Umweltschutz und Recht: Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen. Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten. Hrsg. von Thilo Brandner / Klaus Meßerschmidt [1 ed.] 9783428498642, 9783428098644

Das Erscheinen des 100. Bandes der »Schriften zum Umweltrecht« soll der Anlaß zu einer Zusammenstellung wichtiger und te

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Umweltschutz und Recht: Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen. Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten. Hrsg. von Thilo Brandner / Klaus Meßerschmidt [1 ed.]
 9783428498642, 9783428098644

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Michael Kloepfer

Umweltschutz und Recht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Berlin

Band 100

Michael Kloepfer

Umweltschutz und Recht Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten

Herausgegeben von Thilo Brandner und Klaus Meßerschmidt

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Umweltschutz und Recht: Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen; ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten / von Michael Kloepfer. Hrsg.: Thilo Brandner ; Klaus Meßerschmidt. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 100) ISBN 3-428-09864-1

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2000 Duncker &

ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09864-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort "Die ,SUR' werden 100." 1981 gegründet, können die Schriften zum Umweltrecht heute bereits das Erscheinen ihres einhundertsten Bandes vermelden. Dies nehmen wir zum Anlaß, diesen besonderen Band zu einer Zusammenstellung wichtiger und teilweise nicht mehr ohne weiteres greifbarer Beiträge des Herausgebers der Schriftenreihe zu nutzen. Die Entwicklung der Schriften zum Umwe1trecht spiegelt in herausragender Weise den stetig wachsenden Stellenwert des Umweltrechts in der rechtswissenschaftlichen Forschung wider. Aus dem Spektrum der umweltrechtlichen Diskussionsforen ist sie nicht mehr hinwegzudenken. Dies ist ein Verdienst ihres Verlegers, vor allem aber auch ihres Herausgebers. Die Veröffentlichungen Kloepfers reichen von der Entstehungsphase des modemen deutschen Umweltrechts bis hin zu seiner anstehenden Kodifikation. Dabei hat er sich mit übergreifenden und grundlegenden Fragestellungen ebenso befaßt wie mit Einzelproblemen aus fast allen Gebieten des Umweltrechts. Ein Kompendium dessen stellt sein 1998 in zweiter Auflage erschienenes Lehrbuch zum Umweltrecht dar. Besonderes Augenmerk gilt auch der Umweltrechtsvergleichung und dem ausländischen Umweltrecht (vgl. SUR Bd. 55). Kloepfers Interesse für die Entwicklung des Umweltrechts und die Umwelt- und Technikrechtsgeschichte erhält dadurch, daß er diesen vergleichsweise jungen Prozeß nicht nur wissenschaftlich beobachtet, sondern u. a. durch Mitwirkung in Gesetzgebungskommissionen mitgestaltet hat, eine über das rein Fachliche hinausreichende persönliche Prägung. Es wäre reizvoll gewesen, Kloepfers Beitrag zur Umweltrechtsentwicklung umfassend zu dokumentieren. Dies hätte jedoch - angesichts von über 250 Veröffentlichungen zum Umwelt- und Technikrecht - den Rahmen des vorliegenden Bandes gesprengt. Wir waren daher gezwungen, eine Auswahl zu treffen. Dabei ließen wir uns von dem Gedanken leiten, daß übergreifende Fragestellungen von dauerhafterem und breiterem Interesse sein dürften als als die zu ihrer Zeit unbestreitbar wichtigen und auch noch nachwirkenden Einzelanalysen. Hieraus erklärt sich die Konzentration auf Verfassungsfragen, die Rechtsumbildung durch Umweltrecht, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und die Perspektive des Umweltstaates, der Rechtsstaat bleiben muß. Einen besonderen Schwerpunkt bilden Aufsätze zum verfassungsrechtlichen Rahmen des Umweltschutzes, die zwischen 1978 und 1996 veröffentlicht wurden und den domenreichen Weg zur Entstehung des

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Vorwort

Art. 20a GG nachvollziehen lassen. Die Entwicklung des Umweltrechts soll anhand zweier Beiträge dokumentiert werden. Der erste aus dem Jahr 1972 spiegelt die Aufbruchstimmung in der Entstehungszeit des modemen Umweltschutzrechts wider. Der zweite Beitrag aus dem Jahr 1994 zieht hingegen eine vorsichtige Zwischenbilanz des bisher Erreichten. Die vorliegende Sammlung wäre nicht zustandegekommen ohne die großzügige Förderung durch den Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot. Herrn Prof. Dr. Norbert Simon. Ihm sind wir zu großem Dank verpflichtet. Um die Erfassung der - aus technischen Gründen vielfach nicht mehr auf Diskette verfügbaren - Texte haben sich die Herren Robert Heine und Christian Zeppezauer. vor allem aber Frau Anne Starke. alle Berlin. verdient gemacht. Frau Katharina Hilbig und Herr Christoph Güttel. beide ebenfalls Berlin. haben uns in wertvoller Weise bei den Korrekturen unterstützt. Auch ihnen danken wir herzlich. Dank schulden wir ebenfalls den Verlagen. die uns als die Rechteinhaber an den einzelnen Aufsätzen in freundlicher Weise die Abdruckgenehmigung erteilt haben. Der ursprüngliche Erscheinungsort der einzelnen Beiträge wird am Beginn des jeweiligen Aufsatzes in einer Fußnote nachgewiesen. Den Schriften zum Umweltrecht wünschen wir auch für die nächsten einhundert Bände (und darüber hinaus!) weiteres Gedeihen und den verdienten Erfolg. Berlin und Frankfurt a. M. im März 2000

Thilo Brandner Klaus Meßerschmidt

Inhaltsverzeichnis I. Grundlagen Auf dem Weg zum Umweltstaat? Die Umgestaltung des politischen und wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland durch den Umweltschutz insbesondere aus rechtswissenschaftlicher Sicht (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

43

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht (1995) .... . . . . ..

79

Recht als Technikkontrolle und Technikermöglichung (1997). . . . . . . . . . . . . . . .. 109

11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes Zum Grundrecht auf Umweltschutz (1978) ................................. 127 Staatsaufgabe Umweltschutz. Vorüberlegungen zu einem umfassenden Thema (1979) ................................................................. 157 Umweltschutz und Verfassungsrecht. Zum Umweltschutz als Staatspflicht (1988) ................................................................. 173 Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen? Zur Entscheidung des VGH Kassel vom 6.11.1989 (1993) ....................................... 203 Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20 a GG (1996) .......... 221

111. Entwicklungen Zum Umweltschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Problematik Bestandsaufnahme - Informationen (1972) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Die Entwicklung des Umweltrechts in der Bundesrepublik Deutschland (1994) 275

I. Grundlagen

Auf dem Weg zum Umweltstaat? Die Umgestaltung des politischen und wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland durch den Umweltschutz insbesondere aus rechtswissenschaftlicher Sicht* I. Einleitung Ist in der heutigen Umweltsituation die klassische Drei-Elemente-Lehre des Staates zu eng geworden? Ein lebensfähiger Staat braucht heute mehr als ein Staatsvolk, eine Staatsgewalt und ein Staatsgebiet. Er bedarf einer Umwelt auf und um sein Gebiet, die seine Fortexistenz nicht gefährdet. Es nimmt daher kaum wunder, wenn heute dem Umweltschutz in allen Programmen der im Bundestag vertretenen Parteien, 1 aber etwa auch in den Verlautbarungen der Kirchen, der Industrie und der Gewerkschaften eine immer größere Bedeutung zukommt und Bürgerinitiativen zu Umweltschutzzwecken so zahlreich wie nie zuvor sind. Dies ist v. a. auf ein - auch aufgrund staatlicher Informationstätigkeit - beträchtlich gesteigertes Umweltbewußtsein der Bevölkerung zurückzuführen, wie es sich auch vielfältig in dem umweltschützend motivierten Engagement der Bürger widerspiegelt. Dennoch darf dieser so dokumentierte ökologische Konsens in der Gesellschaft nicht überschätzt werden, da bei näherer Betrachtung die einzelnen Auffassungen über den notwendigen Umfang und die konkrete Ausgestaltung des Umweltschutzes weitgehend differieren. Parallel zu dem gewachsenen Umweltbewußtsein der Gesellschaft hat sich auch die Haltung gegenüber dem Staat verändert. Die gesellschaftlichen Aktivitäten im Umweltschutz zielen verstärkt darauf, staatliches Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu erzwingen, zu beeinflussen

* Vortrag auf dem "Ladenburger Diskurs" der Gottlieb Daimler- und Kar! BenzStiftung zum Thema "Umweltstaat" am 22.123. November 1988. Aus Zeitgründen konnten die folgenden Ausführungen nur ausschnittsweise vorgetragen werden. Für seine Mitarbeit danke ich meinem Assistenten, Herrn Rüdiger Thull. - Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, 1989, S. 39-78. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Springer Verlag, Heidelberg I Die Programme der im Bundestag vertretenen Parteien werden analysiert von B. M. Malunat. Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu der Wochenzeitung "Das Parlament"), B 29/87, S. 30ff.

I. Grundlagen

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oder zu beschleunigen. Insgesamt erwartet die Gesellschaft vom Staat zunehmend Maßnahmen zur dauerhaften Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Dieser Erwartung hat der Staat seit dem Umweltprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 1971 durch Errichtung von Umweltministerien, durch eine Vielzahl neuer gesetzlicher Regelungen und damit verbunden einer Ausweitung der Umweltadministrationen sowie ständig steigende Umweltinvestitionen Rechnung zu tragen versucht. Gleichwohl kann von einem wirksamen Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland bislang jedenfalls nicht in einem umfassenden Sinne gesprochen werden, wie die aktuellen Bestandsaufnahmen und Diskussionen z. B. beim Waldsterben, bei der Verunreinigung der Nordsee oder bei den Gefährdungen der Trinkwasserversorgung durch Verunreinigungen der Gewässer mit Nitraten und Pflanzenschutzmitteln - die Beispiele ließen sich beliebig vermehren - zeigen. Als Gründe für diese fortdauernden Umweltbelastungen lassen sich etwa anführen: 2 - In der Vergangenheit verursachte Umweltschädigungen lassen sich nicht "von heute auf morgen" beseitigen. Altlasten (im weitesten Sinne) binden noch auf unabsehbare Zeit Kapazitäten im Umweltschutz. - Viele Schadensursachen sind weiter existent. Nicht einmal eine generelle Status-quo-Garantie für die Umwelt (im Sinne eines ausnahmslosen Verschlechterungsverbots) ist faktisch möglich und wird es auch in der Zukunft kaum sein. Auch allgemeine umweltpolitische Rückschrittsverbote sind - jedenfalls rechtlich - nicht haltbar. - Viele Umweltschäden und -gefährdungen werden erst mit der Zeit bekannt, weil sie erst aufgrund des gestiegenen Umweltbewußtseins als solche empfunden werden bzw. bestimmte Entwicklungen sich erst allmählich als schädlich erweisen oder es erst aufgrund synergetischer Effekte zu Schäden kommt. Der Staat muß oft im Ungewissen handeln. - Neue Gefahrdungspotentiale zeichnen sich für die Zukunft bereits ab (z. B. mögliche Umweltauswirkungen der Gentechnologie). - Selbst bei erkannten Gefährdungspotentialen dauert es eine geraume Zeit, bis die Gegenmaßnahmen - so sie denn eingeleitet werden - zu wirken beginnen. Umweltpolitische Erfolge sind insoweit nicht in kurztaktigen Wahlperioden vorzeigbar, weshalb einschlägige Umweltschutzmaßnahmen für den demokratischen, auf die Wahl fixierten Politiker nur sehr begrenzt politisch attraktiv erscheinen. Dies ist um so bedenklicher, als 2

Vgl. E. H. Ritter, NVwZ 1987, 929ff. (930f.).

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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unser Verfassungssystem Ansätze zu politischer Langzeitverantwortung nicht kennt. Dies alles führt dazu, daß staatliche Maßnahmen des Umweltschutzes oft nicht den Erwartungen entsprechen, die v. a. im Umweltschutz engagierte Bürger an die staatliche Umweltpolitik richten. Über die einzelnen (politischen) Ursachen dieses partiellen 3 "Staatsversagens" im Umweltschutz herrscht - wie wegen der gegensätzlichen Interessen und Auffassungen in Politik und Gesellschaft nicht anders zu erwarten - Streit. Einigkeit herrscht allerdings weitgehend darüber, daß die bisherige Umweltpolitik kein ausreichend wirksames Instrumentarium zum Schutze der Umwelt zur Verfügung gestellt hat4 . Die Forderung nach neuen Wegen in der Umweltpolitik5 wird erhoben, eine ökologische Wende 6 wird eingefordert mit dem Ziel, das umweltpolitische und -rechtliche Instrumentarium zu verbessern. Wie dies geschehen soll, ob man die bisherige Umweltpolitik lediglich unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse weiterentwickeln will, ob man eine "Vergesellschaftung" der Umwelt im Sinne einer Zurückdrängung staatlicher Umweltaktivitäten bei gleichzeitiger Stärkung marktwirtschaftlicher Instrumente oder im Gegenteil eine ökologische Planwirtschaft befürwortet, ob man aufbauend auf dem neuzeitlichen Verständnis der Natur in Philosophie und den Naturwissenschaften zu einer völligen Umgestaltung der Umweltpolitik im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise gelangen will, ist Gegenstand der aktuellen Diskussion. Unabhängig davon, wie die zukünftige Umweltpolitik nun tatsächlich gestaltet wird, bleibt festzustellen: Jede Ausweitung des Umweltschutzes hat letztlich Auswirkungen auf das politische und wirtschaftliche System unseres Staates. Sind wir also auf dem Weg zu einem "Umweltstaat"; auf dem Weg zu einem Staatswesen, welches die Unversehrtheit seiner Umwelt zu seiner Aufgabe sowie zum Maßstab und zum Verfahrens ziel seiner Entscheidungen macht? Wie sind die Auswirkungen neuer einschlägiger Denkmodelle politisch, ökologisch und ökonomisch sowie nicht zuletzt auch rechtlich zu bewerten, 3 Von einem generellen Staatsversagen im Umweltschutz kann angesichts der durchaus vorhandenen Erfolge in der Bundesrepublik nicht gesprochen werden. 4 M. Krusche, Umweltrecht: Neues Denken - neue Perspektiven, Stuttgart 1988, S. 73, spricht gar - wenig differenziert - von "der Unbrauchbarkeit und Unzulänglichkeit des traditionellen rechtlichen Instrumentariums". 5 Vgl. etwa R. Decker, Operation Umwelt, Neuhausen-Stuttgart 1988, S. 273; Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn (Hrsg.), Neue Wege in der Umweltpolitik, Stuttgart 1984, passim. 6 Vgl. G. Kunz (Hrsg.), Die ökologische Wende, München 1983, passim.

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I. Grundlagen

und welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die Zulässigkeit und bejahendenfalls für die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Konzeption? Diese Fragestellungen können im Rahmen des Projekts "Umweltstaat" geklärt werden. Dabei wird u. U. auch eine Quasi- (Sozial- und)-verfassungsverträglichkeitsprüfung unterschiedlicher umweltschützend motivierter Staatsmodelle notwendig werden. Unter dem Begriff der Verfassungsverträglichkeitsprüfung wird im folgenden die Prüfung der Vereinbarkeit der jeweiligen Konzeption mit den tragenden verfassungsrechtlichen (Staats struktur-)prinzipien, den Staatsaufgabenbestimmungen und insbesondere den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten Dritter verstanden. Sollten sich insoweit Unvereinbarkeiten ergeben, so sollen allerdings umgekehrt auch die Notwendigkeit, die Zulässigkeit und die Auswirkungen von einschlägigen Verfassungs änderungen in die Prüfung einbezogen werden. Insofern kann das Projekt "Umweltstaat" auch eine Art Umweltverträglichkeitsprüfung des Grundgesetzes in seiner derzeitigen Fassung darstellen.

11. Der Begriff "Umweltstaat" Der Begriff des Umweltstaates bedarf der Klärung. Denn er kann sowohl in seinem Umfang als auch in seiner Zielrichtung recht unterschiedlich aufgefaßt werden. Wie bereits erwähnt, soll unter diesem Begriff zunächst ein Staatswesen verstanden werden, das die Unversehrtheit seiner Umwelt zu seiner Aufgabe sowie zum Maßstab und zum Verfahrensziel seiner Entscheidungen macht 7 . Dies bedeutet aber nicht, daß der gesellschaftliche, also nichtstaatliche Bereich aus der Betrachtung ausgeklammert werden soll. Ein "Umweltstaat" in dem hier zugrundegelegten Sinne könnte auch durch einen verstärkten nichtstaatlich getragenen Umweltschutz geprägt seins. Im übrigen bleibt festzuhalten, daß der Begriff Umweltstaat - soweit als möglich - wertneutral verwendet werden soll. Dabei soll aber nicht verkannt werden, daß die Begriffsbildung - je nach Interessenlage - Assoziationen an den im wesentlichen wohl (noch?) positiv besetzten Begriff des 7 Der von E. Denninger (KJ 1988, I ff.) gebrauchte Begriff "Präventions-Staat" ist dagegen wegen der umfassenderen Zielsetzung (Daseinsvorsorge, Rechtssicherheit, Risikovorsorge und soziale Gerechtigkeit) weiter. S Damit soll jedoch die traditionelle Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht aufgehoben werden. Es ist allerdings festzustellen, daß gerade die Ausweitung der Staatstätigkeit im Umweltschutz zunehmend eine Integration von Staat und Gesellschaft bewirkt - vgl. auch M. Kloepfer, DVBI. 1979, 639 ff. (640); wie hier auch P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre. Wien 1986, S. 62 f.

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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"Sozialstaats" (Umweltstaat als ein Staat, der sich für den Ausgleich gesellschaftlicher Anforderungen an die Natur einerseits und der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen andererseits einsetzt und ihn mitgestaltet = Umweltgestaltungsstaat)9 oder aber an den negativ besetzten Begriff des "Polizeistaats" (Umweltstaat als ein Staat, in dem durch unlimitierte und übermäßige staatliche Umweltmaßnahmen Freiheitsrechte ganz oder weitgehend beseitigt werden)lo hervorruft, die eine rationale Auseinandersetzung über Chancen und Risiken eines Umweltstaates erschweren können.

111. Zum heutigen Verständnis der Rolle des Staates im Umweltschutz: Von der Staatsaufgabe Umweltschutz zur Staatspflicht? 1. Umweltschutz als Staatsaufgabe

Spätestens mit der - längst vollzogenen - Überwindung des sog. egozentrischen Ansatzes des Umweltschutzes, 1 1 also mit der Anerkennung einer über das eigene, auch nahestehende Personen betreffende Interesse hinausgehenden Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber der Umwelt, wird der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu einer Aufgabe des Gemeinwesens 12. Die natürlichen Lebensgrundlagen werden zu Gemeinschaftsgütern, an deren Erhaltung und zukünftigen Nutzungsmöglichkeit alle zu dem Gemeinwesen gehörenden Individuen ein (auch existentielles) Interesse haben. Aber auch dort, wo es nicht um die Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter von Menschen geht, bedarf es wegen der allgemeinen Bedeutung dieser Gemeinschaftsgüter - jedenfalls insoweit, als gesellschaftliche Regelungsmechanismen zur Erreichung der genannten Zielsetzung nicht (hinreichend) tauglich sind - des Staates als einer übergeordneten Rege9 Begriff nach N. Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz, in: Verhandlungen d. 6. ÖJT 1976, Wien 1976, S. 21 ff.; vgl. auch P. Pemthaler, a.a.O., S. 63. \0 Negativ ist auch der von R. Jungk (Der Atom-Staat, München 1977) geprägte Begriff des .. Atomstaates" gemeint. Ähnliches gilt für den Begriff: Chemiestaat etc. 11 Vgl. hierzu G. Teutsch, Lexikon der Umweltethik, Düsseldorf 1985, S. 22f.; K. M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, München 1984, S. 23. 12 Vgl. zum folgenden etwa H. P. Bult, Staats aufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., 1977, S.224ff.; O. Hoffe, Natur als Orientierungspunkt der Ethik, liberal 1983, 324 ff.; ders., Umweltschutz als Staatsaufgabe - Umrisse einer rechtsphilosophischen Begründung, in: Mensch und Umwelt, Festgabe der Rechts-, Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) zum Schweizerischen luristentag 1980, S. 307 ff.; M. Kloepfer, Staatsaufgabe Umweltschutz, DVBI. 1979, 639 ff. (641 ff.); G. Köhler, (Staatlicher) Umweltschutz und (privater) Eigennutz, in: H. Lübbe/E. Ströker (Hrsg.), Ökologische Probleme im kulturellen Wandel, 0.0., 1986, S. 135ff. (136f.); D. Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38, 1980, S. 167ff. (170ff.).

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1. Grundlagen

lungsmacht. Diese hat das Allgemeininteresse an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu konkretisieren und durchzusetzen, soweit dieses gewichtiger als andere Interessen ist. Aus der Dimension der bezeichneten Aufgabenstellung folgt die Erkenntnis, daß letztlich nur der Staat - u. a. kraft seines Gewaltmonopols - über die erforderlichen Mittel und die Macht verfügt, um sie zu realisieren 13. Diesem Auftrag kann der Staat insbesondere dadurch gerecht werden, daß er die als öffentliche Güter zu qualifizierenden natürlichen Lebensgrundlagen einer Zugangs- bzw. Nutzungsregelung unterwirft. Denn die Umweltgüter sind zwar öffentlich (im Sinne von frei zugänglich und nutzbar), jedoch nicht unbeschränkt verfügbar, also in wirtschaftswissenschaftlicher Terminologie als "knapp" zu bezeichnen. Es ist allerdings zu beachten, daß staatlicher Umweltschutz auf die Mitwirkung der einzelnen Bürger und der gesellschaftlichen Gruppen angewiesen bleibt. Gegen den Willen der Betroffenen ist ein effektiver Umweltschutz nur unter Anwendung repressiver Instrumente möglich. Dies würde vermehrt zu Freiheitsbeschränkungen, u. U. zum verstärkten Einsatz staatlicher Gewalt und eventuell dadurch zu politisch-psychologischen Realisierungshemmnissen führen. Ein wirkungsvolles Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft im Umweltschutz setzt demnach ein entsprechendes Umweltbewußtsein bei den Betroffenen voraus. Eine diesbezügliche Informations- und Aufklärungsarbeit gehört daher zum (gesetzlich zu regelnden) Kernbereich staatlicher Umweltpolitik. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist nach alledem zwar grundsätzlich als eine öffentliche (im Sinne von gemeinschaftsbezogene), aber eben nicht durchgehend als eine staatliche Aufgabe zu qualifizieren. Wenngleich nach alledem auch dem nicht staatlich verantworteten Umweltschutz beträchtliche Bedeutung zuzumessen ist, so kommt dem Staat aufgrund der ihm überantworteten Sicherung des Gemeinwohls und der ihm vorbehaltenen Führungsaufgabe innerstaatlicher Prioritätenbildung sowie aufgrund seiner Machtmittel faktisch ein deutliches Übergewicht bei der Durchsetzung von Umweltschutzzielen zu.

