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German Pages [273] Year 2019
Jost Hermand
UNBEWÄLTIGTE VERGANGENHEIT Auswirkungen des Kalten Kriegs auf die Literatur der frühen Bundesrepublik
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR | 2019
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51465-5
Inhalt Vorwort. Zur kulturpolitischen Situation in den drei westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman. Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947 und seiner Wirkung auf den in die USA übergesiedelten Thomas Mann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Erwünschte und Unerwünschte. Über die Schwierigkeiten bei der Rückeingliederung deutscher Exilautoren und -autorinnen nach 1945 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 »Die große Kontroverse«. Der Exilant Thomas Mann und die sich als die »besseren Deutschen« aufspielenden Vertreter der Inneren Emigration . . . . . . . . 91 Der unerschütterliche Preuße. Autobiographische Rechtfertigungsstrategien in Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 »Was aber bleibet, ist allein das Ich !«. Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere. Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Inhalt
An der Ostfront der »Freien Welt«. Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Ohne die geringsten Schuldgefühle. Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958) . . . . . . . 197 Das Unpositive der kleinen Leute. Zum angeblich skandalösen »Animalismus« in dem Roman Die Blechtrommel (1959) von Günter Grass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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Vorwort. Zur kulturpolitischen Situation in den drei westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik I Sowohl auf politischer als auch auf kultureller Ebene sahen sich die vier Besatzungsmächte nach dem Zusammenbruch des Naziregimes am 8. Mai 1945 vor zwei Aufgaben gestellt : 1. die Liquidierung der bis dahin bestehenden nazifaschistischen Organisationen sowie 2. den Neuaufbau eines nichtrassistischen, friedliebenden Kulturlebens, in dem ein zutiefst »humanistischer« Geist herrschen sollte. In ihrem Willen, einen Rückfall Deutschlands in den Nazifaschismus ein für alle Mal unmöglich zu machen, waren sich die Siegermächte auf diesen zwei Gebieten anfangs durchaus einig. Was politisch und kulturell an das Dritte Reich erinnerte, hatte zu verschwinden oder sich einem drakonischen Entnazifizierungsprozess zu unterwerfen. Nicht nur alle höheren Parteimitglieder, sondern auch alle ehedem Verantwortlichen in Rundfunk, Presse, Verlagswesen, Theater, Film, bildender Kunst und Musik wurden darum einer genauen Prüfung unterzogen und notfalls aus ihren Ämtern entfernt.1 Auch sämtliche Bücher, Filme, Theaterstücke, Gemälde, Skulpturen und Kompositionen, welche Chauvinismus, Aggression und arische Rassenreinheit propagiert hatten, mussten aus öffentlichen Bibliotheken, Buchläden, Verlagssortimenten, Museen, Archiven und Verleihagenturen »ausgesäubert« werden.2 Als jedoch die vier Besatzungsmächte zum Aufbau einer andersgearteten Kultur übergingen und dabei höchst verschiedene Vorstellungen entwickelten, ergaben sich erste Schwierigkeiten. Aber da bis 1946/47 – also vor Beginn des Kalten Kriegs zwischen den USA und der UdSSR – im Gefolge des Potsdamer Abkommens vom Herbst 1945 zwischen den Regierungen der ehemaligen Kriegsallianz noch eine relative Übereinstimmung herrschte, wirkten sich diese Differenzen anfänglich noch nicht so gravierend aus wie 7
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in der Folgezeit. Kulturpolitisch am aktivsten traten in den ersten Jahren die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion auf, während sich die Engländer und Franzosen eher zurückhielten, ja, im Zuge der späteren Vereinigung der westlichen Besatzungszonen zur sogenannten Trizone die Führungsrolle auf diesem Gebiet zusehends den US-Behörden überließen. Dafür spricht, dass die USA bereits im Januar 1947 27 Amerika-Häuser und 136 Reading Rooms unterhielten, in denen sie die postfaschistische deutsche Kulturelite – neben Werken der internationalen »Moderne« in Literatur und Musik – vor allem mit den Kulturprodukten ihres eigenen Landes vertraut zu machen suchten.3 Doch nach einer kurzen Phase der Ausschaltung der nazifaschistischen Kulturträger sowie der Propagierung der amerikanischen, sowjetischen, britischen und französischen Kultur sahen sich die Alliierten zwangsläufig vor die Notwendigkeit gestellt, auch die Deutschen wieder in den neu aufzubauenden Kultur- und Medienbetrieb einzubeziehen und sie sogar – nach einer Phase der Democratic Re-education – wieder mit verantwortlichen Positionen zu betrauen. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Rundfunk, dessen Sendeanstalten den Krieg weitgehend unbeschädigt überstanden hatten und sich deshalb auf breitester Ebene als die wirkungsvollsten Organe einer politischen und kulturellen Meinungsbeeinflussung einsetzen ließen. Neben die Sender der vier Besatzungsmächte traten demzufolge auch einige von den Alliierten zu Anfang streng überwachte deutsche Sendeanstalten, deren Leitung politisch unbelasteten Deutschen überlassen wurde. Der gleiche Prozess spielte sich im Bereich des Zeitungswesens ab. Nachdem alle Zeitungsverleger des Dritten Reichs, die sogenannten Altverleger, mit einem Schlag ausgeschaltet waren, erlaubten die Alliierten auch deutschen Publi zisten, neue Zeitungen zu gründen, deren Herausgeber anfangs zumeist aus den Reihen jener Sozialdemokraten, Kommunisten, Linkskatholiken oder Vertreter der Bekennenden Kirche stammten, die sich im Widerstand gegen die Nazifaschisten ausgezeichnet hatten.4 Dieselben einschneidenden Wirkungen hatten im gleichen Zeitraum die Verordnungen der Alliierten im Bereich des Verlagswesens. Unmittelbar nach dem Krieg wurde die Herstellung von Büchern erst einmal stark gedrosselt. 8
Zur kulturpolitischen Situation in Westdeutschland nach 1945
Abb. 1 Käthe Kollwitz : Die Klage (1938–1940). In memoriam Ernst Barlach
Während die deutsche Buchproduktion 1932 an der Spitze aller Länder der Welt gelegen hatte, ging sie in den Jahren zwischen 1945 und 1947 auf ungefähr ein Zehntel ihres damaligen Umfangs zurück. Da die Papierzuteilung den Alliierten unterstellt war, erhielten in diesem Zeitraum vor allem jene Verleger Papier, die eine mit der jeweiligen Besatzungspolitik konform gehende Literatur herausbrachten. So bestand etwa in der US-Zone in der 9
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unmittelbaren Nachkriegszeit 23 Prozent der gesamten Buchproduktion aus Übersetzungen aus dem Amerikanischen. Im Bereich des deutschen Schrifttums lag in diesen Jahren in der gleichen Zone der Hauptnachdruck auf der kulturellen, religiösen und moralischen Umerziehung. Auch auf dem Gebiet des Theaters dominierten hier zu Anfang – neben vielgespielten US-Stücken – innerhalb der deutschen Dramatik vor allem Werke, bei denen das Metaphysische, Erbauliche, Sittliche im Vordergrund stand, während eindeutig negativistische oder nihilistische Stücke von den amerikanischen Besatzungsbehörden ebenso ungern gesehen wurden wie alle Dramen, die sich wegen ihrer sich gegen die Obrigkeit auflehnenden Tendenzen als besatzungsfeindlich verstehen ließen, darunter selbst sogenannte klassische Stücke wie Schillers Don Carlos oder Goethes Egmont.5 So viel erst einmal – höchst skizzenhaft – zur offiziellen Kulturpolitik der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsmächte in den Jahren 1945 bis 1947. Doch nun – etwas ausführlicher – zu der Frage, welche Ausdrucksformen der bisherigen deutschen Hochkultur die westlichen Alliierten neben der Propagierung ihrer eigenen Kultur in diesen frühen Jahren am meisten unterstützten. Zu Anfang war das eindeutig die Kunst der im Dritten Reich Verfemten oder jener Künstler, die sich in diesem Zeitraum in den Bereich der Inneren Emigration zurückgezogen hatten. In der bildenden Kunst gehörten dazu vor allem Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, deren Werke jenen anklagenden, appellartigen Charakter hatten, den viele der durch die vorangegangenen Katastrophen erschütterten westdeutschen Kunstinteressierten als wahrhaft zeitgemäß empfanden.6 Ihre Statuen und Graphiken wurden deshalb schon im Herbst 1945 überall ausgestellt und auch in den Kunstzeitschriften der Folgezeit häufig abgebildet. Neben sie traten schnell die Werke expressionistischer Maler wie Erich Heckel, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff sowie gesellschaftskritischer Realisten wie Otto Dix und Carl Hofer, die wie Barlach und Kollwitz nach 1933 in Deutschland geblieben waren und sich dort in eine Art Halbverborgenheit zurückgezogen hatten. Doch auch die von den Nazifaschisten verpönten Maler der totalen Gegenstandslosigkeit wurden im Zuge dieser 10
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Wiedergutmachungswelle erneut in den Vordergrund gerückt. Neben Wassily Kandinsky und Paul Klee, den im Exil verstorbenen Altmeistern dieser Richtung, waren das anfänglich vor allem Künstler wie Willi Baumeister und Fritz Winter, die auch im Dritten Reich heimlich gegenstandslos gemalt hatten. Doch obwohl die Zeitschrift Das Kunstwerk schon früh für sie eintrat und auch die Amerikaner und Franzosen ab 1947 diese Richtung durch Wanderausstellungen ihrer eigenen nichtgegenständlichen Malerei zu unterstützen versuchten, blieb die Publikumsreaktion auf solche Werke anfangs recht kühl. Nach den Schrecken des Nazifaschismus, des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit erschien diese Art der Malerei den meisten Ausstellungsbesuchern einfach zu formalistisch-verspielt und damit unverbindlich.7 Ebenso vielschichtig war kurz nach 1945 die Situation auf dem Gebiet der sogenannten E-Musik. Neben den Werken der klassischen Tradition wurden auch hier nicht nur in Konzerten, sondern auch im entnazifizierten Rundfunk häufig die Werke jener im Dritten Reich als »modernistisch« verpönten Komponisten wieder einem größeren Hörerkreis vorgestellt. Vor allem Dirigenten wie Ferenc Fricsay, Karl Amadeus Hartmann und Hans Rosbaud gaben sich damals die größte Mühe, die westdeutschen Hörer und Hörerinnen wieder mit in diesem Land fast vergessenen Weltgrößen wie Béla Bartók, Sergej Prokofjew, Dimitrij Schostakowitsch und Igor Strawinsky vertraut zu machen. Und das gelang ihnen auch. Ja, ein Komponist wie Paul Hindemith, der bis 1938 in Deutschland geblieben war, wurde anfangs in den drei Westzonen von vielen E-Musik-Interessenten als einer der bedeutsamsten modernen Tonschöpfer schlechthin empfunden, zumal er trotz seiner Verfemung durch die Nazifaschisten seinem Land durch seine Oper Mathis der Maler (1935) innerlich treu geblieben sei.8 Die Werke eines ins Exil geflüchteten Komponisten atonaler Zwölftonmusik wie Arnold Schönberg hielten dagegen, wie die Bilder der abstrakten Malerei, die gleichen Kreise kurz nach 1945 noch für zu ausgeklügelt, wenn nicht gar inhaltslos.9 Auch im Bereich der Literatur herrschte im gleichen Zeitraum noch eine erstaunliche Vielfalt. Neben Werken der Besatzungsmächte erschienen im 11
Vorwort
Westen nicht nur Romane und Dramen von Vertretern der Inneren Emi gration, sondern auch von aus Deutschland vertriebenen bürgerlichen Antifaschisten wie Alfred Döblin, Carl Zuckmayer und Stefan Zweig, während in der sowjetischen Besatzungszone vor allem Werke linker Antifaschisten wie Johannes R. Becher, Willi Bredel, Friedrich Wolf und Arnold Zweig herauskamen. Ja, einige Werke von Bertolt Brecht und Anna Seghers konnten damals sogar noch in Ost und West gedruckt werden. Dazu gesellten sich kurz darauf einige Anthologien im Dritten Reich verpönter expressionistischer Lyriker, die von jungen Lesern und Leserinnen fast wie Neuerscheinungen begrüßt wurden.10 Durch alle diese Aktivitäten, ob nun durch von den Besatzungsbehörden bewilligte Ausstellungen, Konzerte, Buchpublikationen und Theateraufführungen oder aufgrund deutscher Initiativen, kam es auf kulturellem Gebiet in den Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit zu einer erstaunlichen Vielfalt miteinander harmonierender oder auch konkurrierender Strömungen, in der sich Altes und Neues auf eine wundersame Weise vermischte. Was damals den Ton angab, war also weniger eine bestimmte Richtung als vielmehr ein Pluralismus, der eine beachtliche ideologische und ästhetische Bandbreite hatte, die von antifaschistisch-linken bis zu christlich-konservativen, von sowjetischen bis zu amerikanischen, von bisher als »entartet« empfundenen bis zu im herkömmlichen Sinne »gegenständlichen« Stilrichtungen reichte. Kurzum, wegen des Siegs über den Nazifaschismus und der anfänglich relativ großzügigen Kulturpolitik der vier Besatzungsmächte bestand also zu diesem Zeitpunkt noch die Bereitschaft, sich mit allem vertraut zu machen, worin sich innerhalb der allgemeinen Misere etwas Anderes, Besseres, Erbauliches, Tröstendes, Experimentelles und damit als »progressiv« Geltendes andeutete. Dieser Pluralismus wurde in den Jahren 1945/46 von vielen westdeutschen Kunstinteressierten noch nicht als Widerspruch oder gar Chaos empfunden, sondern im Zeichen der neuen Freiheit als ein Fortschritt in Richtung »Demokratie« und zugleich als ein erster Wiedergutmachungsakt gegenüber den mannigfachen Leidtragenden der nazifaschistischen Gleichschaltung innerhalb der verschiedenen Künste begrüßt. 12
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Und zwar gilt das für alle Gebiete der höheren Kultur, um – mit dem nötigen Nachdruck – noch einmal auf diese erstaunliche Vielfalt hinzuweisen. So hingen, wie gesagt, in den zahlreichen Wiedergutmachungsausstellungen nach 1945 die Werke eines neusachlichen Realisten wie Otto Dix noch neben den Werken eines gegenstandslos malenden Künstlers wie Georg Meistermann. Selbst so verschiedenartige Zeitschriften wie Aussaat, Bildende Kunst oder Das Kunstwerk unterstützten anfangs beide dieser Richtungen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Ja, ein Maler wie Willi Baumeister, der unter den sogenannten Abstrakten vielleicht der bekannteste war, sprach sich im Sinne der älteren Volksfronttendenzen zu diesem Zeitpunkt noch durchaus für ein Bündnis der bürgerlichen und kommunistischen Antifaschisten aus. Nicht minder »bunt« wirkten die damaligen Konzertprogramme, auf denen die Vertreter des Ostens und des Westens, ob nun Modernisten oder Traditionalisten für kurze Zeit unvermittelt nebeneinanderstanden. So ließ es selbst ein konservatives Blatt wie Musica 1947 weder an den üblichen Respektsbezeugungen gegenüber Paul Hindemith noch an bewundernden Äußerungen über die Symphonien Dimitrij Schostakowitschs fehlen. Und auch die literarischen Zeitschriften der unmittelbaren Nachkriegszeit machten noch keinen qualitativen Unterschied zwischen modernistischen oder realistischen, sozialistischen oder christlichen Dichtungen, sondern befragten jedes Werk – im Sinne einer ideologischen Offenheit und zugleich Wiedergutmachungshaltung – vornehmlich auf seinen Beitrag zu einer möglichen Verbesserung der bestehenden Verhältnisse. Demzufolge standen im Aufbau neben Texten von Johannes R. Becher, Willi Bredel, Georg Lukács und Heinrich Mann auch solche von Max Bense, Manfred Hausmann und Ernst Wiechert, im Goldenen Tor neben Beiträgen von Bertolt Brecht und Stephan Hermlin auch solche von Hermann Kasack und Ernst Kreuder, in Die Fähre neben Essays über Alexander Blok, Ilja Ehrenburg und Anna Seghers auch solche über James Joyce, Paul Valéry und Thornton Wilder. Innerhalb dieses pluralistischen Durch- und Nebeneinanders gab es jedoch eine Richtung, welche die neugewonnene Freiheit nicht nur aufatmend genoss, sondern zu ihrem Schutze zugleich eine durchgreifende 13
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Abb. 2 John Därncke : Plakat für den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Oktober 1945) 14
Zur kulturpolitischen Situation in Westdeutschland nach 1945
Umgestaltung der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen befürwortete. Ihre Vertreter und Vertreterinnen fassten vor allem den Aufbau einer spezifisch antifaschistischen Kultur ins Auge, der jene Leitlinien zugrunde liegen sollten, welche die exilierten Sozialisten und bürgerlichen Humanisten bereits im Zuge der Volksfrontpolitik Mitte der dreißiger Jahre gefordert hatten. Ideologisch gesehen steuerten sie hierbei häufig einen »dritten Weg« zwischen Westen und Osten, zwischen Kapitalismus und Kommunismus an. Ihren Kulturvorstellungen lag deshalb ein entschiedener Paradigmenwechsel von den irrationalen, romantisierenden, konservativen, konterrevolutionären, nazifaschistischen Überlieferungen der deutschen Geschichte und Kultur zu den bewusst liberalen, humanistischen, sozialistischen, aufrührerischen, ja, revolutionären Traditionen zugrunde. Sie gruben daher nicht einfach jeden aus, den man im Dritten Reich mit dem Bannstrahl des »Undeutschen« verteufelt hatte, sondern bevorzugten eindeutig die aktiven Demokraten, Liberalen und Sozialisten unter den Künstlern der weiteren und näheren Vergangenheit. Demzufolge erschienen in den ersten Nachkriegsjahren auch eine Reihe von Büchern und Anthologien, welche den jahrhundertealten Widerstand gegen den immer wieder verfehlten Verlauf der deutschen Geschichte, ob nun den mit den Parolen der Französischen Revolution sympathisierenden der deutschen Jakobiner, der Jungdeutschen und Vormärzler, den der mit der SPD übereinstimmenden Naturalisten des späten 19. Jahrhunderts oder den der linksliberalen und sozialistischen Tendenzen innerhalb der Weimarer Republik sowie der sie begleitenden Kunstströmungen, dokumentieren sollten. Im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit sprachen dafür vor allem Schriften wie Die humanistische Front (1946) von Walter A. Berendsohn, Verboten und verbrannt (1947) von Richard Drews und Alfred Kantorowicz sowie Unter fremden Himmeln (1948) von Franz Carl Weiskopf, die sich vor allem der antifaschistischen Exilliteratur annahmen. Alle diese Bemühungen wären sicher im Cliquenhaften steckengeblieben, wenn ihnen der bereits im Herbst 1945 in der Viermächtestadt Berlin gegründete »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« 15
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keinen organisatorischen Rahmen geboten hätte. Ihm gehörten als führende Mitglieder die Schriftsteller und Schriftstellerinnen Johannes R. Becher, Ricarda Huch, Ludwig Renn und Anna Seghers, die Maler Carl Hofer, Otto Nagel und Max Pechstein, die Bildhauerin Renée Sintenis, die Schauspieler Paul Wegener und Eduard von Winterstein, der Philosoph Ernst Niekisch, der SPD-Politiker Gustav Dahrendorf, die CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg und Ernst Lemmer sowie der KPD-Politiker Anton Ackermann an. Obwohl die Grundsatzerklärungen dieses Bunds – bei aller noblen antifaschistischen Gesinnung – zum Teil reichlich verschwommen waren, machte er in einem Punkt keinen Kompromiss, nämlich der Forderung, dass es in Zukunft in aller Kunst um die großen nationalen, politischen und gesellschaftlichen Belange gehen müsse. Aus diesem Grund verwarf er, wie auch die 1946 in München gegründete »Gewerkschaft der geistig und kulturell Schaffenden«, sowohl jede »elitäre« Absonderung der Kunst von der breiten Masse der Bevölkerung als auch jede »Zerstreuung oder Unterhaltung« auf kulturellem Gebiet.11 Was er nach der nazifaschistischen Mythisierung, offenkundigen Vulgarisierung und rassistischen Schönfärberei in den Künsten unterstützte, waren in erster Linie ein neuer »Realismus«, ein gesellschaftspolitisches Engagement sowie eine klare humanistische Gesinnung, um damit die Voraussetzungen zu schaffen, aus denen eine »Hohe Kunst für jedermann« hervorgehen sollte. In der Malerei und Graphik äußerte sich dieser engagierte Antifaschismus am eindeutigsten in den Illustrationen satirischer Zeitschriften wie Simpl, Ulenspiegel und Wespennest oder in auf den Ton der Klage, der Trauer, aber auch der Anklage gestimmten Graphikzyklen wie Stalingrad (1945) von Otto Herrmann, Passion unserer Tage (1946) von Karl Rössing, Zwölf Jahre (1947) von Willi Geiger, Fünf nach zwölf (1947) von Gerhart Bettermann und Das Jahr des Malers (1947) von Conrad Felixmüller sowie einer Reihe höchst eindrucksvoller Einzelblätter von Karl Hubbuch und Otto Pankok, in denen Szenen des nazifaschistischen Terrors, der Kriegsgräuel, des Antisemitismus, der geradezu unendlichen Flüchtlingsströme, der zerstörten Städte, des Heimkehrerelends, aber auch Darstellungen menschlicher 16
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Teilnahme, der Hilfe und des Handanlegens bei der Beseitigung der Trümmer im Vordergrund standen, die über das Grauen des kurz zuvor Geschehenen hinausweisen sollten. Ähnliche Szenen finden sich auf einigen Gemälden dieser Jahre. Allerdings wurden sie hier – mit wesentlich größerem Anspruch – oft ins Symbolische christlicher Passionsdarstellungen oder allgemein-menschlicher Leidenssituationen übersteigert und wirken daher, wie bei Otto Dix, Carl Hofer und Franz Radziwill, nicht so zeitverhaftet wie manche Graphiken dieser Zeit. Auch in der sogenannten E-Musik der unmittelbaren Nachkriegsjahre äußerten sich derartige Bekenntnisse meist weniger auf der Ebene des Politischen als auf der des Symbolischen, Existentiellen oder gar Metaphysischen. Selbst die Werke von Gottfried von Einem und Karl Amadeus Hartmann, die als »bekennerisch« noch am ehesten in diesen Kontext gehören, hatten häufig diesen Zug ins Allegorische. So klingt zwar in Einems Oper Dantons Tod (1947) einiges durchaus an die Turbulenz der Kriegs- und Nachkriegszeit an, ohne jedoch zeitpolitisch wirklich fassbar zu werden. Und auch die Erste Symphonie und das Violinkonzert von Hartmann, die er gegen Ende der dreißiger Jahre in der Inneren Emigration komponiert hatte, wandten sich zwar gegen Krieg und Militarismus, aber auf eine so kryptische Weise, dass dies vielen Hörern und Hörerinnen, falls sie nicht das Programmheft gelesen hatten, sicher verborgen blieb.12 Umso deutlicher waren dagegen die politischen Aussagen in jener zeitbewussten Literatur dieser Jahre, für die sich inzwischen Begriffe wie Kahlschlagliteratur, Trümmerliteratur, Bewältigungsliteratur oder einfach realistische Literatur nach 1945 eingebürgert haben. Gleichviel, ob nun in Form des Erlebnisberichts, der Kurzgeschichte, des Tagebuchs, des satirischen Sketchs, des Hörspiels, des Dramas oder des Romans, die Autoren und Autorinnen dieser Gruppe, zu denen unter anderem Ilse Aichinger, Alfred Andersch, Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Günter Eich, Walter Kolbenhoff, Hans Werner Richter, Wolfdietrich Schnurre und Günther Weisenborn gehörten, versuchten der nackten, schmutzigen, erbarmungslosen Realität der Nachkriegszeit so direkt wie nur möglich ins Gesicht zu 17
Vorwort
Abb. 3 Otto Pankok : Von Auschwitz zurück (1948)
schauen. Doch neben einer nüchternen Bestandsaufnahme des allgemeinen Grauens ging es einigen dieser Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sich zum Teil um die Zeitschrift Der Ruf scharten und sich nach dem amerikanischen Verbot dieses Blatts zur »Gruppe 47« zusammenschlossen, wie auch den Vertretern und Vertreterinnen des »Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands«, zugleich um den Aufbau einer neuen, antifaschistischen, friedliebenden Gesellschaftsordnung. Und zwar befürworteten hierbei einige von ihnen, wie bereits ausgeführt, in aller Offenheit die Politik eines »dritten Weges« zwischen Kapitalismus und Kommunismus, das heißt traten für einen »demokratischen Sozialismus« ein, um damit sowohl der geistigen Freiheit als auch der sozialen Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen. 18
Zur kulturpolitischen Situation in Westdeutschland nach 1945
II All das waren noble Pläne und wohlgemeinte Absichten, die jedoch schon im Jahr 1947 an dem scheiterten, was man kurz darauf den Beginn des Kalten Kriegs genannt hat. Genau besehen hatte bereits am 5. März 1946 eine Rede Winston Churchills in Fulton, Missouri, in der er erstmals das Wort vom »Eisernen Vorhang« verwandte, der zwischen der Freien Welt des Westens und den Ländern des Ostblocks niedergegangen sei, diesen neuen, sich als höchst folgenreich erweisenden Kurs eingeleitet.13 Daraufhin hatte Stalin, um die Friedensbereitschaft seines durch die NS-Wehrmacht weithin verwüsteten Landes zu bekunden, die Autoren und Publizisten seines Landes zu einer effektiven Gegenpropaganda aufgerufen. Und im Zuge dieser Entwicklung kam es auch in den vier Besatzungszonen zu ersten kulturpolitischen Spannungen. Das zeigte sich schon im Mai 1947, als im Deutschen Theater in der Viermächtestadt Berlin Konstantin Simonows Drama Die russische Frage aufgeführt wurde, in dem er Teile der amerikanischen Presse beschuldigte, die Sowjetunion, der es vornehmlich um eine Beseitigung des Nazifaschismus und eine Erhaltung des Weltfriedens gehe, einer aggressiven Konfrontationspolitik zu bezichtigen, die zu einem dritten Weltkrieg führen könne. Im Gefolge solcher Vorfälle wurden im Herbst 1947 die Konflikte zwischen den Kontrollbehörden der alliierten Besatzungsmächte in Deutschland immer zahlreicher. Nicht nur linksgerichteten Blättern wie Der Ruf, sondern auch ideologisch ähnlich orientierten Zeitschriften wie Der Skorpion sowie Ende und Anfang wurden anschließend von den Amerikanern die Lizenz entzogen. Im Oktober 1947 griff darauf der amerikanische Delegierte Melvin J. Lasky auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin die anwesenden sowjetischen Autoren an, im Gegensatz zu den Autoren der USA überhaupt keine eigenen Meinungen zu vertreten, sondern lediglich willfährige Werkzeuge ihrer Regierung zu sein. Die gleiche Haltung vertrat er ein Jahr später in der von ihm mit finanzieller Hilfe der amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) gegründeten Zeitschrift Der Monat. Auch in ihren eigenen Reihen führten anschließend die US-Besatzungsbehörden 19
Vorwort
Abb. 4 Melvin J. Lasky und die von ihm gegründete Zeitschrift Der Monat (1948)
eine Reihe scharfer Säuberungsmaßnahmen durch. Einen Kulturoffizier wie Bruno Frank, der nicht eindeutig antikommunistisch auftrat, enthoben sie kurzerhand seines Postens. Von den Mitarbeitern der amerikanischen Neuen Zeitung wurden mit einem Mal nicht nur Linke wie Franz Carl Weiskopf und Stefan Heym, sondern sogar ein relativ konservativer Autor wie Hans Habe plötzlich als »fellow travelers« verdächtigt. Aufgrund dieser Repressalien zogen es schließlich bisher in den Westzonen tätige Schriftsteller und Publizisten wie Eduard Claudius, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Hans Marchwitza, Hans Mayer und Karl-Eduard von Schnitzler vor, ihren Wohnsitz nach 1947/48 in die sowjetische Besatzungszone zu verlegen. Hinter all diesen Maßnahmen stand ein massiver Antikommunismus, der jede linke Äußerung sofort als »antiwestlich« anzuprangern versuchte. Um dabei die eigene Hausmachtpolitik nicht allzu deutlich werden zu lassen, wurde diese ideologische Haltung anfänglich von den amerikanischen Besatzungsbehörden meist als »Antitotalitarismus« ausgegeben. Und zwar stützten sie sich hierbei gern auf die griffige Formel »Rot gleich Braun«, um somit jedes von links ausgehende Konzept einer angeblich volksverbundenen Kultur von vornherein in Frage zu stellen. Die Vorstellung einer Kultur von unten, die zu einer gesamtgesellschaftlichen Neuordnung beitragen könnte, geriet somit paradoxerweise in den Verdacht, »undemokratisch« zu sein, indem sie den Willen einer linksorientierten Volksfrontideologie zur 20
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herrschenden Doktrin zu machen versuche. All jene, die sich die Propagierung eines konsequenten Antitotalitarismus zur vordringlichsten Aufgabe machten, wandten sich deshalb immer nachdrücklicher gegen jedes als kollektivistisch geltende politische Engagement und unterstützten im Sinne von Theodor W. Adorno, Hannah Arendt und Karl R. Popper das Prinzip der »Offenen Gesellschaft«, unter dem sie eine bürgerlich-marktwirtschaftliche Gesellschaftsordnung älterer Prägung verstanden.14 Viele dieser Parolen wurden von einem Großteil der westdeutschen Bildungsbourgeoisie sofort zustimmend aufgegriffen. Allerdings äußerte sich diese pauschalisierende Wendung ins Antitotalitaristische in den drei Hauptbereichen der höheren Kunst auf recht unterschiedliche Weise. Während es nach 1947 auf literarischem Sektor relativ schnell zu einer nachdrücklichen Verdammung alles Linksengagierten kam, spielten solche ideologischen Debatten in der Malerei anfänglich eine eher untergeordnete Rolle. Zwar wurden schon 1948/49 in den bildenden Künsten manche der älteren Antifaschisten und Kulturbund-Mitglieder ihrer öffentlichen Funktionen beraubt, doch die sogenannten freischaffenden Maler und Graphiker blieben vorerst ungeschoren. Zu wirklichen Konfrontationen kam es auf diesem Gebiet lediglich in Westberlin. So prangerte etwa der Tagesspiegel im April 1949 einen Maler wie Carl Hofer, der eine Grußadresse an den gegen die USA gerichteten Pariser Weltfriedenskongress geschickt hatte, als Linksabweichler an und erklärte zugleich mit drohender Stimme, dass ein Kunstakademiedirektor wie Hofer zur »Erziehung unserer Jugend völlig ungeeignet« sei. Ebenso scharf wurden zum gleichen Zeitpunkt Westberliner Künstler und Hochschullehrer wie Heinrich Ehmsen, Conrad Felixmüller, Oskar Nerlinger und Gustav Seitz wegen ihrer linken Gesinnungen angegriffen, worauf sie es vorzogen, nach Ostberlin überzusiedeln. Doch aufs Große und Ganze gesehen griff die westliche Kunstkritik damals noch weniger die engagierten »Realisten« im eigenen Lager als vielmehr jene Maler an, die sich in der sowjetischen Besatzungszone den Lehren des Sozialistischen Realismus anzupassen versuchten. Zu dieser Wende trug vor allem eine programmatische Erklärung des sowjetischen Kulturoffiziers Alexander 21
Vorwort
Dymschitz bei, die 1948 in der Täglichen Rundschau erschien und die sogenannte Formalismus-Debatte auslöste. Von nun an wurden »Parteilichkeit« und »Realismus« in der SBZ-Kunst geradezu austauschbare Begriffe. Da dies zum Teil im Sinne jener personenkultischen Schönfärberei geschah, die sich an den Maximen Andrej Shdanows orientierte, fühlte sich die westliche Kunstkritik auf diesem Gebiet durchaus bestätigt. Ähnliche Vorgänge spielten sich 1948/49 in den drei westlichen Besatzungszonen im Bereich der E-Musik ab. Wie in den bildenden Künsten wandte sich auch hier die Kritik erst zögerlich, aber dann immer entschiedener gegen Kompositionen, die sich im Sinne der vorangegangenen antifaschistischen Gesinnung zu linksorientierten Neuordnungskonzepten bekannten. Dafür spricht unter anderem ein Buch wie Neue Musik (1951) von Hans Heinz Stuckenschmidt, wo in dem Kapitel »Engagierte Musik« lediglich jene Musik verstanden wird, die sich im Sinne der »Rot gleich Braun«-These zum Sprachrohr totalitaristischer Parteienstaaten mache. Und mit solchen Staaten meinte Stuckenschmidt selbstverständlich nur Länder jenseits des »Eisernen Vorhangs«, in denen sich alle Komponisten von vornherein konformistisch verhalten müssten und damit aufhörten, selbstverantwortliche Künstler zu sein. Dass zwischen Komponisten und Staat auch ein produktives Verhältnis bestehen könne, wurde von ihm nicht einmal als bedenkenswertes Problem in Erwägung gezogen. Ebenso deutlich äußerte sich die fortschreitende Tendenzwende auf dem Gebiet der Literatur. Auch hier wurden im Westen nach 1947/48 geradezu alle kulturellen Neuordnungsbemühungen immer offener als ideologisiert, linksverdächtig, wenn nicht gar totalitaristisch oder kommunistisch angeprangert. Und die Wirkungen in der Praxis ließen nicht lange auf sich warten. Von den satirischen Blättern fiel zu diesem Zeitpunkt sogar das vorher recht kritische Wespennest um, während sich der Ulenspiegel immer stärker auf der anderen Seite engagierte. Auf dem Gebiet des Theaters ließe sich dieser Wandel an Kritikern wie Walther Karsch und Friedrich Luft zeigen, die vorher eher linksliberale Besprechungen geschrieben hatten, jedoch 1947/48 ins antikommunistische Lager überwechselten und jede 22
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gesamtgesellschaftliche Funktion von Kunst prinzipiell in Frage stellten. Noch deutlicher äußerte sich dieser Umschwung in der Buchproduktion. Selbst Autoren, die wegen ihrer reaktionären oder faschistoiden Gesinnung bisher auf den »schwarzen Listen« der Besatzungsmächte gestanden hatten, konnten jetzt wieder relativ ungehindert publizieren, während zahlreiche Werke linksorientierter Exilschriftsteller und -schriftstellerinnen in Westdeutschland erst in den sechziger und siebziger Jahren wieder Verleger fanden.15 Kein Wunder daher, dass die Literaturpreise zwischen 1947 und 1949 in der Bi- bzw. Trizone fast ausschließlich an sich betont antitotalitaristisch gebende Autoren und Autorinnen gingen.16 Während sich also im Zuge dieser Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone eine am Vorbild der älteren Volksfrontbemühungen ausgerichtete Kulturpolitik durchsetzte, orientierte sich die Kulturpolitik in den drei westlichen Besatzungszonen zu diesem Zeitpunkt immer stärker an dem, was als Repräsentation einer »bürgerlichen Mittellage« ausgegeben wurde. Wegen der durch den Kalten Krieg bedingten allgemeinen Wendung ins Konservative verstand man darunter all das, was sich als verinnerlicht, eskapistisch, existentialistisch oder religiös charakterisieren ließ. Statt auf jene zu hören, die weiterhin von Neuordnung oder Democratic Re-education sprachen, setzten sich demzufolge schon um 1948/49 jene Schichten durch, die solche Vorstellungen schon unterm Nazifaschismus vertreten hatten und sich jetzt als Repräsentanten der Inneren Emigration ausgaben. Statt wie die Antifaschisten allen höheren Kunstformen – ob nun mit anklagender, kritischer oder satirischer Zielsetzung – einen deutlichen Appellcharakter zu geben, sahen die Vertreter der bürgerlichen Mitte in einer wahrhaft legitimen »Kultur« vornehmlich ein moralisch-psychologisches Phänomen. Was sie von ihr erwarteten, war in erster Linie Trost, Heilung oder zumindest Beruhigung. Kunst sollte Lebenshilfe spenden, wie es immer wieder hieß, zur Sammlung und Besinnung beitragen, auf das »Eigentliche« im Leben hinlenken. Und zwar galt das für alle drei E-Künste. Wenn sich die angeblich unpolitisch gesinnten Oberschichten Gemälde, Graphiken oder Skulpturen 23
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ansahen, wollten sie in ihnen nicht mehr das Verwüstete oder Zerstörte, sondern Bilder einer »heilen Welt« widergespiegelt sehen. Wenn sie Musik hörten, wollten sie nicht aufgeschreckt werden, sondern die Erfahrung tiefer menschlicher Innerlichkeit haben. Wenn sie sich in Bücher versenkten, wollten sie beim Lesen neue Kraft aus den Quellen des Archetypischen oder Allgemein-Menschlichen schöpfen. Wovon sich die Vertreter und Vertreterinnen dieser als »Mittellage« ausgegebenen Haltung vor allem abgrenzten, war darum dreierlei. Erstens verwarfen sie jede Art von Trivialität, worunter sie alle Gattungen jener vorwiegend unterhaltsamen, das heißt auf billiges Amüsement, bloßen Nervenkitzel oder andere »Niedrigkeiten« hinauslaufenden U-Kultur verstanden, die sich ab 1948/49 erneut auszubreiten begann. Zweitens traten sie gegen den sich ebenfalls zu diesem Zeitpunkt immer stärker bemerkbar machenden »Modernismus« auf. Während sie am Trivialen das Herabziehen ins Vulgäre bemängelten, rügten sie an den betont modernistischen Kunstformen vor allem die elitäre Stilisierung ins Exquisite, Ästhetisierende, wenn nicht gar Hermetische. Was sie damit meinten, waren vor allem die abstrahierend-konstruktivistischen Tendenzen innerhalb der Malerei, die Neigungen zum Atonalen in der sogenannten Neuen Musik und die allzu spitzfindigen Formen jener sich als »autonom« ausgebenden Dichtungen, bei denen der Sinncharakter des Ganzen immer stärker hinter reinen Bild- und Klangwerten zu verschwinden drohe. Drittens wandten sich diese Schichten zusehends gegen jene antifaschistische Kunst der unmittelbaren Nachkriegszeit, die mit dem Anspruch des Reformerischen oder zumindest zeitgeschichtlich Relevanten aufgetreten war. Wie zu erwarten, musste einer solchen Richtung, der es in der Kunst in erster Linie um Gemütstiefe und Tröstung ging, alles Tagespolitische, Gesellschaftskritische, Radikaldemokratische oder gar Sozialistische von vornherein missfallen. Deshalb lehnten ihre Hauptvertreter, wie etwa Hans Sedlmayr in seinem vielbeachteten Buch Verlust der Mitte (1948), nicht nur eine offenkundige Politisierung der Kunst, sondern überhaupt jeden Einbruch des Zeitverhafteten als außerkünstlerisch ab. Darin konnten sie nur eine kunstwidrige »Verheutigung« sehen. 24
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Dass sich diese Richtung nach 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen einer breiten Unterstützung erfreute, beweist die geradezu unübersehbare Fülle an Zeitschriften wie Aussaat, Fähre, Glanz, Horizont, Merkur, Musica, Die Sammlung, Universitas sowie Die Kunst und das schöne Heim, die hinter ihr stand. In diesen Blättern ging es primär um die Wahrung der abendländischen Traditionen des Guten, Wahren und Schönen. Dementsprechend propagierten sie Kunstkonzepte, die sich vornehmlich auf naturhafte, mythische, religiöse oder rechtshumanistische Vertretungen des »Zeitlos-Großen« stützten. Besonders zahlreich waren dabei in diesen Jahren die Bekenntnisse zu einer religiös getönten Kunst, die selbst das Numinose, Mystische, Göttliche in den Dienst einer Tendenzwende ins Konservative zu stellen versuchte und hierbei vor allem von Zeitschriften wie Neues Abendland, Begegnung, Eckart, Hochland und Das Münster unterstützt wurde. Wohl am augenfälligsten manifestierte sich diese Richtung in der christlichen Malerei und Plastik der zweiten Nachkriegsphase. Um der allgemeinen »Verweltlichung«, das heißt dem »Abfall von Gott« mit einer im christlichen Glauben verankerten Seinsgewissheit entgegenzutreten, veranstalteten daher einige Künstler dieser Richtung 1947 in München eine mit dem Anspruch des Maßstabgebenden aufgezogene Ausstellung »Zeitgenössische christliche Kunst«, wo vor allem Kruzifixe, Altarbilder und Heiligenstatuen von Karl Caspar, Franz Nagel und Karl Blocherer zu sehen waren. Doch auch Werke nichtchristlicher Maler nahmen damals – im Zuge der Sehnsucht nach seelischer Vertiefung – oft religiöse Züge an. Demzufolge tauchten auf den Gemälden dieser Zeitspanne selbst bei früheren »Realisten« wie Otto Dix häufig Pietà-Motive, Noah- und Hiob-Figuren, verlorene Söhne oder leidende Christus-Gestalten auf, welche die Betrachter oder Betrachterinnen zum Innehalten und damit zur persönlichen Einkehr bewegen sollten. Ähnliche Beobachtungen lassen sich im Hinblick auf die E-Musik dieser Jahre machen. Als besonders vorbildlich empfand man in diesem Umkreis – neben Einzelwerken von Paul Hindemith und Heinrich Kaminski – vor allem die christlichen Werke von Komponisten der Inneren Emigration, ob nun Johann Nepomuk David, Hugo Distler, Ernst Pepping und Hermann 25
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Abb. 5 Otto Dix : Homo II (1949)
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Reutter, denen wiederholt bescheinigt wurde, dass ihre Orgel- und Chormusik fast an die Größten unter den alten Meistern heranreiche. Und zwar gelte das besonders für die Werke Peppings, wie etwa seine Missa Dona nobis pacem (1948), sein Liederbuch nach Gedichten von Paul Gerhardt (1949), seinen Passionsbericht nach Matthäus (1950) sowie für den Lübecker Totentanz (1948) von Reutter. Viele der christlichen Autoren und Autorinnen dieser Jahre, die aus dem Bereich der Inneren Emigration kamen, griffen dabei – neben ihren Erfahrungen während des Dritten Reichs – zugleich auf die Werke der französischen Renouveau-catholique-Bewegung, also die Schriften von Paul Claudel und Georges Bernanos, zurück. Im Mittelpunkt ihrer Werke, ob nun der Romane von Stefan Andres, Werner Bergengruen, Gertrud von Le Fort, Elisabeth Langgässer oder Ernst Wiechert, standen deshalb meist im Ton der seelischen Empfindungsbereitschaft erzählte Konflikt-, Entscheidungs- und Wandlungssituationen, die auch die Leser und Leserinnen zutiefst bewegen sollten. Im Gefolge der Inneren Emigration blieben dabei in derartigen Werken alle Konflikte weitgehend rein persönlicher Natur. Nach »Zeiten der Wirren« finden in ihnen die einzelnen Protagonisten oder Protagonistinnen gegen Ende meist wieder auf den rechten Weg des Glaubens zurück. Die realgeschichtliche, die angeblich uneigentliche Welt, auf welche die Einzelnen – nach Meinung dieser Autoren und Autorinnen – ohnehin keinen Einfluss hätten, wirkt daher in diesen Werken meist wie ein Schlachtfeld, auf dem das Gute mit dem Bösen kämpft, dessen ideologische Hintergründe letztlich unerklärbar bleiben.
III Dass eine solche Kunst in den Jahren 1947 bis 1949, als die gebildete Bourgeoisie im Zuge des beginnenden Kalten Kriegs nach Tröstung und Entlastung verlangte, einen großen Zuspruch hatte, ist nach dem vorher Gesagten leicht einzusehen. Aber es ist ebenso verständlich, warum diese Form der Kunst schon nach wenigen Jahren von einem Großteil der westdeutschen Bildungselite als überlebt empfunden wurde. Nur solange die Nachkriegsmisere 27
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andauerte, konnten solche Werke noch die nötige Aufmerksamkeit erregen. Als sich jedoch nach der im Sommer 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen durchgeführten Währungsreform, den amerikanischen Krediten im Rahmen des Marshall-Plans sowie der im Herbst 1949 erfolgten Gründung der westdeutschen Bundesrepublik, mit der die westlichen Alliierten diesen Teil Deutschlands in ein »Bollwerk gegen den östlichen Kommunismus« umwandeln wollten, die wirtschaftlichen Verhältnisse allmählich zu verbessern begannen, hatte diese Art von Kunst, die weitgehend eine Folge erscheinung der Inneren Emigration der dreißiger Jahre war, ideologisch ausgedient. Schließlich wurden im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs, den man schon Mitte der fünfziger Jahre das westdeutsche »Wirtschaftswunder« nannte, durch die rapide Zunahme der besserverdienenden Bevölkerungsschichten und damit die Anhebung des allgemeinen Lebensstandards nicht nur das Konzept eines möglichen »dritten Wegs« zwischen Kapitalismus und Kommunismus, sondern auch die ständige Berufung auf die tröstende Funktion des Beseelten, Innerlichen, ja, Religiösen von vielen Westdeutschen als zeitgeschichtlich überholt empfunden. Und die kulturellen Folgen dieser sich mit erstaunlicher Schnelligkeit vollziehenden Entwicklung ließen nicht lange auf sich warten. Während in der ebenfalls im Herbst 1949 mit Unterstützung der UdSSR gegründeten Deutschen Demokratischen Republik – der die im Zweiten Weltkrieg durch die NS-Wehrmacht weithin verwüstete Sowjetunion keine mit dem Marshall-Plan vergleichbare Aufbauhilfe leisten konnte – im Bereich der Kultur als ideologische Überkompensation eher der Stolz auf das progressiv gestimmte »kulturelle Erbe« sowie in politischer Hinsicht eher der Stolz auf die dem ausbeuterischen Kapitalismus überlegene Weltanschauung des auf gesamtgesellschaftlicher Solidarität beruhenden Sozialismus herrschte, kam es nach diesem Zeitpunkt in der westlichen Bundesrepublik zu einer höchst komplexen Gemengelage verschiedenster Ideologien, die zwar fast alle eine zunehmende »Verfreiheitlichung« begrüßten, aber in ihren inhaltlichen Bestimmungen und den damit verbundenen Verfahrensweisen nicht unbedingt übereinstimmten. 28
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Abb. 6 Wahlplakat der CSU (um 1952) 29
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Um es kurz zu fassen, sowohl die auf eine politische und sozioökonomische Neuordnung drängenden Reformvorstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit als auch die als maßstabsetzende Vorstellungen von den ehemaligen Vertretern und Vertreterinnen der Inneren Emigration propagierten Werte des Beseelten und Tröstenden traten danach, wie gesagt, im Westen zusehends in den Hintergrund. Was sich stattdessen ideologisch durchsetzte, waren zweierlei Hauptströmungen : erstens die vom Bundeskanzler Konrad Adenauer und seiner CDU/CSU/FDP-Koalition proklamierte »Politik der Stärke« gegen den östlichen Kommunismus, zweitens der von seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard unterstützte Neoliberalismus, die zwar beide auf eine konsequente »Verwestlichung« der BRD drängten, aber im Hinblick auf die Durchsetzung dieser Strategien durchaus verschiedene Vorstellungen hatten. Während Adenauer und sein Verteidigungsminister Heinrich von Brentano vor allem das Schreckbild der heidnisch-asiatischen Sowjetunion als die Hauptgefahr für das christlich gesinnte Abendland beschworen, der man mit Unterstützung der USA gegen die 1945 im Potsdamer Abkommen beschlossene Entmilitarisierung mit einer Wiederbewaffnung der BRD entgegentreten müsse, vertrat Erhard eher die These, dass man der »östlichen Gefahr« wesentlich effektvoller begegnen könne, wenn man die Bundesrepublik im Zuge einer »sozialen Marktwirtschaft« in einen Wohlstandsstaat verwandeln würde, innerhalb dessen »dem persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich gesetzt werden sollten«.17 Und daraus zogen viele seiner neoliberal eingestellten Anhänger die Konsequenz, dass man bei einer Durchsetzung einer derartigen Haltung auf aggressiv oder gar militant formulierte Ideologiekomplexe durchaus verzichten könne. Dass sich diese weltanschauliche Polarisierung, der zwar die gleiche antikommunistische Gesinnung zugrunde lag, die sich aber dabei höchst verschiedener Ausdrucksformen bediente, auch auf die drei bildungsbürgerlichen Künste, ob nun die zeitgenössische Galeriemalerei, die E-Musik sowie die anspruchsvolle Literatur, auswirken würde, war vorherzusehen. Und das trat auch folgerichtig ein. Allerdings wirkte sich diese ideologische 30
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»Verwestlichung« – trotz ihrer relativ gleichgearteten Grundhaltung – in den drei Hochkulturkünsten höchst unterschiedlich aus. Während sich in der Malerei eine zunehmende Abstraktion, ja, Gegenstandslosigkeit anbahnte und dann geradezu flächendeckend ausbreitete, die sich als Frontstellung gegen den im Osten befürworteten Sozialistischen Realismus verstand, setzte sich in der zeitgenössischen E-Musik die Vorherrschaft einer atonalen, ins Unverständliche übergehenden Zwölftonmusik durch, der eine ähnliche Frontstellung gegen die östliche Betonung einer programmatischen »Volksverbundenheit« zugrunde lag. In beiden Künsten kam es dadurch zu einer verstärkten Tendenz ins Formalistische, die sich in ihrer Inhaltslosigkeit von allen als totalitaristisch verstandenen gesellschaftspolitischen Bevormundungen distanzierte, jedoch in ihrem angeblichen Nonkonformismus mit dem von Ludwig Erhard propagierten Trend ins Technizistisch-Innovative durchaus konform ging. Kurzum, in den E-Kultur-Formen der Malerei und Musik ging es von nun an nicht mehr um Inhaltliches und damit Gesellschaftsbezogenes, dem, wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit, eine antifaschistische Tendenz zugrunde gelegen hatte, sondern lediglich um das als »westliche« Verfreiheit lichung ausgegebene Ausdrucksvermögen einzelner Maler und Komponisten, die im Sinne der neoliberalistischen Strömungen der fünfziger Jahre vornehmlich als Schöpfer eigenmächtiger Klang- und Farbkomplexe auf sich aufmerksam zu machen versuchten. Mit anderen Worten : In diesen zwei Bereichen herrschte in Übereinstimmung mit den technologischen Modernisierungsschüben der sich ausbreitenden Wirtschaftswundergesinnung nur noch das Prinzip der formalen Innovation vor, während von einer gesellschaftsbezogenen Form-Inhalt-Dialektik, wie sie noch die ins Abstrakte tendierende frühe Sowjetkunst oder die Anfänge der Bauhaus-Bemühungen ausgezeichnet hatte, keine Rede mehr war. Von jetzt an, wenn man den vielen ins Inhaltslose ausweichenden Erklärungen dieser Richtung Glauben schenken will, sollte es in diesen zwei Künsten im Umgang mit Farbe und Klang, wie gesagt, nur noch um zwar eigenschöpferische, aber auf alle inhaltlichen Bezogenheiten verzichtende formale Gestaltungsweisen gehen. 31
Vorwort
Da Literatur selbst in ihren anspruchsvollsten künstlerischen Ausdrucksformen stets von der auch im gesellschaftlichen Umgang verwendeten Sprache ausgehen muss und damit von vornherein eine nicht zu umgehende Inhaltsbezogenheit hat, ließ sie sich nur in relativ marginalen, ins Konkretistische tendendieren Randerscheinungen so weit »formalisieren« wie die Farb- und Klangwelten der bewusst »modernistisch« auftretenden Malerei und Musik. In ihr äußerte sich dementsprechend die ideologische Bezogenheit auf die politischen Haupttendenzen der fünfziger Jahre in der BRD mehrheitlich wesentlich unverhüllter. Trotz einiger gegen diese ideologische Umpolung gerichteten Gegenstimmen lassen sich dabei – im Hinblick auf die unbewältigte nazifaschistische Vergangenheit – drei verschiedenartige Haltungen unterscheiden : 1. eine weiterhin mit nationalistischen Affekten durchsetzte Literatur, welche sich gegen die von den Siegermächten erzwungene Spaltung Deutschlands in zwei sich feindlich gegenüberstehende Staaten wandte, 2. eine sich weiterhin in Fortführung der Inneren Emigration im Sinne eines konformistischen Nonkonformismus in die Refugien des Privaten, Religiösen oder Existentiellen zurückziehende Literatur sowie 3. eine mit der Adenauer’schen »Politik der Stärke« weitgehend übereinstimmende, wenn nicht gar sie bis zur letzten Konsequenz übersteigernde Kalte-Kriegs-Literatur.
IV So viel erst einmal höchst skizzenhaft zu den ideologischen Grundpositionen jener drei E-Kultur-Künste, die sich – gemäß ihren verschiedenen Gestaltungsweisen – während der fünfziger Jahre in der frühen Bundesrepublik entweder im Sinne eines nonkonformistischen Konformismus oder auf höchst direkte Weise mit der Kalten-Krieg-Stimmung dieser Ära identifizierten, anstatt weiterhin auf die dunkle Last des Dritten Reichs einzugehen. Um dabei nicht im Schlagwortartigen steckenzubleiben, sollen deshalb im Folgenden die jeweiligen Verhaltensweisen dieser drei Künste im Gesamtverlauf der westdeutschen Kulturentwicklung von 1945 bis 1960 noch einmal einer etwas genaueren gesellschaftskritischen Analyse unterzogen werden. 32
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Beginnen wir mit der Ausstellungs- oder Galeriemalerei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Ansätze zu einer gegenstandslosen Malerei, wie bereits ausgeführt, noch recht bescheiden. Schließlich war diese Richtung nicht nur durch die Nazifaschisten liquidiert worden, sondern befand sich – nach der flächendeckenden Ausbreitung der Neuen Sachlichkeit – schon seit Mitte der zwanziger Jahre im Rückgang. Die meisten Betrachter oder Betrachterinnen empfanden daher solche Bilder nach 1945 als ausgesprochen »unzeitgemäß«, das heißt als Produkte einer modernistischen Unverbindlichkeit, die nach den Gräueltaten des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs jeden wirklichkeitsbezogenen Aussagewert verloren hätten, ja, in ihrer Beschränkung auf irgendwelche »Balken, Kreise und Striche« geradezu nichtssagend wirkten. Eine Änderung in dieser Hinsicht setzte erst ein, als die französischen und amerikanischen Besatzungsbehörden, wie gesagt, im Zuge des 1947 beginnenden Kalten Kriegs selbst die abstrakte Malerei als Antidoton gegen den im Ostblock propagierten Sozialistischen Realismus auszuspielen versuchten. So arrangierten die Franzosen bereits im Gefolge ihrer im F rühjahr 1947 in Paris gezeigten Abstraktenschau »Salon des réalités nouvelles« kurz darauf eine Wanderausstellung unter dem Titel »Französische abstrakte Malerei«, die in München, Stuttgart, Düsseldorf, Hannover, Freiburg und Frankfurt zu sehen war.18 Noch aktiver beteiligten sich in den USA die Central Intelligence Agency (CIA), das Guggenheim-Museum sowie das unter der Vormundschaft Nelson Rockefellers stehende New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) an dieser Kampagne, um die westdeutschen Kunstinstitutionen von der ideologischen »effectiveness« einer »free enterprise painting«, wie sie es nannten, von einer wirksamen Auseinandersetzung mit dem als »communist« verteufelten Realismus innerhalb der Ostblockländer zu überzeugen.19 Den Auftakt zu diesen Bemühungen bildete die im Herbst 1947 vom Guggenheim-Museum organisierte Ausstellung »Nichtgegenständliche Malerei«, die unter anderem in Karlsruhe, Mannheim und Düsseldorf gezeigt wurde,20 der ein Jahr später eine Ausstellung mit Werken von Willem de Kooning, Robert Motherwell und Jackson Pollock, den 33
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Hauptvertretern des American Abstract Expressionism, folgte, die ebenfalls als Wanderausstellung in mehreren westdeutschen Städten als wirkungsvollste Form »der Abstraktion ohne Irrweg über das Motiv als Möglichkeit des absoluten individuellen Selbstausdrucks« angepriesen wurde.21 Die gleiche Absicht lag jener Ausstellung gegenstandsloser Bilder zugrunde, welche 1949 im Münchener Central Collecting Point die deutschen Besucher vom liberaldemokratischen Charakter dieser Art von Malerei überzeugen sollte.22 Und die Folgen dieser konzertierten Aktion ließen nicht lange auf sich warten. Auch westdeutsche Kunstkritiker, wie Kurt Lüthi und Wieland Schmied, setzten sich daher schon im gleichen Zeitraum energisch für eine »abstrakte Gegenwartsmalerei« ein, während sie der gegenständlichen Malerei nur noch einen minderen Rang zuerkannten. Im Sinne der von den französischen und amerikanischen Besatzungsmächten ausgehenden Bestrebungen erklärte demzufolge die Zeitschrift Das Kunstwerk, die schnell zum Hauptorgan dieser Wendung ins Abstrakte wurde, schon im Jahr 1948 geradezu apodiktisch : »Das Zeitalter der Mimesis ist vorüber ; überall setzt sich das abstrakte Kunstwollen durch.«23 Um sich mit solchen Verlautbarungen nicht allzu offensichtlich als ideologische Vollzugsorgane der von den Besatzungsmächten ausgehenden Kalten-Kriegs-Strategien bloßzustellen, wurde dabei diese Wendung ins Nichtgegenständliche meist als eine weltanschaulich nicht näher definierte Angleichung an jene sich als »Weltkunst« ausgebende Malerei hingestellt, in welcher der Künstler nicht mehr zwanghaft abbildlich, sondern kreativ ungehemmt schaffe. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den fünfziger Jahren – im Zuge des sich verschärfenden Kalten Kriegs – solche Bekenntnisse zur Abstraktion ständig zunahmen. So erklärte etwa Werner Schmalenbach 1952 bei der Eröffnung einer Ausstellung mit gegenstandslosen Bildern von Hann Trier in Hannover : »Es geht um das Bild. Das ist die Realität, und sie hat für den Künstler mehr Gewicht als die Kriegs- oder sonstigen Erlebnisse.«24 Ebenso entschieden schrieb Werner Luft 1955 : »Nicht Sinn-, sondern Formzusammenhänge bestimmen heute die Qualität eines Kunstwerks.«25 Ja, Arnold Gehlen behauptete 1959, dass ihm westdeutsche Jugendliche angesichts 34
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Abb. 7 Ernst Wilhelm Nay : Steinfiguren (1950)
»abstrakter« Bilder versichert hätten, hierin sähen sie den Ausdruck wahrer »Freiheit«.26 Von irgendwelchen antifaschistischen oder gesellschaftskritischen Zielsetzungen war dagegen nirgends mehr die Rede. Die Kunst, die diesen Programmen entsprach, war jene gegenstandslose Malerei, die inzwischen unter Bezeichnungen wie Non-Representational Art, Abstract Expressionism, Action Painting, Drip Art, Peinture informel, Tachismus, Automatismus, Fleckenmalerei, Neokonstruktivismus oder Monochrome Malerei in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Doch letztlich ging es bei solchen Bildern immer wieder um die gleiche Absage an die bisherige Wirklichkeitsbezogenheit. Daher wäre es müßig, hinter den vieldiskutierten Stilphasen dieser Malerei eine logische Folgerichtigkeit aufspüren zu wollen. Ob nun gemalt, gekratzt, gespachtelt, gespritzt, geträufelt 35
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oder geschmiert – das meiste lief stets auf das Gleiche hinaus, nämlich eine konsequente Gegenstandslosigkeit, die in ihrer Übereinstimmung mit den Attacken gegen den östlichen »Realismus« ebenso hintergründig wie oberflächlich wirkt. Ihren endgültigen Durchbruch erlebte diese Art von Malerei im Jahr 1959 auf der II. Kasseler »documenta«, bei der fast nur »non-representational« Werke – einschließlich einer Jackson-Pollock-Retrospektive – zu sehen waren. Mit dieser Ausstellung hatten die unter französischem und amerikanischem Einfluss stehenden westdeutschen Kalten Krieger – trotz mancher Einwände älterer Realisten wie Otto Dix und Carl Hofer – endlich ihr Ziel erreicht.27 Statt einer antifaschistischen oder gesellschaftskritischen Malerei, die nicht vor einer realistischen Direktheit zurückgeschreckt wäre, hatte sich damit jene offizielle bzw. offiziöse Tendenz ins Nichtgegenständliche durchgesetzt, welche sich nur allzu leicht als ideologische Waffe oder zumindest ideologische Ablenkungstaktik im Kampf gegen irgendwelche gesellschaftlichen Alternativvorstellungen einsetzen ließ. Daher wäre schon Mitte der fünfziger Jahre auf einer Gemäldeausstellung in New York oder Westberlin das einzige gesellschaftskritisch-realistische Bild entweder als »hoffnungslos veraltet«, »unkünstlerisch« oder »östlich« angeprangert bzw. von vornherein gar nicht ausgestellt worden. Und umgekehrt wäre zum gleichen Zeitpunkt in Moskau oder Ostberlin das einzige nichtgegenständliche Bild entweder als spezifisch »westlich«, das heißt als Ausdruck des amerikanischen Kulturimperialismus attackiert bzw. von vornherein gar nicht ausgestellt worden. So eindeutig waren damals auf diesem Gebiet die ideologischen Fronten in all jenen Ländern, die zu diesem Zeitpunkt zum NATO-Block oder zum Ostblock gehörten. Auf der einen Seite richteten die mehr oder minder geheimen Drahtzieher der Kunstszene das Postulat eines angeblich durch nichts eingeschränkten Drangs nach subjektiver Selbstrealisierung auf, während sich auf der anderen Seite der im Westen als »Eiserner Vorhang« bezeichneten Grenze die maßgeblichen Kulturfunktionäre auch in der Malerei für kollektive Parteilichkeit und Realismus einsetzten. Und hüben wie drüben hielten sich fast alle Maler daran. 36
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V Ähnliche Wandlungsprozesse lassen sich – unter ideologiekritischer Perspek tive betrachtet – zwischen 1945 und 1960 in der westdeutschen E-Musik- Szene verfolgen. Allerdings sollte man hierbei einen gravierenden Unterschied nicht übersehen. Während sich im Bereich der Malerei die sogenannte »vormoderne« Kunst wegen ihrer durchgehend realistischen Ausprägung in der frühen BRD keiner besonderen Hochschätzung erfreute, empfanden weite Kreise der Bildungsbourgeoisie in diesen Jahren die barocke, klassische und romantische Musik nach wie vor als die Musik schlechthin. Zugegeben, es gab zwar im Zuge antifaschistischer Wiedergutmachungsbemühungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und sogar noch danach zahlreiche Aufführungen von Werken im Dritten Reich verpönter ausländischer Komponisten, vor allem von Béla Bartók und Igor Strawinsky, aber auch von deutschen Komponisten wie Karl Amadeus Hartmann und Paul Hindemith, die ebenfalls vor 1945 in Deutschland nicht gespielt werden durften. Doch letztlich waren es immer und immer wieder die Werke von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms usw., welche nach wie vor am meisten aufgeführt wurden. Wenn sich diese Schicht anfänglich überhaupt auf eine als »modern« geltende E-Musik einließ, was selten genug geschah, dann wollte sie eine Musik, die nicht ins Extreme tendierte, sondern im Bereich jener »Mitte« blieb, die damals auch auf ideologischem Gebiet häufig beschworen wurde. Kurzum, sie wollte vornehmlich Beseeltes, Melodisches, Tröstendes, Heilendes oder auch Religiöses hören, also all das, was ihr als Inbegriff der großen deutschen Musiktradition erschien.28 Schließlich waren diese Kreise gerade auf die hehre »Frau Musica« besonders stolz. Mit ihr rechtfertigten sie daher gern den Anspruch, in Deutschland eine hochbedeutende Kulturnation zu sehen, und versuchten sich damit gegen jene Kollektivschuldthese zur Wehr zu setzen, nach der die Deutschen zu allen Zeiten einen »schlechten«, weil aggressiven Charakter besessen hätten. Was daher über die moderierte Klangwelt einer gewissen »Halbmoderne« à la Werner Egk, Paul Hindemith oder Carl Orff hinausging, wurde in 37
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den ersten Nachkriegsjahren, wie auch die abstrakten Gemälde, von dieser Schicht meist scharf abgelehnt. Und das waren vor allem Komponisten, die wie Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern schon in den zwanziger Jahren eine verstärkte formale Radikalität angestrebt hatten. So gab es damals selbst in der relativ zukunftsorientierten Zeitschrift Melos Stimmen, welche der Zwölftonmusik noch eine »unmäßige Langeweile« vorwarfen und grundsätzlich bezweifelten, ob in einer derart atonalen Musik überhaupt ein Keim zu »einer neuen und entwicklungsfähigen Kunst« stecke.29 Sogar die schönbergisierenden Bekenntnisse Theodor W. Adornos, Josef Rufers und Hans Heinz Stuckenschmidts stießen deshalb anfangs weitgehend auf Unverständnis, was Heinz Pringsheim 1947 zu dem verzweifelten Ausruf veranlasste : »Alles, was aus dem Rahmen des Hergebrachten heraustritt und wirklich neuartig ist, wird von 99 Prozent der Zeitgenossen als ungehörig und ›verrückt‹ empfunden.«30 Doch diese Abneigung gegen alles Zwölftönerische lag sicher nicht nur an dem ins Auge gefassten Publikum, sondern auch an der betreffenden Musik selbst. Indem sich diese »Neue Musik« in zum Teil höchst bizarren, ins Unverständliche verfremdeten Formen darbot, musste sie zwangsläufig auf Unverständnis stoßen. Wo die sich als neuartig ausgebende E-Musik weiterhin, wie gesagt, im Bereich einer gefühls- oder religiös-betonten Halbmoderne blieb, brachte man ihr durchaus ein gewisses Interesse entgegen. Wo sie jedoch lediglich auf ihren Materialcharakter pochte und sich auf formalistische Innovationen beschränkte, interessierte sie nur einen kleinen Kreis der für musikalische Werkstattprobleme Aufgeschlossenen, aber nicht ein breiteres Publikum. Und das führte im Bereich der sich dem Neuen anschließenden E-Musik zu zwei voneinander schroff geschiedenen musikalischen Teilkulturen : einer halbwegs tonal klingenden Halbmoderne sowie einer atonalen Moderne, die immer stärker ins Elitäre, Esoterische, Formalistische und damit Inhaltslose tendierte.31 Eine Änderung in dieser Hinsicht trat erst nach der Gründung der westdeutschen Bundesrepublik im Herbst 1949 ein. Im Zuge des sich von Jahr zu Jahr verschärfenden Kalten Kriegs galt danach in den meisten 38
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musiktheoretischen Schriften dieses Staats fast nur noch das Elitär-Modernistische und damit Massenabgewandte innerhalb der zeitgenössischen E-Musik, das sich gegen die als totalitaristisch ausgegebene Volksverbundenheit innerhalb der Musik des Ostblocks ausspielen ließ, als das ideologisch vordringlichste Leitkonzept. Den Vertretern dieser Richtung konnte es darum in der modernistischen E-Musik gar nicht elitär, formalistisch, experimentell, hermetisch genug zugehen. Je unverständlicher, hieß es in diesen Kreisen, desto besser. So griff etwa Theodor W. Adorno, der in den fünfziger Jahren schnell zu einem Hauptsprecher derartiger Tendenzen wurde, einerseits 1953 in seinem Aufsatz Gegängelte Musik die massenzugewandte Musikpolitik hinter dem »Eisernen Vorhang« an und wandte sich andererseits 1956 in seinem Aufsatz Kritik am Musikanten ebenso vehement gegen jeden Versuch, in Westdeutschland auf irgendwelche nationalen, jugendbewegten oder folkloristischen Musikvorstellungen zurückzugreifen. Für Volk, Masse oder Kollektiv hatten daher er und andere Vertreter dieser Richtung nur noch Verachtung übrig. Was man daher in den liberalistischen, auf nonkonformistisch konforme Weise mit der vorherrschenden Wirtschaftswundergesinnung übereinstimmenden musiktheoretischen Schriften dieser Jahre liest, war immer wieder das Lob jener modernistischen E-Musik, die sich bewusst von einem breiteren Publikum distanziere und damit ihren Beitrag im Kampf gegen das »Totalitäre« leiste. Dies sei die dem Zeitgeist entsprechende »Musica reservata«, wie es später mit hochmütiger Pose auf der letzten Seite von Hans Renners Geschichte der Musik hieß. In Melos wurde sie als die »Musik für die ›happy few‹« hingestellt, die nur der Kunst »dienen« wollen.32 Hans Heinz Stuckenschmidt schrieb 1955, dass alle große Musik stets »esoterisch«, ja, »nutzlos« gewesen sei und darum in den »elfenbeinernen Turm« gehöre.33 Und auch Adorno beteuerte damals geradezu unentwegt, dass sich jede anspruchsvolle Musik dem Prinzip des Elitären verschreiben müsse. Nur indem sie sich freiwillig in die Isolierung begebe und lediglich das »Abweichende« als ihr höchstes Kriterium anerkenne, leiste sie das, was die höher Gebildeten von ihr erwarteten, wobei er sich gern auf jene Maxime Arnold Schönbergs berief, der 1945 in einem 39
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Brief an William S. Schlamm geschrieben hatte : »If it is art, it is not for the masses. If it is for the masses, it is not art.«34 Es nimmt daher nicht wunder, dass in den frühen fünfziger Jahren von fast allen modernistisch eingestellten Musikkritikern gerade die Musik eines Schönberg, die Adorno bereits 1949 als die einzige »Flaschenpost« zu noch ungeahnten Ufern bezeichnet hatte,35 neben der noch strenger durchformalisierten Musik seines Schülers Anton Webern als das maßgebliche Vorbild einer bewusst elitären und damit antiöstlichen Musik propagiert wurde. Und die Wirkung dieser theoretischen Proklamationen blieb auch nicht aus. Vor allem im Bereich der zwölftönigen, seriellen, punktuellen, informellen, neodadaistischen, konkreten, aleatorischen und elektronischen Musik kam es dadurch in der frühen BRD zu einem immer größer werdenden Intonationsschwund und damit einer zunehmenden Abstraktheit. Wie die gegenstandslose Malerei, die 1959 auf der II. Kasseler »documenta« ihren endgültigen Triumph der »Balken, Kreise und Striche« feiern konnte, verlor daher auch diese Art von Musik die letzten Skrupel, irgendwelche Konzessionen an die Tonalitäts- oder Melodieerwartungen der meisten Konzertbesucher, Radiohörer oder Schallplattenkäufer zu machen. Dass gerade diese Musik eine lebhafte Unterstützung von Seiten der öffentlichen Hand wie auch vermögender privater Mäzene erfuhr, beweist, dass man sie in diesen Schichten, wie auch die abstrakte Malerei, nicht mehr als antifaschistisch, sondern als antikommunistisch verstand und daher selbst ihre bizarren Klangwelten, obwohl man sie zum Teil ästhetisch keineswegs goutierte, als Promotor neoliberaler Innovationstendenzen im Rahmen der gleichzeitig stattfindenden technologischen Modernisierungsbemühungen durchaus begrüßenswert fand. Hanns Eisler hatte daher schon 1951 in seinem in Ostberlin formulierten Brief nach Westdeutschland durchaus Recht, dass dies lediglich eine Musik kleiner »Cliquen, Sekten, Adepten und Zirkel« sei,36 die darauf verzichtet habe, sich in den Dienst einer allgemeinen gesellschaftlichen Veränderung in Richtung auf soziale Verbindlichkeit zu stellen. Ja, selbst Theodor W. Adorno fand schließlich 1955 in seinem Essay Das Altern der Neuen Musik, dass sich in den Kompositionen 40
Zur kulturpolitischen Situation in Westdeutschland nach 1945
vieler zwölftönerischer Schönberg- und Webern-Epigonen zusehends eine »Akkommodation an den Zeitgeist« manifestiere.37 Dass Adorno dabei als Ausflucht aus dieser Sackgasse lediglich die Forderung einer forcierten Subjektivität beschwor, beweist allerdings, dass selbst er im Bezugsfeld einer derartigen Kritik keineswegs von seiner neoliberalen Haltung abwich, indem er – in Übereinstimmung mit dem von ihm abgelehnten »Massengeschmack« – jede gesamtgesellschaftliche Verantwortlichkeit von Kunst weiterhin strikt ablehnte.38
VI Doch kommen wir im Rahmen der bisher angestellten kulturpolitischen Erwägungen im Hinblick auf die ideologische Funktionalität der drei E-Kultur-Künste in der unmittelbaren Nachkriegszeit und dann der frühen Bundesrepublik endlich zu der in diesem Zeitraum publizierten anspruchsvollen Literatur, der das Hauptinteresse dieses Buchs gilt. Obwohl sich in ihr, wie bereits ausgeführt, aufgrund ihres künstlerischen Materials, nämlich der auch im Alltag verwendeten Sprache, ihre Gestaltungsmittel – im Gegensatz zur Malerei und Musik – nur auf eine geradezu undichterische Weise einfach in abstrakte Farb- und Klangkomplexe umwandeln ließen, um sich mit antiöstlicher Tendenz zu einer subjektiven Verfreiheitlichung bekennen zu können, wollten auch in ihr eine Reihe »avantgardistisch« eingestellter Autoren dieser Ära keineswegs hinter dem vielfach verkündeten Innovationsschub in den anderen E-Künsten zurückstehen. Es gab daher selbst in diesem Bereich einige Modernisten, die sogar die Sprache zusehends von der Bedeutungsebene der Realität abzuheben versuchten, um ihr auf diese Weise den Anschein einer formalen Eigensinnigkeit zu verleihen. In derartigen Werken lässt sich deshalb im Laufe der fünfziger Jahre eine merkliche Lockerung der thematisch-motivlichen Verknüpfungszusammenhänge zugunsten einer die vorgegebene Inhaltsbezogenheit isolierenden, fragmentierenden, ja, ins Irrationale transponierenden Darstellungsweise beobachten, die sich als »autark« verstand. In ihnen war also die Sprache nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern wurde sich selbst zum Zweck. Im Gegensatz zu 41
Vorwort
jenen Dramen, Romanen und Gedichten nach 1945, die zum Teil noch im Zeichen politischer, humanistischer oder religiöser Zielsetzungen gestanden hatten, machte sich damit sogar in der anspruchsvollen Literatur nach 1950 auch eine Richtung bemerkbar – obgleich wesentlich kleiner als in den bildenden Künsten und der Musik –, die sich dem modernistischen Trend ins Formalistisch-Innovationistische anschloss und schließlich zu einer Wortverkultung neigte, welche in ihrem Autonomiestreben den konkreten Sinnbezug der Sprache weitgehend zu verdrängen versuchte. Zu den Vertretern einer derart betont artistischen Schreibweise gehörten damals vor allem so unterschiedliche Autoren wie Hans Carl Artmann, Chris Bezzel, Reinhard Döhl, Ferdinand Kriwet und Franz Mon. Statt sich wie die Proponenten älterer ins Modernistische tendierender Avantgardebewegungen entweder mit der verhängnisvollen Vergangenheit auseinanderzusetzen oder den Missständen ihrer eigenen Zeit entgegenzutreten, das heißt neue politische oder soziale Postulate aufzustellen, beschränkten sie sich wie die Formalisten innerhalb der abstrakten Malerei oder die Vertreter der schönbergisierenden Musik weitgehend auf den Materialcharakter der sprachlichen Ausdrucksmittel, den sogenannten absoluten »Text«. Als Theoretiker dieser Richtung machte damals vor allem Max Bense von sich reden, der 1960 in seiner Schrift Programmierung des Schönen erklärte, dass es in einer ihres innovationistischen Charakters bewussten Literatur nicht mehr primär um das »Wahrnehmen«, sondern um das »Machen« gehe.39 Am deutlichsten äußerte sich diese Tendenz in der Lyrik der fünfziger Jahre, die als eine besonders subjektivistisch-elitäre Gattung galt und für die sich vor allem Zeitschriften wie Akzente, Augenblick, Fragmente, Das Lot, Material, Nota, Profile und Spirale einsetzten. Doch fast noch nachhaltiger war der Einfluss Gottfried Benns innerhalb dieser Richtung, der in seiner Schrift Probleme der Lyrik schon 1951 mit untergründiger Westberliner Frontstadtgesinnung behauptete, dass es in Gedichten nicht um Politisches oder Soziales, sondern lediglich um faszinierend montierte »Worte« gehe.40 Als die extremste Spielart dieser sprachlichen Abstraktheit galt danach jene Lyrik, die sich als »Konkrete Poesie« ausgab, welche aus dem Artistischen 42
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Abb. 8 Eugen Gominger : schweigen (1953)
zusehends ins Spielerische, Konstellative oder bewusst Unsinnige überging und die Eugen Gomringer 1955 in seinem Manifest vom vers zur konstellation bezeichnenderweise mit den geometrisierenden Quadratbildern eines Josef Albers verglich. Doch so vehement solche Programme auch verkündet wurden, letztlich blieben sie, wie gesagt, nur von kleinen Cliquen beachtete Randerscheinungen. Mochten sie auch in der Lyrik zum Teil die gewünschten Ergebnisse haben, auf literarische Großformen wie den Roman oder das Drama griffen sie kaum über. In diesen Gattungen kam daher der sogenannte »Zeitgeist«, ob nun in religiös-restaurativer, nationalistischer oder antikommunistischer Weise, wesentlich unverhüllter zum Ausdruck als in bewusst ungegenständlichen Gemälden, bizarren Tongebilden oder artistisch-elitären Gedichten, die sich lediglich durch ihren als subjektivisch ausgegebenen Formalismus zu der durch den Kalten Krieg ausgelösten »Verwestlichung« bekannten. Und zwar lassen sich dabei, was ihre ideologische Ausrichtung im Hinblick auf die »unbewältigte Vergangenheit« betrifft, mindestens drei Richtungen unterscheiden. 43
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Da wäre erst einmal jenes Schrifttum, das sich in seiner Bevorzugung religiöser, allgemein-menschlicher oder existentialistischer Themenstellungen als eine Fortsetzung der Literatur der Inneren Emigration verstand. Ihre Vertreter bildeten die Mehrheit der offiziellen bis offiziösen Autoren dieser Ära, die geradezu unentwegt mit den landläufigen Ehrungen und Preisen bedacht wurden. Zu ihr gehörten vor allem die Dichter aus der immer noch nachwirkenden George-, Hofmannsthal- und Weinheber-Tradition, die existentialistisch eingestellten Kreise, die nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, wie Martin Heidegger, jedes Sicheinlassen in die Zeit als einen Weg in die »Irre« verteufelten, sowie die geradezu unübersehbare Fülle katholischer und protestantischer Autoren, die sich um Zeitschriften wie Begegnung, Eckart, Hochland, Die neue Ordnung oder Welt und Wort scharte. Im Sinne ältester bürgerlicher Traditionen favorisierten diese Kreise, zu denen so unterschiedliche Autoren und Autorinnen wie Werner Bergengruen, Ernst Wilhelm Eschmann, Hans Egon Holthusen, Elisabeth Langgässer, Gertrud von Le Fort, Wilhelm Lehmann, die Gebrüder Jünger, Rudolf Alexander Schröder, Fritz Usinger und Ernst Wiechert gehörten, eine Literatur, die in erster Linie Trost und Heilung spenden sollte, das heißt welche sich – im Gegensatz zu den betont antifaschistischen Bekenntnissen der ersten Nachkriegsjahre – jeder »Verheutigung« entzog und in eine Welt des Märchenhaften, Mythischen, Naturhaften, Archetypischen oder Metaphysischen auszuweichen versuchte. Kurzum, die meisten von ihnen traten für eine Literatur ein, die über das Vergangene einfach Gras wachsen ließ, statt sich mit den Gräueltaten der Vergangenheit und der damit verbundenen Schuldfrage auseinanderzusetzen. In ihr herrschte darum weitgehend der Gestus des Vertuschens, ja, des Verschweigens vor, der auf jenen »Stern über der Lichtung« vertraut, dessen Licht auch dem ärgsten Sünder den Weg zu den ewigen Ordnungen des Seins zu weisen versucht. Doch nicht alle Konservativen boten ihren Lesern und Leserinnen lediglich die beliebte »Milch der frommen Denkungsart« an. Bei der von den westdeutschen Führungsschichten propagierten »Politik der Stärke« konnte es nicht ausbleiben, dass sich in diesen Jahren auch jene Autoren, 44
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die nach 1945 erst einmal geschwiegen hatten, zusehends in den Dienst jener »abendländischen Mission« zu stellen suchten, wie sie vor allem von Konrad Adenauer, Heinrich von Brentano, Josef Kardinal Frings und ähnlichen Würdenträgern dieser Ära, manchen Beiträgern der Zeitschrift Der Monat, den Mitgliedern des Lippoldsberger Kreises um Hans Grimm oder antikommunistischen Organisationen wie der »Aktion Freiheit«, der »Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus«, dem »Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür«, der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«, der »Notverwaltung des deutschen Ostens« oder dem »Stoßtrupp gegen bolschewistische Zersetzung« propagiert wurden. In der Literatur dieser Gruppe und den sie flankierenden Pamphleten wurde daher kein Trost gespendet, sondern rücksichtslos gegen die gottlosen, alle höheren Werte nivellierenden Sowjets vom Leder gezogen. Hier herrschte ein klares Freund-Feind-Schema. Auf der einen Seite standen in solchen Schriften die furchtlosen Verteidiger der westlichen Freiheit, auf der anderen jene asiatischen Unmenschen, die in ihrer Charakterisierung noch immer an das Klischee der »gelben Gefahr« gemahnten. Dafür sprechen vor allem die Romane von Edwin Erich Dwinger, Erik von Kuehnelt-Leddihn und Curt Riess, die Kriegsromane von Heinz G. Konsalik sowie jene Landser-Hefte des Pabel-Verlags, in denen die Deutschen nach wie vor gen Ostland reiten, sich in heldenhaften Absetzmanövern bewähren oder als Kriegsgefangene von den »Untermenschen des Ostens« aufs Grausamste gequält werden. Wer dagegen als Einzelner oder im Rahmen der »Gruppe 47« auch literarisch weiterhin Themen der nazifaschistischen Gräueltaten und ihrer Widersacher aufzugreifen versuchte, hatte in diesem Zeitraum von vornherein einen schweren Stand. Schließlich war der Widerstand gegen das Dritte Reich – von der Geschwister-Scholl-Gruppe und den Männern vom 20. Juli 1944 einmal abgesehen – fast weitgehend von jenen »Linken« erfolgt, die jetzt in Frontstellung gegen die als »Sowjetzone« verteufelte DDR erneut auf der ideologischen Schusslinie standen. Als daher 1956 in der Bundesrepublik die Kommunistische Partei verboten wurde, kam es in der Öffentlichkeit kaum zu Gegenreaktionen. Im Gegenteil, schon ein Jahr später gewann die 45
Vorwort
CDU/CSU-Regierung trotz zahlreicher Proteste gegen die von ihr durchgesetzte Remilitarisierung aufgrund der herrschenden Wirtschaftswundergesinnung bei den anstehenden Bundestagswahlen erstmals die absolute Mehrheit und fühlte sich demzufolge durchaus berechtigt, nicht mehr auf die Verfehlungen der Vergangenheit zurückzublicken, sondern ihren militanten Kurs gegen den Osten ungestört fortzusetzen.41 Deshalb sollte man im Hinblick auf die BRD der fünfziger Jahre nicht nur weiterhin darauf hinweisen, dass es in ihr zu keiner ideologischen Bewältigung des Nazifaschismus kam, sondern dass diese »fünfziger Jahre« selber ein Teil dieser unbewältigten Vergangenheit sind, was sich sowohl in vielen ihrer politischen Verlautbarungen als auch ihren hochkulturellen Manifestationen im Bereich der Malerei, Musik und Literatur, wenn auch auf höchst verschiedene Weise, widerspiegelt.
