159 45 2MB
German Pages 250 Year 2018
Frank Eckardt (Hg.) Ungeliebte Nachbarn
Urban Studies
Frank Eckardt (Hg.)
Ungeliebte Nachbarn Anti-Asyl-Proteste in Thüringen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4203-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4203-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt 1. Einleitung Frank Eckardt | 7
2. Die dunkle Seite der Stadt Frank Eckardt | 15
3. Die verlorene Nachbarschaft Frank Eckardt | 31
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen Frank Eckardt | 45
5. Angst Die Etablierung eines Meta-Narratives Frank Eckardt | 57
6. Stigmatisierte oder stigmatisierende Räume? Frank Eckardt | 71
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen Ankommen, Offenheit, Verordnung und Über forderung Franziska Werner | 85
8. Angekommen in Winzerla Die Perspektive der Flüchtlinge Mahmoud Adam und Frank Eckardt | 107
9. Vom Schrumpfen zur Integration? Alltagsleben von Geflüchteten in Thüringens drittgrößter Stadt Gera Anna Marie Steigemann und Franziska Werner | 129
10. Heilbad Heiligenstadt Bürgerbündnisse als Zeichen der Zivilcourage und moderne Erscheinungsform rechtsextremer Bestrebungen Mario Wolf | 143
11. B odenstein – Toleranz statt Akzeptanz Mario Wolf | 169
12. Konträre Weltbilder Flüchtlingshilfe und Antiflüchtlingsproteste in Sondershausen Jennifer Plaul | 183
13. Blankenberg Rassismus oder nur zur falschen Zeit am falschen Or t? Charlotte Schönemann | 197
14. Die ambivalente Nachbarschaft Eine Telefonumfrage in Thüringen Frank Eckardt und Malena Rottwinkel | 207
Literatur | 225 Autor/innen | 247
1. Einleitung Frank Eckardt »Boateng ist super, der beste Nachbar überhaupt.« Hildegard Müller, Nachbarin (zitiert nach Kinadeter, 2016)
In einem Interview im Sommer 2016 behauptete der AfD-Politiker Alexander Gauland, dass man »einen« wie den Bayern-Spieler Jérôme Boateng zwar als Fußballer gut finde, niemand ihn aber als Nachbar haben möchte. Später distanzierte sich dieser von seiner Äußerung und sagte, er habe den Spieler – den er nicht kenne – nicht beleidigen wollen. Es ist offensichtlich, dass Gauland den Namen Boateng nannte, weil es sich um einen ›farbigen‹ Spieler handelt und sein Name nicht Deutsch klingt. Ob der Politiker tatsächlich Boateng beleidigen oder nur provozieren wollte, bleibt dahingestellt. In weiten Teilen der Bevölkerung hat seine Behauptung eher zu einer Solidarisierung mit Boateng und zu Widerspruch geführt. Worauf diese Äußerungen von Gauland zielten, war das Fundament von Integration: das Zusammenleben auf geteiltem Raum, in großer Nähe und Nachbarschaft. Es ist offenbar so, dass man sich eine Gesellschaft mit kultureller Diversität nicht vorstellen kann, wenn nicht die Frage geklärt ist, wie sich Menschen unterschiedlicher Herkunft im Alltag begegnen. Auch in den Statements, die Gauland widersprachen, wird dies deutlich. Vielleicht am lustigsten in einem YouTube-Video von Gerald Asamoah, der als erster schwarzer Spieler in die Nationalmannschaft aufgenommen wurde. Asamoah, mit dem ihm eigenen Charme und Humor, antwortet auf die Frage, ob er von Gaulands Äußerungen etwas gehört habe: »Nein, tut mir leid, ich war den ganzen Tag bei meinen Nachbarn.« Integration als gelebtes Zusammenleben klingt hier sehr einfach und als eine unhinterfragte Tatsache. Die Äußerungen Gaulands und deren Entgegnungen wollen Tatsachen über die gelebte kulturelle Diversität behaupten, die weitergehende Annahmen über unsere gesellschaftliche Wirklichkeit beinhalten. Auf der einen Seite steht die diffuse Ablehnung von Menschen, die nur aufgrund ihrer sichtbaren Differenzen als ›anders‹ etikettiert werden, und auf der anderen Seite die Erfahrung einer gesellschaftlichen Normalität, in der diese Differenzen relativiert und
8
Frank Eckardt
teilweise aufgehoben werden. Beiden Sichtweisen geht es nicht nur um eine vermeintliche Aussage darüber, wie das Zusammenleben von Menschen in Deutschland aussieht, sondern auch, was eigentlich ›normal‹ ist. Der Streit um die Nachbarschaft ist deshalb symbolisch aufgeladen und betrifft das Grundkonzept der deutschen Gesellschaft. Normalität jedoch ist kein statischer Zustand einer Gesellschaft, sondern wird immer weiterentwickelt, erneut bestätigt oder infrage gestellt. In ihrem Dokumentarfilm »Afro Deutschland« beschreibt die dunkelhäutige Journalistin und TV-Moderatorin Jana Pareigis, wie im Alltag nach wie vor Rassismus das Leben von Menschen mit dunkler Hautfarbe beeinträchtigt und wie sehr die etwa eine Million ›schwarzen‹ Menschen in Deutschland darunter leiden. Interessanterweise schildert auch Gerald Asamoah seine höchst ambivalenten und schwierigen Erfahrungen beim Sommermärchen, der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Wenn der Schalker Fußballer einerseits durchaus Rassismus in Deutschland erleben muss, aber Deutsche Schwarze wiederum als Nachbarn schätzen und umgekehrt, dann verweist dies auf einen schwierig zu verstehenden Bezug zwischen Nachbarschaft, Gesellschaft und Rassismus. Offensichtlich ist die Nähe zu realen Menschen, vor allem wenn sie wie bei Nachbarn in der Regel auf Dauer angelegt ist, nicht nur von allgemeinen Vorstellungen und Vorurteilen geprägt, sondern bewirkt das Zusammenleben an einem gemeinsamen Ort oder in einem Stadtteil, dass sich interpersonelle Interaktionen und Dynamiken entwickeln können, die auf vorhandene Bilder vom ›Anderen‹ einwirken. Die Nähe anderer Menschen ist eine gesellschaftliche Ebene, die ihre eigenen Spielregeln und Gesetze zu haben scheint. Obwohl hier jeder Mensch den Raum für individuelles Handeln hat, ist dieser aber nicht unserer Willkür überlassen und prägen allgemeine Denkbilder und Vorstellungen auch das nachbarschaftliche Zusammenleben. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung von anderen sozialen Gruppen unterschiedlichster Art machen nicht vor der Nachbarschaft halt. Nachbarschaften, in denen Menschen unterschiedlichster Herkunft und verschiedensten Lebensstilen leben, gibt es ebenso wie solche, die sich dagegen abschotten. Woran liegt das? Wie ist es zu erklären, dass ›gefühlt‹ für manche Gauland oder für andere Asamoah recht haben könnten? Die unterschiedlichen Beschreibungen der Nachbarschaften, die hier zum Ausdruck kommen, verweisen auf eine Fragmentierung der Gesellschaft, die sich um einen normativen Diskurs bemüht und diese Spaltungen mit einem eigenen Narrativ zu überbrücken versucht. Indem die Nachbarschaft als Feld für den Disput über die Normalität oder Nicht-Normalität von kultureller Differenz ins Spiel gebracht wird, wird eine alte Argumentationsfigur im gesellschaftlichen Diskurs wieder zum Leben erweckt, die auf der Authentizität des Nahen beruht. Ob alle Aussagen über die Gesellschaft, die medial zum Thema
1. Einleitung
Flüchtlinge und Integration vermittelt werden, auch stimmen, kann jede/r nur durch eigene Erfahrung in der Lebensumwelt überprüfen. Dieser RealitätsCheck durch die eigene Wahrnehmung wird als unhinterfragbar postuliert. Damit wird ausgeblendet, dass die individuelle Wahrnehmung einer konkreten Situation anders ausfällt, je nachdem welche persönlichen Erfahrungen dieser Situation vorangegangen sind. Wie wir das Verhalten von Menschen beurteilen, ist das Ergebnis eines langen, komplexen und zumeist unbewussten Lernprozesses, den man allgemein in der Soziologie als Sozialisation bezeichnet. Die Effekte dieser Sozialisation unserer Wahrnehmung können nur erkennbar werden, wenn man den Schleier lüftet, der sich bereits auf uns gelegt hat, bevor wir in konkreten Umständen spontan urteilen. Damit ist die generelle Urteilsfähigkeit des Einzelnen nicht infrage gestellt, sondern die Anerkennung vorgegebener gesellschaftlicher Wahrnehmungsschemata verweist auf die Notwendigkeit, über die Kategorien der eigenen Wahrnehmung nachzudenken und diese auch zu überdenken. Gaulands Provokation zielt auf diese Anforderung einer selbstreflektierenden Gesellschaft, der ein unreflektiertes und unmittelbares Verstehen gegenübergestellt wird, das angeblich besser ist. Es scheint – befreit vom Ballast der Überprüfung der eigenen Wahrnehmungskategorien – das Leben zu erleichtern und deshalb richtig zu sein. Die Nachbarschaft und das Zusammenleben in der eigenen Umgebung scheinen durch ihre Übersichtlichkeit und direkten Erfahrbarkeit einer solchen Priorisierung der authentischen Wahrnehmung zu entsprechen und diese damit zu legitimieren. Das Leben vor der eigenen Haustür, die kleine Welt der eigenen vier Wände, die Vertrautheit der Nachbarschaft und die eigene Endlichkeit sind überschaubare Dimensionen, die ohne Reflexion zugänglich erscheinen. Die Bedeutung dieser authentischen Erfahrbarkeit der eigenen Umwelt und von künstlich begrenzten Horizonten führt konsequenterweise dazu, dass man das Ende der Welt auch dort ansiedelt. Die Illusion der Überschaubarkeit ermöglicht ein ordnendes und planendes Handeln im eigenen Gesichtskreis, aber diese Begrenzungen sind selbst auferlegt und der Appell an deren Authentizität kann in Zeiten der globalen Vernetzung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen nur dazu dienen, deren Fiktionalität unkenntlich zu machen. Wenn die Reflexionsnotwendigkeit der individuellen ansozialisierten Wahrnehmungskategorien nicht infrage gestellt wird, dann müssten aus der Debatte um den Nachbarn einige Vorstellungen über das Zusammenleben in einer kulturell diversen Gesellschaft neu ausgelotet werden. Hierzu gehört vor allem der Nahbereich, der sich offensichtlich weniger eindeutig gestaltet, als dies mit pauschalen Annahmen über das Nachbarschaftsleben in deutschen Städten getan wäre. Es fällt auf, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für den Prozess der Integration vorzugsweise lokal fokussiert ist, aber die allgemeine Diskussion über die Integrationspolitik in Deutschland nicht erreicht hat. Im
9
10
Frank Eckardt
Migrationsbericht 2015 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kann man etwa viele Details und Statistiken über die Zuwanderung von 2,1 Millionen Menschen nach Deutschland finden. Zweifelsfrei helfen die gesammelten Erkenntnisse, um für die erhitzten öffentlichen Debatten den notwendigen Faktencheck durchzuführen und auf diese Weise die dringend notwendige Sachlichkeit wieder zurückzugewinnen. Leider fehlt aber eine Dimension, die insbesondere vor Ort immer wieder zu sehr emotionalen Reaktionen führt. Wir erfahren nichts über die lokale Dimension von Migrations- und Integrationsprozessen. Denn die angeblich gefühlte Überfremdung dürfte sich nicht nur aus der medialen Berichterstattung ergeben, sondern auch durch die konkrete Erfahrung, dass in der nächsten Umgebung Andersaussehende und Anderssprechende auftauchen. Mit diesem Buch soll sowohl die Selbstreflexion über die Kategorien des nachbarschaftlichen Zusammenlebens durch Darstellung des vorhandenen Wissens aus der Stadtforschung unterstützt werden, als auch sollen aus dem Kontext unserer Arbeit in Thüringen Einsichten in lokale Integrationsprozesse vermittelt werden. In den nachfolgenden fünf Kapiteln werden grundlegende Annahmen über das Leben in Städten dargestellt, die einer effektiven und humanen Gestaltung unserer multikulturellen Gesellschaft teilweise im Wege stehen. Die Städte sollen es, verkürzt gesagt, richten. Ehrenamtliche Arbeit vor Ort und die Leistungsfähigkeit der Kommunen haben verhindert, dass aus der ungeplanten Aufnahme der Flüchtlinge im Jahr 2015 eine Katastrophe wurde. In den öffentlichen Lobreden wird dies auch zu Recht als ein Beweis für die Leistungsfähigkeit der deutschen Gesellschaft anerkannt und gewürdigt. Wie diese ›Integrationsmaschine Stadt‹ wirklich funktioniert, das bleibt ein Rätsel. Ein nüchterner und differenzierter Blick auf das ›Lokale‹ zeigt schnell auf, dass das Städtelob eine entlastende Funktion für nicht-lokal agierende Akteure und Institutionen hat und dass dabei die dunkle Seite der Stadt (Kapitel 2) gerne ausgeblendet oder verzerrt wahrgenommen wird. Städtelob gehört zu einem uraltem Narrativ, das in der Regel von Herrschenden angestimmt wurde, wenn sie sich nicht auf das Alltagsgeschehen einlassen wollten. Es ist die Kehrseite des Städtehasses, der bei den Nationalsozialisten die Blut-und-Boden-Ideologie begründete, der aber weitaus ältere und anhaltende Vorstellungen über den Kern unserer gesellschaftlichen Identität bedient. Ohne zu verstehen, wie es in Städten zu Gewalt kommt und wie eine Stadt überfordert werden kann, kann das Lob für die lokale Integration von Migranten und Flüchtlingen zu einem bösen Erwachen führen. Das Hochloben der kommunalen Leistungen bei der Flüchtlingsintegration verdeckt schon heute, wie viel Gewalt und Ablehnung die Flüchtlinge vor Ort erfahren müssen. Die vorhandenen Vorstellungen von ›der‹ Stadt haben mit vielen aktuellen Prozessen in unseren Städten wenig zu tun. Weder ist eine »Renaissance der Städte«, wie es die Leipziger Charta der Europäischen Union bezeichnet, eine
1. Einleitung
angemessene Beschreibung für die gegenwärtigen Entwicklungen, noch ist die apokalyptisch-alarmistische Rede von der Krise der Städte hilfreich, um die Prozesse der gesellschaftlichen Neu-Verortung und Neu-Verräumlichung adressieren zu können. Ohne dass diese Prozesse hier in aller Komplexität dargestellt werden können, sind diese als Ursachen für den Bedeutungswandel der Nachbarschaft zu identifizieren. Die Vorstellung von der Stadt als Ort der Integration beruht auch und vor allem auf der Relevanz des Nachbarn als Sozialfigur, die heute als weitgehend abgestorben gelten darf, die aber in einem anderen gesellschaftlichen Kontext von Superdiversität, erhöhter Mobilität, virtuellen Vergemeinschaftungen und sozialen Spaltungen reanimiert wird (Kapitel 3). Nachbarschaft war schon immer nicht nur eine sich selbst entwickelnde Lebensform, die sich quasi natürlich aus dem zufälligen Nebeneinanderwohnen von unterschiedlichen Menschen ergeben hat, auch wenn das in der unhistorischen und nicht soziologischen Sichtweise vieler Stadtbewohner/innen so empfunden wird. Planerisch und politisch haben in der modernen Großstadt Nachbarschaften immer einem höheren Zweck dienen sollen, in der Regel sollten sie den sozialen Frieden ermöglichen. In der post-liberalen Stadt der Gegenwart, in der die Interessen des Einzelnen nur noch schwierig mit denen anderer auszubalancieren sind, entfällt diese übergeordnete Funktion der nachbarschaftlichen Integration. Stattdessen wird die Idee der Nachbarschaft zur Umsetzung von Partikularinteressen instrumentalisiert. Es geht deshalb nicht mehr um Integration durch Nachbarschaften, sondern Interessenbehauptung durch und für meine Nachbarschaft. Proteste gegen Flüchtlinge und Asylzentren begründen sich oftmals mit dieser Argumentation (Kapitel 4). Man habe ja nichts generell gegen Asylsuchende, aber bitte nicht hier. Diese Politisierung der Nachbarschaft, sogenannte NotInMyBackYard-Proteste (NIMBY), kann aber auch andere, eventuell wichtigere Motive und Gründe für die Anti-Asyl-Proteste verdecken, wie etwa strukturellen Rassismus oder Abstiegsängste. Während die moderne Stadt des 20. Jahrhunderts durch relativ stabile Sozialverhältnisse und geringe physische Mobilität einen rationalen und planbaren Aushandlungsdiskurs über die verschiedenen Interessen ermöglichte, kann für viele Ansprüche und Erwartungen einer flexibilisierten Arbeits- und Wohnwelt heute scheinbar nur noch ein eher emotionales Band gefunden werden, das Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten miteinander verbindet. Flüchtlingsgegner wie -befürworter scheinen, so wollen es prominente Zeitanalytiker wie Heinz Bude (2015) beobachten, in einer »Gesellschaft der Angst« zu leben (Kapitel 5). Ängste werden politisch – insbesondere von populistischen und neo-autoritären Bewegungen wie der AfD – instrumentalisiert und sie begründen ein Meta-Narrativ, dass das lokale Auftreten von Pegida in
11
12
Frank Eckardt
Dresden oder Thügida in Erfurt und deren Ablehnung von Flüchtlingen zu erklären scheint. Grundannahme der Angst-Theorien ist die Vorstellung, dass sich eine nachvollziehbare Befürchtung artikuliert, die sich aus einer Benachteiligung der protestierenden Personen ergibt. Weitverbreitet im Kanon der Erklärungen für ein solches, angstmotiviertes Verhalten ist die Annahme, es würde sich bei der Xenophobie nur um eine Art reaktive Positionierung von Menschen handeln, die auf die eine oder andere Weise selbst stigmatisiert würden, etwa weil sie in Ostdeutschland oder in einem Plattenbau leben würden (Eckardt, 2016a). Mit dem Konzept der territorialen Stigmatisierung (Kapitel 6), wie es in der Stadtforschung angewandt wird, lassen sich diese Annahmen aber nur zum Teil erklären und es bleiben dabei viele Fragen offen. Um der Antwort auf die Frage, warum Menschen Flüchtlinge als Nachbarn ablehnen, näher zu kommen, haben wir unterschiedliche Studien in Thüringen durchgeführt. Ohne die langen Zeiten der Beantragung, Bewilligung und Abrechnung eines Forschungsprojekts abwarten zu können, hat dieses Buch im Rahmen sehr begrenzter Mittel Beobachtungen aus dem Freistaat zusammengetragen, damit alsbald Einsichten in die lokalen Prozesse der Flüchtlingsintegration gewonnen werden können. Gegen den Trend sollen hier keine komplexen Sachverhalte ›auf den Punkt‹ gebracht werden. Wer unsere Fallbeispiele liest, wird keine belastbare Aussage darüber bekommen, wie rechtsextrem, xenophob oder rassistisch diese sogenannten Proteste im Allgemeinen sind. Die Interpretationsarbeit, die hier angeboten wird, bezieht sich auf den stadtsoziologischen Ausgangspunkt unserer Studien, wie sie durch die institutionelle Anbindung an das Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar gegeben ist. Es handelt sich dabei um Ergebnisse von Lehrstudienprojekten, die im Rahmen der »Werkstatt Sozialraumanalyse« (zu Konzept und Methodik s. Eckardt, 2015a) jedes Semester von uns mit Mitarbeiter/innen und Studierenden durchgeführt werden. Zum Ziel haben diese Projekte, dass die zukünftigen Stadtplaner/innen die Lebenswelt unterschiedlicher sozialer Gruppen in den Städten Thüringens erkunden. Bevor im September 2015 die Anzahl von Flüchtlingen in Deutschland rapide anstieg, war bereits das Projekt »Willkommensstädte« (Eckardt, Steigemann und Werner, 2015) mit sechs deutsch-arabischen Studentengruppen durchgeführt worden, mit dem die Perspektive der Flüchtlinge in Thüringen zu Wort kommen sollte. Dieses Projekt war wiederum motiviert worden durch den offenen Rassismus, der uns in anderen Projekten in den Jahren zuvor begegnete, bei denen es eigentlich um klassische stadtplanerische Themen wie Freiraumgestaltung, Seniorenwohnungen oder ähnliches ging. Der vorliegende Band versteht sich nicht als eine abschließende Beantwortung der Frage nach den Ursachen der xenophoben Wahrnehmungen und Handlungen, die wir im Kontext unserer Arbeit in Thüringen aufgefunden
1. Einleitung
haben. Es ist auch nicht das Ziel der folgenden Kapitel, um in erster Line einen Beitrag zu der umfangreichen Forschung zu den Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen zu leisten. Sehr wohl wollen wir aber auf die, aus unserer Sicht fehlende Perspektive auf die räumlichen und städtischen Dimensionen dieser Prozesse aufmerksam machen, auch weil viele Annahmen über den Zusammenhang von Xenophobie und Nachbarschaft bislang wenig überzeugende Erklärungen liefern konnten (vgl. Daphi, 2016). Wir beobachten eine zunehmende Schwierigkeit, die lokal-räumlichen Prozesse der Gesellschaft angemessen zu artikulieren und befürchten, dass dies insbesondere in unserem Arbeitsbereich, der Stadtforschung und -planung (vgl. Eckardt, 2016b), wegen der aufrechtzuerhaltenden Komplexität einer holistischen Sicht auf den Raum und die Stadt, die Problematik der »ungeliebten Nachbarn« behindert. In diesem Zusammenhang sehen wir es als unsere gesellschaftspolitische Verantwortung als Wissenschaftler/innen, die das Privileg des akademischen Reflexionsraums besitzen, mit den folgenden empirischen und konzeptuellen Studien einer drohenden Sprachlosigkeit in der Stadtplanung und in der allgemeinen Öffentlichkeit entgegen zu wirken. Weimar, Oktober 2017
13
2. Die dunkle Seite der Stadt Frank Eckardt
Die Ablehnung der Stadt hat in Deutschland eine lange Tradition. Die Bevorzugung eines dörflich-bäuerlichen Lebensstil gegenüber urbanen Formen des Zusammenlebens mag historisch mit dem Umstand zu tun haben, dass Deutschland als spätkommende Nation im Wesentlichen erst im 19. Jahrhundert die Entwicklung einer städtischen Gesellschaft erlebte, die vergleichsweise mit Paris und London, den niederländischen und norditalienischen Städten in ihren jeweiligen Ländern früher nationale Bedeutung erhalten hat. Die rapide Nachholbewegung Deutschlands – nationale Einigung, industrielle Entwicklung und Urbanisierung – kann als der Nährboden angesehen werden, der anti-urbane Bewegungen und eine nostalgische Verklärung des Landlebens bis hin zur Blut-und-Boden-Doktrin der Nationalsozialisten befördert hat. Viel wäre zu sagen, warum ausgerechnet im deutschen Selbstverständnis bislang nur wenig Platz ist für einen städtischen Bezugsrahmen und stattdessen Wald, Wiese, Berge und Seen als urdeutsch in die mentale Geografie eingezogen sind und die hanseatische Tradition, die Pracht einzelner Bauwerke und die Spuren eines jahrhundertelangen Kommens und Gehens in der Messestadt Frankfurt (vgl. Karpf, 2013) und andernorts eher rudimentär und von nur lokaler Bedeutung geblieben sind. Die urbane Erfahrung ist offensichtlich bis dato nicht Teil der nationalen Gedächtnisorte geworden und mehr als in anderen Nationen gibt es ein verwurzeltes Unbehagen mit der Stadt als solche. Für Thüringen macht sich diese Ambivalenz und Widersprüchlichkeit an der Suche nach einem identitätsstiftenden, alle(s) einschließenden Slogan – den man schon aus Gründen der Tourismusförderung benötigen würde – sichtbar. Mit dem Motto vom ›Grünen Herzen Deutschlands‹ fehlt jede Referenz auf Weimar, Jena, Gotha und den anderen Städten. Umgekehrt blendet ein Fokus auf ebendiese Städte die starke identitäre Bedeutung von Thüringer Wald, Eichsfeld, Harz und Saale aus. Anti-städtische Vorstellungen stellen das Leben in der Stadt in einen dunklen Farbenkatalog, in dem die dunkelsten menschlichen Eigenschaften hervorragend gedeihen und sich konzentrieren. Städte sind Sündenpfuhle, in denen
16
Frank Eckardt
Gewalt, abscheuliche Missetaten und selbst geringste moralische Werte noch ausgehebelt werden. Eine solche Haltung beurteilt die Stadt negativ vor dem Hintergrund einer nicht weiter bestimmten Vorstellung vom normalen und guten Leben ›andernorts‹, auch wenn es diesen Ort in einer geschichtlich-realen Form nie gegeben haben mag. Das düstere Bild von der Stadt schwelgt geradezu im Abscheu gegenüber den auch nur denkbaren Verwerfungen, die es mit sich bringen mag, wenn viele unbekannte Menschen sich einen Ort teilen.
F assaden -U rbanismus Die fehlende urbane Erfahrung in Deutschland lässt sich nicht nur in den albtraumhaften Phantasmagorien der Anti-Urbanen wiederfinden, sie spiegelt sich auch im Städtelob, in dem die Stadt zum Ort von Zivilisation, Innovation, Kultur und allem sonstig Glückseligen hochsterilisiert wird. So wie anti-urbane Sentiments die gesellschaftliche Funktion von Städten verkennen, so sind die Städte-Apologeten blind für die tatsächlichen Probleme, die sich aus dem Zusammenleben von Fremden auf engsten Raum ergeben können. Pauschal wird von beiden Seiten jeweils einer Stadt im Speziellen oder den Städten im Generellen zu- oder abgesprochen, dass sie integrativ, vermittelnd, ausgleichend und befriedend wirken können. Diese Pauschalisierungen sind ihrerseits ein Nachweis für die fehlende reale Erfahrung mit dem Urbanen. Anstatt sich mit den konkreten und gesellschaftlich-geschichtlichen Dimensionen von urbanen Formen des Zusammenlebens auseinanderzusetzen, wird eine emotional-intellektuelle Distanz zu den realen Räumen der Stadt aufrechterhalten, die den Kern urbanen Zusammenlebens ausblendet: Konflikt und Auseinandersetzung. Die deutsche Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen wie im Osten war sicherlich konfliktmüde und bis zum schmerzhaft Kitschigen harmoniesüchtig. Ausgrenzung und Ungleichheiten nicht konflikthaft begegnen zu können, war der Preis dieses Harmoniebedürfnisses, weswegen auf Versuche einer Ruhestörung umso rabiater reagiert wurde. Der soziale Frieden in den Städten wurde durch eine langfristige (fordistische) Übereinkunft zwischen Kapital und Arbeit und einem fürsorglichen Wohlfahrtsstaat sichergestellt, der reale Konflikte um den Raum in der Stadt verhindern oder abschwächen sollte. Zur neuen Normalität deutscher Städte gehört seitdem die Vorstellung, dass Konflikte und Auseinandersetzungen nicht persönlich ausgetragen werden müssen und vermittelbar sind. Das hat dazu geführt, dass die Norm der Konfliktvermeidung eine massive Befriedung der Städte hervorgebracht hat, von der im internationalen Vergleich andere Länder nur träumen können.
2. Die dunkle Seite der Stadt
Problematisch an dieser normativen Konstellation deutscher Urbanität ist hingegen, dass die Grundlagen der befriedeten Stadt nicht mehr hinreichend vermittelt werden können, da sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind und ihre institutionelle Verankerung in einem Rechts- und Sozialstaat unsichtbar wurde. Mehr noch allerdings erscheint problematisch, dass die erreichte Harmonie als ein gesellschaftliches Gut anerkannt und ausstaffiert wird, das nicht mehr mit anderen Gütern wie soziale Gleichheit, Weltoffenheit und demokratischer Auseinandersetzung abgewogen wird. Die aktuelle Definition von urbanem Zusammenleben spiegelt diese Problematik wider: Ästhetisierung und radikalisierte Formen der Individualisierung bestimmen das Planungs- und Baugeschehen in den Städten, während die zunehmende Wohnungsnot in den Wachstumsmetropolen Deutschlands ein Thema für den politischen Diskurs bleibt, ohne wesentlichen Einfluss. Die Ausweitung des Lebens- und Wohnraums derjenigen, die es sich leisten können, gekoppelt mit einer zunehmenden Einkommensungleichheit, hat einen Fassaden-Urbanismus hervorgebracht, in dem das ›Schöne‹ im Vordergrund steht und der sich jeder Legitimationsanforderung entzieht. Schon umstritten in den westdeutschen Großstädten und Berlin, in denen sich über Jahrzehnte eine gewisse Zivilgesellschaft auf bauen konnte, wurden zeitverzögert die neuen Fassaden in Ostdeutschland zur unhinterfragten Norm für die ›Wiederbelebung‹ der Innenstädte (vgl. Eckardt, 2015b). Mit dieser Normenetablierung wurde ›Urbanität‹ in erster Linie als etwas Räumlich-Ästhetisches definiert, dem – über die Gedankenkette: Wertsteigerung des Baulichen→Investitionsanreize→wirtschaftlicher Erfolg→glückliche Menschen – magische Kräfte zugesprochen wurde. Die Arbeit an diesem Fassadenzauber tabuisierte und entwertete die Frage, wie man denn in den Städten den neuen Anspruch an den Einzelnen, sich nach dem Ende der »Fürsorgediktatur« (Jarausch, 1998) als mündiger Bürger mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen, Raum geben kann. Die verschwundene Konflikthaftigkeit des Zusammenlebens von Menschen in einem geteilten Raum hat viele Ursachen und mannigfache Folgen. Sich mit gesellschaftlichen Ansprüchen auseinanderzusetzen und ihnen nicht durch Ausschluss oder Flucht in die Vorstadt entkommen zu wollen, ist eine Kompetenz, die sich unter den günstigen Voraussetzungen eines funktionierenden Rechts- und Sozialstaats entwickeln kann, ohne dass individueller oder sozialer Schaden im großen Umfang entstehen muss. Die Beispiele aus dem Globalen Süden, in denen solche begünstigenden Rahmen für Auseinandersetzungen und Konflikte nicht vorliegen, beweisen die Richtigkeit dieser Annahme. Damit ist aber nicht gesagt, dass Auseinandersetzungen per se ohne Schaden und ohne Gewalt zu vollziehen sind. Die Monopolisierung staatlicher Gewalt steht in der Diskussion um diese Konflikten zentral. Die massive Gewalt, die von Gegnern des Asylrechts ausgeht, stellt nicht nur die Geltung von
17
18
Frank Eckardt
Rechtsnormen infrage, sondern blockiert die Entwicklung von Konfliktfähigkeit als gesellschaftliche Kompetenz und Ressource. Die Angst vor Konflikten mit Unbekannten kann unterschiedlich eingehegt werden. Bereits Georg Simmel hatte in seinem berühmten Essay von 1903 über »Die Großstädte und das Geistesleben« eine gesteigerte Nervosität im urbanen Zusammenleben diagnostiziert, der sich der Einzelne durch eine Intellektualisierung entziehen kann, indem er eine selektive Wahrnehmung (Blasiertheit) entwickelt, die die Unmittelbarkeit der urbanen Erfahrung in eine neue Haltung gegenüber sozialen Kontakten transformiert (vgl. Junge, 2012, 89ff). Wenn dies nicht gelinge, so entstünden Apathie und Aggression. Um solches zu vermeiden, fällt die Wahl des Wohn- und Lebensortes so aus, dass die wünschenswerten sozialen Kontakte ermöglicht und die ungewünschten vermieden werden. In nuce hat Simmel damit eine psychologische Erklärung für das Entstehen von segregierten Lebenswelten in der Stadt geliefert, in der es allerdings um eine ambivalente Positionierung des Einzelnen geht: einerseits im Sinne von Freiheitszugewinnen (da zu wohnen und mit denen zu leben, die man ausgewählt hat) und andererseits als Abwehr gegenüber dem »objektiven Geist« (Simmel), der die individuelle Wertigkeit im Rahmen ›objektiver‹, vom Subjekt entkoppelter Austausch- und Beziehungsverhältnisse bestimmt. Eine solche Psychologisierung des urbanen Zusammenlebens hat sich in der weiteren Beschäftigung der ausdifferenzierten Stadtforschung nicht aufrechterhalten lassen. Stattdessen wurde die Psychologie des Städtischen auf die beobachtbare Interaktion zwischen der (baulichen) Umwelt und dem urbanen Subjekt reduziert, die sich heute als Basis der Umweltpsychologie institutionalisiert hat. Kritisch reflektiert wird dabei (Flade 2015, 218ff), dass eine solche empirische Erforschung nicht die ›Black Box‹ der internen Wahrnehmung und Bewertung, mithin der Motivation für das beobachtbare Verhalten von Menschen in der Stadt, berücksichtigt. Situative Beobachtungen erscheinen dann die Direktheit der Erfahrung zu reproduzieren, wenn sie auch als Stress messbar werden. Nolens volens wird umweltpsychologisch alles ausgeblendet, was nicht-situativ wirksam ist. Die Frage, warum manches als Stress gewertet wird und anderes nicht, welche Situation nach Stress untersucht wird und andere wiederum nicht, wird mithin kulturalistisch verklärt, nicht aber in den Kontext einer konkreten gesellschaftlichen und städtischen Entwicklung gestellt. Besonders kritisch ist anzumerken, dass es hier um ein statisches Konzept von Stadt und Bewohner/innen handelt, die sich in einer Stadt befinden und nicht hinzukommen, abwandern, umziehen, neue städtische Räume herstellen, sie bewerten, vorab in ihrer Wahrnehmung ausschließen und sozial dadurch aufoder abwerten, wenn sie jene Adresse haben oder sich dort und da aufhalten, wo es ihnen Distinktionsgewinne einbringt. Mit anderen Worten, die umweltpsychologische Diskussion schließt das soziale Lernen konzeptionell aus, das sich im Laufe des Lebens einer jeden Person in den vielfältigen sozialen Be-
2. Die dunkle Seite der Stadt
ziehungen ergibt und bestimmte Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Handlungsoptionen für spätere Situationen vorprägt.
D er R aum der G e walt Eine mikropsychologische Perspektive, die den Einzelnen künstlich aus seinen gesellschaftlichen Kontexten herausschneidet, wirkt ebenso wenig hilfreich, das Entstehen von urbanen Konflikten zu erklären und konzeptionell einzuordnen, wie die soziologische Vorstellung, dass vor allem die makrogesellschaftlichen Strukturen Prozesse der städtischen Absonderung und Segregation erklären. In der Tradition der strukturalistischen Stadtsoziologie versucht man, einzelne soziale Gruppen und ihre soziale Positionierung in der Gesellschaft zu definieren, die in Bezug zu bestimmten Verhaltensweisen gestellt werden, wobei dies vor allem bislang mit Hinsicht auf die residentielle Segregation und das Wohnverhalten untersucht wurde. Das eigentliche Interesse der Forscher/ innen bezieht sich zumeist auf die gravierendsten Fälle von gewaltbezogenem Verhalten von Gruppen. Dies ist offensichtlich der Fall bei der Untersuchung von ›Riots‹. Hierbei wird auf eine »Ökonomie« (Di Pasquale und Glaser, 1998) oder eine gewisse Logik von Konfliktentwicklung hingewiesen, wobei immer wieder die Zunahme (inter-ethnischer) Wettbewerbe als Ursache angenommen wird (Olzak, 1992). Die soziologische Forschung fokussiert sich auf die Frage, inwiefern es einen Zusammenhang gibt zwischen der Benachteiligung von einzelnen sozialen Gruppen und dem Entstehen von Konflikten und Gewalt in der Stadt. Hierbei ist die bestimmende Denkfigur die sogenannte Kontakthypothese (Stürmer, 2008), wonach der Kontakt zu den ›Anderen‹ als solcher dazu führt, dass sich Vorurteile über die andere Gruppe verringern (Allport, 1954). Neuere Forschungen zeigen an, dass eine solche vorurteilsverringernde Interaktion zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen voraussetzungsvoll ist und prozesshaft angelegt sein muss (Gaunt, 2011). Viele dieser Forschungen über städtische Gewalt beziehen keine räumliche Dimension der Konflikte zwischen sozialen Gruppen ein. Das führt dazu, dass es keine deutlichen Unterschiede in der Beurteilung von Konflikten nach ihrem urbanen Kontext gibt und diese sich dementsprechend eher auf nichträumliche Konflikte beziehen. In vielen Studien wird allerdings überzeugend dargelegt, dass ein Zusammenhang mit Segregation und weiteren räumlichen Prozessen gesellschaftlicher Ordnung zu vermuten ist. Die Forschungsergebnisse sind aber nicht eindeutig im dem Sinne, dass eine nicht-segregierte Stadt als weniger konfliktanfällig anzusehen wäre. Wie Chaim Kaufmann über die post-jugoslawischen Konflikte schreibt: »Intermingled settlement patterns create real security dilemmas that intensify violence, motivate ethnic ›cleansing‹, and prevent de-escalation unless groups are separated« (1996, 137).
19
20
Frank Eckardt
Der Zusammenhang zwischen Segregation und Gewalt lässt sich dementsprechend in beide Richtungen lesen. Segregation wird als Ergebnis und als Voraussetzung von Gewalt gesehen. Insbesondere in Gesellschaften, die von Gewalt erschüttert werden, entstehen zahlreiche gated communities, die die Segregation verstärken (vgl. Roberts, 2010). Segregation als Ergebnis gescheiterter Konflikthaftigkeit und realer und imaginierter Gewalt erscheint eine plausible Kausalität darzustellen, die sich allerdings für die Debatte in europäischen und insbesondere deutschen Städte eher in der Weise als relevant zu erweisen scheint, dass die umgekehrte (oder: vorabgehende) Relation (Segregation als Ursache von Gewalt) besorgniserregend ist. Der Fokus auf die Segregationstendenzen in deutschen Großstädten wird in dieser Hinsicht mit allgemeiner und stadtsoziologischer Aufmerksamkeit verfolgt. Gezielt gewidmet hat sich dieser Fragestellung vor allem ein DFG-Forschungsprojekt unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer (Heitmeyer et al., 2011). In der Studie »Gewalt in öffentlichen Räumen« (a.a.O.) wird dreiphasig vorgegangen. Zunächst werden deduktiv Stadtteile in Duisburg, Frankfurt und Halle sozialstrukturell kontextualisiert. Danach werden die Quartiere aus Sicht der Bewohner/innen dargestellt, um anschließend einen Bezug zwischen individueller Wahrnehmung des eigenen Sozialraums, Erfahrungen von Desintegration und der sozialen Einbindung in den lokalen Kontext herauszuarbeiten. Die Auswahl der Stadtteile wird durch die Forschungsfrage in der Weise begründet, ob eine unterschiedliche ethnische Zusammensetzung als relevanter Faktor angesehen werden kann. Folgerichtig wurden mono-, biund multi-ethnische Stadtteile herangezogen. Ausgegangen wird davon, dass es durch den Bedeutungsverlust des industriellen Sektors, die Globalisierung und Tertiarisierung der Ökonomie zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Wohlfahrtsstaats und von individuellen Desintegrationserfahrungen kommt. Damit will die Studie an internationalen Forschungen anknüpfen, die die gesellschaftliche Desintegration und Gewalt im Stadtteil in einen kausalen Zusammenhang stellen (vgl. Garland, 2001). Mit der Fokussierung auf gesellschaftliche Desintegrationsprozesse geht eine Verschiebung der Forschungsperspektive von Tätern und Opfern einher, die in der Stadtsoziologie seit den Arbeiten der Chicago School der 1920er Jahre Tradition hat und sich immer wieder bestätigte (Wikström, 1991; Hancock, 2001; Parker, 2008; Ceccato, 2012), weil angezeigt werden konnte, dass Gewalt und Kriminalität räumlich unterschiedlich verteilt sind und sich dort konzentrieren, wo vermehrt Menschen mit sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit oder niedrigem Bildungsstand wohnen. Gewalt wird als eine Form der Beziehung zwischen Kontexteffekten wie ethnischer Zusammensetzung des Stadtteils und Individualeffekten wie Gewalterfahrungen in der Nachbarschaft gesehen, wobei der Gewaltbegriff sich nicht auf Fälle von physischer Ge-
2. Die dunkle Seite der Stadt
walt begrenzt, sondern der Alltagscharakter von Gewalt miteinbezogen wird. Damit ist gemeint, dass Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft aufgegriffen werden, die sich als gewaltaffine Einstellungsmuster etwa durch sozialchauvinistische Deutungsmuster oder durch Gewaltinszenierungen im öffentlichen Raum verbreiten und somit Gewalt als Verhaltensoption einführen und akzeptabel machen. Heitmeyer et al. (a.a.O., 190) haben jedoch entgegen den eigenen Erwartungen herausgefunden, dass Individualfaktoren nach wie vor hinsichtlich der Gewaltbereitschaft als relevant zu betrachten sind, während der Bezug zur kontextuellen Lokalisierung offensichtlich wesentlich schwieriger herzustellen ist, als dies mit dem gewählten deduktiven Ansatz, der sich auf die Konzentration von sozialstrukturell benachteiligten Menschen, die als desintegriert gelten dürfen, begründen ließe. Dies wird insbesondere mit Bezug auf die ethnische Konstellation deutlich, die keinen nennenswerten Bezug zur Gewaltbereitschaft darstellt. Wesentlich stärker ist der gefundene Zusammenhang hingegen mit Bezug auf männliche Geschlechtszugehörigkeit, Adoleszenz und niedrigen Bildungsniveau. Auch wird festgestellt, dass die ausgeübte Gewalt im Sinne von polizeilich registrierten Delikten zwar in allen drei Stadtteilen gleich ist, die Gewaltbereitschaft aber in Halle wesentlich größer ist. Gewaltbereitschaft wurde in Ostdeutschland vor allem wegen mangelnder sozialer Einbindung artikuliert. Während eigene Gewalterfahrungen offensichtlich für die Gewaltbereitschaft keine Rolle zu spielen scheinen, so ist die individuelle Orientierungslosigkeit (Anomie) als einflussreicher Faktor bei Menschen mit einer hedonistisch-materialistischen Wertorientierung und einem egoistischen Individualismus bestätigt worden. Die Schwächen der Studie von Heitmeyer haben mit methodologischen Schwierigkeiten zu tun, die die Autor/innen intensiv in ihrem Fazit besprechen. Sie sind aber auch auf einige falsche Grundannahmen zurückzuführen, mit denen diese Forschung durchgeführt wurde. Hierzu gehört die Auswahl der Stadtteile nach ethnischer Komposition. Dahinter steckt die unausgesprochene Annahme, dass sich der ethnische Hintergrund in der Wahrnehmung und Betroffenheit und individueller und sozialer und lokaler Problemlagen auswirken könnte. Warum sollte das so sein? Entweder geht man davon aus, dass Menschen mit einem anderen ethnischen Hintergrund eine andere Problemwahrnehmungsweise haben oder aber man unterstellt, dass ein bi- oder multi-ethnisches Zusammenleben als solches in der einen oder anderen Form einen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft hat. Letzteres ist – für die Autor/ innen überraschend – durch die Studie widerlegt worden, ersteres ist nicht berücksichtigt worden. Aus diesen Fehlannahmen lassen sich wiederum zwei Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen kann man damit die Argumentationskette, gesellschaftliche Desintegration führe bei Konzentration von ausgeschlossenen Menschen (Segregation) zu mehr Gewalt, auf bauen. Zum
21
22
Frank Eckardt
anderen könnte man einwenden, dass die These nicht durch die durchgeführte Studie widerlegt und auch nicht hinreichend untersucht wurde, in welcher Weise Menschen in diesen Brennpunkten mit den desintegrierenden Prozessen umgehen. Vieles spricht dafür, dass die grundsätzliche Annahme, dass die gesellschaftliche Desintegration auch lokal-räumlich in Gewalt umschlägt, Geltung beanspruchen kann. Heitmeyer et al. haben sich allerdings darauf beschränkt, die Wahrnehmung von Bewohner/innen abzufragen und sie direkt mit den Sozialstrukturdaten in Bezug zu setzen. Es ist hingegen offensichtlich, dass nicht von einer direkten Beziehung zwischen städtischer Gewalt und Stadtteil ausgegangen werden kann. Merkwürdigerweise ist die räumliche Dimension des Nexus von Gewalt und Stadtteil in der Erforschung der Segregation auf die Frage der Verteilung bestimmter sozialer Gruppen über die, als Einheit gedachte Stadt reduziert worden. Dabei fällt insbesondere der mikrosoziologische Teil der Räume der Gewalt heraus. Eine solche räumliche Ebene der Betrachtung ist aber unerlässlich. Der Historiker Jörg Baberowski (2015) hat nach langer Beschäftigung mit dem stalinistischen Terror hervorgehoben, wie Räume und Situationen entscheidend sein können: »Was immer Menschen auch tun werden: stets handeln sie in Räumen der Gewalt, die ihnen zwar nicht vorschreiben, was zu tun ist, die aber ihre Möglichkeiten einschränken das Geschehen nach Belieben zu kontrollieren. Wenn wir verstehen wollen, wie Gewalt entsteht und was sie anrichtet, müssen wir die Situationen genau beschreiben und die Räume, in denen sie zur Entfaltung kommt: nicht nur geografische Zonen, umgrenzte Landschaften, Lager, Gefängnisse und Anstalten, sondern auch jene unsichtbaren Räume, die durch die Vorstellung einer gemeinsam gesteuerten Welt entstehen.« (A.a.O., 33) Diese imaginierten Räume sind für das Entstehen wichtiger und lassen sich in Anlehnung an diese Analyse von Gewalt nicht primär durch die Sozialgeografie struktureller Benachteiligungen ableiten. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Herangehensweise über die Identifikation von residentieller Segregation für die Erklärung von urbaner Gewalt nicht schlichtweg ein Irrweg ist. Mit der Konzentration einzelner segregierter Gruppen ergibt sich noch keine Kausalität, die das Entstehen von Gewalt erklären könnte. Gewalt bleibt bei Studien, die in einer solchen Weise argumentieren, gewissermaßen raumfrei und wird als einzelner Akt verstanden, der nicht als solcher erst eine Prozesshaftigkeit im Raum entwickelt. Ob eine solche Gewalt-Raum-Dynamik entsteht und in welcher Weise sie von räumlichen und sozialräumlichen Kontexten beeinflusst wird, ist in einer strukturalistischen Lesart des Raum-Gewalt-Zusammenhangs nicht erkennbar. Die Dynamik von städtischer Gewalt ist aber vor allem eine räumliche: »Nicht Ideen und Gründe, sondern Räume, ihre Situationen und Handlungszwänge entscheiden darüber, was geschieht, wenn die Gewalt ausgebrochen ist […]. Von der Beschaffenheit des Raumes
2. Die dunkle Seite der Stadt
und den Möglichkeiten, die sich aus Situationen ergeben, hängt es ab, welche Dynamik ein Geschehen entwickelt.« (A.a.O.)
S oziale G e walt Wie haben wir uns städtische Räume vorzustellen, in denen sich die Gewaltdynamik ungebremst entfalten kann? Die Vorstellung, dass benachteiligte Gruppen, die strukturell durch geringe Einkommen und gesellschaftlichen Ausschluss, eher zu Gewalt neigen, erscheint als eine gefährliche – stigmatisierende – Annahme. Andererseits ist der Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Gewalt nicht von der Hand zu weisen. Jack Tager (2001, 7) konstatiert in seiner Interpretation von drei Jahrhunderten »social violence« in Boston: »The riots studied here are the work of the powerless.« Tager beschreibt die unterschiedlichen Aufstände, die sich gegen eine bestehende Ordnung sozialer Ungleichheit richten, diese aber nur im begrenzten Sinne auch infrage stellen. Die gewaltsamen Aufstände sind von daher nicht als revolutionär oder politisch zu verstehen, sondern eher im Sinne von Eric Hobsbawn (1959, 110) als »primitive präpolitische« Gewalt einzuordnen. Tagers Buch über Boston hört mit den Anti-Busing-Rebellionen in den 1970er Jahren auf und die »soziale Gewalt« schien bis in die 1990er Jahre an Bedeutung zu verlieren. Als er es in jenen Jahren schrieb, war es an der Ostküste der USA verhältnismäßig ruhig geblieben, während in Los Angeles die schwersten ›Riots‹ der modernen Geschichte Amerikas stattfanden. Ähnliches ereignete sich dann in den französischen Banlieues wenige Jahre später. Im Jahr 2005 schien diese Gewalt sich in neuer Form über ganz Frankreich auszubreiten und wurden mit der ersten Ausrufung des nationalen Notstands seit dem Zweiten Weltkrieg in ihrer neuen Qualität erkennbar. Sechs Jahre später folgten im Umfang ähnlich massive gewaltsame Aufstände in Großbritannien. Es ist auffallend, dass es in der Diskussion um den Zusammenhang zwischen Stadt und Gewalt gewisse diskursive Ungleichzeitigkeiten gibt. Während man also in Boston die soziale Gewalt historisiert und sich eine Gewaltdynamik im Sinne von Aufständen und ›Riots‹ quasi nicht mehr vorstellen kann, explodieren die sozialen Gegensätze in den Vorstädten Frankreichs und Kaliforniens. Später werden sich diese gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Bezug auf Polizeigewalt gegen Schwarze in Baltimore im Jahr 2015 und anderswo dennoch auch beobachten lassen. Die offensichtliche Ungleichzeitigkeit ist erstaunlicherweise auch auf nationale Kontexte zurückzuführen. Gewalt in der Form von ›Riots‹ scheint sich als eine alte und zugleich neue Schattenseite von Urbanität erneut zu äußern. So offensichtlich die Gemeinsamkeiten zwischen jenen, Jahrhunderte alten Aufständen der Machtlosen und Armen und den heutigen in den Vorstädten der USA, Großbritanniens
23
24
Frank Eckardt
und Frankreichs erscheinen mögen, so sehr werden sie von vielen Beobachter/ innen als etwas Neues angesehen. Dabei haben die lange Abwesenheit von Gewalt und der relative soziale Frieden in den Städten des Westens eine verklärende Rolle ausgeübt. Dennoch sind die Aufstände nicht einfach als Urbestandteil urbaner Vergesellschaftung anzusehen, die quasi nolens volens dazugehören und ohne die die Stadt als Ort des Zusammenlebens nicht zu haben wäre. Es fällt auf, dass diese Aufstände in anderen westlichen Gesellschaften, insbesondere in Deutschland, nicht aufgetreten sind. In den Analysen der Aufstände von Frankreich und Großbritannien beschreibt Sophie Body-Gendrot (2013) die ›Riots‹ als eine andere Form von »Disorder«, die sich auch als kollektive Aktion verstehen lasse, die insgesamt ein komplexes Interplay von Praktiken, Identitäten und Netzwerken im urbanen Raum darstellt. Ursächlich sei die Ungleichheit, die eine entmachtete Jugend vereint und aus einer Korrelation von makro-wirtschaftlichen Entwicklungen, einem wachsenden gesellschaftspolitischen Bewusstsein und der Dialektik zwischen Ordnung und »disorder« erklärbar sei. Die Gewalt der Aufstände erschöpft sich nicht in der Verstörung der sozialen und öffentlichen Ordnung und die strukturelle Machtlosigkeit und Benachteiligung in den Städten stellt nur eine Bedingung für deren gewaltsame Entladung dar. Das lässt sich in Europa am eindringlichsten am Beispiel der französischen Banlieues erläutern. Ohne Zweifel sind strukturelle Ursachen für die ›Riots‹ anzuführen, die sich allerdings mit weiteren Ursachenfeldern verbinden (Carpenter und Horvath, 2015). Es handelt sich um Aufstände aus Wohngegenden, die in der Regel verkehrstechnisch schlecht angebunden und somit von ihren Arbeitsmöglichkeiten abgeschnitten sind (vgl. Bouzouina, 2014; Gavrel, 2015). Für die USA waren solche räumliche Strukturen bereits mit dem Entstehen der autogerechten und suburbanen Stadt als »spatial mismatch« problematisiert worden (vgl. Kain, 1992). Die räumliche Exklusion wird durch eine Bildungssegregation zementiert, die eine Bildungskarriere und somit berufliche und wohnliche Zukunft außerhalb der Banlieues unwahrscheinlich macht (Henriot-Van Zanten, 2012). Raum wird auf diese Art zu einem Gefängnis, in dem sich die Benachteiligungen nicht durch konstruktive Bearbeitung auflösen lassen und die ein hohes Maß an Eigenleben entwickeln. Die Banlieues werden zu einem »Territorium der Tyrannei« (De Wenden und Body-Gendrot, 2007). Die Erklärungen für das Entstehen gewaltsamer Aufstände lassen im Grunde keinen Zweifel darüber aufkommen, dass diese Unüberwindbarkeit zwischen den Räumen der Stadt die raumgesellschaftliche Ursache dafür ist, dass Menschen in ihrer räumlichen und somit auch sozialen Mobilität eingeschränkt werden und sich hierdurch Räume entwickeln, die in ihrer Abkoppelung eine Gewaltdynamik ermöglichen, die sich dann als soziale Gewalt in mehr oder weniger organisierter Form, als ›vorpolitischer‹ Mob oder auch als
2. Die dunkle Seite der Stadt
ideologisch begründete Rebellion, weiterentwickelt. Diese Dynamik scheint in zwei wesentliche Programme des Handelns überzugehen. Einmal kann ein direktes und lokalisierbares Ziel der Gewalthandlung wie in den klassischen Bostoner ›Riots‹ identifiziert werden. Hierbei handelt es sich aber nicht mehr um einen Aufstand gegen Reiche, sondern es werden vorwiegend Repräsentationen des Staates – vorzugsweise der Polizei – angegriffen. Diese Angriffe sind als direkte Verteidigung gegenüber Diskriminierungen insbesondere der ethnischen Minderheiten im Kontext von rassistischen Vorurteilen und Handlungen der Polizei zu sehen (Rosga, 2010). Sie werden vor allem von Jugendlichen als Akte ausgeführt, mit denen man sich gegenüber dem Staat und Diskriminierungen wehren will (Tchumkam, 2015). Solche Ausformungen von gemeinschaftlich begangener Gewalt gegenüber der Polizei geschehen nach Anlässen spontan oder sie sind teilweise in eine lokale Widerstandskultur eingebettet, die sich bewusst mit den territorialen Stigmen kämpferisch auseinandersetzen will (Garbin, 2012). Mit den staatlichen Benachteiligungen gehen dabei viele Organisationen der Zivilgesellschaft auf anderen Konfliktfeldern auch nicht-gewalttätig um, etwa durch Beantragung von finanzieller Unterstützung für ihre Aktivitäten (Downing, 2016). In der Logik der Aktivist/innen und der Teilnehmer/innen an den Aufständen besteht jedoch oft nur ein gradueller Unterschied zwischen diesen Handlungsoptionen, da es sich bei der Rebellion gegen die Polizei und den Staat um einen symbolischen Akt handelt. Mit anderen Worten, die Gewalt hat eine kommunikative Seite und der Akt der Zerstörung und Personenbeschädigung adressiert den Staat und die allgemeine Öffentlichkeit, um auf die eigene Benachteiligung aufmerksam zu machen. Zugleich zeigen Studien (Roux, 2016), dass es um eine Form der Kommunikation nach ›Innen‹ geht, also die anderen Jugendlichen und Bewohner/innen der Banlieues im Auge hat, mit denen über die Gewalt eine territorialisierte Identität begründet und/oder fortgesetzt werden soll. Obwohl man Gewalt nicht auf ihre kommunikative Dimension reduzieren kann, wenn man die Besonderheit des gewaltsamen Aktes nicht verharmlosen und die anschließenden Prozesse der mentalen Integration in die eigene Biografie und der gesellschaftlichen Bearbeitung von Gewalttrauma ausblenden will, so ist es dennoch wichtig, um nach den Strukturen dieser gewaltermöglichenden Kommunikation zu fragen. Medienhistorisch kann auf eine lange und intensive Ausprägung von stereotypen Vorstellungen über die Banlieues verwiesen werden, die zu einem unhinterfragten Diskurs über die Marginalisierung dieser Orte ausgewachsen sind, der sich auch in der Semiotisierung der Architektur niederschlägt (Turpin, 2012). Die städtebauliche Zeichensprache der Banlieue-Architektur und die Vorstellungen über das Leben in diesen Hochhaussiedlungen sind assoziativ und konnotativ so miteinander verwoben, dass sich eine Selbstverständlichkeit stigmatisierender Interpretationen ausgebildet hat, sodass die Banlieues zu einem »Ghetto of the Mind« (Poniewaz,
25
26
Frank Eckardt
2011) geworden sind, das sich auch durch Lebensbereiche wie Sport, Kultur und Film zieht. Die diskursive Konstruktion der Banlieues als ein benachteiligter Ort ist eine Möglichkeit als ein Raum der erlebten oder wahrgenommenen Benachteiligung sichtbar zu werden und sich mit anderen Vorstellungs- und Bildrepertoires zu verbinden. Hierzu gehören auch länger bestehende kolonialistische, anti-islamische und rassistische Wahrnehmungsrahmen (Harsin, 2015), die sich mit der Territorialisierung von Benachteiligung verquicken. Das Neue der 2000er ›Riots‹ mag darin bestehen, dass diese diskursive Verschränkung nicht mehr nur lokal stattfindet, sondern sich global als Handlungstypus und auch als ambivalente Widerstandskultur verbreiten kann und eine Kulturalisierung von Gewalt und Präpolitisierung von Kultur hervorbringt, die die symbolische Gewaltdimension der Ausgrenzung ebenfalls nicht mehr lokal, sondern global konfrontieren will. Dieser Prozess der Ent-Räumlichung des Protests, der Rebellion und der globalen Gewaltkulturalisierung lässt sich vor allem durch die eminente Rolle der neuen Kommunikationsmedien nachvollziehen (Goudaillier, 2015). Die Übernahme der Kultur der 1980er Jahre aus den US-amerikanischen Ghettos in Frankreich (Mbaye, 2009) und weltweit belegt diese doppelte kommunikative Raumkonstruktion eindringlich: Mit der Übernahme von musikalischen, sportlichen und kulturellen Ausdrucksformen ergibt sich eine vorgefertigte Interpretation, die Benachteiligung und kollektive Identität zugleich kommunizieren kann, ohne zwingend dafür lokale und individuelle Erfahrungen umsetzen zu müssen. Die Erschließung des Bezugs zwischen Stadt und Gewalt über die soziale Gewalt oder den ›Riots‹ zeigt auf, in welcher Weise nicht-situative Faktoren eine Rolle auf die Gewaltdynamik erhalten und unter welchen Umständen – verkürzt gesagt: Segregation – diese strukturell begünstigt werden können. Durch Segregation, so die Grundthese, werden Wahrnehmungs-, Orientierungs- und Handlungsrahmen vorgegeben, die nur mühsam durch eigene Erfahrung und Mobilität infrage und außer Kraft gestellt werden können. Die segregierte Stadt korrespondiert mit diskursiven und imaginären Landschaften, die das segregierte Leben in den ausgeschlossenen Orten potenziell verfestigen und intensivieren. Hierzu gehören vor allem binäre Vorstellungen, die der Logik von ›drinnen‹ und ›draußen‹ durch ebensolche rigiden Kategorisierungen folgen. Die Bewachung dieser imaginierten Grenzen kann dabei durch Gewalt wie von Männern gegenüber Frauen sichtbar gemacht werden (vgl. Dornhof, 2011). Schulen, das Zuhause, die Straße, der Park und viele andere Orte sind potenziell Teil des Raums der Gewalt, in dem sich eine alltägliche Geografie der Gewalt entwickeln kann, die sich auch individualisiert, verkörpert und physisch konkret wird (Tyner, 2012). Damit wird eine andere Qualität von Gewalt erkennbar, die aber erst sichtbar gemacht werden muss, weil sie im Gegensatz zu den ›Riots‹ alltäglicher ist und von der Öffentlichkeit eher unbemerkt bleibt. Zumeist wird davon aus-
2. Die dunkle Seite der Stadt
gegangen, dass es sich bei der Frage nach der Gewalt in der Stadt eher um Kriminalität oder kriminelle Akte handelt. Die Beschäftigung mit Stadt und Kriminalität hat hierzu eine sehr umfangreiche Forschung zu evaluieren, die sich in zwei wichtigen Aspekten von der von ›Riots‹ inspirierten Diskussion unterscheidet. Zum einen ist nicht jede Form von Kriminalität im strengen Sinne gewalttätig, etwa wenn ein Vergehen gegen die Steuergesetze oder das Ausländerrecht begangen wird. Zum anderen ist Kriminalität oftmals auch eher indirekt für das Empfinden und Verhalten von Stadtbewohner/innen relevant, indem es um die persönliche oder auch gesellschaftlich-gemeinschaftliche Sicherheit geht.
D ie M or alität von urbanen K onflik ten Einen Ansatz, um die divergierenden Vorstellungen über Gewalt in der Stadt zu überbrücken, besteht in der Perspektive, die Stadt nicht nur als einen segregierten Raum und einen Ort der Gemeinschaftsbildung zu sehen, sondern vor allem die Konflikthaftigkeit der Stadt in den Vordergrund zu stellen (Moser, 2014). Gewalt wäre dann das Ergebnis einer Konfliktsituation, die sich in unterschiedlichen Rahmen und Situationen ergeben kann. Hierbei würde vor allem der Fokus auf die Prozesshaftigkeit von Handlungen aufrechterhalten bleiben, ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Art präpolitische Rebellion in Mobform oder eine kriminelle Tat eines oder mehrerer Personen handelt. Knock-on-Effekte und plötzliche Wechsel oder Veränderungen sind die beiden Dynamiken, die die Räume der Gewalt leiten. Wenn eine solche Perspektive eingenommen werden soll, bedeutet das auch, dass man sich von anderen Vorstellungen, die sich weitgehend aus dem Diskurs über die ›sichere Stadt‹ ergeben, verabschieden muss. Im Kontext von Sicherheitsbedürfnissen von Stadtbewohner/innen wird zumeist eine Vorannahme hinsichtlich der Emotionalität von Situationen unterstellt, die in der Regel die Furcht als das Startmotiv für alle restlichen Handlungen und Interpretationen der beteiligten Akteure annimmt. Damit wird die strukturelle Ursächlichkeit von Konflikten und sich daraus ergebende mögliche Dynamiken ausgeblendet. Das Entstehen von Gefühlen wie Furcht ist jedoch nicht als eine authentische und originäre Reaktion auf eine Situation zu verstehen, die es in der segregierten Stadt ohne deren Kontexte geben kann (vgl. Kemper, 1990). Gefühle sind nicht von der präsituativen Einrahmung oder Sozialisation des Einzelnen durch vorherige gesellschaftliche Erfahrungen abzukoppeln. Entscheidend dabei ist, dass diese vorhergehenden Erfahrungen und deren Interpretationen nicht eindeutig sind und immer wieder neu emotional und narrativ bewertet werden können. Strukturelle Konflikte, übergeordnete Diskurse
27
28
Frank Eckardt
und ihre stereotypen Bewertungsmuster liefern durchgängig alternative Rekonstruktionen der emotionalen Sozialisation des Individuums. Zu den strukturellen Konflikten gehört es, dass es in Städten zu Konkurrenz und Kampf um begrenzte Ressourcen kommt. Diese Konflikte hatte schon der englische Sozialhistoriker Edward P. Thompson (1971) für den Ausbruch von Gewalt in den Kleinstädten des 18. Jahrhunderts für wesentlich erachtet. Hierbei hatte er herausgestellt, dass es eine »moralische Ökonomie« gibt, aus der sich heraus der Konflikt mit der Verknappung von Waren (Nahrungsmittel) ergibt. Der strukturelle Konflikt repräsentiert dementsprechend unterschiedliche Vorstellungen über Fairness, die einmal einen Preis nach globaler Nachfrage und Angebot und andererseits lokalen Erwartungen über einen angemessenen Preis beinhalten. Mit ›moralisch‹ ist hierbei gemeint, dass es ein lokales System von obligatorischen Handlungen gibt, das nicht an ein übergeordnetes und abstraktes ethisches Verständnis angeknüpft ist. Das Konzept der »moralischen Ökonomie« ist von verschiedenen Autor/innen kritisiert worden und hinsichtlich der Vermengung von Markt und Gewalt abgelehnt worden. Zudem suggeriere es, dass die Gewaltausübenden als Rebellierende und Subalterne betrachtet werden. Das Team des Stadtethnologen Philippe Bourgois (Karandinos et al., 2014) hat allerdings in neuster Zeit das Konzept Thompsons wieder aufgegriffen, um die Drogenökonomie in Chicago entschlüsseln zu können. Der Kern der Analyse beschreibt die Transformation der Solidarität, die zum Hauptmotiv für die anhaltende Gewalt in den amerikanischen Großstädten geworden ist: »Unlike the incipient class solidarity identified by Thompson in the eighteenth-century’s moral economy of grain riots, ›riding‹ (Gewalt, d.A.) in the twenty-first-century innercity generates a destructive solidarity predicated in intraclass interpersonal violence.« (18) Diese destruktive Solidarität generiert sich nicht aus einem Zerfall der gesellschaftlichen Kohäsion eines Stadtteils, sondern ist eher als deren zu enge und zu geschlossene Form der Soziabilität zu verstehen. Wie die amerikanischen Ethnografen beschreiben, ergibt sich aus einer lokalen Situation heraus, die anhaltend durch viel Anwesenheit und engen Kontakten geprägt wird, eine Basis für Solidarität, die nicht von einem präpolitischen oder gar rebellischen Geist geprägt ist, sondern in denen die etablierten Beziehungen auf Basis von Anwesenheit und (familiärer und freundschaftlicher) Bindungen überwiegen. Gewalt wird in diesem Kontext zu einer Ressource, die man zur weiteren Stabilisierung dieser Beziehungen einsetzt. Sie wird als eine plötzlich auftretende und als Kapital demonstrierte Ressource verwandt, um eine Reputation aufzubauen. Sie greift auf den Körper als letzte verfügbare Quelle zurück und wird über den konkreten Anlass der kriminellen Ökonomie hinaus als eine gesellschaftliche Basis von Zusammenleben und Nachbarschaft verstanden. Die Proliferation von Vorstellungen über Gewalt als eine Ressource beginnt daher mit frühen Auffassungen über die Art und Weise, wie Kontakte aufgenom-
2. Die dunkle Seite der Stadt
men, Beziehungen unterhalten und Freundschaften ›bewiesen‹ werden müssen. Der lange und systematische Ausschluss aus anderen Normsystemen der Stadt und der Gesellschaft, die alternative Vorstellungen über die Gesellschaft vermitteln könnten, befördert eine von früh auf ansozialisierte Selbstkonzeption, in dem der Körper für eine solche eventuelle symbolische Verwertung wahrgenommen wird. Diese Sozialisation führt zu einem Habitus, der relativ wenige Möglichkeiten der Gestaltung von intra- und extrafamiliären Positionierungen eröffnet, die vor allem auch genderkategorisiert sind und bei denen das Thema Schutz im Zentrum steht. Im Ergebnis erreicht diese Gewalt eine Entpolitisierung der raumgesellschaftlichen Exklusion, deren langes Wirken erst die selbstzerstörerische Solidarität produziert hat und die ihrerseits weitere Exklusions- und ordnungsstaatliche Politiken zu rechtfertigen scheinen.
29
3. Die verlorene Nachbarschaft Frank Eckardt
Die Stadt der Moderne lässt sich als eine Dynamik zwischen Anonymisierung und Vergemeinschaftung, Verallgemeinerung und persönlicher Aneignung, Mobilität und Fixierung verstehen. Die rurale Verbundenheit mit dem Herkunftsort und seinen Menschen scheint das Gegenteil von dem anonymen Leben in der Stadt zu sein. Eine solche duale Kategorisierung von Land = Gemeinschaft und Stadt = Gesellschaft hat in der Behandlung von Urbanität in der Stadtsoziologie eine lange Tradition und bestimmt nach wie vor den öffentlichen Diskurs. Die Nachbarschaft hingegen scheint diese Dualisierung aufzubrechen bzw. zu verzeitlichen. Im Idealfall wird aus einem Fremden ein Nachbar, entsteht aus der Anonymität eine Form von Gemeinschaft oder zumindest ein Nebeneinander. Ohne Zweifel ist der Nachbar eine originär urbane Denkfigur, die die Möglichkeit, mit anderen Menschen in einem geteilten Raum zusammenzuleben, aufzuzeigen und zu behaupten trachtet. Wer in der Stadt aufwächst, wird nachbarschaftlich sozialisiert, indem er oder sie nicht nur sich die nähere Umgebung nach und nach aneignet und als Mittelpunkt der eigenen Welt zu begreifen lernt, sondern vielmehr wird auch eine stadtgesellschaftliche Ordnungslogik intrinsisch vermittelt, wonach die Welt überhaupt erst einmal aus Nachbarschaften und einem Stadtzentrum, einem Stadtrand und vielen ›Gegenden‹ besteht. Das Vokabular und deren Bedeutung sind lokalisiert, aber die grundlegende Lektion in gesellschaftsräumlicher Ordnung ist in allen Städten gleich. Die Nachbarschaft hat eine grundlegende Orientierungsfunktion als ein benennbarer und überschaubarer Raum, der sich vor allem durch die Abgrenzung zu anderen Räumen oder auch Raumtypologien zu ergeben scheint. Wer neu in einer Stadt ankommt, wird diesen Prozess der Raumsozialisation versuchen – so schnell wie möglich – nachzuholen, sei es auch nur darum, dass man dadurch schneller als ›integriert‹ oder ›angekommen‹ gilt.
32
Frank Eckardt
R aumfigur N achbar Mit der Etablierung des Nachbarn in der modernen Stadt hat sich nicht nur eine orientierende Raumfigur als Selbstverständlichkeit in der urbanen Lebenswelt verselbständigt. Der Nachbar ist auch Teil eines normativen Settings, das zwar unterschiedliche Erwartungen an einen ›guten‹ Nachbar enthalten kann – und wie dieser zu definieren wäre, davon zeugen die unzähligen juristischen Streitigkeiten zwischen Nachbarn –, er stellt aber zunächst nur eine Art gesellschaftliches Gefäß dar, das Auseinandersetzungen über das ›richtige‹ Zusammenleben ermöglicht. Differenzen in der normativen Beurteilung des Nachbarn ergeben sich aus der Einbettung des Nah-Raums als Sozialtypus in weitergehende normative Narrative. Die Stadt als Ort der heterogenen Lebenswelten wird zwangsläufig mit solchen normativen Konflikten konfrontiert, da sich ein Konsens immer nur zeitlich und in einer begrenzten Zahl von Nachbarn erreichen lässt, die morgen schon woanders wohnen können oder sich durch veränderte Lebensbedingungen (Familie, Arbeit) auch anderen Normen zuordnen. Die historische und aktuelle Kontextualisierung von »sozialen Nachbarschaften« (vgl. Reutlinger, Stiehler und Lingg, 2015) gibt zudem Aufschluss darüber, dass die positive Bewertung des Nachbarn eine gesellschaftspolitische Dimension hat, die es dem Einzelnen oftmals nicht leicht macht, um den konkreten Nachbar nicht nur nach persönlichen Prinzipien, sondern auch nach gängigen sozialen Wertmaßstäben zu beurteilen. Trotz unterschiedlicher Konjunkturen ist der Nachbar jedoch als normatives Konzept insgesamt erhalten geblieben. In den aktuellen Diskursen über die Willkommenskultur und in den Thematisierungen der ›besorgten Bürger‹ wird er erneut als Referenzpunkt und Zielvorgabe für Integration aufgegriffen. Die Unsterblichkeit des Nachbarn ist in gewisser Weise erstaunlich, weil sich zugleich beobachten lässt, dass die gegenwärtige Stadtentwicklung Ausdruck einer veränderten Gesellschaft ist, in der durch die neuen Informationsund Kommunikationsmedien so etwas wie »Ortlosigkeit« entsteht (Bourdin, Eckardt und Wood, 2014). Es handelt sich dabei um Prozesse der Aneignung des städtischen Umfeldes, die sich anscheinend stärker durch eine mobilisierte und virtualisierte Logik von Vergemeinschaftung erklären lassen als durch die Annahme einer auf Rückeroberung von räumlich begrenzter nachbarschaftlicher Gemeinschaft. Dies trifft auch und insbesondere für die Dynamik von Flüchtlingsbewegungen und den Anti-Asyl-Protesten zu, deren Inhalt, Steuerung und räumliche Handlungsorientierung ohne eine Virtualisierung der Kommunikation in der Essenz nicht nachvollziehbar wären. Die beobachtbare Neubeschreibung der Nachbarschaft verweist auf einen Wechsel in der raumgesellschaftlichen Ordnung. Die ›ortlose Stadt‹ kennzeichnet sich durch eine soziale Frage aus, die sich als Übergang von der segregierten zur fragmentierten Stadt beschreiben lässt. Für gesellschaftliche Ordnungen
3. Die verlorene Nachbarschaf t
jeder Art sind Grenzen entscheidend. Für die moderne Großstadt war ein Verhandeln, Verschieben und Verteidigen einer symbolisch im Raum verankerten Grenze kennzeichnend. Raum konnte zu einem definierten Territorium einer sozialen Gruppe oder Schicht werden. Nachbarschaften stellten ein hybrides Ergebnis einer solchen territorialen Ordnung dar, wobei keine Identität zwischen symbolischer und geografischer Grenzziehung vorliegen musste. Die Vorstellung, wo eine Nachbarschaft anfängt und wo sie aufhört, ist schon immer auch eine sich von konkreten Orten entkoppelnde imaginierte Ordnung gewesen: »As definable spatial and social units, neighborhoods have existed primarly in the minds of urban sociologists and planners.« (Tuan, 1975, 158) Die Virtualisierung von Kommunikation hat diese Imaginationen global geöffnet und somit teilweise denjenigen entzogen, die diese realiter in die konkreten Orte überführen oder mit den Grenzen des geografischen Raums die imaginierte Nachbarschaft in Übereinkunft bringen müssen, um weiterhin in Räumen handeln zu können und sie sich entsprechend anzueignen. Die Grenze entkoppelt sich durch die Einbindung in mediale, diskursive und narrative Praktiken, die deren »Ortlosigkeit« im Sinne einer verschnellten, individualisierten und globalen Imaginierung befördern. Für Grenzziehungen im nachbarschaftlichen Raum ist deren Erkennbarkeit im Stadtteil weniger relevant als die Personalisierung im Innenraum der individuell-subjektiven Wahrnehmung. In der modernen Stadt wurde das Individuum räumlich so sozialisiert, dass es die Grenzen seiner Nachbarschaft und seines Handlungsraums an einzelnen Orten ablesen konnte. Es fand eine Art von sozialem Lernen der Nachbarschaft statt. Kartografisch, städtebaulich und architektonisch vollzog sich ein permanenter Abgleich zwischen der wahrgenommenen und der kommunizierten, sozial konstruierten Nachbarschaft. Die räumliche Sozialisation – spätestens seit dem Entstehen des sog. Inselspringen von Kindern zwischen verschiedenen, unzusammenhängenden Orten (Schule, Elternhaus, Wohnort der Freunde, Sport, Musikunterricht, Nachhilfe, Großeltern etc.) – hat mit der automobilisierten Urbanisierung diesen Abgleich-Mechanismus der Kindheit aufgehoben und die virtualisierte Jugend steigert die Fragmentierung von raumkonstruierendem Verhalten und Wahrnehmen weiter. Psychologisch wird die Zersplitterung der mentalen Urbanität durch eine Bubble-Geografie ausgeglichen, die aber eine permanente Verunsicherung hervorbringt. Genau abgestimmt und übervorsichtig selektiv muss anhand von ausgeklügelten Zeichensets entschieden werden, was in den Innenraum gehört und was nicht. Eine ganze Fantasieindustrie liefert hierzu Vorlagen, in denen die Normativität des Innenraums vorherrschend wird, da es hierzu keine Alternative mehr gibt. Nachbarschaften werden durch mobile, aber hochgradig selektive Innenräume abgelöst, die als ›normal‹ in einer Welt zunehmender Verunsicherung angesehen werden. Wenn es eine individuelle Inkorporation von neuen Orten in die eigene Innenwelt geben soll, dann nur, wenn dort die gleichen Normen und
33
34
Frank Eckardt
Werte herrschen, wie in den schon bekannten Innenräumen von Kita, Grundschule, Sporthalle, Einkaufszentrum, Autositz und Ferienparadies. Risiko und Vertrauen werden auf diese Weise von den bisherigen kollektiven Formen, die dem Individuum physische und psychologische Sicherheit verliehen, neu verteilt und müssen durch individuelle Adaptionsstrategien verarbeitet werden.
D ie S tadt als I nnenwelt Das Entstehen neuer Innenwelten, die sich dann auch gemeinschaftlich und in einem neuen Sinne: nachbarschaftlich organisieren, garantieren aber keine emotionale Sicherheit im sozialpsychologischen Sinne, sodass sich der Einzelne in dieser Welt zu Hause fühlen kann, denn die Welt ist ja gerade draußen gelassen worden. Für die Ausbreitung der Innenwelt ist eine Form von Nachbarschaft notwendig, die einerseits lokale Mobilität ermöglicht, aber andererseits die ›weite Welt‹ handhaben und Bekannte und Fremde in der unmittelbaren Nähe unterscheiden kann. Die neue Geografie der fortgeschrittenen Moderne radikalisiert die inhärente Logik der permanenten Konstruktion und Rekonstruktion von Nachbarschaften in einer Weise, in der Prozesse der Identitätsbildung zunehmend externalisiert werden. Die (Re-)Konstruktion des Lokalen wird von dem Individuum abgekoppelt und von der Aneignung des Lokalen entlastet, die noch in der modernen Großstadt mühsam und konflikthaft erarbeitet werden musste. Das Ausmaß der rekonstruierten Nachbarschaften hat inzwischen derart zugenommen, das nur durch eine weitverbreitete mentale Verankerung dieser entkoppelten Gemeinschaften in der fortgeschrittenen Moderne zu erklären ist, die auf dieser Weise Ortlosigkeit produziert. Dabei geht es vor allem um die Nah-Räume, in denen die neuen Ortsschemata der Bubble-Urbanität bedeutsam werden. Sie werden von einer ortslosen Grenzziehung durchdrungen und wirken intrapsychisch so, dass sie in die letzten Winkel der Intimität und der Privatsphäre dringen, wodurch die moderne Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatraum umgangen wird. Die gebaute und geplante Stadt operiert jedoch nach wie vor mit diesen etablierten Schemata und identifiziert Stadtteile, Nachbarschaften, Quartiere und ähnliche Raum-Typologien, die sie paradoxerweise semiotisch als zugleich global und ortslos – auf bestimmte Baustile und räumliche Arrangements beschränkt – darstellt. Nachbarschaften in der ortlosen Stadt kennzeichnen sich durch eine Raumproduktion aus, die im erheblichen Maße anonymisiert und der konflikthaften Kommunikation im Nah-Raum aus dem Wege geht. Wenn von diesen neuen städtischen Geografien die Rede ist, dann erscheint eine solche Narration kritisch, weil sie die fortbestehenden ›alten‹ sozialen Ungleichheiten in der Stadt und vor allem das Thema der sozialen Segregation entweder zu bagatellisieren oder ganz zu ignorieren scheint. Obwohl
3. Die verlorene Nachbarschaf t
sicherlich manche Autor/innen durch das Hervorheben des Erscheinens einer medialisierten Urbanität in der Tat eine solche Entpriorisierung der sozialen Differenzen in der Stadtforschung nolens volens betreiben, lassen sich die Befunde nicht im Sinne einer Entweder-oder-Logik gegeneinander aufrechnen. Die Fragmentierung der Stadt und ihre enträumlichte Rekonstruktion durch neue Gemeinschaften finden im segregierten Raum der Stadt statt. Das bedeutet, dass die Logik der Segregation – etwa durch Distinktionsgewinne motiviert – nicht durch die Fragmentierung überlagert oder aufgehoben wird. Zum Teil wird die segregierte Nachbarschaft als eine vom sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt abgehängte Wohngegend durch die Fragmentierung und den neu entstehenden Nachbarschaften noch weiter peripherisiert und atomisiert. Für die benachteiligte Nachbarschaft galt, etwa im Sinne der Forschungen zum »spatial mismatch« (Gobillon, Selod und Zenou, 2007; Ihlanfeldt, 1998), dass ein Anschluss an relevante Arbeits- und Ausbildungsangebote in der Stadt durch Mobilitätssteigerung (bessere Verkehrsangebote) hergestellt werden kann. Ein solches Verständnis von Nachbarschaft setzt eine stadtgeografische Verortbarkeit voraus, die sich aber mit Bezug auf die Ansiedlung von kreativen oder wissensbasierten Industrien kaum noch auffinden lassen wird. Die Renaissance der Nachbarschaft ist deshalb deutlich von einer stadtpolitischen Konzeption zu unterscheiden, die bis in die 1990er Jahre als ›area based approach‹ soziale Benachteiligungen durch zusätzliche und gezielte Förderung einzelner Stadtteile kompensierte. Vielmehr muss die ›Rückkehr‹ nachbarschaftlicher Politikansätze im Kontext einer veränderten Perspektive auf den Wohlfahrtsstaat gesehen werden, die mit dem aktivierenden Staat (Bandemer, 2001) stärker auf die Selbsthilfe und Selbstorganisation der Gesellschaft setzt. Diese neoliberale Wende war auch das Ergebnis einer Perspektivveränderung in der Stadtforschung, die mit der Annahme von direkten Nachbarschaftseffekten für das Entstehen von sozial benachteiligten Stadtteilen einherging. Studien über den »neighborhood effect« sollten einzelne benachteiligende Faktoren identifizieren und eine negative »Verstärker«-Rolle von Nachteilen durch das Aufwachsen in sozialen Brennpunkten erklärbar machen (Galster, 2008). Wenn man einmal solche Faktoren ausfindig gemacht hätte, dann könnte man hieran politisch arbeiten. In Wirklichkeit lässt sich eine relative Konsistenz von sozialer Benachteiligung und Nachbarschaft über lange Zeiträume konstatieren, die eine übergenerationelle und multifaktorielle Dimension aufweisen (Sharkey, 2013). Die zu kurz greifenden Annahmen über isolierbare Nachbarschaftseffekte erklären sich aus dem künstlichen Ansatz, Benachteiligungen und Nachbarschaften deckungsgleich zu denken und die Dynamik der verhandelten und umkämpften (Insel-)Territorien und Grenzen auszublenden. Nachbarschaften waren und sind das Ergebnis einer diskursiven Ordnung, in der die Aneignungspraxis des Individuums durch Praktiken der Identitätskonstruktion, der
35
36
Frank Eckardt
Interaktionen und Netzwerke zum Ausdruck kommt. Segregation bedeutet das permanente Entstehen, Bestätigen und Infragestellen von Markierungen, Territorialisierungen und raumsymbolischer Abgrenzungen. Durch diese Raumpraktiken entstehen auch normative Räume, in denen unterschiedliche Auffassungen über das Zusammenleben durch die Entwicklung von Normen und Wertesysteme konflikthaft auftreten. Gefühle wie Angst, Solidarität, Mitgefühl, Abscheu oder auch Bedrohung begleiten den Prozess der nachbarschaftlichen Ausprägung eines Normenkonsenses, bis zu dem emotionale Ambivalenz und Orientierungslosigkeit für den Einzelnen ansonsten vorherrschend bleiben.