2. Umweltschutz als Staatsptlicht? Angesichts der oben beschriebenen zunehmenden Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen fragt sich, ob dieser tatsächlichen Entwicklung nicht auch ein Wandel im Hinblick auf die Rolle des Staates im Umweltschutz folgt oder doch wenigstens folgen müßte. Ist nicht längst aus 13

Vgl. D. Rauschning, VVDStRL 38, 1980, S. 167ff. (172).

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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der ,,staatsaufgabe Umweltschutz" eine "Staatspflicht zum Umweltschutz" geworden?14 Aus verfassungsrechtlicher Sicht bleibt freilich festzuhalten, daß aus dem dargelegten staatlichen Dürfen, d. h. der Kompetenz zu (staatlichen) Umweltschutzaktivitäten nicht automatisch eine Pflicht (im Sinne von verbindlichen Handlungsgeboten) zum Schutze der Umwelt folgt. Eine solche Pflicht bedürfte einer eigenständigen Ableitung aus der Verfassung. Obwohl das Grundgesetz eine ausdrückliche Verfassungspflicht zum Umweltschutz nicht kennt, könnten diejenigen Grundrechte, welche (auch) umweltschutzbezogene Teilgewährleistungen enthalten (z. B. Art. 2 Abs. 2, Art. 14 GG), den Staat zu umweltschonendem Verhalten bzw. zur unmittelbaren Wahrnehmung von Aufgaben des Umweltschutzes im Einzelfall verpflichten. Dabei ist zwischen den verschiedenen Wirkungsweisen der Grundrechte zu unterscheiden: Zum einen wirken diese als Abwehrrechte gegen staatlich verursachte Umweltbeeinträchtigungen. Unproblematisch ist dies, wenn es um die Abwehr von unmittelbar durch den hoheitlich handelnden Staat verursachte Umweltbeeinträchtigungen geht. Schwieriger ist die Sachlage umgekehrt dort, wo die Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber Umweltbeeinträchtigungen dienen sollen, welche wegen der staatlichen Genehmigung und Überwachung des umweltbeeinträchtigenden Handeins als (auch) staatsverursacht bewertet werden könnten. Eine unmittelbare Geltung der Grundrechte ließe sich nur über eine Konstruktion erreichen, über die dem Staat die (genehmigten) Umweltbeeinträchtigungen zugerechnet werden könnten, so daß der Betroffene seinen grundrechtlichen Abwehranspruch geltend machen könnte. Inwieweit ein derartiges Verständnis staatlicher Genehmigungen mit den gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Genehmigungsverfahrens in Einklang zu bringen ist, bedarf einer eingehenden Prüfung. Soweit es um die Abwehr von privatverursachten Umweltbelastungen unmittelbar gegenüber privaten Dritten geht, beanspruchen die Grundrechte wegen ihrer grundsätzlich fehlenden Drittwirkung keine unmittelbare Geltung, was nach herrschender Meinung eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte über die Generalklauseln des unterverfassungsrechtlichen Privatrechts nicht ausschließt. Im übrigen entwickeln die in den Grundrechten enthaltenen objektivrechtlichen Wertentscheidungen mittelbar eine Schutzwirkung, die v.a. in Verbindung mit Art. I Abs. I Satz 2 GG Schutzpflichten des Staates gegenüber Dritten begründen können. Die Reichweite dieser objektivrechtlichen Schutzpflichten betrifft aber nur unmittelbar rechtswidrige Eingriffe Dritter und erfaßt insbesondere im Schutzbereich des Art. 2 14 Vgl. statt vieler M. Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, 305 ff. (308 ff.); D. Rauschning, VVDStRL 38. 1980. S. 167 ff. (177 ff.).

2 Kloepfer

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I. Grundlagen

Abs. 2 GG nur schwere Umweltbeeinträchtigungen mit möglichen erheblichen Auswirkungen für die menschliche Gesundheit. Entsprechendes gilt für die Abwehr umweltvermittelter Schädigungen privaten Eigentums (Art. 14 GG). Daraus folgt, daß der durch die Grundrechte gewährte Schutz im Ergebnis nur einen relativ kleinen Bereich der Umweltproblematik abdeckt. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip läßt der Umweltschutz sich nur in sehr engen Grenzen als Staatsaufgabe herleiten. Denn das Sozialstaatsprinzip fordert nur den Schutz eines Kernbereichs, ohne den eine soziale, am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Gesellschaftsordnung schlechterdings undenkbar ist. Insofern kann aus dem Sozialstaatsprinzip nur insoweit eine Pflicht zum Schutze der Umwelt hergeleitet werden, als es um die Gewährleistung des "ökologischen Existenzminimums" geht. Soweit allerdings verfassungsableitbare Schutzpflichten bestehen, gelten diese nicht nur gegenüber den derzeit lebenden Menschen. Denn die Garantien der Verfassung entfalten insoweit prinzipiell auch einen "Nachweltschutz,,15. Zwar stehen den zukünftigen Generationen keine subjektiven Abwehrrechte zu. Davon unabhängig besteht aber die Schutzpflicht des Staates als Ausfluß der objektivrechtlichen Wertentscheidung des Grundgesetzes. Soweit also faktische Auswirkungen umweltrelevanter Handlungen hinreichend prognostizierbar sind und sich dabei nicht hinnehmbare Risiken für zukünftige Generationen ergeben, besteht eine Pflicht des Staates, diesen Risiken (heute) zu begegnen. Die verfassungsabgeleiteten (partiellen) Schutzpflichten des Staates bestehen deshalb auch im Bereich der Umweltvorsorge. Darüber hinaus rechtfertigt sich die Begründung einer staatlichen Zuständigkeit im Bereich der Umweltvorsorge - speziell im Hinblick auf die Ressourcenbewirtschaftung - auch aus folgenden Überlegungen: Aus der Qualifizierung bestimmter Aktivitäten als Vorsorge maß nahmen folgt zwar - wie etwa die Beispiele privater Vorsorge zeigen - nicht zwingend, daß es sich hierbei um die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben handelt. Doch zeigen die Erfahrungen im Bereich der Umweltvorsorge, daß nichtstaatliche Vorsorgemaßnahmen etwa von Unternehmen und Verbänden - selten über die nähere Zukunft hinausgehen und im wesentlichen vom Eigeninteresse der Handelnden bestimmt sind. Demgegenüber umfaßt der staatliche Auftrag zur Existenzsicherung für zukünftige Generationen nicht nur eine erkennbar andere inhaltliche, dem staatlichen Gemeinwohlauftrag verpflichtete Komponente, sonIS Vgl. P. Henseler, Verfassungsrechtliche Aspekte zukunftsbelastender Parlamentsentscheidungen, AöR 108 (1983), S. 489ff. (547ff.); H. Hofmann, Nachweltschutz als Verfassungsfrage, ZRP 1986, S. 87 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, Berlin 1985, S. 206ff.

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dem v. a. auch eine erheblich andere (weil sehr viel weitere) zeitliche Dimension. Auch wenn die - teilweise wohl unvenneidlichen - Mängel und Unvollkommenheiten staatlicher Planung der staatlichen Zukunftsvorsorge natürliche Grenzen setzen, so steht diese doch faktisch in der weitgehend alleinigen Verantwortung für die langfristige Kontinuität des Gemeinwesens. Der Staat ist der entscheidende Patron für die Zukunft. Soweit eine wirkliche Konkurrenz zwischen privaten und staatlichen Umweltschutzaktivitäten nicht besteht, ist der Staat praktisch allein zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aufgerufen. Dies begründet ein faktisches Monopol des Staates für den Bereich der weit vorausschauenden Umweltvorsorge. Damit ist allerdings keineswegs der Gesamtbereich etwaiger Umweltschutzaktivitäten des Staates erfaßt. Die genannten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates gebieten jedoch keinen vollständigen Ausschluß jeglichen Risikos 16. Die Forderung nach einem völligen Risikoausschluß wäre unverhältnismäßig, da sie zwangsläufig im praktischen Ergebnis zu einem nahezu unbegrenzten Technikverbot führen würde. Ein bestimmtes "Restrisiko" wird verfassungsrechtlich akzeptiert und begrenzt die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen. Unter dem Begriff "Restrisiko" versteht man unterhalb der Schwelle der sog. praktischen Vernunft liegende Ungewißheiten. Die Grenzziehung zwischen Vorsorgepflicht und hinzunehmendem (Rest-)Risiko erfolgt anhand einer im konkreten Einzelfall vorzunehmenden Güterabwägung zwischen der oben bezeichneten Schutzpflicht des Staates einschließlich der Grundrechte der Umweltbelasteten einerseits und den verfassungsrechtlichen Abwehrrechten (Berufsfreiheit, Eigentumsrecht) der Umweltbelaster andererseits unter Beachtung vergleichbarer Zivilisations- und Lebensrisiken sowie des jeweiligen Standes der (bzw. von Wissenschaft und) Technik und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 17 . Eine "Lücke" in den verfassungsrechtlich begründeten Schutzpflichten könnte aber insoweit bestehen, als es um den Schutz der Natur als solcher geht. In dem Bereich, in dem nicht der Schutz der Existenzgrundlagen (bzw. wesentlicher Grundrechte) des Menschen in Rede steht, sondern lediglich die Natur um ihrer selbst willen geschützt werden soll, fehlt es im Rahmen des anthropozentrischen Ansatzes des Grundgesetzes (bislang) an einer ausdrücklichen Schutzverpflichtung des Staates.

16 Ausdrücklich etwa P. Marburger, Das technische Risiko als Rechtsproblem, Bitburger Gespräche Jahrbuch 1981, S. 39ff. (44), demzufolge der Verfassung kein individuelles, dem Staat gegenüber geltend zu machendes Recht auf Risikofreiheit entnommen werden kann. 17 Vgl. etwa E. Benda, et 1981, 868ff. (870 m.w.N.).

2'

I. Grundlagen

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Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Grundgesetz in seiner geltenden Fassung den Staat nur verpflichtet, erhebliche Gefährdungen von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Eigentum seiner Bürger und zukünftiger Generationen abzuwehren bzw. zu verhindern. In diesem Kernbereich ist der Umweltschutz eine unmittelbar vom Staat in eigener Verantwortung zu erfüllende Aufgabe, deren Wahrnehmung er nicht den Bürgern überlassen darf. Außerhalb des soeben bezeichneten Aufgabenkreises trifft den Staat allerdings auch dort, wo eine Risikolage jederzeit in eine Gefahrenlage umschlagen kann, eine Pflicht zur umfassenden Beobachtung und Überwachung der Umwelteinwirkungen. Ob der Staat weitere, nicht zum Kernbereich gehörende Aufgaben in eigener Verantwortung erfüllt oder aber nichtstaatliche Formen des Umweltschutzes bevorzugt, bleibt prinzipiell der staatlichen, insbesondere gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit vorbehalten. Eine generelle Pflicht des Staates, außerhalb des oben beschriebenen Kernbereiches des Umweltschutzes Aufgaben nichtstaatlichen Trägern zu übertragen, besteht jedoch nicht. Andererseits ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß sich im Einzelfall aus den Grundrechten potentieller Träger des Umweltschutzes (allgemeiner Handlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit) in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Pflicht ergeben kann. Im übrigen kann sich der Gesetzgeber auch dort, wo dies verfassungsrechtlich nicht geboten ist, für eine vorrangige Aufgabenerfüllung durch nichtstaatliche Träger entscheiden, solange er sich dadurch nicht Aufgaben aus dem Kernbereich staatlichen Umweltschutzes begibt.

3. Staatsaufgabenbestimmung "Umweltschutz" im Grundgesetz Die soeben geschilderte verfassungsrechtliche Situation hat denn auch bei allen im Bundestag vertretenen Parteien zu der Auffassung (oder doch zu der Aussage) geführt, daß eine Ergänzung des Grundgesetzes (mindestens) mit einer Staatsaufgabenbestimmung "Umweltschutz" erfolgen sollte. Diese Auffassung wurde bisher allerdings nicht realisiert, nicht zuletzt wohl deshalb, weil die von den Fraktionen im Bundestag vorgelegten Entwürfe in Einzelheiten stark changieren 18 . Die Aufnahme einer Staatsaufgabenbestimmung Umweltschutz hätte zunächst eine möglicherweise nicht unbeträchtliche politische Bedeutung. Diese hängt auch, aber nicht primär, von der konkreten Formulierung der Staatsaufgabenbestimmung ab. Nach Auffassung der Sachverständigenkom18

Ausführlich zu den einzelnen Vorschlägen M. Kloepfer, DVBI. 1988, 305 ff.

(311 ff.).

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mission Staatszieibestimmungen/Gesetzgebungsaufträge l9 kommt schon der Einbeziehung des Umweltschutzes als Staatsaufgabe in das Grundgesetz "unabhängig von der Ausfonnulierung im einzelnen - ... bedeutsame positive Auswirkungen politischer Art zu" (Impulsfunktion für Legislative und Exekutive; edukatorische Wirkung für den Bürger; Integrationsfunktion). Demgegenüber seien negative politische Wirkungen nicht zu befürchten. Dabei stellt sich aber die Frage, ob diese insgesamt sehr positive Einschätzung nicht auf einer Unterschätzung der auch von der Sachverständigenkommission erkannten Gefahren beruht. Die spezifischen rechtlichen Auswirkungen der geplanten Aufnahme einer Staatsaufgabenbestimmung "Umweltschutz" in das Grundgesetz hängen dagegen entscheidend von der konkreten Fonnulierung ab. Eine detaillierte Prognose der mit der Aufnahme der Staatsaufgabenbestimmung verbundenen (rechtlichen) Entwicklungen der Umweltpolitik und denen des Umweltrechts kann daher erst erfolgen, wenn der endgültige Wortlaut der entsprechenden Regelung feststeht 2o . Gleichwohl kann bereits jetzt prognostiziert werden, daß die rechtlichen und praktischen Auswirkungen einer solchen Verfassungsänderung nicht zu unterschätzen (aber auch nicht zu überschätzen) wären und sicherlich auch Einfluß auf die hier zu untersuchende Frage hätten. Die Aufnahme einer Staatsaufgabenbestimmung Umweltschutz in das Grundgesetz könnte insgesamt ein weiterer Schritt zur Konstituierung eines Umweltstaates in der Bundesrepublik Deutschland sein.

4. Problemaspekte des Umweltverfassungsrechts Die vorgestellte Entwicklung in Richtung eines Umweltstaats, insbesondere die Bejahung einer (tendenziell sich ausweitenden) Staatspflicht zum Umweltschutz, ist verfassungsrechtlich nicht unproblematisch. Denn jede Ausweitung staatlicher Handlungspflichten führt zu Kollisionen mit gegen-

19 Bundesminister des Innem/Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen - Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission, Bonn 1983. 20 Vgl. zur aktuellen Diskussion O. Depenheuer, DVBI. 1987, 809ff.; Dt. Bundestag (Hrsg.), Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz - Anhörung des Rechtsausschusses, Bonn 1988; K. Heinz, ZfU 1988, Iff.; M. Kloepfer, DVBI. 1988, 305 ff. (311 ff.); L. Michel, Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im Grundgesetz, Frankfurt 1986; ders., NuR 1988, 272ff.; D. Murswiek, ZRP 1988, 14ff.; A. v. Mutius, WiVerw 1987, 51 ff.; H. J. Peters, NuR 1987, 293 ff.; D. Rauschning, DÖV 1986, 489ff.; H. H. Rupp, DVBI. 1985, 990ff.; K. Stern, NWVBI. 1988, I ff.; R. Stober, JZ 1988, 426ff.; E. Wienholtz, AöR 109 (1984), 532ff.

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läufigen verfassungsrechtlichen Aussagen. kommen insbesondere in Betracht:

Als

solche

Problemfelder

a) Umweltpflichtigkeit der Grundrechte?

Als Grenze staatlicher Handlungspflichten sind insbesondere die Grundrechte derjenigen anzusehen, die als potentielle Umweltbelaster Adressaten staatlicher Maßnahmen des Umweltschutzes sein können. Die Frage, inwieweit die einschlägigen Grundrechte einen Schutz gegenüber staatlichen Umweltschutzmaßnahmen vermitteln können, rückt damit in den Vordergrund 21 • Vorsicht ist dabei gegenüber der pauschalen Annahme einer allgemeinen Umweltpflichtigkeit der Grundrechte jedenfalls im Sinne einer allgemeinen ökologischen Reduzierung der Grundrechtstatbestände oder einer Per-seVorrangentscheidung für den Umweltschutz, geboten. Eine solche allgemein formulierte Pflicht zu einem umweltverträglichen Verhalten würde den Bürger nur zu leicht nicht mehr primär als eine selbständig und selbstverantwortlich handelnde Person, sondern letztlich nur noch als Objekt einer umweltrechtlichen Zugriffsordnung behandeln. Eine solche Konzeption wäre aber mit der bestehenden Verfassung nicht mehr zu vereinbaren. Dies gilt zumindest so lange, wie eine (verfassungsrechtlich verankerte) allgemeine individuelle Umweltpflicht nicht besteht, deren Einführung allerdings - jedenfalls in mittlerer Zukunft - kaum zu erwarten ist22 • b) Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung

Im bundesstaatlichen Bereich bleibt es theoretisch nach Art. 70 GG bei der gesetzgeberischen Regelzuständigkeit der Länder. Dennoch verfügt der Bundesgesetzgeber über sehr weitgehende Einzelzuständigkeiten auf dem Umweltsektor23 . Trotz dieses deshalb im Ergebnis unbestreitbaren Übergewichts beim Bund bestehen auch weiterhin umweltrelevante Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder24 . Soweit allerdings von diesen Landesge21 Vgl. hierzu etwa D. Murswiek. Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik. Berlin 1985, S. 88 ff.; H. G. Henneke. Landwirtschaft und Naturschutz, 1986, S. 11 0 ff. 22 Zu den Gründen vgl. M. Kloepfer. DVBI. 1988, 305ff. (308). 23 Der Bund besitzt die - meist umfassend ausgeschöpfte - konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74) auf den Gebieten des Kernenergierechts (Nr. 11 a), des Pflanzen- und Tierschutzrechts (Nr. 20), des Gefahrstoffrechts (Nr. 11, 12, 17, 19, 20), des Abfall-, Lännschutz- und Luftreinhaltungsrechts (Nr. 24), sowie die Rahmenkompetenz (Art. 75) auf den Gebieten des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Nr. 3), der Raumordnung und des Wasserhaushalts (Nr. 4).

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setzgebungskompetenzen nicht oder nicht hinreichend Gebrauch gemacht wird, wird ein weiteres Tätigwerden des Bundesgesetzgebers politisch jedoch geradezu herausgefordert,25 ist aber rechtlich ohne Verfassungsänderung nicht zulässig. Die Großräumigkeit von Umweltproblemen spricht indessen nicht automatisch gegen die relative Kleinräumigkeit der Kompetenzbereiche der Länder. Diese können vielmehr großräumige Umweltprobleme im Rahmen ihrer Kompetenzen regelmäßig auch durch horizontale Kooperationen untereinander lösen 26 . c) Modifikation rechtsstaatlich-demokratischer Anforderungen?

Die Ausweitung staatlichen Umweltschutzes v. a. durch Schaffung neuer Umweltnormen wirft schwerwiegende rechts staatlich-demokratische Probleme auf. Insbesondere ist zu fragen, ob und inwieweit der Gesetzgeber die in den Umweltnormen notwendigerweise zu treffenden technischen Detailregelungen selbst treffen kann oder unter Beachtung der Wesentlichkeitstheorie27 sogar muß. Doch auch dann, wenn der Gesetzgeber die Umweltstandards 28 selbst bestimmt, bedarf er bei deren Formulierung des wissenschaftlich-technischen Sachverstandes, der v. a. bei den umweltbelastenden Unternehmen bzw. deren Interessenverbänden vorhanden ist. Die Beteiligung von Unternehmen als potentiellen Normadressaten bei der Formulierung von Umweltstandards ist allerdings nicht unproblematisch: Weil die Interessen voraussichtlich betroffener Unternehmen nicht mit denen der Gesamtgesellschaft gleichzusetzen sind, ist eine faktisch mitbestimmende Unternehmensmitwirkung an der Normierung kaum geeignet, das Vertrauen Dritter, für welche die Normen ebenfalls verbindlich sind, in die Umweltgesetzgebung zu stärken. Dies gilt jedenfalls solange, wie nicht durch entsprechende Regelungen "sowohl das Verfahren, in dem solche Umweltstandards entstehen, als 24 Vgl. dazu H. Müller, BayVBI. 1988, 289ff., der zu recht darauf verweist, daß den Ländern aufgrund der Verwaltungszuständigkeiten ein weitgehender Spielraum beim GesetzesvoJlzug verblieben ist (zustimmend D. Engelhardt, BayVBI. 1988, 294ff. (295». 25 H. Müller, BayVBI. 1988, S. 289 ff. (292). 26 Vgl. hierzu J. Pietzcker, in: C. Starck (Hrsg.), Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat, S. 17 ff. Allerdings sollten auch die Gefahren zunehmender Verflechtungen im Bundesstaat nicht übersehen werden. 27 Vgl. dazu M. Kloepfer, JZ 1984, 685ff. m.w.N. 28 Zum Begriff "Umweltstandard" vgl. etwa M. Krusche, Umweltrecht: Neues Denken - neue Perspektiven, Stuttgart 1988, S. 42 m. w. N.

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auch die jeweiligen Bewertungsphilosophien, die ihnen zugrunde liegen, transparenter,,29 gestaltet werden. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu fragen, in welcher Form wissenschaftlich-technischer Sachverstand in die gerichtliche Entscheidungsfindung einbezogen werden kann 3o . Ein weiterer Problembereich dürfte in der zunehmend schwieriger werdenden Realisierung staatlicher Entscheidungen mit potentiell umweltbelastenden Auswirkungen zu sehen sein 31 • Der vom Staat politisch - u. U. auch verfassungsrechtlich - geforderte Ausgleich kollidierender Interessen im Gemeinwesen kann im Einzelfall auch zur Limitierung des Umweltschutzes bzw. zu Entscheidungen für Vorhaben mit potentiell umweltbelastenden Wirkungen führen. Solche Entscheidungen treffen aber verstärkt auf Widerstand in (Teilen) der Bevölkerung. Die hierdurch bedingten Durchsetzungsschwierigkeiten stellen die in der Verfassung getroffene Entscheidung für die repräsentative Demokratie zunehmend in Frage.

