein ausgesprochenes Informationsbedürfnis besteht, das die Werkzeitschrift befriedigen kann.“550 Ähnliche Beobachtungen formulierte auch Alfred Heese von der HOAG, der die Werkszeitschrift als eine Möglichkeit bewertete, dem gewandelten Selbstverständnis der Belegschaft Rechnung zu tragen. Durch die Schriftleitung bei der Unternehmensführung sollte der Belegschaft eine zunehmende Unterrichtung und Beteiligung an den betrieblichen Vorgängen suggeriert werden.551 Zugleich betonte er auch die Steuerungsfunktion des Kommunikationsinstrumentes aus der Sicht der Unternehmensleitung, um „[…] unerwünschte Entwicklungen, z. B. steigende Krankmeldungen, zu bemängeln oder erwünschte Absichten zu fördern.“552 Insgesamt hatte sich die Werkszeitschrift auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rasch wieder als effektives Kommunikationsorgan der Unternehmensleitung bewährt. Dies erfolgte jedoch unter Beibehaltung der alten Muster von Belehrung und Drohung und ignorierte zunächst die bereits in den 1920er Jahren formulierte Kritik von Bevormundung und Verhöhnung der Belegschaft. Zeitgleich setzte sich im Kontext der Mitbestimmung ein gewandeltes Arbeiterbild in den Unternehmen durch, das sich immer stärker von den patriarchalischen Traditionen löste. Dies schlägt sich hier auch im allgemeinen Wandel der Publikationsorgane zu Zeitschriftenformaten für den Arbeitsschutz nieder. Die Zeitschriften der betrachteten Unternehmen waren jedoch vom Charakter einer tatsächlichen „Mitarbeiterzeitschrift“ und einer Demokratisierung der Berichterstattung zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt.553

547 548 549 550 551 552 553

Vgl. Krisam u. a., Werkzeitschrift. Vgl. ebenda, S. 27–29; Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 171 f. Vgl. Krisam u. a., Werkzeitschrift, S. 68 f. Ebenda, S. 69. Vgl. Heese, Personal- und Sozialarbeit, hier: S. 1066. Ebenda. Vgl. Bleckmann, Gesundheitsfürsorge, hier: S. 44 f.; Mast u. a., Mitarbeiterzeitschriften, S. 11– 13. Zur „Demokratisierung“ der betrieblichen Sozialpolitik vgl. Engelen, Demokratisierung.

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3.4.3.2 Filme und Ausstellungen Die Werkszeitschrift wirkte nicht ausschließlich durch unmittelbare Information und Belehrung auf die Belegschaft ein. Sie wurde auch flankierend im Zusammenspiel mit weiteren Medien wie Lohntütenbeilagen oder Ausstellungen eingesetzt. Visuelle Medien für die betriebliche Unfallverhütung waren weiterhin von besonderer Bedeutung, wie die „Werkswochenschauen“ der HOAG belegen. In Anlehnung an das Nachrichtenprogramm der „Wochenschau“ produzierte die HOAG in den 1950er Jahren diese Werksnachrichten und brachte sie vor der Belegschaft im Werk und in Oberhausener Kinos zur Aufführung. Die Kurzfilme waren ursprünglich initiiert von Arbeitsdirektor Strohmenger und wurden u. a. bei den vierteljährlichen Betriebsversammlungen im Werksgasthaus gezeigt.554 Die Berichterstattung erfasste in erster Linie Neuerungen und besondere Ereignisse im Werk, wobei sie einen besonderen Schwerpunkt auf sozialpolitische Themen legte und in dieser Funktion auch als Medium des Arbeitsschutzes genutzt wurde. Die einzelnen Berichte waren zumeist Kurzbeiträge mit einer Dauer von weniger als einer Minute, in denen in erster Linie die Leistungen des betrieblichen Arbeitsschutzes dargestellt wurden. Unmittelbare Appelle, etwa als belehrender Film zu Bagatellunfällen, durchbrachen den Nachrichtencharakter und richteten sich als Unfallverhütungswerbung direkt an die Belegschaft.555 Besonders ausführlich wurde auch der von der HOAG veranstaltete Prämienwettbewerb im Arbeitsschutz begleitet, wobei die Werkswochenschau besonders umfassend – in einem Beitrag von rund fünf Minuten – über die Preisverleihung 1960 berichtete.556 Auch Hoesch produzierte in den 1950er Jahren ein ähnliches Medium, das jedoch als Lehr- und Werbefilm das gesamte Repertoire betrieblicher Sozialpolitik abdeckte und die moderne Betriebspolitik als einen „Filmbericht des Arbeitsdirektors“557 präsentierte. Dabei wurde der Arbeitsschutz für Schutzausrüstungen und Unfallverhütungsmaßnahmen beworben und sollte zugleich über Negativbeispiele eine abschreckende Wirkung entfalten. Insgesamt wurden die Medien der Vermittlung, etwa im Kontext der Prämienwettbewerbe, durch ein Zusammenwirken von Werkszeitschriften, Plakaten, Filmvorführungen und Ausstellungen im Sinne umfassender Kampagnen immer stärker aufeinander abgestimmt. Neu war in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung werkseigener Unfallschutz-Ausstellungen. Diese zunächst temporären Ausstellungen im Rahmen der Unfallverhütungswochen erzeugten nach Einschätzung des Oberhausener Ingenieurs Powischill im Vergleich zu anderen Maßnahmen zwar einen erhöhten, nicht näher bezifferten Zeit- und Kostenaufwand, dabei sei jedoch 554 Vgl. „HOAG Werkswochenschau (April–Juni 1954)“ 2005; TKA, TNO/2286, Tagesordnung Belegschaftsversammlung am 24.5.1959. 555 Vgl. TKA, Video/512, HOAG: Werkswochenschau, Juni–September 1955; Video/511, HOAG: Werkswochenschau, Juli–September 1956; Video/616, HOAG: Werkswochenschau, November 1956–Januar 1958. Vgl. auch begleitende Berichterstattung „Bewährter Ansporn“, in: Echo der Arbeit (1956), Nr. 18, S. 216. 556 Vgl. TKA, Video/512, HOAG: Werkswochenschau, Oktober 1960. 557 TKA, Film/Hoe/324, Hoesch Westfalenhütte AG Dortmund, Film: „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, PAL ’44. Vgl. auch Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 37 f.

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Abb. 15: Sicherheitsschuh in der Oberhausener Arbeitsschutzausstellung (HOAG), 1970 Quelle: „Kampf dem Unfall“, in: Echo der Arbeit (1970), März, S. 3–5, hier: S. 4.

„[…] der praktische und dauernde Wert einer Ausstellung […] wesentlich größer als der aller anderen Werbeveranstaltungen.“558 Ziel war die Werbung für die aufkommenden Schutzausrüstungen, die in Anlehnung an die Berichterstattung der Werkszeitschriften wie in Abb. 15 häufig als „Lebensretter“ präsentiert wurden. So wurden einzelne Stücke, die bei Unfällen beschädigt worden waren, aber schlimmere Verletzungen verhindert hatten, mit der dazugehörigen Geschichte ausgestellt. Auf diese Weise sollte die Belegschaft anschaulich und zugleich abschreckend von der Bedeutung der Schutzausrüstungen überzeugt und auf der emotionalen Ebene angesprochen werden. Die HOAG richtete 1952 eine solche Ausstellung im Durchgangsraum des Sozialhauses mit monatlich wechselnden Inhalten (werkseigene Plakate, Modelle, Schutzausrüstungen) ein.559 Zum gleichen Zeitpunkt finden sich auch umfassende Planungen zur Einrichtung eines Werksmuseums mit der Ausstellung „Arbeitsschutz und Sozialwesen im Betrieb“ im Hüttenwerk Rheinhausen. Kontext und Auslöser dieser parallelen Entwicklung war offenbar die Auflösung einer Ausstellung der Wirtschaftsvereinigung zum „Arbeitsschutz in Eisen und Stahl“ in Köln, deren Teilelemente ursprünglich vom Hüttenwerk Oberhausen und den Stahl- und Röhrenwerke Reisholz AG übernommen werden sollten. Der Ruhrorter Sicherheitsingenieur Zemelka plädierte als Mitwirkender an der Ausstel558 Powischill, „Unfallverhütungswoche 1950 beendet“, in: Echo der Arbeit (1950), Nr. 10, S. 3. 559 Vgl. „Unfallschutz-Ausstellung“, in: Echo der Arbeit (1952), Nr. 4, S. 42 f.

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lung jedoch für die Einrichtung einer Werksschau in seinen werkseigenen Räumlichkeiten und ließ in Absprache mit den anderen Unternehmen einige Ausstellungsgegenstände nach Rheinhausen bringen. Zugleich gingen auch einige Elemente nach Oberhausen, die dort den Grundstock für die Ausstellung der HOAG bildeten.560 Aufgrund der überstürzten Planungen mangelte es jedoch im Hüttenwerk Rheinhausen an internen Absprachen, sodass trotz fortgeschrittener Entwürfe die Ausstellung nicht fertiggestellt wurde.561 Nach diesen konkreten Vorbildern wurden auch bei den Werken der DHHU 1956 eigene Ausstellungen konzipiert, ebenfalls zunächst im Rahmen der Unfallverhütungswoche. Auch hier stand die Verbreitung persönlicher Schutzausrüstungen anhand eines selbst entwickelten Sicherheitsschuhs im Zusammenspiel mit der Herausgabe der Arbeitsschutz-Mitteilungen im Zentrum der Werkschau.562 Das methodische Vorgehen war hier die von der Gewerbeaufsicht Dortmund als „[b] esonders eindringlich“ umschriebene „Gegenüberstellung von schlecht und gut, z. B. gepflegtes und vernachlässigtes Werkzeug, aufgeräumter und unordentlicher Arbeitsplatz, Leitern, Schleifmaschienen […] u. a. m.“563 Die Ausstellungen sollten dabei wie die Werkszeitschriften dezidiert Familienangehörige ansprechen. Neu war damit die Einbindung der Familien auch über die schriftlichen Medien hinaus. So richteten sich Ausstellungen, Plakatkampagnen oder Besuche der Familienangehörigen im Werk mit einer Mischung aus Abschreckung und Information verstärkt an die Familie als ein moralisches Druckmittel.564 Der ehemals militärische Ton war – allerdings noch immer belehrend – einem Appell an die familiäre Verantwortung und einem Aufruf an die Vernunft wie in Abb. 13 gewichen: „Vati, das passiert Dir nicht wieder!“565 lautete die im Namen der eigenen Familien formulierte Bitte.

560 Vgl. HAK, WA 70/956, Schreiben Zemelka an Zimbehl, 10.8.1951 und Liste der Ausstellungsgegenstände „Der Mensch in Eisen und Stahl“, o. D.; „Gesundheitsdienst bei Eisen und Stahl“, in: Echo der Arbeit (1951), Nr. 14, S. 2. 561 Dagegen spricht auch, dass in den Werkszeitschriften des Unternehmens nicht auf eine Eröffnung oder Existenz dieser Einrichtung verwiesen wird. Vgl. HAK, WA 70/956, Verschiedene Entwürfe der Werksausstellung; Schreiben Zemelka an Zimbehl, 30.6.1952; Vermerk Zemelka, 5.8.1952. 562 Vgl. „Großer Erfolg unserer Arbeitsschutz-Ausstellungen“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1956), Nr. 5. Vgl. auch bei der ATH „Nicht nur die eigene – auch die fremde Sicherheit ist wichtig!“ und „Jagd auf den Unfallteufel verlief in Ruhrort 1965 erfolgreich“, jeweils in: Unsere ATH (1964), Nr. 1, S. 16 f., und (1966), Nr. 1, S. 10 f. 563 LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 251, Bericht Gewerbeaufsicht Dortmund 1956, Bl. 19. 564 Vgl. „Großer Erfolg unserer Arbeitsschutz-Ausstellungen“, in: Mitteilungsblatt (DHHU) (1956), Nr. 5; „Arbeitsschutz-Ausstellung“ und „5000 sahen die Arbeitsschutz-Ausstellung“, jeweils in: Echo der Arbeit (1961), Nr. 4, S. 46, und (1962), Nr. 14/15, S. 177; Adams, „Jetzt verstehen sie unsere Arbeit!“, in: Unser Profil (1955), Nr. 7, S. 234 f. 565 DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 3, S. 1. Vgl. auch DHHU (Hg.), Arbeitsschutz-Mitteilungen. Beilage zum Mitteilungsblatt, Folge 1, S. 1; TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/5048/1, Schreiben an die Lohnabteilungen, 19.11.1953.

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3.4.3.3 Eine Neuausrichtung der betrieblichen Unfallverhütung? Zusammenfassend wird die Mischung aus Anreiz und Abschreckung in der Vermittlung betrieblicher Arbeitsschutzarbeit an den verschiedenen Medien und Maßnahmen der 1950er und 1960er Jahre besonders deutlich. Neben den Appellen gab es immer wieder Versuche mit Wettbewerben und Prämien, die weiterhin pädagogische Belehrungen zwischer positiver Bestärkung und negativer Abschreckung enthielten. Für die 1950er Jahre geht aus den Quellen hervor, dass eine programmatische Umstellung allein durch einige verstärkte Schutzmaßnahmen nicht vollzogen und der Belegschaft „von oben“ nicht aufgezwungen werden konnte. Nicht alle Maßnahmen wie die Einführung von Schutzmitteln oder Prämien waren daher von vornherein oder auch langfristig von Erfolg gekrönt. Die Beispiele belegen vielmehr deutliche Durchsetzungsprobleme im Betriebsalltag. Die Arbeitsschutzfachkräfte äußerten sich entsprechend ernüchtert über den Erfolg der vorangegangenen Jahre und drohten – entsprechend alten Mustern – erneut mit Strafen und Entlassungen bei der Nichtbeachtung von Vorschriften als Kampfansage gegen „Leichtsinn und Gleichgültigkeit“566. Die Mischung aus Anreiz und Disziplinierung sollte zukünftig noch konsequenter eingesetzt werden, von nachhaltig sinkenden Unfallzahlen war man jedoch weit entfernt.567 Die fehlende Durchsetzungskraft des Arbeitsschutzes in den Verwaltungsstrukturen wurde auch durch die wiederkehrenden Debatten des (wirtschaftlichen) Nutzens der Unfallverhütung deutlich.568 Bei der sozialen Betriebspolitik zeichnete sich jedoch allmählich ein Wandel des Arbeiterbildes vor allem in den Mitbestimmungsbetrieben zugunsten einer verstärkt kooperativen und werbenden Grundstimmung ab.569 Neu war die bewusste Wahrnehmung der Grenzen einer traditionellen „Schockpropaganda“570 in der Unfallverhütung, verbunden mit der Überzeugung von der Verantwortung der Führungskräfte als Vorbilder, denn „Schilder und Hinweise allein nützen wenig.“571 Dies spiegelt sich auch in der Erkenntnis, dass die rekonstruierten Methoden der Zwischenkriegszeit allein zu keiner langfristigen Verbesserung des Arbeitsschutzes 566 „Der Sicherheitsingenieur hat das Wort: Unsere Geduld ist zu Ende!“, in: Unsere ATH (1957), Nr. 11, S. 14 f. 567 Vgl. u. a. „Sicherheit zuerst! Oberstes Gebot und mahnende Pflicht für jedes Mitglied der Belegschaft“ und „Der Sicherheitsingenieur hat das Wort: Unsere Geduld ist zu Ende!“, jeweils in: Unsere ATH (1955), Nr. 11/12, S. 32 f., und (1957), Nr. 11, S. 14 f.; TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, S. 11. 568 Vgl. TKA, A/32800, Bericht ATH Revision, 27.4.1960, S. 10. 569 Vgl. z. B. Einführung der „Fünfminutengespräche“ bei Krupp ab 1960 und der HOAG ab 1962: HAK, WA 168/220, „5 Minuten für die Sicherheit. Erfahrungsaustausch im Arbeitsschutz“, Nr. 1, Oktober 1960; „Fünfminuten-Gespräche über Arbeitssicherheit“ und „14 400 Minuten für die Sicherheit“, jeweils in: Echo der Arbeit (1963), Nr. 2, S. 40, und (1963), Nr. 5, S. 102 f. 570 Prof. Undeutsch vom Psychologischen Institut der Universität Köln auf der jährlichen Arbeitssicherheitstagung in Huckingen, zitiert nach: „Schockpropaganda hat keinen Erfolg“, in: Der Werktag. Ausgabe Hü (1967), Nr. 3/4, S. 14. 571 „Sicherheit zuerst! Oberstes Gebot und mahnende Pflicht für jedes Mitglied der Belegschaft“, in: Unsere ATH (1955), Nr. 11/12, S. 32 f., hier: S. 33; vgl. auch Lengwiler, Risikopolitik, S. 325 f.