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Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman. Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947 und seiner Wirkung auf den in die USA übergesiedelten Thomas Mann »I give him everything I possibly can, and ask for nothing in return, noblesse oblige, he won’t try to annex anything and will work with me for a world of democracy and peace.« (Franklin D. Roosevelt über Stalin im Jahr 1943 nach der Konferenz in Teheran)
I Als am 8. Mai 1945 die Reste des deutschen Generalstabs in Berlin-Karlshorst die Gesamtkapitulation des Dritten Reiches unterzeichneten, verbreitete sich in der gesamten Welt ein Gefühl der Erlösung. Nach jahrelangen Kämpfen an den verschiedensten Fronten, die über 50 Millionen Opfer gefordert hatten, schien endlich eine Zeit der Ruhe und des Friedens einzukehren. Allerdings mischten sich in diese Freude auf Seiten der Alliierten immer wieder heftige Affekte gegen die »Deutschen« schlechthin, deren Gräueltaten – vor allem nach der Entdeckung der nazifaschistischen Konzentrations- und Vernichtungslager – erst jetzt in ihrem vollen Ausmaß erkannt und von der Weltpresse angeprangert wurden. Und damit stellte sich für viele Menschen zum ersten Mal die Frage, was mit den geschlagenen Deutschen zu geschehen habe : ob sie eine kollektive Schuld auf sich nehmen müssten, ob man ihnen zubilligen solle, dass ein Teil von ihnen in einer ehrenwerten »Inneren Emigration« gelebt habe, ob sich die aus Deutschland geflüchteten Politiker, Akademiker und Schriftsteller zur Umerziehung der im Dritten Reich Verbliebenen einsetzen ließen, ob man 47
Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman
die Deutschen aus dem Kreis der gesitteten Völker ausschließen solle sowie andere solcher Konzepte. Nur wenige, die sich mit derartigen Problemstellungen auseinandersetzten, wussten, dass im Hinblick auf diese Fragen Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin bereits zwischen Januar 1943 und Februar 1945 auf den verschiedenen Konferenzen in Casablanca, Teheran und Jalta alle entscheidenden Weichen einer künftigen Deutschlandpolitik gestellt hatten. Ihre Vereinbarungen, die eine strenge Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Entkartellisierung vorsahen, brauchten daher im August 1945 in Potsdam von Harry S. Truman, Clement Richard Attlee und Josef Stalin nur noch unterschrieben zu werden und konnten kurz darauf in Kraft treten. Und damit schien zu diesem Zeitpunkt, als zwischen den drei Siegermächten noch ein relativ gutes Einvernehmen bestand, eine Entscheidung gefallen zu sein, die zwar manches in der Schwebe ließ, aber doch eine Generallinie erkennen ließ : nämlich die Bewohner des deutschen Restterritoriums strengen Vergeltungsmaßnahmen zu unterwerfen, ihnen aber nicht die Chance zu nehmen, sich zu gegebener Zeit am Aufbau eines neuen, sich von seiner NS-Vergangenheit distanzierenden Deutschlands zu beteiligen. Während sich sowohl die britische als auch die sowjetische Regierung zu Anfang relativ eng an die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens hielten, zeichneten sich in der amerikanischen Außenpolitik schon 1946/47 deutliche Divergenzen ab, in denen sich die inneren Konflikte in der US-Führungsspitze widerspiegelten. Schließlich gab es hier – etwas vereinfacht gesprochen – bereits seit 1943 drei Einstellungen Deutschland gegenüber : 1. einen »harten« Kurs, der vor allem vom Gesichtspunkt der Bestrafung ausging, das heißt die Deutschen wegen ihrer offenbar nicht zu zügelnden Aggressivität so stark entmachten wollte, dass sie nie wieder die Fähigkeit zur Entfesselung eines neuen Weltkriegs haben würden, 2. einen »mittleren« Kurs, der zwar auch harte Maßnahmen zur Bestrafung Deutschlands für richtig hielt, aber dieses Land nach einem langen Prozess der Umerziehung wieder in den Kreis der friedliebenden Nationen aufzunehmen gedachte, sowie 3. einen »weichen« Kurs, der auf einer sofortigen politischen und 48
Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947
Abb. 9 Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin auf der Konferenz in Jalta (Februar 1945)
wirtschaftlichen Stärkung Deutschlands bestand, um dieses Land so schnell wie möglich in ein »Bollwerk gegen den Kommunismus« zu verwandeln. Bei den Vertretern des »harten« Kurses handelte es sich um eine höchst gemischte Gruppe aus alten Deutschenhassern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, zu Recht verbitterten Juden sowie jenem Industriellenkonsortium, das Deutschland ein für alle Mal als Konkurrenten auf dem Weltmarkt ausschalten wollte. Aufgrund dieser Zusammensetzung waren die Vorschläge, welche diese Richtung auf publizistischer Ebene machte, notwendig recht verschieden. Sie reichten von Dekreten zur Aufteilung Deutschlands in mehrere Staaten, der Demontage aller größeren Fabrikanlagen, einer Neuverteilung des Grundbesitzes bis hin zur Aussiedlung, biologischen Umzüchtung oder Sterilisierung sämtlicher Deutschen, um so den Begriff »German« für alle Zeiten aus den Blättern der Geschichte 49
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zu tilgen.1 Und wie im Ersten Weltkrieg, als man die Deutschen als »Hunnen« verteufelt hatte, standen große Teile der amerikanischen Bevölkerung, wie sich aus einschlägigen Meinungsbefragungen ersehen lässt, anfangs durchaus hinter diesem Kurs. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass auch die amerikanische Regierung, zumal 1944 ein Wahljahr war, zu diesem Zeitpunkt weitgehend den populären »harten« Kurs unterstützte. So sprach sich Franklin D. Roose velt, der den Deutschen, dieser »monstrous nation«, wie er sie nannte, ohnehin misstraute,2 1943 und 1944 mehrfach für einen »harten« Frieden aus. Für ihn gab es damals kein »anderes Deutschland«, kein Deutschland der Widerstandskämpfer und der Inneren Emigration, sondern nur ein Deutschland, nämlich das der Nazifaschisten. Er wurde in dieser Sicht vor allem von seinem Berater Bernard Baruch unterstützt, der wie er dieses Land für wesentlich gefährlicher als die Sowjetunion hielt und daher für eine massive militärische und ökonomische Unterstützung der UdSSR eintrat. Ebenso entschieden bekannten sich Sumner Welles, Roosevelts Under Secretary of State, und Henry Morgenthau, sein Secretary of the Treasury, zu diesem Kurs. Morgenthau und Harry Dexter White, einer seiner Under Secretaries, entwarfen daher schon 1943 ein Program To Prevent Germany from Starting a World War III, in dem sie für eine Aufteilung Deutschlands in mehrere Staaten, einen Abbau der dortigen Industrie, eine Umsiedlung großer Teile der deutschen Arbeiterschaft, eine Internationalisierung des Ruhrgebiets und eine von Frankreich, Polen und der Sowjetunion durchgeführte scharfe Kontrolle des »verbäuerlichten« Restdeutschlands eintraten.3 Solche Vorschläge erschienen damals vielen US -Bürgern und -Bürgerinnen keineswegs als extrem oder bizarr. Man nannte dieses Konzept allgemein das »Carthaginian peace settlement« – und viele US -Politiker fanden, dass Deutschland nach zwei Weltkriegen nichts anders verdient habe. Dieser »harte« Kurs galt gegen Ende des Krieges als der »liberale« und wurde neben Roosevelt, Baruch, Welles und Morgenthau auch von einflussreichen demokratischen Politikern wie Henry A. Wallace und Harry Dexter White unterstützt. 50
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Allerdings gab es im gleichen Zeitraum selbst in Roosevelts Kabinett schon Vertreter eines »mittleren« Kurses, die sich in aller Offenheit gegen derart drastische Maßnahmen aussprachen. Zwar setzten sich auch sie für eine harte Bestrafung der Deutschen ein, traten aber sowohl der Idee der Aufteilung Restdeutschlands in mehrere voneinander unabhängige Einzelstaaten als auch der Idee des totalen Abbaus der deutschen Industrie scharf entgegen. Zu ihren Hauptsprechern gehörten der Secretary of War Henry Stimson, sein Under Secretary John Jay McCloy, der Secretary of State Cordell Hull sowie James P. Warburg im Office of War Information, die zwar die Deutschen ebenfalls für äußerst »aggressiv« hielten, jedoch ihnen nach der Beendigung des Kriegs – fairerweise – eine letzte Chance geben w ollten. Auf Wunsch dieser Gruppe entließ Roosevelt im September 1944 den Under Secretary Sumner Welles und ersetzte ihn durch Edward R. Stettinius jr., der als Chairman des Post-War Programs Committee im August dieses Jahres eine Erklärung ausarbeitete, die sich gegen die Aufteilung Deutschlands aussprach, nur eine begrenzte Kontrolle der deutschen Wirtschaft befürwortete und nach einer kurzen Periode von Reparationsleistungen eine spätere Wiedereingliederung Deutschlands in die Weltwirtschaft vorsah. Durch das Auftreten dieser Kreise geriet Roosevelt im Herbst 1944 in eine etwas schwierige Situation. Obwohl er innerlich mehr zu der Morgenthau-Welles-White-Linie neigte und an einem weiteren Ausbau der guten Beziehungen zur Sowjetunion interessiert war, sah er an der scharfen Gegenreaktion, welche das Konzept des »Karthago«-Friedens in der konservativen Presse verursachte, dass die auf einen antisowjetischen Kurs und damit eine Restitution des Kapitalismus in Deutschland drängenden Kreise eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Anhängerschaft hatten. Roosevelt taktierte deshalb in den Wochen vor seiner Wiederwahl im November 1944 in diesem Punkte etwas vorsichtiger. Er hielt zwar weiterhin an der Kollektivschuldthese fest und erklärte : »The German people as a whole must have it driven home to them that the whole nation has been engaged in a lawless conspiracy against the decencies of modern civilization«, betonte aber ebenso offen, dass es nicht seine Absicht sei, »to enslave the German people« oder 51
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»to harm the common people of the Axis nations«.4 Ja, im Dezember 1944 schrieb er sogar, dass es Deutschland nach dem Kriege erlaubt sein sollte, »to come back industrially to meet her own needs«.5 Allerdings müssten sich die Deutschen, wie er immer wieder einschränkend hinzufügte, ihre Rückkehr »into the fellowship of peaceloving and law-abiding nations« schwer verdienen.6 Aufs Große und Ganze gesehen bemühte sich also Roosevelt nach seiner Wiederwahl um eine Vermittlung zwischen Morgenthau und Stettinius, den er am 1. Dezember 1944 anstelle des schwer erkrankten Cordell Hull zum neuen Secretary of State ernannte. Und diesen Kurs behielt er bis zu seinem Tod am 12. April 1945 bei. Die dritte Richtung, die »weiche« Deutschland-Politik, wurde anfänglich vor allem von den Wortführern der republikanischen Opposition vertreten. Diese Kreise, die ideologisch noch immer Herbert Hoover nahestanden, hatten sich sowohl gegen die diplomatische Anerkennung der UdSSR, die New-Deal-Politik Roosevelts, die Kriegspartnerschaft mit der Sowjetunion im Kampf gegen Nazi-Deutschland als auch gegen alle anderen Übel der sogenannten Red Decade gesperrt. Ja, auf ihrem rechten Flügel waren immer wieder Stimmen laut geworden, sich aus den europäischen »Wirren« entweder isolationistisch herauszuhalten oder sich gar mit den Nazifaschisten gegen die Sowjetunion zu verbünden. In der New-Deal-Periode und dem Zweiten Weltkrieg sahen sie daher nur ein »demokratisches« Zwischenspiel, auf das nach dem Ende der Feindseligkeiten wieder die Rückkehr zur Normalität, nämlich den früheren Taktiken des Kalten Kriegs gegen die Sowjetunion folgen müsse. Zu den Hauptvertretern dieses Kurses gehörten neben einigen Wall-Street-Größen vor allem John Foster Dulles, General George S. Patton und ein republikanischer Senator wie Arthur H. Vandenberg, welche Roosevelts Hoffnung auf einen durch die Vereinten Nationen garantierten Weltfrieden als idealistisches Gewäsch zu entlarven suchten. Nach dem Tod Roosevelts und dem siegreichen Ende des Zweiten Weltkriegs bekamen diese Kreise allmählich Oberwasser und entfesselten eine immer intensiver werdende Medienkampagne gegen die UdSSR und den Kommunismus, die im November 1946 zum Sieg der Republikaner bei 52
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den Kongresswahlen beitrug. Auch der neue Präsident Harry S. Truman bekannte sich als Hauptvertreter der Demokratischen Partei seit Ende 1946 in aller Offenheit zu diesem Kurs. Das Gleiche taten die meisten Mitglieder seines Kabinetts wie Dean Acheson, George C. Marshall und James F. Byrnes. Noch stärker profilierten sich selbstredend die Republikaner bei diesem antikommunistischen Backlash, unter ihnen Joseph McCarthy, Richard M. Nixon, Robert E. Stripling und J. Parnell Thomas, deren wichtigste Plattform bei dieser Kommunistenhetze das House Committee on Un-American Activities wurde. All das führte bekanntlich zur Truman-Doktrin, zur Containment Policy, zum Koreakrieg und schließlich zur Wahl des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Dwight D. Eisenhower im Jahr 1952. Im Gefolge dieser Entwicklung konnte es nicht ausbleiben, dass sich das Bild der Deutschen, das 1944/45 in den amerikanischen Medien noch einen eindeutig negativen Charakter hatte, ja, zum Teil ins Dämonische, wenn nicht gar ins Teuflische übergegangen war, in der Folgezeit allmählich aufhellte. Während Roosevelt in den Deutschen weitgehend Nazis gesehen hatte, wurde jetzt immer stärker zwischen den NS-Verbrechern und der Mehrheit des deutschen Volks unterschieden, welche die führenden Schichten in den USA für eine aktive Politik gegen den »Osten« zu gewinnen versuchten und der sie in der von ihnen 1949 gegründeten BRD im Jahr 1955 sogar die Wiederbewaffnung erlaubten. Und so wandelten sich in der Imagebildung der konservativen amerikanischen Medien die bösen Deutschen zwischen 1947 und 1949 zusehends in die guten Deutschen, während sich das Bild der Sowjets im gleichen Zeitraum zusehends eindüsterte und so aus den guten Russen schließlich die bösen Russen wurden.7
II Fragen wir uns nun : Wie verhielten sich eigentlich die in die USA verschlagenen deutschen Exilanten zu diesem Kurswechsel innerhalb der amerikanischen Deutschlandpolitik zwischen 1943 und 1949 ? Der größte Teil der aus dem Dritten Reich wegen ihrer politischen Einstellung oder ihres Judentums Vertriebenen, die zwischen 1933 und 1945 in den Vereinigten 53
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Staaten Zuflucht gefunden hatten, teilte zuerst Roosevelts, wenn nicht gar Morgenthaus pauschale Verdammung aller im Dritten Reich Verbliebenen, schloss sich jedoch darauf in den späten vierziger Jahren der hauptsächlich von den Republikanern geförderten Unterscheidung zwischen den NS-Verbrechern und dem zwar verführten, aber zutiefst ehrenhaft gebliebenen deutschen Volk an. Eine Ausnahme bildeten in dieser Hinsicht lediglich die Kommunisten, die sich zwar seit dem Überfall der Hitler-Armeen im Juni 1941 auf die Sowjetunion ebenfalls auf die Seite Roosevelts gestellt hatten, jedoch eine Totalverdammung des deutschen Volkes von Anfang an entschieden ablehnten. Sie hielten in den Jahren zwischen 1941 und 1945, obwohl es in dieser Zeit – im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg – nicht zu jener von ihnen erhofften Auflehnung der aus dem Proletariat stammenden deutschen Soldaten kam, die 1918 zur Novemberrevolution geführt habe, weiterhin an der These fest, dass sich nach einem Sieg der Alliierten die Mehrheit der Deutschen sicher schnell für die Sache des Friedens, der Demokratie, ja, vielleicht sogar des Sozialismus gewinnen ließe. Doch die in die USA geflohenen deutschen Kommunisten konnten sich mit solchen Vorstellungen bei den verschiedenen Exilanten-Organisationen aus zweierlei Gründen nicht durchsetzen. Erstens wurden sie vom Federal Bureau of Investigation (FBI ) ständig überwacht und dadurch zum Teil eingeschüchtert,8 zweitens machten sich in allen Organisationen, die eine »positive« Haltung gegenüber der Mehrheit des deutschen Volks vertraten, auch deutschnationale Tendenzen bemerkbar, die in ihrer patriotischen Haltung manchmal eine fatale Nähe zur NS -Ideologie aufwiesen.9 Aus diesem Grunde brach das Bündnis zwischen den verschiedenen Vertriebenengruppen, das sich Anfang 1944 in den USA unter der Leitung des Theologen Paul Tillich im »Council for a Democratic Germany« zusammengefunden hatte, schon nach einem Jahr auseinander. Die »Bürgerlichen«, darunter Thomas Mann, zogen sich wegen der Beteiligung der Kommunisten wieder aus ihm zurück,10 manchen deutschen Juden erschien dieses Council zu pangermanisch, ja, »geradezu ekelerregend im Übergehen der Schandtaten, die das deutsche Volk in seiner Gesamtheit begangen hat«,11 54
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während Albert Schreiner, der Leiter der kommunistischen Fraktion, in den Verlautbarungen dieser Gruppe irgendwelche konkreter ausgeführten Pläne für eine Neuordnung der deutschen Nachkriegswirtschaft vermisste und daher das Ganze für hoffnungslos idealistisch hielt. Nicht viel anders erging es dem »Nationalkomitee Freies Deutschland«, das ab Herbst 1943 in den USA aktiv wurde. Auch an ihm beteiligten sich anfangs Politiker, Autoren und Wissenschaftler verschiedenster ideologischer Herkunft. Wie im »Council for a Democratic Germany« kam es auch hier schnell zu gravierenden Meinungsunterschieden. So fand zwar am 1. August 1943 in Los Angeles ein Treffen mehrerer Sympathisanten dieses Komitees statt, an dem unter anderem Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Heinrich Mann, Thomas Mann, Ludwig Marcuse, Hans Reichenbach und Berthold Viertel teilnahmen, die sich anfänglich auf eine Erklärung einigten, scharf »zwischen dem Hitlerregime und den ihm verbundenen Schichten einerseits und dem deutschen Volk andererseits« zu unterscheiden und zugleich das deutsche Volk aufzurufen, »seine Bedrücker zu bedingungsloser Kapitulation zu zwingen und eine starke Demokratie in Deutschland zu erkämpfen«.12 Doch Thomas Mann zog schon am nächsten Tag seine Unterschrift wieder zurück, da ihm eine solche Erklärung zu »patriotisch« erschien und man mit ihr der amerikanischen Regierung »in den Rücken falle«. Wie Roosevelt, Welles und Morgenthau hielt es Mann zu diesem Zeitpunkt noch für durchaus angebracht, wenn die »Alliierten Deutschland zehn oder zwanzig Jahre züchtigen« würden.13 Ja, er fühlte sich in dieser Einstellung mehr als bestätigt, als er im Oktober 1943 in einem Gespräch mit dem Under Secretary Adolf A. Berle in Washington erfuhr, dass die amerikanische Regierung solche vorschnellen »Reconstruction«-Pläne keineswegs begünstige und daher auch eine deutsche Exilregierung nicht anerkennen würde.14 Allein die Tatsache, dass lediglich Thomas Mann solche Gespräche in Washington führen konnte, weist auf seine Sonderrolle innerhalb der deutschen Vertriebenen in den USA hin. Nur er, der Dean der German Exile Groups, wie manche ihn nannten, hatte innerhalb der amerikanischen 55
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Führungsschichten ein Ansehen, das sogar Franklin D. Roosevelt beeindruckte. Thomas Mann war diese Rolle aus mehreren Gründen zugefallen : 1. durch den ihm 1929 verliehenen Nobelpreis für Literatur, 2. durch die Tatsache, dass seine Bücher in den Vereinigten Staaten von dem prominenten Verleger Alfred A. Knopf in Übersetzungen herausgegeben wurden, 3. durch seine erste USA-Reise im Sommer 1934, wo er bei seiner Ankunft in New York von dem Bürgermeister Fiorello H. La Guardia höchstpersönlich begrüßt wurde und anschließend an der Yale University und im Radio Ansprachen hielt, 4. durch seine zweite Reise in die Vereinigten Staaten im Sommer 1935, wo ihm die Harvard University zusammen mit Albert Einstein die Ehrendoktorwürde verlieh und er mit Frau von Roosevelt im Weißen Haus empfangen wurde, 5. durch seine 1936 publizierten Erklärungen gegen das Dritte Reich und die darin ausgesprochene Solidarisierung mit anderen aus Deutschland Vertriebenen, 6. durch die dritte Amerika-Reise im Sommer 1937 auf Einladung der New School for Social Research in New York, bei der er anlässlich einer Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus eine Rede hielt, und schließlich 7. durch eine ausgedehnte Vortragsreise innerhalb der USA vom Februar bis Anfang Juli 1938, während der sich Mann zur offiziellen Einwanderung in dieses Land entschloss, ein Ehrendoktorat der Columbia University in New York erhielt und zugleich vom Präsidenten der Princeton University aufgefordert wurde, eine Professur als Lecturer in the Humanities zu übernehmen. Aufgrund dieses Angebots siedelten die Manns im September 1938 endgültig in die Vereinigten Staaten über, wo sie ihr Domizil bis 1941 in Princeton und anschließend in Pacific Palisades in Kalifornien aufschlugen. Während dieser Zeit hielt Thomas Mann im Mai 1939 eine vielbeachtete Rede auf dem Weltkongress der Schriftsteller in New York und publizierte im gleichen Jahr den sich zum goethezeitlichen Humanismus bekennenden Roman Lotte in Weimar. Daraufhin konzipierte er im Laufe des Kriegs für die British Broadcasting Corporation (BBC ) 55 antifaschistische Ansprachen, die 1945 unter dem Titel Deutsche Hörer ! Radiosendungen auch im Druck erschienen und in denen er den Deutschen ihre 56
Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947
Abb. 10 Thomas Mann und Albert Einstein in Princeton (1938)
kaum wiedergutzumachende Schuld vorhielt, während er das »große freie Land« Amerika als Vorbild wahrer Humanität pries. 1941 wurde Mann ein zweites Mal mit Frau von Franklin und Eleanor Roosevelt ins Weiße Haus eingeladen. 1942 verfasste er die politischen Essays How to Win Peace, Order of the Day und Warum ich Deutschland verließ. 1943 begann er mit der Arbeit an seinem Roman Doktor Faustus, in dem er das Problem der deutschen Schuld auch auf philosophisch-ästhetischer Ebene behandeln wollte. 1943 erschien sein Roman Joseph, der Ernährer, der trotz der in biblischer Vergangenheit spielenden Handlung wie ein Loblied auf Roosevelts New-Deal-Politik wirkt. Und im Februar/März 1945 schrieb Mann schließlich seinen Essay Deutschland und die Deutschen, in dem er seiner Einstellung zur »deutschen Frage« endlich einen überzeugend formulierten Ausdruck zu geben versuchte. 57
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In diesem Essay konfrontierte Mann, der wenige Monate zuvor US-Bürger geworden war,15 seine neue amerikanische Weltbürgereinstellung mit jenem grübelnd-tiefsinnigen, tragisch-umwitterten, musikalisch-verinnerlichten und zugleich teuflisch-grobianischen deutschen Geist, ohne sich dabei ausschließlich vom Gedanken einer Kollektivschuld seiner ehemaligen Landsleute leiten zu lassen. In diesem Punkte folgte er dem von Roosevelt bis zu dessen Tod am 12. April gebilligten Kurs einer zwar harten Bestrafung, aber nicht völligen Dezimierung Deutschlands, wie sie Morgenthau vorgeschlagen hatte. Und zwar hielt Thomas Mann diesen Vortrag am 20. Mai 1945 im Coolidge Auditorium der Library of Congress unter Anwesenheit führender amerikanischer Politiker und Journalisten, ja, hatte am folgenden Tag sogar noch ein Gespräch mit dem Under Secretary of State Sumner Welles, mit dem er Pläne für ein künftiges Deutschland erörterte.16 Was manche Amerikaner bei diesem Vortrag und den sich daran anschließenden Gesprächen verwunderte, war vor allem Manns These, dass man nicht einfach zwischen einem »guten« und einem »bösen« Deutschland unterscheiden könne, sondern dass das eine untrennbar mit dem anderen verbunden sei, ja, noch zugespitzter gesagt, »dass das böse zugleich das gute sei, das gute auf Irrwegen und im Untergang«.17 Mit dieser These, die ihn gleichzeitig auch als Zentralthema in seinem Doktor Faustus beschäftigte, wollte sich Mann, nun da der Krieg zu Ende war, sowohl von einer vorschnellen Aufwertung als auch von einer ebenso vorschnellen Pauschalverdammung alles Deutschen distanzieren. Schließlich seien Adolf Hitler und seine Mannen sowie die mit ihnen sympathisierenden deutschen Bildungsbürger keine kulturlosen Gangster gewesen, sondern hätten selbst Genies wie Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, denen sich auch er zutiefst verbunden fühle, ihren Tribut gezollt, wie Mann bereits 1939 in seinem Essay Bruder Hitler beschämt zugegeben hatte. So komplex dieser Vortrag auch angelegt war und wie weit er auch in die deutsche Geschichte zurückgriff, ja, bereits die These eines deutschen »Sonderwegs« aufstellte, eins fehlte diesmal völlig, und das war eine konkrete Analyse jener politischen, ökonomischen und sozialen Voraussetzungen, 58
Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947
welche in der Weimarer Republik dem Nazifaschismus zum Sieg verholfen hatten. Wie in seinem Doktor Faustus unterschlug Thomas Mann auch in diesem Vortrag, was er noch wenige Jahre zuvor in seiner Rede vor dem American Rescue Committee (1941) und dem Essay Schicksal und Aufgabe (1943) als das Wesen des deutschen Faschismus herausgestellt hatte : nämlich eine besonders aggressive Form der Kapitalherrschaft zu sein, die in Hitler einen idealen »Bändiger der Arbeiter« und damit ein »Bollwerk gegen alles, was man Bolschewismus nannte«, gesehen habe und die darum selbst von den Interessenvertretern des Kapitals in den westlichen Demokratien gefördert worden sei.18 Stattdessen setzte er jetzt den Nazifaschismus – in Klage und zugleich Selbstanklage – immer stärker mit jenen Wesenszügen des Deutschtums schlechthin in Beziehung, die er bereits 1918 in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen herausgestellt hatte. So gesehen ist diese Rede zugleich Ausdruck eines unverhohlenen Leidens an Deutschland, dem sich Thomas Mann als seinem Heimatland weiterhin zutiefst verbunden fühlte. Hier sprach nicht einer, der es stets besser wusste und sich darum über die anderen erheben wollte, sondern einer, der zwar Deutschland verlassen und sich für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit entschieden hatte, aber vor seinen neuen Landsleuten nicht verleugnete, dass er zugleich ein Deutscher geblieben sei, dem das Schicksal seines früheren Vaterlandes noch immer reichlich zu schaffen mache. Ja, letztlich versuchte Thomas Mann in dieser Rede seine Hörer und Hörerinnen davon zu überzeugen, dass man im Umgang mit den Deutschen, diesem verbrecherischen, aber zugleich mit einer hohen, wenn nicht gar höchsten Kultur ausgezeichneten Volk, nach einer Zeit der Prüfung – im Sinne des mittleren Kurses der amerikanischen Deutschlandpolitik – vielleicht doch Gnade vor Recht üben solle.
III Während es in den auf den Nazifaschismus bezogenen Debatten zwischen den in die Vereinigten Staaten verschlagenen deutschen Exilanten bis zum Sommer 1946 noch weitgehend um die psychologischen, moralischen oder geistesgeschichtlichen Aspekte der deutschen »Schuld« gegangen war, 59
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mischten sich in diese Auseinandersetzung seit der Verschärfung der ideologischen Fronten zwischen den USA und der UdSSR danach immer stärker versteckte oder offene Parteinahmen für die amerikanischen Demokratievorstellungen oder gegen den in der Sowjetunion praktizierten Sozialismus. Demzufolge wurde nach diesem Zeitpunkt kaum noch eine Stimme laut, die sich für eine innerdeutsche Bewältigung des Nationalsozialismus im Sinne eines von den beiden Supermächten unabhängigen »dritten Weges« eingesetzt hätte. Von jetzt ab gab es für viele nur noch den »Westen« oder den »Osten«. Demzufolge verlief auch die Remigration fast aller Exilanten weitgehend in diesen durch die politischen Meisterdiskurse vorgezeichneten Bahnen. Die ehemalige Befürworter der antifaschistischen Volksfrontbewegung gingen in die sowjetische Besatzungszone, während in die Westzonen fast nur Exilanten zurückkehrten, die durch ihre religiösen oder bürgerlich-humanistischen Anschauungen den Vertretern und Vertreterinnen der Inneren Emigration zum Teil zum Verwechseln ähnlich waren. Und diese Wandlungen spiegeln sich auch in der Einstellung Thomas Manns zu den durch den Kalten Krieg ausgelösten ideologischen Umbrüchen wider. Seinen Tagebüchern zufolge betrachtete er im Jahr 1946 die deutschen Verhältnisse, denen weiterhin sein Hauptinteresse galt, nach wie vor mit einem tiefen Misstrauen, bei dem sich zwischen Abscheu und makabrer Faszination manchmal kaum unterscheiden lässt. So notierte er sich am 11. Januar dieses Jahres empört, dass es in Bayern zu einem Mordanschlag auf amerikanische Offiziere gekommen sei.19 Zwei Tage später ging er höchst abfällig auf Begriffe wie »Schönheit des Krieges, Größe der deutschen Soldaten, deutscher Lebensraum, Rückkehr des deutschen Ehrgefühls« in der im Herbst 1945 erschienenen Schrift Der Friede. Ein Wort an die deutsche und die europäische Jugend von Ernst Jünger ein.20 Doch auch andere »dégoutante« Publikationen aus Deutschland verstimmten ihn.21 Vor allem einige Äußerungen der Vertreter der Inneren Emigration, darunter selbst die von dem allgemein als »nobel« hingestellten Ernst Wiechert, fand er geradezu unerträglich.22 Außerdem wies er darauf hin, dass ihm aufgrund all dieser Vorkommnisse und Veröffentlichungen Erich von 60
Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947
Kahler, Agnes E. Meyer und Bruno Walter, zu denen er ein besonders enges Vertrauensverhältnis hatte, dringend von einer Europareise abgeraten hätten, da sie fürchteten, dass sein Leben in Deutschland bedroht sei.23 Doch neben solchen Eintragungen finden sich in seinen Tagebüchern aus Enttäuschung über den von Harry S. Truman eingeschlagenen außenpolitischen Kurs gegen die Sowjetunion, der in einem eklatanten Gegensatz zu der von Franklin D. Roosevelt verfolgten Politik der Koexistenz der USA und der UdSSR stehe, bald auch Äußerungen, in denen Manns wachsende Sympathien mit den in den sozialistischen Ländern vertretenen Anschauungen zum Ausdruck kommen. So heißt es bereits am 23. Januar 1946 mit kaum zu überbietender Schärfe : »Das Monopolkapital will den Kampf aufs Messer und ist zu jedem Verbrechen bereit, ehe es abdankt.«24 Am 18. Juni notierte er sich voller Genugtuung, dass »im Weimarer Goethehaus unter russischem Protektorat und unter lebhafter ostdeutscher Teilnahme Vorlesungen über ›Lotte in Weimar‹ gehalten werden«.25 Am 22. August sah er durch das US-Ultimatum an Tito eine »bedenkliche Lage« heraufziehen, die eventuell zu einem »neuen Krieg« führen könne.26 Am 7. September stieß er sich an dem »antirussischen« Charakter der bekannten Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenministers James F. Byrnes, die von vielen Deutschen als Auftakt des Kalten Kriegs empfunden wurde.27 Am 14. des gleichen Monats hörte er von den »Sympathien«, welche die Prager Kommunisten ihm entgegenbrächten, wie ihm seine Tochter Erika geschrieben habe.28 Zwei Tage später wies er auf die Konflikte zwischen Byrnes und Henry A. Wallace, »diesem letzten Roosevelt-Mann«, hin.29 Am 20. September findet sich die Eintragung, dass Churchills »Russenfeindlichkeit« und seine geheuchelte »Freundlichkeit« den Deutschen gegenüber fast noch ärger als die von Byrnes seien.30 Drei Tage später schrieb er, dass Byrnes gesagt habe, Wallace werde nur noch von den »Roten« gepriesen.31 Am 21. Oktober lesen wir : »Erklärter Finanzkrieg gegen Rußland u. seine Anhänger.«32 Nach dem Wahlsieg der Republikaner am 5. November heißt es : »Im Gegensatz zur ganzen übrigen Welt steht Amerika rechts«.33 Am 13. November ist von einer »Hetzrede« Churchills gegen Russland die Rede.34 Fünf Tage 61
Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman
darauf notierte er sich, dass man sich in der »russischen Zone« im Radio mit ihm beschäftige und Straßen nach ihm benenne.35 Am 27. Dezember wandte er sich scharf gegen die skandalösen Aktivitäten des »Unamerican Committee«.36 Ja, im folgenden Jahr wurden solche Äußerungen in Manns Tagebüchern sogar noch entschiedener. So hörte er am 13. Januar 1947 voller Genugtuung »neue Äußerungen Wallace’s über den reaktionären Charakter der amerikanischen Politik«.37 Drei Tage später unterzeichnete er eine »Glückwunsch-Botschaft des Committees for American-Soviet-Friendship«.38 Am 1. Februar prangerte er die »erhöhte Produktion von Atomwaffen« in den USA an.39 Am 11. Februar beklagte er, dass Churchill die Schuld am Kalten Krieg »unbedenklich« den Sozialisten in die Schuhe schiebe.40 Drei Tage später stößt man in einem Bericht über eine Party in Los Angeles auf die Bemerkung, dass alle dort Anwesenden die »Entwicklung Amerikas zum Faschismus« beklagt hätten und Lion Feuchtwanger die »Russenhetze« als Vorwand für eine weitere »Aufrüstung« entlarvt habe.41 Am 14. März äußerte er sich empört über eine besonders aggressive Rede Trumans gegen den Kommunismus, in der dieser sogar dem »kalkulierten Risiko eines kriegerischen Zusammenstoßes mit Rußland« nicht aus dem Wege gegangen sei.42 Zwei Tage später notierte sich Mann, dass seine Tochter Erika wegen ihrer »liberalen Ideen über Ehe und Politik« Schwierigkeiten bei der »Einbürgerung« in die USA habe.43 Am 22. März entwarf er eine Rede für die »United World Federalist Organization«, in der er sich für eine Fortsetzung der Roosevelt’schen Politik einsetzte, die in den Vereinigten Staaten gegenwärtig nur noch von Wallace vertreten werde.44 Und von dieser Einstellung wurde auch Manns Haltung Deutschland gegenüber beeinflusst. Statt sich jener betont »weichen« versöhnlerischen Deutschlandpolitik anzuschließen, mit der Byrnes die Deutschen für den von Amerika dominierten »Westen« zu gewinnen versuche, erschien Thomas Mann dieses Volk weiterhin unheimlich. »Käme Hitler wieder«, heißt es am 7. Januar 1947 in seinem Tagebuch, »60–80 % würden ihn mit offenen Armen empfangen.«45 Am 25. des gleichen Monats findet sich der Eintrag : 62
Zum Wandel der amerikanischen Deutschlandpolitik von 1943 bis 1947
»Dass man ohne die alliierten Bayonette in Deutschland seines Lebens nicht sicher wäre, geht aus vielen Nachrichten hervor.«46 Als Mann dennoch im März 1947 – nach vielem Hin und Her – eine Reise nach Deutschland ins Auge fasste, opponierte seine Tochter Erika, die ihrem Geburtsland gegenüber noch stärkere Vorbehalte hatte als ihr Vater, »aufs entschiedenste dagegen«.47 Und so entschloss sich der von Stimmungen der Amerikaverdrossenheit heimgesuchte Thomas Mann zwar, im Frühling 1947 nach Europa zu fahren, aber während dieser Reise nur England, die Schweiz, Italien und Holland zu besuchen. Auf der Überfahrt nach Europa gab Mann an Bord der »Queen Elizabeth« einem Reuters-Korrespondenten ein Interview, in dem er die Deutschen einer Selbstbemitleidung beschuldigte, die sie unfähig mache, auch für die Leiden ihrer Nachbarländer den gehörigen Sinn aufzubringen.48 Ähnliche Äußerungen machte er nach seiner Ankunft in London, welche von der westdeutschen Presse mit äußerster Indignation aufgenommen wurden. Vor allem die Formel »I am an American citizen«, die er ständig gebrauchte, um sich gegen aufdringliche Journalisten abzuschirmen, die ihn danach fragten, ob er nicht endlich nach Deutschland zurückkehren wolle, wurde ihm von den noch immer »national« denkenden Schichten in Westdeutschland verübelt. Den gleichen Unwillen innerhalb dieser Schichten erregte seine Botschaft an das deutsche Volk, welche er in London verfasste und die am 24. Mai in der Frankfurter Neuen Presse erschien, in der er zwar beteuerte, dass er an der »leidenvollen Lage«, in der sich Deutschland heute befinde, »von Herzen Anteil« nehme, aber dieses Land wohl erst in »drei oder fünf Jahren« wieder von seinen krankhaften Verfehlungen »genesen« werde.49 Diese Botschaft löste schon wenige Tage später in der westdeutschen Presse eine heftige Kampagne gegen Mann aus. Wohl am schärfsten griff ihn hierbei Manfred Hausmann in einem Artikel unter dem Titel Thomas Mann sollte schweigen im Weser-Kurier an und verdächtigte ihn, dass er sich 1933 in einem Brief an die neuen Machthaber um eine Rückkehr nach Deutschland bemüht habe, also keineswegs so unschuldig sei, wie er sich immer aufspiele. Diesen Vorwurf wies Thomas Mann am 7. Juli in seinem Artikel Brief an das Reichsinnenministerium in 63
Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman
der Münchner Neuen Zeitung als grobe Unterstellung zurück, da es sich bei diesem Brief lediglich um ein Gesuch zur Rückgabe seines beschlagnahmten Eigentums gehandelt habe. Am 3. und 4. Juni nahm Thomas Mann in Zürich am XIV. Internationalen Kongress des PEN-Clubs teil, auf dem er Johannes R. Becher, Erich Kästner und Ernst Wiechert traf, denen er Ricarda Huch als mögliche Präsidentin einer neu zu bildenden deutschen Sektion innerhalb dieser Vereinigung vorschlug. Zu einem weiteren Kontakt mit deutschen Schriftstellern oder gar zu einem kurzen Abstecher in eine der vier Besatzungszonen konnte er sich jedoch nicht entschließen. Danach besuchte er Hermann Hesse in Luzern, hielt sich noch eine Weile am Lago Maggiore auf und verbrachte dann den Rest seines Europaaufenthalts in Amsterdam und in Nordwijk aan Zee, um sich von den vielfältigen Abwechslungen erholen zu können. Am 14. September traf er schließlich wieder in Pacific Palisades ein und erwartete dort ungeduldig das Erscheinen seines Doktor Faustus und die internationale Reaktion darauf, von denen er sich eine neue, auch die höheren Kulturformen berücksichtigende Auseinandersetzung mit der nazifaschistischen Vergangenheit versprach.
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Erwünschte und Unerwünschte. Über die Schwierigkeiten bei der Rückeingliederung deutscher Exilautoren und -autorinnen nach 1945 »Die deutsche Länderregierungen richten an alle Deutschen, die durch den Nationalsozialismus aus ihrem Vaterland vertrieben wurden, den herzlichen Ruf, in ihre Heimat zurückzukehren. Ihrer Aufnahme in unserem überbevölkerten und unwirtlich gewordenen Lande stehen zwar große Schwierigkeiten gegenüber. Wir werden aber alles tun, um gerade ihnen ein neues Heim zu schaffen.« (Aufruf an die Emigranten, 1947)
I Im Hinblick auf die mangelnde Beachtung der Exilliteratur in den drei westlichen Besatzungszonen ist von wohlmeinenden Liberalen oft behauptet worden : Man hätte den vertriebenen Schriftstellern und Schriftstellerinnen nach dem 8. Mai 1945 sofort die Rückkehr in ihre frühere Heimat ermöglichen sollen, man hätte ihnen antifaschistisch eingestellte Verleger vermitteln sollen, man hätte sich für die Verbreitung ihrer Schriften einsetzen sollen usw. usw. Doch derartigen Thesen liegen meist höchst trügerische Vorstellungen kulturpolitischer Prozesse und ein ebenso problematisches Vertrauen auf einen allein vom guten Willen beeinflussbaren Geschichtsverlauf zugrunde. Genau betrachtet hat es nämlich die Exilliteratur als homogene Einheit überhaupt nicht gegeben. Und auch diese »Man«, an die in solchen Äußerungen gern appelliert wird, lassen sich nirgends konkret festmachen. Was es nach dem Untergang des Dritten Reichs in literarischer Hinsicht tatsächlich gab, war zweierlei : 1. ein reichlich zerstrittenes, in mehrere Lager gespaltenes Schrifttum von den aus Deutschland vertriebenen 65
Erwünschte und Unerwünschte
linken, jüdischen, bürgerlich-humanistischen, religiösen und anderen systemfeindlich eingestellten Autoren und Autorinnen sowie 2. eine äußerst widerspruchsvolle Nachkriegssituation, in der sowohl die Kulturoffiziere der vier Besatzungsmächte als auch die in Deutschland verbliebenen Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus dem Bereich der christlich-konfessionellen, abendländisch-humanistischen oder ästhetizistisch eingestellten Inneren Emigration recht unterschiedliche Literaturkonzepte vertraten. Alle diese Gruppen waren in ihren Anschauungen politisch, ideologisch und kulturell so gespalten, dass sich auf diesem Sektor jede fahrlässige Verallgemeinerung, jedes plebiszitäre »Man« von vornherein verbietet. Konzentrieren wir uns also – stärker als bisher – auf die tatsächlichen Gruppierungen und die durch die politische Situation bedingten Rezeptionsmöglichkeiten, statt uns weiterhin mit den Klischees eines eindimensional gesehenen Exils und einer ebenso eindimensional gesehenen Nachkriegszeit zu begnügen. Die Tatsache, dass es im Exil nur wenig politische und menschliche Solidarität gegeben hat, ist von seinen Hauptvertretern immer wieder in aller Offenheit zugegeben worden. »Emigrant und Emigrant, das war von Anfang an durchaus nicht dasselbe«, schrieb Wolf Franck bereits 1935 in seinem Führer durch die deutsche Emigration, »die Geschäftsleute wollten nichts von den Politikern wissen, die Sozialdemokraten nichts von den Kommunisten, die mit Beziehungen Versehenen schon gar nichts von ihren armen Schicksalsgenossen.«1 Daher war auch die deutsche Exilliteratur, trotz aller Bemühungen des Volksfront-Komitees, ihr einen gemeinsamen ideologischen Nenner zu geben, eine recht »zerklüftete«, wie Lion Feuchtwanger 1940 erklärte.2 Auf ihr politisches Engagement befragt, hatten Thomas Mann und Bertolt Brecht, Franz Werfel und Willi Bredel, Alfred Döblin und Anna Seghers, Max Herrmann-Neiße und Erich Weinert, Annette Kolb und Lili Körber oder Richard Beer-Hofmann und Johannes R. Becher kaum irgendwelche Gemeinsamkeiten. Selbst der Antifaschismus reichte als Solidarisierungsbasis nicht aus. Schließlich gab es auch im Exil eine Reihe von Autoren wie Bernard von Brentano und Ernst Glaeser, die sich sogar in diesem Punkt nicht ganz eindeutig verhielten. Es wäre darum 66
Über die Schwierigkeiten bei der Rückeingliederung deutscher Exilautoren
unangemessen, einfach von einer geschlossenen »antifaschistischen« oder »humanistischen Front« zu sprechen, wie das auf liberaler Seite zum Teil geschehen ist.3 Auch Klassifizierungsversuche in eine »streitbare« und eine »resignierende« Exilliteratur sowie eine nazifaschistische »Sklavenliteratur« und eine »gute deutsche Literatur drinnen und draußen« sind viel zu grob gerastert.4 Etwas differenzierter wirkt dagegen jene Dreiteilung in eine konservative, eine humanistische und eine geistrevolutionäre Strömung, die Al fred Döblin bei seiner Überschau der Exilliteratur vorgenommen hat.5 Allerdings bleibt bei ihr kein Raum für die marxistisch orientierten Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche im Exil – mit Unterstützung der KPdSU und ihrer Kulturorganisationen – eine Fülle weitreichender Aktivitäten entfalten konnten. Vielleicht wäre es daher besser, die Exilautoren und -autorinnen – in leichter Abwandlung dieses Schemas – in Zukunft aufgrund ihrer ideologischen Haltung, die sie zwischen 1933 und 1945 eingenommen haben, in 1. resignierend-eskapistische wie Richard Beer-Hofmann, Hermann Broch, Max Herrmann-Neiße, Annette Kolb, Else Lasker-Schüler, Robert Musil, Albrecht Schaeffer, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, S tefan Zweig, 2. humanistisch-liberale wie Ferdinand Bruckner, Bruno Frank, Leonhard Frank, Kurt Hiller, Hermann Kesten, Thomas Mann, Ludwig Marcuse, Robert Neumann sowie 3. aktiv antifaschistische wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Willi Bredel, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Heinrich Mann, Klaus Mann, Anna Seghers, Ernst Toller, Bodo Uhse, Erich Weinert, Friedrich Wolf und Arnold Zweig einzuteilen, ohne dabei mögliche Überschneidungen oder Übertritte aus dem einen in ein anderes Lager aus dem Auge zu verlieren.6 Und auch die Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1949 war, wie sich nicht leugnen lässt, keine homogene Einheitsperiode, sondern ein Zeitraum, innerhalb dessen sich mindestens zwei Phasen unterscheiden lassen : 1. eine eher demokratisch oder gar sozialistisch orientierte Anfangsphase, in der in allen vier Besatzungszonen auch den antifaschistisch eingestellten Aktivisten und Aktivistinnen, welche aus den Konzentrationslagern, Gefängnissen, Strafbataillonen, dem Untergrund oder dem Exil in anliegenden Ländern 67
Erwünschte und Unerwünschte
wie der Sowjetunion, der Schweiz, England oder Schweden zurückkehrten, die Möglichkeit einer politischen und kulturellen Mitbestimmung gegeben wurde, sowie 2. eine Phase, die im Sommer/Herbst 1947 begann und in der – im Zeichen des beginnenden Kalten Kriegs – in den drei westlichen Besatzungszonen die antitotalitaristische Stimmung der unmittelbaren Nachkriegszeit aus einer Verdammung des Nazifaschismus in eine Verdammung des Kommunismus umschlug, während zum gleichen Zeitpunkt in der sowjetischen Besatzungszone – im gegenläufigen Sinne – an die Stelle antifaschistischer Proklamationen eine Kampagne gegen den »American Way of Life« nebst all seinen kapitalistischen »Entartungserscheinungen« einsetzte. Damit wurde für jene Autoren und Autorinnen, die sich immer noch im Exil befanden, die Frage einer möglichen Rückkehr in das viergeteilte Deutschland immer stärker zu einer politischen Entscheidungsfrage. Statt wie von 1945 bis 1947, also vor Beginn des Kalten Kriegs, ohne ideologische Festlegungen in das von den Alliierten besetzte Restdeutschland zurückzukehren, war es jetzt nur noch möglich, in eine der drei Westzonen, die sich schnell zur Bizone und dann zur Trizone zusammenschlossen, oder in die sowjetische Besatzungszone, die SBZ, zu gehen und sich somit entweder als Vertreter oder Vertreterin amerikanischer Demokratievorstellungen oder sowjetischer Kommunismuskonzepte erkennen zu geben. Eine solche Entscheidung fiel manchen Exilautoren oder -autorinnen, die lange Zeit der Idee eines »dritten Wegs« zwischen Kapitalismus und Kommunismus angehangen hatten, nicht leicht. Vor allem als sie hörten, zu welch scharfen Auseinandersetzungen es im Oktober 1947 zwischen den westlichen und östlichen Kulturoffizieren auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin gekommen war, wurden sie noch zögerlicher. Schließlich waren nach diesem Zeitpunkt alle Anschauungen, die im Sinne der älteren Volksfrontstrategien oder der durch den Stalin-Roosevelt-Pakt geweckten Hoffnungen an der Idee einer radikalen Neuordnung des gesamten deutschen Territoriums festzuhalten versuchten, endgültig »out«. Und so blieben manche von ihnen lieber weiterhin im Exil oder zogen es, wie Hans Habe, Thomas Mann, Walter Mehring, Robert Neumann, Alfred Polgar, 68
Über die Schwierigkeiten bei der Rückeingliederung deutscher Exilautoren
Erich Maria Remarque und Carl Zuckmayer, vor, in ein deutschsprachiges, aber neutrales Land wie die Schweiz zu gehen, wo sie sich aus dem Streit der Ideologien herauszuhalten hofften. In die drei westlichen Besatzungszonen kehrten deshalb in der Folgezeit nur noch religiös gesinnte, liberal-unverbindliche, ästhetisierende oder betont antikommunistische Autoren und Autorinnen zurück, während in die sowjetische Besatzungszone lediglich marxistisch orientierte Antifaschisten und Antifaschistinnen gingen.
II Schon diese skizzenhafte Einleitung lässt ahnen, dass einer bruchlosen Rückeingliederung der Exilautoren und -autorinnen, selbst der Rückkehrwilligen unter ihnen, von vornherein große Hemmnisse entgegenstanden. Am wenigsten behindert – jedenfalls von sowjetischer Seite aus – wurde die Remigration jener Exilschriftsteller und -schriftstellerinnen, die bereits in der Weimarer Republik mit den kulturpolitischen Aktivitäten der damaligen Linksparteien, vor allem der KPD, sympathisiert oder sich im Exil den Kommunisten als der aktivsten Gruppe im antifaschistischen Kampf angeschlossen hatten. Wer von diesen Autoren, wie Johannes R. Becher, Willi Bredel, Erich Weinert oder Friedrich Wolf, nach 1933 nach Moskau gegangen war, konnte deshalb bereits im Sommer 1945 oder kurze Zeit später, als alle anderen Grenzen noch geschlossen waren, wieder nach Deutschland zurückkehren. Andere dieser Linken oder Linkssympathisanten, die Palästina, Mexiko, Kuba oder die USA als Exilland gewählt hatten, wurden im November 1945 in einem Ruf an die deutschen Emigranten, dem eine Initiative Bechers zugrunde lag, dazu aufgefordert, möglichst bald in ihre frühere Heimat zurückzukehren und sich in den Dienst eines kulturellen Neuaufbaus zu stellen. Allerdings mussten viele dieser Linken, die nach 1933 in westliche Länder geflüchtet waren und sich bereit erklärten, diesem Ruf Folge zu leisten, oft noch ein bis zwei Jahre warten, bis sie ein Einreisevisum bekamen, und konnten selbst dann erst nach kurzen Zwischenaufenthalten in Frankreich, der Tschechoslowakei, der Schweiz oder Österreich wieder deutschen Boden betreten. Und zwar gingen fast alle diese linksorientierten 69
Erwünschte und Unerwünschte
Autoren und Autorinnen, zu denen unter anderem Alexander Abusch, Erich Arendt, Bertolt Brecht, Eduard Claudius, Louis Fürnberg, Adam Scharrer, Anna Seghers, Bodo Uhse, Franz Carl Weiskopf, Grete Weiskopf und Arnold Zweig gehörten, in die sowjetische Besatzungszone. Nach dem Beginn des Kalten Kriegs folgten ihnen schließlich auch einige jener Exilautoren nach, die wie Stephan Hermlin, Stefan Heym, Hans Marchwitza und Hans Mayer nach dem Untergang des Dritten Reichs erst einmal in eine der drei westlichen Besatzungszonen gegangen waren.7 Diese Autorengruppen, ob nun die der Früh- oder der Spätheimkehrer und -heimkehrerinnen, blieben von gravierenden Rückeingliederungsproblemen weitgehend verschont. Ihre Vertreter und Vertreterinnen hatten schon im Exil die »dritte Sache« über das eigene Wohlbefinden gestellt, ja, sogar ihre »rassische Herkunft«, falls sie Juden oder Jüdinnen waren, als relativ belanglos erachtet und wurden deshalb kaum von irgendwelchen »bürgerlichen« Identitätssehnsüchten heimgesucht. Fast alle diese Autoren und Autorinnen huldigten seit langem den Idealen der revolutionären Arbeiterbewegung und hatten bereits in manchen ihre Exilwerke das zu Freiheit, Gleichheit und Frieden zu erziehende Nachkriegsdeutschland ins Auge gefasst. Diese Gruppe wurde darum in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), wie auch der späteren Deutschen Demokratischen Republik (DDR), deren Führungsschicht sich fast ausschließlich aus früheren Widerstandskämpfern und Exilanten zusammensetzte, mit offenen Armen empfangen. Ihre Vertreter und Vertreterinnen erhielten die höchsten Preise und Positionen und bildeten schon nach kurzer Zeit die tonangebende Schicht in der Gegenwartsliteratur und im Theaterleben dieses Staats. Zugegeben, es gab bei dieser Rückeingliederung in die raue Wirklichkeit der Nachkriegszeit auch Probleme, wie etwa die Schwierigkeiten, die Bertolt Brecht mit seinen linksradikalen Umfunktionierungsvorstellungen, Weinert mit seinen an den Bedingungen der Weimarer Republik orientierten Agitprop- Konzepten und Seghers mit ihren Ausflügen ins Psychologisierende hatten, durch welche sie zwangsläufig mit den kulturpolitischen Vorstellungen der dort regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und deren 70
Über die Schwierigkeiten bei der Rückeingliederung deutscher Exilautoren
Abb. 11 Anna Seghers auf einer Kundgebung in Ostberlin (14. Mai 1947)
bürgerlich-humanistischen Bündnis- und Erbekonzeption sowie einer auf den aktuellen gesellschaftlichen Auftrag reduzierten Ästhetik in Konflikt gerieten. Doch trotz einiger Komplikationen nahmen diese Exilautoren und -autorinnen, obwohl es manchen von ihnen erst nach einigen inneren Widerständen gelang, ihre im Exil entwickelten antifaschistischen Literaturvorstellungen in eine sozialistische Aufbauästhetik umzuwandeln, bis weit in die fünfziger Jahre hinein eine absolute Spitzenstellung innerhalb des Kulturbetriebs der DDR ein. Von einer neuen Literatursituation lässt sich daher im Hinblick auf diesen Staat erst gegen Ende der fünfziger Jahre sprechen, als neben die älteren Exilschriftsteller und -schriftstellerinnen mit Heiner Müller, Erik Neutsch, Brigitte Reimann, Erwin Strittmatter und Christa Wolf eine Gruppe von Autoren und Autorinnen trat, die ihre politische und geistige Prägung allein dem neuen Staat verdankte. Fast alle Werke der eben genannten Exilautoren und -autorinnen, die nach 1945 als überzeugte Linke in die SBZ gingen, erschienen in den 71
Erwünschte und Unerwünschte
folgenden Jahren zumeist bei sowjetisch lizenzierten Verlagen, und zwar häufig in extrem hohen Auflagen. So wurden von Bechers Abschied in kurzer Zeit 53 000 und von Seghers’ Das siebte Kreuz 80 000 Exemplare verkauft.8 Für westliche Leser und Leserinnen waren die meisten dieser Bücher, falls sie sich überhaupt dafür interessierten, oft nur bis zum November 1948 zugänglich. Danach erfolgte in den drei Westzonen im Zuge des sich verschärfenden Kalten Kriegs ein endgültiges Verbot aller sowjetisch lizenzierten Schriften.9 Dieses Verbot betraf vor allem frühere Exilschriftsteller wie Willi Bredel, Julius Hay, Hans Marchwitza, Jan Petersen, Ludwig Renn, Adam Scharrer, Bodo Uhse, Erich Weinert und Franz Carl Weiskopf, die bis 1945 fast ausschließlich bei linken Verlagshäusern wie den Internationalen Arbeiterverlagen in Moskau und Kiew, dem Deutschen Staatsverlag in Engels, der Hauptstadt der Deutschen Wolgarepublik, bei Carrefour in Paris, beim Londoner Malik-Verlag, beim Aurora-Verlag in New York – und nur in Ausnahmefällen bei sogenannten bürgerlichen Verlagen in Zürich, Amsterdam oder Stockholm – veröffentlicht hatten. Zwischen 1945 und 1949 erschienen ihre Werke lediglich bei SBZ-Verlagen wie Aufbau, Dietz, Henschel, Hinstorff, Neues Leben, Rütten & Loening, Volk und Welt, Volk und Wissen und dem Mitteldeutschen Verlag sowie dem Leipziger Reclam-Verlag. Selbst das einzige Werk von Ernst Toller, das in diesem Zeitraum erhältlich war, nämlich das Bühnenmanuskript seines antifaschistischen Dramas Pastor Hall, konnte nur durch den Ostberliner Henschel-Verlag bezogen werden. Sowohl in der sowjetischen Besatzungszone als auch in den drei Westzonen zu veröffentlichen gelang damals nur wenigen, besonders berühmten Exilschriftstellern und -schriftstellerinnen. Zu dieser Gruppe gehörte als Hauptfigur Bertolt Brecht, der, wie andere Linke, im Exil beim Amsterdamer Verlag Allert de Lange, bei der Moskauer Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter, beim Londoner Malik-Verlag, beim Pariser Carrefour-Verlag und beim New Yorker Aurora-Verlag publiziert hatte und in den Jahren nach der Niederlage des Nazifaschismus, auf Bergen unveröffentlichter Manuskripte sitzend, erst einmal sorgfältig sondierte, wo sich für ihn – politisch 72
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gesehen – die größten Wirkungsmöglichkeiten boten. Daher brachte er seine Kalendergeschichten 1949 sowohl beim Westberliner Gebrüder-Weiß-Verlag als auch beim Ostberliner Verlag Neues Leben heraus. Sein Dreigroschenroman erschien nach dem Krieg erstmals 1947 bei Desch in München. Von seinen Dramen ließ Brecht 1948 Furcht und Elend des Dritten Reichs beim Aufbau-Verlag und Mutter Courage und ihre Kinder bei Suhrkamp drucken. Anschließend handelte er einen Vertrag mit Peter Suhrkamp aus, der es ihm erlaubte, alle seine Werke bei Suhrkamp und zugleich beim Aufbau-Verlag, also im Westen und Osten, herauszubringen. Auch Anna Seghers, die wie Brecht bis 1947 in Moskau, Amsterdam, Paris und New York publiziert hatte, erreichte, dass manche ihrer Bücher nach dem Krieg in beiden Teilen Deutschlands erscheinen konnten. Während in der SBZ ihre Werke seit 1946 beim Aufbau-Verlag herauskamen, veröffentlichte sie 1947 bei Desch den Roman Das siebte Kreuz, der 1948 nochmals bei Rowohlt erschien, 1948 bei Weiler in Konstanz den Roman Transit und 1949 bei Suhrkamp den Roman Die Toten bleiben jung. Und auch Arnold Zweig, der im Exil seine Bücher bei Querido, beim Viking-Verlag in New York und bei der Workers’ Book Guild in Tel Aviv herausgebracht hatte, gelang es nach 1945, neben seinen Veröffentlichungen in der SBZ und der späteren DDR, auch einige seiner Werke beim Neuen Verlag in Stockholm, beim Wiener Verkauf-Verlag und beim Münchner Desch-Verlag unterzubringen.10 Andere linke oder linksliberale Exilautoren, die noch immer in den Vereinigten Staaten lebten, konnten sich dagegen zwischen 1945 und 1949 keine so günstigen Verlagsbedingungen aushandeln wie Brecht, Seghers und Zweig. Da ihre Werke in der sowjetischen Besatzungszone zum Teil in großen Auflagen erschienen, wurden sie in Westdeutschland nur in Ausnahmefällen und auch dann nur in kleinen Auflagen verlegt. So brachte zwar Lion Feuchtwanger in der unmittelbaren Nachkriegszeit viele seiner Romane in der SBZ beim Aufbau-Verlag, bei Volk und Wissen und beim Rudolstädter Greifenverlag heraus, während im gleichen Zeitraum in den Westzonen nur ein Nachdruck seines Simone-Romans bei dem relativ unbekannten Fleischer-Verlag in Frankfurt erschien. Das Gleiche gilt 73
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für Heinrich Mann, dessen Werke beim Aufbau-Verlag, beim Weimarer Kiepenheuer-Verlag und bei Leipziger Verlagen wie Insel, Reclam sowie Volk und Wissen in Zehntausenden von Exemplaren herauskamen, während sich in den Westzonen bloß der Weichert-Verlag und die Deutsche Buch-Gemeinschaft entschlossen, einige seiner früheren Romane wie Die kleine Stadt und Der blaue Engel nachzudrucken. Auch Oskar Maria Graf, der bis Kriegsende vor allem bei linken Verlagen in Moskau, London und New York publiziert hatte, konnte nach 1945 in den Westzonen lediglich Das Leben meiner Mutter und Die Eroberung der Welt bei Desch sowie seinen Roman Anton Sittinger beim Münchner Freitag-Verlag unterbringen – und das zu einer Zeit, als er mit seinen Publikationen beim Aufbau-Verlag und bei der Märkischen Druck- und Verlagsgesellschaft in der SBZ bereits große Erfolge erzielte. Noch geringer war die Beachtung, die nach 1947 im Westen Schriftstellern zuteilwurde, welche wie Stephan Hermlin und Wolfgang Langhoff bis zu diesem Zeitpunkt in den drei Westzonen veröffentlicht hatten. Und auch Dramatiker, die wie Curt Goetz die Aufführungsrechte ihrer Werke dem Rostocker Hinstorff-Verlag oder wie Ferdinand Bruckner dem Ostberliner Aufbau-Verlag übertrugen, wurden in den Westzonen nur in Ausnahmefällen nachgedruckt. Die beiden großen Ausnahmefälle unter den linken Exilautoren, deren Werke zu dieser Zeit auch in den Westzonen große Erfolge hatten, waren Kurt Tucholsky und Theodor Plievier. Dass das Werk Tucholskys hüben und drüben, bei Rowohlt in Hamburg und beim Mitteldeutschen Verlag in Halle in großen Auflagen erscheinen konnte, hängt weitgehend damit zusammen, dass in diesen Jahren das unterhaltsam Plaudernde, der Rheinsberg- und Gripsholm-Tucholsky, in den Vordergrund gerückt wurde, der politisch keinen Anstoß erregte. Der Fall Plievier lag dagegen anders. Er, der bis 1945 vornehmlich in Moskau publiziert hatte, ließ nach seiner Rückkehr in den östlichen Teil Deutschlands seine Werke erst einmal beim Aufbau-Verlag und beim Weimarer Kiepenheuer-Verlag erscheinen, setzte sich aber 1947 aufgrund eines politischen Gesinnungswandels plötzlich in den Westen ab und wurde hier zu einem der großen Stars des Antikommunismus, dessen 74
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Werke in den folgenden zwei Jahren von sechs westdeutschen Verlagen herausgebracht wurden, die sogar seine Romane der zwanziger Jahre wieder auf den Markt brachten. In ihm hatten die Verfechter des Kalten Kriegs endlich einen linken Dissidenten gefunden, mit dem sie politisch Furore machen konnten. Allerdings entzog sich Plievier diesem Rummel schon kurze Zeit später und siedelte in die Schweiz über. Der einzige linksliberale Autor, der damals nicht in der SBZ erschien und deshalb, wie immer, eine Klasse für sich bildete, war Thomas Mann. Er blieb auch in diesen Jahren dem einen großen Verlag seines Lebens, nämlich S. Fischer, treu, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht nach Deutschland zurückkehren konnte, die Bücher seiner Autoren und Autorinnen weiterhin in Stockholm oder Wien verlegte und die westdeutschen Verlagsrechte zeitweilig Peter Suhrkamp überließ, der sie in den dreißiger Jahren schon einmal übernommen hatte. Da Suhrkamp die Bücher der S.-Fischer- oder Bermann-Fischer-Autoren und -Autorinnen nur in den drei Westzonen herausbringen durfte, erschienen demzufolge alle relevanten Werke von Thomas Mann zwischen 1945 und 1949 entweder weiterhin in Stockholm, Amsterdam und Zürich oder bei Suhrkamp in Frankfurt, während der Ostberliner Aufbau-Verlag mit seiner Thomas-Mann-Ausgabe erst in den fünfziger Jahren beginnen konnte.