D er politisierte N achbar Die Nachbarschaft in ihrer politischen Perzeption hingegen sollte seit ihrer lokalpolitischen und stadtplanerischen ›Entdeckung‹ seit den 1920er Jahren gerade diese Stabilität immer wieder gewährleisten. Nachbarschaften werden seitdem kartografiert und geplant, gebaut und gestaltet. Der Raum der Nachbarschaft soll somit eine gesellschaftliche Plan- und Machbarkeit weitergehender gesellschaftspolitischer Vorstellungen demonstrieren (Reutlinger, Stiehler und Lingg, 2015, 93ff). In dieser Weise in politischen, pädagogischen, stadtplanerischen und sozialarbeiterischen Diskursen instrumentalisiert, geht die reale Bedeutung des Nachbarn verloren. Die interne Struktur dieser Nachbarschaften wird unsichtbar und das ist insbesondere in Hinsicht auf die gelebte Genderordnung und der Lebensstilvielfalt problematisch. Der Nachbarschaft wird in diesen politischen Programmatiken eine gesellschaftliche Integrationsleistung zugeschrieben. Teilweise fungiert die Nachbarschaft als Refugium gegen eine kalte und lebensfeindliche Stadt, in der keine relevanten Nahbeziehungen aufgebaut werden können. Regelmäßig findet sich in diesen Diskursen ein duales Gesellschaftsbild wider, bei dem schützende soziale Beziehungen im Wohnbereich aufzufinden sein müssten. Das gipfelt in Aussagen, es habe ›hier‹ mehr Zusammenhalt ›früher‹ oder einfach ›mehr‹ Nachbarschaft im Sinne einer größeren freiwilligen Unterstützung gegeben. Das behauptete solidarische und altruistische Verhalten ist im Kontext von Knappheit an Wohnraum und anderen Gütern wie in den westdeutschen Arbeitersiedlungen und den ostdeutschen Großraumsiedlungen kaum plausibel. Wo die soziale Figur des Nachbars politisch oder diskursiv bemüht wird, kann man auf die eine oder andere Weise auf weitergehende normative Vorstellungen über das ›richtige‹ gesellschaftliche Verhalten stoßen. Die Ablehnung von Flüchtlingen als Nachbarn wird durch diese Erwartungshaltung mitbegründet. Die Erwartungen werden antizipierend als enttäuscht vorweggenommen formuliert. Eingerahmt werden die individuellen
3. Die verlorene Nachbarschaf t
Sorgen in einen Diskurs über die mehr oder weniger direkten Folgen für das eigene Leben, des Stadtteils oder der Nation. Eine solche assoziative Verknüpfung von Erwartung, Antizipation von Veränderungen und deren Beurteilung verweist auf eine klassische Vorher-Nachher-Erzählung, die sich situativ und persönlich ergeben kann. Die Verkoppelung dieser Ebenen spricht für die Nicht-Authentizität von behaupteten und erfahrenen Problemen mit den Nachbarn. Theoretisch könnte es sich zwar um Erfahrungen aus einem realen Kontext handeln, da Erwartungen nicht immer nur imaginiert in diskursiven Handlungen einfließen. Die Überlagerung von Assoziationen, negativen Befürchtungen und fehlende Rekonstruktionen der erfahrenen oder wahrgenommenen Veränderungen in der Nachbarschaft weisen aber auf einen Imaginationsüberschuss hin, der eine nachvollziehbare Begründung von Ängsten schwierig erscheinen lässt. Gegen das Narrativ vom Nachbar, das mit Elementen der direkten und authentischen Erfahrung eine starke empathische Beziehung ermöglicht, lassen sich Einwände und Unbehagen schwer durch ein unverfängliches Gegen-Narrativ artikulieren. Während der Nachbarschaftstypus greif bar und nicht aus dem Weg zu räumen ist – es sei dann eben durch Gewalt –, sind Anti-Asyl-Proteste nicht mit alternativen raumgesellschaftlichen Vorstellungen assoziierbar. Aus diesem Grunde werden raumfreie Imaginationen wie ›der Bürger‹ oder abstrakte Räume wie das Abendland bemüht. Die wenig artikulierte und begründete Ablehnung von Flüchtlingen macht sowohl bei den Protagonisten der Anti-Asyl-Proteste wie bei den Versuchen der diskursiven Integration große Schwierigkeiten. Der Abwehrreflex bedient sich unterschiedlicher Versatzstücke von Ideologien, wodurch nicht klar ist, inwieweit die Annahme eines dahinter verborgenen ideologischen Gesamtnarrativs begründet ist. Der Nachweis verfestigter rassistischer, xenophober und rechtsextremer Strukturen verliert an kritischem Potenzial, weil der situative, personelle und räumliche Kontext der Proteste nicht in Erwägung gezogen wird. Einzelne Versatzstücke einer solchen diskursiven Unklarheit, die etwa die Religionsfreiheit von Muslimen infrage stellt, verbinden sich nicht zwangsläufig zu anderen demokratiefeindlichen Auffassungen (Decker, Kiess und Brähler, 2016). Die Ablehnung von Flüchtlingen kann sich mit anderen, abstrakteren Erzählungen kreuzen, die insbesondere mit tradierten Vorstellungen über den Fremden zusammenhängen, die keiner persönlichen Bearbeitung unterzogen worden sind oder die sich aus ideologischen Quellen speisen. Die Ablehnung neuer Nachbarn kann durch die Verschränkung mit nicht durch persönliche Erfahrung revidierbaren und zu differenzierenden Einschätzungen einhergehen, indem der Prozess der Akkulturation der Fremden durch Referenzen an xenophobe oder rassistische Vorstellungen oder durch rechtsextreme Ideologisierung blockiert wird. Rechtsextremismus basiert auf einer genuin exkludierenden Haltung gegenüber Fremden, die sich durch kollektivistische Vorstellungen von eth-
37
38
Frank Eckardt
nischer Homogenität auszeichnet und die ein Zusammenleben von Menschen nach universalistischen Gleichheitsannahmen ablehnt (Grumke, 2014, 28ff). Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als Begründung für Anti-Asyl-Proteste können nichtsdestotrotz auch ohne eine weitere rechtsextreme Einbindung auftreten oder eventuell als Syndrom von Menschenfeindlichkeit die Ablehnung anderer sozialer Gruppen miteinschließen (Küpper und Möller, 2014). Wenn Versuche ohne explizit rassistische Begründung unternommen werden, die persönliche Anti-Asyl-Haltung zu erklären, dann werden diese zumeist als Besorgtheit um die eigenen Kinder, die eigene Nachbarschaft oder die Stadt formuliert. Dies wird in Initiativen oder Facebook-Seiten deutlich, die sich »Wir lieben Gera« oder »Besorgte Eltern« nennen. Die als Sorge deklarierte Ablehnung von Flüchtlingen ist in diesem Sinne nicht mit einem Rassismus und Rechtsextremismus zu verwechseln, der als Camouflage zu entlarven wäre, sondern ist in einer umfassenderen Transformation von Fremdenfeindlichkeit zu sehen. Der Trend zu einer radikalisierten und gewalttätigeren und zugleich bürgerlich-populistischen Fremdenfeindlichkeit hat mit dem veränderten Rechtsradikalismus zu tun, dessen Kern zwar nach wie vor eine demokratiefeindliche Ungleichheitsideologie darstellt, der sich aber heute in der »Erlebnisgesellschaft« auch als eine eigene »Erlebniswelt« (Glaser und Pfeiffer, 2014) neue imaginierte und territorialisierte Gemeinschaften auf baut. Ziel dieser xenophoben Erlebniswelten sind Identitätsangebote, Gemeinschaftsaufbau und eine emotionale Sicherheit, die auf einer dualen Logik von ›innen‹ und ›außen‹, ›wir‹ und ›sie‹ beruht. Diese emotionale Rekonstruktion von Gemeinschaft verläuft im hohen Maße virtuell über die neuen sozialen Medien. Die virtuelle Gemeinschaft benötigt auch eine Art Landnahme, die sich in der Schaffung eines selbstbestimmten und dominierten Raums umsetzen muss (vgl. Grau und Heitmeyer, 2013). Die virtuelle Vergemeinschaftung dient zur Sozialisierung von Normen und Codes, die einen Wiedererkennungswert für das ›reale Leben‹ haben, um die Räume nach eigenen, völkischen Regeln einrichten zu wollen. Hierbei geht es im Extremfall um ›National befreite Zonen‹ oder ›Völkische Siedlungen‹, in der Regel aber eher um das Beherrschen der Straße und der öffentlichen Räume. Die Beherrschung dieser Räume wird durch symbolische Kontrolle oder mit angedrohter und auch demonstrativ ausgeführter Gewalt umgesetzt. Der Fokus auf die mit Macht durchgesetzte Eroberung von Raum bedeutet keine eigentliche Raumaneignung, wenn man darunter eine gewisse emotionale Verbundenheit zum Ort versteht. Wenn man sich von der Denk-, Diskurs- und Sozialfigur des Nachbars verabschiedet, dann verbleibt die Frage, in welcher Weise sich Menschen an einem Ort binden und dadurch bereit sind, sich über den notwendigen Kontakt hinaus auf diesen einzulassen. Anstelle einer fixierten und diskursiv überladenen Nachbarfigur anzuhaften, wäre deshalb sowohl genauer hinzuschauen, wie sich ein solcher Prozess
3. Die verlorene Nachbarschaf t
der sozialen Raumaneignung vollzieht, als auch wäre das Spektrum der Betrachtung über die nachbarschaftliche und direkte oder nahräumliche Interaktion hinaus aufzuspannen. Hinsichtlich der präziseren Beschäftigung mit der Frage, in welcher Weise sich Menschen über und mit, in und über den Raum gesellschaftlich im wörtlichen Sinne verorten, ist die Literatur über die Nachbarschaftseffekte erstaunlich wenig informativ. Die Logik einer solchen räumlich-sozialen Interaktion verbleibt anstelle einer Untersuchung nach den möglichen Effekten (soziale Positionierung) unausgesprochen. Die stadtsoziologische Literatur spricht von »Ortseffekten« oder »Verstärkereffekten«, der Prozess, der aber solche Effekte hervorbringt, bleibt dabei Terra incognita.
M ultiple O rtsbindungen Erklärbar wird diese Schwachstelle des stadtsoziologischen Diskurses durch eine Abgrenzung zu (bis Ablehnung von) einer umweltpsychologischen Perspektive. Erst durch die Rezeption von neueren Ansätzen aus dem Bereich der Material Culture, Science and Technology Studies und insbesondere der ActorNetzwerk-Theorien wird verstärkt auch die Materialität von Räumen als eigenständige gesellschaftliche Dimension anerkannt (Müller und Reichmann, 2015). Die Aussparung der Psychologie der Verortung hat dazu geführt, dass eine umfassende und weitergehende Beschäftigung mit diesem Thema in der Umweltpsychologie nicht in das stadtsoziologische Verständnis integriert wurde. Insbesondere eine Analyse der emotionalen Aspekte von Raumaneignung und Ortsbindung (place attachment) fehlt nun dringend und die vorhandenen Konzepte, etwa aus dem Megadiskurs der Angst, wie dargestellt wird, lassen sich nicht mehr als Ergebnis von Interaktionen im Raum erklären, sondern werden nur noch als Teil eines universellen Gefühls gedacht. Die Umweltpsychologie hat hingegen dieses Forschungsfeld in den letzten vierzig Jahren mit über 400 Publikationen und Studien (Lewicka, 2011) umfassend und differenziert bearbeitet, wobei sie sich von einem, ihr immer wieder vorgehaltenen sogenannten ökologischen Fehlschluss – also fälschlicherweise zu denken, alles lasse sich als Ergebnis einer räumlichen Situation erklären – durch interdisziplinäre Perspektivenübernahme entledigt hat. Bereits in den 1970er Jahren wurde die wichtige Unterscheidung zwischen den abstrakten Räumen und den bedeutsamen Orten vorgenommen. Verknüpft mit der allgemeinen Entwicklung der Psychologie, in der kognitive Psychologie und Neurowissenschaften eine zentrale Rolle erhalten haben, hat auch die Erforschung des place attachment unterschiedliche Schwerpunkte, Methoden, Annahmen und Ergebnisse formuliert, die eine schier nicht zu übersehende Forschung hervorgebracht hat, die auch noch mit verschiedenen Begriffen wie Identität, sense of place, Ortszufriedenheit oder gar Heimat und Zuhause operiert. Hierbei
39
40
Frank Eckardt
wird eine gewisse definitorische Eigenständigkeit behauptet, die sich aber im Vergleich kaum erschließen mag, vor allem weil diese Definitionsunterschiede auch bei Einordnung in einen weitergehenden theoretischen Erklärungsrahmen verblassen. In der Diskussion um Ortsverbundenheit haben sich trotz der unterschiedlichen theoretischen Anbindungen und Methoden prinzipiell einige Kernfragen herausgeschält, die man für das allgemeine Verständnis des Verhältnisses von Menschen zu Orten als grundlegend bezeichnen kann. Zum Ersten gehört die Frage nach der Größe von Orten. Die allgemeine Vorstellung von mehr und intensiveren Bezügen von Bewohner/innen zu einer Stadt, wenn diese nicht zu groß ist, kann als eine leitende Idee in vielen Diskussionen und Planungskonzepten vorgefunden werden. Dies geht auf die berühmte Definition von Louis Wirth zurück, demnach neben Heterogenität und Dichte vor allem die Größe einer Stadt einen urbanen Lebensstil hervorbringt (Guterman, 1969; Otte und Baur, 2008). Die Annahme, dass sich über einen urbanen Lebensstil eine indirekt größere Offenheit und somit leichtere Ortsbindungen ergeben, hat sich aber grosso modo nicht aufrechterhalten lassen. Gegenteilige Befunde verweisen darauf, dass rurale Gemeinschaften eine höhere Ortsbindung aufweisen können (Theodori und Luloff, 2000). Der Grundkonsens in der internationalen Literatur scheint zu sein, dass die Größe der Stadt keine ausschlaggebende Rolle für das Entstehen von place attachment spielt. Dieser Befund sollte in mancher Hinsicht – insbesondere mit Hinblick auf die Thüringer Klein- und Kleinststädte und mit Bezug auf die Frage nach der Ablehnung der Flüchtlinge – mit Vorsicht rezipiert werden. Zunächst ist mit Bezug auf die internationale Forschung anzumerken, dass ein weiterer Vergleich zwischen Stadt und Dorf, der über die angeführte Studie von Theodori und Ludlof hinausgeht, nicht vorgenommen wurde. In einer vom Bundesinstitut für Stadt-, Raum- und Bauforschung durchgeführten Befragung (Gatzweiler, 2012) wird bestätigt, dass die Größe der Stadt keine Bedeutung für die Lebenszufriedenheit hat. Vielmehr spielen die wirtschaftliche Lage vor Ort und der Wohnstatus eine wichtige Rolle. Auffallend ist auch, dass die ostdeutschen Kleinstädte eine geringere Zufriedenheit aufweisen. Hierbei wird konstatiert, dass sich die Nähe zu Großstädten positiv auswirkt. Dennoch wird vermutet, dass Menschen in ostdeutschen Kleinstädten mit anderen Präferenzstrukturen leben und sie die Landschaft und Naturnähe angeblich mehr schätzen. Auch diese Umfrage hat keine vergleichende Perspektive eingenommen, weswegen die Schlussfolgerung, die Bindungen in kleinen Städten sei höher nicht nur nicht belegt ist, sondern auch mit der Tatsache der hohen Abwanderungsbereitschaft trotz gefundener Zufriedenheit nicht in Einklang zu bringen ist. Dennoch verweist die Umfrage auf den Faktor der Abgelegenheit (remoteness), der für die Ortsbindung an Kleinstädte entscheidender zu sein scheint als die Größe der Stadt als solche (vgl. Mcknight et al., 2016). Die Erforschung der
3. Die verlorene Nachbarschaf t
Ortsbindungen muss sich deshalb von einer Vorstellung verabschieden, dass es eine Art von urban-ruralem Kontinuum gibt. Die Distanz zu den urbanen Zentren erscheint erheblich bedeutsamer zu sein und vor allem dann, wenn diese Entfernung durch eine geringere allgemeine und infrastrukturelle Versorgung des eigenen Ortes im Vergleich zu anderen den Bewohner/innen bewusst ist. Dieser Zusammenhang signalisiert eine Benachteiligung, die ungeachtet einer oberflächlichen Ortszufriedenheit vorhanden zu sein scheint. Die Größe des Ortes wird zudem zumeist nur als ein indirekter Faktor für die entscheidendere Dimension der Offenheit einer Kommune angesehen, die als Voraussetzung für die Möglichkeit der Entwicklung von Ortsgebundenheit vermutet wird. In vielen deutschen Studien wird hierbei auf die politisch-planerische Ebene fokussiert, die durch Partizipation die Bürger/innen einbinden soll und auf diese Weise eine Beteiligung und Aktivierung für den Ort erreichen könne (Kaschlik, 2012). Eine solche Offenheit lasse sich auch als eine räumliche verstehen, die sich nicht gegen andere Nachbarschaften abschottet. Die Annahme einer solchen linearen Kausalität ist allerdings falsch. Umfragen (Billig und Churchman, 2003) unter geschlossen gebauten oder physisch abgegrenzten Orten wie Gated Communities, weisen darauf hin, dass diese nicht mehr oder weniger Ortsverbundenheit als andere Stadtteile erzeugen. Entscheidend für das Gefühl, ›hier‹ zu Hause zu sein, sind die Verbleibdauer und vor allem die geringen Unterschiede im sozialen Status der Bewohner/innen. Die Offenheit gegenüber Diversität wird von einigen Studien (Greif, 2009 und 2015) als ähnlich wichtig eingeschätzt. Hierbei wird betont, dass weitere Faktoren miteinbezogen werden müssen, um eine multikausale Erklärung für das Entstehen von Ortsbindungen in kulturell diversen Stadtteilen erklären zu können. Vornehmlich in amerikanischen Studien wird auf die Bedeutung von (Wohn-)Eigentum hingewiesen (Elliot und Wadley, 2013). Dieser Befund deutet auf die Relevanz von übergeordneten normativen Orientierungen hin, die bei fehlender Vermittlung zu einer Erosion von Vertrauen und damit Unbehagen an dem Leben in multikulturellen Stadtteilen hervorrufen kann (Stolle, Soroka und Johnston, 2008). Für Deutschland ist dieser Befund schwierig, weil eine allgemein geringere Relevanz von Wohneigentum im internationalen Vergleich aufgrund des größeren Wohnmietmarktes und dessen weniger starker Stigmatisierung angenommen werden darf. Die verhältnismäßig schwächere gesamtgesellschaftliche Relevanz von Wohneigentum wird außerdem durch eine konkurrierende Normalitätserfahrung von kultureller Diversität im Alltagsleben gegenbalanciert. Studien (Schönwalder et al., 2016) haben verdeutlicht, dass für die Mehrzahl der Bewohner/innen westdeutscher Städte Multikulturalität als Norm erfahren wird. Dies kann für die ostdeutschen Städte nicht bestätigt werden.
41
42
Frank Eckardt
Vertrauen und Offenheit scheinen wichtige Faktoren dafür zu sein, dass sich eine Person auf Dauer einen Ort kognitiv, emotional und durch sein Verhalten aneignet und eine Ortsverbundenheit auf bauen kann. Vertrauen und Offenheit scheinen dessen ungeachtet auch Gegensätze zu sein, wenn man unter Vertrauen eine Beziehung versteht, bei der eine Form der Interaktion möglich ist, die auf der einen oder anderen Weise zu einer Vergemeinschaftung führt. Diese Gemeinschaften bilden zugleich einen Ausschluss gegenüber Menschen, die nicht ›dazu passen‹. Gemeinschaften müssen jedoch nicht als Ausdruck einer sozialen Homogenisierung und als Exklusion von Anderen erscheinen. Es ist vielmehr so, dass sie paradoxerweise nur einen schwachen Ortsbezug herstellen können, wenn sie für andere Menschen, Perspektiven, Ideen, Lebensstile und Meinungen nicht offen sind. Der scheinbare Widerspruch wird traditionell in der Sozialpsychologie (Sandstrom und Dunn, 2014) dadurch erklärbar, indem die Bedeutung der sogenannten schwachen (in der Regel nicht-familiären) Beziehungen zwischen Menschen für wichtig erachtet werden. Dieser Befund wird mit Bezug auf Migranten und deren soziale Netzwerke noch relevanter (Ryan, 2011; Wells, 2011; Windzio und Zentarra, 2014). Schwache Beziehungen und Netzwerke werden als soziales Kapital bezeichnet (Blokland und Noordhoff, 2008). Unterschieden wird zwischen bindendem und überbrückenden sozialem Kapital, wobei man sich Ersteres als Verbindungen und Vernetzungen innerhalb einer Gemeinschaft und Letzteres als Beziehung zwischen zwei Gruppen oder Gemeinschaften denken kann. Im Gegensatz zu vielen Annahmen und öffentlichen Diskussionen schließen sich bindendes (schließendes) und überbrückendes (offenes) soziales Kapital nicht aus, sondern befördern sich eher gegenseitig (Halpern, 2005). Erstaunlicherweise wird in der Analyse von Ortsbezogenheit wenig auf diese Erkenntnis zurückgegriffen. Der persönliche Bezug zu einem Ort würde sich im Grunde als eine Art schwache Beziehung verstehen lassen, die gegenüber starken familiären Beziehungen etwa keine Konkurrenz eingehen kann, die aber Defizite in dieser Hinsicht genauso entgegenwirken könnte wie andere ›weak ties‹. Wenn insbesondere für Kleinstädte diagnostiziert wurde (Kaschlik, 2012), dass man Identifizierungsobjekte benötigt, die eine Unverwechselbarkeit ausstrahlen und somit bedeutsame Orte darstellen, dann wäre anschließend an die Erkenntnisse aus der Erforschung über das soziale Kapital einzuwenden, dass eine Differenzierung zwischen einer bindenden-ausschließenden und einer überbrückenden (integrativen) und offenen Identität zu unterscheiden wäre. Es bestätigt sich die Feststellung, dass Identifikationsorte für die Ortsverbundenheit potenziell die wichtige Frage ausblenden, in welcher Form unterschiedliche Gemeinschaften perzeptiv und emotional eingebunden und welche ausgeschlossen werden, in welcher Weise sich also Orte nur nach innen oder auch nach außen hinwenden, öffnen und schließen.
3. Die verlorene Nachbarschaf t
In Architektur- und Städtebaudiskursen wird der Begriff der lokalen Identität und der Identitätsorte ausführlich diskutiert und als eine Aufgabe erfahren, die baulich und planerisch umzusetzen ist. Hierbei wird die Konstanz des Objekts über den Zeitraum des Erschaffens und seines Kontexts angestrebt, womit sozialpsychologisch eine Orientierung über den Tag hinaus anvisiert wird. Dieses Anliegen wird als Kontinuität begriffen, die im idealen Fall die individuelle Endlichkeit übergenerationell und somit narrativ auch die Beschränktheit der eigenen Erfahrungen aufhebt. Eine solche Identität des Ortes ergibt sich als eine Objektbeziehung auch jenseits der Architektur. Entscheidend ist die Bedeutungsgenerierung aus Ordnungen, Verwurzelungen, Kontinuitäten, die sich aus Alltagspraktiken wie dem Wohnen (profan) oder Beten (sakral) ergeben. Die abstrakte Konstruktion eines Ortes als ›meaningful place‹ aus dem Alltagsleben wird vor allem aus einer emotional positiven Bewertung heraus stattfinden (vgl. Golledge und Stimson, 1997). Diese Bedeutungskonstruktion funktioniert auf den verschiedenen Ebenen der Persönlichkeit, aber sie fußt in jedem Fall auf einer Orientierungsfunktion, die die Wahrnehmung der Handlungsräume bestimmt. Eine solche Wahrnehmungsgeografie lässt sich mit ›mental maps‹ beschreiben. Keineswegs darf eine generische Konstruktion von Ortsbezogenheit ausblenden, dass auch die Objektqualität eine Rolle spielt. Ästhetik, Naturverbundenheit, landschaftlicher Reiz, Komfort, Sicherheit, Sauberkeit, Anordnung von Objekten und geografische Entfernungen oder Funktionalität sind Aspekte, die eine objektbezogene Verbundenheit ermöglichen können. Die Betonung der sozialen und individuellen Bedeutung eines Ortes aus dem Alltagsleben heraus ist deshalb mit weitergehenden Vorstellungen über das Schöne, Wahre, Gute verbunden und führt zu einer normativen Wertung auch von Orten, die als Region, Nation, Land oder Kontinent nur partiell erfahrbar sind. Wie Langzeitstudien (Korpela et al., 2009) zeigen, können Lieblingsorte auch über die Zeit der Anwesenheit vor Ort hinaus wichtiger werden als jene, mit denen man es realiter in der aktuellen Umgebung zu tun hat. Das verweist wiederum darauf, dass abstrakte und konkrete Ortsbezogenheit sich nicht gegenseitig ausschließen und diese immer parallele Konstruktionen von Geografien, (multi-)lokal wie überörtlich, vollziehen. Anstelle einer Nachbarschaft, die als eine Art unterste Ebene von Geografie gedacht wird, wäre eine angemessenere Form der Ortsbindung so zu beschreiben, dass eine Vielzahl von signifikanten Orten unterschiedlicher Größe und Lokalität, verschiedener Intensität und individueller Bedeutung sichtbar wird. Die Ortsverbundenheiten sind teilweise komplementär, teilweise konkurrieren sie um die Relevanz in der persönlichen Geografie. Begriffe wie Nation, Freistaat oder Nachbarschaft hingegen operationalisieren und hierarchisieren eine interessensgeleitete Ordnung und simplifizieren die komplexe Landschaft der Ortsbezüge.
43
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen Frank Eckardt
Proteste gegen Asylbewerberheime und andere Formen der Ablehnung von Flüchtlingen werden in der Regel im Kontext von Fremdenfeindlichkeit diskutiert. In der Tat ist das Motiv solcher Proteste als erklärungsrelevant zu betrachten und soll mit der folgenden stadtsoziologischen Einordnung nicht relativiert werden. Die genauere Betrachtung des Phänomens weist daraufhin, dass es mehrere Ebenen zu unterscheiden gilt: Zunächst gibt es eine hohe Anzahl rassistisch motivierter Anschläge auf Flüchtlingsheime und Personen, die damit in einen Zusammenhang gestellt werden. In Anbetracht der sehr geringen Aufklärungsquote dieser Straftaten ist eine weitere Behandlung der Frage nach der realen Motivation der Täter/innen an dieser Stelle wenig sinnvoll. Die Selbstdarstellungen und ideologischen Begründungen vieler rechtsextremer Organisationen lassen davon ausgehen, dass es sich hierbei nicht um eigentliche Anti-Asyl-Proteste handelt, sondern schlichtweg um Rechtsterrorismus. Zweitens gibt es Proteste gegen Flüchtlingsheime, die zwar gegen die Ansiedlung eines Heimes an einem Ort gerichtet sind, die aber mehr oder weniger verdeckt rassistisch motiviert sind. Hier werden Proteste im Sinne einer rassistischen oder rechtsextremen Ideologie oder Vorurteilshaltung zum Ausdruck gebracht, aber nicht weiter mit Bezug auf ein konkretes Heim oder die Frage der Ansiedlung konkretisiert. In einer dritten Kategorie fallen Proteste, die sich aus einer diffusen Unzufriedenheit speisen und die nicht unbedingt durch rassistische Vorurteile motiviert zu sein scheinen. Mit rassistischen Motivationen haben diese Proteste gemein, dass es wiederum nicht in erster Linie um die Ablehnung eines Flüchtlingsheims in der eigenen Nachbarschaft geht, sondern der Protest nur eine Art Blitzableiter-Funktion für eine grundsätzliche Unzufriedenheit darstellt. Schließlich gibt es auch jene Proteste, die mit dem Argumentationsmuster agieren, dass man prinzipiell ja für Flüchtlinge Verständnis habe, aber dass ein Flüchtlingsheim nicht im eigenen Ort angesiedelt werden könne.
46
Frank Eckardt
NIMBY als P rotestk ategorie Wenn der Ansiedlung eines Flüchtlingsheims auf dieser Weise prinzipiell nicht widersprochen wird, dann werden andere Aspekte der Aufnahme von Flüchtlingen problematisiert. Das betrifft etwa Einwände, die auf die Nachteile wie dem ausfallenden Sportunterricht bei der Turnhallenbelegung aufmerksam machen wollen. Proteste dieser Kategorie lassen sich mit der bestehenden ›NotInMyBackYard‹-Forschung der Stadtsoziologie diskutieren, wie im Folgenden geschehen soll. Oftmals sind die vorgebrachten Einwände allerdings durchaus durch Stereotype und Vorurteile über Flüchtlinge begründet, etwa wenn durch die Ankunft der Flüchtlinge automatisch mehr Kriminalität erwartet und mehr Schutz der Bevölkerung eingefordert wird. In Anbetracht des hohen Anteils von Menschen, die in Thüringen eine negative Meinung über Ausländer haben, ist davon auszugehen, dass es keine NIMBY-Proteste in ›Reinform‹ gibt und somit immer diskutiert werden muss, in welcher Weise die Proteste noch als Ausdruck einer begründeten lokalen Besorgtheit zu verstehen sind, bei dem rassistische Sichtweisen zwar vorliegen, aber diese nicht den grundlegenden Charakter der Proteste bestimmen. In den Fallbeispielen dieses Bandes haben wir uns bemüht, uns auf diese zu fokussieren. Hierzu besteht Forschungsbedarf, da zu den Themen Gewalt, Hass und Rassismus durch Übernahme entsprechender Konzepte aus der Gewalt- und Konfliktforschung bereits fruchtbare Erklärungsansätze vorhanden sind, diese aber kaum in die Stadtsoziologie eingeflossen sind. Hingegen kann eine Erforschung der rassismusnahen NIMBY-Proteste durchaus auf Konzepte und Forschungsergebnisse der weiteren Stadtforschung zurückgreifen. In dieser sind in den letzten zwanzig Jahren ebenfalls unterschiedliche Kategorisierungen vorgenommen worden, wie LULU (locally unwanted landuse), NIMTOO (not in my terms of office), NIABY (not in anybody’s backyard), NOPE (Not on planet Earth) oder CAVE (citzens against virtually everything). Obwohl diese in mancher Hinsicht der oben ausgeführten Kategorisierungen ähnlich sind, adressieren sie nicht direkt das Thema Rassismus und sparen somit eine nicht-lokale Motivationslage (vgl. Béhar und Simoulin, 2014) aus. In Anbetracht dessen hilft eine solche, nicht analytisch hergeleitete Kategorisierung nicht weiter. Dieses Manko ist vielen NIMBY-Forschern durchaus bewusst (vgl. Schively, 2007), sodass eine rein beschreibende Kategorisierung nicht das Ziel sein kann, sondern nur der Ausgangspunkt für eine weitergehende Analyse. Die grundlegende Frage ist und bleibt, inwieweit es sich bei Anti-Asyl-Protesten um ein allgemeines und entsprechend vergleichbares Phänomen handelt, dass als NIMBY-Protest intellektuell verstanden und politisch bearbeitbar wäre. Theoretisch wäre noch eine weitere Kategorie von Anti-Asyl-Protesten denkbar, in denen rassistische Vorurteile keine Rolle spielen. Der Ausschluss einer solchen Denkwelt bei den Protestierenden würde den Anschluss an die
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen
LULU-Protestforschung ermöglichen, die sich vor allem mit der Frage nach Protesten gegen bestimmte Landnutzungen wie etwa Windräder oder Kläranlagen beschäftigt und in der rassistische Motive kaum berücksichtigt werden müssen. Das schließt nicht aus, dass Menschen an LULU-Protesten rassistisch denken, aber eine solche Haltung verweist eher indirekt auf ein geschlossenes Weltbild und spricht somit gleichsam ansatzweise gegen eine kommunikative Lösung von LULU-Konflikten. Der Blick auf diese Proteste, die zunächst gar nicht gegen Menschen gerichtet sind, erlaubt dennoch zu verstehen, wie lokale Konflikte dieser Art funktionieren. Bei LULU-Protesten werden negative Auswirkungen, insbesondere auf die Gesundheit und die Umwelt erwartet. Zumeist geht es um sechs Besorgnisse, die zusammen oder allein den Protest motivieren: Befürchteter Wertverlust; die Angst, dass die Stadt nicht verhindern kann, dass weitere unerwünschte Landnutzungen stattfinden; die Befürchtung, durch Lärm, Verkehr, Gestank und ähnlichem werde die Lebensqualität senken; Sorgen vor einem Imageverlust der betroffenen Wohngegend; erwartete Überbelastung der Stadt und der kommunalen Finanzen und die ästhetische Verschandelung. Von Beginn an hat die Forschung auch die Rolle der Kommunikation zwischen den betroffenen Bürger/innen, der Politik, den Stadtplaner/innen und anderen wichtigen Akteuren als eine wichtige Dimension des Phänomens betrachtet. Die Kategorisierung von Bürgerprotesten als LULU- oder NIMBY-Protest erscheint angesichts der vielen Ähnlichkeiten zunächst überzeugend zu sein, weil es hierbei um einen sich räumlich abspielenden Prozess zu handeln scheint und sich von dem jeweiligen Gegenstand und Anlass der Proteste her gut beschreiben lässt. Ob es darüber hinausgehend tatsächlich Sinn macht, diese als soziale Proteste zu verstehen, die sich beispielsweise mit Anti-Gentrifizierungsprotesten vergleichen lassen, ist eine bislang ungeführte Debatte. Einer strikt kategorisch vorgenommenen Einordnung entsprechend, wären diese ebenfalls als NIMBY-Politik aufzuführen. Davon ist aber in der Forschung zu Gentrifizierungsprotesten nicht die Rede, wobei einerseits die unterschiedlichen normativen Positionen der Forschenden eine Rolle spielen mögen, indem NIMBY prinzipiell eher als negativ zu beurteilender und AntiGentrifizierungskampf als sympathisch einzustufender Protest gesehen wird. Ungeachtet davon, dass eine Vorabbeurteilung von Forschungsgegenständen aus Gründen der Wahrung wissenschaftlicher Distanz abgelehnt werden muss, ist die Pauschalablehnung von NIMBY-Phänomenen für die Erkenntnisgewinnung hinderlich, weil die Frage nach dem eventuell berechtigten Anliegen der Protestierenden ab ovo ausgeschlossen wird. Diese Problematik ist insbesondere bei den Anti-Asyl-Protesten evident.
47
48
Frank Eckardt
NIMBY in der postfordistischen S tadt Gegen die weite Klammer der LULU- und NIMBY-Forschung muss eingewandt werden, dass diese Kategorisierung von lokalen Protesten durch die Suggestion von Ähnlichkeit mit anderen Fällen eher das Analysieren der Proteste erschweren könnte. Eine pauschale Zuordnung der Anti-Asyl-Proteste zur NIMBY-Forschung läuft Gefahr, dass die Kontextualisierung dieser Proteste in regionalen Zusammenhängen an die Stelle einer allgemeinen oder ubiquitären Theorie von städtischen Protesten erfolgt. Selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass die Proteste in Thüringen im Zusammenhang mit den aktuellen Fluchtbewegungen nicht essenziell anders zu verstehen sind, als dies im übergeordneten Transformationsprozess aktueller Stadt- und Gesellschaftsentwicklung zu analysieren wäre. Andererseits ist der Übergang zu einer neoliberalen oder post-fordistischen Stadt zu konstatieren, in der die längerfristig angelegte Integrationsperspektive mit einer stabilen Arbeits- und Lebenswelt durch mobilisierte, flexibilisierte und prekäre Lebensmodelle und entsprechend fragilen Integrationsmodi abgelöst wird. Die Beobachtung dieses globalen Trends und seiner lokalen Auswirkungen ist in den letzten drei Jahrzehnten hinreichend von Stadtforscher/innen dargelegt worden. NIMBY- und LULU-Phänomene sind im Zuge dessen als ein Ausdruck der veränderten Beziehungen zwischen Arbeit, Kapital und (Stadt-)Raum verstanden worden. Die deduktive Herleitung einer Erklärung von NIMBY-Phänomenen durch die vorhandenen Theorien übergeordneter Entwicklungen von Stadt und Gesellschaft haben allerdings das Manko, dass die Unterschiedlichkeit der beobachteten Protesten nicht mehr zum Tragen kommt (vgl. auch Burningham, 2000). Schon die offensichtliche Differenz zwischen Protesten gegen Menschen oder Landnutzungen erfordert eine nähere Beschreibung, welche Proteste im Einzelnen damit gemeint sind und ruft die Frage auf, inwieweit diese Proteste tatsächlich vergleichbar sind. LULU-Proteste richten sich in der Regel gegen Nutzungen, von denen eventuell Umweltschäden ausgehen können. Das betrifft etwa Abfallverwertungsanlagen, industrielle Produktionsstätten, Energieproduktion, Logistikvorrichtungen oder landwirtschaftliche Einrichtungen. Die Befürchtung von Umweltbelastungen ist aber bei Protesten gegen Obdachloseneinrichtungen, Gefängnissen, Sozialwohnungen oder Drogenhilfe-Cafés nicht relevant. Wie Michael Dear (1992) darstellt, sind bei solchen Protesten andere Ängste wie etwa der Verlust von guten nachbarschaftlichen Beziehungen ausschlaggebend. Das bedeutet, dass es sich bei LULU- und NIMBY-Protesten nicht nur um unterschiedliche Anlässe des Protests handelt, sondern somit andere emotionale Aspekte nachbarschaftlichen Zusammenlebens und unterschiedliche Begründungsnarrative ausschlaggebend werden. Hieran anschließend beschreibt Patrick Devine-Wright (2009) NIMBY-Protes-
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen
te als eine Form der Ortsverteidigung, die sich aus einer Ortsidentifikation ergibt. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die emotionale Seite von NIMBY- und LULU-Protesten maßgeblich ist. Wie Maarten Wolsink (1994) in seinen Forschungen über Proteste gegen Windanlagen in den Niederlanden herausgefunden hat, scheint sich bei den Protestierenden eher eine nüchterne Bilanzierung zu vollziehen, bei der zwischen dem privaten und dem allgemeinen Nutzen abgewogen wird. Der Protest wird nicht als eine Art Verteidigung der Nachbarschaft praktiziert, die man im Sinne Dears bedroht sieht, sondern die Proteste richten sich dagegen, dass man verhältnismäßig wenig von dem abbekommt, was durch die Investition vor der eigenen Haustür für die Allgemeinheit erreicht wird. Wolsink hält von daher die NIMBY-Forschung für fehlgeleitet und spricht vom NIMBY-Mythos. Aus seiner Sicht (Wolsink, 2009) repräsentiert die Klassifizierung von Protesten als NIMBY-Phänomen die Außenperspektive, die eine Stigmatisierung beinhaltet. Für Wolsink kommt damit eine TopDown-Perspektive in der Stadtplanung zum Ausdruck, die durch eine Einbeziehung der »Community« abgelöst werden sollte.
NIMBY als politische O p tion Eine solche Abwägung findet insbesondere mit Bezug auf einen vermuteten Wertverfall von Immobilien statt. Der Ökonom William Fischel (2001a) weist daraufhin, dass Immobilieneigentümer/innen bei NIMBY-Protesten überrepräsentiert sind und bei diesen vor allem eine Risikovermeidungsstrategie vorherrscht. Diese Verhaltensstrategie ist allerdings nicht nur auf die Verhinderung eines Wertverlusts der Immobilie als solcher ausgerichtet, sondern im Kontext der engen Verzahnung von Wohnort und administrativer Grenzziehungen (›zoning‹) sowie lokaler wie staatlicher Steuerpraktiken überträgt sich die Risikoangst auf die weiteren Lebensbereiche, die durch eventuelle Steuerverluste entstehen, wenn weniger steuerkräftige Einwohner hinzuziehen und dann das Niveau des Unterhalts der lokalen Infrastruktur und insbesondere der örtlichen Schulangebote sinkt (Fischel, 2001b). Sowohl die umweltwissenschaftlichen Studien von Wolsink wie die lokalwirtschaftlichen Forschungen von Fischel verweisen darauf, dass neben der rationalen Abwägung von Kosten und Nutzen NIMBY-Proteste auch durch eine Vorstellung von Fairness motiviert werden. Diese Fairness bedeutet in der Regel, dass sich der eigenen Kosten-Nutzen-Rechnung ein Vergleich anschließt, in dem die möglichen Belastungen anderer Bürger/innen oder Nachbarschaften als weniger schwerwiegend eingeschätzt werden als die befürchteten eigenen. In diesem Sinne stellen die Proteste nicht unbedingt die Artikulation eines Eigeninteresses dar. Dieser Einwand gegenüber NIMBY-Protesten wird oftmals mit dem Hinweis
49
50
Frank Eckardt
vorgebracht, dass sich hier eine Minderheit äußert, der verhältnismäßig mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, um ihrem Protest auch Gehör zu verschaffen. Daraus wird der Schluss gezogen, es handele sich um eine privilegierte Minderheit, weswegen der Protestgrund nicht mit dem Ansinnen einer allgemeinen Wohlfahrt verbunden sein kann. Vielmehr wird angenommen, dass durch die Privilegierung bereits Möglichkeiten der Einflussnahme auf die politische Entscheidung und die Wahrnehmung des Problems in der lokalen Öffentlichkeit gegeben sind. Menschen, die etwa eine höhere Toleranz gegenüber den Störfaktoren haben, bleiben ruhig und haben nicht die Möglichkeit den Protestierenden abzusprechen, dass es sich bei ihren Anliegen nicht um ein allgemeines Problem handelt. NIMBY-Proteste werden auffallend häufig von älteren, besser ausgebildeten und reicheren Bürger/innen organisiert (Walsh, Warland und Smith, 1997).
M ehr D emokr atie durch NIMBY? Gegenüber der kritischen Einschätzung der NIMBY-Proteste als ungerechte politische Option der Bessergestellten lassen sich allerdings Einwände formulieren. Zunächst wird die duale Denkweise angezweifelt, wonach das Allgemeingut von der lokalen Politik und insbesondere der Stadtplanung vertreten werde, die Protestierenden aber auf einer grundsätzlicheren Ebene für wesentlich mehr Demokratie eintreten, da sie sich mit ihrem Protest für mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie einsetzen, wovon schließlich alle Bürger/ innen profitieren würden. NIMBY-Proteste zielen in dieser Hinsicht nicht nur oder nicht in erster Linie auf die Verhinderung eines einzelnen stadtplanerischen Vorhabens, sondern führen diesen Protest mit einer weitergehenden politischen Agenda aus, die sich gegenüber den bestehenden politischen Entscheidungsprozessen als demokratischer beurteilen lasse, weil Betroffenen mehr Entscheidungsrechte zugestanden werden müssten und prinzipiell weniger Top-Down-Politik, mehr Politik-Nähe und Bürgerbeteiligung wünschenswert wären. Bei vielen umweltpolitisch motivierten NIMBY-Protesten beispielsweise wird der Kampf gegen ein lokales Ansiedlungsvorhaben als eine Strategie gesehen, damit beispielsweise prinzipiell keine Kohlekraftwerke mehr gebaut werden sollen. Hier ist der Protest sozusagen zwar lokal verortet, er zielt aber genuin auf eine nationale oder übergeordnete Politik. Eine solche, zumeist ökologische NIMBY-Politik geht manchmal mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung einher, sie kann aber auch ohne eine anspruchsvolle Demokratieperspektive auftreten. Lokale NIMBY-Konflikte dieser Art erhalten dabei eine symbolische Bedeutung, die die Proteste über den örtlichen Kontext hinaus bekannt machen. Diese symbolische Aufladung kann gewollt oder unbeabsichtigt sein. Das Einmengen von ›außen‹ kann zudem unterschiedliche
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen
Effekte haben und Dynamiken hervorrufen, die in der NIMBY-Forschung weitgehend unberücksichtigt bleiben. Inwiefern bei lokalen Protesten, die mit übergeordneten politischen und gesellschaftlichen Konflikten aufgeladen werden, noch von NIMBY-Protesten die Rede sein kann, ist wiederum eine Frage, die insbesondere bei Themen eine Rolle spielt, die tatsächlich gesellschaftspolitisch umstritten sind. Bei Protesten gegen Kläranlagen in der eigenen Nachbarschaft kann man sich schwerlich vorstellen, dass diese in eine allgemeine Kontroverse über den Sinn oder Unsinn solcher Einrichtungen führen werden. Der vorhandene Konsens über die Notwendigkeit der Klärung von Abwässern wird davon nicht in Zweifel gezogen und ohne einen fehlenden Dissens hierüber besteht kaum die Gefahr, dass der Konflikt eine externe Bedeutung bekommt und instrumentalisiert wird. Aus NIMBY-Konflikten können symbolische nationale Konflikte werden, ohne dass die lokalen Akteure das wollen oder sie sich durch die überregionale Aufmerksamkeit Vorteile erhoffen. Inwieweit ausgeweitete Proteste dann noch lokal steuerbar sind und im Ergebnis für die Initiatoren und Betroffenen erfolgreich sein werden, kann unterschiedlich beurteilt werden. Die positive Beurteilung von NIMBY-Protesten wird an dieser Stelle damit begründet, weil ein allgemeines Problem lokal gelöst werden müsse. Grasswurzel-Bewegungen und ökologische Protestgruppen weichen in vieler Hinsicht vom klassischen Schema der NIMBY-Proteste ab und es ist zweifelhaft, ob sie als ein Beispiel für die ›guten‹ NIMBY-Proteste gelten können, wie Teile der NIMBY-Forschung das sieht (z.B. Lake, 1996). Der Slogan »Think Global, Act Local« als Motto dieser Protestformen deutet die eindeutige Hierarchie der Anliegen an, die den Protestierenden, die sich selbst eher als Engagierte beschreiben, am Herzen liegen. Die Kategorisierung von umweltbezogenen Protesten als NIMBY-Phänomen verwischt die Grenzlinie zwischen den von Eigeninteressen motivierten Bürger/innen und jenen, die sich primär global engagieren. Auch wenn in der jeweiligen Protestpraxis eine Einschätzung schwierig sein kann, ist eine analytische Vermengung beider Protestformen nicht hilfreich. Angesichts der eben nicht auf die Steigerung des eigenen Wohlstands ausgerichteten Protestbewegungen, die sich in der Regel weniger als Protest, sondern als Engagement titulieren, besitzen diese in der Regel ein gewisses moralisches Kapital in den Augen vieler Bürger/innen, das durch manche NIMBY-Proteste eingefordert wird, wodurch der eigene Protest moralisch aufgewertet werden soll. Nicht immer ist eine solche feindliche Übernahme durchschaubar, aber als eine Strategie der Externalisierung eines lokalen Konfliktes ist die gedankliche Anleihe von Argumenten aus der Umweltschutzbewegung nachvollziehbar. Dieser Umstand begründet nicht, dass »globalistische Bewegungen«, wie sie Ulrich Beck (2011) wegen ihres global ausgerichteten Bewusstseins genannt hat, in die gleiche analytische Kategorie
51
52
Frank Eckardt
einzuordnen sind wie jene Proteste, die überwiegend auf die oben genannten Effekte für das eigene Wohlergehen zielen. In vielen Diskursen ist eine solche Trennung dennoch schwierig aufrechtzuerhalten. In der Stadtforschung wird die problematische Vermengung von Motiven und Interessen, von strategischer Rhetorik und politischer Orientierung in den letzten Jahren vor allem mit Bezug auf innerstädtische Verdrängungsprozesse im Kontext von ökologischen Nachhaltigkeitspraktiken thematisiert. Diese grüne Gentrifizierung (vgl. Persall, 2010; Curran, 2012) verdeutlicht, dass der Effekt auf die soziale Gerechtigkeitsfrage, die von vielen NIMBY-Aktivisten bemüht wird, sich nicht durch den Verweis auf positive ökologische Nutzen erledigt, vor allem weil es hier eine deutliche Diskrepanz in der Kosten-Nutzen-Bilanzierung gibt. Ursprüngliche Gleichsetzungen von ökologischen, sozialen und politischen Forderungen als per se Demokratie fördernde Anliegen stammen in der Regel aus Forschungen der ersten Phase der NIMBY-Proteste, die auch von eher marginalisierten Umweltgruppen organisiert wurden, und außer mit diesem Voicing keine andere Gelegenheit hatten, um einen Einfluss auf Politik und Stadtplanung auszuüben. In vielen Bereichen gesellschaftlichen Lebens hat eine Anerkennung ihrer Forderungen stattgefunden und es hat sich die ökologische von der sozialen Problematik abgekoppelt bzw. wurden ökologische Anliegen nicht sozial differenziert analysiert. Rückblickend könnte behauptet werden, dass die Lokalisierung gesellschaftspolitischer Anliegen der Umweltaktivisten zumindest zu deren Erfolg hinsichtlich des allgemeinen Bewusstseinswandels für mehr Nachhaltigkeit beigetragen hat. Somit wäre es tatsächlich Demokratie fördernd, wenn sich an sich schwache Akteure der Ressource ›Lokalität‹ annehmen und diese für ihr eigenes Empowerment nutzen. Eine solche Argumentation wird von Michael Dear und Lois Takahashi mit Bezug auf marginalisierte Gruppen vertreten. In ihrer Studie (1997) zeigen sie anhand von Nachbarschaftsprotesten gegen die Ansiedlung von städtischen Dienstleistungen, dass sich eine soziale Dynamik ergeben kann, in der ein benachteiligter Stadtteil neue Potenziale entwickelt. Die Klassifizierung solcher Proteste als Empowerment ist in der Stadtforschung allerdings nicht unumstritten. In den meisten Fällen von Empowerment geht es nicht in erster Linie um die Abwehr von den erwarteten negativen Folgen eines stadtplanerischen Projekts, sondern um die soziale Aufwertung von marginalisierten Gruppen (Mitlin und Satterthwaite, 2004). In der Tat sind Empowerment-Ansätze in vielen Fällen auf lokale und spezifisch planerische Kontexte ausgerichtet, dennoch kann keineswegs davon gesprochen werden, dass diese in erster Linie auf die Nachbarschaft und auf ein gewisses Verständnis des ›Backyards‹ basieren, d.h. dass es einen Zusammenhang zur Zielgruppe des Empowerment prioritär gibt. De facto ist eher zu konstatieren, dass die Kontextualisierung von Empowerment-Prozessen in lokalen Planungsverfahren auf andere politische Agenden und gesellschaftspolitische Vorstellungen
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen
verweist, die nicht originär mit der Idee verbunden sind, dass die soziale und politische Lage einer marginalisierten Gruppe oder Nachbarschaft verbessert werden soll (vgl. Bailey, 2010). Die Einbeziehung des sozialen Empowerments in diesen Fällen kommt eher aus der programmatischen Entwicklung der Stadtentwicklungspolitik (Moulaert, 2004) und ist oftmals nur dadurch motiviert, dass nicht-teilnehmende Gruppen in die Lage versetzt werden sollen, auch stadtplanerisch eingebunden zu werden (Bodorkós, 2009). Die Übergänge zwischen Empowerment, Partizipation und direkter Demokratie sind sowohl in der argumentativ-diskursiven Betrachtung solcher Ansätze, als auch in der Umsetzungspraxis nicht deutlich zu unterscheiden (Thomas, 2001). In dieser Weise bedeutet Empowerment nicht mehr, dass es vor allem darum geht, die reale Benachteiligung einer sozialen Gruppe von Menschen aufzuheben. Das Ansinnen, eine möglichst breite Akzeptanz für einzelne Projekte der Stadtplanung zu vergrößern, scheint hingegen zumeist zu überwiegen. Die Nutzung von Möglichkeiten der Partizipation oder direkten Demokratie mag Einspruchs- und Entscheidungsoptionen bieten, sie ändern – und intendieren dies auch zumeist nicht – die ungleichen Möglichkeiten der politischen Teilhabe nicht. Ob sie diese nicht sogar vergrößern, kann angesichts der ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu den Instrumenten der direkten Demokratie befürchtet werden (Ashworth, 2010; Eckardt, 2012). In diesem Sinne spiegeln die Schwierigkeiten des Empowerments die demokratietheoretische Problematik der NIMBY-Proteste wider, die in gleicher Weise in ihrer selektiven Themenwahl, Motivation, dem Protestverlauf und der Ergebnisse je nach sozialer Ausgangsposition der betreffenden Nachbarschaft stark unterschiedlich ausfallen.
P olitisierung durch NIMBY Die Interpretation von NIMBY-Protesten als Demokratie fördernde Empowerment-Aktivitäten erscheint dementsprechend problematisch. Dennoch muss eingewandt werden, dass ihre Analyse nicht an dem Aspekt der Politisierung von Stadtplanung und Lokalpolitik vorbeigehen kann. Zu differenzieren wäre zunächst zwischen Protestformen, die sich selbst eine solche EmpowermentPerspektive zuschreiben und dabei nur eine weitere Legitimation für ihr Anliegen suchen und jenen, in denen eine Artikulation der Anliegen in den vorhandenen politischen Institutionen nicht möglich war und die sich dementsprechend zurecht ausgeschlossen und übergangen fühlen. Partizipation und auch Empowerment können als Alternativen zur direkten Entscheidung der Bürger/innen oder deren Repräsentanten verstanden werden (vgl. Walter, 2015). In diesem Sinne bedeutet die Anerkennung des vermeintlich demokratisierenden Effekts von ›NIMBYismus‹ und Empowerment eine unreflektierte Absage an bestehende Institutionen, die für die Formulierung des Volkswil-
53
54
Frank Eckardt
lens in konkreten oder grundsätzlichen Aspekten verantwortlich sind. Der politische Gehalt von NIMBY-Protesten mag unterschiedlich sein und auch mehr oder weniger artikuliert werden, er ist aber nicht davon abzukoppeln, weswegen eine öffentliche Diskussion über das Selbstverständnis der demokratischen Verfasstheit der Politik erforderlich erscheint und zwar in der Weise, dass ein erneuter Konsens über die Grundlagen der politischen Willensbildung angestrebt wird. In den amerikanischen Politikwissenschaften werden NIMBY-Proteste vor allem als Ansprüche auf Selbstbestimmung wahrgenommen, die nicht wieder von den bestehenden institutionellen Angeboten der Teilnahme an Entscheidungsprozessen eingefangen werden können, wenn deren fundamentaler Anspruch an die Politik nicht angenommen wird (Hunold und Young, 1998). Ein solches Verständnis des politischen Impetus von NIMBY-Protesten stellt nicht unbedingt die vorhandene Demokratie-Zustimmung infrage, sie verweist vielmehr auf die Diskrepanzen zwischen dem institutionellen Repräsentationsanspruch und den vorhandenen Medien der Artikulation, Verhandlung und Entscheidung, die den Bürger/innen unterschiedlich zugänglich sind. Die Kritik an der lediglich formalen Partizipation und die unzureichenden realen Entscheidungsmöglichkeiten der lokal Betroffenen bleibt jedoch eine unzureichende Erklärung für die Unzufriedenheit der NIMBY-Proteste, auch wenn sie von den Akteuren selbst oft so formuliert wird. Vielmehr ist anzunehmen, im Sinne der oben geschilderten Entwicklung der post-fordistischen Stadt, dass NIMBY-Proteste eine Vertretung des Allgemeinguts einfordern, für die sie sich selbst angewiesen halten, die aber zugleich die Ohnmacht der Proteste verdeutlicht in Anbetracht dessen, dass die Selbstverständlichkeit der Formulierung eines alle Interessen überwindenden, vereinigenden Gemeinwohls schwer geworden ist. Mit der radikalisierten Individualisierung und der verschnellten Lebensstildiversität bricht der Konsens über das zu erzielende Allgemeingut in vielen Lebensbereichen weg. Die mit NIMBY-Protesten einhergehende Idee von der Unmittelbarkeit der Umsetzbarkeit des politischen Willens in staatlich-gesellschaftliche Praxis verleugnet die Diversität der Gesellschaft und die Notwendigkeit der Konsensfindung und Verhandlung von Ansprüchen und Interessen mit den anderen Bürger/innen und Nachbarschaften. NIMBY-Proteste richten sich an eine zuständige Institution und verhindern somit potenziell eine Innovation der politischen Institutionslandschaft in Richtung eines verstärkt verhandelnden und Interessen ausgleichenden Staat. Es besteht Einigkeit in der NIMBY-Forschung darüber, dass es eben diese Konsensfindung ist, gegen den sich die NIMBY-Proteste sperren, die den Ausweg aus der dualen Konfrontation zwischen den Institutionen und den Protestlern bieten könnte (Kasperson, Golding und Tuler, 1992). Der Schlüssel für den Auf bau einer konsensorientierten Stadtplanung besteht in der sozialen Ressource Vertrauen. Diese kann in der pluralisierten Stadt nur noch auf
4. Anti-Asyl-Proteste als NIMBY-Phänomen
anspruchsvolle Weise wiederhergestellt werden, da die Selbstverständlichkeit der direkten und unverhandelten Umsetzbarkeit politischer Interessen nicht gegeben ist. NIMBY-Proteste können am Besten eingebunden werden, wenn genügend allgemein zugängliches Vertrauen vorhanden ist. Dazu ist eine Weiterentwicklung der städtischen Steuerfunktionen nötig, und zwar in Richtung auf eine Einwirkung in und Vernetzung mit der Stadtgesellschaft (»Urban Governance« vgl. Sack, 2012). Das erfordert ein anderes Verständnis von Lokalpolitik, in der sich die Legitimation der Stadtpolitik und Stadtplanung und damit das Vertrauen in sie nicht mehr nur und in erster Linie durch deren Leistungsfähigkeit, sondern durch faire Verfahren und Konsensfindung verankert ist. Konsultationen, Informationen, öffentliche Diskussionen und weitere weiche Steuerungsmöglichkeiten werden oftmals bereits in der Stadtplanung angewandt, um NIMBY-Proteste zu verhindern. Solche Aktivitäten sind häufig entweder zu formal oder als Akzeptanzbeschaffung durchschaubar. Vertrauen entsteht über eine längerfristige Einbeziehung und Kommunikation, wobei diese vor allem auch durch Personalisierung und Informalisierung (vgl. Cowan, 2003) erfolgt. Eine solche vernetzte Kommunalpolitik benötigt ein anderes Rollen- und Aufgabenverständnis von Politik und Verwaltung, in der nicht die Aufgabenerledigung der alltäglichen und routinierten Praxis die Logik der Kommunikation vorgeben kann. Im Sinne einer Theorie der Fairness müsste eine Anti-NIMBY-Politik weit vor den Protesten beginnen und sich planerisches Handeln durch ein Rollenverständnis als Moderation zwischen den verschiedenen Sichtweisen auf die Stadt auszeichnen, in der nicht vorgegeben wird, die Allgemeinheit zu vertreten, sondern stattdessen ein »overlapping consensus« zwischen unterschiedlichen stärkeren und schwächeren Interessen hergestellt wird (Harper und Stein, 2005). Eine solche Neudefinition der staatlich-lokalen Akteure bedeutet eine Perspektivverschiebung vom Staatszentrismus hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Verhandlung und andere Formen der deliberativen Planung bedeuten daher nie, dass nur zwischen den NIMBY-Aktivisten und den jeweilig amtlich Zuständigen besser kommuniziert werden muss. Der dialogische Planer muss eben nicht nur einen Dialog führen, sondern mit allen und insbesondere den schwachen Gruppen ins Gespräch kommen, damit deren Interessen und Ansichten die gleiche Artikulation erfahren. Es ist klar (Gibson, 2005), dass die Illusion der unpolitischen und rationalen Planung damit aufgegeben wird und stattdessen eine politisierte Öffentlichkeit verstärkt Einzug in das Leben einer Stadt erhält, die mit dem ›NIMBYismus‹ wird weiterleben müssen, aber damit auch eine Form der Auseinandersetzung erschafft, die die Konflikte aus der Stadtplanung heraushält, die damit kommunikativ im Alltagsgeschäft entlastet wird. Die NIMBY-Forschung, wie sie hier diskutiert wurde, bietet die Gelegenheit, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen bisher erforschten
55
56
Frank Eckardt
NIMBY-Protesten mit den Anti-Asyl-Protesten herauszustellen und wichtige Fragen für die Erforschung der Proteste gegen Flüchtlingsheime zu identifizieren. Von der NIMBY-Forschung ist zunächst zu lernen, dass eine Kategorisierung von Protesten kein Selbstzweck an sich ist und dass die Kategorisierung als »NIMBY« insbesondere dann problematisch ist, wenn damit jene Ursachen und Prozesse unsichtbar werden, die sich der direkten Betrachtung entziehen. Übergeordnete Diskurse, etwa gegen die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen, sind aber vor allem bei Protesten gegen soziale Gruppen relevant (vgl. Piat, 2000). In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Anti-Asyl-Proteste nicht von ähnlichen Bewegungen gegen Obdachlosenzentren oder AIDS-Beratungsstellen. Gegenüber NIMBY-Protesten lassen sich bei Protesten gegen Asylunterkünfte nicht unbedingt die typischen Protestbürger/innen identifizieren, die mehr Einkommen haben, älter und gebildet sind. Dennoch kann vermutet werden, dass viele Protestierende das Gefühl teilen, das sie benachteiligt werden und sich durch die Flüchtlinge noch mehr Nachteile erwarten – so wird es zumindest bei vielen Pegida- und Thügida-Demonstrationen artikuliert. In dieser Hinsicht kann der Protest im Sinne der NIMBY-Forschung als ein kalkulierendes Verhalten verstanden werden, mit dem ein vermeintliches Risiko vermieden werden soll. Im Gegensatz zu den meisten NIMBY-Protesten scheint es hierbei kaum um direkte und reale Bedrohungen zu gehen. Die NIMBY-Forschung verweist zudem auf die Relativität der Bedrohungswahrnehmung. Ebenfalls können Parallelen in der Politisierung von Anti-AsylProtesten und den klassischen NIMBY-Konflikten gesehen werden. In beiden Fällen wird versucht, anderen Interessensgruppen und Auffassungen aus der Bürgerschaft aus dem Wege zu gehen und sich auf eine Adressierung an ›die‹ Politik zu fokussieren. Übereinstimmend kommt ein problematisches Staatsverständnis zum Ausdruck, bei dem einige Bürger/innen in einer privilegierten Direktheit im Namen einer angeblich demokratischeren Politik Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Die Auflösung von Anti-Asyl-Protesten wäre durch eine deliberative politische Kultur zu leisten, in der die informelle und vernetzte Kommunikation zwischen Bürger/innen und Verantwortlichen überwiegt. Wenig überzeugend, so kann aus einer kritischen Reflexion über die NIMBY-Forschungsergebnisse übernommen werden, ist die Annahme, dass durch Anti-Asyl-Proteste Menschen politisch integriert werden, die sich ansonsten nicht äußern können und dadurch »empowert« werden. Ob Protestierende einen demokratischen Lernprozess durchlaufen, der sie zu Verhandlungen, Konsensbildung und den langfristigen Auf bau von Vertrauen in das Gemeinwesen und seine demokratische Steuerung motiviert, wäre die Forschungsfrage, die u.a. durch die folgenden Studien angeregt werden soll, die sich aber nur über einen wesentlich längeren Beobachtungszeitraum und einem erweiterten methodischen Setting beantworten ließe.
5. Angst
Die Etablierung eines Meta-Narratives
Frank Eckardt
Die schwindende Ordnungs- und Orientierungskraft der Sozialtype Nachbar und die damit einhergehenden Verunsicherungen bieten die Gelegenheit, um neue Narrative zu schaffen, die andere Handlungs- und Orientierungsangebote formulieren. Ein narrativer Wechsel in der Selbsterklärung und Selbstausrichtung der Gesellschaft legitimiert neue Vorstellungen über die Spielregeln des Umgangs, rechtfertigt eventuell die Auf- oder Umwertung von Normen und damit verbunden auch die Frage nach Hierarchien, sozialen Distanzen und Aufmerksamkeitsprioritäten. Wo alte Narrative an Kraft verlieren, ist Platz für neue oder alte Erzählungen über die Gesellschaft. Ihre Glaubwürdigkeit gewinnen sie über die im Alltag nachvollziehbare Evidenz, die sie behaupten können und mit Zukunftsbildern, die der individuellen Vorstellung Raum einräumen. Solche Angebote können unterschiedlich gestaltet werden, meistens haben sie aber eine Art Überthema. Die Identifikation eines Meta-Narrativs, mit dem unterschiedliche Beobachtungen in der Gesellschaft eingeordnet werden können, wird vor allem dann dringend, wenn bestehende narrative Angebote fundamental irritiert werden oder eine solche Irritation zumindest behauptet wird. Sowohl die ›Flüchtlingskrise‹ wie die öffentlichen Proteste gegen die ›Islamisierung des Abendlandes‹ oder lokale Flüchtlingsunterkünfte beinhalten für die bestehende diskursive Ordnung der Bundesrepublik Deutschland aus Sicht vieler scheinbar ein solches Irritationspotenzial (vgl. Hemmelmann und Wegner, 2016). Damit wird eine intellektuelle Suche nach einem Meta-Diskurs begründet, die dazu führt, dass aktuelle Phänomene mit darüber hinausgehende Annahmen über die Gesellschaft oder die menschliche Anthropologie insgesamt gemacht werden. Zweck solcher Rekonstruktionen von Sinn scheint in einer teilweise moralischen Positionierung zu bestehen, teilweise sollen sie für aktuelle Probleme neue Orientierungsmöglichkeiten bieten.
58
Frank Eckardt
A ngst als tieferer G rund In vielen Diskursangeboten sind diese beiden Aspekte nicht sauber voneinander zu trennen. In der Regel erscheinen solche Meta-Narrationen in der Form von Essays mit relativ loser Beziehung zu den empirischen Gegebenheiten, die der Anlass dieser Diskurse sind. Beispielhaft sei auf den Aufsatzband »Die Angst vor den Barbaren« von Tzvetan Todorov (2010) verwiesen. In dieser Kollektion von Essays werden zwei grundlegende Denkfiguren reflektiert und geistesgeschichtlich aufgegriffen, die wiederkehrend in anderen Diskussionen und Reflexionen immer wieder auftauchen. Es handelt sich erstens um die Beschreibung einer Art gesellschaftlichen Grundgefühls, nämlich der Angst. Zum Zweiten geht es um die Definition eines normativen Standpunkts, der eine hierarchisierende Kategorisierung anbietet, die eine zivilisatorische Entwicklung ermöglichen soll. Für Todorov ist das die Auseinandersetzung mit der Kategorie des Barbaren. Ob eine solche doppelte Positionierung tatsächlich handlungserweiternde Möglichkeiten anbietet, mag angesichts der relativ vagen Ideen für eine zukunftsorientierte Behandlung von Unsicherheitsproblemen bezweifelt werden und ist auch nicht das vorgebliche Ziel dieses Essays. Die Beobachtung der Angst wird bei Todorov einerseits als eine aktuelle Zeitdiagnose verstanden, bei der es sich in den westlichen Ländern um die Befürchtung handele, von den ehemaligen Entwicklungsländern ökonomisch infrage gestellt und Opfer von Gewalt zu werden. Im gleichen Atemzug verweist Todorov andererseits auf die anthropologische Funktion der Angst als individueller Schutzmechanismus. Diese Angst sei an die Personifizierung des Unbekannten als Barbaren gekoppelt: »Die Angst vor den Barbaren droht uns selbst zu Barbaren zu machen. Und das, was wir uns damit antun, ist schlimmer als das, was wir anfangs fürchteten.« (A.a.O., 17) Todorov kritisiert Überreaktionen, er stellt die grundlegende Annahme von ›uns‹ und ›sie‹ an dieser Stelle jedoch nicht infrage. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation verweist er auf wichtige Einwände gegen den Gebrauch des Begriffs ›Barbar‹ schon in der griechischen Literatur hin. Dennoch hält er an der Notwendigkeit der Klassifizierung von Menschen als Barbaren aus moralischen Gründen fest: »Der Begriff der Barbarei hat seine Berechtigung, und es muss erlaubt sein, ihn zu jeder Zeit und an jedem Ort zu verwenden, um die Handlungen und Einstellungen derer zu beschreiben, die anderen das Menschsein mehr oder weniger absprechen.« (33) Dieser Auffassung von Barbarei liegt im Umkehrschluss ein Verständnis von Zivilisation zugrunde, die auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann. Maßstab hierfür ist die potenzielle Integration des Fremden, die Aufhebung von Differenzen durch die gleiche Beteiligung aller Positionen. Für Todorov sind Barbarei und Zivilisation entgegengesetzte Pole auf einer moralischen Skala, wobei der liberale Staat gegenüber der Diktatur wie auch das rationale Denken gegenüber der Magie zivilisierter ist, weil
5. Angst
diese den Kreis der Beteiligten – am Regieren wie am Denken – vergrößern können. Die Argumentation Todorovs ist von Ambivalenz gekennzeichnet, die sich an der Dekonstruktion von Kultur und kollektiver Identität im weiteren fortsetzt. Die Notwendigkeit, sich mit diesen Begriffen in einem wie auch immer zu verstehenden Sinn zu verordnen, verbleibt für ihn unhinterfragbar: »Außerhalb jeglicher Kultur zu leben, ist ein Ding der Unmöglichkeit.« (91) Seine Dekonstruktion des Kulturbegriffs geht bei ihm bis zur Anerkennung der Mischung von Kulturen, als ethnisch oder religiös begründete Entitäten bestehen sie aber fort: »Soweit man in der französischen Geschichte auch zurückgeht, immer stößt man auf das Zusammentreffen mehrerer Völker, mithin mehrerer Kulturen: Gallier, Franken, Römer und viele andere« (78). Obwohl die Wandelung von Kulturen betont wird, wird prinzipiell an der Bedeutung der Kultur festgehalten, schon fast wider besseren Wissens, so etwa in der Diskussion um die Produkte der Kultur: »Die Feststellung, dass die islamische Kultur (vorausgesetzt, es gibt sie überhaupt als homogenes Ganzes) keinen Michelangelo [...] hervorgebracht hat, ist nicht falsch, besagt aber nicht viel.« (67) Interessanterweise und im Grunde auch schmerzlich zu lesen, sind die abschließenden Worte, mit denen Todorov seinen Diskurs beendet und noch einmal rechtfertigt. Sie lassen erkennen, dass der Autor trotz seiner langen und sensiblen Reflexion der von ihm beschriebenen kulturellen Diskursangeboten nicht mit diesen verschmolzen ist, sondern eine Distanz zu Frankreich weiterhin besteht. Zugleich hat er die Chance nicht nutzen können, eine alternative Art und Weise der sozialen und praktischen Identität zu ergründen, die für ihn persönlich eigentlich viel bedeutungsvoller gewesen wäre, nämlich seine Nachbarschaft und die Stadt Paris: »Mitunter fühle ich mich nicht so sehr als Franzose, sondern vielmehr als Bewohner einer Stadt, ja, eines Stadtviertels.« (272) Frankreich ist er verpflichtet als Gegenleistung für die neuen Rechte, die er mit der Übernahme der französischen Staatsbürgerschaft erhalten hat. Aber gefühlt ist er in seinem Quartier aufgehoben und über diese sehr realen, alltäglichen Prozesse der persönlichen Identitätskonstruktion erfahren wir Leser/innen leider nichts. Auch ist hier nicht mehr von der angeblichen Angst in der Gesellschaft die Rede. Vermutlich würde sich das nach den Pariser Terroranschlägen heute anders darstellen, aber zum Zeitpunkt der Abfassung über »Die Angst der Barbaren« kann man sich den Autoren durchaus noch als einen angstfreien Spaziergänger auf dem Boulevard St. Michel oder anderswo rive gauche vorstellen.
59
60
Frank Eckardt
A ngst als G esellschaf tskit t Während Todorovs vor allem geistesgeschichtliche Diskursivität durch ihre Negierung gesellschaftlicher Prozesse zugunsten von kulturalistischen Erklärungsansätzen charakterisiert werden kann, kann der Topos der Angst auch in soziologischen Zeitdiagnosen nachvollzogen werden, die sich um eine größere empirische Nähe bemühen. Eine solche Haltung nimmt der Essay von Heinz Bude über die »Gesellschaft der Angst« (2014) ausdrücklich ein, indem er der Soziologie eine Rolle in der Selbstreflexion der Gesellschaft einräumt, wenn sich diese als Erfahrungswissenschaft ernst nehme und »die Erfahrungen der Menschen zum Sprechen bringen« (9) kann. Angst ist für Bude eine diffuse Gefühlslage, die in den unterschiedlichsten Formen »alle angeht« (11). Sie wird mit Luhmann als Apriori der modernen Gesellschaft apodiktisch behauptet und Angst wird als »Pulsfühler« der Gesellschaft verstanden, mit dem sich etwas über deren momentane sozialhistorische Situation aussagen lasse. Diese Diagnose fällt bei Bude wie in bereits vorherigen Arbeiten wie folgt aus: »Man kann die Veränderungen so auf den Punkt bringen, dass wir heute einen Wechsel im gesellschaftlichen Integrationsmodus vom Aufstiegsversprechen zur Exklusionsdrohung erleben.« (19) In seiner Beobachtung ist der »Schnitt zwischen Einbeziehung und Ausschluss schärfer« (22). Angst ist für Bude ein Prinzip, das die Gesellschaft insgesamt durchsetzt und sich von einer konkreten Bedrohung abgekoppelt hat, ohne allerdings dass die Angst substanzlos bzw. unbegründet wäre. Die heutige Angst stellt sich durchaus als im weiteren Sinne real dar, aber sie ist nur im Kontext einer veränderten Gesellschaft zu verstehen: »Es handelt sich eben nicht um die Angst, als Gruppe oder Kollektiv gedemütigt und vergessen zu werden, sondern als Einzelne auszurutschen, das Gleichgewicht zu verlieren und im freien Fall ohne den Schirm eines haltenden Milieus oder [...] im sozialen Nichts zu verschwinden.« (21) Wie dieser freie Fall aussehen kann, erläutert Bude anhand unterschiedlicher Lebensbereiche, in denen sich eine hochgradig verletzbare Individualität abzeichnet, die sich trotz größter und intensiver Leistungsbereitschaft in den eigenen persönlichen Belangen nicht der Angst entledigen kann, sondern die vielmehr gerade durch die individuellen Versuche, sich selbst ein gewisses Maß an Sicherheit zu erarbeiten, dabei glücklos und traurig wird, die eigenen Ängste nicht überwindet. Dies betrifft die intimsten Bereiche der persönlichen Entwicklung sozialer Beziehungen, etwa wenn Bude über den Auf bau von Beziehungen in Form von unendlicher reziproker Beziehungsaufnahme spricht: »Zwischen dem Ich und dem Du bleibt trotz der Konfusion der Perspektiven eine absolute, unüberwindbare Grenze bestehen. Paradox ausgedrückt: Die Verbundenheit beruht auf der Getrenntheit.« (29) Bude verbindet diese psychologische Beobachtung mit dem übergreifenden Wandel von Familienverhältnissen und kehrt den Wert von Bindungen, die
5. Angst
ja eigentlich Sicherheit vermitteln sollen, um, indem er von diesen behauptet, dass sie durch die anstehende, nicht aufhebbare Kündigungsdrohung immer auch Angst produzieren. Angst ergibt sich also paradoxerweise gerade aus dem Wunsch nach einer (unkündbaren) Beziehung und legt die eigenen Ängste offen. Auf der individuellen Ebene spielt zwangsläufig das eigene Bild von sich selbst eine grundlegende Funktion für das Eingehen von Beziehungen. Die permanente Verunsicherung, dass man diese grundsätzliche Form der omnipräsenten Sicherheit nicht bekommt, weil man eventuell nicht gut genug dafür ist, führt zu einer unabschließbaren Selbstoptimierung, die für Bude in der Pluralisierung der Lebensstile und Milieus begründet ist. Dies führt zu einem konstanten Unbehagen, das große Energien freisetzt, aber nicht zu dem Ziel führt, die Ursachen der Angst vor dem sozialen Nichts zu erkennen und zu überwinden. Stattdessen wird beobachtet, dass es keine Gnade für alle diejenigen gibt, die es eben nicht schaffen, sich den gesellschaftlich erwünschten Typus zu erarbeiten. Bude konstatiert eine »Winner-Takes-It-All-Gesellschaft«. Budes Buch adressiert vor allem die vermeintliche gesellschaftliche Mitte, die nach seiner Diagnose unter Statuspanik leidet. Deren Angst beruhe in erster Linie auf Orientierungsverlust, der sich durch den Abriss der Verbindung von Leistung und Gemeinschaftsbindung ergeben hat. Die sozialen Milieus der Mitte driften immer weiter auseinander und die sogenannten Leistungsindividualisten haben sich als das beispielgebende Bild für die Gesellschaft herausgestellt, das andere gesellschaftspolitischen Orientierungen wie den Wunsch nach sozialer Umverteilung diskreditiert hat. Ihr Signalthema ist die Bildung. Insbesondere die Gewinner der Bildungsexpansion der 1980er und 1990er Jahre werden von der Angst getrieben, dass das Erreichte nun – etwa durch Migranten – gefährdet werden könnte. Allerdings ist Angst nicht nur in der vom Abstieg sich bedroht fühlenden Mittelschicht vorzufinden. In der prekarisierten Unterschicht herrscht ein hoher Konkurrenzdruck, der eine Angst davor produziert, »wie man sich gegen Zwischenchefs, junge Spunde und alte Hasen durchsetzt« (89). Der Kampf gegen die Müdigkeit, für Ruhepausen und vor der Altersarmut führt zur Erschöpfung in der Hochproduktivitätsgesellschaft, der man nur ansatzweise durch Wut zu entkommen glaubt, die aber gegen die personalisierte Herrschaft im Dienstleistungsprekariat nicht helfen kann. Stattdessen wirke sich die Angst auf den Körper aus, der dem Druck nicht standhalten kann. Depressionen des brüchigen Ichs sind die Konsequenz. Die Psychosomatisierung ist letztlich die Konsequenz eines weiter durchgreifenden Kapitalismus, »weil jeder Aspekt des alltäglichen Lebens in produktives, symbolisches, soziales oder ökonomisches Kapital verwandelt werden soll« (107). Mit seinem Essay über die Angst liefert Heinz Bude eine eingängige Erzählung, die die Gesellschaft als Ganzes zu beschreiben und dabei pointiert ihr heutiges Wesensmerkmal zu finden versucht. Sie hat als eine Art Master-Er-
61
62
Frank Eckardt
zählung den Anspruch, für alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens zu gelten. Damit gelingt es ihr, der Leserschaft eine Perspektive anzubieten, um unterschiedliche Sphären der Gesellschaft sinnhaft zu verbinden. Zwangsläufig werden dabei Aspekte hervorgehoben, die das Narrativ unterstützen und viele ausgeblendet, die es irritieren würden. Für Bude »entlarvt die Angst die Lebenslügen von Glück, Glanz und Ruhm« (158). In der Tat kann man sozialwissenschaftliche Forschung als einen Beitrag verstehen, Scheinwelten und Theatralik zu entlarven und auf die Schattenseiten der Gesellschaft zu verweisen. Aber auch wenn man ein durch Umfragen (etwa der »Glücksatlas«, siehe Die Zeit, 18. Oktober 2016) gewonnenen, gegenteiligen Eindruck, nämlich dass die meisten Menschen mit ihrem Leben in Deutschland zufrieden sind, entgegenhalten kann, dass sie den Befunden Budes nicht unbedingt wiedersprechen, dann wäre schon eine Erklärung dieser Diskrepanz notwendig, wenn man die einzelnen Berichte zu einem alles umfassenden Narrativ von der Angst verdichten will. Das Ausblenden gegenteiliger Beobachtungen von wachsender Zufriedenheit trotz gesellschaftlicher Krisen und die Anerkennung dessen, dass Äußerungen der Menschen nicht durch Psychologisierung infrage gestellt werden sollten, stellen den Ganzheitsanspruch der ›Gesellschaft der Angst‹ infrage und lässt deren partielle Wirklichkeit erkennen. Wenn man die Analyse der zerfallenen gesellschaftlichen Integration gelten lässt, bedeutet dies in letzter Konsequenz, dass es eine einheitliche Gefühlslage in der Gesellschaft auch nicht mehr geben kann. Wenn die Fragmentierung in Lebensmilieus und unterschiedlichen, überindividualisierten Lebenslagen tatsächlich so weit fortgeschritten ist, dann wäre auch das emotionale Bedürfnis nach sozialen Kontakten und Beziehungen keines mehr, das sich für alle gleich beschreiben ließe. Wenn diese Fragmentierung als solche keine Angstzustände schafft – was sie offensichtlich nicht tut –, dann mögen Menschen zwar alle Angst empfinden, aber diese speist sich doch aus unterschiedlichen Quellen und beinhaltet in der Form und in ihrer Bearbeitungsperspektive unterschiedliche emotionale Zustände. Die diffuse Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg der Mittelschicht und die konkrete Angst im Kontext personifizierter Herrschaft in der prekarisierten Arbeitswelt erscheinen kaum unter einen Hut zu bringen. Die Thematisierung von Angst ist dementsprechend im medialöffentlichen und intellektuellen Kontext der Konkurrenz um Deutungsmacht und Aufmerksamkeit zu verstehen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Anliegen der Unterschicht nach besseren Wohnverhältnissen und vor allem höheren Löhnen – sehr reale Anliegen! – in eine Erzählung amalgamieren, die diese Forderungen unsichtbar machen. Die abschließend dargestellten Entgegnungen Budes gegen die Herrschaft der Angst, etwa der Rückbezug auf das mittelalterliche Lachen oder an Tillichs Sichentleeren und Sichfüllen verweisen auf die Schwäche eines solchen verallgemeinernden Ansatz, die Gesellschaft prinzipiell und umfassend von Angst
5. Angst
gezeichnet zu betrachten. An wen richten sich diese, auf Haltung und Einstellung zielenden Antworten auf die Angst? In diesem Sinne werden die, von Bude richtigerweise thematisierten Ausuferungen des Verwertungsimperativs im symbolischen Kapitalismus – alles nach den Prinzipien der Steigerung und Nutzung zu machen –, angedeutet, aber sie werden als verursachende Faktoren nicht angegriffen. Zugespitzt lässt sich fragen, wie eine Mittelschichtfamilie ihre Angst vor dem Bildungsversagen der Kinder mit mittelalterlichem Lachen überwinden kann oder wie der gehetzte Paketaussteller ›sichfüllen‹ soll, wenn er sowieso schon erschöpft ist?