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führten. Es offenbarte sich vielmehr ein durch den Krieg und insbesondere die Wiederaufbauphase erzeugter Reformstau, der die Ergebnisse der rasanten Entwicklung betrieblicher Unfallverhütung der ausgehenden 1920er Jahre konserviert hatte und nun abgetragen werden musste. Die einfachen, großflächigen Plakatierungen der vergangenen Jahre würden als „Propaganda“ nicht mehr funktionieren.572 So wuchsen innerhalb der Branche, auch als Konsequenz der übergreifenden Forschungsergebnisse der Gesellschaft für soziale Betriebspraxis, die Zweifel der Wirkung einer reinen Aufklärungs- und Schulungsarbeit im betrieblichen Arbeitsschutz, die sich auch aus der anhaltenden Kritik der Belegschaft an stumpfer Belehrung nährten.573 Daher zeigten sich Unternehmen wie die HOAG, mit Karl Strohmenger als einem besonderen persönlichen Verfechter des Arbeitsschutzes, zunehmend bereit, neue Wege der Unfallverhütung einzuschlagen. Das war vielfach mit neuartigen Maßnahmen verbunden. Die starke brancheninterne Verflechtung der Unternehmen, etwa durch die Wirtschaftsvereinigung und mit den Aufsichtsorganen, förderte über kommunikative Relationen auch die Bereitschaft zu betrieblichen Testläufen und Varianten der Arbeitsschutzwerbung: Ein gezielter Austausch von Informationen konnte die individuellen Erfolgsaussichten steigern, indem Erfahrungswerte anderer Akteure ausgewertet wurden und Fehler vermieden werden konnten. Darüber hinaus entwickelten diese Einzelmaßnahmen auch übergreifende Synergieeffekte, die die inhaltliche Ausrichtung der betrieblichen Arbeitsschutzarbeit insgesamt vorantrieben. Von einer endgültigen Emanzipation vom „Fürsorgegedanken“574 und einer umfassenden Disziplinierung war in den Unternehmen im Arbeitsschutz, insbesondere mit Blick auf den Wandel der 1970er Jahre, zu diesem Zeitpunkt jedoch noch wenig zu spüren. 3.5 IM INTERESSE DER ARBEITNEHMER? MITBESTIMMUNG IM BETRIEBLICHEN ARBEITSSCHUTZ Die Mitbestimmung erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg für die betrachteten Unternehmen einen völlig neuen normativen und damit auch praktischen Rahmen. Insbesondere über die institutionalisierten Gremien erlangte der Betriebsrat seine endgültige Durchsetzungskraft in Fragen des betrieblichen Arbeitsschutzes. Auch die Arbeitsdirektoren bildeten nun als Fürsprecher der Belegschaft und als Teil der Unternehmensleitung eine völlig neue Instanz. Ihre Rolle für den Arbeitsschutz wird im folgenden Kapitel unter dem Gesichtspunkt der Verflechtungsmechanismen der Eisen- und Stahlindustrie, insbesondere auch in der Auseinandersetzung mit der IG Metall, betrachtet.

572 Vgl. „Stoppt die Unfallkurve! Ein ernster Appell an alle Belegschaftsmitglieder“, in: Unsere ATH (1958), Nr. 9, S. 4–6, hier: S. 6. 573 Vgl. Lauschke, Die halbe Macht, S. 101; TKA, TNO/2286, Diskussionsbeitrag Belegschaftsversammlung, 24.6.1959. 574 Ellerbrock, „Im Mittelpunkt steht der Mensch“, hier: S. 38.

3.5 Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz

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3.5.1 Die Arbeitnehmervertretung im Arbeitsschutz An die Praxis der Berufung von „Unfallvertrauensleuten“ knüpften alle betrachteten Hüttenwerke in der Nachkriegszeit an – schließlich war aufgrund der bereits 1934 erlassenen allgemeinen Unfallverhütungsvorschriften der Einsatz von Unfallvertrauensleuten in Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten vorgeschrieben.575 Die rasche Reorganisation des Unfallvertrauensleutewesens sollte als eine der ersten reaktivierten betrieblichen Arbeitsschutzinstitutionen auch eine direkte Eingriffsmöglichkeit erlauben.576 In der Richtlinie der Wirtschaftsvereinigung Eisenund Stahlindustrie über den Einsatz von Sicherheitsbeauftragten und Unfallverhütungsleuten wurde Ende der 1950er Jahre die betriebliche Arbeitsschutzstruktur noch einmal ausgeweitet und die Tätigkeitsbereiche der Unfallvertrauensleute übergreifend für alle Unternehmen konkretisiert. Zum einen erfolgte die Bestellung von Sicherheitsreferenten aus der Führungsebene der Betriebe als Sicherheitsbeauftragte, die dann u. a. bei Begehungen durch die Berufsgenossenschaft oder die Gewerbeaufsicht eingebunden wurden. Zum anderen arbeiteten sie mit den jeweiligen Unfallvertrauensleuten bezüglich der Schutzeinrichtungen, betrieblicher Mängel und Verbesserungsvorschläge zusammen.577 Die Unfallvertrauensleute sollten die Kontrolle innerhalb der Belegschaft ausüben und gleichzeitig den Kontakt zu den Arbeitern halten, um sich, ähnlich wie im betrieblichen Vorschlagswesen, ihre individuellen Erfahrungswerte zunutze zu machen. Dabei ging es z. B. um Rückmeldungen zu Mängeln, Verbesserungsvorschlägen, Beschwerden und Hinweisen (Erkennen und Beseitigen von Gefahrenstellen), aber auch um die Weiterentwicklung persönlicher Schutzausrüstungen im regelmäßigen Austausch mit den Sicherheitsingenieuren.578 Eine neue Bezeichnung erhielten diese Funktionsträger im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) von 1963, in dem sie als organisatorische Instanz des betrieblichen Arbeitsschutzes als „Sicherheitsbeauftragte“ vorgeschrieben wurden.579 In einer Anhörung der SPD-Fraktion im Bundestag im Dezember 1962 hatten sich die Arbeitgebervertreter noch grundsätzlich gegen diese gesetzliche Erweiterung ausgesprochen mit dem Verweis, die bisherigen Bestimmungen seien ausreichend.580 Das Gesetz schuf für die betrachteten Unternehmen jedoch ohnehin keine grundsätzlich neue Struktur. 575 Vgl. HWBG, Unfallverhütungsvorschriften, 1950, §§ 7–8/S. 6–8. 576 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, Tätigkeitsberichte Abt. Unfallverhütung 1945/46 und 1946/47. Zur Rolle der Betriebsvertretung auf der Westfalenhütte in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. ausführlich Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 93–118, und zum Ruhrgebiet Goch, Die Rolle der Gewerkschaften. 577 Vgl. HAK WA 78/1779, Vorstandsmitteilung zur Ernennung der Unfallvertrauensmänner, 14.2.1958; vgl. auch Vorstandsmitteilung zur Ernennung der Sicherheitsreferenten, 11.2.1958. 578 Vgl. u. a. TKA, BRTKS/4, Betriebsbesprechungen 1955–56; TKA, TNO/2283, Bekanntmachung zur Konstituierung des Betriebsrates, 5.2.1947, und Entwurf „Das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei der Hüttenwerk Oberhausen Aktiengesellschaft“, o. D.; MA, M 21.074, Sozial-Bericht Hüttenwerk Huckingen 1947–1950, S. 83. 579 Vgl. zur Umbenennung auch Bestellung von Sicherheitsbeauftragten, 1965. 580 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/2, Niederschrift Fachvereinigung Arbeitssicherheit, 13.2.1962, S. 5 f.; Paulsdorff, Arbeitssicherheitsorgane, hier: S. 31.

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Die ehemals nebenberuflichen Unfallvertrauensleute mussten nun offiziell in Sicherheitsbeauftragte umgewandelt werden.581 3.5.1.1 Die wachsende Gremienstruktur im Arbeitsschutz Die Mitwirkung im Bereich des Arbeitsschutzes wurde auch durch das wachsende Gremiensystem der Betriebsräte (u. a. als Fortsetzung der Unfallkommissionen) und die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern als Unfallobmänner zunehmend sichtbar. Aus unternehmerischer Sicht wurden sie weniger als Kontrolleure der eigenen Tätigkeit, sondern eher als ein zusätzliches Organ gesehen, das „in aufklärendem Sinne“582 auf die Belegschaft einwirken sollte. Dabei diente der regelmäßige Austausch zwischen Betriebsvertretung und Arbeitsschutzstellen konkreten betrieblichen Einzelfragen und der Überprüfung von Vorschlägen und Beschwerden der Unfallvertrauensmänner. Die Gremien wurden etwa von der Betriebsvertretung der DHHU durchaus geschätzt und sie hätten „[…] der für den Erfolg des Arbeitsschutzes so wichtigen Gemeinschaftsarbeit einen starken Auftrieb zu geben.“583 Dabei wurde die Verantwortung und die disziplinarischen Elementen des Arbeitsschutzes auf den Bereich der Betriebsvertretungen übertragen. Aufgabe dieser Ausschüsse war es eben auch, als Untersuchungs- und Ordnungsausschuss Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften zu prüfen und zu ahnden.584 Insgesamt beschrieben Günter Geisler und Alfred Heese ihre Tätigkeit als Arbeitsdirektoren als eine wachsende und „differenzierte Ausschußtätigkeit im Beziehungsgefüge zwischen Vorstand und Betriebsrat“, die sie auch als „Netzwerk der formellen Informations- und Kommunikationsbeziehungen“585 bezeichneten. Dies kann für den Arbeitsschutz mit Blick auf die HOAG in Abb. 25 (im Anhang) exemplarisch konkretisiert werden, bei der sich die unterschiedlichen zuständigen Gremien und Akteure zwischen Mitbestimmung, Disziplinierung und technischem Arbeitsschutz zunehmend ausdifferenzierten. So ist bereits ab 1950 die Existenz eines sogenannten „Unfallausschusses“ im Werk überliefert. Er tagte monatlich mit allen Un581 Vgl. „Oberstes Gebot: Sicherheit!“, in: Duisburger General-Anzeiger, 13.11.1963 (HAK, WA 70/432); HAK, WA 207/176, Aktenvermerk Sitzung der Arbeitsschutz-Kommission am 2.10.1964, 6.10.1964; „Der Arbeitsunfall wird noch stärker bekämpft. Das HWR ernannte nach dem Gesetz seine Sicherheitsbeauftragten“, in: Unser Profil (1964), Nr. 4, S. 122. 582 Vgl. TKA, Fschr., ATH AG, Geschäftsbericht 1946/47, S. 10. 583 Mitteilungsblatt (DHHU) (1951) „Sonderausgabe der Betriebsvertretung“. Vgl. auch eine Betriebsvereinbarung der DHHU über die Einrichtung eines Betriebsrates und dessen Funktionen, u. a. in der Unfallverhütung, TKA, Hoesch-Archiv, Fschr., DHHU AG, Betriebsvereinbarung über die Einrichtung des Betriebsrates als gewählte Arbeitnehmervertretung, 1947. 584 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280007, Betriebsvereinbarung der Hüttenwerk Dortmund AG Dortmund, 31.1.1948; TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/915, „Die Werksaufsicht der Westfalenhütte AG. Rückblick und Ausblick auf Tätigkeitsgebiet und Geschichte von Werkschutz, Werkfeuerwehr, Arbeitsschutz und Luftschutz“, 12.9.1956, S. 3; „Wild-West … ein teurer Spaß“, in: Unser Profil (1953), Nr. 2, S. 92 f.; TKA, A/5456, Protokoll Besprechung Unfallkommission, 7.6.1946; A/4102, Rundschreiben 5/46, 5.2.1946. 585 Beide Zitate Geisler u. a., Arbeitsdirektor, hier: S. 197.

3.5 Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz

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fallvertrauensmännern und einem Mitglied des Betriebsrates als Vorsitzendem zum aktuellen Stand von Unfällen und Unfallverhütung bei der HOAG. Im Sinne eines über die Werksgrenzen hinaus greifenden Erfahrungsaustausches nahmen auch Arbeitsschutzexperten von der Gewerbeaufsicht oder der Berufsgenossenschaft teil.586 Darüber hinaus verhandelten im „Ausschuss für Personalfragen“ Vertreter der Personalabteilung und ständige Mitglieder des Personalausschusses des Betriebsrates gemeinsam mit Sicherheitsfachkräften Verstöße gegen die Arbeitsordnung oder die Nichtbeachtung von Arbeitsschutzbestimmungen. Nach eigenen Angaben betrafen diese im Jahr 1955 rund 20 Prozent (1954 sogar rund 30 Prozent) der behandelten Fälle, wobei eine Vielzahl der Fälle nach der gemeinsamen Besprechung (und folgenden Ermahnungen) als erledigt angesehen worden seien.587 Offenbar diente der Ausschuss mehr als abschreckendes Instrument denn als tatsächliches Mittel der Sanktionierung. Hier spiegelt sich auch die bereits bei der Unfallverhütungswerbung konstatierte patriarchalische Grundhaltung der fürsorglichen, persönlichen Ermahnung durch den Arbeitsdirektor wider. Auch die Aufsichtsbeamten der Gewerbeaufsicht unterstützten diese drastischen Maßnahmen, schließlich gebe der niedrigste Unfallstand des Duisburger Bezirkes den Oberhausener Akteuren recht.588 So bewertete auch ein Oberhausener Gewerkschaftler dieses „Werksgerichts“ 1959 gerade bei Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften durchaus als positives Instrument: „Wir in Oberhausen sind wie die Amerikaner […]. Wer sich bei uns verletzt, ist kein Held der Arbeit, sondern ein Dussel, der bestraft werden muß.“589 Die Einrichtung solcher Ausschüsse war zwischen und innerhalb der Unternehmen durchaus umstritten. Nach dem Vorbild der HOAG zog auch die Westfalenhütte ab etwa 1962 mit dem Einsetzen eines gleichartigen „Unfallüberwachungsausschusses“ nach.590 Auch die DHHU hatte bereits 1959 ähnliche Kommissionen in den Stahlwerksbetrieben eingerichtet, die zunehmend als Teil eines „Überwachungssystems“ gesehen und schließlich auf die Walzwerke und Zurichtereien des Werkes ausgeweitet wurden.591 Diese Einrichtung schien sich in der Praxis zu bewähren, denn sie wurde als „Unfallüberwachungsausschuss“ 1963 mit einer Betriebsvereinbarung auch institutionell verankert.592 Der Leiter der Hauptabteilung 586 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 60, Bericht der Gewerbeaufsicht Duisburg 1950, Bl. 35. 587 Knapp zehn Prozent aller behandelten Fälle endeten mit einer Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz und rund zwanzig Prozent mit einer Kündigung für die Arbeitnehmer. Vgl. TKA, TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 26–29; vgl. auch Das Werksgericht, 1959, hier: S. 26. 588 Vgl. LAV NRW/Abt. R., NW 0037, Nr. 222, Bericht Gewerbeaufsicht Duisburg 1955, Bl. 25. 589 Zitiert nach „Das Werksgericht“ 1959, hier: S. 26. 590 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, HO 10/917, Tätigkeitsbericht Abteilung Arbeitsschutz im Monat März 1962, 6.4.1962; „Der Unfallüberwachungsausschuss. Eine erforderliche Maßnahme“ und „Die Arbeitsunfälle nehmen ab“ (Sozialbericht 1962), jeweils in: Werk und Wir (1962), Nr. 6, S. 174 f. (Ausgabe Westfalenhütte) und (1963), Nr. 5, S. 191 f. 591 Vgl. AdsD, 5/IGMA 280005B, Bericht Betriebsrat Werk Dortmund (Hüttenunion), 1963, S. 11 f.; „Belegschafts- und Sozialbericht für das Geschäftsjahr 1961/62. Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit“, in: Unser Werksbild (1963), Nr. 2, S. 12 f., hier: S. 12. 592 Vgl. „Der Unfallüberwachungsausschuss“ und Krickhahn, „Unfallverhütung – Kommissionsarbeit“, jeweils in: Unser Werksbild (1963), Nr. 3, S. 26–28, und (1965), Nr. 2, S. 41–43.

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Arbeitssicherheit bei der DHHU sah in dieser Maßnahme 1966 sogar den „durchschlagendsten Erfolg aller Arbeitsschutzaktionen“593 des Werkes. Jedoch wehrte sich in Rheinhausen noch 1964 der Betriebsrat gegen die disziplinarische Einrichtung eines „Unfallüberwachungsausschusses“.594 Dagegen verhandelten der „Ausschuß für Arbeitssicherheit“ (Betriebsleiter, Unfallobmann und Sicherheitsingenieur), der „Ausschuß für technische Arbeitsschutzfragen“, der so genannte „Behrendt-Ausschuß“ und der „Ausschuß betriebliches Vorschlagwesen“ der HOAG in erster Linie technische Arbeitsschutzfragen. Vertreter der Produktionsbetriebe, des Arbeitsschutzes und des Betriebsrates berieten in dem 1951 von Betriebsdirektor Anton Behrendt gegründeten Ausschuss in einer monatlichen Abendveranstaltung im Werksgasthaus Detailfragen technischer Unfallverhütungsmaßnahmen. Die Ergebnisse dieser Plattform von Technikern und Betriebsratsmitgliedern wurde protokolliert und als Nachschlagewerk für die betriebliche Praxis aufbereitet. Erfolg und Akzeptanz dieser Einrichtungen maß sich an der Vielzahl der eingebrachten Diskussionspunkte (rund 30 pro Sitzung) und dem langen Bestand des Ausschusses bis in die 1960er Jahre hinein.595 Nicht zuletzt durch diese Institutionen verstärkte der Oberhausener Betriebsrat Ende der 1950er Jahre sein Engagement im Bereich des Arbeitsschutzes.596 Aufschluss über die zahlreichen innerbetrieblichen Kommunikationsfelder des Arbeitsschutzes in der Mitbestimmung eine schematische Darstellung aus einem Fachausschuss der „Engeren Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren“ aus dem Jahr 1965 in Abb. 26 (im Anhang). Er umfasst sowohl die obere Ebene zwischen Vorstand und Betriebsrat (Sicherheitsausschuss auf gesetzlicher Grundlage) als auch die Arbeitsebene zwischen Arbeitsschutzfachkräften (Abteilung Arbeitsschutz) und Betriebsratsexperten (Ausschuss Arbeitsschutz) durch eine gemeinsame ArbeitsschutzKommission bis hin zur praktischen Arbeit der Sicherheitsbeauftragten in den Betrieben.597 3.5.1.2 Die Sonderrolle der Eisen- und Stahlindustrie Am Beispiel der Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern zeigt sich für die Unfallverhütung erneut eine gewisse Sonderstellung der Eisen- und Stahlindustrie. Zugleich blieben diese Maßnahmen jedoch nicht auf die Eisen- und Stahlindustrie 593 Eberhard Merkelbach, „Im Werk Hörde kein tödlicher Betriebsunfall“, in: Unser Werksbild (1966), Nr. 1, S. 27. 594 Vgl. HAK, WA 207/176, Aktenvermerk Sitzung Arbeitsschutzkommission des Betriebsrates und Abt. Arbeitsschutz am 20.2.1964, S. 1, und Aktenvermerk Sitzung der Arbeitsschutzkommission, des Betriebsrates und der Abt. Arbeitsschutz am 28.4.1964, 11.5.1964, S. 4. 595 Vgl. „15 Jahre Arbeitsschutz gepredigt. Behrendt-Ausschuß der HOAG tagte gestern zum 250. Male – Lob vom Vorstand“, in: Ruhrwacht, 2.6.1966 (TKA, TNO/3468); TKA, TNO/2461, Sozialbericht HOAG, März 1958, S. 30–32; TNO/5751, „Arbeitsschutz bei HOAG hat internationalen Ruf“, o. D. 596 Vgl. TKA, TNO/2276, Stichworte zur Begrüßung des Betriebsrates am 28.4.59. 597 Vgl. TKA, TNO/2108, Organigramm Kommunikations-Träger, Anlage zur Niederschrift Fachausschuss „Innerbetriebliche Kommunikation“, 7.1.1965.