III In den drei westlichen Besatzungszonen war dagegen die literarische Situation von Anfang an eine andere. Und das hatte auch auf die mögliche Rückeingliederung von Exilautoren und -autorinnen einen entscheidenden Einfluss. Von einer relativ kurzen Anfangsphase abgesehen, in der auch hier oppositionelle Schriftsteller wie Günther Weisenborn, welche die NS-Gefängnisse und Konzentrationslager überlebt hatten, als die »Helden der ersten Stunde« begrüßt wurden, setzten sich im Westen weitgehend diejenigen Autoren und Autorinnen durch, die aus den Bereichen der sogenannten Inneren Emigration stammten.11 Obwohl auch in diesen Zonen – unter Berufung auf das Potsdamer Abkommen – anfangs von einer gründlichen 75
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Entnazifizierung und ideologischen Umorientierung des deutschen Schrifttums die Rede war, blieben solche Parolen, denen nur wenige konkrete Maßnahmen von Seiten der politisch Verantwortlichen folgten, weitgehend im Deklamatorischen stecken. Es gab zwar einige wohlinformierte, zum Teil deutsch-jüdische Besatzungsoffiziere, die selbst im Bereich der hohen Literatur auf einer Democratic Re-education bestanden, das heißt frühere NS -Verlage verboten, die öffentlichen Bibliotheken säubern ließen, die Theater einer strengen Kontrolle unterstellten, nur besatzungskonforme Verlage mit dem nötigen Druckpapier belieferten, ja, sogar hin und wieder von ihrem Recht auf Zensur Gebrauch machten. Und es gab auch einige überzeugte Antifaschisten unter den westdeutschen Verlegern und Literaturkritikern, die sich in diesem Zeitraum für eine durchgreifende politische und kulturelle Wandlung einsetzten. Dafür sprechen zwischen 1946 und 1947 gegründete Zeitschriften wie Die Epoche, Frankfurter Hefte, Neues Europa, Der Ruf, Ost und West, Prisma sowie Volk und Zeit, die sich für eine Neuordnung Deutschlands im Sinne eines »dritten Wegs« einsetzten. Die überwältigende Mehrheit der in den drei westlichen Besatzungszonen lebenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen schrieb jedoch einfach so weiter, wie sie es vor 1945 gewohnt waren. Schließlich hatten sich viele dieser Autoren und Autorinnen auch unter Hitler nur in Ausnahmefällen politisch engagiert und ihr Schreiben weitgehend als eine Fortführung jener bürgerlich-humanistischen, religiösen, pseudoromantischen oder als »abendländisch« bezeichneten Traditionen verstanden, in denen sich der »reine Geist« manifestiere. Und dieser Geist, erklärten sie, habe ohnehin zu allen Zeiten über den jeweiligen politischen Ideologien geschwebt und könne daher nicht für jene Verbrechen verantwortlich gemacht werden, welche von halbgebildeten Kleinbürgern, wie Adolf Hitler und seinen braunen Horden, verübt worden seien. Mit solchen Proklamationen wollten sie in aller Öffentlichkeit demonstrieren, dass sie als bildungsbewusste Vertreter und Vertreterinnen nie aus jener »geistigen Provinz« ausgewichen wären, in der alle guten Humanisten, Christen und Abendländer seit eh und je gewohnt hätten. Diese Autoren und Autorinnen favorisierten darum auch 76
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nach 1945 eine Literatur, die in erster Linie Trost, Segen und Heilung spenden würde, statt sich für irgendwelche politischen Zielsetzungen zu engagieren. Literatur solle vor allem »Lebenshilfe« bieten, wie es in ihren Schriften immer wieder hieß, und damit auf das Wesentliche, Eigentliche, wenn nicht gar Ewige im menschlichen Dasein verweisen.12 Daher ließen sie über die Krater und Trümmerberge des Dritten Reichs einfach Gras wachsen. In Sinne eines romantisch-utopischen Antikapitalismus und zugleich romantisch-utopischen Antisozialismus bemühten sie sich stattdessen, von jener »Mitte«, jenem Nullpunkt des Seins auszugehen, dem sie Namen wie Gott, Natur, Wesen, Ursprung, Substanz oder Mythos gaben. Alles Aufrüttelnde, Verheutigende, Politisierende wurde deshalb von ihnen scharf abgelehnt. Ihre dichterischen Leitbilder waren nicht gesellschaftskritisch engagierte Autoren wie Lessing, Heine oder Thomas Mann, sondern ein unpolitisch gesehener Goethe, Stifters Nachsommer oder Hesses Glasperlenspiel. Ja, als Hesse für diesen Roman 1946 den Nobelpreis erhielt, während alle politisch engagierten Autoren wieder einmal leer ausgingen, fühlten sich die Vertreter und Vertreterinnen solcher Traditionen nicht nur auf innerdeutscher, sondern sogar auf internationaler Ebene bestätigt. Grob geschätzt machten die Werke dieser Gruppe bis weit in die fünfziger Jahre etwa 60 bis 70 Prozent des westdeutschen Belletristikangebots aus. Für viele dieser Schriftsteller und Schriftstellerinnen bildeten der Untergang des Dritten Reichs sowie die unmittelbare Nachkriegszeit überhaupt keinen Einschnitt in ihrem Leben oder Werk. So erschienen etwa von Werner Bergengruen sowohl 1943 und 1944 als auch 1945 und 1946 neue Werke auf dem Buchmarkt. Friedrich Georg Jünger kam 1942, 1944, 1946 und 1947, Gertrud von Le Fort 1940, 1943, 1946 und 1947, Bernt von Heiseler 1942, 1943, 1945 und 1947 mit neuen Publikationen heraus, die sich in Thematik und Tenor kaum voneinander unterschieden. Während sich im Hinblick auf die literarische Situation in der sowjetischen Besatzungszone durchaus von einer »Stunde null« sprechen lässt, da die dortigen Besatzungsbehörden viel stärker mit antifaschistisch-umerziehender Absicht in den Kulturbetrieb eingriffen, schrieben also im Westen, wie gesagt, die meisten 77
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erst einmal so weiter, wie sie als Nichtfaschisten oder Nichtfaschistinnen bis 1945 geschrieben hatten, ja, benutzten diese Kontinuität geradezu als politisches Alibi, als »Persilschein« ihrer von keiner »ungeistigen« Ideologie überformten Gesinnung. Und die Mehrheit der westdeutschen Kritiker und Kritikerinnen, die ebenfalls aus dem Bereich der Inneren Emigration kam, stimmte dieser Haltung durchaus zu. Wie hätten sonst in den drei westlichen Besatzungszonen fast alle wichtigen Literaturpreise zwischen 1945 und 1949 an Autoren und Autorinnen wie Emil Barth, Werner Bergengruen, Peter Dörfler, Gertrud von Le Fort, Wolf von Niebelschütz, Hans Schiebelhuth, Rudolf Alexander Schröder, Georg Schwarz, Ina Seidel und Fritz Usinger verliehen werden können, die alle auch im Dritten Reich publiziert hatten, während die antifaschistischen Exilschriftsteller und -schriftstellerinnen bei solchen Preisverleihungen fast immer übergangen wurden ?13 All dies leuchtet jedem, der mit der politischen Situation nach 1945 in Deutschland vertraut ist, sofort ein. Was dagegen auf Anhieb unverständlich wirkt, ist die Tatsache, dass selbst die meisten der demokratisch-engagierten westdeutschen Autoren und Autorinnen, vor allem die jüngeren unter ihnen, die nach Kriegsende mit einer provozierenden Kahlschlag- oder Trümmerliteratur auftraten,14 kaum Kontakte zu den Exilschriftstellern und -schriftstellerinnen aufnahmen. Lediglich ein Exilautor wie Walter Kolbenhoff schloss sich dieser Gruppe an.15 Ansonsten verhallte der Appell, dass es möglichst schnell zu einer »Vereinigung der Emigranten mit Deutschlands junger Generation« kommen müsse, der sich 1946 in einem Beitrag von Alfred Andersch zum ersten Heft der Zeitschrift Der Ruf findet, weitgehend im Leeren.16 Auch die frühe »Gruppe 47«, die auf Initiative Hans Werner Richters entstand, knüpfte nicht an die Exilerfahrungen an. Ihr ging es vornehmlich um die Verarbeitung der eigenen Erlebnisse unterm Nazifaschismus, im Krieg, in der Gefangenschaft oder während der unmittelbaren Nachkriegszeit.17 Da sie hierbei so karg, so einfach, so existentiell wie nur möglich verfuhr, fand sie in den Schriften der Exilautoren und -autorinnen, sofern ihr diese überhaupt zugänglich waren, weder sprachlich noch erfahrungsmäßig irgendetwas Verwandtes oder gar Vorbildliches. »Wir haben eine 78
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andere Sprache«, hieß es in diesen Kreisen, »und wir sehen unsere Gegenwart anders.«18 Selbst die Werke der französischen Existentialisten, vor allem die von Albert Camus und Jean-Paul Sartre, kamen manchen dieser Autoren und Autorinnen verwandter vor als die der deutschen Exilliteratur, die aus einem »Leiden an Deutschland« entstanden war, das ihnen, die jede Form des Nationalismus ein für alle Mal überwinden wollten, völlig fern lag. Und so fanden selbst diese beiden Gruppen nicht zueinander. Daher nimmt es nicht wunder, dass von den bedeutenderen Exilautoren und -autorinnen nach 1945 fast niemand in eine der drei westlichen Besatzungszonen ging. Sogar viele der bürgerlich-humanistischen oder eskapistisch-resignierenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen, deren Werke denen der Inneren Emigration gar nicht so unähnlich waren, konnten sich nicht zu diesem Schritt entschließen. Die Gründe hierfür waren allerdings nicht nur politische. Das hing auch damit zusammen, dass eine Reihe der älteren Exilautoren und -autorinnen in den jeweiligen Gastländern, vor allem den USA , bereits heimisch geworden war, hier ihren Lebensunterhalt verdiente, englisch sprechende Kinder und Freunde hatte – und all dies nicht für eine höchst unsichere Existenzmöglichkeit in dem weitgehend zerstörten Deutschland aufgeben wollte. Was viele dieser Schriftsteller und Schriftstellerinnen außerdem von der Rückkehr nach Deutschland abhielt, war die weitverbreitete Kollektivschuldthese im Sinne Henry Morgenthaus und Robert Vansittarts, welche besonders auf bildungsbürgerliche Autoren und Autorinnen, die ohnehin gern zu geistes- oder mentalitätsgeschichtlichen Pauschalisierungen neigten, eine große Anziehungskraft ausübte. Während die Linken im Exil stets zwischen dem NS -Regime einerseits und dem Deutschland der Widerstandskämpfer und -kämpferinnen, der klassenbewussten Arbeiterschaft sowie der in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrten Systemgegner und -gegnerinnen andererseits unterschieden hatten und daher nach Kriegsende möglichst schnell nach Europa zurückkehren wollten, um sich beim Aufbau eines »Neuen Deutschland« zu beteiligen, neigten viele der deutsch-jüdischen Liberalen unter ihnen wegen der Meldungen über die Auschwitz-Gräuel nach 1945 79
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häufig dazu, alles Deutsche von vornherein als negativ zu verteufeln und in den Vertretern und Vertreterinnen dieser Nation – unter weitgehender Ausschaltung konkreter politischer und sozialer Kriterien – vornehmlich staatsorientierte, autoritätshörige, rassistisch eingestellte und damit militaristisch gesinnte Wesen zu sehen. Diese Schichten hegten daher in der Folgezeit große Zweifel, ob es »den« Deutschen jemals gelingen würde, sich von solchen offenbar angeborenen oder zumindest historisch verfestigten Charakterzügen zu befreien. Zu den schärfsten derartigen Urteilen neigten jene Vertreter und Vertreterinnen dieser Gruppe, die sich wie Emil Ludwig im New Yorker Aufbau voll und ganz hinter die Morgenthau’sche Kollektivschuldthese stellten und jeden weiteren Kontakt mit Deutschland geflissentlich vermieden.19 Diese Autoren und Autorinnen begrüßten die USA weitgehend als ein Land, das ihren Vorstellungen am meisten entsprach, das heißt ein Land ohne einen völkisch orientierten Nationalismus, ohne übersteigerte Kollektivvorstellungen und ohne ein Zuviel an öffentlicher Moral. Im Gegensatz zu Deutschland fanden sie hier einen Staat, der auf dem Prinzip des ethnischen Pluralismus beruhte, der einen beträchtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil aufwies und in dem weniger das Allgemeine, alle Staatsbürger und -bürgerinnen Betreffende als das Individuelle, Psychologische, ja, Private als positiv herausgestrichen wurde. Und das musste ihnen als Juden und Jüdinnen, die seit altersher einen nur allzu begründeten Außenseiteraffekt gegen sie gefährdende staatliche Normen hatten, besonders entgegenkommen. Es waren daher diese Schichten, die den Antitotalitarismus sowie die Ideologie der Ideologielosigkeit, welche im Zuge des Kalten Kriegs in den Vordergrund traten, am lebhaftesten begrüßten und zu überzeugten Anhängern und Anhängerinnen einer alle Staatsgrenzen aufhebenden Weltzivilisation im Sinne des von Franklin D. Roosevelt anvisierten »One World«-Konzepts wurden. Nur eins störte sie an den USA : die dort nicht zu übersehende »Kulturlosigkeit«. In dieser und nur in dieser Hinsicht schlossen sie darum ihren Frieden mit »dem« Deutschen, das heißt der deutschen Kultur in ihrer sublimsten Form : der idealistischen Philosophie, der Literatur der 80
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Goethe-Zeit sowie der klassisch-romantischen Musik, in denen sie etwas Autonomes, von aller Politik und Gesellschaft weit Abgehobenes erblickten. Daher blieb selbst im Rahmen dieser Gruppe eine gewisse Verbundenheit mit Deutschland erhalten, zumal viele von ihnen, die sich im Alltag überwiegend auf Englisch verständigen mussten, weiterhin deutsch dachten und deutsch schrieben. Ja, manche von ihnen bemühten sich sogar, mit west- oder ostdeutschen Verlegern Kontakte aufzunehmen, um in jenem Deutschland, an dem sie so litten, als dem Land einer höheren Kultur, wenigstens publiziert zu werden. Zu dieser Gruppe, die auch nach dem Ende des Kriegs weiterhin im Exil blieb, gehörten vor allem bürgerlich-kulturbewusste, deutsch-jüdische Autoren und Verleger wie Hugo Perls, Kurt Pinthus, Felix Pollak, Hans Sahl und Kurt Wolff oder Schriftsteller wie Walter Bauer, Joachim Maass, Ludwig Marcuse und Heinz Politzer, die als Professoren an amerikanischen oder kanadischen German Departments sowie University Libraries ihr Auskommen fanden. Ebenso verbunden mit Deutschland fühlten sich »frei schwebende« Linke wie Lion Feuchtwanger und Oskar Maria Graf, die jedoch weiterhin in den USA blieben, da sie keine amerikanischen Staatsbürger waren und demzufolge befürchteten, nach einem zeitweiligen Verlassen der Vereinigten Staaten, wie der als Kommunist verdächtigte Charlie Chaplin, kein offizielles Re-entry Permit zu bekommen. Andere, wie Hermann Kesten, pendelten in diesen und den folgenden Jahren ständig zwischen den USA, der Schweiz, Italien und Westdeutschland hin und her, weil ihnen die Heimat zur Fremde, aber die Fremde nicht zur Heimat geworden war. Derselbe Kesten publizierte deshalb später beim List-Verlag den vielbeachteten Sammelband Ich lebe nicht in der Bundesrepublik (1964), in dem über 30 Exilautoren ihre Gründe dafür darlegten, warum sie nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückgekehrt waren.20 In den drei Westzonen suchten dagegen zwischen 1945 und 1949 nur sehr wenige Exilautoren und -autorinnen wieder heimisch zu werden. Einer der ersten und aktivsten unter diesen Rückkehrern, der nicht wie Stephan Hermlin, Stefan Heym und Hans Mayer nach dem Beginn des Kalten Kriegs in die sowjetische Besatzungszone überwechselte, war Alfred Döblin. Um 81
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Abb. 12 Alfred Döblin im Gespräch mit dem CDU-Politiker Joachim Tiburtius in Westberlin (1. Januar 1948)
der deutschen »Rumpfliteratur«, wie er sie nannte,21 wieder auf die Beine zu helfen, empfahl Döblin – neben der schnellen Verbreitung von Schriften humanistischer und religiöser Exilautoren – vor allem die Neuveröffentlichung von Werken jüdischer Autoren wie Peter Altenberg, Max Brod, Hugo von Hofmannsthal und Jakob Wassermann sowie expressionistischer Lyriker und Lyrikerinnen wie Ernst Blass, Albert Ehrenstein, Else Lasker-Schüler, Alfred Mombert und Paul Zech, schwieg sich dagegen über linke Autoren und Autorinnen wie Anna Seghers, Ernst Toller, Kurt Tucholsky usw. weitgehend aus. Trotz seiner konservativen Anschauungen haftete jedoch Döblin selbst in diesen Jahren noch immer der Makel eines ehemaligen Linken an. Dass er überhaupt wirken konnte, verdankte er ausschließlich seiner Funktion als französischer Kulturoffizier und seiner offenen Angriffe auf den Marxismus. Auch ein Exilrückkehrer wie Fritz von Unruh machte sich in diesen Jahren vor allem als Antikommunist einen Namen.22 Allerdings hielten es beide – aus unterschiedlichen Gründen – nur wenige Jahre 82
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in Westdeutschland aus. Döblin ging wieder nach Frankreich, Unruh in die USA zurück. Wer sonst mit kulturpolitischen Ambitionen in die drei Westzonen remigrierte und sich nicht als Antikommunist hervortat, hatte kaum Chancen, beachtet zu werden. So kam etwa Leonhard Frank 1950 nach München zurück, blieb jedoch ein relativ mittelloser Außenseiter, der von der bundesrepublikanischen Literaturkritik kaum beachtet wurde.23 Auch Hans Henny Jahnn hauste in Hamburg anfangs recht ärmlich und galt als »überlebt«. Dasselbe trifft auf Kurt Hiller zu, der für jeden Tag, den er unterm Nazifaschismus in Schutzhaft verbracht hatte, sage und schreibe fünf Mark »Wiedergutmachung« erhielt.24 Aber selbst im Hinblick auf solche Schicksale wäre es kurzschlüssig, rein moralisch zu argumentieren. Beschwörungen wie »Man hätte …« helfen auch hier nicht weiter. Dass all dies so ablief, war weder die Schuld der Westdeutschen noch der Exilrückkehrer. Letztlich hätten sich die staatlichen Stellen tatkräftiger für eine finanzielle Unterstützung der Remigrationswilligen einsetzen müssen. Die einzige Erklärung dieser Art, welche die westdeutschen Ministerpräsidenten abgaben und die im Juni 1947 durch die Presse ging, war recht allgemein gehalten und wurde nicht durch konkrete Einzeleinladungen, geschweige denn durch detaillierte Stellen- und Wohnungsangebote ergänzt.25 Aber selbst wenn die hier ins Auge gefassten Exilautoren und -autorinnen tatsächlich zurückgekommen wären, hätte »man« – innerhalb der privatwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des westdeutschen Kulturbetriebs – niemanden zwingen können, ihre Bücher zu publizieren oder gar zu lesen. Und darin besteht das eigentliche Problem. Wäre denn die konservative bis rechtsliberale Intelligenz in den drei Westzonen – ohne staatlichen Zwang wie im Osten – überhaupt bereit und willens gewesen, sich mit den Schriften dieser Autoren und Autorinnen ernsthaft auseinanderzusetzen ? Dass sie es nicht war, belegt unter anderem der bekannte Briefwechsel über die Frage der Kollektivschuld zwischen Walter von Molo und Thomas Mann vom Herbst 1945, in den auch Frank Thiess und Manfred Hausmann eingriffen.26 Schon hier wurde klar, welch ein Abgrund zwischen einem bürgerlich-humanistischen Autor mit Exilerfahrung wie 83
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Thomas Mann und den Vertretern der sogenannten Inneren Emigration klaffte. Und dieser Abgrund vertiefte sich in der Folgezeit, als Thomas Mann im Zuge des Kalten Kriegs ideologisch weiter nach links rückte und schließlich sogar die USA verließ. Demzufolge wurde er 1949, als er nach den Goethe-Feiern in Frankfurt auch zu den Goethe-Feiern in Weimar fuhr, von den Rechten in den USA und der eben gegründeten Bundesrepublik in aller Öffentlichkeit als »Kommunistenfreund« angepöbelt.27 So schrieb etwa Gerhard Nebel anlässlich des 65. Geburtstags von Thomas Mann am 6. Juni 1950 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung voller Häme, dass sich dieser Autor in den letzten Jahren als »Exponent einer bis zur Dummheit gehenden Abneigung gegen Deutschland« und als »Anwalt der östlichen Schinderwelt« bloßgestellt habe, der ständig im »Schmutz« wühle und stets dann am »schwächsten« sei, wenn er »zu denken beginne«.28 Wenn schon die Mehrheit der westdeutschen Intellektuellen Thomas Mann so feindlich gegenüberstand,29 um wie viel abweisender muss sie sich jenen exponierten Linken gegenüber verhalten haben, die nach 1945 in die sowjetische Besatzungszone übergesiedelt waren. Das zeigte sich besonders bei fast allen Versuchen, die Vertreter und Vertreterinnen des antifaschistischen Exils mit den Repräsentanten und Repräsentantinnen der Inneren Emigration an einen Tisch zu bringen. Das bekannteste Beispiel dafür ist jener bereits erwähnte Erste Deutsche Schriftstellerkongress, der im Herbst 1947 in Berlin stattfand und auf dem es zu scharfen Konfrontationen zwischen diesen beiden Gruppen kam.30 Auch der Sammelband Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt, den Richard Drews und Alfred Kantorowicz im gleichen Jahr veröffentlichten und der Textproben aus beiden Bereichen enthielt, löste deshalb höchst unterschiedliche Reaktionen aus. In der Folgezeit, als sich der Kalte Krieg voll entfaltete, wurden solche Annäherungsversuche immer schwieriger. Es verwundert daher nicht, dass die Bücher der antifaschistischen Exilautoren und -autorinnen im Belletristikprogramm der westdeutschen Verlage zwischen 1945 und 1949 eine recht marginale Rolle spielten, während sie zu gleicher Zeit in der SBZ in hohen Auflagen herauskamen. Zugegeben, 84
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hierbei gab es im Einzelnen durchaus Imponderabilien, die sich nicht ohne Weiteres in das politische und kulturelle Gesamtbild dieser Epoche einfügen. Schließlich haben wir es auf diesem Gebiet nicht nur mit ideologisch gesteuerten Machinationen, sondern auch mit privatwirtschaftlichen Copyright-Fragen, Verlagsentscheidungen, persönlichen Beziehungen, Nachlasskomplikationen und anderen Faktoren zu tun, die in Einzelfällen einen wichtigen Einfluss hatten. Doch im Großen und Ganzen waren es in Westdeutschland meist folgende Motivationen, die bei verlegerischen Entscheidungen, ob das Werk eines früheren Exilautors oder einer Exilautorin gedruckt werden solle oder nicht, den entscheidenden Ausschlag gaben : der finanzielle Aspekt sowie die Frage, welche Rolle das betreffende Werk im Hinblick auf die ideologischen Entscheidungen des Kalten Kriegs spielen würde. Wer diesen Kriterien positiv entsprach, konnte deshalb nach 1945 selbst als Exilschriftsteller auf dem westdeutschen Buchmarkt beachtliche Erfolge erzielen. Am leichtesten gelang das alten Bestsellerautoren wie Alfred Neumann mit seinen Romanen Rebellen und Der Teufel aus den späten zwanziger Jahren. Auch manche Werke von Stefan Zweig, darunter sein Lebensrückblick Die Welt von Gestern (1942), erreichten schnell hohe Auflagen. Als ebenso erfolgreich erwiesen sich Romane wie Das Lied von Bernadette (1941) und Stern der Ungeborenen (1946) von Franz Werfel, die erst bei Bermann Fischer in Stockholm und dann 1948 bzw. 1949 bei Suhrkamp herauskamen. Ebenso häufig nachgedruckt und besprochen wurden die Werke kommunistischer Renegaten wie Gustav Reglers Sterne der Dämmerung (1948) und Arthur Koestlers Sonnenfinsternis (1948), welche wie die Romane von Theodor Plievier ein willkommenes Politikum im Kalten Krieg darstellten. Wesentlich schwerer hatte es dagegen Alfred Döblin, der in diesem Zeitraum selbst seinen weltberühmten Roman Berlin Alexanderplatz (1929) lediglich beim Schleber-Verlag in Kassel unterbringen konnte. Noch unbeachteter blieben Werke früherer Exilautoren wie Tibbs von Robert Neumann, Das zweite Leben von Peter de Mendelssohn, Ob Tausend fallen von Hans Habe, Die Blendung von Elias Canetti und Glückliche Menschen 85
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von Hermann Kesten, die alle fünf im Jahr 1948 erschienen, sowie jene Romane von Irmgard Keun, welche der Düsseldorfer Komet-Verlag und der Kölner Epoche-Verlag nach 1945 herausbrachten. Von ausgesprochen linken Romanen, falls sie überhaupt auf den Markt kamen, nahm danach fast niemand mehr Notiz oder man kanzelte sie mit den üblichen Kriterien des Kalten Kriegs von vornherein als »totalitaristisch« gesinnte Propagandamachwerke ab.
IV Kommen wir zu Folgerungen. Während in der sowjetischen Besatzungszone bereits in den ersten Nachkriegsjahren die Werke all jener Autoren und Autorinnen erschienen, die im Exil auf der Grundlage linker, linksliberaler oder bürgerlich-humanistischer Anschauungen eine klare antifaschistische Haltung bezogen hatten, handelte es sich bei den Exilwerken im Belletristikprogramm der westdeutschen Verlage zwischen 1945 und 1949 um eine wesentlich kleinere und zugleich höchst unterschiedliche Gruppe von Werken, deren Gemeinsamkeit meist nur darin bestand, dass sie weder antifaschistische noch linke Tendenzen aufwiesen. Was in dieser Werkgruppe im Vordergrund stand, war entweder Christliches wie in Werfels Das Lied von Bernadette oder antikommunistisches Gedankengut wie in Koestlers Sonnenfinsternis. Manche dieser Autoren, wie Erik von Kuehnelt-Leddihn in seiner Utopie Moskau 1997 (1949), verbanden diese beiden Elemente sogar. Als ebenso positiv in politischer Hinsicht empfanden viele westliche Kritiker und Kritikerinnen in diesem Zeitraum jene Literatur, die, wie die Serenus-Zeitblom-Passagen in Thomas Manns Doktor Faustus (1947),31 aus dem Erfahrungsbereich der Inneren Emigration oder, wie die Oderbruch-Szenen in Des Teufels General (1946) von Carl Zuckmayer,32 aus dem Erfahrungsbereich des bürgerlich-konservativen Widerstands gegen das Dritte Reich stammte. Das beweisen nicht nur die Aufführungsziffern des Zuckmayer’schen Stücks, die anfänglich wesentlich höher waren als die aller anderen Dramen aus dem Exil, einschließlich der von Bertolt Brecht, sondern auch die Nachdrucke von Romanen ehemaliger Exilautoren in 86
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westdeutschen Zeitungen zwischen 1945 und 1949, bei denen, wie die einschlägigen Statistiken belegen,33 Autoren wie Koestler und Werfel eindeutig an der Spitze lagen. Im Gegensatz zu den Verlagen der sowjetischen Besatzungszone, die im Zuge einer entschiedenen Vergangenheitsbewältigung vor allem die antifaschistische Exilliteratur in großen Auflagen unter die Leute zu bringen versuchten, um so einen allgemeinen Gesinnungswandel herbeizuführen, wurde also in den drei Westzonen innerhalb der Exilliteratur gerade das ausgespart, bei dem es um eine kritische Darstellung des Nationalsozialismus oder gar einen Widerstand von links gegen das NS-System ging. Daher blieb der »sozialistisch oder kommunistisch engagierte Teil der Exilliteratur« in diesen Breiten weitgehend draußen vor der Tür.34 Und zwar bediente sich die westdeutsche Presse bei diesem Selektionsprozess meist einer Argumentationsweise, die zwar selbst in den »heil’gen Hallen« der Literatur – wie in der 1948 gegründeten Kalter-Krieg-Zeitschrift Der Monat – die Kritik am Kommunismus höchst energisch unterstützte, dagegen eine linksorientierte Kritik am Faschismus als unangebrachte Aktualitätshascherei, wenn nicht gar Depravierung des Dichterischen ins Ideologische, Tendenziöse und damit Totalitaristische hinstellte, der man nach der »teuflischen« NS-Zeit den älteren bürgerlichen Drang ins Höhere, Mystische, Magische, Religiöse, Transzendentale, Idealistische, kurz : Unpolitische entgegensetzen müsse. Dementsprechend schrieb ein Kritiker der Kölnischen Rundschau nach einer Aufführung von Friedrich Wolfs Professor Mamlock, einem Exildrama gegen den Antisemitismus der NSDAP, schon gegen Ende 1946 : »Was fangen wir mit Tendenzstücken wie ›Professor Mamlock‹ an ? Mit solchen Sachen wurden wir im Dritten Reich gefüttert ! Wir wollen Werke sehen, die uns erheben aus unserer Enge, hoch hinaus über unser armseliges Dasein zu größeren Dingen !«35 In dieser Äußerung kommt bereits vieles zum Ausdruck, was für einen Großteil der späteren Literaturentwicklung in der Bundesrepublik der frühen fünfziger Jahre ausschlaggebend werden sollte : die Wendung ins Höhere und Unrealistische, ein vages, aber geschickt kaschiertes Schuldbewusstsein, das nur noch in verschleiernden »Wir«-Gesten zum 87
Erwünschte und Unerwünschte
Ausdruck kam, sowie die Ablehnung aller politisch motivierten Literatur im Sinne der kurz darauf propagierten Totalitarismustheorien des Kalten Kriegs, die vorgaben, dass zwischen Braun und Rot nicht der geringste Unterschied bestehe. Die meistdiskutierten Werke dieser Jahre waren daher in den drei Westzonen – neben der Sonnenfinsternis und dem Lied von Bernadette – Das Glasperlenspiel (1943) von Hermann Hesse, Wir sind Utopia (1943) von Stefan Andres, Die Gesellschaft vom Dachboden (1946) von Ernst Kreuder, Das unauslöschliche Siegel (1946) von Elisabeth Langgässer, Die Stadt hinter dem Strom (1947) von Hermann Kasack, Heliopolis (1949) von Ernst Jünger und ähnliche Werke – und nicht Romane wie Die Geschwister Oppenheim (1933) von Lion Feuchtwanger, Die Prüfung (1934) von Willi Bredel, Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935) von Heinrich Mann, Pardon wird nicht gegeben (1935) von Alfred Döblin, Anton Sittinger (1937) von Oskar Maria Graf, Abschied (1940) von Johannes R. Becher, Transit (1944) von Anna Seghers, Das Beil von Wandsbek (1947) von Arnold Zweig oder die Dramen Bertolt Brechts und Friedrich Wolfs, mit denen man sich damals in der SBZ auseinandersetzte. Von den Letzteren waren vielen westdeutschen Lesern und Leserinnen nicht einmal die Autoren oder Titel bekannt.36 Weder die Zeitungskritiker noch die Literaturhistoriker beschäftigten sich damals in ihren Feuilletons bzw. Seminaren mit derartigen Werken der antifaschistischen Exilliteratur. Es gab zwar einige Sammelbände und Aufsätze, in denen auch linke Exilschriftsteller und -schriftstellerinnen erwähnt wurden, doch sie stammten fast ausschließlich von Autoren wie Stephan Hermlin, Alfred Kantorowicz und Hans Mayer, die sich nach 1947 in die sowjetische Besatzungszone absetzten. Lediglich an der Deutschen Bibliothek in Frankfurt wurden seit 1948, angeregt durch Hanns W. Eppelsheimer, erste Versuche unternommen, alle Werke der zwischen 1933 und 1945 im Exil publizierten Literatur zu erfassen und anzukaufen. Doch auf dem Buchmarkt war nach der von den Westmächten einseitig durchgeführten Währungsreform und der von den Sowjets als Revanche gedachten Berliner Blockade, die 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen eine scharfe 88
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Aversion gegen den Kommunismus auslöste, für eine solche Literatur kaum noch jemand zu interessieren. Aufgrund dieser Entwicklung schrieb der Verleger Kurt Desch im August dieses Jahres, und zwar mit »Rücksicht auf die ›Innere Emigration‹«, wie er ausdrücklich betonte, an Walter A. Berendsohn in Schweden, dass er den zweiten Band der Humanistischen Front, den dieser gerade abgeschlossen hatte, angesichts der gewandelten Situation nicht mehr herausbringen könne.37 An dieser Ausgangslage änderte sich auch in den frühen fünfziger Jahren wenig. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten auf dem Rumpfterritorium des früheren NS-Staats sowie der Verschärfung der politischen Polarisierung nach Beginn des Koreakriegs (1950–1953) wurden auch die literarischen Auseinandersetzungen immer erbitterter. Während die Parteigewaltigen in der DDR zwischen 1949 und 1956 – im Zuge der von Andrej Shdanow inszenierten Formalismus-Debatte – im Bereich des Literarischen fast nur noch zwischen westlicher »Dekadenz« und einem recht eng gefassten »Sozialistischen Realismus« unterschieden, wodurch selbst manche der früheren linken Exilautoren und -autorinnen in Schwierigkeiten gerieten, begann die Mehrheit der westdeutschen Kritiker und Kritikerinnen im gleichen Zeitraum – im Rahmen der allerseits propagierten Kontinuitäts- und Restaurationsparolen – sowohl die ältere als auch die gegenwärtige Literatur zusehends in ein westliches, sprich : antitotalitaristisches und damit gutes, und ein östliches, sprich : kommunistisches und damit schlechtes Schrifttum auseinanderzudividieren. In der Bundesrepublik führte das dazu, dass an die Stelle des Unterschieds zwischen innerer und äußerer Emigration, der bis 1949 in den Literaturdebatten des Feuilletons immer wieder hochgespielt worden war, jetzt nur noch der als aktuell empfundene Gegensatz zwischen totalitär überformter und abendländisch-freiheitlicher Literatur diskutiert wurde.38 Diejenigen Werke eines Hermann Broch, Thomas Mann, Robert Musil, Franz Werfel, Carl Zuckmayer und Stefan Zweig, die aus dem ästhetisierenden, religiösen, bürgerlich-humanistischen oder existentialistischen Bereich der Exilliteratur stammten, hatten es darum selbst in diesen Jahren nicht schwer, die Gunst der 89
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westdeutschen Kritik und damit der an Hochliteratur interessierten Theaterbesucher und Leserschichten zu erringen. Dagegen wurden die linken Schriftsteller und Schriftstellerinnen des Exils, vor allem jene, die jetzt in der DDR lebten, nach 1948/49 westlich des Eisernen Vorhangs entweder verteufelt oder totgeschwiegen, was oft noch folgenreicher war.39 So drangen etwa auf die Ideologie des Kalten Kriegs eingeschworene CDU/CSU-Stadträte in den fünfziger und frühen sechziger Jahren immer wieder darauf, keine Stücke des »Kommunisten« Brecht mehr auf den Spielplan zu setzen40 oder einem zum ostdeutschen Kultusminister aufgestiegenen Exilautor wie Johannes R. Becher die Einreise in die Bundesrepublik zu verweigern.41 Sogar ein SPD-Politiker wie Willy Brandt wurde damals von manchen Vertretern der Regierungsparteien noch vornehmlich als linker Exilant angegriffen. Franz Josef Strauß zum Beispiel erklärte im Jahr 1961, als Brandt erstmals als Kanzlerkandidat der SPD auftrat : »Eines wird man doch aber Herrn Brandt fragen dürfen : Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht ? Wir wissen, was wir drinnen gemacht hahen.«42 Auch Ludwig Erhard, der allgemein als »besonnen« Geltende, sagte im Oktober 1965 in der Hitze des Wahlkampfs : »Ich habe schon an der Stabilität der D-Mark gearbeitet, als Herr Brandt noch nicht wieder deutschen Boden betreten hatte.«43 Allerdings mussten Strauß und Erhard noch erleben, dass bereits zwei bis drei Jahre darauf – durch die liberalen bis linksliberalen Demokratisierungswellen im Kultur- und Geistesleben seit 1961, den ersten Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung um 1966/ 67 und schließlich den Wahlerfolg der SPD im Jahr 1969 – ein ehemaliger Exilant wie Willy Brandt zum wichtigsten Vertreter neuer Entwicklungstendenzen in der westdeutschen Politik aufsteigen konnte. Und auch auf literarischem Gebiet waren nach diesen Veränderungen die im Exil entstandenen antifaschistischen Werke von Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Heinrich Mann, Anna Seghers, Ernst Toller wie auch anderer linker Exilautoren und -autorinnen in der BRD keine unbekannten Größen mehr, sondern erfuhren endlich jenen Respekt, den ihnen die westlichen Exponenten des Kalten Kriegs fast 20 Jahre lang verweigert hatten.44 90
»Die große Kontroverse«. Der Exilant Thomas Mann und die sich als die »besseren Deutschen« aufspielenden Vertreter der Inneren Emigration »Sie dürfen nicht mit dem Anspruch des Ruhmes zurückkehren. In ihrem Fortgehen lag eine bittere Notwendigkeit, aber kein Ruhm. Wer vor Bluthunden flieht, kann bedauert und getröstet werden, aber er braucht nicht gerühmt zu werden. Nur die in der Hölle gewesen sind, können vielleicht gerühmt werden, aber auch von ihnen haben sich viele hinter den Kesseln versteckt.« (Ernst Wiechert über die Exilanten und die im Dritten Reich Gebliebenen in : Jahre und Zeiten. Erinnerungen, 1949)
I Thomas Mann, der seit 1940 in seinen BBC-Ansprachen an Deutsche Hörer immer wieder darauf gehofft hatte, dass sich die »besseren Deutschen« endlich gegen die Nazi-Diktatur auflehnen würden, war daher in den letzten Kriegsjahren bitter enttäuscht, dass nichts dergleichen geschah. Während es in Italien zum Sturz Mussolinis kam, kämpfte und arbeitete die Mehrheit seiner früheren Landsleute bis zur endgültigen Niederlage unermüdlich weiter, als gäbe es noch immer die Hoffnung auf einen möglichen Endsieg. Das erbitterte ihn so sehr, dass er sich entschloss, mit einem dem Nazifaschismus verfallenen Volk wie den Deutschen – voller Misstrauen gegenüber einem möglichen Gesinnungsumschwung dieser Nation – auf Jahre hinaus keinen persönlichen Kontakt aufzunehmen. Er war deshalb zutiefst irritiert, als ihn schon kurz nach Kriegsende, genauer am 8. August 1945, Walter von Molo, einer der nach 1933 im Dritten Reich verbliebenen Autoren, aufforderte, doch möglichst umgehend 91
»Die große Kontroverse«
nach Deutschland zurückzukehren, um dort als »guter Arzt« dem deutschen Volke mit »Rat und Tat« zur Seite zu stehen.1 Und zwar ging Molo dabei so weit zu behaupten, dass das deutsche Volk, also »Ihr Volk«, wie es in seinem Schreiben hieß, das nunmehr seit einem Dritteljahrhundert hungere und leide, im »innersten Kern« mit den »Missetaten und Verbrechen, den schmachvollen Greueln und Lügen«, die ihm zugemutet worden seien, »nichts gemein« habe. Es sei zu einem wirklichen »Haß« überhaupt nicht fähig, schrieb er, weil es als Kulturnation stets »seinen großen Meistern, die die Welt liebt und verehrt«, trotz aller Erniedrigungen den schuldigen Respekt erwiesen habe.2 Da dieser Brief nicht allein privat an Thomas Mann abgeschickt wurde, sondern am 3. August auch in der Münchner Zeitung, einem Blatt der amerikanischen Militärregierung für die deutsche Zivilbevölkerung, erschien, ja, von vielen anderen Zeitungen innerhalb Deutschlands, aber auch in den USA, England, Schweden und Südamerika nachgedruckt wurde, geriet dieser Brief schnell ins Zentrum einer weitreichenden Debatte, welche unter der Bezeichnung »Die große Kontroverse« in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Dass sich diese Kontroverse schnell zu einer politischen Grundsatzfrage zuspitzte, ging vor allem darauf zurück, dass Frank Thiess am 8. August in der gleichen Münchner Zeitung einen Artikel unter dem Titel Die innere Emigration folgen ließ, in dem er – unter Bezugnahme auf den Brief von Walter von Molo – die These vertrat, dass sich nach dem Zusammenbruch Deutschlands »alle geistigen Menschen, die den Nationalsozialismus von innen und außen bekämpft hätten«, zu einem gemeinsamen »Aufbauwerk zusammenfinden müßten«.3 Thiess wiederholte in diesem Zusammenhang zwar auch Molos Aufforderung an Thomas Mann, doch möglichst umgehend nach Deutschland zurückzukehren, ließ aber deutlich durchblicken, dass er selbst und seinesgleichen, die er als Vertreter der »Inneren Emigra tion« bezeichnete, ein wesentlich besseres Verständnis für die deutsche Situation hätten als jene Autoren, die der »deutschen Tragödie« lediglich von den »Logen und Parterreplätzen des Auslands« zugeschaut hätten.4 Ja, er schrieb sogar selbstbewusst : »Ich glaube, es war schwerer, sich hier eine 92
Der Exilant Thomas Mann und die Vertreter der Inneren Emigration
Persönlichkeit zu bewahren, als von drüben Botschaften an das deutsche Volk zu senden, welche die Tauben im Volke ohnehin nicht vernahmen, während wir Wissenden uns ihnen stets um einige Längen voraus fühlten.«5 Thomas Mann zögerte fast zwei Monate, bis er sich zu einer Antwort an Walter von Molo entschloss. Seine Tagebücher aus dieser Zeit legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie sehr er dabei von höchst verschiedenen Gefühlen der Angst, des Zweifels, der Ungewissheit, der Eitelkeit, des verletzten Stolzes und der Heimatliebe hin- und hergerissen wurde. Als er schließlich seine Antwort am 12. Oktober 1945 unter dem Titel Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe als offenen Brief im Augsburger Anzeiger veröffentlichen ließ, lasen die erstaunten an solchen Fragestellungen interessierten Deutschen darin Folgendes. Nachdem Mann erst einmal in einem Eingangspassus seiner Freude darüber Ausdruck gab, dass Deutschland »mich wiederhaben will«, und zwar »nicht nur meine Bücher, sondern mich selbst als Mensch und Person«, führte er vor allem drei Gründe an, die ihm eine Rückkehr in dieses »verwildernde, ihm wildfremd gewordene Land« als wenig förderlich erscheinen ließen : 1. seine Enttäuschung, dass anno 1933 kein Generalstreik aller Geistigen stattgefunden habe, 2. dass man die Schrecken der Folgezeit nicht einfach »von der Tafel wischen« könne und 3. dass er inzwischen ein »amerikanischer Bürger« geworden sei, dessen Kinder fest in diesem Lande »eingewurzelt« seien.6 Außerdem verwahrte sich Mann indirekt gegen den von Thiess geäußerten Vorwurf, die letzten zwölf Jahre in den privilegierten »Logen und Parterreplätzen des Auslands« verbracht zu haben – und wies auf die »nervösen Schrecken der Heimatlosigkeit«, wie überhaupt das »Herzasthma des Exils« hin, das ihn in dieser Zeit immer wieder überfallen habe.7 Daher sei es nicht leicht für ihn, schrieb er, einfach zurückzukehren und den Deutschen all das zu »vergeben«, dessen sie sich inzwischen in ihrer Gesamtheit schuldig gemacht hätten. Der Begriff »Innere Emigration« kommt demzufolge in seinem Antwortschreiben nicht vor. Im Gegenteil, Mann unterstellte in ihm stattdessen allen Autoren, die nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten in Deutschland verblieben seien, dass »sie mitgetanzt und dem Herrn Urian 93
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aufgewartet« hätten. »Es mag Aberglaube sein«, schrieb er unerbittlich, »aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an : sie sollten alle eingestampft werden.«8 Das waren scharfe Worte. Dennoch zeigte sich Mann in den Schlusspassagen seines Briefs etwas versöhnlicher und versicherte Molo, dass er nach wie vor jede »Kunde aus Deutschland« allen anderen »Nachrichten aus der großen Welt« entschieden vorziehe, ja, sich durch »unzerreißbare Bande« weiterhin mit jenem Lande verbunden fühle, das ihn einst »ausgebürgert« habe. »Ich werde nie aufhören«, erklärte er, »mich als deutscher Schriftsteller zu fühlen und bin auch in den Jahren, als meine Bücher nur auf englisch ihr Leben fristeten, der deutschen Sprache treu geblieben.«9 Überhaupt habe ihn Deutschland nie in »Ruhe« gelassen. Ständig habe er auch für jene Menschen ein zwar misstrauisches, aber im Tiefsten gutwilliges Verständnis aufzubringen versucht, welche sich den Vertretern eines pauschalen Germanismus oberflächlich angepasst hätten. Schließlich sei ihm im Laufe der letzten Jahre aufgegangen, dass es nicht einerseits ein »gutes« und andererseits ein »böses« Deutschland gebe. Das »böse« Deutschland, habe er den Amerikanern noch vor kurzem in seinem Vortrag Deutschland und die Deutschen erklärt, sei das »fehlgegangene gute«, das »gute im Unglück«, das sich mit all seiner hohen Kultur dem Teufel verschrieben habe. Dennoch glaube er, fast schon das Ende des Doktor Faustus vorwegnehmend, dass »die Gnade« letztlich mehr zähle als »jeder Blutsbrief«. Aus diesem Grunde schloss er diesen Brief mit der herkömmlichen, aber zutiefst ideologisierten Floskel : »Auf Wiedersehen also, so Gott es will. Ihr sehr ergebener Thomas Mann.«10 Dass dieser Brief unter den Vertretern und Vertreterinnen der »Inneren Emigration« empörte Gegenreaktionen auslöste, konnte nicht ausbleiben. Vor allem Manns Forderung, dass alle Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt worden seien, »eingestampft« werden müssten, stieß auf heftigen Widerstand. Der Erste, der den Reigen der Gegenstimmen eröffnete, war Edwin Redslob, der am 23. Oktober 1945 94
Der Exilant Thomas Mann und die Vertreter der Inneren Emigration
im Berliner Tagesspiegel schrieb, dass er eine solche Äußerung als »durchaus ungerecht« empfände, und Thomas Mann die zwischen 1933 und 1945 erschienenen Werke von Kasimir Edschmid, Frank Thiess und Ernst Wiechert entgegenhielt, die völlig frei von jenem »Blutschaum« seien, den der Dichter der Buddenbrooks in allem Gedruckten aus diesem Zeitraum wahrzunehmen glaube.11 Und wie Redslob stellten auch andere in Deutschland verbliebene Intellektuelle darauf Mann als einen seiner früheren Heimat total entfremdeten Autor hin, der überhaupt nicht wahrgenommen habe, dass selbst nach 1933 neben den Büchern der bereits genannten Autoren auch höchst bedeutsame Werke von Werner Bergengruen, Hans Carossa, Gerhart Hauptmann und Ricarda Huch erschienen seien. Ja, August Enderle schrieb im Weser-Kurier, dass man aus dem Brief Thomas Manns lediglich die kleinliche Angst herauslesen könne, in Deutschland eventuell irgendwelchen materiellen Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu werden, da es ihm im kalifornischen Exil offenbar ausnehmend komfortabel gehe.12 Wohl das meiste Gewicht unter diesen empörten Leserbriefen hatten jene von Otto Flake und Wilhelm Hausenstein. Flake warf ihm am 8. Dezember 1945 im Badener Tagblatt unter dem Titel Der Fall Thomas Mann vor, sich allzu schnell um die amerikanische Staatsbürgerschaft beworben zu haben, anstatt den Gang der Dinge erst einmal abzuwarten. Jedenfalls sei eine solche Haltung, erklärte er, nicht besser als die jener Deutschen, die das »Schicksal der Nation« auf sich genommen hätten, »um nachher legitim mitreden zu können«.13 Hausensteins Antwort, welche die defensive Überschrift Bücher – frei von Blut und Schande trug, erschien wohlplaziert am 24. Dezember 1945 in der Süddeutschen Zeitung. In ihr hielt er Thomas Mann vor, dass er sich einer »argen Vereinfachung« schuldig gemacht habe, alle Bücher, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland herausgekommen seien, als »wertlos«, wenn nicht gar nach »Blut« riechend bezeichnet zu haben,14 und wies anschließend auf eine Reihe von Autoren und Autorinnen wie Stefan Andres, Richard Benz, Werner Bergengruen, Ernst Beutler, Theodor Heuss, Josef Hofmiller, Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Gertrud von Le Fort, Carl Linfert, Josef Pieper, Reinhold Schneider, Dolf 95
»Die große Kontroverse«
Sternberger, Gerhard Storz, Wilhelm Emanuel Süskind und Karl Vossler hin, deren Bücher man keineswegs »einstampfen« solle, da sie selbst in den dunkelsten Zeiten der Diktatur ein beredtes Zeugnis für die grundsätzliche Unvereinbarkeit von Geist und Macht abgelegt hätten. Thomas Mann, im fernen Kalifornien sitzend, bekam zwar nicht alle diese Briefe zu sehen, aber doch genug von ihnen, um sich ein relativ klares Bild über jene Gruppe deutscher Autoren machen, die sich dort schon kurz nach der deutschen Kapitulation als aufrechte Vertreter einer »Inneren Emigration« aufzuspielen versuchten, obwohl manche von ihnen mit einzelnen Programmpunkten des Nazifaschismus, wenn auch nur vorübergehend, durchaus geliebäugelt hatten. Jedenfalls finden sich im Herbst und Frühwinter 1945 in Manns Tagebuch immer wieder Notate über die eben genannten Schriftsteller. Wie ernst es ihm mit seiner Antwort an Molo war, belegen vor allem die Eintragungen während der ersten Septemberwochen. Ja, am 9. dieses Monats überlegte er sogar, »eine Replik auf den Thieß’schen Artikel« zu schreiben, den sein in Deutschland stationierter Sohn Golo in einer brieflichen Äußerung an ihn als »Machwerk« abgekanzelt hatte.15 Auch andere Briefe Golos aus Deutschland enthielten solche Spitzen gegen die Deutschen schlechthin und weckten in dem alten »Zauberer«, wie ihn seine Kinder nannten, stets neue Affekte gegen die im Dritten Reich Gebliebenen. Ja, Golo äußerte sich in einer deutschen Radiosendung höchst abfällig über den Anspruch der Vertreter der »Inneren Emigration«, die »besseren Deutschen« gewesen zu sein, und nannte Deutschland kurzum »das alte Nazi-Land«. Und sein Vater kommentierte diesen Satz am 16. September 1945 mit der Bemerkung, dass er ihm damit die Worte geradezu »vom Munde« nehme.16 Auch Manns andere Tagebucheintragungen aus den folgenden Wochen und Monaten liegen fast alle auf derselben Linie und weisen – jenseits aller politischen Verbitterung – auf eine tiefe psychische Verletztheit hin. So schienen ihm einige »Briefe von Unbekannten aus München«, die er damals empfing, lediglich zu bestätigen, »dass die Regungen des ›neuen deutschen Geistes‹ für die Zukunft nichts Gutes versprechen«.17 Noch missvergnügter 96
Der Exilant Thomas Mann und die Vertreter der Inneren Emigration
stimmte ihn die Nachricht, dass man »Nazis« wie Friedrich Sieburg und Wilhelm Emanuel Süskind in den Westzonen erneut als Journalisten »verwende«.18 Wesentlich überzeugender fand er dagegen Briefe, in denen ihn in Deutschland verbliebene Menschen beschworen, wegen des anhaltenden Nazitums nie wieder in dieses Land »zurückzukehren«.19 Was ihn in diesem Zeitraum positiv anmutete, waren letztlich nur klare antifaschistische Statements, die er allerdings fast nur bei den ihm früher eher verdächtigen »Linken« fand. So empfand er den Aufsatz, den Georg Lukács 1945 zu Manns 70. Geburtstag in der Internationalen Literatur publizierte, als »sehr positiv«, gerade auch im Hinblick auf die »deutsche Zukunft«.20 Auch Bertolt Brechts Szenenfolge Furcht und Elend des III. Reiches beeindruckte ihn im Dezember dieses Jahres als durchaus zutreffend.21 Ja, selbst die »persönliche Leistung« Stalins im Kampf gegen Hitler bezeichnete er plötzlich als »gewaltig«.22 Damit verglichen erschienen ihm die Verteidigungen der »Inneren Emigration« – wegen ihrer ständigen Wiederholungen derselben ungerechtfertigten Argumente – eher »langweilig«.23 Das mit der »Langeweile« ist selbstverständlich nicht so ernst zu nehmen. Alles, was Thomas Mann in diesen Wochen und Monaten schrieb, belegt, wie sehr ihn die Nachrichten aus Deutschland stets aufs Neue erregten, ihn in seinem »Leiden an Deutschland« bestärkten und zugleich zum Widerspruch reizten. Wohl der beste Beweis dafür ist seine Neujahrsansprache für Deutsche Hörer, die am 30. Dezember 1945 über die Sendestationen der BBC ausgestrahlt wurde. In ihr wandte er sich scharf gegen jene Vertreter der »Inneren Emigration«, die seine Worte in dem Brief an Walter von Molo als »ein Dokument des Egoismus, der Wehleidigkeit, Abtrünnigkeit und schnöden Vorteils« ausgelegt und sich dann in Tiraden »der Selbstempfehlung, der Glorifizierung und des eigenen Heldentums« ergangen hätten.24 Im Hinblick auf den Nazifaschismus, selbst in der Form eines sich harmlos dünkenden Mitläufertums oder einer angeblichen Nichtbeteiligung, erklärte Mann, gebe es für ihn keinen Kompromiss. »Mich hat der Teufelsdreck, der sich Nationalsozialismus nennt«, sagte er bei dieser Gelegenheit, einen »tiefen, unauslöschlichen, tödlichen Haß« gelehrt. Und 97
»Die große Kontroverse«
er habe das Seinige getan, durch seine Schriften und Radiosendungen an seiner Beseitigung mitzuarbeiten. In Deutschland sei es dagegen, erklärte er verbittert, zwischen 1933 und 1939 weder zu Aufständen noch zu einer »rettenden Revolution« gekommen. Und selbst danach habe das deutsche Volk weitere »sechs Jahre sein Äußerstes, all seine Erfindungsgabe, Tapferkeit, Intelligenz, Gehorsamsliebe, militärische Pünktlichkeit, kurz, seine ganze Kraft daran gesetzt, diesem Regime zum Siege und damit zu ewiger Fortdauer zu verhelfen«.25 Deshalb sehe er heute keine Notwendigkeit, im Sinne der sich als aufrechte Systemgegner ausgebenden Vertreter der »Inneren Emigration« an der »Politik der Sieger« Kritik zu üben, »die immer nur im Sinne eines egozentrischen Patriotismus für das gedeutet würde, was andere Völker jahrelang von Deutschland erlitten hätten«.26 Ja, am Schluss dieser Rede sprach sich Mann, um der Diskussion ein höher geartetes Telos zu geben, in Anlehnung an die Roosevelt’schen One-World-Vorstellungen für eine antinationale »Vereinheitlichung der Welt« aus und bekannte sich zu einem »Weltdeutschtum«,27 das nicht mehr den Gedanken des Volkes ins Zentrum stelle, sondern eine globale Situation des Friedens, der Demokratie und sozialen Absicherung ins Auge fasse. Dass diese Rede erneut Öl ins Feuer gießen würde, war vorherzusehen. Wieder war es Frank Thiess, der als Erster das Wort ergriff und Thomas Mann in einem weiteren Offenen Brief vorwarf, sich in seiner Einstellung zu Deutschland allein von Gefühlen des »Hasses, der Bitterkeit und der Überheblichkeit« leiten zu lassen. Verständnislos für die seelische Verfasstheit des deutschen Volkes, schrieb er, verurteile dieser Mann selbst die Gutwilligen unter den vom Schicksal arg Angeschlagenen, die zwölf Jahre innerhalb der Grenzen einer gnadenlosen Diktatur verbringen mussten, und beraube sich so der Möglichkeit, sein Scherflein zu einer »Wiedergeburt des deutschen Geistes« beizutragen.28 Und so wie Thiess empfanden in diesen Monaten auch andere »deutschempfindende Deutsche«, die Thomas Mann, dem die »grausige Tiefe unseres Leids« überhaupt nicht bewusst werde, einen »voraussetzungslosen Kosmopolitismus« oder eine »narzißtische Befangenheit« zum Vorwurf machten.29 Ohne jede Güte, Liebe oder zumindest Noblesse 98
Der Exilant Thomas Mann und die Vertreter der Inneren Emigration
maße sich dieser auf der anderen Seite der Erde lebende Autor die Rolle eines »Menschheitsrichters« oder »Geistespapstes« an und vergesse damit letztlich sein angestammtes Deutschtum.30 »Es gibt keine Brücke von uns zu ihm«, hieß es in einem anderen dieser Briefe, »er haßt uns« und »beschmutzt uns«.31 »Lassen Sie mich Ihnen im Geiste die Hand drücken«, schrieb dementsprechend Herbert Lestiboudois Anfang 1946 an Thiess, »denn Sie nahmen uns allen mit Ihrer Rede im deutschen Geist und für den deutschen Geist einen Alpdruck von unserer Seele.«32 Zu den wenigen, die sich in dieser leidenschaftlich geführten Debatte auf die Seite Thomas Manns stellten, gehörte der aus der Sowjetunion zurückgekehrte Exilant Johannes R. Becher, der zu diesem Zeitpunkt Präsident des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« war. Zwar bedauerte es auch Becher, dass Thomas Mann für die Lage der in Deutschland verbliebenen Autoren so wenig Verständnis aufbringe und sich nicht zu einer Rückkehr in seine frühere Heimat entschließen könne, bat aber Thiess zugleich, mehr Verständnis für das schmerzliche Gefühl des Verstoßenseins unter den aus Deutschland Vertriebenen aufzubringen. Außerdem warf er Molo vor, mit seinem Rückkehrappell an Thomas Mann etwas »voreilig« gehandelt zu haben, statt erst einmal bei dem Autor der Lotte in Weimar »vorzufühlen«, ob er denn überhaupt den Gedanken der Remigration erwägen würde. Allerdings versagte sich Becher dabei jede Schärfe des Tons und forderte Thiess auf, an einer allmählichen Annäherung der äußeren und inneren Emigration mitzuwirken, um so ein »Wiederaufleben« des Nazifaschismus in Deutschland unmöglich zu machen.33 Obwohl sich Thiess in seinem Antwortschreiben vom 20. März 1946 weiterhin von den Anschauungen Manns scharf distanzierte, ja, ihm wegen seiner Betrachtungen eines Unpolitischen sogar eine gewisse Mitschuld an der Entstehung des nazifaschistischen Ungeistes gab, empfand er den Brief Bechers als durchaus produktiv und schloss seine Replik mit dem Wunsch, dass sich die »Emigranten aus allen Lagern« möglichst bald »in kameradschaftlicher Gesinnung zu schöpferischer Arbeit an Deutschlands Zukunft zusammenfinden« mögen.34 99
»Die große Kontroverse«
Dass sich dieser fromme Wunsch nicht oder nur zum Teil erfüllte, hatte viele Gründe, unter denen allerdings der Beginn des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR wohl der gravierendste war. Während es in den literaturpolitischen Debatten zwischen den Vertretern der inneren und der äußeren Emigration bis zum Sommer 1946 noch weitgehend um die psychologischen, moralischen oder geistesgeschichtlichen Aspekte der deutschen »Schuld« gegangen war, kam es demzufolge bei diesen Auseinandersetzungen seit der Verhärtung der ideologischen Fronten zwischen den beiden Supermächten immer stärker zu versteckten oder offenen Parteinahmen für die amerikanischen Demokratievorstellungen oder den in der Sowjetunion praktizierten Sozialismus. Auch die bisher erwähnten Debattierer in den vier Besatzungszonen blieben von diesen Umbrüchen nicht unberührt. Dass sich viele frühere Nazis oder Vertreter der Inneren Emigration durch die in den drei Westzonen entfachte antikommunistische Propagandawelle in ihrer Geringschätzung der aus dem Dritten Reich vertriebenen »linken Nestbeschmutzer« zutiefst bestätigt fühlten, konnte bei dem allgemeinen Gang der Dinge kaum ausbleiben. Und auch die ideologische Gegenposition in der sowjetischen Besatzungszone, nämlich nur noch den entschiedenen Antifaschisten unter den Emigranten oder im Dritten Reich Verbliebenen den gebührenden Respekt zu erweisen, gehört in den Kontext dieser durch den Kalten Krieg bewirkten politischen Polarisierung. Jedenfalls wurde nach diesem Zeitpunkt kaum noch eine Stimme laut, die sich für eine innerdeutsche Bewältigung des Nazi-Regimes im Sinne eines von den beiden Supermächten unabhängigen »dritten Wegs« eingesetzt und hierbei von einer »kameradschaftlichen« Zusammenarbeit gesprochen hätte. Von jetzt ab gab es für viele nur noch den »Westen« oder den »Osten«. Und auch die Remigration oder die Veröffentlichung von im Exil geschriebenen Werken verlief, wie bereits ausgeführt, weitgehend in diesen durch die politischen Meisterdiskurse vorgezeichneten Bahnen. Bertolt Brecht, Anna Seghers, Friedrich Wolf, Arnold Zweig und andere Prominente der antifaschistischen Volksfrontbewegung gingen in die sowjetische Besatzungszone, während 100
Der Exilant Thomas Mann und die Vertreter der Inneren Emigration
in die Westzonen fast nur Autoren und Autorinnen zurückkehrten, die durch ihre religiösen oder bürgerlich-humanistischen Anschauungen den Vertretern und Vertreterinnen der Inneren Emigration zum Teil zum Verwechseln ähnlich waren.
II So viel zu jener großen Kontroverse, die durch die Unnachgiebigkeit Thomas Manns in Fragen einer allgemeinen Mitschuld aller im Dritten Reich gebliebenen Autoren und Autorinnen ausgelöst wurde und auf Seiten der Vertreter und Vertreterinnen der selbsterklärten Inneren Emigration zu heftigen Gegenreaktionen geführt hatte. Doch welche Haltung nahm eigentlich die amerikanische Militärregierung im Hinblick auf die dabei angeschnittenen Probleme ein und welche Richtlinien lagen ihr zugrunde ? Noch bevor im Juli/August 1945 die Potsdamer Konferenz stattfand, war von den amerikanischen Joint Chiefs of Staff für General Dwight D. Eisenhower, den obersten Befehlshaber der US -Streitkräfte in Europa, die Direktive JCS 1067 ausgearbeitet worden. Sie wurde in den ersten zwei Nachkriegsjahren die entscheidende Grundlage für alle Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsbehörden in Deutschland. Da sie einen umfangreichen Katalog einschneidender Unterdrückungs- und Zensurbestimmungen enthielt, empfanden viele Westdeutsche die Auswirkungen dieser Direktive als unangemessen, wenn nicht gar negativ. Ihre Richtlinien gingen zum Teil auf jene Hardliner zurück, die mit anfänglicher Billigung Roosevelts auf einer territorialen Zerstückelung, Entindustrialisierung und damit letztlich Reagrarisierung Deutschlands bestanden hatten. Die einzigen positiven Leitvorstellungen, die auf einen demokratischen Wiederaufbau hinwiesen, steckten für die amerikanische Information Control Division (ICD) in Formulierungen wie : »Preparation for an eventual reconstruction of German political life« sowie »Freedom of speech, press, and religious worship will be permitted«. Dagegen hieß es in einem »Affirmative program of reorientation«, das die Herausbildung demokratisch-freiheitlicher Konzepte unterstützen sollte, lediglich lapidar : »Will be established.«35 101
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Erst im Juli 1947 wurde die Direktive JCS 1067 von der Direktive JCS 1779 abgelöst. In diesem neuen Richtlinienkatalog war von Deutschland nicht mehr als einem zu demontierenden Feindstaat die Rede, sondern von einem Land, dessen wirtschaftlicher Wiederaufbau und allmählich steigender Wohlstand für die politische Stabilität Mitteleuropas von entscheidender Wichtigkeit seien. Damit gingen allgemein gehaltene Formeln wie die von einer aktiven Unterstützung gewisser demokratischer Bemühungen und Entwicklungen einher.36 Dieser grundlegende Umschwung in der amerikanischen Deutschlandpolitik hing aufs Engste mit dem Auseinanderfallen der Kriegsallianz mit der Sowjetunion und dem in diesem Zeitraum geradezu von Monat zu Monat eskalierenden Kalten Krieg zwischen den beiden Supermächten zusammen. Für die ICD, der die Umerziehung der Deutschen zur Demokratie oblag, bedeutete das, ihr Hauptaugenmerk von der bisherigen Entnazifizierungspolitik auf eine Politik zu lenken, die sich vor allem mit der Frage beschäftigen würde, mit welchen Personen sich ein politischer und wirtschaftlicher, aber auch kultureller Wiederaufbau Westdeutschlands bewerkstelligen lasse. Aus diesem Grunde führte sie in ihrer Besatzungszone mehrere Meinungstests bezüglich der Frage durch,37 wie dieser Wandel zu bewerkstelligen sei und ob man hierbei neben bewährten Widerständlern, welche die Nazifaschisten in Gefängnisse oder Konzentrationslager gesperrt hätten, auch die aus Deutschland geflohenen Akademiker und Schriftsteller heranziehen solle. Und in diesem Zusammenhang stieß die ICD immer wieder auf den Namen Thomas Mann, der allgemein als der bedeutendste Autor unter den deutschen Exilanten galt, sich als unbeugsamer Antifaschist ausgezeichnet hatte und obendrein amerikanischer Staatsbürger war, also für eine solche Rolle den US -Behörden als besonders geeignet erschien. Aus diesem Grunde veranstalteten die amerikanischen Militärbehörden in München im Juni/Juli 1947 eine Umfrage unter den in Bayern ansässigen Intellektuellen, ob sie sich für eine Rückkehr Thomas Manns nach Deutschland einsetzen würden, hinter der sich die allgemeine Frage nach der Rückkehr von Exilanten schlechthin verbarg. Diese Aktion wurde 102
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»Umfrage über Thomas Mann und andere« genannt, wobei mit den »anderen« vor allem Carl Zuckmayer und Helene Thimig gemeint waren. Die Kernfrage des Ganzen bestand in dem Satz : »Denken Sie, dass es für diese Emigranten wünschenswert ist, zurückzukehren und an einer Wiedererziehung und Wiedergutmachung in Deutschland teilzunehmen ?« Indirekt angestoßen wurde diese Umfrage von dem Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium Dr. Dieter Sattler, der bereits am 14. Mai 1947 einen Aufruf zur Rückkehr der Emigranten verfasst hatte.38 Diesem Appell lag die Überzeugung zugrunde, dass der braune Ungeist in Deutschland noch längst nicht beseitigt sei, ja, in letzter Zeit sogar zugenommen habe. Es gebe wieder Schichten, hieß es in ihm, die, statt den 8. Mai als den Tag der »Befreiung« zu feiern, ihn als den Tag des »Zusammenbruchs« bezeichneten, für den eine verräterische Clique hoher Offiziere verantwortlich sei, wodurch sich wie nach 1918 erneut eine fatale Dolchstoßlegende anbahne. Um solchen Kräften entgegenzuwirken, schrieb Sattler, müssten sich alle Gruppen der inneren und äußeren Emigration, also sämtliche Vertreter des »anderen Deutschland«, endlich zu einer geschlossenen demokratischen Front vereinigen, um so ein Abgleiten Deutschlands in den Zustand einer nationalen Hybris zu verhindern, der erneut verhängnisvolle Folgen haben könne. Diesem Aufruf, dem Sattler den Titel An unsere Emigranten. Ein Ruf des »anderen Deutschland« über die Grenzen gab, ließ er Mitte Juni einen weiteren Appell folgen. In seiner Eröffnungsrede anlässlich der Münchener Kulturwochen ging er dabei von der Frage aus »Wo sind die Werke der Kunst und des Geistes, mit denen wir heute vor die anderen hintreten können ?« und beantwortete sie folgendermaßen : Wir müssen uns nach dem umschauen, was uns das Ausland, von dem man uns durch ein Jahrzehnt abgesperrt hat, an geistigen Hilfen geben kann. Dabei sollten wir uns vor allem an die wenden, die seit 1933 die Heimat verlassen haben, um jenseits unserer Grenze den deutschen Namen in Ehren zu halten : an unsere Emigranten. Ohne ihre Hilfe werden wir das Werk des geistigen Wiederaufbaus 103
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nicht leisten können : dies furchtbar harte Werk, das heute, zwei Jahre nach dem Waffenstillstand, eigentlich noch kaum begonnen hat.39
Darauf entschied sich die amerikanische Information Control Division in München am 24. Juni, bis zum 17. Juli die bereits erwähnte Umfrage durchzuführen, um sich ein Stimmungsbild der geistigen Lage unter den Intellektuellen ihrer Besatzungszone zu verschaffen.40 Dass sie dabei Thomas Mann ins Zentrum rückte, hing nicht nur mit seiner exponierten Rolle als bekanntester deutscher Exilautor zusammen, sondern wurde sicher auch durch jene Botschaft an das deutsche Volk ausgelöst, die Thomas Mann Mitte Mai nach seiner Ankunft in London verfasst hatte. Ja, Paul E. Moeller, der verantwortliche Offizier in der Media Analysis Section der ICD, schrieb in seinem Memorandum »Thomas Mann and others«, dass sich dieser Autor in seinen Statements, die er gerade abgegeben habe, über das deutsche Volk nicht gerade sehr »flattering« ausgedrückt habe. Dadurch sei ein neues Ressentiment gegen ihn entstanden, was ihn für eine solche Umfrage besonders interessant mache. Es lässt sich daher vermuten, dass man auf Seiten der Amerikaner nicht nur in Übereinstimmung mit den neuen Direktiven aus Washington einer auf Versöhnung drängenden Democratic Re-education Policy ausging, sondern die entscheidenden deutschen »opinion leaders« auch auf ihre ideologische Einstellung testen wollte.41 Und zwar wurde diese Umfrage in Augsburg, Erlangen, München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg durchgeführt, wobei den deutschen Gesprächspartnern stets die folgenden Fragen gestellt wurden : Kennen Sie Thomas Mann, Carl Zuckmayer und Helene Thimig überhaupt ? Glauben Sie, dass diese drei Personen für eine Umerziehung der Deutschen geeignet sind ? Sollten ihnen nach ihrer Rückkehr besondere Privilegien eingeräumt werden ? Sollen sie als Einzelpersonen oder als vom Staat eingeladene Gruppe zurückkehren ? Glauben Sie, dass die Kluft zwischen den Emigranten und den im Dritten Reich verbliebenen Deutschen bereits so groß geworden ist, dass die Emigranten lieber in ihren Gastländern bleiben sollten ? Und schließlich : 104
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Nehmen Sie an, dass diese Menschen einem steigenden Ansehen Deutschlands in der Welt eher dienen könnten, wenn sie im Ausland blieben ?
Die Antworten auf diese Fragen, die nicht zu umfangreich ausfallen sollten, erlauben höchst aufschlussreiche Einblicke in die Mentalität jener Vertreter der Inneren Emigration oder Verfolgten des NS-Regimes, welche die amerikanischen Besatzungsbehörden zwischen 1945 und 1947 in Bayern auf lokaler Ebene als politische, wirtschaftliche und kulturelle Entscheidungsträger eingesetzt hatten, die also nicht zu den verstockten Altnazis gehörten, denen es zu diesem Zeitpunkt noch verwehrt war, erneut in einflussreiche Positionen nachzurücken. Und zwar handelte es sich bei den Befragten vorwiegend um Berufsgruppen wie Bürgermeister, Stadträte, Richter, Polizeipräsidenten, Schuldirektoren, Parteisekretäre, Gewerkschafter, Indus trielle, Bischöfe, Professoren, Studienräte, Ärzte, Dentisten, Verleger, Buchhändler, Intendanten, Dramaturgen, Kunstkritiker, Komponisten, Dirigenten, Schriftsteller und Journalisten. Diesen wurden in den genannten sechs Städten, in denen sich die offiziellen Field Operation Branches des Office of Military Government for Bavaria (OMGBy) befanden, von German Investigators wie Leonore Jacob, Alfred Kiss, Walter Klose, Wolf von Lüttichau, Evi Obladen, Georg Renner, L. Sternberg und Josef Thiele, die von den Amerikanern vorher für diese Aufgabe »getrained« worden waren, entweder eine Reihe spezieller Fragen gestellt, die sie schriftlich zu beantworten hatten, oder zu mündlichen Statements aufgefordert, welche darauf die jeweiligen Investigators entweder zu Sammelberichten zusammenfassen oder der Information Control Division als knappe Interview-Resümees einreichen sollten. Während man sich dabei in München vor allem auf die prominenten Kulturschaffenden beschränkte, wurden in Augsburg, Erlangen, Nürnberg, Regensburg und Würzburg auch die lokalen Politiker und Verwaltungsbeamten um ihre Meinung zu den Exilanten im Allgemeinen und zu Thomas Mann im Besonderen befragt. Trotz einiger recht positiver Statements, wie etwa denen von Karl Amadeus Hartmann und Erich Kästner, die sich wie Dieter Sattler für eine 105
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sofortige Rückkehr der aus dem Dritten Reich vertriebenen Künstler und Intellektuellen, einschließlich Thomas Manns, einsetzten, mussten die Amerikaner den meisten Antworten auf diese Umfrage entnehmen, dass die Mehrheit der bayerischen Intellektuellen, Künstler und Politiker diesen seit langem in der »Fremde« lebenden Menschen relativ kritisch gegenüberstand. Große Teile der Befragten sprachen sich bei dieser Gelegenheit unverhohlen gegen eine Rückkehr der ehemaligen Emigranten aus, weil sie befürchteten, dass die aus Deutschland Geflüchteten für das »Leid«, das die im Dritten Reich verbliebenen Menschen erfahren und durchstehen mussten, nur wenig Verständnis aufbringen würden. Daher hielten es viele für besser, wenn sie weiterhin im Ausland blieben und sich dort für ein erneutes Ansehen des deutschen Volkes einsetzen würden. Als besonders problematisch empfanden die meisten den Vorschlag, den Rückkehrwilligen eventuell besondere »Privilegien« einzuräumen. Wer nicht freiwillig, das heißt aus Liebe oder zumindest aus dem Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Nation, das heißt als »Volksgenosse« nach Deutschland zurückkehren wolle, liest man immer wieder, der solle lieber »draußen« bleiben. Im Hinblick auf Thomas Mann erkannten zwar viele der Befragten seine literarische Größe durchaus an, warfen ihm aber eine mangelnde Großmütigkeit den Deutschen gegenüber, ja, einen regelrechten »Haß« auf sein eigenes Volk vor. Ebenso empört waren manche über seine angemaßte Sittenrichter-, Schulmeister- oder Erzieherpose, die ihnen – besonders im Hinblick auf Manns frühe, chauvinistisch gestimmte Publikationen wie Friedrich und die große Koalition (1915) und Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) – als reichlich unangebracht erschien.42 Mehrere der Befragten schlugen daher vor, dass Thomas Mann lieber außerhalb Deutschlands bleiben solle, zumal er ja selber immer wieder betone und das in letzter Zeit in London und Zürich erneut getan habe, dass er überhaupt keine Neigung verspüre, in dieses noch immer vom Nazifaschismus verseuchte Land zurückzukehren. Einige empfanden daher Verfolgte wie Eugen Kogon oder Vertreter der Inneren Emigration wie Ernst Wiechert als wesentlich berufenere Vorbilder einer neuen, mit den deutschen Verhältnissen vertrauten Gesinnung, während 106
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sich in den Äußerungen Thomas Manns eine arrogante Kälte gegenüber den unter der Nachkriegsmisere leidenden Deutschen bemerkbar mache. Darin zeige sich, wie es hieß, dass er eben doch Amerikaner geworden sei und sich nicht mehr als Deutscher fühle. Außerdem sei er viel zu alt, um sich überhaupt noch auf eine gewandelte Situation einstellen zu können, und solle sich deshalb lieber aus der Politik heraushalten.