A ngst durch P rek arisierung Bude greift mit seinem Essay eine Erzählung auf, die in der Gesellschaft weitverbreitet ist. Wie Oliver Nachtwey in der Einleitung zu seinem Buch »Die Abstiegsgesellschaft« (2016) begründet, ist das Thema Abstieg und die damit verbundene Angst in vielen Bereichen der Kultur angekommen und insbesondere in der Literatur seit einigen Jahren zu einem häufigen Sujet der Belletristik geworden, wie der Verweis auf Werke von Ulla Hahn, Robert Kisch, Heike Geißler, Katharina Hackers oder Wilhelm Genazino nahelegt. Nachtwey leistet dabei die genauere Untersuchung der von Bude aufgegriffenen Angstursachen im Kontext einer allgemeinen sozialen Abstiegsgesellschaft, »in der die kollektive Angst vor dem sozialen Abstieg allgegenwärtig zu sein scheint« (7). Erscheint auch dies zunächst als eine vereinnahmende Übertragung der Mittelschichtängste, so weist Nachtweys Gesellschaftsanalyse eine klärende Transparenz hinsichtlich der Historisierung der Nachkriegsmoderne und der Entwicklung eines »Fahrstuhleffekts«, in der sich die soziale Mobilität intentional und politisch-pragmatisch auch für die Proletarier umsetze. Die Versprechen des sozialen Aufstiegs sind weniger geworden und es gebe nun einen Rolltreppeneffekt, wobei viele Menschen wieder absteigen könnten. Nachtwey räumt ein, dass es nach wie vor große Zonen der sozialen Stabilität gibt. ›Normalarbeiterverhältnisse‹ mit unbefristeten Stellen haben aber abgenommen und werden nicht mehr als Regel wahrgenommen. Die Gesellschaft hat sich zuungunsten der abhängig Beschäftigten entwickelt. Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse haben sich ausgebreitet. Da sich diese Prozesse eher unbeachtet und individuell entwickeln, entstanden bislang kaum kollektiv geteilte Erfahrungen, die als Protest oder Klassenkämpfe gegen den sozialen Abstieg zusammengeführt haben. Die veränderte Gesellschaftsordnung betrifft nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse, die die soziale Stabilität angreifen, sondern sie bezieht sich auch auf die politischen und sozialen Fundamente der Demokratie. Wie Nachtwey darlegt, ist die Durchsetzung neoliberaler Prinzipien auch in den
63
64
Frank Eckardt
nicht-direkten ökonomischen Verwertungsprozessen ein Angriff auf die Autonomie des Politischen, indem diese nur noch als Kommodifizierung von Märkten verstanden wird. Auf diese Weise verstärkt sich die soziale Kluft in der Gesellschaft, da eine Liberalisierung und Entstaatlichung vor allem für die aufstrebende Mittelschicht vorteilhaft ist. Politik als Gegengewicht zu den Konzentrationsprozessen von Eigentum und sozialen Vorteilen fällt somit aus. Die Politikverdrossenheit insbesondere der Unterschichten erklärt sich aus dem Wandel der Politik zu einer »Postdemokratie« (Crouch 2015), die nicht mehr als Interessenvertretung funktioniert. Dies führt zu einer Betonung von Prinzipien – aus einer ungleichen gesellschaftlichen Position heraus –, die tatsächlich erbrachten Leistungen für die Gesellschaft eines Bürgers nicht von dessen Ausgangsbasis her zu beurteilen, sondern diese nur nach deren MarktKomptabilität und monetarisierbaren Wert zu bewerten. Mit dieser (Neo-)Liberalisierung der Gesellschaft wird das Politische auf eine Rolle reduziert, die keinerlei normative Steuerfähigkeit beinhaltet. Die Fragmentierung der Gesellschaft ist der Grund, warum sich kein gemeinsames Interesse der individualisierten Bürger/innen, die sich in der Logik der marktkonformen Demokratie auf die Rollen als Kunden, Nutzer und Abnehmer reduziert sehen, finden lässt. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse schlägt auf die soziale Konstitution von politischen Rechten durch, indem sich prekarisierte Menschen durch geringere reale und symbolische Ressourcen weniger in den politischen Meinungsbildungsprozess einbringen können. Die Erosion der politischen Möglichkeiten, die eigenen Interessen öffentlich zum Ausdruck zu bringen, führt dazu, dass sich soziale Ungleichheiten nicht nur entlang der Einkommensgrenzen betrachten lassen. Sie werden von weiteren Dimensionen gesellschaftlicher Positionierungen bestimmt, die sich als horizontale Ungleichheiten vor allem mit Bezug auf die Ausschlussfunktion von Faktoren wie dem kulturellen oder ethnischen Hintergrund und Geschlecht konfigurieren. Benachteiligungen, Ausbeutungen und Diskriminierungen spielen sich von daher auf vielen unterschiedlichen sozialen Feldern ab, die Ungleichheiten verdoppeln und katalysieren können. Prekariat und Abstieg bzw. die Angst vor den vielen Möglichkeiten sozial benachteiligt zu werden, sind für viele die eigentlichen Gründe für die Proteste, die auch gegenüber Flüchtlingen und dem Islam in Phänomenen wie Pegida/ Thügida und AfD zum Ausdruck kommen. Für Nachtwey stellen sie Akte des Auf begehrens dar, das aber in seiner Gesamtheit unübersichtlich und widersprüchlich ist. Dennoch beharrt der Autor darauf, dass sie alle in einem Punkt übereinstimmen: »Was sie eint, ist die Wahrnehmung, dass bestimmte soziale Versprechen, die moderne Gesellschaften lange Zeit zusammenhielten, nicht länger eingehalten werden.« (181) Auch Nachtwey rekurriert in seiner Interpretation auf die oben bereits angeführte These Thompsons, dass es sich bei diesen Protesten von links wie rechts um einen Versuch der Wiederherstellung
5. Angst
einer »moralischen Ökonomie« handelt. Die soziale Frage kehrt zurück und das Einklagen von sozialer Gerechtigkeit steht als Motiv für Proteste obenan. Während diese Interpretation bei den traditionellen Protesten wie Streiks und Kundgebungen die vorhandenen Formen der gesellschaftlichen Aushandlung von Interessenskonflikten nicht infrage stellt, erweisen sich neuere Ausdrucksweisen der Unzufriedenheit als demokratietheoretisch problematisch, weil sie etablierte Mechanismen der Interessensverhandlung nicht mehr akzeptieren. Das betrifft wilde Streiks oder Ausstände von Minoritätsgewerkschaften, aber auch unkonventionelle Protestformen wie Cyberhacking oder Aktivitäten von Wutbürgern. Pegida wird hier als eine Art Rechtsausleger nonkonformer Protestaktionen gesehen. Diese Bewegung bringt neo-autoritäre Tendenzen in der Gesellschaft zum Ausdruck, die sich bereits länger – etwa in den Büchern von Theo Sarrazin – artikulieren. Die Teilnehmer/innen an diesen Demonstrationen sieht Nachtwey von Angst motiviert, sie »fürchten [...], sie könnten (wie schon nach der Wende) erneut abgehängt werden – eine Angst, die sich nicht zuletzt aus dem Umstand speist, dass in den neuen Bundesländern in der jüngsten Vergangenheit ›eine regelrechte Vernichtung von Aufstiegschancen‹ stattgefunden hat« (217). Pegida ist demnach »Ausdruck einer von Abstiegsängsten geplagten und radikalisierten Mitte« (218). Anders als linke Bewegungen, die ebenfalls gegen ›die da oben‹ mobilisieren, ist Pegida »zudem« (219) eine identitäre Bewegung, bei der es »in Wahrheit« (a.a.O.) nicht um die Anerkennung ethnischer Identitäten gehe, sondern um den Schutz eigener Privilegien, die man durch Ausländer bedroht sieht. Obwohl Pegida und AfD in den Kontext der neuen gesellschaftlichen Ungleichheiten und der Abstiegsgesellschaft platziert werden, bleibt offen, warum sich eine neo-autoritäre Manifestation entwickelt, während anderswo mit Benachteiligungen auf eine links-progressive Weise reagiert wird. Nachtwey bemüht die klassischen Studien der Frankfurter Schule, die die ›autoritäre Persönlichkeit‹ grundlegend austarieren und dabei ihre Schlussfolgerungen aus dem historischen Kontext des heraufziehenden Nationalsozialismus entwickelt haben. Wenn es sich bei Pegida/AfD um eine neo-autoritäre Bewegung handelt, was wäre dann das Neue? Wenn für die 1930er Jahre Preußentum und Militarismus, ein autoritärer Staat und eine repressive Kultur als gesellschaftliche Ursachen identifiziert werden können, was wären dann die spezifischen Ursachen für das Entstehen einer solchen neo-autoritären Bewegung in der »regressiven Modernisierung« (Nachtwey, 2016), in dem der Neoliberalismus den Staat auf Nachtwächteraufgaben reduziert hat und Diskriminierungen nur im Sinne der kapitalistischen Optimierungsstrategie vermeiden will?
65
66
Frank Eckardt
R aum -M acht Auf diese Fragen gibt es keine Antworten in der großen Erzählung vom veränderten Kapitalismus, weil er die Gesellschaft als Ganzes der kapitalistischen Verwertung unterordnet und sich Kontinuitäten von Kultur und Soziales nicht vorstellen kann, die sich relativ unbeirrt fortsetzen. Es fällt auf, dass Rassismus und Rechtsextremismus nicht erwähnt, geschweige denn in die Analyse integriert werden. Wie Menschen denken und fühlen, wird lediglich in Reaktion auf eine veränderte soziale Positionierung erklärt, jedoch nicht in ihrer eigenen emotionalen, ideologischen und diskursiven Dynamik reflektiert. Gefühle treten in dieser Perspektive als Wut und Angst auf, während der offensichtliche Hass unthematisiert bleibt. Ob der Protest sich als Occupy- oder Pegida-Bewegung formiert, erscheint beinahe als zufällig. Es wird eingeräumt, dass lokale und regionale Ursachen eine Rolle bei der Ausbildung von Pegida spielen, aber das habe mit der sehr konservativen politischen Kultur und der großen Entfremdung der politischen Bürger/innen zu tun: »In kaum einem Bundesland sind die Bürger so entfremdet wie in Sachsen.« (217) Eine konservative politische Kultur kann jedoch kaum pauschal als Erklärung herhalten, da ansonsten Pegida doch auch in Bayern hätte entstehen müssen oder dort sofort hätte Anklang finden müssen. Hinsichtlich der politischen Entfremdung dürfte Bremen mit einer ähnlich niedrigen Wahlbeteiligung wie Sachsen ebenso Zweifel an der hervorgehobenen Bedeutung von politischer Entfremdung für das Entstehen von Pegida aufkommen lassen. Selbst wenn man weitere Faktoren in Betracht zieht, werden die regionalen Differenzen schon zwischen Thüringen und Sachsen kaum erklärbar werden. Politik ist vielleicht doch mehr als nur die Vollstreckung von neoliberalen Imperativen und hat sehr wohl auch etwas mit persönlichem und institutionellem Handeln zu tun. Die neoliberale Seite der Politik zu betonen, reicht nicht aus, um das Entstehen von Pegida zu erklären. Die Politik in Sachsen lediglich als konservativ zu etikettieren, ist so wenig aussagekräftig, wie es andere Ursachenkomplexe ausblendet. Dazu gehört die systematische Ausblendung des Rechtsextremismus, für den die Sachsen laut ehemaligem Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, angeblich immun seien. Die offensichtlichen rassistischen und chauvinistischen Ressentiments wären ebenfalls als Ursachen zu nennen wie der sächsische Exzeptionalismus und der Dresdener Opfermythos (vgl. Steinhaus, Heim und Weber, 2017). Die vorliegenden Untersuchungen (Kocyba, 2016) zu den Teilnehmer/innen an den Pegida-Demonstrationen zeigen, dass es sich zumeist um eher überdurchschnittliche und männliche Verdiener handelt, die sicherlich für sich nicht in Anspruch nehmen können, ›erneut abgehängt‹ zu werden. Die Befunde unterstützen zunächst einmal die Annahme, dass es sich im Sinne Nachtweys um eine Protestbewegung handelt, die aus der Abstiegsangst der Mittelschicht entstanden ist. Dennoch ist die Einordnung von Pegida
5. Angst
als eine Art von ›rechten Wutbürgern‹ zweifelhaft und potenziell verharmlosend. Ob es sich bei diesem Mob um eine Demonstration handelt, kann aufgrund der offensichtlichen Feindseligkeit gegenüber den Medien und anderen gesellschaftlichen Akteuren zumindest in der Weise bestritten werden, dass es den Teilnehmer/innen offensichtlich nicht vor allem um die Darstellung ihrer Meinung in der Öffentlichkeit geht, was allgemein als Kern einer Demonstration gelten kann. Auffallend ist auch, dass die Pegida-Bewegung in ihrer islamfeindlichen und rassistischen Einstellung weit von den sozialen Gruppen der gesellschaftlichen Mitte entfernt ist, deren Abstiegsängste sie angeblich artikuliert oder gar repräsentiert. Zwar haben die Forscher der sogenannten Leipziger Mitte-Studie (Decker, Kiess und Brähler, 2016) und auch bereits die Forschung von Wilhelm Heitmeyer (2002, s. aber auch Attia, 2013) verdeutlicht, dass sich Islamophobie, Rassismus und andere als Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnete Haltungen über die Gesellschaft verteilt in den unterschiedlichsten sozialen Lagen auffinden lassen, jedoch werden bei Pegida in einem so starken Maße menschenfeindliche Auffassungen und rechte Positionen aufgefunden, dass diese nicht als nachgeordnetes Phänomen begriffen werden können, das sich erst aus einer konkret befürchteten Abstiegsangst (durch die Asylpolitik) ergeben hat. Die Behauptung, Pegida sei keine homogene Bewegung, wie dies der Dresdener Extremismusforscher Pätzelt (2016) behauptet, ignoriert die Tatsache, dass Islamfeindlichkeit, Rassismus und rechte Demokratieablehnung sehr wohl eine homogene soziale Gruppe ausmachen können und dass die Homogenisierung geradezu das Ziel von Pegida ist, die diese durch ihre Montagsdemonstrationen und Parolen konstituieren will und die deshalb den Ausschluss von Medien und Beobachtern und den ›Anderen‹ als Feindbild benötigt. Wenn also Pätzelt nur jeden fünften Teilnehmer als rechtsradikal einstuft und die Hälfte der Pegida-Anhänger als ›kulturkonservative Xenophobe‹ und als ›gutwillige Zuwanderungskritiker‹ kategorisiert, wird das vereinende Ritual der Demonstrationen und ihrer Slogans unsichtbar. Und dieses einende Band sind Rassismen, die sich aber nur in Spielarten voneinander unterscheiden: Pätzelt beschreibt die »kulturkonservativen Xenophoben« als Menschen, die der Meinung sind, dass in einem Land niemand leben sollte, der »wegen seiner Religion, seiner Kultur oder seines Verhaltens nicht passt« (72). Diese Gruppe macht 31 % der Pegida-Anhänger aus. Weitere 24 % – die sogenannten »gutwilligen Zuwanderungskritiker« – lehnen den »biologischen Rassismus« (Hervorheb. F.E.) und Gewalt ab. Schließlich gibt es noch 19 % »Islamophobe Zuwanderungsgegner«, die selbst friedliche Muslime ablehnen. Kurioserweise interpretiert Pätzelt seine eigenen Befunde wie folgt: »Sind die Pegdianer überwiegend Rassisten? Nein, obwohl es unter ihnen knapp ein Zehntel Rassisten gibt.« (73) Pätzelt gibt keine Definition an, was er unter Rassismus versteht, aber die Interpretation seiner eigenen Umfragen legt nahe, dass die Ablehnung (auch von friedlichen) Muslimen für ihn
67
68
Frank Eckardt
nicht dazu reicht, als Rassist zu gelten und Rassist ist man offensichtlich auch nicht, wenn man der Meinung ist, dass jemand nicht zu Deutschland gehört, wenn er irgendwie »nicht passt«. Stattdessen behauptet Pätzelt, dass in der Wahrnehmung der Pegida »echte Zuneigung zum eignen Land und zu dessen Leuten, verbunden mit Sorgen um Deutschlands Zukunft [...] kaum einmal als wahrscheinliches Motiv von Pegidianern öffentlich in Erwägung gezogen« (75f) wurde. Er fordert zudem zu Empathie mit Pegida und zum Perspektivenwechsel auf, um zu erfahren, was diese dächten und wollten. »Geschwächt habe die Demokratie nicht Pegida, sondern der ›Kampf gegen Rechts‹.« (81) Angst vor Abstieg und echte Zuneigung zum eigenen Land sind beides Narrative, die Pätzelt für besser hält, als die »Zwangsvorstellung« (79), es handele sich um eine soziale Bewegung, die sich durch Rassismus konstituiert, um das Entstehen und den Erfolg von Pegida und AfD zu erklären. Laut Umfragen des Institutes für Protest- und Bewegungsforschung (Kocyba, 2016) geben 71,3 % der Pegida-Anhänger an, Deutschland werde durch Ausländer bedroht. Zu ähnlichen Fragen lassen sich gleichsam überdurchschnittliche Werte finden. Bei der Frage nach muslimischen Lehrerinnen mit Kopftuch zeigt sich eine fast hundertprozentige Ablehnung der Pegida-Anhänger – im Vergleich zu 48,6 % in der Gesamtbevölkerung. Wie sich diese Befunde in das Narrativ von Angst, Besorgtheit und Heimatliebe integrieren lassen, bleibt unklar und auch kaum erklärbar, wenn man nicht eine nach rassistischen Kriterien konstruierte Homogenität Deutschlands als Norm konstituieren will. Die Anfälligkeit dieser Narrationen für emphatische Zuschreibungen oder gar Projektionen ist überdeutlich (vgl. Heim, 2016). Mit der Anerkennung der Selbstdeutung der Pegida-Demonstranten als Träger einer irgendwie berechtigten Angst oder Sorge gehen Beobachter/innen diesen direkt auf den Leim. Konkrete Befürchtungen oder begründete Ängste haben sich von der behaupteten ominösen Bedrohung des Abendlandes, angeblicher Benachteiligungen und statistisch nicht nachweisbarer Kriminalitätssteigerungen abgelöst und werden als ein rhetorisches Mittel eingesetzt, um sich zunächst Gehör zu verschaffen und ein willkürliches Unterscheidungskriterium für Freund und Feind in der Hand zu haben. Alle, die keine Angst haben oder diese nicht behaupten, werden als unglaubwürdig deklariert. Die Instrumentalisierung der diffusen und unhinterfragten Angst dient dazu, um den öffentlichen Raum zu beherrschen (Keller und Berger, 2016). Auf diese Weise liefert das Angst-Narrativ eine legitimatorische Basis, die durch die Proteste eine Durchsetzungsmacht für die eigenen Interessen entwickeln kann. Das eigene Interesse stellt sich in diesem Zusammenhang als eine Forderung dar, die mit demokratischen Prozessen der Aushandlung nicht aufzufangen ist. Die Programmatik besteht in einem ethnischen Homogenitätskonzept, das mit der Realität gesellschaftlicher Vielfalt brechen will. Es ist nicht als Äußerung eines (legitimen) Interesses einer Gruppe angelegt, sondern besteht in dem Machtanspruch auf
5. Angst
die Gestaltung der gesamten Gesellschaft. In diesem Sinne kann nicht von einem eigentlichen ›Interesse‹ einer ›Gruppe‹ gesprochen werden, denn Interessen- und Gruppenvielfalt – also die Interessen anderer – sollen als solche bekämpft werden. Das Narrativ der Angst begründet einen Machtanspruch auf den öffentlichen Raum in seiner physischen wie politischen Form. Die Pegida-Demonstrationen fallen durch die Inanspruchnahme beider Öffentlichkeitsformen auf. Die Straßen – einschließlich der Routen und Kulissen, die in die Protestzüge integriert werden – führen einen Anspruch auf die symbolische Machtübernahme aus. Die Dramaturgie der Pegida-Proteste verweist auf ein Wissen über den Zusammenhang der praktischen und diskursiven Konstitution von RaumMacht. Dass sich die Pegida-Anhänger durch Raum-Macht sowohl Aufmerksamkeit verschaffen als auch diese als selbstverständlich zu betrachten scheinen, hat mit der seit der Wiedervereinigung nur wenig irritierten Strategie von Rechtsradikalen zu tun, um über die Aneignung von Raum Herrschaft auszuüben (vgl. Grau und Heitmeyer, 2013; Schulze und Weber, 2011). Die Eroberung von physischem Raum durch die Ausübung von Angst und Gewalt geht auf eine Strategie rechtsextremer Gruppierungen zurück, die diese mit dem Kampf begriff der »National befreiten Zone« verbinden (Döring, 2006). Es soll damit nicht gesagt werden, dass Pegida diese Strategie bewusst übernommen hat, vielmehr imitiert sie die Idee, dass sich über die Okkupierung und Umdeutung des öffentlichen Raums ein Machtanspruch zugleich behaupten und umsetzen lässt. Das martialische Auftreten der Pegida bis hin zu Angriffen auf Journalist/innen bedient sich dieser symbolischen Eroberungsstrategie des öffentlichen Raums. Dass für eine solche Übernahme des öffentlichen Raums Gelegenheiten geboten werden, verweist auf eine geringe Durchsetzung gesellschaftlicher Normen, die eigentlich eine Toleranz unterschiedlicher Lebensweisen und Meinungen durch physische Präsenz ermöglichen müssten. Augenscheinlich besteht die problematisierte Politikferne in ebendieser Diskrepanz zwischen einer diskursiven Normen-Pluralität und Gewaltabsage und der real existierenden Unsicherheit, die vielerorts angesichts von ›Angst-Räumen‹ und ›NoGo-Areas‹ empfunden wird. In der erfahrbaren Unsicherheit vieler Städte und an bestimmten Orten geht es deshalb nicht um Unsicherheit mit Bezug auf vermeintliche oder reale Kriminalität, sondern ist die fehlende Geltung von Normen und mangelnde Normenpluralität entscheidend. Während einige sich durch die Diversifizierung von Normen (›was passt‹) verunsichert fühlen, sind sich andere nicht sicher, ob die diskursive Zusicherung von Normendiversität auch an konkreten Orten wirklich besteht (vgl. Fehlberg, 2013). Wichtig ist dabei zu erkennen, dass es sich für die Konstruktion von ›unsicheren Orten‹ um eine prozesshafte Aneignung des öffentlichen Raums handelt, der sich durch eine stringente Differenz zwischen Eigenem und Fremden auszeich-
69
70
Frank Eckardt
net, die nicht aufgehoben werden darf (vgl. Paul, 2013). Diese duale Differenz wird diskursiv wie materiell-ästhetisch hergestellt und immer weiter verdichtet. Die räumliche Verdichtung der Zeichendifferenzen dient dazu, um den symbolischen Akt der Raumübernahme wiederum ortsfern und medial in den Diskurs einspeisen zu können. Die symbolische Verdichtung funktioniert vor allem, wenn sie eine Normdurchsetzung repräsentieren kann. Akte der Normdurchsetzung müssen aber immer wiederholt werden, wenn sie den Machtanspruch der Norm und derjenigen, die sie propagieren, aufrechterhalten sollen. Aus diesem Grund bietet erst das Erscheinen von Fremden bzw. die Aufrechterhaltung der Stereotypien des Fremden und Anderen eine Möglichkeit, um mit einer solchen Strategie Raum-Macht zu entfalten. Das Narrativ der Angst, angeblich gespeist aus der allgemeinen Abstiegsangst der Mittelschicht, legitimiert in den konkreten öffentlichen Räumen, dass Fremde als Angst erregend und Besorgnis weckend etikettiert werden und eine Norm propagiert und umgesetzt wird, in der es vor allem um die Macht über den Raum und die egalitären Normen der Demokratie durch Privilegien abgelöst werden. Das Narrativ der Angst ›unserer Leute‹, so könnte man verkürzt sagen, führt zu Angst-Räumen für die Fremden und alle anderen zugleich. Die Orte der Unsicherheit müssen unaufgehoben bleiben.
6. Stigmatisierte oder stigmatisierende Räume? Frank Eckardt
Angst ist nicht das einzige Narrativ, das immer wieder in Stellung gebracht wird, wenn Gründe für die Ablehnung von Flüchtlingen angegeben werden. Eine weitverbreitete Erklärung bezieht sich auf die empfundene Benachteiligung als Bürger/innen Ostdeutschlands oder als Bewohner/innen eines benachteiligten Stadtteils. Insbesondere der Umdeutungsprozess der Großsiedlungen aus der DDR-Zeit als »Platte« nach der Deutschen Wiedervereinigung wird oft als Stigmatisierung bezeichnet (Dellenbaugh, 2014). Wie mit der Angst ist es allerdings auch mit dem Stigma komplizierter als dies in der einfachen Behauptung von der Stigmatisierung erscheinen mag. Stigma und Angst sind zunächst unsichtbare Phänomene, die in ihrer Artikulation und als Reaktion auf behauptete Ängste oder Anfeindungen erst für andere erkennbar werden. Soziologisch gesehen begibt man sich auf das unklare Feld von Zuschreibungen. Dabei scheinen Angst und Stigma gegensätzliche Prozesse zu betreffen: Der Ängstliche beschreibt die Angstmachenden, der Stigmatisierte ist derjenige, vor dem Menschen Angst haben oder dem negative Charakteristika zugeschrieben werden. Die Beobachtung von Zuschreibungen bleibt ohne die Erforschung der Motive der Zuschreibenden und die Effekte der Stigmatisierung unvollständig. Was Letzteres betrifft, hat sich vor allem in der Psychiatrie und in der Frage nach den psychischen Auswirkungen von Stigma für psychisch Kranke eine umfassende Forschungsliteratur (Rüsch, 2013) entwickelt. Dabei hat es sich als hilfreich herausgestellt, bestimmte differenzierende Bestimmungen vorzunehmen, um den Begriff des Stigmas verständlicher werden zu lassen. Zunächst wurden Akte der Benachteiligung bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung beobachtet, die de facto durchaus in der Lage gewesen wären, trotz ihrer Krankheit im gleichen Maße wie Gesunde zu agieren. Diese Form der Stigmatisierung beruht auf anweisbaren Handlungen Einzelner, die in bestimmten Situationen – etwa bei der Vergabe von Jobs – auftreten können. Gegenüber einer solchen, relativ klar erkennbaren und handlungsgenerierten
72
Frank Eckardt
Stigmatisierung sind Stigmata abzugrenzen, die sich aus der Wahrnehmung der Betroffenen selbst ergeben. Hierbei sind vor allem Vorurteile in der Gesellschaft relevant, die die Adressierten in ihrer Selbsteinschätzung negativ beeinflussen (Selbststigmatisierung). Schließlich kann von einer strukturellen Stigmatisierung gesprochen werden, wenn sich in institutionellen Rahmen oder (juristischen) Regelungen Benachteiligungen auffinden lassen.
S tigmatisierende K ommunik ation Insbesondere Stigmatisierungen auf der Ebene der Selbstwahrnehmung sind oftmals schwierig zu beschreiben und werden von Nicht-Betroffenen anders wahrgenommen. Inwieweit Menschen tatsächlich oder vermeintlich stigmatisiert werden, schafft für die Betroffenen eine zusätzliche Quelle von Ungewissheit und erschwert eine konstante positive Bewertung der eigenen Persönlichkeit. Um analytisch und konzeptionell vorgehen zu können, hat sich in der Sozialpsychologie eine Einteilung in Stereotypen, Vorurteilen und Stigmatisierungen durchgesetzt. Hierbei wird zwischen Gemeinplätzen und Vereinfachungen (Stereotypen) und Vorurteilen, bei denen Stereotypen emotional und wertend zugestimmt wird und schließlich aus Vorurteilen folgendes Handeln (Stigmatisierungen) unterschieden (Corrigan, 2005). Vereinfacht gesagt werden mit Stereotypen kognitive, mit Vorurteilen emotionale und mit Stigma behavioristische Dimensionen von Benachteiligungen beschrieben. Die Beschäftigung mit Stigma ist in der Soziologie durch das Werk von Erwin Goffman (1975) über die Beschädigung der Identität durch Stigmata geprägt worden, wobei es ihm in erster Linie darum ging, dass es sich hier um eine Rekonstruktion von Normativität handelt, bei der durch die Stigmatisierung Grenzen zwischen dem Normalen und dem Abweichenden, zwischen ›krank‹ und ›gesund‹ gezogen werden (vgl. Engelhardt, 2010). Stigmatisierung funktioniert durch Etikettierung und Kategorisierungen als eine gesellschaftliche Definition des Normalen, die durch die Attribution von Eigenschaften auf einzelne Individuen oder auf ganze Gruppen erfolgt. Im Laufe der Zeit wurde Goffmans Konzept auf andere Gruppen in der Gesellschaft übertragen, obwohl es in der psychiatrischen Forschung nach wie vor am meisten angewandt wird. Unterschiedliche Einwände ließen sich gegen die Grundannahmen des Goffmanschen Stigmakonzepts formulieren, die sich vor allem an einer gewissen Starrheit seines Normenverständnisses richten (Kusow, 2004). Insbesondere in der Kriminologie wurde von der Stigmaforschung der Ansatz übernommen, dass die Etikettierung und Einordnung als ›kriminell‹ für die weitere Wahrnehmung von Verdächtigen für diese negative Konsequenzen hat. Im Zentrum dieser Forschungen stehen dann nicht mehr so sehr die Vorurteile gegenüber Kriminellen, sondern die Einordnung in eine negativ klassi-
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
fizierte soziale Gruppe. Aus diesem Grund werden diese Studien der »labeling theory« zugeordnet (Farrington und Murray, 2014). Der Hauptunterschied liegt in der Frage begründet, inwieweit es sich hierbei auch um identitätswirksame Prozesse handelt, wovon die Stigmatheorien ausgehen, »labeling«Ansätze behaupten dies nicht unbedingt, schließen es aber auch nicht aus (Asencio, 2011). Für Goffman war die gesellschaftliche Funktion von Stigmata wichtig. Mit der Möglichkeit der Stigmatisierung kann eine gesellschaftliche Mehrheit eine Minderheit unterdrücken (»to keep people down«), sie kann sie zwingen, sich nach ihren Normen zu verhalten (»to keep people in«) oder sie ausschließen (»to keep people out«). In Anschluss an diese Ausdifferenzierung des gesellschaftlichen Stigmatisierungsprozesses wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die nicht so sehr diese grundlegenden Annahmen infrage stellten, sondern weitere Formen von Stigmatisierungen aufgriffen. Dazu gehören Prozesse, die eher subtil oder indirekt zu einer Stigmatisierung führen. Damit löst sich das Konzept teilweise ab von der strikten Zuordnung zu stigmatisierenden Handlungen und verlagert sich auf kommunikative, nonverbale oder diskursive Praktiken, die vor allem die Konstitution von Gruppen durch soziale Interaktion zum Ziel haben. Hierbei sind vor allem Abwertungsprozesse fremder Gruppen und die Bevorzugungsprozesse der eigenen Gruppe (»ingroup favoritism«) zu beobachten. Mit der Ausweitung des Erklärungsansatzes und der Einbeziehung non-verbaler Kommunikation wird es möglich, auch eine raumsoziologische Perspektive an die Stigmaforschung heranzutragen. In der raumbezogenen Forschung ist in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt eine terminologische Anleihe des Begriffs ›Stigma‹ vollzogen worden, bei der es nicht unbedingt um eine über die sozialpsychologische Literatur betriebene Übernahme oder Anwendung des Begriffs gegangen ist. Vielmehr sind viele Studien davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen einem stigmatisierten Ort und benachteiligende Lebenszusammenhänge gibt bzw., dass dieser Zusammenhang überprüft werden müsste. Untersuchungen aus der Medizin weisen auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen individuellen Gesundheitszustand und dem Leben in einer stigmatisierten Nachbarschaft hin. Kelaher et al. (2010) stellen in Auswertung international vorliegender Studien zusammenfassend fest, dass dies auf drei Wegen geschieht, die sich vor allem durch ein erhöhtes Stressrisiko diagnostizieren lassen: Nachbarschaftsstigmata erzeugen Stress, in dem sie den Einzelnen im erhöhten Maße in seiner Identitätsbildung bedrohen können. Zusätzlich wirkt sich dieser Stress negativ auf die Gesundheit der Betroffenen aus, da zur Stressabwehr Verhalten erzeugt wird, das weiteren Stress erzeugt. So wirkt das Stigma auch negativ mit Bezug auf die eventuelle Inanspruchnahme von Hilfe, da man aus Angst vor weiteren Stigmatisierungen eine soziale Distanz zu Hilfsanbietern einnimmt. Die Beeinträchtigung der Gesundheit durch Stigmatisierungsstress beeinflusst wiederum andere
73
74
Frank Eckardt
Faktoren negativ, die eine Nachbarschaft benachteiligen. Das ist insbesondere der Fall bei Aktivitäten, die außerhalb der Nachbarschaft stattfinden und die durch eingeschränkte (gesundheitliche) Bedingungen nicht zu erreichen sind. Verminderte Mobilität als Folge dessen hat dann seinerseits gesundheitsbelastende Effekte für die Bewohner/innen von stigmatisierten Nachbarschaften. Auf diese Weise stapeln (akkumulieren) sich negative Effekte auf und verstärken sich dadurch gegenseitig. Der stigmatisierende Effekt von Nachbarschaften mit Bezug auf die Gesundheit der Bewohner/innen ist allerdings zu differenzieren. Ein hohes Bewusstsein des Stigmas, wie es bei eher Gutausgebildeten vorausgesetzt werden kann, scheint den Stress zu erhöhen. So haben japanische Forscher in einer Untersuchung der mentalen Gesundheitseffekte der Stigmatisierung des Stadtteil Nishiari in Osaka – ungeachtet der Beobachtung, dass potenziell alle Bewohner/innen durch Stigmatisierungen unabhängig von ihrem Geschlecht, Alter, sozialökonomischer Position und Lebensstil gesundheitlich eingeschränkt werden können – festgestellt, dass »the effect of geographically-based discrimination on mental health was stronger among highly educated than among the less educated« (Tabuchi et al., 2002, 1020). Amerikanische Studien unterstützen diese Erkenntnis und verweisen auf einen Zusammenhang mit dem höheren sozialen Status der Betroffenen (Forman, 2003). Eine Erklärung hierfür wird darin gesehen, dass Besserausgebildete sich eher außerhalb der eigenen Nachbarschaft aufhalten und arbeiten und dort eher mit negativen Urteilen konfrontiert werden (Poore et al., 2002).
Territorialisie r te S tigmatisierungen Eine klassische Annahme hierbei ist, dass die Wahrnehmung durch ökonomische Umstände und ethnischer Zugehörigkeit stärker wirkt als Veränderungen der objektiven Umwelt in einer stigmatisierten Nachbarschaft (Sampson und Raudenbush, 2004). Damit wird zunächst der weitverbreiteten Theorie der »Broken Windows« (Harcourt, 2001) widersprochen, dass es durch eine verbesserte bauliche Umwelt, Sauberkeit und Sicherheit dazu führen würde, dass sich positive Effekte in der Wahrnehmung eines Ortes einstellen würden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die vorhandenen Vorurteile auch von den Bewohner/innen eines Stadtteils nicht abgelegt werden, wenn für diese objektiv kein Grund mehr besteht. Die Persistenz negativer Auffassungen über eine Nachbarschaft hat mehr mit weiterverbreiteten Vorurteilen und Stereotypen gegenüber armen Menschen und ethnischen Minderheiten zu tun als dies durch entsprechende empirische Befunde zu beweisen wäre. Die Diskrepanz zwischen dem realen Zustand einer Nachbarschaft und deren durch Vorurteile verzerrten Wahrnehmung ist vor allem mit Bezug auf die befürchtete und tatsächliche Kriminalität konstatiert worden (Quillian und Pager, 2001). Den-
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
noch sind die Befunde nicht so eindeutig, weil sie bereits Annahmen machen, in welcher Weise etwa Kriminalität als normal von den Befragten verstanden wird und nicht bereits damit auch Verhalten gemeint sein könnte, das als Ergebnis von Stigmatisierung zu sehen ist. Das öffentliche Trinken von Alkohol kann hierfür als Beispiel gelten. Menschen, die in benachteiligten Stadtteilen wohnen, haben durch den ihnen weniger zur Verfügung stehenden Privatraum (etwa auch durch Obdachlosigkeit) keine andere Gelegenheit, um zu Hause Bier zu trinken und sie verstärken oder bestätigen durch das öffentliche Trinken wiederum die bereits bestehende negative Wahrnehmung des Ortes. An diesem Beispiel lässt sich auch die normative Dimension der WirklichkeitsRealitäts-Differenz erkennen, die sich forschungslogisch ergibt und somit die normative Vorstellung des Forschers über normales und abweichendes Verhalten andeutet. Wie sehr der soziale Status die Wahrnehmung beeinflusst, zeigt beispielsweise eine Studie über Luftverschmutzung in Chicago (King, 2015), die nachweisen konnte, dass Menschen, die in benachteiligte Stadtteile ziehen, der Meinung waren, dass dort auch automatisch die Luft schlechter sein müsse. Zu erklären ist dieser Umstand nur dadurch, dass eine historisch einmal aufgebaute negative »place reputation« sowohl bei externen Beobachter/innen wie bei den Bewohner/innen selbst zu wirken scheint. In den USA hat die Entstehung von historisch diskreditierten Orten sehr viel mit den Vorurteilen gegenüber ethnischen Minderheiten zu tun. Andernorts spielen andere Faktoren im Einzelnen eine entscheidende Rolle, die die Persistenz der »place reputation« ausmachen und die als gestörte Ordnung auf die eine oder andere Weise eingeordnet wird (Franzini et al., 2008). Die Reputation einer Nachbarschaft kann darin bestehen, dass sie als sozial homogen und undifferenziert wahrgenommen und dies mit einem städtebaulichen Wohntypus verbunden wird, womit insgesamt eine Art »virtuelle soziale Identität« (Arthurson, 2013) beschreibbar wird. Die Ortsreputation ist nicht als alleiniger Faktor verantwortlich für die Einschätzung einer Nachbarschaft, die diskursiv verbreitet wahrgenommen wird – vielmehr variiert sie nach Thema (»Domain specific informaton«). Sie kann sich aus der eigenen Beobachtung entwickeln oder von Menschen stammen, mit denen man persönlich geredet hat. Oftmals handelt es sich um Informationen von Autoritäten oder Institutionen, denen man eine gewisse Glaubwürdigkeit schenkt. Letzteres erklärt auch die Persistenz von rassistischen Beurteilungen von Nachbarschaften, da diese nicht direkt über die Menschen in dem betreffenden Stadtteil verbunden werden, sondern indirekt und mit Bezug auf ein bestimmtes Thema (Müll, Kriminalität etc.) formuliert werden und somit nur vermittelt stigmatisierend wirken. Das erklärt auch, warum diese Stigmatisierungen von Menschen geteilt werden, die zumindest indirekt zu den Stigmatisierten gehören. Das Stigma ist eher als ein kollektives kommunikatives Handeln als eine individuelle Handlung zu verstehen.
75
76
Frank Eckardt
Die Stigmatisierung von Nachbarschaften ist dementsprechend auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft anzusiedeln. Hierauf hat Loïc Wacquant in seinem einschlägigen Beitrag über die »Urban Outcasts« (1993) hingewiesen und territoriale Stigmatisierungen in den Kontext von grundlegenden Transformationen der Wirtschaft (Postfordismus) und Staat gestellt. Deren Effekte beschreibt er für die französischen Banlieues wie folgt: »Territorial stigmatization affects interactions not only with employers but also with the police, the courts and street-level welfare bureaucracies, all of which are especially likely to modify their conduct and procedures based on residence in a degraded cite.« (371) Im Vergleich zu den Belastungen durch Stigma in den Cabrini Greens von Chicago wirken sich laut Wacquant diese in Frankreich stärker negativ aus. Hierfür sieht er drei Gründe. Zuallererst wirke sich die Vorstellung, man lebe in einer durch institutionalisiertes Handeln sozial benachteiligten Wohngegend so negativ aus, weil dieses staatliche Handeln nicht mit dem egalitären Anspruch Frankreichs vereinbar ist, den insbesondere die Kinder der Einwanderer noch durch öffentlichen Protest in den 1980er Jahren massiv eingefordert haben. In den USA hingegen habe man sich weitgehend mit der Segregation abgefunden. Zweitens wird auch in den amerikanischen Ghettos die individualistische Auffassung vertreten, dass letztlich jeder dafür selbst verantwortlich ist, wo er in der Gesellschaft steht. Drittens und entscheidend sei, dass in den USA ein »spatial-cum-racial«-Stigma vorzufinden ist, das für die ethnisch gemischten Banlieues Frankreichs nicht gelte, die nur territorial den gesellschaftlichen Ausschluss produziere, dem man beispielsweise durch zeitweilige »consciousness switch« – etwa durch Besuche in anderen Stadtteilen – entkommen könne. Der rassistischen Exklusion dahingegen kann man nicht entfliehen. Trotz dieser Unterschiede sind aber die Bewältigungsstrategien in den USA und Frankreich ähnlich. Bewohner/innen stigmatisierter Stadtteile gehen zumeist so damit um, dass sie sich entweder gegenseitig meiden, »Mikrohierarchien« untereinander auf bauen oder aber Drogendealer, alleinstehende Mütter und Problemfamilien als schwarze Schafe auserwählen und sie für die Missstände in ihrer Nachbarschaft verantwortlich machen. Menschen in diesen stigmatisierten Orten werden dazu gezwungen, eine »impossible community« zu formen, die konstant gegen sich selbst agiere und dadurch keine gemeinsame Lage als benachteiligte Menschen erkennen kann. Aus diesem Grunde ist die Exit-Strategie die individuelle Lösung, die von denen ergriffen wird, die es sich irgendwann einmal leisten können wegzuziehen. Auf diese Weise wird ein sozialer Atomismus und die Desorganisation der Nachbarschaft erzeugt, die schließlich die Vorurteile gegen diesen Ort zu bestätigen scheinen. Damit erfüllt die territoriale Stigmatisierung eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wacquant kann durch seinen Vergleich französischer und amerikanischer Zustände verdeutlichen, dass nationale Unterschiede offensichtlich hierbei eine erhebliche Rolle spielen und dass Stigmatisierungen
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
mit anderen Faktoren von Benachteiligungen (Rassismus) dementsprechend auch andere Auswirkungen haben können und dass der weitere gesellschaftspolitische Kontext einen erheblichen Einfluss ausüben kann. Ob es deshalb zu einer Konvergenz zwischen amerikanischen und französischen Exklusionsmechanismen kommen wird, ist für Wacquant eine offene Frage, die vor allem von einer zunehmenden »racial seperation« und staatlichem Handeln mit Bezug auf eine fortgesetzte Förderung oder Duldung von Segregation und Anerkennung von »ethno-racial divisions« abhängt. Diese beiden makrogesellschaftlichen Felder von Stigmatisierungen »intensify the cumulation of urban dispossession and exacerbate the destructive consequences of socio-economic marginality« (380). Die Stigmatisierung von benachteiligten Stadtteilen ist vor allem deshalb irritierend, weil es sich hierbei oftmals auch um Nachbarschaften mit sozialem Wohnungsbau handelt, der also als eine politische Maßnahme zu verstehen ist, um Benachteiligungen auf dem Wohnungsmarkt durch das Angebot von erschwinglichen Wohnangeboten auszugleichen. Dass gerade durch diese Wohnungs- bzw. Sozialpolitik ein territorialer Ausschluss gefördert wird, erscheint als kontraproduktives Ergebnis dieses Politikansatzes (vgl. Malpass, 2005). Wacquant betrachtet deshalb die sozialökonomische Marginalisierung der Bewohnerschaft als ursächlich für die Etablierung von stigmatisierten Stadtteilen und identifiziert diese als eigentlichen Anfangspunkt der Stigmatisierung, dem in der Folge dann der weitergehende Prozess der Verhärtung der Ausschlüsse und die soziale Atomisierung folgen. Staatliches Handeln wird als der Einflussfaktor angesehen, der die Territorialisierung des sozialen Ausschlusses hervorbringt oder positiv entgegenwirken kann. Als Grundannahme bleibt, dass übergeordnete Prozesse des sozialen Ausschlusses als vorwiegende Ursache für die Stigmatisierungen angesehen werden müssen. Die Annahme dieser primären Ausschlusslogik führt dazu, dass Stigmatisierungsprozesse als konsekutive oder kausale Ketten von raumgesellschaftlichen Ordnungen verstanden werden, bei denen zunächst eine primäre gesellschaftliche Ordnung vorliegt, die Menschen marginalisiert und die in einem weiteren Schritt diese Ordnung dann räumlich abbildet. Konsequenterweise bezeichnen deshalb Böhmer und Blume (2016) ihre Sichtweise auf »die alltägliche Lebensführung in einem stigmatisierten Quartier« als einen »sekundären Raumeffekt« (153) und als »Territorialisierung des Sozialen« (154f). In der Stadtforschung ist dieser doppelte Prozess von sozialer Kategorisierung und sozialer Territorialisierung in unterschiedlichen Studien und Settings angewandt worden, wobei auch komparative Forschungen wie von Sakizlioglu und Uitermark (2014), bei der der Prozess der Gentrifizierung in einem Istanbuler und Amsterdamer Stadtteil verglichen werden, vorliegen. Trotz der offensichtlichen Unterschiede der staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte beider Städte, konnten die Forscher feststellen, dass die territoria-
77
78
Frank Eckardt
le und staatlich sanktionierte Stigmatisierung in beiden Fällen entscheidend war. Sowohl in Istanbul wie in Amsterdam gab man den Bewohner/innen die Schuld am sozialen Abstieg ihres Stadtteils. Sowohl in Tarlabaşı als auch in der Indische Buurt traf diese Stigmatisierung auf eine in vieler Hinsicht gespaltenen Bewohnerschaft, wodurch es staatlichen Akteuren einfach fiel, jeweils mit einem Teil der Nachbarschaft Koalitionen einzugehen und diesen Vorteilen gegenüber anderen zu gewähren. Wichtig ist in beiden Fällen, dass dieser staatlichen Intervention eine lange Zeit vorausging, in der es keine Bemühungen gab, um dem Niedergang der Nachbarschaft entgegenzuwirken. Die Macht über Zeit ist eine Ressource, mit der eine territoriale Stigmatisierung so weit umgesetzt werden kann, dass Verdrängungsprozesse der Armen ohne Widerstand ausgeführt werden können. Während diese Studie allerdings den Nachdruck auf das (fehlende) staatliche Handeln und somit mit einer zumindest impliziten staatlichen Sanktionierung die Auswirkungen der Stigmatisierung begründet, dürfte dies für Städte in entwickelten Wohlfahrtsstaaten und mit einer expliziten »area based«-Orientierung (Eckardt, 2006) nicht in dieser Weise zutreffen. Auch für die Niederlande beschreibt Uitermark (2011) eher den Umdeutungsprozess wohlfahrtsstaatlichen Handelns mit Bezug auf benachteiligte Stadtteile, als dass wirklich von einem Nicht-Handeln im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann. Es stellen sich hierbei zwei Fragen, die sich nach den Befunden von Uitermark und anderen im von Wacquant beschriebenen Konzept der territorialisierten Stigmatisierung ergeben. Wenn dem Staat auf die eine oder andere Weise eine so zentrale Rolle zugeschrieben werden kann, um gegen eine »soziale Territorialisierung« anzugehen, dann dürften erstens dort, wo sich staatliches Handeln in solchen Nachbarschaften gegen deren Marginalisierung aktiv entgegengestellt, die beschriebenen negativen Folgen nicht oder vermindert auftreten. Zweitens bleibt die Frage nach der sozialen und kulturellen Vermittlung von staatlich-sanktionierter Stigmatisierung oder Labeling im Allgemeinen, die in der Wahrnehmung zumindest von manchen Bewohner/innen Anschluss findet. Diese Frage zielt auf die intermediäre oder vermittelnde Ebene zwischen staatlichem (Nicht-)Handeln und der sozialen, symbolischen, diskursiven oder kulturellen Legitimierung. Ohne Zweifel kann Schweden als Beispiel für einen Wohlfahrtsstaat angeführt werden, der durch umfangreiche Leistungen in allen sozialpolitischen Bereichen der Vorsorge nicht mit einer Politik der »state sanctioned«-Stigmatisierung durch staatlichen Rückzug assoziierbar wäre. Dennoch werden auch die multikulturellen Stadtteile der schwedischen Großstädte stigmatisiert und die wohlfahrtsstaatlichen Interventionen und Investitionen scheinen daran nicht viel zu ändern (Bunar, 2011a). Als wesentlich scheint sich in diesen Fällen die ›Abstimmung mit den Füßen‹ zu erweisen, d.h. das Verlassen des Stadtteils durch Familien mit Kindern, um eine vermeintlich bessere Schulausbildung andernorts zu suchen. Es ist nachgewiesen, dass die Schulen in multi-
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
kulturellen Stadtteilen keine schlechteren Ergebnisse erzielen oder schlechter ausgestattet sind als andere (Bunar, 2011b), dennoch wird von den Eltern und den Schüler/innen befürchtet, dass man dort nicht so gut Schwedisch lernen könne. Durch den Besuch einer Schule in einem anderen Stadtteil sollen die Kinder vor einer möglichen Stigmatisierung beschützt werden. Zudem möchte man sich keine Normen und Werte in einer multikulturellen Umgebung aneignen, die in der Mainstream-Gesellschaft vielleicht nicht akzeptiert werden könnten. Obwohl die Schüler/innen und deren Eltern eine durchweg positive Meinung über die Qualität der Schulen in den multikulturellen Stadtteilen haben, ist ihre exit-Entscheidung vor allem durch »hot knowledge« motiviert, das sich auf die ethnische und soziale Komposition der Schülerschaft bezieht. Die Stigmatisierung wird nicht unbedingt von allen geteilt, aber man ist sich in erster Linie nicht sicher, ob die eigene individuelle Leistung gegen dieses ›heiße Wissen‹ in der Gesellschaft überzeugen kann. In der internationalen Forschungsliteratur (Sanders, 2003) wird angenommen, dass ein solches Dilemma durch starke Bindungen mit der Nachbarschaft aufgelöst werden kann. Die diagnostizierte Unsicherheit geht über den Radius der Nachbarschaft hinaus, weswegen Bunar schlussfolgert: »We need therefore to broaden the definition of the school community and look beyond the geographically, socially, and discursively erected ›Berlin Wall‹ surrounding some of the nation’s poorest neighborhoods.« (2011a, 156). Die Bedeutung von diskursiven Prozessen bei der Stigmatisierung von Stadtteilen wird immer wieder als eine eigenständige Ursache thematisiert (Hastings, 2004), aber in dem doppelten Marginalisierung-Territorialisierung-Schemata im makrogesellschaftlichen Konzept der territorialisierten Stigmatisierung von Wacquant nicht berücksichtigt. Dabei ist die stigmatisierende Rolle insbesondere von Lokalmedien belegt. Entscheidend bei der Einschätzung der Wirkung von lokalen Medien ist deren Verortung in dominanten Narrativen. Das betrifft oftmals bestimmte Aspekte einer Nachbarschaft, die sie von anderen unterscheidet, etwa die Unterbringung von Flüchtlingen in einer und der schlechte bauliche Zustand einer Großwohnsiedlung in einer anderen Nachbarschaft (Kearns et al., 2013).
S tigma und C harisma Wenn eine autonome Sphäre der Stigmatisierung durch die Multiplizität von Institutionen, Akteuren, Narrativen, Diskursen und symbolischen Welten insgesamt als makrogesellschaftliche Einordnung von territorialisierten Stigmatisierungen angenommen werden soll, dann wäre eine kultursoziologische Perspektive komplementär zu der strukturalistischen Analyse des Postfordismus notwendig. Wolfgang Lipp (2010) hat hierzu eine Perspektive, die nicht Goffman, sondern Max Webers Arbeiten über die »Qualität einer Persönlich-
79
80
Frank Eckardt
keit« als Ausgangspunkt nimmt, ausgearbeitet. Bekanntlich ging Weber davon aus, dass den in der Gesellschaft zentralen Personen eine herrschende Rolle zukommt, weil diese nicht nur eine fachliche Anerkennung ihrer persönlichen Qualitäten durch das Publikum erfahren, sondern eine gläubige und persönliche Hingabe hervorbringen, die als außeralltäglich erscheint und somit eine emotionale Legitimität von Herrschaft durch die Beherrschten begründet (vgl. Weber, 2016, 176ff). Diese Form der Beziehung zwischen Beherrschten und Herrschenden hat eine eindeutige Rollenzuordnung zufolge, die sich aus einem eher messianisch-religiösen Kontext abzuleiten scheint (Joosse, 2014), wonach der charismatischen Persönlichkeit ›gefolgt‹ und auf diese Art und Weise ein Vertrauen aufgebaut wird, das sich demokratietheoretisch als zumindest paradoxal darstellt (Seubert, 2002), da sich diese Gefolgschaft nur bestätigen kann, wenn sich der Herrscher durch quasi-religiöse Akte der Offenbarung oder der Heilung und im allgemein Heldenhaften immer wieder bestätigt. Für Weber verband sich der Auf bau dieser symbolischen Gemeinschaft von Führern und Gefolgschaft mit dem weitergehenden Bedürfnis der Beherrschten nach Sinnangeboten. Aus diesem Grunde vollzieht sich die charismatische Herrschaft im Kontext von Sinnorientierung und Wertperspektiven. Herrschaft entwickelt sich durch die Ankoppelung an diese ideellen Horizonte weiter und wird damit in erster Linie zu einem kulturellen Phänomen. Die Problematik einer solchen Konstruktion von Herrschaft, in der die emotionale Bindung die Basis für Zustimmung durch die Beherrschten darstellt, wird noch weiter durch Webers Annahme verschärft, dass insbesondere Outsider und Menschen jenseits der alltäglichen Lebenswelt eine charismatische Persönlichkeit werden können. Auf diese Weise wird das Entfremdungspotenzial moderner Gesellschaft in die intimsten und emotionalsten Bereiche der Beherrschten eingeführt. Webers Beschreibung charismatischer Herrschaft ist als eine Art Vorwegnahme der autoritären und faschistischen Persönlichkeiten in späteren Jahren gesehen worden (Kallis, 2006). So sehr eine aktualisierte Lesart in Zeiten neo-autoritärer Bewegungen auf der Hand zu liegen scheint, ist Webers Konzept charismatischer Herrschaft zwar immer wieder kasuistisch angewandt worden, jedoch ist es auch im hohen Maße kritikanfällig. Es bleibt unklar, in welchen sozialen Kontexten eine charismatische Persönlichkeit tatsächlich wirksam werden kann. Es ist offensichtlich, dass es besonderer Umstände bedarf, damit aus Outsidern Führern werden und diesen erlaubt wird, die bestehende alltägliche Ordnung zu unterbrechen und zu zerstören. Für die Aktualisierung des Charisma-Konzepts ist zudem zu bedenken, dass die gesellschaftlichen Umstände heute sicherlich anders einzuordnen wären als zum Zeitpunkt der Weberschen Analyse. In der kritischen Rezeptionsgeschichte der Weberschen Charisma-Konzeption wurde hervorgehoben, dass ebendiese gesellschaftlichen Umstände charismatische Persönlichkeiten hervorbringen und nicht, wie Weber behauptet, diese die Ordnun-
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
gen des Alltags in der Lage sind zu irritieren und davon zu profitieren. Aus diesem Widerspruch hinaus führt das interaktionistisch argumentierende Konzept von Lipp (a.a.O.), demnach das Charisma durch Charismatisierung und somit als ein Vermittlungsprozess zwischen den Ausgangsbedingungen und den in der Entwicklung des Charismas involvierten Handlungsträgern neu zu beschreiben ist. Ausgangspunkt für die Entwicklung von Charisma ist noch im Sinne von Weber auch für Lipp ein von der Normalität abweichendes Verhalten. Diese Devianz ist aber als ein vorgeschalteter Labeling-Prozess zu verstehen und nicht mehr als ein objektives Abweichen von Normen zu betrachten. Mit anderen Worten, vor der Entwicklung einer charismatischen Persönlichkeit haben in der Gesellschaft Stigmatisierungen und Labeling stattgefunden. Lipp verweist auf die flüssigen Grenzen, die es ausmachen, dass aus einem abweichenden Verhalten eine stigmatisierte Devianz wird, wenn aus einem ›anderen‹ Verhalten ein normativ abgewertendes wird. Dieser Abwertungsakt ist an Kontrollinstanzen gebunden und passiert nicht einfach so. Die Kontrolleure handeln aus einem Eigeninteresse heraus, das sie partikularistisch gegen soziale Gruppen durch Stigmatisierung umsetzen können, da sie über diese Macht ausüben können. Zuschreibungen, Verdichtungen und Fixierungen sind die Phasen, mit denen ein Stigma aufgezwungen wird, jedoch erklärt sich hierbei nicht, wie Veränderungen und Alternativen, Umkehrungen und Umdeutungen entstehen können, wenn man den gesellschaftlichen Kontrollinstanzen quasi eine allmächtige Position für diese Stigmatisierung unterstellt, in der die subjektive Seite nicht mehr konzeptionell als wesentliches Element des Fließens vom abweichenden Verhalten zum Stigma und Charisma auftaucht. Für die Labeling-Theorie handelt es sich dabei in erster Linie um Prozesse der Selbststigmatisierung, wobei sich diese zumeist als passive Akzeptanz zu Beginn und spätere Handlungsrelevanz, die die Machtverhältnisse nicht infrage stellt, darstellt. Es fehlt in dieser Hinsicht die Anerkennung dessen, dass Selbststigmatisierungen in verschiedenen Typologien etwa in asketischen, privatistischen, provokativen oder ekstatischen Formen auftreten und damit ein unterschiedliches Repertoire nutzen können, um dem Ziel der Sichtbarmachung von Stigma tatsächlich zu entsprechen. Erst diese Selbststigmatisierungen schöpfen die sozialmoralische Stringenz aus, mit der die Stigmata »prototypische Strahlkraft« entwickeln können (Lipp, a.a.O., 69). Selbststigmatisierung wirkt auf diese Weise auf die Kontrollinstanzen wieder zurück, da es diese zu einem Handlungsprogramm zwingt, das deren Macht demonstriert und den eigenen Machtanspruch weiter legitimieren soll. Auf diese Weise wird das Stigma auf die Spitze getrieben und setzt Energien von Beobachter/innen frei, die als Solidarisierung wirken können. Die Selbststigmatisierung geht damit in eine Phase der Dramatisierung über, in dem sichtbar soziale Schuld akzeptiert wird. Das Dramatische liegt nicht in der Provokation der Mächtigen, sondern ist eine Botschaft an das unbeteiligte Publikum,
81
82
Frank Eckardt
das durch die Akte von Stigmatisierten und Kontrolleuren in seiner Sinnkonstruktion herausgefordert wird. Die (Selbst-)Stigmatisierten gehen das Risiko der Vergeltung durch die Mächtigen ein, um durch die Irritation der moralischen Ordnung des Publikums von diesem in den Rang von Akteuren angesiedelt zu werden, für die diese Ordnung nicht mehr gilt: Götter. Damit steht das große Ganze auf dem Spiel, in dem die Stigmatisierten eine neue Rolle einnehmen können, und zwar eine führende, wenn es ihnen gelingt, sich selbst nun in einem anderen Licht darzustellen. Charisma und Stigma sind deshalb zwei Seiten einer Medaille. Ihr Umschlag funktioniert durch die Aktivierung von archetypischen Bildern, die kulturell als soziales Wissen verankert sind. Mythologien, Sprüche, Märchen, Redewendungen und Erzählungen mit ›Happy End‹ zeigen an, dass es in der Gesellschaft nutzbare kulturelle Sinnkonstruktionen gibt, die den Umschwung von Stigma zu Charisma plausibilisieren, sodass es zwar wunderhaft, aber nicht irritierend ist, wenn aus dem Saulus ein Paulus wird. Dieser Umdeutungsprozess lässt sich noch weiter konkretisieren. Mit der Dramatisierung des Stigmas geht bereits eine Zuspitzung der sozialen Etikettierung einher, die über den ursprünglichen ordnenden Kontrollanspruch der stigmatisierenden Akteure oder Institutionen hinausgeht und die generelle Rollenverteilung infrage stellt. Letzteres geschieht in der Regel durch den Versuch der Redefinition von Situationen, wobei es vor allem um Schuldzuweisungen geht, etwa der Verantwortlichkeit für abweichendes Verhalten. Die Neudefinition der Situation funktioniert derart, dass die Beurteilung einer spezifischen Situation durch eine Thematisierung der Gesellschaft insgesamt abgelöst wird. Dabei werden insbesondere Symbole oder symbolische Inhalte aus einem konkreten Kontext gelöst und in eine totale Perspektive verpflanzt, in der kontextuelle Bezüge bewusst aufgehoben werden sollen, um eine Polarisierung der Interpretation gesellschaftlicher Sinnangebote voranzutreiben. Ziel dieser Umdeutung von Symbolen ist das Erringen von Definitionsmacht oder die Tabuisierung von Symbolen, da diese von den Selbststigmatisierten als angegriffen gelten. So wird das Hässliche und Abweichende, das Böse und Abgründige zunächst mit Bezug auf bestimmte Symbole nicht mehr stigmatisiert, und sobald es in den Besitz der Selbststigmatisierer gelangt, mit einem charismatischen Schein versehen. Mit diesem Glanz geht ein nicht mehr zu hinterfragende Geltungsanspruch einher, damit die neu definierten Symbole auch normativ akzeptiert werden. Durch die Sozialisation von Normen durch prototypische symbolische Vorlagen werden diese damit auch über kurz oder lang handlungsmächtig. Selbststigmatisierer haben aber nur Erfolg mit dieser Umkehrstrategie und Charismatisierung, wenn sie beim Publikum auf eine Gefolgschaft hoffen können: »Sie impliziert, daß das Motiv, Schuld abzuschütteln – wie Selbststigmatisierer mit entschiedenem, existenziellem Widerstand es vorexerzieren –, verdrängten Wünschen, Sehnsüchten und Projektionen, Widerstand mitzuleisten und [...] Schuld [...] loszuwerden, auch allgemein ent-
6. Stigmatisier te oder stigmatisierende Räume?
spricht.« (A.a.O., 178) Wenn man diese Annahme unterstützt, kann die Beobachtung erfolgreicher Charismatisierungen danach analysiert werden, inwieweit diese verdrängten Emotionen schon vorher vorhanden waren. De facto kann ein Erfolg dieser Strategie der Umdeutung nur erzielt werden, wenn eine relevante Anzahl von Menschen sich in einer ähnlichen sozialmoralisch angespannten Position befindet. Dies dürfte wahrscheinlich vor allem für Krisenzeiten angenommen werden, wobei die Definition von Krise von einer großen Gruppe im Publikum geteilt werden müsste. Entscheidend scheint dabei auch zu sein, dass die kontrollierenden Instanzen so wahrgenommen werden, dass sie die alte moralische Ordnung nicht mehr wirksam durchsetzen kann und somit die Selbststigmatisierer als diejenigen erscheinen, die letztlich durch ihre Führungsqualitäten eine neue Ordnung auch wirklich umsetzen könnten. Sie bieten zudem Vorstellungen an, die versprechen neue Kräfte freizusetzen. Angewandt auf das Konzept der territorialen Stigmatisierung, wie es sich über die Annahme einer ursächlichen Postfordisierung der Stadt bei Wacquant darstellt, bedeutet dies, dass eine wesentlich offenere Erforschung von sozialmoralischen Dynamiken notwendig wäre, die sich nicht damit begnügt, einen kausalen Zusammenhang zwischen der objektiven Benachteiligung (abgelesen zumeist über sozialstatistische Vergleichsdaten) und einer subjektiven Verarbeitungsstrategie zu behaupten, die nur als entweder atomistische oder rebellisch-solidarische Option diskutierbar wäre. Es käme darauf an, dass das weite Feld charismatischer Politikangebote und Persönlichkeiten ins Visier genommen würde, das sich aus Prozessen der Stigmatisierung und Selbststigmatisierung ergibt. Dabei wäre auch erklärbar, wie sich insbesondere jene als stigmatisiert betrachteten Orte in charismatisch-autoritäre Hochburgen verwandeln können, in denen beispielsweise wie bei der Landtagswahl in Berlin 2016 Berlin-Marzahn die AfD gewinnt, nachdem dieser Stadtteil mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von armen Bewohner/innen bislang seit der deutschen Wiedervereinigung für die Partie »Die Linke« gestimmt hatte. Ähnliche Umschwünge von Stigmatisierung zu einer charismatischen Neudefinition von benachteiligten Stadtteilen lassen sich ohne ein dialektisches Verständnis der subjektiven Seite von stigmatisierten Stadtteilen nicht erklären.
83
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
Ankommen, Offenheit, Verordnung und Überforderung 1
Franziska Werner
Knapp zwei Jahre ist der fast schon zum stehenden Begriff gewordene »Sommer der Migration« (Kasparek und Speer, 2015; Hess et al., 2016) bereits her. Das in diesem Maße einmalige Überschreiten der europäischen Grenzen und des Mittelmeeres von unzähligen Menschen stellte eine neue Qualität und Dynamik von Migrationsbewegungen dar. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Prozesse findet allmählich Widerhall in entsprechenden Publikationen. Ein stückweit will sich dieser Beitrag darin einreihen. Dass die umfassenden Migrationsbewegungen 2015 nicht nur an den Grenzen und Transitorten Relevanz erlangen, sondern auch an den vielen Ankunftsorten der Geflüchteten etwa in Deutschland liegt nahe. Bezugnehmend auf diese lokalen Ein- und Auswirkungen des »Sommers der Migration« geht es hier im Rahmen des Buches vor allem, um die Rekapitulation empirischer Einblicke aus Thüringen als eine Beleuchtung der anderen Seite der Medaille von Anti-Asyl-Protesten: die Situation von Geflüchteten. Bevor es zum Rückblick auf 2015 kommt, sei eine kurze, sicher unvollständige Skizze der aktuellen Diskurse rund um das Themenfeld Asyl und Flucht in Deutschland und Thüringen als Ausgangspunkt zur Kontextualisierung von Entwicklungslinien vorangestellt. Diskursiv lassen sich sowohl quantitativ wie inhaltlich deutliche Verschiebungen in den letzten zwei Jahren erkennen. Die bereits Ende 2015 beginnenden Verschärfungen von Asylgesetzen in Deutschland und EU-weit sowie die Schließung von Grenzen und damit Verunmöglichungen von Fluchtrouten haben erheblich zur Begrenzung der Anzahl von Ankommenden nach Deutschland beigetragen, zwar nicht direkt im darauffolgenden Jahr so doch umso deutlicher Ende 2016/Anfang 2017 (Hess et al., 2016, 7; BAMF, 2017). Damit einhergehend lässt sich auch ein Rückgang 1 | Der Artikel ist eine Erweiterung des Abschlussberichtes zum Projekt »Willkommensstädte« (Eckardt et al., 2015) und fußt entsprechend auch auf der Arbeit der am Projekt beteiligten Studierenden sowie von Frank Eckardt und Anna Marie Steigemann.
86
Franziska Werner
der Thematik sowohl in Breite als auch Dramatik in den Medien feststellen. Anstelle der sogenannten Krisen- und Notstandsrhetoriken lassen sich nun erstens Themen über die jetzt bereits angekommenen Menschen finden etwa in Bezug auf Arbeits- oder Bildungsaspekte (u.a. Öchsner, 2017a; ZEIT ONLINE et al., 2017; Diekmann, 2017; MDR, 2017a). Zweitens wird wieder verstärkt über die EU-Ebene und damit verbundene Verantwortlichkeiten (bspw. der seit 2016 bestehende EU-Türkei-Deal) sowie über die zunehmenden Zahlen Toter im Mittelmehr berichtet (u.a. Bachstein, 2017; Jacobsen, 2017; Braun, 2017). Schließlich drittens gewinnt das Thema Abschiebungen an Bedeutung, insbesondere auch als eine Reaktion auf den Sommer 2015 wurde »die Abschiebungsmaschinerie wieder in Gang gesetzt […]« (Hess et al., 2016, 7) (u.a. auch Öchsner, 2017b; Sander, 2017; Schwarz, 2017). In Bezug auf Thüringen stehen in den Anfangsmonaten 2017 vor allem Themen wie Gesundheit (u.a. MDR, 2017b), der Rückbau von Unterbringungen (u.a. THÜRINGER ALLGEMEINE/dpa, 2017) sowie immer wieder Gewalt, in Form von Angriffen auf Unterkünfte und Geflüchtete sowie Gewalt zwischen Geflüchteten (u.a. Fischer, 2017) im Fokus. Vor diesem Hintergrund – das ›Ende‹ bereits vorwegnehmend – geht es im Folgenden nun um die Situation von Geflüchteten in Thüringen im Jahr 2015. Zentrale Zielstellungen dabei sind einerseits die Erläuterung der Situation anhand ausgewählter Fallbeispiele und andererseits, an den Titel anknüpfend die Beantwortung der Fragestellungen: a. Inwiefern finden sich Aspekte des Ankommens und der Offenheit gegenüber Geflüchteten?; b. Inwiefern geht es um Verordnung und Überforderung und von was und wem? Die präsentierten Einblicke sind Resultate des Lehrforschungsprojektes »Willkommensstädte«, welches im Sommersemester 2015 an der Bauhaus-Universität Weimar durch die Professur Sozialwissenschaftliche Stadtforschung und Studierende durchgeführt wurde. Daher erfolgt zunächst eine Erläuterung zur Entstehung, Vorgehensweise und Zielstellung des Projektes. Anschließend werden die untersuchten Kommunen einzeln porträtiert. Abgerundet wird der Beitrag mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einem Fazit zum »Sommer der Migration in Thüringen« und seiner charakteristischen Ambivalenz von Offenheit, Überforderung und Verordnung im Ankommensprozess von Geflüchteten.
D as P rojek t »W illkommensstädte «: A nkommen und O ffenheit in den B lick nehmend Die Ankunft von Geflüchteten aus den Krisengebieten der Welt hat Thüringen insbesondere in den Sommermonaten des Jahres 2015 – wie überall in Deutschland – vor viele Herausforderungen gestellt. Davon sind auch die Universitäten
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
nicht ausgenommen. Im Laufe des Wintersemesters 2014/15 begann das Thema die Feldstudien der Professur Sozialwissenschaftliche Stadtforschung der Bauhaus-Universität Weimar in thüringischen Kommunen zu überlagern, sodass Bürger/innen und Akteure vor Ort die Notwendigkeit signalisierten, dass dieses Thema die Anstrengungen aller bedarf. Auch von Seiten der Studierenden wurde eingefordert, dass die Bauhaus-Universität mit ihrer Geschichte als einer der Gesellschaft verpflichtete Ausbildungsstätte sich einbringen soll. Als schließlich auch Studierende aus dem Mittleren Osten, insbesondere aus Syrien, danach fragten, was man denn tun könne, um zur Integration der Geflüchteten beitragen zu können, war dies der Anstoß im Sommersemester 2015 das Thema aufzugreifen. Das Projekt »Willkommensstädte« fand seinen Anfang. Ziel des Projekts ist es gewesen, die aktuelle Situation zu verstehen und die Aufnahmeprozesse auf lokaler Ebene genauer zu untersuchen. Die Komplexität, Geschwindigkeit und der Umfang der Probleme, die dabei in den Blick gerieten, hat die »Willkommensstädte« zum bisher anspruchsvollsten Lehrforschungsprojekt der Professur gemacht. Mit 30 deutschsprachigen und zehn arabischsprachigen Studierenden wurden sechs Thüringer Kommunen erforscht. Dass anhand dieser Rahmung die Situation nicht in ihrer Gesamtheit abgebildet werden konnte, spiegelte sich auch im explorativen Forschungsdesign wider. In diesem Sinne liefert dieser Beitrag erste Einblicke in den »Sommer der Migration« in Thüringen ab. Die Auswahl der Kommunen erfolgte in einem dynamischen Prozess. Zunächst sollten, so war die Überlegung, nur eine oder zwei Kommunen ausgewählt werden, die in einer pro-aktiven Weise bereits eine Form von »Willkommenskultur« eingeführt haben. Aus diesem ursprünglichen Gedanken heraus leitet sich auch der Name des Projektes »Willkommensstädte« ab. Die Recherchen hierzu haben sich jedoch als nicht ergiebig herausgestellt, die »Thüringer Willkommensstadt«, die unterschiedliche Ebenen der Stadt sowie Akteure miteinander verbindend, dem Ankommen von Geflüchteten offen, kreativ und solidarisch begegnet, wurde nicht gefunden. Die gesuchte Offenheit im Ankommensprozess konnte vielmehr nur mit Abstrichen gefunden werden. Nichtsdestotrotz bestand die Annahme – auf Erfahrungen mit engagierten Personen zu anderen Thematiken in Thüringen auf bauend –, dass es in Thüringen genügend lokale Akteure gibt, die sich auf die ein oder andere Art und Weise im Sinne einer Willkommenskultur engagieren. Über den Kontakt zur Thüringer Initiative für Integration, Nachhaltigkeit, Kooperation und Aktivierung (ThINKA) konnten so die Kommunen Artern, Meiningen und Erfurt für das Projekt gewonnen werden. Die durch EU-Mittel finanzierte Initiative unterstützt und koordiniert kommunale Konzepte, die »[…] einen aktivierenden Beitrag zur sozialen Integration, zur Herstellung bzw. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und somit zum Abbau von Armut leisten. Dabei sind die Querschnittsziele und Prinzipien ›Nachhaltige Entwicklung‹, ›Chan-
87
88
Franziska Werner
cengleichheit und Nichtdiskriminierung‹ sowie ›Gleichstellung von Männern und Frauen‹ und die damit verbundenen Herausforderungen an die soziale Infrastruktur in den Wohnquartieren bzw. Sozialräumen zu berücksichtigen.« Momentan werden Projekte in 13 Thüringer Kommunen unterstützt (ThINKA 2017). Die drei anderen Kommunen – Mühlhausen, Gera und Jena – wurden aufgenommen, weil dort zivilgesellschaftliches Engagement für Geflüchtete im Besonderen aufgefallen ist und Studierende und Geflüchtete zu diesen bereits Kontakt hatten. Im Laufe der Arbeit entstanden zudem Kontakte zu anderen Kommunen, aber aus Kapazitäts- und Zeitgründen konnten diese nicht mehr in das Projekt integriert werden. Nach Recherchen und explorativen Erkundungen vor Ort zum Umgang mit den neuen Bewohner/innen und zum sozialräumlichen Kontext einer möglichen Willkommenskultur in den sechs Kommunen ergaben sich zum Teil sehr unterschiedlichen Themensetzungen in den Teilprojekten, je nach dem was aktuell in den Orten von größter Relevanz war, wie etwa die beruflichen Perspektiven oder die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden und Geflüchteten. Die empirische Vorgehensweise ist jedoch in allen Teilprojekten gleichsam in drei Phasen untergliedert gewesen. Die erste Phase widmete sich dem Kennenlernen der unterschiedlichen Situationen vor Ort und der Identifikation relevanter Themen, während die zweite Phase dann qualitative Interviews mit Geflüchteten und weiteren Akteuren in den jeweiligen Kommunen umfasste, die zum Teil von deutsch- und arabischsprachigen Studierendengruppen durchgeführt wurden. In der dritten Phase wurden diese ersten Erkenntnisse und empirischen Ergebnisse sowie mögliche Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung einer administrativen sowie gesellschaftlichen Willkommenskultur mit dem thüringischen Migrationsminister sowie der Migrationsbeauftragten Thüringens, aber auch den Geflüchteten, den Initiativen und der lokalen Bevölkerung diskutiert.
E rgebnisse aus den K ommunen Im Folgenden soll zusammenfassend dargestellt werden zu welchen Themen in den fünf (zu Gera siehe Kapitel 9) Kommunen die empirischen Arbeiten ausgeführt wurden. Der Übersichtlichkeit halber wird eine Beschreibung der konkreten Umstände etwa der Unterbringung von Geflüchteten nur insoweit Rechnung getragen, wie es für die thematische Fokussierung in den Fallbeispielen notwendig erscheint. Es bleibt zu betonen, dass weder das Projekt im Ganzen noch die nachstehenden Zusammenfassungen beanspruchen, die Situation von Geflüchteten in den Städten in Gänze zu repräsentieren.
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
Artern Artern ist für das Projekt »Willkommensstädte« von besonderer Bedeutung gewesen, da diese Kleinstadt mit ihren rund 5500 Einwohner/innen (Stand: 2015; TLS, 2016) einen Aufnahmeort repräsentiert, der für die thüringische Situation repräsentativer ist als die Großstädte Jena oder Erfurt. Die Herausforderungen an eine Willkommenskultur ergeben sich hierbei durch die geografische Lage, die eine Distanz zu wichtigen übergeordneten Versorgungseinrichtungen des Landes bedeutet. Dies wurde bereits bei der ersten Erkundung vor Ort am 23. März 2015 deutlich. Obwohl Artern durch seine periphere Lage die Situation von geflüchteten Menschen in einer Kleinstadt in Thüringen typisch widerspiegelt, ist die Stadt doch durch das Vorhandensein des ThINKABüros und der dort tätigen Sozialarbeiterin in einer glücklichen Lage. Damit werden vor Ort auftretende Probleme schnell sichtbar und behandelbar. Ausdruck dessen ist eine umfassende Liste von Themen, Schwierigkeiten und Problemen, die das ThINKA-Büro in Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde in Bezug auf die Situation von Geflüchteten erstellt hat. Dabei geht es im Kern um die Schwierigkeiten der Kommunikation, die sich durch die unterschiedlichen Sprachkompetenzen aufseiten der Geflüchteten wie in der deutschen Bevölkerung ergeben. Die Arbeit des ThINKA-Büros und der Ausländerbehörde vor Ort sind am Ziel der Integration der Geflüchtete, der Stärkung der Nachbarschaft, der Hilfe im Alltag und mit bürokratischen Anforderungen ausgerichtet. Hierbei ist die Anwesenheit der ThINKA-Mitarbeiterin und des Vertreters der Ausländerbehörde der Schlüssel für diese integrative und zur Offenheit aktivierende Arbeit. Am 11. Juni 2015 wurde die »Begegnung der Kulturen« organisiert, welche ein Kennenlernen und Zusammensein von neu angekommenen und deutschen Bewohner/innen ermöglichte. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung eröffnete Kontakte zu lokalen Akteuren und Geflüchteten sowie einen eigenen Eindruck dieser Aktion. Aus den Begegnungen, Beobachtungen und Gesprächen wurde folgende, verdichtende SWOT-Analyse erstellt. Stärken: Hervorzuheben ist, die integrative und vernetzenden Rolle des ThINKA-Büros. Es gibt bereits erste Deutschkurse in der Grundschule. Zivilgesellschaftliches Engagement ist zumindest in Teilen der Stadtbevölkerung ersichtlich geworden. Soziale Organisation wie die Thüringer Arbeitsloseninitiative und die Volkssolidarität sind wichtige Akteure in der Unterstützungsarbeit. Aufgrund der Größe der Stadt besteht zu Zeit eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten. Schwächen: Die wirtschaftliche Situation ist eher schlecht, seit 1990 fielen große Arbeitgeber/innen wie die Rohrzuckerfabrik und die Kyff häuser Hütten weg, was sich auch bis heute auf die Arbeitslosenzahlen auswirkt. Ähnlich wie in anderen ostdeutschen Regionen ist auch in Artern ein Rückbau von inf-
89
90
Franziska Werner
rastrukturellen Einrichtungen etwa im Bereich der Gesundheit und Bildung festzustellen. Die am Rande Thüringens gelegene Stadt weist zudem wenige Vernetzungen und Kooperation mit anderen und vor allem auch größeren Kommunen auf. Integrationsmöglichkeiten gibt es kaum, dies hängt insbesondere auch mit Kommunikations- bzw. Sprachbarrieren zusammen, so gibt es lediglich einen ehrenamtlichen Helfer mit Arabischkenntnissen. Eine geringe Vernetzung der vorhandenen sozialen Organisation steht eine übergreifenden Unterstützung von Geflüchteten im Weg. Es fehlt an entsprechend qualifizierten Mitarbeiter/innen bei der individuellen Begleitung und Beratung von Geflüchteten, etwa in Form eines Buddy-Programmes. Chancen: Es gibt eine Vielzahl von Vereinen, wie etwa das Jugendzentrum oder den Fußballverein, welche insbesondere Interesse gezeigt haben, mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen zusammen zu arbeiten. Im soziokulturellen Bereich werden neue Ereignisse wie das oben erwähnte »Begegnung der Kulturen« angeboten. Das vor kurzem sanierte Stadtzentrum bietet zumindest einige Einzelhandelsgeschäfte und Discounter als Einkaufsmöglichkeiten, in diesem Zusammenhang hat das Land Thüringen Förderprogramme aufgelegt, die die lokale Wirtschaft unterstützen sollen als auch eine mögliche Autobahnanbindung Arterns in Aussicht gestellt. Nicht zuletzt ist ein wichtiger Aspekt in der Kleinstadt die bisherige dezentrale Unterbringung der Geflüchteten, die aufgrund der Größe möglicherweise auch zukünftig umsetzbar bleibt. Risiken: Das Jugendzentrum stößt bei vielen Jugendlichen nur auf wenig Akzeptanz, viele halten sich eher im öffentlichen Raum auf. Internationale Migration ist in der Stadt ein neues Phänomen und stößt dabei auf Widerstand in der lokalen Bevölkerung, was gleichsam Unsicherheiten und Ängste bei den Geflüchteten auslöst. Die wichtige Anlaufstelle ThINKA-Büro ist mit der zusätzlichen Aufgabe der Unterstützung von Geflüchteten überlastet. Insgesamt zeigen sich in vielen Bereichen Kommunikationsschwierigkeiten in Bezug auf die Geflüchteten als auch mit ihnen. Trotz der positiv zu sehenden dezentralen Unterbringung in Artern, ist der schlechte Bauzustand der Plattenbauten zu erwähnen. Die Versorgung von Geflüchteten durch die lokale Tafel funktioniert nur in Teilen gut. Im Verlaufe der Analyse des Kontextes in Arten stellte sich das Thema gesundheitliche Versorgung und Kommunikation als zentral heraus. Diese Themenwahl war zudem motiviert worden durch berichtete Notfälle, in denen eine angemessene medizinische Betreuung durch fehlende Kommunikation, die geografischen Distanzen und eingeschränkte Mobilitätsstrukturen erheblich erschwert war. Bei der Recherche nach möglichen Verbesserungen für diese Situation stießen die Studierenden schnell auf die Organisation MediNet in Jena. Die Ausbreitung der Aktivitäten von MediNet außerhalb von Jena scheint eine wichtige Option zu sein, um in Städten wie Artern einen Anschluss für medizinische
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
Versorgung und Übersetzungen im Bereich der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Die geringen Kapazitäten von MediNet und die verstreute Ansiedlung der Geflüchteten wirken aber einer flächendeckenden Angebotsentwicklung entgegen, sodass eine vernetzte, ambulante Struktur sinnvoll wäre, die es gilt auch technisch zu unterstützen. Insbesondere die Verbesserung der Sprachkenntnisse aller Beteiligten, sprich im Gesundheitsbereich auch die des medizinischen Personals sind daher wichtig und sollte forciert werden. Zur besseren Koordination und Bereitstellung vielfältiger Angebote zur Unterstützung von Geflüchteten gilt es insgesamt die Vernetzung und Kommunikationsstrukturen der relevanten Akteure vor Ort zu fördern.