IV. Zur bisherigen Umweltschutz politik Will man die weitere Entwicklung der Umweltpolitik und die daraus folgenden Konsequenzen für die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung unseres Gemeinwesens - insbesondere im Hinblick auf die soeben dargestellten Problemfelder - beurteilen, so bedarf es zunächst einer Bestandsaufnahme der bisherigen Umweltpolitik32 und eines Ausblicks auf deren weitere Entwicklung. 1. Analyse der bisherigen Umweltpolitik Die bisherige Umweltpolitik in der Bundesrepublik seit 1971 ist gekennzeichnet durch eine deutliche Weiterentwicklung und Differenzierung des umweltpolitischen Instrumentariums. Hier ist insbesondere die Einführung des Vorsorgeprinzips zu nennen, welches gegenüber dem in der Vergangenheit (primär ordnungsrechtlich gesteuerten und) häufig erst an der Gefahrenschwelle ansetzenden Umweltschutz eine Vorverlagerung bedeutet und SRU (Hrsg.), Umweltgutachten 1987, Stuttgart 1988, Tz. 113. Zu den verfassungsrechtlichen Problemen der Modelle des "Sachverständigen auf der Richterbank" etwa R. Breuer, NVwZ 1988, 104ff. (lOS) = UTR 4, 1988, S. 91 ff. (93f.). 31 Vgl. dazu M. Ronellenfitsch, Die Durchsetzung staatlicher Entscheidungen als Verfassungsproblem, in: B. Börner (Hrsg.), Umwelt, Verfassung, Verwaltung, Baden-Baden 1982, S. 13 ff. 32 Zuletzt etwa R. Decker, Operation Umwelt, Neuhausen/Stuttgart 1988, S. 259ff. 29

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damit für den Umweltschutz eine wesentliche Verbesserung darstellen kann. Daneben fällt v. a. auf, daß das umweltpolitische Instrumentarium inzwischen neben dem klassischen ordnungsrechtlichen Instrumentarium eine Vielzahl sonstiger Handlungsformen (indikatives Verwaltungshandeln, Steuerung der Beschaffungspolitik, Ökonomische Instrumente, Absprachen und informelles Verwaltungshandeln, staatliche Planung) aufweist, die entsprechend der jeweiligen Zielsetzung eingesetzt werden (können). Die Vielzahl gesetzlicher Normierungen im Umweltschutz haben - sieht man einmal von dem erst in letzter Zeit verstärkt in den Blickwinkel geratenen Umweltmedium Boden ab - zu einer weitgehend flächendeckenden Regelung aller umweltrelevanten Aktivitäten geführt. Seit 1971 ist daher insgesamt eine deutliche Verbesserung der Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutschland eingetreten. Gleichwohl kann der derzeitige Zustand der Umwelt noch nicht befriedigen. Dies verkennen auch die Vertreter der bisherigen Umweltpolitik nicht. Sie rechtfertigen aber diese Umweltpolitik mit dem Argument, daß nur eine "realistische Umweltpolitik,,33 im Rahmen des bestehenden Wert- und Gesellschaftssystems glaubwürdig betrieben werden könne. Deshalb reiche eine - jeweils die neu esten Erkenntnisse berücksichtigende - Weiterentwicklung des umweltpolitischen wie umweltrechtlichen Instrumentariums aus, um das (aus dieser Sicht) noch nicht Erreichte realisieren zu können. 2. Mögliche neue Instrumente Die in diesem Zusammenhang diskutierten bzw. bereits in der Umsetzung befindlichen Instrumente sind dabei insbesondere:

a) Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch Im Rahmen der inzwischen in Angriff genommenen Kodifikation des Umweltrechts in einem Bundesumweltgesetzbuch (BUG) kann u. a. die einfachgesetzliche Konkretisierung der oben beschriebenen Staatszielbestimmung Umweltschutz erfolgen. Daneben sind die wichtigsten mit der Kodifikation eines allgemeinen Teils des BUG verfolgten Ziele: 34 - Die Verankerung der umweltpolitischen Prinzipientrias (Vorsorge-, Verursacher- und Kooperationsprinzip) und die Festlegung einer Rangfolge der Vgl. G. Hartkopf/E. Bohne, Umweltpolitik Bd. I, Opladen 1983, S. 63. P. C. Storm, Bundes-Umweltgesetzbuch - Prolegomena zu einer Kodifikation des Umweltrechts -, in: R. BreuerlM. KloepferlP. MarburgerlM. Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1988, UTR 5, S. 49 ff. (62ff.). 33 34

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Umweltmaßnahmen zur Vermeidung, zur Verminderung oder zum Ausgleich von Umweltbeeinträchtigungen sowie die rechtliche Gestaltung des umweltrechtlichen Instrumentariums. - Die rechtliche Verankerung eines medienübergreifenden, ökologischen Ansatzes im Umweltschutz. - Die Harmonisierung und Vereinheitlichung des Umweltrechts. Weiterhin kann von einer solchen Kodifikation auch eine Verbesserung des Vollzugs von Umweltnormen sowie eine Stärkung des Umweltbewußtseins in der Bevölkerung ausgehen. Ob sich diese Erwartungen tatsächlich erfüllen, hängt allerdings auch von den inhaltlichen Festlegungen ab. b) Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für umweltrelevante Vorhaben

Die - überfällige - Umsetzung der EG-Richtlinie vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) in der Bundesrepublik Deutschland verfolgt das Ziel einer frühzeitigen und die einzelnen Umweltmedien übergreifenden Erfassung und Bewertung potentieller Umweltauswirkungen eines geplanten Vorhabens. Die UVP kann daher zu einem wichtigen Instrument der Umweltvorsorge werden. Sie zielt in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung insbesondere darauf ab, der zuständigen Behörde die notwendigen Informationen über die Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu verschaffen. Das Ergebnis der UVP ist bei der Entscheidung über das Vorhaben (ggf. im Rahmen einer Abwägung) zu berücksichtigen. Hierdurch wird die UVP mit der Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens rechtlich verknüpft. Ob sich dadurch ein höheres matierelles Gewicht für die Belange des Umweltschutzes ergeben wird, muß die Zukunft zeigen. c) Einführung einer Verbandsklage, Verbesserung des Einsichtsrechts in (Umwelt- )Akten sowie Ausweitung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger

Alle diese - im einzelnen äußerst umstrittenen - Instrumente einer verstärkten Partizipation der Bürger im (Umwelt-)Verfahrens- und -prozeßrecht sind Ausdruck einer sich verstärkenden Tendenz zur Kooperation von Staat und Bürgern im Umweltschutz. Allerdings werden bei der rechtlichen Umsetzung dieser Vorschläge etliche Probleme aufgeworfen, welche die Realisierung dieser Vorschläge erschweren.

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Insbesondere seien hier genannt: - die Frage der Legitimation beliebig gebildeter Verbände für den Schutz bestimmter Umweltgüter, - die Problematik der Abwägung von (aus dem Demokratieprinzip folgenden) Informationsrechten der Bevölkerung mit den ebenfalls verfassungsabgeleiteten Pflichten des Staates zum Schutz personenbezogener Daten bzw. von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen beim Akteneinsichtsrecht,35 - die mit der Realisierung einer verstärkten Bürgerbeteiligung verbundenen Fragen des Interessenausgleichs zwischen umfassenden Informations- und Beteiligungsrechten von Bürgern und Verbänden einerseits und dem Interesse an einem effektiven Verwaltungsverfahren andererseits. d) Ergänzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um Umweltkosten, Einbeziehung ökologischer Belange bei der Bestimmung des gesamtwinschaftlichen Gleichgewichts Damit wird auf die Versuche abgestellt, Umweltbelange und -kosten in umfassende Sozialbilanzen einzustellen 36 . Die Einbeziehung ökologischer Belange in den (inzwischen Rechts-) Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts müßte durch Änderung des Stabilitäts- und Wachstums gesetzes erfolgen; aus dem magischen Viereck würde ein noch magischeres Fünfeck. Dieser theoretisch leider ebenso wie praktisch kaum vollziehbare Schritt wäre der Vision einer ökologisch getönten Marktwirtschaft verpflichtet. e) Überlegungen für eine "ökologische Steuerreform .. 37 Hier wäre z. B. an eine nach ökologischen Kriterien differenzierende Mehrwertsteuer, an eine Grundsteuer, an Ressourcen- oder Rohstoffsteuern 35 Vgl. zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht R. Breuer, NVwZ 1986, 17lff., M. Schröder, UPR 1985, 394ff. 36 Vgl. etwa die Beiträge in u.-P. ReichlC. Stahmer (Hrsg.), Gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsmessung und Umweltqualität, Frankfurt 1983. 37 Vgl. zu diesem Thema K. GretschmannlH. Voelzkow, Wirtschaftsdienst 1986, 560ff.; H. Laistner, Ökologische Marktwirtschaft, Ismaning 1986, S. 180ff.; J. MüllerlB. Wais, in: Projektgruppe Grüner Morgentau (Hrsg.), Perspektiven ökologischer Wirtschaftspolitik, Frankfurt a. M. 1986, S. 522ff.; M. Schreyer, in: F. Beckenbachl 1. MülleriR. PfriemlE. Stratmann (Hrsg.), Grüne Wirtschaftspolitik, Köln 1985; D. Teufel, natur 4/88, S. 16ff.; ders., ZRP 1988, 373ff.; H. VoelzkowlR. G. Heinze/J. HUpert, Soziale Welt 1986, 427ff., E. U. v. Weizsäcker, DER SPIEGEL 34/1988, S. 86 ff.; zur Frage der Steuer als umweltschutzspezifisches Lenkungsinstrument:

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(insbesondere Energiesteuern) sowie an die Besteuerung von Verpackungen, Abwasser, Abfall oder bestimmte emittierte Stoffe zu denken. Hinzu könnte ein weiterer Ausbau der Umweltsonderabgaben sowie sonstiger finanzieller Belastungen (z. B. Zwangspfänder) kommen. j) Fortentwicklung des Umweltplanungsrechts im Sinne einer

"medienübergreifenden, umweltspezifischen Leitplanung ,,38

Der Vorschlag einer medienübergreifenden Leitplanung will die Schwächen des bisherigen Planungsinstrumentariums unter dem Aspekt des Umweltschutzes beseitigen und so insgesamt den Vorsorgeaspekt verstärken. Alle unter a)-f) genannten Überlegungen dienen (auch) dazu, das staatliche Instrumentarium zum Schutz der Umwelt durch gesamtgesellschaftlich wirkende Lenkungsinstrumente zu erweitern. Dies führt zwangsläufig zu einer Verstärkung der staatlichen Regelungsmacht und zielt letztlich, insbesondere in Verbindung mit den Instrumenten der Feinsteuerung, auf eine ökologische Investitionslenkung hin. Die mit dieser Entwicklung verbundenen rechts- wie wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen bedürfen einer eingehenden Prüfung. g) Verschärfung des Umwelthaftungsrechts Eine verstärkte Finalisierung des Zivilrechts für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen soll durch die Erweiterung und Verschärfung des Umwelthaftungsrechts erreicht werden. Wenngleich die endgültige Gestaltung des neuen Umwelthaftungsrechts bislang noch umstritten ist, so kann doch gesagt werden, daß die mit der Erweiterung der Umwelthaftung zu erwartende gewisse Präventivwirkung sich insgesamt positiv für den Umweltschutz auswirken kann, ohne daß die klassischen ordnungsrechtlichen Instrumente des Umweltschutzes hierdurch entbehrlich werden. Allerdings hängt die umweltpolitische Wirksamkeit dieses Vorhabens davon ab, wie die - derzeit noch umstrittenen - Fragen (Einbeziehung des Normalbetriebes in den Bereich der Umwelthaftung, Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten, Aufwendungsersatzanspruch der öffentlichen Hand für die Beseitigung ökologischer Schäden) letztlich gelöst werden. K. Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, Berlin 1986, S. II0ff.; D. Birk, NuR 1985, 90ff. (9lff.). 38 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, BUG-E zum Umweltplanungsrecht, MS, 1988, n.v., These 4, S. 37.

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Parallel zu diesen Änderungen und Ergänzungen lassen sich aber auch grundlegende Fortentwicklungen des bisherigen, primär ordnungsrechtlich geprägten Systems erkennen 39 • Dabei ist durchaus festzustellen, daß hierbei die Kritik an der bisherigen Umweltpolitik aufgegriffen und versucht wird, systemverträgliche Elemente alternativer Denkmodelle in die Umweltpolitik zu integrieren: Gerade dies macht ja den Kern der von ihren Vertretern so bezeichneten "realistischen" Umweltpolitik aus. Die Auswahlmöglichkeit unter den diskutierten Instrumenten ist dabei lediglich durch die geltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben begrenzt. Allerdings ist vor einer zu starken Einengung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit - sei es durch den Gleichheitssatz oder v. a. durch das Übermaß verbot - zu warnen. Dementsprechend werden nur evidente Fehlgebräuche der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit rechtlich zu fassen sein.

3. Grundsätzliche Kritik an der bisherigen Umweltschutzpolitik

Genügen aber - trotz der weiten Gestaltungsfreiheit des Staates, insbesondere des Gesetzgebers - bloße Korrekturen und Fortschreibungen des geltenden Rechts, um einen wirksamen Umweltschutz sicherzustellen, oder bedarf es nicht doch weitergehender Lösungen? Um diese Frage beantworten zu können, ist auf die Kritik derer einzugehen, die der bisherigen Umweltpolitik partielles Versagen oder gar ein Scheitern vorwerfen. Dabei ist der Ausgangspunkt der jeweiligen Kritiker höchst unterschiedlich, was dazu führt, daß die von ihnen angegebenen Ursachen für das Versagen oder Scheitern der Umweltpolitik deutlich voneinander abweichen.

a) Sozialistische Systemkritik Eine grundsätzliche Kritik der bisherigen Umweltpolitik findet ihren Ansatzpunkt v. a. in dem bestehenden Wirtschaftssystem und deutet die Umweltkrise als eine Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die wachsende Belastung des Ökosystems sei danach die Folge eines an einer Gewinnmaximierung orientierten Handeins der Wirtschaftssubjekte zu Lasten auch und vor allem der natürlichen Lebensgrundlagen 4o . Eine wirksame Umweltpolitik setze daher eine grundlegende Änderung des bestehen39 Vgl. die Darstellung bei R. Breuer, Grundprobleme des Umweltschutzes aus juristischer Sicht, in: E. M. Wenz/O. Issing/H. Hofmann, Ökologie, Ökonomie und Jurisprudenz, München 1987, S. 21 ff. 40 Statt vieler U. Briefs, Blätter für deutsche und internationale Politik 1988, S. 684 ff. (684 f.); G. Kade, Ökonomische und gesellschaftliche Aspekte des Umweltschutzes, Gewerkschaftliche Monatshefte 1971, 257 ff.

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den Wirtschafts- (und Gesellschafts-)systems voraus. Diese sozialistische Systemkritik verkennt aber die prinzipielle Wachstumsorientiertheit des marxistischen Systems. b) These vom Staatsversagen

Eine etwas anders geartete Kritik ist die derjenigen, welche der bisherigen Umweltpolitik vorwerfen, ihre Ziele zu niedrig angesetzt zu haben. Auch hier wird eine Systemkritik geübt, die insbesondere darin besteht, daß den Umweltpolitikern vorgeworfen wird, das Interesse an einem wirksamen Schutz der Umwelt gegen die Interessen einflußreicher gesellschaftlicher Gruppen (Industrie, Gewerkschaften, Autofahrer etc.) nicht hinreichend durchgesetzt zu haben. Demzufolge habe sich die bisherige Umweltpolitik v. a. auf die Bekämpfung der Symptome der Umweltbelastung beschränkt. In diesem Bereich sei die bisherige Umweltpolitik auch durchaus erfolgreich gewesen. Allerdings gründeten diese Erfolge im wesentlichen auf Problem verschiebungen und Gratiseffekten, denen Schadenskosten in Milliardenhöhe und starke KostenNutzen-Diskrepanzen als Folge der Vernachlässigung der Prävention gegenüberstünden41 • Eine wirksame Umweltpolitik verlange daher ein völliges Umdenken bei der Bewertung der Umwelt. Solange ihr im Bewußtsein der Allgemeinheit und der Politiker kein eigener (ethisch-philosophischer) Wert zugeordnet würde, könne auch der Umweltpolitik im Widerstreit der Interessen nur ein untergeordneter Wert zukommen. Die Wertschätzung der Umwelt müsse sich in der Gewährung eigener Rechte der Natur widerspiegeln, die in der Abwägung widerstreitender Interessen zu berücksichtigen seien. Ohne die hiermit verbundene Aufgabe des anthropozentrischen zugunsten eines ökozentrischen Umweltschutzes sei ein wirksamer Schutz der Umwelt nicht zu erreichen. Gerade in einer Demokratie bleibt demgegenüber zu fragen: Ist Staatsversagen nicht stets auch ein Gesellschaftsversagen? Damit bleibt offen, ob mit dem Begriff "Versagen" überhaupt eine zutreffende und gerechte Beschreibung der Rolle des Staates im Umweltschutz gefunden ist. c) Marktwirtschaftliehe Kritik

Von dritter Seite42 wird die Ursache unzureichenden Umweltschutzes v. a. in der zu starken Orientierung der Umweltpolitik an ordnungsrechtliM. Jänicke, Staatsversagen, 2. Aufl., München 1987, S. 67 ff. Zusammenfassend H. Bonus, Marktwirtschaftliche Konzepte im Umweltschutz, Stuttgart 1984; ders., Ökologie und Marktwirtschaft - Ein unüberwindbarer Gegen41

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chen Instrumenten gesehen. Ein bürokratischer Umweltschutz, der sich primär auf ordnungsrechtliche Instrumente stütze, sei - jedenfalls außerhalb des Bereiches akuter Gefahrenabwehr - ineffektiv bzw. zu teuer. Deshalb wird vorgeschlagen, durch Zurückdrängung staatlicher Umweltaktivitäten bei gleichzeitiger Stärkung marktwirtschaftlicher Instrumente des Umweltschutzes auf eine volkswirtschaftlich günstigere und umweltpolitisch effektivere Weise zu einer Verbesserung der Umweltsituation zu kommen. Hierzu werden verschiedene marktwirtschaftliche Instrumente vorgeschlagen, die es im einzelnen noch zu erörtern gilt. An dieser Stelle ist aber bereits vor der trügerischen Alternative Ordnungsrecht oder marktwirtschaftliche Instrumente zu warnen.

4. Zusammenfassung Wie auch immer die weitere Entwicklung des umweltpolitischen und -rechtlichen Instrumentariums aussehen wird, fest steht, daß dies Auswirkungen auf die politische wie gesellschaftliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland haben wird. Deshalb sollen im weiteren die sich aus den soeben dargestellten Denkansätzen ergebenden Staatsmodelle näher dargestellt und auf die daraus resultierenden Fragen kurz eingegangen werden.

V. Wie könnte der zukünftige ökologisch orientierte Staat aussehen? Die folgenden Ausführungen sollen im Ansatz als Versuch einer vorausschauenden Analyse der Situation verstanden werden, welche sich aus der sich abzeichnenden Fortbildung des geltenden Rechts im Lichte der mutmaßlichen Weiterentwicklung des in Frage stehenden sozialen Regelungsbesatz?, Universitas 1986, S. 112lff.; K. H. Hansmeyer, ZfU 1988, 23lff.; vgl. auch K. R. Kabelitz. Eigentumsrechte und Nutzungslizenzen als Instrumente einer ökonomisch rationalen Luftreinhaltepolitik, München 1984; Rechtsfragen marktwirtschaftlicher Instrumente behandeln: A. Blankenagel, Umweltzertifikate - Die rechtliche Problematik, in: E. M. Wenz/O. Issing/H. Hofmann (Hrsg.), Ökologie, Ökonomie und Jurisprudenz, München 1987, S. 71 ff.; R. Breuer. Grundprobleme des Umweltschutzes aus rechtlicher Sicht, ebd., S. 21 ff. (51 ff.); H. G. Hofmann. Rechtsprobleme marktwirtschaftlicher Modelllösungen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen, in: Baumann (Hrsg.), Rechtsschutz für den Wald, Heidelberg 1986, S. 75ff.; P. Kohte. Einführung ökonomischer Instrumente in die Luftreinhaltepolitik. ZRP 1985, S. 145 ff. Ein Gesetzesvorschlag findet sich bei E. Nießlein. Marktwirtschaftliehe Instrumente - eine politische Vorgabe für das Umweltrecht, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1988, UTR 5, S. 71 ff. (81 ff.).

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reiches ergeben kann 43 • Denn nur die vorausschauende Abschätzung zukünftiger Staatsmodelle im Hinblick auf freiheitsbegrenzende bzw. die Staatsstruktur modifizierende Entwicklungen kann einen wirkungsvollen Schutz der Verfassung vor hierbei möglichen Fehlentwicklungen gewährleisten. Parallel zu diesen Rechtsfragen wird zu prüfen sein, welches Modell voraussichtlich die größte Eignung dafür aufweist, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sicherzustellen. Deshalb sollen im weiteren einige der im Rahmen des Projekts "Umweltstaat" weiter zu vertiefenden Probleme und Fragestellungen aufgeworfen werden, wobei an dieser Stelle der Schwerpunkt eher auf rechtliche und wirtschaftswissenschaftliche Probleme gelegt werden soll. Verzichtet werden muß dabei hier auf eine Prognose der Entwicklung der Umweltsituation, obwohl gerade auch diese die Frage nach dem Umweltstaat entscheidend prägt. 1. Globale Lösungen

Die globale Dimension vieler Umweltprobleme legt die Annahme nahe, daß eine Lösung der Umweltkrise nur durch eine globale Strategie erreicht werden kann. Eine solche Strategie kann aber - so die Annahme - nur durch eine zentrale Institution auf Weltebene realisiert werden. Demzufolge kann nach dieser Auffassung eine wirksame Umweltpolitik nur durch eine - wie immer auch gestaltete - Weltregierung bzw. durch multilaterale Organisationsformen erfolgen. a) Weltregierung

Ihrem Anspruch nach soll eine zentrale Entscheidungsfindung durch eine Weltregierung die Bewältigung der globalen Umweltprobleme erleichtern. Doch besteht die Problematik solcher Weltregierungsmodelle einerseits in ihrer äußerst geringen (politischen) Realisierungsmöglichkeit und andererseits in den mit der Realisierung verbundenen, negativ zu beurteilenden Folgewirkungen. Was die Wahrscheinlichkeit der Voraussetzungen einer tatsächlichen Umsetzung eines Weltregierungsmodells anbelangt, so erscheint es kaum denkbar, daß in absehbarer Zeit einzel- bzw. nationalstaatliches Denken grundlegend überwunden werden und eine Grundlage für eine zur Realisierung des Modells notwendige, weltweite Gemeinsamkeit an Grundwerten geschaffen werden könnte; dies schließt verstärkte internationale Annähe43 P. C. Mayer-Tasch, Kommentar in A. Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte, München 1984, S. 241 ff. (242).