III Ob Thomas Mann wohl von dieser Meinungsumfrage gehört hat ? Ich vermute schon. Schließlich besuchte ihn Dieter Sattler, der die gesamte Aktion indirekt eingeleitet hatte, im Juni 1948 in Pacific Palisades, wo Mann einen Nachmittag mit ihm verbrachte und ihm am Schluss seinen Doktor Faustus schenkte.43 Und bei dieser Gelegenheit werden die beiden sicher auch über die besagte Umfrage gesprochen haben. Jedenfalls kann man sich schwer vorstellen, dass dieser Test dabei nicht zur Sprache gekommen wäre. Dass Thomas Mann in diesen Zeitraum seine negative Meinung über den weiterbestehenden Nazifaschismus in Deutschland wie auch die durch die verstärkte »Russenhetze« ausgelöste Faschisierung der Vereinigten Staaten nicht änderte, belegen seine sorgfältig geführten Tagebücher aus den folgenden zwei Jahren nur allzu genau. So notierte er sich am 27. September 1947 : »Die Gegenstellung zu Rußland scheint zwangsläufig zum Fascismus zu führen.«44 Einen Tag später nannte er »die deutschen ›Denazifizierungen‹«, die ihm offenbar viel zu milde erschienen, eine »Komödie«.45 Die Aktivitäten des »Unamerican Committee« gegen alle Linken gemahnten ihn aufs Peinlichste an die »Herrschaft faschistischer Gewalt«.46 Aus Wut über solche Vorgänge schrieb er am 7. Oktober, dass der »geistig-moralische Schwerpunkt der Welt« eigentlich in Europa liegen solle, aber dort sicher zu einer »Hegemonie« der Deutschen führen würde.47 Aufgrund des wachsenden politischen Zwiespalts zwischen den USA und der UdSSR hielt er am 15. Oktober sogar die Möglichkeit eines neuen Kriegs für immer »wahrscheinlicher«. Wenn dabei die Sowjetunion unterliegen würde, heißt es, wäre das ein »Sieg Hitlers«.48 Am 9. des gleichen Monats empörte er sich 107
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über die Diffamierungen früherer Roosevelt-Anhänger.49 Über die Hearings des »Unamerican Committee« lesen wir lediglich : »Disgusting«.50 Die »namenlose, abergläubische Unbildung, mit der heute der ›Kommunismus‹ verfolgt« werde, fand Mann geradezu »quälend«.51 Am 14. November las er die Rede Johannes R. Bechers auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin und freute sich über das »wiederholte Eintreten« für ihn und sein Werk.52 Am 21. des gleichen Monats erschütterte ihn ein Überfall der reaktionären American Legion auf einen »demokratischen Club« in Glendale.53 Am 14. Dezember schrieb er, dass die USA die italienische Armee mit »modernen Waffen gegen die Kommunisten« ausstatte.54 Am Weihnachtsabend notierte er sich, dass sich die »Anti-Nazi-Schriftsteller« in der »englisch-amerikanischen Zone« in einer »elenden Lage« befänden.55 Als deshalb Thomas Mann Anfang 1948 vom Frankfurter Oberbürgermeister eingeladen wurde, an einer »Paulskirchen-Feier« mitzuwirken, lehnte er sofort ab.56 Dagegen erschien ihm der Plan seines Bruders Heinrich, ins »russische Deutschland« zu gehen, nicht ganz unratsam.57 Allerdings befürchtete er, dass der Westen eines Tages Russland aus Europa verdrängen und dafür ein »deutsches Europa« an seine Stelle treten werde.58 Am 9. Februar 1948 heißt es voller Wut auf die schleichende Faschisierung der Vereinigten Staaten : »Die Demokratie ! Sie hat allein noch in Gestalt des Sozialismus eine moralische Existenz.«59 Am 26. Februar begrüßte Mann die »kommunistische Machtübernahme« in Prag, »die wohl hauptsächlich der faschistischen Slowaken wegen nötig war«.60 Im Hinblick auf das Ruhrgebiet schrieb er am 7. März, dass dort die »alten Herren und Geldgeber Hitlers als Statthalter des amerikanischen Kapitals wieder eingesetzt« würden.61 Unter den amerikanischen Politikern imponierte ihm in diesem Zeitraum nur noch Henry A. Wallace, der entschieden dafür eintrete, die Außenpolitik nicht allein in den Dienst kapitalistischer »Privatinteressen« zu stellen, und statt dessen eine »Verständigung« mit Stalin befürworte.62 Am 16. April heißt es über die USA : »Die Verlogenheit wird abgründiger, die Neigung, alles Recht über Bord zu werfen, stärker, der Mord steht vor der Tür. Wallace mag sich hüten. Wir alle mögen uns hüten.«63 108
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Abb. 13 Thomas Mann mit Johannes R. Becher und Paul Wandel vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar (1. August 1949)
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Und so blieb es auch danach. Wenn Thomas Mann in der Folgezeit auf die amerikanische Außenpolitik zu sprechen kam, wies er unentwegt auf den »Dollar-Imperialismus« hin,64 mit dem dieses Land Europa und Südamerika in seinen Machtbereich einzubeziehen versuche. Dagegen konstatierte er mit »Schadenfreude«, wenn irgendwo in der Welt »kommunistische Unruhen aufflammten«.65 Aus diesem Grund engagierte er sich im Jahr 1948, als in den USA Präsidentschaftswahlen anstanden, eindeutig auf der Seite jener dritten Partei unter Henry A. Wallace, der sich als Einziger bemühe, die Roosevelt’sche Verständigungspolitik der UdSSR gegenüber fortzusetzen. Manns Verhältnis zu Deutschland entspannte sich dagegen in der Folgezeit etwas, zumal sein Doktor Faustus – wegen seiner geistesgeschichtlichen Spekulationen und seiner Zeitblom-Figur, die sich gut als Ausdruck der »Inneren Emigration« deuten ließ – dort eine relativ gute Presse hatte.66 Ja, in Thomas Manns Tagebüchern stößt man im Jahr 1948 sogar schon auf Äußerungen, dass ihm Erikas Haltung als zu »deutschenfeindlich« erscheine.67 Dennoch fand es Mann weiterhin »unratsam«, nach Deutschland zu gehen.68 Selbst die Einladung Bechers, im nächsten Jahr in Weimar einen Goethe-Vortrag zu halten, hielt er anfangs für »mißlich«.69 Erst im Laufe des Jahres 1949 bahnten sich in Thomas Manns Weltbild in dieser Hinsicht einige Wandlungen an. Nachdem Henry A. Wallace bei den Novemberwahlen des Jahres 1948 wegen seiner »russenfreundlichen« Anschauungen einem Befürworter der »Politik der Stärke« wie Harry S. Truman unterlegen war, was in den Vereinigten Staaten zu einer weiteren Verschärfung der Hetze gegen alles »Linke« führte, erschien ihm Deutschland nicht mehr als das einzige unheimlich-drohende Land, sondern aufgrund seiner politischen Schwäche fast eher akzeptabel als die »Weltmacht« USA. Daher nahm er 1949 dann doch die Einladungen an, sowohl in Weimar als auch in Frankfurt am Main, also »in der russischen und der amerikanischen Zone«, wie er sie nannte, den Hauptvortrag bei den anstehenden Goethe-Feiern zu halten. Das bedeutete auf seiner Seite weder eine offene Sympathieerklärung für den Kommunismus, den er trotz vieler Vorzüge in seinen Mitteln weiterhin »widerwärtig« fand,70 noch für 110
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den »Dollar-Imperialismus«, sondern vielmehr ein Bekenntnis zur Roosevelt’schen One-world-Vorstellung. Dementsprechend trug er seinen Essay Goethe und die Demokratie im Sommer 1949 zuerst in New York, London, Stockholm und Zürich vor. Anschließend hielt er sich vom 23. Juli bis zum 5. August auf deutschem Boden auf und ließ zu dieser Zeit in die Münchener Zeitung Heute eine durchaus versöhnlich gestimmte Botschaft an das deutsche Volk einrücken, in der er bekannte, dass er auch als »amerikanischer Staatsbürger ein deutscher Schriftsteller geblieben« sei.71 In seinem in Frankfurt und Weimar gehaltenen Vortrag sagte er : Ich kenne keine Zonen. Mein Bekenntnis gilt Deutschland selbst, Deutschland als Ganzem, und keinem Besatzungsgebiet. Wer sollte die Einheit Deutschlands gewährleisten und darstellen, wenn nicht ein unabhängiger Schriftsteller, dessen wahre Heimat die freie, von Besetzungen unberührte Sprache ist.72
Welche Reaktion diese Einstellung unter den deutschen Intellektuellen auslöste, lässt sich denken. Da wenige Wochen später aufgrund des sich verschärfenden Kalten Kriegs die Bundesrepublik Deutschland und dann die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurden, verliefen diese Reaktionen weitgehend in den durch die »große Politik« vorgezeichneten Bahnen. In der DDR wurde Thomas Mann, vor allem durch die Publikationen von Johannes R. Becher, Georg Lukács und Hans Mayer, in der Folgezeit zu einem Vorzeigeautor des »anderen, besseren Deutschland«, während sich in der Bundesrepublik – trotz der beifälligen Aufnahme des Doktor Faustus – das Misstrauen unter den Vertretern der Inneren Emigration gegen diesen angeblich deutschenfeindlichen und nun auch noch russenfreundlichen Autor eher verstärkte als verminderte.73 Das gleiche Misstrauen, das zeitweilig in offene Feindschaft umschlug, bekam Thomas Mann in den nächsten zwei Jahren in den Vereinigten Staaten zu spüren. So gab ihm im April 1950 die Library of Congress zu verstehen, dass sie einen bereits angekündigten Vortrag Manns wegen seiner übles Aufsehen erregenden Reise nach Ostdeutschland wieder absagen müsse.74 Als ihm 111
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Eugene Tillinger darauf in der Zeitschrift The Freeman prokommunistische Tendenzen unterschob, antwortete ihm Mann im April 1951 im New Yorker Aufbau, dass ein solcher »Verfolgungswahn« zu »nichts Gutem«, sondern nur zum »Schlimmsten« führen könne.75 Vier Wochen später veröffentlichte er im Aufbau einen kurzen Essay unter dem Titel Johannes R. Becher zum Gruß, der ihm im New Leader als eklatant »unamerikanisch« verübelt wurde.76 Ja, am 18. Juni 1951 hielt der Kongressabgeordnete Donald L. Jackson im amerikanischen Repräsentantenhaus eine Rede gegen Thomas Mann, in der er ihn als Freund jenes ostdeutschen »literarischen Knechts namens Becher« angriff, dessen »Hauptanspruch auf Ruhm in seiner fortgesetzten Tätigkeit zu liegen scheint, die Stiefel seiner politischen Vorgesetzten zu lecken«. Doch nicht genug damit. Jackson schloss seinen Angriff auf Thomas Mann mit der unverhohlenen Aufforderung, sich seines Asyls in den USA durch eine systemkonforme Haltung als würdig zu erweisen. »Herr Mann«, sagte er, »sollte sich daran erinnern, dass Gäste, die sich am Tisch ihres Gastgebers über die Kost beklagen, nur selten ein zweites Mal eingeladen werden.«77 Das war deutlich genug. Aufgrund dieser Vorgänge, die Mann als »bedrückend und besorgniserregend« empfand,78 entschied er sich im Frühjahr 1952 dafür, die USA zu verlassen und für den Rest seines Lebens nach Europa zurückzukehren. Allerdings konnte er sich noch immer nicht entschließen, sein Domizil wieder in Deutschland aufzuschlagen. Wie im Jahr 1933 wich er abermals in die »neutrale« Schweiz aus, wo er sich – mit der genügenden Distanz – aus den innerdeutschen Konflikten heraushalten konnte. Er besuchte zwar Hamburg, Köln und Lübeck, ja, trug 1955 seine Schiller-Gedenk-Rede höchst provokant sowohl in Stuttgart als auch in Weimar vor, hielt sich aber sonst in seinen öffentlichen Statements aus den Wirren des Kalten Kriegs weitgehend heraus und genoss noch einige Jahre der Ruhe, bis er 1955 in Kilchberg bei Zürich starb.79
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Der unerschütterliche Preuße. Autobiographische Rechtfertigungsstrategien in Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951) In memoriam Paul Jagenburg Nationalbolschewist und Buchenwald-Häftling
I Wie alle westdeutschen Romane, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit herauskamen, lässt sich auch Ernst von Salomons Der Fragebogen nur dann verstehen, wenn man bedenkt, welche ideologische Haltung ihre Autoren oder Autorinnen vor 1945 eingenommen hatten. Der »Fall Salomon« erweist sich in dieser Hinsicht als besonders komplex. Schließlich war er vorher weder ein Exilant, ein gutgläubiger Nazifaschist noch ein bürgerlicher Vertreter der Inneren Emigration gewesen, sondern war im Dritten Reich als Nationalrevolutionär sowohl ein Feind alles rassistisch gefärbten völkischen Denkens als auch ein Gegner der satten Bourgeoisie geblieben, der sich in der Weimarer Republik als ehemaliger preußischer Kadettenzögling erst für die Durchsetzung einer militanten Freikorpsgesinnung und dann für ein nationalrevolutionäres Engagement eingesetzt hatte. Dafür sprechen in den frühen zwanziger Jahren seine Teilnahme an den Aktionen der sogenannten Baltikumer und der Brigade Ehrhardt sowie seine indirekte Beteiligung an der Ermordung Walter Rathenaus am 24. Juli 1922, für die er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Als er 1927 – aufgrund eines Amnestieerlasses Paul von Hindenburgs – aus der Haft entlassen wurde, sah er sich danach in Berlin plötzlich in das Wohlstandsmilieu der ökonomisch prosperierenden Gesellschaft der Weimarer Republik mit ihren vielen »Autos«, dem allgemeinen »Hasten und Jagen« sowie den »knalligen Aufbauten der Reklame« versetzt, was ihn zutiefst verstörte.1 Doch nicht nur das äußere Drum und Dran, auch die Menschen, die sich mit »sturen und freudlosen Gesichtern«, das heißt wie »gutgeputzte 113
Der unerschütterliche Preuße
Maschinen« in den hektischen Straßenverkehr einordneten, widerten ihn geradezu an.2 Um nicht auch einer dieser neusachlichen »Bürger« zu werden, mit anderen Worten : sich mit entideologisierter Selbstverständlichkeit auf den ernüchternden »Boden der Tatsachen« zu stellen, wie es nach den Turbulenzjahren der frühen Weimarer Republik allerorten hieß,3 bemühte sich Salomon sofort, wieder Kontakte mit Menschen seiner Art, also mit heißem Blut und revolutionärer Unruhe aufzunehmen. Schließlich war er erst 25 Jahre alt und wollte wegen seiner mangelhaften Bildung nicht einer jener kleinen Angestellten werden, die sich damals – inmitten der steigenden Rationalisierung des Geschäftslebens – als Vertreter eines neuen gesellschaftlichen Standes zu etablieren versuchten. Doch wo gab es in diesen Jahren, in denen alles – im Zeichen eines ungehemmten Fordismus und Taylorismus – auf eine ständige Akzeleration der ökonomischen Zuwachsrate hinzusteuern schien und sich die Mehrheit der Bevölkerung dem trügerischen Gefühl einer rastlosen Aufwärtsentwicklung hingab, noch solche Rebellen ? An sich nur unter den Kommunisten und den Rechtsradikalen. Obwohl Salomon zu den Kommunisten in den Zuchthausjahren ein recht gutes Verhältnis gewonnen hatte, sah er sich nach seiner Haftentlas sung erst einmal unter den Rechtsradikalen nach neuen Gesinnungsgenossen um. Darunter verstand man in Intellektuellenkreisen zwischen 1927 und 1929, also vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, noch nicht die Nationalsozialisten, sondern eher die vielen kleinen Gruppen jener Bewegung, die sich zu diesem Zeitpunkt als »Konservative Revolution« ausgab und sich sowohl von der KPD als auch von der NSDAP abzugrenzen versuchte.4 Zu ihr gehörten als »dritte Front« vor allem die alten Völkischen, die Jungkonservativen, die Nationalrevolutionäre, die Bündischen und die Anhänger der Landvolkbewegung. Die alten Völkischen, die Jungkonservativen wie auch die Bündischen zogen Salomon – wegen ihres reaktionären, aber unrebellischen Auftretens – weniger an. Umso stärker fühlte er sich in diesen Jahren von den Hitzköpfen unter den Nationalrevolutionären und der Landvolkbewegung unter Claus Heim angezogen. Zu den Nationalrevolutionären zählten zu diesem Zeitpunkt vor allem die Vertreter des 114
Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951)
Abb. 14 Ernst von Salomon (um 1929)
Soldatischen Nationalismus, also Werner Beumelburg, Friedrich Wilhelm Heinz, Friedrich Hielscher, Ernst Jünger, Hartmut Plaas und Franz Schauwecker, die Angehörigen der »Schwarzen Front« um Herbert Blank und Otto Strasser, der Kreis um Ernst Niekisch sowie Einzelgänger wie Karl O. Paetel und Harro Schulze-Boysen. Als Nationalbolschewisten galten dagegen um 1930 innerhalb der NSDAP hauptsächlich Männer wie Gregor Strasser und Ernst von Reventlow sowie solche außerhalb der NSDAP wie Bruno von Salomon, Richard Scheringer, Alexander Graf Stenbock-Fermor und Bodo Uhse. Wohl die engsten Kontakte hatte Salomon in der Folgezeit zu Hartmut Plaas, einem früheren Kameraden aus der Brigade Ehrhardt. Mit ihm arbeitete er für die Zeitschrift Deutsche Front, in der er in den nächsten Jahren über 60 Beiträge publizierte.6 Im Juli 1928 wurde er zudem Hauptschriftleiter der Zeitschrift Der Vormarsch, die von Friedrich Hielscher herausgegeben wurde.7 Zu Ernst Jünger, der ihm zu philosophisch und ästhetizistisch erschien, wie 115
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er sich ausdrückte, hatte er dagegen ein eher ambivalentes Verhältnis.8 Doch auch in Blättern wie der von Ernst Niekisch herausgegebenen Zeitschrift Widerstand sowie in Zeitschriften wie Das Landvolk, Der Angriff und Der Kampf um das Reich erschienen um 1928/29 eine Reihe vereinzelter Beiträge von ihm.9 Bei ihnen handelte es sich weitgehend um Erinnerungen an die Zeit unter den Freikorpskämpfern, aber auch um tagespolitische Auseinandersetzungen mit den Zielen des Stahlhelms, der Landvolkbewegung, des Präfaschismus, der nationalrevolutionären Front, des russischen Bolschewismus und der Neuen Sachlichkeit. Der Ton dieser Aufsätze und Glossen war durchweg polemisch, und zwar mit scharfen Spitzen gegen den westlichen Kapitalismus mit seinem »rücksichtslosen Willen zum materiellen Gewinn«, der anfange, sich über die ganze Erde zu verbreiten.10 Statt zuzusehen, wie die Mehrheit der Menschen durch diese Profitgier immer stärker zu willfährigen Konsumenten innerhalb eines Systems degradiert werde, in dem es keinen »Staat« mehr gebe, sondern nur noch »eine bürgerliche Einrichtung zum Schutze einer privilegierten Gesellschaft«, beschwor Salomon in ihnen unentwegt den Kameradschaftsgeist der früheren Freikorpskämpfer, die sich nach wie vor dem »Frontsozialismus« oder dem »preußischen Sozialismus« im Sinne Oswald Spenglers verpflichtet fühlten.11 Als die einzige wahrhaft revolutionäre Bewegung, in der solche Ideale noch eine Geltung hätten, erschien ihm zu diesem Zeitpunkt, wie gesagt, die im Januar 1928 einsetzende Landvolkbewegung, die jedoch von der Reichsregierung relativ schnell durch Verhaftungen und dann durch geschickte Zugeständnisse unterdrückt bzw. kooptiert wurde. Welche Sympathien Salomon dieser Bewegung entgegenbrachte und wie sehr ihn ihr Scheitern enttäuschte, belegt vor allem seinem Roman Die Stadt, der 1932 unmittelbar vor der Machtübergabe an die Nazifaschisten bei Rowohlt in Berlin erschien. Doch der interessantere Teil dieses Buches ist nicht die Geschichte der gescheiterten Landvolkbewegung, sondern der zweite Teil des Ganzen, in dem sich Salomon – den Schwerpunkt nach Berlin, in die große Stadt, verlagernd – mit den verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der Jahre 1930 bis 1932 auseinandersetzte. Hans Iversen, sein mit 116
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vielen autobiographischen Zügen ausgestatteter Protagonist, macht dabei eine tiefgehende Wandlung durch. Zu Anfang ist er in erster Linie ein rechtsradikaler Journalist, der sich in seinen Zeitschriftenartikeln für die in Not geratenen Bauern einsetzt. Doch dann wird er immer stärker zu einem Sozialrevolutionär, der erkennt, dass die Bauern eine viel zu schwache Gegenmacht zu dem von der Reichsregierung und der Schwerindustrie beherrschten »System« bilden.12 Kurzum, er sieht ein, dass man zu einem groß angelegten politischen Umsturz auch das von ihm bisher verachtete »Industrieproletariat« gewinnen müsse. Und dadurch wird sein Iversen zwangsläufig in den mörderischen Clinch der Kommunisten mit den Nationalsozialisten hineingezogen, die sich zu diesem Zeitpunkt beide darum bemühten, der SPD und den Gewerkschaften die Herrschaft über die deutsche Arbeiterschaft aus der Hand zu reißen. Noch stärker als in seinem 1930 erschienenen Roman Die Geächteten hielt dabei Salomon mit seiner Sympathie für spezifisch nationalbolschewistische Konzepte keineswegs hinterm Berg. So findet Iversen einerseits den Kommunisten Pareigat durchaus sympathisch, kann jedoch andererseits auch seine Verbundenheit mit einem SA-Führer wie Hinnerk nicht verhehlen. An beiden imponiert ihm ihr entschiedenes, durch keinerlei »Wenn und Aber« angekränkeltes Auftreten. Allerdings stört ihn bei den Kommunisten ihre rückhaltslose Bewunderung der Sowjetunion und bei den Nationalsozialisten ihre Verteidigung des »Legalitätsprinzips«, zu dem sich Hitler beim Ulmer Reichswehrprozess von 1929 bekannt hatte,13 sowie ihr Zugeständnis, sich nicht für die Abschaffung des »Privateigentums« einsetzen zu wollen.14 Die eine Haltung erscheint ihm zu »östlich«, die andere zu »westlich«. Wofür Iversen eintritt, wie etwa in dem langen Gespräch mit dem positiv gezeichneten deutschnationalen Juden Dr. Schaffer, ist lediglich eine Gesinnung, die sich sowohl von den »schleimigen« Ansichten der Bourgeoisie westlicher Demokratien als auch dem Internationalismus der kommunistischen Bewegung distanziert,15 also nicht auf die Herrschaft einer Klasse über eine andere zielt, sondern von der nationalen Eigenart eines jeden Volkes ausgeht. Nur so könne ein Ökonomismus verhindert werden, lesen wir, durch den die 117
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ganze Welt in ein sogenanntes »Paradies von Eisen und Beton, von Treckern und Bohrtürmen« verwandelt werde, in dem das internationale Räderwerk eines stumpfsinnigen »Mechanismus« jedes autochthone Leben unter sich begrabe.16 Was Iversen dieser Entwicklung an Werten entgegensetzt, sind vor allem Bauerntum, Kameradschaft, nationale Eigenart und Umsturzwille, um so zu verhindern, dass Deutschland weder den Charakter eines »russischen Vorfeldes« noch den einer »amerikanischen Kolonie« annehme.17 Allerdings sei ein solches Endziel, wie er behauptet, nur durch einen Solidarpakt der Bauern mit den Arbeitern zu erreichen. Ob man dieses Bemühen mit dem Etikett »sozialistisch« oder »nationalistisch« charakterisiere, ist ihm letztlich einerlei. Wichtig ist Iversen allein, in beiden dieser Schichten eine rebellische Gesinnung wachzuhalten. Diese Haltung bewegt ihn schließlich dazu, sich lieber den revolutionär gesinnten Nationalbolschewisten als den auf Legalität pochenden Nationalsozialisten anzuschließen.18 Dass Salomon nicht der Einzige war, der zu diesem Zeitpunkt solche Ansichten vertrat, ist wohlbekannt. Überall meldeten sich zwischen 1930 und 1933 – angesichts der verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise – Stimmen, die auf die Herausbildung einer »dritten Front« drängten. Wie viele ideologische Schattierungen es dabei zwischen »Braun« und »Rot« gab,19 lässt sich in diesem Zusammenhang nur andeuten. Ob nun in den Schriften des Tat-Kreises um Hans Zehrer, der von Ernst Niekisch herausgegebenen Zeitschrift Widerstand oder in Büchern wie Das Reich (1931) von Friedrich Hielscher, Volksbürgerliche Erziehung (1928) von Wilhelm Stapel, Aufbau des deutschen Sozialismus (1932) von Otto Strasser, Die Schwarze Front (1932) von Richard Schapke oder Die Sendung der jungen Generation (1932) von Günther Gründel : allerorten wurden nationalrevolutionäre, nationalkommunistische oder nationalbolschewistische Utopien beschworen, in denen die Hoffnungen Oswald Spenglers und Arthur Moeller van den Brucks auf einen preußischen oder deutschen Sozialismus immer hektischere Formen annahmen. Und das führte dazu, dass sich manche der bisherigen Nationalrevolutionäre – wegen der demagogischen Taktiken der Nazifaschisten – immer stärker nach »links« orientierten. Ein besonders aufsehenerregender 118
Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951)
Fall innerhalb dieser ideologischen Umorientierung war der Übertritt des nationalrevolutionär gesinnten Reichswehrleutnants Richard Scheringer ins kommunistische Lager. Scheringer hatte 1929 in Ulm mit anderen jungen Offizieren für Hitler geputscht,20 war aber in seiner Gefängniszeit von gleichfalls inhaftierten Kommunisten über den kapitalistischen und damit unrevolutionären Grundzug der NSDAP aufgeklärt worden. Wie Ernst Ottwalt, Bruno von Salomon und Bodo Uhse setzte Scheringer mit diesem Übertritt ein Beispiel, das bald als »das Scheringern« Schule machte und später zu der Formel »Linke Leute von rechts« führte.21 Auch Ernst von Salomon war von der Handlungsweise Scheringers, der wie er als junger Mann ebenfalls für Nationalrevolutionäre wie Leo Schlageter geschwärmt hatte, tief beeindruckt.22 Allerdings konnte er sich selbst zu einem Eintritt in die KPD nicht durchringen. Nach dem kläglichen Scheitern der Landvolkbewegung lässt sich bei Salomon überhaupt ein merklicher Rückzug aus der Welt der aktiven Politik beobachten. Was ihn zu diesem Zeitpunkt viel stärker anspornte, war der Wunsch, ein einflussreicher Schriftsteller zu werden. Und er hatte das Glück, schon 1929 Ernst Rowohlt kennenzulernen, der nicht nur mit manchen von Salomons Anschauungen sympathisierte, sondern auch sofort dessen ungewöhnliches Schreibtalent erkannte. Für ihn schrieb Salomon daher nicht nur Die Geächteten (1930) und Die Stadt (1932), sondern auch seinen dritten Roman, nämlich Die Kadetten, der 1933 erschien. Und zwar zog sich Salomon aus diesem Grund nach Wien und dann ins südfranzösische Baskenland zurück, um dort voller Ingrimm an Manuskripten über einige seiner politischen Jugendsünden, darunter die Beteiligung am Rathenau-Mord, sowie die verfehlte Entwicklung der jüngsten deutschen Politik zu arbeiten. Während er mit den Geächteten einen beachtlichen Erfolg erzielte, erwies sich der Roman Die Stadt wegen seiner politischen Gesprächspartien als viel zu anspruchsvoll, um eine größere Breitenwirkung zu erzielen. Auch mit den Kadetten konnte Salomon seinen Erstlingserfolg nicht wieder einholen. Dabei ist dieser Roman – im Hinblick auf seine Erzählstruktur – sicher der eindrucksvollste von den dreien. 119
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In diesem offenherzigen Bekenntniswerk wird zwar auch auf das unbarmherzige Reglement solcher Anstalten, das heißt die Prügelstrafen, den rüden Ton, das eintönige Exerzieren, die Unterdrückung aller sexuellen Regungen, wie überhaupt »das hohe Maß der Härte der Oberen gegen die Unteren« hingewiesen.23 Doch das ist nur die eine Seite dieses Buchs. Letztlich geht es in ihm zugleich um eine Rückversicherung bei all jenen altpreußischen Tugenden, die auch die Grundlage eines wahrhaft sozialistischen Verhaltens bilden könnten, nämlich Solidarität, Kameradschaftlichkeit, soziale Verantwortung und damit Einordnung des Einzelnen in das größere Ganze. Und so gehört dieser Roman durchaus in jene Gruppe von Schriften, die mit Büchern wie Der preußische Stil (1916) von Arthur Moeller van den Bruck und Preußentum und Sozialismus (1919) von Oswald Spengler begann und kurz nach 1930 ihren Höhepunkt in Publikationen wie Preußen muß sein (1931) von Wilhelm Stapel, Die preußische Frage (1932) von Hans Schwarz, Die Botschaft des Ostens (1933) von Carl Dyrssen und Landschaftliche Politik (1933) von Otto Weber-Krohse erlebte. Was Salomon mit diesen Autoren verband, war ein Staatskonzept, bei dem weder der einzelpersönliche Auslebewillen noch eine devote Untertanenmentalität, sondern ein Leistungswille im Vordergrund stehen würde, der seine höchste Erfüllung im Dienst an der Gemeinschaft findet.
II Diese »Haltung«, hinter der ein halb soldatisches, halb sozialistisches Ordnungsbedürfnis stand, versuchte Salomon auch in den Jahren der Hitler- Diktatur beizubehalten. Fast alles, was die Nationalsozialisten in den Jahren zwischen 1933 und 1945 taten oder an ideologischen Konzepten propagierten, widerte ihn an. Und das war vor allem ihr perfider Antisemitismus, ihr schamloses Paktieren mit einflussreichen Kirchenfürsten und Großindustriellen sowie ihre Unterdrückung aller spezifisch linken Tendenzen, das heißt ihre rücksichtslose Verfolgung sämtlicher Kommunisten, aber auch die Ermordung Ernst Röhms und anderer Sozialrevolutionäre innerhalb ihrer eigenen Partei im Juni 1934. Ebenso sehr erbitterte ihn die Verdammung 120
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aller propreußischen Gesinnungen zugunsten einer deutsch-völkischen Mentalität, wie sie sich unter anderem in der Schrift »Preußentum« gegen Sozialismus (1935) von Wilhelm Seddin niederschlug. In dieser Broschüre wurden die »revolutionären Nationalisten«, darunter auch die »preußischen Sozialisten« mit ihrem »nationalisierten Marxismus«, als eine Clique mit der Hitler-Bewegung rivalisierender »Literaten« abgetan, die immer noch nicht eingesehen hätten, dass Deutschlands Heil nur in einer rassereinen »Volksgemeinschaft, aber nicht in einem antiquierten preußischen Staatskonzept bestehen könne«.24 All das musste Salomon wie eine ins Machtgierige tendierende Verhunzung seiner bisherigen nationalrevolutionären, wenn nicht gar nationalbolschewistischen Ansichten erscheinen. Aus diesem Grund zog er sich wie Oswald Spengler und Ernst Jünger nach 1933 weitgehend aus der politischen Öffentlichkeit zurück und verkehrte in der Folgezeit vornehmlich mit alten Völkischen wie Hans Grimm, an dessen Lippoldsberger Dichtertreffen er Mitte der dreißiger Jahre wegen des dort herrschenden Widerspruchsgeists vorübergehend teilnahm,25 sowie einigen alten Freikorpskämpfern, die wie er keine Nationalsozialisten wurden, sondern weiterhin an ihren nationalrevolutionären Überzeugungen festzuhalten versuchten. Außerdem wagte er es, aufgrund seiner antiwestlichen Gesinnung mit Arvid Harnack, Ernst Niekisch und Ernst Rowohlt noch 1937 an dem Empfang zum Revolutionstag der sowjetischen Botschaft in Berlin teilzunehmen,26 und nahm zugleich Kontakte zu der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen auf. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich in diesen Jahren erstens durch Lektoratsarbeiten für den Rowohlt-Verlag, bis dieser 1938 von den Nazifaschisten verboten wurde, zweitens durch die Mitarbeit an der Zeitschrift Der Reiter gen Osten, bei der er sich wie in der Broschüre Nahe Geschichte (1936) bemühte, das Andenken an die Freikorpsbewegung wachzuhalten, drittens durch Nachdrucke einiger Abschnitte seines Romans Die Geächteten in der Schriftenreihe Das Reich im Werden (1933–1939) sowie viertens durch die Abfassung relativ unpolitischer Filmdrehbücher für die UFA -Gesellschaft wie Kautschuk (1938), 121
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Sensationsprozeß Casilla (1939), Kongo-Expreß (1939), Der dunkle Tag (1943) und Über alles die Liebe (1944).27 Ansonsten lebte Salomon in dieser Zeit recht zurückgezogen, zumal Ille Gotthelft, seine damalige Lebensgefährtin, Jüdin war, die er durch bewusste Irreführungen und Vertuschungen den Häschern des NS -Regimes zu entziehen verstand.28 Von Seiten der Nazifaschisten wurden daher kaum ernsthafte Bemühun gen unternommen, Salomon in ihren Dienst zu ziehen. Sein ständiges Beharren auf den sozialistischen Traditionen des Preußentums, sein unruhiges, revolutionäres Temperament, seine Ablehnung aller rassistischen Qualifikationen bei der Bestimmung des Deutsch-Völkischen sowie seine enge Beziehung zu Ernst Rowohlt : All das musste ihn in den Augen der NSDAP-Führer zwangsläufig als suspekt erscheinen lassen. Lediglich Röhm, der in seinen Gefolgsleuten eine freikorpsähnliche Revolutionsarmee mit sozialistischen Zielsetzungen sah, bot ihm im Sommer 1933 eine führende Rolle in der SA -Hierarchie an, die Salomon jedoch ablehnte.29 Und er sollte mit dieser Ablehnung Recht behalten, wie die Ermordung Röhms im Juni 1934 durch ein Spezialkommando der SS nur allzu drastisch bewies. Damit Hermann Ehrhardt, dem früheren Kommandanten der »Organisation Consul«, nicht das gleiche Schicksal widerfahren würde, ermöglichten ihm Salomon und Hartmut Plaas nach der Ermordung Röhms in einer gewagten Nacht-und-Nebel-Aktion die Flucht nach Frankreich. Aufgrund dieses Verhaltens schätzten viele NS -Größen Salomon als einen »OttoStrasser-Mann« ein und nahmen ihn sogar einmal kurz in Schutzhaft.30 Mit anderen Worten : Salomon bewegte sich Mitte der dreißiger Jahre ständig an der Grenze des gerade noch Geduldeten, ja, wurde von vielen Seiten beargwöhnt und bespitzelt. Nicht einmal zum Wehrdienst wurde er 1939 eingezogen, obwohl er erst 37 Jahre alt war, weil er bereits »vorbestraft« sei, wie es von offizieller Seite hieß. Doch das wird sicher nicht der alleinige Grund gewesen sein. Wahrscheinlich fürchtete man in den »höheren Regionen« nach wie vor, dass er durch seinen aufmüpfigen Geist auch andere zu einer Widerstandshaltung gegen das NS-Regime verführen könne.
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III Salomon und Ille Gotthelft waren daher zutiefst empört, als amerikanische Besatzungssoldaten sie nach der katastrophalen Niederlage des Dritten Reiches am 11. Juni 1945 im bayrischen Siegsdorf als »big Nazis« verhafteten und über ein Jahr lang – unter den schmählichsten Bedingungen – von einem Internierungslager ins andere verschleppten.31 Dort wurde Salomon von einem amerikanischen Sergeanten so brutal niedergeschlagen, dass er drei Zähne verlor. Seine Freundin Ille musste nicht nur erdulden, dass sich die amerikanischen Soldaten – während sie unter der Dusche stand – an ihrer Nacktheit delektierten, sondern wurde auch von ihnen sexuell bedrängt. Obwohl Salomon den ihn verhörenden Amerikanern immer wieder klarzumachen versuchte, dass er ein Antifaschist gewesen sei, ja, dass seine Freundin Ille wegen ihrer jüdischen Herkunft im Dritten Reich ständig um ihr Leben bangen musste, behandelte man ihn wie einen »Hauptbelasteten«. Bei den ständigen Befragungen wurde ihm nicht nur unterstellt, »Heil-Hitler-Filme« gedreht zu haben, sondern auch in allen anderen Bereichen ein »erbärmliches Nazischwein« gewesen zu sein.32 Als er darauf drang, ihm endlich zu sagen, warum man ihn eigentlich interniert habe, hieß es lediglich, weil er ein »security threat« sei.33 Was Salomon dabei am meisten empörte, war die grenzenlose Überheblichkeit, mit der ihn diese »rohen Mississippi-Boys«, wie er sie nannte, die offenbar noch nie das Wort »Ideologie« gehört hätten und zwischen Nazifaschismus und Nationalbolschewismus überhaupt keinen Unterschied sähen, nach seinen politischen Sünden fragten. Was ihn ebenso verbitterte, war die Tatsache, dass die Amerikaner, um unter den 4000 Gefangenen für Ruhe und Ordnung zu sorgen, perfiderweise eine Reihe sogenannter KZ-Kapos, das heißt ehemaliger Schwer- und Schwerstverbrecher, einstellten, welche schon in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches die gleiche Aufgabe für die SS besorgt hatten. Am schlimmsten erging es jeweils den Neuankömmlingen, die zur Begrüßung erst einmal von einem besonders rohen Sergeanten »lazarettreif« geschlagen wurden.34 Danach zwang man sie, über ihren langen Sträflingshosen kurze, weiße 123
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Unterhosen zu tragen, um ihnen von vornherein jede menschliche Würde zu rauben. Die gleiche Absicht lag der amerikanischen Verfügung zugrunde, den Lagerinsassen ein Jahr lang kein Klopapier zur Verfügung zu stellen, um sie auch in dieser Hinsicht zu demütigen, wenn nicht gar in den Stand eines schmutzigen Gesindels herabzudrücken. Als Salomon am Schluss als ein »irrtümlich Verhafteter« entlassen wurde,35 befand es die Lagerbehörde nicht einmal für nötig, sich für all diese Torturen bei ihm zu entschuldigen.
IV Endlich in der »Freiheit«, wechselte er aus der amerikanischen Besatzungszone in die britische über, wo er in Hamburg seinen alten Freund Ernst Rowohlt wiedertraf und ans Bücherschreiben ging. In seinem ersten Buch aus dieser Zeit versuchte er erst einmal seiner angestauten Empörung Luft zu machen, indem er vor allem seine Zeit in den amerikanischen Internierungslagern beschrieb. Dabei fasste er die dort gesammelten Erfahrungen in kürzeren oder längeren Antworten auf die 131 Fragen jener Fragebögen zusammen, die im März 1946 in der amerikanischen Besatzungszone etwa 1,4 Millionen Deutsche ausfüllen mussten, welche im Verdacht standen, sich einer der verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen angeschlossen zu haben. Konsequenterweise nannte er diesen Roman, der schließlich in gedruckter Form über 700 Seiten umfasste, einfach Der Fragebogen. Auf den ersten Blick wirkt dieses Buch, das 1951 bei Rowohlt in Hamburg erschien, wie eins jener Rechtfertigungsbücher, mit denen sich viele der ehemaligen Nazis oder ihre Mitläufer von ihren politischen Sünden reinzuwaschen versuchten. Und diese Charakterisierung ist nicht ganz ungerechtfertigt, denn so ganz unschuldig war Salomon ja nicht. Nicht nur die Beteiligung an dem Rathenau-Mord hing ihm immer noch an, auch sein Eintreten für den heroischen Geist der Nationalrevolutionäre unter den ehemaligen Freikorpskämpfern während des Dritten Reiches lässt sich nicht ohne Weiteres als nichtfaschistisch oder gar antifaschistisch rechtfertigen. Doch zugleich war dieser dickleibige Band wesentlich mehr als nur ein Rechtfertigungsbuch. In ihm versuchte jemand, der durch den Kalten Krieg 124
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erneut zwischen alle Fronten geraten war, den Lesern und Leserinnen dieses Werks seinen politischen Standort, nämlich den eines nationalen Bolschewismus, klarzumachen, der zwar inzwischen von vielen Menschen als überholt eingeschätzt wurde, aber Salomon – im Gegensatz zur Mehrheit der Westdeutschen – als dritter Weg zwischen den ideologisch verhärteten Lagermentalitäten der Nachkriegszeit nach wie vor politisch relevant erschien. Daher erfährt man in diesem Buch immer wieder, dass Salomon sowohl den falschen Liberalismus der Weimarer Zeit als auch den falschen Kollektivismus der Nazifaschisten gleichermaßen verwerflich fand. Wie schon in den späten zwanziger Jahren waren ihm auch jetzt die arroganten Bürger mit ihrem selbstsüchtigen Freiheitsgeschwafel noch immer genauso verhasst wie der nazifaschistische Führerkult, bei dem alles auf eine Person zugespitzt wurde. Was er weiterhin ins Auge fasste, war eine Staatsvorstellung, der die Form eines verantwortungsbewussten Gemeinsinns zugrunde liegt, wo sich also jeder für jeden einsetzt, statt lediglich seinen eigenen Bedürfnissen nachzugehen oder diese Bedürfnisse dem Willen eines egomanischen Diktators unterzuordnen. So weit, so gut. Doch wie wird die Formel eines »nationalen Gemeinsinns« von Salomon eigentlich inhaltlich gefüllt, um sie nicht im Bereich eines abstrakten Theoretisierens zu lassen ? Was war denn sein ideologisches Ziel, sein »Telos«, von dem er so gern sprach, zu diesem Zeitpunkt ? Meist war es nur das Deutschsein schlechthin, und zwar ein Deutschsein, das sich nicht an bestimmten Kulturvorstellungen – wie dem seit 1949 in Westdeutschland beliebten antinationalen Goethe-Kult – orientierte,36 sondern sich als ein deutlich markiertes Staatsbewusstsein verstand. Die Frage nach der Staatsangehörigkeit erscheint daher dem autobiographischen Erzähler in Salomons Fragebogen geradezu wie eine »Frage auf Leben und Tod«.37 Da es zu diesem Zeitpunkt – also während der Besatzungszeit – noch keinen deutschen Staat gab, für den es sich »zu leben und zu sterben lohne«, wie es ausdrücklich heißt, beschwor Salomon – wie schon in der Weimarer Republik, die er wegen ihrer kriecherischen Erfüllungspolitiker und ihres kapitalistischen Geschäftsgeistes als einen »Unstaat« empfunden hatte – nochmals 125
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sein geliebtes »Preußentum«.38 Durch die Preußen, lesen wir bei ihm, sei in Deutschland zum ersten Mal die Einsicht entstanden, dass »der Wille zum Staate das Einzige ist, was eine Nation zusammenhält«.39 Solange es deshalb – wegen der Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen und dann in zwei Satellitenstaaten – noch keine deutsche Staatsangehörigkeit gebe, wollte er erst einmal Preuße sein und sich damit zu jenem Geist bekennen, aus dem sich allein ein neues Staatsgefühl entwickeln könne. Und zwar sah er in dieser Form des Preußentums eine Gesinnung, die von Friedrich II., den Lützower Jägern, den Befreiungskriegern, Otto von Bismarck, den Helden von Langemarck, den Freikorpskämpfern der frühen zwanziger Jahre, Autoren wie Arthur Moeller van den Bruck und Oswald Spengler, den Rebellen der Landvolkbewegung zu all jenen linken Leuten von rechts wie Herbert Blank, Ernst Niekisch, Richard Scheringer, Harro Schulze-Boysen und Hans Zehrer reiche, welche sich mit nationalkonservativer, nationalrevolutionärer oder nationalbolschewistischer Mentalität zu der Idee bekannt hätten, dass ihr Leben nur dann einen höheren Sinn habe, wenn sie es in den Dienst der Stärkung einer nationalen Selbstbehauptung stellen würden, statt sich irgendwelchen fremdländischen Versuchungen ins Subjektivistische oder Supranationale hinzugeben. Allerdings lässt sich von den Geächteten (1930) bis zum Fragebogen (1951) eine deutliche Verschiebung der ideologischen Akzente sowie der erzählerischen Haltung beobachten. Während Salomons nationalrevolutionäres Pathos um 1930 noch auf den Ton eines tragischen Scheiterns gestimmt war, den er mit einer an die Stilhaltung der Neuen Sachlichkeit gemahnenden Kälte zu überspielen versucht hatte, herrscht in seinem Fragebogen nach den Erfahrungen unterm Nazifaschismus und der kläglichen Niederlage von 1945 eher ein grimmiger, zynischer, sarkastischer Ton vor. Wie schon damals fühlte er sich – erneut inmitten unterwürfiger Erfüllungspolitiker und bürgerlicher Börsenhumanisten – zwar wiederum wegen seines nationalen Selbstbewusstseins als ein »Geächteter«, aber einer, hinter dem im Gegensatz zu den Zeiten der Konservativen Revolution kein spürbares Gruppenbewusstsein mehr stand. Diesmal empfand er sich wirklich als ein Ausgestoßener, ein 126
Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951)
Abb. 15 Ernst von Salomon mit Ernst Rowohlt beim Kölner Mittwochsgespräch (1951) 127
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Überbleibsel, ein hoffnungslos Vereinzelter, der nur noch sinnlos aufbegehren, aber nicht mehr mit der Hoffnung auf Erfolg rebellieren konnte. Und das gab diesem Buch seinen einsamen, wenn auch problematischen Rang. Hier versuchte einer gegen den Strom der Geschichte anzuschreiben, der offenbar nicht mehr aufzuhalten war, so sehr sich Salomon auch bemühte, mit seiner forcierten Charakterfestigkeit, seiner politisch rebellischen Gesinnung und seiner schriftstellerischen Brillanz dagegen aufzutrumpfen. Schon nach wenigen Seiten spürt man daher bei der Lektüre dieses Buchs nur allzu genau, dass dieses Aufbegehren letztlich nutzlos war. Schließlich nahmen viele bundesrepublikanische Leser und Leserinnen damals an, dass die Zeit des deutschen Nationalismus – nach zwei fehlgeschlagenen Weltkriegen – endgültig vorüber sei und jetzt eine Ära der Entnationalisierung, wenn nicht gar der rückhaltslosen Wende ins Ökonomische anbrechen würde. Dennoch konnte dieses Buch, in dem sich ein Einzelner gegen den herrschenden Zeitgeist aufzulehnen versuchte, ein großer Erfolg werden. Wie erklärt sich das eigentlich ? Dafür waren nicht allein die erzählerische Geschliffenheit und ironische Witzigkeit des Ganzen verantwortlich. Auch die Werbekampagnen des Rowohlt-Verlags, die an Salomons Fragebogen vor allem den Schock des Andersartigen hervorhoben, hätten nicht genügt, aus diesem Buch einen Bestseller zu machen, von dem sich geradezu über Nacht 270 000 Exemplare absetzen ließen. An diesem Erfolg war zugleich der unleugbare Affekt gegen die innenpolitischen Maßnahmen der westlichen Siegermächte beteiligt. Vor allem gegen die »Amis« herrschte in der BRD zum Zeitpunkt seines Erscheinens, das heißt nach dem Bekanntwerden des Morgenthau-Plans, der offen zur Schau gestellten Siegermentalität, der missionarischen Re-education-Vorstellungen und der offenkundigen Weltmachtbestrebungen der USA noch immer ein spürbares Ressentiment. Und an diesen Widerspruchsgeist appellierte Salomon auf eine höchst geschickte Weise, indem er in den Abschnitten, die sich mit seiner Internierung beschäftigten, vor allem die Brutalität und ideologische Selbstgerechtigkeit der amerikanischen Militärbehörden in den Vordergrund rückte. Dass die Amerikaner ausgerechnet ihn, einen Antifaschisten, sowie 128
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seine jüdische Lebensgefährtin verhaftet hatten und über ein Jahr lang unter den grausamsten Bedingungen in verschiedenen Internierungslagern einsperren ließen, musste auf die damaligen Leser und Leserinnen nicht als ein entschuldbares Versehen, sondern als ein Akt ideologischer Ignoranz, ja, brutaler Dummheit wirken. Und das schmeichelte all jenen Westdeutschen, vielleicht doch nicht so gesinnungslos und aggressiv gewesen zu sein, wie sie von den westlichen Siegermächten – im Sinne der weitverbreiteten Kollektivschuldthese à la Henry Morgenthau und Robert Vansittart – nach 1945 gern hingestellt wurden. Doch nicht allein das. Zu diesem Erfolg trug auch die Tatsache bei, dass Salomon in diesem Buch nicht in den zeittypischen Ton einer larmoyanten Selbstanklage einstimmte, sondern sich betont aufsässig gab, indem er die Deutschen zwar als Besiegte, aber als unwürdig Besiegte hinstellte, denen man jedes Gefühl des Selbstwerts zu nehmen versuche, um ihnen anschließend aus kommerziellen und weltmachtpolitischen Gründen den »American Way of Life« aufzwingen zu können.40 Und zwar verzichtete Salomon dabei auf alle parteipolitischen Stellungnahmen. Für ihn waren die Deutschen in seinem Fragebogen in erster Linie Deutsche und nicht Sozialdemokraten, CDU-Anhänger, Liberale oder Befürworter der KPD. Dadurch verstieß dieses Buch weder gegen rechte noch gegen linke Idiosynkrasien und konnte in der frühen Bundesrepublik von einem breiten Spektrum politisch interessierter Menschen goutiert werden. Widersacher traten ihm nur in Form jener Gruppen entgegen, die sich inzwischen – zum Teil aus politischem Opportunismus – von ihren nationalen Überzeugungen abgewandt und sich der von Konrad Adenauer massiv unterstützten »Westorientierung« angeschlossen hatten. Diese Kreise, die Salomon wie die Erfüllungspolitiker der Weimarer Republik erschienen, sahen das zukünftige Heil Deutschlands nur noch im Rahmen eines westeuropäisch-atlantischen Wirtschafts- und Verteidigungssystems, das sich auf eine neoliberale Ideologie zu stützen versuche. Da jedoch diese Gruppen unter den meinungsbildenden »Trägerschichten der westdeutschen Bevölkerung«, wie sich der Spiegel in solchen Fällen gern 129
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ausdrückte, im Jahr 1951 noch in der Minderheit waren, blieb Salomons Fragebogen bis 1953 weiterhin ein Bestseller. Erst als sich darauf mit Hilfe der bereits angelaufenen amerikanischen Kreditzuwendungen, mit denen die Vereinigten Staaten aus Westdeutschland ein Bollwerk gegen den Kommunismus machen wollten, in der BRD jene Wohlstandsmentalität verbreitete, die unter der Flagge des »Wirtschaftswunders« segelte, wurde es nicht nur um dieses Buch, sondern auch um seinen Autor allmählich stiller. Nach diesem Zeitpunkt distanzierten sich die meisten Westdeutschen zusehends von jenen Anschauungen, wie sie Salomon in seinem Fragebogen so erbittert beschworen hatte. In den folgenden Jahren wurde die Bundesrepublik immer stärker zu einem staatlichen Gebilde, in dem die führenden Schichten – im Zuge des Kalten Kriegs – wegen ihrer gegen den Osten gerichteten »Politik der Stärke« und der damit verbundenen Verdammung aller kollektivistischen Vorstellungen in ihren innenpolitischen Verlautbarungen nur noch das individuelle Durchsetzungsvermögen des Einzelnen auf ihre Fahnen schrieben. Dementsprechend erklärte der CDU-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard 1957 in seinen Buch Wohlstand für alle : »Wir sehen in unserem Staat lediglich ein ökonomisches Rahmengebilde, innerhalb dessen dem persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegengesetzt werden sollen«.41
V Diese Entwicklung erbitterte Salomon so, dass er – angesichts der in der BRD und der DDR verfolgten Politik, die sich völlig an die von den USA und der UdSSR vorgeschriebenen Direktiven hielt – jede Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands im Zeichen eines nationalen Selbstbestimmungswillens aufgab. Dafür spricht vor allem sein Buch Das Schicksal des A. D. Ein Mann im Schatten der Geschichte, das er 1960 bei Rowohlt herausbrachte und von dem längere Abschnitte zwischen dem 2. Oktober 1959 und dem 29. Januar 1960 auch in dem Wochenblatt Die Zeit erschienen. In ihm fasste er seine autobiographischen Bücher, nämlich Die Kadetten, Die Geächteten und Der Fragebogen, in denen er seine Kindheit, seine Zeit in 130
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der Weimarer Republik sowie seine Jahre unterm Nazifaschismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit beschrieben hatte, in einer zwar ebenfalls an autobiographischen Erlebnissen orientierten Handlung zusammen, fügte aber dem Ganzen zugleich lange fiktive Abschnitte ein, um auch andere Aspekte der jüngsten deutschen Geschichte – vor allem die von ihm nicht erlebten Untaten der Nazifaschisten bei der unmenschlichen Behandlung der Buchenwald-Häftlinge – darstellen zu können.42 Im Gegensatz zu seinen drei vorangegangenen »Täter«-Büchern handelt es sich diesmal um einen relativ passiven Protagonisten, der als junger Offizier 1922 an der »Reichsexekution« gegen Sachsen teilnehmen muss, bei der die damalige SPD-Regierung die sich dort anbahnende Koalition zwischen SPD und KPD mit militärischer Gewalt verhinderte, indem sie alle namhaften Kommunisten verhaften ließ. Da der junge A. D. einen dieser Kommunisten, in dessen Tochter er verliebt ist, vor der drohenden Inhaftierung warnt, wodurch dieser rechtzeitig entkommen kann, wird er vor ein Militärgericht gestellt und wie der junge Salomon zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus dieser Verhaftung ergibt sich durch unglückliche Verwicklungen eine 26-jährige Haft, darunter in Buchenwald und später in einem amerikanischen Internierungslager, so dass sein A. D. – völlig gebrochen – erst drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder das Licht der Freiheit erblicken kann. Im Gegensatz zu der Ichfigur seines Fragebogens begehrt jedoch sein A. D. nicht erbittert auf, sondern weicht am Schluss als braver, unauffälliger Bürger ins gesellschaftliche Abseits aus, um in seinem Leben nicht noch einmal politisch aufzufallen. Mit diesem Buch, das allgemein als ein schwächlicher Abklatsch seiner bisherigen Schriften galt, machte Salomon keine Furore mehr. Womit er jedoch in seinen folgenden Schriften und Reden erneut Anlass zu Ärger in der Bundesrepublik gab, war die merkliche Verstärkung der linken Komponente innerhalb seiner nicht nachlassenden nationalbolschewistischen Neigungen. Er blieb zwar weiterhin ein Gegner des sowjetischen Weltmachtstrebens, verurteilte es jedoch nicht mit derselben Schärfe wie das Weltmachtstreben der USA , das sich hinter der Phrase eines freiheitlich 131
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orientierten Antikommunismus verschanzte. Schließlich sah er in den östlichen Kommunisten nach wie vor Naturen, die ihm verwandter waren als die westlichen Kapitalisten. Doch wichtiger als solche Stellungnahmen, die im Zuge des Kalten Kriegs von vielen Menschen als die einzig entscheidenden angesehen wurden, erschien ihm das Bemühen, den Deutschen, die sich diesseits und jenseits der Elbe nur allzu willig den Direktiven der USA und der UdSSR unterwarfen, wieder den Mut zu einem eigenen staatlichen Bewusstsein zu geben und eine Wiedervereinigung ihrer beiden durch die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion geschaffenen »Kolonialgebiete« anzustreben.43 Dafür kurz einige Belege aus Salomons letzter Lebensphase, welche sich zwar weitgehend an seine bereits im Fragebogen geäußerten Meinungen anschlossen, aber vor dem Hintergrund der betont »westlichen« Politik Adenauers und des 1956 in der BRD ausgesprochenen Verbots der Kommu nistischen Partei eine unübersehbare politische Brisanz enthielten. Schließlich war es eine Folge dieser Politik, dass dadurch auch einige von Salomons früheren Freunden in Gefahr gerieten, erneut verhaftet zu werden.44 Dazu gehörte unter anderem Richard Scheringer, der im Rahmen der bayrischen KPD besonders nachdrücklich für die Wiedervereinigung Deutschlands eingetreten war und dafür vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er jedoch aus Krankheitsgründen nicht anzutreten brauchte. Um die Westdeutschen auf das Schicksal dieses Mannes hinzuweisen, brachte Salomon 1959 im Rowohlt-Verlag Scheringers Autobiographie Das große Los. Unter Soldaten, Bauern und Rebellen mit einem von ihm selbst verfassten Vorwort heraus,45 in dem er Scheringer als einen links eingestellten Menschen pries, der sich auf politischer Ebene stets als ein vorbildlicher »Charakter« erwiesen habe, während die Frankfurter Allgemeine Zeitung, welche man in den Reihen der alten Nationalrevolutionäre wegen ihrer proamerikanischen und demzufolge rechtsliberalen Haltung nur »Die Gemeine« nannte, die in diesem Buch vertretenen Anschauungen kurz darauf als die »Positionen eines naiv-gläubigen Kommunisten« abkanzelte.46 Ein Jahr später erschien, wie bereits 132
Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951)
ausgeführt, Salomons Buch Das Schicksal des A. D., in dem sich – anlässlich der Gefängniserlebnisse in der Weimarer Republik und dann bei der Schilderung der Buchenwald-Häftlinge – wiederum eine Reihe positiver Äußerungen über alte Kommunisten finden, die sich selbst in den schwierigsten Situationen – im Gegensatz zu vielen anderen von den Nazifaschisten Inhaftierten – stets durch ihre »Sauberkeit der Gesinnung, höhere Intelligenz und klarere Zielsetzung« ausgezeichnet hätten.47 Zwei Jahre später steuerte Salomon obendrein zu einem Almanach, den der Ostberliner Aufbau-Verlag zu Ehren von Arnold Zweigs 75. Geburtstag herausgab, als einziger westdeutscher Autor einen Beitrag bei, in welchem er den Jubilar als einen »preußischen Juden« pries, welcher schon in seinem Roman Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927) neben den negativen auch auf die positiven Seiten jenes Staates eingegangen sei, der sich in »der Spanne zwischen Hegel und Marx« durch »weltliche Tapferkeit, Sauberkeit der Gesinnung und Nüchternheit der produktiven Armut« ausgewiesen habe und an den es auch heute wieder anzuknüpfen gelte.48 Ja, in den frühen sechziger Jahren, als nach der langen Zeit des Adenauer- Regimes in der Bundesrepublik eine ins Systemkritische tendierende Aufbruchsstimmung einsetzte, mischte sich Salomon sogar noch einmal in die aktuelle Politik ein. Allerdings engagierte er sich nicht für die SPD, die seit der Verabschiedung des Godesberger Programms ihre »sozialistische« Orientierung verloren habe, wie er 1961 in der Deutschen Woche schrieb.49 Stattdessen trat er am 24. Februar 1963 auf einem Bundeskongress der linksgerichteten Deutschen Friedens-Union (DFU) neben Renate Riemeck, der Vorsitzenden dieser Partei, als Hauptredner auf.50 Wie zu erwarten, bekannte er sich auch hier zur Unteilbarkeit der deutschen Nation und prangerte die Spaltung Deutschlands als einen Willkürakt der Siegermächte an, durch den das, was früher einmal als Deutschland gegolten habe, zu einem »toten Ballast« im Satellitensystem der beiden Supermächte geworden sei.51 Statt in beiden Teilen Deutschlands weiterhin einen Weltzustand zu unterstützen, erklärte Salomon auf dieser Tagung, der »sich nur gegen uns selber richten könne«, sollten sich alle Deutschen endlich aus dem Zustand der 133
Der unerschütterliche Preuße
Lethargie des Status quo herausreißen und wieder als Vertreter einer autonomen Nation auftreten, das heißt eine Politik befördern, die zu nationaler Selbstbestimmung und damit einer Entspannung zwischen den USA und der UdSSR in Europa beitragen könne.52 Doch nicht nur zur Deutschen Friedens-Union, auch zur linksorientierten Deutschen Volkszeitung und der hinter ihr stehenden Deutschen Kommunistischen Partei (DKP ) unterhielt Salomon als alter Nationalbolschewist in den folgenden Jahren gute Beziehungen.53 Sogar seine Mitgliedschaft im Präsidium des von Ostberlin finanzierten »Demokratischen Kulturbund Deutschlands« behielt er in den sechziger Jahren bei.54 Ja, am 1. Januar 1967 erklärte er in einem Interview mit Wolfgang Venohr im Westdeutschen Rundfunk, dass der Kommunismus von seinen Anhängern die gleichen Tugenden verlange, die bereits die Tugenden Preußens gewesen seien, nämlich »Solidarität, Disziplin, Organisation, Denken für den Staat, der Staat als Motiv des Handelns«.55 Ein weiterer Beleg für diese Gesinnung findet sich in Salomons Roman Die Kette der tausend Kraniche, der 1972, im Jahr seines Todes, herauskam. In ihm schilderte Salomon, wie er von der japanischen Hiroshima-Kommission eingeladen worden sei, anlässlich einer internationalen Friedenskonferenz in Tokio eine Rede zu halten.56 Wie schon zuvor kritisierte Salomon auch hier wiederum das Weltmachtstreben der US-Bewohner, die aufgrund ihrer platten »Reader’s Digest Philosophie« annähmen, ihr »Way of Life« würde das »Glück der durch die Amerikanisierung immer kleiner werdenden Welt für alle Völker befördern«.57 Um diesem Trend entgegenzutreten, setzte sich Salomon in Tokio energisch für die Pläne des polnischen Außenministers Adam Rapacki ein, die westdeutsche Bundesrepublik, die Deutsche Demokratische Republik, Österreich und Polen in eine entmilitarisierte, atomwaffenfreie Zone zu verwandeln, um so dem Wettrüsten und zugleich Weltmachtstreben der beiden Großmächte in Ost und West wenigstens in Mitteleuropa ein Ende zu bereiten, was jedoch von der Adenauer-Regierung – unter scheinheiligen Beteuerungen ihrer NATO-Verpflichtungen – strikt abgelehnt wurde.58 Ein Verständnis für seine Ansichten fand er daher auf diesem Kongress nur bei den Delegierten der DDR, in denen er die 134
Ernst von Salomons Der Fragebogen (1951)
Vertreter des »einzigen deutschen Staates« sah, in dem wenigstens einige der älteren »preußischen Traditionen« und damit Gefühle eines gewissen Nationalstolzes weiterwirkten.59 Im Gegensatz zur BRD, die Salomon lediglich als einen Satellitenstaat Amerikas betrachtete, der überhaupt keine politische Identität besitze, bewunderte er an den Vertretern der DDR den »Mut, mit dem diese Leute an den Aufbau ihres Staates« gingen und dabei auch jene nationalen Traditionen der Vergangenheit zu berücksichtigen suchten,60 für die man in der BRD überhaupt kein Verständnis mehr aufbringe. Solche Vorstellungen, die um 1951 in Westdeutschland noch zu scharfen ideologischen Auseinandersetzungen geführt hätten, konnten im Jahr 1972 in der BRD kaum noch jemanden beeindrucken, geschweige denn provozieren. Schließlich wehte inzwischen in Westdeutschland im Hinblick auf solche Fragen ein ganz anderer Wind als in den fünfziger und frühen sechziger Jahren. Erstens hatte durch die sogenannte konstruktive Ostpolitik Willy Brandts der aggressive Ton des Kalten Kriegs merklich nachgelassen. Zweitens war durch die 1967/68 einsetzende Studentenbewegung eine in Intellektuellenschichten bis dahin undenkbare Sympathiewelle für alle älteren linken Traditionen Deutschlands entstanden, die nicht nur zur Wiederentdeckung der kommunistischen, sondern auch der anarchistischen und nationalbolschewistischen Strömungen innerhalb der Weimarer Republik führte. Damit verglichen mussten die in Salomons Roman Die Kette der tausend Kraniche geäußerten Anschauungen über eine mitteleuropäische Entspannungspolitik vergleichsweise harmlos wirken. Über dieses Werk ging daher die westdeutsche Tagespresse, die sich damals mit ganz anderen Ereignissen, wie den heiß diskutierten Ostverträgen und den Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe, auseinandersetzte, fast einhellig hinweg. Das Gleiche gilt für Salomons dickleibiges Nachlassfragment, dem er den Titel Der tote Preuße. Roman einer Staatsidee gab und das 1973, also ein Jahr nach seinem am 9. August 1972 erfolgten Tod, bei Langen-Müller in München erschien. In ihm hatte Salomon noch einmal versucht, seiner Lieblingsidee Nachdruck zu verleihen, nämlich dass das tote Preußen noch immer den wichtigsten Grundstein für die Wiederbelebung einer sinnvollen 135
Der unerschütterliche Preuße
Staatsidee unter den Deutschen bilde. Und zwar wollte er mit diesem Buch zeigen, wie sich im preußischen Teil Deutschlands im Laufe der Jahrhunderte eine Staatsvorstellung entwickelt habe, die bis heute »auf ihre Stunde warte, endlich in die Wirklichkeit überführt« zu werden, wie er in einem Gespräch mit Hans Lipinsky-Gottersdorf, einem anderen Preußen-Verehrer, erklärte.61 Doch das fanden die meisten Literaturkritiker zu diesem Zeitpunkt bereits so antiquiert, wenn nicht gar absurd, dass sich kaum noch eine Stimme regte, die auf solche Ideen eingegangen wäre. Ja, selbst anlässlich seines Todes blieb es im westdeutschen Blätterwald relativ still. Wohlwollende Nachrufe erschienen zu diesem Zeitpunkt nur noch von einem »ergrauten Klassenkämpfer wie Johannes Fladung« vom linksorientierten Düsseldorfer Progress-Verlag sowie von ehemaligen Buchenwald-Häftlingen, die Salomon Dank dafür sagten, ihrer in seinem Roman Das Schicksal des A. D. auf eine so ergreifende Weise gedacht zu haben.62 Dagegen distanzierten sich die einen eindeutig »westlichen« Kurs befürwortenden neoliberal oder sozialdemokratisch gesinnten Literaturkritiker von Salomon weiterhin ebenso entschieden wie jener Friedrich Luft, der sich bereits 1951 in der von den Amerikanern herausgegebenen Neuen Zeitung von seinem Fragebogen abgesetzt hatte. Nach diesem letzten, ideologisch unbedeutenden Geplänkel wurde es deshalb um seine Werke – vor allem nach dem Abflauen der Achtungsechziger Bewegung und der darauf folgenden Enthistorisierung im Zeichen postmoderner oder poststrukturalistischer Theoriebildungen – zusehends stiller. Die Vertreter und Vertreterinnen solcher Richtungen konnten einem Mann wie Ernst von Salomon, der zeit seines Lebens nur politische Romane geschrieben hatte, mit denen er den herrschenden Meisterdiskursen mit einem neuen Meisterdiskurs, nämlich dem eines auf das ältere Preußentum gegründeten nationalen Sozialismus, entgegenzutreten versuchte, nicht viel abgewinnen. Angesichts der steigenden Übermacht des »American Way of Life« erschien ihnen ein solches Bemühen von vornherein als ein fruchtloses Unterfangen, das sie nicht einmal mehr belächelten, sondern einfach ignorierten.63
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»Was aber bleibet, ist allein das Ich !«. Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960 »Rußland war immer beherrscht vom Panslawismus und Expansionsdrang. Dazu kommt Überzeugung, die in den Herzen der Machthaber so fest wurzelt – wie nur in der Brust des frömmsten Christen der Glaube –, daß die kapitalistischen Staaten am Verwesen und Auseinanderfallen sind und daß der Kommunismus die neue Religion ist, die materialistische Religion, die die Welt beherrscht. Von diesem Standpunkt aus ist die Unterjochung der Satellitenstaaten erfolgt, um sich neue Kräfte zuzuführen und damit weitere Schritte zum Endziel zu tun, zur Unterwerfung ganz Europas.« (Konrad Adenauer vor dem Bundesausschuss der CDU am 14. Juni 1952)
I Obwohl Deutschland aus den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts zweimal als ein geschlagener und von aller Welt verachteter Staat hervorging, reagierten seine Autoren – wie bekannt – auf die jeweilige Stunde null in höchst verschiedener Weise. Während sich im November 1918 der linke Flügel dieser Schriftsteller mit leidenschaftlichem Elan zum totalen Umsturz der bestehenden Verhältnisse bekannte und die von ihm erwünschte Republik mit geradezu utopischen Hoffnungen in ein Räteparadies, das heißt einen Staat der totalen Emanzipation zu verwandeln hoffte, befanden sich im Mai 1945 die meisten Schriftsteller eher im Zustand einer weitverbreiteten Lethargie, wenn nicht gar Lähmung. Selbst die bisher Unterdrückten, also jene, die 137
»Was aber bleibet, ist allein das Ich!«
aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern zurückkamen, sich den Nazifaschisten im Untergrund widersetzt hatten oder in eine eher harmlose Innere Emigration ausgewichen waren, jauchzten angesichts der alliierten »Befreier« nicht sofort auf, schmiedeten keine Pläne für eine neues, besseres Deutschland oder gaben sich irgendwelchen utopischen Wunschvorstellungen hin, sondern dachten inmitten der allgemeinen Zerstörung – angesichts von Hunger, Kälte und Arbeitslosigkeit – erst einmal an ihr eigenes Überleben. Doch ihre Stummheit hatte neben existentiellen Sorgen auch politische Gründe. Schließlich wurden sogar viele der politisch Aktiveren unter ihnen, vor allem in den drei westlichen Besatzungszonen, nicht über Nacht zur Bildung eines neuen Deutschland herangezogen, sondern mussten zum Teil längere Zeit warten, bis sie den Alliierten als vertrauenswürdig genug erschienen, um an der Neugestaltung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens beteiligt zu werden. Im Gegensatz zu den ekstatischen Verlautbarungen der expressionistischen Generation, die in den Jahren zwischen 1918 und 1921 ein Umsturzkonzept nach dem anderen entworfen hatte,1 wirkt darum selbst der Ton jener westdeutschen Autoren, die man als »engagiert« bezeichnen kann, nach 1945 eher zurückhaltend, ja, geradezu karg. Wenn sie überhaupt Politisches veröffentlichten, was selten genug geschah, waren das meist rückschauende Lager- oder Gefängnisberichte, aber kaum oder keine vorwärts weisende Zukunftsvisionen oder gar Utopien. Kein Zweifel, es gab in diesen Dokumentationen der Verfolgung oder des Widerstands auch höchst bewegende Momente, in denen eine neue Hoffnung aufzuleuchten begann, aber diese Erwartungshaltung wurde selten politisch »konkret«. Was man der nazifaschistischen Unterdrückung entgegenstellte, war häufig nur eine nicht näher qualifizierte »Freiheit«, eine Freiheit von Überwachung und Gleichschaltung, eine Freiheit, die nur den Selbstbehauptungswillen des Einzelnen vor seinem Gewissen oder vor Gott anerkannte, kurz : eine Freiheit, die in der Abkehr vom Nazifaschismus nicht nur das korrumpiert Nationale, sondern auch alle ins Sozialbetonte tendierenden Bemühungen als verdammenswert empfand. Lediglich einige Autoren wie Hans Werner Richter in der Zeitschrift Der Ruf, Eugen Kogon 138
Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960
in den Frankfurter Heften, führende Mitglieder der »Bekennenden Kirche« und des »Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« sowie Viktor Agartz in Sozialistische Wirtschaftspolitik (1946), Alexander Mitscherlich und Alfred Weber in Freier Sozialismus (1946), Julius Ebbinghaus in Zu Deutschlands Schicksalswende (1946) und Karl Geiler in Geistige Freiheit und soziale Gerechtigkeit im neuen Deutschland (1947) versuchten nach dem Kriegsende aus dem allgemeinen Trümmerfeld der Ideologien eine Reihe humanistischer, demokratischer wie auch sozialistischer Restelemente zu retten und zur Grundlage einer »Ideologie der Wiedergeburt« zu machen. Doch derartige Bemühungen standen von vornherein unter einem ungünstigen Stern. Erstens unterschätzten sie die allgemeine ideologische Verunsicherung der breiten Massen nach dem Zusammenbruch des deutschen Faschismus, der diesen Massen – wenigstens in seiner Anfangsphase – durchaus das Gefühl einer neuen Geborgenheit gegeben hatte ; zweitens überschätzten sie den demokratischen Umerziehungswillen der westlichen Besatzungsmächte, die zwar in Anlehnung an das Potsdamer Abkommen eine Zeitlang von Denazifizierung, Demilitarisierung und Dekartellisierung sprachen, aber im Zuge des seit 1947 einsetzenden Kalten Kriegs die meisten ihrer Umerziehungs- und vor allem Entkapitalisierungspläne wieder aufgaben und mit Hilfe des Marshall-Plans eine wirtschaftliche Stärkung Westdeutschlands in die Wege leiteten, um aus diesem Teil des früheren Deutschen Reichs einen Staat der ideologischen Resistenz gegen den »gefährlich dräuenden Osten« zu machen, ja, dieses Land in ein militärisches Bollwerk gegen den Kommunismus zu verwandeln. Und diesem Prozess fielen all jene ideologischen Bemühungen um einen politisch unabhängigen Kurs, die einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus anvisiert hatten, nur allzu schnell zum Opfer. Das Verbot des »Kulturbunds«, des Ruf und des Skorpion im Jahr 1947 belegen das nur allzu deutlich. Und mit dem Zurückdrängen solcher als »links« verdächtigten Hoffnungen traten zugleich jene gesellschaftspolitischen Konzepte in den Hintergrund, die sich eine radikaldemokratische und sozioökonomische Neuordnung Deutschlands zum Ziel gesetzt hatten.2 139
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Abb. 16 Wahlplakat der CDU (um 1952) 140
Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960
Schon die Jahre 1948 und 1949, in denen die Amerikaner in den drei westlichen Besatzungszonen eine auf Abgrenzung von der SBZ bedachte Währungsreform durchführten und schließlich einen Parlamentarischen Rat zur Konstituierung eines westdeutschen Staates beriefen, standen darum im Zeichen eines massiven Antikommunismus, der jede linke Äußerung sofort als »antiwestlich« anzuprangern suchte. Um dabei die eigene Hausmachtpolitik nicht allzu deutlich werden zu lassen, wurde dieser Antikommunismus von den amerikanischen Besatzungsbehörden in den von ihnen überwachten Medien meist als »Antitotalitarismus« ausgegeben. Und zwar stützten sie sich hierbei gern auf die gängige Formel »Rot gleich Braun«, mit der man jedes, ob nun von rechts oder links ausgehende Konzept einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung von vornherein in Frage stellen konnte. Der Gedanke einer wirklichen Volksrepublik, die von allen Angehörigen einer Nation als »ihr« Staat empfunden werden kann, geriet somit zusehends in den Verdacht, im Prinzip »totalitaristisch« zu sein, das heißt den Willen der Mehrheit, des »gemeinen Pöbels«, zum herrschenden Willen zu machen. All jene, die sich nach 1949 in Westdeutschland in den Dienst eines konsequenten Antikommunismus oder Antitotalitarismus stellten, wandten sich deshalb immer stärker gegen jedwedes sozialbetonte »Engagement« und setzten sich nachdrücklich für die Einführung einer »offenen Gesellschaft« ein, was im ideologischen Bezugsfeld von damals so viel wie eine bürgerlich-kapitalis tische Gesellschaftsordnung älterer Prägung bedeutete. Wer also Wiederherstellung statt Neuordnung wollte, brauchte sich im Gefolge der von Konrad Adenauer angeführten CDU lediglich zum Verteidiger der »Open Society« aufzuwerfen und hatte damit sofort all jene Bürgerlichen auf seiner Seite, die sich von einer Erneuerung der älteren ökonomischen Verhältnisse auch eine Restitution ihrer früheren Führungsrolle versprachen, während die gleichen Schichten in einer gesellschaftlichen und kulturellen Neuordnung lediglich eine Gefährdung ihrer bisherigen Privilegien erblickten.