Erfurt Erfurt ist die Landeshauptstadt, die größte Stadt und eines der drei Oberzentren des Freistaates Thüringen. Daher sind auch alle wichtigen Institutionen neben den Landesbehörden und dem katholischen Bistum Erfurt in der Stadt konzentriert. Die Wirtschaft der Stadt ist somit vor allem von Verwaltung und Dienstleistung geprägt, aber bietet auch Beschäftigung in verschiedenen Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau, der Logistik-Branche sowie in der Mikroelektronik. Die Stadt hat rund 200.000 Einwohner/innen (Stand: 2015, TLS 2016). Bevor der Zuzug von Geflüchteten der letzten Jahre begann, lag der Anteil der sogenannten ausländischen Bevölkerung 2013 bei 3,8 % mit vor allem Osteuropa bzw. den GUS-Staaten und Vietnam als den Hauptherkunftsregionen (Wikipedia, 2017a). In der Großstadt gibt es daher nur wenige Viertel mit hervortretender ›ethnischer‹ Infrastruktur, wie z.B. religiösen Einrichtungen, von Migrant/innen geführten Geschäften oder Netzwerken, die den neu ankommenden Menschen hilfreich sein könnten. Die Stadt Erfurt nimmt in absoluten Zahlen Thüringenweit die meisten Geflüchteten auf, momentan sind dies rund 800 Menschen, ausgestattet ist die Stadt allerdings nur mit einer Infrastruktur für maximal 747 Menschen (Flüchtlingsrat Thüringen, 2015). Während Thüringen insgesamt nur 2,8 % (laut Königsteiner Schlüssel) aller Geflüchtete in Deutschland aufnimmt und in Thüringen der Anteil von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft lediglich bei von 2,6 % liegt (2014) (Flüchtlingsrat Thüringen, 2015), sind in Erfurt nur 0,4 % der Stadtbewohner/innen Geflüchtete und Asylsuchende. Die meisten der Geflüchteten in Erfurt sind in Sammelunterkünften untergebracht, etwa die Hälfte davon liegt eher am Stadtrand, oft handelt es sich dabei um Großwohnsiedlungen in Plattenbauweise. Als Großstadt weist Erfurt zahlreiche zivilgesellschaftliche, kirchliche und staatliche Initiativen, Institutionen und Organisationen auf, die sich der Aufnahme und Versorgung der Geflüchtete widmen. Oft herrscht aber dennoch kaum bis wenig Interaktion und Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren vor, auch beschränken sich viele der Akteure nur auf
91
92
Franziska Werner
einzelne Handlungsfelder und haben daher einen wenig holistischen Zugang bzw. kaum einen Überblick über die anderen relevanten Institutionen. Nach einer ersten Klärung der Fragen, wo, wie und wie viele Geflüchtete in Erfurt untergebracht sind und welche Akteure sich wie mit den verschiedenen Gruppen von Geflüchteten beschäftigen bzw. für diese zuständig sind, versuchten die Studierenden den sozialräumlichen Kontext Erfurt, nach Stärken und Schwächen hinsichtlich der Generierung einer Willkommenskultur zu analysieren. Stärken: Die große Vielzahl an lokalen Initiativen, Aktionen und ehrenamtlichen Engagement sind für Thüringen in Erfurt in besonderen Maße förderlich für die Situation von Geflüchteten. Eine gute Vernetzung zwischen relevanten Akteuren besteht bereits. Der Widerstand in der lokalen Bevölkerung ist in diesem großstädtischen Kontext weniger vorhanden als in den ländlich geprägten Regionen Thüringens. Die Unterbringung erfolgt an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlicher Ausgestaltung, was einer Konzentration von Geflüchteten entgegen wirkt. Schwächen: Ähnlich wie in den anderen Fallbeispielen stellen auch hier gerade die Sprachbarrieren Schwierigkeiten zwischen den Engagierten und Geflüchteten dar, der zum Teil restriktive Zugang zu Sprachkursen von Geflüchteten erschwert eine Verbesserung der Situation. Geflüchtete mit bereits vorhandenen Englisch- oder Deutschkenntnisse helfen zwar bei der Vermittlung sind aufgrund ihrer geringen Anzahl aber auch überlastet. Die soziale Isolation spielt eine große Rolle für Geflüchtete, es gibt wenige soziale Kontakte und dies insbesondere für Frauen. Es fehlt an Informationsmaterialien, um über die Gegebenheiten vor Ort aufzuklären. Der fehlende Zugang zum Internet erschwert es Geflüchteten in Kommunikation mit den Verwandten und Bekannten zu stehen. Solange Geflüchtete sich im Asylverfahrensprozess befinden, bestehen keine Arbeitsmöglichkeiten. Chancen: Erfurt als Landeshauptstadt könnte sich als symbolische Vorreiterin für eine ›Willkommenskultur‹ entwickeln, da gerade die Größe der Stadt mehr Potenzial zur Integration und Entwicklung dieser bietet, etwa in Form vielfältiger Angebote. Asylsuchende könnten aus dieser großstädtischen Perspektive auch eher als soziale Bereicherung empfunden werden. Die bereits länger existierenden Initiativen und zahlreichen Engagierten bieten eine solide und langfristige Grundlage für eine zu entwickelnde Willkommenspolitik. Die Hochschulen in Erfurt bieten eine weitere Möglichkeit der Integration im Bereich der Bildung. Risiken: Die Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Akteuren in der Unterstützung von Geflüchteten sind nicht ausreichend geklärt und klar definiert. Es fehlt an einem effektiven Monitoring der verschiedenen Angebote und Einrichtungen. Mit der immer größer werdenden Zahl der Geflüchteten
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
wächst die Überforderung des öffentlichen Bereichs wie auch der engagierten Initiativen. Um die SWOT-Analyse durchzuführen, zog die Forschenden-Gruppe, die sich sowohl aus deutschsprachigen als auch arabischsprachigen Personen zusammensetzte, auch statistische Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Situation Erfurts und der Geflüchteten heran und sondierte darüber hinaus auch den rechtlichen Rahmen, in welchem die Geflüchtete untergebracht, versorgt und weiter wirtschaftlich, sozial und kulturell integriert werden sollen bzw. dürfen. Anschließend wurden diese Daten an eine Kartierung der Erfurter Flüchtlingsunterkünfte gekoppelt, woraus erste Disparitäten der Versorgung offensichtlich wurden. Aus diesen Betrachtungen heraus ergab sich der thematische Fokus auf ›Arbeit, Bildung und Freizeit‹ bzw. die Möglichkeiten und der Zugang zu diesen Bereichen für Geflüchtete. Dafür wurden verschiedene Interviews mit Sozialarbeiter/innen und Geflüchteten aus Syrien und dem Irak durchgeführt. Die Interviews ergaben, dass die Unterbringung in der Eugen-RichterStraße als die beste Unterkunft beschrieben wurde. Diese ist auch eine der zentraler liegenden, in welcher die Geflüchteten sich eigene Wohnungen mit innenliegenden Küchen und Bädern teilen. In dem normalen Wohnhaus mit »privaten« Wohnungen sind die Geflüchteten zumindest vor Ort keiner kontrollierenden und überwachenden Instanz unterstellt. Dabei gibt es sowohl Wohnungen für Einzelpersonen, die sich in der Regel zu zweit eine Wohnung teilen, als auch Wohnungen für Familien, womit zumindest ein minimaler Grad an Privatsphäre gewährleistet ist. Allerdings kritisieren die Interviewpartner/innen, dass es in der Unterkunft keinerlei Fernseh- oder Internetanschlüsse gibt – auch nach Anerkennung des Aufenthaltsstatus haben sie somit kaum Zugang zu medialen und internetbasierten Informationen wie etwa über die Geschehnisse in ihren Herkunftsländern oder über verbliebene Familienmitglieder. Stark kritisiert wird auch, dass nach Anerkennung ihres Asylstatus, alle die Wohnungen nach einem Monat wieder verlassen müssen – geknüpfte Kontakte und Anfänge von Alltagsroutinen werden dadurch wieder zerstört. Aufgrund der Ressentiments von anliegenden Stadtbewohner/innen haben sowohl die dort untergebrachten Kinder als auch ihre Eltern Angst, die ›deutschen‹ Nachbar/innen zu stören etwa durch die Benutzung der öffentlichen Flächen rund um die Unterkünfte. Aufgrund dieser Angst schränken viele der Geflüchteten ihre Mobilität zusätzlich ein. Die meisten sozialen Aktivitäten, die Geflüchtete nachgehen können, müssen von den Sozialarbeiter/innen koordiniert werden, welche sich oftmals davon überfordert fühlen. Zudem wird in den Interviews mit den Geflüchteten und Sozialarbeiter/innen angemerkt, dass es keine oder kaum soziale und freizeitliche Angebote gibt. Somit gibt es kaum Rückzugsorte bzw. Orte, in welchen sich beispielsweise Frauen unter sich treffen, helfen und gegensei-
93
94
Franziska Werner
tig informieren können. Insofern als dass sie bereits Kontakte zu anderen geflüchteten Frauen geknüpft haben, treffen sie sich daher meist in den (kleinen) Wohnungen oder gehen gemeinsam einkaufen. Dies bedeutet, dass sich insbesondere Frauen zusätzlich in den Unterkünften zurückziehen und isolieren – während Männer sich häufiger auf den Straßen vor den Unterkünften und den bestehenden ›arabischen‹ Cafés in der Stadt treffen und damit freier bewegen können. Die Geflüchteten und Sozialarbeiter/innen sehen Deutschkurse als äußerst wichtig an für die weitere Integration in Erfurt, aber auch für die Gestaltung von Freizeitaktivitäten und den Zugang zu Bildung und Arbeit. Erst wenn der Aufenthaltsstatus geklärt und anerkannt wurde, haben die Geflüchteten Zugang zu Deutschkursen, was bedeutet, dass davor mehrere Monate ohne jegliche Beschäftigung, Abwechslung und häufig Struktur den Geflüchteten zugemutet werden. Laut den Geflüchteten fühlen sie sich daher häufig gänzlich ›verloren‹ in dieser Zeit. Weiter stellte sich in den Interviews heraus, dass sowohl das Deutschangebot für Kinder als auch die Eingliederung in Schulen unzureichend ist und zu lange dauert. Damit wird die Chance einer schnellen Integration dieser vergeben: Bevor Kinder und Jugendliche überhaupt Schulen besuchen dürfen, müssen diese 1.600 Stunden Intensivdeutschkurse belegen und dann fristgerecht damit zum Schulanfang bzw. Semesteranfang fertig und einer Schule zugeteilt sein, was in vielen Fällen bedeutet, dass Kinder mehr als sechs Monate ohne Zugang zu Bildung oder anderen Aktivitäten verbringen müssen. Dies gilt in ähnlichem Rahmen für den Zugang zu Arbeit für erwachsene Geflüchtete in Erfurt. Die Interviews zeigen, dass die Möglichkeiten einer Beschäftigung hauptsächlich von persönlichen Netzwerken sowohl der Geflüchteten als auch der Sozialarbeiter/innen abhängen. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation wäre es daher eine ›Community Plattform‹ einzurichten, auf der alle Akteure sich beteiligen und vernetzen können. Darüber hinaus sollten alle Erfurter Unterkünfte für Geflüchtete mit Gemeinschaftsräumen ausgestattet werden, die mit Fernsehern, Computern bzw. Internetzugängen versehen sind, um die Kommunikation mit anderen Geflüchteten, Sozialarbeiter/innen, interessierten Erfurter/innen, den Angehörigen in den Herkunftsländern als auch Informationen über gesetzliche Grundlagen, Einrichtungen, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten vor Ort und in Deutschland zu ermöglichen.
Jena Die Unterbringung von Geflüchteten in Jena (siehe auch Kapitel 8) erfolgt in verschiedenen Gebieten der Stadt. In diesem Teilprojekt wurde sich hauptsächlich in den randstädtisch, im Süden der Stadt gelegenen Stadtteilen Jena-Win-
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
zerla und Jena-Lobeda die Situation vor Ort angeschaut. Diese überwiegend durch Plattenbauweise geprägten Quartiere wurden mehrmals besucht, erkundet und die Situation der Geflüchteten untersucht. Erwähnenswert ist hierbei der historische Hintergrund von Winzerla: Hier lernten sich in den 1990er Jahren die drei Neonazis kennen, die die rechte Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bildeten und beschuldigt werden mehrere Morde an Migrant/innen und einer Polizistin in der Bundesrepublik verübt zu haben. Auch saß der mutmaßliche Unterstützer der Gruppe Ralf Wohlleben für die NPD Anfang der 2000er Jahre im Ortschaftsrat Winzerla (Generalbundesanwalt, 2011; Amtsblatt Stadt Jena, 2000, 211; Platzdasch, 2011). Neonazistische und rassistische Übergriffe und Vorfälle hat es immer wieder hier aber auch in Jena-Lobeda gegeben – so gab es im Juni 2015 einen Übergriff auf ausländische Studierende in Lobeda, der bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte (Debes, 2015). Dieser Kontext hat maßgeblich auch Einfluss auf die Möglichkeit der Etablierung einer ›Willkommenskultur‹ vor Ort. Die beiden Stadtteile sind Teil des Bund-Länder-Programmes »Soziale Stadt«. Zur Förderung sozial schwacher bzw. ›Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf‹ wurden an beiden Orten vor gut zehn Jahren Stadtteilbüros und Quartiersmanagement installiert. In deren Zuständigkeit fallen dementsprechend auch die Belange der seit kurzem dort lebenden Geflüchteten, wobei dieses Engagement auf Eigeninitiative der dort Tätigen erfolgt, einen städtischen Auftrag dazu gibt es bisher nicht. Daher wurden auch diese zentralen Anlauf- und Mediationsstellen in den Stadtteilen zum Ausgangspunkt der Untersuchung genommen und Interviews mit den dort aktiven Akteuren geführt. Es folgte dazu ergänzend ein Gespräch mit der Stadtverwaltung über deren Sicht auf die gesamtstädtische Situation. Abschließend wurden Interviews mit Geflüchteten geführt, die in einem der beiden Stadtteile leben. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem Irak oder Syrien besitzen fast alle Interviewpartner bereits einen Aufenthaltstitel und leben in Wohnungen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und Einschränkungen im Zugang zu beispielsweise Bildungseinrichtungen oder Integrationskursen sind für diese Gruppe andere als für Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden, in der Regel in einer Sammelunterkunft untergebracht sind und lediglich eine ›Aufenthaltsgestattung‹ haben. Durch die Gespräche haben sich zunächst unterschiedliche Perspektiven zwischen den Akteuren vor Ort und den Geflüchteten darüber abgezeichnet, wie die Situation für Geflüchtete in Jena eingeschätzt wird und was die zentralen Bedürfnisse dieser sind. Quartiersmanagement und Verwaltung schätzen die Lage überwiegend positiv ein – Bezug nehmend auf die vielen Organisationen und Ehrenamtlichen, die die Geflüchteten auf verschiedensten Ebenen unterstützen. Auch die Infrastruktur der Stadt im Generellen bietet alles Grundlegende zur Versorgung der Geflüchteten. Als zentrale Bedürfnisse der
95
96
Franziska Werner
Geflüchteten werden aus dieser Sicht der Zugang zu Bildung, Arbeit, sozialen Aktivitäten, Wohnungen und Sprachkursen identifiziert. Gleichzeitig wird aber auch eine angespannte, zum Teil rechte Stimmungsmache und Vorurteile in der Bevölkerung thematisiert (gerade in Bezug auf die ›NSU-Vergangenheit‹ in Jena), die einen Austausch, das Willkommen-heißen und Miteinander vor Ort erschweren, zum Teil dem diametral und feindlich entgegenstehen. Aus den Gesprächen mit den Geflüchteten selbst ergibt sich ein anderes Bild, woraus sich dann auch das zentrale Thema des Sich-zuhause-fühlens ergeben hat. Im Vordergrund für die befragten Geflüchteten steht das fehlende Gefühl anzukommen, zur Ruhe zu kommen und sich in diesem neuen Umfeld zuhause zu fühlen. Eine wesentliche Rolle sowohl für das Bedürfnis als auch der Suche danach spielen die individuellen Erfahrungen des Krieges, der Flucht, der Angst und des Verlustes. Durch diese traumatisierte, junge Vergangenheit geprägt, sind sie nun in einer ganz anderen Situation, in der sie ihren Alltag gestalten müssen und in denen neue Erwartungen an sie herantreten. Raum und Zeit für Verarbeitung und Aufarbeitung – auch weil die Situation in den Herkunftsländern noch keine andere ist und diese starke Auswirkungen auch hier vor Ort noch auf die Menschen hat – und auch das Kommunizieren über das Erfahrene und Erlebte gibt es gar nicht oder kaum. Einer aktiven Rolle nach außen, in die Stadt und in den Stadtteil im Sinne etwa des Nutzens von sozialen oder kulturellen Angeboten fällt unter diesen Bedingungen schwer. Im Ergebnis zeigen sich hier also großen Differenzen in den Vorstellungen davon, was generelle Bedürfnisse der heterogenen Gruppe der Geflüchteten sind, um ein Ankommen in der Stadt zu ermöglichen und im Gegensatz dazu die individuellen, viel kleinteiligeren, alltagsweltlichen Wünsche der Geflüchteten nach mehr als nur Ankommen, nämlich nach dem Gefühl des Sich-zuhause-fühlens. Eine Möglichkeit diese Diskrepanz zu bewältigen, könnte in der Etablierung einer Mediations- bzw. Ombudsstelle bestehen. Dieses wären im besten Fall Menschen mit den entsprechenden Sprachkenntnissen und interkulturellen Kompetenzen, vielleicht sogar auch Menschen mit ähnlichem Erfahrungshorizont, die als Schnittstellen fungieren: einerseits als Ansprechpersonen für Geflüchtete gerade auch über physisch-materielle Angelegenheiten hinausgehend, im Sinne eines Menschen, der zuhört, die Probleme ernst nimmt und anderseits aber auch als Mittlerposition, die Bedürfnisse und Problemlagen an relevante Akteure, Sozialarbeiter/innen und die Verwaltung weitergeben kann. Darüber hinaus ist der Ausbau der lediglich einen psychosozialen Beratungsstelle für Geflüchtete in Thüringen eine weitere Möglichkeit die Situation zu verbessern.
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
Meiningen-Jerusalem Meiningen ist eine Kreisstadt mit knapp über 20.000 Einwohner/innen südlich des Thüringer Waldes im fränkisch geprägten Süden des Landes im sogenannten Dreiländereck Hessen, Thüringen und Bayern. Als »Mittelzentrum« ist Meiningen die größte, aber dennoch eher peripher und eher schlecht angebundene Stadt im Landkreis Schmalkalden-Meiningen und gilt als das Kulturund Justizzentrum Südthüringens. Wirtschaftlich stützt sich die Kommune vor allem auf die Hightech-Branche, den Maschinenbau, den Tourismus sowie auf verschiedene Gesundheitseinrichtungen, allerdings herrschen in der Region ein starker Fachkräftemangel und eine starke Abwanderung von insbesondere jungen Menschen vor. Die Stadt verläuft entlang der Werra sowie der Hauptstraße und hat somit ein relativ kompaktes Stadtbild, das sich von Norden nach Süden ausdehnt und größere Höhenunterschiede aufweist. Meiningen steht wie die anderen kleineren Case Study-Kommunen seit 1990 unter einem enormen Wandelprozess und Veränderungsdruck und kann trotz intensiver Bemühungen bis heute nicht den Schrumpfungsprozess stoppen. Die Stadt sieht sich somit mit einerseits wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Problemlagen, wie etwa steigende Kosten für lokale Infrastruktur bei sinkenden Steuereinnahmen und manifest hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert, andererseits mit einer steigenden Zahl an Geflüchteten. Im Norden der Stadt liegt der Stadtteil Jerusalem, in welchem rund 4.500 Bewohner/innen überwiegend in den in Plattenbauweise errichteten Wohngebieten Utendorfer Straße und Kiliansberg, die vorwiegend zwischen 1969 und 1983 entstanden sind, und einem weiter entfernt liegenden 1990 errichteten Eigenheimgebiet leben (Wikipedia 2017b). Obwohl sich der Landkreis seit 2012 gegen zentrale Unterbringungen ausspricht, konzentriert sich in Jerusalem eine größere Gruppe von Geflüchteten. Jerusalem weist ähnlich wie andere Großwohnsiedlungsquartiere in Thüringen einen insgesamt eher schlechten Ruf auf, der zudem auf offenen Rassismus gegenüber Migrant/innen in dem Stadtteil trifft. Dagegen ergab die Forschung, dass auf Seiten der ehrenamtlichen Initiativen, der sozialen Träger und zum Teil auch der involvierten Behörden die Hoffnung besteht, dass man Geflüchtete auch nach der Anerkennung ihres Aufenthaltes halten kann, weil diese die leerstehenden Gebäude füllen, als soziale Bereicherung und als wirtschaftlich benötigte Fachkräfte gesehen werden. Neben dem ThINKA-Büro, das sich sozialarbeiterisch dem Stadtteil widmet, gibt es einen neu (seit 2015) gegründeten Freundeskreis Asyl, welcher sich der Integration und Beschäftigung der Geflüchteten widmet. Auch die ›Ausländer‹behörde sucht nach weiteren Möglichkeiten, Geflüchtete schneller, effektiver und sozial wie wirtschaftlich nachhaltiger unterzubringen und zu versorgen und beteiligt sich daher an dem im Dezember 2014 gegründeten Integrationsnetzwerk des Landkreises. So ist der Fachdienstleiter für Aus-
97
98
Franziska Werner
länder- und Personenstandwesen im Landratsamt Schmalkalden-Meiningen federführend zuständig für die Webseite des Netzwerkes (www.integration-lksm.de). Auf dieser finden sich nützliche Daten und Fakten zum Netzwerk für Integration sowie aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen und Termine zum Thema Asyl und Integration im Landkreis. Das Netzwerk für Integration engagiert sich für ein besseres Zusammenleben im Landkreis Schmalkalden-Meiningen mit deutschen und nichtdeutschen Bürger/innen sowie Organisationen, Arbeitskreisen und sonstigen – auch privaten Initiativen. Allerdings sind fast alle Informationen bisher nur auf Deutsch verfügbar. Insgesamt waren zum Stichtag 15.06.2015 im Landkreis SchmalkaldenMeiningen 635 zugewiesene Geflüchtete untergebracht. Aufgrund der bundesweiten Prognose zur Entwicklung der Asylbewerberzahlen ist damit zu rechnen – laut dem THINKA-Mitarbeiter in Jerusalem –, dass am Jahresende 2015 bis zu 1.000 Asylbewerber/innen und im Laufe des nächsten Jahres sogar bis zu 1.500 Personen dem Landkreis weiter zugewiesen werden. Aktuell sind in Meiningen Asylsuchende mit mindestens 20 und in Schmalkalden mit mindestens acht unterschiedlichen Nationalitäten untergebracht, davon sind etwa die Hälfte der Geflüchteten Kinder und Jugendliche, viele davon unbegleitet. Dies steht im Kontrast zur deutschen Bevölkerung in Jerusalem, die eine Altersstruktur mit einem sehr hohen Bevölkerungsanteil in den älteren Jahresgruppen aufweist. In Jerusalem leben zu Beginn der Forschung rund 330 Geflüchtete, die aus verschiedenen Ländern, hauptsächlich aber aus dem Balkan und Syrien kommen. Zahlenmäßig bedeutet dies, dass Geflüchtete momentan einen Bevölkerungsanteil von 8 % an der Gesamtbevölkerung im Wohngebiet Meiningen-Jerusalem ausmachen. Allerdings hat das Landratsamt zum Stichtag 15.06.2015 auch 132 Wohnungen im kompletten Landkreisgebiet (in mittlerweile 13 Kommunen) angemietet. Dennoch stehen die meisten Unterbringungsmöglichkeiten und dabei eher konzentriert in Plattenbaublöcken in den größten Kommunen des Landkreises, Meiningen und Schmalkalden, zur Verfügung. Die meisten angemieteten Wohnungen für Geflüchtete befinden sich in Jerusalem, wo sich auch eines der beiden lokalen ThINKA-Büros befindet. Da in diesen Teilprojekt niemand mit arabischen Sprachkenntnissen involviert war, wurde sich nach dem Sammeln erster Eindrücke vor Ort und einer anschließenden Bestands- und Bedarfsanalyse auf die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt fokussiert und deshalb Interviews mit Fachexpert/ innen in den lokalen Handelskammern, Behörden, Betrieben, Ausbildungsinstitutionen und Initiativen durchgeführt. Die verdichtete Stärken-Schwächen Analyse der Situation in Meiningen ergab folgende wichtige Ansatzpunkte: Stärken: Die lokalen Akteure weisen positive und motivierte Einstellungen gegenüber den Neuankommenden auf. Die Kommunikationsstrukturen zwischen den Akteuren funktionieren gut, verstärkt auch durch das gegründe-
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
te Netzwerk Integration. Die räumliche Nähe im Stadtteil Jerusalem zu den relevanten Ämtern, Behörden und sozialen Trägern ist in Bezug auf die Alltagswege der Geflüchteten positiv zu bewerten. In Meiningen ist die Mehrzahl der Geflüchteten dezentral, sprich in Wohnungen untergebracht. Die Unterstützung bei der Arbeitssuche wird weitestgehend unabhängig vom Asylstatus offeriert. Schwächen: Es gibt zahlreiche inter-ethnische Konflikte aufgrund der gesammelten und dichten Unterbringung verschiedener Gruppen im dicht bebauten Stadtteil bzw. im gleichen Block oder derselben Etage. Trotz der dezentralen Unterbringungen konzentrieren sich die Geflüchteten in einem eher peripher und schwer zu erreichenden Stadtteil Meiningens. Die Stadt selbst liegt ebenfalls eher peripher – viele Geflüchtete suchen ein urbaneres und offeneres Umfeld. Viele Mitarbeiter/innen der Institutionen haben keine Kenntnisse der Sprachen der Geflüchteten und nur wenig oder begrenzte Englisch- und/oder Französischkenntnisse. Die Geflüchteten haben sehr unterschiedliche Berufs- und Bildungsgrade, die gekoppelt mit mangelnden Sprachkenntnissen die Eingliederung in Berufs- und weiterführende Schulen erschweren. Chancen: Das aufgebaute Netzwerk Integration bietet eine gute Grundlage zur Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Zumindest laut der vor Ort Engagierten gibt es die Vorstellung bzw. den Wunsch Meiningen als eine Willkommensstadt zu entwickeln. Aufgrund der Größe der Stadt bestehen enge Kontakte zu relevanten Unterstützungsstrukturen, die Integrationsmöglichkeiten erleichtern, dies trifft ebenso auf die dezentrale Unterbringung zu. Es besteht die Hoffnung, dass die Geflüchteten bleiben und somit dem vor Ort vorhandenen Fachkräftemangel entgegenwirken. In eine ähnliche Richtung verweist die Hoffnung durch den Zuzug von Geflüchteten nach Meiningen den Schrumpfungs- und Überalterungsprozesse zu begegnen. Risiken: Pegida-Ableger sowie andere rechte Strömungen und Gruppen sind vor Ort präsent und machen Stimmung gegen Geflüchtete. Es besteht die Befürchtung, dass mit steigender Anzahl von Geflüchteten auch die Ablehnung und Skepsis ihnen gegenüber in der Bevölkerung zunimmt. Viele der Geflüchteten möchten lieber in Großstädte, wo sie häufig bereits Kontakte haben und auch bessere Arbeits- und Lebenschancen sehen – auch haben viele Geflüchtete bisher in urbanen Kontexten gelebt und gearbeitet. Viele verlassen daher Meiningen, sobald ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist. In vielen der Jobs, die an Geflüchtete vermittelt werden, ist der Grad an Ausbeutung bzw. die Ausbeutungsgefahr groß. Auf der Basis dieser Analyse und den Interviews mit lokalen Expert/innen erfolgt die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Restriktionen bei der Vermittlung in Beschäftigung, unter Einbezug lokaler, regionaler, landweiter und bundesweiter Programme, Institutionen und Mittel. Zunächst
99
100
Franziska Werner
wurde die Aufarbeitung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die vor allem eine Vermittlung und Weiterbeschäftigung, aber auch die Beendigung einer Ausbildung oder Praktikums verhindern, durchgeführt. Des Weiteren wurde eine Übersicht über beteiligte, relevante Akteure und Instanzen in Meiningen erstellt sowie best-practice Beispiele aus anderen Bundeländern und Regionen Deutschlands gesammelt. Als Ergebnis ist für die kommunale Ebene hervorzuheben, dass am wichtigsten das schnelle und ausreichende Erlernen der deutschen Sprache seitens der zu vermittelnden Geflüchteten, aber auch der Weiterqualifizierung der potenziellen Arbeitgeber/innen hinsichtlich fremdsprachlicher (v.a. Englisch) und interkultureller Kenntnisse ist. Die abschließenden Empfehlungen, die aus der Analyse erarbeitet wurden, sind daher die Abschaffung der sogenannten Vorrangprüfung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen, den Ausbau von Sprachkursen für Geflüchtete, das Bleiberecht während bestehender Ausbildungsverträge und Praktika, freie Wahl des Wohnund Arbeitsortes, da viele der Geflüchtete am Ort ihrer Wahl eher auch ihren erlernten Beruf oder ihr Studium ausüben und weiterführen könnten. Für die ausbildenden, Arbeit gebenden und in die Beschäftigung vermittelnden Akteure gilt es ebenfalls Sprachkurse in Englisch, Weiterbildungen zu interkultureller Kommunikation, aber auch eine generelle stärkere Fokussierung auf die mitgebrachten Qualifikationen und Abschlüsse der Geflüchteten auszubauen. Eine landkreis- oder thüringenweiten Datenbank wäre eine gute Möglichkeit, damit sich dort suchende Betriebe über geeignete Mitarbeiter/innen informieren und Stellenangebote melden können.
Mühlhausen Die Wahl von Mühlhausen für das Projekt »Willkommensstädte« begründet sich durch das Engagement von Bürger/innen und Akteuren des »Runden Tisch« bzw. des Arbeitskreises »Soziale Integration«. Während der Recherchen zum Thema bürgerschaftliches Engagement für Geflüchtete war außerhalb der Großstädte nur wenig zu finden. Die einzige Rückmeldung an die engagierten Vereine und Institutionen im ländlichen Raum kam aus Mühlhausen von dem Verein »Miteinander e.V.«, der von einem engagierten Ehepaar maßgeblich geleitet wird. Dieser ist vom Landrat beauftragt worden, den Arbeitskreis zu diesem Thema zu organisieren. Im Landkreis wurden auch noch weitere Arbeitskreise zu verschiedenen Unterthemen der Aufnahme von Geflüchteten eingerichtet. Diese Formen der Vernetzung von Politik und den Akteuren des Landkreises ist mancherorts in Thüringen zu beobachten, etwa auch in Meiningen. Durch Teilnahme an dem dritten Arbeitskreistreffen eröffnete sich die Gelegenheit die Aktivitäten und Personen, die sich für die Geflüchtete einsetzen, kennenzulernen. Daraus ergaben sich Kontakte, die für weitere Besuche genutzt werden konnten. Der erste Eindruck von viel
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
Sympathie und Einsatzbereitschaft für die Geflüchteten, zog sich durch alle weiteren Begegnungen in Mühlhausen. Sowohl Ehrenamtliche als auch die behördlich Beauftragten haben sich nach den Beobachtungen in einer Weise der Betreuung von Geflüchteten gewidmet, die sie an die Grenzen des Leistbaren gebracht hat und die nur durch viel Flexibilität und Verantwortungsgefühl in dieser Weise geleistet werden konnte. Diese Betreuungssituation wird erheblich durch die zentrale Rolle des Ehepaars des Vereins »Miteinander e.V:« gewährleistet. Es bestätigt sich also die Annahme, dass es gerade im kleinstädtischen Kontext auf ›Ankerpersonen‹ ankommt, die in der Stadt gut vernetzt sind und glaubwürdig erscheinen. Die Vereinsstruktur ist jedoch sehr anfällig für Belastungen, was die Grundorganisation betrifft. Mit anderen Worten, von Beginn an wurde deutlich, dass die ehrenamtliche Arbeit von Aufgaben der (Selbst-)Organisation entlastet werden müsste. Bis dato war eine personelle Unterstützung durch eine Mitarbeiterin finanziell durch externe Projektförderung abgesichert. Diese Mitarbeiterin engagiert sich nun für dieselben Aufgaben aufgrund persönlicher Motivation ehrenamtlich. Um die Finanzierung der Organisation zu erreichen, wird nun viel Zeit investiert, um erneut eine projektorientierte Förderung zu erhalten. In Anbetracht der doch begrenzten ehrenamtlichen (Zeit-)Ressourcen ist dies problematisch, da die interkulturellen Kompetenzen dieser Mitarbeiterin in der direkten Flüchtlingsbetreuung benötigt würden. Es ist in Mühlhausen gelungen, ein Netzwerk von Aktiven zu gründen, das bereits in der kurzen Zeit seines Bestehens einen beachtlichen Lernprozess durchlaufen hat. Hierbei ist hervorzuheben, dass die Teilnahme der Bürger/ innen nicht auf Dauer gewährleistet oder eine dringende Erweiterung des Teilnehmerkreises erreicht werden kann, wenn dieser Prozess nicht die notwendige Anerkennung und Unterstützung erhält. Hinsichtlich der Anerkennung wäre eine angemessene Repräsentation in den Medien, durch die politisch Verantwortlichen im Freistaat und andere Institutionen (etwa durch Spenden der Wirtschaft etc.) symbolisch wichtig. Die notwendige Unterstützung bezieht sich auf eine gewisse finanzielle Absicherung jener Tätigkeiten, die das ehrenamtliche Engagement erst ermöglichen können. Das bedeutet aber auch, dass ein dringendes Bedürfnis nach Kommunikation, Austausch und Information vorhanden ist. Sich in einem eher dünn besiedelten Landkreis zu engagieren, erfordert eine Anbindung an landesweite Netzwerke, in denen die Erfahrungen in der direkten Kommunikation mit Geflüchteten reflektiert werden können, weil hierzu vor Ort nicht genügend Menschen mit interkulturellen Erfahrungen zur Verfügung stehen. Während der Projektzeit fiel auch die Debatte um die Einrichtung einer landesweit dritten Erstaufnahmeeinrichtung in der ehemaligen Görmar-Kaserne. Die Demonstration gegen die Umnutzung der Kaserne und die spätere öffentliche Diskussion mit Thüringens Migrationsminister Dieter Lauin-
101
102
Franziska Werner
ger (Grüne) haben darauf verwiesen, dass die Aufnahme der Geflüchteten in Mühlhausen trotz der oben beschriebenen engagierten Bürger/innen kontrovers betrachtet wird und keineswegs selbstverständlich ist. Vorbehalte gegenüber Geflüchteten sind auch in den geführten Gesprächen mit den Akteuren und von den Asylsuchenden selbst erzählt worden. Erschwerend kommt hinzu, dass es eine organisierte rechte Szene gibt, die sich beispielsweise aktiv bei der Demonstration vor der Grömar-Kaserne beteiligt hat. Die schnelle und intensive Kommunikation der Verantwortlichen im Kontext dieser Kontroversen, bei denen auch kein Zweifel an der Akzeptanz der Geflüchteten gelassen wird, wurde als notwendiger, aber noch nicht hinreichender Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation über das Thema der Aufnahme von Geflüchteten beschrieben. Eine langfristige und nachhaltige Kommunikationskultur wird als zentral für die Etablierung einer lokalen Willkommenskultur angesehen. Kommunikation, so war der erste und immer wieder eindringlich vorgebrachte Aspekt in den Interviews insbesondere mit den professionell mit der Integration von Geflüchteten Beauftragten, ist die wichtigste Schnittstelle für alle Themen und Probleme, die es im Zusammenleben zwischen Deutschen und Geflüchteten gibt. Hierbei ist die Vermittlung von Regeln und Normen ein zentraler Aspekt, der von Seiten der deutschen Interviewpartner/innen hervorgehoben wurde. Insbesondere im alltäglichen Zusammenleben wirkt sich die sprachliche Differenz aus. Hier sind die Kapazitäten von Übersetzungen, Deutschkursen und auch das ehrenamtliche Patentschaftsmodell überfordert. Das Sprachproblem könnte durch Informationsmaterial über grundlegende Themen zum Ankommensprozess in den ersten Tagen auf Landesebene angegangen werden, da sich die Fragen in allen Städten und Gemeinden Thüringens ähneln. Hier erscheint eine relativ einfache, eventuell piktografische Lösung vor allem für die weniger ausgebildeten Geflüchteten sehr hilfreich und auch durch entsprechendes Anschauungsmaterial im Grunde schnell produzierbar zu sein. Jedoch haben die geführten Gespräche auch schnell ergeben, dass Erwartungen an eine solche technische Hilfe eventuell überzogen sind, da viele Ansprüche an das Verhalten der Geflüchteten nicht wegen sprachlicher, sondern kultureller Fremdheit vermittelt werden können. Sicherlich kann man in alle Sprachen übersetzen, was die GEZ ist, aber der Sinn dieser Gebühren – von denen man Befreiung beantragen will –, ergibt sich nicht durch bloße sprachliche Übersetzung. Insbesondere bei Konflikten um die Nachtruhe, der Mülltrennung und die Wohnungs- und Umfeldsorge stoßen Geflüchtete und Deutsche aufgrund anderer Lebensgewohnheiten und Normenvorstellungen aneinander. Normenakzeptanz und das Lernen von Regeln scheint mit der berechtigten Klage über Kommunikationsprobleme einher zu gehen. Aus der Sicht der interviewten Geflüchteten haben diese Konflikte einen anderen Stellenwert. Auch sie beklagen die Kommunikationssituation. Hierbei ist aber ein wichtiger Unterschied zwischen der dezentralen (in Mühl-
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
hausen) und der zentralen Unterkunft (Obermehler) festzustellen. Auf den Punkt gebracht kann man sagen, dass die Unterkunft in der Abgeschiedenheit von Obermehler bereits jetzt nach wenigen Wochen der Eröffnung von den Geflüchteten als teilweise sehr belastend erfahren wird. Die geografische Distanz zu Mühlhausen und dem Rest der Welt bei gleichzeitigem Mangel an anderen Informations-, Unterhaltungs- und Kommunikationsmöglichkeiten wirkt sich eindeutig negativ auf die psychische Konstitution der Geflüchteten aus. Dies wurde sehr deutlich in den geführten Interviews vor Ort, teilweise unter Tränen, gesagt. »Ich habe hier das Gefühl, keine Stimme mehr zu haben«, so ein syrischer Architekt. Dies muss auch angesichts der aktiven Sozialarbeit vor Ort konstatiert werden, die diese strukturelle Isolation beim besten Willen (der vorhanden ist!) nicht kompensieren kann. Ähnliche Klagen gab es von den von uns interviewten, syrischen und eritreischen Geflüchteten, die in Mühlhausen leben, nicht. Für die Geflüchteten spielen deutlich andere Themen eine Rolle, als die vorgebrachten Normenkonflikte auf deutscher Seite. Ersichtlich wurde das übergroße Interesse an einer aktiven Teilhabe an der deutschen Gesellschaft, insbesondere mit Bezug auf Arbeiten. »Ich würde gerne etwas geben, ich habe noch nie Hilfe von anderen gewollt und genommen. Ich möchte geben, nicht nehmen«, so ein Geflüchteter aus Mühlhausen. Viele Geflüchtete möchten dabei gerne eher auch unternehmerisch tätig werden, als unbedingt nur vorhandene Arbeitsplätze einzunehmen. Eine eigene Autowerkstatt beispielsweise, wäre der Traum von zwei Eritreern in einer Stadt, in der es nur vier Werkstätten gibt. Die Zusammenführung der Familien hingegen spielt insbesondere für die Syrer/innen eine große Rolle und belastet sie erheblich. Für alle ist der ungeklärte rechtliche Status eine schwere Bürde. So kann ein Geflüchteter auch nach elf Jahren legalen Aufenthalt keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen und somit auch keinen Kredit für sein kleines Unternehmen, das immerhin 13 Menschen beschäftigt.
F a zit – V erordnung und Ü berforderung konstatierend Die hier vorgestellten Teilstudien des Projektes »Willkommensstädte« deuten auf bestimmte Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Risiken in der Ankommenssituation von Geflüchteten im Jahr 2015 in Thüringen hin. Diese sind auf die eine oder andere Weise von den befragten Akteuren selbst geäußert worden und werden an dieser Stelle deshalb auf die wesentlichen Aspekte reduziert systematisch wiedergeben. Obwohl Unterschiede – insbesondere bezüglich der Größe und Lage der Städte – feststellbar sind, lassen sich insgesamt folgende Aspekte generalisierend zusammenfassen:
103
104
Franziska Werner
Stärken: Es besteht eine allgemeine Akzeptanz gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten und die Idee einer ›Willkommenskultur‹ scheint vermittelbar und schließt an ein vorhandenes Selbstbild Thüringens an. Teile der Bevölkerung vertreten dieses auch explizit. Dies trifft vor allem aber auf die von uns interviewten Akteure zu, die als engagiert und von der Sache überzeugt wahrnehmbar waren. Ausdruck dessen ist oftmals eine über das Erwartbare hinausgehende Aufgabenerledigung und Orientierung an den Problemen der Geflüchteten. Im Ergebnis ist es damit auch in teilweise ›unorthodoxer‹ Weise gelungen, die Unterbringung und Versorgung unter hohem Zeitdruck und somit das Ankommen der Geflüchteten zu gewährleisten. Schwächen: Während die materielle Versorgung in der Regel keine unlösbaren Probleme aufweist, wird erst langsam klar, dass die soziale Integration der Geflüchteten erst am Anfang steht und andere Herausforderungen birgt. Hierbei können die Integration in den Arbeitsmarkt und in das Bildungswesen als entscheidende Bereiche identifiziert werden, die das Gelingen der Integration wesentlich bestimmen werden. In vielen Kommunen fehlt es hierzu an Erfahrung und Ressourcen. Darüber hinaus wird vielerorts deutlich, dass die Integration der Geflüchteten eine Querschnittsaufgabe ist, die sich an einem übergreifenden Konzept der Willkommenskultur orientieren müsste, das aber bislang noch nicht vorliegt. Eine Verordnung eines solchen Konzeptes etwa durch die Landesregierung allein würde jedoch nicht ausreichen, da es auch der Akzeptanz auf lokaler Ebene dafür bedarf. Möglichkeiten: Besonders hervorzuheben sind die neuen Möglichkeiten, die sich durch ehrenamtliches Engagement und ein gewisses Interesse und auch Sympathie (vor allem mit den syrischen Geflüchteten) ergeben. Neue Organisationsformen wie »Runde Tische«, »Arbeitskreise« und Patenschaftsmodelle werden ausprobiert und scheinen bereits einen Lernprozess von der abstrakten zur konkreten Integrationsarbeit zu vollziehen. Diese Ausgangspunkte von Offenheit und Engagement gegenüber Geflüchteten könnten für Thüringen die Chance bieten, eine Willkommenskultur auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen und Bürger/innen sowie verschiedenste Institutionen und Organisationen zu dem Thema zu motivieren und zusammenzubringen. Hierbei sollten vor allem auch die Geflüchteten als aktive Partner/innen gesehen werden, diesen Prozess zu gestalten und mit ihren Kompetenzen einen Beitrag zu anderen gesellschaftlichen Problemen (vor allem dem demografischen Wandel, Schrumpfungsprozesse, Arbeitskräftemangel) in Thüringen zu leisten. Risiken: Nach wie vor mangelt es an Kommunikation zwischen wichtigen Akteuren, mit Bürger/innen und mit den Geflüchteten selbst. Vorhandene(r) Vorurteile, Stereotype und Rassismus werden dadurch potenziell bestärkt und der langsame Auf bau von interkulturellen Kompetenzen in Thüringen wird erschwert. Viele engagierte Akteure und Bürger/innen beklagen zudem, dass sie vom Ausmaß und der Komplexität, aber auch durch die Begegnung mit
7. »Sommer der Migration« 2015 in Thüringen
traumatisierten Geflüchteten überfordert sind. Hinsichtlich der Problemwahrnehmungen gibt es gegensätzliche Sichtweisen zwischen Geflüchteten und Deutschen. Während die Asylsuchenden ihre psychischen Belastungen und die fehlende soziale und politische Integration als Problem erfahren, wird diese Sichtweise auf deutscher Seite erst langsam anerkannt. Zu beobachten sind Äußerungen von Ohnmacht und Ratlosigkeit, die die Kommunikation noch weiter verschlechtern. Die Idee das Projektes »Willkommensstädte« ist es Orte des Ankommens und damit einhergehend der Offenheit gegenüber den Neuankommenden zu finden. Die Analysen der Beispielkommunen haben insgesamt ein weniger eindeutiges Bild ergeben. Trotz des überall auffindbaren hohen Engagements und der Offenheit von Institutionen, Gruppen und Einzelpersonen haben sich durch die verordneten gesetzlichen Rahmenbedingungen (Arbeitsverbot, keine freie Wohnraumwahl etc.) Probleme ergeben, die mit bürokratischen Hürden und wenig Flexibilität einhergehen. Die Schwerpunktlegung der seit 2014 regierenden rot-rot-grünen Landesregierung auf das Themenfeld Migration und deren Chancen für Thüringen, zeigt sich womöglich bei den Engagierten, flächendeckend jedoch weitaus weniger. Rechte Gruppen und ›besorgte‹ Bürger/innen mit ihren ablehnenden bis rassistischen Einstellungen haben an den untersuchten Orten immer auch eine diskursive und auf der Straße praktische Präsenz gezeigt. Die damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten sowohl der Geflüchteten, als auch jener die sie unterstützen, beschreiben eine schwierige Ausgangslage. Nicht zuletzt seien auch die Grenzen des Leistbaren im ehrenamtlichen Bereich ein Ausdruck der durch Überforderungen auf verschiedenen Ebenen geprägten Situation in den Kommunen. Vor diesen Eindrücken der Folgen des »Sommers der Migration« in Thüringen gilt es in kommenden Forschungen die weiteren Entwicklungen in den Blick zunehmen, um Normalisierungs-, Verschärfungs- oder Veränderungsaspekte durch die zurückgehenden Zahlen Ankommender, den Wandel zu (noch) restriktiveren Asylgesetzen als auch die veränderte politischen Stimmungslage insgesamt auf lokaler Ebene zu beleuchten.
105
8. Angekommen in Winzerla
Die Perspektive der Flüchtlinge
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
Zwei afghanische Flüchtlinge wurden am 1. Januar 2016 vor der Turnhalle in Jena-Winzerla, in der sie untergebracht sind, angegriffen. Die Polizei startete eine Großfahndung, bei der auch ein Hubschrauber eingesetzt wurde, um zwei Täter mit Teleskopschlagstöcken aufzuspüren. Die betroffenen Flüchtlinge mussten in einem Krankenhaus versorgt werden (OLZ, 13.1.2016) Das Recherche-Team von »indymedia linksunten« berichtet, dass ihnen die Angegriffenen davon berichteten, »dass sie bereits in den Tagen zuvor terrorisiert worden seien. Mehrfach seien nachts unbekannte Personen zum Lager gekommen, um gegen Türen zu treten und zu klopfen [...] Im Lager herrschen Angst und Unsicherheit.« (Linksunten.Indymedia, 2016) Auch Pastorin Friederike Costa, die sich im Flüchtlingsfreundeskreis in Winzerla engagiert, bestätigt dies: »Zuvor hatte man zwei syrischen Männern die Fahrräder, die wir im Flüchtlingsfreundeskreis für sie organisiert hatten, völlig kaputt getreten.« (TLZ, 20.1.2016) Sie und andere Unterstützer müssten sich zudem mit verbalen Attacken in der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Am 18. Januar organisiert der Winzerlaer Flüchtlingsfreundeskreis eine symbolträchtige Solidaritätsaktion, bei der weiße Rosen vor dem zentral gelegenen Supermarkt am Damaschkeweg verteilt werden. Die weiße Rose ist deshalb ausgewählt worden, um die Beziehung von Fremdenfeindlichkeit und Nationalsozialismus deutlich zu machen und die Rose soll an den Widerstand dagegen erinnern. Friederike Costa: »Wer sich in Winzerla für Flüchtlinge stark macht, hat auch immer im Hinterkopf, dass hier der NSU seinen Ursprung hatte.« (A.a.O.) Bereits im Jahr 2015 hatten wir Flüchtlinge in Jena-Winzerla interviewt und sie danach befragt, wie sie die aktuellen Diskussionen in dem Stadtteil wahrnehmen würden, in denen es um den Versuch ging, den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Jena-Winzerla zu verhindern. Bei den interviewten Syrern war davon wenig angekommen. Als wir nachgefragt haben, ob sie schon einmal Menschen gesehen haben, die in etwa dem Stereotyp von Neonazis entspre-
108
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
chen würden, wurde dies allerdings sehr wohl von den Befragten bestätigt. Eine Familie erzählte, dass ein Nachbar sehr gut auf diese Beschreibung zutreffen würde. Allerdings könnten sie diese Menschen nicht einschätzen. Die Gefahr, die von diesen ›Nachbarn‹ ausgeht, wurde vollkommen unterschätzt. Unser Versuch, die NSU darzustellen, scheiterte. Die interviewten Flüchtlinge waren mental nicht angekommen, sie waren erschöpft und Sorgen um die zurückgelassene Familie okkupierten sie völlig. Mit Befremden erinnern wir uns an ein Gespräch, in dem die syrische Familie danach fragte, wie viele Menschen denn dieser NSU umgebracht habe. Angesichts der Gewalt, die sie durch den IS in Raqqa erlitten und beobachtet haben, trugen unsere Informationen eher noch zu einer weiteren Nicht-Beachtung der möglichen rechten Angreifer bei. Im Sommer 2015 spitzte sich in Jena die Situation zu, da die Stadt Schwierigkeiten hatte, die neuankommenden Flüchtlinge unterzubringen. In Winzerla wurden zuerst Wohnungen und dann eine Turnhalle zur Verfügung gestellt. Alsbald wurde beschlossen, dass neue Unterkünfte gebaut, aber auf mehrere Standorte verteilt werden sollen. Schnell machten Gerüchte die Runde, dass etwa das damals in Sanierung befindliche Ernst-Abbe-Gymnasium oder Gebäude der früheren Goetheschule hierfür verwendet werden sollen, wovon auch die Stadteilgärten in Winzerla betroffen wären. Um diesen Gerüchten entgegenzutreten, wurde am 5. Mai 2016 eine Bürgerversammlung in der Aula der Gemeinschaftsschule »Galileo« organisiert, die mit über 120 Besuchern bis auf den letzten Platz belegt war. Laut »Jenaer Nachrichten« (05. Mai 2016) hatten die Politiker »keinen leichten Stand«. Viele Bewohner sahen wohl in der Ankündigung des Baus der Gemeinschaftsunterkunft Schlimmeres auf sie zukommen und fragten, was denn passiere, wenn der Platz nicht reiche, ob dann ›Eisenberger Verhältnisse‹ – in Eisenberg ist die Erstaufnahmeeinrichtung in Thüringen, die zu dem damaligen Zeitpunkt mit über tausend Flüchtlingen (über-)belegt war – auf Winzerla zukommen werden. Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter versuchte die Sorgen damit zu entkräften, dass er auf die etwas entspanntere Lage auf dem Jenaer und Winzerlaer Wohnungsmarkt verwies, wodurch es auch gelingen werde, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen (TA, 7. Mai 2015). Er bat die Bewohner von Winzerla außerdem darum, für die humanitäre Aufgabe, Menschen, die vor Gewalt und Krieg fliehen, zu helfen. Der Oberbürgermeister verwies zudem darauf, dass auch nach 1945 Millionen von Flüchtlingen aus den Ostgebieten integriert werden konnten und, dass dies bei dem heutigen Wohlstand doch auch gehen müsse. Dieser Sichtweise schlossen sich auch Stimmen aus dem Publikum an und unterstützten auch seine Aussage, dass Flüchtlinge nicht krimineller oder unordentlicher seien als andere. Als Konsequenz der Bürgerversammlung gründete sich der erwähnte Freundeskreis Flüchtlinge. Die Flüchtlingsintegration begann im Grunde erst
8. Angekommen in Winzerla
in diesem Moment sich zu formieren. Hierbei ist neben der evangelischen Kirche vor allem das Stadtteilbüro zu erwähnen. »Der Stadtteil hatte eigentlich gar keine Strukturen, um Menschen in einer Notunterkunft unterzubringen und zu versorgen. Doch mittlerweile ist ein festes Netz aus Akteuren gestrickt worden, das den Menschen das Ankommen in Jena erleichtert«, sagt Markus Meß vom Stadtteilbüro Winzerla. »Wir sind dankbar dafür, dass so viele Menschen helfen. In unserem Verteiler des Flüchtlingsfreundeskreises befinden sich etwa 100 Helfer, die alle mehr oder weniger aktiv sind. Aber trotzdem benötigen wir ständig neue Unterstützer.« (A.a.O.) Unterschiedliche Aktivitäten wurden entwickelt, etwa eine Schneiderwerkstatt oder ein Sprachcafé, wo jeden Dienstag und Donnerstag Deutsch gelernt werden kann. Vor allem im Bereich Freizeitgestaltung haben ehrenamtliche Helfer mit Film- und Spieleabenden, gemeinsame Weihnachts- und SylvesterFeiern und mehr sich um die Integration der Flüchtlinge bemüht. Ende 2016, als die Flüchtlingsaufnahme in Thüringen die bereitgestellten Kapazitäten weit unterschritt, wurde beschlossen, dass die neugebaute Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (GU) auf dem ehemaligen Areal des Jugendclubs »Hugo« in der Hugo-Schrade-Straße dem Studentenwerk vermietet werden soll (Jenaer Nachrichten, 12. Juli 2016). Damit hat sich die Integration von Flüchtlingen in Winzerla deutlich anders entwickelt, als es im Jahr 2015 von vielen befürchtet wurde und das Thema scheint seine Brisanz verloren zu haben. Es stellt sich aber die Frage, wie dies die dort nun lebenden Flüchtlinge sehen, von denen in der Regel niemand direkt gefragt wurde oder wird. Wir wollen im Folgenden deshalb einige der interviewten Flüchtlinge im (übersetzten) O-Ton zu Wort kommen lassen.
A bdelmuti S herbik Abdelmuti (24 Jahre, Single) studierte zwei Jahre Informatik am »Institut« und ein Jahr an einem College. Er kam allein vor 13 Monaten nach Deutschland. Sein Deutsch ist sehr gut, er wohnt in Winzerla, nachdem er zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) war. Seine Familie ist in Homs (Syrien).
Leben in der GU Wir waren alles Jungs, es gab keine Familien, keine Mädchen, dennoch können Sie hier Flüchtlingsfamilien finden, denn einige Jungs haben ihre Familien auch ins Lager gebracht. Die Behandlung war gut in der GU, die Dienstleistungen und die Versorgung waren so gut, dass viele Dinge zur Verfügung gestellt wurden. Die Behandlung war vorwiegend gut, noch besser als das, was ich erwartet hatte. Manchmal fand ich das verdächtig machen (lacht), doch ich
109
110
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
habe noch einige schlechte Dinge und Geschichten gehört, aber mir ist nichts persönlich passiert.
Sicherheit in Winzerla Natürlich fühle ich mich sicher in dieser Nachbarschaft und ich mag sie, um ehrlich zu sein. Ich denke, dass viele Flüchtlinge es lieben würden, hier zu sein, aber das geht jetzt nicht mehr, es ist zu spät. Zuerst war ich, was das Leben hier betrifft, zurückhaltend, vielleicht vor allem wegen der Reputation der Nachbarschaft, aber nachdem ich in der GU war, war ich von der Behandlung von den Menschen in der GU und von außen schockiert, es war so gut wie jedes Flüchtlingszentrum der Regierung. Die Jenaer Universität gibt sich viel Mühe, uns in die Gesellschaft zu integrieren, indem für die Studierenden spezialisierte Kurse angeboten werden. Ich schätze das besonders, weil sie nicht dazu verpflichtet sind, und es bedeutet, dass ich mich in der Gesellschaft von Jena mehr einbezogen und mehr willkommen fühle.
Alltag Nun, ich verbrachte meine Zeit in der ersten Phase, in der ich im Zentrum hauptsächlich nur wartete, mit ein wenig Lernen der deutschen Sprache, manche Leute, Deutsche, kamen zu mir in die Unterkunft, sie halfen mir mehr zu lernen, um die deutsche Sprache und die deutsche Kultur zu lieben. Ich bin auch zum »Berg« in Winzerla gegangen, der eine grüne Gegend mit Park hinter der Nachbarschaft ist, sonst habe ich die Freizeit in Jena, in der Stadt verbracht. Nach dem Zentrum habe ich diese Wohnung erhalten, also bin ich entweder hier oder in der Schule – die Sprache lernen oder in der Universität – und wenn ich Zeit habe, gehe ich auf den Berg oder in die Stadt.
Freunde und soziale Kontakte Ich habe viele arabische Freunde, aber vielleicht mehr deutsche Freunde und soziale Kreise. Nun, du weißt, ich kenne viele Leute aus Syrien hier, aber ich bezeichne als Freunde und Nahestehende nicht Leute, die ich nur von der Oberfläche kenne. Ich habe die arabischen Leute im Zentrum kennengelernt und vielleicht kann Dich die arabische Kultur die Leute schneller und einfacher kennenlernen lassen. Und so kenne ich den Rest der arabischen Leute. Eine ganze Anzahl von deutschen Leuten besuchte das Lager, um mit der Sprache, dem Gesundheitssachen und jedem anderen Problem zu helfen. Danach fing der Kreis an, breiter zu werden, und jetzt spiele ich mit einer gemischten Gruppe fast jede Woche Fußball, wir hängen zusammen rum und
8. Angekommen in Winzerla
viele deutsche Freunde, die ich kenne, bieten mir an, um zu helfen, wann immer ich eine Prüfung habe.
Leben in der Nachbarschaft Ich mag es hier tatsächlich. Eine Menge Leute, die ich kenne, gingen an einen anderen Ort oder sogar Stadt und dann kamen sie zurück, andere versuchen es immer noch. Ich mag die meisten. Der Berg, obwohl nicht Teil der Nachbarschaft und das Café in der Nähe meines Hauses – Café in der Nähe vom Netto. Ich weiß nicht, ob das etwas ist, was mit dieser Nachbarschaft im Besonderen zu tun hat, aber man schläft wirklich früh hier, um 8 Uhr und ich würde gerne sehen, dass die Nachbarschaft lebendig auch nach dieser Zeit ist. Und ich vermisse eine Art Sozialzentrum oder ein spezielles Café. In der vorherigen Nachbarschaft, in der ich lebte, war es enger und intimer, also ich kannte die Nachbarn mehr, meine Nachbarschaft hatte mehr als einen Platz, um in kleinen Spielcafés und Cafés im Allgemeinen herumzuhängen. Winzerla ist ordentlich und sauberer als die Nachbarschaft, in der ich in Homs in Syrien lebte. Ich würde, wenn ich die Wahl hätte, mir ein soziales Zentrum wie ein einzigartiges Café mit einem Markt wünschen. Sehen Sie, als wir im Zentrum waren – obwohl es jetzt besser ist –, aber da hatten wir mehr Möglichkeiten, mehr Leute zu treffen und wir hatten einfacher Zugang zu den Menschen. Aber ich würde nicht sagen, dass in der Nachbarschaft etwas falsch oder schlecht ist.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Nun, meine Prioritäten sind jetzt, in der deutschen Sprache besser zu werden. Mein Plan danach ist, etwas zu lernen, was mit dem zusammenhängt, was ich bereits als ›Informatik‹ kenne. Ich möchte so bald wie möglich, schon im nächsten Monat arbeiten, ich habe schon ein Praktikum. Ich glaube, ich werde hier in Deutschland bleiben, wenn die Logistik in Ordnung ist, also ob ich einen guten Job finde und heiraten kann und so etwas. Dennoch ist es noch nicht klar, denn wenn ich diese Frage beantworten möchte, muss ich mir vorstellen, dass Syrien ein sicheres, gutes Land ist und das bedeutet viele Details, also kann ich nicht zu 100 % objektiv sein, aber das ist was ich denke! Ich denke, wenn ich einen Job in Jena finde, werde ich in der Nachbarschaft bleiben, aber das ist nicht so einfach. Das es mir hier gefällt, habe ich schon gesagt, ich habe nur von Sachen gehört, aber persönlich ist mir nichts passiert.
111
112
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
H utaf K assas Hutaf (40 Jahre, Single) stammt aus Idlib, Syrien. Er hat ein Diplom und einen universitären Master im Fach Landwirtschaft und hat seine Promotion angefangen, die er nicht beenden konnte. Er spricht fließend Deutsch. Hutaf arbeitete als Ingenieur für eine Regierungsorganisation in Idlib. Er lebte ein Jahr in der Türkei, bevor er nach Deutschland kam. Er ist seit zweieinhalb Jahren in Jena, wo er für einen öffentlichen Auftraggeber arbeitet: Zum Zeitpunkt des Interviews lebt er seit vier Monaten in einer Wohnung in Winzerla. Auch seine Familie lebt in Deutschland. Sein Vater und sein Bruder leben seit 14 Jahren in Berlin. In der Türkei arbeitete Hutaf für nationale Menschenrechtsorganisationen und für die Vereinten Nationen. Er ist Mitglied einer syrischen Partei, die sich für Modernität und Demokratie einsetzt.
Sicherheit in Winzerla Ich lebte hier seit vier Monaten und ich finde es hier sicher, angenehm und die Behandlung von allen Nachbarn und den Menschen ringsherum ist gut. Ich denke, es gibt in Jena etwa zweitausend Syrer – eigentlich weiß ich das als eine Tatsache aus meiner Arbeit. In Winzerla gibt es fünfzig bis hundert, und ich muss hinzufügen, dass zwei oder drei Menschen, die hier schlechte Erfahrungen gemacht haben, nicht wirklich die Situation hier vertreten. Als ich nach einem Haus oder einer Wohnung suchte, kümmerte ich mich nicht viel um die Nachbarschaft, zumindest war das keine Priorität für mich, ich kümmerte mich nur um die Wohnung selbst. Deshalb, wenn Sie nicht viel Auswahl haben und wenn Sie nicht wissen, welche Optionen Sie haben, nehmen Sie die erste Gelegenheit eine Wohnung zu haben wahr. Die Nachbarschaft ist aus der Sicht der angebotenen Dienste akzeptabel, aber da sie klein ist, können Sie nichts hinzufügen oder viel verlangen. Ich habe gehört, bevor ich hierhergekommen bin, dass diese Nachbarschaft der zentrale Ort für Rassismus in Jena ist, aber nichts persönliches passierte mir – nicht einmal als Missverständnis, ich glaube, die deutschen Leute hier sind wunderbar und freundlich, »sehr nett« (deutsch im O.). Ich glaube, dass manche Leute, die Jena und diese Nachbarschaft verlassen haben, dass das nichts mit der Situation hier zu tun hat, aber nur deshalb, weil sie versuchen, es sich selbst einfacher zu machen, sagen sie Sachen wie hier kannst du nicht mit dem Deutschen ohne Sprache leben und für Jobs hier gibt es nicht viele Möglichkeiten. Ich weiß, dass es eine Person gibt, die von einem Messer gestochen wurde. Übrigens ist er nicht zur Polizei gegangen. Er war beunruhigt, problematisch, er hat Probleme mit seinen Nachbarn, ich mag weder seine Haltung noch seine Familie und er will diesen Ort sowieso verlassen.
8. Angekommen in Winzerla
Mein Alltag Ich habe einen Vollzeitjob, seit ich hierher gekommen bin und wenn die Arbeitszeit vorbei ist, kann man nicht viel machen, ich gehe kaum aus, außer an den Wochenenden natürlich. Ich nutze auch manchmal Social Media, lese über das politische Zeug in Syrien, und ich verbringe einige meiner Zeit damit, meine persönlichen Interessen aufzuschreiben, Musik und Lesen, aber es gibt nicht so viel, um hier irgendwas zu tun.
Freunde und soziale Kontakte Ich habe sehr wenige Kontakte mit Deutschen, eher mit anderen Leuten hier eigentlich. Meine Beziehungen zu den Nachbarn sind gut, aber nicht mehr als Grüßen und »wie geht es dir?« Nun sind sie sehr nett zu mir, aber ich glaube, ich habe nicht viel in dieser Angelegenheit getan. Ich habe nur einen engen Freund hier, aber viel mehr Freunde im Internet in Deutschland oder Syrien. Ich habe nicht so viele Kontakte oder eine Verbindung mit den Leuten hier, aber ich habe nur gute Behandlungen und gut erzogene Leute um mich herum gesehen.
Leben in der Nachbarschaft Ich mag die Nachbarschaft. Die Sauberkeit, die Einfachheit und die Freiflächen, obwohl sie nicht super genutzt sind, aber dass, was mir in den Sinn kommt, wenn ich von einem bestimmten Café erzähle, dann nicht weil das Café selbst etwas mit der Nachbarschaft in Bezug zu tun hat. Ich mache manchmal einen Spaziergang in der Nachbarschaft. Es gibt nichts Vergleichbares zwischen der Nachbarschaft, in der ich lebte, als ich in Syrien war und Winzerla. Wir reden über zwei verschiedene Zeiten mehr als Räume! Hier ist die Natur, die Vielfalt, die Sauberkeit und die Reinheit – alles – besser. Nun, vielleicht kommen Dir die Leute öfter in Syrien entgegen, vielleicht war die Nachbarschaft wärmer, aber ich ziehe die Dienste jedes Mal dieser Wärme vor. Alles schläft schon um 8 Uhr hier und ich würde gerne die Nachbarschaft nach dieser Zeit erleben können. Darüber hinaus vermisse ich vielleicht eine Art soziales Zentrum oder mehr Cafés oder ein Einkaufszentren. Die Nachbarschaft ist ruhig und schläfrig die ganze Zeit. Gute Dienste sind vorhanden, aber immer noch gibt es keine Tuch-Geschäfte oder Einkaufszentren, Restaurants oder Cafés, die den öffentlichen Raum lebendig machen würden und es wäre wirklich cool, so etwas hier zu haben. Allerdings, wissen Sie, da es ein Dorf hier ist, können Sie nicht viel verlangen, weil es keine wirklichen Bedürfnisse dafür gibt und es gibt nicht zu viele Leute, die hier leben. Es gibt keinen Bezug zur Nachbarschaft als Ort der
113
114
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
besonderen Gefühle oder Erinnerungen, wegen des Lebensstils vielleicht und der städtischen oder architektonischen Gestaltung der Nachbarschaft mit Häusern, die alle gleich organisiert sind und ähnlich aussehen. Der Ort hier ist interessant einzigartig im Sinn der Schönheit, aber es gibt noch einen großen Raum für Veränderungen, die Domäne, über die ich reden kann, sind die Themen Landwirtschaft und Umwelt. Es gibt große Naturräume in Winzerla, die sie für Camping nutzen können. Mit diesen Bereichen, den organisierten Parks und Entspannungsorten im Allgemeinen können wir einen Ökotourismus machen. Ich mag die Häuser mehr als die Wohnungen, da in dieser Nachbarschaft die Gebäude mehr oder weniger gleich sind. Darüber hinaus mag ich den »Stoff«, den die alten Städte haben, ich glaube, das kann etwas Wärme liefern. Ich weiß, dass es schwer ist, eine Atmosphäre zu schaffen, aber vielleicht kann man damit beginnen, indem man über etwas spricht oder die Geschichte dieses Ortes im Allgemeinen darstellt.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Wenn möglich, werde ich für den Rest meines Lebens in Deutschland bleiben, aber es hängt natürlich von der Arbeitssituation ab, damit ich mich selbst versorgen kann. Es ist gut hier, die Nachbarschaft ist ruhig, sicher und locker und ich bin nicht der Typ, der die großen Städte bevorzugt, also werde ich nichts dagegen haben zu bleiben, aber wie du weißt, wirst du dahin gehen, wo der Job dich nehmen würde, egal was du sagst.
O mr an H ashim Omran (20 Jahre, Single) ging bis zur 8. Klasse zur Schule und lernte dann vier Jahre lang in einer Holzschreinerei. 15 Monate lebte er im Libanon, wo seine Familie sich weiterhin noch auf hält. Nach Deutschland kam er vor sechs Monaten allein. In Winzerla teilt er sich seit vier Monaten eine Wohnung. Er spricht gut Deutsch, aber er hat noch keine Arbeit. Das bereitet ihm große Sorgen: »Ich habe seit vier Jahren immer für mich selbst gesorgt und ich will nicht – auch nicht von der deutschen Regierung –, dass das jemand anderes für mich tut.«
Leben in der GU Der Platz war klein in Bezug auf die Menge der Leute die dort waren in der Halle (das Flüchtlingslager). Ein paar Mal hörte ich von Leuten, dass die Radikalen uns angreifen würden, aber nichts passierte, jedenfalls wenn jemand in
8. Angekommen in Winzerla
die Umgebung kam, blieben wir in der Halle, weil wir es nicht besser wussten und wir wollten ihnen keine Chance geben.
Sicherheit in Winzerla Ich habe hier bisher vier Monate gelebt. Ich finde es sicher hier, angenehm und unabhängig davon, was die Leute sagen, dass die Leute hier uns willkommen heißen. Ich wohne jetzt in Jena-Nord, aber praktisch komme ich jeden Tag hierher zu meinen Freunde, der Schule, also irgendwie lebe ich hier! Viele Male sind meine Freunde und ich spät abends in die Halle oder unsere Häuser zurückgekommen und du würdest denken, dass es gefährlich ist, aber nichts ist uns wirklich passiert. Früher, als ich zum ersten Mal hierher kam, war ich nicht in der Lage zu unterscheiden oder klar zu sehen. Weshalb ich alles geglaubt habe, was zu mir gesagt worden ist. Irgendwie habe ich viel erlebt, deshalb ist es jetzt schwieriger, mich zu täuschen, wenn man mir sagen will, dass die Leute in Winzerla schlecht sind. Einmal hörte ich, dass die Rassisten uns angreifen wollten und ein paar Leute versuchten, es uns schwer zu machen, aber der interessante Teil für mich war, dass viele Leute auf der anderen Seite waren und versuchten, uns vor ihnen zu schützen. Nun, jemand hat einmal einen meiner Freunde mit einer Flasche angegriffen, aber das hat er gesagt, also bin ich mir nicht sicher.
Leben in Winzerla Ich wohne ja jetzt in Jena-Nord, aber ich würde hierherziehen, wenn ich die Chance habe, aber bis jetzt konnte ich keine verfügbaren Wohnungen oder Räume finden. Die Behandlung ist sehr gut hier in Jena oder in dieser Nachbarschaft. Ich kann das vergleichen. Ich war im Libanon für eine Weile. Es ging mir gut da, ich war kein Flüchtling und ich arbeitete. Jedenfalls war der Grund für meine Flucht hierher, dass ich meinen Job verlor, weil ich Syrer bin und wie ich von den Leuten dort behandelt wurde. Der Punkt ist, dass es manchmal nicht so einfach für einige Leute ist, die Vorstellungen von Ausländern zu akzeptieren, die aus dem Blauen kommen, aber hier war ich sicher und ich fühlte mich immer so. Solange sie mit uns richtig umgehen.
115
116
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
Mein Alltag Im Moment studiere ich noch, sodass ich nicht viel Freizeit habe, aber ich gehe mit meinen Freunden in der Nachbarschaft spazieren und wir entdecken die Gegend, ich gehe manchmal zum Café und dem nahen Berg, aber meistens neigen wir dazu, in die Stadt zu fahren. Nach Jena, einfach weil wir dort mehr Optionen haben.
Freunde und soziale Kontakte Ich würde sagen, dass ich hier in Winzerla eine Menge Freunde habe. Sowohl Syrer, die ich aus dem Lager kenne, als auch Deutsche, die ich aus dem Lager kenne, und manchmal auch aus dem weiteren Kreis. Ich gehe mit diesen beiden Gruppen um, irgendwie sind sie auch verbunden, wir kennen uns alle. Da war ein Mädchen namens Nadine aus Winzerla, 27 Jahre jung, sie half mir, die Sprache zu lernen. Ich traf sie in der Halle. Sie war sehr hilfreich für mich. Immer fragte sie mich über alles, was ich brauche. Als ich ins Krankenhaus kam, weil ich krank war, kam sie sofort. Ich weiß nicht einmal, wie sie wusste, dass ich dort war. Außerdem kam sie jeden Tag dorthin, bis ich rauskam. Ebenso habe ich eine sehr gute Beziehung zu einer alten Frau, die auch in das Flüchtlingszentrum kam. Sie kommt auch immer zur Schule, sie hilft mir mit der Sprache und machte mich mit der Gegend vertraut. Nachdem ihr Vater gestorben war, besuchte ich sie, ich wollte etwas von ihrer Sorge zurückzahlen. Am nächsten Tag brachte sie mich zur Schule mit ihrem Auto. Ich habe viel Respekt vor ihr. Sie ging nach Japan und rief mich dennoch jeden Tag an. Ehrlich gesagt, sie machte mich skeptisch auf den ersten Blick, weil sie extra nett und gut mit mir war. Ich habe von den rassistischen Leuten hier gehört, aber nur vom Hörensagen, mir ist nichts geschehen, außer in dieser einen Situation. Du weißt, dass du diese verspannten Leute mit Deinen Auftreten beruhigen kannst, um die Spannung zu kontrollieren. Aber man weiß nicht wirklich, warum sie hassen. Von einer Party kommend, als sich zwei Leute näherten, fühlte ich diese Spannung in der Luft. Ich rollte eine Zigarette, um sie zu rauchen. Dann sagte einer von ihnen, dass ich ihm auch eine rollen sollte. Dann fragte sein Freund das gleiche. Also sagte ich, er solle es selbst machen. Gut, er wurde wütend und kam sofort zu mir und fragte »Kennst Du Gott?« »Ja«, sagte ich. »Gut wir nicht!«, sagte der dann. »Wir glauben nur an unser Herz!« Ich antwortete: »Gut gesagt, ich glaube auch daran.« »Bist Du Syrer?« »Ja.«
8. Angekommen in Winzerla
»Alle Syrer, die hierher kommen, sind Terroristen.« »Nein, vielmehr laufen sie davon.« »Was machst du hier?« »Ich lerne jetzt die Sprache!« »Nach dem Lernen der Sprache, was planst Du dann zu tun?« »Ich möchte arbeiten.« »Du bist ein gutes Beispiel, aber ich denke, du bist einer von den wenigen.« »Nun, man muss jemanden erst treffen, dann kann man urteilen. Was auch immer man glaubt, was gut ist. Ich habe auch das Recht dazu.« Ich gab beiden eine Zigarette und sie gingen weiter.
Die Nachbarschaft Ich gehe gern zu dem nahen Berg hier. Ich empfinde dort Freude und Frieden. Ich verbringe dort viel Zeit. Außerdem gehe ich mit meinen Freunden viel zum Café in der Nähe des Netto. Dass man in Winzerla früh schläft und die Tatsache, dass meine Freunde, die hier leben, manchmal nach Jena gehen müssen, um etwas Wesentliches zu haben, finde ich nicht so toll. Aber ich glaube nicht, dass man das ohne mehr Bewohner verändern kann oder mehr Cafés oder Einrichtungen ein wenig länger als 8 Uhr offenbleiben werden. Die Nachbarschaft hier ist wirklich ganz einfach, gut organisiert, sauber und es ist schwer, sie zu vergleichen, aber ich würde sagen, dass meine Nachbarschaft in Syrien mehr intim und persönlicher war, aber das stört mich nicht hier. Hier ist kein Sportstudio und ich denke, das ist etwas, das vor Ort existieren sollte. Und einige weitere Cafés, wo man das Internet benutzen kann oder an einem Ort, wo man studieren kann.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Nachdem ich mein deutsches Sprachstudium beendet habe, möchte ich in der Sache arbeiten, die ich am besten kenne: Holzteppich. Vielleicht muss ich mehr lernen oder einige Kurse oder Tests machen, um meine Qualifikationen zu beweisen, aber früher oder später werde ich anfangen, für mich selbst zu sorgen. Die meisten meiner Freunde sind hier oder irgendwo in Jena, also bin ich nicht bereit, aus Jena im Allgemeinen wegzuziehen, wenn ich die Chance hätte, hierher zu kommen, werde ich das tun.
117
118
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
H osam Hosam (23 Jahre, Single) studierte drei Jahre lang Wirtschaftswissenschaften an der Damaskus-Universität in Syrien. Das Studium konnte er aber wegen des Kriegs nicht beenden. Vor acht Monaten kam er allein nach Deutschland und er spricht inzwischen gut. Er hat kleine Aushilfsjobs beispielsweise an einer Verkaufskasse. Seine Familie ist noch immer in Damaskus. Er war in Winzerla erst in der Turnhalle untergebracht und wohnt jetzt dort in einer Wohnung. »Ich wünschte, ich hätte erst mein Studium fertig gemacht. In Jena ist das Studium sehr schwer.«
Leben in der GU Einige Männer brachten ihre Familien mit, aber meistens lebten dort Jungen in mehr oder weniger meinem Alter. Die Behandlung ist gut im Zentrum, die Dienstleistungen und die Versorgungsunternehmen waren gut, eine Menge Dinge wurden zur Verfügung gestellt. Die Behandlung der Leute war vor allem gut, noch besser als das, was ich erwartet hatte, keine Art von Fehlverhalten oder schlechte Behandlungen sind mir jemals passiert oder jemandem, den ich kenne. Als ich zum ersten Mal davon hörte, dass ich hierhin kommen werde, sagten einige Leute zu mir, dass ich nicht so glücklich sein werde und erzählten mir von der Geschichte oder vielmehr dem Hintergrund dieses Ortes, aber ich denke, das ist nur ein Teil der Geschichte, während der andere Teil die Leute sind, die in das Flüchtlingszentrum gekommen sind und den Flüchtlingen dort geholfen haben. Sie haben ihnen geholfen, die deutsche Sprache zu lernen und zu lieben, sich in die Gesellschaft zu integrieren, und außerdem waren einige der Flüchtlinge glücklich, mit diesen Leuten zu leben. Ich kann mir nichts mehr vorstellen als diese Hilfe.
Sicherheit in Winzerla Nichts Schlimmes ist mir passiert, die Behandlung durch die Leute, die hier leben, ist sehr gut, also logisch gesprochen bin ich sicher, aber wenn man es als ein Gefühl formuliert, dann weiß ich es nicht wirklich, weil es vor allem, wenn man einige schlechte Geschichten, um diese Nachbarschaft hört, dann fühlt man sich nicht mehr so sicher, auch wenn es nur wenige Ereignisse sind, denn es geht um die Chance, dass diese Situation auch einem selbst passieren kann und nicht um irgendeine Wahrscheinlichkeit. Ich versuche, viele Themen zu vermeiden und manchmal lasse ich einfach keinen Platz dafür. Obwohl es falscher Alarm war in den meisten Fällen, aber bis ich die Sprache, die Kultur und die Rechte besser verstehe, lautet mein Motto: ›better safe than sorry.‹
8. Angekommen in Winzerla
Mein Alltag Nun, ich verbrachte meine Zeit in der ersten Phase, in der ich im Zentrum wartete, mit ein wenig Lernen der deutschen Sprache, manche Deutsche kamen ins Zentrum, sie halfen mir mehr, die Sprache und Kultur lieben zu lernen. Wenn ich freie Zeit habe, gehe ich nach Jena, oder verbringe sie im Internet, um Bewerbungen für Universitäten zu schreiben. Ich würde gerne mehr nach draußen hier in die Nachbarschaft gehen, aber ich kenne keinen Ort, wo ich studieren oder das Internet benutzen kann. In dieser Phase, während ich noch zur Schule gehe, um Deutsch zu lernen, ist es schwer, freie Zeit zu finden.
Freunde und soziale Kontakte Viele arabische Freunde kenne ich natürlich aus dem Flüchtlingszentrum. Einige deutsche Freunde, die ich in Bars traf oder die, die ins Zentrum kamen. Aufgrund der Sprache und der Kultur kann ich mit den arabischen Freunden schneller kommunizieren und leichter analysieren. Ich würde sagen, dass ich hier mehr arabische Freunde habe. Aber aus meiner Erfahrung bis jetzt, kann ich sagen, dass mein sozialer Kreis sich mit meinem Sprachniveau ändert, ich kenne zwei deutsche Freunde, wie ich in Jena etwas mehr Zeit verbringe und sie sind auch sehr gerne bei mir.
Leben in der Nachbarschaft Ich mag am meisten den Berg, obwohl er nicht Teil der Nachbarschaft ist, und das Café in der Nähe meines Hauses, »Café in der Nähe von Netto«. Ich weiß nicht, ob ich in der Nachbarschaft selbst aus der städtebaulichen Sichtweise einen Faktor mag. Ich finde, sie ist gut strukturiert. Aber ich verbringe die meiste Zeit in Jena, in der Stadt, wenn ich nicht zu Hause oder in der Schule bin. Winzerla schläft wie eine Uhr jeden Tag um 8 Uhr. Ich hasse es manchmal, dass es so ruhig ist hier. Keine Töne, keine Ereignisse. Ich meine, es ist schwer, hier seine Zeit zu verbringen, hier ist nicht viel zu tun. Ich vermisse eine Art Sozialzentrum oder ein spezielles Café. Winzerla ist ganz, sehr gut strukturiert, architektonisch oder urban gestaltet. Das ist in Ordnung, aber auf der anderen Seite war meine Nachbarschaft in Syrien irgendwie mehr persönlich. Nicht alle Bereiche sind gleich, aber vielleicht gab es mehr Privatsphäre. Ich mag es hier mehr, aber es ist nicht so einfach, sich einem neuen Lebensstil anzupassen. Ich denke, dass das die Nachbarschafts-Effekte sind, richtig? Ich wünsche mir ein Gebäude, ein Ort, wo die Menschen mehr miteinander kommunizieren können, so etwas wie ein kulturelles Zentrum, soweit
119
120
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
ich weiß, gibt es hier keins oder vielleicht ein Café mit traditionellen Stil. Ein syrisches Café wäre z.B. schön. Eine Sache, von der ich träume, wäre ein Treffpunkt, zu dem du gehen kannst und dich einer Gruppe von Leuten vorstellen kannst, und die tun dasselbe, und das kann durch Meetings und nicht unbedingt an einem Ort geschehen.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Vielleicht kümmere ich mich so viel um meinen Bildungsabschluss, weil ich oft an meine Familie denke und ich ja fast fertig war mit meinem Studium und ich sah einige meiner Freunde graduieren. Jedenfalls für mich ist das Studium eine große Sache. Das ist ein wichtiger Faktor in meinen Zukunftsplänen. Mein Fokus ist jetzt, in der deutschen Sprache besser zu werden, bis zu dem Niveau, das mich zum Studium qualifiziert. Dann suche ich nach einer Universität, die mein früheres Studium anerkennt, das in Jena übrigens hart ist. Wenn ich hier etwas finden könnte, werde ich auch in der Nachbarschaft für eine Weile bleiben. Danach hängt es von dem Job ab, was ja für mich und den Rest der Welt gilt, denke ich. Ich mag Winzerla, es ist eine ruhige, ruhige und sichere Gegend. Hier zu bleiben hat mehr mit anderen Bedürfnissen zu tun, dann erst zählt die Erfahrung, die man hier hatte. Ich meine, das Bild des ganzen Deutschlands spiegelt sich für mich in dieser Nachbarschaft wider und vielleicht gibt es vielleicht noch etwas mehr in einer Großstadt, ich kann versuchen noch etwas in meinem Leben zu ändern. Ich bin erst 23 Jahre, auch wenn ich später versuchen werde, hierhin auf jeden Fall wiederzukommen. All das ist Theorie. Die harte Tatsache bleibt: Studium, die Arbeit und die allgemeine Situation. Ich denke manchmal zurück an Syrien, nicht in dieser Situation, aber wer weiß, wann und ob die Dinge besser werden. Aber ich denke, das ist nur aus Nostalgie, es passiert, wenn ich meine Familie und mein altes Leben vermisse, das ist kein praktischer Gedanke oder eine Entscheidung.
O mar Omar (38 Jahre, Single) stammt aus Idlib, studierte arabische Literatur in Aleppo und arbeitete in Syrien zehn Jahre lang als Lehrer. Er spricht sehr gut Deutsch. Er kam vor zwei Jahren und drei Monaten nach Deutschland, er hat außer kleinen Übersetzungsaufgaben keinen Job. Er wurde zunächst in der Turnhalle untergebracht und hat nun eine Wohnung in Winzerla. Seine Familie lebt immer noch in Syrien.
8. Angekommen in Winzerla
Leben in der GU Es war gut da, ansonsten gibt es dazu nichts zu sagen.
Sicherheit in Winzerla Ich fühle mich gut in dieser Nachbarschaft. Seit ich hierhergekommen bin, war es immer sicher für mich, abgesehen davon, dass kleinere Sachen einigen Leuten, die ich kenne, passiert sind. Doch das hat mich nicht beeinflusst, weil ich weiß, dass diese Situationen lösbar sind und sie die Lage hier nicht ausmachen. Ich fühle mich sicher und ich führe dies immer noch vor allem auf das System hier zurück. Für mich hat das was mit dem Rechtsstaat zu tun. Wenn man irgendwelche Probleme hat, kann man gehen und den Regierungsverantwortlichen über dieses Problem erzählen. Jena ist sicher, nicht nur diese Nachbarschaft. Ich sehe das im ganzen Gebiet so, nicht nur an diesen Ort. Die Behandlung hier ist für mich in Winzerla mehr als gut. Ich kenne viele Leute hier. Sie sind alle gut zu mir: die Deutschen und die Araber – die »Ausländer« in diesem Fall.