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rungen insbesondere in bestimmten WeItregionen nicht aus. Darüber hinaus setzt eine Weltregierung einen weltumspannenden bürokratischen Apparat mit - wegen der sich zwangsläufig ergebenden Zuteilungsprobleme - möglicherweise tendenziell autoritären Entscheidungsstrukturen voraus. Im übrigen sind auch die allgemeinen politischen Vorteile der historisch gewachsenen dezentralen Willensbildung auf Weltebene unbestreitbar. Trotz der oben geschilderten Problemlage erscheint deshalb eine zentrale Weltexekutive weder wahrscheinlich noch wünschenswert. Es soll daher im weiteren davon ausgegangen werden, daß das bisherige System vieler Nationalstaaten auch in Zukunft weiterbestehen wird.

b) Sonstige Modelle Die Ablehnung eines WeItregierungsmodells schließt die Möglichkeit einer global harmonisierenden, multilateralen Lösung der Umweltprobleme nicht aus. Unter dem Eindruck zunehmender Gefährdungen der natürlichen Umwelt und der Erkenntnis, daß bestimmte Problemstellungen nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden können, wird es mehr als bisher zu international abgestimmten Umweltaktivitäten kommen. Ob in diesem Zusammenhang Kompetenzverlagerungen von den Nationalstaaten auf internationale oder supranationale Organisationen stattfinden werden und falls ja, inwieweit dies im Rahmen der geltenden bundesdeutschen Verfassung möglich ist, muß an dieser Stelle offenbleiben. Für den europäischen Raum ist die Prüfung wichtig, welche Auswirkungen die (durch die Einheitliche Europäische Akte jetzt ausdrücklich zuerkannten) Kompetenzen und Handlungsbefugnisse der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Umweltrechts im Hinblick auf die nationalen Kompetenzen 44 und Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten zeitigen. Hierbei sind insbesondere die aus der Anerkennung eines grundsätzlichen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts folgenden (im Rahmen des Art. 24 Abs. I GG zulässigen) Souveränitätsbeschränkungen (bzw. -Verlagerungen) und die sich aus dem "Solange-II"-Beschluß des BVerfG (E 73, 339) ergebenden Beschränkungen des (verfassungsrechtlich verankerten) Grundrechtsschutzes zugunsten eines auf Richterrecht basierenden Grundrechtsschutzes innerhalb der Europäischen Gemeinschaften zu nennen. Von einer überwiegenden oder gar völligen Verdrängung nationalstaatlicher Kompetenzen (auf dem Gebiet des Umweltschutzes) wird man allerdings in absehbarer Zukunft wohl nicht auszugehen haben. 44 Problematisch ist dies v. a. auch für die Bundesländer, vgl. etwa D. Dörr, Die Europäischen Gemeinschaften und die deutschen Bundesländer, NWVBI. 1988, 289ff.; M. Schröder, Bundesstaatliche Erosionen im Prozeß der europäischen Integration, JöR N.F. 35 (1986), S. 83 ff. 3 Kloepfer

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I. Grundlagen

2. Einzelstaatliche Lösungen Müssen also die bestehenden Staaten (einzeln, in Gruppen oder gemeinsam) das Umweltproblem lösen, so bleibt die Frage, wie sich der einzelne Staat zu strukturieren hat, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang erscheint es hilfreich, einige in diesem oder ähnlichem Zusammenhang entwickelten Denkmodelle darzustellen. Auf der Basis solcher Modelle lassen sich dann die Chancen und Risiken eines verstärkten (oder zugunsten gesellschaftlicher Aktivitäten verminderten) staatlichen Umweltschutzes besser abwägen.

a) Totalitäre Staatsmodelle Ausgehend von der Überlegung, daß angesichts der zunehmenden Umweltbelastungen ein weiteres Wachstum der Produktion in Zukunft ökologisch nicht mehr vertreten werden kann, mehren sich seit Mitte der 70er Jahre die Stimmen, die eine Lösung des Umweltproblems in der Zukunft durch eher totalitäre Systeme vorhersagen, ohne dies zu begrüßen. Denn die durch die nicht mehr wachsende Produktion notwendig gewordene "Anpassung" der Menschen an die neuen Rahmenbedingungen kann nach dieser Ansicht nur durch einen starken, zentral geleiteten und planwirtschaftlich organisierten Staat erfolgen. Nur der mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete Planungs- und Zuteilungsstaat könne als "Instanz der Reglementierung" der vielfaltigen Anforderungen fungieren 45 . Damit steht die Vision eines totalen Umweltstaates, d. h. einer Art "Ökodiktatur", im Raum, welche unabhängig davon, ob der Staat sein Entscheidungsmonopol unter Aufrechterhaltung der bisherigen Eigentumsverhältnisse durchsetzt (weshalb diese Staatsform als "Ökofaschismus,,46 bezeichnet werden kann), oder ob dies unter Aufhebung privater Verfügungsrnacht über umweltrelevante Güter geschieht (was man als - totalitären - "Ökosozialismus,,47 bezeichnen könnte), weder politisch wünschenswert noch mit der geltenden Verfassung zu vereinbaren ist. Ein Übergang in eine derartige Staatsform scheint deshalb auf dem Gebiet der Bundesre45 Vgl. hierzu H. Gruhl, Ein Planet wird geplündert, Frankfurt 1975, S. 306ff.; W. Harieh, Kommunismus ohne Wachstum, Reinbek 1975, passim; R. L. Heilbroner, Die Zukunft der Menschheit, Frankfurt 1976, S. 99. 46 Vgl. zu diesem Begriff A. Gorz, Ökologie und Politik, Reinbek 1972, S. 75 ff. (86); v. Range, in: M. Jänicke, Umweltpolitik, Opladen 1978, S. 213ff. (233ff.). 47 So zählen u. a. die Kontrolle untemehmerischer Macht durch Überführung von Produktionsmitteln in Gemeineigentum und eine ökologische Investitionslenkung zu den Grundlagen einer ökosozialistischen Wirtschaftspolitik - vgl. etwa K.-J. SehererlF. Vilmar, Ökosozialismus?, 2. Aufl., Berlin 1986, S. 100ff.

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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publik Deutschland nur bei Annahme einer (ökologisch bedingten?) gewaltsamen Außerkraftsetzung der Verfassungsordnung denkbar und soll daher im weiteren außerhalb der - auf eine kontinuierliche Entwicklung innerhalb der (formalen) Grenzen der Verfassung beschränkten - Betrachtung bleiben. b) Schleichender Freiheitsverlust? Auch jenseits einer umweltbezogenen Gesamtentscheidung für einen totalitären Staat ist allerdings zu erwarten, daß die aus der ökologischen Krise folgende Notwendigkeit, Einschränkungen in Produktion und Konsum sowie Reglementierungen von sonstigen umweltrelevanten Verhaltensweisen durchzusetzen, als fast selbsttragende Rechtfertigung für die unweigerlich zu erwartenden Freiheitseinschränkungen angeführt werden wird 48 • Setzt man voraus, daß sich Staat und Gesellschaft gegen revolutionäre Entwicklungen - jedenfalls dann, wenn es nicht zu einer dramatischen Verschlechterung der Umweltsituation kommen wird - erfolgreich zur Wehr setzen können, so bedeutet dies nicht, daß es nicht zu anderen, versteckteren, leiseren Formen oder Formelementen einer "Ökodiktatur" kommen könnte. Denkbar wäre z. B. ein bürokratisch-technokratisches Regime sog. "ökologischer Eliten", welches seine Legitimation in dem ökologischen Bewußtsein der Eliten und der von diesen vertretenen, ökologisch orientierten Politik finden könnte49 . Damit etabliert sich - unter vordergründiger, fassadenhafter Aufrechterhaltung der geltenden verfassungsrechtlichen Staatsstrukturen - ein (jedenfalls partiell) autoritäres, zentral geführtes und organisiertes Staatswesen. Ein solches System ist entweder unter formaler Beibehaltung (wenn auch Inpflichtnahme) privaten Eigentums oder verbunden mit einer Sozialisierung umweltrelevanter Güter denkbar. Eine derartige Entwicklung westlicher Demokratien erscheint im Zuge einer fortschreitenden Umweltzerstörung und der daraus folgenden zunehmenden Notwendigkeit staatlicher Regulierung umweltrelevanten Verhaltens eher denkbar als eine revolutionäre Umgestaltung in eine totalitäre Ökodiktatur. Dabei mag hier der Grad der Wahrscheinlichkeit einer solchen Umwandlung unbestimmt bleiben. Die möglichen Gefahren eines allmählichen Bedeutungswandels der Verfassungs bestimmungen und insbesondere der Grundrechte unter dem Druck 48 Ob die angedeutete Entwicklung tatsächlich nur eine "theoretische Möglichkeit" bleibt - wie D. Murswiek, JZ 1988, 985 ff. (985) meint - hängt entscheidend davon ab, ob ihre möglichen Ursachen analysiert und frühzeitig bekämpft werden vgl. auch P. C. Mayer-Tasch. Universitas 1986, 1200ff. (l203f.). 49 H. M. Schönherr. Philosophie und Ökologie. Essen 1985. S. 81.

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I. Grundlagen

bestimmter (nicht umkehrbarer) Entwicklungen ist bereits in anderem Zusammenhang (Nutzung der Kernenergie) dargestellt worden 5o . Ähnliches mag auch für eine Ausweitung des Umweltschutzes zur Abwendung einer sich verschärfenden Umweltkrise gelten. Gerade deshalb und wegen des schleichenden Charakters einer solchen Umgestaltung stellt dieses Zukunfts modell wohl die größere Gefahr für die geltende Verfassungsordnung dar. Ein Freiheitsverlust durch viele kleine Schritte ist jedenfalls sehr viel realistischer als ein "Ökostaatsumsturz". c) "Vergesellschaftung" des Umweltschutzes als Gegenmaßnahme

Jede Diktatur setzt eine "Monopolisierung der Staatsgewalt" voraus 51 . Der beschriebenen Entwicklung in Richtung "Ökodiktatur" könnte - bei gleichzeitiger Verbesserung der Umweltsituation - folglich dadurch vorgebeugt werden, daß man die Rolle des Staates im Umweltschutz weitgehend einschränkt und auf gesellschaftliche Kräfte setzt. Dabei sind zwei völlig voneinander abweichende Konzeptionen erkennbar und zwar ein marktwirtschaftlicher und ein eher alternativer Ansatz: aa) Marktwirtschaftlicher Ansatz Die eine Gruppe in der Literatur sieht in marktwirtschaftlichen Instrumenten wirksame Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Umweltqualität 52 . Danach besteht zwischen Ökologie und Marktwirtschaft kein prinzipiell unüberwindbarer Gegensatz, da es sich bei beiden um Regelungskomplexe handelt, deren Mechanismen analog aufgebaut sind. Durch Verknüpfung bei der Komplexe lasse sich eine marktverträgliche Ökologie verwirklichen. Die Verknüpfung könne dadurch hergestellt werden, daß die bislang wie freie Güter genutzten Umweltgüter nunmehr als knappe Güter behandelt werden. Die Steuerung erfolge demnach unter Nutzung von simulierten Marktmechanismen über den Preis. Dieser könne sowohl über eine Preisfixierung, d. h. durch (staatliche) Festlegung eines Preises für die Umweltnutzung (Abgabenlösung), oder durch eine (staatlicherseits vorgenommene) Mengenfixierung, d. h. durch eine Kontingentierung von Verschmutzungsrechten (Zertifikatslösung), sowie durch Fonnen zwischen diesen "Ecklösungen" (z. B. durch "flexible Auflagenlösung", "Emissionsso A. Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte, München 1984, passim, der allerdings recht einseitig argumentiert. SI H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur, Tübingen 1930, zit. nach E. Henning, Diktatur, in: A. Görlitz (Hrsg.), Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bd. I, Reinbek 1973, S. 75. S2 Vgl. die Nachweise in Anm. 42.

Auf dem Weg zum UmweJtstaat?

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verbund" oder "Ausgleichslösungen") erfolgen. Die (nach wie vor gewichtige) Rolle des Staates bestehe in der aufgrund politischer Entscheidungen festgelegten Preis- bzw. Mengenbestimmung. Weiterhin werden Möglichkeiten zur Einbeziehung von Umweltbelangen in betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozesse erörtert (ökologische Buchhaltung)53. Auch hierdurch könnten - im Falle des Gelingens - staatliche Eingriffe in Betriebsabläufe vermieden und eine weitere Privatisierung des Umweltschutzes erreicht werden. Die einzelnen Lösungen bedürfen einer genaueren Überprüfung im Hinblick auf ihre rechtliche Zulässigkeit und Ausgestaltung, ihre Praktikabilität und ihre ökonomischen und umweltpolitischen Wirkungen. Nicht zu verkennen ist, daß die bisherigen rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Schutzinstrumente gegenüber den flexiblen Instrumenten wegen der rechtlichen Freiwilligkeit des angestrebten Verhaltens nicht oder nur schwer greifen, weil sie den ökonomischen Drucksituationen gegenüber rechtlich relativ hilflos sind. Der Abbau von direkten Eingriffen des Staates wirft die Frage auf, ob und inwieweit das Privatrecht in Zukunft (über die geplante Verschärfung des Umwelthaftungsrechts hinaus) zur weiteren Effektivierung des Umweltschutzes instrumentalisiert werden kann 54 . Angesichts der oben beschriebenen verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates ist aber eine fundamentale oder gar vollständige Ersetzung staatlichen Umweltschutzes durch ein nichtstaatlich getragenes (und verantwortetes) Instrumentarium nicht möglich. Es bedarf daher mindestens einer staatlichen Festlegung der Zieldaten. Eine weitgehende Entstaatlichung des Umweltschutzes würde keineswegs auf einheitlichen Beifall, sondern vielmehr in weiten Teilen der Gesellschaft auf Widerstand stoßen. Schlagworte wie "Vermarktung der Umwelt",55 "Privatisierung der Natur,,56 oder "ökologischer Kapitalismus,,57 machen deutlich, daß der marktwirtschaftliche Ansatz grundsätzlicher Kritik ausgesetzt ist, welche die Umsetzung dieses Modells sicherlich erschweren würde. Doch auch dann, wenn man an dem primär ordnungsrechtlich geprägten System staatlichen Umweltschutzes festhalten sollte, so Vgl. R. Müller-Wenk. Die ökologische Buchhaltung, Frankfurt 1978, passim. Zur Rolle des Zivilrechts im Umweltschutz insbesondere P. Marburger. Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, Gutachten C zum 56. Deutschen luristentag Berlin 1986, in: Verhandlungen des 56. DIT, Bd. I, 1986, C IOlff.; M. Kloepfer. VerwArch 76 (1985), 371 (379 ff.). 55 B. M. Malunat. NuR 1984, S. I ff. 56 K. Krusewitz. Blätter für deutsche und internationale Politik 1983, S. 1083 ff. 57 U. Briefs. Blätter für deutsche und internationale Politik 1988. S. 684 ff. 53

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1. Grundlagen

bleibt zu fragen, inwieweit "gesellschaftliche" Kräfte hieran beteiligt werden sollten und - bejahendenfalls - wie dies rechtlich ausgestaltet werden kann. Insbesondere im Bereich der technischen Normung, aber auch in anderen Bereichen, erscheinen noch viele Fragen der Beteiligung nichtstaatlicher Träger des Umweltschutzes offen. bb) "Alternativer" Ansatz Ein grundsätzlich anderer Weg zur "Vergesellschaftung" des Umweltschutzes wird insbesondere von der sog. "alternativen" Bewegung vorgeschlagen58 • Danach soll der Staat zwar einerseits weiter durch Verbote und Auflagen umweltschädliche Produktionsweisen unterbinden, andererseits soll er aber durch Bereitstellung von Geldmitteln den Aufbau einer dezentral organisierten, selbstverwalteten und umweltverträglichen sog. Kreislaufwirtschaft fördern. Mit den Forderungen nach (räumlicher wie sektoraler) Dezentralisation und Selbstverwaltung verbindet sich die Annahme, daß ein System kleinster Einheiten wegen seiner hohen Flexibilität und leichteren Steuerungsfähigkeit besser an die ökologischen Anforderungen anzupassen sein soll, als dies im derzeitigen Wirtschafts system der Fall ist. Mit zunehmender Annäherung an diese Zielvorgaben verringert sich folglich die Bedeutung des Staates im Umweltschutz. Die "alternative Konzeption" setzt daher primär auf das umweltbewußte und umweltverträgliche Verhalten der Bürger. Dies setzt aber - mehr noch als in den anderen Modellen - voraus, daß ein entsprechender Wertewandel (d. h. ein gewisser Wohlstandsverzicht zugunsten einer Verbesserung der nichtmateriellen Lebensqualität) in der Bevölkerung stattgefunden hat. cc) Deregulierung etc. Mit den vorgestellten Ansätzen hat die sog. Deregulierungsdiskussion (auch) im Umweltschutzbereich in den Folgerungen gewisse Parallelen, wenngleich sie im Prinzip andere, nicht "alternative" Denkansätze hat. Eher vom marktwirtschaftlich-liberalen Standpunkt wird seit geraumer Zeit eine Debatte um die Begrenzung staatlicher Regelungsmacht zugunsten einer verstärkten gesellschaftlichen Selbstbestimmung geführt, welche unter den - nicht deckungsgleichen - Stichworten "Deregulierung", "Entrechtlichung", "Entbürokratisierung", "Entstaatlichung" oder "Privatisierung öffentlicher Aufgaben" auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist. Allerdings werfen solche Konzeptionen stets die Frage auf, inwieweit derar~8 V gl. hierzu etwa C. Amery, Natur als Politik, Reinbek 1980, passim; U. Briefs, Blätter für deutsche und internationale Politik 1988, S. 684 ff.

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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tige Vorstellungen mit den oben dargestellten verfassungsgebotenen Schutzpflichten zu vereinbaren sind59 . d) Der "kooperative" Umweltstaat

Ein weiterer Ansatz könnte mit dem Begriff des "kooperativen Umweltstaates" bezeichnet werden. Dabei wird der Begriff "Kooperation" in mehrfacher Hinsicht gebraucht: Zunächst kommt diesem Begriff dabei die herkömmliche vom umweItpolitischen Kooperationsprinzip umschriebene Bedeutung zu. Hiernach besteht das Kooperationsprinzip - allgemein beschrieben - im Kern im Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft beim Schutz der Umwelt und insbesondere in der Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte am umweltpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß. Die Einbeziehung Privater stärkt zum einen das Verantwortungsbewußtsein der gesellschaftlichen Kräfte für den Schutz der Umwelt und dient darüber hinaus auch der Begrenzung der Staatsrnacht, was die Gefahr einer (teilweisen) Beseitigung demokratischer Strukturen und individueller Freiheitsrechte verringert. Soweit eine Kooperation entsprechend der oben beschriebenen Abgrenzung von staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben möglich ist, erfüllt sie ihren Sinn im wesentlichen jedoch nur dann, wenn die aufgrund des Kooperationsprinzips begründeten Mitwirkungsbeiträge wirklich auf Freiwilligkeit beruhen. Sie können daher nur sehr bedingt gesetzlich angeordnet werden. Allenfalls können gesetzliche Ordnungsrahmen bereitgestellt werden. Daher können in gesetzlichen Regelungen von vornherein nur begrenzte Teilaspekte des Kooperationsprinzips deutlich werden. Darüber hinaus wird überlegt, ob ein "kooperativer Umweltstaat" auch auf einer Kooperation zwischen Mensch und Natur basieren sollte. Dieser zunächst begrifflich etwas fremdartige, naturphilosophisch inspirierte Ansatz will die bisher vorrangig anthropozentrische Ausrichtung des Umweltschutzes überwinden und deshalb der Natur eine eigene RechtsstelJung gewähren,60 die bei der weiteren, auch in Zukunft unvermeidlichen 59 Kritisch gegenüber einer prinzipiell formulierten Entstaatlichung der Aufgabenbewältigung "Minimalstaat" nach R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia, München o. (passim) etwa C. Bohr, Liberalismus und Minimalismus, Heidelberg 1985, S. 117 ff.; E. Denninger, KJ 1988, S. 1ff. 60 Aus ethisch-philosophischer Sicht: H. Lenk, AZP 3/1983, S. Iff.; H. M. Schönherr, Universitas 1986, S. 687 ff.; aus rechtstheoretischer Sicht: H. v. Lersner, NVwZ 1988, 988 ff.; G. Stutzin, Rechtstheorie II (1980), S. 344 ff.; i. S. einer "ökologischen Rechtsauffassung": K. Bosse/mann, KJ 1986, I ff. Problematisch erscheint dabei v.a. die Frage nach dem Treuhänder, vgl. dazu E. Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft, Berlin 1984, passim; für ein "kollektives Umweltrecht" S. Langer, NuR 1986, 270ff.

I. Grundlagen

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Nutzung der Natur zu beachten wäre. Die hiermit verbundenen Konsequenzen, z. B. die rechtliche Ausgestaltung der so begründeten "Rechtsgemeinschaft mit der Natur",61 wären - auch im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem (primär) anthropozentrischen Ansatz der Verfassung - zu prüfen. Realistisch scheinen hier freilich - wenn überhaupt - eher Treuhandskonstruktionen zu sein. Vielleicht ist dieser Ansatz aber auch rechtlich gar nicht realisierbar. Weiterhin könnte sich der Umweltstaat insbesondere auf die Kooperation im Bundesstaat beziehen und damit das Zusammenwirken von Gebietskörperschaften zum Zwecke eines verbesserten Umweltschutzes thematisieren. Als vierte Stufe wäre dann die bereits oben erwähnte internationale Kooperation zu sehen, die zur Lösung der nationalstaatlich nicht zu bewältigenden Probleme verstärkt instrumentalisiert werden kann. Die Verbindung der oben genannten Bedeutungen der Kooperation im Umweltschutz könnte zu einem über Landesgrenzen hinausgehenden primär umweltpolitisch relevanten - Verbund Mensch-Staat-Natur führen. Ob in diesem Verbund ein realistisches Modell für einen zukünftigen Umweltstaat zu sehen wäre, bedarf der weiteren Erörterung.

VI. Ausblick Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß die Entwicklung zu einem Umweltstaat in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch anderswo, bereits im Gange ist. Aller Voraussicht dürfte sie in den modemen westlichen Industriestaaten nicht zu der Einführung eines der dargestellten Modelle in "Reinform" führen. Denn es handelt sich um theoretische Modelle, deren praktische Umsetzung zu Relativierungen führen würde. Es ist vielmehr zu erwarten, daß sich eine Mischform mit sowohl staatlicher Umweltbewirtschaftung als auch privatrechtlich gestalteten Ausgleichsmechanismen durchsetzen wird. Wie sich die Gewichte im einzelnen verteilen werden, hängt v. a. davon ab, ob und gegebenenfalls wie schnell die Umweltkrise (global wie regional) bewältigt werden kann. Denn es ist zu bezweifeln, daß im Falle einer (dramatischen) Verschärfung der Umweltkrise das politische und rechtliche System in der Lage sein wird, unter den dann bestehenden Bedingungen die zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen notwendigen Maßnahmen soweit zu limitieren, daß das erreichte Freiheitsniveau erhalten bleibt.

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K. M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, München 1984,

S. 162ff.

Auf dem Weg zum Umweltstaat?