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»Was aber bleibet, ist allein das Ich!«
II Kein Wunder daher, dass diese antitotalitaristischen Parolen von einem Großteil der westdeutschen Bourgeoisie aktiv unterstützt wurden und zu einer wahren Inflation subjektivistisch verstandener »Freiheits«-Vorstellungen führten. Während dieser Freiheitsbegriff kurz nach 1945 noch gegen die nazifaschistische Gleichschaltung gerichtet war, wurde er jetzt immer stärker zur Legitimierung der wieder errungenen Machtpositionen der begüterten Gesellschaftsschichten herangezogen. Und das äußerte sich auch auf dem Gebiet der Literatur, die stets ein höchst empfindlich reagierender Seismograph solcher ideologischen Veränderungen ist. Während in den Jahren zwischen 1945 und 1947 das literarische Leben noch relativ pluralistisch orientiert war, wodurch selbst linke Stimmen eine Chance hatten, von weiteren Kreisen gehört zu werden, machte sich nach diesem Zeitpunkt – im Zuge der antikommunistischen und antitotalitaristischen Tendenzen des Kalten Kriegs – eine deutliche Homogenisierung der bisherigen ideologischen Vielfalt bemerkbar, der fast alle linksliberalen, sozialdemokratischen und sozialistischen Stimmen zum Opfer fielen. So wie der Kalte Krieg der Vater der Bundesrepublik war, ohne den sie nie oder wenigstens nicht in dieser Form entstanden wäre, war also der Kalte Krieg auch der Vater großer Teile der westdeutschen Literatur der Jahre zwischen 1948/49 und 1955, ja, streckenweise noch weit über diesen Zeitpunkt hinaus. Allerdings lassen sich dabei – trotz der antitotalitaristischen Grundhaltung – im Einzelnen durchaus einige signifikante Richtungsunterschiede feststellen, die man nicht übersehen sollte. Wohl am deutlichsten zeigt sich dieser Stimmungsumschwung auf dem Gebiet der damals publizierten Utopien und Dystopien, in denen die ideologische Grundhaltung dieser Literatur in besonders eklatanter Weise zum Ausdruck kam. In derartigen Werken dominierte stets die Einmaligkeit des Individuums im Sinne westlicher Freiheitsideologien über alle anderen Wertvorstellungen. Immer wieder war es die »offene Gesellschaft«, die gegenüber dem Zugriff aller anderen Gesellschaftsformationen verteidigt wurde. Aber im Hinblick auf die inhaltlichen »Wesensbestimmungen«, zu denen man 142
Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960
im Rahmen dieser Haltung griff, bestanden dennoch eine Reihe nicht zu leugnender Unterschiede. Bei näherem Hinsehen lassen sich dabei innerhalb dieser Utopien und Dystopien etwa fünf Richtungen unterscheiden. Da wäre erst einmal jene Richtung, die ihr Konzept der »offenen Gesellschaft« von Theodor W. Adorno, Hannah Arendt oder Karl R. Popper herleitete, die um 1950 als die philosophischen Hauptvertreter der Antitotalitarismustheorie galten. »Utopisches« im älteren Sinne fehlt in dieser Richtung fast völlig. Sowohl Adorno als auch Popper haben immer wieder beteuert, dass die Utopie zu den schlimmsten Formen des Totalitarismus gehöre, da sie von einem Konzept ausgehe, welches das unterschiedslose Glück aller Menschen ins Auge fasse und selbst vor gewaltsamen Maßnahmen nicht zurückschrecke, um dieses Versprechen in die Realität überführen zu können. Dennoch gibt es sogar bei Adorno ab und zu Stellen, wo er auf gewisse »utopische Intentionen« anzuspielen scheint. Aber damit waren selten Projekte oder Konstruktionen gemeint, die eine gesamtgesellschaftliche Relevanz aufwiesen.3 Meist wird an solchen Stellen lediglich die Utopie eines abstrakten Anderen oder Besseren anvisiert, die jenseits aller inhaltlichen Festlegungen angesiedelt ist. Wenn Adorno dagegen auf konkret fassbare Utopien zu sprechen kam, bei denen hinter dem bloßen »Schein« deutlich erkennbare soziale Zielsetzungen auftauchen, wehrte er diese meist arrogant oder erbittert ab. Das gilt vor allem für linksorientierte Utopien, über die er sich manchmal ebenso höhnisch mokierte wie über die Ideologien der Existentialisten, völkisch Gesinnten oder Nazifaschisten. Angesichts der herrschenden Weltsituation, also nach Hitler, Stalin, Auschwitz und Hiroshima, weiterhin an »Positives« zu glauben, erschien ihm geradezu hinterwäldlerisch. »Der linke Optimismus«, heißt es dementsprechend in seinen Minima Moralia (1951), wiederhole lediglich den »tückischen bürgerlichen Aberglauben, man solle den Teufel nicht an die Wand malen, sondern sich ans Positive halten.«4 Was Adorno deshalb als unterstützenswert empfand, war einzig und allein die Entfesselung der »Subjektivität«, die ihm in allen Staaten, allen Gesellschaftssystemen, allen Wirtschaftsordnungen »unterdrückt« zu sein schien.5 143
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Wie Nietzsche sah auch er im Staat das »kälteste aller kalten Ungeheuer«, da jede staatlich organisierte Gesellschaftsordnung stets die Tendenz zur Gleichschaltung und damit kulturellen Nivellierung habe. Adornos Ideologie lief daher nicht einfach auf eine Legitimierung des Kapitalismus hinaus, wie man aufgrund seiner Angriffe auf alle totalitären Systeme erwarten könnte. Im Gegenteil, sogar jene westlichen Staaten, die sich als »Demokratien« ausgaben, waren für ihn in erster Linie »Staaten«. Auch in ihnen dominiere letztlich die »verwaltete Welt«, lesen wir in seinen Schriften immer wieder, weshalb sich selbst in solchen Ländern die Autonomie des Einzelnen nie recht entfalten könne. Jene westdeutschen Romane des Antitotalitarismus, die zwischen 1945 und 1960 Adornos pessimistische Grundhaltung teilten und in den »Segnungen« des modernen Industrie- und Medienzeitalters lediglich eine negative Dialektik am Werke sahen, die letzten Endes zu einer totalen Auslöschung des individuellen Faktors führe, nahmen sich demzufolge literarisch meist Franz Kafkas Der Prozeß oder Albert Camus’ nihilistischen Existentialismus zum Vorbild. Das gilt vor allem für jene Richtung, die im Laufe der fünfziger Jahre vom Roman sogar auf das Drama übergriff und sich in Formen des absurden Theaters à la Samuel Beckett und Eugène Ionesco manifestierte. In den meisten dieser Werke äußerte sich der Zugriff des Totalitären in der Form zunehmender Technisierung, Überwachung und Vermassung aller Lebensverhältnisse, durch die selbst das sich bisher als autonom empfindende bürgerliche Ich seine letzten Freiheiten einbüße. Mit versteckten oder offenen Hinweisen auf Gustave Le Bon und José Ortega y Gasset wurde damals in Werken dieser Art ständig die Gefahr der Verstaatlichung und damit Enthumanisierung aller Lebensbereiche beschworen. Aus diesem Grunde erscheinen Begriffe wie Staat, Partei, Gesellschaft, Organisa tion, Disziplin, Bindung oder Solidarität im Umkreis dieser Literatur fast immer als negativ besetzte. Und zwar wurde hierbei die Aversion gegen Überindividuelles weniger auf die reale Erfahrung mit dem Nazifaschismus oder Kommunismus als auf die Erfahrung mit dem »totalen, unfreien Massenstaat« schlechthin zurückgeführt, wie es 1950 bei Max von Brück heißt.6 144
Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960
In fast allen antitotalitären Romanen dieser Richtung wirkt darum das Böse wie ein geradezu universelles Prinzip. So gerät etwa in dem Roman Nein. Die Welt der Angeklagten (1950) von Walter Jens der frühere Schriftsteller Dr. Walter Sturm, der im Rahmen eines totalitären Regimes zur Nr. 56 geworden ist, in einen scharfen Gegensatz zu einer anonymen Obrigkeit, welche die gesamte Welt zu beherrschen scheint. Wie in Franz Kafkas Prozeß wird Sturm zu einem Verhör vorgeladen, worauf eine genaue Schilderung all jener Untersuchungen, Folterungen, Dunkelkammern, Gefängnisse, Zwangslager und Anfechtungen folgt, welche von den Drahtziehern des Kalten Kriegs damals mit dem Wesen »totalitärer« Staaten gleichgesetzt wurde. Dieses Buch richtete sich also nicht gegen eine »bestimmte Macht«, sondern gegen »Macht« schlechthin.7 Der betreffende Staat wird deshalb nirgends als Manifestation einer bestimmten Ideologie greifbar. Alles bleibt abstrakt, das heißt wird als total entfremdete Überwachungs- und Unterdrückungsmaschinerie hingestellt, welche die gesamte Bevölkerung zu teilnahmslosen, uniformen Wesen erniedrigt. Alle »machen die gleichen Bewegungen«, heißt es an einer Stelle, und »haben die gleichen Gedanken, aber merken es gar nicht mehr«.8 Der Individualist Sturm ist schließlich der einzige »menschliche« Mensch innerhalb dieser Gesellschaft, weshalb ihn der Großrichter wegen seines offenkundigen Nonkonformismus erschießen lässt. In dem Nachwort zu einer späteren Auflage dieses Romans gab Jens ganz offen zu, dass er um 1950 unter dem überwältigenden Einfluss Kafkas gestanden habe, während ihm George Orwells Nineteen Eighty-Four (1949) bei der Niederschrift seines Romans noch unbekannt gewesen sei. Eine ähnliche Handlung liegt dem Roman Das große Netz (1952) von Hermann Kasack zugrunde. Hier nistet sich ein sogenanntes Statistisches Büro, genannt »IFE « (Institut für Europa ?), in einer abgelegenen Kleinstadt ein und tyrannisiert aufgrund seiner ökonomischen Überlegenheit schließlich die ganze Gegend, das heißt behandelt alle Bewohner entweder als Geschäftsobjekte oder als Versuchskaninchen. Wer diesem »Büro« vorsteht, bleibt wie in Franz Kafkas Schloß unerfindlich. Man sieht nur, wie 145
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seine »hohen Herren« alle anderen Menschen systematisch hypnotisieren und dann versklaven. Und so werden aus ehemaligen freien Persönlichkeiten zusehends gesichtslose Einheitswesen, wie es heißt, die man auch in einem »Labor« züchten könne.9 Überhaupt wird gegen Ende alles immer »sachlicher und anonymer«.10 Am Schluss hat das perfide »Büro« die Gesamtgesellschaft so weit manipuliert, dass sie sogar einen Atombombenabwurf duldet, wodurch schließlich – wie in Pompeji – alles zur einer Totenlandschaft erstarrt, die erst viel später wieder besiedelt werden kann. Etwas optimistischer klingt dagegen der Roman Der achte Tag (1950) des österreichischen Autors Hermann Gohde (d. i. Friedrich Heer) aus. Hier wird zwar die gesamte Welt auch von einem anonymen »Büro« beherrscht, das ebenfalls jenen gegen die christlichen und humanistischen Werte des Abendlands verschworenen Kräften untersteht, deren höchstes Ziel die totale Verwandlung aller Menschen in arbeitsame und technikgläubige Roboter ist. Doch gegen dieses »Büro« setzt sich bei Gohde im Verlauf der Handlung eine kleine Gruppe versprengter Christen zur Wehr, die sich die »Weiße Rose« nennt und ihren höchsten Wert in der im Religiösen verankerten Würde des einzelnen Menschen erblickt. Diese Widerstandsgruppe ist zwar auf den letzten Seiten von Gohdes Roman noch immer in der Opposition – aber es »dämmert« schon »über den Bergen«, wie es sinnigerweise heißt.11
III Die zweite Gruppe dieser antitotalitaristischen Romane lässt sich – einmal ganz grob gesprochen – am besten mit dem Begriff »Rückzugsromane« charakterisieren. Ideologisch gesehen liegt diesen Werken meist die Gesinnung der sogenannten Inneren Emigration zugrunde.12 Hier lässt man in Zeiten totalitärer Unterdrückung die äußere Welt einfach im Argen und zieht sich auf jene Persönlichkeitswerte zurück, welche schon die ältere »bürgerliche« Literatur immer wieder als die eigentlichen Grundvoraussetzungen eines sinnvollen Lebens hingestellt hatte : nämlich die Werte des Privaten, Existentiellen, Einzelpersönlichen. Doch neben solchen bourgeoisen 146
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Individualitätsvorstellungen, welche vornehmlich die »innere Freiheit« des Menschen akzentuieren, unterstützten die Vertreter dieser Richtung – im Gegensatz zu allen fortschrittlich-linear ausgerichteten Geschichtskonzepten – zugleich bewusst reaktionäre Anschauungen, die auf der Vorstellung der Erneuerung aus dem Fernsten beruhen. Was sie weltanschaulich empfahlen, war daher immer wieder die Rückkehr zur »Substanz«, und zwar auf dreierlei Weise : erstens als Rückkehr zum Einfachen, Natürlichen, Bäuerlichen, zweitens als Rückkehr zu elitären Formen von Kunst und Kultur und drittens als Rückkehr zu Gott.13 Bei der ersten Gruppe, das heißt den Romanen des Rückzugs ins Einfache, Natürliche, Bäuerliche, wird die antitotalitaristische Intention meist in irgendwelche Schrebergartenideale oder Vorstellungen von vegetarischen Landkommunen eingekleidet, wofür Romane wie In Utöpchen (1947) von Ernst Wilhelm Schmidt bzw. Vineta (1955) von Hans Albrecht Moser die besten Beispiele bilden. In diesen Romanen lebt man entweder als Einzelner und stellt die Unantastbarkeit der »Freiheit« über alle anderen m enschlichen Werte oder schließt sich zu sektiererischen Kommunen oder Künstlerkolonien zusammen, die sich als Heimstätten der »Stillen im Lande« im Sinne der sogenannten Inneren Emigration empfinden. Nicht viel anders sind jene Romane angelegt, in denen weniger das Glück der Scholle als die eremitenhafte Versenkung in Kunst, Kultur und Bildung im Vordergrund steht. Auch ihre Freiheitsvorstellungen haben in Anlehnung an Hermann Hesses Das Glasperlenspiel (1943) eine deutliche Tendenz zur gesellschaftlichen Absonderung. In manchen Werken dieser Richtung, wie etwa in Ernst Jüngers Heliopolis (1949), nimmt dieses Eremitenhafte eindeutig ritterlich-mönchische Züge an. In anderen, wie Die verbotene Stadt (1958) von Curt Hohoff oder Das Los unserer Stadt (1959) von Wolfdietrich Schnurre, versuchen einige der bürgerlichen Intellektuellen die Unbill der Zeiten zu überstehen, indem sie sich zu »Orden der Lesenden« zusammenschließen, die sich an entlegenen Orten oder hinter dicken Bibliothekswällen in alte Manuskripte und Inkunabeln versenken, um nicht an die dem Totalitarismus huldigende Gegenwart erinnert zu werden. 147
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Noch stärker drückt sich diese Tendenz zur Abkehr von der bösen Außenwelt in all jenen westdeutschen Utopien oder Dystopien um 1950 aus, in denen als der allein selig machende Ausweg aus der gegenwärtigen Misere die Rückkehr zu Gott angepriesen wird. Auch hier sind es Einzelne oder kleinste Gruppen, die wie in Hermann Gohdes Roman Der achte Tag (1950) als Leitbilder einer neuen Gesinnung aufgestellt werden. Wie in den zwei anderen Romangruppen steht dabei wiederum nicht die Bewältigung des Nazifaschismus, sondern eher eine allgemeine Abwendung von Masse, Technik und Entwicklungsdenken im Vordergrund. Sich nicht als »Masse« vor irgendwelchen weltlichen Gewalten zu beugen, sondern als Einzelne vor Gott zu stehen gilt in ihnen als »abendländisch« und zugleich als beste Verteidigung der bürgerlichen Subjektivität. Lediglich in der Romantrilogie Die Sintflut (1949–1959) von Stefan Andres hat man an manchen Stellen das Gefühl, dass mit dem »Abfall von Gott« auch der Nazifaschismus mitgemeint ist. Das gilt vor allem für die ersten zwei Bände dieses Werks, wo das Regierungssystem der von Gott abgefallenen Nietzsche-Jünger und »Normer«, das auf List, Betrug und psychologischer Massenbeeinflussung beruht, zum Teil an »braune« Herrschaftspraktiken erinnert. Doch dann kommt es zu einer scharfen Wende gegen jede Form der totalitären »Vermassung« oder »Verstaatlichung« des Menschen, ob nun auf nazifaschistische, sozialistische oder demokratische Weise, der man nur mit einem Bekenntnis zu Gott entgegentreten könne.14 Allerdings hilft diese Rückkehr zum persönlichen Gott den an ihn Glaubenden in einer Welt, die auf Macht, Gewalt und Ausbeutung beruht, auch nicht viel weiter. Und so sehen sich die von Andres beschriebenen Gottgläubigen – voller Angst, dass es nach der zweiten Sintflut sicher zu einer dritten kommen werde – schließlich zu einem Rückzug in fernste Wälder und Höhlen genötigt. Wie schon die Stillen im Lande pietistischer Observanz, die ängstlichen Kleinbürger des 19. Jahrhunderts sowie die Vertreter der Inneren Emigration setzen sie dem Bösen, das heißt der zunehmenden Vermassung und Entgöttlichung, lediglich Geduld und Liebe entgegen. Doch das läuft letztlich auf eine Haltung hinaus, die Georg Lukács zu Recht als »Hoffen aus Dummheit« charakterisiert hat.15 148
Die westdeutschen Romane des Antitotalitarismus zwischen 1947 und 1960
Eine ebenso resignierende Lebenserfahrung liegt dem Roman Missa sine nomine (1950) von Ernst Wiechert zugrunde, in dem ein deutscher Adliger, der sich in einem Konzentrationslager von egoistischer Triebhaftigkeit zu altruistischer Friedfertigkeit durchgerungen hat, nach dem Krieg aufs Land zurückkehrt, sich völlig »entäußert«,16 ja, sogar seinen früheren Gegnern vergibt und in absoluter Gottnähe zu leben versucht. Auch hier sind die Guten wiederum die Abseitigen, die sich zum Rückzug in die »kleine Welt« der Dörflichkeit entschlossen haben, während um sie herum das »Abendland«, wie es heißt, in den Abgrund der »Leere« treibt.17 Und so verwirklicht sich das Gute, wie schon in Wilhelm Raabes resignativ eingestelltem Roman Der Hungerpastor (1864), abermals nur in jener Gläubigkeit, die jeder Auseinandersetzung mit der äußeren Welt aus dem Wege geht.
IV Die dritte Gruppe dieser antitotalitaristischen Romane bilden jene Dystopien, in denen irgendwelche Atombombenkatastrophen eines dritten Weltkriegs beschrieben werden, die sich mit geradezu dämonischer Notwendigkeit aus der zunehmenden Übertechnisierung der Welt ergeben haben. Den meisten dieser Werke liegt eine Ideologie der Verängstigung zugrunde, bei der schwer zu unterscheiden ist, wo die eigene Angst aufhört und die Manipulation der Ängste durch andere beginnt. Und hierdurch kam es im Zuge des Kalten Kriegs, der um 1950 – nach dem Ausbruch des Koreakriegs – jeden Tag in einen heißen Krieg mit neuen Massenbombardements, neuen Hiroshimas und Nagasakis übergehen konnte, in vielen westlichen Ländern zu einer Massenhysterie, der durchaus reale Ängste zugrunde lagen. Aber auch das sensationalistische Spiel mit dem Feuer, die profitverheißende Ausbeutung dieser Ängste in Form von Science-Fiction-Romanen und Horrorfilmen sowie die ideologische Ausschlachtung dieser Ängste zugunsten einer politischen Hoffnungslosigkeit und damit des Aufgebens aller utopischen Hoffnungen auf eine andere, bessere Zukunft sollte bei dieser Wendung ins Dystopische nicht übersehen werden, welche auch später in Zeiten ökonomischer Krisen immer wieder aufs Neue angefacht wurde. 149
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Eine solche Stimmung totaler Hoffnungslosigkeit herrscht bereits in dem Roman Die Stadt hinter dem Strom von Hermann Kasack, der im Erstdruck 1946 im Berliner Tagesspiegel erschien und dann 1947 als Buch herauskam. In ihm wird eine Ruinenstadt beschrieben, die sich bei näherem Hinsehen als ein hadesähnliches Zwischenreich erweist, in dem alle Menschen – halb tot, halb lebendig – in anonymer Apparathaftigkeit stets die gleichen Arbeiten verrichten müssen. »Aufbau« und »Zerstörung« scheinen sich hier in totaler Sinnlosigkeit stets die Waage zu halten, bis am Schluss – »im Zeitalter der Atomzertrümmerung« – die Gruppe der »Vernichtung« schließlich die Oberhand behält.18 Ebenso erschreckend wirkt diese totale Sinnlosigkeit in dem Roman Wir fanden Menschen (1948) von Hans Wörner, wo eine Expedition von drei Männern in ein Land kommt, das vor sieben Jahren von einer Naturkatastrophe heimgesucht worden ist. Anfangs glauben sie, in ein Totenland zu kommen, bis sie plötzlich auf verwahrloste Menschengruppen stoßen, die wie verfilzte »Rattenwölfe« in unterirdischen Verliesen hausen und sich wechselseitig auszurotten suchen, da unter ihnen nur noch das »Gesetz des Dschungels« herrscht. Nicht minder hoffnungslos wirkt das Schicksal jener Menschen, die Heinz Risse in seinem Roman Wenn die Erde bebt (1950) beschrieb. Trotz eines schrecklichen Erdbebens hat sich in dem von ihm geschilderten Staat nur wenig geändert. Noch immer gleichen in ihm alle Menschen betriebsamen Ameisen, deren Hauptmerkmale Unmenschlichkeit und Gottferne sind. Letztlich untersteht hier alles wie eh und je dem Prinzip der organisierten Anarchie, nur dass an die Stelle des »Kampfes aller gegen alle« danach der »Kampf aller Gruppen gegen alle Gruppen« getreten ist.19 Die Schuld an diesen Katastrophen und Untergängen bleibt meist unerklärt. Indem alles so stark ins Apokalyptische ausgeweitet wird, dass es fast den Eindruck eines höheren Schicksals erweckt, würde eine sachliche Erörterung der Ursachen und Gründe solcher dystopischen Ereignisse geradezu banal wirken. Hier vollziehen sich keine politisch oder sozial determinierten Vorgänge, sondern an Sintfluten und Erdbeben gemahnende Naturkatastrophen, gegen die jeder Widerstand sinnlos zu sein scheint. Wenn in diesem 150
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Bereich überhaupt ein politisches Grundprinzip erkennbar wird, dann ist es stets der Zugriff des Totalitaristischen, der – wie schon in den Romanen der ersten zwei Gruppen – fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer nicht wieder aufzuhebenden Liquidierung bürgerlicher Freiheiten dargestellt wird.20
V Das wird noch deutlicher bei jener dritten Gruppe von Romanciers, die bis zu diesem Zeitpunkt eher linken Vorstellungen gehuldigt hatten und erst nach 1947/48 – im Zuge der Antitotalitarismus-Welle – plötzlich ihre Hoffnungen auf eine fortschreitende Sozialisierung der Gesellschaft aufgaben und angesichts sogenannter »kollektivistischer« Tendenzen im rechten wie im linken Lager zu eher bürgerlichen Positionen einer Verteidigung der einzelpersönlichen Freiheit zurückkehrten. Hierbei handelte es sich meist um Autoren, die unter dem Einfluss von George Orwells Roman Nineteen Eighty-Four (1949) standen, der aufgrund seiner Angriffe gegen Gesinnungsterror, Bürokratie und Meinungsmanipulation um 1950 geradezu über Nacht zu einer ideologischen Superwaffe des Antitotalitarismus wurde.21 Orwell ging in diesem Buch von einer Situation aus, nach der es auf Erden nur noch drei Staaten oder Machtblöcke gibt : Ozeanien (Nordund Südamerika, Australien, England und Südafrika), Eurasien (die Sowjet union und das kontinentale Europa) und Ostasien – also den Westblock, den Ostblock und die sogenannte Dritte Welt. Zwischen diesen Großmächten herrschen ständige Feindseligkeiten, die fast den Charakter von Religionskriegen annehmen. Und zwar wird dabei die bewusst hochgespielte äußere Bedrohung im Bereich der Innenpolitik als ein höchst effektives Disziplinierungsmittel benutzt, mit dem man alle bisherigen Systemgegner zum Schweigen zu bringen versucht. Obwohl es in dieser Welt neben Einparteienstaaten auch Mehrparteienstaaten gibt, setzt sich schließlich überall die Diktatur des Totalitären durch. Orwell wollte damit letztlich zeigen, dass sich selbst die Mehrparteienstaaten dem Zugriff des Totalitären ebenso wenig entziehen können wie die Einparteienstaaten. Wie wir wissen, war 151
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Orwell ein fanatischer Eigenbrötler, der während der Niederschrift dieses Romans auf der Hebrideninsel Jura lebte und sich unter anderem als Kleinbauer betätigte. Ja, ursprünglich sollte das Ganze Der letzte Mensch in Europa heißen. Im Mittelpunkt der dürftigen, aber signifikanten Handlung dieses Romans steht daher die hoffnungslose Revolte eines kleinen Beamten gegen den allmächtigen Staat, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Neben Folterungen und anderen Repressalien wird hierbei auch der Prozess der Gehirnwäsche beschrieben, der sich als so effektiv erweist, dass der kleine Revoluzzer den »Big Brother« schließlich zu lieben beginnt. Obwohl Orwell selbst ein ehemaliger Linker war, der im Spanienkrieg auf republikanischer Seite mitgekämpft hatte, liegen diesem Buch neben Berichten über die herrschaftspolitischen Taktiken des deutschen Nazifaschismus sowie eigenen Erfahrungen mit der englischen Bürokratie auch Dokumente über die stalinistischen Ausschreitungen in der Sowjetunion zugrunde, denen Orwell, wie sein vorher ebenfalls links eingestellter Freund Arthur Koestler, seit Ende der dreißiger Jahre höchst kritisch gegenüberstand. Als jedoch sein Buch Nineteen Eighty-Four 1949 auf dem Markt erschien, wurde es von den westlichen Drahtziehern des Kalten Kriegs selbstverständlich nicht im Sinne einer grundsätzlichen Totalitarismuskritik ausgelegt, also einer Kritik, die sich gegen die Unterdrückungsmaschinerien in allen modernen Staaten, ob nun roter, brauner oder demokratischer Couleur, wendet, sondern einzig und allein als ein Angriff auf das kommunistische Herrschaftssystem interpretiert, in dem alle Menschen – im Gegensatz zum »freien Westen«, wo jeder seinem eigenen Glück nachjagen dürfe – zu bloßen Nummern degradiert würden. Wohl am massivsten verfuhr man dabei in der Bundesrepublik, wo dieser Roman in den frühen fünfziger Jahren erst im Sinne der gängigen Braun-gleich-Rot-, dann im Sinne der Rot-ist-schlimmer-als-Braun- und schließlich im Sinne der Rot-ist-unser-einziger-Gegner-Theorie exegiert wurde.22 Orwells Neunzehnhundertvierundachtzig verwandelte sich dadurch innerhalb der offiziösen westdeutschen Literaturkritik schnell aus einem antitotalitaristischen in ein antikommunistisches Buch – und unterstützte damit den allgemeinen Trend zu jener Gesinnung, nach 152
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der die einzige politisch sinnvolle Haltung in einer formalen Verteidigung der eigenen egoistischen Freiheit besteht, was selbstverständlich einer der ältesten Ladenhüter der »bürgerlichen« Ideologie ist.
VI Und zwar vollzog sich dieser Prozess innerhalb der Bundesrepublik so schnell, dass die vierte Gruppe der antitotalitaristischen Romane, nämlich jene, die auf der Braun-gleich-Rot-gleich-formaldemokratisch-Theorie, also der spezifisch Orwell’schen Richtung beruhen, in diesem Lande kaum zum Zuge kam. Die Gründe hierfür sind geradezu mit Händen zu greifen. Schließlich galt es in weiten Bereichen der Bundesrepublik der frühen fünfziger Jahre nicht mehr als opportun, auf die Untaten der nazifaschistischen Vergangenheit oder die gefährlichen Mängel eines rein formal verstandenen Demokratieverständnisses hinzuweisen. Der Kommunismus war hingegen – wie schon im Dritten Reich – noch immer der Hauptfeind Nummer eins. Die weitaus größte Gruppe der westdeutschen Romane des Antitotalitarismus dieser Zeit bildeten darum jene antikommunistischen Romane, in denen die antitotalitaristische Dystopie eines Orwell in die Verklärung der westlichen Freiheit umschlug, das heißt, wo sich die NATO-Allianz mit Hilfe der Bundesrepublik gegen die rote Flut der »diktatorischen« Ostblockländer erst zur Wehr setzt und sie dann militärisch auslöscht. In ihnen ging es nicht um jene innere Logik aller hochindustrialisierten Länder, die – im Sinne der Antitotalitarismustheorien von Adorno, Arendt, Koestler, Orwell oder Popper – notwendig zu Vermassung, Meinungsmanipulation und Gesinnungsterror führen muss, sondern um eine plumpe Schwarz-Weiß-Technik, nach der im Westen nur die Freiheit und im Osten nur der Terror herrscht. In diesem Bereich verzichtete man deshalb auf alle politischen, sozialen oder ökonomischen Fakten und begnügte sich einfach mit den primitivsten ideologischen oder gar völkerpsychologischen Klischees, mit denen man den Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus in einen Gegensatz zwischen »abendländisch« und »asiatisch«, »christlich« und »atheistisch« sowie »zivilisiert« und »barbarisch« umzufunktionieren versuchte, als lebte 153
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Abb. 17 Plakat des Komitees »Sichert Heimat und Freiheit« (um 1952) 154
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man noch immer in der Zeit der Perserkriege oder der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern.23 Aufgrund dieser ideologischen Verschärfung gingen fast alle westdeutschen Romane dieser Richtung von der bewusst provozierenden Behauptung aus, dass sich der »Sowjetblock eines Tages in Bewegung setzen und ganz Europa zermalmen« werde.24 Statt das Konzept der »friedlichen Koexistenz« zu unterstützen und damit eine mögliche Annäherung der beiden politischen Supermächte in die Wege zu leiten, wie es zum Teil noch 1946/47 propagiert wurde, befürworteten die Scharfmacher des Kalten Kriegs danach zusehends eine Politik der Stärke, des Präventivkrieges, ja, der Schwächung oder gar totalen Liquidierung der UdSSR, um damit die kommunistische »Bedrohung des Abendlandes«, wie sie es nannten, ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Zu diesem Zwecke boten sie geradezu alles auf, was sich vor den Karren einer aggressiven antikommunistischen Propaganda spannen ließ : die technische Überlegenheit der USA, den »American Way of Life«, das »Free Europe«-Konzept, Begriffe wie »Abendland« oder »einzelmenschliche Würde«, ja, sogar das religiöse Ansehen des Papstes.25 In diesen Werken wurde deshalb der Kommunismus zum Sündenbock für alles. Trotz des brutalen Überfalls der Hitler-Armeen auf die UdSSR im Juni 1941 und der Tötung von 11,4 Millionen sowjetischen Soldaten, darunter 3,6 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, sowie 15,2 Millionen sowjetischen Zivilisten sind hier die Russen – ohne die geringsten Schuldgefühle – lediglich asiatische Untermenschen, Verkörperungen der »gelben Gefahr« oder was sich sonst noch an klischeeartigen Vorstellungen gegen »minderwertige« Rassen und Völker ins Feld führen lässt.26 Kein Wunder daher, dass es sowohl in der Science-Fiction als auch in der Kriegsliteratur dieser Jahre eine Unzahl von Romanen gab, die sich eindeutig in den Dienst der antikommunistischen Propaganda stellten und ständig das Schreckbild der asiatisch-barbarischen, weltbedrohenden Sowjetunion an die Wand malten. So lässt etwa ein früherer Nazi-Autor wie Alfred Müller, der jetzt unter dem Namen Freder van Holk publizierte, in seinem Roman Die Erde brennt (1951) die westdeutschen Naturwissenschaftler für die USA 155
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Vernichtungsmittel konstruieren, welche die »Sowjetunion endlich in die Schranken weisen« sollen.27 Überhaupt erweisen sich um 1950 »fast drei Viertel« der gängigen Science-Fiction-Literatur als »Militaria-Ersatz«, der sich zu »atomarer Rüstung« und damit zur »Rollback-Strategie« bekannte, wobei der Kampf gegen die »asiatischen Horden« häufig mit der Verantwortlichkeit des Einzelnen vor Gott und Unsterblichkeit gerechtfertigt wurde.28 Ähnliches gilt für viele jener Kriegsromane, die seit der Mitte der fünfziger Jahre im Zuge der forcierten westdeutschen Wiederaufrüstung erschienen.29 Man braucht auf diesem Sektor, neben den Landser-Heften des Pabel-Verlags, nur an einen Bestseller wie Der Arzt von Stalingrad (1958) von Heinz G. Konsalik zu erinnern, in dem die Sowjets fast ausschließlich als schlitzäugige und hinterhältige Asiaten dargestellt werden. Der Lagerkommandant Wortilow fordert hier an einer Stelle ganz unverblümt, dass Russland endlich zum »Mittelpunkt der Erde« werden müsse. Andere Sowjets stellen in diesem Roman die UdSSR als die »Aufmarschbasis für den Sturm auf Europa« hin.30 Das neuerstandene Wolgograd wird darum von Konsalik gegen Ende dieser unverblümten Schmähschrift mit einer »geballten Riesenfaust« verglichen, die »nach Westen droht«, um seinen Lesern das Gruseln beizubringen und sie zugleich zu einer verstärkten Wehrbereitschaft aufzurufen.31 Im Bereich der utopischen Romane waren es vor allem Erik von Kuehnelt- Leddihn, Curt Riess und Edwin Erich Dwinger, welche sich in den Dienst dieser antikommunistischen Rollback- bzw. Liberation-Strategie stellten. In ihren Zukunftsromanen geht es fast ausschließlich um den Endkampf um die Welt zwischen den USA und der UdSSR, welchen die Amerikaner nicht nur wegen ihrer technischen und militärischen, sondern auch wegen ihrer menschlichen, moralischen und religiösen Überlegenheit gewinnen. Und zwar werden dabei den Sowjets die übelsten Taktiken angelastet, um den Sieg der Amerikaner im Lichte einer geradezu göttlichen Rechtfertigung erscheinen zu lassen. Man lese etwa den Roman Moskau 1997 (1949) von Erik von Kuehnelt-Leddihn, der nach dem dritten Weltkrieg spielt, also nachdem die UdSSR bereits ganz Westeuropa, außer England, erobert hat und selbst der Papst in die USA übergesiedelt ist. In allen Ländern, die unter sowjetischer 156
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Herrschaft stehen, verbreitet sich darauf ein perfekter Satanismus. In ihnen gibt es keine Menschen mehr, sondern nur noch Nummern, denen man jedes Eigenbewusstsein geraubt hat. Wer nicht umgekommen ist, wird zu einer gottlosen »Panhilarität« verdammt, welcher der verführerische, aber nie einzulösende Traum von einem »irdischen Paradies« zugrunde liegt.32 Den Protagonisten des Ganzen, einen früheren Amerikaner, der in jungen Jahren aufgrund seiner sozialistischen Gesinnung in die Sowjetunion übergesiedelt war und es dort bis zum Direktor einer Gipswarenfabrik gebracht hat, die eine Art aufheiternder Hummel-Figuren herstellt, packt angesichts des dort herrschenden totalitären Regimes, in dem es verboten ist, von Gott oder vom Tod zu sprechen, eines Tages plötzlich das Grauen. Er erkennt plötzlich, dass die kommunistische Glücksidee die teuflischste aller Teufelsideen ist. Er wird daher katholisch und geht eine heimliche Ehe mit der Kosakin Barrakidja ein, welche die gleiche religiöse Erweckung durchgemacht hat. Nach ihrem Tod, an dem staatliche medizinische Experimente schuld sind, lebt der Gipsfabrikdirektor Uljan ein höchst gefährliches Doppelleben, indem er sich neben seinen staatlichen Verpflichtungen zugleich als Bischof einer verbotenen religiösen Sekte bestätigt. Als solcher wird er schließlich verhaftet und zur Strafe in eine sogenannte »Verarbeitungsmaschine« gesteckt, die seinen Körper in die verschiedenen »chemischen Essenzen« auflöst.33 Kurze Zeit später besiegen die Vereinigten Staaten das kommunistische Eurasien in einem Blitzkrieg von fünf Tagen. Und das Ganze schließt damit, dass der Kardinal Morgan in der befreiten Kreml-Kirche eine Hohe Messe zelebriert. Ähnliche Wunschträume liegen dem Roman Stalin starb um vier Uhr morgens (1950) von Curt Riess zugrunde. Hier stirbt Stalin bereits im Jahr 1950, worauf in der UdSSR sofort erbitterte Diadochenkämpfe ausbrechen, die zum Zusammenbruch des gesamten Ostblocks führen. Polen und die ČSSR wenden sich wieder dem Westen zu, Titos Truppen befreien die anderen Balkanländer, in mehreren westlichen Ländern werden die Botschafter der Sowjetunion von sogenannten »Freiheitshelden« umgebracht, die Nationalchinesen übernehmen nach der Vergiftung Maos erneut ganz China, in Paris werden alle Kommunistenführer verhaftet, die Russen fangen wieder an zu 157
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beten, die Ostdeutschen bringen Ulbricht um und werfen seine Leiche in den Landwehrkanal, die Heimatvertriebenen kehren frohgestimmt in die verlorenen Ostgebiete zurück usw. Und so gibt es 50 Tage nach Stalins Tod keinen Ostblock, keinen Eisernen Vorhang, keinen Kommunismus mehr. Stattdessen herrscht auf Erden wieder jene Freiheit, die von der Kirche und vom Großkapital garantiert wird. Mit dem gleichen scharfen Geschütz fuhr der alte Gen-Ostland-Reiter Edwin Erich Dwinger in seiner romanhaft angelegten Utopie Es geschah im Jahre 1965 (1957) auf. Er schilderte, wie sich die alten Bolschewiki, die mit ihrer pergamentartigen Haut und ihren ausgebrannten Augen wie Mongolen aussehen, aus innerer Unsicherheit im Jahre 1965 gegen das Prinzip der »Koexistenz« entscheiden und die ganze Welt für den »Bolschewismus« gewinnen wollen.34 Aufgrund dieser Entscheidung lösen sie einen Atomkrieg aus, scheitern jedoch, da die amerikanische Technik der sowjetischen natürlich himmelhoch überlegen ist. Diesem Krieg fallen auf beiden Seiten über 100 Millionen Menschen zum Opfer. Und doch wird dieser Krieg als durchaus positiv hingestellt. Schließlich habe er drei entscheidende Resultate gezeitigt : die Sowjetunion sei vom Erdboden verschwunden, die ehemaligen »Satellitenvölker« hätten endlich die »ersehnte Freiheit« erhalten und Deutschland, dessen westlicher Teil sich in diesem Krieg selbstverständlich auf Seiten der Amerikaner engagiert, habe seinen vielen kriegerischen »Ruhmesblättern« ein »unvergänglich neues hinzugefügt«.35 Die »Ostzone« fällt daraufhin an das »Freie Deutschland« zurück, das sich allerdings mit den anderen westeuropäischen Ländern zu den »Vereinigten Staaten von Europa« zusammenschließt.36 Das Einzige, was nach diesem Krieg noch aussteht, ist ein atomarer Präventivkrieg gegen China, wie der amerikanische Stabschef am Schluss verkündet, um so die »militante kommunistische Weltanschauung« endlich mit Stumpf und Stiel auszurotten.37
VII Es wäre etwas billig, aufgrund solcher Romane schlichtweg zu erklären : Unter Hitler ritt man gen Osten und unter Adenauer setzte man schon 158
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wieder an, gen Ostland zu reiten. Es lässt sich zwar nicht leugnen, dass es in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik noch genug alte Völkische und unverbesserliche Nazis gab, die weiterhin solche Wünsche hegten. Doch die Mehrheit der Bevölkerung und auch die Mehrheit der Autoren wandte sich in diesem Zeitraum von der Propagierung militanter Kreuzzüge gegen die Sowjetunion allmählich ab. Ihnen ging es nicht mehr um die »Mission des Abendlandes«, so laut diese auch von offizieller oder offiziöser Seite verkündet wurde. Sie sahen in sich keine wiedererstandenen Kreuzritter oder Gen-Ostland-Reiter von anno dazumal mehr, sondern hatten von Kriegen, Heroismus, völkischer Gesinnung usw. erst einmal genug. Allerdings, und das ist das Bedauerliche, zogen sie daraus nicht die Konsequenz, in ihrem eigenen Staat sämtliche Vertreter des Nazismus, Militarismus und Großkapitalismus ein für alle Mal von der Führung auszuschließen, wie es das Potsdamer Abkommen von 1945 vorgesehen hatte. Und so mussten sie erleben, dass im Zuge des Kalten Kriegs auch jene Kreise wieder an Einfluss gewannen, die man noch wenige Jahre zuvor als die »Totengräber Deutschlands« angeprangert hatte. Mentalitätsgeschichtlich gesehen kann man daher – wegen der mangelnden Vergangenheitsbewältigung – im Hinblick auf den Kalten Krieg in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre zwischen mindestens vier ideologischen Gruppen unterscheiden : 1. einer kleinen, aber signifikanten Schicht völkischer, klerikaler und kapitalistischer Scharfmacher, die einen Großteil der öffentlichen Meinung beherrschte, 2. einer wesentlich umfangreicheren Gruppe, die wie die ehemaligen Vertreter der Inneren Emigration ins Unpolitische auswich, 3. all jenen, die aus Protest gegen die Remilitarisierung der BRD einer ablehnenden »Ohne mich«-Gesinnung huldigten, sowie 4. der überwältigenden Mehrheit jener Bundesbürger und -bürgerinnen, die sich im Laufe der fünfziger Jahre von dem Erhard’schen »Wirtschaftswunder« in den Bann schlagen ließen und über dem ökonomischen Aufstieg die politischen Implikationen einer solchen Politik übersahen oder bewusst verdrängten. Für die ideologische Stimmung dieser Jahre war sicher die letzte Gruppe, so »unpolitisch« sie sich auch fühlte, bei weitem die wichtigste. 159
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Ihre Aufstiegsgesinnung lief nämlich auf einen parvenühaften Egoismus hinaus, der sich in steigendem Maße als »liberalistisch« verstand und demzufolge alle Tendenzen ins Sozialbetonte von vornherein abblockte. Das Positive an einer derartigen Einstellung war, dass durch diesen Antitotalitarismus und Antikollektivismus ein möglicher Rückfall in einen offenen Nazifaschismus verhindert wurde. Allerdings sollte man auch das Negative dieser ideologischen Grundstimmung nicht übersehen. Schließlich wurde durch die antitotalitaristische Propagandawelle nicht nur die Gefahr eines Rückfalls ins Dritte Reich, sondern auch die Herausbildung eines stärkeren Gemeinsinns, das heißt eines Verantwortungsbewusstseins für die Gesamtgesellschaft verhindert. Vergessen wir also bei der Rückerinnerung an die sogenannten »antitotalitären« Romane der unmittelbaren Nachkriegszeit und der frühen fünfziger Jahren nicht, dass diese Romane gerade in der Bundesrepublik wegen ihrer prononcierten Ichbezogenheit zugleich antigesellschaftliche Romane waren. Eine Beschäftigung mit Werken dieser Art sollte daher – neben manchen antifaschistischen Tendenzen, die ihnen zugrunde liegen – nie die zutiefst reaktionären Voraussetzungen des weitverbreiteten Antitotalitarismus aus dem Auge verlieren, mochte dieser auch in noch so vielversprechende Freiheitsparolen eingekleidet sein. Schließlich ging es dabei auch um jene Fragen, welche die Kritiker einer spezifisch »bürgerlichen« Ichgesinnung immer wieder gestellt haben : Wer waren eigentlich jene vielbeschworenen Persönlichkeiten, die sich in einer derartigen Gesellschaftsform in aller Freiheit ausleben wollten ? Und wie erging es den anderen ? Waren diese nur dazu da, sich im Hinblick auf die Parole »Wir sind wieder wer !« an der Stärkung des »Industriestandorts Deutschland« zu beteiligen ?
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Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere. Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953) »Die ersten schriftstellerischen Versuche unserer Generation nach 1945 hat man als Trümmerliteratur bezeichnet, man hat sie damit abzutun versucht. Wir haben uns gegen diese Bezeichnung nicht gewehrt, weil sie zu Recht bestand : tatsächlich, die Menschen von denen wir schrieben, lebten in Trümmern, sie kamen aus dem Krieg, Männer und Frauen in gleichen Maße verletzt«. (Heinrich Böll, 1952)
I Da die frühe Bundesrepublik keine wirkungsmächtige Hauptstadt besaß, sondern sich Konrad Adenauer, ihr erster Bundeskanzler, für die ihm vertraute Kleinstadt Bonn als Regierungssitz entschieden hatte, blieben all jene geradezu übermächtigen Impulse, die in der Weimarer Republik sowohl auf politischem als auch auf literarischem Gebiet von Berlin ausgegangen waren, weitgehend aus. Wo bedeutendere Autoren in den fünfziger Jahren in der BRD auftraten, fühlten sie sich – ob nun Martin Walser in seinen Ehen in Philippsburg (1957) als Schwabe, Günter Grass in seiner Blechtrommel (1959) als aus Danzig vertriebener Westpreuße oder Heinrich Böll in seinen frühen Kurzgeschichten und seinem Roman Und sagte kein einziges Wort (1953) als kölnischer Rheinländer – zumeist als Vertreter ihrer jeweiligen regionalen Situation, aber nicht als Repräsentanten eines imaginär gewordenen deutschen Reichs. Nach der Vorherrschaft Berlins in den zwanziger Jahren und dem alle Grenzen nivellierenden Anspruch des Großdeutschen Reichs der Nazifaschisten beschränkten sie sich lieber auf 161
Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere
das ihnen Vertraute, Naheliegende, vom Dritten Reich Übriggebliebene, ohne damit irgendwelche nationalen oder gar nationalistischen Ansprüche zu verbinden. Schließlich war aus der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin inzwischen eine geteilte Stadt geworden, deren westlicher Teil zwar unter der Oberhoheit der BRD stand, aber im Zuge des Kalten Kriegs nur noch die Funktion eines Brückenkopfs, wenn nicht gar einer »Frontstadt« gegen den als bedrohlich empfundenen »Osten« hatte, statt weiterhin eine politisch oder kulturell bedeutsame Rolle zu spielen. Und mit dieser Beschränkung auf das Naheliegendste traten zu Anfang bei manchen dieser Autoren alle übergeordneten ideologischen Fragestellungen, vor allem, wie gesagt, solche nationaler Art, erst einmal in den Hintergrund. Was sie beschäftigte, waren eher die Existenznöte jener in den zerbombten Großstädten lebenden Nachkriegsdeutschen, die in Notunterkünften hausen mussten, sich zu kümmerlich bezahlten Anstellungen verdammt sahen, das heißt kaum noch das Erforderlichste für sich und ihre Familien aufbringen konnten, wofür die meisten dieser Menschen – ohne sich mit den Gräueltaten des Nazifaschismus auseinanderzusetzen – einfach den als »schicksalshaft« erlebten Zweiten Weltkrieg verantwortlich machten. Schließlich war es vielen von ihnen vor 1939 noch wesentlich besser ergangen. Damals hatten ihre Eltern noch gut verdient, noch wohlausgestattete Wohnungen besessen und deshalb relativ gut für ihre Familien sorgen können, während ihre Nachkommen jetzt fast nichts mehr besaßen und ihnen nicht nur ihre nähere Umgebung wie eine hoffnungslose Trümmerlandschaft, sondern auch ihr eigenes Innenleben als brüchig, zerstückelt, wenn nicht gar sinnlos erschien. Und zwar gilt das vor allem für einen Nachkriegsautor wie Heinrich Böll. Er, der nach einem Reichsarbeitsdienstjahr und einem Semester Germanistikstudium fünf Jahre lang Soldat gewesen war1 und froh sein musste, überhaupt mit dem Leben davongekommen zu sein, kam nach Kriegsende in seine von den westlichen Alliierten zum größten Teil zerstörte Heimatstadt Köln zurück, wo sich ihm als angehendem Schriftsteller erst einmal die dort von vielen Menschen kaum zu bewältigende Nachkriegsmisere 162
Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953)
Abb. 18 Heinrich Böll mit Ilse Aichinger und Günter Eich auf einer Tagung der »Gruppe 47« (1952)
als literarisches Stoffgebiet anbot, das er in seinen frühen Werken so »realistisch« wie nur möglich wiederzugeben versuchte. Demzufolge ist sein 1952 geschriebener Roman Und sagte kein einziges Wort keineswegs ein traditioneller Heimatroman, der in altbewährter Art ins »Anheimelnde« oder »Tümliche« ausweicht, sondern eine unerbittliche Chronik jener bedrückenden Nachkriegsmisere, die vor allem den kleinen Leuten, den sogenannten finanziell Minderbemittelten, ein Äußerstes an Durchhaltekraft wie überhaupt einen nur mühsam aufzubringenden Lebenswillen abverlangte. Und der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch bot Böll auch die Chance, sein Manuskript Anfang 1953 als Buch herauszubringen, das sich umgehend als ein durchschlagender Erfolg erwies und von fast allen bekannteren Literaturkritikern dieser Zeit, ob nun von Hans Georg Brenner, Klaus Harpprecht, Walter Jens, Karl Korn, Rudolf Krämer-Badoni, Hans Werner Richter, Friedrich Sieburg oder Roland H. Wiegenstein, als 163
Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere
einer der bedeutendsten Zeitromane der frühen Adenauer-Ära herausgestrichen wurde. Was manche der damaligen Kritiker an diesem Roman besonders lobten, war das »Undoktrinäre« seiner Erzählweise,2 das heißt seine strikt durchgeführte Gegenwartsnähe, die wesentlich überzeugender wirke, wie sie anerkennend schrieben, als irgendwelche Abschweifungen ins Theoretisierende oder gar Ideologische. Und damit meinten die Mitläufer des Dritten Reichs unter ihnen vor allem »unangebrachte« Rückbezüge auf die nazifaschistische Vergangenheit, mit der man sich bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit genügend auseinandergesetzt habe und welche man jetzt, da mit der Gründung der westdeutschen Bundesrepublik im Jahr 1949 ein neues Zeitalter angebrochen sei, nicht noch einmal kritisch zu durchleuchten brauche. Ob das auch Bölls bewusst angestrebte Absicht war, sei dahingestellt. Schließlich war er wesentlich jünger als die meisten dieser Kritiker, hatte das Dritte Reich fast nur als Kind bzw. Soldat erlebt und versuchte sich in der Nachkriegszeit erst einmal als Autor im Rahmen der von der frühen »Gruppe 47« propagierten »Trümmerliteratur« durchzusetzen.3 Im Gegensatz zu vielen Mitgliedern der älteren Generation ging es ihm bei der Niederschrift dieses Romans nicht in erster Linie um ein Abstandnehmen oder ein Verschweigen irgendwelcher ideologischen Verfehlungen in der Vergangenheit, sondern lediglich um eine möglichst wahrheitsgetreue Bestandsaufnahme der ihn und viele seiner Altersangehörigen bedrückenden Nachkriegszeit. Wie weit er sich dabei im Klaren war, durch diese Einstellung als Autor ebenfalls zu einer Nichtbewältigung der Nazivergangenheit beizutragen, lässt sich von heute aus kaum noch näher bestimmen. Vielleicht hilft zur Klärung dieser Frage eine etwas genauere Analyse seines Romans Und sagte kein einziges Wort, in dem sich – trotz der zeitlichen Nähe zur sogenannten Stunde null – keine einzige Anspielung auf die kurz zuvor zu Ende gegangene NS-Zeit findet. Geschah das bewusst oder unbewusst ? Das soll in den folgenden Abschnitten die zentrale Fragestellung sein.
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Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953)
II Der Handlungsablauf des Ganzen ist relativ einsträngig und lässt sich in wenigen Sätzen nacherzählen. In Zentrum stehen fast ausschließlich Fred und Käte Bogner, die seit 15 Jahren verheiratet sind und sich wegen der hoffnungslosen Miserabilität ihrer Lebensverhältnisse zeitweilig getrennt haben. Da er als Telefonist bei einer kirchlichen Behörde nur 320 Mark und 83 Pfennig im Monat verdient und mit Frau und drei Kindern in einem heruntergekommenen Zweizimmerquartier wohnen muss, hatte er aus Verzweiflung auf seine Kinder eingeschlagen, war dann voller Scham über seine Unmenschlichkeit einfach davongelaufen und des Nachts von Freunden oder Bekannten aufgenommen worden, während sie sich – verängstigt und doch resolut – weiterhin um die Kinder gekümmert hatte. Worum es im Folgenden geht, ist also einzig und allein die Frage, wie Fred und Käte wieder zueinanderfinden können. Da sich in der allgemeinen Nachkriegsmisere weder ihre finanziellen Voraussetzungen noch ihre Wohnverhältnisse verbessern, bleibt anfangs erst einmal alles in der Schwebe. Fred kriecht weiterhin bei Bekannten unter, gibt in seiner knapp bemessenen Freizeit unbedarften Schülern Nachhilfeunterricht, gönnt sich ab und zu eine billige Zigarette und ein Glas Bier, verköstigt sich mit dem, was eine anspruchslose Würstchenbude zu bieten hat, und starrt ansonsten ins Leere. Und auch Käte versucht lediglich, die Kinder mit dem Nötigsten zu versorgen, und versagt sich sonst alles, um mit dem Geld, das Fred monatlich bei ihr abliefert, über die Runden zu kommen. So weit, so trist. Um nicht völlig in den Abgründen der Sinnlosigkeit unterzugehen, treffen sich Fred und Käte manchmal, ja, verbringen von Zeit zu Zeit sogar eine Nacht in einer billigen Absteige miteinander, entschließen sich aber wegen der erbärmlichen Wohnverhältnisse nicht, wieder zusammenzuziehen, da Fred befürchtet, dort erneut in den alten Zustand der Gereiztheit zurückzufallen. Von einer möglichen Scheidung ist allerdings bei diesen Treffen nie die Rede. Als gute Katholiken, die sie zutiefst geblieben sind, halten sie weiterhin am Sakrament der Ehe fest, selbst wenn ihnen das aus materiellen Gründen noch so schwer fällt. Er gibt sich weder mit anderen Frauen 165
Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere
Abb. 19 Karl Hubbuch : Leute hinter Fenstern. Es gibt auch Menschen, an denen die Schrecken des Krieges spurlos vorübergingen (1946)
ab noch schaut sie sich nach einem finanziell bessergestellten Partner um, der ihr aus ihrer Notlage heraushelfen könnte. Was ihnen also bleibt, ist neben einer gewissen erotischen Anziehungskraft, wodurch Käte, da beide als römisch-katholische Christen auf irgendwelche Verhütungsmittel verzichten, erneut schwanger wird, letztlich nur das ihnen seit ihrer Kindheit antrainierte Gottvertrauen, wie es von den Vertretern der staatlich approbierten Kirche nach wie vor gepredigt wird. Und dieses Gottvertrauen erweist sich schließlich als das ideologische Zentralanliegen dieses Romans, ohne das die Aufhebung oder Lösung der in ihm beschriebenen Konflikte nicht zu verstehen ist. Allerdings verfährt Böll dabei keineswegs so blindlings oder zumindest einsträngig wie manche andere katholische Autoren dieser Jahre, in deren Romanen an einer derartigen Haltung keinerlei Zweifel vorgebracht werden, sondern gegen Schluss 166
Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953)
alles ohne die geringsten Vorbehalte im Schoß der allein selig machenden Kirche endet. Schließlich geht Bölls Perspektive, wie auch in allen seiner späteren Werke, nie von oben, sondern stets von unten, von der Sehweise der kleinen Leute aus, die nicht zu den offiziellen Repräsentanten, sondern zum althergebrachten Fußvolk gehören.4 Böll lässt sich daher in diesem Roman keine Gelegenheit entgehen, immer wieder – ob nun auf privater oder offizieller Ebene – auf diesen eklatanten Gegensatz hinzuweisen. Um mit einem Beispiel aus dem Bereich des Privaten zu beginnen : Obwohl die sich als tiefgläubig ausgebende Frau Franke, bei der die Bogners zur Untermiete wohnen, jeden Tag zur Kommunion geht und sich obendrein aktiv im katholischen Frauenbund betätigt, hat sie als wohlhabende Dame keinerlei Verständnis für die notleidende Käte und ihre drei Kinder und ist nur an der regelmäßigen Zahlung der jeweils fälligen Miete interessiert. Dass Christlichkeit auch Nächstenliebe bedeuten könnte, scheint ihr völlig fremd zu sein. Als ebenso veräußerlicht wird von Böll die Zurschaustellung christlicher Glaubensgewissheit bei jenen Prozessionen dargestellt, mit denen die Würdenträger der katholischen Kirche ihre Schäflein durch prunkvolle Aufmärsche zu beeindrucken suchen. Ja, manches wirkt hier geradezu blasphemisch. So heißt es anlässlich einer solchen Prozession einmal, bei welcher der amtierende Kölner Erzbischof, mit dem offenbar der Konrad Adenauer nahestehende Josef Frings gemeint ist, mit seinem »goldenen Kreuz« und mit dem »Rot der Märtyrer bekleidet« unter einem »barocken Baldachin« im »Stechschritt eines Offiziers« an der vor ihm niederknienden Menge vorbeistolziert, dass sich eine derartige Demonstration kirchlicher Macht sicher »gut als Titelblatt für eine religiöse Illustrierte« eignen würde. Und darauf wird mit der gleichen ins Ironische übergehenden Charakterisierung auf die »zwanzig Männer im Smoking«, die Mönche mit ihren »gelblichweißen Habits«, die »zum Teil intelligent aussehenden Akademiker« sowie die »lächerlich« wirkenden »farbentragenden Studenten« hingewiesen, die hinter der vom kirchlichen Oberhaupt angeführten Sakramentsgruppe hertrotten.5
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Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere
Abb. 20 Josef Kardinal Frings beim Eucharistischen Weltkongress in München (1960) 168
Heinrich Bölls Roman Und sagte kein einziges Wort (1953)
Angesichts dieser Prunkentfaltung fühlt sich Fred, obwohl auch er wie alle anderen niederkniet, zwangsläufig »arm« und kaum dazugehörig (72). Das gleiche Gefühl überkommt ihn, als er jenen aus einem Kino kommenden jungen Oberklassenintellektuellen begegnet, die mit akademischem Hochmut im Hinblick auf den eben gesehenen Film von einer sie an Franz Kafkas Erzählungen erinnernden »großartigen Banalität« daherschwafeln (74), ohne sich bei solchen Äußerungen ihrer eigenen gesellschaftlichen Privilegiertheit bewusst zu sein. All das erscheint ihm ebenso zeitenthoben und damit sinnlos wie die ständig wiederholten Phrasen des Kölner Erzbischofs und der ihm unterstellten Priester, dass man »den Herrgott in unseren Alltag nehmen«, ja, ihm »einen Turm in unserem Herzen bauen« solle (86). Und auch Käte, obwohl sie wesentlich gläubiger ist als Fred, sieht ein, dass all jene Millionen finanziell Minderbemittelter wie sie, die in Armut und Schmutz leben müssen, einfach »keinen Raum« hätten, ein wahrhaft christliches Leben der »Liebe« zu führen (88). Ja, sie kommt sogar zu der Erkenntnis, dass Fred seine Kinder nur deswegen geschlagen habe, »weil wir so arm sind« (140). Sie geht daher zur Beichte stets zu jenem Armenprediger mit dem Bauerngesicht in der Kirche zu den Sieben Schmerzen der Maria, der all jene unter seinen Oberen hasst, die den Geruch »exquisiter Hotelbadezimmer in seiner zerfallenen Sakristei hinterlassen« (108), und der demzufolge von dieser Schicht als ein »Dreiminuspriester« eingestuft wird (44). Er ist deshalb der Einzige, der Verständnis für ihr Schicksal hat und sich teilnahmsvoll ihre Beichte anhört. So wie Jesus in seinem Schmerz am Kreuz zu Anfang kein einziges Wort herausgebracht habe, nimmt darum auch Käte ihre Notsituation, das heißt weiterhin in Armut, Schmutz und räumlicher Beengtheit leben zu müssen, einfach schweigend hin.6
III Doch je weiter man liest, desto öfter fragt man sich, ob es Böll bei diesem Schwebezustand, wie er sich in der Nachkriegszeit ergeben hat und aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint, am Schluss des Romans belässt. 169
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Wird denn nirgends die Frage gestellt, wundert man sich, wer Schuld an all diesen niederdrückenden Verhältnissen hat, die große Teile der ärmeren Schichten der Kölner Bevölkerung in einen Zustand versetzt haben, in dem sie aufgrund der sie mutlos machenden sozioökonomischen Misere darauf verzichten, sich zu einem neuen Lebenswillen aufzuraffen, und nur noch auf einen religiösen Trost vertrauen ? Wenn in diesem Zusammenhang überhaupt die Frage nach der Schuld an dieser Misere auftaucht, was selten genug geschieht, ist es lediglich der Krieg, der dafür verantwortlich gemacht wird. »Bis der Krieg kam«, heißt es einmal, »hatten wir eine Wohnung, ein Bad sogar, und Geld, alles zu bezahlen« (143). Damals ging es uns also noch relativ gut, hören wir weiter, damals war alles offenbar noch in bester Ordnung, wie man daraus folgern muss. Doch »dann kam der Krieg«, wird immer wieder beteuert, als ob es sich dabei um ein von der unerbittlichen Nemesis diktiertes Schicksal gehandelt habe, über dessen Ursachen an keiner Stelle dieses Romans reflektiert oder räsoniert wird. Selbst für alle persönlichen Verhaltensweisen scheint einzig und allein der Krieg verantwortlich zu sein. »Früher warst du anders«, sagt Käte dementsprechend einmal zu Fred, »aber der Krieg hat dir einen Knacks gegeben« (176). Und auch er beteuert, dass ihn vor allem die durch den Krieg verursachte Armut »krank gemacht« habe (140). Vom Nazifaschismus, von Adolf Hitler und seinen Gefolgsleuten, ja, von der breiten Masse der deutschen Bevölkerung, die diesem Regime bis zum Mai 1945 bewusst oder blindlings vertraut hatte, ist dagegen an keiner Stelle dieses Romans die Rede. Und so bekommt man als Leser oder Leserin zwangsläufig den Eindruck, als hätte es das Dritte Reich gar nicht gegeben. Nicht einmal die verheerenden Auswirkungen des von den Nazifaschisten herbeigeführten Kriegs, ob nun die 26 Millionen getöteten Sowjetbürger, die Unterdrückung der deutschen Widerständler, die Konzentrationslager, die Ermordung der Juden oder die Zerstörung Kölns durch die alliierten Bomber werden erwähnt. Immer wieder sind es nur die finanziellen und seelischen Nöte der kleinen Leute in der Nachkriegszeit, die im Mittelpunkt stehen, welche sich aufgrund ihrer finanziellen Notlage nicht zu einer 170
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gesellschaftlichen Neuordnung aufraffen können, sondern ihr Heil allein in einem sie tröstenden Gottvertrauen suchen. Käte sagt daher in ihren düstersten Momenten : »Gott scheint der einzige zu sein, der bei mir blieb« (156). Sie beschwört demzufolge auch Fred, »daß Beten das einzige ist, was helfen könnte« (175). Und auch er, der eher Zweifelnde, findet von Anfang an, wenn er einmal eine Kirche aufsucht, dort jenen »unendlichen Frieden, der von der Gegenwart Gottes ausströmt« (29). Fred ist deshalb am Schluss tief berührt, als er von Ferne sieht, wie Käte demutsgebeugt in eine Klosterkirche geht. Daher schließt das Ganze, wie es nach dem Vorangegangenen nicht anders kommen konnte. Als ihm ein wohlwollender Priester empfiehlt : »Sie müssen nach Hause gehen«, sagt er einfach : »Ja, nach Hause« (215).7 Nichts gegen das urchristliche Verantwortungsgefühl, das Böll für das Schicksal der sogenannten kleinen Leute aufbringt. All das ist zutiefst mitfühlend und nobel gemeint und unterscheidet sich auf eine anerkennenswerte Weise von all jenen Ausflüchten ins Metaphysische, mit denen sich einige Vertreter der älteren Generation in diesen Jahren von ihrer nazifaschistischen Vergangenheit reinzuwaschen versuchten, oder von jenen christlichen Argumenten, mit denen sie sich zum Kalten Krieg gegen den »heidnischen Osten« und zu der von der CDU/CSU-Koalition befürworteten »Politik der Stärke« bekannten. Aber reichte – im Gegensatz dazu – jenes von allen ideologischen Implikationen gereinigte Gottvertrauen, wie es Böll in diesem Roman vertrat, letztlich aus, um eine grundsätzliche Bewältigung der nazifaschistischen Vergangenheit in die Wege zu leiten ? Oder blieb eine solche Haltung nicht selbst Teil jener weitgehend postfaschistisch eingestellten frühen Adenauer-Zeit, die sich in ihren Verschweigungstaktiken dem NS-Regime gegenüber ihrer politischen Verantwortlichkeit entzog ? Ihren Hauptvertretern, ob nun vielen der führenden Politiker oder kirchlichen Würdenträgern, ging es bekanntermaßen nur noch um den Antikommunismus, aber nicht mehr um den Antifaschismus. Damit verglichen gehörte Böll zu diesem Zeitpunkt zwar zu den wohlwollenden »weißen Lämmern«, der jedoch letztlich, wenn auch nicht mit antikommunistischer, sondern 171
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mit christlich-katholischer Tendenz, durch seinen Roman Und sagte kein einziges Wort ebenfalls sein Scherflein zu einer Nichtbewältigung der nazifaschistischen Vergangenheit beigetragen hat.