Mein Alltag Im Zentrum gab es nichts zu tun, außer auf meine Papiere zu warten und vermutlich das Wesentlichste: die deutsche Sprache zu lernen. Obwohl ich viel Zeit hatte, aber es gab einfach nichts zu tun. Danach gab es auch nicht viel Auswahl. Du musst die Sprache kennen, wenn du mit den Leuten um dich herum kommunizieren willst. Seit ich die Sprachphase beendet hatte, versuche ich nur, die Tage zu markieren. Im Moment habe ich viel Freizeit. Ich gehe mit meinen Freunden aus, den arabischen, die ich aus dem Zentrum oder aus dieser Nachbarschaft kenne. Dann rede ich mit den neuen arabischen Leuten hier und versuche ihnen zu helfen, wenn sie etwas brauchen. Ich gehe auch manchmal ins Café neben dem Netto, manchmal auch mit meinen deutschen Freunden. Aber sonst gehe ich in der Regel nach Jena. Dort habe ich noch mehr Möglichkeiten, die Zeit zu verbringen.
Freunde und soziale Kontakte Ich kenne ein paar Deutsche, mit denen ich seit dem Zentrum noch in Kontakt bin. Aber das meiste meines gesellschaftlichen Lebens findet bei den arabischen Leuten statt, weil ich viel Zeit habe, also verbringe ich es mit Leuten wie mir, die auch so viel Freizeit haben, und vielleicht wäre das anders gewesen, wenn ich arbeiten würde oder wenn ich mehr tägliche Interaktionen mit den
121
122
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
Leuten im Allgemeinen hätte. Aber am Ende habe ich zwei verschiedene soziale Leben hier: die arabische Version und die deutsche.
Leben in der Nachbarschaft Meistens gehe ich in der Nachbarschaft aus, um Freunde in den Häusern zu sehen, also habe ich hier keinen Lieblingsplatz. Ich gehe selten in ein Café und mache einen Spaziergang selbst, aber es gibt keinen besonderen Platz, den ich eigentlich mag, ich würde gerne einen Platz wie diesen haben. Es gibt nichts, was mir in der Nachbarschaft nicht gefällt, aber ich würde sagen, dass hier etwas wie ein soziales Zentrum oder einige Einkaufsgelegenheiten fehlen. Abgesehen davon, dass man hier früh schläft, aber daran lässt sich ja nichts ändern. In Syrien lebte ich in einer ordentlichen Nachbarschaft, aber die war nicht so ähnlich wie Winzerla. Meine Nachbarschaft in Syrien hat mehr Bezüge, Beziehungen zu mir und Erinnerungen auch. Man hat dort seinen eigenen Platz, z.B. mein Haus hier ist wie jedes Haus in der Nachbarschaft, nicht unbedingt besser auch nicht anders als die anderen. Sie können das Café wählen, in das Sie gehen möchten, wenn Sie Entscheidungen haben wollen. Winzerla ist natürlich besser gewartet und ich würde das über die meisten Nachbarschaften in Deutschland verallgemeinern. In Winzerla ist es sauberer, es ist viel ruhiger. Das war eine gute Sache auf dem ersten Blick, aber es dauerte nicht lange. Der Stadtteil ist gut strukturiert, aber ich fühle, wenn ich in die Stadt gehe, dass mir in dieser Nachbarschaft etwas fehlt. Die Nachbarschaft, in der ich in Syrien lebte, hatte etwas zwischen Stadtleben und Leben in einem Dorf. Ich würde gerne etwas Besonderes in dieser Nachbarschaft haben, was die Leute von innen und außen dazu bringen kann, hierher zu kommen, ich weiß nicht genau, was das wäre, vielleicht ein Museum oder eine Touristenanlage oder sogar ein spezielles Café kann die Arbeit erledigen. Für die Dienstprogramme und Dienstleistungen denke ich, dass es in Ordnung ist in Winzerla, ein Gymnastikangebot wäre vielleicht auch nett hier zu haben. Das Ding mit dieser Nachbarschaft ist eigentlich, dass es hier an nichts fehlt, aber auf der anderen Seite gibt es auch nichts Besonderes oder etwas, was eine Beziehung zu dir auf baut oder dich anzieht, um hier mehr Zeit zu verbringen.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Wenn ich es hier schaffen kann, werde ich hier bleiben. Wenn du mir einen Job in der Wüste anbietest, werde ich den nehmen und ich würde mich nicht um andere Umstände kümmern. Natürlich ist das eine begrenzte Vision und
8. Angekommen in Winzerla
wahrscheinlich ein zeitlicher Zustand des Geistes, aber es zeigt, wie ich jetzt denke. Da es nicht so einfach ist, ein geselliges Leben zu haben und wieder zu beginnen, habe ich nichts dagegen, hier zu bleiben. Aber nochmals: Es geht an erster Stelle darum, wo ich einen Job finden kann. Wenn ich die Chance habe, nach Syrien zurückzukehren, wenn es sich dort verbessert hat, nachdem ich hier für eine Weile gearbeitet habe und ich etwas sparen konnte, damit ich neu anfangen kann. Obwohl ich ein soziales Leben hier in einer Weise habe, aber es ist noch nicht genug für das Leben, das ich will. Außerdem bin ich nicht so jung, um mich an dieses neue Leben anzupassen, aber ich versuche es.
F amilie Yaman Die Familie besteht aus acht Mitgliedern: den Eltern, drei Söhnen und drei Töchtern. Der Vater (42 Jahre) studierte vier Jahre in Syrien und arbeitete als Anwalt. Er kam vor zwei Jahren und vier Monaten nach Deutschland. Er beherrscht nur rudimentäres Deutsch. Die Mutter (37 Jahre) arbeitete in Syrien als Lehrerin, sie kam mit ihren Kindern nach Winzerla vor einem Jahr, und hatte ein paar Monaten IT-Arbeit in Deutschland, sie teilt die gleiche Haltung mit ihrem Mann über das Leben in Winzerla und über die Zukunftspläne. Der älteste Sohn Huzaifa (19 Jahre, Single) ging bis zur 10. Klasse in Syrien zur Schule. Er spricht fließend Deutsch. Er will studieren. Der zweite Sohn Abdulhadi (14 Jahre) war bis zur 6. Klasse in Syrien eingeschult. Außerdem gibt es noch zwei Töchter (16 Jahre und 12 Jahre), die während der Interviews nicht anwesend sind und in Syrien genauso lange entsprechend zur Schule gingen, und zwei Babys.
Leben in der GU Der Vater: Ich war für eine Weile im Zentrum, der »Halle« untergebracht und es war gut. Die Dienste und die Versorgungseinrichtungen waren gut und die Behandlung war auch ok. Meine Familie blieb nicht dort, es waren da nur Männer irgendwie. Es war insgesamt sicher, aber ich habe einige Spannungen erlebt, als wir hörten, dass manche Leute uns in der Halle angreifen werden. Aber nichts war gefährlich, irgendwie schafften sie es, diese Situationen zu sichern.
Sicherheit in Winzerla Der Vater: Ich fühle mich insgesamt sicher, ich gehe raus und ich schicke meine Kinder ohne Angst nach draußen. Unsere Behandlung ist im Allgemeinen ok, aber nicht ganz.
123
124
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
Ich habe die beiden Seiten der Winzerla-Leute gesehen: die Guten, die dir helfen möchten. Aber das ist nicht der übliche Fall. Und diejenigen, die nicht so einladend sind. Lass es uns so sagen: ich hatte mehr Erfahrungen mit dieser letzteren Kategorie. Ich war in einigen Situationen gewesen, aber keine von ihnen war gewalttätig, obwohl etwas gewalttätiges auch schon einmal jemanden geschehen ist, einem syrischer Flüchtling, in dieser Nachbarschaft. Dieser Ort ist das Zentrum des Rassismus in der Gegend, zumindest das ist sein Ruf. Ich habe das von einigen Leuten gehört, aber es war zu spät, ich war schon hier und es ist nicht so leicht zu ändern. Ich will Winzerla nicht mehr verlassen. Diese Situation und es ist nicht so einfach, an einen anderen Ort als Familie zu ziehen. Da meine Frau ihr Haar abdeckt, was ein Zeichen für Muslime ist, und da ich ein Muslim bin, zieht es die Aufmerksamkeit an und ich denke, das ist der Grund für die gruseligen Blicke, die wir bekommen, und die Kritik, die wir über unsere Religion z.B. von einigen Nachbarn bekommen. Einige weigern sich auch, mit uns zu sprechen. Ich denke, das wird sich mit der Zeit ändern, oder zumindest hoffe ich das so. Huzaifa: Ich fühle mich sicher. Ich war noch nie in einer seltsamen Situation. Ich kann ausgehen, wann immer ich will und wohin immer ich will,
Unser Alltag Der Vater: Ich habe nicht viel zu tun. Ich gehe in die Sprachschule, studiere ein wenig und gehe nach Jena. Nur selten gehe ich in der Nachbarschaft spazieren und manchmal verbringe ich etwas Zeit auf dem Markt, bei »Netto«. Meine Frau verbringt ihre Zeit zwischen der Sprachschule und dem Haus und sie kommt mit mir nach Jena, aber wir haben noch nie etwas zusammen in der Nachbarschaft gemacht. Ich kann mir eigentlich keinen Ort vorstellen, wo wir hingehen können. Meine Kinder gehen zu ihren Schulen, hängen mit ihren Freunden herum, gehen nach Jena und in der Nachbarschaft rum. Huzaifa: Ich gehe manchmal zum Berg, zum Café. Aber die meiste Freizeit verbringe ich mit meinen Freunden in Jena. Ich gehe natürlich auch in die Schule.
Freunde und soziale Kontakte Der Vater: Ich habe einige arabische und syrische Freunde. Es ist einfach, sie hier zu treffen, und sie sind alle gut zu mir. Wir verbringen viel Zeit miteinander. Ich sehe sie oft, aber ich habe keinen deutschen Freund und das hängt mit meinem Niveau in der deutschen Sprache – Anfänger – zusammen. Ich
8. Angekommen in Winzerla
kenne einige Leute, aber wir können nichts miteinander anfangen. Ich würde nicht wissen, was. Und übrigens muss ich sagen, dass ich zunächst versucht habe, mehr Beziehungen zu den Nachbarn zu machen, aber wegen meiner Sprache und diesem Lebensstil ist es schwer, dies zu tun. Für meine Frau ist es das Gleiche wie für mich. Sie hat keinen großen gesellschaftlichen Kreis, sie spricht auch nicht so gut Deutsch. Den Kindern gelingt es besser, neue Beziehungen zu knüpfen. In der Schule zu sein, macht es leichter. Huzaifa: Ich habe viele Freunde. Wir gehen zusammen Fußball spielen und hängen zusammen rum. Ich kenne viele von der Schule und dann wurden wir Freunde, mit denen ich die meiste Zeit verbringe. Nach dem ersten Freundeskreis wird es einfacher, mehr Freunde zu bekommen, und ich habe deutsche und arabische Freunde, solange sie gut sind und Fußball spielen können.
Leben in der Nachbarschaft Der Vater: Es gibt keinen besonderen Ort, an dem ich in die Nachbarschaft gehe. Früher ging ich einmal ins Café. Es gibt nicht so viele Angebote zum Wählen. Ich mag es nicht, dass Winzerla so früh schlafen geht. Ich mag es auch nicht, dass ich nach Jena gehen muss, um ein paar essentielle Dinge zu kaufen. Ich würde gern etwas Arabisches hier sehen, einen »Arabic Shop«. Es gibt doch hier viele Araber! In Winzerla ist die Nachbarschaft so anders als meine frühere, in der ich gelebt habe. Alles in dieser Nachbarschaft ist überorganisiert. Sie können nichts Besonderes an ihrem Haus entdecken. In Syrien war es wärmer und jeder würde dich begrüßen, wenn er dich sieht. Zugleich ist es einfacher, hier zu navigieren, wenn jemand zu dir kommt. Und die Dienstleistungen sind irgendwie anders. Ich würde nicht sagen, dass es hier besser ist, sie sind einfach anders. Aber ich möchte ein arabisches Geschäft haben, weil ich immer nach Jena gehe, um das Essen und andere Sachen zu bekommen, die man hier nicht finden kann. Wenn es ein soziales Zentrum in der Nachbarschaft geben würde, können wir Menschen treffen und sie kennenlernen. Huzaifa: Ich mag die Nachbarschaft an sich, aber ich gehe oft nach Jena. Ich mag den Berg neben der Nachbarschaft. Ich gehe in der Nachbarschaft manchmal mit meinen Freunden spazieren und ich gehe auch gern zum Netto. Es gibt nichts, was ich nicht mag, nur irgendwelche Dinge, die ich gerne auch hier hätte. Auch wenn man hier früh schläft, kann ich ausgehen und es gibt immer Transport nach Jena. Ich mag es hier mehr als in unserer Nachbarschaft in Syrien. Es ist hier besser, sauberer und sehr gut organisiert. Jedenfalls sind die
125
126
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
beiden Nachbarschaften ganz anders, es ist schwer, sie zu vergleichen. Meine Freunde und ich gehen immer nach Jena, um Fußball- oder Videospiele zu spielen oder auch nur, um in Cafés zu sitzen. Ich möchte diese Dinge auch hier machen können. Abdulhadi: Ich hätte gerne ein Game Center oder einen Spielplatz.
Was denkst Du über Deine Zukunft? Der Vater: Ich glaube, ich werde nach Syrien zurückkehren, sobald ich die Chance habe, dies zu tun, weil ich keine Perspektive für mich hier finden kann, um zu bleiben oder für meine Frau. Irgendwann sind die Kinder über 18 Jahre alt und sie können selbst entscheiden, ob sie hier bleiben wollen oder nicht. Es ist wichtig, ihnen dieses Recht und diese Gelegenheit zu geben. Wenn sie diese nicht hätten, dann bekommen sie wahrscheinlich irgendwann ein Aufenthaltsrecht und dann haben sie sowieso die Wahl. Ich habe sechs Kinder. Ich verbringe die Zeit, mich um sie zu kümmern. Ich finde die deutsche Sprache sehr hart, besonders wenn es um das Gesetz geht. Da ich ein Anwalt bin, kann ich deswegen nicht arbeiten und ich kann mich an dieses neue Leben noch nicht anpassen. Winzerla wird mich nicht akzeptieren, auch wenn ich hier sicher bin und es ist okay bis jetzt. Teil einer Gemeinschaft zu sein, bedeutet, dass man mit seinen Mitgliedern umgehen und kommunizieren kann und dass das nicht passiert, verstehe ich. Huzaifa: Mein Deutsch ist sehr gut. Ich werde nächstes Jahr hier oder in der Stadt weiter lernen und dann werde ich an der Universität von Jena studieren. Ich möchte hier in Winzerla bleiben. Ich habe hier Freunde und mein ganzes Leben hier. Ich möchte Teil von dem Leben hier sein. Abdulhadi: Ich weiß es noch nicht. Ich würde gerne ein Leben hier haben, in dieser Nachbarschaft bleiben, aber ich will auch nach Syrien. Kommentar seines Vaters: Er wird seine Meinung ändern, wenn er nächstes Jahr zur Schule geht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns gehen würde.
Angekommen in Winzerla? Die Hintergründe der Befragten variieren, ein Teil von ihnen kam direkt aus Syrien nach Deutschland, während ein anderer Teil über den Libanon und die Türkei eingereist sind. Alle kamen aus verschiedenen Städten oder Dörfern in Syrien. Ihre Aufenthaltszeit variierte auch erheblich. Man kann sie aber in
8. Angekommen in Winzerla
zwei Kategorien einteilen: Junge Männer (unter 25 Jahre), unverheiratet, die meistens schon an einer Hochschule in Syrien studiert haben. Sie konnten ihr Studium nicht beenden, haben keine Berufserfahrung oder sie haben bereits eine Berufsausbildung und mindestens einen Abschluss von einer weiterführenden Schule und ein wenig Berufserfahrung. Diese Flüchtlinge sprechen ein gutes oder sehr gutes Deutsch und ihr Englisch ist passabel. In der zweiten Kategorie finden sich Befragte, die mindestens 35 Jahre alt sind, ihre Hochschulstudien abgeschlossen haben und über Berufserfahrung verfügen. Wir haben sowohl verheiratete mit Familie als auch ohne interviewen können. Zumeist sind ihre Deutsch-Kenntnisse rudimentär. Im Großen und Ganzen haben alle Befragten gesagt, dass die Behandlung im Aufnahme-Zentrum (Turnhalle) gut war. Die Sicherheit dort wurde zwar als weitgehend gegeben betrachtet, dennoch wurden auch beängstigende Situationen geschildert. Alle Flüchtlinge kannten die Reputation von Winzerla und hatten dementsprechende Befürchtungen. Dass sich diese in dieser Form nicht bewahrheiteten, wurde gleichsam von allen bestätigt. Die Haltung, die man gegenüber Personen einnehmen will, die eine Bedrohung darstellen könnten, kann als reflektiert und bedacht gelten. Man ist der Meinung, dass ein ›diplomatisches‹ Verhalten bedrohliche Situationen entschärfen kann. Für den Auf bau positiver Kontakte mit der Nachbarschaft, so auch unisono die Antwort, bleibt beim Erlernen von Deutsch wenig Zeit. Ab und zu wird ein Spaziergang durch die Nachbarschaft unternommen. Der nahegelegene »Berg« erfreut sich großer Beliebtheit und ansonsten verbringt man viel Zeit im Internet oder mit (neuankommenden) arabischen Freunden. Viele Freizeitaktivitäten werden aber ›in der Stadt‹ (Jena-Zentrum) ausgeführt. Dennoch wird angegeben, dass man Kontakt mit deutschen und arabischen Bewohner/ innen in Winzerla habe. Fehlender Kontakt wird zumeist der geringen Sprachfähigkeit zugeschrieben. Insbesondere mit denen Deutschen, die in das Aufnahme-Zentrum kamen, um ihnen Deutsch beizubringen oder anderwärtig zu helfen, sind Freundschaften entstanden. Alle Interviewten fanden, dass die Nachbarschaft zu früh »schlafen geht«. Winzerla wird als eine kleine Nachbarschaft gesehen und man hätte zwar mehr Angebote hier, versteht aber auch, dass es nicht alles vor Ort geben kann. Die Unterschiede zu der Nachbarschaft, in der man in Syrien gelebt hat, sind ihnen bewusst. Winzerla wird als ein gut organisierter und sauberer Stadtteil geschätzt. Dennoch hegt man für die syrische Nachbarschaft eine größere Zuneigung. Sie wird als persönlicher empfunden und als Ort der Erinnerungen. Mit Bezug auf die weitere Zukunft in Winzerla lassen sich vier verschiedene Haltung auffinden, für die folgende Interviewzitate beispielhaft stehen: A. »Ich liebe es hier in Winzerla, ich habe Chancen hier, also will ich bleiben und meine Möglichkeiten nutzen.«
127
128
Mahmoud Adam und Frank Eckardt
B. »Obwohl ich Winzerla mag, hängt es von meinen Chancen ab, irgendwo einen Job zu bekommen. Das wird entscheiden, wo ich mich niederlassen werde. Ich sehe keine großen Chancen für mich hier, um ehrlich zu sein.« C. »Ich finde es schwer, mich in Deutschland und besonders in Winzerla zu integrieren.« D. »Sobald die Dinge besser gehen, kann ich nach Syrien zurückgehen.« Ob man letztlich in Winzerla bleiben will oder nicht, hängt also von einer sehr rationalen Wahl ab, bei der die Nachbarschaft durchaus von einem Teil der Flüchtlinge als Problem wahrgenommen wird, während dies für andere nicht zutrifft. Die persönliche Lebenslage und die individuelle Biografie spielen für diese Beurteilung die ausschlaggebenden Rolle.
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
Alltagsleben von Geflüchteten in Thüringens
drittgrößter Stadt Gera
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
»Nach rassistischen Beleidigungen im Alltag haben vier Schauspieler und Sänger ihre Verträge am Theater Altenburg-Gera nicht mehr verlängert. Die Künstler, die in Gera und Altenburg lebten, hätten […] die veränderte Stimmungslage für ihren Entschluss angegeben, sagte Generalintendant Kay Kuntze am Mittwoch. Sie seien auf der Straße oder im Zug aufgrund ihrer Hautfarbe oder Sprache angefeindet worden. Die Künstler hätten keine Strafanzeige bei der Polizei gestellt, weil sie nicht als Opfer stigmatisiert werden wollten.« (Neues Deutschland/dpa, 2016)
Der Beginn dieses Beitrages aus der Zeitung Neues Deutschland unterstreicht die fremdenfeindliche und rassistische Stimmung in Thüringen und insbesondere in Gera, die uns veranlasst hat, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Geraer Initiativen das Alltagsleben und die Inklusion von Asylsuchenden und Geflüchteten in Gera im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts von August 2015 bis März 2016 zu untersuchen. Bereits bei unseren ersten Besuchen vor Ort und explorativen Gesprächen mit kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich mit der Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten beschäftigen, wurde deutlich, dass die Kommune sich einerseits trotz angespannter finanzieller Lage und starken Schrumpfungsprozessen in den letzten zwei Dekaden größtenteils einer längerfristigen Aufnahme und Inklusion von Geflüchteten in die Stadtgesellschaft versperrt und nur widerwillig zugeteilte Flüchtlinge aufnimmt und versorgt. Andererseits kam in den Gesprächen und Beobachtungen auch deutlich zum Tragen, dass die zivilgesellschaftlichen und sozialarbeitenden Akteure – wie etwa auch die Mitarbeiter/innen des Theaters Altenburg-Gera –, die sich für Migration nach Gera und insbesondere die seit 2012 nach Gera zugeteilten Flüchtlinge einsetzen, mit dem allgegenwärtigen Rassismus und der Frem-
130
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
denfeindlichkeit und mangelnden Unterstützung seitens der Kommune zu kämpfen haben. In diesem Beitrag möchten wir daher die Frage ›Vom Schrumpfen zur Integration?‹ sowie Fragen nach der Willkommenskultur und sozialräumlichen Integration von Geflüchteten in Gera adressieren. Der Beitrag strukturiert sich in vier Abschnitte. Zunächst wird kurz der Hintergrund der Erkenntnisse durch die Vorstellung der beiden mittlerweile abgeschlossenen Projekte »Willkommensstädte« und »Migration statt Schrumpfung« dargestellt. Anschließend soll sowohl der sozialräumliche Kontext Thüringens als auch jener unseres Fallbeispiels Gera erläutert werden. Diese Rahmensetzung dient als deskriptive und informative Folie, vor welcher anschließend die Möglichkeiten aber auch Schwierigkeiten sozialräumlicher Integration in Gera geschildert werden. Abschließend wird der Beitrag sich der Ausgangsfrage ›Vom Schrumpfen zur Integration‹ widmen, um ein vorläufiges und dennoch abschließendes Fazit zu ziehen.
H intergrund und A usgangsl age des P rojek tes Das Forschungsprojekt hat sich aus der Dringlichkeit des Themas und der Nachfragen sowohl unserer bereits bestehenden Kooperationspartner/innen als auch aus dem Interesse vieler Studierender an der Bauhaus-Universität heraus entwickelt. Neben fünf weiteren Thüringer Kommunen wurde in Gera bereits in dem Projekt »Willkommensstädte« (2015) die Ankommenssituation von Geflüchteten untersucht (siehe Kapitel 7). Somit bestand die Ausgangslage in der drittgrößten Stadt Thüringens von Beginn an des Projekts im Kontext der kontrovers geführten Debatten um die Entscheidung der rot-rot-grünen Landesregierung im Herbst 2015 eine weitere Erstaufnahmeeinrichtung in Gera zu eröffnen. Damit einher gingen auch die Gründung und der Protest einer Initiative dagegen, in der sich neben Bürger/innen auch (stärker organisierte) Neonazis und Rechte zusammenfanden. Unter diesen Vorzeichen spielte diese Thematik dann auch in den Interviews und Untersuchungen unserer Forschungsprojekte immer wieder eine nicht geringe Rolle. Nichtsdestotrotz und auch gerade aufgrund der Brisanz dessen wurde sich dafür entschlossen, einen anderen Schwerpunkt zu setzen, der ebenfalls aus den Gesprächen als ein zentrales Thema identifiziert werden konnte: Der Vergleich der Perspektiven von Geflüchteten (intern) und Unterstützer/innen (extern) in Bezug auf die Aspekte Kommunikation, Arbeit und Zukunftspläne standen im Mittelpunkt der Analyse in Gera im Projekt »Willkommensstädte«. Qualitative Interviews wurden in diesem Rahmen daher mit Personen aus dem unterstützenden Netzwerk geführt, zu denen neben dem »Freundeskreis für Flüchtlinge in Gera«, der Verein »Akzeptanz e.V.«, aber auch die Diakonie,
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
die Volkssolidarität und das Jugendhaus Shalom gehören. Mit einigen Geflüchteten konnte ein intensives und vertrauensvolles Verhältnis in der Kürze der Zeit entstehen, aus dem sich dann vier Interviews mit jungen Männern aus Syrien ergaben. Inhaltich waren die Gespräche in drei Aspekte strukturiert: erstens die Gründe der Flucht, zweitens die Erfahrungen vor Ort in der Stadt und abschließend die Ziele, Wünsche und Perspektiven. In Bezug auf den Aspekt der Kommunikation wurde generell von beiden interviewten Gruppen auf die Schwierigkeiten in der Verständigung verwiesen. Es gibt zu wenige Menschen in der Region, die beispielsweise Arabisch sprechen und als Dolmetscher/innen vermittelnd zur Verfügung stehen, wodurch sich Informations- und Wissenslücken sowie zahlreiche und oft konflikthafte Missverständnisse ergeben. Uneinigkeit bestand dagegen darüber, inwieweit die Anbindung und Erreichbarkeit zum Netzwerk der Unterstützenden und ehrenamtlich Engagierten die Probleme auffangen kann und ob und inwiefern deren Angebote überhaupt die Geflüchteten erreichen. In Bezug auf die Möglichkeit für Geflüchtete zu arbeiten bzw. den Zugang zu verschiedenen Formen der Arbeit wurde zunächst eine allgemein große Bereitschaft jener dazu konstatiert. Bei der Diskussion der Ursachen, wodurch eine Aufnahme von Arbeit erschwert wird, ergaben sich wiederum Unterschiede: Einerseits ist der rechtliche Rahmen etwa im Sinne der Vorrangprüfung und der Vorbehalte deutscher Arbeitgeber/innen gerade von Seiten der Flüchtlinge thematisiert worden, während andererseits durch die Unterstützer/innen die eher schlechte Arbeitsmarktsituation in Gera hervorgehoben wurde, die einer Einbindung in die Stadtgesellschaft entgegen wirkt. Für die Zukunftspläne von Geflüchteten in Verbindung auf die Stadt überwog bei allen Gesprächspartner/innen die Einschätzung, dass der Wunsch Gera zu verlassen primär vorherrscht, wenn auch mit stark differierenden Gründen für den Wegzugswunsch. Für die befragten Flüchtlinge stehen die Möglichkeiten zu weiterführenden Bildungseinrichtungen und verschiedensten Freizeitaktivitäten im Vordergrund. Aus der Sicht des Unterstützer/innenNetzwerks spielen vor allem die Stimmung und Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung einer Rolle, weshalb aber auch der Wunsch geäußert wurde, eine willkommen-heißende Situation zu entwickeln, sodass sich dieser Wegzugwunsch möglicherweise auch wandelt. Die Perspektive der Geflüchteten auch als Chance für die Stadt Gera zu begreifen, wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls angeführt. Auf diese erste Bestandsaufnahme der Situation von Geflüchteten in Gera aus dem Sommer 2015 auf bauend schloss sich das Projekt »Vom Schrumpfen zur Integration« an. Es stellt daher eine Vertiefung der bereits durchgeführten Exploration aus dem Willkommensstädteprojekt dar, mit einem zusätzlichen Fokus auf urbane Schrumpfungsprozesse und einer tiefer gehenden Exploration des Alltagslebens. So wurde dieses Projekt mit »Migration statt Schrump-
131
132
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
fung. Leben und Alltag von Geflüchteten in Gera« betitelt. Gera wurde überdies als urbaneres Fallbeispiel ausgewählt, auch da die zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner/innen einerseits selbst Interesse an einer Weiterführung unserer Begleitforschung hatten, andererseits sich aber vor allem hier ein besonders vielfältiger Einblick – auch aufgrund der Größe der Stadt – erhofft wurde. Somit wurden im Sommer 2015 in Kooperation mit zwei Geraer Flüchtlingshilfe-Vereinen und syrischen Geflüchteten die Gemeinschaftsunterkünfte und dezentralen Unterbringungen sowie Vereinsräumlichkeiten und andere für Geflüchtete wichtige Behörden, Einrichtungen und (öffentliche) Räume besucht, die den Alltag und die Mobilität von Geflüchteten vorstrukturieren. Die drei wichtigsten Forschungsphasen (analog zu jenen der vorangegangenen Projekte der »Willkommensstädte«, siehe Kapitel 7) lassen sich wie folgt unterteilen: Phase I: Kennenlernen der Situation vor Ort, Identifikation relevanter Akteure und Themen, Phase II: Begegnung mit und Befragung von Geflüchteten und weiterer Akteure (Verwaltung, Vereine, soziale Träger, Ehrenamtliche), Phase III: Diskussion möglicher Schlussfolgerungen vor Ort mit Interessierten und Engagierten. Bevor auf die empirischen Ergebnisse und Schlussfolgerungen eingegangen wird, soll im Folgenden zunächst der sozialräumliche Kontext Thüringens sowie Geras im Besonderen vorgestellt werden.
S ozialr äumlicher K onte x t Thüringen Der sozial-räumliche Kontext Thüringens spielt eine besondere und zum Teil erklärende Rolle für den Umgang der föderalen und kommunalen Regierungen mit internationaler Migration und insbesondere der neueren Fluchtmigration. Geografisch grenzt Thüringen im Norden und Westen an Niedersachsen, Hessen und Bayern, mit der Folge, dass viele Thüringer/innen auch in diesen Nachbarländern arbeiten, entweder dorthin gezogen sind oder in die westlichen Bundesländer pendeln bzw. in der Vergangenheit dort bereits gearbeitet und/oder gewohnt haben. Dies bedeutet, dass in Thüringen im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern bereits viele Menschen Erfahrungen mit sowie Kenntnisse über Migrant/innen und Migration in Westdeutschland gemacht haben. Trotz dieses größeren Erfahrungsaustausches mit multi-ethnischen oder ethnisch diverseren Orten, liegt geografisch der Großteil der Fall-
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
kommunen der beiden Forschungsprojekte in eher peripher und abgeschotteten Regionen Thüringens und sind überwiegend durch Abwanderung und Schrumpfung als durch Zuwanderung und zirkulierendem Wissen geprägt. Die in den beiden Forschungsprojekten untersuchten Kommunen sind Artern mit 5.500 Einwohner/innen, Mühlhausen mit ca. 35.000 Einwohner/innen, Meiningen mit ca. 21.000 Einwohner/innen sowie die drei größten Städte Erfurt mit ca. 210.000, Jena mit ca. 109.000 und Gera mit knapp 98.000 Einwohner/innen (Stand Dezember 2016) (siehe Kapitel 7). Bis auf die Städtekette Jena-Weimar-Erfurt schrumpft und altert der Freistaat Thüringen drastisch, wenn auch regional sehr ungleichmäßig, wie in den meisten Bundesländern. Seit 1989 haben etwa 500.000 Menschen Thüringen verlassen. Diese Disparitäten verstärken sich durch die geografisch und geologischen Gegebenheiten: Gebirgszüge, Täler, Verkehrsachsen, der Thüringer Wald bilden verkehrstechnisch Schneisen und Furchen und führen dazu, dass manche Regionen relativ gut angeschlossen und erschlossen sind, während andere eher verkehrstechnisch abgekapselt und strukturell benachteiligt wurden, was die Schrumpfungsprozesse und strukturellen Benachteiligungen dort verstärkt. Trotz der knapp 100.000 Einwohner/innen ist Gera eine dieser eher infrastrukturell abgehängten und peripher liegenden Kommunen an der Grenze zu Sachsen (Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, 2016). Wenige stabile bzw. wachsende oder sich verjüngende Ausnahmen stellen vor allem die drei Universitätsstädte Erfurt, Jena und Weimar dar, die auch zunehmend mehr Studierende und zum Teil auch Arbeitnehmer/innen aus Westdeutschland und den europäischen Nachbarländern gewinnen können. Damit kann an diesen drei Orten auch von einer langsamen Etablierung eines ethnisch und sozial diverseren Alltags gesprochen werden, der sich aber nur auf die ausgewählten größeren Städte und dort auch nur auf sehr wenige Stadtteile konzentriert, während sich das öffentliche Leben in Gera trotz der Größe und diversen Ausbildungseinrichtungen nur wenig ethnisch und sozial vielfältig bzw. urban zeigt. Die illustrierten räumlichen Disparitäten gehen überdies mit dem Paradigma der schrumpfenden Städte einher, welches in Thüringen wie in den anderen ostdeutschen Bundesländern bereits sehr lange für die Betrachtung der Entwicklung von Städten bestimmend ist. Dieses Schrumpfungsparadigma umfasst auch eine Auseinandersetzung um die Folgen und den Umgang mit den demografischen Veränderungen, welche häufig mit starkem Rückbau von Wohnraum, aber auch Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen sowie von einem Mangel an Fachkräften geprägt ist. Gleichzeitig überaltern viele Regionen in Thüringen und insbesondere die jüngeren und gebildeteren Bevölkerungsteile wandern verstärkt ab. Ein weiteres Charakteristikum der sozialräumlichen Struktur Thüringens ist die geringe Erfahrung mit internationaler Migration. Thüringen kann
133
134
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
kaum soziale, ethnische oder lebensstilistische Diversität in der Bevölkerung vorweisen. So lag der Anteil von Ausländer/innen seit 1990 bei wenigen Prozentpunkten (2005: 2 %; 2011: 1,6 %; 2015: 3,8 %; ThOnSA, 2016). Vor 2012 waren die zahlenmäßig am stärksten vertretenen Migrant/innengruppen vorwiegend aus Polen und Russland (oftmals aus deutschsprachigen Gebieten oder mit deutschsprachigen Vorfahren), während in den letzten Jahren vor allem Geflüchtete und Asylsuchende nach Thüringen zugeteilt wurden. Diese kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Albanien und Eritrea (Schalast und Seidel, 2016, 15). Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 2,2 Millionen Menschen in Thüringen muss das Bundesland bei der Verteilung von Geflüchteten über den Königsteiner Schlüssel also lediglich 2,7 % (Stand 2016) aller in Deutschland ankommenden Geflüchteten unterbringen. Prozentual gesehen haben dabei die größeren Städte Jena, Weimar und Suhl mit 6,2 % bis 5,7 % sowie die Ballungsräume den größten Ausländer/innenanteil, der aber im Vergleich mit westdeutschen Landkreisen und Städten nach wie vor sehr gering ausfällt. (Schalast und Seidel, 2016, 11) Parallel zu bzw. vor dieser »neuen« Zuwanderung – von Geflüchteten –, gab und gibt es in Thüringen und so auch in Gera keine bzw. kaum internationale Migration(-serfahrung): Vor 1989 wurde nur sehr wenig und stark reglementierte Migration aus den sozialistischen Bruderstaaten in die ostdeutschen Bundesländer zugelassen, wie etwa die sogenannten Vertragsarbeiter/ innen aus Angola, Kuba, oder Vietnam, welchen soziale Interaktionen mit der deutschen Bevölkerung weitestgehend verboten wurde. Zudem wurden sie räumlich und sozial stark segregiert, reglementiert und abgeschottet untergebracht. Nach 1990 bestand die Migration nach Thüringen vor allem aus sogenannten Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion sowie Spätaussiedler/innen (Münch, 2013). Dies bedeutet, dass es nicht nur kaum/ keine interkulturellen Kompetenzen und Erfahrungen mit dem/die/der/das Anderen/Fremden in der Bevölkerung und so auch in den administrativen und politischen Ämtern gibt, sondern auch, dass keine positiven Bilder von Migrant/innen und Kenntnisse über von Diversität geprägten Lebensweisen, -gewohnheiten, Wohnbedürfnisse, Religionen etc. gibt. Zudem gibt es bis heute in Ostdeutschland und somit auch in Thüringen kaum ethnisch geprägte Viertel – auch nicht in den wachsenden Großstädten. Auf Landesebene werden Geflüchtete ähnlich dem Königssteiner Schlüssel, also nach Bevölkerungszahl und wirtschaftlichen Indikatoren, den einzelnen Kommunen und Landkreisen zugeteilt, welche sich dann der konkreten Versorgung mit ›Wohnraum‹ vor Ort widmen (müssen). Ein weiteres Charakteristikum des sozialräumlichen Kontextes Thüringens ist die politische Ausgangslage und die damit verbundenen Implikationen in Bezug auf die Thematik von Fluchtmigration. Seit Ende 2014 regiert erstmalig eine Rot-Rot-Grüne Koalition in einem Bundesland. Damit einher
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
geht eine besondere Fokussierung auf die Flüchtlings- und Integrationspolitik als ein zentrales Thema der Regierung, die stark auf die Unterbringungs- und Versorgungspraxis der einzelnen Kommunen und Landkreise einwirkt, oftmals in konfliktreichen Auseinandersetzungen mit diesen, wie das Fallbeispiel Gera darlegt. Der Fokus auf Migration und Integration zeigt sich zudem auch institutionell mit der erstmaligen und in der Bundesrepublik bisher einmaligen Einrichtung eines Migrationsministeriums oder auch in der Festlegung der Präferenz auf dezentraler Unterbringung von Geflüchteten im Koalitionsvertrag, was jedoch aufgrund der Ereignisse von 2015 nicht aufrecht gehalten wurde. Momentan wird etwa darüber diskutiert die im neuen bundesweiten Integrationsgesetz (vom 01.08.2016) geforderte Wohnsitzauflage für anerkannte Asylsuchende nicht umzusetzen (Gerressen, 2016). Diese und weitere Aspekte und auch gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen Thüringens und deren Auswirkungen wie Fachkräftemangel lassen die bisherige Landespolitik als eine Propagierung von Willkommenskultur zumindest auf der Länderebene beschreiben. Der vierte Aspekt zur Erläuterung des besonderen sozialräumlichen Kontextes Thüringens stellen die virulenten rechten und rassistischen Hetzen, Mobilisierungen und Einstellungen im Bundesland dar. So hält etwa die Gewalt gegenüber Geflüchteten und deren Unterkünften trotz rückläufiger Zahlen von ankommenden Menschen an. Bereits bis Ende 2016 wurden 193 Angriffe auf Asylsuchende und ihren Unterkünften registriert (Mut gegen rechte Gewalt, 2017). Diese feindliche und ablehnende Haltung und Stimmung gegenüber Geflüchteten findet auch ihren in Ausdruck auf der Straße in den anhaltend stattfindenden Aufmärschen des Pegida-Ablegers Thügida in verschiedenen Kommunen des Bundeslandes und vor allem in Gera. Dort organisierten sich zudem mehrere Bürgerinitiativen gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Region und insbesondere gegen die Unterbringung im leerstehenden Wismut-Krankenhaus, das die Landesregierung als weitere Erstaufnahmeeinrichtung nutzen wollte. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der Verein »Wir lieben Gera« oder auch die Initiative »Wir lieben Ostthüringen«, welche von Sarah Schuhmann ins Leben gerufen wurde, die sowohl als Anmelderin einiger Thügida-Aufmärsche im Jahr 2016 gegen Flüchtlinge in Gera fungierte als auch Mitglied in der Partei »Die Rechte Thüringen« ist. Die beiden Gruppen führten nicht nur Störaktionen gegen einen Auftritt des Thüringer Migrationsministers in Gera-Liebschwitz und einen Infostand von einer Flüchtlingsunterstützer-Initiative in Gera durch, sondern arbeiten auch mit der in Ostthüringen nach wie vor stark vernetzten NPD zusammen (Thüringenrechtsaussen, 2015). Nicht zuletzt spielt dabei auch die AfD eine relevante Rolle im gesamten Bundesland. Die Partei ist mit 10,6 % der Wähler/innenstimmen mit acht Abgeordneten im Thüringer Landtag vertreten. Insbesondere der bundesweit bekannte und lautstark gegen Geflüchtete
135
136
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
und Ausländer/innen hetzende Fraktionsvorsitzende Björn Höcke spielt in der öffentlichen Debatte eine zentrale Rolle. Die sozialräumliche Integration von Flüchtlingen in Thüringen lässt sich somit nur vor dem hier beschriebenen Hintergrund verstehen: der räumlichen Disparitäten, der geringen Migrationserfahrung, einer von der Landesregierung propagierten Willkommenskultur und den vorhandenen rechten und rassistischen Einstellungen und Aktivitäten vor Ort. Dieser Kontexterläuterung folgt nun eine tiefergehende Einführung in die sozialräumliche Situation des Fallbeispiels Gera. Aus den bisherigen Beschreibungen wurde deutlich, dass einige wenige größere Städte sich auf Kosten der ländlichen Regionen stabilisieren, aber trotzdem genauso wenig Erfahrung mit internationaler Migration haben wie die ländlicheren Regionen. Besonders hoher Bevölkerungsrückgang war und ist vor allem in Ostthüringen und insbesondere in Gera zu verzeichnen. Dies bedeutet, dass es in Thüringen Wohnungsleerstand in fast allen ländlichen Regionen, kleinen und größeren Städten gibt, bis auf die bereits erwähnten an Bevölkerung wachsenden Städte mit eher angespanntem Wohnungsmarkt Jena, Erfurt und Weimar. Gera hingegen weist eine der höchsten Leerstandsquoten der Thüringer Städte auf. Der hohe Bestand an leerstehenden Wohnungen von Genossenschaften und kommunalen Wohnungsgesellschaften, die nicht nur Plattenbau, sondern gerade in Gera auch innerstädtische Altbauten betrifft, bilden nun die Basis für die sozialräumliche Integration von Geflüchteten. Allerdings sind wie im restlichen Thüringen viele der Wohneinheiten nicht nutzbar wegen notwendiger Modernisierungen, Mieter/innenwechsel oder aber sie sind gänzlich unbewohnbar. Gera ist auch in anderen Bereichen oft am unteren Ende von Statistiken zu finden. Die trotz allem drittgrößte Stadt des Landes mit rund 98.000 Einwohner/innen im Jahr 2016 (Stadt Gera, 2016) hat seit 1990 rund 38.000 Einwohner/innen verloren. Die Arbeitslosenquote lag 2014 auf dem thüringenweiten Höchststand von 11,4 %, wobei sich im Zeitraum der verstärkten Ankunft von Geflüchteten in der Stadt eine leichte Verbesserung auf 10 % im August 2016 verzeichnen ließ und dies auch weil durch die Geflüchteten Arbeitsstellen etwa in den Bereichen Soziale Arbeit, Sicherheit und Baugewerbe entstanden sind (ThOnSA, 2016). Die Zunahme von Geflüchteten in Gera hat insbesondere den Anteil der Ausländer/innen an der Bevölkerung stark verändert: Lag die Quote 1990 bei lediglich 0,7 % und selbst im Jahr 2000 bei gerade einmal 1,2 % hat sich der Anteil von Menschen mit nicht-deutschen Pass im Jahr 2015 auf 4,8 % erhöht und damit erstmalig den Thüringer Durchschnitt im gleichen Jahr (3,8 %) überschritten (ThOnSA, 2016). Dies ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass Gera Standort einer Erstaufnahmeeinrichtung (ein ehemaliges Krankenhausgebäude) für Geflüchtete ist. Neben dieser Einrichtung gibt es zwei
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
Gemeinschaftsunterkünfte sowie dezentrale Unterbringungen in der Stadt. Trotz Leerstands in der Innenstadt wurden die meisten Asylsuchenden in Gera den randstädtisch gelegenen Plattenbausiedlungen Bieblach-Ost im Nordosten und Lusan im Südwesten der Stadt zugeteilt, wo sie nun in Wohngemeinschaften von bis zu zehn Personen wohnen. Beide Stadtteile sind infrastrukturell weniger gut angebunden und ausgestattet, sozial und demografisch homogen von Überalterung der dort lebenden Bevölkerung geprägt und für die Größe der Stadt weit von der Innenstadt entfernt gelegen. Was zu diesen politischen Entscheidungen hinsichtlich der Unterbringung der Geflüchteten führt, lässt sich allerdings nicht allein durch die aufgeführten Kontextualisierungen der Situation in Thüringen wie Gera erklären. Daher folgt nun die Darstellung der Erkenntnisse unseres Projektes »Migration statt Schrumpfung. Wohnen und Leben Asylsuchender und Geflüchteter in Gera« in Bezug auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten sozialräumlicher Integration von Flüchtlingen.
M öglichkeiten und S chwierigkeiten der sozialr äumlichen I ntegr ation »Demnach wäre sozialräumliche Integration die gleichberechtigte Teilhabe der Zuwanderer am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben, organisiert auf der Ebene des Stadtteils.« (Petendra, 2005, 4) Diese Definition sozialräumlicher Integration, insbesondere die Aufschlüsselung auf die vier Dimensionen der Teilhabe, dient als Grundlage unseres Verständnisses jenes Terminus. In dem Forschungsprojekt über das Alltagsleben von Geflüchteten in Gera sowie in dem darin ethnografisch erhobenen und begründeten Beobachtungs- und Interviewmaterials wurden folgende Themenfelder identifiziert, die den Sozialraum wie auch das Leben und den Alltag von Geflüchteten und somit auch deren Integrationsprozesse beeinflussen: Alltag, Mobilität, Versorgung, Verwaltung, Ängste, Ehrenamt. Zur vertiefenden Betrachtung wurden zusätzlich weitere Wirkungsfelder aus der Literatur herangezogen: Dies sind neben dem starken Fokus auf Wohnen auch Freizeit, Bildung, Gesundheit und Kultur. Die oben in der Definition erwähnten ökonomischen und politischen Teilhabedimensionen für Geflüchtete in Gera haben sich im Material nicht aufgezeigt, was zum Teil auch auf die strukturellen Hindernisse von Asylsuchenden etwa in Bezug auf ein Arbeitsverbot während des laufenden Asylverfahrens zurückzuführen ist. Die identifizierten Themenfelder werden im Folgenden anhand ausgewählter Materialausschnitte aus den verschiedenen Interviews mit Akteuren (Geflüchtete, Hauptberufliche in der Fluchtarbeit sowie ehrenamtlich Engagierte) erläutert,
137
138
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
um somit die Chancen wie auch Restriktionen im Prozess der sozialräumlichen Integration von Geflüchteten in Gera zu schildern. Wie bereits oben angedeutet, ist dezentraler Wohnraum aufgrund der hohen Leerstände in der Stadt prinzipiell für Geflüchtete vorhanden, dennoch werden jene hauptsächlich an wenigen, randstädtisch gelegenen und schlecht angebundenen Orten untergebracht. Diese Problematik in Bezug auf das Wohnen von Flüchtlingen und deren räumlicher Abkopplung von der Innenstadt in Gera beschreibt eine hauptberuflich in der Flüchtlingsversorgung Arbeitende folgendermaßen: »Wir haben viele [Flüchtlinge], die in Bieblach-Ost oder Lusan untergebracht sind und die dann erst Mal gucken müssen, wie komm’ ich denn überhaupt in die Stadt«. Die infrastrukturelle Ausstattung an diesen Wohnorten findet auch in den geringen Freizeitmöglichkeiten vor Ort ihren Ausdruck. Bis auf wenige Jugendeinrichtungen und Spielplätze, gibt es so gut wie keine gastronomischen Angebote und öffentlichen Freizeiteinrichtungen in den beiden Vierteln. Die meisten allgemeinen Freizeitangebote aber vor allem auch die meisten der oft ehrenamtlich organisierten Freizeitbeschäftigungen für Asylsuchende sind in der Innenstadt zu finden. Zudem sind die dortigen Angebote oft spezifisch für Geflüchtete angelegt, was einerseits zwar einen Schutzraum bieten kann, andererseits aber Kontakt oder Interaktion mit anderen Geraer/innen eher verhindert. Nicht zuletzt gibt es auch aufgrund der demografischen Situation in der Stadt insgesamt gerade für junge Menschen und somit auch für die zumeist jungen Geflüchteten kaum passende Aktivitäten oder Orte für Beschäftigungen und Treffen am Abend oder Wochenende. Dies wird eindrücklich durch diese Aussage einer Geflüchteten: »Ich kann nicht alles in Gera machen, das Problem in Gera ist, dass um acht Uhr abends alle Geschäfte geschlossen sind. Und es sind auch keine Leute zu sehen.« Die unbelebten öffentlichen Plätze insbesondere abends und nachts steigern auch das Hemmnis und die Angst vieler Geflüchteter überhaupt aus den Unterbringungen oder deren unmittelbarem Umfeld hinaus zu gehen. Ein weiterer Einflussfaktor auf die sozialräumliche Integration von Flüchtlingen ist die geringe finanzielle Ausstattung und daraus entstehende eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten der Kommune. »Gera befindet sich finanziell in einer Schieflage als Kommune, dass wir also strukturelle Haushaltsprobleme haben und dass wir an vielen Stellen nicht so handlungsfähig sind, wie wir uns das wünschen würden.« (Hauptberuflicher) Dass gerade vor diesem Hintergrund Geflüchtete auch als Chance betrachtet werden könnten, weil man sie etwa als Bürger/innen, Konsument/innen oder Fachkräfte in der Stadt behalten will, wird dennoch bisher kaum diskutiert, weder als Idee noch in Form konkreter Anreize dafür. Bisher ist Gera daher meist nur Durchgangsstation auf dem Weg zur Weiterwanderung in offenere und größere Städte in Westdeutschland bzw. an Orte, wo bereits Bekannte oder Verwandte leben. Ins-
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
besondere an der Diskussion um die Umwidmung des Wismut-Krankenhaus in eine Erstaufnahmestätte zeigt sich nicht nur die weit verbreitete ablehnende und rassistische Haltung in der Region gegenüber Geflüchteten, sondern auch, dass die Kommune sich den hohen Miet- und Versorgungspauschalen, die Gera von der Länderregierung bekommen würde, versperrt. In Bezug auf das Themenfeld Bildung lässt sich konstatieren, dass die neu entstandenen Bildungsangebote, finanziell unterstützt durch Bundes- und Ländermittel und oft von zivilgesellschaftlichen Akteuren initiiert, gerade für minderjährige Geflüchtete neue (Kennen-)Lernprozesse initiieren können. Durch die Zunahme des Anteils von Kindern und Jugendlichen in der Stadt besteht auch die Möglichkeit anstehende Schließungen von Einrichtungen vorzubeugen, aber auch bereits bestehende Engpässe in der Versorgung zu verschärfen. Die öffentliche Verwaltung – als einer der wichtigsten Akteure im und für den Alltag – zeigt sich in Gera als eher unflexibel, schwerfällig und zurückhaltend im Umgang mit und der Versorgung von Geflüchteten. Viele Mitarbeiter/ innen versperren sich die neuankommenden Menschen und damit einhergehend auch die finanziellen Mittel durch die Landesregierung als neue Möglichkeiten für die Stadt zu sehen und zu nutzen. Dies spiegelt sich vor allem auch in der schwerfälligen Kommunikationsweise über und mit den Geflüchteten wider, aber auch in der mangelnden Kooperationsbereitschaft mit den lokalen Akteuren und uns im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts. In Bezug auf das Themenfeld Gesundheit bzw. Gesundheitsversorgung treffen Geflüchtete auf eine Ausgangslage, die bereits vor ihrer Anwesenheit vor Ort starke Problematiken und vor allem Engpässe aufweist, etwa in Form von Ärztemangel. Für Geflüchtete kommt zudem das langwierige und schwierig zu verstehende bürokratische Prozedere als weitere Hürde für eine Behandlung von Krankheiten hinzu: »Diese Prozesse sind für den gerade ankommenden Flüchtling erst mal nicht zu durchschauen. Das ist eine große Herausforderung. Denen diese Prozesse, die Abläufe auch begreiflich zu machen.« (Hauptberuflicher) Zudem entscheiden Beamt/innen ohne medizinische Kenntnisse über Arztbesuche. Eine weitere Schwierigkeit stellen in diesem Bereich auch die fehlenden interkulturellen Kompetenzen und Sprachkenntnisse des medizinischen Personals dar. Unabhängig von diesem eingeschränkten Zugang von Asylsuchenden zu Gesundheitsangeboten, stellt dies insgesamt eine Situation dar, die sich verschärft, verschärfen wird und somit den Handlungsdruck erhöht: »Das geht bei der Infrastruktur der Stadt Gera los, die also an bestimmten Stellen einfach immer wieder weiter zurückgebaut werden würde, wenn sich der Bevölkerungstrend nach unten vorsetzt.« (Hauptberuflicher) Sowohl die bereits skizzierten Bereiche der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktureinrichtungen sind von Rückbau und Umstrukturierung betrof-
139
140
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
fen als auch die Mobilitätsangebote der Stadt. Durch die randständischen, auf Hügeln liegenden Unterbringungsorte sind somit die Bewegungsabläufe und -radien und damit einhergehend Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt und erschwert, da wichtige Freizeit- und Treffpunkte aber auch Orte der alltäglichen Versorgung vor allem im Zentrum von Gera angesiedelt sind. Die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten und die oft unbelebten Straßen verstärken weiterhin die Angstempfindung vieler Geflüchteter im öffentlichen Raum und erhöhen die Hemmung sich zu Fuß auf den langen Wegen in und durch die Stadt zu bewegen. Dies wird in diesem Zitat eindrücklich aufgezeigt: »Wir hier in Bieblach, ich komme sofort hier her. Ich gehe nirgendwo in Bieblach hin, aber ich will sagen, dass wenn ich auf der Straße bin, wenn nicht viele Leute um mich rum sind, wenn ich ein paar Nazis treffe, dann fühle ich mich nicht sicher.« (Geflüchteter) Die Wahrnehmung der ständigen Beobachtung und des Argwohns durch andere Bewohner/innen Geras und der sichtbaren Präsenz von Neonazis im öffentlichen Raum sowie auch persönliche Erfahrungen von verbaler und physischer Gewalt veranlassen viele Geflüchtete ihre Bewegungsabläufe entweder einzuschränken oder aber sich nur in Gruppen mit anderen gemeinsam fortzubewegen. Ein freies und vor allem angstfreies Bewegen und auch Erkunden der Stadt ist somit für die Geflüchteten nur selten möglich. So wie die Geflüchteten oft Ängste äußern, so lässt sich dies auch bei Gera/ innen finden. Insbesondere Gruppen von (jungen) Männern machen vielen Geraer/innen Angst, wie mehrere Bewohner/innen schildern. So beschreibt eine Hauptberufliche dies folgendermaßen: »Die [Bewohner/innen] wollen nicht den Leerstand, aber sie wollen auch nicht das Fremde.« Es ist eine Atmosphäre der Angst vor dem Anderen und Fremden, wahlweise auch konkreter vor in Gruppen auftretenden Geflüchteten. Diese beiden Seiten von Ängsten wird bisher wenig durch irgendeine Form von Kommunikation oder Moderation etwa seitens der lokalen Medien, der Stadtverwaltung oder den sozialen Trägern begegnet. Abschließend und nicht zu vernachlässigen in der Diskussion um die Chancen und Schwierigkeiten sozialräumlicher Integration von Geflüchteten in Gera ist die Relevanz und der Einsatz zivilgesellschaftlicher Akteure und Einrichtungen: »Es ist eigentlich eine Bereicherung für beide Seiten, muss ich wirklich sagen. Man spürt wirklich die Dankbarkeit, sie sind sehr motiviert, die deutsche Sprache zu lernen und ja das ist doch eigentlich das Beste was man haben kann!« (Ehrenamtliche) So gibt es trotz der vielen benannten Widrigkeiten auch eine Vielzahl außerordentlich Engagierter, die sich gezielt mit den multiplen Problemlagen der mangelhaften Versorgung und Akzeptanz von Geflüchteten, aber auch dem virulenten Rassismus sowie der starken und weiter wachsenden Rechten in der Region auseinander setzen und dies zum Teil auch unter Einbeziehung von Geflüchteten. Sie sind die Akteure, die auf
9. Vom Schrumpfen zur Integration?
verschiedensten Ebenen für deren Integration und auch Verbleiben in Gera kämpfen. Dass dieses Engagement nicht selten mit Erfahrungen von Drohungen und Angriffen einhergeht, lässt sich angesichts der beschriebenen Schwierigkeiten und des Kontextes in Gera aber nicht ausblenden. Allgemein lässt sich das Leben und der Alltag von Geflüchteten in Gera und den damit einhergehenden Implikationen für ihre sozialräumliche Integration somit als insbesondere durch Kontakte und Interaktionen zu Behörden, Sozialdienste bzw. auch durch Einsamkeit und Warten geprägt beschreiben. Eine weitreichende Teilhabe auf unterschiedlichen Ebenen wie in der eingangs beschriebenen Definition sozialräumliche Integration ist zumeist nur in Ansätzen, wenn überhaupt aufzufinden.
F a zit Der zu Beginn aufgezeigte Fall des Wegzugs mehrere Schauspieler/innen des Theaters in Gera zeigt in aller Deutlichkeit die vielfältigen Problemlagen in der Stadt und dabei insbesondere die rechten und rassistischen Stimmungen und Angriffe gegenüber vermeintlich ›Anderen‹ oder ›Fremden‹ auf – ganz gleich, ob nun angestellt in einem städtischen Unternehmen oder gar einem überregional bedeutenden Schauspielhaus oder untergebracht in einer Gemeinschaftsunterkunft. Unsere Projektarbeit hat verschiedene Aspekte des Alltagslebens von Geflüchteten beleuchtet und Bereiche identifiziert, die Einfluss sowohl positiv wie auch negativ auf die sozialräumlichen Integrationsprozesse von Geflüchteten aufweisen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es in Gera, aber auch in den meisten anderen Thüringer und ostdeutschen Kommunen, bisher keine ethnic communities oder ähnliche Institutionen gibt, die insbesondere in der Anfangszeit eine Brückenfunktion und Unterstützung für Geflüchtete bieten können. Die aufgezeigten Haltungen der Verwaltung und Behörden, die sich aus verschiedensten Gründen dem Thema eher verschließen als öffnen, zeigen weiterhin wie wenig die bisher vor allem von oben verordnete Willkommenskultur der Thüringer Landesregierung auf Widerhall stößt, sondern zum Teil vielmehr Widerstand bewirkt. Dies schlägt sich unter anderem auch in einer zu weiteren Deprivationen führenden und mangelhaften Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten nieder – trotz hohem Leerstand im kommunalen Wohnungsbestand. Der präsente Rassismus und die rechten Stimmungen in der Stadt, sowohl in Form von Übergriffen wie wiederholend stattfindenden Demonstrationen und Veranstaltungen von Thügida, AfD und NPD und seit 2016 auch der Identitären Bewegung und dem sogenannten Dritten Weg, kreieren eine Angststimmung auf allen Ebenen.
141
142
Anna Marie Steigemann und Franziska Werner
Abschließend ist aber als positiv zu benennen, dass sich viele, vor allem ehrenamtlich sehr stark engagierte Menschen vor Ort einsetzen und auch zum Teil mit überregionalen Vernetzungen, medialer Präsenz und anderen Aktivitäten, trotz ständiger persönlicher Drohungen eine andere Situation schaffen wollen. Sie sind wichtige Akteure vor Ort, um Situationen und Möglichkeiten für sozialräumliche Integration in Form von Austauschmomenten, Begegnungen und Treffpunkten zu schaffen. Mit diesem Engagement einhergehend und auch durch die bloße Präsenz von Geflüchteten im öffentlichen Raum Geras ist eine Belebung der Stadt zu erkennen, die auch von vielen Gewerbebetreibenden, Vereinen wie »Ja für Gera e.V.« und Bewohner/innen wiederum wertgeschätzt wird. Final kommen wir aus unseren Erfahrungen und Erkenntnissen des Projektes daher zu dem Schluss, dass die sozialräumlichen Prozesse in Gera bisher eher als Ankommens- als als Integrationsprozesse beschrieben werden können. Die sozialräumliche Integration von Geflüchteten ist zum momentanen Zeitpunkt als ambivalent zu bezeichnen, wobei dies vermutlich nicht nur das hier skizzierte Gera, sondern auch auf viele andere Kommunen in Deutschland in ähnlicher Weise zutrifft.
10. Heilbad Heiligenstadt
Bürgerbündnisse als Zeichen der Zivilcourage und
moderne Erscheinungsform rechtsextremer Bestrebungen
Mario Wolf
Die im Jahr 2015 entstandene Dynamik von zahlreichen in Deutschland eintreffenden Geflüchteten stellte die Verantwortlichen in Nordthüringen vielerorts vor die Herausforderung einer kurzfristigen Unterbringung. Nachdem die Behörden bereits innerhalb weniger Wochen mehr als 450 Schutzsuchende im Landkreis Eichsfeld untergebracht hatten, vermeldeten die Erstaufnahmestellen ab Juli 2015 die Zuweisung von weiteren Geflüchteten. Die zu koordinierende Umverteilung in die verschiedenen Kommunen des Kreises unterlag als Verwaltungssitz Heilbad Heiligenstadt. Bis zu diesem Zeitpunkt verfolgte der Landkreis die Strategie der dezentralen Unterbringung. Neben vereinzelten anfänglichen Protesten von ansässigen Bewohner/innen konnten bis dato keine organisierten und Gesellschaftsgruppen aktivierenden Proteste verzeichnet werden. Dies sollte sich im Spätsommer 2015 ändern. Mit der rasch zunehmenden Zahl an Geflüchteten stieß die bis dahin forcierte dezentrale Unterbringung an ihre Grenzen. Die Kommunen im Eichsfeld verfügten nur noch über wenige freie Wohnungen und auch die Gemeinschaftsunterkünfte des Landkreises wiesen keine weiteren Unterbringungskapazitäten auf. Gleichzeitig war der Landkreis bei der Wohnungsfrage auf die Kooperation und Unterstützung von privaten Immobilieneigentümer/ innen angewiesen. Im Juli 2015 konnten die Privateigentümer/innen den Bedarf an Wohnraum jedoch nur noch unzureichend decken. Folglich war der »Landkreis darauf angewiesen, mit eigenen Liegenschaften die Aufgabe zu lösen«, wie Landrat Werner Henning gegenüber der Ostthüringer Zeitung betonte (zitiert nach Feuerriegel, 2015). Vor diesem Hintergrund werden mit der Kommune Heilbad Heiligenstadt und der Siedlung Bodenstein (siehe Kapitel 11) anhand von zwei im Eichsfeld gelegenen Orten die mit der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in Ver-
144
Mario Wolf
bindung stehenden lokalen Reaktionen exemplarisch rekonstruiert. Ziel ist es einen Einblick in die vorliegenden sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken zu erhalten, um auf einer übergeordneten Ebene Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Bedenken und Sorgen der jeweiligen Anwohner/innenschaft zu ziehen. Grundlage für die Untersuchung bilden zahlreiche Gespräche mit Akteuren der Zivilgesellschaft. Es wurde mit Bürger/innen gesprochen, die sich im Rahmen von verschiedenen Initiativen und Bündnissen für Geflüchtete engagieren sowie Regionalkoordinator/innen von Landesprogrammen konsultiert, deren Projekte einen aktiven Beitrag für ein weltoffenes Eichsfeld leisten. Der Austausch mit Kirchenvertreter/innen ermöglichte darüber hinaus Kontakte zu »besorgten Bürger/innen«. Das folgende Kapitel kann daher als ein zusammengesetztes Mosaik aus Informationsbausteinen verstanden werden, die auf einem weiten Personenkreis mit verschiedenartigen Hintergründen basieren. Die einzige Gemeinsamkeit, die viele Interviewpartner/innen eint, scheint ihre gewünschte Anonymität zu sein, die, wenn nicht anders gehandhabt, gewahrt bleiben soll. Ergänzend zu den explorativen und systematisierenden Interviews wurden ebenfalls teilnehmende Beobachtungen ausgeführt und Versammlungen von asylkritischen Bündnissen besucht. Eine digitale Recherche in sozialen Netzwerken erbrachte zusätzliche Hintergrundinformationen.
H eilbad H eiligenstadt – ein M it tel zentrum Die im Obereichsfeld und nahe des Dreiländerecks Hessen-NiedersachsenThüringen gelegene Kommune Heiligenstadt zählt im Jahr 2015 knapp 16.500 Einwohner/innen (TLS, 2016). Hinsichtlich der Altersstruktur folgt Heiligenstadt dem Trend des Älterwerdens in Thüringen, sodass das Durchschnittsalter von 1993 bis 2003 von 36,3 auf 44,9 Jahre ansteigt (TLUG, 2013). Während Thüringen mit einem Ausländeranteil von 2,5 % im bundesweiten Vergleich den geringsten Wert aufweist (TLS, 2015), liegt dieser in Heiligenstadt bei nur 1,8 % (TLS, 2014a). Wirtschaftlich blickt die Kommune auf eine starke Rezession zurück. Nach einer kulturellen und wirtschaftlichen Blüte im Hochmittelalter und einem wachsendem Kurtourismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, verliert das Eichsfeld aufgrund der Lage im Zonenrandgebiet seine historisch gewachsenen Wege- und Handelsbeziehungen nach Hessen und Niedersachsen. Als politische Reaktion auf die einhergehende wirtschaftliche Marginalisierung wird ab 1959 versucht, die Region durch den Eichsfeldplan zu einem sozialistischen Industrie- und Agrargebiet zu entwickeln. Volkseigene Betriebe stellen die Hauptarbeitgeber/innen dar, die ab 1990 jedoch nur partiell in privater Hand weitergeführt werden. Bis zum Jahr 2007 steigt die Arbeitslosenquote in
10. Heilbad Heiligenstadt
Landkreis auf knapp 17 % an. Erst in den folgenden Jahren lässt sich ein wirtschaftlicher Aufschwung beobachten, sodass die Erwerbslosenquote auf 4,7 % fällt (Aschoff, 2015). In Heiligenstadt ist diese Entwicklung maßgeblich auf den stetigen Anstieg an Kurgästen zurückzuführen, wodurch die Kommune zu den führenden Kur- und Tourismusorten in Thüringen zählt. Städtebaulich prägen die Kureinrichtungen das Ortsbild der in einem Tal an der Leine gelegenen Kommune. Ein weitläufiger Kurpark erstreckt sich nahe des historischen Stadtkerns, dessen Zentrum der Marktplatz und die St. Aegidienkirche bilden. Zahlreiche kleine von Fachwerkgebäuden gesäumte Gassen und Straßen durchziehen die Altstadt, die von der auf dem Klosterberg gelegenen St. Martinskirche überblickt wird. Die historische Stadtmauer umschließt den Altstadtkörper noch weitestgehend. Bei einer sozioökonomischen Betrachtung spiegeln sich demografische Dynamiken sowie die wirtschaftliche Situation in dem begrenzten Angebot des Einzelhandels und nur vereinzelten Cafés und Restaurants wider. Als symptomatisch kann die direkt am Marktplatz gelegene Gaststätte »Haus des Handwerks« angeführt werden, die ihre Gäste noch mit dem Ambiente der 1980er Jahre erwartet.
B eginn einer K ontroverse Vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Zuweisung von Geflüchteten verfügt der Landkreis im Sommer 2015 über keine weiteren freien Wohnraumkapazitäten, sodass die Ankündigung am 10. August 2015 des Thüringer Landesverwaltungsamtes über die baldige Ankunft von voraussichtlich weiteren 500 Geflüchteten einen dringenden Handlungsdruck im Eichsfelder Landratsamt erzeugt. Da die Kommunalverwaltung weder an der Anzahl noch an dem prognostizierten Zeitraum zweifelt, sieht sich der Landkreis mit der zügigen Standortwahl für eine dritte Gemeinschaftsunterkunft konfrontiert (Feuerriegel, 2015). Unter diesen Rahmenbedingungen verkündet Landrat Werner Henning (CDU) am 12. August 2015 und damit nur eine Woche vor dem Ende der Sommerferien, dass zu Beginn des neuen Schuljahres der Unterricht aus der Heiligenstädter Förderschule in das knapp 16km entfernte Förderzentrum von Birkungen ausgelagert wird. Die leer gezogenen Räumlichkeiten in Heiligenstadt sollen fortan als Flüchtlingsunterkunft dienen. Seine Entscheidung begründet er durch die sehr geringe Auslastung der beiden Förderzentren, deren Zusammenlegung bereits seit Jahren durch das Schulverwaltungsamt diskutiert worden sei. Außerdem wären für die Umnutzung der Förderschule zur Gemeinschaftsunterkunft nur geringfügige bauliche Veränderungen erforderlich, da das Gebäude in den 1960er Jahren ehemals als Kinderheim gebaut wurde und bereits über einen sanierten Gebäudetrakt verfüge. Grundsätzlich
145
146
Mario Wolf
stellt Henning die Maßnahme als eine Interimslösung dar und betont, dass die Belegung von Turnhallen sowie das Errichten von Zeltstädten inakzeptabel sei und die Flüchtlinge langfristig auf dezentrale Wohneinheiten verlegt werden sollen. Ein öffentlicher Aufschrei, laut dem die Politik zwei benachteiligte Gruppen bewusst gegeneinander ausspielen würde, verhallt unbeachtet. Auf politischer Ebene stößt die Entscheidung des Landrats auf Verständnis und der Bürgermeister von Heiligenstadt, Thomas Spielmann (Bürgerinitiative Menschen für Heiligenstadt), betont in Anbetracht der gegebenen Umstände die Rationalität der Entscheidung. Gleichzeitig wird die Informationspolitik des Landrats kritisiert, der die Umnutzung der Förderschule ohne Absprache mit weiteren politischen Entscheidungsträger/innen bzw. den Dialog mit der Elternschaft beschloss. Ebenfalls wird auf die nach außen wahrzunehmende Signalwirkung hingewiesen. So würde in einer bereits strukturschwachen Region eine Bildungsanstalt geschlossen werden, um das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Bei den betroffenen Eltern ruft die Entscheidung des Landrats Unverständnis und Empörung hervor, die sich in den folgenden Wochen in verschiedenartigen Protestformen manifestieren. Eine undurchschaubare sozialpolitische Eigendynamik entsteht, bei der die Schließung des Förderzentrums bald nicht mehr im Vordergrund steht. Ausgangspunkt dieser Dynamik stellt eine Facebook-Gruppe dar, die unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Schließung des Förderzentrums von einer Mutter aus der Elternschaft der Schule gegründet wird. Ihr Anliegen ist der Erhalt der Bildungseinrichtung. Die Eltern argumentieren nicht nur mit dem verlängertem Schulweg für ihre Kinder, sondern auch mit der kostspieligen und bedarfsgerechten Sanierung des Gebäudeabschnittes. Auch die Art und Weise in der die Entscheidung getroffen wurde, steht in der Kritik. Erste Protestformen wie Stellungnahmen, Petitionen oder Kundgebungen werden auf sachlicher Ebene diskutiert. Mit der voranschreitenden Diskussion fallen in der Facebook-Gruppe verstärkt hetzerische und rechtsradikal konnotierte Begriffe, sodass sich erste Eltern und Unterstützer/innen von dieser distanzieren. Auch in der gestarteten Onlinepetition, die sich mit der Forderung nach dem Erhalt des Förderzentrums direkt an den Landrat richtet, ist diese Entwicklung zu beobachten. Ausgehend von zentralen Fragen wie »Wir als Eltern fragen uns warum wird eine Schule für Lernbehinderte [sic!] Kinder für Asylbewerber und Flüchtlinge geschlossen? Warum wird kein anderes Gebäude dafür benutzt?« oder »Sind lernbehinderte Kinder in unserer Gesellschaft nichts wert?«, finden sich in der Kommentarfunktion bald Bemerkungen wie »Die kinder [sic!] sind unsere Zukunft und nicht diese asylschmarotzer [sic!]!«. Bevor die Petition geschlossen wird, unterschreiben insgesamt 5.848 Unterstützer/innen (Huschenbett, 2015). Zu diesem Zeitpunkt wird der Protest erstmalig aus dem virtuellen
10. Heilbad Heiligenstadt
in den öffentlichen Raum getragen. Es folgt eine öffentlichkeitswirksame Unterschriftensammlung für die Petition, wobei selbst schon bei den teilnehmenden Kindern der Grundtenor entsprechend wiederzufinden ist: »Unsere Schule wird wegen Asylanten geschlossen«, wie Gesprächspartner/innen übereinstimmend berichten. Sie weisen auch auf die Unterstützung durch den Thüringer Landesverband der Partei Alternative für Deutschland (AfD) bei der Initiierung der Petition und den Erhalt der Förderschule hin. Hintergrund sei die allgemeine Kritik am Inklusionskonzept als fester Bestandteil der bildungspolitischen Forderungen der AfD. Ebenso deuten sich bereits seit Beginn der Proteste erste inhaltliche Einflüsse durch Sympathisant/innen der NPD und Freien Kameradschaften an. Diese erteilen insbesondere Ratschläge hinsichtlich der Organisation von Demonstrationen, sodass letztendlich für den 19. August 2015 eine Anmeldung für eine solche vorliegt. Im Fokus steht die Erhaltung der Förderschule, auf den Plakaten sind Forderungen wie »Die Schule gehört uns!« oder »Lasst den Schülern ihr gewohntes Umfeld!« zu lesen. Es wird nach dem »Warum?« gefragt. Hetzende und rechtspopulistische Rufe, wie sie sich auf den digitalen Plattformen häufen, werden nicht laut. Vom Charakter ähnelt die Demonstration einem Familienfest. Zahlreiche Eltern mit Kinderwagen sind dem Aufruf gefolgt, während sich der stellvertretende Elternbeirat der Schule Wolfram Staufenbiel öffentlich von rechten Gedanken distanziert. Ebenso befinden sich jedoch laut einem Gesprächspartner unter den knapp 50 Teilnehmer/innen auch mehrere Sympathisant/innen der NPD, die in schwarzen Hosen und weißen mit charakteristischen Eichsfeld-Schriftzug am Kragen bestickten Hemden, schwarzen Schlips und rotweißen Eichsfeld-Fahnen deutlich aus dem bunten Demonstrationszug hervorstechen.
W ie bunt ist H eiligenstadt ? Als Reaktion auf die Proteste der Elternschaft und Kritik aus der Bevölkerung wird am 27. August 2016 in der Stadthalle eine Informations- und Diskussionsveranstaltung abgehalten. Auf dem Podium sitzen unter anderem die Thüringer Integrations- und Flüchtlingsbeauftragte Mirjam Kruppa, die SPD-Landtagsabgeordnete Birgit Pelke, Landrat Werner Henning (CDU) und Bürgermeister Thomas Spielmann (Bürgerinitiative). Insgesamt haben 300 Menschen den Weg zu der Veranstaltung gefunden, bei der die Elternschaft und die Nachbar/innen des Förderzentrums in den vorderen Reihen sitzen. Inhaltlich wird an diesem Abend ein weiter Bogen gespannt. Ausgehend von Fluchtursachen über die aktuellen Zahlen bis hin zu der Umwandlung des Förderzentrums in eine Gemeinschaftsunterkunft. Laut den Gesprächspartner/innen bittet der Landrat hinsichtlich der gewählten Informationspolitik um Nachsicht, denn die Ankündigung des Thüringer Landesverwaltungsamts
147
148
Mario Wolf
habe ihn unmittelbar am ersten Tag nach seinem Urlaub überrascht. Sorgen werden diskutiert, aber auch Fragen gestellt, wie beispielsweise den ankommenden Menschen durch die Bürgerschaft geholfen werden könne und immer wieder wird bekundet, einer braunen Gesinnung keinesfalls eine Plattform geben zu wollen. Diese Position wird auch durch den angewandten Paragraf 6 des Versammlungsgesetzes deutlich und so verkündet ein Schild am Eingang, dass »Personen, die rechtsextremen Parteien angehören und bereits durch […] nationalistische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen aufgefallen sind, von der Veranstaltung ausgeschlossen« sind (zitiert nach Backhaus, 2015a). Insgesamt verläuft die Veranstaltung in einer sehr ruhigen und gesitteten Atmosphäre und wird durch den Moderator dankend mit den Worten »Wir sind in der Lage, vernünftig miteinander zu reden« geschlossen. Als einziger Störfaktor treten Thorsten Heise (führender Aktivist der regionalen Freien Kameradschaftsszene, NPD Abgeordneter im Eichsfelder Kreistages und Mitglied im Bundesvorstand der NPD) und Matthias Fiedler (für die NPD im Stadtrat von Heiligenstadt) in Erscheinung. Sie positionieren sich im Rahmen einer Eilversammlung und ausgerüstet mit Lautsprechern sowie dem aus dem Landtagswahlkampf 2014 stammenden Plakat »Kindergärten statt Asylheime« direkt vor der Stadthalle, um ihre menschenverachtende Propaganda zu verkünden. Obwohl die NPD-Veranstaltung laut allen Gesprächspartner/innen vollkommen unbeachtet bleibt, bedankt sich der NPD Kreisverband Eichsfeld anschließend auf seiner Homepage für die »Aufmerksamkeit der örtlichen Bevölkerung«. So hätten sie »nicht nur etwa 100 Passanten sondern auch alle Bürger die die Veranstaltung der SPD frustriert verließen [erreicht]« (zitiert nach NPD, 2015a). In den auf die Informationsveranstaltung folgenden Tagen ist in der Facebook-Gruppe ein Wandel hin zu offensichtlicher Fremdenfeindlichkeit zu beobachten. Während zuvor noch hauptsächlich auf einer sachlichen Ebene diskutiert wurde, wird sich jetzt den gängigen Stigmata über Flüchtlinge bedient und beispielsweise Bilder von vermüllten Hinterhöfen angeblicher Gemeinschaftsunterkünfte in der Region gepostet. An der vorangegangen Versammlung hatten die Autor/innen der Beiträge jedoch nur vereinzelt teilgenommen. Da die Gruppe mittlerweile öffentlich zugänglich ist und Vertreter/innen der Presse sowie der Stadtverwaltung beigetreten sind, appelliert Bürgermeister Spielmann letztmalig an einen gemäßigten Umgang und positioniert sich gegen jegliches rechtes Gedankengut. Seine Fragen, warum die im virtuellen Raum vorgetragenen Ängste und Diffamierungen nicht auf der Versammlung angesprochen wurden, bleiben unbeantwortet. Viele der vorherigen Unterstützer/innen des Protests folgen seinem anschließenden Austritt aus der Gruppe, da sie sich mit dem Wandel des Dialogs hin zu puren Aggressionen gegenüber
10. Heilbad Heiligenstadt
Flüchtlingen, Andersdenkenden und der Politik nicht identifizieren möchten. Letztendlich wird die Gruppe gelöscht. Inhaltlich begleitet wird die Debatte von dem »Eichsfelder Bündnis gegen Rechts/Initiative für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie«. Gegründet als Reaktion auf den Zuzug des NPD-Mitglieds Thorsten Heise ins Eichsfeld im Jahr 2004, setzt es sich als ein überparteilicher und interreligiöser Zusammenschluss für ein tolerantes und weltoffenes Eichsfeld ein. Das Bündnis »sieht Demokratie und Toleranz als Grundwerte eines friedvollen Zusammenlebens als unabdingbar an, tritt menschenfeindlichen, rechtsextremen Parolen und Halbwahrheiten klar entgegen und macht auf Ursachen, Folgen sowie Gefahren durch Fremdenfeindlichkeit und Gewalt aufmerksam« (zitiert nach EbgR, 2015). Nachdem sich das Bündnis in den ersten Jahren hauptsächlich mit Vorträgen, Diskussionsabenden und Protestveranstaltungen gegen den sogenannten Eichsfeldtag1 positionierte, erfährt es durch die zunehmenden Flüchtlingszahlen eine größere Bedeutung. Mit Beginn der Kundgebungen und Demonstrationen von Pegida in Dresden, seinem regionalen Ableger Thügida und den wöchentlichen Demonstrationen der AfD in Erfurt, organisiert das Bündnis verstärkt Veranstaltungen, die zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den offen in Erscheinung tretenden rechten Inhalten auffordern. In diesem Kontext wird in Heiligenstadt versucht den populistischen und menschenverachtenden Ressentiments mit gezielter Aufklärungsarbeit zu begegnen und die zunehmend öffentlich ausgesprochenen Halbwahrheiten zu korrigieren. Ein mehrseitiges Informationsblatt informiert über die aktuellen Fluchtursachen, die Herkunft der Flüchtlinge, den Ablauf des deutschen Asylverfahrens sowie die finanziellen Zuwendungen durch den Staat und die Kommune. Unterstützt wird die Arbeit des Bündnisses durch die Gruppe »Association Progrés«, die sich auf ihrer Homepage als »ein Zusammenschluss junger Menschen, welcher sich mit den politischen Verhältnissen in Deutschland und speziell im Eichsfeld beschäftigt« beschreibt. Ihr Ziel liegt darin, »progressive Positionen zu relevanten Themen zu erarbeiten […], linke Jugendarbeit in der Region voranzutreiben und rechte Strukturen aufzudecken«. Erreicht werden soll dies durch »Aufklärungsarbeit, Pressemitteilungen und Bildungsveranstaltungen« (AP, 2015). Schon im Jahr 2014 hatte die Gruppe im Rahmen einer Diskussion über die Einrichtung einer Gemeinschaftsunterkunft in Heiligenstadt vor einer zunehmenden Agitation durch die NPD gewarnt (Klaus, 2014). Die bereits im November 2013 gegründete Facebook-Gruppe »Heiligenstadt hilft Flüchtlingen« setzt sich aktiv für eine Willkommenskultur ein. 1 | Der seit 2011 nahe Heiligenstadt von Thorsten Heise und Matthias Fiedler sowie weiteren Aktivisten der NPD als Heimatfest organisierte »Eichsfeldtag«, stellt ein Rechtsrockfestival dar, das jährlich mehrere Hundert Neonazis anzieht.
149
150
Mario Wolf
N onnen als S innbild einer engagierten B ürgerschaf t Nachdem in der Anfangsphase in der durch die Eltern der Schule initiierten Facebook-Gruppe und auch auf der Bürgerversammlung noch konstruktiv über die Situation und mögliche Alternativen gesprochen wurde, rückt die Schulschließung im weiteren Verlauf der Debatte bzw. der Proteste aus dem Blickfeld. Stattdessen zeichnen sich immer häufiger offen und drastisch formulierte Agitationen gegen Flüchtlinge ab. Diese Stimmung wird von der NPD aufgegriffen, die daraufhin für den 19. September 2015 eine Kundgebung unter dem Motto »Nun ist Schluss! Heiligenstadt wehrt sich! Asylflut stoppen!« anmeldet. Der Aufhänger der Kundgebung liest sich laut der Bekanntmachung auf der Internetseite des NPD Kreisverbandes Eichsfeld wie folgt: »Während die etablierten Staatsmedien die ungezügelte Einwanderung von Millionen Menschen aus bildungsfernen Kontexten kleinredet, Zahlen fälscht und uns die hier einwandernden Analphabeten als Facharbeiter verkauft, meldet sich die NPD mit echten Zahlen zur Asyldebatte« (NPD, 2015b). Sprecher/innen sind unter anderem Thorsten Heise, Matthias Fiedler, und Monika Hirkow. Auslöser der Demonstration ist laut den Gesprächspartner/innen die Schließung des Förderzentrums, das jedoch nur nebensächlich erwähnt wird. Der Gegenprotest fällt für die NPD in Heiligenstadt jedoch unerwartet stark aus. So hat sich am diesem Tag eine breite Bürgerschaft versammelt, um gemeinsam gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit zu demonstrieren. Kommunalpolitiker/innen und Kirchenvertreter/innen schließen sich dem Protest an. Aktiv wollen sie gemeinsam »Gesicht zeigen«, um dem das Eichsfeld anhaftenden Stigma »Hochburg der Rechten« zu sein zu widersprechen und sich für eine Willkommenskultur einzusetzen. Auffällig ist die »bunte Masse«, sodass sich die Gegendemonstrant/innen längst nicht nur auf die schwarz gekleideten Anhänger/innen der Antifa beschränken. Stattdessen stehen Menschen allen Alters und aus jedem Gesellschaftsbereich hinter den Absperrgittern und versuchen die Hasstiraden der Sprecher/innen auf der NPD Kundgebung zu übertönen. Als emotionalste Situation des Tages beschreiben die Befragten einstimmig den Moment, als eine der Bergschwestern eine Regenbogenfahne ergreift und energisch über den Köpfen weiterer Demonstranten schwenkt. Es entsteht ein Bild, das seinen Weg in die Regionalpresse findet und von vielen engagierten Bürgern als eine Allegorie für ein geschlossenes Auftreten gegen Rechts im Eichsfeld gewertet wird (Siehe Abbildung 1/2).