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begrenzt. Sie entfalteten eine frühe Strahlkraft über die Branche hinaus. So berichtet etwa Henkel bereits seit 1964 von einem gemeinsamen „Sicherheitsausschuß, der erst 1974 als ‚Arbeitsschutz-Ausschuß‘ gesetzlich vorgeschrieben“598 wurde. Entgegen Lutz Wienholds kritischem Resümee, dass sich die betriebliche Organisation in Arbeitsfragen, auch über die Einrichtung von Arbeitsschutzkommissionen, bis in die 1970er Jahre kaum verbessert habe und insgesamt die Professionalisierung auf „freie Initiative“599 begrenzt geblieben sei, zeichnet sich gerade in den frühen Mitbestimmungsbetrieben eine deutliche Tendenz zur Ausweitung und Professionalisierung des Akteursradius ab. Eine konkrete Bewertung über den anfänglichen „Erfolg“ neuer Mitbestimmungsrechte muss dennoch unvollständig bleiben, da aufgrund der vorliegenden Quellenlage zwar einige Forderungen des Betriebsrats als Einzelbeispiele nachvollziehbar sind, ihre weitere Umsetzung und Durchschlagskraft jedoch nicht immer verfolgt werden kann. Auffällig sind die regelmäßig eingebrachten Hinweise auf konkrete Unfallgefährdungen durch den Betriebsrat.600 Auch die Berichte und Appelle auf Belegschaftsversammlungen entwickelten sich zunehmend zum Arbeitsfeld der Betriebsräte.601 Dabei spiegelt sich am Beispiel des Arbeitsschutzes grundsätzlich die von Karl Lauschke herausgearbeitete „[k]ooperative Gegenmacht“602 des Betriebsrats in den ersten Nachkriegsjahren wider. Das Bemühen einer Kooperation sowohl von Seiten der Werksleitung als auch des Betriebsrats schien sich hier, gerade angesichts der großen Herausforderungen für den Produktionsbetrieb, zu bestätigen.603 Hinzu kamen jedoch rasch die ebenfalls von ihm für die Westfalenhütte herausgearbeiteten „Disziplinierungsformen und Konfliktlösungsmuster im Betrieb“604. Diese betrafen für den Arbeitsschutz nicht nur die informellen Beziehungen der Arbeiter untereinander. Der kollegiale Gruppendruck allein schien jedoch nicht immer seine Wirkung zu entfalten, wenn z. B. das Tragen des Körperschutzes dem Selbstbild des Arbeiters widersprach. In diesen Fällen konnte der Gruppendruck mit Blick auf Eitelkeiten, die Angst, der Lächerlichkeit vor den Kollegen preisgegeben zu sein oder die zur Schau getragene Coolness gegenüber den Betriebsgefahren auch opportunes Verhalten erzeugen. Dann war es nicht mehr nur „Aufgabe des Betriebsrates […] vermittelnd und schlichtend in den Konflikt innerhalb der Arbeitsgruppe einzugreifen“605, wie 598 Schöne, Arbeitsschutz 1977, S. 48. 599 Wienhold, Arbeitsschutz 1949–1957, hier: S. 239. 600 Vgl. u. a. TKA, TNO/2284, Schreiben Betriebsrat an Strohmenger, 8.4.1954; Besprechungspunkte und Niederschrift Besprechung mit dem Betriebsrat am 19.12.1960, 28.12.1960; BRTKS/2, Tagesordnungen Betriebsräte-Versammlungen am 6.1.1949, 23.6.1950, 2.6.1951 und Protokoll Betriebsratssitzung am 13.6.1951. 601 Vgl. TKA, BRTKS/2, Skript zur Belegschaftsversammlung am 15./16.5.1954; TNO/2286, Niederschrift Strohmenger Besprechung mit dem Betriebsrat am 20.5.1959; „Belegschaftsversammlung. Der Betriebsrat hält Rückschau“, jeweils in: Unser Profil (1954), Nr. 9, S. 268–273; (1958), Nr. 1, S. 23–26; (1958), Nr. 8/9, S. 178–181; (1959), Nr. 2, S. 19–21. 602 Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 105. 603 Ebenda, S. 106. Zu den formalisierten, kooperativen und konfrontativen Strukturen der Mitbestimmung der Nachkriegszeit vgl. auch Milert u. a., Die andere Demokratie, S. 421–429. 604 Lauschke, Hoesch-Arbeiter, S. 165. 605 Beide Zitate ebenda.

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Lauschke es beschreibt, sondern in Fragen des Arbeitsschutzes auch auf der kollegialen Ebene disziplinierend zu agieren. 3.5.2 Arbeitsdirektoren „als Schrittmacher“606 im betrieblichen Arbeitsschutz Auf dem Arbeitsschutz-Kongress erfuhr eine Rede des Oberhausener Arbeitsdirektors Karl Strohmenger im November 1959 in Düsseldorf eine herausragende öffentliche Aufmerksamkeit. Mit einer gezielten Provokation warf er nicht nur öffentlichen Institutionen, sondern auch seinen Kollegen Arbeitsdirektoren weitgehendes Versagen in Fragen des Arbeitsschutzes vor.607 An seiner Person ist sowohl die Problematik der Arbeitsschutzfragen der 1950er Jahre als auch ein Ausblick auf die noch offenen Themenfelder der kommenden Jahrzehnte ablesbar. In einer (nun auch öffentlich ausgetragenen) Debatte bündelte sich die Unzufriedenheit und Stagnation der betrieblichen Unfallverhütungsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie, die Frage einer Erneuerung der Unfallstatistik im Kontext des neuen Vorbelastungsverfahrens – also der finanziellen Verrechnung von tatsächlich eingetretenen Unfällen in den Beiträgen an die Berufsgenossenschaft – sowie die generelle Stellung der Berufsgenossenschaften zur Unfallverhütungsarbeit.608 Einstellung und Unterschiede der Unternehmen zum Arbeitsschutz auch auf der internationalen Vergleichsebene traten hier besonders deutlich hervor. Die Rezeption dieser Rede verweist im Kreis der Arbeitsdirektoren auf Verbindungen über die neuen Institutionen und zentralen Funktionen der Arbeitsdirektoren und die Einbindung gewerkschaftlicher Interessen im Arbeitsschutz. Mit dem Arbeitsdirektor trat hier nicht nur erstmals die zentrale Funktion der Mitbestimmung für den Arbeitsschutz deutlich hervor. Karl Strohmenger verkörperte auch beispielhaft das besondere Engagement und die Beziehungen weiterer Akteure, die gezielt versuchten, Einfluss auf die Entwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes auch über die Werksgrenzen hinaus zu nehmen. Das Beispiel eines so genannten „egozentrierten Netzwerkes“609 von Strohmenger soll an dieser Stelle ausführlich diskutiert werden, um am Fallbeispiel des Arbeitsschutzes die Beziehungen auf der Ebene der Arbeitsdirektoren nachzuzeichnen und ihre Knotenfunktion auch über die Branchengrenzen hinaus zu hinterfragen. Dabei kristallisieren sich in der institutionellen Vernetzung Strohmengers über sein Amt in Abb. 16 seine unterschiedlichen Handlungsebenen im Arbeitsschutz zwischen Betrieb (HOAG über die betrieblich-hierarchische Unterordnung von Assistent und Sicherheitsingenieuren in seinem unmittelbaren Umfeld), Gewerkschaft (IG Metall, Frankfurt) und Arbeitsdirektoren-Konferenz heraus. Die Institutionen repräsentieren jeweils weitere, sich anschließende Teilnetzwerke wie etwa bei der EGKS, dem DGB oder dem Arbeitskreis der Engeren Mit606 „Ein Arbeitsdirektor als Schrittmacher“, in: Industriekurier, 10.12.1959. 607 Vgl. ebenda. 608 Vgl. u. a. Strohmengers Unzufriedenheit, erkennbar in TKA, TNO/2401, Notizen von Strohmenger zum Besuch von Deibicht am 15.8.1959 in Oberhausen. 609 Zu den Analyseebenen vgl. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 32 f., sowie ausführlich zur Beschreibung von ego-zentrierten Netzwerken S. 105–110.

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AK Engere Mitarbeiter Arbeitsdirektoren-Konferenz

Wirtschaftsvereinigung Assistent Strohmenger SI HOAG

DGB

IG Metall Essen

AK Sozialpolitik (SPD) IG Metall Frankfurt

EGKS

Abb. 16: Institutionelles Netzwerk zur Arbeitsschutzfrage von Arbeitsdirektor Strohmenger, ca. 1957–1962 (Auswahl)610 Quelle: Eigene Darstellung.

arbeiter der Assistenten der Arbeitsdirektoren. Die Zeit zwischen 1957 und 1962 ist bedingt durch die besondere Aktivität Strohmengers im unternehmensübergreifenden Arbeitsschutz mit den ersten Kontakten zur Abteilung Arbeitssicherheit bei der IG Metall in Frankfurt bis zu seinem Rückzug aus den übergreifenden Arbeitsschutz-Diskussionen zu Beginn der 1960er Jahre. Die grundsätzliche Aufgabe der Arbeitsdirektoren als Mitglieder des Werks- bzw. Unternehmensvorstands definierte sich dabei an der Schnittstelle von „Arbeitgeberfunktion“ und „Vertrauensperson der Gewerkschaft“.611 Dabei fungierten sie nicht nur als verlängerter Arm der IG Metall, sondern waren zugleich für den Personal- und Sozialbereich verantwortliche, vollwertige Vorstandsmitglieder.612 Auch in ihrer eigenen Eigenwahrnehmung schätzten die Arbeitsdirektoren ihre Funktion als Mittler zwischen Belegschaft und Vorstand realistisch ein. Sie trugen die Verantwortung für die Lebenssicherung und die Arbeitsbedingungen der Belegschaft, zugleich mussten jedoch bei der Forderung nach sozialen Maßnahmen immer auch die allgemeine volkswirtschaftliche Lage und betriebliche Voraussetzungen berücksichtigt werden.613 Darü610 Das Netzwerk ist hier stark auf die Fragestellung des Arbeitsschutzes reduziert und kann aufgrund der heterogenen Quellenlage immer nur einen Ausschnitt abbilden. Die Grafik wurde mithilfe von Nodexl erstellt (URL: ). 611 Beide Zitate Lauschke, Die halbe Macht, S. 28. Siehe zu Mitbestimmung und Arbeitsdirektoren allgemein Kapitel 3.1.1.3. Zu den Persönlichkeiten und Generationen der Arbeitsdirektoren vgl. u. a. Kemmer, Der „durchschnittliche“ Arbeitsdirektor. 612 Vgl. Lauschke, Kaiser-Wilhelm-Institut, hier: S. 489. 613 Vgl. TKA, TNO/2041, Manuskript Willy Bürger, „Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsdirektoren, Gewerkschaften und Betriebsräten“, Arbeitsdirektoren-Konferenz am 27./28.1.1949, S. 2.

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ber hinaus agierten die Arbeitsdirektoren in einem komplexen Umfeld, das von verschiedenen politischen, gewerkschaftlichen, öffentlichen (z. B. Stadtverwaltung, Bildungseinrichtungen) und privatwirtschaftlichen Akteuren und Interessen (z. B. Verbände) geprägt war und sich als individuelles Netzwerk durch persönliche Beziehungen im Einzelfall konkretisierte.614 Im Verlauf der 1950er Jahre hatten sich die Arbeitsdirektoren der Eisen- und Stahlindustrie weitestgehend als eigene Gruppe etabliert und durch eine gemeinsame Arbeitsgemeinschaft organisiert.615 Die maßgeblich durch individuelle, praktische Erfahrungen geprägte Arbeit der Arbeitsdirektoren in der Mitbestimmung sollte durch die Institution einer gemeinsamen „Arbeitsdirektoren-Konferenz“ gebündelt werden. Von den ersten sechs Arbeitsdirektoren der Eisen- und Stahlindustrie 1949 gegründet, umfasste der Arbeitskreis „[s]pätestens seit Beginn der 1950er Jahre […] alle Arbeitsdirektoren der Eisen- und Stahlindustrie.“616 Der enge betriebliche Austausch und eine „einheitliche Ausrichtung“617 der Unternehmen waren durch ihre politisch forcierte „Entflechtung“ verloren gegangen und sollten nun durch persönliche Rücksprache und gemeinsame Besprechungen kompensiert werden.618 Inhalte waren dabei Themen des Arbeitsschutzes und der Gesundheit, die durch einen betrieblichen Erfahrungsaustausch vor Ort und durch den Austausch schriftlicher Unterlagen unterstützt wurde.619 Die Arbeitsdirektoren-Konferenz bildete die institutionelle Grundlage des Netzwerkes. Im Lauf der 1950er Jahre stellte sich auch die Frage der Nachfolge und der Ausbildung von zukünftigen Arbeitsdirektoren, sodass durch die Initiative von Adolf Jungbluth (Salzgitter) und Karl Strohmenger (HOAG) 1958, zunächst mit einzelnen Besuchen etwa des Oberhausener Assistenten in Salzgitter, auch ein erweiterter Austausch der Assistenten der Arbeitsdirektoren als Nachwuchsführungskräfte gefördert wurde.620 Die zunächst losen Beziehungen formalisierten sich 1964 mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft „Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Eisen und Stahl“ mit organisatorischer Unterstützung durch die HansBöckler-Stiftung – auch mit einem eigenen Fachausschuss für Arbeitsschutz.621 Die Gründung ist sowohl durch grundsätzliche Diskussionen über die Montan-Mitbestimmung als auch die besonderen gewerkschaftlichen Zielvorstellungen der IG

614 Vgl. Geisler u. a., Arbeitsdirektor, hier: S. 195; Vollmer, Montanmitbestimmung, S. 259–267. 615 Vgl. zur Frage der Professionalisierung der Arbeitsdirektoren ausführlich Rosenberger, Experten für Humankapital, S. 198–226. 616 Ebenda, S. 202. 617 TKA, TNO/2041, Manuskript Willy Bürger, „Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsdirektoren, Gewerkschaften und Betriebsräten“, Arbeitsdirektoren-Konferenz am 27./28.1.1949, S. 1. 618 Vgl. Lauschke, Die halbe Macht, S. 30–36, S. 73 f.; Rosenberger, Experten für Humankapital, S. 198–226. 619 Vgl. TKA, TNO/2041, Niederschrift Tagung der Arbeitsdirektoren, 9.3.1949; TNO/2042, Schreiben Schäfer und Berndsen an Strohmenger, jeweils 16.10.1957. 620 Vgl. TKA, TNO/2043, Korrespondenz Jungbluth und Strohmenger, 12.3., 17.3. 31.3., 9.4. und 8.9.1958. 621 Vgl. Jansen, 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft, S. 64–69. Zum Übergang von der ersten auf die zweite Arbeitsdirektorengeneration vgl. Kemmer, Der „durchschnittliche“ Arbeitsdirektor.