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An der Ostfront der »Freien Welt«. Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre »Diese lächerlichen 100 Millionen Slawen werden wir wie die amerikanischen Indianer behandeln, das heißt entweder umbringen oder in unwirtliche Gebiete abschieben.« (Adolf Hitler : Monologe im Führerhauptquartier, 1942)
I Der Vater der Bundesrepublik, ohne den sie wohl kaum entstanden wäre, war bekanntermaßen der Kalte Krieg. Und so war auch ihre offizielle bis offiziöse Ideologie, vor allem in den ersten Jahren ihres Bestehens, die des Kalten Kriegs.1 Um sich gegenüber der kurz nach ihr gegründeten Deutschen Demokratischen Republik als der einzig gerechtfertigte Staat auf deutschem Boden zu legitimieren, bot dementsprechend die Führungsspitze dieser Republik – mit Unterstützung ihrer westlichen Alliierten – besonders in den Jahren zwischen 1949 und 1955, also bis zum Abschluss der Pariser Verträge, dem Gesetz über die Wiederbewaffnung und dem Eintritt in die NATO, geradezu alles auf, mit dem sie die politische, ökonomische, moralische und religiöse Überlegenheit ihres Landes über jenen Staat herausstreichen konnte, den Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der BRD, selten anders als die »Ost-« oder »Soffjetzone« bezeichnete. Eine der wirksamsten Legitimationsstrategien war hierbei, wie bereits ausgeführt, die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Totalitarismustheorie, welche anfangs auf der Formel »Braun gleich Rot« beruhte, sich jedoch im Zuge der psychologischen Kriegsführung gegen den Osten schnell in die Formel »Rot ist schlimmer als Braun« und schließlich in die Formel »Rot ist unser einziger Gegner« verwandelte. Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit – im 173
An der Ostfront der »Freien Welt«
Gefolge der Ausführungsbestimmungen des Potsdamer Abkommens – auch im Westen erst einmal der Antifaschismus im Vordergrund gestanden hatte, verbreitete sich nach der Verkündung der Truman-Doktrin im Jahr 1947, der von den Westmächten im Sommer 1948 in ihren Besatzungszonen einseitig durchgeführten Währungsreform, der Blockade Westberlins, den Auswirkun gen des Marshall-Plans und schließlich der im Spätherbst 1949 durchgeführten Teilung Deutschlands in der frühen Bundesrepublik ein von allen Seiten geförderter Antikommunismus, der eine rapide Zurücknahme der im Potsdamer Abkommen vorgesehenen Dekartellisierung, Demilitarisierung und Bodenreform bewirkte und eine Neuverflechtung der großen Konzerne sowie eine effektive Wiederbewaffnung ermöglichte. Im Gefolge dieser Entwicklung schloss sich die Bundesrepublik, in der noch im Sommer 1950 auf militaristische und revanchistische Propaganda die Gefängnisstrafe gestanden hatte, schon im Herbst des gleichen Jahres der von den Vereinigten Staaten befürworteten »Politik der Stärke« an, die sich schnell aus einer Strategie der »Eindämmung des Kommunismus« (containment) auf dem Weg von Harry S. Truman zu Dwight Eisenhower und John Foster Dulles zu einer Strategie des »Rückschlags« (rollback) und dann der »Befreiung der versklavten Völker jenseits des Eisernen Vorhangs« (liberation) verschärfte. In der US-Massenpresse entsprachen dem Kreuzzugsaufrufe wie »If we are serious about protecting Western Europe from Soviet domination, we must take the risk of war«, wie Reinhold Niebuhr in Blättern der Luce-Presse wie Time und Life immer wieder schrieb,2 oder ähnlich gesinnte Ku-Klux-Klan-Parolen wie »Kill a Kommie for Krist«. Diese Kreise traten dem atheistischen, wenn nicht satanischen Kommunismus des Ostens ständig mit dem Konzept der unantastbaren Würde des Einzelmenschen vor Gott entgegen, die sich nur durch eine immer engere Allianz der USA mit dem »freien Europa« erhalten lasse, und beschworen schließlich im Gefolge solcher »Befreiungs«-Kampagnen die Idee einer »Pax Americana«, um so die politischen Wertvorstellungen des christlich-atlantischen Abendlands im Rahmen eines weitgespannten »missionarischen« Wirkens der gesamten Welt zugutekommen zu lassen.3 174
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Abb. 21 Reklame des »Stoßtrupps gegen bolschewistische Zersetzung« (um 1952)
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An der Ostfront der »Freien Welt«
Im Zuge dieser psychologischen Kriegsführung verbreitete sich auch in der frühen Bundesrepublik, und zwar auf vielen ideologischen Ebenen, ein geradezu manichäisches Weltbild, das anfangs hauptsächlich von amerikanischen Organisationen wie »Radio Free Europe«, »Radio Liberty«, der CIA, der Zeitschrift Der Monat sowie dem »Kongress für die Freiheit der Kultur« befördert wurde, dann aber auch von vielen Westdeutschen nur allzu schnell und willig aufgegriffen wurde. Die Sowjetunion, also der gleiche Staat, in dem die Nazi-Armeen noch kurz zuvor so grausam gewütet hatten, dass dort 26 Millionen Menschen ums Leben gekommen waren, erschien somit nach 1950 – ohne die geringsten Schuldgefühle – in vielen bundesrepublikanischen Publikationen zusehends als jener Staat, der aufgrund seiner atheistisch-satanischen Ideologie zutiefst »ungöttlich« sei und nur darauf warte, einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen, um nicht nur seinen eigenen Herrschaftsbereich, sondern ganz Europa, ja, die ganze Welt in ein jede westliche »Freiheit« missachtendes Sklaven- und Arbeitslager zu verwandeln. Besonders die Konservativen und Rechtsliberalen unter den Westdeutschen forcierten diese ideologische Auseinandersetzung auf allen Ebenen. Im Bereich des Philosophischen war es unter anderem ein Buch wie Freiheit und Wiedervereinigung. Über Aufgaben deutscher Politik (1960) von Karl Jaspers, in dem er seine Landsleute aufforderte, sich der Verpflichtung ihrer »tausendjährigen Geschichte« bewusst zu werden, nämlich den drohenden »Verknechtungs«-Absichten des Ostens mit dem Stolz auf die religiöse Würde des »Einzelnen« entgegenzutreten.4 Manche christlichen Autoren, wie etwa die Beiträger der Zeitschrift Neues Abendland, ergriffen dagegen im Hinblick auf den Osten einfach die »Partei Gottes« gegen die »Partei Satans«. So ereiferte sich Bernhard Martell in seinem Buch Aufstand des Abendlandes. Eine politische Provokation (1961) nachdrücklich gegen die im Wohlstand erschlafften Bundesbürger und rief alle wahren Christen zu einem aktiven »Kampf gegen den Kommunismus« auf, den er als die »europäische Revolution der Zukunft« bezeichnete.5 Auch der Historiker Alexander Rüstow steuerte in seinem dreibändigen Werk Ortsbestimmung der Gegenwart (1950–1957) unter der Parole »Die Freie Welt ist heute, was 176
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
einst Europa war« sein ideologisches Scherflein zu dieser Kreuzzugsidee bei und wies darauf hin, dass Deutschland schon immer der »Vorposten des Abendlandes« gegen den »barbarischen Osten« gewesen sei, indem es in heldenhaftem Einsatz all seiner Kräfte die Einfälle der heidnischen Hunnen, Awaren, Mongolen, Ungarn und Türken abgewehrt habe, und trug damit zu einer merklichen Aufwertung historischer Gestalten wie Karls des Großen, Ottos I. und Prinz Eugens bei. »Wie damals«, schrieb er, stehen wir auch heute wieder mitten in dem großen Entscheidungskampf zwischen der freien und der totalitären Hälfte der Welt. Daß der Bolschewismus, diese Spottgeburt aus Dreck und Feuer, unsrer Freiheit nach dem Leben trachtet und sich zur Weltherrschaft berechtigt, verpflichtet und berufen glaubt, steht außer Zweifel. Deshalb ist es ein Kampf auf Leben und Tod, in dem es auf die Dauer keine Koexistenz geben kann.6
»Die Bundesrepublik«, hieß es bei ihm weiterhin, mit der gleichen Akzentsetzung, mit der Grenze zu ihrer abgespaltenen Zone und mit dem Sappenkopf West-Berlin, liegt an der allervordersten Ostfront der Freien Welt. Jeder von uns steht, ob er es weiß oder nicht, täglich und stündlich an der Front des Kalten Kriegs. Jeder Fußbreit Geländegewinn jedes Einzelnen in diesem Ringen nähert uns dem Sieg im Kalten Krieg.7
Ebenso massiv äußerten sich in diesem Zeitraum so unterschiedliche, aber in ihrem Antikommunismus völlig übereinstimmende Publizisten wie Winfried Martini, Hans Grimm und William S. Schlamm.8 Auch sie setzten sich für die »Befreiung aller Geknechteten hinter dem Eisernen Vorhang« ein und schlossen dabei selbst den Einsatz »modernster« Waffen nicht aus. Die gleiche Ideologie findet sich bei eindeutig postfaschistisch-revanchistischen Organisationen wie der »Aktion Freiheit«, dem »Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür« oder dem »Stoßtrupp gegen bolschewistische 177
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Zersetzung«, die unter Verwendung ältester Klischees, wie der »gelben Gefahr«, für eine verstärkte moralische, religiöse und militärische Aufrüstung gegen den gefährlich dräuenden Osten eintraten. Nicht minder antisowjetisch war die Überfülle jener »weißen« Broschürenliteratur eingestellt, deren Werke meist Titel wie Die neue Sklaverei, Die rote Springflut, Wird Asien rot ?, Der rote Teppich, Totalitäre Diktatur, Passion Europa, Völker in Hypnose, Die letzte Schlacht, Die Entscheidung drängt, Die trojanische Herde, Der satanische Plan usw. usw. aufwiesen. Selbst die höchsten Würdenträger des westdeutschen Regimes verschmähten es damals keineswegs, solche Parolen zu verbreiten. So pries etwa der bundesrepublikanische Außenminister Heinrich von Brentano 1955 bei der Tausendjahrfeier der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg in einer seiner »Hunnenreden« jenen Otto I., der an dieser Stelle die »heidnischen Scharen« aus dem Osten zurückgeschlagen und damit das Abendland vor einem Rückfall in die Barbarei bewahrt habe. Und er ließ dabei seine Hörer nicht im Unklaren, dass die Gefahr einer solchen Bedrohung heute eher größer als kleiner geworden sei. Auch Konrad Adenauer, der sich 1958 am Grabe von Albertus Magnus zum Ritter des »Deutschen Ordens« schlagen ließ, erklärte schon am 11. Februar 1952 in einem Interview mit dem Manchester Guardian, dass man die Russen nur durch eine »Politik der Stärke« zur Abtretung der »Ostzone« bewegen könne. Ja, Walter Hallstein, einer seiner Staatssekretäre, sagte im März des gleichen Jahres, dass das außenpolitische Ziel des Westens der »Zusammenschluß des freien westlichen mit dem vom Bolschewismus befreiten östlichen Europa bis zum Ural« sein müsse.9 Noch massiver äußerte sich 1956 Adenauers Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in dieser Hinsicht, der behauptete, dass die »vereinigte Stärke unserer Bundesgenossen ausreiche, um das Reich der Sowjetunion von der Landkarte streichen zu können«.10 Was noch beschämender ist : Nicht nur die Politiker und ihre publizistischen Handlanger, selbst hohe Würdenträger der westdeutschen Kirchen ließen sich im Zuge dieser »Mission der Freien Welt« in den fünfziger Jahren wiederholt zu ähnlichen Statements hinreißen. So griff etwa Josef Kardinal 178
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Frings, ein enger Vertrauter Adenauers, 1955 in seiner Silvesterpredigt im Kölner Dom höchst entschieden jene »blutgierigen Feinde« im Osten an, gegen die man nicht »untätig« sein dürfe. Ja, einige protestantische Pfarrer in der DDR erklärten damals sogar, wie aus der Broschüre Militärkirche oder kirchlicher Friedensdienst ? (1957) von Gerhard Kehnscherper hervorgeht, dass im Westen einflussreiche Bischöfe behauptet hätten, dass die »Anwendung einer Wasserstoffbombe« keine so schreckliche Sache sei, da die hierdurch »Betroffenen« trotz alledem »das ewige Leben« erreichen würden.11 Und zwar stützten sich manche Vertreter derartiger Ideologien hierbei neben der abendländischen Gesinnung des institutionalisierten Christentums zugleich auf die »Freie Welt«-Ideologie der akzelerierenden Marktwirtschaft, die im Verlauf der fünfziger Jahre – im Zuge der technologischen Modernisierungsschübe – gerade in Westdeutschland eine untrennbare Synthese eingehen sollten. Als die entscheidende Gegenkraft zur atheistischen Bedrohung aus dem Osten, wie es in diesem Zeitraum immer wieder hieß, trat deshalb bei vielen führenden Vertretern der CDU/CSU neben die christliche Glaubensgewissheit zugleich die Propaganda für ein als demokratisch ausgegebenes Free Enterprise System, da nur eine solche Wirtschaftsordnung, wie es hieß, dem »Menschen« seine einzelpersönliche Würde garantiere und ihn somit vor allen kollektivistischen Sklavenketten bewahre. Im Zuge dieser Entwicklung schwächte jedoch die anfänglich massiv verkündete Ideologie der »Mission des Abendlandes« mit den Jahren allmählich ab. Ja, als sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre das sogenannte »Wirtschaftswunder« immer stärker auf die Mentalität vieler Westdeutscher auszuwirken begann und dadurch das steigende Konsumbedürfnis das Interesse an außenpolitische Fragen zusehends in den Hintergrund drängte, wurden derartige missionarische Ambitionen von weiten Teilen der Bevölkerung zusehends als ebenso anachronistisch empfunden wie die inzwischen klapprig gewordenen Maschinen aus der ersten Nachkriegszeit. Daher schob sich in diesen Jahren in den Reihen der CDU/CSU immer stärker jener Ludwig Erhard in den Vordergrund, der als Wirtschaftsminister – im Gegensatz zu Adenauer – schon in der frühen Bundesrepublik 179
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nicht nur in erster Linie ein waffenstarkes »Bollwerk gegen den Kommunismus«, sondern eher ein ökonomisch prosperierendes Gebilde gesehen hatte, in welchem – unter der ideologisch anheizenden Parole »Wohlstand für alle« – dem persönlichen Bereicherungsdrang des Einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegengesetzt werden sollten. Obwohl sich Adenauer diesem Trend zeitweilig zu widersetzten versuchte und weiterhin vornehmlich den Gedanken der christlichen »Mission des Abendlandes« auf seine Fahnen schrieb, blieb er letztlich der Verlierer. In der innerparteilichen Auseinandersetzung siegte schließlich Erhard, und zwar erst ideologisch und dann sogar machtpolitisch, indem ihn seine Partei 1963 zum Nachfolger Adenauers ernannte. Selbstverständlich war auch die ideologische Grundtendenz der Neobis Rechtsliberalen um Erhard eine zutiefst antikommunistische. Aber sie versuchten, den Sozialismus nicht mehr mit Ideen und Gegenkonzepten, sondern einfach mit »vollen Schaufenstern« zu schlagen. Anstatt sich also mit dem Osten in eine ideologische Fehde einzulassen und sich als Vertreter einer besseren, von Gott gerechtfertigten Weltanschauung hinzustellen, schoben die an Erhard orientierten Rechtsliberalen den »Ideologienkram« zusehends aufs Abstellgleis. Die meisten unter ihnen empfanden alle religiös überspannten Bemühungen von vornherein als obsolet, als altmodisch, als »19. Jahrhundert«, und zwar mit dem sicheren Instinkt, dass in einem auf modischen Konsumwellen beruhenden Free Enterprise System nichts profithemmender als das Verdikt des Vorgestrigen ist. Auf diese Weise landeten die Erhardianer schließlich bei einer »amerikanisierten« Ideologie der ökonomischen Progressivität, die ihre Überlegenheit über den Kommunismus nicht vornehmlich militärisch, sondern eher durch die Überzeugungskraft ihrer Warenproduktion zu beweisen versuchte.
II Wie zu erwarten machte sich diese Entwicklung auch bei jenen westdeutschen Schriftstellern bemerkbar, die in den fünfziger Jahren bei ihren antisowjetischen Darstellungen des Zweiten Weltkriegs sowohl ideologisch als 180
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
auch marktwirtschaftlich durchaus »zeitgemäß« sein wollten.12 In ihren Werken herrschten zwar zum Teil manche der älteren religiös-missionarischen Vorstellungen weiter, wurden jedoch zusehends von einer Fülle andersartiger, eher erlebnisorientierter, handlungsbetonter, spannungsreicher Erzählweisen abgelöst, die sich in ihrer »Publikumsbezogenheit« den Gesetzen der profitorientierten neu aufblühenden Marktwirtschaft anzupassen versuchten. Wenn auch die antikommunistische Tendenz dieser Werke meist die gleiche blieb, ergab sich daraus eine Fülle neuer Romantypen, die auf Anhieb kaum zu übersehen ist.13 Neben den bisherigen christlich-missionarischen Bestrebungen finden sich in dieser Literatur plötzlich auch Tendenzen ins Erinnerungsgestimmte, Aktionsbetonte, forciert Spannende, Heroisierende, Revanchistische, sich an jugendliche Leser Wendende, das »Deutsche Leid im Osten« Beschwörende, ja, selbstbewusst Bestsellerhafte – aber nach wie vor nichts, was auf ein Schuldgefühl gegenüber dem mörderischen Vorgehen der deutschen Truppen in der Sowjetunion hingewiesen hätte. Und so blieb der Nazifaschismus selbst in diesen Werken weiterhin ein Teil jener »unbewältigten Vergangenheit«, auf die in diesem Zeitraum auch auf anderen Gebieten der Öffentlichkeit nie oder höchst selten eingegangen wurde. Wenn man daher diese Romane, wie auch die gleichzeitig erscheinenden Utopien oder politischen Manifeste, liest, hat man stets das Gefühl, dass nicht die Russen, Polen oder Juden, sondern die Deutschen die Hauptleidtragenden des Zweiten Weltkriegs waren. Besonders beliebt war es daher, um mit einem dieser Romantypen zu beginnen, auf die gegen Kriegsende mit vielen Gräueltaten verbundene Vertreibung der Deutschen aus den osteuropäischen Gebieten hinzuweisen. So handelt etwa Edwin Erich Dwingers Buch Wenn die Dämme brechen … (1950) vornehmlich vom »tragischen Untergang« Ostpreußens. Kurt Ziesel beschrieb in Und was bleibt, ist der Mensch (1951) ebenfalls die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten. Mit der gleichen Schärfe griff Clemens Laar, der Autor von … reitet für Deutschland (1936), in seinem Roman Der fünfte Reiter (1952) die unmenschlichen Grausamkeiten der nach Pommern und Brandenburg 181
An der Ostfront der »Freien Welt«
eindringenden Sowjets an. Werner Klose schilderte in Jenseits der Schleuse (1953) ein Schloss an der Neiße, dessen Bewohner sich gerade noch in letzter Minute nach Westen absetzen können. Ruth Storm gab in ihrem Roman Das vorletzte Gericht (1953) ein grimmiges Bild vom Einmarsch der Roten Armee in Schlesien. Theodor Plievier schilderte in Berlin (1954) das Eindringen der Sowjets in die ehemalige deutsche Hauptstadt, wobei dem Leser keine Form der Habsucht, Grausamkeit, Vergewaltigung usw. erspart bleibt. Friedrich Griese stellte in Der Wind weht nicht, wohin er will (1960) die Leiden eines ostdeutschen Schriftstellers dar, der von den Sowjets ohne Grund verhaftet und gefoltert wird, bis man ihn schließlich als Halbtoten aus Mangel an Beweisen freisprechen muss, worauf er in den Westen flieht. Wohl der effektvollste Bestseller dieser Gruppe war der Roman Jedem das Seine (1961) von Stefan Olivier, in dem es um einen jungen, draufgängerischen Leutnant geht, der sich im Krieg einiges herausnimmt und dafür in Buchenwald landet. Anschließend wird er zur Bewährung an die Ostfront abgeschoben, gerät in sowjetische Kriegsgefangenschaft und kehrt mit der Gesinnung heim : »Rot ist nicht gleich Braun, Rot ist schlimmer als Braun.« Ein solcher Mann steigt mit dem nötigen Anfangskapital und der erforderlichen Free-Enterprise-Gesinnung selbstverständlich in der Bundesrepublik schnell zum Multimillionär auf, der die Zeit der »Golden Fifties« in vollen Zügen genießt und von seinen Mitmenschen als Kommunistenfresser und tadelfreier Geschäftsmann geachtet wird. Während die Sowjets und die DDR-Bewohner in diesem Roman unter rein negativer Perspektive erscheinen, werden die Nordamerikaner dagegen stets positiv dargestellt, und zwar schon darum, weil »ein Drittel der amerikanischen Nation deutschstämmig« sei, wie Oliviers Held mit maßlos angeschwollenem Nationalbewusstsein behauptet. Neben diesem Romantyp wirkte, wie zu erwarten, im gleichen Zeitraum in der westdeutschen Kriegsdarstellung selbstverständlich auch jener religiöse Konservativismus weiter, der sich nicht nur in den Dienst antisowjetischer Tendenzen stellte, sondern zugleich Einkehr und Besinnung predigte. Man denke an den katholischen Ostfrontroman Dreimal Orel (1952) von 182
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Josef Michels oder den protestantischen Lagerroman In einer Stunde wie dieser (1953) von Jürgen Rausch, wo man die Sinndeutung des Kriegsgeschehens einfach Gott anheimstellt – und weiter für Hitler kämpft oder auf Befreiung aus sowjetischer Knechtschaft hofft. Wohl das anspruchsvollste Werk dieser Gruppe war der Roman Woina, Woina (1951) von Curt Hohoff, in dem die Sowjets durchgehend als Satansanhänger angeprangert werden, während die gottesfürchtigen Deutschen und Ukrainer fast wie Engel wirken. Als daher die Hohoff-Deutschen in die Sowjetunion einmarschieren, rufen alle Ukrainer sofort : »Kolchos kaputt ! Stalin kaputt !« und winken ihnen mit Blumensträußen zu. Hohoffs Held liest deshalb in der Sowjetunion voller Ergriffenheit die Confessiones des heiligen Augustinus – aber er liest auch Carl von Clausewitz und Ernst Jünger. Und das sollte man nicht übersehen. Denn trotz aller religiösen Verinnerlichung wird hier zugleich der militärische »Drill«, die soldatische »Ehre« sowie jener »tausendjährige Drang nach Osten« verteidigt, der den Deutschen nun einmal »im Blute liege«, wie es fatalerweise heißt. Dass Deutschland diesen Krieg verloren habe, dafür wird in diesem Roman allein Hitler verantwortlich gemacht. Mit Clausewitz an der Spitze der deutschen Truppen, wie Hohoff schrieb, wäre ein solches Debakel sicher nicht passiert. Nicht minder frömmelnd wirkt der Roman Nikolskoje (1953) von Otto Heinrich Kühner, in dem Russland ebenfalls mit den Augen Ernst Barlachs und Rainer Maria Rilkes betrachtet wird, das heißt als Land der Ikonen, der Gottesnähe und der hingebend liebenden Frauen. Wer hier mit deutschen Soldaten schläft, ist gottesfürchtig. Wer sich dagegen mit russischen Männern rumtreibt, ist fast immer eine böse, atheistische Partisanin. Neben dieser religiösen Rechtfertigung des Kriegs gegen den satanischen Widergeist des Kommunismus neigten andere Autoren in den gleichen Jahren eher zu jener Heroisierung des Kriegs, die weitgehend vom Leitbild des Offiziersmäßigen, der geistigen Überlegenheit sowie des junkerhaften Edel- und Hochmuts ausging. Den Auftakt dazu bildete der Band Strahlungen (1949), der die Kriegstagebücher Ernst Jüngers enthält, in denen der Krieg vor allem als inneres Erlebnis, als Schärfung des Geistes und der 183
An der Ostfront der »Freien Welt«
Sinne hingestellt wird, bei dem nicht das Siegen, sondern das männliche Durchhalten den entscheidenden Ausschlag gibt. Zu den Anhängern dieser Gesinnung gehörte unter anderem ein Autor wie Gerd Gaiser, der in seinem Roman Die sterbende Jagd (1953) eine Jagdstaffel schilderte, die in ritterlicher Tradition stumm und heldenhaft untergeht. Und zwar wird das realistisch und zugleich höchst metaphorisch dargestellt : in vornehmer Distanziertheit, gestochener Klarheit und doch seltsamer Inhaltslosigkeit. Statt auch auf die letztlich unumgängliche Schuldfrage einzugehen, bietet sich das Ganze einfach als heroisches Beschreibungsobjekt dar, halb an Friedrich Hölderlin, halb an Walter Flex gemahnend. Hier erfüllt jeder einfach seine Pflicht, steht seinen Mann und geht – ohne mit der Wimper zu zucken – in den sicheren Tod. Doch auf dieser »Höhe« bewegten sich damals nur wenige Autoren. Die meisten, die den Zweiten Weltkrieg aus reaktionärer Sicht darstellten, stützten sich zu ihrer ideologischen Rechtfertigung einfach auf die weitverbreitete antibolschewistische Tendenz. Und so kam es in den fünfziger Jahren immer wieder zu einer neofaschistischen Apologetik des Kriegerischen, die etwas höchst Fatales hat. Autoren, die bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren ins völkische Kriegshorn gestoßen hatten, ob nun Werner Beumelburg oder Edwin Erich Dwinger, NS -Schriftsteller wie Walter Bauer, Heinrich Eisen und Erich Kern oder auch Vertreter der jüngeren Generation, ließen plötzlich alle Masken fallen und schrieben Romane über den Zweiten Weltkrieg, in denen eindeutig das Soldatische, Heldische, Chauvinistische dominiert. Im Zuge dieser Entwicklung wurde bereits 1951 der »Verband deutscher Soldaten« gegründet. Im gleichen Jahr erschien das erste Blatt der Deutschen Soldaten-Zeitung, der sich bald ähnliche Organe wie die National-Zeitung, der Reichsruf und Nation Europa anschlossen. In ihnen, wie in vielen anderen rechtsgerichteten Büchern, Broschüren und Pamphleten, wurden damals die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs stets von jeder Schuld freigesprochen, ja, als die »besten Kämpfer« dieses Kriegs hingestellt. Da sie stets »ehrlich« gekämpft h ätten, hieß es immer wieder, dürfe man heute nicht an ihrer »Ehre« rühren. Und 184
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Abb. 22 Umschlag eines Landser-Hefts (1960) 185
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zwar wurden dabei à la Hermann Pongs und Kurt Ziesel die ältesten völkischen Ladenhüter aufgewärmt, nämlich den Krieg als Volksschicksal, als Treue von Mann zu Mann, als Dienst an Deutschland, als heroischen Akt der Opferwilligkeit oder als bewährte Kameradschaft hinzustellen. Am eifrigsten betätigte sich dabei Erich Kern, der geradezu pausenlos an einer neuen Dolchstoßlegende schmiedete. Seiner Meinung nach war der Zweite Weltkrieg ein Krieg der »verlorenen Siege«, den die Deutschen leicht gewonnen hätten, wenn ihnen nicht linke Verräter wie die Mitglieder der Roten Kapelle oder die Männer des 20. Juli 1944 in den Rücken gefallen wären und wenn statt Adolf Hitler ein preußischer Kriegstheoretiker wie Carl von Clausewitz den Generalstab geleitet hätte. In seinen Büchern von Das große Kesseltreiben. Bleibt der deutsche Soldat vogelfrei ? (1960) bis So wurde Deutschland verraten ! (1970) wurden daher alle, die den Mythos des Gehorsams und die Heiligkeit des Befehls in Frage stellten, als üble »Nestbeschmutzer« bezeichnet. Unter Ehre verstand Kern lediglich Treue, Tapferkeit, Pflichterfüllung, Entschlossenheit und Mut des Herzens, und zwar ganz gleich unter welchem Regime. Die Fülle der Verlage, die solche Thesen unterstützten und alle nur denkbaren Formen von apologetischer Kriegsliteratur publizierten, war in den fünfziger Jahren geradezu Legion. Da wären erst einmal die zahllosen Erinnerungsbücher von General Kurt Meyer, genannt Panzermeyer, dem Ritterkreuzträger Günter Fraschka, dem Fallschirmjägermajor Hans-Joachim Korten und vielen anderen mit den höchsten Orden ausgezeichneten »Helden«, die damals von sich reden machten. Ebenso uferlos wirkt die Zahl der Berichte oder Romane über bestimmte Waffengattungen, Divisionen und Spezialeinheiten, deren militärische Einsatzbereitschaft mit nostalgisch-glühenden Farben ausgemalt wurde. Außer Büchern über die Waffen-SS gab es dabei sogar Darstellungen geheimnisvoller Sondertruppen wie der »Brandenburger«, der Haustruppe des Admirals Wilhelm Canaris, deren »weltweite« Einsätze hinter den feindlichen Linien von Herbert Kriegsheim in seinem Buch Getarnt, getäuscht und doch getreu (1958) als »tollkühn« und »vorbildlich für die Zukunft« hingestellt wurden. 186
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Doch die größte Wirkung, vor allem auf die lesende Jugend, ging damals von den für wenige Groschen erhältlichen Serienprodukten der auf alle »höheren« Ansprüche verzichtenden Verlage aus. Man denke an die SchildHefte, die schon in ihrer Aufmachung der nazifaschistischen Kriegsbücherei der deutschen Jugend glichen, die Marine-Bücher, die weitverbreiteten Soldatengeschichten und die Reihe Der Landser des Pabel-Verlags. Am einflussreichsten war wohl die Landser-Serie, von der zwischen 1957 und 1965 380 Nummern herauskamen.14 Sie gaben sich meist als unretouchierte Tatsachenberichte, um so den Eindruck eines subjektiven und damit »echten« Erlebens zu erwecken. Wie erwartet blieb die Frage nach den Ursachen des Zweiten Weltkriegs in diesen Heften ebenso ausgespart wie die Frage nach der Kriegsschuld oder den Kriegszielen. Aus diesem Grund werden Hitler oder die NSDAP in ihnen fast nirgends erwähnt. Noch weniger erfährt man selbstverständlich von den Untaten der Gestapo oder den Zuständen innerhalb der Strafkompanien oder Konzentrationslager. All das scheint es zwischen 1939 und 1945 überhaupt nicht gegeben zu haben. Was es gab, waren offenbar nur Siege, Blitzkriege, heroische Einsätze und schließlich gegen Ende eine ebenso heroische Durchhaltemoral. Falls wirklich einmal Grauenhaftes passierte und auch Deutsche ins Gras beißen mussten, ließ man darauf gern Eskapaden ins Abenteuerliche folgen oder wich in einen »knackigen« Landserhumor aus. Und so erscheint der Zweite Weltkrieg in diesen Heften letztlich als eine »naturgegebene« Sache, die nicht weiter erklärt zu werden braucht. Der in ihnen dargestellte Krieg ist einzig und allein eine Angelegenheit der Soldaten, der »Landser«, die überhaupt kein politisches Bewusstsein zu haben scheinen. Um den Lesern dieser Hefte die nötige Identifikationsmöglichkeit zu bieten, wird deshalb alles aus der Perspektive der deutschen Soldaten beschrieben. Westliche Gegner erscheinen dabei bezeichnenderweise höchst selten. Umso mehr erfährt man hingegen über die kommunistisch indoktrinierten Sowjets, die fast durchweg als »Schmutz«, »Schweine«, »rote Barbaren« oder »rote Horden« dargestellt werden. Fast 70 Prozent der Landser-Hefte spielen daher an der Ostfront, um immer wieder in dieselbe Kerbe hauen 187
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zu können. Die Deutschen sind dagegen alle prächtige Kerle, gute Kameraden und verantwortungsbewusste Soldaten, die sich ihren ebenso prächtigen, guten sowie verantwortungsbewussten Vorgesetzten nur allzu willig unterordnen. Das Resultat ist deshalb stets ein absolut »gereinigtes« Bild des deutschen Militärs, das weder zu kritischem Denken noch zur Feststellung eigener Interessen anregt. Was diese Heftchen in ihren Lesern verstärken wollten, war ganz eindeutig eine gesteigerte Wehrbereitschaft und zugleich eine Leistungs- und Erfolgsmoral, die auf Gruppenintegration und konformistische Anpassung an ein bestimmtes Normensystem zielt. Dementsprechend wirken fast alle diese Hefte so, als seien sie nicht nur im Rückblick auf den Zweiten, sondern bereits im Vorblick auf einen dritten Weltkrieg oder zumindest im Hinblick auf eine bessere Integration in die westliche Verteidigungs- und Wirtschaftsordnung geschrieben, indem sie ihre Leser auf strikte Befehlsausführung, Durchsetzungsvermögen, Männlichkeit, Härte, ja, Brutalität konditionieren sollten. So gesehen waren sie nicht nur apologetisch, sondern geradezu anheizend gemeint. Das Gleiche gilt für jene Romane, in denen sich Autoren wie Werner Beumelburg, Edwin Erich Dwinger und Erich Kern bereits ab 1949 wieder zu einer neomilitaristischen Gesinnung bekannten. Doch die wirklich aggressivsten und zugleich chauvinistischsten Bücher, die auf eine ungeschminkte Glorifizierung heldenhafter Aktionen hinausliefen, erschienen erst nach 1952.12 Dafür sprechen Romane wie Die Uhr blieb stehen (1953) von Erich Kern, Der leuchtende Berg (1954) von Heinz von Homeyer oder Bahnhof Russkinaja meldet sich nicht … (1954) von Heinrich Eisen, die von antikommunistischen Parolen nur so strotzen und sich fast wie ein Training für den »Fall Rot« lesen. Aber auch in den folgenden Jahren findet sich noch viel Kreuzrittertum und Sowjetverteufelung. Der erste Bestseller dieser Art war der Roman So weit die Füße tragen (1954) von Josef Martin Bauer, der die unmenschlichen Qualen deutscher Kriegsgefangener in sibirischen Bleibergwerken beschreibt. Aufgrund der sadistischen Behandlung durch die Sowjets sterben hier die Deutschen wie die Fliegen. Um dieser Hölle zu entrinnen, wandert in diesem Roman ein flüchtiger Offizier drei 188
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Abb. 23 Reklame des »Stoßtrupps gegen bolschewistische Zersetzung« (um 1952)
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Jahre unerkannt quer durch die UdSSR und entkommt schließlich über Persien nach Westdeutschland. Die gleiche Gesinnung herrscht in dem Roman Hunde, wollt ihr ewig leben (1958) von Fritz Wöss, einem Hohenlied auf die deutschen Landser vor Stalingrad, denen nur durch Hitlers Dummheit der Sieg entrissen wurde, woraus die damaligen Leser nur die Folgerung ziehen konnten, dass nach dem Zusammenbruch des Nazifaschismus nun der Bolschewismus niedergerungen werden müsse. Der Held des Romans spricht daher unentwegt von der Verteidigung der »Kultur des christlichen Abendlandes« sowie der »Europaidee«, als würde er vom Sender »Free Europe« bezahlt. Nicht viel anders geht es in dem Roman Der Arzt von Stalingrad (1958) von Heinz G. Konsalik, dem dritten Bestseller dieser Art, zu. Wie bei Josef Martin Bauer wird hier noch einmal die Grausamkeit der Sowjets den deutschen Kriegsgefangenen gegenüber beschrieben, um damit die Unmenschlichkeit des gesamten kommunistischen Systems herauszustreichen und zugleich die westdeutsche Verteidigungsbereitschaft zu stärken. Denn das neue Stalingrad, das hier nach dem Krieg errichtet wird, bezeichnete Konsalik gegen Schluss ausdrücklich als eine »geballte Riesenfaust, die nach Westen droht«.15
III Wie wir wissen, traten dieser ständig anwachsenden Lawine eines neofaschistischen Revanchismus in der frühen Bundesrepublik auch einige Widersacher von Seiten der »Gruppe 47« und anderer literarischer Gruppierungen entgegen, die jedoch anfangs kaum beachtet wurden. Erst als die Tendenz zur ideologischen Rechtfertigung des Zweiten Weltkriegs immer krassere Formen annahm, wurde auch die Kritik an derartigen Werken zusehends stärker. Daher kamen zwischen 1951 und 1957 auch eine Reihe betont antimilitaristisch gesinnter »Romane der Härte« heraus, die vor allem die ans Unmenschliche grenzenden Schrecken der Jahre zwischen 1939 und 1945 beschrieben, sich dabei allerdings – ohne auf den dahinter stehenden Nazifaschismus einzugehen – meist mit der Schilderung eines unreflektierten Grauens begnügten. Wie in manchen der damaligen nordamerikanischen 190
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Kriegsromane ging es in ihnen fast ausschließlich um die nackte Brutalität. Um die Parolen »Nie wieder Militär !« oder »Nie wieder Krieg !« zu unterstützen, schreckten dabei manche dieser Autoren vor nichts zurück : weder vor Mord, Totschlag, Erschießung noch vor Verwundung, Folterung oder Vergewaltigung. Aus diesem Grund wählten sie hierbei meist die Untaten an der Ostfront oder den Bombenregen auf die deutschen Städte, um so viel Grausamkeit wie nur möglich auf engstem Raum darstellen zu können. So schilderte etwa Erich Landgrebe in seinem Roman Mit dem Ende beginnt es (1951) das Schicksal zweier Soldaten an der Ostfront und ließ dabei das gesamte Geschehen auf Gewalt und Totschlag zusammenschrumpfen. Nicht viel zimperlicher geht es in Theodor Plieviers Moskau (1952) zu, in dem die gnadenlose Vernichtungskampagne beim Überfall der NS-Wehrmacht auf die Sowjetunion im Herbst und Frühwinter 1941 im Mittelpunkt steht. Herbert Zand beschrieb dagegen 1953 in Letzte Ausfahrt eine jener mörderischen Kesselschlachten an der Ostfront, wo Panik, Angst und Terror jedes andere menschliche Gefühl ersticken. Wohl das am meisten diskutierte Werk dieser Gruppe war der Roman Das geduldige Fleisch (1955) von Willi Heinrich, einer Darstellung der Schlacht um den Kuban-Brückenkopf im Sommer 1943, bei der es lediglich um Umlegen, Abknallen oder pures Abschlachten geht. Sein Autor wollte damit zeigen, dass in diesem »Scheißkrieg« selbst der Anständigste zur Bestie, zum Untier wurde. In diesem Roman ist alles sinnlos geworden. Hier beißt jeder ins Gras, ob nun Freund oder Feind, Deutscher oder Russe, wodurch zwar ein grauenvolles Schreckensbild entsteht, jedoch Ursache und Ziel dieses Kriegs völlig unklar bleiben. Das Gleiche gilt für Die Stalinorgel (1955) von Gert Ledig, wo es sich um den verbissenen Stellungskrieg vor Leningrad handelt, bei dem ebenfalls nur das Töten und Getötetwerden, das Durchstehen oder Untergehen im Vordergrund steht. Nicht minder hart schilderte Ledig in seinem Roman Vergeltung (1956) die Bombenangriffe auf eine westdeutsche Großstadt, wo durch die Luftminen und Brandraketen eine Untergangsstimmung erzeugt wird, die zu Mord, Vergewaltigung und Lynchjustiz führt. Ebenso grausam geht es in Wolfgang Otts Seekriegsroman 191
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Haie und kleine Fische (1956), Heinrich Gerlachs Stalingrad-Roman Die verratene Armee (1957) und Michael Horbachs Die verratenen Söhne (1957) zu, in denen das Kampfbetonte ständig ins Mörderische übergeht und schließlich der Eindruck absoluter Sinnlosigkeit, ja, Absurdität entsteht. Was es neben diesen »Romanen der Härte« zur gleichen Zeit an Formen einer kritischen Darstellung des Zweiten Weltkriegs gab, tendierte meist ins Schwankhafte. Und zwar bediente man sich dabei gern der Methode des Lächerlichmachens, die mal pikareske, mal humoreske Züge annahm. Da sich das eher Pikareske für eine Darstellung des allgemeinen Grauens des Zweiten Weltkriegs nur bedingt eignete, erscheint der Krieg in pikaresk angelegten Zeitromanen wie Die Blechtrommel (1959) von Günter Grass sowie Casanova oder Der kleine Herr in Krieg und Frieden (1966) von Gerhard Zwerenz nur am Rande. Bei dem einen dominiert die Frosch-, bei dem anderen die Hosenlatzperspektive, was in beiden Fällen zwar höchst entlarvend und despektierlich wirkt, aber die Phänomene »Nazifaschismus« und »Krieg« letztlich verharmlost. Etwas deutlicher äußerte sich dagegen die Antikriegsperspektive in jenen Werken, die sich, wie die 08/15-Trilogie (1954/55) von Hans Hellmut Kirst, der bewährten Mittel des Humoresken, das heißt des alten Kasernenhofschwanks bedienten. In diesen drei Romanen wurde ein vielfiguriges Pano rama der deutschen Wehrmacht entfaltet, wobei Kirst die einfachen Soldaten und die höheren Chargen recht positiv darstellte, während er an den Unteroffizieren kein gutes Haar ließ. Die Hauptzielscheibe seiner Kritik war der Feldwebel Schulz, der ständig bullig, rechthaberisch, autoritätssüchtig auftritt und seine Untergebenen geradezu pausenlos piesackt, schleift oder »zur Sau macht«. Damit wurde zwar viel Kritik geübt, aber doch rein aus der Perspektive des ewigen Militärs, des ewigen Barras, des ewigen Kommisses – und nicht aus der Perspektive der besonderen nazifaschistischen Ausprägung dieses Ungeists. Die NSDAP und der Krieg blieben daher selbst hier weitgehend peripher. Was dominierte, war die Typik des Kasernenhofs, während von Schuld nirgends die Rede ist. Kein Wunder deshalb, dass sich von diesem Werk fünf Millionen Exemplare in 28 Sprachen verkaufen ließen, 192
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es als Fortsetzungsroman erschien und obendrein verfilmt wurde. Allerdings kam es auch zu Gegenstimmen, da sich viele frühere Landser durch diesen Roman in ihrer »Soldatenehre« angegriffen sahen. Kirst reagierte darauf, indem er seine Kritik etwas abmilderte und sich in seinen weiteren Kriegsromanen, wie Fabrik der Offiziere (1960) sowie Aufstand der Soldaten (1965), zusehends den Gesetzen des Bestsellers unterwarf und ins Kolportagehafte auswich. Zu einer wirklichen Kritik des Nazifaschismus und des von ihm angestifteten Zweiten Weltkriegs hätte eben doch mehr als eine vordergründige Darstellung des Grauens oder eine ebenso vordergründige Darstellung ihrer komischen Begleitumstände gehört. Doch derartige Analysen blieben lange Zeit aus. Sie wurden erst seit der Mitte der fünfziger und dann in den frühen sechziger Jahren möglich, als sich die ideologische Einheitsfront der Adenauer-Ära allmählich aufzulösen begann. Erste Ansätze dazu lieferten bewusst antimilitaristische Filme wie Die letzte Brücke (1954) von Helmut Käutner und Die Brücke (1959) von Bernhard Wicki, in denen der Mut des Partisanenkriegs sowie der Irrsinn des Volkssturms dargestellt wurden. Einen ähnlichen Anklage- oder Appellcharakter hatten Satiren wie Mein General (1955) von Karlludwig Opitz sowie das Buch Es war Mord, meine Herren Richter ! Der Fall Penzberg (1958) von Heinz Becker-Trier, die sich bestimmte Kriegsverbrechen aufs Korn nahmen, wobei dem einen eine schnoddrige Kammerdienerperspektive, dem anderen ein aktives Engagement zugrunde liegt. Doch leider blieben selbst diese Werke, so »radikal« sie im Einzelnen auch waren, weitgehend im Bereich des Partikulären, statt auf grundsätzliche Fragestellungen einzugehen, die den Nazifaschismus in seiner Gesamtheit betroffen hätten, was auch für Erich Kubys Roman Sieg ! Sieg ! (1961) gilt. Eine umfassendere Analyse des durch das NS-Regime ausgelösten Zweiten Weltkriegs wurde eigentlich nur in folgenden Werken geleistet. Zu ihnen gehörte unter anderen der Roman Billard um halb zehn (1959) von Heinrich Böll, in dem es anhand dreier Generationen um den Gesamtverlauf der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts geht. Böll wollte in 193
An der Ostfront der »Freien Welt«
ihm zeigen, wie Menschen gegen ihren eigenen Willen in Faschismus und Krieg hineingezogen wurden und wie sich völkisch-antisemitische Radaumacher schließlich zu piekfeinen bundesdeutschen Demokraten mauserten. Hier ging es tatsächlich um fünf Jahrzehnte »deutscher Misere«, und zwar in ständiger Konfrontation der Welt des Büffels (Imperialismus) mit der Welt des Lammes (der leidenden Bevölkerung). Und Böll zögerte nicht, in aller Offenheit zu zeigen, wie auch im Reiche Adenauers die Welt des Lammes wiederum mit Füßen getreten wurde. Im Bereich des Dramas bietet das Stück Der Hund des Generals (1963) von Heinar Kipphardt wohl das beste Beispiel einer solchen Analyse. Hier wurde das Kriegsgeschehen – im Sinne eines auf Authentizität dringenden Dokumentarismus – anlässlich einer bundesdeutschen Gerichtsverhandlung aufgerollt, bei der ein übler Soldatenschinder, Mörder und Altnazi alle gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen arrogant zurückweist, Hitlers Kriegsführung als Korporalsstrategie abtut und sich ansonsten mit der Tatsache des »Befehlsnotstandes« herauszureden versucht, obwohl es völlig einsichtig bleibt, dass dieser Mann ein schuldbeladener Nationalsozialist war. Dass ein solcher Offizier am Schluss freigesprochen wird, während man die Ankläger und früheren Exilanten undeutscher Gefühle bezichtigt, wirkt daher in diesem Stück wie eine indirekte Anklage gegen die Fortdauer des braunen Ungeistes in der frühen Bundesrepublik. Allerdings kamen derartige Werke mindestens zehn Jahre zu spät und wurden zudem schnell von Büchern verdrängt, die sich kritisch mit der Wirtschaftswundermentalität der Bundesrepublik sowie der Adenauer’schen Politik der »eigenmächtigen Beschlüsse« auseinandersetzten und sich zugleich der durch den Jerusalemer Eichmann-Prozess (1961) und den Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) ausgelösten »Vergangenheitsbewältigung« im Hinblick auf die Judenvernichtung zuwandten. Dafür sprechen nicht nur das von Martin Walser bereits 1961 herausgegebene Manifest Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung ?, in dem sich mehrere Schriftsteller und Publizisten für einen Machtwechsel von der CDU/CSU zugunsten der SPD engagierten, sondern auch ein Buch wie Die Unfähigkeit zu trauern. 194
Antisowjetische Stimmungsmache in den Kriegsromanen der fünfziger Jahre
Grundlagen kollektiven Verhaltens (1967) von Alexander und Margarete Mitscherlich, dessen Hauptthema die ausgebliebene »Vergangenheitsbewältigung« in den fünfziger Jahren war. Und durch diesen Gesinnungsumschwung sank das Thema »Zweiter Weltkrieg« nach 1965 auf Jahre hinaus in den Bereich der kommerzialisierten Unterhaltungsgenres ab, wo es als höchst erwünschtes Spannungselement verschlissen wurde, jedoch – wie im Agenten- und Spionageroman – auch als krude Form des Antikommunismus weiterlebte, während die Vertreter höherer Literaturkonzepte, von Ausnahmen wie Alfred Andersch und Alexander Kluge einmal abgesehen, dieses Thema in den sechziger und siebziger Jahren kaum je wieder aufgegriffen haben.
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Ohne die geringsten Schuldgefühle. Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958) »I do not believe, that the German soldier has lost his honor in World War II.« (Dwight D. Eisenhower bei einem Staatsbesuch in Bonn im Jahre 1959)
I Eins der unrühmlichsten Kapitel der westdeutschen Literatur ist die Fülle sogenannter »Kriegsromane«, die in den fünfziger Jahren erschien. Nach der nazifaschistischen Gleichschaltung im Jahre 1933, der Barbarei der Konzentrationslager, der Liquidierung von annähernd sechs Millionen Juden, der imperialistischen Versklavung Polens und der Tschechoslowakei, der Besetzung Frankreichs, Dänemarks, Norwegens, der Beneluxländer und des Balkans, den Schlachten in Nordafrika, den Bombenangriffen auf England und dem mörderischen Überfall auf die UdSSR, dem 26 Millionen sowjetische Staatsbürger zum Opfer fielen, hätte man wenigstens auf diesem Gebiet eine gewisse Einkehr, wenn nicht bewusste Trauerarbeit erwartet. Aber nur wenig dergleichen geschah. Doch vielleicht waren dies in einem Lande, wo eine radikale Vergangenheitsbewältigung weitgehend vermieden wurde, von vornherein die falschen Erwartungen. Schließlich blieb durch die Adenauer’sche »Politik der Stärke«, das heißt den bedingungslos geführten Kalten Krieg, die Sowjetunion, der Hauptgegner des Dritten Reichs, im Zuge einer fatalen Kontinuität auch der Hauptgegner der Bundesrepublik. Die pazifistischen Tendenzen der unmittelbaren Nachkriegszeit traten daher schon 1947, nach dem Beginn des Kalten Kriegs, und dann verstärkt nach der Gründung der BRD im Herbst 1949 wieder merklich in den Hintergrund. Statt wie in Japan auf eine Armee zu verzichten, wurde von der CDU/CSU-Regierung bereits in 197
Ohne die geringsten Schuldgefühle
dieser frühen Phase eine schleunige Remilitarisierung Westdeutschlands ins Auge gefasst. So führte Konrad Adenauer bereits Mitte August 1950 mit den westlichen Alliierten ausgedehnte Gespräche über eine westdeutsche Bundeswehr. Am 15. Februar 1951 begannen in Paris die Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die am 27. Mai 1952 ihren Abschluss fanden. Am 18. Juni 1954 beschloss der Bundestag das erste Straffreiheitsgesetz für alle militärischen Vergehen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Am 23. Oktober 1954 wurden die Pariser Verträge, das heißt der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, unterzeichnet. Am 9. Mai 1955 erfolgte die feierliche Aufnahme der BRD in die NATO. Am 2. Januar 1956 wurden die ersten Freiwilligen zur Bundeswehr einberufen. Kurz darauf begannen die USA die westdeutschen Truppenkontingente mit Waffen zu versorgen. Am 7. Juli 1956 verabschiedete der Bundestag gegen die Stimmen der SPD das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht. Am 16. Oktober wurde der CSU -Politiker Franz Josef Strauß Verteidigungsminister. Am 5. April 1957 sprach sich Adenauer für die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen aus usw.1 All das führte selbstverständlich auch zu Protesten, ob nun von Seiten der SPD, der Gewerkschaften oder auch einiger Wissenschaftler und Schriftsteller. Doch in vielen Massenmedien wie auch in weiten Bereichen der Literatur – vor allem in ihren »trivialen« Ausprägungen, wo jene Mythen und Stereotypen produziert werden, mit denen man das Populärbewusstsein zu verseuchen sucht – herrschte dagegen in den fünfziger Jahren ein massiver Kalter Krieg, der sich immer wieder in militaristische und neofaschistische Aggressionen entlud, um im Sinne der Adenauer’schen »Politik der Stärke« den Hass gegen den Kommunismus zu schüren.2 Und als eins der Hauptvehikel dieser ideologischen Massenbeeinflussung erwies sich dabei, wie bereits ausgeführt, der sogenannte Kriegsroman, mit dem einige Verlage ab 1950 die Herzen und Hirne der westdeutschen Bevölkerung ideologisch gleichzuschalten versuchten, indem sie die Zielrichtung des Zweiten Weltkriegs einfach auf die Zielrichtung des Kalten Kriegs der fünfziger Jahre übertrugen. 198
Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958)
Abb. 24 Besuch Konrad Adenauers und Generalmajor Hellmuth Laegelers bei der ersten Bundeswehr-Éinheit in Andernach am Rhein (Januar 1956)
Wenn man sich jedoch die Kriegsliteratur dieser Ära etwas genauer ansieht, lässt sich allerdings von den Höhen der E-Literatur zu den Niederungen der U-Literatur ein deutliches ideologisches Gefälle beobachten. Während sich in den oberen Rängen, wo man etwas auf sich hielt, wo man »Literatur« machen wollte, wo es auch um Stil und persönliche Integrität ging, eine deutliche Neigung zum Nonkonformismus oder zu einer »Ohne mich«-Gesinnung beobachten lässt,3 die sich auf dem Sektor des Kriegsromans entweder als Schilderung rein persönlich erlebter Schicksale (Heinrich Böll), religiöse Allegorisierung (Stefan Andres, Albrecht Goes), Erhebung ins Elitäre (Ernst Jünger, Gerd Gaiser), Verharmlosung ins Schwankhafte (Hans Hellmut Kirst) oder Darstellung bloßer »Härte« (Willi Heinrich, Gert Ledig) äußerte, überwog auf der unteren Ebene der massenhaft verbreiteten Literatur (Bestseller, Groschenheft, Illustriertenroman) meist eine unverhüllte Neigung zur Rechtfertigung, ja, Glorifizierung der nazifaschistischen 199
Ohne die geringsten Schuldgefühle
Wehrmacht, die bereits 1941 gegen den Kommunismus, den Hauptfeind der westlichen Welt, angetreten sei. Man hätte eigentlich erwartet, dass im Rahmen des Bildungsbürgertums wenigstens die Vertreter der Neugermanistik den in ihren Augen als »minderwertig« geltenden Formen dieser Art von Kriegsliteratur mit kritischer Absicht entgegengetreten wären. Doch das geschah erst später, als man sich innerhalb dieser Forschungsrichtung nicht mehr allein auf werkimmanente Weise mit den sogenannten »Bauformen« der als anspruchsvoll geltenden Dichtungen beschäftigte, sondern sich auch mit den politischen und kultursoziologischen Aspekten von Literatur auseinanderzusetzen begann.4 In die Niederungen der neofaschistischen Rechtfertigungsliteratur abzusteigen, dazu waren sich die Neugermanisten der fünfziger Jahre – trotz mancher Beteuerungen, sich endlich auch mit sogenannter »Trivialliteratur« auseinanderzusetzen – meist noch zu fein. Neben der ideologischen und ästhetischen Berührungsangst spielte in diesem Zeitraum dabei sicher auch das Erschrecken vor der schier unendlichen Fülle dieser Literatur eine wichtige Rolle. Wie kann »man« sich für solche Werke überhaupt interessieren, fragten sich die damaligen Leser und Kritiker von E-Literatur immer wieder ? Doch diese Menschen gab es durchaus, und zwar zu Hunderttausenden, wenn nicht Millionen, sonst hätte diese massenhaft verbreitete Kriegsliteratur ja überhaupt keine Basis gehabt. Was daher an kritischen Analysen derartiger Romane vorgenommen wurde, wirkt reichlich mager : die nicht genug zu rühmende Studie von Heinz Brüdigam,5 ein paar Untersuchungen der Landser-Hefte,6 einige vorläufige ideologische Einordnungsversuche7 und eine Reihe kritisch-polemischer Beiträge von Seiten der frühen DDR-Germanistik.8 Dennoch erlauben diese Schriften erste Einblicke in den geradezu unübersehbaren Dschungel heute kaum noch bekannter Literatur. Ein Autor, der jedoch hierbei fast immer ungeschoren blieb, war Heinz G. Konsalik. Und dabei war gerade er der erfolgreichste und vielleicht einflussreichste all dieser Kriegsroman-Produzenten, die sich seit Mitte der fünfziger Jahre in den Dienst des Kalten Kriegs stellten.9 Warum hat man einen solchen Bestsellerproduzenten nicht schon damals etwas genauer unter die Lupe genommen ? War er den Germanisten zu 200
Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958)
»trivial« oder scheute man einfach vor der Fülle seiner Romane zurück ? Schließlich schrieb dieser Konsalik, der sich auch der Pseudonyme Günther Hein und Benno von Marroth bediente,10 fast schneller, als gewöhnliche E-Literatur-Konsumenten lesen können. Wohin man um 1960 auch blickte, auf die Taschenbuchreihen der Zeitungsstände oder die Bestsellerauslagen der anspruchsvolleren Buchläden, überall stieß man in diesen Jahren auf den Namen »Konsalik«. Seien wir uns darum nicht zu gut, auch sein Œuvre – schon um seiner Wirkung willen – einmal etwas genauer ins Auge zu fassen. Und zwar soll das anhand seines Romans Der Arzt von Stalingrad geschehen, der 1958, also auf dem Höhepunkt der bundesrepublikanischen Remilitarisierungswelle, erschien und davon sicher nicht unbeeinflusst geblieben ist. Obwohl auch einige der anderen Werke Konsaliks herangezogen werden könnten, genügt es vollauf, sich auf diesen Roman zu beschränken. Schließlich beruhen die Werke solcher Fließband-Autoren fast immer auf dem gleichen Schema, das ein kritischer Leser schon nach der Lektüre von drei oder vier Konsalik-Romanen unschwer durchschaut. Denn was in ihnen vorherrscht, ist an sich stets dasselbe : eine äußerst spannende Handlung, die sich zwischen den Extremen brutaler Böswilligkeit und alles überwindender Liebe bewegt, wobei das romanhafte Personal höchst säuberlich in Schurken und Edelmenschen eingeteilt wird, um die nötigen dramatischen Effekte zu erzielen.11 Bereits hier könnte man einwenden : Was ist denn an Werken dieser Art so gefährlich, so »ideologisch« ? Gehören solche Schwarz-Weiß-Kontraste nicht zu allen Werken der sogenannten Trivialliteratur, die man wie einen Krimi auf der Stelle konsumiert und bereits am nächsten Morgen wieder vergessen hat ? Doch eine solche Einstellung wäre sicher zu kurzschlüssig. Denn bei den Schwarz-Weiß-Gegensätzen, den Stereotypen und Klischees, die Konsalik verwandte, handelte es sich weitgehend um die gleichen Freund- und Feindbilder, mit denen damals auch Organe wie die Bild-Zeitung oder andere Massenmedien ihre Leser mit einem falschen Bewusstsein auszustatten versuchten. Und sind es nicht gerade solche Klischees und Stereotypen, die offenbar ganz im Allgemein-Menschlichen bleiben, jedoch stets untergründig an eine Reihe höchst 201
Ohne die geringsten Schuldgefühle
gefährlicher politischer, sozialer, ideologischer, rassistischer und sexistischer Vorurteile appellieren, welche ein kritisches Verhältnis zur Wirklichkeit verhindern und für eine fatale ideologische Kontinuität sorgen ? Dass in jenen Nachkriegsromanen, in denen die politischen Vorurteile des heißen Krieges zwischen 1939 und 1945 einfach auf die Vorurteile des Kalten Krieges der fünfziger Jahre übertragen wurden, diese Kontinuität besonders massiv in Erscheinung trat, dürfte jedem, der sich mit den politischen Implikationen der Adenauer-Ära beschäftigt, sofort einleuchten. Man könnte daher für unsere Untersuchung neben Konsaliks Kriegs- und Lagerromanen wie Der Arzt von Stalingrad oder Das Herz der 6. Armee auch seine Kalten-Kriegs-Romane wie Liebe am Don, Natascha, Bluthochzeit in Prag oder Liebesnächte in der Taiga heranziehen. Das ideologische Ergebnis wäre stets das gleiche. Letztendlich geht es in allen geradezu pausenlos gegen den Kommunismus, wobei die entscheidende Abwehrgesinnung gegen diese Teufelsideologie meist mit einem Edelmenschentum gleichgesetzt wird, das häufig unleugbar faschistoide Züge trägt.
II Und zwar ging dabei Konsalik – auf seine Art – nicht ungeschickt vor. Er zog nicht einfach die Nazifaschisten den Kommunisten vor, womit er bei der Masse seiner Leser selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs sicher nicht ohne Weiteres angekommen wäre, sondern konfrontierte die Guten lediglich mit den Bösen, die Freien mit den Autoritätsgläubigen. Das ideologische Telos seines Arztes von Stalingrad scheint deshalb lediglich die Verteidigung des Menschlichen gegen das Unmenschliche zu sein. Das sieht auf den ersten Blick fast besser aus als die Ideologie jener Bücher, denen die berüchtigte Totalitarismusthese samt ihrer Braun-gleich-Rot-Klischees zugrunde liegt. Auf der einen Seite stehen bei Konsalik die »Humanen«, das heißt die Ärzte, die Helfer, die Kameradschaftlichen, die Liebenden – auf der anderen die »Inhumanen«, das heißt die Tierischen, die Systemverhafteten, die skrupellosen Funktionäre und entmenschten »Sexmonster«, also die »Reinen« und die »Unreinen«, wie man in älterer Trivialliteratur gesagt hätte. 202
Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958)
Doch dass die Reinen natürlich immer die Deutschen und die Unreinen ebenso selbstredend immer die Sowjets sind, macht diesen Roman fast noch gefährlicher als die Pamphlete der Verfechter der Totalitarismusthese. Denn die »Rot-gleich-Braun«-These, so falsch sie auch war, lief wenigstens auf eine massive Kritik am Dritten Reich hinaus, indem sie den Nazifaschismus mit dem Kommunismus oder besser Stalinismus, also dem in den Augen der westlichen Welt verwerflichsten politischen System, auf eine Stufe stellte. Konsalik ging dagegen in seinem Arzt von Stalingrad noch perfider vor, indem er nicht die Nazifaschisten mit den Kommunisten, sondern die bösen Menschen mit den Sowjets gleichsetzte. Er konfrontierte keine Ideologien und deren politische Konsequenzen, jedenfalls nicht auf der Ebene der theoretischen Auseinandersetzungen, sondern konfrontierte lediglich die guten mit den schlechten Menschen – wobei die Guten, wie gesagt, bei ihm stets die Deutschen sind. Obwohl also vom Nazifaschismus in diesem Roman kaum die Rede ist, wird er dadurch in seinen Vertretern, nämlich den »guten Deutschen«, die seine Produkte sind, stets indirekt gerechtfertigt. Vom Hitlerismus als Ideologie oder gar seinen brutalen Praktiken ist deshalb nirgends die Rede, wohl aber von seinen ehemaligen Repräsentanten : den guten, aufrechten, edelmütigen und heldenhaften Deutschen. Während die Verfechter der Totalitarismusthese meist verlangten, dass man nach dem Sieg über den Nazifaschismus nun auch die Sowjetunion, die andere »totalitäre Bedrohung der westlichen Demokratie«, niederringen müsse, ging es Konsalik in seinem Arzt von Stalingrad, wie gesagt, nicht um eine gleichzeitige Verdammung von Nazifaschismus und Kommunismus, sondern lediglich um eine Verdammung des Kommunismus, während der Nazifaschismus ständig indirekt gerechtfertigt wird. Die Beschreibung der Kriegsgefangenenlager in der Sowjetunion nach 1945, die in diesem Roman im Mittelpunkt steht, ist daher bar jeder Reue, nationalen Trauerarbeit oder nachträglichen Verurteilung des Nationalsozialismus. Wie ganz anders wurden solche Zustände von Autoren beschrieben, die sich zum gleichen Zeitpunkt in der DDR für eine konsequente Überwindung der nazifaschistischen Ideologie einzusetzen versuchten. Man denke 203
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etwa an den ostdeutschen Roman Die Lüge (1956) von Herbert Otto, der vor allem die Probleme der antifaschistischen Umerziehung in den auch von Konsalik beschriebenen Kriegsgefangenenlagern in den Vordergrund rückte.12 Doch auch in der BRD gab es damals durchaus andersgeartete Darstellungen solcher Zustände. So machte beispielsweise Helmut Gollwitzer in seinem autobiographischen Lagerbericht … und führen, wohin du nicht willst (1951) eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Kommunismus, der selbst unter Stalin einen gewissen »Humanismus« bewahrt habe, und dem durch und durch bestialischen Nazifaschismus. Ja, selbst ein ominöser Bestsellerautor wie Stefan Olivier, dessen Roman Jedem das Seine (1961) auf der These »Rot ist nicht gleich Braun, Rot ist schlimmer als Braun« beruht, wies wenigstens auf die Existenz nationalsozialistischer Konzentrationslager und Strafbataillone hin. Nichts dergleichen findet sich bei Konsalik. Er beschränkte sich von vornherein auf die einseitige Diffamierung des Kommunismus – und ließ den Nazifaschismus weitgehend ungeschoren. Wenn man dieses Darstellungsmuster einmal durchschaut hat, lässt sich alles andere relativ leicht in das ideologische Schwarz-Weiß-Schema der Mentalität des Kalten Kriegs einordnen.13 Beginnen wir mit seiner Darstellung der Sowjetunion und der dort lebenden Menschen, bei denen sich Konsalik der gleichen Klischees bediente, die schon die Nazifaschisten 1942 bei ihrer Ausstellung »Das Sowjet-Paradies« aufgeboten hatten, um im Hinblick auf der UdSSR eine Atmosphäre zu beschwören, in der nicht nur Armut und Hunger herrschen, sondern die zugleich im Zeichen totaler Unmenschlichkeit steht. Das zeigt sich schon bei seiner Schilderung der russischen Landschaft, die durchweg als »erbarmungslos« hingestellt wird (193).14 Immer wieder wird auf die Weite, Öde, ja, Unendlichkeit dieses Landes hingewiesen : auf seine Sümpfe, seine heulenden Wölfe, seine Schneestürme, seine »kalten, erbarmungslosen« Winternächte (119), um so im westdeutschen Leser den Eindruck des Fremden, Uneuropäischen, Asiatischen zu erwecken. Die Möglichkeit, dass sich in einer solchen Weite und Kälte überhaupt »Menschlichkeit« entwickeln kann, wird so von Konsalik von vornherein ausgeschlossen. 204
Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958)
Abb. 25 Plakat der Ausstellung »Das Sowjet-Paradies« (1942) 205
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»Was ist ein Mensch in Rußland ?«, heißt es an einer Stelle. »In diesem Land, in dem selbst die Sonne Mühe hat, es ganz zu bescheinen ? !« (221) Demzufolge sind auch die Menschen, die hier leben, ebenso kalt und erbarmungslos. Jeder folgt in diesen Breiten, wie Konsalik erklärt, nur seinen niedersten Instinkten. »Fressen, saufen, huren«, heißt es wörtlich, »das ist alles, was man hier kann !« (239) Und wenn diese Kreaturen nicht fressen, saufen und huren, dann werden sie brutal : Dann schlagen sie, verteilen Fußtritte, knallen ihre Konkurrenten einfach ab oder versuchen sich durch Diebstähle und Unterschlagungen zu bereichern. Eine solche Einstellung zum Leben wird einerseits als spezifisch kommunistisch, das heißt als brutal und materialistisch-triebhaft, andererseits als spezifisch asiatisch-fremdländisch hingestellt, um hinter dem Schreckbild des Kommunismus zugleich das Schreckbild der »gelben Gefahr« aufleuchten zu lassen. Daher tauchen im Laufe der Handlung immer wieder kirgisische, tatarische, mongolische, das heißt »asiatische« Gesichter auf (222), die von einer gefährlichen und unergründlichen Schlitzäugigkeit sind. Dies sind jene »Asiaten«, wie es heißt, »denen ein Leben nichts gilt« (159). So hat etwa der Lagerkommandant Worotilow die »Kälte Sibiriens« in den Augen (120). Von dem Chirurgen und Stalinpreisträger Pawlowitsch heißt es, dass er »leicht geschlitzte Augen« in seinem »ledernen Gesicht« habe (178). Doch auch die anderen, bei denen auf solche asiatischen Merkmale verzichtet wird, sind meist »braune Teufel« (26), die neben saufen, fressen und huren nur brüllen, fluchen und schikanieren können. Am gemeinsten verhalten sie sich selbstverständlich den deutschen Kriegsgefangenen gegenüber, die sie in Sumpf-, Schweige- oder Straflager stecken und dort bis aufs Blut, ja, bis auf den Tod quälen. Selbst jene Deutschen, die am Leben bleiben, leiden hier fast alle an »Zertrümmerungen und Quetschungen und Knochenbrüchen, ansteckenden Krankheiten, Gelbsucht und Dystrophie« (9), werden jedoch immer wieder rücksichtslos gesundgeschrieben, um mit ihnen kurzen Prozess machen zu können. Ja, nicht nur das. Diese schlitzäugigen Monster haben weder Sinn für Schönes, weshalb sie die Blumenbeete zertrampeln, welche die deutschen Kriegsgefangenen angelegt haben, 206
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noch einen Sinn für Gefühlsmäßiges, weshalb sie ihre »Weiber« wie Huren behandeln. Wen nimmt es da noch wunder, dass diese Männer ständig nach Schweiß, Wodka, Juchten und Machorka stinken ? Die Schlimmsten innerhalb dieser Gruppe sind natürlich die Politkommissare, die meist im Dienst der Geheimpolizei stehen. So heißt es von einem ihrer Vertreter : Der Kommissar Wiadislav Kuwakino war ein mittelgroßer, untersetzter Mann mit einem Mongolengesicht. Seine Augen, weit auseinanderstehend und ein wenig geschlitzt durch die asiatischen Fettpolster unter den Lidern, blickten kühl und oftmals gelangweilt, als sei ihm die Welt das Ekelhafteste und der Mensch auf ihr überhaupt nicht wert, beachtet zu werden. (46)
An anderer Stelle wird nochmals auf seine »leicht geschlitzten Augen«, sein »gelbliches Gesicht« und seine »gelben Zähne« hingewiesen, mit denen er Hammelfleisch »zerknackt« (50). Dies ist der »starke Mann aus Moskau«, der keinerlei Menschlichkeit kennt und seiner Karriere alles opfert, was sich ihm in den Weg stellt.15 Doch auch die anderen sowjetischen Kommissare, Offiziere und Ärzte in diesem Roman kennen weder menschliche noch politische Skrupel und stoßen ständig Drohungen aus, die eindeutig gegen den »Westen« gerichtet sind. So behauptet etwa der Politoffizier Markow : »Wir haben immer Krieg, solange die Welt nicht restlos kommunistisch ist !« (39) Der Lagerkommandant Worotilow fordert an einer Stelle, dass Russland endlich der »Mittelpunkt der Erde« werden müsse. Zu diesem Zweck will er es ruhig »auf einen dritten Weltkrieg ankommen« lassen (64). Der Aufseher Pawlowitsch erklärt einmal mit einem ressentimentgeladenen Blick auf die Deutschen : »Wir sind die Herren der Erde ! Wir Russen ! Wir Asiaten !« (223) Der Lagerarzt Dr. Kresin sieht daher in der Sowjetunion die kommende »Aufmarschbasis für den Sturm auf Europa« (76). Das neuerstandene Stalingrad wird dementsprechend von Konsalik an einer Stelle mit »einer geballten Riesenfaust« verglichen, »die nach Westen droht« (79). War das nicht die beste Legitimation, die man im Jahr 1958 207
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der Adenauer’schen »Politik der Stärke« oder den Rückgewinnungsplänen mancher Vertriebenenbände geben konnte ? Nicht die Deutschen sind hier die Aggressoren, sondern jene Russen, denen es schon seit Jahrhunderten um die Vormachtstellung in der Welt gegangen sei (64), wodurch hinter dem Schreckbild des Kommunismus immer wieder das Schreckbild der asiatischen Horden aufleuchtet. Aus dem gleichen Grunde werden manche der russischen Frauen, die in diesem Roman auftauchen, mit raubtierhaft-asiatischen Zügen ausgestattet. So wird etwa die Lagerärztin Alexandra Kasalinskaja, dieses »Mistvieh« (10), die eine »gelbliche Haut« wie eine »Kalmückin« hat (92), mehrfach mit einer »Tigerin« (42), einer »asiatischen Katze« (103), ja, mit einer »Bestie vor dem Mordsprung« verglichen (42), die das »Gebiß eines unersättlichen Raubtieres« habe (237). Das »Küchentrampel« Bescha (11) wird dagegen als »kleine, geile Hure« gezeichnet (240), die jeden, der ihr zuwinkt, einmal ranlässt. Sie hat es gern, wenn man ihr in die Titten oder den Hintern kneift und lässt selbst beim Weihnachtsfest auffordernd ihre »dicken Brüste wippen« (162). Überhaupt scheinen alle diese russisch-asiatischen Weiber völlig zuchtlos, ungehemmt, tierisch zu sein und wirken darum fast wie Verkörperungen jener »roten Flut«, auf die Klaus Theweleit später so ausführlich eingegangen ist.16 Die einzige Chance, sich aus diesem asiatischen Kommunismus oder dieser asiatischen Untermenschlichkeit zu befreien, besteht für die dargestellten Sowjets lediglich darin, wieder »Mensch« zu werden. Allerdings bringen sie das nie aus sich selbst heraus fertig. Dazu bedarf es meist der Anregung oder Begegnung mit einem Deutschen, das heißt einem wahrhaft »nobel gesinnten« Menschen. So beginnt in dem Lagerkommandanten Worotilow schon in der Mitte des Romans »der Kommunist mit dem Menschen« zu ringen, was schließlich gegen Ende dazu führt, dass er unter dem Einfluss der Deutschen wieder ganz »Mensch« wird. Und dabei entdeckt er sogar seine Seele wieder, die man in den Jahren 1917–1919, also während der Oktoberrevolution, in ihm »getötet« habe (206). Dieselbe Wandlung gelingt der Russin Janina Salja, welche sich in einen der deutschen Ärzte verliebt 208
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und durch diese Liebe – trotz einiger Rückfälle ins Sexuell-Hysterische – zu wahrem »Menschentum« geläutert wird. Ja, den russischen Frauen haben es diese deutschen Männer besonders angetan.17 Denn nach all den ungehobelten Klötzen und brutalen Säufernaturen, mit denen sie bisher ins Bett gegangen sind, erscheinen ihnen die deutschen Männer mit ihren zarten Händen, ihrem Edelmut, ihrer seelischen Sensibilität wie Idealgestalten, für die sie alles tun würden. So wollen Alexandra und Janina am Schluss des Romans, als die deutschen Soldaten endlich in ihre Heimat entlassen werden, liebend gern dem Kommunismus abschwören, die Sowjetunion verlassen und mit den von ihnen angebeteten Männern nach Westdeutschland gehen. Die Lagerleiter haben daher alle Mühe, sie zurückzuhalten. Ja, Alexandra muss ans Bett gefesselt werden, um sie daran zu hindern, einfach blindlings hinter der abziehenden Transportkolonne herzurennen. Denn nachdem die Deutschen das Lager einmal verlassen haben, wird hier – so wie es Konsalik darstellt – sicher wieder alles in den Zustand der »Barbarei« zurückfallen. Aufgrund solcher Schilderungen lässt sich schon ahnen, wie »edel« und »großherzig« die Deutschen in diesem Roman gezeichnet sein müssen. Vor allem die drei Ärzte, nämlich Dr. Böhler, Dr. von Sellnow und Dr. Schultheiß, bewähren sich in allen Lebenslagen als wahre Supermänner. So ist Böhler, der eigentliche »Arzt von Stalingrad«, ein Edelmensch und Chefarzt, wie er nobler kaum gedacht werden kann. Er hat ein »langes, schmales Gesicht mit überbetonter Stirn« (10), verhält sich selbst in den schwierigsten Situationen absolut souverän, hat zartfühlende, edel geformte Hände, kann mit einem alten Taschenmesser eine perforierte Appendizitis operieren, mit einem simplen Meißel bei düsterer Petroleumbeleuchtung eine komplizierte Gehirnoperation durchführen und macht sogar Eingriffe, welche selbst die besten sowjetischen Chirurgen, die so stolz auf ihre Stalin-Medaillen sind, nicht wagen würden, ja, von denen sie noch nie gehört haben. Wenn daher die russischen Frauen Seelen- oder Leibeströstung brauchen oder einer der russischen Parteibonzen auf den Tod erkrankt ist : Stets suchen sie die deutschen Ärzte auf, die mit ihren Händen das zu leisten vermögen, was die russischen Männer aufgrund ihrer Primitivität nie lernen werden. 209
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Doch auch auf allen anderen Gebieten sind die deutschen Männer den Sowjets selbstverständlich turmhoch überlegen : Sie haben einen angeborenen Sinn für Schönheit, Kameradschaftlichkeit und Gemüt, alles Dinge, die den Sowjets völlig unverständlich bleiben ; sie wissen, was Liebe, was Geist, was das »Höhere« im Leben ist ; sie verstehen sogar mehr von Technik, Industrie und Organisation, was den russischen Lagerverwaltern offenbar völlig abgeht, und werden daher von ihnen, falls sie sich dazu herablassen, gern in führende Stellungen eingesetzt. So leitet etwa ein gewisser Piotr Wernerowski (alias Peter Werner aus Chemnitz) eine der wichtigsten Fabriken in Stalingrad. Doch was die Deutschen letztlich vor all dem Russenvolk am meisten auszeichnet, ist ihre »Gläubigkeit«. Die hier dargestellten Kriegsgefangenen sind noch in einem echten Sinne fromm. Sie stellen ihr Schicksal in Situationen, in denen sich die Russen einfach besaufen würden oder lästerlich zu fluchen begännen, noch »in Gottes Hand« (15). Viele der Deutschen lesen daher im Lager die Bibel, bemühen sich ständig, ihre Ehrfurcht vor Gott unter Beweis zu stellen, und feiern Weihnachten auf eine so fromm-ergriffene Weise, dass selbst manchen Russen die Tränen in die Augen treten. Für sie ist der Mensch nicht einfach eine Zahl, ein Rädchen oder Schräubchen innerhalb einer riesigen Parteimaschinerie, sondern »ein Wunder Gottes« (169). Die meisten Konsalik-Deutschen haben daher überhaupt keine »niederen« Instinkte, nichts Triebhaftes, Untermenschliches, Asiatisches, sondern scheinen bloß aus Kameradschaftlichkeit, Gläubigkeit und Edelmut zu bestehen. Sie wollen sich nicht mit jenen »unreinen« Menschen vermischen, die nur ans Fressen, Saufen und Huren denken. Im Gegenteil. Sie wollen endlich nach Hause, und zwar zu ihren ebenso edelmütigen »weißen« Frauen und unschuldigen Kindern. Dass diese Deutschen noch kurz zuvor Nazifaschisten oder zumindest Angehörige der faschistischen Wehrmacht waren, wird dagegen durchweg verschwiegen. Für Konsalik sind sie lediglich Gefangene, leidende und heimwehsüchtige »Menschen«. Während er in einem Kriegsroman kaum umhingekommen wäre, auch die mordenden und sengenden Deutschen darzustellen, ließ sich dieser Aspekt in einem Lagerroman viel leichter umgehen. 210
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Man hört daher in Konsaliks Arzt von Stalingrad nichts von Adolf Hitler, nichts von Konzentrationslagern wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz, nichts von den mörderischen Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Nicht die Deutschen, sondern die Sowjets treten hier als die Missetäter auf. Sie sind die brutalen Unterdrücker, während die Deutschen nur als die Leidenden erscheinen, die sich nach Westen, in die »Freiheit« sehnen. In diesem Roman geht es ausschließlich um die Gegensätze : hie Gefangenenlager – dort unbegrenzte Freiheit, hie Kommunismus – dort Demokratie sowie hie Asien – dort Europa. Das Phänomen »Nazifaschismus« bleibt daher, oberflächlich gesehen, völlig am Rande. Und wenn es einmal auftaucht, wird jede ideologische Stellungnahme peinlichst vermieden. So weicht etwa Dr. Böhler der Frage, ob Stalin oder Hitler von einem größeren »Machtwillen« besessen sei, einfach aus (54). Auf solche Gegenüberstellungen lässt er sich überhaupt nicht ein. Stattdessen vergleicht er lieber das kapitalistische Wirtschaftssystem mit dem kommunistischen, wobei sein Urteil selbstverständlich zugunsten des kapitalistischen ausfällt, da sich hier Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht als Funktionäre, sondern als »Menschen« gegenüberständen (54). Und wie dieser Dr. Böhler denken und empfinden selbstverständlich auch die anderen Konsalik’schen Kriegsgefangenen. Alle wollen nach ihrer Entlassung in die westdeutsche Bundesrepublik und nicht in jene »Sowjetzone« oder »Russenzone« (94) gehen, wo man nur »nach der Pfeife der Politmänner tanzen« müsse (74). Doch ganz so säuberlich ließ sich der Nazifaschismus selbst in einem solchen Roman nicht verdrängen, obwohl sich Konsalik die größte Mühe gab, ihn zu einem Nichtproblem zu erklären und damit indirekt zu rechtfertigen. So werden etwa an einer Stelle zwei SS-Ärzte erwähnt, die in einem Schweigelager leben müssen, weil sie während des Kriegs mit Bazillen an Gefangenen herumexperimentiert haben. Diese Männer, die lediglich einen »schnellen Wirkstoff gegen die Cholera« finden wollten (165), wie es beschönigend heißt, werden von Konsalik in keiner Weise kritisch betrachtet. Im Gegenteil. Es sind gerade diese SS-Ärzte, die in seinem Arzt von Stalingrad als Beispiele deutscher Standhaftigkeit einen positiven Gegenpol zu der 211
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antifaschistisch gesinnten »Seydlitz-Gruppe« bilden (166), die als Vertreter einer ausgesprochen »dreckigen Politik« hingestellt werden (59). Nicht die SS-Offiziere sind für Konsalik die Schurken unter den Deutschen, sondern lediglich jene »Verräter«, die mitten im Krieg »zu den Russen überliefen und dort eine Hetzkampagne gegen die deutschen Brüder entfesselten« (166). Als daher ein Abgesandter der Seydlitz-Gruppe, und zwar der Major Passa dowski, der sich bereits durch seinen slawischen Namen disqualifiziert, die beiden SS-Ärzte zum Kommunismus zu bekehren versucht, bezeichnen ihn diese als »verdammtes Schwein« und spucken ihm einfach ins Gesicht (167). Während man also von den Russen, vor allem in ihrer »sowjetisierten« Form, hauptsächlich erfährt, dass sie brutal, triebhaft, hinterhältig, herzlos, kurz : Ausgeburten eines »asiatischen« Stalinismus sind, werden die Deutschen – von einem kommunistisch indoktrinierten »Verräter« wie Passadowski einmal abgesehen – durchgehend als mannhaft, treu, aufrecht, gläubig, kameradschaftlich hingestellt. Die Deutschen in diesem Roman wirken daher alle wie Menschen aus einem Guss. Sie liegen nicht in einem ständigen Zwiespalt mit sich selbst, wie manche der Sowjets, in denen der »Mensch« mit dem »Kommunisten« ringt, sondern verhalten sich so, wie sie es gewohnt sind : nämlich »edel«. Und dieser Edelmut muss sich unkritischen Lesern, da es nirgends zu einer durchgreifenden oder auch nur oberflächlichen Faschismuskritik kommt, notwendig als eine gute nazifaschistische Eigenschaft aufdrängen. Schließlich sind die hier dargestellten deutschen Soldaten ja alle Produkte des Dritten Reichs. Und wenn die Produkte so gut ausgefallen sind, muss auch das Herstellungsverfahren ein gutes gewesen sein. Konsalik fühlte sich daher – wie viele seiner reaktionären westdeutschen Zeitgenossen der fünfziger Jahre – völlig berechtigt, an diese »gute« deutsche Tradition einfach anzuknüpfen. Anstatt sich an eine Überwindung oder wenigstens eine Kritik des Nazifaschismus heranzuwagen, wird bei ihm einfach »weitergemacht«, was eine der miesesten aller Haltungen zum inzwischen untergegangenen NS-Regime war.