10. Heilbad Heiligenstadt
Abb. 1 und 2: Meinungsstarker Protest gegen Fremdenhass und Rassismus
Quelle: Thüringer Allgemeine, Eichsfeld, Jüngel Eckardt, 20.09.2015
151
152
Mario Wolf
In den kommenden Wochen folgen noch weitere kleinere Demonstrationen, die von der im September 2015 gegründeten Initiative »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen« organisiert werden. Während auf Transparenten für »Kindergärten statt Asylheime« geworben wird und die Kameradschaft Nordheim auf ihrem Plakat mit dem Spruch »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht« zu Protesten aufruft, stehen meist Thorsten Heise und Matthias Fiedler am Mikrofon. Diese Demonstrationen stoßen jedoch nur auf eine sehr geringe Resonanz in Heiligenstadt. Parallel zu den in der Öffentlichkeit nur bedingt wahrgenommen Demonstrationen formiert sich seit September und insbesondere nach dem Schließen der Facebook-Gruppe ein weiteres Protestformat. In den kommenden Monaten soll es unter dem Namen »Ein Licht für Deutschland« einen trüben Schein in Heiligenstadt verbreiten. Als ideologisches und konzeptionelles Pendant dient eine sich »Bundesweiter Bürgerprotest – Aktion Grablicht« nennende Initiative unklaren Ursprungs. Diese versteht sich als eine »Interessenvertretung der Bürger Deutschlands« und kritisiert die »ungebremste und unkontrollierte Einwanderung von Millionen Menschen« (AG, 2015). Als Zeichen der Unzufriedenheit ruft die Initiative seit November 2015 ihre Unterstützer/innen jeden Sonntag dazu auf, »ein Grablicht oder eine rote Kerze gut sichtbar in ein Fenster oder vor die Tür« (ebd.) zu stellen. Auch zum »spontanen Begegnen« (ebd.) vor Rathäusern oder Kirchen wird ermutigt. Tritt die Veranstaltung anfangs noch unter dem Namen »Bürgerbewegung – Aktion Grablicht« in Erscheinung, distanziert sich die bundesweite Bewegung von den Veranstaltungen im Eichsfeld, sodass fortan für die zweimal monatlich stattfindende Veranstaltung der Name »Ein Licht für Deutschland« gewählt wird. Den Auftakt stellt das Aufstellen von ca. 15 roten Grablichtern auf den Stufen des Rathauses von Heiligenstadt am 01. November 2015 dar. Auch nach dem erzwungenen Namenswechsel bleiben die Art des Protestes und die Forderungen weiterhin identisch mit dem ›bundesweiten‹ Pendant. Die Veranstaltungen folgen immer dem gleichen Muster. Zu Beginn werden an den jeweiligen Sonntagen gegen 19 Uhr kleine Kerzen auf dem Marktplatz aufgestellt, dem ca. 30-minütige Reden von Thorsten Heise, Matthias Fiedler oder weiteren Sympathisant/innen der NPD folgen. Kritisiert wird die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Schwanken die Teilnehmer/innenzahlen bis Sommer 2016 zwischen 20 und 50, erreicht die Kundgebung am 15. November 2015 und damit nur zwei Tage nach den Terroranschlägen von Paris mit ca. 140 Personen ihren Höchststand. Als Initiator tritt das Bündnis »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen« in Erscheinung, das ähnliche Veranstaltungen auch in weiteren Gemeinden des Eichsfelds und Südniedersachsens etabliert. Gleichzeitig werden gegen diese »rechtspopulistische Lichter-Aktion«, wie sie einstimmig von Vertreter/innen des »Eichsfelder Bündnisses gegen Rechts« bezeichnet wird, im Namen einer solidarischen Gesellschaft Gegen-
10. Heilbad Heiligenstadt
proteste organisiert. Am Abend des 15. November 2015 folgen dem Aufruf jedoch nur knapp 50 Menschen (Backhaus 2015b).
I m trüben S chein – die A k tion »E in L icht für D eutschl and « Es ist empfindlich kalt an diesem Sonntagabend Anfang März 2016 und die wenigen den Bahnhof verlassenden Menschen sind Augenblicke später in ihren Fahrzeugen verschwunden. An der gegenüberliegenden Lagerhalle prangt ein Graffiti – »Refugees Welcome« – letzterer Begriff wurde nachträglich durch ein »OUT« ersetzt (s. Abb. 3). Die Innenstadt wirkt wie ausgestorben und ein unangenehm schneidender Wind zieht durch die nassen Gassen und Straßen. Abb. 3: Graffiti am Bahnhof von Heiligenstadt
Die Zeiger der Bahnhofsuhr weisen auf 18:30 Uhr und in knapp einer halben Stunde soll wieder die Aktion »Ein Licht für Deutschland« auf dem Marktplatz von Heiligenstadt stattfinden. Neben dem Aufruf zur Teilnahme an der Veranstaltung durch eine Facebook-Gruppe liegen keine weiteren Informationen über potenzielle Redner/innen oder Inhalte vor. 18:45 Uhr: Noch immer ist der Marktplatz menschenleer und liegt im Dunkeln. Einzig die Lichter des Restaurants »Zum Handwerk« erstrahlen hell, ver-
153
154
Mario Wolf
lieren sich jedoch in der Dunkelheit. Vereinzelte Personen betreten hastig das Restaurant. Es ist ungemütlich an diesem Abend. 18:50 Uhr: Ein Polizeiwagen positioniert sich an der Hauptzufahrt zum Markt, während ein zweiter direkt am Rande des Marktes parkt. Die Lichter werden ausgeschaltet, niemand steigt aus. Es ist ruhig. Die St. Aegidien Kirche ruht friedlich in der Finsternis – sie ist verschlossen. 18:55 Uhr: Lagen die von Laternen in orangenes Licht getauchten Seitenstraßen bis eben noch verlassen da, blitzen wie aus dem Nichts Fahrzeugscheinwerfer auf. Autos werden geparkt und Schemen von kleinen Menschengruppen laufen zügig Richtung Marktplatz. 19:02 Uhr: Etwa 20 Personen haben sich auf dem Marktplatz eingefunden, während hastig ein Standmikrophon und Lautsprecher aufgebaut werden. Ein ca. 3x1 Meter großes Banner wird entrollt und von zwei schwarz gekleideten jungen Männern gehalten. »ASYLFLUT STOPPEN!!! Das Eichsfeld wehrt sich« liest sich in weißen Buchstaben, auf dem in Weiß, Rot und Schwarz gehaltenen Banner. Das Mikrofon wird getestet und alle Umstehenden gebeten sich in der Mitte des Marktplatzes zu versammeln. Mittlerweile sind es ca. 35 Personen, die sich in leisen Gruppen unterhalten, während ein Mädchen im Kindergartenalter »Daddy« rufend auf ihren Vater zu rennt und ihm um die Beine fällt. Er nimmt es an die Hand, das Mädchen verstummt. Vereinzelte Besucher/innen entzünden Grab- sowie Teelichter und stellen sie in der Mitte des Marktplatzes auf. Es sind sieben Stück an jenem Abend. Einen Moment später ergreift Matthias Fiedler das Mikrofon und begrüßt die Umstehenden mit einem kraftvollen »Liebe Freunde« – die Veranstaltung beginnt. In den folgenden 40 Minuten eröffnet Fiedler den Zuhörer/innen ein weites Themenfeld. Beschlüsse der europäischen Außenpolitik werden nahtlos mit der Kommunalpolitik verknüpft sowie Interessen von Geheimdiensten und global agierenden Großkonzernen in den Kontext der aktuellen Flüchtlingsbewegungen gesetzt. Es entsteht ein diffuses Bild von einem durch die Flüchtlinge hervorgerufenen Untergang der Bundesrepublik als Ergebnis internationaler Verschwörungstheorien. Nach ein paar an das Publikum gerichteten einleitenden Worten, erfolgt der scheinbar obligatorischer »Gruß« an die Einsatzkräfte in den zwei Streifenwagen: »Ach Mensch, wo kommen denn die ganzen Polizeikräfte her? Ich dachte die wären überlastet«. Gelächter ertönt. Als inhaltliche Einführung thematisiert Fiedler zuerst die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Rheinland Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen Anhalt, die laut ihm »den größten Schwung von einer nicht im Parlament vertretenen Partei von heute auf morgen geschafft hat«. Im nächsten Atemzug werden die erzielten Erfolgte direkt mit den ein- bzw. zweiprozentigen Ergebnissen der NPD bei den vergangenen Kommunal- und Europawahlen angesprochen, die Fiedler als zu gering einstuft und er resümiert: »Wahlbetrug findet in der Bundesrepublik nicht statt, Frau
10. Heilbad Heiligenstadt
Bundeskanzlerin.« Es folgt ein Dankeschön an die »Reisebusgemeinschaft«, die dieses Mal mit zwei Bussen nach Berlin zur Großdemonstration »Merkel muss weg« gefahren ist. Auch bei dem Freundeskreis Thüringen-Niedersachsen wird sich bedankt, »die bei der Organisation mitgeholfen haben und uns in den letzten Wochen und Monaten eine dankenswerte Stütze und gute Freunde geworden sind«. Es wird auf den nahenden Flüchtlingsgipfel verwiesen, der einen Gesetzentwurf vorsieht, durch den laut Fiedler »massenhaft Flüchtlinge aus den Flüchtlingslagern auf direktem Wege nach Europa verschifft werden sollen, […] aus Griechenland, aus den europäischen und nicht-europäischen Ländern, direkt ins Herz von Europa«. Dabei sei die »Flüchtlingskrise« eine »[…] Fiktion, die es in dieser Form nicht gibt«, stattdessen habe man viel eher »eine Staatskrise«. Außerdem entsprächen die »herzzerreißenden Bilder« von Kriegsflüchtlingen an den Grenzen der Balkenroute nicht der Realität, viel eher würden diese durch die hiesigen Sozialleistungen angelockt und »möchten gerne mit der Bahn und dem Bus eingesammelt werden«. Auch der »TürkeiDeal« findet Erwähnung. Dieser soll Fiedler zufolge zwar »sechs, sieben oder acht Millionen sogenannte Flüchtlinge in der Türkei stauen«, jedoch werde das »[…] trojanische Pferd [gezielt] zusammenfallen und so mancher wird sich wundern, was da über die Trümmer gekrabbelt kommt«. Auch die bisherige Politikverdrossenheit im Eichsfeld wird an diesem Abend thematisiert und als Resultat die Flüchtlingsunterkunft in der Theodor-Storm-Straße präsentiert. Es wird von im Auto umherfahrenden Großinvestoren auf der Suche nach neuen Grundstücken berichtet, da die Unterbringung ein »knallhartes Geschäft« darstelle. Im Anschluss stellt Fiedler die eigene Gruppe »Heiligenstadt wehrt sich« vor, die sich nicht nur mit »der großen Asylpolitik« beschäftige, sondern ebenfalls kommunale Zustände anprangere. Die finanziellen Zuwendungen der Kommune und des Landes für die Kureinrichtungen finden Eingang in Fiedlers Argumentation für die Verschwendung von Steuergeldern, um im gleichen Atemzug die gestiegenen Kita-Gebühren in Heiligenstadt und die allgemeine Arbeitslosigkeit zu nennen. Fiedler spricht die Frage der »sozialen Gerechtigkeit« an, die sich dadurch kennzeichnen solle, dass »wir [die Deutschen, M.W.] […] insbesondere Familien stärken, unsere Kinder vernünftig ausbilden, dass man vielleicht sogar kostenfreie Kindergartenplätze anbietet«. Der Fortbestand des Generationenvertrags wird kritisch hinterfragt und von einem 32 Milliarden Haushaltsüberschuss im kommenden Jahr gesprochen, der nicht für das »eigene Volk«, sondern »ausschließlich zur Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen verwendet werden [soll] und dem schnell und permanent ein Riegel vorgeschoben werden muss«. Dem schließt sich eine Würdigung aller Mütter mit der Forderung an, ein »Muttergehalt von 500 € pro Kind [einzuführen], […] weil wir gesagt haben, ›Mutter, das ist ein 24 Stunden Job!‹«. Anschließend möchte Fiedler den Versammelten die Möglichkeit geben das ›Bürgermikrofon‹ zu ergreifen und sich selbst zu äußern. Gab es bis eben
155
156
Mario Wolf
noch Applaus und zahlreiche unterstützenden Zurufe, bleibt es nun ruhig – niemand möchte etwas beitragen. Abgeschlossen wird die Versammlung mit einem »Schwenk in die Welt, in der Daten und Symbole herrschen, wie die des 11. Septembers«. Neben den Angriffen auf die USA an diesem Datum wird von weiteren Ereignissen berichtet, die jedoch von der Weltgemeinschaft ignoriert wurden. Fiedler zeichnet die Umrisse eines mythischen Datums, an dem beispielsweise auch die CIA »eine demokratisch legitimierte Regierung in Südamerika aus dem Amt putschte« (wahrscheinlich Chile 1973, M.W.) und dies auch noch heute geschehe. Genannt werden Afghanistan und der Irak, »wo jetzt auch wieder Bomben auf Zivilisten fallen«. Dies passiere nicht zufällig, stattdessen seien diese »Ströme von Menschen, die auf Europa losgelassen werden, […] durch systematische Bombardierung der nahöstlichen Länder ausgelöst worden, weil dort Großkonzerne ihre Interessen durchsetzen wollen«. Als Gründe werden Öl und »andere Rohstoffe« sowie »Einfluss« genannt. Der Austritt aus der NATO und der Europäischen Union werden gefordert, »weil wir uns nicht länger vorschreiben lassen wollen, mit wem wir Handel betreiben und zu welchem Preise […] und wir nicht länger für US-amerikanische Angriffsflüge in anderen Ländern [Kosovo, Syrien, Afghanistan, M.W.] Verantwortung übernehmen wollen. Zuletzt folgt noch ein Aufruf, sich dem »Bürgerbündnis Heiligenstadt wehrt sich« aktiv anzuschließen, wobei die aktuelle Parteizugehörigkeit laut Fiedler unbedeutend sei. Rhetorisch verwendet Fiedler an diesem Abend eine klare Sprache, die sich durch zahlreiche stilistische Mittel auszeichnet. Er artikuliert sich sehr deutlich und spricht in einem mittleren Tempo, sodass jedes einzelne Wort verstanden werden kann. Eingelegte rhetorische Pausen geben seinen Aussagen auf dem in der Dunkelheit liegenden Marktplatz Zeit zum Verhallen. Mit zunehmender Intonation und darauf folgenden Pausen signalisiert er erwarteten Beifall – das Publikum reagiert und klatscht. Teilweise erschallen unterstützende »Ja«-Rufe oder ein lautes »Jawohl« aus der Menge. Deutlich wird, dass es sich um einen Personenkreis zu handeln scheint, der seit längerem befreundet oder sich zumindest bekannt ist. So erfolgt keine Ankündigung oder Vorstellung des Redners, der stattdessen ganz selbstverständlich das Mikrofon ergreift und seine Zuhörer/innen mit einem offenen »Liebe Freunde« begrüßt. Eine Floskel, die sich wie ein rotes Band durch seine Rede zieht und wahlweise durch die Personalpronomen »wir« oder »uns« ersetzt wird. Auch wird den Versammelten immer wieder für die Unterstützung gedankt und »Reisebusgemeinschaften« und »Freundeskreise« konkret angesprochen. Es sind diese direkten Ansprachen, auf die der stärkste Applaus folgt. Dies ist auch bei den vorgebrachten Themen zu beobachten. Während die Kritik an der internationalen Flüchtlingspolitik oder den Geschehnissen am 11. September nur bedingt auf Interesse stößt, wird die Menge bei lokalen und
10. Heilbad Heiligenstadt
sachbezogenen Kontexten, wie den Kurausgaben, anstehenden kommunalen Sanierungsausgaben oder den gestiegenen Kita-Gebühren von einer merklichen Euphorie ergriffen. Sie äußert sich in anhaltendem Applaus, zustimmenden Rufen, und gegenseitigem Zunicken. Es handelt sich um die Themen, die in den vergangenen Monaten die stadtpolitische Debatte in Heiligenstadt bestimmten (vgl. Feuerriegel, 2014; Hünger, 2015; Klaus 2015a). Unzählige rhetorische Fragen, wie »unterstützt ihr das?« erzeugen eine zusätzliche Spannung unter den Zuhörer/innen. Stilistisch werden die jeweiligen persönlichen Ansprachen und örtlichen Bezüge mit einer Klimax verbunden. Immer wieder greift Fiedler auf Phrasen zurück, wie: »Wir haben es erst geschafft, wenn wir die Hoheit über unsere Grenzen wiedererlangt haben, wir haben es erst geschafft, wenn unsere Politiker, unsere Volksvertreter wieder für das Wohl des deutschen Volkes eintreten, wir haben es erst geschafft, wenn wir nicht mehr aus der Not heraus nationale, patriotische, völkische Töne spucken, sondern wenn sich die Politik ihrer sozialen Verantwortung bewusst wird« oder »der Protest der Bevölkerung muss vor Ort organisiert werden. Hier, wo wir zuhause sind, wo wir was zu verlieren haben, hier, wo die Kita-Gebühren erhöht werden, hier müssen wir Widerstand leisten!«. Offenbar bewusst werden Verlustängste thematisiert und sich eines kämpferischen, militaristischen und nationalistischen Vokabulars bedient. Begriffe wie »Widerstand«, »Kampf«, »Massenunterkünfte«, »Wohlstandstouristen«, »einschleichende Flüchtlinge«, »trojanisches Pferd«, »Rettung unseres Landes« oder »die Deutschen« prägen die Veranstaltung und fungieren durch eine geschickte Betonung als Schlüsselworte. Aussagen wie »Deutsche, die in Zukunft Deutsche bleiben wollen« oder »Familien sichern die Zukunft unseres Volkes und unseren Landes! Sie sind der Garant für die Entwicklung und den Fortbestand unserer Geschichte!« werden emphatisch hervorgehoben. Das eurozentrische Weltbild verschwimmt dabei stark mit nationalistischen Gedanken, in denen Deutschland als »Herz Europas« erscheint und mit seinem ausgeprägten Sozialsystem kontinuierlich als Ziel aller Flüchtlingsbewegungen dargestellt wird. Hinsichtlich der Politik wird von »Gutmenschen« gesprochen und durch den stetigen Gebrauch des Wortes »sogenannt« sämtlichen Politiker/innen ihre Legitimation abgesprochen. Die Quellen aller präsentierten Informationen bleiben unbekannt. Hauptsächlich seien Fiedler die Informationen »zugesteckt« worden oder die Informanten können zu deren Schutz nicht genannt werden. Ebenso werden Themenblöcke gerne mit Floskeln wie »Da gibt es Menschen, mit den diskutiere ich auf der Straße, die erzählen mir« eingeleitet. Vereinzelt wird auf konkrete Nachrichtensender, wie beispielsweise N24 oder aktuelle Ereignisse verwiesen. So dient Fiedler der angesprochene Brüsseler Flüchtlingsgipfel als Deckmantel zur gezielten Streuung von Falschinformationen.
157
158
Mario Wolf
Die eigene politische Positionierung der Bürgerinitiative »Heiligenstadt wehrt sich« bleibt offen. Jedoch lassen sich immer wieder Sympathiebekundungen mit der AfD beobachten. Es wird sich intensiv bei den »Jungs und Mädchen der AfD« für deren »hervorragende Arbeit« bedankt, da sie »bestimmte Themen wieder auf die Tagesordnung geschoben haben«. Gleichzeitig distanziert sich Fiedler stellvertretend für alle Beteiligten von der AfD, »da viele ihrer Geldgeber aus der Großindustrie stammen und beispielsweise von der Zeitarbeit profitieren« und sie aus diesem Grund arbeitsmarktpolitische Themen meide. Abb. 4: Flyer: Aufruf zur Demonstration gegen die Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesregierung
Deutlich wird an diesem Abend immer wieder die vermeintliche Aufbruchsstimmung in Heiligenstadt, dem Eichsfeld und der gesamten Bundesrepublik, die letztendlich sogar mit der Wiedervereinigung verglichen wird: »Wir haben momentan die Situation wie im Herbst ’89«. Vor Abschluss der Veranstaltung wird noch ein Flyer verteilt, der zu der Demonstration »Merkel muss weg!« bzw. »Heiligenstadt steht auf!« aufruft. Auf der Rückseite wird vor der »schlimmsten Krise seit 1945«, der »Hereinspaziert-Politik« sowie »inneren Unruhen und dem absoluten Chaos« gewarnt (s. Abb. 4). Eine weitere ausgegebene Broschüre der UN (Unabhängige Nachrichten) mit der Hauptüberschrift »Es reicht! Schluss mit den Demütigungen!«, datiert auf Mai 2015, relativiert nationalistisch motivierte Verbrechen und dementiert zahlreiche Verbrechen der NS-Diktatur unter dem Mantel der »Richtigstellung der Zeitgeschichte« (s. Abb. 5).
10. Heilbad Heiligenstadt
Abb. 5: Cover der Unabhängigen Nachrichten: Verleumdung nationalsozialistischer Verbrechen
Das Publikum lässt sich an diesem Abend anhand rein visueller Merkmale keinem klaren politischen Spektrum zuordnen. Die Menschen stehen in kleinen Grüppchen gesammelt im Halbkreis und verlassen den Marktplatz nach Abschluss der Veranstaltung zügig. Nur vereinzelt bleiben Personengruppen stehen, um sich gegenseitig zu ›beglückwünschen‹ und weiterführend zu diskutieren. Grundsätzlich kann ein heterogenes Publikum beobachtet werden, das sich von Familien mit Kleinkindern bis zu Personen im hohen Rentenalter erstreckt. Das Geschlechterverhältnis zeugt von einer geringen Überzahl an Männern, unter denen sich auffällig viele Mittzwanziger befinden. Während mit Abschluss der Veranstaltung die meisten Personen alleine in ihren Fahrzeugen verschwinden, scheinen die Gruppen junger Männer zusammen angereist zu sein und steigen gemeinsam in einen Kleinbus – ein Fahrzeug das aufgrund vorheriger Recherche eindeutig Sympathisant/innen der NPD bzw. Mitgliedern der Freien Kameradschaften zugerechnet werden kann. Hatten diese Minuten vorher gegen »Asylanten« und »Wohlstandstouristen« gehetzt, genehmigen sie sich vor Abfahrt noch eine warme Mahlzeit in dem naheliegenden Asia-Restaurant und einem neu eröffneten Kebab-Haus.
159
160
Mario Wolf
Dort scheinen die von ihnen als »ordentliche Ausländer« bezeichneten Heiligenstädter/innen mit Migrationshintergrund zu arbeiten. Der Marktplatz liegt anschließend wieder ruhig im Dunkeln. Nur der kalte Wind fällt unangenehm auf und zeugt von der menschlichen Kälte, die Minuten vorher den Platz noch aufheizte.
B ündnisse und S chlüsselpersonen des P rotests Mit Blick auf den Verlauf der Debatte über die Unterbringung von Geflüchteten in dem Förderzentrum von Heiligenstadt, konnten einige Bündnisse und Personen identifiziert werden, die offensichtlich Schlüsselfunktionen bei der Organisation und der inhaltlichen Ausrichtung des Protests einnahmen. Ihre Hintergründe sollen im Folgenden untersucht werden:
1. »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen« Als eine der federführenden Initiativen erweist sich die Bewegung »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen«, die sich unmittelbar zu Beginn der in Heiligenstadt aufkommenden Diskussion gründet. Doch wer sind die Initiator/ innen des selbst ernannten »Bürgerbündnisses«? In den regionalen Tageszeitungen findet die Bewegung nur wenig Beachtung. Seit ihrem erstmaligen Erscheinen im Zuge der Aktion »Ein Licht für Deutschland« wird sie jedoch von engagierten Bürger/innen mit Sympathisant/innen der NPD bzw. der Freien Kräfte in Verbindung gebracht (Backhaus, 2015b). Gestützt wird diese These unter anderem auf der Herkunft des Slogans »Das Eichsfeld wehrt sich«. Bis September 2015 hatte mit diesem noch die NPD zur Teilnahme an ihren rechten Veranstaltungen aufgerufen (vgl. Klaus, 2015b). Diese Verbindungen werden auch mittels einer Kleinen Anfrage durch den Abgeordneten Raymond Walk (CDU) an den Thüringer Landtag im März 2016 deutlich. In seiner Anfrage thematisiert Walk die »Bürgerbewegung Aktion Grablicht« und fordert die Landesregierung zu einer Einschätzung hinsichtlich der ideologischen Hintergründe auf. Wörtlich heißt es in dem Antwortschreiben des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales: »Die Mahnwachen werden zwar von Privatpersonen angemeldet, jedoch unter dem Label ›Bündnis Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen‹ beworben. Anmelder der Veranstaltungen sind bekannte Rechtsextremisten. Die Anmelder der Mahnwachen im Eichsfeld, die augenscheinlich mit der ›Bürgerbewegung Aktion Grablicht‹ sympathisieren, gehören den freien Kräften der neonazistischen Szene im Eichsfeld an. Die Szene ist eng mit dem NPDKreisverband Eichsfeld verbunden. Dies zeigt sich auch an der regelmäßigen
10. Heilbad Heiligenstadt
Teilnahme von Mitgliedern des Vorstandes des NPD-Kreisverbandes Eichsfeld an den Mahnwachen. Verbindungen existieren darüber hinaus zur neonazistischen Szene in Niedersachsen.« (TMIK, 2016) Diese Einschätzung der Thüringer Landesregierung spiegelt sich auch in den geposteten Inhalten der gleichnamigen Facebook-Gruppe wider. Aktiv wird zur Teilnahme an der Lichter-Aktion aufgerufen und fast wöchentlich Bilder der Veranstaltungen hochgeladen. Über eine Beschreibung verfügt die Gruppe nicht und auch eine Anfrage über die Nachrichtenfunktion bleibt unbeantwortet. Stattdessen wird kontinuierlich über »kriminelle Ausländer« und Terroranschläge informiert. Vermehrt werden Bilder von in Heiligenstadt Hijab tragenden Frauen gepostet und mit der Aufforderung versehen, »doch endlich die Augen aufzumachen«. Auch das Einräumen der Flüchtlingsunterkunft in der Theodor-Storm-Straße bzw. der Einzug oder das Straßenfest der Geflüchteten wird mittels aus dem Auto aufgenommenen Fotos dokumentiert und mit hetzerischen Bildunterschriften wie »Unsere neuen Gäste bekommen mal wieder neue Sachen!« (DEws, 2016) tituliert. Es fällt eine enge Verknüpfung zu zahlreichen rechtspopulistischen Initiativen in Niedersachsen auf. Meldungen und Veranstaltungen werden nicht nur gegenseitig geteilt, sondern gepostete Bilder zeugen auch von der gegenseitigen Unterstützung auf den Veranstaltungen. Zu nennen ist hier unter anderem der »Freundeskreis Thüringen-Niedersachsen«, der beispielsweise aktiv die Wahlkampfkampagne der NPD unterstützt. Es wird auf die »Bürgerinitiative Adelebsen« verwiesen, die mit der Aktion »Ein Volk hilft sich selbst« Sachspenden an »bedürftige Landsleute« in Südniedersachsen verteilt sowie Berichte und professionell gestaltete Clips der »Identitären Bewegung« auf der Seite verlinkt. Jens Wilke, einer der Köpfe der Neonazi-Szene in Südniedersachsen und »Freundeskreis«-Chef meldet sich wöchentlich mit Aufrufen zur Teilnahme an Demonstrationen zu Wort und auch Redebeiträge des Greizer NPD Stadtrats David Köckert, des Göttinger Rechtsextremisten und Mitglieds der Partei Die Rechte Mario Messerschmidt sowie von Alexander Kurth von Thügida werden häufig geteilt. Wer im Namen der Gruppen die Inhalte veröffentlicht, offenbart eine weiterführende Untersuchung der Posts. Zwar werden Meldungen und Bilder durch die Gruppe hochgeladen, die obligatorischen »schöne Grüße« wünscht jedoch Rene Schneemann. Auch orthografische Fehler wie »Rätzel« finden sich häufiger in den Posts. Fehler, wie sie sich auch in den Kommentaren und auf der eigenen Profilseite von Schneemann finden. Ebenfalls wird seine Funktion als Veranstalter der Aktion »Ein Licht für Deutschland« deutlich. Aufnahmen von einer an ihn adressierten Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz bzw. die folgende Vorladung zu der Ermittlungssache geben darüber Aufschluss. Auch sind es Schneemann und sein direkter Freundeskreis (u.a. Frank Hartmann und Martin Lopotsch), auf die
161
162
Mario Wolf
sich der teilnehmende Personenkreis bei der Auftaktveranstaltung der LichterAktion beschränkt. Schneemanns Hintergründe finden sich laut linksalternativen Plattformen in den sogenannten Freien Kräften des Eichsfelds (BLG, 2014; AAG & AP, 2016). laut seinem Facebookprofil ist er stolz im »streng christlichen Eichsfeld« aufgewachsen zu sein und engagiert sich offenbar schon seit zahlreichen Jahren für die NPD. Flyer bei Wahlkampfveranstaltungen zu verteilen oder die jeweiligen Fahnen zu tragen, scheinen seine Hauptaufgabenfelder zu sein, während Thorsten Heise und Matthias Fiedler am Mikrofon stehen. Weiterführend unterstützt er den Wahlkampf finanziell mit Blutspenden. Bei seinen Posts handelt es sich um die gleichen rechtspopulistischen Veranstaltungen und Inhalte wie in dem voran vorgestellten »Bürgerbündnis«. Auffällig ist, dass sich bis Mitte 2015 noch verstärkt Bilder von NPD Kundgebungen finden, diese jedoch von Aufnahmen des Bündnisses »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen« abgelöst werden. Die Plakate und ihre Slogans ändern sich nicht und auch der Personenkreis bleibt bestehen. Lediglich die NPD Logos treten nicht mehr in Erscheinung (vgl. Schneemann, 2016). Frank Hartmann und Martin Lopotsch, die von Beginn an bei den Protesten mitgewirkt haben, lassen sich ebenfalls in der regionalen Subkultur der Freien Kameradschaften verorten (BLG, 2014). Während Schneemann eher durch hetzerische Bemerkungen und Forderungen auffällt, tritt Hartmann kontinuierlich durch rechtsradikale Äußerungen in Erscheinung. So postete er in einem ehemaligen ihm zuzurechnenden Facebook-Account eine historische Aufnahme des Eingangstors des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, in dem der Schriftzug am Tor durch »Asylantenheim« ersetzt und mit die Überschrift »Wir haben wieder eröffnet« ergänzt wurde (ImLu, 2016). In einem weiteren Account wurde »KZ-Buchenwald« als sein Arbeitsplatz angegeben (vgl. Hartmann, 2016). Lopotsch äußert sich gemäßigter, ist aber wie Matthias Fiedler und Monika Hirkow, die mittlerweile als Mandatsträger der NPD im Stadtrat von Heiligenstadt sowie Kreistag des Eichsfelder Landkreises fungieren, glühender Verfechter der mehrfach vorbestraften Holocaustleugnerin und Rechtsextremistin Ursula Haverbeck (vgl. Lopotsch, 2016). Die Auswertung von Bildmaterial belegt, dass es sich unter anderem um Lopotsch und Schneemann handelt, die mit ihrer markanten Kleidung und den Eichsfeld-Fahnen von aufmerksamen Bürger/innen auf der Demonstration gegen die Schulschließung am 19. August 2015 gesichtet wurden.
2. »Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen« Der Ursprung des »Freundeskreis« lässt sich auf die durch die AfD veranstalteten Demonstrationen und Kundgebungen in den Herbstmonaten 2015 in Erfurt datieren, von denen die ersten geposteten Inhalte und Aufnahmen zeugen.
10. Heilbad Heiligenstadt
Nachdem Sympathisant/innen der damals scheinbar noch losen Gruppierung an den in Heiligenstadt ausgerichteten Lichter-Aktionen teilnehmen, gibt sich die Gruppe ab Dezember 2015 ein Logo und greift bei ihrem Leitspruch auf das aus den deutsch-französischen Kriegen stammende Zitat von Otto v. Bismarck zurück: »Dann schlagen sie den Teufel aus der Hölle.« (FKTN, 2016a) In seinem Selbstverständnis beschreibt sich der »Freundeskreis« als ein »loser partei- und organisationsübergreifender Zusammenschluss von Deutschen und Europäern« und »Querschnitt der Gesellschaft« (ebd.). Sie sind überzeugt sich in einer »historischen Zeit« zu befinden, »in der es sich in naher Zukunft entscheiden wird, ob das deutsche Volk – respektive die europäischen BrüderVölker (das Russische eingeschlossen) – wie man es bislang kannte – eine Zukunft haben kann, oder aber, ob es der internationalen Finanzelite zum Opfer fallen wird« (ebd.). Posts und Einladungen, die weitestgehend dem Repertoire des Eichsfelder Bündnisses ähneln, werden mit dem Gruß »Familie – Heimat – Zukunft« (ebd.) signiert.2 Ergänzt wird der Facebook-Auftritt seit September 2016 durch eine professionell gestaltete Homepage, welche die Leitgedanken verdeutlicht. Als Schwerpunkte werden der Erhalt von Kultur und Tradition, der Austritt aus der Nato, Volksabstimmungen sowie geschlossene Grenzen gefordert. Neben verfügbaren Newslettern und Antragspapiere für die Mitgliedschaft im gleichnamigen Verein werden Interessent/innen darüber hinaus um Kontaktaufnahme gebeten, um einen bundesweiten Freundeskreis auf bauen zu können (FKTN, 2016b).3 Wer dahinter steht, erschließt sich nur bedingt, da die Seite über kein Impressum verfügt. In einem Interview mit dem NDR zeigt Mikis Rieb von der Stelle zur Förderung von Vielfalt, Demokratie und Toleranz des Landkreises Göttingen jedoch auf mehrere kritische Anhaltspunkte auf. So entspricht das von dem »Freundeskreis« verwendete Vokabular bzw. ihre Slogans oftmals dem von Rechtsextremisten, wie beispielsweise »Lügenpresse«, »Das Systems hat keine Fehler, das System ist der Fehler« oder »Das Volk wacht auf« (NDR, 2016). Darüber hinaus weisen verschiedene Medien seit Ende 2015 auf Verknüpfungen mit bekannten Rechtsextremisten der Region und Verbindungen zu NPD und AfD hin (Brakemeier, 2015; BLG, 2016; ThRe, 2016).
2 | Anfang 2017 hat sich »Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen« in die Fraktionen »Volksbewegung Niedersachsen« und »Volksbewegung Thüringen« umbenannt (HNA, 2017). Unter dem ursprünglichen Auftritt bei Facebook ist seitdem ein »Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen« aufzurufen, der sich aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzt. 3 | Analog zu der Facebook-Auftritt der Gruppierung ist seit Anfang 2017 auch die entsprechende Homepage nicht mehr abrufbar.
163
164
Mario Wolf
So treten in der Facebook-Gruppe hauptsächlich Jens Wilke (NDP-Kandidat zur Landrats- und Kreistagswahl in Göttingen im September 2016) als Hauptredner und Mario Messerschmidt als Koordinator der Aktion »Ein Volk hilft sich selbst« in Erscheinung. Letzterer, bekennender Neonazi und Mitglied im Bundesvorstand von Christian Worchs Partei Die Rechte, war im sogenannten Pumpgun-Prozess wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz sowie Bedrohung und Beleidigung zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ende 2015 versuchte er in der bei Kassel gelegenen und ca. 6.000 Einwohner/innen zählenden Gemeinde Adelebsen eine Bürgerinitiative zu gründen, die laut dem verteilten Flyer eine Willkommenskultur anstrebt, »welche sich in erster Linie für unseren eigenen Nachwuchs einsetzt« und »Unterstützung für junge Familien, unseren Nachwuchs und unsere Zukunft [fordert]« (zitiert nach Brakemeier, 2015). Dies ist der Beginn der Aktion »Ein Volk hilft sich selbst«.
S ymp tome einer le thargischen R egionalpolitik Mit Blick auf die Geschehnisse, Protestformen und deren Inhalte, erschließt sich eine komplexe soziopolitische Dynamik mit rasch wechselnden Hauptakteuren. Vor dem Hintergrund der erfolgten Betrachtung lässt sich die Entwicklung in zwei Phasen differenzieren, wobei das Narrativ des Protests verschiedene Formen annimmt. Nach der Ankündigung durch den Landrat, die Förderschule zu schließen und stattdessen als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen, stellen Eltern die Protagonist/innen dar. Eine konstruktive und von sachlichen Argumenten geprägte Debatte entsteht. Im Fokus stehen die Schließung der Bildungsanstalt und der damit in einem Flächenlandkreis verbundene längere Schulweg für die Kinder. Auch die Umgewöhnung der Kinder wird angesprochen. Argumente, die unabhängig von der Kommune bei jeder bevorstehenden Schulschließung beobachtet und von den zahlreichen sich äußernden Bürger/innen als nachvollziehbar bewertet werden. Jedoch wandelt sich das Narrativ des Protests zügig von der Schließung der Fördereinrichtung hin zu der zugrunde liegenden Ursache für diesen Beschluss – dem Zuzug von Geflüchteten. Die entstandene Diskussion verliert ihren deliberativen Charakter, sodass die Proteste in der zweiten Phase durch die Instrumentalisierung durch rechte und populistische Kräfte gekennzeichnet werden. Es ist nicht mehr die Elternschaft der Schule, die sich formiert und den weiteren Verlauf der Geschehnisse bestimmt. Der Protest dient rechten Bewegungen fortan als Plattform für die Verbreitung ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Ressentiments und Ideologien. Als Instrument bedienen sie sich initiierten zivilgesellschaftlichen Aktionen und Bündnissen.
10. Heilbad Heiligenstadt
Die Hintergründe und Katalysatoren für die Transformation des Protests in Heiligenstadt erweisen sich als vielfältig. Auffällig häufig wird von den Gesprächspartner/innen auf die Informationspolitik des Landratsamtes verwiesen. So traf Landrat Henning die Entscheidung für den Leerzug der Förderschule in Heiligenstadt eigenständig und ohne Konsultation weiterer politischer Entscheidungsträger/innen. Dies kann dem knappen Zeitraum geschuldet sein, in der die Entscheidung getroffen werden musste, gleichzeitig wird jedoch die langjährige Kontinuität nicht konsultativer Entscheidungsfindungsprozesse betont. Eine offene und integrative Politik unter Anwendung deliberativer Mechanismen ist weiterführend nicht zu erwarten, da der Landrat diese Entscheidungen weiterhin als seine alleinige Aufgabe ansieht. Ein Gefahrenbewusstsein über potenzielle Konsequenzen, die von einer »Politik des alleinigen Entscheidens« ausgehen können, wird dem Landrat durch die meisten Gesprächspartner/innen abgesprochen. Gleichzeitig verweisen sie darauf, dass das Eichsfeld für Henning »einen bunten Blumenstrauß« darstelle und er nationalistische Tendenzen als eine bundesweite Herausforderung erfassen würde. Eine überproportionale Agglomeration rechter Strukturen in der Region sehe er dagegen nicht. Thorsten Heise werde außerdem als kein hiesiges, sondern als ein »zugezogenes« Problem betrachtet – ohne Auswirkungen. Als ein weiterer Aspekt kann die unmittelbare thematische Verknüpfung der Schulschließung mit der erwarteten Ankunft weiterer Flüchtlinge gewertet werden. Henning beteuert zwar, dass die Zusammenlegung der zwei Förderzentren schon seit mehreren Jahren durch das Schulverwaltungsamt forciert wurde und sich durch die geringe Auslastung der zwei Einrichtungen begründen lässt (Backhaus, 2015c). Die Nennung beider Themenbereiche im selben Kontext sowie die Argumentation des Landrats erscheinen jedoch als mindestens unglücklich. Ein Bürger äußert sogar den Verdacht, dass die grundsätzlich als »heikles« Thema zu betrachtende Schulschließung in den vergangen Jahren aus wahltaktischen Gründen bewusst vermieden wurde. Stattdessen sei gezielt auf einen Impuls gewartet worden, der die Schulschließung rechtfertigen würde. Gesellschaftlich scheint ebenso die politische Haltung bzw. Mentalität vieler Einwohner/innen die Transformation des Protests ermöglicht zu haben. Mehrere Gesprächspartner/innen weisen auf die weit verbreitete erzkonservative Einstellung der lokalen Bevölkerung hin, die grundsätzlich die Integration von Zugezogenen erschwere. Zusätzlich liege bei vielen Bewohner/innen der Region die Grundhaltung »Im Eichsfeld ist die Welt noch in Ordnung« vor. In Kombination mit der Negation rechtsradikaler Strukturen und Aktivitäten wirke sich dies auch auf die politische Aktivierung der Bevölkerung aus. So berichten engagierte Personen, dass es grundsätzlich erfolgreicher sei Bürger/ innen zur Teilnahme an Aktionen und Veranstaltungen für Geflüchtete zu
165
166
Mario Wolf
gewinnen, als sie gegen Rechts zu mobilisieren. Grundsätzlich werden Veranstaltungen der Zivilgesellschaft aber nur gering besucht. Neben den genannten Aspekten kann insbesondere die Aktivität und intensive Vernetzung der lokalen rechten Gruppen im Dreiländereck als eine weitere Ursache für den sich rasch radikalisierenden Protest identifiziert werden. Seit Beginn des Protests beteiligen sich mit der NPD in Verbindung stehende Personen erkennbar an dessen Format und der inhaltlichen Ausrichtung. Der Protest wird instrumentalisiert und die rechtspopulistische Aktion »Ein Licht für Deutschland« entsteht. Profiteur ist die NPD, die laut Gesprächspartner/innen durch den Zuzug von Thorsten Heise in den vergangenen Jahren ein funktionierendes Netzwerk mit den informellen Strukturen der Kameradschaften und Freien Kräfte sowie der AfD im Dreiländereck aufgebaut habe und es gezielt einzusetzen weiß. So ist es nicht die NPD, die in den folgenden Monaten im Vordergrund der Proteste steht. Stattdessen treten Bürgerbündnisse in Erscheinung, die von Rechtsradikalen koordiniert werden und deren kommunizierte Botschaften nahezu mit denen der NPD identisch sind. Die verwendeten Logos und Plakate rufen in ihrer Farbwahl Assoziationen an die Nationalfarben des Dritten Reiches hervor oder erinnern mit der Formensprache stark an die »Identitäre Bewegung«. Mitglieder der NPD treten bei Veranstaltungen lediglich als geladene Gäste auf. Dabei scheinen die meisten Bürger/innen, die an diesen Aktionen teilnehmen bzw. die Gruppierung »Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen« unterstützen, sich dieser Hintergründe nur bedingt bewusst zu sein. Denn mit Rückblick auf die Kommunalwahlen im Jahr 2014, bei denen die NPD im Eichsfeld und in Heiligenstadt jeweils nur 4,1 % der Stimmen aller Wahlberechtigten erreichte (z.V. Kyff häuserkreis 6,0 %, Stadt Eisenach 7,4 %), kann diese Region nicht als einer ihrer Hochburgen bezeichnet werden (TLS, 2014b). Strategisch scheint die Vorgehensweise der NPD mit dem im Jahr 2015 intensiv diskutierten Verbotsverfahren gegen die Partei in Verbindung zu stehen, in dessen Zuge führende Funktionäre eine »Verbürgerlichung« der Partei anstreben. Eine Schlüsselfunktion scheinen zu etablierende Bürgerbündnisse darzustellen, über die Sympathisant/innen die ausländerfeindlichen Ressentiments und Agitationen der NPD weiterhin verbreiten. Bestätigt werden diese Vermutungen der Gesprächspartner/innen durch Recherchen zu ähnlichen Dynamiken andernorts (vgl. Zeit Online, 2014; Rietzschel, 2015; Meisner, 2016; Quent, 2016). Kommunale Streitpunkte fungieren der NPD als Türöffner-Themen. Bemerkenswert ist letztendlich die Abstinenz der AfD im Eichsfeld. Im Rahmen der Besuche im Eichsfeld wurde mehrfach auf diesen scheinbaren Zufall hingewiesen und eine hinter »vorgehaltener Hand« getroffene Absprache zwischen Thomas Heise und Björn Höcke vermutet. Belegt werden kann diese Annahme durch das empirische Material nicht, jedoch lassen sich poten-
10. Heilbad Heiligenstadt
zielle Verbindungen zwischen diesen zwei Protagonisten des »bürgerschaftlichen Protests« aufzeigen. Der Soziologe Andreas Kemper (2016) gelangt beispielsweise in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen zu der These, Höcke habe unter dem Pseudonym Landolf Ladig Texte in Publikationen wie der Eichsfeld-Stimme oder Volk in Bewegungen verfasst. Zeitschriften, die zu dem rechtspopulistischen Umfeld der NPD gehören und deren Herausgeber laut Gesprächspartner/innen Thorsten Heise ist. Darüber hinaus fallen dem aufmerksamen Betrachter noch weitere potenzielle Verbindungen ins Auge. So besuchen Höckes und Heises Kinder nicht nur die gleiche Schule, sondern auch der grundlegende Zuzug ins Eichsfeld und die räumliche Nähe ihrer Wahlwohnorte erscheinen auffällig. Lediglich sechs Straßenkilometer liegen zwischen ihren Ortschaften – politische Absprachen und weiterführender Kontakte werden jedoch beidseitig dementiert (Weiland und Hebel, 2015). Resümierend zeigt sich, dass der Protest gegen die Schulschließung der Eltern nicht direkt an die Ankunft weiterer Geflüchteter gekoppelt war. Stattdessen diente die unmittelbare Verknüpfung beider Sachthemen durch den Landrat Mitgliedern und Sympathisant/innen der NPD als thematische Grundlage das Anliegen der Elternschaft nach »dem Wohl ihrer Kinder« unter dem Deckmantel der Bürgerschaft in eine ideologische Konstruktion aus rechtspopulistischen Forderungen zu transformieren. Dabei scheint es belanglos zu sein, dass die ehemalige Förderschule selbst ein Jahr nach der Ankündigung noch nicht bezogen wurde.
167
11. B odenstein – Toleranz statt Akzeptanz Mario Wolf
Von Heiligenstadt im Eichsfeld aus knapp 20 Kilometer dem Flusslauf der Leine in östliche Richtung folgend, liegt die Kleinstadt Leinefelde-Worbis, die im Jahr 2004 aus den bis dahin eigenständigen Kommunen Leinefelde und Worbis entstand. Auch die am Fuße des Ohmgebirges gelegene Gemeinde Wintzingerode, zu der die Siedlung Bodenstein gehört, stellt seitdem einen Stadtteil der Flächenkommune Leinefelde-Worbis dar. Das aktuelle Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) 2030 weist die Stadt Leinefelde-Worbis als ein Mittelzentrum und starken Wirtschaftsstandort in Nordthüringen aus (GRAS, 2015). Nach einem starken Bevölkerungsrückgang seit Anfang der 1990er zählt Leinefelde-Worbis im Jahr 2015 knapp 18.500 Einwohner/innen (TLS, 2016). Ein auf Grundlage des Zeitraums 2011 bis 2013 berechneter Bevölkerungstrend stimmt optimistisch und prognostiziert lediglich einen Verlust von ca. 500 Einwohner/innen bis zum Jahr 2030. Der Wohnungsmarkt erscheint stabil und der Blick auf die Leerstandsituation weist im Jahr 2011 einen Wert von nur 4,4 % auf, womit dieser sogar unter dem Durchschnittswert von 6,9 % des Freistaats Thüringen liegt (GRAS, 2015). Rückbau wird laut der Stadtverwaltung nicht mehr thematisiert. Hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten positioniert sich die Kommune für das aktive Gestalten einer Willkommenskultur. Durch den Zuzug von Geflüchteten erhofft sich Leinefelde-Worbis dem Bevölkerungsrückgang begegnen und zugleich Fachkräfte für die heimische Wirtschaft gewinnen zu können. Aufgrund des bisher niedrigen Anteils der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (4,2 % [TLS, 2011]), wird die soziale Integration als eine Herausforderung betrachtet, die »einer intensiven und personell kompetent ausgestatteten Betreuung [bedarf]« (GRAS, 2015). Die Siedlung Bodenstein liegt ca. fünf Kilometer nördlich von Worbis auf einer Bergkuppe. Bekannt ist sie insbesondere für ihre Burg, die weit über Leinefelde-Worbis hinaus ins Obereichsfeld blickt. Für Verteidigungszwecke bereits im 10. Jahrhundert ausgebaut, dient sie gegenwärtig der Evangelischen
170
Mario Wolf
Kirche als Familienerholungs- und Begegnungsstätte sowie als Austragungsort kultureller Veranstaltungen. Obwohl die Burg sowie die Siedlung administrativ zu dem in Tal liegenden ca. 500 Einwohner/innen zählenden Stadtteil Winzingerode gehören, verbindet sie lediglich ein steiler Wanderweg. Die Zufahrt erfolgt stattdessen über die benachbarte Gemeinde Kirchohmfeld, von der sich eine schmale Straße am Berghang entlang in die nur wenige Gebäude zählende Siedlung Adelsborn und weiter nach Bodenstein windet. Historisch betrachtet stellte die Siedlung zu keinem Zeitpunkt eine eigenständige Gemeinde dar und verfügt damit nicht über traditionelle die Bewohnerschaft zusammenführende Gebäude wie Kirche oder Gemeindehaus. Neben vereinzelten historischen Gebäuden prägen hauptsächlich die auf einer Straßenseite aufgereihten modernen Einfamilienhäuser mit großzügigen Grünflächen das Ortsbild. Mit Abschluss der Straße bildet sich eine Art Platzsituation, dessen Seiten von einer Gärtnerei und einem Gasthof flankiert werden. Während ein an der Gärtnerei vorbeiführender gepflasterter Weg die Besucher/innen die verbleibenden 100 Meter über eine massive Steinbrücke und durch einen majestätischen Steinbogen in den Burginnenhof geleitet, erstreckt sich hinter dem Gasthof ein augenscheinlich in den 1970er Jahren errichteter Gebäudekomplex. Ein Ortskern mit Einkaufsmöglichkeiten oder weiteren Angeboten findet sich in Bodenstein und Adelsborn nicht, dafür müssen die knapp 40 Einwohner/innen die Straße hinunter nach Worbis nehmen. An der in Sichtweite des Gasthofes gelegenen Bushaltestelle weist der Fahrplan nach Errichtung der Flüchtlingsunterkunft werktags nun sechs statt der ehemals drei Abfahrtszeiten aus.
W armer E mpfang in k alter W internacht Ankunft: Es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten, als am 15. Dezember 2015 ein voll besetzter Bus die von Kirchohmfeld nach Bodenstein führende Straße hinauffährt. Ein Bus, dessen erwartete Ankunft die Gemüter der Bewohnerschaft in den vorherigen Wochen erhitzt hatte und dem zahlreiche kontrovers geführte Diskussionen vorausgegangen waren. Denn es sind keine Bewohner/innen der Ortschaft, die an diesem Abend aus dem Bus steigen werden und auch keine Gäste oder Urlauber/innen, die in ruhiger Atmosphäre die Vorweihnachtszeit auf der malerischen Burg verbringen möchten, bevor sie wieder zurück zu ihren Familien fahren. Stattdessen sitzen in diesem Bus Personen, die ihre Angehörigen und Freund/innen schon seit Monaten nicht mehr gesehen haben. Es sind Menschen, die vor der auflodernden Gewalt in Afghanistan geflohen sind oder durch den sogenannten Islamischen Staat (IS)
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
ihre Heimat in Syrien und dem Irak aufgeben mussten. Empfangen werden sie vom Migrationsbeauftragten des Landkreises Dieter Fuchs und Pfarrer Bernd Winkelmann (i.R.) vom Evangelischen Kirchspiel Worbis sowie zehn weiteren Bürger/innen aus Bodenstein, Adelsborn und Kirchohmfeld. Es war eine »angespannte Situation an diesem Abend«, erinnert sich Pfarrer Winkelmann, wie er im Frühjahr 2016 bei einem gemeinsamen Gespräch in seinem Arbeitszimmer berichtet. Die neuen Bewohner/innen seien »verängstigt« gewesen, jedoch habe das selbst gemalte Plakat »Willkommen in Bodenstein« erste Bedenken genommen und so seien die ca. 50 Erwachsenen und 30 Kinder zögerlich aus dem Bus gestiegen. »Jeder Erwachsene habe eine Blume bekommen und jedem Kind sei eine Tafel Schokolade überreicht worden – die Anspannung löste sich und erste Kontakte entstanden.« Mit diesen Worten beschreibt Pfarrer Winkelmann einen kleinen Akt der Mitmenschlichkeit, der keine Selbstverständlichkeit darstellt und bis zu dem es auch in Bodenstein ein mühsamer Weg war. Im Folgenden soll dieser Prozess untersucht und anschließend das Verhalten der Bewohnerschaft in den Fokus der Betrachtung gerückt werden.
»F lüchtlinge , hier bei uns ?« – E in G erücht entfacht die D ebat te Es ist Ende Oktober 2015, als sich die Nachricht über die Nutzung eines der Burg vorgelagerten Gebäudekomplexes als Flüchtlingsunterkunft wie ein Lauffeuer in Bodenstein und der näheren Umgebung verbreitet. Bei den besagten Gebäuden handelt es sich um eine Ausbildungsstätte des Deutschen Roten Kreuzes. Der Eigentümer ist zu diesem Zeitpunkt das Eichsfeld Klinikum, das die Gebäude aufgrund des brisanten Wohnungsmangels temporär als Flüchtlingsunterkunft nutzen möchte, bevor die Anlage später als Altenheim genutzt werden soll. Eine schriftliche Ankündigung liegt nicht vor und auch der Ursprung der Nachricht ist ungewiss. Stattdessen zirkuliert eine mündlich übertragene Botschaft, die von einer Belegung durch Geflüchtete noch vor Weihnachten ausgeht. Die Nachricht sorgt für Unruhe bei den Anwohner/innen und Stimmen ertönen, die sich entschlossen gegen die Unterkunft aussprechen. Forderungen wie »Und das hier oben? Auf gar keinen Fall!« sind vernehmbar. In den kommenden Wochen ist die Lage sehr unübersichtlich. Gerüchte werden laut, dass sich in Kirchohmfeld eine Bürgerwehr mit dem Ziel gegründet hätte, die forcierte Umnutzung der Gebäude zu verhindern. Auch erste Organisationstreffen solle es schon gegeben haben. Die Zahl der Beteiligten ist zu diesem Zeitpunkt unklar.
171
172
Mario Wolf
Die Situation Anfang Dezember bezeichnet Pfarrer Winkelmann als »ziemlich besorgniserregend«. Zwar sei die Bürgerwehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich in Erscheinung getreten und habe auch keine weiterführenden Proteste initiiert, jedoch ist eine deutliche Abneigung gegenüber der Unterbringung von Geflüchteten in Bodenstein zu spüren. Dies wird auch in Gesprächen mit dem Migrationsbeauftragten des Landkreises Dieter Fuchs und dem Eigentümer der Immobilie, dem Eichsfeld Klinikum, offen thematisiert. Gemeinsam wird die Option einer Bürgerversammlung in Bodenstein erarbeitet, um die Bewohner/innen über die Pläne des Eichsfeld Klinikums zu informieren und der vorliegenden Ablehnung zu begegnen. Zeitgleich findet Anfang Dezember auf der Burg Bodenstein ein von der Friedrich Ebert-Stiftung organisierter Vortrags- und Gesprächsabend mit Podiumsdiskussion statt. Im Fokus stehen die aktuellen Flüchtlingsbewegungen. Unmittelbar vor dem Abend breitet sich die Nachricht aus, dass bis zu 150 Anhänger/innen einer entstehenden Bürgerwehr an der Veranstaltung teilnehmen bzw. diese stören könnten. Die Nervosität, gespeist durch die Ungewissheit über das Format und die Stärke der Bürgerwehr sowie den Stand der Planung, ist für alle greif bar. Entgegen aller Annahmen erscheinen bei der Podiumsdiskussion nur ca. zehn Bewohner/innen aus den zwei Orten. Pfarrer Winkelmann bezeichnet den Ausgang der Veranstaltung als »glimpflich«. So hätten die Personen lediglich vereinzelte kritische Fragen gestellt, zu störenden Zwischenrufen oder Protesten sei es nicht gekommen. Ausschließlich eine Person wäre durch rassistische Kommentare aufgefallen, wobei dessen rechtsmotivierte Einstellung hinlänglich bekannt sei. Seitens der regionalpolitischen Ebene sorgt derweil ein in der Lokalpresse abgedruckter Artikel für Aufregung, in dem Landrat Werner Henning von Geflüchteten einen stärkeren Integrationswillen einfordert und zugleich Konsequenzen androht. Es wird von mit Flüchtlingen in Verbindung stehenden Vorfällen berichtet, wie beispielsweise weggeworfenen Lebensmitteln oder Verunreinigungen des öffentlichen Raumes, die in den Gemeinden »zu Recht für Ärger« (zitiert nach Klaus, 2015) sorgen würden. Bei mangelnder Kooperation schließt Henning eine Unterbringung in schlechtere Wohnungen nicht aus. Ein vom Ehepaar Winkelmann an den Landrat adressierter Offener Brief, der zugleich an die Redaktionen der Thüringer Allgemeinen (TA) sowie der Thüringer Landeszeitung (TLZ) weitergegeben wird, bleibt unbeantwortet. Darin prangern Winkelmanns die pauschalisierenden Aussagen des Landrats an und fordern gleichzeitig eine aktiv gelebte Willkommenskultur als Bestandteil der oft thematisierten abendländisch-christlichen Kultur – insbesondere seitens der Politik. Gänzlich unbeachtet bleibt die Forderung nicht und so erscheint in den darauf folgenden Tagen eine Karikatur in der TLZ, die Pfarrer Winkelmann als mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck und erhobener Hand auf das Landratsamt zeigenden Moses darstellt (s. Abb. 1).
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
Abb. 1: Karikatur der Auseinandersetzung zwischen Pfarrer Winkelmann und Landrat Henning
Z wischen B ürgerversammlung , B ürgerschaf t und B ürgerwehr Am 09. Dezember 2015 findet die geplante Bürgerversammlung statt, deren Ausgang als ungewiss erscheint. Etwa 45 Personen haben sich an diesem Nachmittag im Gasthof Bodenstein versammelt und mehrere Gesprächspartner/innen berichten von ihrer Anspannung, die sie an diesem Abend verspürten. Jeder erwartete den angekündigten tumultartigen Auftritt der angeblich gegründeten Bürgerwehr. Eröffnet wird die Veranstaltung von Christian Graf, dem Geschäftsführer des Caritativen Pflegedienstes Eichsfeld, der zu Beginn die im Podium sitzenden Personen vorstellt. Es haben sich unter anderem der zukünftige Heimleiter Detlev Pein, Geschäftsführer des Eichsfeld-Klinikums Frank Klöckner sowie Günther Fiedler, der Ordnungsamtsleiter der Stadt Leinefelde-Worbis,
173
174
Mario Wolf
eingefunden. Auch Johannes Fischer vom gleichnamigen Sicherheitsdienst und Olaf Eberhard von der Polizei im Eichsfeld sitzen auf dem Podium. Um eine gemeinsame Diskussionsbasis zu schaffen und Falschmeldungen zu begegnen, schildert Graf zu Beginn der Bürgerversammlung den aktuellen Planungsstand und den zugrunde liegenden Entscheidungsprozess. Er betont die an den Kauf der Immobilie gebundenen Zwecke der Unterkunft und Bildung und widerspricht damit Behauptungen, die dem Eichsfeld Klinikum rein finanzielle Interessen vorwerfen. Konkrete Zahlen der angestrebten Belegung werden vorgestellt. Es wird von insgesamt 170 Geflüchteten gesprochen, die in dem Gebäudekomplex untergebracht werden sollen. Die Anreise würde gestaffelt erfolgen. Bis Mitte Dezember werden ca. 60 Personen erwartet, die verbleibenden Einzüge sind für das Jahr 2016 vorgesehen. Im Anschluss wird eine Diskussionsrunde eröffnet. Im Vordergrund stehen die unzureichenden Informationen gegenüber den Bürger/innen und die Forderung nach einem Mitspracherecht bei der Standortwahl. Ebenso werden unmittelbare Bedenken angesprochen. So sorgen sich einige Bürger/innen um die öffentliche Sicherheit und Fragen wie »Können wir dann abends noch auf die Straße gehen?« oder »Was soll ich machen, wenn ich denen [Geflüchteten, M.W.] als junge Frau mit meinen Kindern alleine auf der Straße begegne?« kommen auf. Diese sicherheitsrelevanten Befürchtungen können von Fischer und dem Vertreter der Polizei professionell entkräftet werden. Fischer berichtet, dass sein Sicherheitsunternehmen permanent Vorort sein werde und bei der Betreuung anderer Flüchtlingsunterkünfte ausschließlich positive Erfahrungen gesammelt wurden. Der Vertreter der Polizei unterstützt diese Darstellung und spricht die mit ca. 130 Personen belegte Gemeinschaftsunterkunft in Breitenworbis an, in deren Umgebung kein Kriminalitätsanstieg zu verzeichnen gewesen wäre. Auch weitere, mit Flüchtlingen in Zusammenhang stehende Vorfälle oder Beschwerden von Bewohner/innen seien ihm nicht bekannt. Trotz dieser statistischen Werte würde die Polizei zukünftig regelmäßig in Bodenstein präsent sein und eine intensive Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst und den Sozialarbeiter/innen vor Ort erfolgen. Graf macht ebenso auf die Situation der Geflüchteten aufmerksam, so handele es sich um Kriegsflüchtlinge, die während der Wartezeit auf ihren Asylbescheid sicherlich keine Straftaten begehen würden und sich auch weiterführend eine Zukunft in Deutschland auf bauen möchten. Die Gewerbetreibenden vor Ort thematisieren finanzielle Bedenken. Insbesondere in der Gärtnerei und im Gasthof werden hohe Umsatzeinbußen befürchtet und auch der Geschäftsführer der Burg schließt einen Rückgang an übernachtenden Familien nicht aus. Hinsichtlich des vom Landkreis geäußerten Wunsches, hauptsächlich Familien zugewiesen zu bekommen, war bis zu diesem Zeitpunkt vom Land Thüringen noch keine Rückmeldung erfolgt, wie Graf konstatiert.
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung werden jedoch auch Kommentare wie »Die scheißen uns doch den ganzen Garten zu« geäußert. Vorrangig zwei dem Umkreis der NPD zuzurechnende Personen, von denen aber nur einer aus der Anwohnerschaft stammt, fallen durch rassistische Äußerungen auf. Insbesondere der den Anwesenden als unbekannt erscheinende NPD Sympathisant versucht durch geschickte Polemik und Theatralik die bereits angespannte Stimmung »zum Kippen« zu bringen. Nach den abwehrenden Äußerungen melden sich Teilnehmer/innen zu Wort, die der Unterbringen von Geflüchteten im ehemaligen Rote-Kreuz-Komplex positiv gegenüber stehen, darunter die Pfarrerin der Burg Bodenstein, das Ehepaar Winkelmann und drei weitere Einwohner/innen. Die Stimmung beruhigt sich. Insgesamt geht die Versammlung »recht gemäßigt« aus, wie Pfarrer Winkelmann betont, auch wenn die Organisator/innen immer wieder mit dem Vorwurf der »Illusion« konfrontiert werden. Während sich knapp die Hälfte gegen die Nutzung der Gebäude als Gemeinschaftsunterkunft positioniert, nehmen die verbleibenden eher eine »abwartende« bis »positive« Haltung ein. Es findet sich eine kleine Gruppe engagierter Bürger/innen, die die Ankommenden bei der sozialen Integration unterstützen wollen. Der angekündigte Auftritt der Bürgerwehr bleibt zur Erleichterung vieler Bewohner/ innen aus.
E ine N acht der Z uspit zung Nachdem die Anwohnerschaft über den Plan der Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft unterrichtet wurde und die regionale Presse über die Veranstaltung berichtete, ereignet sich in einer Nacht unmittelbar vor Einzug der Geflüchteten die wohl »brenzlichste Situation« im Verlauf der Geschehnisse. Es ist später Abend, als sich mehrere Fahrzeuge Bodenstein nähern und direkt vor der Unterkunft anhalten. Die folgende Szenerie umschreibt eine ältere Bürgerin als eine »pogromähnliche Stimmung«. Mehrere Männer sollen aus den Wagen gestiegen sein und sich bedrohlich bzw. zunehmend rassistisch artikuliert haben. Auch wurden offensichtlich kleinere Gegenstände in Richtung des Gebäudes geworfen. So unvermittelt wie die Gruppe in Bodenstein erscheint, verschwindet sie wieder und so können die Täter von der später eintreffenden Polizei nicht identifiziert werden. Einziges Indiz auf deren Herkunft liefern die Fahrzeuge, die laut Augenzeug/innen hauptsächlich Göttinger Kennzeichen trugen. In den vor Ort geführten Gesprächen berichten die Anwohner/innen, dass die Gruppe von jungen Männern scheinbar bereits von einer Belegung der Unterkunft durch Flüchtlinge ausgegangen war. Diese Annahme hätte sich aus ihren Parolen ableiten lassen. Tatsächlich schliefen zu diesem Zeitpunkt
175
176
Mario Wolf
noch Teilnehmer/innen eines Lehrgangs des Deutschen Roten Kreuzes in dem Gebäude. Aufgeschreckt und verängstigt durch den Vorfall fragten diese bei Ankunft der Polizei an der Burg an, ob sie die Nacht dort verbringen könnten. Laut ihrer Aussage hätten alle »Bilder von brennenden Unterkünften direkt vor Augen gehabt«. Eine Berichterstattung über den Vorfall erfolgt in der Regionalpresse nicht.
N ormalität des A lltags Mit der Ankunft der Geflüchteten beruhigt sich die Situation vor Ort und es scheint, als ob die neuen Bewohner/innen als ein fester Bestandteil von Bodenstein akzeptiert werden. So findet bereits am 22. Dezember 2015 ein zur Begrüßung von den Sozialarbeiter/innen und einem aus engagierten Bürger/ innen bestehenden »losen Freundeskreis« organisiertes Weihnachtsfest in der Unterkunft statt. Alle Bewohner/innen der Unterkunft sowie von Bodenstein, Adelsborn und Kirchohmfeld sind zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Zwei Musiker/innen und ein liebevoll geschmückter Saal sorgen für eine weihnachtliche Stimmung. Ziel der Veranstaltung ist es, den Geflüchteten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und gleichzeitig Kontakte mit den Anwohner/innen vor Ort aufzubauen. Jedoch wird der Einladung nur vereinzelt gefolgt. Umso erstaunlicher ist es laut Pfarrer Winkelmann, als sich unvermittelt die Tür öffnet und zwei als Weihnachtsmänner verkleidete Mitarbeiter der Gärtnerei den Raum betreten. Erst kritisch von den anwesenden Kindern beäugt, hellen sich ihre Gesichter bei der Übergabe von kleinen Geschenken schnell auf. So überraschend die Weihnachtsmänner den Raum betreten, verlassen sie ihn auch wieder. Hatten sich die zwei Mitarbeiter bei der Bürgerversammlung am 09. Dezember 2015 noch sehr abwehrend gegenüber den Flüchtlingen geäußert, berichten sie im Nachhinein und angesprochen auf ihr Motiv von der Wirkung des Kontakts mit den Geflüchteten und insbesondere deren Kindern. So seien dies »ganz normale Menschen«, die Hilfe brauchen würden. Ein Ereignis, dass Pfarrer Winkelmann als symptomatisch für die sich verändernde Haltung einiger Anwohner/innen wertet. In den folgenden Monaten setzt sich der kleine Freundeskreis aktiv für die soziale Integration der Geflüchteten ein. Es werden Sprachgruppen gebildet und täglich geben Freiwillige, hauptsächlich ehemalige Pädagog/innen, Deutschunterricht. Gleichzeitig besuchen die Kinder bis ca. 14 Jahre die Schule in Worbis, während die älteren Jugendlichen an Kursen zur Berufsvorbereitung in Leinefelde teilnehmen. Für die Jüngsten werden Spielgruppen und weitere Freizeitaktivitäten organisiert. Zahlreiche Sachspenden treffen ein. An den Wochenenden wird der kleine Ort von Leben erfüllt. Auf dem angrenzenden Sportplatz wird gekickt und Kinder fahren mit Dreirädern und
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
Fahrrädern die Dorfstraße entlang, während sich Erwachsene auf Bänken vor der Unterkunft unterhalten. Einige Kinder helfen in der Gärtnerei beim Pikieren von Pflanzen und weiteren Aufgaben aus. Selbst eine Exkursion mit einigen Kindern in den Bärenberg von Worbis wird durch den Gärtnereibetrieb organisiert. Hilfsbereitschaft und Solidarität treten offen zu Tage, während die von vielen Anwohner/innen bei der Bürgerversammlung befürchteten Szenarien ausbleiben.
»W illkommen « und doch nicht verstanden Mit Blick auf die Situation vor Ort, scheint sich im Frühjahr 2016 eine Art der Willkommenskultur in Bodenstein entfaltet zu haben, die insbesondere auf einen kleinen Kreis engagierter Bürger/innen zurückzuführen ist. Diese vertreten die »These des Kontakts« und sind der Ansicht, dass im Wesentlichen persönliche Kontakte zwischen Geflüchteten und Anwohner/innen die Basis für ein friedliches Zusammenleben darstellen. So ist es Pfarrer Winkelmann, der die Thematik der Unterbringung nicht nur bewusst in seinen Predigten thematisiert, sondern zusammen mit dem Diakon von Heiligenstadt auch durch das weihnachtliche Krippenspiel gezielt auf die vorliegende Situation aufmerksam macht. Maria und Josef wenden sich dabei während ihrer Herbergssuche mit der Bitte um Obdach direkt an die Kirchgänger/innen – ein Akt, der laut Pfarrer Winkelmann durch seinen direkten Appell an die Mitmenschlichkeit der Versammelten eine Verständnis erregende Wirkung und Mitgefühl gegenüber den Flüchtlingen erzielte. Auch die gemeinsame Weihnachtsfeier, auf der eine Postkarte des in der Wiege liegenden Jesus an die Flüchtlinge verteilt und zusammen als ein über die Religionen hinweg verbindendes Element interpretiert wurde (s. Abbildung 2), unterstützte diesen Prozess des gegenseitigen Findens. Als Zeichen des Vertrauens und der Aufgeschlossenheit besuchten im Anschluss zwei dem Islam angehörige Bewohnerinnen der Unterkunft einen Gottesdienst. Gesten, die laut einigen Befragten die Grundlage für einen Annäherungsprozess bereiteten und Vorurteile schwinden ließen. So berichten auch die Angestellten der Gärtnerei von der Aufgeschlossenheit der Flüchtlinge. Konfrontiert mit ihren kritischen Äußerungen auf der Bürgerversammlung und ihrem anschließenden Auftritt während der Weihnachtsfeier betonen sie, dass sie die Kinder täglich auf der Straße gesehen hätten und auch die Erwachsenen einen »vernünftigen Eindruck« machen würden. Und außerdem »seien sie nicht gegen Ausländer«.
177
178
Mario Wolf
Abb. 2: Postkarte: Krippenbild als Zeichen des gegenseitigen Findens
Trotz dieser Annäherung wird die Stimmung vor Ort von allen Gesprächspartner/innen nicht als aufgeschlossen oder einladend bezeichnet. Stattdessen würde die Hälfte der Anwohner/innen dieses kleinen Ortes auch nach einem halben Jahr dem Zuzug und gemeinsamen Zusammenleben »immer noch skeptisch bzw. ablehnend« gegenüberstehen und ein Diskutant formuliert es mit präzisen Worten: »Ich denke die Mehrheit ist ausländerskeptisch, eine Minderheit feindlich und viele trauen sich nicht eindeutig Position zu beziehen.« In Anbetracht des bisher friedlichen »Nebeneinanders« wird bekundet, dass es »hier in Bodenstein eine komische Sache ist«. Gemeint ist das generelle Miteinander im Ort. Aufgrund der Geschichte und Siedlungsstruktur würden hauptsächlich »eher lose Kontakte« zwischen den Anwohner/innen vorliegen, auch die Gemeinschaft stärkende Aktivitäten wie beispielsweise jährlich stattfindende Dorffeste würde es nicht geben. Der in Kirchohmfeld stattfindende Gottesdienst scheint die einzige bindende Institution zu sein, »wenn er denn besucht werde« und es wird bemerkt: »Die Bürgerversammlung war das einzige Mal, dass alle beisammen waren«. Das Stichwort des »relativen Zusammenhalts« ist mehrfach zu hören. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen »fallen die [Geflüchteten, M.W.] gar nicht so stark auf«. Und mit Verweis auf die ehemalige Funktion des Gebäudes als Schulungszentrum und die damit verbundene fluktuierende Bewohnerschaft wird resümiert: »An sich hat sich nicht viel geändert. Ob die jetzt
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
aus Rostock kommen oder aus Syrien, im Endeffekt macht das doch keinen Unterschied«. Es scheint, als ob viele Anwohner/innen die Situation nicht unterstützen würden, sich mit dieser jedoch notgedrungen arrangiert hätten. Resignation wird deutlich: »Wir wurden doch nur informiert, aber wirklich mitreden konnten wir nie.« Symptomatisch für das Verhalten der Einwohnerschaft kann die im Rahmen der Bürgerversammlung gefallene Aussage des Sicherheitsdienstes gewertet werden, die »für viele stimmig war« und scheinbar von ebenso vielen Anwohner/innen als Vorsatz mit ins Jahr 2016 genommen wurde: »Desto mehr ihr heult, umso schlimmer wird’s. Am besten ihr versucht es von vornherein zu akzeptieren und mit denen auszukommen.« Die scheinbar daraus resultierende Reserviertheit und Passivität wird durch eine weitere Äußerung deutlich, die zugleich eine offenkundige Ablehnung signalisiert: »Nur weil du dagegen bist, sind die ja trotzdem da, die können ja auch nicht weg.« Auf die Frage, warum es trotz der vorliegenden Ablehnung so ›gemäßigt‹ ausgegangen ist und keine weiterführenden Proteste entstanden sind, wird von vielen Gesprächspartner/innen auf die Sozialstruktur der Geflüchteten verwiesen. So wäre aufgrund der Ende 2015 vorliegenden Stimmung in Bodenstein von den Verantwortlichen im Eichsfeld die Bitte an das Landesverwaltungsamt herangetragen worden, hauptsächlich Familien statt junge Männer zugewiesen zu bekommen. Ein Faktor, der offensichtlich von vielen Anwohner/innen als ein Garant für Sicherheit angesehen wird: »Es kommt immer auf die Leute drauf an. Familien mit vielen Kindern, ist [sic!] kein Problem.« Eine Kontaktfindung oder weiterführendes Miteinander wird seitens der meisten Anwohner/innen offensichtlich trotzdem nicht angestrebt. Als ein weiteres Indiz für diese Grundhaltung kann auch die Herkunft der sich aktiv im Freundeskreis engagierenden Mitglieder gewertet werden. Die Mehrheit stammt aus Leinefelde-Worbis und anderen Ortschaften. Was sind jedoch die Hintergründe für dieses scheinbar bewusst gelebte Nebeneinander statt Miteinanders?
V erunsichert durch die U nge wissheit mit dem ›F remden ‹ Die Ursachenforschung für die vorliegende Stimmung in Bodenstein, wo sich nur wenige Bewohner/innen dem intensiven Sukkurs des losen Freundeskreises anschließen und stattdessen eine Symbiose von ablehnenden Verhaltensmustern und Formen der Intoleranz beobachtet werden kann, gestaltet sich als komplex. Der Versuch einer Erklärung erweist sich als ein Konglomerat von in der Region offensichtlich tief verankerten sozialpolitischen Ansichten und persönlichen Erfahrungen sowie individuellen Annahmen der Anwohner/innen. Grundlage stellen die geführten Gespräche vor Ort dar, durch die drei wesent-
179
180
Mario Wolf
liche Argumentationsstränge identifiziert werden konnten. Die anschließende Darstellung der Stränge unterliegt in ihrer Reihenfolge der Intensität, in der diese wahrgenommen wurden. Eine in allen Gesprächen direkt oder sukzessiv durchschimmernde Erzähllinie lief entlang einer mit Blick auf die Zukunft gerichteten allgemeinen Ungewissheit. Im Vordergrund stand das Begriffspaar »Sicherheit und Ordnung« und dass die »Gesamtentwicklung« des europäischen Kontinents vielen Menschen in Deutschland und dem Eichsfeld »Sorgen bereitet«. Denn diese sei »nicht vorhersehbar und eine Krise jagt die nächste«. Davon ausgehend wurde betont, dass seit Jahren die aus vergangenen Jahrzehnten gewohnte »Stabilität und Kontinuität« fehlen würde. Mit Blick auf die allgemeine Flüchtlingspolitik hätte man jedoch »keine direkte Angst vor Terroristen«. Stattdessen wurden Zweifel an dem Gelingen der Integration laut und exemplarisch auf Städte wie Göttingen oder im Ruhrgebiet verwiesen, die man besucht hätte oder aus seiner Jugend kennen würde. Begriffe wie »Ghettoisierung« fielen, die in einigen Stadtteilen dieser Kommunen zu einem »enormen Gewaltpotenzial« geführt hätten und die Integration dort folglich »gescheitert« sei. »Fehler der Vergangenheit« würden sich nun wiederholen. Als ein solcher »Fehler« wird beispielsweise unter Anbetracht des zahlenmäßigen Verhältnisses von »40 [Einwohner/innen, M.W.] zu 90 bzw. 180 [Flüchtlingen (letztere Zahl soll durch einen Anbau bis Mitte 2016 erreicht werden, M.W.] und der abgelegenen Lage Bodensteins die Unterbringung im Ort betrachtet und ein Bewohner appelliert: »Diese Abgeschiedenheit hat nichts mit Integration zu tun.« Gleichzeitig wurde sich von rechtspopulistischen Dynamiken distanziert und in diesem Kontext betont: »Obdachlose werden jetzt als Aufhänger genommen.« Dabei sei die Demokratie zu wahren und rechtsradikale Gedanken werden als »schlimme und untragbare Zustände« beschrieben. Grundsätzlich gelte: »Rechtsstaatlichkeit vor Rechts-Staatlichkeit.« Als zweiten signifikanten Erzählstrang ließ sich die Identifizierung der Gesprächspartner/innen mit dem Eichsfeld feststellen. Diese wurde direkt mit der vorliegenden Mentalität verknüpft und als »konservative Bürgerlichkeit« beschrieben. Ein besonderes Element der »hiesigen Mentalität« stellen die »starke Heimatverbundenheit« sowie der »historisch gewachsene Gehorsam gegenüber der Obrigkeit« dar. Man ist die Konfrontation grundsätzlich nicht gewohnt. Ein Bewohner fasste es mit den knappen Worten zusammen: »Die Eichsfelder sind brav.« Das »Eichsfeld« wurde dabei von allen Befragten mit Aplomb als »Heimat« bezeichnet, während »Thüringen« kein einziges Mal Erwähnung fand. Als Basis der angesprochenen Identität dient die religiöse Konfession. Der Zuzug von Flüchtlingen würde jedoch dieses historisch gewachsene Konstrukt gefährden und die »Eichsfelder« hätten »die Sorge, dass der Islam […] unsere christliche abendländische Kultur durcheinander bringt und schwächt.« Ausgehend von diesen Annahmen wurden vermehrt recht krude
11. Bodenstein – Toleranz statt Akzeptanz
und misanthropische Postulate abgeleitet: »Die Männer sollen dort bleiben, dort kämpfen, ihr Land auf bauen, gegen Assad kämpfen und nicht hier. Oder wir sollten die hier ausbilden und als tüchtige Soldaten zurückschicken.« Und ein weiterer Gesprächspartner goutierte: »Die syrische Oma alleine kann dort nichts wieder auf bauen.« Neben diesen zwei Narrativen, der ungewissen Zukunft sowie dem Verlust der eigenen Identität, wurden von einigen Anwohner/innen auch die direkten Auswirkungen auf ihre unmittelbare Lebensweise bzw. ihr Umfeld durch die Anwesenheit der Flüchtlinge im Ort angeführt. Im Fokus standen potenzielle Gewalttaten gegenüber den Anwohner/innen mit häufigen Verweisen auf benachbarte oder besuchte Orte. Freital fand Nennung, wo »Krieg auf der Straße« herrsche, wie man es beim Besuch eines Freundes dort erlebt hätte. Als weiteres Beispiel für die befürchteten chaotischen Zustände diente das Hotel Rosenthaler Hof in Duderstadt. Dieses wurde im Jahr 2015 als Durchgangsunterkunft für Flüchtlinge genutzt, woraufhin eine temporäre Verschmutzung angrenzender öffentlicher Grünanlagen zu beobachten war: »War dann auch meine Befürchtung, dass es dann hier so aussieht und du ständig Ärger hast.« Die Gewerbetreibenden führten vorwiegend finanzielle Bedenken auf: »Als Privatmann sehe ich es offen, als Geschäftsmann logischerweise kritisch, wenn ich es nicht kritisch sehe, gehe ich an so was vielleicht kaputt.« So sei solch eine Unterkunft in direkter Nachbarschaft eine »Existenzfrage«. Davon ausgehend wird der Wertverlust von Immobilien thematisiert. So sei das Eigentum früher eine »halbe Million wert gewesen« und es hätte Gespräche mit Kaufinteressent/innen gegeben, seit Bekanntgabe über die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft läge der Wert bei »null«, da alle »abgesprungen sind«. Eine weitere Erzählfigur stellte der Erhalt von Sitten und Normen dar. Gemeint war insbesondere die Differenzierung zwischen privatem, halböffentlichem und öffentlichem Raum und die daraus resultierende Raumaneignung durch die Flüchtlinge: »Die kennen ja keine Grenzen, die sind ja so.« Letztendlich wurden im Rahmen des Narrativs von den angeblich direkten Auswirkungen auf die Anwohner/innen ebenfalls Verlustängste benannt. So würden die Flüchtlinge ihnen die Arbeit »wegnehmen« und sie als Deutsche schließlich »auch nichts kostenlos [bekommen, M.W.]«. Die Reserviertheit, Abneigung und teilweise rassistische Haltung gegenüber den Geflüchteten ist im Wesentlichen auf drei Antriebsmomente zurückzuführen. Diese erstrecken sich von einer Metaebene, auf der eine ungewisse zukünftige Entwicklung Europas und der Bundesrepublik im Mittelpunkt steht, über eine Ebene der regionalen Identität, deren Verlust befürchtet und direkt mit der Demontage der gewohnten Ordnung verbunden wird. Dabei weisen die beiden ersteren Antriebsmomente, neben den inhaltlichen Verknüpfungen, noch eine weitere Verbindung auf. Sie beziehen sich auf die Relation zwischen den befürchteten Auswirkungen, den Anwohner/innen und den
181
182
Mario Wolf
Geflüchteten. Es ist auffällig, dass beide »Sorgenstränge« lediglich von einem indirekten Bezug zu den Anwohner/innen von Bodenstein gekennzeichnet werden und darüber hinaus auch nicht direkt mit denen im Ort lebenden Geflüchteten in Verbindung stehen. Durch diese Konstellation können signifikante und unmittelbar eintretende Einschnitte bei den Lebensgewohnheiten der Anwohner/innen (fast) ausgeschlossen werden, denn schließlich erscheint ein abrupter und zeitnaher Zerfall staatlicher Ordnung oder ein schlagartiger Verlust der eigenen Identität als unwahrscheinlich. Konträr ist das dritte Antriebsmoment direkt an die Anwesenheit der neuen Bewohner/innen im Ort gekoppelt und beeinflusst das Leben vereinzelter Anwohner/innen in spezifischen Aspekten sehr konkret. Dieses Antriebsmoment wird jedoch von nur wenigen Gesprächspartner/innen genannt. Die vorliegende Ablehnung gegenüber den Geflüchteten ist folglich offenkundig in den anhaltenden Sorgen vor einer unüberwindbaren Krise von nationaler oder internationaler Dimension begründet.