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Der Schutz der Umwelt ist demnach auch als Schutz der geltenden freiheitlichen Verfassung aufzufassen 62 . Dies wirft die prinzipielle Frage nach der Aufgabe der Rechtswissenschaft bei der Lösung der Umweltkrise und damit bei der Erhaltung der individuellen Freiheiten und Staatsstrukturprinzipien auf. Es kann nicht angehen, daß die Rechtswissenschaft gewissermaßen als "Nachhut des gesellschaftlichen Fortschritts,,63 nur noch der Entwicklung folgt und das Schlimmste zu verhüten sucht. Vielmehr muß diese Entwicklung - gerade wegen der Gefahr eines schleichenden Freiheitsverlustes infolge sogenannter Sachzwänge in der Umweltpolitik - frühzeitig mitgestaltet werden, um die individuellen Freiheiten und Staatsstrukturprinzipien wirkungsvoll schützen zu können. Dabei darf man allerdings nicht allein auf die Wirkkraft rechtlicher Begrenzungen vertrauen. Wichtig ist, daß zu erwartende negative Entwicklungen rechtzeitig in die gesamtgesellschaftliche Diskussion eingebracht werden, um eine öffentliche Auseinandersetzung um den richtigen Weg im Umweltschutz führen zu können. Vor allem sind die Wirtschaftswissenschaften, aber auch andere Sozialwissenschaften gefordert, neue Instrumente, insbesondere auch deren Effektivität und Akzeptanz zu erforschen. Die Anforderungen an das Recht bzw. die Rechtswissenschaft, aber auch an das politische und wirtschaftliche System werden in Zukunft steigen. Die als Grundlage der gesamtgesellschaftlichen Diskussion notwendige Beurteilung zukünftiger Entwicklungen gehörte bisher nicht zum Kembereich juristischer Tätigkeit. Je mehr jedoch tatsächliche Probleme Langzeitwirkungen entfalten, um so mehr wirken auch Problemlösungsstrategien in die Zukunft. Langfristige Strategien bedürfen aber, insbesondere wenn sie nicht oder nur schwer umkehrbare Entwicklungen in Gang setzen, bereits frühzeitig einer umfassenden rechtlichen Würdigung. Dies gilt - wie gezeigt - auch für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Denn es besteht Bedarf für eine (langfristig angelegte) Umweltpolitik, deren Instrumentarium effizient, d. h. sofort und langandauernd wirkt, ohne mit den grundSätzlichen Wertentscheidungen der Verfassung in Konflikt zu geraten. Die Entwicklung dieses Instrumentariums verlangt von der Rechtswissenschaft sowie von den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, aber auch von den Naturwissenschaften bzw. von den technischen Disziplinen zur Verfeinerung der hier nur angedeuteten vorausschauenden Analyse zukünftiger Wirkungen einen über das bisherige Maß hinausgehenden interdisziplinären Dialog. Anderenfalls werden sich die Zweifel daran 62 63

Vgl. auch P. C. Mayer-Tasch. Universitas 1986, 1200ff. (1203f.). H. v. Lersner. Rechtliche Instrumente der Umweltpolitik, in: M. Jänicke/U. E.

Simonis/G. Weigmann, Wissen für die Umwelt, Berlin 1985, S. 196ff. (197).

I. Grundlagen

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weiter mehren, daß die modeme Gesellschaft fähig ist, sich im rechtsstaatlichen Rahmen mit den Mitteln des Rechts auf die ökologischen Gefahrenlagen einzustellen64 • Ein nicht rechtlich determinierter Umweltschutz aber würde bei umweltbezogenen Aktivitäten die Gefahr willkürlicher Entscheidungen verstärken und letztlich das politische System der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie zerstören. Diese Entwicklung gilt es zu verhindern, denn die Qualität des Lebens wird nicht nur durch eine lebenswerte Umwelt, sondern auch durch ein humanes politisches System bestimmt.

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Vgl. dazu N. Luhmann, Ökologische Kommunikation, Opladen 1986, S. 124ff.

Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz* I. Ökologische Aufgaben der Rechtsordnung 1. Vorbemerkung

Die säkulare Bedeutung des Umweltschutzes ist längst Gemeingut. An ihr kann auch die Rechtsordnung nicht vorbeigehen. Vielmehr beginnt der Umweltschutz zunehmend tiefe Spuren im Recht zu hinterlassen. (Die Rechtsordnung befindet sich längst im ökologischen Umbruch. Nachdem in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre hinein vornehmlich die Umbildung der Rechtsordnung durch sozialstaatliche Institute die Gesetzgebung, die Rechtsprechung, die Verwaltung und die Rechtswissenschaft beschäftigte, steht seit gut 20 Jahren zunehmend Ausrichtung oder Neuschöpfung von Rechtsinstituten zur Bewältigung der Umweltkrise 1 auf der Tagesordnung. Diese Umbildung der Rechtsordnung durch den Umweltschutz ist wohl noch lange nicht an einem Endpunkt angelangt. Die aktuelle Diskussion z. B. um eine ökologische Steuerreform läßt vielmehr vermuten, daß entscheidende Phasen des ökologischen Umbaus der Rechtsordnung noch bevorstehen.) 2. Umweltaufgaben der Rechtsordnung

Eine Rechtsordnung, die der existentiellen Notwendigkeit und dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Umweltschutz so nachkommen soll, daß die Umweltprobleme effektiv und nachhaltig bewältigt werden, muß bestimmte grundsätzliche Anforderungen erfüllen,2 von denen hier drei genannt werden sollen: Sie muß - erstens - das Verhalten der Bürger, aber

* Das Manuskript konnte bei dem Vortrag am 11. Dezember 1989 vor der Juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe aus Zeitgründen nur ausschnittweise vorgetragen werden. Meinem Assistenten, HelTJl Kilian Delbrück, danke ich sehr für seine Mitarbeit. - Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in der Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Bd. 189, 1990. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Verlag C. F. Müller, Heidelberg. I Vgl. Breuer, Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, 1989, S. 1 ff. 2 Storm, Umweltrecht, 2. Aufl., 1987, Tz. 21.

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I. Grundlagen

auch des Staates so steuern, daß Umweltschäden vennieden werden. Diese primäre ökologische Aufgabe der Rechtsordnung - die Venneidung von Umweltschäden (einschließlich der Minderung von Umweltbelastungen) erfordert angesichts der Komplexität des Ökosystems gerade auch vorsorgende, die ökologischen Zusammenhänge berücksichtigenden Maßnahmen und - neben dem traditionellen Ordnungsrecht - differenzierte, flexibel einsetzbare Instrumente zur Erreichung eines hohen Vorsorgeniveaus. Damit kann dem umweltpolitischen Vorsorgeprinzip bestmöglich entsprochen werden, das weit vor der traditionellen Gefahrenschwelle ansetzt. Knappe natürliche Ressourcen müssen dabei so verteilt werden, daß ihre Regenerationsfähigkeit erhalten bleibt. Die Rechtsordnung muß - zweitens - aber auch die Möglichkeit bieten, eingetretene Schäden zu beseitigen, Geschädigten zu helfen und die Schadensverursacher für die Schäden verantwortlich zu machen. Vorrangiges, aber nicht alleiniges Zurechnungsprinzip der offiziellen Umweltpolitik ist dabei das Verursacherprinzip als Gegenstück zum sog. Gemeinlastprinzip. Die Rechtsordnung trifft somit eine zweite wichtige ökologische Aufgabe die (Möglichkeit der Schadensbeseitigung einschließlich der) Ausgestaltung der rechtlichen Verantwortlichkeit für Umweltschäden. Schließlich muß die Rechtsordnung - drittens - Regeln darüber enthalten, wem der Schutz der natürlichen Umwelt und damit die Durchsetzung des Umweltrechts übertragen wird. Bei Bewältigung dieser dritten ökologischen Aufgabe der Rechtsordnung muß der Rechtsstaat Vorkehrungen gegen einen zu großen Machtzuwachs für den Staat treffen. Das sollte vor allem die klassischen imperativen Maßnahmen etwa des Verwaltungszwangs begrenzen. In Kernbereichen werden diese Befehlsstrukturen aber unverzichtbar bleiben. Immerhin gewinnt das Kooperationsprinzip, das ein Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft bei der Erfüllung von Umweltaufgaben fordert, eine immer stärkere Bedeutung auch bei der Durchsetzung des Umweltrechts. Die grundsätzliche Einteilung in die Problemkreise Venneidung von Umweltschäden, Verantwortlichkeit für die Beseitigung von Umweltschäden und Durchsetzung des Umweltrechts wird den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt. Dabei geht es allerdings nicht um isoliert nebeneinanderstehende Punkte, sondern darum, die Rechtsordnung bzw. einzelne Rechtsinstitute rasterartig aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und die sich dabei jeweils ergebenden Probleme zusammenhängend darzustellen.

Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz

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11. Umbildung des Privatrechts Jedenfalls solange das in Vorbereitung befindliche Umwelthaftungsgesetz oder gar das projektierte kodifizierende Umweltgesetzbuch des Bundes mit einem eigenen Haftungsteil nicht realisiert sind, kann von einem eigenständigen Teilrechtsgebiet Umweltprivatrecht3 bisher kaum gesprochen werden. Dabei ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß die weitere Integration des Zivilrechts in das Umweltrecht desintegrierend für das Zivilrecht insgesamt wirken kann. Bislang finden neben wenigen spezialgesetzlichen Haftungsregelungen (§§ 13 ff., 25 ff. AtG, 22 WHG, 33 LuftVG), die nur einen Teil des Umweltrechts abdecken, die allgemeinen Vorschriften des Nachbar- und Deliktsrechts des BGB auch auf Umweltprobleme Anwendung. Dennoch haben sich die Herausforderungen der Umweltkrise auch im Zivilrecht bereits merklich ausgewirkt und zur partiellen Umbildung zivilrechtlicher Institute geführt. Im Umweltprivatrecht werden private Interessen von Privaten vertreten. Nichts anderes kann prinzipiell für den Einsatz privatrechtlicher Instrumente im Umweltschutz gelten; staatliche Verwaltungsbehörden sind nicht beteiligt (wohl aber u. U. staatliche Richter). Die Privaten können dabei allerdings nicht Schäden an Umweltgütern als solche geltend machen, sondern nur die Verletzung individueller privater Rechtspositionen an bestimmten Umweltgütern, insbesondere des Eigentums. Ein großer Teil der Umweltschäden, insbes. der sog. ökologischen Schäden, entzieht sich somit an sich grundsätzlich dem privatrechtlichen Umweltschutz. 4

1. Vermeidung von Umweltschäden a) Privatrecht und Prävention Wie steht es nun mit der präventiven Wirkung des Zivilrechts? Unmittelbar präventiv wirken zunächst nur Abwehr- und Unterlassungsansprüche. Durch Geltendmachung dieser Ansprüche, insbesondere aus § 906 und § 1004 BGB,5 können Umweltschäden an privaten Rechtsgütern verhindert werden. Neben den Abwehransprüchen soll den deliktischen Ansprüchen immer auch die Funktion einer mittelbaren Prävention zukommen. Diese Funk3 Zum Ganzen Hohloch, Art ... Umweltprivatrecht", in: HdUR, Bd. 11, 1988, Sp. 687ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 292ff. jeweils m. w.N.; sowie neuestens Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, 1989. 4 Medicus, Zivilrecht und Umweltschutz, JZ 1986, 778 ff. (779 f.). 5 Vgl. hierzu vor allem die Kommentierungen in den einschlägigen BGB-Kommentaren.

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tion, die neben der traditionell im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Funktion des Schadens ausgleichs steht,6 wird in neuester Zeit immer mehr gezielt zum Schutz der Umwelt eingesetzt. 7 Ein solcher Funktionswandel stellt eine bedeutsame Umbildung des zivilrechtlichen Instituts des Schadensersatzes dar. Das Deliktsrecht soll so seine ursprünglich quasi-pönalen und heute vor allem ausgleichs bezogenen Funktionen hinter sich lassen, um sich der Prävention, ja letztlich sogar der ökologischen Umverteilung zuzuwenden. Das Zivilrecht entfernt sich insoweit von seinen individualrechtlichen Wurzeln und wird zu einem bewußt eingesetzten Instrument der Gesellschaftssteuerung. 8 Die Privaten werden auf diese Weise zu Instrumenten staatlicher Umweltpolitik, die dadurch ihre Grundrechtsbindung lockert oder gar abstreift. Letztlich wird das Privatrecht teilweise entprivatisiert. Wegen seiner möglichen Präventivfunktion wird das Umwelthaftungsrecht teilweise heute auch zu den sog. ökonomischen Instrumenten im Umweltrecht gezählt,9 was freilich nicht zu einer weitgehenden ökonomischen Relativierung der Legalität führen darf. Trotz der anregenden Aspekte einer ökonomischen Analyse des Rechts darf der Selbstwert der Rechtmäßigkeit nicht beliebig finanziell relativiert werden. Die prinzipielle Kaufbarkeit von Legalität ist ein Zeichen unterentwickelter Rechtskulturen. Allerdings darf der Präventiveffekt eines Umwelthaftungsrechts, insbesondere wenn die Haftungsregelung mit einer Pflichtversicherung gekoppelt ist, nicht überbewertet werden. lO Sein Ausmaß hängt in diesem Fall faktisch weitgehend davon ab, wie die Versicherungen ihre Beitragssätze staffeln, d. h. mit welchen umweltbelastenden Verhaltensweisen sie die Beitragshöhe (etwa im Sinne einer Bonus-malus-Regelung) verknüpft und wieweit sie dies überwachen kann. Der eigentliche, unmittelbare Lenkungseffekt geht dann von den Versicherungsprämien und -bedingungen aus. Es kommt letztlich zu einer gesellschaftlichen Quasi-Rechtsetzung 6 Mertens, in: MK zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 3, 2. Hbbd., 2. Aufl. 1986, vor § 823, Rn. 41 ff., 44. 7 Bundesminister der Justiz/Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Diskussionsentwurf für ein Umhaftungsgesetz, Stand 16. Mai 1989, Begründung, Abschnitt A 11. 8 Kloepfer, Umweltrecht 1989, § 4, Rn. 293 ff. 9 Dazu Deutsche Stiftung für Umweltpolitik (Hrsg.), Ökonomische Instrumente der Umweltpolitik, Neuer Weg oder Sackgasse?, 1984; Kloepfer, Rechtsstaatliche Probleme ökonomischer Instrumente im Umweltschutz, in: Wagner (Hrsg.), Unternehmung und ökologische Umwelt, 1990. 10 Kloepfer, Umweltrisiken und Haftungsregeln - Rechtspolitische Aspekte, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 1988, S. 243ff., 244f.; Rehbinder, Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, NuR 1989, 149ff., 151 f.

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durch die Versicherung, freilich ohne hinreichende demokratische Kontrolle (aber immerhin unter staatlicher Aufsicht). Der Beitrag, den das Zivilrecht zur Venneidung von Umweltschäden leisten kann, ist somit naturgemäß begrenzt. Für die Zukunft hängt er zu einem großen Teil auch davon ab, wieweit die - noch zu erörternde - Kausalitäts- und Beweislastproblematik gelöst werden kann. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß eine wirklich planvolle Umweltvorsorge mit zivilrechtlichen Instrumenten kaum möglich ist. Denn das dem Prinzip der Privatautonomie verpflichtete Zivilrecht überläßt ja jedem einzelnen die Entscheidung, ob er gegen die Schädigung von sich in seiner Privatrechtssphäre befindlichen Umweltgütern vorgehen will. Das Vollzugsdefizit ist hier konstitutiver Bestandteil der gesamten rechtlichen Regelungskonstruktion. Auch die Inkaufnahme von Umweltschäden gegen Geldzahlungen ist privatrechtlieh nicht zu verhindern. Immerhin mag durch vielfaltige individuelle Reaktionen in einem weiteren Sinne eine "vernünftige" (wenn auch nicht geplante) Ordnung hergestellt werden.

b) Nonnkonkretisierung im Umweltprivatrecht In den wenigen gesetzlichen Nonnen des Umweltprivatrechts finden sich nur sehr unbestimmte Rechtsbegriffe, die z. T. - etwa bei § 823 BGB auch gar nicht speziell auf Umweltfragen zugeschnitten sind. Umweltprivatrechtliehe Verordnungen existieren bisher nicht, Verwaltungsvorschriften sind zunächst nicht ohne weiteres auf zivilrechtliehe Sachverhalte anwendbar, da die beteiligten Privaten ja gerade nicht Adressaten dieser Nonnen sind. Daher war es Sache der Zivilgerichte und der Rechtswissenschaft, die unbestimmten Nonnen für den Einzelfall zu konkretisieren. Die Gerichte sind aber noch häufig einen Schritt weitergegangen und haben ihre im Einzelfall gefundenen Nonnkonkretisierungen als "Verkehrssicherungspflichten" quasi allgemeinverbindlich gemacht. Sie setzen damit - im Umweltbereich - faktisch Umweltstandards, bei deren Überschreitung die Sanktion eines Schadensersatzanspruchs droht. Mit diesen Verkehrssicherungspflichten ist im übrigen längst die prägende Grenze zwischen zivilrechtlicher Verschuldens- und Gefährdungshaftung stark relativiert worden. Die Standardsetzung der Gerichte erfolgt zwangsläufig ohne hinreichende demokratische Kontrolle. Sie ist übrigens zum einen deswegen nicht unbedenklich, weil der - zur Gesetzgebung nicht legitimierte - Richter mangels eigenen Sachverstandes wiederum auf Sachverständige zurückgreifen muß, ohne daß eine ausgewogene Auswahl der Sachverständigen gewährleistet ist. Zum anderen sind Urteile immer Einzelfallentscheidungen; daß diese Entscheidungen in anderen Fällen auch richtig sein müssen, läßt sich kaum behaupten. Entschärft wird die ganze Problematik jedoch dadurch, daß die

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Zivilgerichte bei der Normkonkretisierung in der Regel auf (demokratisch legitimierte) öffentlich-rechtliche Normen zurückgreifen. II c) Umweltprivatrecht und öffentliches Recht

Damit wird insbesondere unter dem Aspekt des präventiven Umweltschutzes das allgemeine Problem des Verhältnisses zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht berührt. Denn trotz aller Begrenzungen in der Wirksamkeit des präventiven Umweltprivatrechts bleibt die grundsätzliche Möglichkeit, gegen Umweltschädiger mit zivilrechtlichen Abwehrklagen vorzugehen. Damit aber sind im Ergebnis auf ein und denselben Lebenssachverhalt, nämlich das Vorgehen eines Privaten gegen Umweltschädigungen durch andere Private, zwei verschiedene Teilrechtsordnungen anwendbar, die nicht notwendig dieselben Ergebnisse liefern müssen. 12 Für die praktische Rechtsanwendung wird das Problem dadurch gelöst, daß zum Teil ausdrückliche gesetzliche Regelungen existieren, die den Vorrang des öffentlichen Rechts statuieren (z. B. § 14 BImSchG). Darüber hinaus hat die (Zivil-)Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, nach denen die öffentlich-rechtlichen Regelungen bei der Anwendung der zivilrechtlichen Institute weitgehend Berücksichtigung finden. Die bei den Einfallstore für öffentlich-rechtliche Wertungen sind hierbei in erster Linie die Begriffe der Ortsüblichkeit und Wesentlichkeit des § 906 BGB und das Institut der Verkehrssicherungspflichten des § 823 BGB. Allerdings hat die Zivilrechtsprechung es bisher abgelehnt, eine starre Bindung an das öffentliche Recht zu akzeptieren. Weil die Einheit der Rechtsordnung kein Rechtsgebot, wohl aber eine Maxime guten Rechts ist, ist dieses Vorgehen legal, aber kaum wünschenswert. Die geschilderten Überlagerungen von öffentlichem und privatem Recht könnten zweifellos zu Problemen führen, wenn etwa Teile des öffentlichen Umweltrechts durch das Privatrecht außer Kraft gesetzt würden oder wenn es zu widersprüchlichen Entscheidungen im Einzelfall käme. Auf der anderen Seite bietet sie auch Chancen für das Umweltrecht und für die Rechtsordnung überhaupt. Es kann zu einer sinnvollen Arbeitsteilung bzw. Ergänzung zwischen öffentlichem und privatem Umweltrecht kommen: Das öffentliche Umweltrecht ist in seinen generellen Normen eher unflexibel und nicht auf den Einzelfall abgestellt. Wo es wie im Bereich der Genehmigungen durch Verwaltungseinzelentscheidungen flexibel sein könnte, fehlen oft die notwendigen Vollzugskapazitäten. Demgegenüber ist das Zivilrecht BGHZ 64, 220 (223); Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 302. Vgl. dazu Schapp, Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Nachbarrecht, 1978, sowie die Verhandlungen des 56. DJT Berlin 1986, Abschnitt C und L. 11

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nicht zu einem vorausschauenden planenden Umweltschutz in der Lage, kann aber dafür die Feinsteuerung im Einzelfall übernehmen. 13 2. Verantwortlichkeit für Umweltschäden a) Ausgangslage

Im Gegensatz zur Schadensvermeidung scheint die Einforderung der rechtlichen Verantwortlichkeit für Umweltschäden und die Erzwingung der Schadensbeseitigung eine Ur-Domäne des Zivilrechts zu sein. Das Problem der rechtlichen Zuordnung von Umweltschäden zu bestimmten Verursachern ist gleichwohl das wohl schwierigste Problem des Umweltprivatrechts. Seine Brisanz gewinnt dieses Problem u. a. daraus, daß wegen der Komplexität ökologischer Schadensabläufe diese in den meisten Fällen nicht zu einer hinreichend erkennbaren Kausalkette von Schädiger zu dem Geschädigten führen und daß die verbleibenden Informations- und Kenntnislücken nach klassischem Zivilprozeßrecht immer zu Lasten des Geschädigten und damit mittelbar zu Lasten der Umwelt gehen. Die Lösung des Problems ist deshalb so schwierig, weil eine einfache Beweislastumkehr zwar dem Geschädigten helfen würde, dafür aber in vielen Fällen von dem (als Schädiger) Beklagten Unmögliches verlangen würde, nämlich den negativen Beweis der Nichtgefährlichkeit eines Verhaltens, eines technischen Vorgangs oder eines Produktes. Am ehesten mit den Mitteln des Zivilrechts zu bewältigen sind die Fälle der Unfallschäden, in denen es bei einem Verursacher zu einem schadens verursachenden Ereignis für die Umwelt kommt. Sehr viel schwieriger sieht es dagegen bei Langzeitschäden aus, die oft erst Jahre nach dem schadensverursachenden Ereignis zutage treten. Noch problematischer ist die Lage bei den auf einer Vielzahl kleiner Verursachungsbeiträge beruhenden Summationsschäden und bei den auf einer weiträumigen Verteilung von Schadstoffen beruhenden Distanzschäden. In vielen Fällen tritt auch das Problem auf, daß von den Naturwissenschaften für eine bestimmte Ursache-Wirkungs-Beziehung nicht eine einfache Ja/Nein-Entscheidung, sondern lediglich ein Wahrscheinlichkeitsurteil geliefert wird. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, daß auch in scheinbar eindeutig gelagerten Sachverhalten aus dem täglichen Leben eine lOO%ige Sicherheit kaum je erzielt werden wird. In Reaktion auf diese Herausforderungen hat die Zivilrechtsprechung auf der Grundlage des geltenden Rechts Lösungsversuche unternommen, die 13 Ger/ach. Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, 1989, S. 104ff.; Hohloch. Art. "Umweltprivatrecht", in: HdUR, Bd. 11, 1988, Sp. 687, 702 ff.; Kloepfer. Umweltrecht, 1989. § 4. Rn. 302.