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III So betrachtet lässt sich Konsaliks Roman Der Arzt von Stalingrad sowohl als Lehre als auch als Alibi auffassen. Die Vertreter der älteren Generation, soweit es sich um ehemalige Nazis handelte, fühlten sich bei seiner Lektüre durchaus in dem Gefühl bestärkt, dass schon Hitler und das ihm vertrauende deutsche Volk das Abendland gegen den Kommunismus oder die »gelbe Gefahr« verteidigen wollten – und daher ihr eigenes Eintreten für den Nazifaschismus nicht ganz ungerechtfertigt war. Die Vertreter der jüngeren Generation wurden dagegen bei der Lektüre solcher Werke in dem Gefühl bestärkt, dass man ihre Väter nicht dauernd anprangern, sondern eher bemitleiden solle, da sie als Erste die Unmenschlichkeit jener Kommunisten am eigenen Leibe erfahren hätten, die auch heute noch eroberungslüstern nach Westen schielten und gegen die man daher gar nicht genug gerüstet sein könne. Und so hatte dieses Buch – trotz seiner romanhaft-trivialen Elemente – doch eine eminent politische Wirkung, wenn auch nicht auf die Elite der politisch Gebildeten, sondern auf die Masse der politisch Ungebildeten, die solche Schilderungen einfach für bare Münze nahmen. Dass dieser Roman so erfolgreich sein konnte, was unter anderem seine hohen Auflagen und seine höchst effektive Verfilmung beweisen, hing vor allem mit seiner äußerst geschickten Stereotypisierung und seinem ebenso raffinierten Oberflächenrealismus zusammen. Um das zu erreichen, gab sich Konsalik in diesem Roman alle Mühe, seinen Lesern so wenig massenabstoßende Theorien und so viele massenanziehende »wahre Geschichten« wie nur möglich zu bieten. Er bediente sich dabei jener pseudodokumentarischen Methode, mit der diese Art von Literatur gern arbeitet. So heißt es schon im Begleittext des Verlags, dass es sich bei diesem Werk um eine »wahre Geschichte« handele, die der Autor lediglich in »freier Gestaltung« etwas »verdichtet« habe (7). Wie bei den Landser-Heften des Pabel-Verlags, die mit ähnlichen Mitteln operierten, sollte damit den Lesern von vornherein das Gefühl der Authentizität suggeriert werden. Dazu dienten einerseits die stark subjektivierten Erzählperspektiven der einzelnen Kapitel, andererseits die Ausschnitte aus 213
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dem »Tagebuch des Dr. Schultheiß«, die in das Ganze eingesprengt sind. Die gleiche Funktion hatten die echten oder fingierten Leserbriefe, die sich auf dem Umschlag oder der letzten Seite solcher Romane finden, in denen beteuert wurde, dass es im Krieg oder den Kriegsgefangenenlagern nur so und nicht anders gewesen sei. Für solche Leser sollte der Arzt von Stalingrad, wie es in den Verlagsankündigungen hieß, das überzeugendste, weil wahrheitsgetreueste »Kriegsgefangenenbuch sein, das je geschrieben wurde«. Indem sich derartige Bücher als Ausdruck »reiner Wahrheit« gaben, hatten sie genau jene Wirkung, die sie bei anderen aufs Schärfste anprangerten : nämlich eine höchst ideologische. Auch der Arzt von Stalingrad, der auf dem Titelblatt als ein »Hohes Lied der Menschlichkeit” angepriesen wurde, das »keine alten Wunden aufreißen und keine neuen Wunden schlagen möchte«, tat daher alles, was er vorgab, vermeiden zu wollen : nämlich alte Wunden aufzureißen und neue Wunden zu schlagen. Er war keineswegs ein »Hohes Lied der Menschlichkeit«, sondern peitschte seine Leser unablässig zu politischen Hassgefühlen auf, die eindeutig ins Faschistisch-Rassistische züngelten. Alles Linke wurde in ihm geradezu als Teufelswerk hingestellt, was nicht nur die Affekte gegen den östlichen Kommunismus, sondern auch gegen jene Linke im eigenen Lande verstärkte, die – auf Seiten der Rechten – zumeist als Sympathisanten von Gewalt, Terror und Unmenschlichkeit charakterisiert wurden. Wer jedoch Gewalt verurteilt, hätte auch gegen einen Roman wie Der Arzt von Stalingrad protestieren müssen. Denn warum soll eine solche Literatur, nur weil sie vorgibt, »Kunst« zu sein, einen größeren Schutz genießen als andere rassistische oder neofaschistische Pamphlete ? Doch mit derartigen Protesten drang man in den fünfziger Jahren leider nur in den seltensten Fällen durch. Das musste schon jener Arbeitskreis von Bremer Pädagogen und Juristen erfahren, der bereits 1959 – aufgrund des § 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften – einen Indizierungsantrag gegen Konsaliks Kriegsroman Sie fielen vom Himmel (1958) stellte.18 Diese Indizierung wurde zwar am 6. Mai 1960 tatsächlich verkündet, jedoch schon im Jahre 1962 durch ein Verwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen wieder aufgehoben. Das Gericht bediente sich dabei 214
Heinz G. Konsaliks Bestseller Der Arzt von Stalingrad (1958)
Abb. 26 Heinz G. Konsalik mit seiner Partnerin bei einer Signierstunde seines Romans »Der schwarze Mandarin« (1994)
folgender Begründung : »An der Weckung der Verteidigungsbereitschaft der deutschen Jugend besteht ein lebensnotwendiges Interesse des Staates.«19 Solche Proteste verstummten auch danach nicht. Denn so viel besser wurden die Konsalik-Romane in der Folgezeit keineswegs. Noch immer dominierte in ihnen eine Kalte-Kriegs-Mentalität, die zwar nicht mehr so prüde war wie im Arzt von Stalingrad, sondern auch einen tüchtigen Schuss Sex in das Ganze mischte, aber sonst änderte sich in ihnen nicht viel. Doch das Schlimmste war, dass sich Konsaliks Romane weiterhin als so publikumswirksam erwiesen, dass ihre immense Popularität in den folgenden Jahren eher zu- als abnahm. Nach dem Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller hatte der Arzt von Stalingrad 1972 bereits eine Auflage von ca. zwei Millionen.20 In der Interviewserie »Von Tag zu Tag« des österreichischen Rundfunks erklärte Konsalik am 19. April 1979, dass der Arzt von Stalingrad 215
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jetzt eine Auflage von über drei Millionen erreicht habe. Die Gesamtauflage seiner Romane, bemerkte er bei dieser Befragung selbstgefällig, sei bereits auf 42 Millionen Exemplare angestiegen. Die Gründe für diesen phänomenalen Erfolg führte er vor allem die authentische »Wahrheit« seiner Fabeln und die »Volkstümlichkeit« seiner Sprache zurück. Ja, in den nächsten 20 Jahren ließen sich noch einmal 43 Millionen Exemplare seiner Romane absetzen.21 Diese Erfolgsquote hing einerseits mit dem marktwirtschaftlichen Verteilersystem, das heißt den in vielen Zeitungs- und Tabaksläden billig zu erstehenden Paperbacks sowie den Bestseller-Angeboten der großen Warenhäuser zusammen, wodurch die westdeutsche Buchproduktion von vornherein in festgelegte Bahnen gelenkt wurde. Doch andererseits war daran auch das »weitgehende Fehlen der Volkstümlichkeit in den Werken bürgerlich-humanistischer Autoren schuld«,22 die über dem ästhetischen Anspruch immer wieder die politische Absicht vergaßen. Die meisten ihrer Produzenten waren sich einfach zu fein, mit den Konsaliks und Konsorten endlich in einen effektiven Wettkampf zu treten.23
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Das Unpositive der kleinen Leute. Zum angeblich skandalösen »Animalismus« in dem Roman Die Blechtrommel (1959) von Günter Grass »Seine Blindheit gegen alles Ideologische feit ihn vor der Versuchung, der so viele Schriftsteller erliegen, der nämlich, die Nazis zu dämonisieren. Grass stellt sie in ihrer wahren Aura dar, die nichts Luziferisches hat : in der Aura des Miefs.« (Hans Magnus Enzensberger in seiner Rezension der Blechtrommel vom 18. November 1959)
I Die Skandale, die Günter Grass gegen Ende der fünfziger Jahre mit seiner Blechtrommel erregte, sind inzwischen fast zur Legende geworden. So viel Aufmerksamkeit würde heute – im Zeitalter der postmodernen Beliebigkeit – einer literarischen Neuerscheinung wohl kaum noch entgegengebracht werden. Schließlich gehört zu einem Skandal von solchen Ausmaßen ein breites, hochliterarisch interessiertes Publikum mit relativ festen ästhetischen und ideologischen Normen, das auf jeden Verstoß gegen die allgemein anerkannten Gepflogenheiten mit empörter Abwehrgeste reagiert. Und ein solches Publikum gab es in der Anfangsphase der ehemaligen Bundesrepublik tatsächlich noch. Es setzte sich weitgehend aus früheren NS-Sympathisanten sowie Vertretern jener sogenannten Inneren Emigration zusammen, die einen deutlichen Affekt gegen alles Realistische, Niedere, Tabubrechende hatten und sich hierbei entweder auf die Werke des großen nationalen Literaturerbes oder die Werte des Christlich-Religiösen, Humanistisch-Abendländischen sowie Ästhetisch-Elitären beriefen.1 Mochten diese Schichten auch politisch noch so verschiedenartig sein, in ihrem Festhalten an hochliterarischen Konzepten waren sie sich weitgehend einig. Sie vergaben deshalb die offiziellen Literaturpreise durchweg an die Bewahrer 217
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derartiger Überzeugungen und strichen auch in der Literaturkritik der großen Zeitungen und Zeitschriften fast ausschließlich mit ihnen ideologisch übereinstimmende Dichter heraus.2 Wer gegen solche Werte opponierte, hatte daher bis zum Ende der fünfziger Jahre kaum eine Chance, in eine breitere Öffentlichkeit zu dringen, was vor allem die alten Linken, aber auch einige Autoren und Autorinnen der »Gruppe 47« zu spüren bekamen, die sich nicht dem allgemeinen Trend ins Humanistisch-Abendländische oder Exquisit-Ästhetisierende anpassten, sondern dem 1949 gegründeten Adenauer-Staat – im Gefolge der kritischen Tendenzen der unmittelbaren Nachkriegszeit – mit einem inneren Widerwillen gegenüberstanden. Einer dieser Autoren war der junge Günter Grass, der erst als Kunststudent in Düsseldorf und dann in Westberlin Fuß zu fassen versuchte, aber aufgrund seines »Realismus« keine rechte Förderung fand, und sich deshalb von der Bundesrepublik nach Paris absetzte, um dort einen Roman zu schreiben, in dem er sich auf eine höchst unpositive Weise mit der Periode des Nazifaschismus und der westdeutschen Nachkriegszeit auseinandersetzen wollte. Und damit wären wir wieder bei unserem thematischen Ausgangspunkt. Als dieser Roman 1959 unter dem Titel Die Blechtrommel auf den Markt kam, reagierte die Mehrheit der Literaturinteressierten auf seine epische Direktheit in sexueller, religiöser und politischer Hinsicht anfangs recht distanziert, ablehnend oder gar empört, während die Minderheit der weiterhin kritisch Eingestellten dieses Werk als einen der ersten massiven Durchbrüche zu einer Gesellschaftsanalyse empfand, die sich fast mit den Meisterleistungen linksliberaler Autoren der Weimarer Republik, vor allem Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), vergleichen lasse. Doch während die konservative Mehrheit bis dahin alle Einbrüche ideologischer Aufmüpfigkeit erfolgreich abgewehrt hatte, wie der Fall Wolfgang Koeppen beweist, der mit seinen Romanen Tauben im Gras (1951), Das Treibhaus (1953) und Der Tod in Rom (1954) die von den Konservativen aufgerichtete Mauer gegen linke »Nestbeschmutzer« nicht durchdringen konnte, stieg Grassens Blechtrommel schnell zu einem Bestseller auf, der sogar die Verkaufserfolge der edelreaktionären Romane der fünfziger Jahre übertraf, ja, eine weltweite Wirkung erzielte. 218
Zum angeblich skandalösen »Animalismus« in dem Roman Die Blechtrommel (1959)
Abb. 27 Günter Grass bei einer Dichterlesung im deutsch-amerikanischen „Women’s Club“ in Westberlin am 24. Januar 1963
Woran lag das ? Sicher nicht nur an der ästhetischen Qualität der Blechtrommel. Mit literarischen Vorzügen allein lassen sich nie Erfolge erzielen, sonst hätten sich schon die bewusst »modern« geschriebenen Romane Wolfgang Koeppens und Arno Schmidts durchsetzen müssen. Zu einem solchen Durchbruch tragen innerhalb des literaturinteressierten Bildungsbürgertums stets mehrere Gründe bei. Im Fall der Grass’schen Blechtrommel waren dies – etwas vereinfacht gesprochen – vor allem folgende : 1. die allmähliche Auflösung der konservativen Einheitsfront im Zuge der durch die steigende wirtschaftliche Prosperität eintretenden »Liberalisierung« des geistigen und kulturellen Klimas, 2. die durch diese Liberalisierung geweckte Neugier auf literarische Novitäten, die sich nicht mehr an die noch aus den Zeiten der politischen Repression und ökonomischen Miserabilität stammenden 219
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Bescheidenheitsideale hielten, sondern einer größeren Lebenserwartung das Wort redeten, und 3. die damit verbundene Forderung nach literarisch avancierteren Erzählformen, um so das relativ schlicht formulierte Gesinnungspathos der konservativen Nachkriegsliteratur als veraltet hinstellen zu können. Und alle diese Erwartungen erfüllte Grassens Blechtrommel haargenau : Sie verhöhnte die religiöse Pietät sowie das Prinzip der bürgerlichen Respektabilität in moralischen Fragen – und kleidete ihre respektlosen Ansichten obendrein in eine Sprache ein, die sich ganz bewusst den Anstrich des »modern« Erzählten gab. Während also die Liberalen und die wenigen übriggebliebenen Linken beim Erscheinen dieses Romans zum größten Teil aufjubelten, boten die sich bereits im Rückzug befindlichen Verteidiger des Abendlands, der Adenauer’schen Restauration und des Kalten Kriegs, die bis dahin an den Schalthebeln des westdeutschen Literaturbetriebs gesessen hatten, alle nur denkbaren Mittel auf, dem Erfolg dieses Romans so massiv wie nur möglich entgegenzutreten. Und diese Mittel waren gegen Ende der fünfziger Jahre immer noch beachtlich. Die meisten konzentrierten sich dabei, wie bereits dargestellt worden ist,3 vor allem auf zwei Aspekte : den angeblich unsittlichen und den angeblich antireligiösen Charakter der Blechtrommel, während sie den politischen Aspekt dieses Romans, wie bei vielen solcher »Stänker und Weismacher«-Kampagnen,4 bei denen man den Sack schlägt und den Esel meint, lieber aus dem Spiel ließen, um sich nicht von vornherein in aller Offenheit als »reaktionär« bloßzustellen und somit in den Verdacht zu geraten, noch immer längst obsolet gewordenen politischen Anschauungen zu huldigen. Beginnen wir mit dem Vorwurf des Pornographischen, der anfänglich am häufigsten erhoben wurde.5 Hier ließe sich ein geradezu unübersehbarer Chor entrüsteter Kritiker ins Feld führen, aus dem im Folgenden wenigstens einige Einzelstimmen herausgegriffen werden sollen. So warf Walter Widmer dem Autor der Blechtrommel ein »oft obszönes Draufgängertum«, wenn nicht gar ein »bedenkenloses Hinwegschreiten über sämtliche Schranken der bürgerlichen Moral« vor. Selbst »unvoreingenommene Leser«, hieß 220
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es bei ihm, würden bei der Lektüre »gewisser Kruditäten« dieses Romans, der zu den »schockierendsten Büchern« gehöre, die »je geschrieben wurden, sicher aufschreien«.6 Ein anonymer Rezensent der Zeitschrift Unser Danzig nannte die Blechtrommel ein Produkt »allerübelster Pornographie«.7 Peter Hornung sprach von den »Amouren eines Gnoms«, die sich im Laufe der Handlung zu einem Crescendo des »Absurden und Abstoßenden« steigerten.8 William S. Schlamm erklärte nach der Lektüre dieses Romans apodiktisch, dass der »Geschlechtsakt« überhaupt kein Thema der Literatur sei.9 Kurt Ziesel sprach im Hinblick auf die Blechtrommel von einem »skandalösen Exhibitionismus pornographischer Exzesse«.10 Während Erotik durchaus ein Gegenstand der Literatur sein dürfe, betonte er, liege diesem Roman lediglich das »Bedürfnis nach Schmutz« zugrunde.11 Wilhelm Horkel bezichtigte Grass, sein »echtes Erzählertum« zwecks »schneller, sensationeller Erfolge in der Weltpresse« an die »peinlichst genaue Darstellungen des Sexuellen in seinen trübsten Spielarten bis hin zur Sodomiterei verraten« zu haben.12 Hans Müller-Eckhard bezeichnete das Ganze als ein »fragwürdiges Feuerwerk kotiger und skandalöser Dinge«, ja, als eine »einzigartige Kaskade einer trüben Schmutzflut«, dessen Diktion »so niedrig« sei, dass er davor warne, es »Menschen mit unverdorbenem Geschmack in die Hand zu geben«.13 Günther Sawatzki klagte Grass an, in diesem Roman einem »brünstigem Verlangen nach Geilheit, Gemeinheit, nach zwanghafter Verhöhnung und krankhafter Beschmutzung sämtlicher geltenden Werte« hemmungslos nachgegeben zu haben, usw. usw.14 Fast alle dieser Einwände kamen von Seiten jener Vertreter des katholischen, altfaschistischen oder allgemein konservativen Lagers, die sich angesichts der allmählichen Liberalisierungstendenzen im Gefolge des sogenannten Wirtschaftswunders als die letzten Hüter von Zucht und Sitte verstanden und daher – im Sinne älterer Schmutz-und-Schund-Vorstellungen – jeden Verstoß gegen die sexuellen Normen der bürgerlichen Gesellschaft als peinlich, verderbt, nihilistisch, zersetzend, unappetitlich, ekelerregend oder schlechthin abartig anprangerten. Und diese Kritiker konnten bei solchen Angriffen bis zur Mitte der sechziger Jahre noch auf die Unterstützung 221
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vieler offizieller Stellen rechnen, die den Autor der Blechtrommel ebenfalls als einen jener »Pinscher«, »Köter« oder »Schmeißfliegen« zu diffamieren versuchten, die es nicht lassen könnten, als literarische Schmutzfinken in irgendwelchen »Unflätereien« herumzustochern, statt sich an den angeblich unübersehbaren Vorzügen der sauberen Nickel- und Chromglanz-Fassade des westdeutschen Wirtschaftswunders zu erfreuen. Dafür spricht das empörte Votum des Senats der Hansestadt Bremen gegen den von einer unabhängigen Jury gemachten Vorschlag, Günter Grass 1960 wegen seiner Blechtrommel mit dem Bremer Literaturpreis auszuzeichnen.15 Ja, 1963 erklärten sich 15 Bundestagsabgeordnete mit jenem Kurt Ziesel solidarisch, der Grass als »Verfasser übelster pornographischer Ferkeleien« angegriffen hatte.16 Ebenso entrüstet äußerte sich Bundespräsident Heinrich Lübke über die frühen Werke von Günter Grass, in denen dieser Autor »so unanständige Sachen« darstelle, wie er sich ausdrückte, »über die nicht einmal Eheleute miteinander reden würden«.17
II Diesen Sturm im Wasserglas überhaupt noch zu verstehen, fällt heute nicht mehr leicht. Nachdem gegen Ende der sechziger Jahre fast alle Vorbehalte gegen ehemals als »pornographisch« geltende Schriften, darunter selbst die Werke des Marquis de Sade, die Geschichte der O und Ähnliches, ausgeräumt wurden, konnten vor allem jüngere Oberschichtenleser und -leserinnen, die bereits im Rahmen des steigenden Wohlstands und der damit verbundenen größeren Freizügigkeit in sexuellen Dingen aufgewachsen waren, über solche Entrüstungen nur noch lächeln. Sie hatten sich inzwischen an einer wesentlich »härteren« Lektüre delektiert, um sich noch über Grassens angebliche »Ferkeleien« erregen zu können. Schließlich passiert auf den 731 Seiten der Blechtrommel nicht allzu viel Erotisches oder gar Pornographisches, was man heute als »hardcore« bezeichnen würde : Koljaiczek vergnügt sich »unter den Röcken der Großmutter« ; Jan Bronski lässt beim Skatspielen seinen Fuß unter dem Tisch an Frau Matzeraths Schenkeln hinaufwandern und verschwindet später mit ihr manchmal für eine »Dreiviertelstunde« in einer 222
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billigen Pension ; die Kinder spielen »Arzt und Patient« miteinander ; der Gemüsehändler Greff hat offenbar homoerotische Neigungen ; der kleine Oskar sieht, dass der geschnitzte Jesusknabe in der Herz-Jesu-Kirche nicht beschnitten ist und bekommt eine Erektion, als er dessen »Gießkännchen« betastet ; die siebzehnjährige Maria, das Dienstmädchen mit den »vollen Brüsten«, die so schön nach »Vanille« riecht, schrubbt ihn in der Badewanne und hat im Strandbad keinerlei Scheu, sich vor Oskar nackt auszuziehen, für so harmlos hält sie ihn noch ; später lässt sich Maria von ihm mit Speichel vermischtes Brausepulver in die Handfläche und dann auch in die Bauchnabelkuhle schütten und erregt sich dabei, ja, lässt ihn zeitweilig sogar in ihrem »Mooswäldchen« wühlen, wo es nach »Himbeeren und Pfifferlingen« duftet ; anschließend beobachtet Oskar voller Eifersucht, wie es Maria mit seinem Vater auf dem Sofa treibt, und tröstet sich danach mit der »ängstlichen« Roswitha ; nach dem Krieg findet er etwas »nicht allzu kostspielige« Wärme bei der schweigsamen Hannelore und verliebt sich schließlich in die Krankenschwester Dorothea, die er in einer makabren nächtlichen Szene auf einer Kokosmatte verführen möchte, wobei er jedoch jenes kleine Fiasko erleidet, das ihm verwehrt, an das letzte Ziel seiner Wünsche zu kommen. Männliche Leser, die inzwischen Sexus (1949) von Henry Miller gelesen hatten, fanden solche Szenen schon um 1970 entweder zu »kindisch« oder nicht »animierend« genug. Mochte auch die spätere Sekundärliteratur noch so ausführlich auf die autoerotischen, narzisstischen, onanistischen, psychosexuellen, dämonisierenden, regressiven und heterosexuellen Aspekte der in diesem Roman dargestellten Erotik eingehen, viel Aufsehen war mit solchen Analysen nach diesem Zeitpunkt nicht mehr zu machen.18 Die meisten liberalen Literaturkritiker hatten inzwischen nicht nur die endlich freigegebenen Klassiker der Erotik, sondern auch all jene freizügigen Bücher gelesen, in denen sich Autoren und Autorinnen wie Hans Giese, Horst Albert Glaser, Peter Gorsen, Ludwig Marcuse sowie Eberhard und Phyllis Kronhausen, denen negativ besetzte Begriffe wie »obszön« oder »pornographisch« bereits damals als reichlich obsolet erschienen, zu einem erotischen 223
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Hedonismus bekannten.19 Und damit wurden auch im Hinblick auf die Blechtrommel allmählich jene Stimmen immer zahlreicher, die – wie Walter Höllerer, Joachim Kaiser, Jost Nolte und Marcel Reich-Ranicki – zur Rechtfertigung der Grass’schen Offenheit in eroticis bereits um 1960 eher die realistischen als die pornographischen Aspekte der von den konservativen Kritikern indizierten Szenen herausgestellt hatten. Unter Berufung auf Jost Noltes Diktum von 1959 : »Wenn Oskar erzählt, gibt es keine Tabus. Gesagt wird, was ist«,20 hieß es jetzt immer häufiger, dass Grass in diesem Roman endlich mit den »verklemmten Sexualtabus« der älteren bürgerlichen Gesellschaft aufgeräumt habe.21 Wer sich noch immer über die angeblichen »Ferkeleien« des kleinen Oskar errege, betonten solche Kritiker, entlarve sich damit lediglich als spießbürgerlicher Banause, wenn nicht gar unverbesserlicher Reaktionär. Schließlich seien die »sexuellen Szenen« in der Blechtrommel, wie Lothar Romain 1971 schrieb, »nach heutigen Begriffen geradezu verdächtig harmlos«.22 Ja, Grass selber wertete die Stimmen solcher Reaktionäre als den Ausdruck einer »altjüngferlichen Entrüstung« ab, wie er 1965 in seiner Büchner-Preis-Rede Über das Selbstverständliche sagte. Ähnliche Prozesse spielten sich im Bereich jener Kritik ab, die Grass vorwarf, sich in seiner Blechtrommel auf eine geradezu blasphemische Weise über die Würdenträger und Sakramente der katholischen Kirche lustig gemacht zu haben. Vor allem jene Szene, in der sich Oskar im Rahmen einer Gruppe halbwüchsiger Gangster zum Erlöser stilisiert, sich Jesus nennt und eine Art Schwarzer Messe zelebrieren lässt, aber auch die Szene mit dem geschnitzten kleinen Jesusknaben und seinem unbeschnittenen »Gießkännchen« musste um 1960 die christlich orientierten Kreise noch notwendig erbittern. So bezichtigte etwa Peter Hornung in seiner Rezension der Blechtrommel, die unter dem Titel Oskar Matzerath – Trommler und Gotteslästerer (1959) in der Würzburger Deutschen Tagespost erschien, Grass, sich in diesem Roman über jeden »moralischen und ethischen, ganz zu schweigen religiösen Anspruch« hinweggesetzt zu haben.23 Hans Müller-Eckhard wies im gleichen Jahr empört auf jene Szene hin, in der Oskar vor dem Hochaltar steht und den ans Kreuz geschlagenen Christus als »süßen Vorturner, 224
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Sportler aller Sportler, Sieger im Hängen am Kreuz unter Zuhilfenahme zölliger Nägel« anredet. Nicht minder erzürnte es ihn, dass Oskar »beim Stuhlgang Worte wiederholt, die in der Messe gesprochen werden«.24 Andere christlich orientierte Kritiker gingen deshalb so weit, den gesamten Roman als eine Darstellung der »Sündhaftigkeit der Welt« und damit der »unerlösten Menschheit« anzuprangern,25 die ihren Lesern oder Leserinnen keinerlei Anleitungen gebe, wie sie aus einem solchen Sündenpfuhl wieder auf den rechten Weg zu einem wahrhaften Gottvertrauen zurückgelangen könnten. Doch auch diese Form der Kritik trat – wie die Kritik an den »pornographischen Ferkeleien« – im Laufe der sechziger Jahre zusehends in den Hintergrund. Je mehr die noch hochideologisierte, abendländisch-katholische Politik Konrad Adenauers von der neoliberalen Sicht Ludwig Erhards abgelöst wurde, die auf alle ideologischen Überhöhungen weitgehend verzichtete und in der Bundesrepublik nur noch ein »wirtschaftliches Rahmengebilde« sah, dessen Hauptfunktion darin bestehe, dem »persönlichen Bereicherungsdrang des einzelnen so wenige Schranken wie nur möglich entgegenzustellen«,26 desto großzügiger wurden selbst die Konservativen in Fragen der Pietät den überlieferten christlichen Traditionen gegenüber. Statt weiterhin auf eine strenge Einhaltung der Sakramente und Gebote zu pochen, gaben auch sie dem allgemeinen Trend ins Liberalistische nach, was selbst auf diesem Sektor eine immer größere Laxheit mit sich brachte, die – wie die Abschwächung der erotisch-moralischen Normvorstellungen – ihre positiven wie ihre negativen Seiten hatte. Einerseits führte sie im Zuge der allgemeinen Dialektik der Moderne zur Lockerung von bisher recht rigide gehandhabten Moralkonzepten, andererseits beförderte sie – gewollt oder ungewollt – eine unverbindliche Verfreiheitlichung. Und so gab es schließlich immer weniger über den persönlichen Durchsetzungs- und Bereicherungsdrang hinausgehende Wertvorstellungen. Demzufolge wurde auch ein Werk wie die Blechtrommel, das bis dahin mitten im Spannungsfeld von miteinander im Konflikt stehenden Wert- und Moralsystemen gestanden hatte, zu einem zwar unterhaltsamen, aber nichtssagenden Produkt einer pluralistisch-unverbindlichen Kulturindustrie. Man könnte auch sagen : 225
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Indem dieser Roman nicht mehr kritisiert wurde, galt er zwar nicht mehr als Skandalon, büßte aber zugleich seine ideologische Sprengkraft ein.
III Was dagegen im Bereich der Kritik um 1959 fast völlig fehlte, waren ernst zu nehmende Stimmen, welche auf die in diesem Roman erwähnten nazifaschistischen Organisationen und Verhaltensweisen eingegangen wären. Solche Töne klangen zwar manchmal an, wurden aber nie in den Mittelpunkt der Kritik gerückt. So heißt es einmal bei Jost Nolte, dass sich Grass in diesem Roman auch darum bemühe, die »braune Macht« durch vielerlei »Deformationen« und »Karikaturen« der »Lächerlichkeit« auszuliefern. Ja, er schrieb sogar : »Sein Witz tötet«, blieb aber dann seinen Lesern und Leserinnen eine genauere Auskunft, wie Grass das in der Blechtrommel im Einzelnen anstelle, weitgehend schuldig.27 Auch Peter Hornung wies nur ganz kurz auf das »Groteske« des »zackigen Aufmarschs eines HJ-Fähnleins« hin.28 Daher hat man bei der Lektüre dieser Rezensionen manchmal fast den Eindruck, als ob die meisten Kritiker nur darum so ausführlich auf die angeblich pornographischen und religiös-blasphemischen Partien dieses Romans eingingen, um sich nicht mit seiner, wenn auch noch so vagen, Faschismusthematik auseinandersetzen zu müssen. Schließlich waren, wie sich auf allen anderen Gebieten feststellen lässt, selbst die späten fünfziger Jahre noch weitgehend jene Zeit, in der sich in Westdeutschland fast niemand – gleichviel welcher Couleur – mit der braunen Vergangenheit beschäftigte. Dementsprechend ging auch Grass in der Blechtrommel auf das Thema »Nazifaschismus« noch nicht so gründlich ein, wie man das von einem entschiedenen Gesellschaftskritiker erwarten würde. Erst in der Novelle Katz und Maus, die zwei Jahre später erschien, setzte er sich – wie Rolf Hochhuth und Peter Weiss in ihren Dramen Der Stellvertreter (1963) und Die Ermittlung (1965) – wesentlich ausführlicher und präziser damit auseinander. In der Blechtrommel bleibt dagegen dieser Bereich noch am Rande. So hören wir zwar, dass Vater Matzerath 1934 in die Partei eintritt und im Wohnzimmer ein Hitler-Bild aufhängt, weil er in der NSDAP die »Kräfte 226
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der Ordnung« am Werke sieht, aber sonst spielt das Faschismus-Thema eine recht untergeordnete Rolle. Wenn man genauer hinsieht, stößt man zwar hin und wieder auf vereinzelte Hinweise auf die NS-Frauenschaft, den Bund deutscher Mädel, den Film Hitlerjunge Quex, das Winterhilfswerk, die Euthanasie von Behinderten, die SS-Heimwehr, das NSKK und den HJ-Streifendienst. Aber diese Dinge werden nur erwähnt, ohne dass weiterführende Reflexionen daran geknüpft würden. Auch dass Oskars Vater zum Zellenleiter aufsteigt, Danzig zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder Teil des Deutschen Reiches wird, die Nazis die örtliche Synagoge in Brand stecken und auf das Schaufenster des alten Markus das Wort »Judensau« schmieren, es im Krieg plötzlich »Fliegeralarm« gibt, einige der Jungen als Flakhelfer eingezogen werden, im Radio von »Wunderwaffen« und vom »Endsieg« die Rede ist sowie die Tatsache, dass Vater Matzerath bei Kriegsende sein Parteiabzeichen vom Rockaufschlag reißt, es verschluckt und daran stirbt : All das wird nicht in eine genau ausgeführte Analyse des Hitler-Faschismus eingebettet, sondern lediglich aufgezählt oder ins Makabre stilisiert. Selbst das Faktum, dass der kleine, ständig trommelnde Oskar eine Paro die auf den Trommler Hitler darstellen soll, reicht letztlich nicht aus, um diesen Roman als eine ernst zu nehmende Faschismusanalyse zu qualifi zieren. Zugegeben, auch Oskar beschließt, »Künstler« zu werden, auch Oskar hat Hitlers bestechend blaue Augen, auch Oskar besitzt lediglich das dem Aufsteiger Hitler häufig angelastete unzusammenhängende Halbwissen, auch Oskar stilisiert sich wie Hitler zum Erlöser, auch Oskar hat manchmal pseudoreligiöse Anwandlungen und vieles andere mehr, worin sich eine karikaturistische Sicht Hitlers anzudeuten scheint.29 Doch was ist damit letztlich über den Nazifaschismus gesagt ? Dass dem Gehabe Hitlers ein Napoleon-Komplex, ein Sich-Emporrecken aus körperlicher Kleinheit zu imperialer Größe zugrunde lag ? Dass sich also Oskar bewusst entscheidet, kein Hitler zu werden, indem er einfach nicht weiterwächst und kein Politiker wird, sondern sich unter der Treppe oder unterm Tisch versteckt, unter die Röcke seiner geliebten Großmutter kriecht, unter die Bettdecke des Dienstmädchens Maria schlüpft, um dort nach Himbeeren zu suchen, 227
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das heißt sich eine Sicht von unten angewöhnt, um es nicht jenen »Großen« gleichzutun, die auf alle anderen Menschen von oben herabsehen und damit den Blick für die kleinen, konkreten, entscheidenden Dinge des tagtäglichen Lebens verlieren ? Diese Perspektive ist sicher in der Blechtrommel angelegt und ließe sich mit vielen weiteren Details erhärten. Doch ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger erscheint mir die Behauptung, dass diesem Roman die seit den späten zwanziger Jahren unter Linken weitverbreitete These zugrunde liege, im Nazifaschismus ein typisches Kleinbürgerphänomen zu sehen, der daher in dieser Schicht seine breiteste Zustimmung gefunden habe.30 Schließlich hat Grass später selber einmal gesagt, dass er in seiner Blechtrommel vor allem zeigen wollte, wie nachdrücklich sich neben den »tragenden Schichten« der deutschen Gesellschaft, also den »Großbürgern« und den »Kirchen«, vor allem die »Kleinbürger« Hitler und seiner Partei angeschlossen hätten, weil sie als Masse »politisch heimatlos« und daher leicht »verführbar« gewesen seien.31 Das ist keine nachträgliche Interpretation, sondern trifft auf den Roman im Ganzen durchaus zu. Außer um einen Priester geht es in ihm vornehmlich um Ladenbesitzer und kleine Angestellte, also Menschen mit einer für die damalige Zeit typischen Kleinbürgermentalität, die sich vor allem in ihrer Vorliebe für die anspruchslosen Freuden des Lebens, mit anderen Worten : das regelmäßige Kartenspiel, die sonntäglichen Ausflüge, den Spaß am Kochen, das unentwegte Palaver über das Essen, den verstohlenen Spaß am Sexuellen und das Nachplappern der herrschenden Meinungen äußert.32 Darin sind sich fast alle Figuren des Romans einig. Alle Grass’schen Kleinbürger schließen sich instinktiv den herrschenden Machtträgern an, besonders wenn diese ihnen »Gesetz und Ordnung«, das heißt einen scheinbar ewigen Fortbestand der gesellschaftlichen Verhältnisse versprechen, tun das aber nicht aus innerer Überzeugung heraus oder weil sie sich einer bestimmten Ideologie verschreiben, wie das bei vielen großbürgerlichen Idealisten oder Intellektuellen die Regel ist, sondern weil es ihnen letztlich um einen möglichst ungestörten Weiterbestand des Status quo, also um Kochen, Essen, Kartenspielen, Kannegießern und Triebbefriedigungen geht. Mehr wollen sie 228
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Abb. 28 Günter Grass : Cover-Entwurf (1959)
gar nicht – und hoffen daher letztlich auf ein gütiges Schicksal oder irgendeine »Vorsehung«, welche ihnen diesen idyllischen Frieden erhält. Selbst der kleine Oskar, der bewusst aus der Reihe schert, trägt viele Züge dieser Haltung dem Leben gegenüber und ist trotz seiner körperlichen Gnomenhaftigkeit kein totaler Außenseiter, sondern stellt lediglich in dialektischer Verschränkung die Kehrseite dieser Mentalität heraus. Er hat einfach nicht das Zeug oder das bildungsmäßige Training, sich geistig über sie zu erheben, ja, will es letztlich auch gar nicht. Er ist weder ein Intellektueller, der sich eine nonkonformistische reservatio mentalis der kleinbürgerlichen Welt gegenüber bewahrt, noch will er durch finanzielle Manipulationen aus dieser Klasse in eine andere, höhere Gesellschaftsschicht aufsteigen. Ihm ist es bei seiner Großmutter, seiner Mama, seiner Maria ganz wohl und er würde am liebsten den Rest seines Lebens bei ihnen bleiben. Warum entscheidet er sich also, ein Zwerg zu werden und damit aus diesem ihm so vertrauten Milieu, in 229
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dem das Prinzip der Normalität herrscht und das für Außenseiter überhaupt keinen Sinn hat, auszuscheiden ? Tut er das nur aufgrund der Omnipotenz seines Autors, der durch diesen erzählerischen Trick in eine relativ geschlossene Gesellschaft einen Geheimagenten einschmuggeln kann, der zwar einer der Ihren ist, aber durch den Anschein der kindlichen Zurückgebliebenheit wie ein Fremdling wirkt und somit ausgezeichnet als außenstehender, aber anteilnehmender Berichterstatter dieser Gesellschaftsschicht fungieren kann ? Es fällt schwer, eine solche Frage mit einem eindeutigen »Nein« zu beantworten. Demzufolge bleibt auch der kleine Oskar dem »Unpositiven« dieser Menschen zutiefst verbunden. Er trommelt zwar unentwegt, um seinem Missbehagen an manchen Formen dieser Gesellschaft oder auch seinen unterdrückten Triebwünschen Ausdruck zu verleihen, aber er hat nicht die Statur eines tatsächlichen Rebellen. Dazu fehlt es ihm an Gesinnung, an Idealismus, an einem revolutionären Elan, der über den kleinbürgerlichen Mief des ihn umgebenden Milieus hinausgehen würde. Alles, was er tut, bleibt daher letztlich egozentrisch, wenn nicht gar autistisch. Es fehlt ihm jener durch ein intensives Studium der Politik, Ökonomie und Soziologie vermittelte Durchblick, um auch die Hintergründe des nazifaschistischen Systems ins Auge fassen zu können. Er kann zwar mit seiner hohen Stimme alles ihn umgebende Glas zersingen, ja, er kann sogar durch sein hartnäckiges Trommeln eine von der NSDAP organisierte Versammlung durcheinanderbringen, aber er bleibt in vielen anderen seiner Aktionen diesem System zutiefst verhaftet. Gegen Ende des Krieges trägt er sogar noch im Rahmen eines von Truppenteil zu Truppenteil ziehenden Fronttheaters zur Belustigung und damit zum Durchhaltewillen der deutschen Soldaten bei. All das hat trotz aller makabren, barocken oder gar Rabelais’schen Züge, wie oft dargestellt wurde, durchaus seine »Realistik«. Die Kleinbürger dieser Ära haben sich sicherlich mehrheitlich so verhalten, wie Grass sie darstellt. Diese Schichten machten sich keine großen Gedanken über Politik, sondern schlossen sich einfach den Herrschenden an. Sie wollten letztlich »ihre Ruh’ ham«, das heißt unter einer autoritären Schirmherrschaft einfach so weiterwursteln, wie sie das als naturgegeben, wenn nicht gar gottgegeben 230
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empfanden. Daher waren sie für den Nazifaschismus, der ihnen all das versprach, ein ideales Stimmvieh oder zumindest eine willfährige Gefolgschaft. Sie machten einfach mit und drangen selbst in ihren Abtrünnigen, ihren Außenseitern, selten über diese Mentalität hinaus. Während der Arbeiterklasse in den zwanziger Jahren durch ihre intellektuell geschulten Führer klare Ideen eines politischen und sozialen Fortschritts vermittelt worden waren, gab es für die Masse der Kleinbürger keine solchen Parteien, die ihnen irgendwelche progressiven Leitziele vorgeschrieben hätten. Sie blieben weitgehend sich selbst überlassen und fielen daher zwangsläufig jenen zum Opfer, die ihnen das Gefühl gaben, der gesunde Mittelstand zu sein, der im Gegensatz zu den oberen Zehntausend und dem Proletariat keinerlei Ideologie bedürfe, sondern das eigentliche »Maß aller Dinge« oder die Manifestation des »gesunden Volksempfindens« sei. Doch vielleicht ist selbst das schon viel zu hoch gegriffen. Letztlich hatten diese Schichten überhaupt keine Weltanschauung, außer der einer unmittelbaren Lebenszugewandtheit. Sie wollten lediglich in ihren kleinen Berufen überleben und all jene anspruchslosen Freuden genießen, die Grass in seiner Blechtrommel so ausführlich beschreibt. All das wirkt auf den ersten Blick recht überzeugend. So waren nun einmal die Kleinbürger der zwanziger und dreißiger Jahre, die sich mehrheitlich dem Nazifaschismus anvertrauten, weil sie sich von ihm noch am ehesten eine gewisse Stabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse versprachen. Und damit könnte man sich interpretatorisch eigentlich begnügen. Doch was ist mit einer solchen Sicht letztlich gewonnen ? Trug sie zu einem politischen Umdenken bei oder verhärtete sie lediglich bestehende Vorurteile, indem sie die Welt der in diesem Roman geschilderten Kleinbürger als das »Maß aller Dinge« beschrieb, kurzum : als eine Welt, in der sich der kleine Oskar zwar als Außenseiter fühlt, die aber Grass mit so vielen liebenswerten Zügen ausstattet, dass man keinen wirklichen Abstand zu ihr gewinnt ? Trotz des bösen Blicks, den sein Trommler manchmal entwickelt, wird hier nichts bewusst »verfremdet«. Hier bleibt man ständig nah an den geschilderten Fakten und den durch sie ausgelösten Gefühlen. Hier drängt sich einem das dargestellte Milieu geradezu physisch auf. Hier wird man beim Lesen 231
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manchmal selber zum Kleinbürger, indem man sich mit den äußerst suggestiv dargestellten Vorgängen zu identifizieren beginnt. Und damit ist das Ganze letztlich doch keine wirkliche Faschismusanalyse, die klar umrissene Erkenntnisse zum Wesen dieser Bewegung und ihrer verschiedenen Ideologiekomplexe erlaubt, sondern bleibt immer wieder im Privaten, Persönlichen, wenn nicht gar Vergnüglichen, stecken. Was damit gesagt werden soll, wird vielleicht noch deutlicher, wenn man die kleinbürgerliche Welt der Blechtrommel einmal mit der Welt in Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943) vergleicht. Auch dort handelt es sich vornehmlich um Kleinbürger, denen wie den von Grass geschilderten Figuren – neben dem geschäftlichen Überleben – ebenfalls die materialistischen Aspekte des Lebens, also das Kochen, Essen, Trinken und Triebbefriedigen das Wichtigste sind. Und wie bei Grass spürt man auch hier eine deutliche Sympathie mit den in diesem Drama dargestellten Figuren, vor allem mit Schweyk selbst, dessen Hašek’sches Urbild Brecht lebenslang fasziniert hat. Allerdings bleibt hierbei stets eine kritische Perspektive erhalten. Schließlich wird bei Brecht die Welt der Kleinbürger am Schluss auf eine höchst surreale und doch zutiefst »realistische« Weise mit der Welt der herrschenden NS-Größen konfrontiert, deren weltballumspannende Pläne vor allem daran scheitern, weil sich Kleinbürger wie Schweyk nicht mit idealistischem Eifer bis zum Letzten mitreißen lassen, sondern immer nur an ihre materiellen Eigeninteressen denken. Das Unpositive dieser kleinen Leute, also ihr mangelnder Idealismus, ist also bei Brecht gerade das Positive an ihnen. In einem unerbittlichen Lebenskampf gehärtet, der ihnen kein Ausruhen auf irgendwelchen Liegenschaften oder Kapitalreserven erlaubt, halten sich seine Schweyk-Typen mit einem höchst konkreten Sinn an das Nächstliegende, nämlich ihre eigenen Bedürfnisse, und lehnen alles Ideologische, alles Utopische von vornherein als »spinnert« ab. In diesem Punkte dachte Brecht durchaus wie Marx, der die Lohnsklaven des Kapitalismus wie auch die Kleinbürger nie idealisierte, sondern ihre Qualität hauptsächlich in ihrer numerischen Überlegenheit oder ihrer kritischen Haltung allen idealistischen Überspanntheiten gegenüber gesehen hat. 232
Zum angeblich skandalösen »Animalismus« in dem Roman Die Blechtrommel (1959)
IV Von einer solchen Einstellung ist dagegen in der Blechtrommel nicht viel zu spüren. Während Brecht aus dem Großbürgertum stammte und daher das Kleinbürgertum – je nach politischer Situation – entweder als objektiv gefährlich, weil faschismusanfällig, oder wie in seinem Schweyk-Drama mit deutlicher Sympathie als unidealistisch darstellte, empfand sich Grass in den fünfziger Jahren trotz seiner künstlerischen Ambitionen noch durchaus als Kleinbürger. Er brachte daher in die Faschismusanalyse seiner Blechtrommel das Kleinbürgertum nicht als strategisch eingesetztes Element hinein, sondern verwandte es als das ihm Vertraute und Naheliegende. Schließlich war er als kleiner Günter in Danzig im kleinbürgerlichen Milieu einer Zweizimmerwohnung mit winziger Küche und Klo auf dem Flur groß geworden und mit zehn Jahren erst Pimpf, dann Hitlerjunge, Flakhelfer und mit 17 Jahren Soldat geworden,33 hatte also nur eine höchst mangelhafte Schulbildung erhalten und empfand sich darum nach dem Krieg in Westdeutschland als heimatlos und ungebildet. Obwohl sich Grass später auf vielen Gebieten ein bedeutendes Wissen aneignete, hatte er also bei der Niederschrift der Blechtrommel noch keinen Bezug zu jener bildungsbürgerlichen Tradition, die meist die Ausgangsbasis für eine Schriftstellerkarriere ist. Im Gegensatz zu den meisten Autoren aus den Oberschichten stellte er deshalb gern auf höchst provokante Weise seine Unterklassenmentalität, wie überhaupt seine Freude am sinnlichen Ausleben, am Essen, Trinken und anderen lustvollen Dingen, zur Schau. Die gleiche Haltung nahm der junge Grass dem Schreiben gegenüber ein. Statt eine ideologische »Bestätigungs- oder Tendenzliteratur« zu produzieren, wollte er, wie er häufig betonte, auf »sinnliche Weise« aufklären.34 Daher spürt man selbst auf diesem Gebiet seine eminente Freude an allem Greif-, Riech- und Schmeckbaren, das heißt an einer »malerisch-plastisch-taktilen« Wirklichkeitsbezogenheit,35 wie sie auch in seinen gleichzeitig entstandenen graphischen Werken zum Ausdruck kommt. In diesen Jahren ging es Grass, im Gegensatz zu seinen späteren Wahlreden für die SPD, noch nicht um Ideen oder politische Programme, sondern um eine unmittelbare, mit 233
Das Unpositive der kleinen Leute
anderen Worten : durch keine intellektuelle Interpretation gefilterte Realität. »Unser Grundübel ist der Idealismus«, sagte er demzufolge in einem Spiegel-Interview der sechziger Jahre,36 in dem er sich gegen alle ideologisierenden Tendenzen in der westdeutschen Literatur dieses Zeitraums wandte. Statt den deutschen Nazifaschismus als eine ideologiegesteuerte Bewegung hinzustellen oder gar zu »dämonisieren«, behauptete er in diesem Zusammenhang, sei es in der Blechtrommel seine Absicht gewesen, ihn auf die ganz konkreten, niederen, materiellen, also unpositiven, unidealistischen Bedürfnisse der kleinen Leute zurückzuführen. Aufgrund dieser Haltung landete Grass in diesem Roman – trotz aller episodenhaften Ausflüge ins Surreal-Barocke – zwangsläufig bei einem Empirismus, der vor allem die angeblich niederen Antriebskräfte der Menschen wie ihre Esslust, ihr sexuelles Begehren, ihre Verdauung, ihren Durst, ihre Entleerungsprozesse, also das Animalische herausstellte, während er dem Geistig-Sittlichen eine wesentlich geringere Aufmerksamkeit schenkte. Daher wird in der Blechtrommel ständig auf Dinge wie Herunterschlucken, Würgen, Kotzen, Krämpfe, Pinkeln, Bettnässen, Konvulsionen, Versteifungen, Orgasmen, Spritzen, Rotz usw. hingewiesen. Solche Dinge, die in bürgerlichen Kreisen damals überhaupt noch nicht erwähnenswert waren, erschienen ihm wesentlich »wirklicher« als alle begrifflichen Erfassungen der Realität, bei denen um des Ideellen willen viel von der eigentlichen Wirklichkeit verloren gehe. Statt irgendwelchen anämisch-idealistischen Abstraktionen zu huldigen oder in den kompensatorischen Überheblichkeitsgestus vieler gut- oder bestbürgerlicher Intellektueller zu verfallen, posierte Grass in dieser Zeit häufig mit seinem »eingefleischten Hedonismus« oder zumindest größeren Realitätssinn.37 Überhaupt nahm er um 1960 noch gern die aus der Pikaro-Tradition stammende Sancho-Pansa-Haltung gegenüber den vielen literarischen Don Quichottes ein, indem er sich so natürlich, so lustbetont, so animalisch wie nur möglich gab. Allerdings tat er das nie mit bewusst obszöner, pornographischer, tabubrechender Absicht. Statt sich mit programmatischem Eifer gegen die sogenannten Deformationen des Eros im Rahmen der christlich-bürgerlichen Sexualnormen aufzulehnen, gab er sich einfach als »Realist«. Seine erotischen 234
Zum angeblich skandalösen »Animalismus« in dem Roman Die Blechtrommel (1959)
Szenen wirken daher nie »animierend« oder »lüstern«,38 sondern lediglich ungeheuchelt. In diesem Punkt gleicht er eher Boccaccio und Rabelais als D. H. Lawrence und Henry Miller, hinter deren rebellischer Pose noch immer die alte puritanische Verklemmtheit durchschimmert. Grass war kein Libertin, sondern fand es lediglich unsinnig, sich in der »Misere der Welt« noch zusätzlich mit überspannten Moralanforderungen zu belasten. Demzufolge bekannte er sich immer wieder zu jenen triebhaften Urbedürfnissen des Menschen, um derentwillen, wie er behauptete, es sich überhaupt zu leben lohne. Folgerichtig neigte er zu einem ständigen Regress ins Naturhafte, Sinnliche, ja, sogar Archaisch-Animalische. »Manchmal«, sagte er später höchst bezeichnend, »möchte ich in etwas weich warm Feuchtes kriechen, das unzureichend wäre, wenn ich es weiblich nennen würde.«39 Wer wollte einen solchen Zug ins Unpositive, der Grassens Abneigung gegen alles Idealistisch-Überspannte und Jargonüberfrachtete entsprang, von vornherein verdammen ? Er ist letztlich so konkret, dass sich schwer gegen ihn argumentieren lässt. Und doch erscheint mir – im Gegensatz dazu – jedes »höhere« Engagement nicht von vornherein idealistisch und damit »spinnert«. Schließlich hat sich selbst Grass später immer wieder engagiert, das heißt ist für die SPD, den demokratischen Sozialismus, die deutsch-polnische Verständigung, die Belange der Dritten Welt und die Rücksicht auf die ökologische Basis allen Lebens eingetreten. Allerdings hat er selbst hierbei stets das ganz Konkrete in den Vordergrund gerückt und sich damit sowohl bei den Konservativen auf Seiten der CDU und ihrer Sympathisanten als auch auf Seiten mancher linken Theoretiker, die über dem Ideellen oft die gesellschaftliche Basis aus den Augen verloren, viele Feinde gemacht. Ja, Grass hat dieses Engagement sogar in Werken wie örtlich betäubt (1969) und Aus dem Tagebuch einer Schnecke (1972) in seine literarische Produktion einbezogen, was ihnen zum Teil nicht unbedingt gut bekommen ist. Dass er in seiner Blechtrommel auf ein solches Engagement noch verzichtete, hat sich auf den Roman als ganzen – im Sinne des Narrativen – sicher positiv ausgewirkt. Allerdings wird dadurch jener politisch-theoretische 235
Das Unpositive der kleinen Leute
Überbau ausgespart, der nun einmal bei der Behandlung des Nazifaschismus nicht ganz zu umgehen ist. Zugegeben, alles wirkt sinnlich fassbar, hautnah, ja, geradezu animalisch-bedrängend. Aber letztlich fehlt es diesem Roman an einem Engagement, das über die in diesem Buch dargestellte »Unpositivität« der kleinen Leute in eine Welt des Anderen, Besseren hinausweisen würde, in der ein Mann wie Hitler nicht mehr möglich wäre. Dass ein solcher Standpunkt – wie überhaupt jede alternative Intention – unerkennbar bleibt, gibt dem Ganzen einen Zug ins Bedrückende, wenn nicht gar Pessimistische, Schwarze oder Absurde.40 Und dieser Aspekt des Animalischen, nicht der des Tabubrechenden, scheint mit das eigentlich Bedenkliche der Blechtrommel zu sein. Doch welche politischen oder gesellschaftlichen Kräfte hätten den jungen Grass in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre zu einem hoffnungsträchtigen Elan beflügeln können ? Wertkonzepte vertraten damals nur die Konservativen aus den Reihen der Adenauer’schen Koalition, während sich die Linken – angesichts der ungeheuren Popularität der westdeutschen Wirtschaftswundergesinnung und der hinter ihr stehenden Politik der Stärke im Sinne des Kalten Kriegs – in die Defensive gedrängt sahen und daher literarisch weitgehend verstummt waren. Und so zog sich auch Grass, trotz aller erzählerischen Verve, politisch auf die Position eines ideologisch nicht festzulegenden Nonkonformismus zurück.41 Während Charlie Chaplin 1940 in seiner Hitler-Parodie The Great Dictator noch mit einem hoffnungsvollen Ausblick auf eine bessere Welt schließen konnte,42 waren Grass nach seiner eigenen Verstrickung in den Nazifaschismus sowie den Erfahrungen der Nachkriegskriegsmisere in Düsseldorf solche Hoffnungen abhandengekommen. Er schlug daher nur rabiat um sich oder schilderte in kabarettistischer Zuspitzung und zugleich hyperrealistischer Genauigkeit, mit welcher muffigen Vertrauensseligkeit die kleinen Leute zwischen 1933 und 1945 in ihr Verderben gestolpert seien.43 Zu mehr konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufraffen.44
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Anmerkungen Statt eine stringente Abfolge der nach dem Beginn des Kalten Kriegs in den drei westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik vorherrschenden antisowjetischen Stimmungsmache nachzuzeichnen, werden in den einzelnen Kapiteln dieses Buchs lediglich einige der wichtigsten Manifestationen dieses Phänomens behandelt. Um stets das Grundsätzliche der damit verbundenen Problemstellungen im Auge zu behalten, haben sich dabei gewisse Überschneidungen und Wiederholungen nicht ganz vermeiden lassen. Trotz seiner chronologischen Aneinanderreihung fasse man daher das Ganze nicht als eine historisch angelegte Monographie, sondern eher als eine essayistische Folge relativ selbständiger Studien auf, die sich vor allem mit der unbewältigten nazifaschistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen versuchen, welche weitgehend durch jene primär antikommunistische Propagandawelle verdrängt wurde, die erst auf der Parole »Rot ist gleich Braun« und dann »Rot ist schlimmer als Braun« beruhte. Die Computerisierung meines Manuskripts besorgte diesmal Brian Wilt, während mir Carol Poore wiederum beim Korrekturlesen und bei der Beschaffung der Bildvorlagen half. Beiden sei auch an dieser Stelle nochmals mein aufrichtiger Dank ausgesprochen.
Vorwort 1 Vgl. hierzu allgemein mein Buch : Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 89 ff. 2 Vgl. Liste der auszusondernden Literatur. Hrsg. von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1946. 3 Vgl. dazu das Kapitel »Die ersten Nachkriegsjahre« in meinem Buch :
Zuhause und anderswo. Erfahrungen im Kalten Krieg, Köln 2001, S. 33 f. 4 Vgl. zum Folgenden auch meinen Beitrag : »Die kulturelle Situation nach 1945« in dem Buch : Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus. Hrsg. von Brunhilde Sonntag, Hans-Werner Boresch und Detlef Gojowy, Köln 1999, S. 268 ff. 5 Vgl. Wigand Lange : Theater in Deutschland nach 1945. Zur Theater237
Anmerkungen politik der amerikanischen Besatzungsbehörden, Frankfurt a. M. 1980, S. 70–144. 6 Die beste Materialsammlung hierzu bietet Jutta Held in : Kunst und Kunstpolitik 1945–49. Kulturaufbau in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, Berlin 1981. 7 Vgl. Anna Klapheck : Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst. Kunst im Rheinland der Nachkriegszeit, Köln 1979, S. 19. 8 Vgl. hierzu meinen Aufsatz : Anpassung oder Widersetzlichkeit ? Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935). In : Jost Hermand : Mehr als tönende Luft. Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik, Köln 2017, S. 157 ff. 9 Beispiele dafür finden sich in meinem Aufsatz : Die restaurierte »Moderne« im Umkreis der musikalischen Teilkulturen der Nachkriegszeit. In : Musikalische Teilkulturen. Hrsg. von Werner Klüppelholz, Laaber 1983, S. 175 ff. 10 Vgl. hierzu meinen Aufsatz : Der geteilte Himmel. Exilliteratur im Verlagsprogramm der vier Besatzungszonen. In : Frühe DDR-Literatur. Traditionen, Institutionen, Tendenzen. Hrsg. von Klaus R. Scherpe und Lutz Winckler, Hamburg 1988, S. 11–32. 11 Vgl. hierzu mein Buch : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 1), S. 103– 107. 12 Vgl. Gottfried Eberle : Die Götter wechseln, die Religion bleibt die gleiche. Neue Musik in Westdeutschland nach 1945. In : Musik der 50er Jahre.
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Hrsg. von Hanns-Werner Heister und Dietrich Stern, Berlin 1980, S. 34–49. 13 Vgl. dazu meinen Aufsatz : From Nazism to Natoism. The German Miracle According to Henry Luce. In : America and the Germans. Hrsg. von Frank Trommler und Joseph McVeigh. Bd. II, Philadelphia 1985, S. 74–90. 14 Zu Adornos ideologischen Wandlungen in diesem Zeitraum vgl. Peter Uwe Hohendahl : The Displaced Intellectual ? Adorno’s American Years Revisited. In : Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hrsg. von Dieter Sevin, Amsterdam 1992, S. 110–120. 15 Vgl. meinen Aufsatz : Der unsichtbare Vorhang. Zur Nichtbeachtung Arnold Zweigs in der ehemaligen Bundesrepublik. In : Die Resonanz des Exils. Ebd., S. 81–92. 16 Vgl. Friedhelm Kröll : Literaturpreise nach 1945. Wegweiser in die Restauration. In : Nachkriegsliteratur in Westdeutschland, Bd. I. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus Scherpe, Berlin 1982, S. 143–164, und Hanna Leitgeb : Der ausgezeichnete Autor. Städtische Literaturpreise und Kulturpolitik in Deutschland 1926– 1971, Berlin 1994, S. 313–372. 17 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 1), S. 221–227. 18 Vgl. Horst Ahlheit : Von der »befreiten« Kunst zur »freien« Kunst. Skizze zur Kunstpolitik in Deutschland. Ausstellungen 1945–1949. In : Zwischen Krieg und Frieden. Gegenständliche und realistische Tendenzen in der Kunst
Anmerkungen nach 1945. Hrsg. vom Frankfurter Kunstverein, Berlin 1980, S. 43. 19 Vgl. Frances Stonor Saunders : Who Paid the Piper ? The CIA and the Cultural Cold War, London 1991, S. 267. 20 Vgl. Horst Ahlheit : Von der »befreiten« Kunst zur »freien« Kunst (wie Anm. 18), S. 36 ff. 21 Vgl. Paul Vogt : Geschichte der deutschen Malerei im 20. Jahrhundert, Köln 1972, S. 430, und zum Folgenden auch meinen Aufsatz : Von Antifaschismus zum Antikommunismus. American Abstract Expressionism als Waffe im Kalten Krieg. In : Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 19, 2017, S. 131–140. 22 Vgl. Horst Ahlheit : Von der »befreiten« Kunst zur »freien« Kunst (wie Anm. 18), S. 42. 23 Das Kunstwerk 1, 1948, H. 5/6, S. 57. 24 Zit. in Wieland Schmied : Wegbereiter zur modernen Kunst, Hannover 1966, S. 153. 25 schri kunst schri 4, 1955, S. 12. 26 Jahresring 1959/60, S. 75. 27 Vgl. dazu u. a. Karin Thomas : Zweimal deutsche Kunst nach 1945. 40 Jahre Nähe und Ferne, Köln 1985, S. 9–25, und meinen Aufsatz : Freiheit im Kalten Krieg. Zum Siegeszug der abstrakten Malerei in Westdeutschland. In : ’45 und die Folgen. Kunstgeschichte eines Wiederbeginns. Hrsg. von Hugo Borger, Ekkehard Mai und Stephan Waetzoldt, Köln 1991, S. 135–164. 28 So verlangten die Herausgeber der Zeitschrift Musica 1947 in ihren Geleitworten zum ersten Heft vor allem
»Herz« (S. 2). Werner Oehlmann schrieb im gleichen Jahrgang auf S. 66, dass die neue Musik von »Humanität« durchstrahlt sein müsse. In der Zeitschrift Aussaat forderte Hermann Keller eine Musik, an der »unsere kranke Seele wieder gesunden« könne (1946/47, H. 1, S. 23). Rudolf Malsch sehnte sich in seiner »Geschichte der deutschen Musik« (Berlin 1949) nach einer Musik, die wieder »Offenbarung eines Höheren, Irrationalen, Metaphysischen« ist (S. 398), usw. 29 Vgl. Bernard Gavoty : Zum Problem der Zwölftonmusik. In : Melos 14, 1946/47, S. 247. 30 Heinz Pringsheim : Warum wollen die Leute keine neue Musik hören ? In : Melos 14, 1946/47, S. 143. 31 Vgl. dazu schon meinen Aufsatz : Die restaurierte »Moderne« im Umkreis der musikalischen Teilkulturen der Nachkriegszeit (wie Anm. 9), S. 176 ff. 32 Melos 27, 1960, S. 262. 33 Hans Heinz Stuckenschmidt : Die Musik eines halben Jahrhunderts. 1925–1975. Essay und Kritik, München 1976, S. 100 ff. 34 Arnold Schönberg : Letters. Hrsg. von Erwin Stein, London 1958, S. 235. 35 Theodor W. Adorno : Philosophie der neuen Musik, Frankfurt a. M., 3. Aufl., 1958, S. 126. 36 Hanns Eisler : Materialien zu einer Dialektik der Musik. Hrsg. von Manfred Grabs, Leipzig 1976, S. 203. 37 Theodor W. Adorno : Das Altern der Neuen Musik. In : Der Monat, 1955, S. 153 f.
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Anmerkungen 38 Vgl. zum Vorangegangenen auch das Musik-Kapitel in meinem Buch : Deutsche »Leitkulturen« von der Weimarer Klassik bis zur Gegenwart, Köln 2018, S. 209–237. 39 Max Bense : Programmierung des Schönen. In : Ders. : Aesthetica, Bd. IV, Krefeld 1960, S. 23.
40 Gottfried Benn : Probleme der Lyrik, Wiesbaden 1951, S. 17 f. 41 Vgl. dazu meinen Beitrag »Streit in den fünfziger Jahren ?«. In : Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses 1985, Bd. X, Tübingen 1986, S. 207–212.
Von Franklin D. Roosevelt zu Harry S. Truman 1 Vgl. hierzu Louis Nizer : What to Do With Germany, Chicago 1944, S. 55–109, und John L. Snell : Wartime Origins of the East-West-Dilemma over Germany, New Orleans 1959, S. 8–130. 2 Zit. in ebd., S. 31. 3 Vgl. John H. Backer : The Decision to Divide Germany : American Foreign Policy in Transition, Durham 1978, S. 25–27. 4 Zit. in John L. Snell : Wartime Origins (wie Anm. 2), S. 74, 19. 5 Zit in Hans W. Gatzke : Germany and the United States : A »Special Relationship ?«, Cambridge 1980, S. 148. 6 Zit. in John L. Snell : Wartime Origins (wie Anm. 2), S. 102. 7 Vgl. meinen Aufsatz : From Nazism to NATOism : The West German Miracle According to Henry Luce. In : America and the Germans. Hrsg. von Frank Trommler und Joseph McVeigh, Philadelphia 1985, Bd. II, S. 82 ff. 8 Vgl. Alexander Stephan : Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart 1995. Im Gegensatz zu Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und anderen als »fellow travelers« 240
bezeichneten Autoren wurde Thomas Mann »nicht routinemäßig beschattet« (S. 121). 9 Vgl. Alexander Stephan : Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Eine Einführung, München 1979, S. 130. 10 Vgl. ebd., S. 131, und mein Buch : Die deutschen Dichterbünde. Von den Meistersingern bis zum PEN-Club, Köln 1998, S. 315. 11 Vgl. Hans Jacob : Es gibt kein »anderes« Deutschland. In : Aufbau vom 19. Mai 1944, S. 26. 12 Zit. in Eike Middell et al. : Exil in den USA, Leipzig 1979, S. 176 f. 13 Vgl. Bertolt Brecht : Arbeitsjournal. Hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, Bd. II, S. 599. 14 Vgl. Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer : Thomas Mann. Eine Chronik seines Lebens, Frankfurt a. M. 1965, S. 178. 15 Ebd., S. 18. 16 Ebd., S. 191. Zu Manns zeitweiliger Übereinstimmung mit dem Morgenthau-Welles-Kurs vgl. Klaus Harpprecht : Thomas Mann. Eine Biographie, Reinbek 1995, S. 1455.
Anmerkungen 17 Thomas Mann : Deutschland und die Deutschen. In : Thomas Mann : Essays. Hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt a. M. 1996, Bd. V, S. 279. Die gleiche These findet sich schon 1941 in seinem Essay : Deutschlands Weg nach Hitlers Sturz. Essays, Bd. V, S. 160 f. 18 Thomas Mann : Essays, Bd. V, S. 151, 280. In seiner Radiosendung vom 28. März 1944 sagte darum Mann mit antifaschistischer Tendenz : »Europa wird sozialistisch sein, sobald es frei ist.« Ebd., S. 246. 19 Thomas Mann : Tagebücher 1944– 1. April 1946. Hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. M. 1986, S. 298. 20 Ebd., S. 200. 21 Ebd., S. 112. 22 Thomas Mann : Tagebücher 29. Januar 1940–11. Dezember 1943. Hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. M. 1999, S. 12. 23 Thomas Mann : Tagebücher 1944– 1. April 1946 (wie Anm. 19), S. 307, 310. 24 Ebd., S. 302. 25 Thomas Mann : Tagebücher 28. Mai 1946–31. Dezember 1948. Hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. M. 1989, S. 11. 26 Ebd., S. 32.
27 Ebd., S. 38. 28 Ebd., S. 41. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 42. 31 Ebd., S. 44. 32 Ebd., S. 55. 33 Ebd., S. 61. 34 Ebd., S. 63. 35 Ebd., S. 65. 36 Ebd., S. 77. 37 Ebd., S. 87. 38 Ebd., S. 88. 39 Ebd., S. 93. 40 Ebd., S. 97. 41 Ebd., S. 98. 42 Ebd., S. 105. 43 Ebd., S. 106. 44 Ebd., S. 108. Vgl. auch Manns Einsatz für ein »Federal World Government«. In : Thomas Mann : Essays. Hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt a. M. 1997, Bd. VI, S. 47. 45 Tagebücher 28. Mai 1946–31. Dezember 1948 (wie Anm. 25), S. 85. 46 Ebd., S. 91. 47 Ebd., S. 109. 48 Vgl. Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer : Thomas Mann (wie Anm. 14), S. 208. 49 Ebd., S. 208 f.
Erwünschte und Unerwünschte 1 Wolf Franck : Führer durch die deutsche Emigration, Paris 1935, S. 17, und Jan Hans : Die Heterogenität des Exils. In : Sozialgeschichte der deutschen Literatur von 1918 bis zur Gegenwart.
Hrsg. von Jan Berg et al., Frankfurt a. M. 1981, S. 426 ff. 2 Lion Feuchtwanger : Exil. Roman, Amsterdam 1940, S. 151. 3 Walter A. Berendsohn : Die humanistische Front. Einführung in die deut241
Anmerkungen sche Emigranten-Literatur. Teil 1, Zürich 1946. 4 Hermann Kesten : Fünf Jahre nach unserer Abreise. In : Das Neue Tagebuch 6, 1938, H. 5, S. 114–117. 5 Vgl. Matthias Wegner : Exil und Literatur. Deutsche Schriftsteller im Ausland 1933–1945, Frankfurt a. M. 1967. 6 Zum Problem der »Etikettierungen« der Exilliteratur vgl. u. a. meinen Aufsatz : Schreiben in der Fremde. Gedanken zur deutschen Exilliteratur seit 1789. In : Exil und Innere Emigration. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt a. M. 1972, S. 47–64, und Lutz Winckler : Antifaschistische Literatur. Ein Diskussionsvorschlag. In : Antifaschistische Literatur. Hrsg. von Lutz Winckler, Bd. I, Kronberg 1977, S. 30–52. 7 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 147. 8 Vgl. Literarisches Leben in der DDR 1945 bis 1960. Literaturkonzepte und Leseprogramme. Hrsg. von Ingeborg Münz-Koenen, Berlin 1979, S. 30. 9 Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur in der deutschen Presse 1945–1949. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte, Worms 1976, S. 165. 10 Zu weiteren Details der Publikationsgeschichte der Exilliteratur vgl. meinen Aufsatz : Der geteilte Himmel. Exilliteratur im Verlagsprogramm der vier Besatzungszonen 1945–1949. In : Frühe DDR-Literatur. Traditionen, Institutionen, Tendenzen. Hrsg. von Klaus R.