3.5 Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz

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Metall zum praktischen Ausbau der Mitbestimmung zu verorten.622 Dieser Vorstoß diente in erster Linie auch dem „kollegialen Meinungs- und Erfahrungsaustausch“623 auf der konkreten Arbeitsebene. Auch die Assistenten der Arbeitsdirektoren traten nun in einen institutionalisierten Kontakt, der auch auf persönlicher Ebene und zu einzelnen Sachfragen gepflegt wurde. Über diese instrumentellen Beziehungen wurden nun auch spezifische Fachausschüsse gebildet, um sowohl einen gemeinsamen Wissensstand zu generieren als auch zukünftige Fragestellungen auszuloten, zu vertiefen und zu publizieren. Zu den zunächst auf sechs eingegrenzten Themenbereichen gehörte von Beginn an der Arbeitsschutz.624 Diese Einrichtung förderte auch eine zunehmende Verflechtung der einzelnen Unternehmensvertreter in der Eisen- und Stahlindustrie: 1965 konnte der Fachausschuss 6 (Arbeitsschutz) ein erstes Arbeitsergebnis vorlegen. Bezugspunkt war das 1963 erlassene Unfallverhütungs-Neuregelungsgesetz. Der Arbeitskreis beschäftigte sich mit der Entwicklung einer eigenen Richtlinie zu Beschäftigung und Grundsätzen der Tätigkeit von Sicherheitsbeauftragten. Die von den Berufsgenossenschaften über die Unfallverhütungsvorschriften erlassenen Regelungen erschienen den unternehmerischen Akteuren „[…] zu schematisch und stießen daher auf einhellige Ablehnung.“625 Das alternativ entwickelte Modell nach eigenen Erfahrungswerten sah dagegen die konkrete Eingliederung der Sicherheitsbeauftragten in die betriebliche Organisation vor. Das Konzept stieß auf positive Resonanz in der Vertreterversammlung der HWBG, die einige Anregungen, etwa die Zahl der geforderten Sicherheitsbeauftragten, in der Folge in ihr Regelwerk übernahm.626 Diese Beispiele belegen die erfolgreiche Vernetzung und den auf diese Weise erzielten inhaltlichen Einfluss auf die Weiterentwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes im Arbeitsbereich der Arbeitsdirektoren und ihrer Assistenten. Sie spiegeln jedoch nicht die organisatorischen Hürden des Ausschusses wider – noch im Jahr 1965 halbierte sich die Zahl der Teilnehmer von ehemals acht auf vier. In der Folgezeit blieb es schwierig, neue Mitstreiter auf diesem Gebiet zu gewinnen. Die Bedeutung diesen Netzwerks wurde angesichts der damit verbunden Investition von Zeit und Wissen offenbar geringer geschätzt als ihr reziproker Mehrwert. Die Teilnehmer scheuten nach zeitgenössischer Einschätzung auch aus individuellen (betriebs-)politischen Interessen davor zurück, sich in diesem Themengebiet zu engagieren. Allem Anschein nach war der offene Umgang mit den (im Vergleich hohen) Unfallzahlen der Branche und der einzelnen Unternehmen noch immer ein heikles Thema. Hinzu kam die häufig als schwierig empfundene Argumentation zwischen Ökonomie und Mensch im Arbeitsschutz, gerade bei der Zwischenposition des Arbeitsdirektors in der Mitbestimmung, die offensichtlich nicht in die öffentliche Debatte einfließen sollte.627 Erst Ende der 1960er Jahre gelang es, neue 622 623 624 625 626 627

Vgl. Jansen, 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft, S. 64 f. Ebenda, S. 66. Vgl. ebenda, S. 66–69. Ebenda, S. 71. Vgl. ebenda, S. 72. Vgl. TKA, TNO/2108, Schreiben Viebahn an Kübel, 29.8.1967 zu einem Vermerk von Dr. Karl an Hölkeskamp, 27.7.1967, S. 2.

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Mitglieder für den Arbeitskreis zu gewinnen. Hierzu zählten nun erstmals auch Sicherheitsingenieure als Vertreter des Arbeitsdirektors. Sie wurden durch den Fachausschuss in ein weiteres professionalisiertes Forum eingebunden und an der Gestaltung betrieblicher Arbeitssicherheit über die Werksgrenzen hinaus systematisch beteiligt.628 3.5.2.1 Die „Düsseldorfer Philippika“629 Wie bereits die Ergebnisse der Unfallverhütungsmaßnahmen belegen, nahm die HOAG unter der Leitung von Arbeitsdirektor Strohmenger im betrieblichen Arbeitsschutz in diesem Zeitraum eine besondere Stellung ein. Dies begründet sich insbesondere in seinem persönlichen Interesse und seinem ausdauernden Engagement. Dass in diesem sensiblen Bereich der Sozialpolitik – mit sehr heterogenen Unfallergebnissen in den einzelnen Unternehmen – ein solches Engagement nicht überall auf Verständnis und Unterstützung stieß, zeigt das folgende Beispiel. Ausgangspunkt war das Jahr 1959 mit der viel beachteten Rede Karl Strohmengers auf dem „Internationalen Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ (A+A) in Düsseldorf. Strohmenger richtete bei diesem Treffen an seine Kollegen die Frage „Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?“630, um in diesem öffentlichen Forum deutliche Kritik am deutschen Arbeitsschutzsystem zu üben. Seine Rede war in erster Linie ein ökonomischer Appell für ein verstärktes Engagement im Arbeitsschutz, um Milliardenkosten durch Arbeitsunfälle zu vermeiden. Dem folgte ein Aufruf zu mehr Verantwortung an die betrieblichen Vorgesetzten sowie Kritik an der eingeschränkten öffentlichen Wahrnehmung der Problematik in Deutschland.631 Geprägt waren seine Ausführungen von amerikanischen Leitideen, etwa mit dem Hinweis auf die Schirmherrschaft des Präsidenten an den Jahreskongressen des „National Safety Council“, und einer auch von der deutschen Öffentlichkeit nachdrücklich eingeforderten Etablierung eines gesellschaftlichen Sicherheitsgedankens.632 Neben der Forderung einer gesellschaftlichen Debatte nahm Strohmenger seine Kollegen auch für eine systematischere Sicherheitspolitik in den Unternehmen in die Pflicht. Diese müsse in den Betrieben nicht nur propagiert, sondern auch durch 628 Vgl. Arbeitsgemeinschaft „Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Eisen und Stahl“ Arbeitsschutz; Jansen, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, Anlagen A9 und 18. 629 „Und dazu Prämien“, in: Die Zeit, 2.12.1960. 630 Vgl. TKA, TNO/3468, Skript Strohmenger: „Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?“; dazu identisch TKA, Fschr. Direktor Karl Strohmenger/Vorstandsmitglied der Hüttenwerk Oberhausen Aktiengesellschaft: Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?, o. D.; Strohmenger, Interesse der Vorgesetzten, hier: S. 88–98. 631 Vgl. TKA, TNO/3468, Skript Strohmenger: „Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?“, S. 2 f. 632 Vgl. ebenda, S. 4; „Unfallverhütung als Aufgabe der betrieblichen Vorgesetzten. Eine bemerkenswerte Rede von Direktor Strohmenger auf dem Arbeitsschutz-Kongreß“, in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 18, S. 207–209, hier S. 208.

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die Betriebsräte forciert werden, denn dies sei „nicht zuletzt eine Funktion der Nachhaltigkeit und des Eifers, mit dem der Betriebsrat den Arbeitsschutz nach ‚oben‘ vertritt.“633 Auch die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaften bezog er in seine Kritik ein, letztendlich müssten sie mehr Druck auf die höheren betrieblichen Ebenen ausüben. Darüber hinaus bewertete er die Aufwendungen zur Unfallverhütung der Berufsgenossenschaften im Vergleich mit den Unfallkosten als zu gering.634 Er stellte den von ihm identifizierten Missständen eigene erfolgreiche Erfahrungen entgegen und wehrte sich „[…] gegen die billige Ausrede, an Haltung oder Mentalität sei nichts zu ändern.“635 Mit seiner Provokation entfachte Strohmenger nicht nur eine unmittelbar einsetzende Debatte innerhalb der Branche und bei der gewerblichen Berufsgenossenschaft, sondern erzeugte auch ein großes öffentliches Medienecho.636 Dadurch war es ihm – zumindest kurzfristig – gelungen, den Arbeitsschutz in das öffentliche Bewusstsein zu rücken: Während industriespezifische Organe wie der „Industriekurier“637 oder die „VDI-Nachrichten“638 vergleichsweise nüchtern über die Ereignisse bei dem Kongress 1959 berichteten, griff die Tagespresse, namentlich „Die Welt“, einige Tage später Strohmengers provokante These deutlich zugespitzter auf.639 Auch das „Handelsblatt“ veröffentlichte neben einer allgemeinen Berichterstattung im unmittelbaren Kontext der Veranstaltung eine Woche später einen Beitrag speziell zu Strohmengers viel diskutiertem Vortrag, „[…] der von der allgemeinen Betrachtung her zweifellos ein Höhepunkt des Kongresses gewesen sein dürfte.“640 Obwohl sich die Berichterstattung skeptisch zu der Vergleichbarkeit der von Strohmenger präsentierten Unfallzahlen äußerte, übernahmen die Medien doch seine grundsätzliche Argumentationslinie und aufrüttelnde Intention.641 Für die Pressevertreter war die Kritik Strohmengers an der eigenen Zunft, der Unternehmerschaft und Vorstandsvertretung wie auch der berufsgenossenschaftlichen Vorgehensweise ein Thema, das in späteren Beiträgen zur Problematik des Arbeitsschutzes in der BRD als „Düsseldorfer Philippika“642 zitiert wurde. Auch die Berichterstattung in der Gewerkschaftszeitung Metall nahm diese Vorlage Strohmengers auf, um umfassende Forderungen an eine Verstärkung des Arbeitsschutzes zu

633 TKA, TNO/3468, Skript Strohmenger: „Wie kann das Interesse der Vorgesetzten am Arbeitsschutz gestärkt werden?“, S. 8. 634 Vgl. ebenda, S. 12. 635 Ebenda, S. 13. 636 Strohmenger, Interesse der Vorgesetzten, hier: Freie Aussprache zum Vortrag, S. 98. 637 Vgl. „Dem Anstieg der Unfälle Einhalt gebieten“, in: Industriekurier, 14.11.1959; „Ein Arbeitsdirektor als Schrittmacher“, in: Industriekurier, 10.12.1959. 638 Vgl. Lanzerath, Kongreß 1959. 639 Vgl. Kemmer, Vernachlässigter Arbeitsschutz. 640 „Arbeitsschutz als unternehmerische Aufgabe“, in: Handelsblatt, 20./21.11.1959. Vgl. zuvor „Schlechte Maschinen gefährden Arbeiter“, in: Handelsblatt, 13./14.11.1959. 641 Vgl. „Arbeitsschutz als unternehmerische Aufgabe“, in: Handelsblatt, 20./21.11.1959; Kemmer, Vernachlässigter Arbeitsschutz. 642 „Und dazu Prämien“, in: Die Zeit, 2.12.1960.

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formulieren, indem sie die Argumentation des Arbeitsdirektors in ihrer Berichterstattung übernahm.643 Wenn „Die Zeit“ Strohmenger in der Rückschau das Verdienst zuschrieb, „[d]en deutschen Betrieben und den sich bis dahin am Unfallgeschehen recht uninteressiert zeigenden Gewerkschaft den Anstoß gegeben zu haben, den Amerikanern nachzueifern, […]“644, sind unmittelbare Konsequenzen seiner Rede zunächst nicht zu erkennen.645 Es kam allerdings ab 1960 eine grundlegende Debatte in Gang, die sich zwar an den von Strohmenger erstmals dezidiert formulierten Kritikpunkten orientierte, sich jedoch von seiner Person und persönlichen Beiträgen seinerseits zunehmend löste.646 Ein Beitrag im Fachteil Arbeitsschutz im „Bundesarbeitsblatt“ resümierte bereits 1963 rückschauend auf diese Debatte eine rasche Relativierung. Insbesondere in Fragen der Unfallhäufigkeit und Unfallschwere wurde mit der Einführung einer einheitlichen Statistik in der Montanunion eine neue internationale Vergleichsmöglichkeit geschaffen, die letztlich die populistisch-politisierte Debatte wieder in eine Fachdiskussion überführte.647 Darüber hinaus fand die neue Thematisierung des Arbeitsschutzes in vielen Einzelsträngen Eingang in eine aufkeimende Arbeitsschutzdebatte, wie sie sich gesetzlich in der Akzentuierung der Unfallverhütung im UVNG 1963 niederschlug.648 In der Debatte um die Entstehung dieses Gesetzes plädierte der Oberhausener Unternehmensvertreter Klaus Bohr – ganz im Sinne Strohmengers – in einer Sachverständigenanhörung im Arbeitskreis für Sozialpolitik (SPD-Fraktion im Bundestag) 1962 für stärkere finanzielle Anreize in der betrieblichen Unfallverhütung.649 Immerhin wurde die Prämisse der Unfallverhütung bei der Arbeit der Berufsgenossenschaften am Ende zur Zufriedenheit aller Fraktionen und Sachverständigen in das Gesetz aufgenommen.650 Auch der in diesem Zusammenhang neu eingeführte jährliche Bericht der Bundesregierung an den Bundestag sollte dazu dienen, „[…] die Öffentlichkeit stärker als bisher für die Unfallverhütung zu interessieren.“651 Insgesamt wurde die Rede aber auch in den Unternehmen selbst stark rezipiert. Strohmenger hatte das Manuskript an die anderen Arbeitsdirektoren übersandt und im Wortlaut intern verbreitet.652 Rückschlüsse auf die Reaktionen der anderen Akteure sind aus der Berichterstattung der Werkszeitschriften abzuleiten: So flankierte die werkseigene Zeitschrift „Echo der Arbeit“ Strohmengers Auftritt mit ausführli643 Vgl. Alarmierende Unfallziffern, 1959; Der Tod lauert am Arbeitsplatz, 1959. 644 „Und dazu Prämien“, in: Die Zeit, 2.12.1960. 645 Vgl. ebenda; Meenzen, Mit Plakaten ist keine Schlacht zu gewinnen; Jahresbericht Gewerbeaufsicht NRW 1959, in: BMAS, Jahresberichte Gewerbe-Aufsicht 1959, S. NrW 7. 646 Vgl. u. a. Braun, Kritik am deutschen Arbeitsschutz. 647 Vgl. Die deutsche Großeisenindustrie, 1963. 648 Vgl. Wickenhagen, Gewerbliche Unfallversicherung, S. 369 f. 649 Weiterer betrieblicher Vertreter war Dr. Karl von der Westfalenhütte, vgl. Walter Behrendt, MdB, „Die Unfallkurve muss fallen! Bundestagsabgeordnete hörten Sachverständige und Wissenschaftler“, in: Werk und Wir (1962), Nr. 5, S. 196 f. 650 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4962/2, Niederschrift Fachvereinigung Arbeitssicherheit vom 13.2.1962, S. 6. 651 Bericht der Bundesregierung (Unfallverhütungsbericht 1964), hier: S. 21. 652 Vgl. TNO/2043, Schreiben Strohmenger, 10.11.1959.

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chen Berichten zum Arbeitsschutz-Kongress.653 Intern wurden die Berichte gegenüber der Belegschaft dazu benutzt, die Vorbildfunktion der HOAG und den persönlichen Einsatz des Arbeitsdirektors für die Sicherheit der Belegschaft hervorzuheben.654 Die Reaktionen auf Strohmengers Vorgehen in anderen Werkszeitschriften der Branche, waren, soweit sie die Thematik aufgriffen, weitestgehend positiv: „Sensationell wirkte die ungeschminkte Form, in der der Referent die Probleme vorbrachte – klar und wahr.“655 3.5.2.2 Die Arbeitsschutzdebatte unter den Arbeitsdirektoren Diese Berichterstattung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht alle Unternehmensvertreter positiv über das offensive Vorgehen Strohmengers äußerten. Direkte Gegendarstellungen oder Kritik sind zwar nicht überliefert, doch an diesem Beispiel zeigt sich durchaus auch die Brisanz des Themas unter den Arbeitsdirektoren. Mit der wiederholt beanspruchten Vorreiterrolle, die die HOAG durch Strohmenger bereits seit einiger Zeit offensiv vertrat, überforderte sie auch die Branche. Nicht überall wurde die Allgegenwart des Arbeitsschutzes nach Strohmengers Vorstellungen begrüßt und schließlich setzte er seine Kollegen mit diesem Verhalten auch deutlich unter Zugzwang. Schließlich konnten nicht alle Unternehmen mit den von Strohmenger erzielten rückläufigen Unfallzahlen mithalten, sondern sie grenzten sich teilweise deutlich von den bei der HOAG ergriffenen Unfallverhütungsmaßnahmen ab. So entbrannte im Frühjahr und Sommer 1960, ausgelöst durch eine Umfrageaktion der IG Metall, eine offene Debatte auf einer Tagung im Kreise der Arbeitsdirektoren. Sie zeigt, in welcher Weise diese sensible Thematik, bei der es nicht nur um den Schutz des Einzelnen, sondern auch um das öffentliche Ansehen der Unternehmen ging, von einigen Arbeitsdirektoren weiterhin abgeblockt wurde. Durch ihre abwehrende Haltung hatte sich Strohmenger offenbar zu seiner öffentlichen Stellungnahme 1959 gedrängt gefühlt, deren Auswirkungen sie nun zu begrenzen versuchten. Mit der zunehmenden Aufmerksamkeit auch der Gewerkschaft zeigte sich, dass ein Großteil der Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie sich bislang nur begrenzt der Unfallfrage zugewandt hatte und auch nur über einen geringen Überblick über das tatsächliche Unfallgeschehen im eigenen Betrieb verfügte. Die Debatte selbst war eine unmittelbare Folge der Popularisierung des Themas in der Gewerkschaft, die Strohmengers Ausführungen 1959 durchaus begrüßt 653 Vgl. „Harte Tatsachen“ und „Unfallverhütung als Aufgabe der betrieblichen Vorgesetzten. Eine bemerkenswerte Rede von Direktor Strohmenger auf dem Arbeitsschutz-Kongreß“, jeweils in: Echo der Arbeit (1959), Nr. 18, S. 207 und S. 207–209. 654 Vgl. auch „Mr. Andrews verkauft nicht nur Autos. Chef der Ford-AG wirbt für die Sicherheit“, in: Echo der Arbeit (1960), Nr. 4, S. 39 f., hier: S. 40. 655 Erich Pohle, „Hinkt der Arbeitsschutz nach?“, in: Krupp Mitteilungen (1960), Nr. 1, S. 23. Vgl. auch „Bedürfnis nach Sicherheit wecken“, in: Werk und Wir (1960), Nr. 1/2, S. 9–12; „Jeder Unfall verschlechtert die Produktivität. Erkenntnisse des Kongresses für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“, in: Unsere ATH (1959), Nr. 12, S. 33.