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eingebettet in Entwicklungen auch auf anderen Gebieten des technischen Haftungsrechts (Produkthaftung) - schon zu einer bedeutenden Umbildung klassischer zivilrechtlicher Institute geführt haben. Daneben hat auch der Gesetzgeber sich des Problems angenommen und die Kodifizierung des Umwelthaftungsrechts in Angriff genommen. Allerdings steckt hinter solchen gesetzgeberischen Vorstößen auch fehlendes Vertrauen in die hinreichende Fortbildung(smöglichkeit?) traditioneller Zivilrechtsnonnen durch die richterliche bzw. rechtswissenschaftliche Interpretation. b) Umbildung des Haftungsrechts durch die Rechtsprechung Bis heute sind allerdings die effektiven Fortbildungen eher durch die Rechtsprechung erfolgt. Die Zivilgerichte haben es unternommen, den Geschädigten von der vollen Beweislast für Kausalität und Verschulden zu entlasten. Dabei sind sie anfangs zögernd und tastend, dann aber - mit dem zunehmenden Umweltbewußtsein - immer entschiedener vorgegangen. Zum einen wurden dem Geschädigten Beweiserleichterungen dadurch gewährt, daß bei einer Überschreitung der in der TA Luft bzw. ähnlichen Vorschriften festgelegten Werte der Emittent die Nichtursächlichkeit dieser "illegalen" Emissionen beweisen muß. 14 Da aber die Überschreitung von Grenzwerten für den Geschädigten oft ähnlich schwer nachzuweisen sein dürfte wie der Kausalzusammenhang allgemein, hat der BGH weiter dem Emittenten aufgegeben, zu beweisen, daß er die erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte ergriffen hat. 15 Für einen Teil der Umweltschäden wurde so ein Weg zwischen der traditionellen Lösung und einer vollen Beweislastumkehr gefunden. Die in eine andere Richtung gehenden Bestrebungen, bestimmte Wahrscheinlichkeiten oder die Plausibilität eines Kausalverlaufs anstelle der vollen richterlichen Überzeugung ausreichen zu lassen, haben sich bisher nur teilweise durchsetzen können. Insbesondere wurden der Anscheinsbeweis und - wenn auch in sehr engen Grenzen - der epidemiologische Kausalitätsnachweis erweitert zugelassen. 16 Eines der Hauptprobleme läßt sich allerdings mit diesen Beweiserleichterungen kaum in den Griff bekommen, nämlich die Verursachung von Schäden durch eine Mehrzahl von Emittenten, von denen jeder nur einen kleinen Beitrag zum Schaden leistet. Die Notwendigkeit, bestimmten Verursachern einen bestimmten Verursachungsbeitrag nachzuweisen, schützt in diesen Fällen die Verursacher im Effekt umso mehr, je mehr Verursacher es 14 IS

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BGHZ 92, 143 (147) - Kupolofen. BGHZ 92, 143 (150f.). Kloepfer, Umwe1trecht, 1989, § 4, Rn. 324.

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gibt und damit oft aber auch je größer die Emissionen insgesamt sind. Abhilfe ist hier auf der Grundlage des geltenden Rechts nur schwer zu schaffen. An Brisanz verloren hat die Problematik des Nachweises des Verschuldenserfordernisses, da es in den vielen Fällen der Unaufklärbarkeit des Kausalverlaufs darauf nicht mehr ankommt, zum anderen aber im allgemeinen Deliktsrecht unabhängig von spezifisch umweltrechtlichen Entwicklungen für den Verschuldensnachweis Beweiserleichterungen schon seit längerer Zeit anerkannt sind. 17 Aufgrund dieser Beweiserleichterungen ist der Schritt zur allgemeinen Umweltgefährdungshaftung faktisch nicht mehr sehr groß. c) Zur Umbildung des Haftungsrechts durch den Gesetzgeber Seit einigen Monaten liegt - neben anderen Entwürfen - ein gemeinschaftlicher Diskussionsentwurf des Justiz- und Umweltministeriums für ein Umwelthaftungsgesetz vor. 18 Sein Beitrag zu einer Umbildung des Umweltrechts, aber auch der Gesamtrechtsordnung ist allerdings - wenn man die gerade geschilderten Lösungsansätze der Rechtsprechung berücksichtigt geringer als es zunächst scheinen mag. Denn der Entwurf rezipiert im wesentlichen nur Entwicklungen, die von der Rechtsprechung vorweggenommen wurden. Das gilt für die Ausschaltung des Verschuldenserfordernisses wie für die Beweiserleichterungen bezüglich der Kausalität. Im Bereich der Verursachung durch mehrere Emittenten wird die Haftung nach Verursachungsbeiträgen für den Normalbetrieb ausdrücklich festgeschrieben, in den anderen Fällen bleibt es bei den allgemeinen - umweltpolitisch unbefriedigenden - Regelungen. Ein neuer zukunftsträchtiger Ansatz ist in dem Entwurf allerdings insoweit enthalten, als er dem Geschädigten Auskunftsansprüche gegen potentielle Schädiger sowie gegen Überwachungsbehörden zugesteht, zumal das Beweislastproblem im Kern stets ein Problem unzureichender Information ist. Durch den vorgesehenen Informationsanspruch kann es auf diese Weise dem Geschädigten ermöglicht werden, wenigstens diejenigen Informationen zu erhalten, die zwar generell verfügbar sind, sich aber in den Händen des Schädigers oder der Umweltbehörden befinden. Hier wird allerdings sehr viel von der Handhabung der recht unbestimmten Ausschlußklauseln durch die Rechtsprechung abhängen. BOHZ 51, 91 ff. - Hühnerpest. Bundesminister der Justiz/Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Eckwerte und Diskussionsentwurf für ein Umwelthaftungsgesetz, Stand 16.5.1989. 17

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d) Kollektive Ausgleichslösungen

Nicht befriedigend lösen kann die Rechtsprechung, aber auch der Gesetzgeber bisher die Problematik der Summations- und Distanzschäden mit den Mitteln des individual ausgerichteten Haftungsrechts. 19 Hier wäre eine größere Umbildung durch Einführung kollektiver Schadensersatz- bzw. Entschädigungsinstrumente notwendig, die nur der Gesetzgeber vornehmen kann. Ist Schadensverursacher wie im Bereich der Waldschäden praktisch die gesamte Bevölkerung (Kraftfahrzeugverkehr, Hausbrand), ist es augenscheinlich wenig sinnvoll, mit zivilrechtlichen Klagen gegen einzelne vorzugehen. 2o In diesem Zusammenhang werden verschiedene Modelle kollektiver Schadensausgleichssysteme diskutiert? I Welches Modell eventuell wann Gesetz werden wird, ist noch ganz offen; ebenfalls noch nicht entschieden ist, ob dabei ein zivilrechtliches oder ein öffentlich-rechtliches Modell gewählt werden wird. Noch nicht ausdiskutiert ist schließlich auch, wieweit statt kollektiver Fondslösungen eine Staatshaftung eintreten kann,22 eventuell gekoppelt mit der Erhebung von Umweltabgaben zur Finanzierung der zusätzlichen Belastungen. Angesichts der immensen Zahl potentiell Beitragspflichtiger besteht allerdings die Gefahr, daß die erforderlichen Beiträge für überaus große Fonds Quasi-Steuerqualität annehmen und somit die grundgesetzliche Finanzverfassung aushebeIn würden.

3. Durchsetzung des Umweltrechts Die Durchsetzung des Umweltrechts - als dritter hierzu behandelnder Problemaspekt - ist eine erkennbare Schwachstelle des Zivilrechts, denn der Vollzug von Normen des Umweltprivatrechts ist grundSätzlich Privaten überlassen; der Staat bietet lediglich Rechtsschutz und gewährleistet die Durchführung einer effektiven Zwangsvollstreckung. Jedoch ist die traditionelle Einteilung - hier Durchsetzung des öffentlichen Rechts durch die Verwaltung zur Wahrung des Gemeinwohls, dort Durchsetzung des Zivilrechts durch einzelne Private zur Wahrung privater Interessen - längst brüchig geworden. Prägnante Beispiele sind insbesondere die öffentlich-rechtlichen Nachbarklagen und die Nutzung des Zivilrechts als Mittel staatlicher Intervention. Vgl. dazu das Waldschadensurteil des BGH, BGHZ 102, 350ff. So auch der BGH, BGHZ 102, 350 (353 f.). 21 Intenninisterielle Arbeitsgruppe Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht, Bericht Umwelthaftungsrecht, Stand 19.4.1988, S. 336ff. 22 Oe lege lata hat der BGH einen Eintritt der Staatshaftung für Waldschäden abgelehnt, BGHZ 102, 350ff. 19

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Die sich abzeichnende Gemeinwohlbindung des Privatrechts im Umweltschutz läßt scheinbar markante Eigengesetzlichkeiten des öffentlichen Rechts einerseits und des privaten Rechts andererseits zunehmend miteinander verfließen. Durch die Einbeziehung des Privatrechts in das Umweltrecht und seine Ausrichtung auf den Schutz des Gemeinwohlbelangs Umwelt bekommt das Privatrecht eine neue Funktion jenseits der Ausformung und Insubbarkeit der Privatautonomie. Damit aber verschwimmen überall dort, wo es nicht um den Einsatz des traditionellen ordnungsrechtlichen Instrumentariums für den Umweltschutz geht, die Grenzen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht: Private können privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich gegen Umweltbelastungen durch andere Private vorgehen, kollektive Schadensausgleichsmodelle können nahezu beliebig dem öffentlichen oder dem privaten Recht zugewiesen werden und auch der zunehmend diskutierte Anspruch auf Ersatz ökologischer Schäden23 kann öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet werden. Auch die Institute der Verbandsklage und der Eigenrechte der Natur lassen sich nicht allein dem öffentlichen Recht zuordnen. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung ist auch die zunehmende Inpflichtnahme gesellschaftlicher Gruppen zum Zwecke des Umweltschutzes zu sehen. Sie stehen zwischen dem Staat und dem einzelnen und damit auch zwischen dem traditionellen öffentlichen Recht und dem traditionellen Privatrecht. 24 Solche Gruppen können etwa sein: Verursachergruppen wie die Anlieger bestimmter Gewässer oder die Emittenten bestimmter Stoffe, aber auch Unternehmen bestimmter Branchen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Umweltverbände u. a.2 5 Konturen einer Entindividualisietung der Rechtsordnung werden erkennbar. Ist die Rechtsordnung der Kollektive die schöne neue - grüne - juristische Welt? Droht eine Vergruppung des Rechts im Umweltschutz? Der Gedanke, der auch hinter der zunehmenden umweltpolitischen Gruppenverantwortlichkeit steht, ist u. a. auch der Kooperationsgedanke. Hinzu kommt das Ziel einer Entlastung des Staates und der Entbürokratisierung des Umweltschutzes, ohne daß die Individualinteressen einzelner dadurch ein zu starkes Gewicht erhalten dürften. Die Übertragung von Aufgaben im Umweltschutz an nichtstaatliche gesellschaftliche Gruppen könnte auch dazu beitragen, einern übermäßigen Machtzuwachs des Staates entgegenzuwirken. Ob sich dieses Modell allerdings bewähren kann, bleibt abzuwar23 Dazu Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hrsg.), Die Rechtspflicht zur Wiedergutmachung ökologischer Schäden, 1988; Gassner, Der Ersatz des ökologischen Schadens nach dem geltenden Recht, UPR 1987,37, 105ff. 24 Denninger, Neue Rechte im technologischen Zeitalter, KJ 1989, 147 ff. (148); Kloepfer/Veit, Technisches Arbeitsschutzrecht. 25 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 134, 206.

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ten. Es ist jedenfalls nicht sicher zu verhindern, daß demokratisch nicht legitimierten Gruppen so umweltpolitische Entscheidungskompetenzen übertragen werden. So wäre es etwa nicht unbedenklich, wenn in Umweltgenossenschaften zusammengeschlossene Gruppen von Verursachern und Belastungen autonom über Umweltstandards - jedenfalls ohne hinreichende institutionelle und demokratische Sicherungen - entscheiden könnten. 26 Insbesondere muß darauf geachtet werden, daß rechtsstaatliche Sicherungen durch Übertragung öffentlicher Aufgaben auf gesellschaftliche Gruppen nicht außer Kraft gesetzt werden.

III. Umbildung des Strafrechts 1. Vermeidung vom Umweltschäden

Präventive Wirkung kann das Strafrecht27 als repressives Recht nur mittelbar über seinen Abscbreckungseffekt haben; konkrete Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten gehören in das Gebiet des Polizei rechts, das ebenfalls (zusammen mit dem Umweltverwaltungsrecht) konkrete Umweltgefahren abwehren soll. Dennoch geht traditionell von Strafvorschriften trotz moderner Resozialisierungstendenzen - naturgemäß auch eine starke präventive Wirkung aus, die dem Strafrecht (zusammen etwa mit dem Haftungsrecht) im Umweltschutz die Aufgabe zukommen läßt, das Verwaltungsrecht zu ergänzen und zu effektivieren. Daher wurden Anfang der siebziger Jabre die bestehenden Strafvorschriften mit umweltrechtlichen Bezügen im Zuge der ersten legislativen Phase des Umweltrechts ergänzt und 1980 im StGB in einem eigenen - allerdings bis heute ganz unvollständigen - Abschnitt zusarnrnengeführt. 28 Letzteres erfolgte vor allem, um die Umweltstrafvorschriften stärker in das Bewußtsein der Bürger zu rücken 29 und so die Präventionswirkung zu steigern. Der Preis hierfür war allerdings die Abtrennung der Sanktionsnormen von den - durch diese geschützten Verhaltensnormen (und zudem das Auseinanderreißen von Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht). Im übrigen hängt die präventive Wirkung des Umweltstrafrechts weitgehend davon ab, wie effektiv die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Umweltschäden im einzelnen ausgestaltet ist. 26 Noch bedenklicher allerdings wäre es, wenn diese Aufgabe bei Einführung einer Umwelthaftpflichtversicherung den (letztlich privatnützig handelnden) Versicherern zuwachsen würde, s. o. 27 Vgl. zum Umweltstrafrecht allgemein: Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 332ff.; Sander, Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitsrecht, 1981; Steindoif, Umwelt-Strafrecht, 1986; Tiedemann, Art. "Umweltstrafrecht", HdUR, Bd. II, 1988, Sp. 842ff.; Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980. 28 18. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28.3.1980, BGBI. I S. 373. 29 Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 8/3633, S. 19.

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2. Verantwortlichkeit für Umweltschäden Bei der strafrechtlichen Ausfonnung der Verantwortlichkeit für Umweltschäden sieht sich auch das Umweltstrafrecht vor allem der Kausalitätsproblematik gegenüber. Dies zeigt sich vor allem bei der Anwendung der praktisch wichtigsten Umweltstrafvorschrift, dem § 324 StGB. Außerhalb dieser Vorschrift werden die auftauchenden Kausalitätsprobleme z. T. so gelöst, daß die Umweltstraftatbestände als Gefahrdungsdelikte 30 ausgestaltet wurden, daß die Strafbarkeit vom konkreten Umweltschaden gelöst wurde und schon die allgemeine Eignung einer Handlung zur Schädigung der Umwelt zur Begründung der Strafbarkeit ausreicht (so in §§ 325, 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Es muß also bei diesen Straftatbeständen nur die generelle Möglichkeit einer Ursächlichkeit für Schäden festgestellt werden; daher können hier im Prinzip auch statistische Gesetzmäßigkeiten ausreichen. 3l Da, wo die naturwissenschaftlichen Kenntnisse über bestimmte Kausalzusammenhänge nicht gefestigt sind, kann allerdings auch die Schadenseignung einer bestimmten Handlung nicht angenommen werden. Noch weiter gehen die §§ 327 bis 329 StGB, die auf das Schadenseignungserfordernis ganz verzichten. Eingeschränkt wird diese weite strafrechtliche Quasi-"Haftung" in allen Fällen außer im § 330a StGB dadurch, daß - wie sogleich zu erörtern ist die Strafbarkeit von einem Verstoß gegen Verfügungen und Regelungen des Umweltverwaltungsrechts abhängig gemacht wird. Insoweit hängt auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Umweltschäden letztlich auch von einer wirksamen administrativen Umweltüberwachung ab, da nur so die notwendigen Infonnationen über strafrechtlich relevante Verstöße gegen das Umweltverwaltungsrecht zu erhalten sind. Denn auch im Umweltstrafrecht greift bei fehlender Infonnation eine (strafprozessuale) Beweislastregel ein, nämlich das Prinzip ,in dubio pro reo', das auch im Umweltstrafrecht fehlende Sachaufklärung im Ergebnis immer zu Lasten der Umwelt wirken läßt. Eine Umbildung, welche die Geltung dieses klassischen rechtsstaatlichen Prinzips in Frage stellen würde, wäre aber in keinem Fall wünschbar und überdies verfassungswidrig. Infonnations- und Kenntnislücken dürfen nicht zu einer Bestrafung Unschuldiger führen. Auch hier gilt aber: Nur eine konsequente Anwendung bestehenden Rechts kann einer Verschärfung des Rechts auf die Dauer entgegenwirken. 30 Die strafrechtlichen Gefährdungsdelikte entsprechen nicht der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung; während die Gefährdungshaftung auf das Erfordernis des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit verzichtet, verzichtet das strafrechtliche Gefährdungsdelikt auf die Herbeiführung eines Erfolges in der Form der Verletzung eines konkreten Rechtsguts. 31 Tiedemann, Art. "Umweltstrafrecht", HdUR, Bd. 11, 1988, Sp. 842ff., 850.

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Ein besonders schwieriges Problem des Umweltstrafrechts stellt die Bewältigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen bzw. den darin Beschäftigten dar. Angesichts der komplexen betrieblichen Organisation vor allem in Großunternehmen besteht wegen des personalen Ansatzes des Strafrechts die Gefahr, daß die Verantwortlichkeit nicht bestimmten Personen zugewiesen werden kann und damit ins Leere geht. Lösungsversuche lehnen sich deshalb an Vorschläge an, die im Hinblick auf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität erarbeitet wurden. 32 Allerdings wäre die Strafbarkeit von Organisationen ein schwerer Systembruch mit dem geltenden Umweltstrafrecht. Ob umgekehrt die Einführung strafrechtlicher GarantensteIlungen in Organisationen (z. B. durch Betriebsbeauftragten) sinnvoll ist, kann zweifelhaft sein.

3. Durchsetzung des Umweltrechts Die Probleme bei der Durchsetzung des Umweltrechts mit den Mitteln des Strafrechts liegen zum einen in grundSätzlichen Zweifeln am Einsatz des Strafrechts in der Gegenwart überhaupt, zum anderen in der Koordination zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht.

a) Verwendbarkeit von Strafrecht Parallel zur Zuspitzung der Umweltkrise ertönt der Ruf nach einer (Schaffung bzw.) Verschärfung des Umweltstrafrechts. Mit der Instrumentalisierung des Strafrechts für den Umweltschutz läßt sich fast jede Forderung nach Ausweitung der Strafbarkeit von umweltschädigendem Verhalten, sei es durch Verschärfung des Strafrahmens, sei es durch Veränderungen der Strafbarkeitsvoraussetzungen heute politisch begründen, wenn auch nicht unbedingt rechtfertigen. Diese Tendenz ist deswegen bemerkenswert, weil sie nicht dem allgemeinen Trend zur Entkriminalisierung und zur Zurückdrängung des Strafrechts insgesamt entspricht. Wenn auch in bestimmten Bereichen ein gewisser "Nachholbedarf' des Umweltstrafrechts bestand, der eine bereichsbezogene Verschärfung des Strafrechts legitimierte, muß hier doch vor Übertreibungen gewarnt werden, die der allgemeinen Zurückdrängung pönaler Staatsinterventionen zuwiderlaufen würden. Auf jeden Fall sollte die Konzeption des Umweltstrafrechts als "ultima ratio" nicht nur ein politischer Spruch, sondern rechtlich verbindliches Auswahlkriterium unter 32 Bundesministerium der lustiz/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe "Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" - Arbeitskreis "Umweltstrafrecht" -, 19.12.1988, (im folgenden Bericht AK "Umweltstrafrecht"), S. 72 ff., vgl. auch die Vorschläge des 57. DJT 1988.

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mehreren Mitteln zur Umweltrechtserzwingung sein. Zu bedenken bleibt, daß der Ausbau des Strafrechts zum Zwecke des Schutzes von Gemeinwohlgütern nicht selten ein Baisse-Signal für reale Freiheitlichkeit ist, weil gerade ein Ausbau des Strafrechts zum Schutze des Gemeinwohl nicht nur die rechtsstaatliehe Freiheitlichkeit sichern, sondern auch gefährden kann. b) Verwaltungsakzessorietät

Das in letzter Zeit am intensivsten diskutierte Problem des Umwelts trafrechts ist das der sog. Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts. 33 Es geht darum, wieweit Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte an verwaltungsrechtliche Vorentscheidungen, seien es generelle Regelungen, seien es Verwaltungseinzelentscheidungen, gebunden sind. Die Problematik ist ähnlich wie im bereits angesprochenen Verhältnis zwischen Umweltverwaltungsrecht und Umweltprivatrecht. Mit der zunehmenden ökologischen Ausrichtung der gesamten Rechtsordnung wird die Unabgestimrntheit der relativ selbständigen Teilrechtsordnung als inhaltliche Friktionen deutlich. Dem Vordringen (des Privatrechts wie) des Strafrechts im Umweltschutz wird häufig von öffentlich-rechtlicher Seite entgegengehalten, nur das öffentliche Recht könne ein geschlossenes, auf Sachkunde beruhendes System umweltrechtlicher Verhaltensanforderungen gewährleisten, das nicht durch (das Privatrecht oder) das Strafrecht aus den Angeln gehoben werden dürfe. Dem damit reklamierten Funktionsvorrang oder gar -monopol des öffentlichen Rechts steht ein Mißtrauen von seiten (des Privatrechts und) des Strafrechts gegen öffentlich-rechtliche Entscheidungen gegenüber. Dieses Mißtrauen dürfte u. a. mit dem Verdacht einer zu engen Kooperation zwischen den Umweltverschmutzern und der Umweltverwaltung zusammenhängen. Das Paradeargument gegen eine strikte Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts ist deshalb immer wieder das kollusive Zusammenwirken zwischen Umweltbelastern und Umweltbehörde. Die bisher h. M. im öffentlichen Recht wie im Strafreche4 nimmt grundsätzlich wohl eine umfassende Bindung der Strafgerichte insbesondere auch an fehlerhafte, aber wirksame Verwaltungsentscheidungen an. 35 Gerechtfertigt wird sie auch mit dem Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung. 33 Vgl. dazu die Verhandlungen des 57. DJT 1988, Strafrechtliche Abteilung; sowie die Nachweise bei Kloepjer/Brandner. Rechtsprobleme der Grenzwerte für Abwassereinleitungen, ZfW 1989, 2 ff. sowie neuestens Ensenbach. Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, 1989. 34 Nachweise bei Ensenbach. Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, 1989, S. 39ff. 35 So auch Bericht AK "Umweltstrafrecht". S. 221.