12. Konträre Weltbilder
Flüchtlingshilfe und Antiflüchtlingsproteste
in Sondershausen
Jennifer Plaul
In der Rudolf-Breitscheid-Straße im Nordwesten von Sondershausen, zwei Kilometer vom Zentrum entfernt, findet man in der ehemaligen »Glückauf«Grundschule die Vereinsräume von »Sondershausen ist Bunt e.V.«. Das alte, zweistöckige Backsteingebäude sieht von außen noch verlassen aus, der Eingang ist hinter geparkten Autos von der gegenüberliegenden Druckerei halb versteckt. Seit dem Frühjahr 2016 mietet der Verein die erste Etage des Schulgebäudes, und zu dem Zeitpunkt meines Besuches im Juni 2016 befinden sich die Räumlichkeiten dort noch im Auf bau. Die Vereinsvorsitzende Kerstin Langethal und ihre Stellvertreterin Petra Görg, begrüßen mich im Treppenhaus und zeigen mir die neu bezogenen Räume: Sie erklären, welche Renovierungsarbeiten schon getan wurden und wie sie sich die Nutzung der Räume zukünftig vorstellen. Die frisch gestrichenen Wände im langen Flur wirken einladend und erinnern an den Vereinsnamen: Die Flächen zwischen den Türen sind bis auf Brusthöhe jeweils mit anderen Farben gestrichen, während die obere Hälfte der Wand bis zu den hohen Decken in weiß erstrahlt. Das größte und hellste Zimmer, zur Straßenseite, ist schon eingerichtet, mit Sofas, Tischen und Stühlen sowie einer kleinen Kochstelle. »Wir mögen es eigentlich nicht ›Café‹ nennen oder ›Begegnungscafé‹ – jeder hat ein ›Café International‹«, überlegt Frau Görg. ›Plauderecke‹ vielleicht eher, oder ›Sorgencafé‹: Egal wie der Raum heißen wird, für dessen Nutzung gibt es schon viele Ideen. Die beiden engagierten Frauen setzen eine Vision um, von einem internationalen, multifunktionalen und vor allem lebendigen Treffpunkt außerhalb der großen Gemeinschaftsunterkunft in Sondershausen. Wie dieser Verein entstanden ist und sich weiterentwickelt hat, ist Teil der Geschichte der sogenannten Flüchtlingskrise und ihrer Auswirkungen auf der regionalen und lokalen Ebene. Wie in vielen Städten und Gemeinden
184
Jennifer Plaul
Deutschlands begegneten Bürger/innen der 22.000 Einwohner/innen-Stadt Sondershausens der Herausforderung der zunehmenden Zahl zugewiesener Geflüchteter von Mitte-Ende 2014 an mit unterschiedlichen Gefühlen, die in differierenden öffentlichen Äußerungen, Begegnungen und Maßnahmen mündeten.
E ine schrumpfende S tadt im l ändlichen I dyll Sondershausen ist eine alte Bergbaustadt und liegt im Tal der Wipper. Sie ist zugleich Kreisstadt des Kyff häuserkreises im Norden Thüringens. Der Kyffhäuserkreis hat ca. 77.000 Einwohner/innen mit einem Ausländeranteil von 2,8 % (Kyff häuser Nachrichten, 2015) Nach der Stadt Gera hatte der Kreis im Dezember 2016 mit 9,4 % die zweithöchste Arbeitslosenquote in Thüringen (Bundesarbeitsagentur, 2016). An einem frühsommerlichen Vormittag von der östlichen Seite nach Sondershausen hineinfahrend, umrahmen alte Buchen und Kastanien die Straße. Zwischen den Bäumen ragen grüne, geräumige Vorgärten auf beiden Straßenseiten hoch. Gut gepflegte Häuser sind dann irgendwo oben in der grünen Idylle zu sehen. Auch in der Innenstadt kann man den einstigen Reichtum von Sondershausen noch überall wiederfinden. Zahlreiche Stadtvillen sind renoviert worden, alte Rosen wachsen durch die Gitter der innerstädtischen Vorgärten. Die beträchtliche Trinitatiskirche im Zentrum der Stadt fußt unten auf einem Berg, von wo aus man zum Marktplatz hochschaut. Gegenüber der römisch anmutenden sogenannten Alten Wache steht das Rathaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem jetzt die Tourismusinformation der Stadt ihren Sitz hat. Ansonsten ist das Stadtbild aber auch von leeren Ladenfronten bestimmt. Neben einem Yogastudio, einer Apotheke oder ein SecondHand Laden sind immer wieder dunkle Fenster zu sehen. In der Innenstadt sind kaum Cafés oder Eisdielen zu finden, was den Eindruck erweckt, dass nicht allzu viele Einwohner/innen hier tagtäglich unterwegs sind. Die Einwohner/innenzahlen von Sondershausen sind seit den 1970er Jahren zwar relativ stabil geblieben. Allerdings liegt dies an den Eingemeindungen der anliegenden Ortschaften Berka, Großfurra und Oberspier im Jahr 1998 und acht weiteren Ortschaften im Jahr 2007. So gesehen ist ein Bevölkerungsverlust in und um die Stadt Sondershausen zu verzeichnen, der dem demografischen Wandel nach 1990 geschuldet ist. Im statistischen Bericht »Entwicklung der Bevölkerung ausgewählter Städte Thüringens 2010-2030« rechnet das Thüringer Landesamt für Statistik mit einer weiteren Schrumpfung der Bevölkerungszahlen Sondershausens bis 2030 auf ca. 18.000 Einwohner/innen (Landesamt für Statistik Thüringen, 2010).
12. Konträre Weltbilder
E rste R e ak tionen auf erhöhte F lüchtlingsaufnahme : A ngst oder E mpathie Im November 2014 informierte der Bürgermeister Sondershausens, Joachim Kreyer (CDU), darüber, dass 50 Flüchtlinge in der Stadt zusätzlich zu den ca. 70 Flüchtlingen, die bereits zuvor hier lebten, aufgenommen werden sollen. Beratungen zwischen der städtischen »Wippertal Wohnungsgesellschaft« und der Stadt Sondershausen führten zur Nutzung des leerstehenden, ehemaligen Lehrlingswohnheims »Juventas« als Gemeinschaftsunterkunft (GU). Bisher hatte man sich im Kyff häuserkreis, zu dem Sondershausen gehört, um eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten bemüht, aber der schnelle Anstieg der Flüchtlingszahlen führte zu dieser Lösung. Bei einer Informationsveranstaltung der Stadt im November 2014 zur Vorbereitung Sondershausens und des Kyff häuserkreises auf die Aufnahme der einzutreffenden Flüchtlingen rief Bürgermeister Kreyer die Bevölkerung Sondershausens dazu auf, Flüchtlingen mit offenem Herz zu empfangen. Zu diesem Zeitpunkt bekamen die ersten Pegida-Demonstrationen in Dresden bereits deutschlandweit viel Aufmerksamkeit, und Stimmen der Intoleranz gegenüber oft noch gar nicht angereisten Geflüchteten wurden, vor allem im Internet, lauter. »Leider wurden in Sondershausen wie in anderen Orten nach dem Bekanntwerden der Nutzung [der GU, J.P.] einzelne Hasskampagnen gestartet. Mit fingierten Meldungen über Diebstähle versuchte man die Bevölkerung aufzuhetzen«, schrieb Kerstin Steinke von der Linksfraktion später in einem offenen Brief vom 04.09.2015. (zit. n. »Humanitäre Flüchtlingspolitik in Thüringen«, Linksfraktion Thüringen, 2015). Die Thüringer Allgemeine (7. August 2015) berichtete über mehrere Gerüchte und bemühte sich ihrer Aufklärung: dass z.B. das Bergbad nicht geschlossen wurde, und auch keinen auffälligen Messwerte aufwies; dass keine Anzeigen von gestohlenen Zigaretten oder belästigten Frauen und Kinder aufgenommen wurden; oder dass Mieter in Borntal nicht aus Wohnungen rausgeschmissen wurden, um Asylsuchenden zu weichen. Kurze Zeit nach der Bekanntgabe der geplanten Eröffnung der neuen Gemeinschaftsunterkunft in Sondershausen wurde die Facebook-Seite »Sondershausen gegen Asylmissbrauch« gegründet (https://www.facebook.com/sdh. sagt.nein/). Die Seite benennt nicht ihre Gründer/innen und beschreibt ihre Funktion als Plattform einer Bürgerbewegung, die gegen die Eröffnung einer neuen Gemeinschaftsunterkunft in der Güntherstraße in Sondershausen, aber auch gegen »Asylmissbrauch« im Allgemeinen protestiert. Mitte September 2016 zählte die Seite 3.017 »Gefällt mir«-Angaben. Die Bewegung unterstütze das Recht auf Asyl »als hohes Gut«, gleichwohl sollten Bürger/innen nicht »Tür an Tür« mit Geflüchteten wohnen müssen. Der Protest gegen Flüchtlinge als Nachbar/innen wird damit begründet, dass die meisten Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, das Asylrecht missbrauchen würden. Darüber hinaus
185
186
Jennifer Plaul
brächten Flüchtlinge eine erhöhte Kriminalität mit sich. Schließlich sollten die Bürger/innen in solchen Belangen gefragt statt bloß informiert werden. Die Nachrichten, die auf der Seite geteilt und kommentiert werden malen ein Weltbild, in dem die meisten Politiker/innen an den Problemen der Regierten vorbeiregieren, muslimische Glaubensrichtungen nicht zu Deutschland passen, und eine zunehmende Bevölkerungsvielfalt nur eine Bedrohung darstellt. Einzelne Nachrichten, aber insbesondere Kommentare, stellen ausdrücklich rassistische oder hetzerische Inhalte dar. Als Gegenreaktion wurde bereits im November 2014 die Facebook-Seite »Sondershausen ist Bunt«, als Initiative von Kerstin Langethal und Petra Görg ins Leben gerufen (https://www.facebook.com/Sondershausen.ist.BUNT/). »Sondershausen ist Bunt« bekennt sich für ein offenes, tolerantes Sondershausen und für die Unterstützung der Geflüchteten in der Stadt. Die Seite nimmt direkt Stellung zu den Äußerungen auf der Seite »Sondershausen gegen Asylmissbrauch«, indem sie sich gegen Pauschalisierungen in Bezug auf Asylmissbrauch positioniert. »Sondershausen ist Bunt« hatte im September 2016 2.388 »Gefällt-mir« Angaben. Somit fanden die ersten Antiflüchtlingsproteste und die erste Flüchtlingsunterstützung in Sondershausen in den sozialen Medien statt. Eine virtuelle Debatte über damals noch virtuelle Flüchtlinge. Ein paar Wochen nachdem die angekündigten neuen Bewohner/innen in Sondershausen eintrafen, besuchten Langethal und andere Unterstützer/innen von »Sondershausen ist Bunt« die Gemeinschaftsunterkunft in der Güntherstraße. Sie wollten die Menschen kennenlernen, die sie bereits unbekannterweise öffentlich verteidigt hatten. »Angefangen haben wir über eine ganz normale Facebook-Seite. Dann hat das Ganze seinen Lauf genommen. Von der ersten Kontaktaufnahme, die wirklich ganz toll war und bis heute so geblieben ist«. In den letzten zwei Monaten von 2014 wurden 140 Flüchtlinge im gesamten Kyff häuserkreis verteilt, in dem zuvor schon 200 Flüchtlinge wohnten. Über das Jahr 2015 hinweg sollte die Flüchtlingszahl dann aber einmal weiter ansteigen und parallel damit auch das Niveau der Herausforderungen für Behörden und hilfsbereite Akteure. Gefühle des Unmuts unter manchen Bürger/innen stiegen. Bereits im Januar 2015 ist Sondershausen in den nationalen Medien (wie z.B. Spiegel-Online, www.spiegel.de/panorama/justiz/fremdenfeindliche-schilder-in-sondershausen-gefunden-a-1014245.html, und FocusOnline, www.focus.de/politik/deutschland/thueringen-sondershausen-unterortsschild-liebe-asylschwindler-bitte-fahren-sie-weiter_id_4420999.html) für Antiflüchtlingssprüche am Ortseingang aufgefallen: »Liebe Asylschwindler, bitte flüchten Sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen!« Die Schilder wurden schnell entfernt und wer sie aufgehängt hatte, blieb unbekannt. Dennoch kursierten Bilder davon im Internet und in den sozialen Medien. Aktionen dieser Art wiederholten sich, aber mit geringerer medialer Aufmerksamkeit.
12. Konträre Weltbilder
B reite V erteilung der F lüchtlingsunterbringung im K yffhäuserkreis Als Kreisstadt empfängt Sondershausen zuerst die Flüchtlinge, die von den Erstaufnahmeeinrichtungen in Thüringen an den Kyff häuserkreis zugewiesen werden, bevor sie weiter verteilt werden. Je nach Kapazität werden sie in einem von zurzeit elf Orten untergebracht, sowohl dezentral als auch in den sieben Gemeinschaftsunterkünften im gesamten Kyff häuserkreis. In Gemeinschaftsunterkünften wohnen ca. 60 % der Flüchtlinge, die im Kreis untergebracht sind. Die meisten dieser Gemeinschaftsunterkünfte bestehen erst seit 2014 oder 2015. Die große Zahl an Menschen, die kurzfristig untergebracht werden musste, führte in Sondershausen wie im Kyff häuserkreis weg von dem vormaligen Leitbild der dezentralen Unterbringung und zur Eröffnung der bereits erwähnten GU. Tab. 1: Überblick über die Flüchtlingsunterbringung im Kyff häuserkreis. Eigene Tabelle, Stand April 2016, Zahlen vom Ausländeramt, Interview mit Frau Schröder (Integrationsbeauftragte), Kyff häuserkreis. Ort
Einwohner Flüchtlinge
Flüchtlingsanteil
Belegung in GU
Kapazität GU
Scherenberg
916
115
12,55 %
115
125
Rockensußra
379
96
25,32 %
96
90
Sonders hausen
21.678
474
2,18 %
Bornatal str.: 72
115
Günther str.: 230
260
Göllingen
624
8
1,28 %
--
--
Greußen
3.639
15
0,41 %
--
--
Bad Frankenhausen
7.356
192
2,61 %
--
--
Oldisleben
2.210
35
1,58 %
--
--
Reinsdorf
751
92
12,25 %
92
125
Heldrungen
2.306
63
2,73 %
63
80
Roßleben
3.479
76
2,18 %
--
--
Artern
5.425
110
2,02 %
94
115
Hauptherkunftsländer der im Kyff häuserkreis 2016 aufgenommenen Geflüchteten sind Syrien, Irak und Afghanistan. Die allermeisten Flüchtlinge warten noch auf die Eröffnung ihres Asylverfahrens. Im Jahr 2015 wurde 157 Flücht-
187
188
Jennifer Plaul
lingen die Asylberechtigung zuerkannt. 2016 waren es bis zum April 249. In den Jahren 2014-2016 wurden ca. 100 »freiwillige Ausreisen« und acht Abschiebungen dokumentiert. »Im Berichtszeitraum (2014-16) haben sich 24 Flüchtlinge entschieden, ihren zukünftigen Wohnsitz im Kyff häuserkreis zu begründen und haben privatrechtliche Mietverhältnisse abgeschlossen. In zwei Fällen ist der Familiennachzug bereits erfolgt.« (A.a.O.)
G erüchte , V orbehalte und G espr äche Unbeschadet jener Schilder am Ortseingang war die erste Hälfte des Jahres 2015 in Sondershausen stärker von Unterstützung als von Protest geprägt. »Generell kann man sagen, es ist wirklich sehr ruhig hier. Es gibt wenige Anfeindungen«, erzählt Görg. Trotz der im Vergleich zu manchen anderen Städten ruhigen Lage, kursieren Vorurteile und Gerüchte weiterhin. Gerüchte wurden ausgebreitet, wie beispielsweise: das örtliche Schwimmbad sei verunreinigt worden und musste deshalb abgelassen werden, eine Ziege in der Gegend sei geschächtet worden oder auch Zigaretten eines kleinen Ladens würden vermisst. Über die bekanntesten Gerüchte wurde recherchiert und aufgeklärt, sie bewahrheiteten sich nicht. Obwohl selten, sind doch auch in Sondershausen direkte Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen vorgekommen. Langethal erzählt von einer Frau, die mit ihren Kindern in der Stadt unterwegs angespuckt wurde. Seit längerer Zeit wäre aber so etwas nicht passiert. Michael Göpfert, Kirchenkreissozialarbeiter bei der Diakonie Kyff häuser, findet die Atmosphäre in Sondershausen gut. Göpfert selbst hört selten etwas gegen Flüchtlinge – »alle wissen, auf welcher Seite ich stehe«. Aber ab und zu begegnen ihm Ansichten, wie z.B. »die kriegen alle 2.000 Euro Begrüßungsgeld«. Die meisten dieser Art Gerüchte kursierten im Internet. Sobald Kontakt entsteht, gerade mit Jugendlichen, würden die Vorurteile schnell abgebaut. Es gäbe viel Hilfsbereitschaft, von öffentlicher und privater Seite, insbesondere in den größten Städten im Kreis, in Bad Frankenhausen und Sondershausen. Aber vor allem außerhalb der Städte, in den ländlichen Teilen des Kirchenkreises, sieht Göpfert »eine relativ hohe Distanziertheit gegenüber den Flüchtlingen«. Von dort kamen etwa sehr wenige Reaktionen auf einen Aufruf zu Sachspenden, Hilfe oder Patenschaften. Wie funktioniert der Dialog mit Menschen, die starke Vorurteile haben bzw. von sich selber sagen, dass sie gegen Flüchtlinge sind? Gespräche habe es gegeben und gebe es noch, natürlich, selbstverständlich, erzählt Langethal, sogar gute Gespräche. Wenn jedoch nach Wochen oder Monaten jemand sagt, »aber, die haben alle ein Smartphone, dann ist der Punkt erreicht, wo man sagt: es nutzt nicht.«
12. Konträre Weltbilder
S oziales E ngagement für F lüchtlinge Über das Jahr 2015 intensivierte sich die Arbeit mit den Flüchtlingen. Michael Göpfert arbeitet als Kirchenkreissozialarbeiter mit Menschen in schwierigen Lebenslagen. Durch die Vielzahl der Geflüchteten hat sich auch seine Zielgruppe erweitert. Die Grenzen des Landkreises und die des Kirchenkreises sind nicht identisch, aber für Göpfert zählen mitunter beide Grenzen. Er richte sich danach, wo Hilfe gebraucht werde. Göpfert besucht Gruppenunterkünfte, z.B. in Rockensußra und in Sondershausen und versucht insbesondere deutsche Jugendliche mit den Asylbewerber/innen zusammenzubringen. In seinen Augen wird diese Art Zusammenkunft nicht oft genug organisiert. »Da gibt’s eine ganz, ganz tolle Verbindung zwischen unseren Heimkindern oder Heimjugendlichen und den Asylbewerbern. Das ist unglaublich, wie sie miteinander interagieren und Freundschaften sich bilden.« Göpfert nimmt sich viel Zeit für gezielte Projekte, wie etwa die Organisation eines Tagesausflugs mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten und »unseren Omas«. Das Engagement von »Sondershausen ist Bunt« nahm weiter zu und Mitte des Jahres 2015 formierte sich die Gruppe zu einem Verein. Über den Sommer wurden Ausflüge mit Kindern organisiert, Sportfeste, ein Zuckertütenfest u.v.m. gemacht. Der Verein zählt inzwischen ca. 25 Mitglieder. Bei größeren Aktionen kommen häufig mehr Menschen zur Unterstützung. In Zusammenarbeit mit dem Rotary-Club von Sondershausen wurden ca. 15 Fahrräder repariert und an Flüchtlinge übergeben sowie andere Spendenaktionen unternommen.
Ö ffentliche D emonstr ationen und P roteste In einem Bericht über Kriminalität im Jahr 2015 berichtet das Bundeskriminalamt, dass insbesondere bei der Anti-Asyl-Einstellung »die Abgrenzung zum Rechtsextremismus immer mehr verwischt« sei (FAZ, 28.06.2016). »›Rein virtuelle Gruppen‹ festigten und radikalisierten sich im Internet, um später Aktionen in der Realwelt durchzuführen.« Dabei stiegen unter anderem rechtsextremistisch motivierte Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland auf 75 Fälle im Jahr 2015, im Vergleich zu 5 im Jahr zuvor. Einer von diesen Fällen ereignete sich in dem Ortsteil Rockensußra (Ebeleben), ca. 20 Kilometer südwestlich von Sondershausen, in der Nacht vom 06. September 2015. Eine geplante Asylunterkunft in dem kleinen Ort mit 379 Einwohner/innen und 96 Flüchtlingen (Stand 26.04.2016, Ausländeramt Kyffhäuserkreis) ging in Flammen auf. Die geplante Unterkunft stand in der Nähe einer seit Jahren bereits bewohnten Gemeinschaftsunterkunft. Es gab keine Verletzten und die Brandstifter/innen blieben unbekannt.
189
190
Jennifer Plaul
Die Brandstiftung in Rockensußra veränderte auch in Sondershausen die bis dato zumindest äußerlich relativ ruhige Situation. Spontan wurde eine Kundgebung in Anteilnahme mit Rockensußra auf die Beine gestellt. Denn »das konnten wir nicht einfach so stehen lassen«, so Langethal. Im letzten Jahrzehnt hat das »Bündnis gegen Rechts« im Kyff häuserkreis Aktionen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit organisiert. Das Bündnis wurde von Vertreter/innen verschiedener Ämter, Verbände und Vereine sowie Bürger/innen aus dem Kreis im Jahr 2000 gegründet, um ein Zeichen zu setzen, gegen rechtsextreme Aktivitäten vorzugehen und Zivilcourage in der Bevölkerung zu stärken. In den letzten Jahren sei das Bündnis weniger aktiv gewesen, sagt Langethal. Deshalb organisierte »Sondershausen ist Bunt e.V.« die Kundgebung, zu der über 100 Teilnehmer/innen auf dem Marktplatz zusammenkamen. Auch Asylbewerber/innen standen mit Plakaten der Ansammlung bei, neben Bürger/innen Sondershausens und benachbarter Orte, Mitgliedern des evangelischen Kirchenkreises sowie Vertreter/innen verschiedener Parteien und Vereine. Mehrere Bürgermeister/innen aus dem Kyff häuserkreis waren vor Ort und sprachen sich für Solidarität mit Geflüchteten aus. Unmittelbar nach der Solidaritätsbekundung flammte auch die Antiflüchtlingsstimmung in der Stadt auf, und es kam über die nächsten Monate zu drei Antiflüchtlingsprotesten und Gegendemonstrationen. Am 05. Oktober 2015 wurde der erste öffentliche Antiflüchtlingsprotest in Sondershausen von der Ortsgruppe der NPD organisiert. Langethal und Görg lasen sich schnell ins Versammlungsrecht ein und führten eine Gegendemonstration zur gleichen Zeit durch. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht: Nach Langethal haben zwischen 300-500 Teilnehmer/innen am 05. Oktober auf jeder Seite mitdemonstriert, wobei bei den Folgedemonstrationen und Gegendemonstrationen am 16. November und am 30. November 2015 auf beiden Seiten eine abnehmende Teilnehmer/innenzahl zu beobachten gewesen wäre. Die Antiflüchtlingsproteste wurden nicht nur von der NPD organisiert, sondern auch über die lokale NPD Webseite sowie über die Facebook-Seite »Sondershausen gegen Asylmissbrauch« angekündigt. Eine Ankündigung auf der Webseite der Ortsgruppe der NPD vom 29. September 2015 ruft auf: »Trauen Sie sich ruhig sich der Demonstration anzuschließen! WIR SIND DAS VOLK!« (http://www.npd-kyff haeuserkreis.de/?p=1558) Es wird betont, dass die Bevölkerung für sich selbst sprechen müsse, da sie von der Politik nicht gehört werde. ›Die Bevölkerung‹ wird indes implizit gleichzeitig einen nicht definierten exklusiven Charakter und einen einheitlichen (Volks-)»Willen« zugesprochen, nach dessen »die Bevölkerung« ein Zeichen gegen Masseneinwanderung in Sondershausen setzen müsse. Der NPD-Abgeordnete im Kreistag und der Kreisvorsitzende der NPD im Kyff häuserkreis, Patrick Weber, erkennt Asylrecht an, untergräbt aber diese Anerkennung schnell mit dem Vorurteil, die meisten Asylsuchende »kommen nur, weil sie wissen, dass sie
12. Konträre Weltbilder
hier fürs Nichtstun alimentiert werden« (NPD Kyff häuser Kreis, 2015). Görg vermutet, dass viele Protestierende die direkte Verbindung zur NPD entweder nicht gesehen haben oder nicht sehen wollten: Menschen, die der Meinung sind, dass etwas getan werden muss, weil die Regierung sie im Stich lasse, die vielleicht nur hingucken wollten und sich nur mit manchen Aussagen identifizieren können. Auf einem YouTube-Video des Protestzugs ist die Präsenz von NPD-Anhänger/innen anhand von Plakaten und Schildern indes deutlich sichtbar (https://www.youtube.com/watch?v=2WpPHW5X1-I). Obwohl die beiden Demonstrationen am 5. Oktober 2015 räumlich getrennt voneinander stattfanden – aus sicherheitsstrategischen Gründen lag zwischen beiden Demonstrationen der Sondershausener Busbahnhofsplatz mit einigen Gebäuden –, haben Langethal und Görg einen Eindruck von den Protestierenden der anderen Seite bekommen. Alle Altersgruppen waren vertreten, »die dann aber auch sagen – ist ja Pegida – wir sind nicht NPD, wir sind nur gegen die Flüchtlingspolitik«, so Langethal. Görg und Langethal waren teilweise überrascht, Menschen bei der Antiflüchtlingsdemonstration zu sehen, von denen sie es nicht erwartet hätten. Göpfert hatte hingegen den Eindruck, dass viele Menschen nicht nur aus Sondershausen, sondern auch aus anderen Städten und Regionen zusammengekommen waren, die eher in die Kategorie »Hardcore-Rechts« passen würden: »Bei den rechten Veranstaltungen, da kommt man nicht ran, es sei denn man lässt sich eine Glatze schneiden und geht auf die Gegenseite.« Die Facebook-Seiten »Sondershausen gegen Asylmissbrauch« und »Sondershausen ist Bunt« posten regelmäßig Nachrichten, Bilder und Zitate, die selbstverständlich ihre jeweils angegebenen Ziele und Narrative unterstützen. In den meisten Kommentaren zu den einzelnen Nachrichten setzt sich dies fort. Gelegentlich kommt es auch in diesen eher getrennten Gesprächssphären zu Kontakt zwischen beiden Seiten, wenn z.B. auf eine Nachricht eine Gegenmeinung als Kommentar geäußert wird. Diese einzelnen Momente des Dialogs im Internet stellen zwar einen direkteren Kontakt dar, als wenn Menschen sich nur auf der anderen Seite eines Protestzugs im öffentlichen Raum befinden und einander kaum sehen können. Die Möglichkeiten, sich vertieft mit Themen auseinanderzusetzen, sind über das Internet theoretisch vielfältiger. In ihrer tatsächlichen Funktion jedoch haben die Facebook-Seiten viel mehr gemeinsam mit den Protesten: wer sich schon auf eine Seite positioniert hat, kommt kaum ins Gespräch mit Menschen auf der gegenüberliegenden Seite.
191
192
Jennifer Plaul
S ichtbar in der K leinstadt Das ehemalige Lehrlingswohnheim »Juventas« in der Güntherstraße und ein anliegendes Gebäude im Hinterhof beherbergt 230 Flüchtlinge (April 2016). Beim Vorbeigehen ist das Gebäude unauffällig, es sieht weder belebter noch leerer aus als andere Häuser in der langen Straße. Während längerer Beobachtungen kommen und gehen mehr Menschen aus dem Hofeingang neben der Gemeinschaftsunterkunft als aus den anderen Gebäuden in der Straße. Auf dieser Straße einen halben Kilometer außerhalb der Innenstadt sind nicht viele Fußgänger/innen unterwegs. Viele Autos fahren aber hier entlang. Ein junges Paar schiebt ein kleines Kind in seinem Buggy Richtung Innenstadt und fragt mich dabei nach dem Weg. Der Mann zeigt mir einen Zettel, auf dem die Adresse der Ausländerbehörde steht. Das Paar aus Afghanistan ist noch nicht lange in Sondershausen. Vereinzelt laufen auch Männer, die wahrscheinlich Flüchtlinge sind, Richtung Innenstadt oder zurück in die GU. Später fahren drei lachende junge Männer mit schwarzer Hautfarbe auf Fahrrädern vorbei. Andere Paare, die der Kleidung nach aus einem muslimisch geprägten Land kommen, laufen auf der Güntherstraße in verschiedenen Richtungen lang. Hinter einem gepflasterten Eingangsbereich der Gemeinschaftsunterkunft befindet sich ein Hinterhof mit einem überschaubaren Rasen, teilweise durch Hecken, Wege und Bäume gestaltet. Der Garten ist schlicht, bietet aber verschiedene Möglichkeiten, sich alleine oder mit anderen aufzuhalten, die offenbar auch genutzt werden. In vier verschiedenen Ecken sehe ich einzelne Männer oder kleine Gruppen, die sich unterhalten. Ein Kind fährt auf einem zu großen Fahrrad im Hof umher. Frauen halten sich an dem Nachmittag nicht in dem Hof auf. Ich nähere mich zuerst zwei jungen Männern und stelle mich vor. Awet und Michele kommen aus Eritrea und sind schon seit einem Jahr und acht Monaten in Deutschland. Die beiden scheinen Langeweile zu haben, sie sagen, sie seien nicht sehr glücklich mit der Wohnsituation. Noch müssen sie aber dort bleiben, weil sie auf die Eröffnung ihres Asylverfahrens warten. Sie sind freundlich, aber die Kommunikation auf Deutsch und Englisch ist nur sehr eingeschränkt möglich. Ich frage sie, ob sie Frau Görg kennen, sie sind erst unsicher. Petra Görg? Die Augen von Awet leuchten und ein großes Lächeln breitet sich aus: »Petra! Das ist meine Lehrerin!« In der entferntesten Ecke des kleinen Hofgartens sitzt Ahmed El Mohamed, 28, alleine auf einer Bank, Arme auf die Beine gestützt, und schaut auf die Bäume. Er gibt mir die Hand, beantwortet gerne Fragen. Er kommt aus Syrien und ist über die Balkanroute nach Deutschland gekommen, vor acht Monaten. Ob er sich in Sondershausen wohl fühlt? Ja. Er lächelt und öffnet die Arme, »Hier ist es gesund!« Damit meint er die Luft, die vielen Bäume, viel Grün in und um die Stadt. Die meisten Menschen seien auch freundlich zu ihm, er hat keine Probleme. El Mohamed entschuldigt sich, dass er nicht so gut
12. Konträre Weltbilder
Deutsch sprechen kann, dabei unterhalten wir uns ohne größere Probleme. Er erklärt, er habe Anästhesie studiert, muss aber erst besser Deutsch lernen und hofft, dass seine Ausbildung anerkannt wird.
E in neuer Treffpunk t zum A nkommen Die Idee, Vereinsräume für »Sondershausen ist Bunt e.V.« zu mieten, ist aus einem typischen Problem in der Flüchtlingsarbeit geboren worden: Wie kann man auch Frauen besser unterstützen, wenn sie viel weniger als die Männer von sich aus Hilfsangebote – insbesondere freiwillige Deutschkurse – wahrnehmen? Seit Oktober 2015 bietet Petra Görg regelmäßig Deutschunterricht in der Gemeinschaftsunterkunft der Güntherstraße in Sondershausen an. »Es kamen immer wieder Flüchtlinge an, die gesagt haben, wir wollen Deutsch lernen, wir wollen uns mit den Leuten unterhalten.« Als English-Russisch Lehrerin fühlte sich Görg dazu berufen, selbst etwas zu unternehmen. Aus einer Unterrichtsgruppe wurden mehrere Gruppen, teilweise aus praktischen Gründen (z.B. vorherige Sprachkenntnisse) nach Nationalität aufgeteilt. Die Geflüchteten, die bei Frau Görg im Deutschunterricht sitzen, sind diejenigen, die selbst motiviert sind, Zeit haben und nicht bereits in einem Integrationskurs angemeldet sind. Görg schätzt, dass das ca. ein Viertel der Bewohner/ innen des GU ist. Anerkannte Flüchtlinge müssen Integrationskurse – vorwiegend Sprachkurse – belegen, die seit dem späten Herbst 2015 in Sondershausen von der Volkshochschule angeboten werden. Die Teilnahme an den Kursen von Frau Görg variiert, aber es bleibt konstant, dass nur wenige Frauen teilnehmen. »Es gibt ganz viele Muttis mit kleinen Kindern und deshalb war das problematisch. Wir haben uns gesagt, wir müssen uns irgendwas einfallen lassen, damit die Möglichkeit besteht, dass die Kinder vielleicht miteinander spielen können, während man mit den Muttis Unterricht macht.« Zu den neuen Vereinsräumen gehören neben dem Aufenthaltsraum drei weitere, große Räume. Ein Raum soll als Unterrichtsraum eingerichtet werden. Ein großes Zimmer am anderen Ende des langen Flurs soll ein Spielzimmer werden, eine Tischtennisplatte steht schon bereit. Eine Kleiderkammer befindet sich ebenso im Auf bau. An den Wänden sind Metallregale aufgestellt und zur Hälfte ordentlich eingeräumt mit gespendeten Kleidungsstücken. Auf dem Boden türmen sich Kisten und Stapel von noch unsortierten Sachspenden, darunter mehrere Kisten Windeln. Draußen auf dem gepflasterten Innenhof mit noch wild wachsenden Gräsern werden, nach ein bisschen Aufräumarbeit, Kinder spielen können, oder gemeinsame Abende und Feste organisiert werden.
193
194
Jennifer Plaul
I n S ondershausen bleiben ? Die Renovierung der Räume erfordert noch viel Arbeit, bei der viele Freiwillige, auch Flüchtlinge, helfen. Bei derjenigen Arbeit, bei der lokale Kenntnisse und soziale Netzwerke erforderlich sind, stehen Langethal und Görg jedoch häufig alleine. Sie könnten Hilfe von Vereinsmitgliedern oder Freund/innen und Bekannten erfragen, aber bevor man drei Anrufe betätige, mache man viele kleine Schritte lieber selbst. Der Verein hilft z.B. auch bei Bewerbungen für Arbeitsplätzen, Praktika und Ausbildungsplätzen oder auch bei der Wohnungssuche. »Wohnungssuche ist sehr, sehr schwierig. Das ist das, womit wir eigentlich am meisten beschäftigt sind«, erzählt Langethal. Nicht nur die maximale Quadratmeterzahl und der Quadratmeterpreis, die vom Arbeitsamt festgelegt sind, sondern auch die Möblierung einer leeren Wohnung machen es schon zu einer großen Aufgabe, auch nur eine einzige Wohnung herzurichten. Auch wenn Flüchtlinge von der Ausländerbehörde über Ressourcen und Möglichkeiten informiert sind, machen die kulturellen Hürden und mangelnden sozialen Netzwerke zu schaffen. Wenn Geflüchtete z.B. bei der Möbelkammer eine bestimmte Zahl kostenlose Möbel zustehen, die Möbelkammer jedoch leer ist, geht es oft erst einmal nicht weiter. Dann setzt »Sondershausen ist Bunt e.V.« Netzwerke in Gang, um irgendwo – zum Teil auch weit entfernt – gespendete Möbel aufzutreiben und zu beschaffen. Insgesamt haben Langethal und Görg fünf bis acht Menschen geholfen, in Sondershausen eine Wohnung zu finden. »Eigentlich möchten wir schon ein paar mehr hier halten. Allein für Sondershausen und generell auch so für das Umfeld«, sagt Langethal. Viele Geflüchtete ziehen aus Sondershausen weg, wenn sie einen Aufenthaltsstatus bekommen haben. Sondershausen sei zu klein, sagt Görg, »unsere jungen Menschen bleiben auch nicht«. Wenn Flüchtlinge in Sondershausen bleiben, dann weil sie sich irgendwie aufgenommen fühlen. »Sie bleiben schon wegen uns«, erzählt Langethal. »Ich kenne jemanden hier, ich habe jemanden«, dann ist die Stadt nebensächlich. Mitte 2016 standen inzwischen sieben von zehn Erstaufnahmestellen in Thüringen leer. Das bedeutet für die Kommunen und Kreise, dass sie weniger Zuweisungen im zweiten Halbjahr 2016 erwarten können und sich erst mal auf die Arbeit mit den Flüchtlingen, die bereits vor Ort sind, konzentrieren können.
E xistenzsorgen für rechte I deologien politisiert Abgeschottet sein, von der Politik nicht gehört werden. Das sind immer wieder genannte Motivationserklärungen für die Antiflüchtlingsprotestierenden. Doch wirft diese Erklärung viele Fragen auf. Wie führt das Gefühl von Ohn-
12. Konträre Weltbilder
macht dazu, dass eine größere Gruppe in Sondershausen sich gegen die Anwesenheit einer kleinen Minderheit demonstriert? Wenn Menschen sich a priori von der Politik nicht beachtet fühlen, warum wird dieses sehr allgemeines Problem fast ausschließlich auf Asylsuchende übertragen? In der nicht selbstverständlichen Schlussfolgerung von Ohnmacht auf Fremdenfeindlichkeit haben Emotionen und deren Kanalisierung mehr Gewicht als Logik. In einem Versuch, die Pegida-Demonstrationen in Dresden zu erklären, schreiben Lars Geiges, Stine Marg und Franz Walter aus Göttingen in ihrem 2015 erschienenen Buch, »Pegida: Die Schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?«: »Öffentlicher Streit und politische Auseinandersetzungen können nicht nach den Regeln eines Intellektuellensalons verlaufen. In Massengesellschaften gehören Emotionen dazu, zuweilen auch das große Theater, entfesselte Leidenschaften, erschütternde Dramen.« Werden diese ignoriert, werden womöglich radikalere Formen von Populismus geschürt. »Populisten finden nur dann Gehör und Zulauf, wenn in einer Gesellschaft etwas nicht stimmt […], wenn sich ganze Gruppen von den verborgen operierenden Netzwerken und Aushandlungssystemen der Politik und Finanzökonomie ferngehalten, wenn sie sich kulturell enteignet, vor allem: wirtschaftlich betrogen fühlen.« (183-185) Heute sei Deutschland mit einer relativ neuen Situation konfrontiert, anders als in anderen europäischen Ländern, die schon länger mit lauten Stimmen der rechtspopulistischen Seite zu tun haben. »Die Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien, in Wissenschaft, Kirchen und Gewerkschaften haben 2015 vielmehr eine Einheitsfront gegen Rechts, die in den früheren 1930er Jahren nicht zustande kam, gebildet.« Diese Front ist es aber auch, die eine andere Front entstehen lassen hat, eine »Alternative« zur Alternativlosigkeit (ebd., 202). In Sondershausen werden die Antiflüchtlingsproteste stark von Individuen und kleinen Gruppen ideell geleitet und getragen. Manche Sorgen, die sich unter der Bevölkerung finden, werden durch Bewegungen wie »Sondershausen gegen Asylmissbrauch« auf andere Themen projiziert, in diesem Fall auf die Ankunft von Asylbewerber/innen aus anderen Ländern in die Stadt. Dabei werden Ängste benutzt um neue Probleme in Vordergrund zu stellen, statt Problemlösungen für die existenziellen Belange der Bürger/innen zu suchen. Bewegungen und Gruppen wie »Sondershausen ist Bunt« versuchen, dieser Projektion ein offeneres, empathischeres und hoffnungsvolleres Weltbild entgegenzustellen, eines was jedoch grundsätzlich die Fähigkeit zum Vertrauen – in den Zusammenhalt der Gesellschaft, in das politische System, in die Zwischenmenschlichkeit – voraussetzt.
195
13. Blankenberg
Rassismus oder nur zur falschen Zeit am falschen Ort?
Charlotte Schönemann
Ein beheiztes Schulgebäude in einer gutsituierten, kleinen Gemeinde in SüdOst Thüringen, steht im Winter 2015/16 leer und kostet der Gemeinde damit viel Geld. Für die große Zahl an Menschen, die in diesen Monaten nach Deutschland fliehen, stellt das Schulgebäude eine gute Notunterkunft dar und ist viel geeigneter als Zelte oder Gewerbehallen. Doch viele Bürger/innen und einige Entscheidungsträger/innen wollen nicht das Menschen aus anderen Ländern in der alten Schule leben. Innerhalb von Tagen ist die Stimmung in der kleinen Gemeinde aufgeheizt und voller Hass. Was sind die Gründe für diese Ablehnung jenseits von rechter Stimmungsmache und populistischen Aufmärschen, die es hier nicht gab? Dem kleinen Ort Blankenberg in Süd-Ost-Thüringen, direkt an der Grenze zu Bayern geht es wirtschaftlich gut. Ungewöhnlich für Gemeinden in Thüringen weist der Haushalt keine Verschuldung, sondern ein großes Haushaltsplus auf. In dem Ort leben etwas mehr als 900 Einwohner/innen, kaum einer von ihnen ist arbeitslos, es gibt akzeptable Industrie in der Nähe. Die neun Kilometer Straßen des Ortes sind saniert und es gibt einen kleinen Minimarkt, einen Bäcker, einen Getränkemarkt und außerdem einen gut belegten Kindergarten sowie eine hohe Dichte an Vereinen. Daneben ist Blankenberg ein reiner Schlafort. Für die Wohnblöcke am Rand des Ortes gibt es Wartelisten, dennoch hat Blankenberg von 1994 bis 2014 27 % seiner Einwohner/innen verloren. Aufgrund seiner Grenze zu Bayern lag der Ort während der Zeit der DDR im Grenzsperrgebiet. Obwohl es eine kleine Gemeinde ist, gab es bis zum Sommer 2015 in Blankenberg eine Regelschule. Die Schule und die Umstände ihrer späteren Schließung sind entscheidend für den Umgang der Bevölkerung mit der geplanten Notunterkunft für geflüchtete Menschen. Schon seit Anfang der 1990er Jahre, zu Beginn der Amtszeit des jetzigen Bürgermeisters Hans Wietzel, steht eine Schulschließung im Raum. Der Grund dafür sind insbesondere zurückgehende Schüler/innenzahlen. Durch ein neues Ganztagsschulkonzept, initiiert von
198
Charlotte Schönemann
der damaligen Schulleitung, wird die Schließung aber vorerst abgewendet. Das Angebot ist auch für Familien aus den umgebenden Gemeinden interessant und so bleiben die Schüler/innenzahlen stabil. Dann wird für Bad Lobenstein, eine ehemalige Kreisstadt etwa zehn Kilometer entfernt, ein neues Schulzentrum geplant. Jetzt gibt es die Vereinbarung, dass die Schule in Blankenberg nach Fertigstellung des neuen Schulzentrums geschlossen werden soll und die verbliebenden Schüler/innen nach Bad Lobenstein umziehen. Bis zum Jahr 2015 ist es so in der Schulnetzplanung festgeschrieben. Nach Aussage des Bürgermeisters hat sich auch der Landrat des Saale-Orla-Kreises Thomas Fügmann mündlich immer für einen Erhalt der Schule ausgesprochen. Die Gemeinde hat in den letzten Jahren zusätzlich den Hausmeisterdienst übernommen. Nach Empfinden des Bürgermeisters hat die Gemeinde damit alles getan, um den Standort zu erhalten. Umso überraschender ist es für den Ort, als im Sommer 2015 keine fünfte Klasse mehr eingeschult wird und die Schulschließung plötzlich eine Tatsache ist. Eigentlich sollte die Schule aus Blankenberg in geschlossenen Klassenverbänden in das neue Schulzentrum nach Bad Lobenstein umziehen, jetzt werden die Klassen getrennt und in die alte Schule in Bad Lobenstein integriert. Das einzige was auf eine vorzeitige Schließung hindeutet, ist bis dahin das Gerücht, die Qualität des Unterrichts hätte nachgelassen, weil es immer schwerer sei Lehrer/innen zu finden. Die Schulschließung ist letztendlich eine Entscheidung des Kreistages. War das Schulgebäude bisher im Besitz des Kreises, soll es nun nach einem Vertrag von 1993 wieder an die Gemeinde zurückgehen. Dazu gibt es eine mündliche Vereinbarung, dass die Schule finanziell noch bis zum Ende des Jahres vom Kreis verwaltet wird und ab 01. Januar 2016 die Gemeinde dafür verantwortlich ist. Das Gebäude steht nun vorerst leer und die Gemeinde muss ein neues Nutzungskonzept entwickeln.
»E in A bend wie er noch nie da war « Anfang September ändert sich die Situation für die Gemeinde in kurzer Folge erneut, als der Landrat dem Bürgermeister mitteilt, dass der Landkreis das Schulgebäude doch nicht wie geplant an die Gemeinde zurückgeben, sondern im Winter als Notunterkunft für Geflüchtete nutzen möchte. Eine Zustimmung durch den Gemeinderat ist dazu nach Aussage des Landrats nicht erforderlich. Um die Bürger/innen darüber zu informieren, vereinbaren der Bürgermeister und der Landrat eine Einwohner/innenversammlung durchzuführen. Die Einwohner/innenversammlung wird durch Aushänge und Zeitungsanzeigen angekündigt. Diese Ankündigung ist gleichzeitig die erste öffent-
13. Blankenberg
liche Information über die geplante Notunterkunft im ehemaligen Schulgebäude. Es ist der Information deutlich zu entnehmen, dass es nicht darum geht dauerhaft Wohnungen für geflüchtete Menschen einzurichten, sondern dass das Schulgebäude lediglich bei einer eventuellen Überbelegung anderer Unterkünfte im Winter gebraucht wird. Bis zu der geplanten Versammlung zehn Tage später erhält auch der Bürgermeister keine weiteren Informationen zu der geplanten Unterkunft. Die Versammlung ist sehr gut besucht. Der Saal für etwa 200 Personen reicht nicht aus und so müssen die Außenfenster geöffnet werden. Anwesend sind auch Bürger/innen aus den Nachbarorten, die eine Verbindung zur Schule haben, sowie Bürger/innen verschiedener Altersgruppen. Es gibt kein öffentliches Auftreten der NPD oder anderer rechter Gruppierungen bei der Versammlung und bei den letzten Wahlen waren die Stimmenanteile der NPD in Blankenberg bisher unerheblich. Der Bürgermeister von Blankenberg, der Landrat und ein Mitarbeiter sowie der Vorsitzende der Verwaltungsgemeinschaft Saale-Rennsteig Helmut Wirth sitzen auf einem Podium und leiten die Veranstaltung. Sie haben sich vor der Veranstaltung nicht abgesprochen. Als der Landrat ankommt ist der Raum bereits über die Maße besetzt, was die Stimmung aufheizt. Außerdem ist von Beginn an Unmut zu spüren, ausgelöst durch den Ablauf der vorherigen Schulschließung. Verbunden damit ist auch eine Vermischung des Ärgers über die Schulschließung, mit dem Ärger über die geplante Unterkunft wahrzunehmen. Der Bürgermeister beginnt mit ein paar einleitenden Worten. Da vorher keine weitere Absprache erfolgt ist, geht er davon aus, dass der Landrat Informationen gibt und Fragen beantwortet. Bereits zu Beginn gibt es eine neue, überraschende Information des Landrats: Der Gemeinderat von Blankenberg muss der Notunterkunft nun doch zustimmen. Trotz dieser unerwarteten Information, läuft der erste Teil der Veranstaltung in relativ geordneten Bahnen ab. Danach, so die Aussage des Bürgermeisters, ändert sich die Stimmung und das Verhalten der Bürger/ innen entspricht nicht mehr dem einer Einwohner/innenversammlung. Es beginnt mit Zwischenrufen, die erst sachlich sind und später lauter und unsachlich werden. Dabei kommt es auch zu persönlichen Beleidigungen des Landrats. Ein angeblicher Glaubwürdigkeitsverlust des Landrats wird behauptet, da er schon im Kontext der Schulschließung nicht die Wahrheit gesagt hätte. Nach Aussage des Bürgermeisters wirkt der Landrat nach der Veranstaltung deutlich mitgenommen. Um die Situation etwas zu entschärfen, übernimmt ein Mitglied des Gemeinderats Patrick Brandt (parteilos, SPD-Liste) die Gesprächsleitung. Es gibt auf der Veranstaltung nur ein Mikrofon, das der Gemeinderat zwischen den Fragesteller/innen aus dem Publikum und dem Landrat hin und her trägt. Der Bürgermeister sieht sich zur Gesprächsleitung nicht in der Lage, da er
199
200
Charlotte Schönemann
selber keine aktuellen Informationen hat und erwartet die Gesprächsführung vom Landrat. Patrick Brandt hat sich auf die Veranstaltung vorbereitet und versucht Kompromissvorschläge einzubringen. Sein Vorschlag ist die Zahl der Geflüchteten auf 50 zu begrenzen, außerdem sollen nur Kriegsflüchtlinge und Familien untergebracht werden. Zu diesen Vorschlägen soll auch gleich eine Abstimmung durchgeführt werden, die der Bürgermeister aber abbricht, da sie an dieser Stelle unzulässig ist. Die Kompromissvorschläge finden ohnehin kaum Zustimmung im Publikum und können nicht dazu beitragen die Stimmung zu entspannen. Der Pfarrer Tobias Rösler nennt die Veranstaltung einen »Abend, wie er noch nie da war«. Die Stimmung beschreibt er in drei Grundhaltungen: 1. Wir werden, wenn es darauf ankommt, nicht gefragt, ihr macht doch eh was ihr wollt. 2. Wir haben ja nichts abzugeben, warum gibt es für nichts Geld und auf einmal gibt es für eine Unterkunft für Geflüchtete Geld. Es klemmt doch hinten und vorne und in Blankenberg wurde sogar die Schule geschlossen. Wir sind selber bedürftig, wir brauchen nicht noch jemanden, der auch noch bedürftig ist. 3. Wir sind dagegen, aber nicht rechts. Außerdem kommt es laut Tobias Rösler zu groben Urteilen gegenüber Fremden. Dabei sei die Grenze zwischen Angst und Vorurteil oft nicht leicht zu erkennen gewesen. Eine Ausnahme stellt, nach Aussage des Bürgermeisters, die Haltung einiger Jugendliche dar. Viele der Jugendlichen äußern sich positiv zu der Situation und sprechen sich für die Unterbringung von Geflüchteten aus. Das sei der überwiegende Teil der Jugendlichen gewesen, lediglich ein paar bereits »stadtbekannte Jugendliche« sind dagegen. Hier wird noch einmal deutlich, dass die Einwohner/innenversammlung von einer breiten Gruppe der Bevölkerung besucht wurde. Insgesamt hatten die Gesprächspartner/innen den Eindruck, dass sowohl junge wie alte Menschen gegen die Unterkunft sind, aber den Mut sich für die Notunterkunft auszusprechen hatten eher jüngere Menschen. Gravierend sprachlich ausfällig wurden eher männliche Personen.
F ast alle sind dagegen Der Bürgermeister versucht eine erste Analyse der Einwohner/innenversammlung und nach Gründen für das Verhalten der Bevölkerung. Seiner Meinung nach war es einfach der falsche Zeitpunkt für den Vorschlag: Die Schule wurde erst einen Monat früher gegen den Willen der Bevölkerung geschlossen. Tobi-
13. Blankenberg
as Rösler hingegen, ist sich nicht sicher, ob es nur der falsche Zeitpunkt war. Es ging unter anderem auch darum, dass das Schulgebäude mitten im Ort ist und die ganze weitere soziale Infrastruktur der Gemeinde um die Schule herum angesiedelt ist. Nach der Einwohner/innenversammlung trifft sich der Gemeinderat noch fünf bis sechs Mal, um über die Situation zu beraten. Die abschließende Entscheidung ist, eine Bürger/innenbefragung zur Notunterkunft durchzuführen. Im Vorfeld der Befragung gibt es noch eine Abstimmung zwischen dem Gemeinderat Patrick Brandt und dem Landrat Thomas Fügmann. Dabei wird vereinbart, dass unter anderem nur etwa 50-60 Menschen in das Schulgebäude einziehen sollen und nur befristet bis Ende April 2016, außerdem soll die zu der Schule gehörende Turnhalle weiterhin für die Vereine in Blankenberg nutzbar bzw. soll eine gemeinsame Nutzung möglich sein. Der Landrat kann hingegen nicht bestätigen das lediglich Familien und Kriegsflüchtlinge einziehen werden. Nach dieser Vereinbarung, gibt es eine weitere Informationsveranstaltung, auf der die neuen Bedingungen für eine Notunterkunft den Bürger/innen mitgeteilt werden. Zusätzlich wurde auch darauf hingewiesen, dass das Schulgebäude eine große finanzielle Belastung für die Gemeinde darstellt und es nicht einfach wird, eine neue Nutzung für das Gebäude zu finden. Bei der Informationsveranstaltung ist der Saal nur knapp voll und es sind etwa ein Drittel weniger Menschen da als bei der ersten Versammlung. Diesmal ist auch der Ablauf der Veranstaltung genau besprochen und festgelegt. Es sollen keine Fragen zugelassen, sondern nur kurz und knapp über die veränderte Situation berichtet werden. Die Stimmung auf der Informationsveranstaltung ist daraufhin anders als auf der ersten Versammlung. So gibt es keine Zwischenrufe oder Zwischenfragen. Zum Abschluss wird noch eine Stellungnahme des Gemeindekirchenrats verlesen, die die Einrichtung einer Notunterkunft befürwortet. Sie wird nicht diskutiert und war die einzige Stellungnahme von Institutionen, Vereinen oder Privatpersonen Die Zugeständnisse des Landrats sind nur mündlich besprochen worden und es gibt keine schriftliche Vereinbarung, trotzdem wird zwei Tage später eine Bürgerbefragung durchgeführt. Die Option Ja enthält dabei die mit dem Landrat besprochenen Bedingungen. Nein bedeutet eine völlige Ablehnung der Unterbringung von geflüchteten Menschen im Schulgebäude. Letztendlich stimmen 71 % der Bürger/innen gegen eine Einrichtung des Schulgebäudes als Notunterkunft und, neben einigen ungültigen Stimmen, der Rest dafür. Daneben gibt es einen schweigenden Anteil der nicht zur Abstimmung gegangen ist. Die Ergebnisse dieser Bürgerbefragung sind nicht rechtsbindend. Die im Anschluss stattfindende Gemeinderatssitzung zeigt ein ähnliches Abstimmungsergebnis: Bei acht Gemeinderäten und dem Bürgermeister stim-
201
202
Charlotte Schönemann
men sechs gegen die Notunterkunft, zwei dafür und es gibt eine Enthaltung. Auf Antrag des Bürgermeisters findet die Abstimmung anonym statt. Die Begründung ist, dass sonst einzelne Gemeinderatsmitglieder für die Notunterkunft verantwortlich gemacht werden könnten. Die Bevölkerungsbefragung wird durchgeführt, da einige Gemeinderäte ein Stimmungsbild der Einstellung in der Bevölkerung haben wollen. Der Bürgermeister beschreibt den Gemeinderat als ein konstruktives Gremium, in der die Parteizugehörigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Mit dem Ergebnis der Abstimmung im Gemeinderat ist die Einrichtung einer Notunterkunft in der ehemaligen Schule von Blankenberg abgelehnt. Auf diese Entscheidung gab es nur vereinzelte Reaktionen. Zwei Einzelpersonen geben bekannt, dass sie nun selbst eine geflüchtete Familie aufnehmen möchten. Eine Familie ist auch bereits eingezogen. Weitere Reaktionen auf die Ablehnung des Gemeinderates sind dem Bürgermeister nicht bekannt. Die OTZ soll von einem Bürger berichtet haben, der an die Gemeinderatsmitglieder rote Rosen verteilen wollte, als Zeichen ihrer Mitmenschlichkeit, diese dann aber aufgrund des Ergebnisses der Abstimmung wieder mit nach Hause nimmt. Was für den Ort nach der Ablehnung der Notunterkunft bleibt, ist ein leerstehendes, ungenutztes Gebäude in der Mitte des Ortes, für das ein neues Konzept gefunden werden muss. Erste Ideen hatten der Bürgermeister und der Präsident des Thüringer Landesverwaltungsamt Frank Roßner schon vor der Schulschließung besprochen. Im Gespräch ist dabei, schon vor den Plänen für die Notunterkunft, das Schulgebäude teilweise zu einer Unterkunft für geflüchtete Familien und zu einem Mehrgenerationenwohnhaus umzubauen. Auch mit der AWO und der Diakonie hat der Bürgermeister schon über mögliche Nutzungen gesprochen. Eventuell könnte auch eine Zusammenarbeit mit Studenten helfen, Ideen für das Objekt zu entwickeln. Der Bürgermeister glaubt, dass es für ein neues Konzept, das auch Geflüchtete integriert, in der Gemeinde eine Zustimmung geben würde. Ein konkretes Konzept gibt es aber zurzeit nicht. Der Bürgermeister resümiert: »Dieses Objekt, Flüchtlinge hin oder her, ist etwas das auf der Gemeinde Blankenberg jetzt ungeheuer lasten wird.«
13. Blankenberg
R assismus ? F alscher Z eitpunk t ? F alscher S tandort ? Wie konnte es in kurzer Zeit zu einer Welle der Empörung und Fremdenfeindlichkeit im Ort kommen? Insbesondere steht die Frage im Raum, warum die Menschen auf der Einwohner/innenversammlung das Bild prägen, das sie nichts abzugeben haben und selber arm sind. Der Ort ist schuldenfrei und es gibt kaum Arbeitslosigkeit. Der Pfarrer gibt zu bedenken, dass die Ablehnung vordergründig nichts mit dem Ort Blankenberg zu tun hat, sondern vor allem mit der persönlichen Einschätzung der Menschen: »Wie geht es mir persönlich? Wie geht es mir familiär?« Er sieht nicht unbedingt einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass man selbst wenig besitzt und einer Ablehnung von geflüchteten Menschen. Darüber hinaus macht Tobias Rösler deutlich, dass der Aspekt Schule auf vielen Ebenen eine Rolle spielt. Nicht nur die Schließung der Regelschule ist dabei ausschlaggebend, auch der Eindruck das z.B. am Gymnasium Lehrer/innen fehlen, weil es nicht genug Geld gibt. Dazu kommt das Arztpraxen schließen und kein neuer Arzt die Nachfolge antritt. Es geht nicht nur um die finanzielle Situation der einzelnen Familien, sondern um die Wahrnehmung, dass für die Daseinsvorsorge der Menschen in der Region nicht genug Geld da ist. Der Pfarrer merkt auch an, dass die Menschen, die der Unterbringung von Geflüchteten eine gewisse Offenheit entgegengebracht hatten, bei der Einwohner/innenversammlung relativ still geblieben sind. Sie haben erst hinterher im vertrauten Gespräch mit dem Pfarrer gesprochen. Das waren vor allem junge Menschen. So konnten die Gegner/innen der Notunterkunft die Versammlung von Anfang an für sich einnehmen. Im Laufe der Versammlung wurde es sehr schwierig für besonnene Stimmen zu Wort zu kommen, stellt Tobias Rösler fest. Die Stimmung zuvor war von Protesten und Aktionen der Elternsprecher/ innen und Elternbeiräte der Schule gekennzeichnet. Die Stimmung der ablehnenden Bürger/innen hat sich auch nicht erst mit der geplanten Notunterkunft in Blankenberg aufgeladen, sondern ist schon durch die Schließung der Polizeistation in Bad Lobenstein angespannt gewesen. Hier ist eine, zu großen Teilen leerstehende, Polizeistation geschlossen worden, um ebenfalls eine Unterkunft für Geflüchtete einzurichten. Der Bürgermeister ist sich sicher, dass die Situation sich ein oder zwei Jahre später anders dargestellt hätte. Während der Einwohner/innenversammlung gibt es sogar den Vorwurf an den Landrat, die Schule sei deshalb geschlossen worden, weil man in dem Gebäude Geflüchtete unterbringen wollte. Tobias Rösler hingegen ist sich nicht sicher, ob die Notunterkunft unter anderen Umständen eine Chance gehabt hätte. Seiner Meinung nach spielt neben dem Zeitpunkt, auch der Zeitdruck eine Rolle. Dieser war in der Situation 2015 aber kaum vermeidbar.
203
204
Charlotte Schönemann
Zu diesem Zeitpunkt ist aber nicht nur die politische Stimmung aufgeheizt, die Gesprächspartner/innen geben zu bedenken, dass zu der Zeit noch gar keine Geflüchteten in Blankenberg leben. So wissen die Menschen auch nicht, was auf sie zukommt. Die einzige Erfahrung mit Geflüchteten machte die Gemeinde vor einigen Jahren mit einer Unterkunft am Rand der Nachbargemeinde in einer alten Kaserne und einem späteren Heim für Spätaussiedler/ innen. Damals sind die Bedingungen anders, da die Kaserne lange leer stand, sich draußen vor der Stadt befindet und sogar eingezäunt ist. So spielt neben dem Zeitpunkt, nach Ansicht der Interviewpartner/innen, auch die Lage des Schulgebäudes direkt in der Stadtmitte, eine große Rolle, bei der Ablehnung der Notunterkunft. Der Besitzer des Minimarktes, der 100 Meter von dem ehemaligen Schulgebäude entfernt liegt, kündigte bereits an, sollte die Notunterkunft eingerichtet werden, würde er seinen Laden schließen. Auch der Stellvertreter des Bürgermeisters Berndt Witzel ist der Meinung, dass das Gebäude zwar gut geeignet für die Unterbringung von Menschen ist, aber da das Schulgebäude so zentral in dem kleinen Ort liegt, ist der Standort schwierig. Eigentlich ist die Unterbringung im Zentrum für die geflüchteten Menschen optimal. Dennoch wäre die Unterkunft in der Ortsmitte sehr präsent und es gibt dort das Haus der Vereine und damit Veranstaltungen, die eventuell negativ beeinflusst werden könnten. Vielleicht würden sich die Menschen in den Vereinen dann nicht mehr sicher fühlen. So steht im Ort schon die Frage im Raum, ob die Veranstaltungen dann nach außen gesichert werden müssten, z.B. bei der jährlichen Kirmes. Diese Äußerungen machen deutlich, was der eigentliche Kern der Ereignisse in Blankenberg ist: ein fest in der Bevölkerung und bei einigen Entscheidungsträger/innen verankerter Rassismus. Es stellt sich die Frage, ob die Notunterkunft wirklich nur zur falschen Zeit am falschen Ort geplant wurde, oder ob die ablehnende Haltung der Bevölkerung auch zwei Jahre später und ein paar hundert Meter weiter, die gleiche gewesen wäre. Neben diesem Rassismus, gibt es auch besonnene Äußerungen, die dialogfähig sind. Dazu gehört z.B. die Kritik an der Vorgeschichte der Schulschließung, die Forderung nach ärztlicher Versorgung der Geflüchteten und der Wunsch nach Sicherheit aller dann in Blankenberg lebenden Menschen. Die Ereignisse um die geplante Notunterkunft haben auch die persönliche Beziehung zwischen den Menschen verändert. So berichten der Pfarrer Tobias Rösler und Kirchengemeinderatsvorsitzende Monika Brehm, dass sie teilweise sehr überrascht von rassistischen Äußerungen sind, die von Menschen kommen, die sie anders eingeschätzt haben. Dazu berichtet Tobias Rösler von der Arbeit mit Kindern aus seiner Gemeinde. Schon vor der Planung für eine Notunterkunft, hört er dabei immer wieder fremdenfeindliche und rassistische Äußerungen und Vorurteile. Die Grundstimmung im Ort ist demnach schon vor den Ereignissen im September 2015 fremdenfeindlich. Monika Brehm
13. Blankenberg
sagt: »Oft werden Sachen gesagt, die kann man nicht so stehenlassen, aber man weiß selber nicht wie man dagegen argumentieren soll.« Dazu wird Tobias Rösler im Zusammenhang zu seiner offenen Einstellung zu Menschen aus anderen Ländern gesagt: »Gucken sie mal richtig hin, nicht mit dieser Bibelbrille.« Besonders betroffen war Tobias Rösler, als er im Weihnachtsgottesdienst berichtete, dass einen Tag zuvor in einer geflüchteten Familie, die inzwischen bei Privatleuten in Blankenberg leben, ein Kind geboren worden war. Er fragte die Gemeinde von etwa 250-300 Leuten nach gebrauchter Babyausstattung, die sie vielleicht noch zu Hause hätten. Auf diesen Aufruf gab es fast keine Resonanz. In der Nachbarstadt Hirschberg musste der Bürgermeister im Januar 2016 kurzfristig ein gemeinsames Willkommensfest absagen, weil es zu viel Unruhe in der Bevölkerung gab. Es stand der Vorwurf im Raum die Geflüchteten würden verwöhnt. Das Fest war mit Beiträgen von allen Beteiligten geplant gewesen. Die Kirchengemeinde in Blankenberg versucht der allgemeinen Fremdenfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen. So wurde kurz nach der ersten Einwohner/innenversammlung ein öffentlicher Gemeindeabend angesetzt der mit 40-50 Menschen auch recht gut besucht war. Es wurden verschiedene Meinungen vertreten und konstruktiv miteinander diskutiert. Auch ein Redakteur der OTZ war zu Gast, der Gerüchte die sich inzwischen gebildet hatten, aufklären konnte. Nachfolgend gab es noch einmal einen Gemeindeabend zum Thema Interkulturelle Woche, wo aber nur noch wenige Menschen kamen, weil das Thema nicht mehr so aktuell war. Im Moment findet einmal im Monat ein Friedensgebet statt. Heute steht fest, dass trotz der großen Zahl geflüchteter Menschen die nach Deutschland gekommen sind, den Winter über wahrscheinlich kein Bedarf an dem Schulgebäude in Blankenberg bestanden hätte.
205
206
Charlotte Schönemann
Die Stellungnahme des Kirchenrats 1. Flüchtlingshilfe und Asylschutz verstehen wir als Teil der Grundlagen unserer Gesellschaft. Flüchtlinge verdienen Schutz und Hilfe. 2. Die massenhafte Flucht von Menschen, die nicht neu ist, uns jetzt aber unmittelbar erreicht, ist eine große Herausforderung. Eine Katastrophe aber ist es nicht für uns, sondern für die Flüchtenden und ihre Herkunftsländer. 3. Jede und jeder von uns möchte als Einzelperson und Individuum erkannt werden. Niemand von uns möchte pauschal beurteilt oder gar verurteilt werden. Dies steht auch Flüchtenden zu. Wir sehen es als notwendig an, in der Masse der Flüchtlinge die einzelnen Menschen zu sehen. 4. Die Mehrheit der Flüchtenden sucht Schutz vor Gewalt, Bevormundung und Verdächtigung. Wir sollen ihnen dies gewähren. 5. Sorgen, auch Ängste gegenüber der für uns neuen Situation müssen ernst genommen werden. Wir fordern den Landkreis auf, die wichtigen Fragen zu Organisation und Sicherheit vor einer Belegung zu beantworten. Ängste entwickeln sich aber zu einem Problem, wenn sie selbst das werden, wovor sie warnen: unbeherrscht, aggressiv und unhinterfragt. Wir kritisieren Vorverurteilungen und die Verbreitung von Gerüchten als Tatsachen. 6. Wir stehen zur Glaubensfreiheit als einer Grundlage unserer Gesellschaft, gültig für Bürger wie für Gäste. Für unseren christlichen Glauben treten wir offen ein und erwarten die Achtung dieser Grundhaltung auch von Menschen, die zu uns kommen. 7. Wir teilen die Enttäuschung vieler in Ort und Region über die Schließung der Schule, halten aber eine Vermischung mit dem Flüchtlingsthema nicht für angemessen. 8. Wir unterstützen im Bedarfsfall die Nutzung des Schulgebäudes als Notunterkunft für Flüchtlinge.
14. Die ambivalente Nachbarschaft
Eine Telefonumfrage in Thüringen
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
In der bisherigen Argumentation unseres Projekts waren einige zentrale Annahmen entstanden. Dazu gehört unter anderem der Zweifel am gesellschaftlichen Wert der Nachbarschaft in der gelebten Wirklichkeit. Auch war die optimistische und vielerorts befolgte Kontakt-Hypothese bezweifelt worden, wonach durch den Kontakt mit den Flüchtlingen sich ein Abbau von Vorbehalten vollziehen würde. Dies war insbesondere wegen der erodierten Bedeutung von ›Nähe‹ oder ›Nachbarschaft‹ im Kontext von Thüringen angenommen worden, da dort historisch bedingt keine alltagssozialisatorische Begegnung mit dem ›Fremden‹ eingegangen wurde und somit die Norm der Ähnlichkeit und Gleichheit stärker verbreitet und gültig wurde als dies für westdeutsche Großstädte oder ostdeutsche Universitätsstädte gilt. Um die Richtigkeit dieser Annahmen zu überprüfen, wurde in der Zeit vom November 2016 bis Januar 2017 eine Telefon-Umfrage durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden.
D ie U mfr age Eine Befragung einer größeren Anzahl von Menschen außerhalb der städtischen Zentren in Thüringen ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Der Zugang über eine Befragung auf der Straße oder in einem ausgewählten Wohnbezirk würde die Intention der Umfrage, möglichst in weite Teile der Peripherie hineinzukommen, entgegenstehen. Die überdurchschnittlich geringe Einwohnerdichte des Freistaats würde eine Begrenzung auf einzelne Kleinstädte nahelegen. Nach längerer Überlegung wurde diese Option allerdings verworfen, da eine Begründung für die Auswahl einzelner Umfrage-Orte nicht erkennbar wurde. Als einziges Motiv war überlegt worden, ob die Nähe oder Distanz zu einem Flüchtlingsheim als Kriterium heranzuziehen wäre. Da Thüringen eine dezentrale Unterbringungspolitik verfolgt, konnte aber nicht
208
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
eindeutig festgestellt werden, wie die Distanzen eventuell zu bemessen wären. Damit wurde eine in-situ-Befragung im Grunde ausgeschlossen und die Befragung telefonisch durchgeführt. Es ergab sich dazu die große Gelegenheit, in allen Teilen Thüringens jenseits der Städte-Kette Menschen zu befragen. Die Nachteile einer Telefonumfrage haben sich allerdings auch in dieser Umfrage gezeigt. Dies hat in erster Linie mit der Zugänglichkeit zu den Telefonnummern zu tun. Auffindbar sind in den Telefonbüchern nur Festnetzanschlüsse. Laut telefonischer Auskunft von zwei Anbietern ist davon auszugehen, dass die Hälfte aller Telefonnutzer nicht mehr über das Festnetz zu erreichen ist. Dies dürfte insbesondere die jüngere Generation betreffen. Auch in unserer Umfrage ist deshalb die ältere Generation überrepräsentiert. Etwa die Hälfte der Befragten war über bzw. unter 60 Jahre alt. Von den 768 Befragten lebten die allermeisten allein oder zu zweit, während Familien unterrepräsentiert waren. Das demografische Profil der Befragung kann zwar im Vergleich zum Thüringer Durchschnitt als verzerrt gelten, dennoch ist auch eine gewisse Vorsicht in der Interpretation der Repräsentativität geboten. Es ist weitgehend bekannt, dass die peripheren Wohngebiete in Thüringen auch deutlich vom Durchschnitt im Bundesland abweichen, der durch die Jenaer, Weimarer und Erfurter Situation aufgeweicht wird. In diesem Sinne ist zu bedenken, dass die Abweichungen zwischen der Telefon-Umfrage und der lokalen Demografie höchstwahrscheinlich wesentlich geringer sind. Die Telefonumfrage wurde mit selbst generierten Telefonnummern nach dem Zufallsprinzip durchgeführt, wobei das Ziel verfolgt wurde, um die Befragung flächendeckend durchzuführen, was im Ergebnis auch gelungen ist. Erreicht wurden zu über 90 %, die in Thüringen oder Ostdeutschland aufgewachsen sind, womit die Perspektive auf die Sozialisationsbedingung des Nachbarschaftsverständnisses ermöglicht wird. Im sozioökonomischen Profil erreicht mit fast 60 % der Anteil der Arbeiter, Angestellten und Beamten ungefähr den Beschäftigungsgrad Thüringens. 38 % der Befragten beziehen eine Rente. Es sind damit unterdurchschnittlich wenige Studierende und Arbeitslose in der Befragung vertreten. Auch hier wiederum kann das spezifische Profil der Thüringer Peripherie als Erklärung dienen, wonach die Arbeitslosigkeit unterdurchschnittlich gering ist und Arbeitssuchende wegziehen. Wegzug dürfte auch den geringen Studierendenanteil erklären. Dem steht eine leichte Überrepräsentation von relativ gut ausgebildeten entgegen, die Abitur und einen Hochschulabschluss erreicht haben. Auch dies kann historisch über das vergleichsweise hohe Abschlussniveau im Ausbildungssystem der DDR begründet sein. Hinsichtlich der politischen Zugehörigkeit gaben fast die Hälfte (45,2 %) der Befragten an, dass sie sich keiner politischen Partei näherstehend fühlen. Lediglich 2,7 % gaben an, eine Nähe zur AfD zu empfinden. Angesichts der Wahlergebnisse der AfD zum Umfrage-Zeitraum erscheint diese geringe Angabe erklärungsbedürftig. Vermutet wird, dass sich unter denen, die
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
sich zu keiner Partei bekannt haben, diese durchaus zur AfD neigen, dies aber nicht im Rahmen der Umfrage sagen wollten. Obwohl 69,6 % der Befragten überwiegend mit der Demokratie in Deutschland zufrieden waren, hielten lediglich 37,6 % die politischen Parteien für kompetent in der Lösung wichtiger Sachfragen.
D ie gestellten F r agen Im Anschluss an die aufgeworfenen Fragen in diesem Projekt zum Nachbarschaftsleben im Allgemeinen und mit Bezug auf die Ablehnung von Flüchtlingsheimen im Besonderen, wurde der Fragebogen so entworfen, dass zu bestimmten Fragekomplexen einzelne präzisere Fragestellungen zugeordnet wurden. Von den insgesamt 40 Fragen bezogen sich sieben auf den Status des Befragten (Geschlecht, Alter, Geburtsort, politische Orientierung, Bildungsabschuss, beruflicher Status, Familienstand). Alle weiteren Fragen wurden nach dem Schulnotensystem skaliert. Obwohl in der Fachliteratur oftmals die 10er-Skala für Befragung empfohlen wird, die eine differenzierte Beurteilung durch den Befragten erlaubt, wurde davon abweichend die Notenskala (1-5, 6 = Antwort verweigert). Dies wurde so entschieden, weil aus der bisherigen Forschung ein hohes Behagen und eine weitverbreitete Unkenntnis mit Umfragen festgestellt wurden, sodass die Anwendung des Benotungssystems eine größere Akzeptanz der Befragung versprach. In der Tat war der Anteil der abgebrochenen Interviews sehr gering. Das größte Gewicht der Umfrage liegt auf den verschiedenen Aspekten des Nachbarschaftslebens, wobei nach der allgemeinen Wahrnehmung und Bedeutung von ›Nachbarschaft‹ und nach dem eigenem Verhalten als ›Nachbar‹ bzw. der Wahrnehmung gefragt wurden. In einem zweiten Fragenkomplex wurde, in wesentlich geringerem Umfang, nach Aspekten der sogenannten NIMBY-Erklärung, wonach die Ablehnung der Nachbarschaft als eine ›Nicht In Meiner Nachbarschaft‹-Politik verstanden werden muss, Fragen gestellt. Wie die Interviewer berichteten, war die Frage nach dem Flüchtlingsheim und der Moschee für einige wenige Befragte der Grund, eine Abneigung gegenüber der Umfrage zu äußern. Es wurden prinzipiell aber wenige negative, rassistische oder sonst wie beleidigende Äußerungen bei der Befragung berichtet, die jenseits des Interviews fielen, in dem aber durchaus einige rassistische Antworten gegeben wurden. Gefragt wurde schließlich nach realen Kontakten zu Ausländern. Außerdem wurden Aussagen getroffen, die die Toleranz gegenüber Personen mit anderem Aussehen, politischer Meinung und Religion einordnen. Abschließend wurde nach der politischen Orientierung und den Medien der Information gefragt.
209
210
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
D ie wichtige N achbarschaf t Die überwiegende Mehrheit der Befragten stimmt der Aussage zu, dass die Nachbarschaft sehr wichtig ist (69 %). Weitere 21,6 % stimmen dem »mehr oder weniger« zu. Nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen hält dementsprechend die Nachbarschaft für nicht wichtig. In gleicher Stärke wird diese Aussage auch für das Wohlbefinden in der eigenen Nachbarschaft gemacht. Mehr als 80 % der Befragten sind der Meinung, dass sie sich sehr oder mehr oder weniger in ihrer eigenen Nachbarschaft wohlfühlen. Auch mit Bezug auf die Sicherheit ergibt sich ein eindeutiges, positives Ergebnis. Nicht weniger als 91,4 % fühlen sich ganz oder meistens sicher. Wenn es allerdings zu einer allgemeinen Einschätzung der eigenen Nachbarschaft kommt, dann fällt das Ergebnis nüchterner aus: Wie beurteilen Sie Ihre Nachbarschaft? Häufigkeit Gültig
Prozent
Gültige Prozente
sehr gut
204
26,6
26,6
gut
369
48,0
48,1
befriedigend
139
18,1
18,1
ausreichend
33
4,3
4,3
mangelhaft
19
2,5
2,5
weiß nicht
2
,3
,3
Antwort verweigert gesamt
1
,1
,1
767
99,9
100,0
Zwar sind mehr als Dreiviertel der Meinung, dass sie in einer guten oder sehr guten Nachbarschaft leben, aber die Note »gut« überwiegt so sehr, dass doch in der Wahrnehmung zwischen einer idealen Nachbarschaft und der eigenen eine gewisse Differenz besteht. Diese scheint noch nicht ausschlaggebend zu sein, aber sie ergibt sich nicht über das Sicherheitsbedürfnis oder über das eigene Wohlergehen in der Nachbarschaft und wirft von daher weitergehende Fragen auf. Eventuell lässt sich vermuten, dass dies auch mit den konkreten Erfahrungen im Zusammenleben mit den Nachbarn zusammenhängt. Die Fragen nach den Kontakten mit den Nachbarn fallen mit demselben Schwerpunkt auf »gut« ähnlich aus:
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Wie beurteilen Sie Ihre Kontakte zu Ihren Nachbarn? Häufigkeit Prozent Gültig
Gesamt
Kumulierte Prozente
sehr gut
160
20,8
20,9
20,9
gut
388
50,5
50,7
71,5
befriedigend
147
19,1
19,2
90,7
ausreichend
36
4,7
4,7
95,4
mangelhaft
30
3,9
3,9
99,3
weiß nicht
4
,5
,5
99,9
Antwort verweigert
1
,1
,1
100,0
766
99,7
100,0
2
,3
768
100,0
gesamt Fehlend
Gültige Prozente
98
Die Befragten schätzen ihre Nachbarn so ein, dass man sich mehrheitlich auf sie verlassen kann. 30 % gehen davon aus, dass sie sich sehr gut auf deren Hilfe verlassen können und über 40 % würden die nachbarschaftliche Hilfe als »gut« bezeichnen. 43,1 % gaben an, dass sie sich nie über ihre Nachbarn ärgern. 31,3 % ärgern sich nur ein- bis zweimal im Jahr über sie. Weniger als 7 % scheinen sich einmal pro Woche oder gar häufiger über den Nachbarn zu ärgern. Die Kommunikation mit dem Nachbarn verläuft vermutlich vor allem über den zufälligen Kontakt auf der Straße ab. Das zumindest lässt sich aus den Antworten auf die Fragen nach der Häufigkeit von Besuchen von und von Gesprächen mit den Nachbarn schlussfolgern. So gaben 18,6 % an, nie, ein- bis zweimal im Jahr oder einmal im Monat mit ihren Nachbarn zu reden. Dem stehen Nachbarn (22 %) gegenüber, die täglich – also sehr eng – miteinander kommunizieren. Von der übergroßen Anzahl der Befragten wird angegeben, gelegentlich mit einander zu reden. Bei der Mehrheit (53 %) kommt es dabei nie oder maximal zweimal im Jahr zu Besuchen. Mindestens einmal oder häufiger besuchen sich weniger als 10 %. Sich also vor der Tür zu treffen und sich »draußen« zu begegnen, ist somit eher die Regel. Damit wird eindeutig die Bedeutung von öffentlichen Räumen unterstrichen, die eine solche Begegnung und Kommunikation zumindest möglich machen. Doch diese Kontakte reichen offensichtlich nicht aus, um starke Beziehungen entstehen zu lassen. Die Mehrheit der Befragten ist nicht der Meinung, dass sie ihre Nachbarn gut kennen. Lediglich jeder Zehnte bzw. jede Zehnte ist der Meinung, er oder sie kenne seine Nachbarn sehr gut. Insgesamt finden aber mehr als 80 % der be-
211
212
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
fragten Thüringer/innen, dass es mindestens befriedigend auf der Notenskala wäre. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Nachbarschaft als wichtige Referenz und als Wert als solcher von den Befragten eine sehr große Bedeutung hat. Dies übersetzt sich nicht in sogenannte »starke« Beziehungen, die auf enge und intensive Formen des alltäglichen Zusammenlebens ausgerichtet sind, sondern eher in das Bewusstsein, dass die Nachbarn verlässlich sind, wenn Hilfe benötigt wird, und dass man mit ihnen kommunizieren kann, wenn man sie trifft. Warum es nicht zu engeren Beziehungen kommt, kann viele Gründe haben, die durch weitere qualitative Studien eruiert werden müssten. Einen Hinweis könnten die Antworten auf zwei Fragen der Umfrage geben: Das eigene Zuhause ist das Wichtigste.
Gültig
Häufigkeit
Prozent
stimme voll und ganz zu
597
77,7
77,7
77,7
stimme eher zu
127
16,5
16,5
94,3
34
4,4
4,4
98,7
6
,8
,8
99,5 100,0
stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu weiß nicht gesamt
Gültige Prozente
4
,5
,5
768
100,0
100,0
Kumulierte Prozente
Mit ebenfalls überzeugender und noch größerer Zustimmung als zum Wert der Nachbarschaft haben sich die Befragten zur Bedeutung des eigenen Zuhauses geäußert. Welche konkrete Bedeutung die eigenen vier Wände für die Einzelnen haben, lässt sich aus der Frage noch nicht ableiten. Es sind mit Bezug auf die Wertschätzung der Nachbarschaft konkurrierende oder komplementäre Wertvorstellungen annehmbar. Demnach könnte die Nachbarschaft komplementär wertgeschätzt werden, weil sie den Rückzug in die eigene Lebenswelt ermöglicht und somit Kontakte und Beziehungen außerhalb des Heims kontrollierbar und überschaubar macht. Demnach wäre das Zuhause ein Ort für privilegierte Kontakte. Konkurrierend könnten aber auch Nachbarschaft und Zuhause als zwei mögliche Bühnen fungieren, die jeweils andere Aktivitäten ermöglichen und nicht unbedingt danach hierarchisiert sind, welche Kontakte mit den Räumen verbunden sind. In diesem Fall wären es gleichwertige Optionsräume, die ungeachtet des Beziehungsstatus der Kontakte andere Kommunikationen und Handlungen ermöglichen.
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Zuhause will ich vor allem Ruhe haben.