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hatte.656 Der Vorstand der IG Metall war offensichtlich bemüht, die positiven Effekte einer öffentlichen Wahrnehmung der Thematik durch Strohmengers Vorlage nicht ungenutzt verpuffen zu lassen.657 Gleichzeitig ist eine eindeutige Bemühung um Konsens erkennbar, um die entfachte programmatische Dynamik aufzugreifen und möglichst effizient in die betriebliche Praxis zu tragen. Im Sinne der Verflechtung dienten die gewerkschaftlich organisierten und eingesetzten Arbeitsdirektoren in den Unternehmen als „Scharnier“.658 Konkret wandte sich der verantwortliche Vorstandsvertreter der IG Metall, Karl Deibicht,659 mit einer Umfrage zum Stand der Arbeitssicherheit an die Arbeitsdirektoren. Sein Ziel war es, in der Auseinandersetzung mit der Kritik am bisherigen Vorgehen der Berufsgenossenschaft die statistische Erfassung des Unfallgeschehens anzuschieben.660 Doch schon eine gemeinsame Besprechung mit Vertretern der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und der ArbeitsdirektorenKonferenz gestaltete sich problematisch.661 So konnten sich die Teilnehmer im Interessengerangel bereits im Vorfeld nicht auf einen gemeinsamen Referenten einigen. In der Arbeitsschutzfrage offenbarte sich die problematische Position der Arbeitsdirektoren als Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter, zwischen den Interessen der Wirtschaftsvereinigung auf der einen und der IG Metall auf der anderen Seite.662 Letztendlich ging es auch hier um die umstrittene Deutungshoheit der Unfallschutzfrage zwischen den Unternehmen, der Wirtschaftsvereinigung und der IG Metall. Als Kompromiss brachten schließlich die Referenten Wagner und Strohmenger gemeinsam ihre Entwürfe in die Debatte ein.663 656 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130185, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 30.11.1959, S. 1. Vgl. Zusammenfassung der Rede beim DGB, AdsD, 5/IGMA 130118, Zusammenfassung mit Stellungnahmen des DGB, Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Düsseldorf 1959, S. 31 f. 657 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130185, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 8.12.1959. 658 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130185, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 8.12.1959. Vgl. zur „Scharnierfunktion“ der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Lauschke, Die halbe Macht, S. 22. 659 Karl Deibicht (1913–1963) war seit 1956 Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall und verantwortlich für den Bereich Sozialpolitik, vgl. Dörrich u. a., Industriegewerkschaft Metall, S. 721; „Einleitung“ 1999, hier: S. XXXI. 660 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 2.5.1960. 661 Vgl. TKA, TNO/2044, Einladung Arbeitsdirektoren-Tagung am 21.6.1960, 25.5.1960; Aktenvermerk über eine Besprechung am 12.6.1960 in Bochum, 11.8.1960. Zur Verbindung der Arbeitsdirektoren und insbesondere über den 1949 gegründeten Sozialausschuss für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung vgl. Lauschke, Die halbe Macht, S. 69– 74. 662 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 2.5.1960 (Abschrift: AdsD, 5/ IGMA 130185). Dabei war man bei der IG Metall bis in die höchsten Stellen bemüht, ein Referat durch den Vertreter der Wirtschaftsvereinigung zu verhindern. Vgl. auch AdsD, 5/IGMA 130185, Aktennotiz von Laubrecht für Deibicht zur „Unterrichtung der Arbeitsdirektoren über die Unfallsituation im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie bei der nächsten Arbeitsdirektorenkonferenz“, o. D., Anlage: Schreiben an Otto Brenner, 3.5.1960. 663 Vgl. TKA, TNO/2044, Entwurf Wagner, „Möglichkeiten zur Intensivierung der Unfallverhütung“, Anlage zum Schreiben an Strohmenger, 13.6.1960, und Entwurf Strohmenger mit statistischen Ergänzungen, o. D.

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Unter dem Aspekt der Verflechtung ist besonders die Allianz zwischen Strohmenger und der IG Metall bemerkenswert. Diese hatte mit maßgeblicher Unterstützung der Sicherheitsingenieure der HOAG ein Konzept ausgearbeitet, um die eigenen (nun auch gemeinsamen) Zielsetzungen der Veranstaltung gründlich vorzubereiten und abzusichern.664 Die Sitzung der Gewerkschaft und der Arbeitsdirektoren musste jedoch wegen Personalengpässen im Bereich des Arbeitsschutzes bei der IG Metall wiederholt verschoben werden, da die Ergebnisse der umstrittenen Umfrage noch immer nicht vorlagen.665 Im Netzwerk zwischen Arbeitsdirektoren und IG Metall diente Strohmenger als verlässlicher Kontakt für die Gewerkschaft, indem er einen Mitarbeiter für die Auswertung freistellte. Dies geschah durchaus in seinem eigenen Interesse, um einerseits die Beziehung zu den IG Metall-Vertretern als Unterstützer seines eigenen Arbeitsschutzengagements zu festigen. Andererseits war Strohmenger auch an den Ergebnissen der Studie selbst interessiert, und so gelang es ihm, sich an vorderster Front zu positionieren.666 Die Ergebnisse der Umfrage waren für die Branche nicht besonders schmeichelhaft. Mit einer durchschnittlichen Unfallhäufigkeit von 106 je 1 Mio. „verfahrene“ Arbeitsstunden übertraf das Ergebnis sogar „[…] noch die bisherigen Befürchtungen.“667 Deutlich wurde insbesondere eine große Streuung der Unfallhäufigkeit für das Jahr 1959 zwischen den rund 30 befragten Unternehmen. Sie reichte von rund 40 Unfällen je einer Million „verfahrener“ Arbeitsstunden (erstmals ab dem ersten Ausfalltag ausgewiesen gegenüber der Berechnungsgrundlage der HWBG ab dem dritten Ausfalltag) bis zu über 260 Unfällen. Problematisch war vielfach auch die verbreitete Unkenntnis der genauen Unfallgeschehnisse und Kosten: „Drei der großen Konzerne […] kennen laut Ausweis bisher noch nicht ihren echten Arbeitszeitausfall durch Unfälle. 2/3 aller Werke haben noch keinen Überblick über ihre Erste-Hilfe-Leistungen. Etwa 1/4 der Werke können ihre Personalkosten und etwa 1/3 ihre Ausgaben für Arbeitsschutzmittel nicht angeben.“668 Zu einer gemeinsamen Sitzung kam es nicht mehr. Ein Treffen wurde bis zum Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 1960 herausgezögert, auf dem die Gewerkschaft mit einer eigenen Stellungnahme zum Arbeitsschutz die bisherigen Ergebnisse ohnehin überholte und sich erstmals auch in Fragen der Unfallverhütung programmatisch äußerte.669 Einen Stillstand in Fragen der Arbeitssicherheit bedeutete dies für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaft und Arbeitsdirektoren und insbesondere für Strohmenger jedoch nicht. Auch innerhalb der Arbeitsdirektoren-Konferenz wurde 664 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 6.5.1960. 665 Vgl. TKA, TNO/2044, Einladung Arbeitsdirektorenbesprechung am 30.8.1960, 15.8.1960; Mitteilung Kapusta an die Arbeitsdirektoren vom 30.9.1960. 666 Vgl. TKA, TNO/2401, Korrespondenz Strohmenger und Deibicht, 8. und 18.7.1960. 667 TKA, TNO/2044, Informationsmaterial für die Arbeitsdirektorentagung am 6.10.1960. 668 Ebenda. Auch der Einsatz von Sicherheitsingenieuren belief sich, beispielsweise entgegen der Empfehlung der Richtlinie der Wirtschaftsvereinigung von einem Sicherheitsingenieur auf 2.000 Arbeiter, noch auf ein Betreuungsverhältnis von rund 1:3.900. Vgl. ebenda und Entwurf Wagner, „Möglichkeiten zur Intensivierung der Unfallverhütung“, Anlage zum Schreiben an Strohmenger, 13.6.1960, S. 12 f. 669 Vgl. TKA, TNO/2044, Mitteilung Kapusta an die Arbeitsdirektoren, 30.9.1960.

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die Arbeitsschutzfrage weiterhin thematisiert. Ein engerer Kreis der Arbeitsdirektoren formulierte einen eigenen programmatischen Maßnahmen-Katalog, der im Plenum diskutiert werden sollte. Man war darum bemüht, die Ergebnisse in einem konstruktiven Vorschlagskatalog als Diskussionsgrundlage bereitzustellen.670 Die Ausführungen knüpften im Kern an die bereits 1959 von Strohmenger thematisierten Fragestellungen an. Er brachte auf diesem Weg die von ihm betonte Führungsaufgabe im Arbeitsschutz und die Stellung der Sicherheitsingenieure im Betrieb erneut in die Diskussion ein. Insbesondere die bestehenden Kompetenzschwierigkeiten hielten einige Sicherheitsingenieure offensichtlich noch immer durch ungeklärte Zuständigkeiten davon ab, notwendige (technische) Maßnahmen nachdrücklich zu vertreten, „[…] um sich nicht selbst die Stellung zu nehmen.“671 Diese Tatsache zeigt, wie Anspruch und Wirklichkeit der betrieblichen Praxis noch immer auseinanderklafften. Ziel der Gespräche der Arbeitsdirektoren war es nun, das Arbeitsschutzengagement einiger weniger Werke auf die anderen Unternehmen der Branche auszuweiten.672 Somit gestaltete sich das Jahr 1960 auch in Strohmengers Sinne durchaus positiv mit einer verstärkten Thematisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes – öffentlich und in den eigenen Reihen. Jedoch sollte sich die z. T. reservierte Haltung einiger Akteure gegenüber Strohmenger auch in den Folgejahren niederschlagen. Im Dezember 1961 gab es eine offene Auseinandersetzung im Kreis der Arbeitsdirektoren zur Arbeitsschutzfrage, die Strohmenger zu einem (temporären) Rückzug bewegte. Eine Anfrage der Arbeitsdirektoren zu einem Vortrag über die Unfallverhütung hatte Strohmenger abgelehnt, nachdem erneut Zweifel an den von der HOAG erzielten Unfallzahlen geäußert worden waren.673 Auslöser der Auseinandersetzung war ein Pressebericht über die Erfolge des neuen Prämiensystems bei der HOAG. Einerseits verdeutlichten die Oberhausener Unfallergebnisse den Erfolg ihrer Unfallverhütungsarbeit, „[…] zum anderen aber auch, daß die anderen Werke nicht genug tun.“674 Auch wenn es sich dabei nicht um ein Zitat Strohmengers handelt, so konnte der Bericht doch durchaus als direkte Kritik an der Arbeit einiger Kollegen verstanden werden. Ihre Reaktion entlud sich an seiner Person. Dabei erhielt Strohmenger zwar zunächst die Rückendeckung einiger Kollegen.675 Gleichzeitig resignierte er jedoch an der für ihn mangelnden Unterstützung seiner Kollegen in der Arbeitsschutzfrage und zog sich einige Monate aus diesem Kreis zurück.676 Die Oberhausener Alleingänge führten zu einer internen Debatte bei der HWBG, welche gemeinsamen Wege man in der Unfallverhütungsfrage beschreiten solle. Es müsse in Zukunft 670 Vgl. TKA, TNO/2044, Entwurf Wagner, „Möglichkeiten zur Intensivierung der Unfallverhütung“, Anlage zum Schreiben an Strohmenger, 13.6.1960. 671 Ebenda, S. 14. 672 Vgl. ebenda, S. 28. 673 Vgl. TKA, TNO/2051, Schreiben Legge an Strohmenger, 1.12.1961. 674 Kemmer, Bares Geld. 675 Vgl. TKA, TNO/2051, Schreiben Legge an Strohmenger, 1.12.1961. Vgl. auch TKA, TNO/2051, Korrespondenz Jungbluth und Strohmenger, 4. und 14.12.1961. 676 Vgl. TKA, TNO/2051, Schreiben Legge an Strohmenger, 1.12.1961; Schreiben Strohmenger an Jungbluth, 14.12.1961; TNO/2045, Korrespondenz Strohmenger und Zimbehl, 29.3. und 2.4.1962.

3.5 Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz

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„[…] vermieden werden, daß das Ansehen der anderen Mitglieder aber auch das der Berufsgenossenschaften im allgemeinen beeinträchtigt wird.“677 3.5.2.3 Das Arbeitsschutznetzwerk von Karl Strohmenger Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass gerade ein Vorstandsmitglied wie Strohmenger diese umfassenden, auch finanziellen Forderungen wiederholt öffentlich in den Raum stellte. Die Kritik am Verhalten der Berufsgenossenschaften ist sicherlich auch durch die persönliche Enttäuschung Strohmengers über die Auseinandersetzung mit den Unfallstatistiken und dem damit verbundenen Ausbleiben des symbolischen Anerkennungsschreibens der HWBG zu erklären: Der HOAG war keine Anerkennung für die erfolgreiche Sicherheitsarbeit mehr überstellt worden, da sich Beschwerden an der „Herausstellung einzelner Werke in der Unfallverhütung“678 –auch gegen die Unfallergebnisse der HOAG gerichtet – von verschiedenen Seiten der Branche gehäuft hatten. Hinzu kam eine anhaltende Kritik der Kollegen aus den anderen Unternehmen, die ebenfalls seine Zahlen und Erfolge in Frage stellte. Ihm fehlte es nach seiner Auffassung an Unterstützung für sein Engagement in der Branche. So äußerte er gegenüber einem Vertreter des Vorstands der IG Metall ernüchtert: „Sie wissen, daß man wahrhaftig viel Arbeit und Energie zu investieren gezwungen ist, wenn man auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes vorankommen will.“679 Im Sinne der Verflechtung gelang es ihm im Laufe des Jahres 1959, ein gezieltes Unterstützernetzwerk in Abb. 17 auf den Ebenen seiner Mitarbeiter, der Arbeitsdirektoren, der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und der IG Metall in der Arbeitsschutzfrage aufzubauen. Die Beziehungen basierten strategisch auf dem institutionellen Netzwerk der Interessengemeinschaft der ArbeitsdirektorenKonferenz und der Abteilung Arbeitsschutz bei der Gewerkschaft, die Strohmenger in der Folgezeit gezielt auch als Interessenvertretung der Arbeitsschutzfrage pflegte und in Einzelfragen wiederholt aktivierte. Sie repräsentieren grenzüberschreitende (über Unternehmensgrenzen hinweg), instrumentell-kommunikative Relationen (gezielter Informationsaustausch) für den betrieblichen Arbeitsschutz, die darüber hinaus auch einen emotionalen Charakter (freundschaftliche bzw. antagonistische Beziehungen) zwischen Vertrauen und Kritik annehmen konnten.680 Strohmenger exponierte sich einer zentralen Position, indem weitere Netzwerke und Institutionen über ihn selbst bzw. seine Mitarbeiter zusätzlich miteinander verbunden wurden. So gelang es ihm, seine Mitarbeiter (Heese, Marks, Bohr) langfristig in dieses Netzwerk zu integrieren und als zentrale Knoten etwa im Anschluss an übergreifende Ebenen der Gewerkschaft (z. B. DGB) und Politik (z. B. 677 Vgl. TKA, Hoesch-Archiv, DHHU/4997, Niederschrift Vorstandssitzung HWBG, 14.11.1962, S. 7. 678 TKA, TNO/2401, Notizen Strohmenger zum Besuch von Deibicht am 15.8.1959 in Oberhausen, S. 1. 679 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Strohmenger an Deibicht, 20.5.1960. 680 Vgl. Jansen, Netzwerkanalyse, S. 59, Tab. 3.1.

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3. Kontinuität und Ausbau (1945 bis ca. 1969)

DGB

AK Sozialpolitik (SPD)

Marks Muhr Laubrecht

Bohr AK Engere Mitarbeiter

Deibicht Heese Düker

Hoppe Strohmenger

Jungbluth

Wirtschaftsvereinigung

EGKS

Schäfer Berndsen Zimbehl

Wagner Legge

IG Metall Essen

Abb. 17: Egozentriertes Netzwerk Karl Strohmengers zur Arbeitsschutzfrage, ca. 1957–1962 (Auswahl)681 Quelle: Eigene Darstellung.

SPD, EGKS) in seinem Interesse zu positionieren. Bei ihrer weiteren Tätigkeit im Arbeitsschutz profitierten sie schließlich von diesen Kontakten, auch nachdem Strohmenger aus dem Dienst ausgeschieden war. Das Beispiel zeigt aber auch, in welcher Weise das Gremium der Arbeitsdirektoren als erfolgreiches Netzwerk funktionierte: Es konnte einzelne Abweichler blockieren und auch die (temporäre) Ausgrenzung der Thematik erzwingen. Als Reaktion zog sich Strohmenger auf sein

681 Die Frage des Ego-Netzwerkes von Karl Strohmenger ist hier auf die Fragestellung des Arbeitsschutzes reduziert und kann aufgrund der heterogenen Quellenlage nur einen Ausschnitt abbilden. Die Institutionen sind als Kreise dargestellt und repräsentieren Akteursgruppen, die jeweils weitere Teilnetzwerke haben. Die Gruppe der HOAG-Mitarbeiter besteht aus soliden Quadraten, die Akteure der IG Metall werden als solide Dreiecke und die Arbeitsdirektoren als solide Kreise dargestellt. Das Netzwerk bezieht sich auf die oben genannten Quellen. Vgl. zur Rolle von Marks im DGB und dem ASiG Kapitel 3.5.3 und Kapitel 4.3.2, zur (Forschungs-) Verbindung von Jungbluth und Strohmenger zu Düker (Institut für Psychologie, Marburg) vgl. ausführlich Kapitel 3.3.3.3. Die Grafik wurde mithilfe von Nodexl erstellt (URL: ).