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Andere Ansichten lehnen z. T. jede Bindung ab, z. T. differenzieren sie nach Fallgruppen?6 Auf die schwierigen Probleme der unterschiedlichen Fassungen der einzelnen Straftatbestände im Hinblick auf die Verweisung auf das Umweltverwaltungsrecht und die damit verbundenen Probleme in den Bereichen Rechtswidrigkeit, Teilnahme, Unterlassungstäterschaft u. a. kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ähnlich wie im Verhältnis zum Zivilrecht erscheint aber eine Lösung denkbar, die zwar an der grundsätzlichen Bindung umweltstrafrechtlicher Entscheidungen an das Umweltverwaltungsrecht festhält, in Ausnahmefällen aber auch Abweichungen zuläßt. 37 So würde auch insoweit dem Umweltverwaltungsrecht eine vorrangige Position im Umweltrecht eingeräumt, die aber durch - im Einzelfall auch abweichende - Entscheidungen des Strafrechts ergänzt und modifiziert werden könnte. In jedem Fall läßt sich erkennen, wie hier durch die Berührung des Strafrechts mit umweltspezifischen Konflikten eine bis dahin vom allgemeinen Strafrecht wenig beachtete - aber keineswegs völlig neue - Problematik in den Mittelpunkt der juristischen Diskussion gestellt wurde,38 wobei die gefundenen Lösungen dann möglicherweise auch in anderen Bereichen wenn auch nicht durch schematische Übertragung - fruchtbar gemacht werden könnten?9 Eng verknüpft mit der Verwaltungsakzessorietät ist schließlich die Problematik der Amtsträgerstrafbarkeit. 4o Sie hängt oft zusammen mit einer partiellen Verschiebung der Verantwortlichkeit für Umweltschäden vom Umweltbelaster auf den Staat. Da ein formell im Einklang mit dem Umweltverwaltungsrecht stehendes Verhalten Privater grundsätzlich nicht strafbar ist, müßte dann die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Umweltschäden, die auf Fehlentscheidungen von Verwaltungsbehörden beruhen, auf die jeweiligen Amtsträger "übergehen". In der Praxis ist es bislang allerdings kaum einmal zu einer Verurteilung gekommen. 41

36 Ensenbach. Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, 1989, S.44f. 37 So in der Tendenz auch Bericht AK "Umweltstrafrecht", S. 50f. 38 Die Problematik wurde vom DJT in der strafrechtlichen und nicht in der umweltrechtlichen Abteilung behandelt. 39 Vgl. die Fälle bei Ensenbach, Probleme der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, 1989, S. 47ff. 40 Dazu Bericht AK "Umweltstrafrecht", S. 51 ff. 41 Bericht AK "Umweltstrafrecht", S. 52ff.

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IV. Umbildung des Verwaltungsrechts 1. Vermeidung von Umweltschäden

Hervorgegangen vornehmlich aus (polizei-, bau- und) gewerberechtlicher Tradition ist bis heute das verwaltungsrechtliche Institut der Genehmigung 42 - juristisch genauer als Erlaubnisvorbehalt bezeichnet - immer noch das zentrale Institut des schwerpunktmäßig präventiv angelegten öffentlichen Umweltrechts. Die im Umweltprogramm von 1971 stark hervorgehobene Umweltplanung, die in der Folgezeit in mehreren Umweltgesetzen verankert wurde,43 kann das Institut der Genehmigung nicht verdrängen, sondern nur im Vorfeld der Genehmigungsentscheidung ergänzen, da jede Planung wiederum der Umsetzung durch Einzelentscheidungen bedarf. Gerade am Institut der Genehmigung läßt sich zeigen, wie ein traditionelles verwaltungsrechtliches Institut sich unter den Herausforderungen durch die Umweltkrise gewandelt hat und möglicherweise auch noch in Zukunft weiter wandeln wird. a) Klassische gewerberechtliche Genehmigung

Die klassische gewerberechtliche Genehmigung war relativ einfach strukturiert: 44 Ein bestimmtes Verhalten des Bürgers war (fonnell) verboten, solange der Staat nicht die Einhaltung der gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen geprüft und sich von ihrem Vorliegen überzeugt hatte; der Bürger hatte aber einen Anspruch darauf, daß bei Einhaltung dieser Voraussetzungen, i. d. R. bei Nichtvorliegen einer polizeilichen Gefahr, also bei rechtlicher Unbedenklichkeit, die Genehmigung erteilt wurde, ohne daß der Verwaltung ein Ennessen eingeräumt war. Die erteilte Genehmigung galt unbefristet für die Zukunft und vennittelte so Bestandsschutz. Die heutige umweltrechtliche Genehmigung weicht hiervon in vielfacher Hinsicht ab, sowohl was die Fonn als auch was den Inhalt der Genehmigungsentscheidung betrifft.

42 Ohne daß immer etwas anderes gemeint ist, wird oft auch von Erlaubnis, Bewilligung oder Zulassung gesprochen. 43 Vgl. etwa § 6 AbfG, §§ 47, 50 BImSchG, § 5ff. BNatSchG. 44 Dazu Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, S. 354; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 1985, Rn. 454ff.

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b) Differenzierung

Aus der einfachen "Ja/Nein"-Entscheidung ist längst eine differenzierte und häufig "gebrochene,,45 und - was den zeitlichen Horizont betrifft - flexible Entscheidung geworden. Rechtstechnisch wird dabei vor allem auf die Möglichkeit des Erlasses von Nebenbestimmungen zu Verwaltungsakten zurückgegriffen, insbesondere auch von nachträglichen Nebenbestimmungen. Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheide enthalten nicht nur die Billigung eines geplanten Zustands der zu genehmigenden Anlage, sondern sie setzen in Form der Auflage detailliert fest, wie die Anlage in Zukunft zu betreiben ist, insbesondere, welche Grenzwerte einzuhalten sind. Durch die konsequente Nutzung des Instruments der Auflage können von der Verwaltung fast beliebig Anforderungen an Einzelanlagen verbindlich festgesetzt und dann ggf. mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden. Typischerweise kommt es so zu eingeschränkten bzw. modifizierten Bewilligungen. c) Flexibilisierung

Was die zeitliche Flexibilität angeht, ist zum einen auf die vielfaltigen Möglichkeiten des gestuften Verwaltungsverfahrens 46 (Vorbescheid, Teilgenehmigung, vorläufige Genehmigung), vor allem aber auch die Möglichkeit zur Befristung von Genehmigungen (v gl. § 7 Abs. I WHG) oder zum Erlaß von nachträglichen Anordnungen (vgl. § 17 BImSchG) hinzuweisen. Die letztgenannte Möglichkeit des nachträglichen Erlasses von Nebenbestimmungen ist gerade bei der Altanlagensanierung bedeutsam. Sie relativiert den rechtsstaatlichen tradierten Bestandsschutz der erteilten Genehmigung erheblich und ermöglicht so erst eine dem Vorsorgeprinzip entsprechende rechtzeitige Anpassung an die sich rasch ändernden Umweltbedingungen. Stärker als in anderen Rechtsgebieten wird hier die Dehnung der Einzelfallentscheidung zum anlagebegleitenden Verwaltungsrechtsverhältnis deutlich. d) Nebenpflichten

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf eine Reihe von in engem Zusammenhang mit der Genehmigung stehenden Rechten und Pflichten von Behörde und Antragsteller, die ebenfalls zu einer umweltschutzbezogenen Effektivierung und Differenzierung des Instituts der Genehmigung beigetragen haben. 47 Zu nennen sind hier etwa Informations-, Kloepfer. Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 41. Kloepfer. UmweItrecht, 1989, § 4, Rn. 92ff.; Schmidt. Einführung in das Umweltrecht, 1987. S. 39 ff. 4S

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Beratungs-, Überwachungs- und Eigenüberwachungspflichten. Diese Pflichten, die teils der Vorbereitung der Genehmigung, teils der Kontrolle der Einhaltung der im Genehmigungsbescheid enthaltenen Regelungen dienen, bilden ein dichtes Geflecht von gegenseitigen Rechten und Pflichten, die ebenfalls in die Richtung eines besonderen Verwaltungsrechtsverhältnisses im Umweltrecht48 deuten. e) Normkonkretisierung

Ebenfalls einer Flexibilisierung, aber vor allem auch einer Entlastung des Gesetzgebers soll es dienen, wenn nicht mehr in Gesetzen und oft noch nicht einmal in Verordnungen, sondern in Verwaltungsvorschriften49 oder technischen Regelwerken 50 die eigentlichen Genehmigungsvoraussetzungen festgeschrieben werden. Normative Voraussetzung hierfür ist vor allem die gesetzgeberische Verwendung unbestimmter, also konkretisierungsbedürftiger Rechtsbegriffe, die gerade für das Umwelt- und Sicherheitsrecht so wichtig sind. Zur Zulässigkeit einer solchen Regelungstechnik51 kann angeführt werden, es diene dem Umweltschutz, wenn nicht bei jeder notwendigen Verschärfung der Umweltstandards, das oft jahrelang dauernde Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden müsse, sondern lediglich untergesetzliche Normen anzupassen seien. Ob hier allerdings wirklich stets ein Zeitgewinn gesichert ist, erscheint allerdings zweifelhaft angesichts der Tatsache, daß etwa die Novellierung der TA Luft, nachdem die Bundesregierung sie 1977 eingeleitet hatte, erst 1983 bzw. 1986 in zwei Stufen zustande kam. 52 Gravierender sind die Bedenken, die aus der Sicht des Demokratiegebots und des Bestimmtheitsgebotes des Grundgesetzes geltend gemacht werden. Es besteht schon bei der Verlagerung der Umweltstandardsetzung auf die Exekutive (Verwaltungsvorschriften), sehr viel deutlicher aber noch bei der direkten oder verdeckten (verweisenden) Übertragung auf private Nor47 Bei Storm, Umweltrecht, 2. Aufl., 1987, Tz. 111 werden sie als umweltdienliche Nebenpflichten bezeichnet. 48 Dazu Achterberg, A1Igemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, § 20; Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders.lMartens (Hrsg.), A1Igemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, § 10 11. 49 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 44; zu der Figur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften", denen eine gewisse Bindungswirkung gegenüber der Rechtsprechung zukommen s01l, vgl. BVerwGE 72, 300 (316). so Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 45 ff.; sowie grundlegend Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979. SI Vgl. hierzu insbes. auch BVerfGE 49,89 (137ff.). 52 Feldhaus/Ludwig, Die TA Luft 1983, DVBI. 1983, 565ff.; Feldhaus/Ludwig/ Davids, Die TA Luft 1986, DVBI. 1986, 64lff.

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mungsorganisationen oder andere Sachverständigengremien nach bisheriger Rechtslage ein erhebliches Defizit an demokratischer Legitimation. Selbst wenn die Setzung von Umweltstandards durch demokratisch legitimierte Institutionen sich als praktisch undurchführbar erweisen sollte - Versuche liegen bisher freilich kaum vor -, darf sich der Gesetzgeber damit nicht zufriedengeben. Vielmehr muß er dann wenigstens Zusammensetzung und Verfahren der Sachverständigengremien sowie insbesondere auch Begründungspflichten festschreiben. 53 Hier ist noch erheblicher Raum für weitgehende rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Innovationen. Das Bundesverfassungsgericht sollte jedenfalls die bisherige Innovationsunwilligkeit bzw. Bequemlichkeit des Gesetzgebers nicht sanktionieren. f) Gefahrenabwehr und Risikovorsorge

Auch inhaltlich hat sich der Entscheidungsmaßstab bei Genehmigungsentscheidungen verändert: Nichtmehr nur zur Gefahrenabwehr, sondern zunehmend auch zur Risikovorsorge wird das Institut der Genehmigung im Umweltschutz eingesetzt, weil das Umweltrecht eben nicht nur dem (traditionellen, ordnungsrechtlichen) Schutzprinzip, sondern auch und gerade dem Vorsorgeprinzip verpflichtet ist. Gefahrenabwehr ist eine geläufige polizeirechtliche Vorstellung: Die Behörde darf einschreiten, wenn "eine Sachlage in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden" führen wird. 54 Diese Eingriffsschwelle zugrundegelegt, wäre ein wirksamer umfassender präventiver Umweltschutz kaum möglich: Es könnte weitgehend nur auf akute Krisen reagiert, aber keine planmäßige Umweltpflege und -vorsorge betrieben werden. Daher geht das Umweltrecht heute weit über die Schwelle der Gefahrenlage hinaus und fordert etwa in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, daß "Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird". Instrument zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips ist auch hier wiederum das Institut der Genehmigung: Die Einhaltung der Vorsorgepflicht wird als Genehmigungsvoraussetzung gefaßt und durch die Festschreibung konkreter Vorgaben in Nebenbestimmungen verbindlich gemacht. Abhängig ist die Wirksamkeit dieser Vorsorge allerdings wieder von der Nonnkonkretisierung, d. h. etwa im Immissionsschutzrecht davon, wie § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG durch Rechtsverordnungen und vor allem durch die TA Luft ausgefüllt wird. Rechtsstaatlich bedenklich können vorsorgeorientierte Genehmigungen aber deshalb werden, weil sie letztlich die Behörden zu Eingriffen bei (noch) 53

54

Zum ganzen Kloepfer. Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 49ff. m.w.N. GÖfz. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. 8. Aufl., 1985, S. 65.

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nicht vorhandenen Gefahren ermächtigen. In ungünstigen Fällen werden so Gefahrenphantasien der Verwaltung zu Kompetenzkompetenzen; VerdachtHaben macht mächtig. Ist das Ziel behördlicher Eingriffe im übrigen nicht (genau) auszumachen, läuft - wie noch zu zeigen sein wird - das Übermaßverbot nur zu leicht leer. g) Eröffnungskontrolle und Ressourcenbewirtschaftung

In engem Zusammenhang mit dem Einbau des Vorsorgegedankens in das Institut der Genehmigung steht auch eine andere Entwicklung, nämlich die von der formalen, gebundenen Eröffnungskontrollentscheidung zur Umweltplanung und Ressourcenbewirtschaftung durch Ermessensentscheidungen, insbes. im Sinne eines umweltbezogenen Versagungsermessens. Hier ist die Entwicklung in einzelnen Teilgebieten des Umweltrechts bislang relativ uneinheitlich. Während im Wasserrecht unter Übernahme früherer Traditionen dieses Rechtsgebiets schon seit Erlaß des WHG im Jahre 1957 55 die Bewirtschaftung der natürlichen Ressource Wasser geltendes Bundesrecht ist, wird vor allem im Immissionsschutzrecht die Anlagengenehmigung nach § 4 BImSchG immer noch formal als gebundene Entscheidung ohne gestalterischen administrativen Anspruch ausgestaltet. Inwieweit hier die Umsetzung der EG-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung Änderungen bringt, bleibt abzuwarten, ist aber unterdessen eher unwahrscheinlich. 56 Entscheidend dürfte langfristig die weitere Entwicklung der Luftbelastung sein: Je weniger die bisher verwandten Instrumente Abhilfe schaffen können, desto stärker wird der Druck, planerische und bewirtschaftende Instrumente einzusetzen. Tendenziell wird sich das Umweltrecht immer stärker zum Bewirtschaftungsrecht entwickeln, wobei sich auffällige Parallelen zum Kriegs- und Notbewirtschaftungrecht zeigen dürften. In Wahrheit hat sich im übrigen das sog. formelle Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Umweltrecht auch längst in Richtung auf das sog. materielle Verbot mit Dispensvorbehalt zuentwickelt. Dies zeigt sich u. a. an der Zuerkennung einer Normkonkretisierung auch für die Verwaltung und erst recht an der Einräumung eines Versagungsermessens wie im Atomrecht. Faßt man alle diese Einzelentwicklungen des Instituts der Genehmigung zusammen, zeigt sich, daß ein traditionelles verwaltungsrechtliches Institut durch die Ausrichtung auf den Umweltschutz grundlegend umgebildet wurde. 57 Differenzierung, Flexibilisierung und die Lockerung traditioneller 55

BGBI. I S. 1110.

In dieser Richtung Breuer, Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, 1989, S. 35 ff. 56

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rechtsstaatlicher Bindungen in Folge der Aufnahme des Vorsorge gedankens kennzeichnen diese Umbildung.

2. Verantwortlichkeit für Umweltschäden Die Problematik der verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit für Umweltschäden spielt im öffentlichen Recht zwar eine geringere RoIle als im Zivil- und Strafrecht, ist aber gleichwohl auch in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen. Im Kern geht es um die Frage, wie bestimmte Umweltschäden bestimmten Personen öffentlich-rechtlich zugerechnet werden können, (d. h. z. B., wer die Kosten einer polizeilichen Maßnahme zu tragen hat). Im öffentlichen Recht geht es vor aIlem darum, wer bei Umweltgefahren Störer im polizeirechtlichen Sinne ist: eine Frage, die sich besonders bei der sogenannten AItlastenproblematik58 steIlt und häufig mit Modifikationen des politischen Kausalitätserfordernisses beantwortet wird. Das Kausalitätsproblem ist im Umweltrecht häufig ein Informations- und Erkenntnisproblem: Die rechtliche, auch die öffentlich-rechtliche Zuordnung von Schäden wird deshalb so schwierig, weil meistens konkrete Informationen im Einzelfall, vor allem aber auch genereIle wissenschaftliche Erkenntnisse über komplexe Kausalzusammenhänge im Umweltbereich fehlen.

a) Kausalität Wie in aIlen Rechtsgebieten geht auch die Verantwortlichkeit im Polizeirecht von dem Begriff der Verursachung aus. Weil der sog. naturwissenschaftliche Kausalitätsbegriff, der sich weitgehend an naturwissenschaftlichen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts orientiert, als unzureichend (weil grenzenlos) für die Feststellung rechtlicher Verantwortlichkeit erweist, wurde er durch das - rechtlicher Dezision unterliegende - Kriterium der "unmittelbaren Verursachung" ergänzt. 59 Die Leistungsfähigkeit dieses KriZu der gesamten Entwicklung vgl. auch Breuer, a. a. 0., S.18 ff. Vgl. zur umfangreichen Altlastendiskussion insbes. Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.), Altlasten und Umweltrecht (UTR I), 1986; Henkel, Altlasten als Rechtsproblem, 1987; Kloepfer, Die Veranwortlichkeit für Altlasten im öffentlichen Recht, NuR 1987, 7ff.; ders., Umweltrecht, 1989, § 12, Rn. 132ff.; Koch, Bodensanierung nach dem Verursacherprinzip, 1985; Kunig/Schwermer/Versteyl, Abfallgesetz, 1988, Anh. zu § 10; Papier, Altlasten und polizei rechtliche Störerhaftung, 1985; Ziehm, Die Störerverantwortlichkeit für Boden- und Wasserverunreinigungen, 1989. 59 Dazu Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Auf!. 1985, Rn. 191 ff. m.w.N. 57 58

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teriums muß allerdings stark bezweifelt werden: Das diffuse Begriffspaar mittelbar - unmittelbar schafft zunächst einmal nur breiten Raum für eine eher diffuse Billigkeitsrechtsprechung. Vor allem ist es sehr fraglich, ob die Auflösung hochkomplexer Ursache-Wirkungs-Beziehungen in zu verantwortende unmittelbare Folgen und nicht zu verantwortende mittelbare Folgen eines Verhaltens sich wirklich rational begründen läßt. In der Praxis werden daher oft mittelbare Ursachen im ontologischen Sinn als unmittelbare Ursachen im Rechtssinne bewertet. 6o Dieses Problem tritt einerseits im Bereich der Altlasten auf, wobei es hier allerdings meist noch um überschaubare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge geht. Gänzlich unzureichend wird das Kriterium der Unmittelbarkeit bei Störungen, die nicht nur auf dem Handeln einiger weniger Personen, sondern auf dem Zusammenwirken von Wirkungsbeiträgen verschiedenster Art beruhen und bei denen die unmittelbare Verursachung nur diejenige ist, die einen Zustand gerade über die Schwelle dessen bringt, was das Ökosystem noch verkraften kann.

b) Vorhersehbarkeit Eng verknüpft mit der Frage der Kausalität ist die Frage der öffentlichrechtlichen Relevanz der Vorhersehbarkeit von Wirkungen. Anders als bei der Kausalität geht es bei der Vorhersehbarkeit um subjektive Informationslücken; sei es, daß Informationen nur bestimmten Personen fehlen; sei es, daß sie zu einem bestimmten Zeitpunkt allen Personen fehlten, später aber verfügbar wurden. Zwar spielt diese Frage im Polizeirecht wegen seiner prinzipiellen Verschuldensunabhängigkeit eine geringere Rolle,61 jedoch wird gerade im Altlastenbereich zum Teil - wenig überzeugend - behauptet, daß Störer (unmittelbarer Verursacher) nicht sein könne, wessen Verhalten nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht als gefährlich erkannt wurde und auch nicht erkennbar gewesen sei. 62 Die Berufung auf allgemeine Grundsätze des Polizeirechts wie den der Verschuldensunabhängigkeit des polizeilich Verantwortlichen ist zwar u. U. de lege lata unvermeidbar, politisch aber nur wenig befriedigend. Die polizeirechtlichen Grundsätze sind im wesentlichen auf relativ statische Sachverhalte und nicht auf komplexere, einem ständigen Wissens- und Technik60 Kloepfer, Die Verantwortlichkeit für Altlasten im öffentlichen Recht, NuR 1987, 7ff. (15). 61 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 1985, Rn. 191. 62 So etwa Papier, Die Verantwortlichkeit für Altlasten im öffentlichen Recht, NVwZ 1986, 256ff. (259f.). 5 Kloepfer

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fortschritt unterliegenden Sachverhalte zugeschnitten. Hier ist eine spezifische Umbildung des Instituts der polizeilichen Verantwortlichkeit notwendig, die auf die besonderen Probleme des Umweltschutzes nicht ausgerichtet ist. Diese Umbildung muß sich der Frage stellen, wer das Risiko eines umweltgefährdenden Verhaltens bei mangelnden Kenntnissen über die GeHihrlichkeit tragen soll. Sie kann dabei auf Parallelentwicklungen im Umweltprivatrecht und Umweltstrafrecht zurückgreifen. 63 An dieser Stelle können zur Lösung der Problematik nur einige kurze Anmerkungen gemacht werden: 64 Bei der verschuldensunabhängigen polizeirechtlichen Verantwortlichkeit handelt es sich der Sache nach um eine Einstandshaftung, ähnlich wie eine Gefährdungshaftung, durch die dem Bürger das Risiko für gemeinwohlschädliche Folgen seines Verhaltens zugewiesen wird. Eine solche Risikozuweisung ist (auch) im Umweltrecht nichts Ungewöhnliches, sie rechtfertigt sich hier wie in anderen Bereichen durch die abstrakte Gefährlichkeit eines Verhaltens, durch seine Privatnützigkeit sowie durch die Risikozuweisung herbeigeführte Internalisierung etwaiger sozialer Kosten. Diese Gesichtspunkte können nun auch bei der Altlastenproblematik fruchtbar gemacht werden: Soweit diese Gesichtspunkte zutreffen, kann die Verantwortlichkeit auch für ein nach dem damaligen Erkenntnisstand die Schwelle zur Gefahr nicht überschreitendes Verhalten rechtlich begründet werden. Nur in Fällen, in denen eine solche Legitimation einer Einstandshaftung nicht existiert, ist es unzulässig, das Risiko für die gemeinwohlschädlichen Folgen eines Verhaltens dem Bürger zuzuweisen.