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Scherpe und Lutz Winckler, Hamburg 1988, S. 22–37. 11 Vgl. hierzu Reinhold Grimm : Innere Emigration als Lebensform. In : Exil und Innere Emigration (wie Anm. 6), S. 31–73. 12 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 7), S. 154 ff. 13 Vgl. Friedhelm Kröll : Literaturpreise nach 1945. Wegweiser in die Restauration. In : Nachkriegsliteratur in Westdeutschland, Bd. I. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus Scherpe, Berlin 1982, S. 143–164. 14 Vgl. u. a. Volker Christian Wehdeking : Der Nullpunkt. Über die Konstituierung der deutschen Nachkriegsliteratur (1945–1948) in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern, Stuttgart 1971. 15 Vgl. Marita Müller : Kontinuität engagierter Literatur vor und nach 1945. Zum Werk Walter Kolbenhoffs : In : Nachkriegsliteratur in Westdeutschland, Bd. II. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus Scherpe, Berlin 1984, S. 41–51. 16 Vgl. hierzu auch Alfred Andersch : Deutsche Literatur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der literarischen Situation, Karlsruhe 1948. 17 Vgl. Frank Trommler : Die Nichtrezeption der Exilliteratur. In : Tendenzen der deutschen Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Thomas Koebner, Stuttgart 1984, S. 29–42. 18 Zit. nach Peter Mertz : Und das wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller mit Westdeutschland, München 1985, S. 134.
Anmerkungen 19 Johanna W. Reden : Emil Ludwig’s Political Writings during his U.S. Exile. In : Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, 10, 1981, S. 22–41. 20 Vgl. auch : »Ich bleibe Emigrant.« Gespräche mit George L. Mosse. Hrsg. von Irene Runge und Uwe Stelbrink, Berlin 1991. 21 Alfred Döblin : Die literarische Situation, Baden-Baden 1947, S. 36. 22 Vgl. Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur (wie Anm. 9), S. 157 ff. 23 Vgl. Reinhold K. Bubser : Leonhard Frank, Nachkriegsjahre und Rezeption seiner letzten Werke. In : Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, 10, 1981, S. 28–37. 24 Vgl. Peter Mertz : Und das wurde nicht ihr Staat (wie Anm. 18), S. 110. 25 Vgl. Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur (wie Anm. 9), S. 130 ff. 26 Vgl. Die große Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland. Hrsg. von Johannes F. G. Grosser, Hamburg 1963. 27 Vgl. Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur (wie Anm. 9), S. 158, und Thomas Mann im Urteil seiner Zeit. Dokumente 1891–1955. Hrsg. von Klaus Schröter, Hamburg 1969, S. 412 ff. 28 Zit. nach : Die fünfziger Jahre. Beiträge zu Politik und Kultur. Hrsg. von Dieter Bänsch, Tübingen 1985, S. 418. 29 Als etwa 200 Intellektuelle in der amerikanischen Besatzungszone befragt wurden, ob sie eine Rückkehr von Thomas Mann, Helene Thimig und Carl Zuckmayer für wünschenswert hielten, sprachen sich über 60 Prozent der
Befragten gegen eine solche Aktion aus. Vgl. hierzu allgemein Wigand Lange : Theater in Deutschland nach 1945. Zur Theaterpolitik der amerikanischen Besatzungsbehörden, Frankfurt a. M. 1980. 30 Vgl. Hans Mayer : Konfrontation der inneren und äußeren Emigration. In : Exil und Innere Emigration (wie Anm. 6), S. 75 ff. 31 Vgl. Frank Trommler : Emigrationsund Nachkriegsliteratur. Zum Problem der geschichtlichen Kontinuität, ebd., S. 191. 32 Vgl. Werner Röder : Zur Situation der Exilforschung. In : Exil und Innere Emigration II. Hrsg. von Peter Uwe Hohendahl und Egon Schwarz, Frankfurt a. M. 1973. S. 141–153. 33 Vgl. Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur (wie Anm. 9), S. 177. 34 Vgl. Wolfgang Emmerich : Nullpunkt. In : Kulturpolitisches Wörterbuch. Bundesrepublik Deutschland/ DDR im Vergleich. Hrsg. von Wolfgang R. Langenbucher, Ralf Rytlewski und Bernd Weyergraf, Stuttgart 1983, S. 539. 35 Kölnische Rundschau vom 13. Dezember 1946. 36 Als ich 1956 in Marburg meinen ersten Brecht-Vortrag hielt, fragte mich einer meiner neugermanistischen Lehrer erstaunt : »Aber, wer ist denn dieser Herr Brecht ?« 37 Zit. nach Alexander Stephan : Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Eine Einführung, München 1979, S. 236. 38 Vgl. auch meinen Aufsatz : Unbewältigte Vergangenheit. Westdeutsche 243
Anmerkungen Utopien nach 1945. In : Nachkriegsliteratur (wie Anm. 13), S. 102–127. 39 Vgl. hierzu u. a. Wulf Köpke : Die Exilliteratur und ihre Rezeption im Nachkriegsdeutschland. In : Deutsche Studien, 19, 1981, S. 302–310 ; Jost Hermand : Zur deutschen Exilliteratur zwischen 1933 und 1950. In : Tendenzen der deutschen Literatur zwischen 1918 und 1945. Weimarer Republik, Drittes Reich, Exil. Hrsg. von Theo Buck und Dietrich Steinbach, Stuttgart 1985, S. 73–100, und : Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hrsg. von Dieter Sevin, Amsterdam 1992.
40 André Müller : Kreuzzug gegen Brecht. Die Kampagne in der Bundesrepublik 1961/62, Darmstadt 1963. 41 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 7), S. 266. 42 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Februar 1961. 43 Zit. nach Gerhard Roloff : Exil und Exilliteratur (wie Anm. 9), S. X. 44 Neufassung meines Beitrags zu dem Buch : Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau. Hrsg. von HansErich Volkmann, München 1995, S. 581–606.
»Die große Kontroverse« 1 Zit. in : Die große Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland. Hrsg. von Johannes F. G. Grosser, Hamburg 1963, S. 20. 2 Ebd., S. 20. 3 Frank Thiess : Die innere Emigration, ebd., S. 22. 4 Ebd. S. 24. 5 Ebd. S. 25. 6 Thomas Mann : Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe. In Thomas Mann : Essays. Hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt a. M. 1997, Bd. VI, S. 33 ff. 7 Ebd., S. 34. 8 Ebd., S. 37. 9 Ebd., S. 38 f. 10 Ebd., S. 40–42 11 Erwin Redslob. Zit. in : Die große Kontroverse (wie Anm.1), S. 38. 244
12 August Enderle. Zit. ebd., S. 40. 13 Otto Flake : Der Fall Thomas Mann. Zit. ebd., S. 53–55. 14 Wilhelm Hausenstein : Bücher – frei von Blut und Schande. Zit. ebd., S. 62 f. 15 Thomas Mann : Tagebücher 1944– 1. April 1946. Hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. M. 1986, S. 254. 16 Ebd., S. 275. 17 Ebd., S. 278. 18 Ebd. 19 Ebd., S. 282. Und auch Erika schrieb ihm Ende 1945 aus München : »Ich flehe Euch an : erwägt auch nicht eine Minute lang, in dieses verlorene Land zurückzukehren. Es ist einfach nicht menschenerkennbar.« Zit. in Klaus Harpprecht : Thomas Mann. Eine Biographie, Reinbek 1995, S. 1482.
Anmerkungen 20 Thomas Mann : Tagebücher (wie Anm. 15), S. 80 f. 21 Ebd., S. 288. 22 Ebd., S. 281. 23 Ebd., S. 290. 24 Zit. in : Die große Kontroverse (wie Anm. 1), S. 76. 25 Ebd., S. 78. 26 Ebd., S. 79. 27 Ebd., S. 80. 28 Frank Thiess. Zit. ebd., S. 82–86. 29 Wolfgang Monecke. Zit. ebd., S. 90. 30 Ebd., S. 91. 31 Herbert Lestiboudois. Zit. ebd., S. 93. 32 Ebd., S. 94. 33 Johannes R. Becher. Zit. ebd., S. 97. 34 Frank Thiess. Zit. ebd., S. 108. 35 Vgl. US State Department, Office of Public Affairs : Germany 1947–1949. In : The Story in Documents. Department of State Publications 3556, European and British Commonwealth Series 9, Washington, D.C. 1950, S. 25 f. 36 Vgl. ebd., S. 34. 37 Zu den über 70 Meinungsumfragen, welche die amerikanischen Militärbehörden zwischen 1945 und 1949 in ihrer Besatzungszone durchführen ließen, vgl. das Buch : Public Opinion in Occupied Germany. The OMG US Surveys, 1945–1949. Hrsg. von Anna J. Merritt und Richard L. Merritt, Urbana 1969. Im Rahmen der Information Control Division wurden diese Meinungsumfragen von der Opinion Survey Section durchgeführt, die unter der Leitung von Frederick W. Williams stand. Während bei den meisten dieser Umfragen die Informanten relativ wahl-
los ausgesucht wurden, gingen die amerikanischen Behörden bei der hier beschriebenen Umfrage sehr gezielt vor und wandten sich vornehmlich an ausgewiesene »Kulturträger«. Parallel zur Umfrage über Thomas Mann führte die Informationskontrollabteilung in Bayern auch andere Umfragen durch, mit demselben Team von German Investigators durch ; die Befragten allerdings waren nur zu einem geringen Teil identisch. Themen dieser Interviews waren : das am 2. Juli 1947 in Bayreuth gefällte Spruchkammerurteil gegen Winifred Wagner, in dem diese relativ glimpflich davonkam ; ferner Inszenierungen von Georg Kaisers antimilitaristischem Schauspiel Der Soldat Tanaka, von Jean Anouilhs Antigone und seiner Eurydike sowie eine Kunstausstellung in Fürth mit Bildern des 1945 verstorbenen Heinrich Brüne, eines Vertreters der Münchener Neuen Secession. Die Originale dieser Umfragen befinden sich an gleicher Stelle in den National Archives in Washington, D.C. wie die Umfrage über Thomas Mann. Vgl. Anm. 41. 38 Das maschinenschriftliche Exemplar befindet sich im Archiv des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. 39 Vgl. Bildung und Staat. Eine Rede von Dieter Sattler, ebd. 40 Während der 17. Juli der Termin für den offiziellen Abschluss der Befragungsaktion darstellte, wurden einzelne Interviews auch noch danach geführt, etwa das Gespräch mit Hans Rosbaud, das am 30. Juli stattfand. Zum gleichen Zwecke wurden offenbar auch deutsche Journalisten aufgefordert, die IDC mit 245
Anmerkungen Berichten über die literarische Situation zu versorgen. Dafür spricht der zehnseitige Essay »German Writers of Today«, der sich im Münchner Institut für Zeitgeschichte unter der Signatur : OMGB 1945–1948, 10/109-3/003 befindet und offenbar von Heinrich Fischer ( ?) stammt. Ohne jeden Kommentar wird in ihm vor allem die »große Kontroverse« dargestellt. 41 Die Originale dieser Umfrage befinden sich in den National Archives in Washington, D.C., und zwar unter den Akten des Office of Military Government for Germany, U.S. im Suitland Record Center, Suitland, Maryland, Box 69-1/10. Eine Kopie dieser Akten im Münchner Institut für Zeitgeschichte trägt dort die Signatur : OMGBy 10/691/656. 42 In diesen Umkreis gehört vor allem der längere Essay »Mann gegen Mann« von Herbert Zachäus, der im Mai 1947 in mehreren westdeutschen Zeitungen erschien. Zit. in : Die große Kontroverse (wie Anm. 1), S. 121–132. Weitere gute Einblicke in das allgemeine Misstrauen der Vertreter der Inneren Emigration den Exilanten gegenüber bietet der Aufsatz von Sven Papcke : Exil und Remigration als öffentliches Ärgernis. Zur Soziologie eines Tabus. In : Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 9, 1991, S. 9–24. 43 Thomas Mann : Tagebücher 28. Mai 1946–31. Dezember 1948. Hrsg. von Inge Jens, Frankfurt a. M. 1989, S. 271. 44 Ebd., S. 152. 45 Ebd., S. 163. 46 Ebd., S. 165. 246
47 Ebd., S. 168. 48 Ebd., S. 171. 49 Ebd., S. 172. 50 Ebd., S. 174. 51 Ebd., S. 177. 52 Ebd., S. 184. In diesen Zusammenhang gehört auch ein Brief an Max Rychner vom 24. Dezember 1947, in dem Mann die Schriften von Walter Benjamin, Ernst Bloch und Georg Lukács als das »Gescheiteste« charakterisierte, was es »heute« gebe. Vgl. Thomas Mann : Briefe 1937–1947. Hrsg. von Erika Mann, Frankfurt a. M. 1963, S. 579. 53 Thomas Mann : Tagebücher 28. Mai 1946–31. Dezember 1948 (wie Anm. 43), S. 186. 54 Ebd., S. 195. 55 Ebd., S. 199. 56 Ebd., S. 205, 207. 57 Ebd., S. 213. 58 Ebd., S. 216. 59 Ebd., S. 221. 60 Ebd., S. 229. 61 Ebd., S. 233. 62 Ebd., S. 238, 243. 63 Ebd., S. 250. 64 Ebd., S. 247. 65 Ebd., S. 255. 66 Ebd., S. 306. Zu denen, welche Thomas Mann damals gegen seine Kritiker verteidigten, gehörten vor allem Max von Brück, Walter Dirks, Georg Lukács, Hans Mayer, Werner Milch, Paul Rilla und Dolf Sternberger. Vgl. Als der Krieg zu Ende war. Literarisch-politische Publizistik 1945–1950. Hrsg. von Gerhard Hay, Hartmut Ram-
Anmerkungen baldo und Joachim W. Storck, Marbach 1973, S. 286–288, 343–365. 67 Thomas Mann : Tagebücher 28. Mai 1946–31. Dezember 1948 (wie Anm. 43), S. 294. 68 Ebd., S. 336. 69 Ebd., S. 345. 70 Ebd., S. 340. 71 Vgl. Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer : Thomas Mann. Eine Chronik seines Lebens. Frankfurt a. M. 1965, S. 220. 72 Ebd. 73 So lehnten Neugermanisten wie Wolfgang Kayser, Johannes Klein und Friedrich Sengle noch 1952/53 meine Dissertationsprojekte zu Thomas Mann energisch ab und empfahlen mir stattdessen Autoren wie Stefan George oder die Literatur der Biedermeierzeit. 74 Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer : Thomas Mann (wie Anm. 71), S. 224. 75 Ebd., S. 229.
76 Ebd. Zu gleicher Zeit wurde Mann vorgehalten, dass er am 13. Oktober 1943 in einem Vortrag in der Library of Congress den Antikommunismus als »die Grundtorheit unserer Epoche« bezeichnet habe. Vgl. Klaus Harpprecht, Thomas Mann (wie Anm. 19), S. 1865. 77 Donald L. Jackson : Thomas Mann. In : Thomas Mann im Urteil seiner Zeit. Dokumente 1891–1955. Hrsg. von Klaus Schröter, Hamburg 1969, S. 412 f. 78 Zit. in Hans Bürgin und Hans-Otto Mayer : Thomas Mann (wie Anm. 71), S. 234. 79 Vgl. zum Vorangegangenen auch meine »Vorbemerkung« zu der von Wigand Lange zusammengestellten Dokumentation der betreffenden »Meinungsumfrage« in dem von uns beiden herausgegebenen Band : »Wollt ihr Thomas Mann wiederhaben ?« Deutschland und die Emigranten, Hamburg 1999.
Der unerschütterliche Preuße 1 Ernst von Salomon : Die Geächteten, Berlin 1930, S. 479. 2 Ebd., S. 480. 3 Vgl. hierzu Jost Hermand und Frank Trommler : Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 64 ff. 4 Vgl. u. a. Armin Mohler : Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950, S. 176 ff., und Stefan Breuer : Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993.
5 Ebd., S. 84 f. Vgl. hierzu auch Karl Prümm : Die Literatur des Soldatischen Nationalismus der 20er Jahre (1918– 1933). Gruppenideologie und Epochenproblematik. 2 Bde., Kronberg 1974, Uwe Sauermann : Ernst Niekisch und der revolutionäre Nationalismus, München 1985, und Richard Herzinger : Im deutschen Verhängnis. Ernst Niekischs Grenzgängertum. In : Sinn und Form 48, 1996, S. 59–77.
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Anmerkungen 6 Vgl. Markus Josef Klein : Ernst von Salomon. Eine politische Biographie, Limburg 1994, S. 328–332. 7 Vgl. ebd., S. 149. 8 Zit. in ebd. 9 Ebd., S. 332 f. 10 Ebd., S. 162. 11 Ebd., S. 168. 12 Ernst von Salomon : Die Stadt, Berlin 1932, S. 106. 13 Ebd., S. 144. 14 Ebd., S. 151. 15 Ebd., S. 153. 16 Ebd., S. 181. 17 Ebd., S. 272. 18 Vgl. Markus Josef Klein : Ernst von Salomon (wie Anm. 6), S. 189. 19 Vgl. hierzu mein Buch : Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1988, S. 157–181. 20 Vgl. Peter Bucher : Der Reichswehrprozeß. Der Hochverrat der Ulmer Reichswehroffiziere 1929/1930, Boppard 1967. 21 Vgl. hierzu u. a. das Kapitel : Kommunistischer Nationalismus. In : OttoErnst Schüddekopf : Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S. 287–305, und Patrick Moreau : Nationalsozialismus von links. Die »Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten« und die »Schwarze Front« Otto Strassers 1930–1935, Stuttgart 1985. 22 Vgl. Ernst von Salomon : Die Stadt (wie Anm. 12), S. 272.
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23 Ernst von Salomon : Die Kadetten, Berlin 1932, S. 67. 24 Wilhelm Seddin : »Preußentum« gegen Sozialismus, Berlin 1935, S. 9 ff. Und zwar meinte Seddin damit u. a. Harro Schulze-Boysen, der noch am 20. April 1933 in der Zeitschrift Gegner geschrieben hatte : »In den kommenden Kämpfen um die wirtschaftliche und religiöse Gestaltung des nationalen Sozialismus wollen wir der Vortrupp eines dritten Preußen sein.« 25 Vgl. hierzu den Abschnitt »Die nationalkonservativen Dichterbünde« in meinem Buch : Die deutschen Dichterbünde. Von den Meistersingern bis zum PEN-Club, Köln 1998, S. 241–245. 26 Vgl. Markus Josef Klein : Ernst von Salomon (wie Anm. 6), S. 224, und Shareen Blair Brysac : Resisting Hitler. Mildred Harnack and the Red Orchestra, Oxford 2000, S. 154, 180. 27 Eine Bibliographie seiner Essays und Filmdrehbücher aus diesen Jahren findet sich bei Markus Josef Klein : Ernst von Salomon (wie Anm. 6), S. 333, 342 und 366. 28 Noch die positivste Einschätzung Salomons nach 1933 findet sich bei Rudolf Ibel, der voller Verständnis für Salomons Vergangenheit erklärte : »Für die Freikorps und Verschwörer-Jugend bestand keine Feindschaft gegen den Arbeiter ; waren sie doch Sozialisten. Es war vielmehr ihre Tragik, dass sie gegen deutsche Arbeiter, die einer internationalen und volkszersetzenden Macht verbunden waren, kämpfen mussten. Ihre Front, die Nation und Sozialismus als unlösbare Einheit erlebte, bestand noch
Anmerkungen nicht. Deshalb konnten sie missbräuchlich eingesetzt werden zur Rettung und Wiederherstellung der bürgerlichen Welt, der sie in ihrem Wesen fremd und feindlich waren. Sie wurden zerrieben zwischen zwei Fronten, da die dritte Front noch nicht bestand.« In : Das Reich im Werden. Reihe : Deutsches Schrifttum, Heft 6. Hrsg. von Rudolf Ibel, Frankfurt a. M. 1936, S. 3. 29 Vgl. Ernst von Salomon : Der Fragebogen, 207.–212. Tausend, Hamburg 1953, S. 212. 30 Ebd., S. 474 f. 31 Später heißt es bei ihm, dass die Amerikaner nach 1945 das »gesamte deutsche Volk« wie eine »einzige Bande von Kriegsverbrechern« behandelt hätten. Vgl. Ernst von Salomon : Die Kette der tausend Kraniche, Reinbek 1972, S. 220. 32 Ernst von Salomon : Der Fragebogen (wie Anm. 29), S. 641. 33 Ebd., S. 653. 34 Ebd., S. 675. 35 Ebd., S. 788. 36 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 71. 37 Ernst von Salomon : Der Fragebogen (wie Anm. 29), S. 59. 38 Ebd., S. 56–63. 39 Ebd., S. 62. 40 Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz : Vom Nazismus zum NATOismus. Das westdeutsche Wandlungswunder im Spiegel der Luce-Presse. In : Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300jährigen Geschichte. Hrsg. von
Frank Trommler, Opladen 1986, S. 421–436. 41 Vgl. Jost Hermand : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 36), S. 251 f. 42 Ernst von Salomon : Das Schicksal des A. D. Ein Mann im Schatten der Geschichte. Ein Bericht, Reinbek 1960, S. 142–212. 43 Vgl. Markus Josef Klein : Ernst von Salomon (wie Anm. 6), S. 282. 44 Vgl. Alexander von Brünneck : Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland. 1949– 1968, Frankfurt a. M. 1978. 45 Richard Scheringer : Das große Los. Unter Soldaten, Bauern und Rebellen. Mit einem Vorwort von Ernst von Salomon, Hamburg 1959, S. 6 f. Über die Freundschaft Scheringers mit Paul Jagenburg vgl. in diesem Buch S. 269, 272, 277, 289, 296, 307, 364, 381, 435. 46 Marianne Regensburger : Deutsches Schicksal. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Oktober 1959. 47 Ernst von Salomon : Das Schicksal des A. D. (wie Anm. 42), S. 150. 48 Ernst von Salomon : Ein Bekenntnis. In : Arnold Zweig. Ein Almanach. Briefe, Glückwünsche, Aufsätze, Berlin 1962, S. 125–130. 49 Vgl seinen Beitrag in : Deutsche Woche, 1961, Nr. 34 vom 2. August, S. 9. In ihm warf er den SPD-Sympathisanten des Bandes Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung ?, den Martin Walser im Sommer 1961 herausgegeben hatte, vor, sich zu einer revisionistischen Partei zu bekennen, von der sich »kein einziger Abgeordne-
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Anmerkungen ter im bundesdeutschen Parlament mehr zum Sozialismus bekenne.« 50 Die DFU war im Dezember 1960 gegründet worden. Neben Renate Riemeck hatten zu ihren ersten Anhängern auch Ernst Rowohlt, Hans Lipinsky-Gottersdorf und die konkret-Gruppe gehört. 51 Ernst von Salomon : Aus einer Ansprache an den Kongress der DFU am 24. Februar 1963 in Hannover. In : Koexistenz der Großmächte verlangt Koexistenz in Deutschland. Hrsg. vom Bundesvorstand der DFU, Hannover 1967, S. 5. Zuvor war dieser Text bereits am 1. März 1963 in der Deutschen Volkszeitung erschienen. 52 Ebd., S. 6. Renate Riemeck trat auf diesem Kongress sogar noch schärfer antiamerikanisch auf und warf den USA vor, im Rahmen ihrer »Roll-back-Strategie« die Bundesrepublik in einen »Brückenkopf des Kalten Krieges« zu verwandeln, um damit ihre Weltmachtstellung auszubauen. Vgl. ebd., S. 12. 53 Vgl. Richard Herzinger : Ein extremistischer Zuschauer. Ernst von Salomon. Konservativ-revolutionäre Literatur zwischen Tatrhetorik und Resignation. In : Zeitschrift für Germanistik, NF 8,1 1998, S. 94. 54 Vgl. Markus Josef Klein : Ernst von Salomon (wie Anm. 6), S. 279. Als die westdeutsche Presse Günther Weisen-
born angriff, weil er an einem Ostberliner Schriftstellerkongress teilgenommen hatte, verteidigte ihn Salomon am 10. Januar 1956 in der Welt am Sonntag (Nr. 2). 55 Abgedruckt unter dem Titel »Ein Mensch mit seinem Widerspruch«. In : Neue Politik 12, 1967, Nr. 38 vom 23. September, S. 16–18. 56 Diese Tagung, bei der Salomon in der Abschlusssitzung ein Referat hielt, hatte bereits 1961 stattgefunden. 57 Ernst von Salomon : Die Kette der tausend Kraniche (wie Anm. 31), S. 56. 58 Vgl. Knud Dittmann : Adenauer und die deutsche Wiedervereinigung. Die politische Diskussion des Jahres 1952, Düsseldorf 1981, und Rainer Dohse : Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974. 59 Ernst von Salomon : Die Kette der tausend Kraniche (wie Anm. 31), S. 84. 60 Ebd., S. 84. 61 Ernst von Salomon : Der tote Preuße. Roman einer Staatsidee, München 1973, S. XIV. 62 Ebd., S. VIII. 63 Vgl. zum Voraufgegangenen auch meinen Vortrag vor der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig unter dem Titel »Ernst von Salomon. Wandlungen eines Nationalrevolutionärs«, Stuttgart 2002.
»Was aber bleibet, ist allein das Ich ! « 1 Vgl. hierzu das Kapitel zur Besatterpolitik der amerikanischen Besatzungspolitik bei Wigand Lange : Theater zungsbehörden, Frankfurt a. M. 1980, in Deutschland nach 1945. Zur TheaS. 27 ff. und mein Buch : Kultur im 250
Anmerkungen Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986. 2 Vgl. meinen Aufsatz »Die Metapher ›heile Welt‹. Zu Adornos Antiutopismus«. In : Hermand : Orte, irgendwo. Formen utopischen Denkens, Königstein 1981, S. 104–117. 3 Theodor W. Adorno : Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt a. M. 1961, S. 147 f. 4 Ebd., S. 209. 5 Ebd., S. 333. 6 Max von Brück : Der Untergang der Utopie. In : Die Gegenwart 5, 1950, H.15, S. 15. 7 Walter Jens : Nein. Die Welt der Angeklagten. Roman, München 1968, S. 6. 8 Ebd., S. 175 f. 9 Hermann Kasack : Das große Netz. Roman, Frankfurt a. M. 1952, S. 393. 10 Ebd., S. 338. 11 Hermann Gohde : Der achte Tag. Roman einer Weltstunde, Innsbruck 1950, S. 402. 12 Zum Komplex »Innere Emigration« vgl. Reinhold Grimm : Innere Emigration als Lebensform. In : Exil und Innere Emigration. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt a. M. 1972. 13 Vgl. zum folgenden meinen Aufsatz »Unbewältigte Vergangenheit. Westdeutsche Utopien nach 1945«. In : Nachkriegsliteratur in Westdeutschland, Bd. I. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus Scherpe, Berlin 1982, S. 102–127.
14 Stefan Andres : Die Sintflut. Bd. I, München 1949, S. 243. 15 Georg Lukács : Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts, Berlin 1956, S. 258. 16 Ernst Wiechert : Missa sine nomine. Roman, Erlenbach-Zürich 1950, S. 451. 17 Ebd., S. 542. 18 Hermann Kasack : Die Stadt hinter dem Strom, Berlin 1947, S. 279. 19 Hans Risse : Wenn die Erde bebt. Roman, München 1950, S. 225. 20 Allerdings handelt es sich hierbei fast immer um männliche »Freiheiten«. Vgl. hierzu Evelyn Torton Beck : Frauen, Neger und Proleten. Die Stiefkinder der Utopie. In : Deutsches utopisches Denken im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand, Stuttgart 1974, S. 30–49. 21 George Orwell selbst schrieb dagegen am 16. Juni 1949 an Francis A. Hansen : »My recent novel is not intended as an attack on Socialism or on the British Labour Party (of which I am a supporter) but as a show-up of the perversions to which a centralised economy is liable and which have already been partly realised in Communism and Fascism. (...) The scene of the book is laid in Britain in order to emphasise that the English-speaking races are not innately better than anyone else and that totalitarianism, if not fought against, could triumph anywhere.« In : Ders. : The Collected Essays, Journalism and Letters of George Orwell. Bd. IV, London 1968, S. 502.
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Anmerkungen 22 Vgl. hierzu Bernd-Peter Lange : George Orwell : 1984, München 1982, S. 12 ff. 23 Vgl. Alexander von Bormann : Der Kalte Krieg und seine literarischen Auswirkungen. In : Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. XXI. Literatur nach 1945. Hrsg. von Jost Hermand, Wiesbaden 1979, S. 61–116. 24 Vgl. Joachim G. Leithäuser : Weltuntergänge broschiert und in Leinen. Die schrecklichen Zukunftsbilder der Schönen Literatur. In : Der Monat, H. 37, 1951, S. 474. 25 Vgl. hierzu u. a. Klaus Körner : »Die rote Gefahr«. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950– 2000, Hamburg 2003. 26 Vgl. Christian Hartmann : Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941–1945, München 2011, S. 115 f. Vgl. dazu auch meinen Aufsatz »Auschwitz und Anderswo. Gedanken über politische Großverbrechen.« In : Kulturelle Repräsentationen des Holocaust in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Hrsg. von Klaus L. Berg-
hahn, Jürgen Fohrmann und Helmut J. Schneider, New York 2002, S. 252 f. 27 Hans-Jürgen Krysmanski : Die utopische Methode. Eine literatur- und wissenssoziologische Untersuchung deutscher utopischer Romane des 20. Jahrhunderts. Köln 1963, S. 86. 28 Manfred Nagl : Science Fiction in Deutschland. Untersuchungen zur Genese, Soziographie und Ideologie der phantastischen Massenliteratur, Tübingen 1972, S. 199. 29 Vgl. meinen Aufsatz »Darstellungen des Zweiten Weltkrieges«. In : Literatur nach 1945 (wie Anm. 23), S. 28 ff. 30 Heinz G. Konsalik : Der Arzt von Stalingrad. Roman, München, 4. Aufl., 1972, S. 64–76. 31 Erik von Kuehnelt-Leddihn : Moskau 1997. Roman, Zürich 1949, S. 199. 32 Ebd., S. 309. 33 Edwin Erich Dwinger : Es geschah im Jahre 1965, Salzburg 1957, S. 279. 34 Ebd., S. 294. 35 Ebd., S. 313. 36 Ebd., S. 298.
Das Gebet als einziger Trost der finanziell Minderbemittelten in der Nachkriegsmisere 1 Über Heinrich Bölls Kriegserfahrungen vgl. Christine Gabriele Hoffmann : Heinrich Böll, Hamburg 1977, S. 45–58. 2 Vgl. Karl Korn : Eine Ehe in dieser Zeit. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. April 1953. 3 Vgl. zum Begriff »Trümmerliteratur« Klaus Schröter : Heinrich Böll. In 252
Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek 1982, S. 67 ff. 4 Vgl. hierzu allgemein Albrecht Beckel : Mensch, Gesellschaft, Kirche bei Heinrich Böll, Osnabrück 1966, Wilhelm W. Grothmann : Die Rolle des Religiösen im Menschenbild Heinrich Bölls. In : German Quarterly 44, 1971, S. 191–207, und Manfred Nielen :
Anmerkungen Frömmigkeit bei Heinrich Böll, Annweiler 1987. 5 Heinrich Böll : Und sagte kein einziges Wort. Roman, Köln 1953, S. 65 ff. Im Folgenden im Text zitiert. 6 Vgl. den Abschnitt »Von der amtlichen und von der heimlichen Kirche« in Jochen Vogt : Heinrich Böll, München, 2. Aufl., 1987, S. 48–53.
7 Im Klappentext der Erstausgabe von 1953 heißt im Hinblick auf den Romanschluss : »Es werden keine Vorsätze gefasst und es wird kein fröhlicher neuer Anfang gefeiert. Etwas anderes geschieht : die Unterwerfung unter ein höheres Gesetz als dem des persönlichen Wohlergehens.«
An der Ostfront der »Freien Welt« 1 Vgl. hierzu den Abschnitt »Der Ausbruch des Kalten Kriegs« in meinem Buch : Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945– 1965, München 1986, S. 24 ff. 2 Erstmals am 20. September 1948 in Life. Zit. in : The Ideas of Henry Luce. Hrsg. von John K. Jessup, New York 1969, S. 7. 3 Zum politischen Kurs der LucePresse in diesen Jahren vgl. meinen Aufsatz : Vom Nazismus zum NATOismus. Das westdeutsche Wandlungswunder im Spiegel der Luce-Presse. In : Nachkriegsliteratur in Deutschland, Bd. II. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus R. Scherpe, Berlin 1983, S. 112–128. 4 Karl Jaspers : Freiheit und Wiedervereinigung. Über Aufgaben deutscher Politik, München 1960, S. 38. 5 Bernhard Martell : Aufstand des Abendlandes. Eine politische Provokation, Schweinfurt 1961, S. 27. 6 Alexander Rüstow : Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik, Erlenbach-Zürich 1950–1957, Bd. III, S. 522.
7 Ebd., Bd. III, S. 524. 8 Vgl. u. a. Winfried Martini : Das Ende aller Sicherheit. Eine Kritik des Westens, Stuttgart 1954, und Hans Grimm : Warum – woher – aber wohin ?, Lippoldsberg 1955. 9 Zit. in : Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. März 1952. 10 Zit. in : Nürnberger Nachrichten vom 13. November 1956. 11 Gerhard Kehnscherper : Militärkirche oder kirchlicher Friedensdienst ?, Potsdam 1957, S. 7. 12 Vgl. Alexander von Bormann : Der Kalte Krieg und seine literarischen Auswirkungen. In : Literatur nach 1945. Politische und regionale Aspekte. In : Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. XXI. Literatur nach 1945. Hrsg. von Jost Hermand, Wiesbaden 1979, S. 61–116. 13 Das Standardwerk auf diesem Gebiet ist immer noch Heinz Brüdigam : Der Schoß ist fruchtbar noch … Neonazistische, militaristische, nationalistische Literatur und Publizistik in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M., 2. Aufl., 1965. 253
Anmerkungen 14 Gute Einblicke in diese Literatur geben Klaus Ziermann : Romane vom Fließband. Die imperialistische Massenliteratur in Westdeutschland, Berlin 1969, Erhard Weidl : Krieg im Groschenheft. In : Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur 4, 1973, S. 38–47, Klaus F. Geiger : Kriegsromanhefte in der BRD. Inhalte und
Funktionen, Tübingen 1974, und Ernst Antoni : »Landser«-Hefte. Wegbereiter für den Rechtsradikalismus. Eine Dokumentation, München 1979. 15 Vgl. hierzu auch meinen in Form eines weitgefassten Gesamtüberblicks geschriebenen Aufsatz »Darstellungen des Zweiten Weltkriegs«. In : Literatur nach 1945 (wie Anm. 9), S. 11–60.
Ohne die geringsten Schuldgefühle 1 Vgl. Unsere Republik. Politische Statements westdeutscher Autoren. Hrsg. von Alfred Estermann, Jost Hermand und Merle Krueger, Wiesbaden 1980. 2 Vgl. dazu grundsätzlich Heinz Brüdigam : Der Schoß ist fruchtbar noch … Neonazistische, militaristische, nationalistische Literatur und Publizistik in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M., 2. Aufl., 1965. 3 Vgl. meinen Aufsatz : Darstellungen des Zweiten Weltkriegs. In : Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. XXI. Literatur nach 1945. Hrsg. von Jost Hermand, Wiesbaden 1979, S. 15 ff. 4 Vgl. Hans Wegener : Soldaten zwischen Gehorsam und Gewissen. Kriegsromane und -tagebücher. In : Gegenwartsliteratur und Drittes Reich. Deutsche Autoren in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Hrsg. von Hans Wagener, Stuttgart 1977, S. 241–264 und die Bibliographie dazu. 5 Vgl. Anm. 2. 6 Vgl. Erhard Weidl : Krieg im Groschenheft. In : Basis. Jahrbuch für deut254
sche Gegenwartsliteratur 4, 1973, S. 38–47, und Klaus F. Geiger : Kriegsromanhefte in der BRD. Inhalte und Funktionen, Tübingen 1974. 7 Vgl. Anm. 3. 8 Vgl. Frank Wagner : Literatur auf Kriegskurs. Eine literaturkritische Analyse, Berlin 1961, Hans Joachim Bernhard : Über den antikommunistischen Charakter verfälschender Darstellungen des zweiten Weltkriegs in der Literatur Westdeutschlands. In : Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 13, 1964, S. 121–128, und Klaus Ziermann : Konsalik. Repräsentant eines ganzen Systems. In : Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Leipzig, 137, 26. Jahrg., Nr. 34 vom 25. August 1970, S. 677 ff. 9 Einige Anregungen zum Folgenden verdanke ich den Westberliner und Bremer Studenten P. Hille, F. Uhl, P. Ellinghausen und Fl. Wolter, die dort an meinen Kriegsliteratur-Seminaren teilgenommen haben. 10 Vgl. Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller von den Anfängen bis zur
Anmerkungen Gegenwart, Kronberg 1974, Bd. I, S. 174 f. 11 Vgl. hierzu : Stereotyp und Vorurteil in der Literatur. Untersuchungen zu Autoren des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von James Elliott, Jürgen Pelzer und Carol Poore, Göttingen 1978. 12 Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz »Ein junger Mensch wandelt sich. Herbert Ottos ›Die Lüge‘« (1956). In Jost Hermand : Unerfüllte Hoffnungen. Rückblicke auf die Literatur der DDR, Oxford 2012, S. 57–72. 13 Vgl. hierzu Alexander von Bormann : Der Kalte Krieg und seine literarischen Auswirkungen. In : Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. XXI. Literatur nach 1945. Hrsg. von Jost Hermand, Wiesbaden 1979. 14 Zitiert wird im Text nach Heinz G. Konsalik : Der Arzt von Stalingrad. Roman, München, 4. Aufl., 1972. 15 Zum gleichen Stereotyp gehören der Oberst Karpuschin in Liebesnächte in der Taiga (1966) und der Kommissar Tumow in Liebe am Don (1970), deren Grausamkeit keine Grenzen kennt.
16 Vgl. Klaus Theweleit : Männerphantasien, Bd. I., Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Frankfurt a.M. 1977. 17 In Liebesnächte in der Taiga ist es die schöne Ludmilia Barakowa, in Liebe am Don die noch schönere Kosakin Njuschka, die sich in die deutschen Protagonisten verlieben. 18 Vgl. Frankfurter Hefte 15, 1960, H. 1, S. 39 f. 19 Zit. in Heinz Brüdigam : Der Schoß ist fruchtbar noch … (wie Anm. 2), S. 288. 20 Vgl. Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller (wie Anm. 10), Bd. I, S. 174. 21 Vgl. Matthias Harder : Erfahrung Krieg. Zur Darstellung des Zweiten Weltkrieges in den Romanen von Heinz G. Konsalik, Würzburg 1999, S. 7. 22 Hans Joachim Bernhard : Über den antikommunistischen Charakter (wie Anm. 8), S. 128. 23 Neufassung eines meiner älteren Aufsätze in : Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst 2, 1979, S. 39–50.
Das Unpositive der kleinen Leute 1 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 154–188. 2 Vgl. Friedrich Kröll : Literaturpreise nach 1945. Wegweiser in die Restauration. In : Nachkriegsliteratur in Westdeutschland, Bd. I. Hrsg. von Jost Hermand, Helmut Peitsch und Klaus Scherpe, Berlin 1982, S. 143–164, und
Hanna Leitgeb : Der ausgezeichnete Autor. Städtische Literaturpreise und Kulturpolitik in Deutschland 1926– 1971, Berlin 1994, S. 229–372. 3 Vgl. u. a. Dirk Grathoff : Schnittpunkte von Literatur und Politik. Günter Grass und die neuere deutsche Grass-Rezeption. In : Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur 1, 1970, S. 134–152, Franz Josef Görtz : Günter 255
Anmerkungen Grass und die Kritik. Ein Panorama. In : Günter Grass. Text + Kritik 1, 4. Aufl., 1971, S. 85–96, Irmela Schneider : Kritische Rezeption. »Die Blechtrommel« als Modell, Frankfurt a. M. 1975, Franz Schonauer : Günter Grass. Ein literarischer Bürgerschreck von gestern ? In : Zeitkritische Romane des 20. Jahrhunderts. Die Gesellschaft in der Kritik der deutschsprachigen Literatur. Hrsg. von Hans Wagener, Stuttgart 1975, S. 342– 361, Die Blechtrommel. Attraktion und Ärgernis. Ein Kapitel deutscher Literaturkritik. Hrsg. von Franz Josef Görtz, Neuwied 1984, Rolf Michaelis : Brauchen täten wir ihn schon, aber wollen tun wir ihn nicht. In : Günter Grass. Text + Kritik 1, 6. Aufl., 1988, S. 120– 127, und : Die »Danziger Trilogie« von Günter Grass. Texte, Daten, Bilder. Hrsg. von Volker Neuhaus und Daniela Hermes, Neuwied 199l. 4 Vgl. meine Broschüre : Stänker und Weismacher. Zur Dialektik eines Affekts, Stuttgart 1971. 5 Vgl. Elisabeth Pflanz : Sexualität und Sexualideologie des Ich-Erzählers in Günter Grass’ Roman »Die Blechtrommel«, München 1975, S. 8–18, und Hans-Rudolf Müller-Schwefe : Sprachgrenzen. Das sogenannte Obszöne, Blasphemische und Revolutionäre bei Günter Grass und Heinrich Böll, München 1978. 6 Walter Widmer : Geniale Verruchtheit. In : Basler Nachrichten vom 18. Dezember 1959. 7 Unser Danzig (Lübeck) vom 20. Mai 1960.
256
8 Peter Hornung : Oskar Matzerath – Trommler und Gotteslästerer. In : Deutsche Tagespost (Würzburg) vom 23./24. November 1959. 9 William S. Schlamm : Vom Elend der Literatur. Pornographie und Gesinnung, Stuttgart-Degerloch 1966, S. 56. 10 Kurt Ziesel : Die Literaturfabrik. Eine polemische Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb im heutigen Deutschland, Wien 1962, S. 175. 11 Ebd., S. 268. 12 Wilhelm Horkel in : Deutsches Pfarrerblatt (Essen) vom 1. April 1960. 13 Dr. med. H. Müller-Eckhard : Die Brechtrommel. In : Kölnische Rundschau vom 13. Dezember 1959. 14 Günther Sawatzki : Dem Leben von unten zugeschaut. In : Bunte Blätter (Köln) vom 19./20. Dezember 1959. 15 Vgl. Elisabeth Pflanz : Sexualität und Sexualideologie (wie Anm. 5), S. 22–24, und Günter Grass : Ein Werkstattbericht. 1951–1992, Göttingen 1992, S. III, 13–20. 16 [Kurt Ziesel] : Kunst oder Pornographie ? Der Prozeß Grass gegen Ziesel. Eine Dokumentation, München 1969, Elisabeth Pflanz : Sexualität (wie Anm. 5), S. 26–30, und Günter Grass : Ein Werkstattbericht (wie Anm. 15), S. IV, 17–20. 17 Zit. in Franz Schonauer : Günter Grass. Ein literarischer Bürgerschreck von gestern ? (wie Anm. 3), S. 343. 18 Vgl. Elisabeth Pflanz : Sexualität (wie Anm. 5), S. 80 ff. 19 Vgl. mein Buch : Pop international. Eine kritische Analyse, Frankfurt a. M. 1971, S. 36 ff.
Anmerkungen 20 Jost Nolte : Oskar, der Trommler, kennt keine Tabus. In : Die Welt vom 17. Oktober 1959. 21 Zit. in Elisabeth Pflanz : Sexualität (wie Anm. 5), S. 19. 22 Ebd., S. 19. 23 Peter Hornung : Oskar Matzerath. In : Deutsche Tagespost vom 23./24. Oktober 1959. 24 H. Müller-Eckhard : Die Brechtrommel (wie Anm. 13). 25 Vgl. Elisabeth Pflanz : Sexualität (wie Anm. 5), S. 8. 26 Vgl. mein Buch : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 1), S. 251 ff. 27 Jost Nolte : Oskar, der Trommler, kennt keine Tabus (wie Anm. 20). 28 Peter Hornung : Oskar Matzerath (wie Anm. 23). 29 Vgl. Hanspeter Brode : Die Zeitgeschichte im erzählenden Werk von Günter Grass. Versuch einer Deutung der »Blechtrommel« und der »Danziger Trilogie«, Frankfurt a. M. 1977, S. 47–52. 30 Vgl. Kontroversen um Hitler. Hrsg. von Wolfgang Wippermann, Frankfurt a. M. 1986, S. 26 ff. 31 Günter Grass : Auskunft für Leser. Hrsg. von Franz Josef Görtz, Neuwied 1984, S. 32. 32 Vgl. Hanspeter Brode : Die Zeitgeschichte (wie Anm. 29), S. 17–24 ; Helmut Koopmann : Der Faschismus als Kleinbürgertum und was daraus wurde. In : Gegenwartsliteratur und Drittes Reich. Deutsche Autoren in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Hrsg. von Hans Wagener, Stuttgart 1977, S. 163–182, und Frank-Raymund
Richter : Günter Grass. Die Vergangenheitsbewältigung in der »Danziger Trilogie«, Bonn 1979, S. 31–48. 33 Hanspeter Brode : Die Zeitgeschichte (wie Anm. 29), S. 12–14, und Heinrich Vormweg : Günter Grass. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek 1986, S. 24 ff. 34 Zit. in Hanspeter Brode : Die Zeitgeschichte (wie Anm. 29), S. 22. 35 Ebd., S. 22. 36 Der Spiegel, 1969, Nr. 33 vom 11. August 1969, S. 94. 37 Vgl. Wilfried van der Will : Pikaro heute. Metamorphosen des Schelms bei Thomas Mann, Döblin, Brecht, Grass, Stuttgart 1967, S. 30. 38 Vgl. Elisabeth Pflanz : Sexualität (wie Anm. 5), S. 24. 39 Zit. in Hanspeter Brode : Die Zeitgeschichte (wie Anm. 29), S. 24. 40 Vgl. Werner Frizen : Die Blechtrommel – ein schwarzer Roman. Grass und die Literatur des Absurden. In : Arcadia, 1986, S. 166–189. 41 Vgl. hierzu meine Ausführungen zur Ideologie des nonkonformistischen Konformismus in der Bundesrepublik Mitte der fünfziger Jahre, die ein gesellschaftskritisches Engagement in den Künsten immer wieder verhinderte. In : Kultur im Wiederaufbau (wie Anm. 1), S. 251– 271. 42 Vgl. meinen Essay : Satire und Aufruf. Zu Chaplins Antifaschismus In : Charlie Chaplin. Die Schlußrede aus dem Film »Der große Diktator« (1940), Hamburg 1993, S. 11–52. 43 Vgl. zu diesen Aspekten Hans Magnus Enzensberger : Einzelheiten, Frank257
Anmerkungen furt a. M. 1962 (»Fast unparteiisch schlitzt er die ›welthistorischen‘ Jahre zwischen 1933 und 1945 auf und zeigt ihr Unterfutter in seiner ganzen Schäbigkeit«, S. 224) sowie Franz Schonauer : Günter Grass. Ein literarischer
Bürgerschreck von gestern ? (wie Anm. 3), S. 349–351. 44 Neufassung meines Aufsatzes »Das Unpositive der kleinen Leute«. In : Günter Grass. Ästhetik des Engagements. Hrsg. von Hans Adler und Jost Hermand, New York 1996, S. 1–22.
Bildnachweise Abb. 1 : Städel Museum, Frankfurt a. M./ © Städel Museum – ARTOTHEK Abb. 2 : Bundesarchiv/Plak 100-050001 Abb. 3 : Rainer Zimmermann, Otto Pankok. Berlin 1972, S. 199 Abb. 4 : Melvin J. Lasky/Charlotte A. Levy/Maren M. Roth (eds.), Cold War Politics. New York/Berlin/London, 2010 Abb. 5 : Fritz Löffler, Otto Dix, Wiesbaden, 2. Aufl., 1982, Abb. 150. © VG Bild-Kunst Bonn, 2019 Abb. 6 : Zwischen Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Deutsche und europäische Plakate 1945–1959. München, Stadtmuseum, 1982, Abb. 75 Abb. 7 : Karl-Heinz Graber (Hg.), Ernst Wilhelm Nay. Die Druckgraphik 1923– 1968. Stuttgart 1975, S. 79. © VG Bild-Kunst Bonn, 2019 Abb. 8 : © lyrikline.org Abb. 9 : © akg-images/De Agostini Picture Library Abb. 10 : Hans Bürgin/Hans-Otto Meyer, Thomas Mann. Eine Chronik seines Lebens. Frankfurt a. M., 1965, Abb. 8 Abb. 11 : © ullstein bild Abb. 12 : © ullstein bild Abb. 13 : © akg-images Abb. 14 : © tapatalk.com
Abb. 15 : Markus Josef Klein, Ernst von Salomon. Limburg, 1994, S. 323 Abb. 16 : © akg-images Abb. 17 : Zwischen Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Deutsche und europäische Plakate 1945–1959. München, Stadtmuseum, 1982, Abb. 203 Abb. 18 : © dpa – Bildarchiv Abb. 19 : Karl Hubbuch, Leute hinter Fenstern. In : Wespennest, Nr. 24 vom 3. August 1946, S. 4 Abb. 20 : Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Bildsammlung Abb. 21 : Zwischen Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Deutsche und europäische Plakate 1945–1959. München, Stadtmuseum, 1982, Abb. 201 Abb. 22 : Pabel-Moewig Verlag Rastatt, 1963 Abb. 23 : Zwischen Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Deutsche und europäische Plakate 1945–1959. München, Stadtmuseum, 1982, Abb. 86 Abb. 24 : Bundesregierung/Rolf Unterberg Abb. 25 : Deutsches Historisches Museum/I. Desnica Abb. 26 : © ullstein bild/Becker & Bredel Abb. 27 : © akg-images Abb. 28 : © Steidl Verlag (Originalausgabe Luchterhand Verlag)
Autor und Verlag haben sich um die Klärung der Rechte bemüht. Eventuelle Urheberrechtsverletzungen sind unbeabsichtigt.
259
Personenregister A Abusch, Alexander 70 Acheson, Dean 53 Ackermann, Anton 16 Adenauer, Konrad 30, 45, 129, 132 – 134, 137, 141, 158, 161, 164, 167, 171, 173, 178 – 180, 193, 194, 198, 199, 202, 218, 225 Adorno, Theodor W. 21, 38 – 41, 143, 144, 153, 238 Agartz, Viktor 139 Aichinger, Ilse 17, 163 Albertus Magnus 178 Altenberg, Peter 82 Andersch, Alfred 17, 78, 195 Andres, Stefan 27, 88, 95, 148, 199 Arendt, Erich 70 Arendt, Hannah 21, 143, 153 Artmann, Hans Carl 42 Attlee, Clement Richard 48 B Baader-Meinhof-Gruppe 135 Bach, Johann Sebastian 37 Barlach, Ernst 10, 183 Barth, Emil 78 Bartók, Béla 11, 37 Baruch, Bernard 50 Bauer, Josef Martin 188, 190 Bauer, Walter 81, 184 Baumeister, Willi 11, 13 Becher, Johannes R. 12, 13, 16, 64, 66, 67, 69, 72, 88, 90, 99, 108 – 111 Becker-Trier, Heinz 193 Beckett, Samuel 144 Beer-Hofmann, Richard 66, 67
Beethoven, Ludwig van 37 Benn, Gottfried 42 Bense, Max 13, 42 Benz, Richard 95 Berendsohn, Walter A. 15, 89 Berg, Alban 38 Bergengruen, Werner 27, 44, 77, 78, 95 Berle, Adolf A. 55 Bernanos, Georges 27 Bettermann, Gerhart 16 Beumelburg, Werner 115, 184, 188 Beutler, Ernst 95 Bezzel, Chris 42 Bismarck, Otto von 126 Blank, Herbert 115, 126 Blass, Ernst 82 Blocherer, Karl 25 Bloch, Ernst 246 Blok, Alexander 13 Boccaccio, Giovanni 235 Böll, Heinrich 17, 161 – 164, 166, 167, 169, 171, 193, 194, 199 Borchert, Wolfgang 17 Brahms, Johannes 37 Brandt, Willy 90, 135 Brecht, Bertolt 12, 13, 55, 66, 67, 70, 72, 73, 86, 88, 90, 97, 100, 232, 233, 243 Bredel, Willi 12, 13, 66, 67, 69, 72, 88 Brenner, Hans Georg 163 Brentano, Bernard von 66 Brentano, Heinrich von 30, 45, 178 Broch, Hermann 67, 89 Brod, Max 82 Brück, Max von 144, 246 261
Personenregister Bruckner, Ferdinand 67, 74 Brüdigam, Heinz 200, 253 Byrnes, James F. 53, 61, 62 C Camus, Albert 79, 144 Canaris, Wilhelm 186 Canetti, Elias 85 Carossa, Hans 95 Caspar, Karl 25 Chaplin, Charlie 81, 236 Churchill, Winston 19, 48, 61, 62 Claudel, Paul 27 Claudius, Eduard 20, 70 Clausewitz, Carl von 183, 186
Ehrenstein, Albert 82 Ehrhardt, Hermann 113, 115, 122 Eich, Günter 17, 163 Eichmann, Adolf 194 Einem, Gottfried von 17 Einstein, Albert 56 Eisen, Heinrich 184, 188 Eisenhower, Dwight D. 53, 101, 174, 197 Eisler, Hanns 40 Eppelsheimer, Hanns W. 88 Erhard, Ludwig 30, 31, 90, 130, 179, 180, 225 Eschmann, Ernst Wilhelm 44 Eugen von Savoyen 177
D Dahrendorf, Gustav 16 Därnke, John 14 David, Johann Nepomuk 25 Desch, Kurt 73, 74, 89 Distler, Hugo 25 Dix, Otto 10, 13, 17, 25, 36 Döblin, Alfred 12, 66, 67, 81 – 83, 85, 88, 218 Döhl, Reinhard 42 Dörfler, Peter 78 Drews, Richard 15, 84 Dulles, John Foster 52, 174 Dwinger, Edwin Erich 45, 156, 158, 181, 184, 188 Dymschitz, Alexander 22 Dyrssen, Carl 120
F Felixmüller, Conrad 16, 21 Feuchtwanger, Lion 55, 62, 66, 67, 73, 81, 88, 90, 240 Fladung, Johannes 136 Flake, Otto 95 Flex, Walter 184 Franck, Wolf 66 Frank, Bruno 20, 55, 67 Frank, Leonhard 67, 83 Fraschka, Günter 186 Fricsay, Ferenc 11 Friedensburg, Ferdinand 16 Friedrich II. von Preußen 126 Frings, Josef 45, 167, 179 Frings, Josef Kardinal 168 Fürnberg, Louis 70
E Ebbinghaus, Julius 139 Edschmid, Kasimir 95 Egk, Werner 37 Ehmsen, Heinrich 21 Ehrenburg, Ilja 13
G Gaiser, Gerd 184, 199 Gehlen, Arnold 34 Geiger, Willi 16 Geiler, Karl 139 George, Stefan 44, 247
262
Personenregister Gerlach, Heinrich 192 Giese, Hans 223 Glaser, Horst Albert 223 Goes, Albrecht 199 Goethe, Johann Wolfgang von 10, 77, 81, 84, 110, 111, 125 Goetz, Curt 74 Gohde, Hermann (d. i. Friedrich Heer) 146, 148 Gollwitzer, Helmut 204 Gomringer, Eugen 43 Gorsen, Peter 223 Gotthelft, Ille 122, 123 Graf, Oskar Maria 90 Grass, Günter 161, 192, 217 – 222, 224, 226, 228 – 236 Griese, Friedrich 182 Grimm, Hans 45, 121, 177 Gründel, Günther 118 H Habe, Hans 20, 68, 85 Hallstein, Walter 178 Harnack, Arvid 121 Harpprecht, Klaus 163 Hartmann, Karl Amadeus 11, 17, 37, 105 Hausenstein, Wilhelm 95 Hausmann, Manfred 13, 63, 83 Haydn, Franz Joseph 37 Hay, Julius 72 Heckel, Erich 10 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 133 Heim, Claus 114 Heine, Heinrich 77 Heinrich, Willi 191, 199 Heinz, Friedrich Wilhelm 115 Heiseler, Bernt von 77 Hermlin, Stephan 13, 20, 70, 74, 81, 88
Herrmann-Neiße, Max 66, 67 Herrmann, Otto 16 Hesse, Hermann 64, 77, 88, 147 Heuss, Theodor 95 Heym, Stefan 20, 70, 81 Hielscher, Friedrich 115, 118 Hiller, Kurt 67, 83 Hindemith, Paul 11, 13, 25, 37 Hindenburg, Paul von 113 Hitler, Adolf 54, 58, 59, 62, 76, 97, 107, 108, 117, 119 – 121, 143, 155, 158, 170, 173, 183, 186, 187, 190, 194, 211, 213, 226 – 228, 233, 236 Hochhuth, Rolf 226 Hofer, Carl 10, 16, 17, 21, 36 Hofmannsthal, Hugo von 44, 82 Hofmiller, Josef 95 Hohoff, Curt 147, 183 Hölderlin, Friedrich 184 Holk, Freder van (d. i. Alfred Müller) 155 Höllerer, Walter 224 Holthusen, Hans Egon 44 Homeyer, Heinz von 188 Hoover, Herbert 52 Horbach, Michael 192 Horkel, Wilhelm 221 Hornung, Peter 221, 224, 226 Hubbuch, Karl 16, 166 Huch, Ricarda 16, 64, 95 Hull, Cordell 51, 52 I Ionesco, Eugène 144 J Jackson, Donald L. 112 Jacob, Leonore 105 Jagenburg, Paul 113, 249 Jahnn, Hans Henny 83 263
Personenregister Jaspers, Karl 176 Jens, Walter 145, 163 Joyce, James 13 Jünger, Ernst 44, 60, 88, 95, 115, 121, 183, 199 Jünger, Friedrich Georg 44, 77, 95 K Kafka, Franz 144, 145, 169 Kahler, Erich von 61 Kaminski, Heinrich 25 Kandinsky, Wassily 11 Kantorowicz, Alfred 15, 84, 88 Karl der Große 177 Karsch, Walther 22 Kasack, Hermann 13, 88, 145, 150 Kästner, Erich 64, 105 Käutner, Helmut 193 Kehnscherper, Gerhard 179 Kern, Erich 184, 186, 188 Kesten, Hermann 67, 81, 86 Keun, Irmgard 86 Kipphardt, Heinar 194 Kirst, Hans Hellmut 192, 193, 199 Kiss, Alfred 105 Klee, Paul 11 Klose, Walter 105 Klose, Werner 182 Kluge, Alexander 195 Knopf, Alfred A. 56 Koeppen, Wolfgang 218, 219 Koestler, Arthur 85 – 87, 152, 153 Kogon, Eugen 106, 138 Kolb, Annette 66, 67 Kolbenhoff, Walter 17, 78 Kollwitz, Käthe 10 Konsalik, Heinz G. 45, 156, 190, 200 – 204, 206, 207, 209 – 216 Kooning, Willem de 33 Körber, Lili 66 264
Korn, Karl 163 Korten, Hans-Joachim 186 Krämer-Badoni, Rudolf 163 Kreuder, Ernst 13, 88 Kriegsheim, Herbert 186 Kriwet, Ferdinand 42 Kronhausen, Phyllis 223 Kuby, Erich 193 Kuehnelt-Leddihn, Erik von 45, 86, 156 Kühner, Otto Heinrich 183 L Laar, Clemens 181 Laegeler, Hellmuth 199 La Guardia, Fiorello H. 56 Landgrebe, Erich 191 Langgässer, Elisabeth 27, 44, 88 Langhoff, Wolfgang 74 Lasker-Schüler, Else 67, 82 Lasky, Melvin J. 19 Lawrence, D. H. 235 Le Bon, Gustave 144 Ledig, Gert 191, 199 Le Fort, Gertrud von 27, 44, 77, 78, 95 Lehmann, Wilhelm 44 Lemmer, Ernst 16 Lessing, Gotthold Ephraim 77 Lestiboudois, Herbert 99 Linfert, Carl 95 Lipinsky-Gottersdorf, Hans 136, 250 Lübke, Heinrich 222 Luce, Henry 174 Ludwig, Emil 80 Luft, Friedrich 22, 136 Luft, Werner 34 Lukács, Georg 13, 97, 111, 148, 246 Lüthi, Kurt 34 Lüttichau, Wolf von 105
Personenregister Lützow, Ludwig Adolf Wilhelm von 126 M Maass, Joachim 81 Mann, Erika 61 – 63, 110, 244 Mann, Golo 96 Mann, Heinrich 13, 55, 67, 74, 88, 90, 108, 240 Mann, Klaus 67 Mann, Thomas 54 – 64, 66 – 68, 75, 77, 83, 84, 86, 89, 91 – 99, 101 – 112, 240, 241, 243, 245 – 247 Marchwitza, Hans 20, 70, 72 Marcuse, Ludwig 55, 67, 81, 223 Martell, Bernhard 176 Martini, Winfried 177 Mayer, Hans 20, 70, 81, 88, 111, 246 McCarthy, Joseph 53 McCloy, John Jay 51 Mehring, Walter 68 Mendelssohn, Peter de 85 Meyer, Agnes E. 61 Meyer, Kurt 186 Michels, Josef 183 Miller, Henry 223, 235 Mitscherlich, Alexander 139 Mitscherlich, Margarete 195 Moeller, Paul E. 104 Moeller van den Bruck, Arthur 118, 120, 126 Molo, Walter von 83, 91 – 94, 96, 97, 99 Mombert, Alfred 82 Mon, Franz 42 Morgenthau, Henry 50 – 52, 54, 55, 58, 79, 80, 128, 129, 240 Moser, Hans Albrecht 147 Motherwell, Robert 33 Mozart, Wolfgang Amadeus 37
Müller-Eckhard, Hans 221, 224 Müller, Heiner 71 Musil, Robert 67, 89 Mussolini, Benito 91 N Nagel, Franz 25 Nagel, Otto 16 Nay, Ernst Wilhelm 35 Nebel, Gerhard 84 Nerlinger, Oskar 21 Neumann, Alfred 85 Neumann, Robert 67, 68, 85 Neutsch, Erik 71 Niebelschütz, Wolf von 78 Niebuhr, Reinhold 174 Niekisch, Ernst 16, 115, 116, 118, 121, 126 Nietzsche, Friedrich 58, 144, 148 Nixon, Richard M. 53 Nolde, Emil 10 Nolte, Jost 224, 226 O Obladen, Evi 105 Olivier, Stefan (d. i. Reinhart Stalmann) 182, 204 Opitz, Karlludwig 193 Orff, Carl 37 Ortega y Gasset, José 144 Orwell, George 145, 151 – 153, 251 Otto, Herbert 204 Otto I., Kaiser des Sacrum Imperium 177, 178 Ottwalt, Ernst 119 Ott, Wolfgang 191 P Paetel, Karl O. 115 Pankok, Otto 16 265
Personenregister Patton, George S. 52 Pechstein, Max 10, 16 Pepping, Ernst 25, 27 Perls, Hugo 81 Petersen, Jan 72 Pieper, Josef 95 Pinthus, Kurt 81 Plaas, Hartmut 115, 122 Plievier, Theodor 74, 75, 85, 182, 191 Politzer, Heinz 81 Pollak, Felix 81 Pollock, Jackson 33, 36 Pongs, Hermann 186 Popper, Karl R. 21, 143, 153 Pringsheim, Heinz 38 Prokofjew, Sergej 11 R Rabelais, François 235 Radziwill, Franz 17 Rapacki, Adam 134 Rathenau, Walter 113, 119, 124 Rausch, Jürgen 183 Redslob, Edwin 95 Regler, Gustav 85 Reichenbach, Hans 55 Reimann, Brigitte 71 Remarque, Erich Maria 69 Renner, Georg 105 Renner, Hans 39 Renn, Ludwig 16, 72 Reutter, Hermann 27 Reventlow, Ernst von 115 Richter, Hans Werner 17, 78, 163 Riemeck, Renate 133, 250 Riess, Curt 45, 156, 157 Rilke, Rainer Maria 183 Risse, Heinz 150 Rockefeller, Nelson 33 Röhm, Ernst 120, 122 266
Romain, Lothar 224 Roosevelt, Franklin D. 47, 48, 50 – 58, 61, 62, 68, 80, 98, 101, 108, 110, 111 Rosbaud, Hans 11, 245 Rössing, Karl 16 Rowohlt, Ernst 73, 74, 116, 119, 121, 122, 124, 127, 128, 130, 132, 250 Rufer, Josef 38 Rüstow, Alexander 176 S Sade, Donatien Alphonse François de 222 Sahl, Hans 81 Salomon, Bruno von 115, 119 Salomon, Ernst von 113 – 136, 248, 250 Sartre, Jean-Paul 79 Sattler, Dieter 103, 105, 107 Sawatzki, Günther 221 Schaeffer, Albrecht 67 Schapke, Richard 118 Scharrer, Adam 70, 72 Schauwecker, Franz 115 Scheringer, Richard 115, 119, 126, 132, 249 Schiebelhuth, Hans 78 Schlageter, Leo 119 Schlamm, William S. 40, 177, 221 Schmalenbach, Werner 34 Schmidt, Arno 219 Schmidt, Ernst Wilhelm 147 Schmidt-Rottluff, Karl 10 Schmied, Wieland 34 Schneider, Reinhold 95 Schnitzler, Karl-Eduard von 20 Schnurre, Wolfdietrich 17, 147 Scholl, Hans 45 Scholl, Sophie 45
Personenregister Schönberg, Arnold 11, 38 – 41 Schostakowitsch, Dmitrij 11, 13 Schreiner, Albert 55 Schröder, Rudolf Alexander 44, 78 Schulze-Boysen, Harro 115, 121, 126, 248 Schumann, Robert 37 Schwarz, Georg 78 Schwarz, Hans 120 Seddin, Wilhelm 121, 248 Sedlmayr, Hans 24 Seghers, Anna 12, 13, 16, 66, 67, 70 – 73, 82, 88, 90, 100 Seidel, Ina 78 Seitz, Gustav 21 Shdanow, Andrej 22, 89 Sieburg, Friedrich 97, 163 Simonow, Konstantin 19 Sintenis, Renée 16 Spengler, Oswald 116, 118, 120, 121, 126 Stalin, Josef 19, 47, 48, 68, 97, 108, 143, 157, 158, 183, 204, 209, 211 Stapel, Wilhelm 118, 120 Stenbock-Fermor, Alexander 115 Sternberger, Dolf 96, 246 Sternberg, L. 105 Stettinius jr., Edward R. 51, 52 Stifter, Adalbert 77 Stimson, Henry 51 Storm, Ruth 182 Storz, Gerhard 96 Strasser, Gregor 115 Strasser, Otto 115, 118, 122 Strauß, Franz Josef 90, 178, 198 Strawinsky, Igor 11, 37 Stripling, Robert E. 53 Strittmatter, Erwin 71 Stuckenschmidt, Hans Heinz 22, 38, 39
Suhrkamp, Peter 73, 75, 85 Süskind, Wilhelm Emanuel 96, 97 T Thiele, Josef 105 Thiess, Frank 83, 92, 93, 95, 98, 99 Thimig, Helene 103, 104, 243 Thomas, J. Parnell 53 Tiburtius, Joachim 82 Tillich, Paul 54 Tillinger, Eugene 112 Tito, Josip Broz 61, 157 Toller, Ernst 67, 72, 82, 90 Trier, Hann 34 Truman, Harry S. 48, 53, 61, 62, 110, 174 Tucholsky, Kurt 67, 74, 82 U Uhse, Bodo 67, 70, 72, 115, 119 Ulbricht, Walter 158 Unruh, Fritz von 82, 83 Usinger, Fritz 44, 78 V Valéry, Paul 13 Vandenberg, Arthur H. 52 Vansittart, Robert 79, 129 Venohr, Wolfgang 134 Viertel, Berthold 55 Vossler, Karl 96 W Wagner, Richard 58 Wallace, Henry A. 50, 61, 62, 108, 110 Walser, Martin 161, 194, 249 Walter, Bruno 61 Wandel, Paul 109 Warburg, James P. 51 267
Personenregister Wassermann, Jakob 82 Weber, Alfred 139 Weber-Krohse, Otto 120 Webern, Anton 38, 40 Wegener, Paul 16 Weinert, Erich 66, 67, 69, 70, 72 Weinheber, Josef 44 Weisenborn, Günther 17, 75, 250 Weiskopf, Franz Carl 15, 20, 70, 72 Weiskopf, Grete 70 Weiss, Peter 226 Welles, Sumner 50, 51, 55, 58, 240 White, Harry Dexter 50, 51 Wicki, Bernhard 193 Widmer, Walter 220 Wiechert, Ernst 13, 27, 44, 60, 64, 91, 95, 106, 149 Wiegenstein, Roland H. 163 Wilder, Thornton 13
268
Winter, Fritz 11 Winterstein, Eduard von 16 Wolf, Christa 71 Wolff, Kurt 81 Wolf, Friedrich 12, 67, 69, 87, 88, 100 Wörner, Hans 150 Wöss, Fritz 190 Z Zand, Herbert 191 Zech, Paul 82 Zehrer, Hans 118, 126 Ziesel, Kurt 181, 186, 221, 222 Zuckmayer, Carl 12, 69, 86, 89, 103, 104, 243 Zweig, Arnold 12, 67, 70, 73, 88, 100, 133 Zweig, Stefan 12, 67, 85, 89 Zwerenz, Gerhard 192
PROFESSOREN IM KAMPF GEGEN DIE VERHÄRTETEN FRONTEN IM KALTEN KRIEG
Jost Hermand Vorbilder Partisanenprofessoren im geteilten Deutschland 2014. 310 Seiten, 11 s/w-Abb., gebunden ISBN 978-3-412-22365-6 Auch als ePub erhältlich
Gesellschaftspolitisch engagierte Professoren werden heutzutage – im Gefolge der fortschreitenden Ökonomisierung und zugleich Subjektivierung vieler Lebensbereiche – gern als unzeitgemäße Idealisten, hoffnungslose Utopisten oder gar lächerliche Moralathleten abgetan. Im Gegensatz zu derartigen Anschauungen stellt dieses Buch elf Geisteswissenschaftler vor, die im ideologisch verhärteten Klima des Kalten Kriegs zwischen Ost und West versucht hatten, gegen die systemkonformen Fronten in der BRD und der DDR aufzubegehren. Mögen auch manche ihrer Verlautbarungen veraltet erscheinen, ihre in die politischen Konflikte eingreifenden Haltungen sind bis heute vorbildlich. Es handelt sich dabei um: Richard Hamann, Werner Krauss, Jürgen Kuczynski, Wolfgang Abendroth, Georg Knepler, Hans Mayer, Helmut Gollwitzer, Robert Jungk, Walter Grab, Hans Heinz Holz und Werner Mittenzwei.
EINKOMMENS- UND BESITZVERHÄLTNISSE IN DER LITERATUR
Jost Hermand Das liebe Geld! Eigentumsverhältnisse in der deutschen Literatur 2015. 356 Seiten, gebunden ISBN 978-3-412-50145-7
Im Gegensatz zu eher dichtungsorientierten Deutungsweisen deutscher Literatur geht es in diesem Buch vornehmlich um die Widerspiegelung jener sozioökonomischen Verhältnisse, die letztlich allen kulturellen Überbauphänomenen zugrunde liegen. Als Beispiele dienen dafür – vom späten Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart – vor allem Dramen, Romane, Autobiographien und Gedichte von Rudolf von Ems, Wickram, Grimmelshausen, Lessing, Goethe und Schiller, Immermann, Freytag, Fontane, Hauptmann, Fischer, Kaiser, Fallada, Brecht, Müller, Walser, Wallraff, Scheben, Braun, Hein und Händler, in denen die jeweiligen Wandlungen und Katastrophen bestimmter Wirtschaftsprozesse besonders deutlich zum Ausdruck kommen.
DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR NACH 1945 UND DER KALTE KRIEG
Stefan Maurer | Doris Neumann-Rieser | Günther Stocker Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur Literaturgeschichte in Studien und Quellen, Band 29 2017. 737 Seiten, gebunden ISBN 978-3-205-20380-3 Das Buch ist in einer Open Access Version verfügbar
Anders als es die literaturhistorischen Klischees behaupten, hat sich die österreichische Nachkriegsliteratur sehr wohl mit den politischen Verhältnissen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Jenseits der kanonisierten Namen gibt es hier Texte zu entdecken, die sich explizit in die Diskurse des Kalten Krieges einmischen, brisante Themen aufgreifen und literarisch verarbeiten. Agententhriller und Propagandadramen, Satiren und Zeitromane werden in der vorliegenden Studie im Kontext der nationalen und internationalen politischen Diskurse analysiert. Auf der Basis umfassender Recherchen und unter Berücksichtigung einer großen Materialfülle entsteht dabei nicht nur eine neue Perspektive auf die Kultur des Kalten Krieges, sondern auch ein anderes Bild der österreichischen Literatur nach 1945.
EPISCHE KULTURREFLEXION PRÄGT DEN KLASSISCH MODERNEN ROMAN
Anja Gerigk Kulturromane Narrative Kulturologie von Goethe bis Musil 2019. 243 Seiten, gebunden ISBN 978-3-205-23259-9 Auch als eBook erhältlich
Der „Kulturroman“ beruht auf einer Verbindung von Gattungstypologie und Wissensbildung; er gleicht weder dem Bildungsroman noch archivierenden Schreibweisen. Erzählte Kulturtechniken sowie das Bündnis aus Medien und Diskursen führen zur Kennzeichnung grundsätzlich verschiedener Signaturen. Dieser Zugang erwächst aus der Parallellektüre von Goethes „Wahlverwandtschaften“ und Stifters „Nachsommer“. Den tieferen Umbruch vom normativ-deskriptiven Einheitsbild nach Art des Rosenhauses hin zur querläufigen Funktionslogik im Stil der Wahlverwandtschaften offenbart der klassisch moderne Kanon: u.a. Elias Canettis „Die Blendung“, Alfred Döblins „Wang-lun“, Robert Müllers „Tropen“, Thomas Manns „Zauberberg“, Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“; Hermann Brochs „Tod des Vergil“, Hanns Henny Jahnns „Perrudja“. Anja Gerigk stellt in ihrer Studie erstmals heraus, was Ausnahmewerke der modernen Großepik für unser Verständnis des Kulturbegriffs geleistet haben.