3.5 Im Interesse der Arbeitnehmer? Mitbestimmung im betrieblichen Arbeitsschutz

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informelles Unterstützernetzwerk zurück, in dem er seine eigenen Interessen stärker vertreten sah.682 Das Engagement, mit dem es Strohmenger gelang, im Unternehmen die Arbeitsschutzfrage über Jahre zu verfolgen, war im erweiterten Kreis seiner Kollegen nicht in gleicher Weise erfolgreich. Letztendlich machte Strohmenger, auch in den Erinnerungen seines Assistenten Alfred Heese, die Frage der Arbeitssicherheit zum zentralen und vor allem auch „hartnäckig[en]“683 Thema seiner Arbeit. Er ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die unternehmerischen Akteure versuchten, auch direkten Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs zu nehmen. In wieweit er mit dem Schritt in die Öffentlichkeit und als Verfechter des Arbeitsschutzes auch als Vertreter der Gewerkschaften auftrat bzw. einen zentralen Knoten zwischen Unternehmen, Arbeitsdirektoren und IG Metall bildete, wird im folgenden Kapitel hinterfragt. 3.5.3 Die Rolle der IG Metall für den betrieblichen Arbeitsschutz Grundsätzlich verstanden sich die Arbeitsdirektoren trotz ihrer engen Bindung an die IG Metall von Beginn an nicht als ihr verlängerter Arm.684 Wie Karl Lauschke bereits herausstellte, wurden die Arbeitsdirektoren zwar „[…] von den Gewerkschaften in ihre Position gebracht, seien […] in ihrer Tätigkeit doch nicht an ein Mandat ihrer Organisation gebunden. Selbstbewusst wurde vielmehr der Anspruch erhoben, autonom zu entscheiden.“685 3.5.3.1 Die IG Metall und die HOAG Wegen der herausragenden Überlieferungssituation können am Beispiel Karl Strohmengers auch die Verbindungen zur IG Metall spezifiziert werden. Hier ist ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen Strohmenger und der Gewerkschaft zu verschiedenen Themen des Arbeitsschutzes ab etwa 1957 nachweisbar. Der Kontakt etablierte sich zunächst sowohl über die Bezirksleitung Essen als auch über den direkten Kontakt mit dem Vorstand der IG Metall in Frankfurt, z. B. durch die Bereitstellung von Personal und Räumlichkeiten, über das die Abteilung Arbeitsschutz bei der IG Metall selbst nicht verfügte. So wurde beispielsweise die Tagung der Unfallobmänner von der HWBG, die über die IG Metall organisiert war, von Referenten der HOAG unterstützt, die ihrerseits innerhalb der IG Metall als Sachverständige für Unfallverhütung auftraten.686 Hinzu kam die Bereitstellung 682 Vgl. TKA, TNO/2051, Schreiben Strohmenger an Legge, 14.12.1961. 683 Kruse u. a., Alfred Heese, S. 15. Vgl. auch Schubert, Eisen- und Stahlindustrie, S. 44 f. 684 Zum betrachteten Zeitraum vgl. zur IG Metall komprimiert Dörrich u. a., Industriegewerkschaft Metall; Merkel, Industriegewerkschaft Metall. 685 Lauschke, Die halbe Macht, S. 43. Zum Wechselspiel „gewerkschaftlicher Solidarität und Loyalität zum Unternehmen“ der Arbeitsdirektoren in den 1950er Jahren vgl. ebenda, S. 105–131. 686 Vgl. z. B. Klaus Bohr als Sachverständiger der IG Metall im Vorstand, als Mitglied im Arbeitskreis Arbeitsschutz der IG Metall sowie als Vertreter der Gewerkschaft bei der Hohen Behörde

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der Räumlichkeiten, wie etwa für die Tagung der Unfallobmänner 1959 in Oberhausen, bei der sich die Teilnehmer direkt vor Ort über die aktuellen Maßnahmen informierten.687 Die Bereitstellung der Arbeitsschutz-Experten nutzte die IG Metall auch zur Entwicklung eines Grundsatzprogramms für Arbeitsschutz im Frühjahr 1960 für den folgenden Gewerkschaftstag. Im Gegenzug konnte sich Strohmenger auch hier den inhaltlichen Einfluss auf die Ergebnisse sichern.688 Dabei gab es durchaus Meinungsverschiedenheiten zwischen den Akteuren, etwa um die Auseinandersetzung zur Einstellung des Oberhausener Prämiensystems 1959. In dem bereits erwähnten Bericht der Zeitschrift Metall trat die Gewerkschaft in Opposition zu bestimmten Maßnahmen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, in welcher Weise Strohmenger auf eine Verständigung mit dem Vorstand der Gewerkschaft bedacht war. Er wandte sich direkt nach dem Erscheinen des Artikels an den IG Metall-Vorstand, um eine „Pressefehde“ zu vermeiden, und verband seinen Einwand mit einer auf Sachlichkeit bedachten Gegendarstellung.689 Strohmenger warb gezielt um mehr Aufmerksamkeit für den Arbeitsschutz. Wegen der Zurückhaltung der Berufsgenossenschaften müsse nun die Gewerkschaft das Themenfeld des betrieblichen Arbeitsschutzes für sich aktivieren und besetzen.690 Der Arbeitsdirektor genoss als Sachverständiger in der praktischen Unfallverhütungsarbeit bei der Gewerkschaft wachsendes Vertrauen. Ursprünglich war diese Beziehung auf den reinen Informationscharakter beschränkt. Sie wandelte sich mit zunehmendem Austausch von Zahlen- und Informationsmaterial zu den Auswirkungen der neuen Lohnfortzahlungsregelung im Jahr 1958 sukzessive auch zu einem persönlichen Verhältnis.691 So bot die Auseinandersetzung um das Prämiensystem zugleich die Chance auf eine erste persönliche Kontaktaufnahme mit der Arbeitsschutzabteilung beim Vorstand der IG Metall. Strohmenger schlug ein erstes Treffen im August 1959 in Oberhausen vor, damit sich die Vertreter aus Frankfurt auch vor Ort ein Bild von der Lage machen konnten.692 Ziele und Erwartungen an das Treffen formulierte Strohmenger in seinen vorbereitenden Unterlagen. Er sei in in erster Linie darauf bedacht, so heißt es dort, die „IG. [sic!] Metall vor allem auf die Notwendigkeit

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in Luxemburg in Unfallverhütungsfragen. Vgl. u. a. TKA, TNO/2401, Schreiben der IG Metall/ Bezirksleitung Essen an Strohmenger, 16.10.1957; Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 23.4.1959 und 12.4.1960; Schreiben Hölkeskamp an Bohr, 10.11.1959; AdsD, 5/IGMA 130105, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 18.12.1957. Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben der IG Metall/Bezirksleitung Essen an Strohmenger, 12.9.1959. Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 2.5.1960. Vgl. TKA, TNO/2401, Stellungnahme Strohmenger an Vorstand der IG Metall, 16.3.1959, S. 3. Gleichzeitig stimmte er sich auch vor der Veröffentlichung einer Gegendarstellung in der Werkzeitschrift noch einmal mit der Gewerkschaft ab. Vgl. ebenda und Schreiben Strohmenger an Wöhrle, 20.4.1959; Telefonvermerk Strohmenger, 24.4.1959. Vgl TKA, TNO/2401, Stellungnahme Strohmenger an Vorstand der IG Metall, 16.3.1959, S. 3. Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben HOAG an Vorstand der IG Metall (Redaktion), 16.1.1958. Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 23.4.1959, 19.6.1959 und 21.9.1959; Notizen von Strohmenger zum Besuch von Deibicht am 15.8.1959 in Oberhausen; AdsD, 5/IGMA 130124, Protokoll Besprechung im Hüttenwerk Oberhausen am 13.8.1959.

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verstärkter Unfallverhütung und auf den trotz Lohnfortzahlungsgesetz niedrigen Krankenstand aufmerksam zu machen“693. Es ging Strohmenger darum, die Gewerkschaft stärker als bisher auf die Frage des betrieblichen Arbeitsschutzes hinzuweisen und letztendlich schon im Vorfeld seiner Düsseldorfer Rede Verbündete für seine Anliegen zu gewinnen. Zugleich verknüpfte er dies mit Kritik an der Arbeit der Berufsgenossenschaft und nutzte das Treffen auch für eine weitere Beschwerde über seine Unzufriedenheit gegenüber der HWBG: „Wegen der Schwerfälligkeit des Apparates der BG und wegen der Aussicht, daß die Unfallverhütung als Idee in der breiten Öffentlichkeit künftig populärer wird, sollte die Gewerkschaft stärker noch als in der Vergangenheit die Unfallverhütung propagieren.“694 Im unmittelbaren Nachgang ist auch von Seiten der Gewerkschaft ein deutliches Interesse an der Fortsetzung dieses Kontaktes erkennbar, und so wurde Klaus Bohr von der Abteilung Arbeitsschutz beim Vorstand der IG Metall unmittelbar als Referent geladen.695 Auf diese Weise gelang es Strohmenger, ein zusätzliches Sprachrohr zu etablieren. Auch die folgenden Aktivitäten bezogen sich insbesondere auf die Entsendung fachkundiger Referenten aus dem eigenen Unternehmen in die entsprechenden Ausschüsse und Gremien. Strohmengers Kontakt etablierte sich dabei sowohl zu Karl-Heinz Laubrecht (Fachreferent Arbeitsschutz) auf der praktischen Ebene als auch zu Deibicht in die offiziellere Vorstandsebene der IG Metall.696 Nach Strohmengers Rede im November 1959 intensivierte sich der persönliche Kontakt sogar noch, und der Arbeitsdirektor setzte sich bei der IG Metall für die Entwicklung eigener gewerkschaftlicher Standpunkte ein.697 Er unterstützte in der Folge die Gewerkschaft konkret bei der Gestaltung einer Stellungnahme zum Arbeitsschutz auf dem Gewerkschaftstag. Dies erfolgte erneut unter der auch für die IG Metall bereits erprobten und bewährten Mitarbeit durch den HOAG-Vertreter Bohr und die Bereitstellung von Tagungsräumlichkeiten in Oberhausen.698 So konnte Strohmenger die nun gefestigten Beziehungen zu den Arbeitsschutzvertretern der Gewerkschaft nutzen, um sein persönliches Anliegen auch auf höherer Ebene einzubringen. Es entstanden unter seinem Einfluss bei der Gewerkschaft die Entwürfe zur richtungsweisenden Entschließung zum Gewerkschaftstag im Jahr 1960, eine Unfallverhütungsvorschrift zu Arbeitsschutzorganen sowie bei der Berufsgenossenschaft „Minimalforderungen […] zur Durchführung der Unfallverhütung“ als Vertreter der Arbeitsnehmerseite.699 Diese Konzepte gelangten über die

693 TKA, TNO/2401, Notizen Strohmenger zum Besuch von Deibicht am 15.8.1959 in Oberhausen, S. 1. 694 Ebenda, S. 2. 695 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 21.9.1959. 696 Zum Defizit gewerkschaftlicher Aktivitäten im Arbeitsschutz und zu den Akteuren bei der IG Metall bzw. später auch beim DGB Karl Deibicht, Karl-Heinz Laubrecht, Gerd Muhr und Heinz Partikel vgl. Remeke, Anders links sein, S. 103, 105–107, 128 f. und 235. 697 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Strohmenger an Deibicht, 18.7.1960. 698 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 2.5.1960. 699 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 13.6.1960, Anlagen.

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IG Metall schließlich bis in die nächsthöhere Ebene des DGB, wo beispielsweise die Unfallverhütungsvorschrift durch den von Strohmenger positionierten Oberhausener Sicherheitsingenieur Marks beim DGB-Unterausschuss „Unfallversicherung und Arbeitsschutz“ persönlich vorgestellt wurde.700 Die Ausarbeitungen trugen die deutliche Handschrift der auch von der HOAG bereits geäußerten Forderungen nach umfassenderen betrieblichen Statistiken, einer Verstärkung des hauptamtlichen Arbeitsschutzes in den Betrieben sowie einer Intensivierung der Arbeit der Berufsgenossenschaften und bewegten sich im Fahrwasser der von Strohmengers Rede entfachten öffentlichen Aufmerksamkeit.701 Strohmenger hatte sich erfolgreich eine direkte Mitgestaltung der Arbeitsschutzfrage über seine Kontakte bei der IG Metall gesichert. Dabei beruhte die Beziehung insbesondere auf dem persönlichen Verhältnis von Strohmenger und Deibicht. Mit dem Tod von Karl Deibicht im Jahr 1963 ist daher ein deutliches Auseinanderdriften des Kontakts zwischen IG Metall und HOAG zu beobachten, obwohl sich sein Vertreter Laubrecht bei der IG Metall bemüht zeigte, den Kontakt mit der HOAG in Arbeitsschutzfragen auch weiter aufrecht zu erhalten.702 Mit der Einstellung eines neuen Mitarbeiters bei der IG Metall sowie dem Ausscheiden Karl Strohmengers als Arbeitsdirektor löste sich diese enge Kooperation jedoch zugunsten eines wieder stärker formalisierten Informationsaustauschs durch ihre Nachfolger auf.703 Der besondere Kontakt um die Wende der 1950er/60er pendelte sich wieder auf ein Maß ein, wie es auch im Netzwerk der Gewerkschaft mit anderen Unternehmen bestanden hatte.704 3.5.3.2 Der Aufbau einer eigenen Arbeitsschutz-Programmatik bei der IG Metall Programmatisch lässt sich der wachsende Stellenwert des Arbeitsschutzes auch am organisatorischen Umfang der Abteilung Arbeitsschutz beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt ablesen: War die Abteilung zum Ende der 1950er Jahre noch per700 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 10.10.1960; AdsD, 5/IGMA 120133, Schreiben Laubrecht an DGB/Abteilung Sozialpolitik, 16.12.1960, und Protokoll Unterausschuss „Unfallversicherung und Arbeitsschutz“ am 13.10.1960, DGB 17.10.1960, Anwesenheitsliste. Darüber hinaus publizierte er auch in der Gewerkschaftszeitung Metall zum Arbeitsschutz in den Betrieben: u. a. Stütze des Werkmeisters, 1961. 701 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 2.5.1960, Anlage: Entwurf Stellungnahme der IG Metall zum Arbeitsschutz; Schreiben Deibicht an Strohmenger, 13.6.1960, Anlage: Entwurf Entschließung zum Gewerkschaftstag. Vgl. Entschließung Nr. XI zum Arbeitsschutz auf dem Gewerkschaftstag 1960 Industriegewerkschaft Metall, Protokoll 6. Ordentlicher Gewerkschaftstag 1960, S. 366–370. 702 Vgl. TKA, TNO/2401, Kondolenzschreiben Strohmenger an Vorstand IG Metall, 18.2.1963 und Schreiben Laubrecht an Strohmenger, 4.3.1963. 703 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130124, Korrespondenz Partikel und Hoppe. 704 Vgl. u. a. AdsD, 5/IGMA 130106, Schreiben Laubrecht an Schneider, 27.7.1962; 5/IGMA 130127, Vortrag Partikel zur Arbeitssicherheit im Betrieb auf einer Arbeitstagung der Niederrheinischen Hütte. Programm 17. und 18.4.1964; 5/IGMA 130132, Schreiben Partikel an Betriebsrat der Hüttenwerke Salzgitter AG, 6.5.1965.