Gültig
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
stimme voll und ganz zu
442
57,6
57,6
57,6
stimme eher zu
212
27,6
27,6
85,3
stimme eher nicht zu
99
12,9
12,9
98,2
stimme überhaupt nicht zu
13
1,7
1,7
99,9
1
,1
,1
100,0
gesamt
767
99,9
100,0
System
1
,1
768
100,0
weiß nicht Fehlend
Gesamt
Für eine Lesart konkurrierender Optionsräume spricht die Auffassung, wie sie in dieser Frageauswertung zum Vorschein kommt, dass die beiden Räume Nachbarschaft und Zuhause als bipolare Aufteilung verstanden werden, wonach »Ruhe« an dem einem Ort und alles andere außerhalb der eigenen Wohnung angeordnet ist. Selbstverständlich bleibt an dieser Stelle unklar, was mit »Ruhe« konkret gemeint ist. Das Bedürfnis nach Ruhe bzw. Angst vor höherer Lautstärke spielte auch bei den Gründen gegen Flüchtlingsheim (5,5 %) und Moschee (10,1 %) eine Rolle. Die Befragten scheinen in jedem Fall ein Vorverständnis von »Ruhe« zu haben, die sie entsprechend auch räumlich zuordnen können. Ob damit eine Privilegierung von Zugang anzunehmen ist, kann nicht entschieden werden, ist aber anhand der geringen Besuchsfreudigkeit, wie oben dargestellt, als wahrscheinlich anzunehmen. Wenig annehmlich erscheint die Interpretation, dass sich mit der Betonung des eigenen Zuhauses eine Selbstgenügsamkeit und ein Sicheinigeln manifestieren, bei dem sozusagen Kontakte prinzipiell für unwichtig erachtet werden. Einer solchen Annahme widerspricht die Aussage von Dreiviertel der Befragten, dass sie Freunde für sehr wichtig halten. Mit der Kategorie »Freunde« wird allerdings eine Sozialbeziehung eingeführt, die sich von der Sozialfigur durch eine intensivere, privilegiertere Beziehung auszeichnet. Nachbarn und Freunde sind deshalb in der Wahrnehmung unterscheidbare Kategorien, wobei – wenn der Grad des täglichen Kommunizierens oder Besuchens als Maßstab gelten kann –, ein qualitativer Anspruch besteht, den der Nachbar nicht erfüllt. Die ›nur‹ gute Einschätzung der Nachbarschaft, die immerhin als helfend und verlässlich empfunden wird, mag diesen Unterschied erklären. Nachbarn sind gut,
213
214
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
Freunde und Bekannte sind besser. Trotz der deutlichen Dualisierung des Sozialraums bedeutet dies aber nicht, dass die Befragten nun einen häuslichen Lebensstil per se für wünschenswert halten. Immerhin die Hälfte der Umfrageteilnehmer/innen verbringt die zur Verfügung stehende Freizeit gerne außer Hauses. Damit ergibt sich ein komplexes und eher aktives Profil, wobei sich die Räume (außen/innen) eher an Aktivitäten zu koppeln scheinen, als dass sie von vornherein normativ aufgewertet sind. Das Zuhause hat einen höheren Stellenwert als das Zuhause-Bleiben, auch wenn die andere Hälfte der Befragte es dort schon am besten findet.
NIMBY ante portas Wie in Kapitel 4 dargelegt, kann aus der stadtsoziologischen Forschung vermutet werden, dass Menschen zwar nicht grundsätzlich nicht gegen Flüchtlinge sind, aber sie lieber nicht zu nahe bei sich haben wollen. Mit anderen Worten, Flüchtlinge ja, aber nicht hier. Die direkte Frage nach der möglichen Akzeptanz von klassischen NIMBY-Anliegen wie Müllverbrennungsanlagen wurde deshalb zum Vergleich mit der Frage nach einer Moschee und einem Flüchtlingsheim gestellt. Im Ergebnis zeigte sich, dass 83,7 % gegen eine Müllverbrennungsanlage sind (»voll und ganz«) – im Vergleich allerdings ›nur‹ 20,4 % gegen eine Flüchtlingsunterkunft. Moscheen liegen im Mittelfeld mit 46 %. Des Weiteren wurde angenommen, dass es bei der direkten Abfrage zu diesem sensiblen Thema eventuell Schwierigkeiten mit der Ehrlichkeit bei der Antwort geben könnte. Aus diesem Grund wurden weitergehende Annahmen aus der NIMBY-Forschung herangezogen, die sich vor allem auf den Aspekt der gewünschten sozialen Homogenität beziehen, die bei vielen NIMBY-Protesten sichtbar wurde. Die Ergebnisse der Fragen zum NIMBY-Erklärungsansatz verweisen zunächst auf ein Fehlen des NIMBY-Komplexes hin, jedoch zeigt eine weitere Diskussion der Antworten, dass sich durchaus eine gewisse, wenn auch nur indirekt abzuleitende Problematik andeutet.
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Wenn in meine Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim käme, wäre ich dagegen.
Gültig
stimme voll und ganz zu
stimme eher zu
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
157
20,4
20,4
20,4
85
11,1
11,1
31,5
stimme eher nicht zu
202
26,3
26,3
57,8
stimme überhaupt nicht zu
284
37,0
37,0
94,8
weiß nicht
27
3,5
3,5
98,3
Antwort verweigert
13
1,7
1,7
100,0
768
100,0
100,0
gesamt
Immerhin 30 % der Befragten wären gegen ein Flüchtlingsheim in der Nachbarschaft, wobei nur jeder Fünfte »voll und ganz« dagegen wäre. Je nach Interpretation kann man das als viel oder wenig beurteilen. Die Autor/innen sind der Meinung, dass hier eine relevante Größe aufgezeigt wird, die als Potenzial für Proteste und Unzufriedenheit wahrgenommen werden muss, dass jedoch die eindeutige Ablehnung der Aussage durch 37 % mindestens als gleichstark bewertet werden muss und eine ebenfalls relevante Gruppe zwar eher auch der NichtAnti-Flüchtlingsheim-Gruppe zugeschlagen werden muss (26,3 %), diese aber als verunsichert und deshalb ebenfalls signifikant angesehen werden sollte. Bei der offenen Frage nach den Gründen antworteten jeweils zwischen 5 % bis 15 %, dass sie Sicherheitsbedenken und Angst vor Kriminalität haben, und Bedenken wegen der kulturellen und religiösen Unterschiede oder schlechter Erfahrungen habe. Zudem werden »zu viele« Männer erwartet, was nicht in die Nachbarschaft passe und insgesamt wirkten die Flüchtlinge deplatziert am Land. Bei der Aufzählung der Ablehnungsgründe ist noch zu erwähnen, dass auch der Angst vor Protesten gegen das Flüchtlingsheim und eventuell der Gegen-Gegen-Proteste als Grund genannt wurde. Unter bestimmten, nicht näher ausgeführten Bedingungen, wurde aber auch bei dieser Frage geantwortet, dass man sich sehr wohl ein Flüchtlingsheim vorstellen kann. Die Antworten, die ich in dieser Kategorie aufgeführt hatte, waren häufig: »Kommt auf die Personen an, die kommen.«/»Kommt auf die Größe an.«/»Familien sind in Ordnung.« Damit ist insgesamt eine sehr heterogene Begründungslage zu konstatieren, bei der zwischen 15-20 % rassistische oder auf Vorurteile begründete Ablehnungen identifiziert werden konnten. Auch hierbei kann man wiederum eine je nach Standpunkt unterschiedliche Wertung vornehmen und von verhältnismäßig geringem Rassismus reden. Andererseits sind die als »Sorge« von uns neutral gewerteten Aussagen wie Angst vor Krimi-
215
216
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
nalität natürlich auf ein bestimmtes Bild von Flüchtlingen zurückzuführen, das zumindest als negativ stereotypisiert eingeordnet werden kann. Das Bild, welches dahinter zu stehen, scheint, ist vermutlich das vom männlichen, kriminellen Flüchtling auszugehen, der Kinder und Frauen belästigt etc. Können Sie sagen, warum Sie dagegen sind? (Flüchtlingsheim – zusammengefasste Antworten) Häufigkeit Gültig
Fehlend
Gesamt
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
unter bestimmten Bedingung OK (anhängig von Personen, Größe, Geschlecht) & gute Erfahrung
35
4,6
14,8
14,8
deplatziert am Land; gegen große Massenunterkunft; fordern bessere Bedingungen
19
2,5
8,1
22,9
Laustärke & Unruhe
13
1,7
5,5
28,4
zu viele (Männer), zu geballt, passt nicht in Nachbarschaft
36
4,7
15,3
43,6
(vermeintliche) kulturelle & religiöse Unterschiede
14
1,8
5,9
49,6
Sicherheitsbedenken; Angst vor Kriminalität; allgemeine Unsicherheit & Angst
30
3,9
12,7
62,3
Vorurteile; Rassismus; schlechte Erfahrungen
43
5,6
18,2
80,5
Sonstiges
46
6,0
19,5
100,0
100,0
gesamt
236
30,7
System
532
69,3
768
100,0
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Die Ablehnung eines Flüchtlingsheims kann im Gegensatz zur Haltung gegenüber einer Moschee in der eigenen Nachbarschaft als vielseitig interpretiert werden. Das betrifft die Absage an ein islamisches Gotteshaus nicht mehr. Hier sind die Meinungen sehr eindeutig. Die große Mehrheit lehnt eine Moschee in der Nachbarschaft ab (46 % »voll und ganz«, 15,4 % »eher ablehnend«). Können Sie sagen, warum Sie dagegen sind? (Moschee – zusammengefasste Antworten) Häufigkeit Gültig
Fehlend
Gesamt
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
Unter bestimmten Bedingungen einverstanden
12
1,6
3,0
3,0
keine Nachfrage/ kein Platz
11
1,4
2,8
5,8
Lärm/Ruf des Muezzins
40
5,2
10,1
15,8
Unpassend (»passt nicht hierher/passt nicht auf’s Land«)
64
8,3
16,1
31,9
kulturelle Argumente (»sollen sich anpassen/nicht unsere Kultur«)
50
6,5
12,6
44,5
religiöse Argumente & Islamophobie (»keine Kirchen in muslim. Ländern/D. ist christl./ Islam gehört nicht zu D.«)
110
14,3
27,6
72,1
Unsicherheit, Angst, Vorurteile & Rassismus
39
5,1
9,8
81,9
Sonstiges
72
9,4
18,1
100,0
gesamt
398
51,8
100,0
System
370
48,2
768
100,0
217
218
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
Die Kategorisierung der Ablehnungsgründe fiel in der Auswertung schwer. Der Übergang von religiösen Argumenten zu Islamophobie kann im Grunde kaum auseinandergehalten werden. Es gab Argumente, die keinen eigentlichen Bezug zum Islam haben, aber auffallender Weise wurde das Thema nicht mit dem IS-Terrorismus oder dem Frauenbild des Islam explizit in Bezug gesetzt. Es mag sein, dass sich dies hinter den pauschalen Ablehnungsgründen wie »passt nicht hierher« verbirgt. Die Ablehnung von Moscheen fußt bei ca. 200 Befragten auf eine Ablehnung des Islams insgesamt, dennoch scheint sich eine übergroße Mehrheit der Befragten eigentlich nicht an der Religion der Nachbarn zu stören: Die Religion meiner Nachbarn ist mir egal.
Gültig
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
591
77,0
77,1
77,1
stimme eher zu
97
12,6
12,6
89,7
stimme eher nicht zu
45
5,9
5,9
95,6
stimme überhaupt nicht zu
27
3,5
3,5
99,1
weiß nicht
5
,7
,7
99,7
Antwort verweigert
2
,3
,3
100,0
767
99,9
100,0
1
,1
768
100,0
stimme voll und ganz zu
gesamt Fehlend
gesamt
98
Die Akzeptanz von islamischen Nachbarn und die Ablehnung von Moscheen scheinen sich auf den ersten Blick zu widersprechen. Die Präsenz des Islam im öffentlichen Raum scheint die Ablehnung von Moscheen zu begründen. Damit würde die bereits verdeutlichte Zweiteilung des Raums weiter sichtbar zu werden. Demnach ist Religion eine rein private Angelegenheit, die außerhalb der Öffentlichkeit zu stehen hat. Auf diese Weise verbleibt die persönliche Kontrolle über den Übergang vom Nachbar zum potenziellen Bekannten und Freund aufrechterhalten. Der Nachbar darf anders sein, auch was seine Religion betrifft.
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Meine Nachbarn sollen mir ähnlich sein. Häufigkeit Gültig
stimme voll und ganz zu stimme eher zu
Kumulierte Prozente
6,8
6,8
68
8,9
8,9
15,6
271
35,3
35,3
51,0
stimme überhaupt nicht zu
360
46,9
46,9
97,9
12
1,6
1,6
99,5
4
,5
,5
100,0
767
99,9
100,0
1
,1
768
100,0
Antwort verweigert Gesamt
Gesamt
6,8
Gültige Prozente
stimme eher nicht zu
weiß nicht
Fehlend
52
Prozent
98
Die Norm der Lebensstil-Diversität kann damit zumindest in der Selbstdarstellung als angekommen gelten. Die Abweisung der Moschee, im Sinne des HierNicht-Hinpassen, spricht hingegen eine andere Sprache. Hier wird nach wie vor ein Homogenitätsprinzip formuliert, das eigentlich der Diversitätsnorm widerspricht, bzw. deren begrenzte Reichweite aufzeigt. Die Konfrontation mit diversen oder gar irritierenden anderen Lebensentwürfen ist nicht erwünscht. Interessanterweise wird die Herkunft der Nachbarn als ebenfalls überwiegend unwichtig empfunden wie die Religiosität, aber mehr als ein Drittel der Befragten findet die politische Orientierung nicht egal. Dies wiederum weist daraufhin, dass der Fokus auf die Frage nach der Akzeptanz von Flüchtlingen oder Muslimen in der Nachbarschaft eventuell weniger Relevanz hat als die Anwesenheit von politisch Andersdenkenden oder Radikalen. Wir interpretieren diesen Befund als einen Hinweis auf die mögliche Politisierung des Zusammenlebens in der Nachbarschaft, die eventuell auch auf die Frage nach der Diversitätstoleranz zurückverweist. Mit anderen Worten, es kann vermutet werden, dass sich NIMBY-Konflikte als Ausdruck bestehender politischer Differenzen an einem Thema wie den Flüchtlingsheimen und mehr noch dem Moscheebau festmachen können. Sie sind dementsprechend nur Vehikel für lokale politische Konflikte, die schon vorhanden sind. Das Potenzial für die Mobilisierung von NIMBY-Protesten macht sich auch am Beispiel der Müllverbrennungsanlagen deutlich:
219
220
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
Wenn in meiner Nachbarschaft eine Müllverbrennungsanlage gebaut würde, wäre ich dagegen.
Gültig
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
643
83,7
83,7
83,7
stimme eher zu
45
5,9
5,9
89,6
stimme eher nicht zu
31
4,0
4,0
93,6
stimme überhaupt nicht zu
22
2,9
2,9
96,5
weiß nicht
16
2,1
2,1
98,6 100,0
stimme voll und ganz zu
Antwort verweigert gesamt
11
1,4
1,4
768
100,0
100,0
Aus der Literatur über NIMBY-Proteste geht hervor, dass diese oft durch eine Art Hintergrundunzufriedenheit mit dem politischen System insgesamt motiviert sind. Auch dies geht aus der Umfrage deutlich hervor. Zwar ist nach wie vor eine deutliche Mehrheit mit der Demokratie in Deutschland sehr oder mehr oder weniger zufrieden, aber ein Unzufriedenheitspotenzial von fast 40 % kann als Nachweis für die allgemeine politische Voraussetzung für NIMBY-Proteste angesehen werden.
Mit der Demokratie in Deutschland kann man im Großen und Ganzen zufrieden sein.
Gültig
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
stimme voll und ganz zu
257
33,5
33,5
33,5
stimme eher zu
277
36,1
36,1
69,6
stimme eher nicht zu
154
20,1
20,1
89,7
stimme überhaupt nicht zu
59
7,7
7,7
97,4
weiß nicht
15
2,0
2,0
99,3 100,0
Antwort verweigert gesamt
5
,7
,7
767
99,9
100,0
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
Mit der Demokratie in Deutschland kann man im Großen und Ganzen zufrieden sein. Fehlend
System
Gesamt
1
,1
768
100,0
Noch mehr kann dies deshalb angenommen werden, weil andere Formen der Artikulation der politischen Unzufriedenheit, etwa durch die Wahl einer politischen Partei, die hierfür eine kompetente Lösung anbieten könnte, für eine knappe Mehrheit nicht gegeben zu sein scheint. Den Parteien – und das würde auch mit Bezug zu jedem NIMBY-Thema – wird in dieser Hinsicht wenig zugetraut: Die politischen Parteien sind in der Lösung wichtiger Sachfragen kompetent. Häufigkeit Gültig
Fehlend Gesamt
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
83
10,8
10,9
10,9
stimme eher zu
203
26,4
26,7
37,6
stimme eher nicht zu
283
36,8
37,2
74,8
stimme überhaupt nicht zu
106
13,8
13,9
88,7
weiß nicht
67
8,7
8,8
97,5
Antwort verweigert
19
2,5
2,5
100,0
gesamt
761
99,1
100,0
System
7
,9
768
100,0
stimme voll und ganz zu
F a zit : F lüchtlinge als N achbarn ? Die Bedeutung der Nachbarschaft, so wie sie sich hier aus den vorgelegten Umfrage-Ergebnissen ergibt, kann nur als ambivalent bezeichnet werden. Unter Nachbarschaft wird für die meisten Befragten kein Raum für soziale Integration verstanden, sondern eher ein Ort der schwachen Beziehungen, die ein Gefühl von Sicherheit und Hilfe vermitteln kann. Die Nachbarschaft ist ein
221
222
Frank Eckardt und Malena Rottwinkel
durch relativ geringe Kommunikation und Aktivität hergestellter Sozialraum, der aber eine hohe Wichtigkeit einnimmt, weil er intrinsisch mit der Vorstellung eines selbst-regierten und kontrollierten Komplementärraum verbunden ist, der auch eine Privilegierung der sozialen Beziehung (Freundschaft/Bekanntschaft) erlaubt. Eine Irritation dieser räumlich-gesellschaftlichen Ordnung ist nicht gewünscht, obwohl sich die Befragten durchaus viele Kontakte zu wünschen scheinen und hierbei zumindest dem eigenen Selbstbild nach weder nach Religion, Herkunft oder Hautfarbe (und zu einem geringeren Teil auch der politischen Haltung) achten. Dessen ungeachtet sind auch Vorstellungen vorhanden, die durch eine negative Erwartungshaltung, insbesondere gegenüber dem Islam, mit dieser Offenheit im Konflikt stehen. Die gefundenen Vorbehalte sind nicht das Ergebnis eigener Erfahrungen. Nach wie vor haben die meisten Menschen in den befragten Thüringer Kleinstädten keinen oder kaum persönlichen Kontakt mit Ausländern gehabt. Wie häufig haben Sie Kontakt zu Ausländern?
Gültig
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
Nie
166
21,6
21,7
21,7
Selten
208
27,1
27,2
48,9
ab und zu
140
18,2
18,3
67,2
50
6,5
6,5
73,7
100
13,0
13,1
86,8
95
12,4
12,4
99,2
4
,5
,5
99,7 100,0
mindestens einmal in der Woche mehrmals in der Woche täglich weiß nicht Antwort verweigert Fehlend
Gesamt
2
,3
,3
gesamt
765
99,6
100,0
System
3
,4
768
100,0
Es besteht zurecht die Erwartung, dass die Kontakt-Hypothese, wonach sich Vorurteile über Zeit durch persönliche Begegnungen unter günstigen Bedingungen abbauen lassen, durch diese Antworten weiter überprüfen lassen könnte. Hierbei wäre allerdings zu berücksichtigen, dass eine Integration auf dem Niveau von »Nachbarn« eine Sozialisation voraussetzt, die die Bedeutung der Kontakte mit den Nachbarn weder überfordert noch unterschätzt. Das
14. Die ambivalente Nachbarschaf t
bedeutet, dass die Umfrage verdeutlicht, dass Flüchtlinge als Nachbarn willkommen sind, insofern sie fähig sind, mit gleicher (niedriger) Erwartung an Kommunikation und Unterstützung auszukommen und dennoch Bereitschaft zu Hilfe und gegenseitiger Akzeptanz signalisieren. Zu den ›günstigen Bedingungen‹ der Kontakt-Hypothese, kann es aber nicht kommen, wenn eine Aufrechterhaltung der bestehenden politischen Differenzen vor Ort fortgesetzt wird. Die vagen und kaum artikulierten Vorbehalte gegen den Islam und Flüchtlinge können nicht in einer politisch kontroversen Situation aufgelöst werden, da sie potenziell als NIMBY-Thema instrumentalisiert werden könnten. Nach wie vor ist die vorgefundene Situation aber dadurch gekennzeichnet, dass die Kontakt-Hypothese mangels quantitativen und qualitativen Kontakten in der Realität nicht weiter überprüft werden kann.
223
Literatur
Alternative für Deutschland (o.J.) Bildungspolitik [Online]. Verfügbar unter http://afd-thl.de/unsere-politik/themen/bildungspolitik (Zugegriffen am 11.11.2016). Aktion – Grablicht (2015) Bundesweiter Bürgerprotest – Aktion Grablicht [Online]. Verfügbar unter https://www.facebook.com/aktion.grablicht/?fref=ts (Zugegriffen am 18.10.2016). Amtsblatt Stadt Jena (2000) Amtsblatt der Stadt Jena 25/2000, 11. Jg., S. 211. Verfügbar unter http://www.jena.de/fm/415/amt25_00.pdf (Zugegriffen am 03.05.2017). Antifaschistische Aktion Gotha & Association Progrès (2016) Das Eichsfeld und seine Nazis: Naziaufmärsche verhindern!: Das Eichsfeld und die NPD [Online]. Verfügbar unter http://youcangetit.blogsport.de/2016/03/24/daseichsfeld-und-seine-nazis (Zugriffen am 28.10.2016). Arthurson, K. (2013) Mixed tenure communities and the effects on neighbourhood reputation and stigma: Residents’ experiences from within. In: Cities, 35, S. 432-438. DOI: https://doi.org/10.1016/j.cities.2013.03.007 Asencio, E. K (2011) Does Incarceration Change the Criminal Identity? A Synthesis of Labeling and Identity Theory Perspectives on Identity Change. In: Sociological perspectives, 54/2, S. 163-183. DOI: https://doi.org/10.1525/ sop.2011.54.2.163 Aschoff, S. (2015) Niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung im Eichsfeld. In: Thüringer Allgemeine, 1. Oktober [Online]. Verfügbar unter http://eichsfeld.thueringer-allgemeine.de/web/eichsfeld/startseite/detail// specific/Niedrigste-Arbeitslosigkeit-seit-der-Wiedervereinigung-im-Eichs feld-1271583412 (Zugegriffen am 12.10.2016). Ashworth, G.J. (2011) Planning by Referendum: empowerment or anarchy in Groningen, the Netherlands. In: Local environment, 6/3, S. 367-372. DOI: https://doi.org/10.1080/13549830120073329 Associaton Progrès (2015) Association Progrès: Politische Gruppe aus dem Eichsfeld [Online]. Verfügbar unter https://associationprogres.wordpress. com/about (Zugegriffen am 20.10.2016).
226
Ungeliebte Nachbarn
Attia, I. (2013) Das Konzept der »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«. Einige kritische Anmerkungen. In: Soziologische Revue, 36/1, S. 3-9. DOI: https://doi.org/10.1524/srsr.2013.0002 Baberowski, J. (2015) Räume der Gewalt. Frankfurt: Fischer. Bachstein 2017: Frontex kritisiert private Flüchtlingsretter im Mittelmeer. Verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-im-mittelmeerfrontex-kritisiert-private-fluechtlingsretter-im-mittelmeer-1.3467875 (Zugegriffen am 03.05.2017). Backhaus, J. (2015a) Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik: »Heiligenstadt ist nicht Heidenau«. In: Thüringer Allgemeine, 28. August [Online]. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/ specific/Veranstaltung-zur-Fluechtlingspolitik-8222-Heiligenstadt-istnicht-Heidenau-1133460702 (Zugegriffen am 05.09.2016). Backhaus, J. (2015c) Heiligenstädter Förderzentrum wird noch nicht für Flüchtlinge benötigt. In: Thüringer Allgemeine, 4. September [Online]. Verfügbar unter http://eichsfeld.thueringer-allgemeine.de/web/eichsfeld/ startseite/detail/-/specific/Heiligenstaedter-Foerderzentrum-wird-nochnicht-fuer-Fluechtlinge-benoetigt-1614213147 (Zugegriffen am 01.10.2016). Backhaus, J. (2015b) Heiligenstadt: Protest gegen rechtspopulistische Lichter-Aktion. In: Thüringer Allgemeine, 17. November [Online]. Verfügbar unter http://eichsfeld.thueringer-allgemeine.de/web/eichsfeld/startseite/ detail/-/specific/Heiligenstadt-Protest-gegen-rechtspopulistische-LichterAktion-493686751 (Zugriffen am 22.09.2016). Bandemer, S. von (2001) Baustelle Sozialstaat – Umbauten und veränderte Grundrisse – Aktivierender Staat, New Governance und Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. In: Zeitschrift für Sozialreform, 47/6, S. 605-618. Bailey, N. (2010) Understanding Community Empowerment in Urban Regeneration and Planning in England: Putting Policy and Practice in Context. In: Planning practice and research, 25/3, S. 317-333. DOI: https://doi.org/10.108 0/02697459.2010.503425 Basisdemokratische Linke Göttingen (2014) Die neonazistische Szene in Südniedersachsen [Online]. Verfügbar unter https://www.inventati.org/blgoe/ index.php/antifa/47-die-neonazistische-szene-in-suedniedersachsen (Zugegriffen am 01.10.2016). Basisdemokratische Linke Göttingen (2016) Der Freundeskreis Thüringen/ Niedersachsen – Eine Bestandsaufnahme [Online]. Verfügbar unter https:// www.inventati.org/blgoe/images/document/2016_demontage_6_web.pdf (Zugegriffen am 30.11.2016). Beck, U. (2011) Was ist Globalisierung? Frankfurt : Suhrkamp. Béhar, L. und V. Simoulin (2014) Le NIMBY (Not in My Backyard) une dénonciation du localisme qui maintient l’illusion du local. In: Politiques et ma-
Literatur
nagement public, 31/2, S. 151-168. DOI: https://doi.org/10.3166/pmp.31.151167 Billig, M. und A. Churchman (2003) Building walls of brick and breaching walls of seperation. In: Environment & Behavior, 35, S. 227-249. DOI: https://doi.org/10.1177/0013916502250132 Blokland, T. und F. Noordhoff (2008) The weakness of weak ties: social capital to get ahead among the urban poor in Rotterdam and Amsterdam. In: T. Blokland und M. Savage (Hg.) Networked urbanism. Farnham: Ashgate, S. 105-125. Böhmer, A. und A. Blume (2016) Marginalisierte Sozialräume: alltägliche Lebensführung in einem stigmatischen Quartier. In: Neue Praxis, 46/2, S. 151-169. Bodorkós, B. (2009) Local communities empowered to plan? In: Action research, 7/3, S. 313-334. DOI: https://doi.org/10.1177/1476750309336720 Body-Gendrot, S. (2013) Urban violence in France and England: comparing Paris (2005) and London (2011). In: Policing & society, 23/1, S. 6-25. DOI: https://doi.org/10.1080/10439463.2012.727608 Bourdin, A.; F. Eckardt und A. Wood (2014) Die ortlose Stadt: über die Virtualisierung des Urbanen. Bielefeld: transcript. Bouzouina, L. (2014) Inégalités d’accessibilité à l’emploi en transport collectif urbain: deux décennies d’évolutions en banlieue lyonnaise. In: Revue d’économie régionale & urbaine, 1, S. 33-61. DOI: https://doi.org/10.3917/ reru.141.0033 Brakemeier, M. (2015) Messerschmidt will in den Adelebser Ortsrat. In: Göttinger Tageblatt, 2. Dezember [Online]. Verfügbar unter http://www.goettinger-tageblatt.de/Region/Adelebsen/Messerschmidt-will-in-den-AdelebserOrtsrat (Zugegriffen am 17.10.2016). Braun, Michael (2017) Das Sterben geht weiter. Verfügbar unter http://www. taz.de/!5371989 (Zugegriffen am 03.05.2017). Bude, H. (2014) Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition. Bunar, N. (2011a) Multicultural Urban Schools in Sweden and Their Communities: Social Predicaments, the Power of Stigma, and Relational Dilemmas. In: Urban education, 46/2, S. 141-165. DOI: https://doi. org/10.1177/0042085910377429 Bunar, N. (2011b) Urban Development, Governance and Education: The Implementation of an Area-based Development Initiative in Sweden. In: Urban studies, 48/13, S. 2849-2865. DOI: https://doi.org/10.1177/0042098010391302 Bundesamt für Migration und Geflüchtete (BAMF) (2017) Aktuelle Zahlen zu Asyl. Ausgabe März 2017. Bundesarbeitsagentur (2016) Verfügbar unter https://statistik.arbeitsagentur. de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Regionen/Politische-Gebietsstruk tur/Thueringen-Nav.html (Zugegriffen am 10.08.2017).
227
228
Ungeliebte Nachbarn
Burningham, K. (2000) Using the Language of NIMBY: a topic for research, not an activity for researchers. In: Local environment, 5/1, S. 55-68. DOI: https://doi.org/10.1080/135498300113264 Carpenter, J. und C. Horvath (Hg.) (2015) Regards croisés sur la banlieue. Bruxelles: PIE Lang. DOI: https://doi.org/10.3726/978-3-0352-6537-8 Ceccato, V. (Hg.) (2012) The urban fabric of crime and fear. Dordrecht: Springer. DOI: https://doi.org/10.1007/978-94-007-4210-9 Cowan, S. (2003) NIMBY syndrome and public consultation policy: the implications of a discourse analysis of local responses to the establishment of a community mental health facility. In: Health & social care in the community, 11/5, S. 379-386. DOI: https://doi.org/10.1046/j.1365-2524.2003.00439.x Crouch, C. (2015) Postdemokratie. Frankfurt: Suhrkamp. Curran, W. (2012) Just green enough: contesting environmental gentrification in Greenpoint, Brooklyn. In: Local environment, 17/9, S. 1027-1043. DOI: https://doi.org/10.1080/13549839.2012.729569 Daphi, P. (2016) Reaktionen auf Asylsuchende: Grenzen der Erklärungskraft von Wohlstand und Gruppengröße. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 29/2, S. 79-82. DOI: https://doi.org/10.1515/fjsb-2016-0210 Das Eichsfeld wehrt sich (2016) Profilseite: Das Eichsfeld wehrt sich – Asylflut stoppen [Online]. Verfügbar unter https://www.facebook.com/eichsfeld wehrtsich (Zugriffen am 05.09.2016). Dear, M. (1992) Understanding and Overcoming the NIMBY-Syndrome. In: Journal of the American Planning Association, 58, S. 288-300. DOI: https:// doi.org/10.1080/01944369208975808 Dear, M. und L. Takahashi (1997) The Changing Dynamics of Community Opposition to Human Service Facilities. In: Journal of the American Planning Association, 63, S. 79-94. DOI: https://doi.org/10.1080/01944369708975725 Debes, M. (2015) Indische Studenten wurden in Jena offenbar von Nazis verprügelt. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/ leben/blaulicht/detail/-/specific/Indische-Studenten-wurden-in-Jena-offenbar-von-Nazis-verpruegelt-1643866659. (Zugegriffen am 03.05.2017). Decker, O.; J. Kiess und E. Brähler (2016) Die enthemmte Mitte: autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland: die Leipziger »Mitte«-Studie 2016. Gießen: Psychosozial-Verlag. Dellenbaugh, M. (2014) Die Stigmatisierung Berlin-Marzahns: kulturelle Hegemonie des Westens im vereinten Deutschland. In: C. Gölz und A. Kliems (Hg.) Spielplätze der Verweigerung: Gegenkulturen im östlichen Europa nach 1956. Köln: Böhlau, S. 222-237. DOI: https://doi.org/10.7788/boeh lau.9783412216917.222 Devine-Wright, P. (2009) Rethinking NIMBYism: The Role of Place Attachment and Place Identity in Explaining Place-protective Action. In: Journal
Literatur
of Community and Applied Social Psychology, 19, S. 426-441. DOI: https:// doi.org/10.1002/casp.1004 Diekmann, F. (2017) Bildung, Werte, Frauenrechte – die Vermessung der Geflüchtete. Verfügbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fluechtlinge-befragung-zeigt-hunger-nach-bildung-und-demokratie-a-1121331. html (Zugegriffen am 03.05.2017). Döring, U. (2006) »National befreite Zonen«: zur Entstehung und Karriere eines Kampf begriffs. In: A. Klärner und M Kohlstruck (Hg.).Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg: Hamburger Ed., S. 177206. Dornhof, S. (2011) Regimes of visibility: representing violence against women in the French banlieue. In: Feminist review, 98/1, S. 110-128. DOI: https:// doi.org/10.1057/fr.2011.2 Downing, J. (2016) Fighting cultural marginalisation with symbolic power in a Parisian banlieue. In: The international journal of sociology and social policy, 36, 7/8, S. 516-530. DOI: https://doi.org/10.1108/IJSSP-06-2015-0064 Eckardt, F. (2006) Die Nachbarschaft als sozialpolitisches Maßnahmefeld – Ein europäischer Ansatz? In: Sozialer Fortschritt, 55/10, S. 249-254. Eckardt, F. (2012) Participation at any price? The Ambivalence of the Renaissance of Direct Democracy in German Municipalities. In: Social Space, 1/3, S. 51-72. Eckardt, F. (2015a) Die Werkstatt Sozialraumanalyse in Weimar. In: Soziale Passagen, 12/7(2), S. 363-367. DOI: https://doi.org/10.1007/s12592-015-0200-3 Eckardt, F. (2015b) Die Rückkehr der Fassaden. In: F. Eckardt, R.Seyfarth und F. Werner (Hg.) Leipzig: Die neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt. Münster: Unrast, S. 22-34. Eckardt, F. (2016a) Willkommenskulturen in Ostdeutschland: Flüchtlinge, Flüchtlingsbilder und Flüchtlingsgegner. In: INDES – Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 4, S. 127-134. Eckardt, F. (2016b) Willkommensstädte: Perspektiven für eine neue Stadtpolitik. In: Deutsche Akademie für Stadt- und Landesplanung (Hg.) Perspektiven. Berlin: DASL, S. 56-63. Eckardt, F., Steigemann, A. und F. Werner (2015) Willkommensstädte. Studienprojekt der Werkstatt Sozialraumanalyse. Abschlussbericht. Verfügbar unter http://www.uni-weimar.de/fileadmin/user/fak/architektur/profes suren_institute/Stadtforschung/Dokumente/Projekt_Willkommenssta__ dte_Abschlussbericht_27_7_2015.pdf. Eichsfelder Bündnis gegen Rechts/Initiative für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie (2015) Informationsblatt (Flyer). Elliott, P. und D. Wadley (2013) Residents Speak Out: Re-Appraising Home Ownership, Property Rights and Place Attachment in a Risk Society. In:
229
230
Ungeliebte Nachbarn
Housing, theory and society, 30/2, S. 131-155. DOI: https://doi.org/10.1080/1 4036096.2012.686452 Engelhardt, M. von (2010) Erving Goffman: Stigma: über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. In: B. Jörissen und J. Zirfas (Hg.) Schlüsselwerke der Identitätsforschung. – Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss., S. 123-140. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-92196-9_8 Farrington, D.P. und J. Murray (Hg.) (2014) Labeling theory: empirical tests. New Brunswick: Transaction-Publ. Fehlberg, T. (2013) (Re)Produktionen von rechtsextrem dominierten »Angsträumen«. In: E. Rothfuß und T. Dörfler (Hg.) Raumbezogene qualitative Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 103-122. DOI: https://doi. org/10.1007/978-3-531-93240-8_5 Flade, A. (2015) Die Stadt aus psychologischer Perspektive. In: Dies. (Hg.) Stadt und Gesellschaft im Fokus aktueller Stadtforschung. Wiesbaden: Springer, S. 211-258. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-07384-8_7 Fischel, W.A. (2001a) Why are there NIMBYs? In: Land economics, 77/1, S. 144152. DOI: https://doi.org/10.2307/3146986 Fischel, W.A. (2001b) The homevoter hypothesis: how home values influence local government taxation, school finance, and land-use policies. Cambridge: Harvard Univ. Press. Fischer, K. (2017) Die Ermittlungen zum Brandanschlag in Artern laufen. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/ detail/-/specific/Die-Ermittlungen-zum-Brandanschlag-in-Artern-laufen1200016677 (Zugegriffen am 03.05.2017). Flüchtlingsrat Thüringen (2015) Infoheft. Flucht und Asyl in Thüringen. Geflüchtete unterstützen. Diskriminierung entgegen treten. Forman, T.A. (2003) The social psychological costs of racial segmentation in the workplace: a study of African Americans’ well-being. In: Journal of Health and Social Behavior, 44/3, S. 332-352. DOI: https://doi.org/10.2307/1519783 Franzini, L.; M.O.B. Caughy, S.M. Nettles und P. O’Campo (2008) Perceptions of disorder: contributions of neighborhood characteristics to subjective perceptions of disorder. In: Journal of Environmental Psychology, 28, S. 83-93. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2007.08.003 Feuerriegel, J. (2014) ›Knappe Mehrheit für Rathaus-Umbau nach heftiger Debatte im Stadtrat‹, Thüringer Allgemeine, 11. Dezember [Online]. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/-/ specific/Knappe-Mehrheit-fuer-Rathaus-Umbau-nach-heftiger-Debatte-imStadtrat-1590100873 (Zugegriffen am 01.11. 2016). Feuerriegel, J. (2015) ›Flüchtlinge erhalten Unterkunft im Heiligenstädter Förderzentrum‹, Ostthüringer Zeitung, 13. August [Online]. Verfügbar unter http://www.otz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Fluechtlinge-erhalten-
Literatur
Unterkunft-im-Heiligenstaedter-Foerderzentrum-495599571 (Zugegriffen am 12.10.2016). Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen (2016a) Profilseite: Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen [Online]. Verfügbar unter https://www.face book.com/freundeskreistn (Zugegriffen am 28.11.2016). Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen (2016b) Leitgedanken: Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen [Online]. Verfügbar unter http://freundes kreis-tn.de (Zugegriffen am 28.11.2016). Gaber, S.L. (1996) From NIMBY to Fair Share: The Development of New York City’s Municipal Shelter Siting Policies, 1980-1990. In: Urban Geography, 17, S. 294-316. DOI: https://doi.org/10.2747/0272-3638.17.4.294 Galster, G.C. (2008) Quantifying the effect of neighbourhood on individuals: challenges, alternative approaches, and promising directions. In: Schmollers Jahrbuch. Berlin: Duncker & Humblot, 128/1, S. 7-48. DOI: https://doi. org/10.3790/schm.128.1.7 Garbin, D. (2012) Territorial Stigma and the Politics of Resistance in a Parisian Banlieue: La Courneuve and Beyond. In: Urban studies, 49/10, S. 20672084. DOI: https://doi.org/10.1177/0042098011422572 Garland, D. (2001) The culture of control: crime and social order in contemporary society. Oxford: Oxford Univ. Press. Gatzweiler, H.-P. (Hg.) (2012) Klein- und Mittelstädte in Deutschland: eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Corporation. Stuttgart: Steiner. Gavrel, F. (2015) Inadéquation des qualifications et fracture spatiale. In: Economie & prévision, 206/207, 1/2, S. 1-16. Geiges, L.; S. Marg und F. Walter (2015) Pegida: die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld: transcript. Generalbundesanwalt (2011) Pressemittteilung vom 29.11.2011: Weitere Festnahme im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Mitglieder und Unterstützer der terroristischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)«. Gerressen, S. (2016) Kabinett debattiert über Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. MDR AKTUELL. Verfügbar unter http://www.mdr.de/nachrichten/politik/ regional/wohnsitzauflage-thueringen-diskussion-100.html (Zugegriffen am 20.07.2017). Glaser, S. und T. Pfeiffer (Hg.) (2014) Erlebniswelt Rechtsextremismus. Schwalbach: Wochenschau Verlag. Gibson, T.A. (2005) NIMBY and the Civic Good. In: City & community, 4/4, S. 381-402. DOI: https://doi.org/10.1111/j.1540-6040.2005.00144.x Gobillon, L.; H. Selod and Y. Zenou (2007) The Mechanisms of Spatial Mismatch. In: Urban Studies, 44/12, S. 2401-2427. DOI: https://doi. org/10.1080/00420980701540937
231
232
Ungeliebte Nachbarn
Goffman, E. 1975) Stigma: Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten. Frankfurt: Suhrkamp. Golledge, R.G. und R.J. Stimson (1997) Spatial behavior: a geographic perspective. New York: Guilford. Goudaillier, J.-P. (2015) Culture »banlieues«, langue des »cités« et Internet. In: Hermès, 71, S. 208-213. Grau, A. und W. Heitmeyer (Hg.) (2013) Menschenfeindlichkeit in Städten und Gemeinden. Weinheim: Beltz Juventa. Greif, M. (2009) Neighborhood Attachment in the Multiethnic Metropolis. In: City & community, 8 (2009), 1, S. 27-46. DOI: https://doi.org/10.1111/j.15406040.2009.01268.x Greif, M. (2015) The intersection of homeownership, race and neighbourhood context: Implications for neighbourhood satisfaction. In: Urban studies, 52/1, S. 50-70. DOI: https://doi.org/10.1177/0042098014525243 Grumke, T. (2014) Rechtsextremismus in Deutschland. In: Stefan Glaser und T. Pfeiffer (Hg.) Erlebniswelt Rechtsextremismus. Schwalbach: Wochenschau Verlag, S. 23-43. Gruppe Architektur & Stadtplanung (2015) Integriertes Stadtentwicklungskonzept 2030, Leinefelder-Worbis [Online]. Verfügbar unter http://www. leinefelde-worbis.de/fileadmin/user_upload/bauamt/PDF/Konzepte/ ISEK_2015/01_Konzept__S. 1-64.pdf (Zugriffen am 12.10.2016). Guterman, S.S. (1969) In defense of Wirth’s »Urbanism as a way of life«. In: The American journal of sociology, 74/5, S. 492-499. DOI: https://doi. org/10.1086/224682 Halpern, D. (2005) Social Capital. Oxford: Polity Press. Hancock, L. (2001) Community, crime, and disorder: safety and regeneration in urban neighbourhoods. Basingstoke: Palgrave. DOI: https://doi. org/10.1057/9780230597457 Harcourt, B.E. (2001) Illusion of order: the false promise of broken windows policing. Cambridge: Harvard Univ. Press. Harper, T.L. und S.M. Stein (2006) Dialogical planning in a fragmented society: critically liberal, pragmatic, incremental. New Brunswick: Center For Urban Policy Research. Harsin, J. (2015) Cultural racist frames in TF1’s French Banlieue riots coverage. In: French politics, culture and society, 33/3, S. 47-52. DOI: https://doi. org/10.3167/fpcs.2015.330303 Hartmann, F. (2016) Profilseite: Frank Hartmann [Online]. Verfügbar https:// w w w.facebook.com/frank.hartmann.1 426?hc _ref=ARTudNg-aKtcy ICVHwvcSSFEyZfLCMUlmT6SZhACKlaZllaTcvBDFnscOwxpi4gU1mQ (Zugegriffen am 02.10.2016).
Literatur
233
Hastings, A. (2004) Stigma and social housing estates: Beyond pathological explanations. In: Journal of housing and the built environment, 19/3, S. 233254. DOI: https://doi.org/10.1007/s10901-004-0723-y Heidtmann, J. (2016) Bürgerwehren – die innere Unsicherheit. In: Süddeutsche.de, 23. Januar [Online]. Verfügbar unter http://www.sueddeutsche. de/politik/buergerwehren-in-deutschland-buergerwehren-die-innere-unsi cherheit-1.2830313 (Zugegriffen am 28.10.2016). Heim, T. (2016) Pegida als leerer Signifkant, Spiegel und Projektionsfläche – eine Einleitung. In: Ders. (Hg.) Pegida als Spiegel und Projektionsfläche: Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-31. Heitmeyer, W. (2002) Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die theoretische Konzeption und erste empirische Ergebnisse. In: Ders. (Hg.) Deutsche Zustände. Folge 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 15-34. Heitmeyer, W., S. Kock, J. Marth, U. Thöle, H. Thome, A. Schroth und D. van de Wetering (2011) Gewalt in öffentlichen Räumen. Zum Einfluss von Bevölkerungs- und Siedlungsstrukturen in städtischen Wohnquartieren. Wiesbaden: VS Verlag. Hemmelmann, P. und S. Wegner (2016) Flüchtlingsdebatte im Spiegel von Medien und Parteien: ein Überblick. In: Communicatio socialis, 49, 1, S. 21-38. DOI: https://doi.org/10.5771/0010-3497-2016-1-21 Henriot-Van Zanten, A. (2012) L’école de la périphérie: scolarité et ségrégation en banlieue. Paris: Presses Universitaires de France. Hess, S.; B. Kasparek, S. Kron, M. Rodatz, M. Schwertl und S. Sontowski (Hg.) (2016) Der lange Sommer der Migration: Grenzregime III. Berlin: Assoziation A. Hessische/Niedersächsische Allgemeine (2016) ›Rechter Freundeskreis heißt nun »Volksbewegung»›, Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 11. Mai [Online]. Verfügbar unter https://www.hna.de/lokales/goettingen/goettingen-ort28741/rechter-freundeskreis-heisst-nun-volksbewegung-8292967. html (Zugegriffen am 05.09.2016). Hobsbawn, E.J. (1959) Primitive Rebel: Studies in Archaic Forms of Social Movements. New York: Norton. Hünger, N. (2015) ›Kindergartenbeiträge in Heiligenstadt sollen 2016 erhöht werden‹, Thüringer Allgemeine, 29. Oktober [Online]. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/-/spe cific/Kindergartenbeitraege-in-Heiligenstadt-sollen-2016-erhoeht-werden-454258697 (Zugegriffen am 08.08.2016). Huschenbett, P. (2015) Onlinepetition: Landrat Dr. Werner Henning: Wir erbitten die Erhaltung des Förderzentrum Heiligenstadt in der Theodor Storm Straße [Online]. Verfügbar unter https://www.change.org/p/landrat-dr-
234
Ungeliebte Nachbarn
werner-henning-wir-erbitten-die-erhaltung-des-f %C3 %B6rderzentrumheiligenstadt-in-der-theodor-storm-strasse-5a9703e5-e478-4af6-a5d1-be51e661e6a5 (Zugegriffen am 12.09.2016). Hunold, C. und I.M. Young (1998) Justice, democracy, and hazardous siting. In: Political Studies, 46/1, S. 82-96.DOI: https://doi.org/10.1111/14679248.00131 Ihlanfeldt, K.R. (1998) The spatial mismatch hypothesis: a review of recent studies and their implications for welfare reform. In: Housing policy debate, 9/4, S. 849-892. DOI: https://doi.org/10.1080/10511482.1998.9521321 Jacobsen, L. (2017) Das Abschreckungsabkommen. Verfügbar unter http:// www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/fluechtlinge-eu-tuerkei-abkommeneuropa-griechenland-lesbos-angela-merkel. (Zugegriffen am 03.05.2017). Jarausch, K.H. (1998) Realer Sozialismus als Fürsorgediktatur. Zur begrifflichen Einordnung der DDR. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 20, S. 3346. Joosse, P. (2014) Becoming a God: Max Weber and the social construction of charisma. In: Journal of classical sociology, 14/3, S. 266-283. DOI: https:// doi.org/10.1177/1468795X14536652 Junge, M. (2012) Georg Simmel. In: F. Eckardt (Hg.) Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer, S. 83-93. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-53194112-7_4 Kain, J.F. (1992) The Spatial Mismatch Hypothesis: Three Decades Later. In: Housing Policy Debate, 3/2, S. 371-392. DOI: https://doi.org/10.1080/10511 482.1992.9521100 Kallis, A.A. (2006) Fascism, »charisma« and »charismatisation«: Weber’s model of »charismatic domination« and interwar European fascism. In: Totalitarian movements and political religions, 7, S. 25-43. DOI: https://doi. org/10.1080/14690760500503185 Karandinos, G.; L.K. Hart, F. Montero Castrillo und P.I. Bourgois (2014) The moral economy of violence in the US inner city. In: Current anthropology, 55/1, S. 1-22. DOI: https://doi.org/10.1086/674613 Karpf, E. (2013) Eine Stadt und ihre Einwanderer. 700 Jahre Migrationsgeschichte in Frankfurt a.M. Frankfurt: Campus. Kaschlik, A. (2012) Eigenständige kleinstädtische Entwicklungen? In: Engel, A.; Harteisen und A. Kaschlik (Hg.) Kleine Städte in peripheren Regionen: Prozesse, Teilhabe und Handlungsbefähigung, integriertes Stadtentwicklungsmanagement. Detmold: Rohn, S. 11-28. Kasparek, B. und M. Speer (2015) Of hope. Ungarn und der lange Sommer der Migration. Verfügbar unter bordermonitoring.eu (Zugegriffen am 03.05.2017). Kasperson, R.E.; D. Golding und S. Tuler (1992) Social distrust as a factor in siting hazardous facilities and communicating risks. In: Journal of Soci-
Literatur
al Issues, 48/4, S. 161-187. DOI: https://doi.org/10.1111/j.1540-4560.1992. tb01950.x Kearns, A.; O. Kearns und L. Lawson (2013) Notorious Places: Image, Reputation, Stigma. The Role of Newspapers in Area Reputations for Social Housing Estates. In: Housing studies, 28/4, S. 579-598. DOI: https://doi.org/10 .1080/02673037.2013.759546 Kelaher, M.; D.J. Warr, P. Feldman und T. Tacticos (2010) Living in ›Birdsville‹: Exploring the impact of neighbourhood stigma on health. In: Health & place, 16/2, S. 381-389. DOI: https://doi.org/10.1016/j.healthplace.2009.11.010 Keller, L. und D. Berger (2016) Pegida entdemokratisiert – zur Instrumentalisierung von Angst im öffentlichen Raum. Heim, T. (Hg.) Pegida als Spiegel und Projektionsfläche: Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Springer VS, S. 307-340. Kemper, A. (2016) »… die neurotische Phase überwinden, in der wir uns seit siebzig Jahren befinden«: zur Differenz von Konservativismus und Faschismus am Beispiel der »historischen Mission« Björn Höckes (AfD), Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen [Online]. Verfügbar unter https://th.rosalux. de/fileadmin/ls_thueringen/dokumente/publikationen/RLS-HeftMissionHoecke-Feb16.pdf (Zugriffen am 01.11.2016). Kemper, T.D. (1990) Social relations and emotions: a structural approach. In: T.D. Kemper (Hg.) Research agendas in the sociology of emotions, Albany: State Univ. of New York Press, S. 207-237. Kinadeter, H. (2016) Wie ist Boateng als Nachbar? Es gibt nur einen Kritikpunkt. Verfügbar unter https://www.tz.de/muenchen/region/gruenwal der-anwohner-boateng-beste-nachbar-6634016.html (Zugegriffen am 12.06.2017). King, K.E. (2015) Chicago residents’ perceptions of air quality: objective pollution, the built environment, and neighborhood stigma theory. In: Population and environment, 37/1, S. 1-21. DOI: https://doi.org/10.1007/s11111-0140228-x Klaus, F. (2014) »Hetze mit erschreckendem Erfolg« gegen Flüchtlinge im Eichsfeld. In: Thüringer Allgemeine, 10. November [Online]. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/spe cific/Hetze-mit-erschreckendem-Erfolg-gegen-Fluechtlinge-im-Eichsfeld2039884249 (Zugriffen am 05.10.2016). Klaus, F. (2015a) Vitalpark und Hotel schmälern Bilanz der Heiligenstädter Klinikgesellschaft. In: Thüringer Allgemeine, 15. Oktober [Online]. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/-/speci fic/Vitalpark-und-Hotel-schmaelern-Bilanz-der-Heiligenstaedter-Klinikge sellschaft-1089463284 (Zugriffen am 20.09.2016).
235
236
Ungeliebte Nachbarn
Klaus, F. (2015b) Flüchtlingszustrom im Eichsfeld hält an. In: Thüringer Allgemeine, 16. September [Online]. Verfügbar unter http://eichsfeld.thuerin ger-allgemeine.de/web/eichsfeld/startseite/detail/-/specific/Fluechtlings zustrom-im-Eichsfeld-haelt-an-2028961626 (Zugriffen am 06.09.2016). Klaus, F. (2015c) Flüchtlinge sollen guten Willen zeigen: Landrat droht mit Konsequenzen. In: Eichsfelder Allgemeine, vom 4. Dezember, S. 3. Kocyba, P. (2016) Wieso PEGIDA keine Bewegung harmloser, besorgter Bürger ist. In: K.-S. Rehberg, F. Kunz und T. Schlinzig (Hg.) PEGIDA: Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und »Wende«-Enttäuschung? Analysen im Überblick. Bielefeld: transcript, S. 147-162. DOI: https://doi. org/10.14361/9783839436585-011 Korpela, K.M.; M. Ylén, L. Tyrväinen und H. Silvennoinen (2009) Stability of self-reported favourite places and place attachment over a 10-month period. In: Journal of environmental psychology, 29/1, S. 95-100. DOI: https://doi. org/10.1016/j.jenvp.2008.05.008 Küpper, B. und K. Möller (2014) Rechtsextremismus und »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« In: S. Baer; K. Möller und P. Wiechmann (Hg.) Verantwortlich Handeln: Praxis der sozialen Arbeit mit rechtsextrem orientierten und gefährdeten Jugendlichen. Opladen: Budrich, S. 15-46. Kusow, A.M. (2004) Contesting Stigma: On Goffman’s Assumptions of Normative Order. In: Symbolic interaction, 27/2, S. 179-198. DOI: https://doi. org/10.1525/si.2004.27.2.179 Kyff häuser Nachrichten (2015) »Ausländerschwemme im Kyff häuserkreis?« Verfügbar unter http://www.kyff haeuser-nachrichten.de/news/news_lang. php?ArtNr=182718 (Zugegriffen am 10.08.2017). Lake, R.W. (1996) Volunteers, NIMBYs, and Environmental Justice: Dilemmas of Democratic Practice. In: Antipode, 28/2, S. 160-174. DOI: https://doi. org/10.1111/j.1467-8330.1996.tb00520.x Landesamt für Statistik Thüringen (2010) Verfügbar unter http://www.statis tik.thueringen.de/webshop/pdf/2010/01113_2010_01.pdf (Zugegriffen am 10.08.2017). Lopotsch, M. (2016) Profilseite: Martin Lopotsch [Online]. Verfügbar unter https:// www.facebook.com/lumpi.lopotsch?fref=ufi (Zugriffen am 02.10.2016). Linksfraktion Thüringen (2015) Verfügbar unter https://www.linksfraktion. de/themen/nachrichten/detail/humanitaere-f luechtlingspolitik-in-thue ringen (Zugegriffen am 10.08.2017). Lipp, W. (2010) Stigma und Charisma. Über soziales Grenzverhalten. Würzburg: Ergon. Malpass, P. (2005) Housing and the welfare state. Palgrave: MacMilan. Mbaye, J. (2009) A Hip Hop Space of Politics in France. In: F. Eckardt und L. Nyström (Hg.) City and Culture. Berlin: Wissenschaftsverlag, S. 395-416.
Literatur
McKnight, M.L.; S.R. Sanders, Scott R; B.G. Gibbs und R.B. Brown, (2016) Communities of Place? New Evidence for the Role of Distance and Population Size in Community Attachment. In: Rural sociology, S. 1-27. MDR (2017b) Thüringen führt Gesundheitskarte ab 1. Januar ein. Verfügbar unter http://www.mdr.de/thueringen/wahlen-politik/asyl-integration/fluechtlin ge-gesundheitskarte-thueringen-100.html (Zugegriffen am 03.05.2017). MDR.DE (2017a) Deutsche Bahn macht Geflüchtete fit für Ausbildung. Verfügbar unter http://www.mdr.de/thueringen/bahn-fluechtlinge-ausbildung-102.html (Zugegriffen am 03.05.2017). Meisner, M. (2016) ›Wie Neonazis gegen Flüchtlinge hetzen‹, Der Tagesspiegel, 1. Januar [Online]. Verfügbar unter http://www.tagesspiegel.de/poli tik/buergerwehren-in-ost-und-west-wie-neonazis-gegen-fluechtlinge-het zen/12778640.html (Zugriffen am 20.09.2016). Mitlin, D. und D. Satterthwaite (eds) (2004) Empowering Squatter Citizen: Local Government, Civil Society and Urban Poverty Reduction. London: Routledge. Moser, C.O.N. (2014) New frontiers in twenty-first century urban conflict and violence. In: Environment and urbanization, 26,2, S. 331-344. DOI: https:// doi.org/10.1177/0956247814546283 Moulaert, F. (2004) Urban renaissance: from physical beautification to social empowerment. In: City, 8/2, S. 229-234. DOI: https://doi.org/10.1080/ 1360481042000242175 Müller, A.-L. und W. Reichmann (2015) Architecture, materiality and society: connecting sociology of architecture with science and technology studies. Houndmills: Palgrave Macmillan. DOI: https://doi.org/10.10 57/9781137461131 Münch, S. (2013) Rahmenbedingungen von Zuwanderung und interkulturellem Zusammenleben in den ostdeutschen Bundesländern – eine Bestandsaufnahme. In: Raumforschung und Raumordnung, 71/3, S. 261-271. DOI: https://doi.org/10.1007/s13147-013-0215-1 Mut gegen rechte Gewalt (2017) Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle. Verfügbar unter https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle?field_bundesland_tid%5B%5D=11&field_art_tid%5B%5D=861&field_ a r t _ t id% 5B% 5D = 858 & f ie ld _ a r t _ t id% 5B% 5D = 8 6 0 & f ie ld _ a r t _ tid%5B%5D=859&field_art_tid%5B%5D=939&field_date_value%5Bvalue%5D%5Byear%5D=2016 (Zugegriffen am 20.07.2017). Nachtwey, O. (2016) Die Abstiegsgesellschaft. Über das Auf begehren in der regressiven Moderne. Frankfurt: Suhrkamp. Neues Deutschland/dpa (2016) Wegen rassistischer Stimmung: Theaterleute verlassen Gera. Vier Schauspieler und Sänger kündigen Vertrag wegen fremdenfeindlicher Ressentiments im Alltag. Verfügbar unter https://
237
238
Ungeliebte Nachbarn
www.neues-deutschland.de/artikel/1036744.wegen-rassistischer-stim mung-theaterleute-verlassen-gera.html (Zugegriffen am 04.01.2017). Norddeutscher Rundfunk (2016) Rechte Parolen – Eine Gefahr für die Demokratie [Online], Verfügbar unter http://www.ndr.de/nachrichten/nieder sachsen/braunschweig_harz_goettingen/Rechte-Parolen-Eine-Gefahr-fu er-die-Demokratie,mahnwache228.html (Zugriffen am 30.10.2016). NPD (2015a) Eilversammlung in Heilbad Heiligenstadt [Online]. Verfügbar unter http://npd-eichsfeld.de/wp/2015/08/28/eilversammlung-in-heilbadheiligenstadt (Zugriffen am 22.09.2016). NPD (2015b) Kundgebung in Heiligenstadt am 19.09.2015 – Nun ist Schluss!: Heiligenstadt wehrt sich! Asylflut stoppen! [Online]. Verfügbar unter http://npd-eichsfeld.de/wp/2015/09/09/kundgebung-in-heiligenstadt-am19-09-2015-nun-ist-schluss (Zugriffen am 22.09.2016). NPD Kyff häuser Kreis (2015) Pressemitteilung NPD Kreisverband Kyff häuserkreis 29.9.2015. Verfügbar unter http://www.npd-kyff haeuserkreis. de/?p=1558 (Zugegriffen am 10.08.2017). Öchsner, Thomas (2017a) Der große Job-Flop. Verfügbar unter http://www. sueddeutsche.de/wirtschaft/integration-ein-euro-job-flop-1.3469454. (Zugegriffen am 03.05.2017). Öchsner, Thomas (2017b) Abschiebung von Azubis empört Firmen. Verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fluechtlinge-in-ausbil dung-abschiebung-von-azubis-empoert-firmen-1.3478012 (Zugegriffen am 03.05.2017). Otte, G. und N. Baur (2008) Urbanism as a Way of Life? Räumliche Variationen der Lebensführung in Deutschland. In: Zeitschrift für Soziologie, 37/2, S. 93-116. DOI: https://doi.org/10.1515/zfsoz-2008-0201 Pätzelt, W.J. (2016) Neun unorthodoxe Thesen zu PEGIDA. In: K.-S. Rehberg, F. Kunz, T. Schlinzig (Hg.) PEGIDA: Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und »Wende«-Enttäuschung? Analysen im Überblick. Bielefeld: transcript, S. 69-82. DOI: https://doi.org/10.14361/9783839436585-005 Parker, K.F. (2008) Unequal crime decline: theorizing race, urban inequality, and criminal violence. New York: New York Univ. Press. Paul, M. (2013) Räume der Angst und Gewalt in der demokratischen Gesellschaft: zur praktischen und diskursiven Konstitution sogenannter »No-GoAreas«. Bochum: Bochumer Univ.-Verl. Pearsall, H. (2010) From brown to green? Assessing social vulnerability to environmental gentrification in New York City. In: Environment & planning, 28/5, S. 872-887. DOI: https://doi.org/10.1068/c08126 Petendra, B. (2005) Sozialräumliche Integration von Zuwanderern: best-practice-Projekte. Darmstadt: Schader-Stiftung.
Literatur
Piat, M. (2000) The NIMBY Phenomenon: Community Residents’ Concerns about Housing for Deinstitutionalized People. In: Health and Social Work, 25, S. 125-145. DOI: https://doi.org/10.1093/hsw/25.2.127 Platzdasch, Günter (2011) Wo alles begann. Bevor aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eine rechte Terrorzelle wurde, sind sie alle im selben Viertel aufgewachsen: Jena-Winzerla. Verfügbar unter http://www.faz.net/aktuell/ feuilleton/rechtsterrorismus-wo-alles-begann-11541285.html (Zugegriffen am 03.05.2017). Poniewaz, K.A. (2011) Ghettos of the Mind: Sport, Global Marginality and Social Imagination in Banlieue noire. In: Modern & contemporary France, 19/4, S. 399-416. DOI: https://doi.org/10.1080/09639489.2011.610100 Poore, A.C.; F. Gagne, K.M. Barlow, J.E. Lydon, D.M. Taylor und S.C. Wright (2002) Contact and the personal/group discrimination discrepancy in an Inuit community. In: Journal of Psychology, 136/4, S. 371-382. DOI: https:// doi.org/10.1080/00223980209604164 Quent, M. (2016) Bürgerwehren: Hilfssheriffs oder inszenierte Provokation [Online]. Verfügbar unter https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/ files/pdfs/buergerwehreninternet.pdf (Zugriffen am 13.11.2016). Quillian, L. und D. Pager (2001) Black neighbors, higher crime? The role of racial stereotypes in evaluations of neighborhood crime. In: American Journal of Sociology, 107/3, S. 717-767. DOI: https://doi.org/10.1086/338938 Reutlinger, C.; S. Stiehler und E. Lingg (Hg.) (2015) Soziale Nachbarschaften: Geschichte, Grundlagen, Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-19051-8 Rietzschel, A. (2015) ›Eine Bürgerwehr macht Angst‹, Süddeutsche Zeitung, 1. August [Online]. Verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/poli tik/thueringen-eine-buergerwehr-macht-angst-1.2590241 (Zugriffen am 07.09.2016). Rosga, A.J. (2010) Police marginality, racial logics and discrimination in the banlieues of France. In: Ethnic and racial studies, 33/4, S. 656-675. DOI: https://doi.org/10.1080/01419870903348646 Roux, G. (2016) Police et phénomènes identitaires dans les banlieues: entre ethnicité et territoire. In: Revue française de science politique, 5, S. 729750. DOI: https://doi.org/10.3917/rfsp.665.0729 Rüsch, N. (2013) Konzepte und Stand der Stigma-Forschung. In: Wulf Rössler; Wolfgang Kawohl (Hg.) Soziale Psychiatrie; Bd. 1: Grundlagen. Stuttgart: Kohlhammer, S. 233-245. Ryan, L. (2011) Migrants’ social networks and weak ties: accessing resources and constructing relationships post–migration. In: The sociological review, 59/4, S. 707-725. DOI: https://doi.org/10.1111/j.1467-954X.2011.02030.x
239
240
Ungeliebte Nachbarn
Sack, D. (2012) Urban Governance. In: F. Eckardt (Hg.) Handbuch Stadtsoziologie. Springer: Wiesbaden, S. 311-335. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3531-94112-7_15 Sakizlioglu, N.B. und J. Uitermark (2014) The symbolic politics of gentrification: the restructuring of stigmatized neighborhoods in Amsterdam and Istanbul. In: Environment & planning A, 46/6, S. 1369-1385. DOI: https:// doi.org/10.1068/a45638 Sampson, R.J. und S.W. Raudenbush (2004) Seeing disorder: Neighborhood stigma and the social construction of »Broken Windows«. In: Social Psychology Quartely, 67/4, S. 319-342. DOI: https://doi.org/10. 1 177/ 01 90 27250406700401 Sander, Lalon (2017) Scheindebatte um Abschiebung. Verfügbar unter http:// www.taz.de/!5391231 (Zugegriffen am 03.05.2017). Sanders, M. (2003) Community involvement in schools. In: Education and Urban Society, 35, S. 161-180. DOI: https://doi.org/10.1177/0013124502239390 Sandstrom, G.M. und E.W. Dunn (2014) Social Interactions and Well-Being: The Surprising Power of Weak Ties. In: Personality and social psychology bulletin, 40/7, S. 910-922. DOI: https://doi.org/10.1177/0146167214529799 Schneemann, R. (2016) Profilseite: Rene Schneemann [Online]. Verfügbar unter https://www.facebook.com/rene.schneemann.18 (Zugriffen am 06.10.2016). Schively, C. (2007) Understanding the NIMBY and LULU Phenomena: Reassessing Our Knowledge Base and Informing Future Research. In: Journal of planning literature, 21/3, 255-266. DOI: https://doi.org/10.117 7/088 5412206295845 Schönwälder, K., S. Petermann, J. Hüttermann, S. Vertovec, M. Hewstone, D. Stolle, K. Schmid und T. Schmitt (2016) Diversity and contact: immigration and social interaction in German cities. London: Palgrave Macmillan. DOI: https://doi.org/10.1057/978-1-137-58603-2 Schulze, C. und E. Weber (Hg.) (2011) Kämpfe um Raumhoheit: rechte Gewalt, »No Go Areas« und »National befreite Zonen«. Münster: Unrast. Schwarz, Hartmut (2017) »Bei meiner Rückkehr werde ich sofort verhaftet«. Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/de tail/-/specific/Bei-meiner-Rueckkehr-werde-ich-sofort-verhaftet-1793331076 (Zugegriffen am 03.05.2017). Seubert, S. (2002) Paradoxien des Charisma: Max Weber und die Politik des Vertrauens. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 12/3, S. 1123-1148. Sharkey, P. (2013) Stuck in place: urban neighborhoods and the end of progress toward racial equality. Chicago: Univ. of Chicago Press. DOI: https://doi. org/10.7208/chicago/9780226924267.001.0001 Steinhaus, M.; T. Heim und A. Weber (2007) »So geht sächsisch!« Pegida und die Paradoxien der sächsischen Demokratie. In: Heim, T. (Hg.) Pegida als
Literatur
Spiegel und Projektionsfläche: Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Springer VS, S. 143-196. Stolle, D.; S. Soroka und R. Johnston (2008) When Does Diversity Erode Trust? Neighborhood Diversity, Interpersonal Trust and the Mediating Effect of Social Interactions. In: Political studies, 56/1, S. 57-75. DOI: https://doi. org/10.1111/j.1467-9248.2007.00717.x Stürmer, S. (2008) Die Kontakthypothese. In: Lars-Eric Petersen; Bernd Six (Hg.) Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung: Theorien, Befunde und Interventionen. Weinheim, S. 283-291. Schalast, A./Seidel, M. (2016) Migration und berufliche Integration in Thüringen. IWT Institut der Wirtschaft Thüringen. Situation und Perspektiven von Geflüchteten. Verfügbar unter https://www.iw-thueringen.de/vwt/Res sources.nsf/res/574ABE0395BADBA5C125798F00276B29?openDocument (Zugegriffen am 08.01.2017). Stadt Gera (2016) Gera in Zahlen. Verfügbar unter https://www.gera.de/fm/193/ Gera%20in%20Zahlen%202016i.190545.pdf (Zugegriffen am 06.01.2017). Tabuchi, T.; H. Fukuhara und H. Iso (2012) Geographically-based discrimination is a social determinant of mental health in a deprived or stigmatized area in Japan: A cross-sectional study. In: Social science & medicine, 75/6, S. 1015-1021. DOI: https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2012.04.030 Tager, J. (2001) Boston Riots: Three Centuries of Social Violence. Boston: Northeastern University Press. Tchumkam, H. (2015) State power, stigmatization, and youth resistance culture in the French banlieues: uncanny citizenship. Lanham, Maryland: Lexington Books. Theodori, G.L. und A.E. Luloff (2000) Urbanization and Community Attachment in Rural Areas. In: Society & natural resources, 13/5, S. 399-420. DOI: https://doi.org/10.1080/089419200403839 ThINKA (2017) Ideenkonzept. Verfügbar unter http://www.inka-thueringen. de/wordpress/ideekonzept (Zugegriffen am 03.05.2017). Thomas, C.W. (2001) Habitat Conservation Planning: Certainly Empowered, Somewhat Deliberative, Questionably Democratic. In: Politics & society, 29/1, S. 105-130. DOI: https://doi.org/10.1177/0032329201029001005 Thompson, E.P. (1971) The Moral Economy of the English Crowd in the Eigtheenth Century. In: Past & Presence, 50, S. 76-136. DOI: https://doi. org/10.1093/past/50.1.76 Thüringer Allgemeine/dpa (2017) Thüringen will dauerhaft auf zwei Flüchtlingsunterkünfte setzen Verfügbar unter http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/-/specific/Thueringen-will-dauerhaftauf-zwei-Fluechtlingsunterkuenfte-setzen-1380753944 (Zugegriffen am 03.05.2017).
241
242
Ungeliebte Nachbarn
Thüringen Rechtsaußen (2016) Hintergrund: Verbindungen der AfD zur extremen Rechten in Thüringen – 13 Beispiele [Online]. Verfügbar unter https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2016/07/28/hintergrundverbindungen-der-afd-zur-extremen-rechten-in-thueringen-13-beispiele (Zugriffen am 05.10.2016). Thüringer Landesamt für Statistik (2014a) Gemeinde: Heilbad Heiligenstadt, Stadt: Bevölkerung am 9. Mai 2011 nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit (Ergebnisse des Zensus 2011) [Online]. Verfügbar unter http://www. tls.thueringen.de/datenbank/portrait.asp?auswahl=gem&nr=61045&von bis=&TabelleID=gs010110 (Zugriffen am 20.09.2016). Thüringer Landesamt für Statistik (2014b) Wahlen in Thüringen: Kreistagswahlen und Stadtratswahlen der kreisfreien Städte 2014 in Thüringen – endgültiges Ergebnis [Online]. Verfügbar unter http://www.wahlen.thue ringen.de/datenbank/wahl1/wahl.asp?wahlart=KW&wJahr=2014&zeigeE rg=SORTWK&auswertung=1&wknr=&gemnr=&terrKrs=&gemteil=000 &buchstabe=&Langname=&wahlvorschlag=&sort=&druck=&XLS=&anzahlH=-4&Nicht_existierende=&x_vollbildDatenteil=&optik=&aktual=&S howLand=&ShowWK=&ShowPart=&SortSpalte=17&Richtung=ab&SortVe rgleich=&SortSitze=&SortSitzeVgl=&SortStimmen=&schmaler=&WeitereParteien=x (Zugriffen am 28.09.2016). Thüringer Landesamt für Statistik (2015) Pressemitteilung 268/2015: 2014 lebten in Thüringen 54 Tausend ausländische Mitbürger, Thüringer Landesamt für Statistik [Online]. Verfügbar unter http://www.statistik.thuerin gen.de/presse/2015/pr_268_15.pdf (Zugriffen am 06.10.2016). Thüringer Landesamt für Statistik (2016) Gemeinde: Heilbad Heiligenstadt, Stadt: Bevölkerung am 30.06. nach Geschlecht [Online]. Verfügbar unter http://www.statistik.thueringen.de/datenbank/portrait.asp?Tabel leID= GG000201&auswahl=gem&nr=61045&Aevas2=Aevas2&tit2=&TIS=&SZDT= (Zugriffen am 15.11.2016). Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (2013) Räumliche Aspekte der Bevölkerungsentwicklung [Online]. Verfügbar unter http://www.tlug- jena.de/uw_raum/bev2010/index_w.html?inverz/611_inhalt.html (Zugriffen am 27.09.2016). Thüringer Landesamt für Statistik (2011) Gemeinde: Leinefelde-Worbis, Stadt: Bevölkerung am 9. Mai 2011 nach Migrationshintergrund und Geschlecht (Ergebnisse des Zensus 2011 für Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern) [Online]. Verfügbar unter http://www.tls.thueringen.de/datenbank/portrait. asp?auswahl=gem&nr=61115&vonbis=&TabelleID=gs020125 (Zugriffen am 05.09.2017). Thüringer Landesamt für Statistik (2016) Gemeinde: Leinefelde-Worbis, Stadt: Bevölkerung nach Geschlecht [Online]. Verfügbar unter http://www.sta
Literatur
tistik.thueringen.de/datenbank/portrait.asp?auswahl=gem&nr=61115&von bis=&TabelleID=gg000102 (Zugriffen am 05.09.2017). Thüringer Landesamt für Statistik (2016) Bevölkerung der Gemeinden. Verfügbar unter http://www.statistik.thueringen.de/datenbank]. Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (2016) Demografiebericht 2016. Teil 1 Bevölkerungsentwicklung des Freistaats Thüringen und seiner Regionen. Verfügbar unter http://www.thueringen.de/de/ publikationen/pic/pubdownload1697.pdf (Zugegriffen am 03.05.2017). Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales (2016) Antwort auf die Kleine Anfrage 929 des Abgeordneten Walk (CDU) »Bürgerbewegung Aktion Grablicht« in Thüringen [Online]. Verfügbar unter http://www.parldok. thueringen.de/ParlDok/dokument/58260/-b %C3 %BCrgerbewegung-aktion-grablicht-in-th %C3 %BCringen.pdf (Zugriffen am 01.10.2016). ThOnSA (2016) Thüringer Online-Sozialstrukturatlas. Bevölkerung. Verfügbar unter https://statistikportal.thueringen.de/thonsa/tbl_liste.php?auswahl=tbl&thema=1&auspid= (Zugegriffen am 06.01.2017). Thüringenrechtsaussen (2015) Bürgerinitiative »Wir lieben Gera« – Volksverhetzer, Brandstifter, Neonazi-Schläger – Übersicht über die verantwortlichen Personen. Verfügbar unter https://thueringenrechtsaussen.wordpress. com/2015/10/16/burgerinitiative-wir-fur-gera-volksverhetzer-brandstifterneonazi-schlager-ubersicht-uber-die-verantwortlichen-personen (Zugegriffen am 20.07.2017). Todorov, T. (2010) Die Angst vor den Barbaren. Kulturelle Vielfalt versus Kampf der Kulturen. Hamburg: Hamburger Edition. Tuan, Y.-F. (1975) Place: An experiential perspective. In: Geographical Review, 65, S. 151-165. DOI: https://doi.org/10.2307/213970 Turpin, B. (2012) Discours et sémiotisation de l’espace: les représentations de la banlieue et de sa jeunesse. Paris: L’Harmattan. Tyner, J.A. (2012) Space, Place, and Violence: Violence and the Embodied Geographies of Race, Sex, and Gender. London: Routledge. Uitermark, J. (2011) An actual existing just city? The fight for the right to the city in Amsterdam. In: N. Brenner, P. Marcuse und M. Mayer (Hg.) Cities for People, Not for Profit: Theory/Practice. Blackwell: Oxford, S. 197-214. Wacquant, L.J.D. (1993) Urban outcasts: stigma and division in the black American ghetto and the French urban periphery. In: International journal of urban and regional research, 17/3, S. 366-383. DOI: https://doi.org/ 10.1111/j.1468-2427.1993.tb00227.x Walsh, E.J., R. Warland und D. Clayton Smith (1997) Don’t burn it here: grassroots challenges to trash incinerators. University Park: Pennsylvania State University Press. Walter, M. (2015) Partizipation oder Dezision? zur Konkurrenz zweier Paradigmen des Politischen In: L. Gasteiger; M. Grimm und B. Um-
243
244
Ungeliebte Nachbarn
rath (Hg.). Theorie und Kritik: Dialoge zwischen differenten Denkstilen und Disziplinen. Bielefeld: transcript, S. 133-155. DOI: https://doi. org/10.14361/9783839429860-005 Weber, F. (2016) Emotion und Ordnung: sozial- und politiktheoretische Überlegungen im Anschluss an Max Weber. Baden-Baden: Nomos. DOI: https:// doi.org/10.5771/9783845268750 Weiland, S. und Hebel, C. (2015) ›Mutmaßlicher Kontakt zur NPD: AfD-Landeschef Höcke lehnt eidesstattliche Erklärung ab‹, Spiegel Online, 29. April [Online]. Verfügbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ afd-landeschef-hoecke-lehnt-erklaerung-zu-npd-ab-a-1031302.html (Zugriffen am 22.10.2016). Wells, K. (2011) The strength of weak ties: the social networks of young separated asylum seekers and refugees in London. In: Children’s geographies, 9/3, S. 319-330. DOI: https://doi.org/10.1080/14733285.2011.590710 Wenden, de C. und S. Body-Gendrot (2007) Sortir des banlieues: pour en finir avec la tyrannie des territoires. Paris: Éd. Autrement. Wikström, P.-O.H. (1991) Urban crime, criminals, and victims: the Swedish experience in an Anglo-American comparative perspective. New York: Springer. DOI: https://doi.org/10.1007/978-1-4613-9077-0 Wikipedia (2017a) Erfurt. Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Er furt. [03.05.2017]. Wikipedia (2017b) Jerusalem (Meiningen). Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Jerusalem_(Meiningen) (Zugegriffen am 03.05.2017). Windzio, M. und A. Zentarra (2014) Die kleine Welt der starken und schwachen Bindungen: der Beitrag der Sozialkapital- und Netzwerktheorie zur Integrationsforschung. In: E. Bicer; M. Windzio und M. Wingens (Hg.) Soziale Netzwerke, Sozialkapital und ethnische Grenzziehungen im Schulkontext. Wiesbaden: Springer, S. 49-73. DOI: https://doi.org/10.1007/9783-658-04342-1_3 Wolsink, M. (1994) Entanglement of Interests and Motives: Assumptions behind the NIMBY-theory on Facility Siting. In: Urban studies, 31/6, S. 851866. DOI: https://doi.org/10.1080/00420989420080711 Wolsink, M. (2009) The motives for accepting or rejecting waste infrastructure facilities. Shifting the focus from the planners’ perspective to fairness and community commitment. In: Journal of environmental planning and management, 52/2, S. 217-236. DOI: https://doi.org/10.1080/0964056080 2666552 Zeit Online (2014) ›Die kommunale Strategie der NPD – Störungsmelder‹, Zeit Online, 30. Juni [Online]. Verfügbar unter http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2014/06/30/die-kommunale-strategie-der-npd_16595 (Zugriffen am 17.10.2016).
Literatur
Zeit Online/dpa/rl (2017) Lehrer warnen vor »Ghettoisierung im Schulsystem«. Verfügbar unter http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2017-04/ integration-schulsystem-ghettoisierung-fluechtlinge-brennpunktschulen (Zugegriffen am 03.05.2017).
245
Autor/innen
Mahmoud Adam wurde in Damaskus, Syrien geboren und hat dort fünf Jahre Architektur studiert und zwei Jahre als Architekt gearbeitet. Seit März 2015 studiert er nun im Masterprogramm Media Architecture an der Bauhaus-Universität Weimar, wo er sich nun auch an Projekten in der Stadtsoziologie beteiligt. Frank Eckardt ist promovierter Politikwissenschaftler und seit 2009 Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung. Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Themen Migration, kulturelle Diversität und soziale Ungleichheiten in der Stadt. Neuste Publikation: »Schlüsselwerke der Stadtforschung«, Wiesbaden 2017. Jennifer Plaul studierte Internationale Beziehungen (B.A.) und Europäische Studien (M.A.) mit Schwerpunkt auf europäische Sozial- und Migrationspolitik. Sie war 2010-2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Stadtforschung der Bauhaus-Universität Weimar. Seit 2017 ist sie Referentin bei der Global Young Academy (Halle/Saale). Malena Rottwinkel studierte European Studies an der Maastricht University und Politikwissenschaft und internationale Beziehungen an der Boğaziçi University. Anschließend legte sie im Rahmen des internationalen Masterprogrammes Sustainable Development an der Universität Leipzig, Karl-Franzens-Universität Graz und an der Stellenbosch University ihren Studienfokus auf kritische Geografie, Stadtforschung und nachhaltige Entwicklung. Neben ihrem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) und schrieb ihre Masterarbeit über die Raumwahrnehmung von Geflüchteten in Leipzig. Seit Mai 2017 ist Malena Rottwinkel als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar für die Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung tätig. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in der Kultur- und Stadtteilarbeit im Leipziger Osten.
248
Ungeliebte Nachbarn
Charlotte Schönemann ist Masterstudentin der Urbanistik an der BauhausUniversität Weimar. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Regionalentwicklung und Willkommenskultur im ländlichen Raum. Anna Steigemann ist promovierte Sozialwissenschaftlerin und arbeitet als Senior Researcher am Fachgebiet für Internationale Stadtforschung und Design der TU Berlin. Sie studierte Sozialwissenschaften, Geografie, Gender Studies und Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Graduate Center der CUNY und arbeitete anschließend seit 2009 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der interdisziplinären Stadtforschung an HU und TU Berlin, CUNY und der Bauhaus-Universität Weimar. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Migrations- und (kritischer) Stadforschung. Franziska Werner M.A. ist Stadtsoziologin und Kulturwissenschaftlerin. Nach dem Studium an den Universitäten Leipzig und Salamanca (Spanien), arbeitet sie seit 2013 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung der Bauhaus-Universität Weimar. Ihre Forschungsinteressen sind Flucht- und Migrationsforschung, qualitative Sozialforschung sowie kritische Stadtforschung. In ihrem Promotionsvorhaben befasst sie sich mit dem Themenfeldern Öffentlicher Raum und Fluchtmigration. Mario Wolf studiert im Master der Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar, wobei sein Forschungsinteresse auf den Schnittstellen städtebaulicher Dynamiken und stadtsoziologischer Fragestellungen liegt. Neben regionalen Determinanten der räumlichen Planung konzentriert er sich verstärkt auf Entwicklungsstrategien urbaner Räume in ostafrikanischen Staaten. Als Mitarbeiter der Professur Siedlungswasserwirtschaft ist er darüber hinaus an der Erforschung und Umsetzung neuartiger Systeme der Abwasserentsorgung beteiligt.
Soziologie Heidrun Friese
Flüchtlinge: Opfer – Bedrohung – Helden Zur politischen Imagination des Fremden August 2017, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3263-7 E-Book PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3263-1 EPUB: 12,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3263-7
Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)
Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5
Carlo Bordoni
Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Sybille Bauriedl (Hg.)
Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9
Silke van Dyk
Soziologie des Alters 2015, 192 S., kart. 13,99 € (DE), 978-3-8376-1632-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1632-7
Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics November 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de