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sonell beschränkt und auf die Kooperation mit den Unternehmen angewiesen, wurde sie mit zunehmender Tätigkeit ab 1962 um einen Sachbearbeiter erweitert.705 Für die Aktivierung der Arbeitsschutzbemühungen spricht auch die Herausgabe der Schriftenreihe „Arbeitssicherheit“ ab 1962. Die Schriftleitung oblag beim Vorstand der IG Metall zunächst Karl Deibicht und ab 1965 seinem bereits seit den 1950er Jahren ebenfalls im Arbeitsschutz engagierten Nachfolger Gerd Muhr.706 Bei der Verbreitung der neuen Arbeitsschutzpolitik schlug der Fachreferent der IG Metall Laubrecht in einem Vortrag bei der HOAG 1961 bei der Jahrestagung der Betriebsleiter, Meister und Unfallvertrauensleute durchaus scharfe Töne an. Selbstkritisch gestand er ein, „[…] daß die Gewerkschaften die ihnen auf diesem Gebiet gestellten Aufgaben nicht immer klar erkannt haben.“ In Bezug auf die Rede Strohmengers auf dem Arbeitsschutzkongress formulierte er erneut scharfe Kritik am Verhalten des Staates, die Ausbildung von Arbeitssicherheitskräften werde im gesamten EWG-Raum vernachlässigt und die Tätigkeit der Berufsgenossenschaften „erstrecke sich […] auf die bürokratische Verwaltung von Unfällen und nicht auf die Verhütung.“707 Die Gewerkschaft verstärkte in den folgenden Monaten ihre Aktivitäten. Bereits 1961 ist die Verabschiedung einer Vorlage zur Verbesserung des Arbeitsschutzes beim IG Metall-Vorstand erwähnt. Dabei wurden auch amerikanische Vorbilder, etwa mit der Übersetzung der vom US-Arbeitsministerium herausgegebenen Broschüre „Safety Subjects“, rezipiert und Inhalte adaptiert.708 Die „Erhöhung der Arbeitssicherheit in den Betrieben“ wurde in der Konsequenz im Oktober 1961 als Forderung im Arbeitsprogramm der IG Metall „durch Bildung von Arbeitskreisen für Arbeitssicherheit, Aufklärung der Arbeitnehmer über Unfallursachen, betriebliche Sicherheitsprogramme“ festgeschrieben.709 Die ebenfalls verstärkte betriebliche Arbeit der IG Metall im Bereich des Arbeitsschutzes schlug sich auch in der Organisation einer ersten Arbeitssicherheits-Tagung 1962 in Essen nieder.710 Diese 705 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 17.6.1962; AdsD, 5/IGMA 130106, Schreiben Strohmenger an Deibicht, 26.7.1962. 706 Vgl. Erste Ausgabe Deibicht, Einführung; nachfolgend Muhr, Nummer Sicher. Muhr wechselte 1955 in den Fachbereich Sozialpolitik und wurde 1963 als Nachfolger von Deibicht Mitglied im geschäftsführenden Vorstand. Ende der 1960er Jahre wechselte er zum DGB-Vorstand und war dort maßgeblich am Gesetzgebungsprozess des ASiG beteiligt. Vgl. „Einleitung“ 1999, hier: S. XXXIf.; Engelen-Kefer, Nachruf; Remeke, Gewerkschaften, S. 89 und S. 192 f. und ders. Anders links sein, S. 105–107; Muhr war auch bereits bei dem ersten Treffen mit HOAG-Vertretern 1959 anwesend. Vgl. AdsD, 5/IGMA 130124, Protokoll über die Besprechung im Hüttenwerk Oberhausen am 13.8.1959. 707 Beide Zitate nach „Neues Prämiensystem soll weiterhelfen“, in: Echo der Arbeit (1961), Nr. 4, S. 45 f. 708 Vgl. Vorstandssitzung IG Metall am 12. und 13.6.1961 (in: IGMZA, Best. 1–1); Protokoll der Geschäftsführenden Vorstands-Sitzung am 2.5.1961, TOP 11 (in: IGMZA, Best. 1–1, 104), beide Dokumente zitiert nach: Merkel, Industriegewerkschaft Metall, Dokument 56, S. 647. 709 Vgl. Arbeitsprogramm für die IG Metall, Oktober 1961 (in: IGZMA, Best. 1–1, 1036), zitiert nach: Merkel, Industriegewerkschaft Metall, Dokument 61, S. 696. Zur weiteren Intensivierung der Arbeitsschutz-Aufklärung der IG Metall vgl. auch Remeke, Gewerkschaften, S. 117. 710 Vgl. ausführlich AdsD, 5/IGMA 130081, Arbeitssicherheitstagung der IG Metall 1962 in Essen. Zeitgleich kam es unter der Führung von Vertretern der IG Metall auch in Süddeutschland

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war sowohl als öffentlichkeitswirksame Werbeveranstaltung als auch als praktische Arbeitstagung konzipiert, die für Delegierte, Sicherheitsingenieure und weitere Teilnehmer der Gewerkschaft als regelmäßiges Forum zum aktuellen Austausch über den Arbeitsschutz implementiert wurde.711 3.5.3.3 Die Interaktion zwischen Arbeitsdirektoren und Gewerkschaft In der Bewertung der an dieser Stelle exemplarisch ausgewählten Interaktion zwischen Arbeitsdirektoren und IG Metall fungierte der Arbeitsdirektor nicht nur innerbetrieblich als wichtiger Akteur des Arbeitsschutzes. Insbesondere in seiner Einbindung und Außenwirkung verkörperte er einen zentralen Knoten im deutschen Arbeitsschutzsystem – auch als Impulsgeber. Die Analyse des Beispiels Karl Strohmenger hat jedoch zugleich gezeigt, dass dieses offensive Vorgehen nicht überall auf eine positive Resonanz stieß und seine Haltung durchaus Druck auf Unternehmen mit einer negativeren Unfallbilanz ausübte. Gleichzeitig suchte Strohmenger aktiv nach Verbündeten, etwa bei der Gewerkschaft, da er sich sowohl seiner Stellung innerhalb der Branche als auch seines einsamen Engagements für den Arbeitsschutz durchaus bewusst war und die Grenzen seiner öffentlichen Wirkung innerhalb der Gremien deutlich spürte. Strohmenger trat grundsätzlich als streitbare Persönlichkeit auf.712 Wichtig für die Betrachtung ist die Art und Weise, in der die Akteure bei der Durchsetzung ihrer Interessen die Kontakte immer wieder gezielt aktivierten. Strohmenger suchte bei einigen ausgewählten Arbeitsdirektoren und den Sachbearbeitern der IG Metall Rückendeckung, indem er gezielt für einen gemeinsamen Einsatz in Arbeitsschutzfragen warb. Zugleich nutzte die IG Metall Strohmenger als (auch unter den Arbeitsdirektoren einflussreichen) Kooperationspartner, der eine direkte betriebliche Anbindung und einen praktischen Know-how-Transfer garantierte – ein Wissensvorsprung, den die Akteure auf andere Weise kaum erreichen konnten. Langfristig profitierte die IG Metall auch von Strohmengers Engagement, mit dessen Hilfe sie sich zu Beginn der 1960er Jahre systematisch ein neues Agitationsfeld erschloss. Der Kontakt aus den 1950er Jahren wurde in dieser Phase aktiv ausgebaut. Es entstand durch die intensive Dynamik ein neues Sprachrohr des Arzu verschiedenen Arbeitsschutzaktionen, vgl. Kein Betrieb ohne Unfallvertrauensleute, 1956; Mehr Arbeitsschutz, 1960; Mehr Schutz der Arbeitskraft, 1961; Mehr Investitionen für die Sicherheit, 1962. 711 Vgl. TKA, TNO/2401, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 29.1.1962; AdsD, 5/IGMA 130081, Schreiben Deibicht an die Vorstandsmitglieder und Bezirksleiter der IG Metall, 15.5.1962, Anlage; AdsD, 5/IGMA 130106, Schreiben Deibicht an Strohmenger, 17.7.1962. Vgl. auch „IG Metall aktiviert Bestrebungen um Arbeitssicherheit“, in: Unsere Hütte (1962), Nr. 4, S. 115 und S. 118. 712 Er galt auch unternehmensintern als „Gegenspieler von Hermann Reusch“, Bähr u. a., Die MAN, S. 348. Vgl. auch Schubert, Eisen- und Stahlindustrie, S. 42 f.; Kemmer, Der „durchschnittliche“ Arbeitsdirektor. Dies bezieht sich auch auf seine Auseinandersetzungen mit der IG Metall um die Einführung der durchlaufenden Arbeitsweise (Reduzierung der Arbeitszeit auf 42 Stunden bei Lohnausgleich), vgl. Kruse u. a., Alfred Heese, S. 22.

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beitsschutzes, das durch die Presseberichterstattung auch bundesweit wahrgenommen wurde. Die tatsächliche Wirkung entfaltete sich dabei als ein Prozess, der zunächst eng an persönliche Kontakte geknüpft war, die im weiteren Verlauf der 1960er Jahre jedoch keinen Bestand hatten. Von der auch vom Vorsitzenden der IG Metall Otto Brenner auf der ersten Arbeitssicherheits-Tagung formulierten „gesellschaftliche[n] Aufgabe“713 waren die Akteure in der praktischen Umsetzung des Arbeitsschutzes jedoch immer noch weit entfernt. Doch durch Karl Strohmengers Engagement waren sich Unternehmen und Gewerkschaften mit ihren Ansprüchen und Interessen im Arbeitsfeld des Arbeitsschutzes im gewählten Beispiel nähergekommen. Wenn auch aus unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Motiven, so verfolgten die gewerkschaftlichen und betrieblichen Akteure nicht mehr nur als reine Antagonisten nun auch gemeinsame Ziele. Gleichzeitig versuchten die betrieblichen Akteure, wie am Beispiel des Kreises der Arbeitsdirektoren zu sehen, sich gegen den wachsenden gewerkschaftlichen Einfluss zu wehren. Spielten zunächst insbesondere die Unternehmen (v. a. die HOAG) selbst eine initiative Rolle für die Arbeitsschutzaktivitäten der Gewerkschaft, so hatte sich das Blatt in den 1960er Jahren gewendet. Der gewerkschaftliche Arbeitsschutz gewann eine Selbstverstärkung durch die zunehmende (öffentliche) Rezeption der neuen Bemühungen.714 Denn die Gewerkschafter sahen nun eine realistische Chance, ihren Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsschutzes sowohl in der Politik als auch in den Betrieben auszuweiten. Das hatte Strohmenger angestoßen.715

713 Otto Brenner, Vorsitzender der IG Metall auf der ersten Arbeitssicherheitstagung 1962 in Essen, zitiert nach: „IG Metall-Vorsitzender Otto Brenner: Sicherheit des arbeitenden Menschen – eine gesellschaftliche Aufgabe!“, in: Echo der Arbeit (1962), Nr. 4, S. 38 f. 714 Vgl. Remeke, Gewerkschaften, S. 190 f. 715 Vgl. AdsD, 5/IGMA 130106, Schreiben Strohmenger an Deibicht, 26.7.1962.

4. NEUE ZIELE IM ARBEITSSCHUTZ: ZUR „PROGRAMMIERTE[N] ARBEITSSICHERHEIT“1 UND „HUMANISIERUNG DER ARBEIT“ (1970ER BIS 1980ER JAHRE)

4. Neue Ziele im Arbeitsschutz (1970er bis 1980er Jahre) Die (sozial-)politische und gesellschaftliche Umbruchphase Ende der 1960er Jahre stellt auch eine Zäsur für den Arbeitsschutz in der BRD dar. Das Maschinenschutzgesetz von 1968 läutete nach längerer Vorbereitung endgültig eine legislative Neuausrichtung zu einem „präventiven Arbeitsschutz“2 ein, die mit einer Politik zur „Humanisierung der Arbeitswelt“ auch in den 1970er Jahren konsequent fortgeführt wurde. Zugleich war diese Phase von Gegensätzen geprägt: Mit der politischen und gesellschaftlichen Belebung der Arbeitsschutzproblematik ging die erste tiefgreifende Wirtschaftskrise „nach dem Boom“3 einher. In der „Strukturbruchdebatte“ wurde diese Phase des Umbruchs mit Chiffren wie „Strukturbruch“ oder „Wertewandel“ sowie dem von Ulrich Beck definierten Begriff der „Risikogesellschaft“ belegt und von der Forschung unter verschiedenen ökonomischen, technologischen, sozialen oder politischen Ausprägungen thematisiert. Die zeithistorische Forschung hat dafür bislang jedoch noch keinen einheitlichen Begriff gefunden.4 In diesem Zeitabschnitt traten auch die technischen Veränderungen in der Eisenund Stahlindustrie, verbunden mit einem rasanten Wandel zu Automation und Computerisierung, immer deutlicher hervor.5 Seit den späten 1960er Jahren zeichneten sich die Veränderungen der Produktionsarbeit auch mit massiven Auswirkungen auf das soziale Gefüge der Betriebe immer deutlicher ab.6 Die physische Belastung der Arbeitnehmer sank, während die psychische Belastung durch „Reaktionsgeschwindigkeit“, „theoretische Kenntnisse“ und Verantwortung stiegen.7 Karl Lauschke zu-

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Industriegewerkschaft Metall, Programmierte Arbeitssicherheit. Breitel u. a., Humanisierung, hier: S. 386. Doering-Manteuffel u. a., Nach dem Boom. Vgl. u. a. ebenda; Jarausch, Das Ende der Zuversicht?; Raithel u. a., Auf dem Weg in die Moderne; Rödder, Wertewandel und Postmoderne. Vgl. für die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte Reitmayer u. a., Unternehmen am Ende des „goldenen Zeitalters“, hier: S. 19–27; Vgl. auch Tagungsbericht Strukturwandel war immer … Branchen und Unternehmen. 13.06.2012– 15.06.2012, Bad Soden, in: H-Soz-u-Kult, 17.07.2012, (15.2.2013). Vgl. speziell für den Wandel der Arbeitswelt Andresen u. a., „Nach dem Strukturbruch“?. Vgl. Heidepriem, Die ersten Leitrechner. Vgl. Lauschke, „Wir sind heute mehr Mensch als früher“, hier: S. 155. Kommission der Europäischen Gemeinschaften – EGKS, Die Veränderungen in der Struktur und Ausbildung der Arbeitskräfte der Eisen- und Stahlindustrie, o. O. 1968, S. 14, zitiert nach Lauschke, „Wir sind heute mehr Mensch als früher“, hier: S. 156.

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4. Neue Ziele im Arbeitsschutz (1970er bis 1980er Jahre)

folge war dies „[m]it starren, moralgebundenen und autoritären Formen betrieblicher Arbeitspolitik […] immer weniger vereinbar […].“8 Nach den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen verfolgt das Kapitel zunächst die Frage nach den Wirkungszusammenhängen sinkender Unfallzahlen und einer organisatorischen wie auch inhaltlichen Neuordnung der betrieblichen Sicherheitsarbeit; hiermit war auch ein semantischer Wandel von der Arbeitsschutz- zur Sicherheitsfrage verbunden. Daraufhin wird die Ausweitung der Arbeitsschutzfrage auf den Bereich der Arbeitsgestaltung in den Blick genommen, bei der sich auch neue Akteurskonstellationen zwischen Sicherheitsingenieuren, Betriebsärzten und Ergonomen in den Unternehmen ausbildeten. Abschließend wendet sich die Analyse den äußeren Einflüssen von Forschungsförderungen mit ihren Wirkungszusammenhängen auf den betrieblichen Umgang mit den Fragen von Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung zu. Die Unternehmen profitierten nun, über die regionale Tradition der Unfallursachenforschung seit den 1950er und 1960er Jahren hinaus, im Rahmen des bundesweiten Programms zur „Humanisierung der Arbeitswelt“ und der internationalen Programme zu Ergonomie und Arbeitssicherheit der EGKS von einem programmatischen und deutlich branchenübergreifenden Charakter der Forschung.9 4.1 WANDEL DER ARBEITSWELT Seit Beginn der 1970er Jahre wurden die betrachteten Unternehmen mit vielfältigen Formen des Wandels konfrontiert: Neuartige ökonomische Wechsellagen, eingeleitet durch die erste Nachkriegsrezession, und die darauf folgenden Krisenerscheinungen, leiteten seit den 1980er Jahren den weitgehenden regionalen Niedergang der Branche ein.10 Hinzu kam ein technologischer Wandel der Arbeitswelt, der sich auch in einer massiven sozialen Neuordnung von Industriearbeit und Produktionsbedingungen nach neuen gesellschaftlichen Maßstäben niederschlug. 4.1.1 Die Unternehmen in Krise und Konzentration Seit Ende der 1960er Jahre war die allgemeine Entwicklung der betrachteten Unternehmen maßgeblich durch den Konzentrationsprozess und den Beginn tiefgreifender Krisenerscheinungen gekennzeichnet. In der Ausgangslage waren nun im Dortmunder Raum die Werke Westfalenhütte, Dortmunder Union und Hörde unter dem Dach der Hoesch AG vereint, das Hüttenwerk Rheinhausen im Hüttenverbund bei Krupp sowie das Werk Huckingen im Mannesmann-Konzern eingebunden. Außerdem wurde die HOAG als Werk der Thyssen Niederrhein AG (Thyssen Niederrhein 8 9 10

Lauschke, „Wir sind heute mehr Mensch als früher“, hier: S. 157. Vgl. auch Geisler u. a., Arbeitsdirektor, hier: S. 179–184; Kruse u. a., Alfred Heese, S. 23 f.; Weber, Arbeitssicherheit, S. 195 f. Vgl. Kapitel 3.2.2.4. Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 138–151; Wienert, Wandel, S. 140–201.

4.1 Wandel der Arbeitswelt

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Oberhausen, TNO) in den Thyssen-Konzern integriert. Hinzu kamen interne Restrukturierungsmaßnahmen im Rahmen des Umwandlungssteuergesetzes (1969), das eine endgültige organisatorische Neuordnung der einzelnen Konzernbereiche und Obergesellschaften beförderte: Durch die Einrichtung zentraler Stabstellen und Hauptabteilungen wurden die inhaltlichen Arbeitsfelder in den einzelnen Konzernen zunehmend zentralisiert, stärker koordiniert und gesteuert. Dabei oblag die eigentliche operative Umsetzung, auch mit Folgen für die individuellen Arbeitsschutzregelungen, weiterhin den einzelnen Betriebsführungsgesellschaften bzw. Werksebenen.11 4.1.1.1 Stahlkrise und technischer Wandel Gesamtwirtschaftlich geriet nun nach der Bergbaukrise „[…] auch das zweite große Standbein des Ruhrgebiets, die Eisen- und Stahlindustrie, in akute Schwierigkeiten […].“12 Die erste anhaltende konjunkturelle Krise traf die Stahlindustrie seit 1975 immer stärker auch als strukturelle Krise, dies sich in einem langfristigen Rückgang der Produktionsmengen und Beschäftigungszahlen niederschlug. Dies war insbesondere eine Folge der Modernisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen der 1960er Jahre. Mit dem wachsenden Wettbewerb auf dem Weltmarkt und entgegen dem ursprünglich erwarteten weiteren Anstieg der Nachfrage führten die rückläufigen Investitionstätigkeiten durch den Ölpreisschock 1974/75 zu Überkapazitäten.13 Doch statt einer Produktionsanpassung an die sinkende Nachfrage wurden die Produktionskapazitäten dank leistungsfähiger Anlagen sogar noch weiter gesteigert.14 Die stärksten Wettbewerber kamen aus Japan und den USA sowie Südamerika. Insbesondere Japan drängte „als Ausgleich für den heimischen Absatz“ auf den internationalen Markt, um mit seinen „hochmodernen Anlagen einen Produktivitätsvorsprung“15 voll auszunutzen. Die Konzentration der deutschen Unternehmen lag dagegen weiter auf Großwerken, die, bedingt durch die Struktur der Erzeugung über die Skaleneffekte („Economies of Scale“), mit hohen Investitionskosten bei vergleichsweise geringer Produktionsflexibilität hohe Produktionskapazitäten schufen, denn erst eine hohe Auslastung der integrierten Werke senkte ihre durchschnittlichen Produktionskosten.16 Die folgende Phase der Beschränkung wurde von einer von der EG-Kommission gesteuerten Zwangsquotierung abgelöst. Hinzu kamen Versuche zur Kooperation der Unternehmen untereinander, ab 1983 auch unter Anleitung der so genannten „Stahlmoderatoren“. Eine „branchenweite Lösung“ sollte durch die Gründung 11 12 13 14 15 16

Vgl. Mönnich, Aufbruch, S. 421. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 137. Vgl. zuletzt in der Übersicht Hilger, Kleine Wirtschaftsgeschichte, S. 83–93. Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 143; Wienert, Wandel, S. 43 und S. 48 f. Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 145. Alle Zitate ebenda, hier: S. 144. Vgl. zum Weltstahlmarkt in der Übersicht Wienert, Wandel, S. 82–99. Vgl. Wienert, Wandel, S. 65–67 und S. 154, Schaubild 35.

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der zwei Unternehmensgruppen „Rhein“ (Thyssen, Krupp) und „Ruhr“ (Hoesch, Peine-Salzgitter AG, Klöckner-Werke AG) herbeigeführt und die Unternehmenskonzentration gegen Überkapazitäten und zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vorangetrieben werden. „Zu den erhofften Zusammenschlüssen kam es jedoch nicht.“17 Aber auch staatliche Subventionsmaßnahmen (v. a. Saarindustrie, Peine-Salzgitter oder Maxhütte) und Aktivierungsprogramme konnten den Ausbruch der Krise nur hinauszögern.18 Auch frühe transnationale Zusammenschlüsse, wie etwa zwischen Hoesch und Hoogovens zu ESTEL, blieben zunächst ohne Erfolg. Die Krise mündete schließlich in der Stilllegungs- und Entlassungswelle der 1980er Jahre, von der bei den betrachteten Unternehmen u. a. der Hüttenbetrieb Duisburg-Meiderich und das Hüttenwerk Oberhausen von Thyssen sowie das Krupp-Hüttenwerk Rheinhausen durch die Fusion mit dem Huckinger Mannesmann-Werk zu den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) betroffen waren. Es folgte eine weitere Phase der Unternehmenskonzentration, etwa mit der Übernahme von Hoesch durch Krupp im Jahr 1991/92 sowie abschließend 1999 durch die Fusion von Thyssen und Krupp.19 Insgesamt gingen in der bundesweiten Krise die Beschäftigtenzahlen in der Eisen- und Stahlindustrie (BRD) von über 400.000 zu Beginn der 1960er Jahre auf rund 120.000 zur Mitte der 1990er Jahre zurück. Besonders eklatant zeigte sich dabei der Rückgang der Arbeiterschaft, während im gleichen Zeitraum der Anteil der Angestellten von 15 auf 25 Prozent an der Gesamtbelegschaft anstieg.20 Allein in Nordrhein-Westfalen war zwischen 1977 und 1990 bei einer Mischung aus Arbeitsplatzabbau und Produktivitätssteigerung ein Verlust von fast 7.000 Arbeitsplätzen jährlich (insgesamt ein Rückgang von über 215.000 auf ca. 127.000, also um etwa 40 Prozent) zu verzeichnen.21 Dabei war die Krise nicht allein auf die BRD beschränkt, sondern als Absatzkrise auch ein europaweites Phänomen, verbunden mit einem massiven Beschäftigungsrückgang in der Stahlindustrie in den 1980er Jahren von rund 782.000 (Ende 1979) auf rund 285.000 (Ende 1994) Beschäftigte in der EU. Dabei lag die Bundesrepublik mit einem jährlichen Rückgang von rund 5 Prozent in den 1980er Jahren noch unter den Quoten von Großbritannien oder Frankreich mit 9 bzw. 7 Prozent.22 Besonders einschneidend für den hier betrachteten Arbeitsschutz war nicht nur der quantitative Rückgang, sondern auch der qualitative Wandel der Arbeitsplätze. Durch die Automationsprozesse und Produktionstechniken der 1960er Jahre redu17 Alle Zitate Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 149. 18 Vgl. ebenda, hier: S. 147–149; Petzina, Wirtschaft und Arbeit, hier: S. 538–551. 19 Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 149. Daneben gehört auch ArcelorMittal, z. B. mit Übernahme des ehemaligen Thyssenwerkes in Duisburg 1997, zu den größten deutschen Stahlproduzenten mit einem Anteil von rund 7 Prozent an der Gesamterzeugungsmenge von rund 40 Mio. t im Jahr 2012. Vgl. Stahlzentrum, URL: und ArcelorMittal, URL: (31.07.2013). 20 Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher, S. 25 f. 21 Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 149 f. 22 Vgl. Wienert, Wandel, S. 114.

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zierte sich die Anzahl der erforderlichen menschlichen Arbeitskräfte deutlich. Hierzu zählte etwa die sukzessive Ablösung des Thomas- und Siemens-MartinVerfahrens durch Elektro- und Oxygenstahlwerke (Sauerstoffblasverfahren) sowie der Übergang vom Kokillen- zum Strangguß, der auch die gesamte Walzstufe der Blockbrammenstraßen (mit Tieföfen) in den Hüttenwerken nach und nach ersetzte.23 Mit diesen technischen Modernisierungen war neben dem allgemeinen Kapazitätsausbau auch eine erhöhte Produktionsgeschwindigkeit verbunden.24 Beim Übergang zur informationstechnologisch gestützten Verfahrensüberwachung verschoben sich die Arbeitsbereiche zunehmend auf Überwachungstätigkeiten, insbesondere bei Störfällen. So wurde die Problematik im Verhältnis von Mensch und Maschine auf eine grundsätzlich neue Basis gestellt:25 „Aus einer klassischen schwerindustriellen Branche […] war ein moderner High-tech-Bereich geworden […].“26 Der Fokus des Arbeitsschutzes verschob sich dadurch deutlich von physischen zu verstärkt psychischen Belastungen und gewandelten Arbeitspositionen (z. B. an Kontroll- und Steuerständen).27 4.1.1.2 Die wirtschaftliche und organisatorische Entwicklung in den Unternehmen Diese Entwicklungen schlugen sich auch in der Betrachtung der einzelnen Unternehmen nieder: Die Übernahme der DHHU in Dortmund hatte bei Hoesch eine neue Konzernstruktur geschaffen, die in den 1970er Jahren mit Kooperations- und Fusionsplänen auch auf dem internationalen Parkett in Verhandlungen mit der Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken NV aus Ijmuiden (Hoogovens) fortgesetzt wurde. Hoogovens war bereits an der DHHU beteiligt, die nun ihrerseits in eine Beteiligung an der Hoesch AG umgewandelt wurde.28 Der Rahmenvertrag von 1966 regelte zunächst eine enge Kooperation, die dann nach KarlPeter Ellerbrocks Darstellung in den „[…] ersten länderübergreifenden Unternehmensverbund in Europa […]“29 mündete. 1972 folgte die formale Gründung eines neuen Konzerns unter dem Namen „Estel“, in den sich Hoogovens und Hoesch gleichberechtigt einbrachten. Die Hoesch AG hatte weiter Bestand als Finanzholding, die operativen Geschäfte der Tochtergesellschaften wurden von der Hoesch Werke AG als Arbeitsgesellschaft in Dortmund geführt.30 Die Auflösung des Verbunds erfolgte jedoch schon zehn Jahre später (1982) – sowohl aus wirtschaftlichen als auch strukturellen Gründen. Zum einen wurde der internationale Verbund Opfer 23 24 25 26 27 28 29 30

Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher, S. 14 f. und S. 21–33; Wiel, Wirtschaftsgeschichte, S. 236 f., Tab. 80 mit Abb. und Wienert, Wandel, S. 22–32 und S. 154, Schaubild 35. Vgl. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 138. Vgl. Hindrichs u. a., Abschied vom Malocher, S. 15. Lauschke, Wandel und neue Krisen, hier: S. 150. Vgl. Weber, Arbeitssicherheit, S. 195 f. Vgl. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 52; Mönnich, Aufbruch, S. 414–417. Ellerbrock, Was ist eigentlich Hoesch?, hier: S. 53. Vgl. ebenda, hier: S. 54.

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der Stahlkrise, zum anderen waren die strukturellen Probleme hausgemacht: Die auf Gleichberechtigung ausgelegten paritätischen Strukturen wirkten sich handlungseinschränkend auf die unüberwindbaren „unterschiedlichen Unternehmenskulturen von Hoesch und Hoogovens“31 aus. An diesen in der Krise essentiellen Investitions- und Rationalisierungsfragen scheiterte letztlich die Konsensfindung, sodass das noch vergleichsweise junge Unternehmen innerhalb der nationalen Grenzen auseinanderdriftete.32 Dem endgültigen Scheitern von ESTEL folgte ein erneuter Zusammenschluss der Hoesch AG und Hoesch Werke AG zu einer Konzernspitze (Hoesch AG), in der zunächst der Stahlbereich unter der Firma „Hoesch Stahl AG“ zusammengefasst und schließlich ab 1986 als grundsätzliche Spartenorganisation durchgesetzt wurde. Zeitgleich war mit der formalen Umstrukturierung des Konzerns auch eine produktionsbezogene Rationalisierung während der 1980er Jahre verbunden, an deren Ende sich die Belegschaft des Stahlbereichs von über 30.000 (1979) auf unter 15.000 (1991) halbiert hatte.33 Gleichzeitig erfolgte 1991/92 die Übernahme durch Krupp zur Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp: Nach dem Verlust der Eigenständigkeit verschwand mit der Fusion von Krupp und Thyssen auch der Name „Hoesch“ durch die Stilllegung der Westfalenhütte und des Hörder Oxygenstahlwerks im Jahr 2001.34 Die Gruppe der Kruppschen Hüttenwerke (FKH) war in der Zwischenzeit zu „Krupp Stahl“ umfirmiert worden und seit den 1980er Jahren ebenfalls von sukzessiven Belegschaftsentlassungen betroffen, unter z. T. massiven Protesten und mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit bis zur endgültigen Schließung des Werkes in Rheinhausen 1993. Auch hier hatte sich die Zahl der Beschäftigten bei stagnierender Rohstahlproduktion (rund 2 Mio. t jährlich) von über 15.000 Beschäftigten in Rheinhausen auf rund 2.000 Belegschaftsmitglieder reduziert.35 Auch nach dem Zusammenschluss mit der ATH AG blieb die ökonomische Lage des Oberhausener Hüttenwerkes bei Ausbruch der Stahlkrise weiter schwierig. Wirtschaftliche Defizite sollten ab dem Sommer 1977 durch ein umfassendes Sanierungsprogramm im Niederrhein-Bereich, u. a. mit der Gründung einer Betriebsführungsgesellschaft der Thyssen Niederrhein, bereinigt werden: Ergebnis war hier die Stilllegung erster Werksteile, die jedoch den Entschluss zur Stilllegung des Oberhausener Standortes im Jahr 1987 nicht verhindern konnte.36 Die ATH AG entwickelte sich im Laufe der 1970er Jahre, ähnlich wie auch Krupp, Hoesch oder Mannesmann, zu einem Mischkonzern. Es folgte auch hier eine entsprechende Umfirmierung in „Thyssen AG“ („Thyssen AG vorm. August Thyssen-Hütte“) sowie 1983 die Ausgliederung der Stahlsparte in die „Thyssen Stahl AG“.37 Einen vorläufigen Endpunkt bildete die Kooperation mit dem bishe31 32 33 34 35 36 37

Ebenda, hier: S. 55. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, hier: S. 56. Vgl. ebenda, hier: S. 60–62. Vgl. Bierwirth u. a., AufRuhr, S. 13; HAK, Findbuch WA 70, Hüttenwerk Rheinhausen, Geschichte des Bestandsbildners. Vgl. Uebbing, Wege und Wegmarken, S. 81; Bierwirth u. a., AufRuhr, S. 14. Vgl. Rasch, August Thyssens Firma, hier: S. 324.

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rigen Konkurrenten Krupp, die im Jahr 1999 in den Zusammenschluss zur „ThyssenKrupp AG“ mündete.38 Eine „Arbeitsteilung“39 zwischen Mannesmann und Thyssen war schon zu Beginn der 1970er Jahre durch die Trennung von Rohr- und Flachstahlproduktion beschlossen worden, was bei Mannesmann zu einer veränderten Konzernstruktur mit der Konzentration auf die Rohrproduktion führte. Das Hüttenwerk in Huckingen verblieb im Konzernverbund und wurde nach der Übergabe des Walzbetriebs an den Konkurrenten ab 1981 als Betriebsabteilung in die MannesmannröhrenWerke AG integriert.40 Doch auch dieser Standort blieb von den Auswirkungen der Überkapazitäten nicht verschont. Schließlich führten die Duisburger Stahlproduzenten Krupp und Mannesmann mit ihrer Fusion zu HKM die Gesellschaften im Jahr 1990 mit dem gemeinsamen Produktionsort des Vormaterials in Huckingen zusammen.41 Wie die Beispiele der einzelnen Unternehmensentwicklungen zeigen, waren die 1970er Jahre maßgeblich durch den eingeschränkten ökonomischen Handlungsrahmen sowie die Konzentrations- und Schrumpfungsprozesse der Unternehmen geprägt. Am Ende des 20. Jahrhunderts blieben von dem ursprünglichen Untersuchungssample lediglich die fusionierten Werke unter der ThyssenKrupp AG und HKM mit der Mannesmann-Beteiligung übrig. 4.1.2 Vom nationalen Arbeitssicherheitsgesetz (1973/74) zur europäischen Harmonisierung im Arbeitsschutz (1986/1989) Mit dem Wandel der Arbeitswelt hielt die modernisierte Arbeits- und Sozialpolitik der sozialliberalen Koalition seit Ende der 1960er Jahre zunehmend Schritt.42 Sie zielte nun auch auf den organisatorischen Ausbau der innerbetrieblichen Arbeitsschutzorganisation und eine inhaltliche Ausweitung eines umfassenderen Gesundheits- und Gefahrenverständnisses ab.43 Neben den Gewerkschaften nahm auch die Bundesregierung nach dem Urteil Wolfhard Webers „[…] nicht nur die rein quantitative, sondern durchaus auch die qualitative Veränderung der Arbeitsplatzrisiken wahr.“44 Im organisatorischen Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes hatte sich die Bundespolitik bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend zurückgehalten und bis dahin 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. ebenda, hier: S. 326. Vgl. in der Übersicht unternehmenseigene Darstellung, URL: (29.07.2013). Vgl. Wessel, Kontinuität im Wandel, S. 426; MA, Mannesmann AG, Geschäftsbericht 1980, S. 10. Vgl. Wessel, Entwicklung des Huckinger Hüttenwerkes, hier: S. 172. Vgl. zu den wohlfahrtsstaatlichen Reformen der BRD zwischen 1966 und 1974 Hockerts, Der deutsche Sozialstaat, S. 181–201. Vgl. im Resümee Bethge, Arbeitsschutz, 1966–1974, hier: S. 329 f. Weber, Arbeitssicherheit, S. 200.

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nach Webers Einschätzung auf die „Selbstregelungskräfte der Wirtschaft“45 vertraut. Doch mit dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz, ASiG) beendete die Regierung 1973/74 dieses weitestgehend freiwillige Engagement der Unternehmen. Sie ordnete durch das neue Gesetz erstmals die betrieblichen Organe und griff zugleich durch über obligatorischen Einsatz von Sicherheitsingenieuren und Betriebsärzten tief in die betriebliche Struktur des Arbeitsschutzes ein.46 Angesichts einer veränderten Wahrnehmung für die Gesundheit bei der Arbeit, aber auch eines wachsenden Bewusstseins über gesamtwirtschaftliche Verluste durch Krankheit und Unfälle nahm die Reformpolitik der neuen Regierung nun erstmals das übergeordnete Thema der Arbeitssicherheit in der BRD prominent auf, unter anderem im Zusammenwirken mit der Arbeitsstättenverordnung von 1975.47 Zu einer Neubewertung trug auch das von den Bundesministerien für Forschung und Technologie (BMFT) und Arbeit und Sozialordnung (BMAS) ab 1974 aufgelegte Forschungsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA) bei, das die gesetzlichen Initiativen des ASiG mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Realität der BRD verzahnen sollte.48 Jedoch herrscht in der Forschung bislang eine Unschärfe über den Begriffe der „Humanisierung“ vor, die als Wandel der Wertvorstellungen zwischen allgemeinem „Zeitgeist“ (Stefan Remeke) und gezielten „sozialpolitischen Leitvorstellungen“ (Winfried Süß) im HdA-Programm variiert.49 Die Humanisierung, auch über das politische Programm hinaus, bildete einen zentralen Baustein im gesellschaftlichen Kontext eines zunehmend umfassenderen Gesundheitsverständnisses. Zugleich ging der Anspruch einer humanisierten Arbeitsumwelt weit über den reinen Arbeitsschutz und die Arbeitsgestaltung hinaus. So identifiziert auch Joachim Radkau „Humanisierung“ bereits seit den 1950er Jahren als „[…] de[n] neue[n] Begriff für die altmodisch gewordene >Arbeitsfreude