3. Durchsetzung des Umweltrechts a) Staatlicher und privater Umweltschutz

Der starke Ausbau des öffentlichen Umweltrechts ist notwendige Folge der Wahrnehmung des Gemeinwohlbelanges Umweltschutz durch den Staat. Wegen dieser Dominanz des öffentlichen Rechts müssen sich die bestehenbleibenden privaten Interessen - sowohl egoistischer wie altruistischer Art - am Schutz der Umwelt nun ebenfalls (auch) gegen den Staat und nicht (allein) gegen die Schadensverursacher richten. Es entsteht das für das öffentliche Umweltrecht typische Dreiecksverhältnis zwischen Umweltbelaster, Belastetem und Umweltbehörde. 65 In diesem Dreieck Siehe unten IV 3b und 4b. Ausführlich dazu Kloepfer, Die Verantwortlichkeit für Altlasten im öffentlichen Recht, NuR 1987, 7 ff. 65 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 6. 63

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werden Konflikte zwischen Privaten mit den Mitteln des öffentlichen Rechts auf dem Verwaltungsrechtsweg ausgetragen, was letztlich zu juristischen Stellvertreterkriegen gegen den Staat führt. Insofern kann von einer partiellen Privatisierung des öffentlichen Rechts gesprochen werden, eine Tendenz, die auf den geschilderten Trend zur Entprivatisierung des Privatrechts stößt. Diese Umlenkung privater Konflikte in das öffentliche Recht führte letztlich auch dazu, daß der verwaltungs gerichtliche Drittschutz66 erheblich ausgebaut und so auch umgebildet werden mußte. Feststellen läßt sich dabei, daß die Einbeziehung Privater im Wege des verwaltungsrechtlichen Drittschutzes den Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland sicher entscheidend effektiviert hat. Sie führte zu einer externen Verwaltungskontrolle. Sie ist vor allem deswegen so bedeutsam, weil der Staat in dem geschilderten Dreiecksverhältnis zwar einerseits die Interessen der Umwelt wahren soll, auf der anderen Seite aber auch neutrale Entscheidungsinstanz bleiben muß, die auch gegenläufige Allgemeinwohlbelange zu berücksichtigen hat. Eine Instanz, die allein und einseitig die Interessen der Umwelt vertritt, kann in der Genehmigungsbehörde generell nicht gesehen werden. So betrachtet, fehlt der Gegenpol zum Umweltbelaster, der allein und einseitig seine privaten Interessen vertreten kann. Hier liegt auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die Forderung nach einer verwaltungsgerichtlichen Verbandsklage, nach einern "Umweltanwalt" und letztlich auch nach der Anerkennung von Eigenrechten der Natur: 67 Damit könnten - etwa durch verfahrensrechtliche Treuhandkonstruktionen - die Interessen der Umwelt vertreten werden, unabhängig davon, ob sich zufällig ein privater Betroffener findet oder nicht. Allerdings kann das nicht der einzige Aspekt sein. Vielmehr ist insbesondere bei der Verbandsklage wie bei sog. Eigenrechten der Natur der wesentliche Einwand des rechtlichen Systembruchs näher zu bedenken oder zu gewichten. b) Kooperationsprinzip und injluenzierendes Staatshandeln

Eine weitere wesentliche Umbildung des öffentlichen Rechts aufgrund des Umweltschutzes betrifft ebenfalls die Durchsetzung des Umweltrechts durch den Staat, liegt aber auf einer anderen Ebene. Sie betrifft die Frage, mit welchen Mitteln der Staat die ihm übertragene Aufgabe wahrnimmt, das Verhalten der Bürger mit dem Ziel eines wirksamen Umweltschutzes zu steuern. Es wird heute allgemein unterschieden zwischen der direkten (imperativen) und der indirekten Verhaltenssteuerung (insbes. durch Abgaben, Subventionen, Benutzungsvorteile, aber auch durch die neuen sog. 66 67

S'

Kloepfer. Umweltrecht, 1989, § 5, insb. Rn. 15 ff. S. o. die Nachweise zu 11 3.

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1. Grundlagen

marktwirtschaftlichen Instrumente [Kompensationslösungen etc.] und durch staatliche Informationen, Warnungen und Empfehlungen mit z. T. weitreichenden Folgerungen), ergänzt durch Bereiche, die sich nicht ohne weiteres in diese beiden Kategorien einordnen lassen wie etwa die Umweltplanung und die staatliche Eigenvornahme. Das Umweltstrafrecht gehört zum Bereich direkter Steuerung, das Umweltprivatrecht steht dem Bereich indirekter Verhaltenssteuerung näher. 68

Im Bereich des öffentlichen Rechts erfolgt die Durchsetzung des Umweltrechts zum einen durch die traditionellen Instrumente des Ge-/Verbotes sowie daran anknüpfend durch den Verwaltungszwang. Diese ordnungsrechtlichen Instrumente haben auch heute noch eine eminente Bedeutung; sie sind jedoch ergänzt durch ein stark ausgebautes Überwachungsinstrumentarium. Für die Überwachung der Einhaltung des Umweltrechts, aber auch darüber hinaus läßt sich jedoch feststellen, daß der Staat immer mehr dazu übergeht, Ge-/Verbote und vor allem den Verwaltungszwang nur als nachrangiges Mittel einzusetzen und statt dessen stärker einvernehmliche Lösungen zu suchen. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei staatlich inspirierte Selbstbeschränkungsabkommen. 69 An die Stelle der klassischen und klaren rechtsstaatlichen Direktiven Geboten und Verboten - treten zunehmend die neuen weichen, aber nebligen Alternativen: erwünscht, aber nicht geboten bzw. unerwünscht, aber nicht verboten. Auf die Legalität als das klassiche rechtsstaatliehe Lenkungsmittel wird damit verzichtet. Auch das unerwünschte Handeln bleibt eben legal. Die Tendenz zum Einsatz influenzierender Instrumente wurde unter dem Begriff "Kooperationsprinzip" zu einem Grundprinzip des gesamten Umweltrechts entwickelt. 7o Dahinter stand der Gedanke, daß (halbwegs) einvernehmliche Lösungen eher umgesetzt werden könnten und damit dem Umweltschutz mehr gedient würde. Es ergeben sich aber sogleich drei Probleme: Zum einen kann es dazu kommen, daß dem Zwang zum ausgehandelten Komprorniß die für einen wirksamen Umweltschutz notwendigen Maßnahmen zum Opfer fallen. Ein Anreiz für Verhandlungslösungen ist für die Belaster gerade auch die Möglichkeit, hierduch geringeren Anforderungen 68 Zu dieser Einteilung Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, 1989, § 6, Rn. 6ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 3f.; Rehbinder, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 106. 69 Siehe etwa Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 252 ff. 70 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, 1989, § I, Rn. 53ff., § 5, Rn. 28ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 3, Rn. 44ff.; Rengeling, Art. "Kooperationsprinzip", in: HdUR, Bd. I, 1986, Sp. 935 ff.; ders., Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1988; vgl. auch schon das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971, BTDrs. 6/2710, S. 6, These NT. 9.

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an den Umweltschutz genügen zu können als bei imperativen Maßnahmen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, daß der Staat dem Bürger ein "Einvernehmen" abnötigt, ohne daß dieser die Möglichkeit hat, sich wirklich gegen die - von ihm ja mitgetroffenen - Entscheidung zu wehren. 7 ! Das letzte Problem ist deshalb so bedeutsam, weil es für das influenzierende, paktierende Einwirken des Staates auf den Bürger bisher kein adäquates rechtsstaatliches Abwehrsystem besteht. Die Rechtsstaats- und Grundrechtsdogmatik ist immer noch nahezu ausschließlich auf die direkte eingreifende, imperative Verhaltenssteuerung ausgerichtet; gegen die staatliche Motivationsbeeinflussung ist bisher nur wenig rechtsstaatliches Kraut gewachsen. Der Verweis auf die Möglichkeit, der Influenzierung standzuhalten und nicht das erwünschte Verhalten zu zeigen, entschärft die rechtsstaatliche Problematik, löst diese aber nicht. Der Hinweis auf die formale Freiwilligkeit löst das Problem kaum, weil es häufig einen faktischen Zwang, jedenfalls aber ein Hinwirken auf ein bestimmtes Verhalten gibt. Allenfalls im Bereich echten faktischen Zwanges mögen über das Argument der Eingriffsgleichheit Analogien zu imperativen Eingriffen möglich sein. Eng damit zusammenhängend ist der verminderte Rechtsschutz bei influenzierenden Maßnahmen als das dritte Problem. Mangels Verwaltungsakt läuft der verwaltungsprozessuale Drittschutz hier leer und auch der Dritte muß sich auf das dünne Eis des Rechtsschutzes gegen Normen begeben. Die indirekte Verhaltenssteuerung durch die sog. neuen ökonomischen Instrumente Kompensationen, Zertifikate und Umweltabgaben, aber auch durch die unter dem Begriff informales Verwaltungshandeln zusammengefaßten Absprachen, Branchenvereinbarungen und Vorverhandlungen ist demgegenüber - ganz im Gegensatz zu ihrer heute schon stark gestiegenen praktischen Bedeutung - von der Rechtswissenschaft nur sehr unzureichend erfaßt. 72 Insbesondere das Problem der Instrumenten- und Belastungskumulation durch das Aufstülpen der influenzierenden Maßnahmen auf das Ordnungsrecht ist bisher ungelöst.

V. Umbildung des Verfassungsrechts Auf die ökologischen Herausforderungen der Gegenwart hat das Verfassungsrecht bisher nur begrenzt reagiert und zwar vor allem auf Landesebene. 73 Eine dem Umweltschutz dienende Verfassungsänderung auf Bun71 Kloepfer, Rechtsstaatliche Probleme ökonomischer Instrumente im Umweltschutz, in: Wagner (Hrsg.), Unternehmung und ökologische Umwelt, 1990. 72 Die eigenen Ansätze sind verdeutlicht in Kloepfer, Umwe1trecht, 1989, § 4, Rn. 142ff.; ders., Rechtsstaatliche Probleme ökonomischer Instrumente im Umweltschutz, in: Wagner (Hrsg.), Unternehmung und ökologische Umwelt, 1990.

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I. Grundlagen

desebene hat es bisher nur bei der Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf dem Gebiet des Umweltschutzes gegeben. 74

1. Vermeidung von Umweltschäden Konkrete Antworten auf die Herausforderungen der Umweltkrise, insbesondere konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltschäden, sind vom naturgemäß sehr allgemeinen Verfassungsrecht auch kaum zu erwarten; hier gilt, daß die entscheidende Lösung von Konflikten über die Reichweite des Umweltschutzes (primär) "nicht in den Höhen des Verfassungsrechts, sondern in den ,Niederungen' der einfachen Gesetzgebung [und - wie zu ergänzen ist - eines effektiven Gesetzesvollzugs] zu suchen ist".75 Eine dem Grundgesetz in seiner bisherigen Fassung ableitbare Pflicht des Staates zum Umweltschutz wäre eine Möglichkeit, Umweltschutzaktivitäten des Staates mit den Mitteln des Verfassungsrechts zu forcieren. Dem geltenden Verfassungsrecht kann eine umfassende, greifbare Pflicht zum Umweltschutz jedoch nicht entnommen werden. 76 Weder die Pflicht zum Gesundheitsschutz noch das Sozialstaatsgebot lassen sich ohne weiteres in eine umfassende Staatspflicht zum Umweltschutz umdeuten. Dennoch waren in Einzelfallen vor allem Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 20 GG - Sozialstaatsgebot - Einfallstore für eine punktuelle Effektivierung des Umweltschutzes durch das Grundgesetz: Zum einen wurde aus diesen Vorschriften wenn auch nicht die umfassende Pflicht, so doch die Legitimation zum staatlichen Umweltschutz abgeleitet. Dies kann vor allem im Hinblick auf Eingriffe in Grundrechte privater Umweltbelaster bedeutsam sein. Auf der anderen Seite wird aus diesen Vorschriften die Pflicht des Staates entnommen, wenigstens ein "ökologisches Existenzminimum"77 zu gewährleisten. Das BVerfG hat Art. 2 Abs. 2 GG noch in einer anderen Richtung für den Umweltschutz78 effektiviert, indem es verfahrensrechtliche Sicherungen 73 Die Landesverfassungen schützen heute meist die natürlichen Lebensgrundlagen (s. dazu Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 7lff.). 74 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12.4.1972, BGBI. I S. 593, mit der Konsequenz einer nochmaligen Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf Kosten derer der Länder. 75 So, allerdings bezogen auf die Sozialpolitik, Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 37. 76 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 4. 77 Schotz, Nichtraucher contra Raucher - OVG Ber1in, NJW 1975, 2261 und VG Sch1eswig, JR 1975, 130, JuS 1976, 232ff. (234). 78 Wenngleich auch hier untrennbar mit Gesundheits- und Lebensschutz verbunden.

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der Grundrechtsverwirklichung als verfassungsrechtlich zwingend geboten ansah. 79 Damit hat das Bundesverfassungsgericht mittelbar auch festgelegt, daß der Schutz der Umwelt einerseits zwar Aufgabe und Pflicht des Staates ist, auf der anderen Seite aber Private nicht von der Teilhabe an staatlichen Umweltschutzentscheidungen ausgeschlossen werden dürfen. Mit der weitgehenden Abstinenz des Grundgesetzes im Hinblick auf Umweltfragen kann jedoch die Darstellung der Umbildung des Verfassungsrechts durch den Umweltschutz nicht enden. Schon im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 wurde die Aufnahme eines Umweltgrundrechts in das Grundgesetz erwogen BO und seitdem hält die Diskussion um materielle Änderungen des Grundgesetzes zur Effektivierung des Umweltschutzes an. Insbesondere haben die derzeitigen Koalitionsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung die Einführung einer Staatszielbestimmung Umweltschutz beschlossen. Nachdem heute die Einführung eines Grundrechts auf saubere Umwelt kaum mehr erwogen wird, vor allem deswegen, weil es zu einer der grundgesetzlichen Gewaltenteilung widersprechenden Verlagerung umweltpolitischer Entscheidungen auf die Justiz führen würde,BI steht jetzt eine Staatszielbestimmung Umweltschutz im Mittelpunkt der Diskussion. B2 Auch eine solche Staatszielbestimmung könnte natürlich keine der konkreten Herausforderungen der Umweltfrage unmittelbar lösen, ihr käme aber nicht nur eine psychologische, sondern auch eine interpretations- und ennessensleitende Wirkung zu, und sie würde außerdem zu einer Verlagerung der Argumentationslast bei der Rechtsanwendung führen. Sie könnte im übrigen auch eine verfassungsimmanente Schranke für umweltbelastende Grundrechtsausübungen werden. 2. Verantwortlichkeit für Umweltschäden Sind aus dem geltenden Verfassungsrecht nur mit Mühe Einzelpflichten zur Venneidung von Umweltschäden ableitbar, so würde es das Verfassungsrecht auf jeden Fall überfordern, wollte man aus ihm spezifische Aussagen dazu entnehmen, wer im konkreten Fall Umweltverantwortlicher ist. Dies gilt jedenfalls solange, wie das GG - anders als der EWG-Vertrag mit seinem Bekenntnis zum Verursacherprinzip (Art. l30r Abs. 2 S. 1 EWGV) keine spezifischen Aussagen hierzu enthält. Insoweit bleibt es bei den allgemeinen verfassungsrechtlichen Begrenzungen staatlicher Gewalt auch bei 79 80 81

82

BVerfGE 53, 30 (65 f.). BT-Drs. 612710, S. 9f. Vgl. dazu bereits Rehbinder, ZRP 1970,252. Siehe dazu Kloepfer, DVBI. 1988, 305 ff.

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1. Grundlagen

der Umweltpolitik. Insbesondere sind dem Staat (nur) willkürliche Verantwortlichkeitszurechnungen verboten. Damit wird dem Staat aber ermöglicht, Umweltverantwortlichkeiten nach dem Verursacherprinzip, aber etwa auch nach dem Gruppenlastprinzip, dem Gemeinlastprinzip oder dem Geschädigtenprinzip zu begründen. Weitere Eingrenzungen ergeben sich etwa aus dem Finanzverfassungsrecht, das umfassendsten Fondslösungen zum Ausgleich von Umweltschäden Grenzen setzt. Auf verfassungsrechtliche Grenzen dürfte auch die völlige Verantwortungsmonopolisierung für Umweltschäden beim Staat stoßen.

3. Durchsetzung des Umweltrechts Der Durchsetzung und Ausgestaltung des Umweltrechts sind auch im übrigen erheblichen allgemeinen verfassungsrechtlichen Begrenzungen ausgesetzt. Darauf soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Interessanter für unser Thema ist die Umbildung verfassungsrechtlicher Gehalte durch den Umweltschutz selbst. Denn es wäre eine viel zu starre Sichtweise des Verfassungsrechts, wollte man die Verfassung nur als vom staatlichen Umweltschutz vorgefundene Begrenzung verstehen. Realistischer dürfte es sein, von einem lebendigen Verfassungsrecht spezifische Anpassungsreaktionen auf die jetzt erkannte ökologische Herausforderung zu erwarten. Das führt dann zu möglichen Umbildungen verfassungsrechtlicher Institute durch den Umweltschutz. In dieser Gesamtkonzeption sind freilich auch Kollisionen und d. h. dann endlich verfassungsrechtliche Limitierungen des Verfassungsrechts nicht ausgeschlossen. a) Demokratieprinzip

Am brisantesten bei der Umbildung der Rechtsordnung durch den Umweltschutz ist wohl die bereits angesprochene Problematik der Verlagerung von umweltpolitischen Entscheidungen auf demokratisch nicht legitimierte Gremien von Sachverständigen. In vielen Bereichen des Technikund Umweltrechts entscheidt heute faktisch der Sachverstand und nicht mehr die Mehrheit. Die Regelung technisch geprägter Sachverhalte erfordert in der Tat einen hohen technischen Sachverstand, der aber wiederum oft nicht vorurteilsfrei Entscheidungen treffen wird, wenn es um die Beschränkung der "freien Entfaltung der Technik" geht. Versuche, hier mit dem Instrument einer institutionell bei der Exekutive und vor allem bei der Legislative verankerten Technikfolgenabschätzung Abhilfe zu schaffen, befinden sich noch im Diskussionsstadium. Hier ist zu berücksichtigen, daß es schon umstritten ist, wieweit es Aufgabe des Parlaments und des Staates

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ist, die Entwicklung von Technik allgemein zu kontrollieren und damit oft auch in gewissem Umfang Forschung und Wirtschaft zu lenken. In den letzten Jahren hat sich die Problematik dadurch erheblich gewandelt, daß immer mehr zutage tritt, daß oft scheinbar ausschließlich wissenschaftlich-technisch motivierte Entscheidungen keineswegs so eindeutig sind, wie es scheint. Das liegt zum einen an (nicht selten interessenorientierten) Widersprüchen in den jeweiligen Naturwissenschaften selbst, und zum anderen hat sich bisweilen die "wissenschaftlich" festgestellte Unbedenklichkeit von Entwicklungen im nachhinein als falsch herausgestellt. Mit dieser Relativierung sachverständiger Entscheidungen wird aber der Weg frei für eine Rückverlagerung von Entscheidungen in die Politik: Es kann dann eben doch das Parlament die politische Frage entscheiden, ob von zwei wissenschaftlich begründeten Grenzwerten der großzügigere oder der restriktivere gewählt werden soll. Damit wird eine "Redemokratisierung" technischer Entscheidungen, die möglicherweise im Kern auch durch die Wesentlichkeitsjudikatur des BVerfG gefordert wird, ermöglicht. Ob sich diese freilich zu einem faktischen Verbot umweltgefahrdender Tätigkeiten mit parlamentsgesetzlichem Erlaubnisvorbehalt stilisieren läßt, ist sehr zweifelhaft. Weil das Parlament im übrigen bei der Technikkontrolle nicht alles selbst regeln kann, bleiben derartige Sachverständigengremien wohl auch in der Zukunft notwendig. Allerdings müssen dann wenigstens die Auswahl- und Entscheidungsverfahren sowie die Entscheidungsmaßstäbe sachverständiger Gremien gesetzlich geregelt werden. b) Rechtsstaatsprinzip und Grundrechtsschutz

Der Ausbau staatlichen Umweltschutzes bedeutet erheblichen staatlichen Machtzuwachs; da der Umweltschutz nahezu alle Lebensbereiche betrifft, kann es so zu Eingriffen des Staates in fast alle Lebensbereiche kommen. Dies bedeutet offensichtlich eine Herausforderung an den Grundrechtsschutz und an das Rechtsstaatsprinzip. Wie rechtsstaatliche Belange durch die übermächtige Forderung nach effizientem Umweltschutz in Frage gestellt werden, wurde bereits mehrfach angesprochen: Die Ausweitung des Instrumentariums der staatlichen Verhaltenssteuerung durch Instrumentalisierung aller Rechtsgebiete und den Einsatz neuer, scheinbar freiheitsschonenderer, in Wirklichkeit aber oft nur subtilerer Mittel der indirekten Verhaltenssteuerung erfordern neue rechtsstaatliche Sicherungen. Inhaltliche Flexibilisierungen des Umweltrechts stellen rechts staatliche Bestimmtheitsgehalte in Frage. Eine zeitliche Flexibilisierung des staatlichen Instrumentariums stellt das rechts staatliche Institut des Bestandsschutzes in Frage. Die Einführung der Gefahrdungshaftung und

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I. Grundlagen

die Verschiebung von "Beweislasten" zugunsten der Geschädigten bei Umweltschäden berühren vor allem im Strafrecht essentielle rechtsstaatliehe Prinzipien. Trotz des Verhältnismäßigkeitsprinzips werden fast beliebige Grundrechtseinschränkungen möglich, da der Zweck "Erhaltung der natürlichen Umwelt" durch die Verknüpfung mit der "Erhaltung der menschlichen Existenz" tendenziell ein Übergewicht gegenüber privaten Belangen bekommt. In vielen Fällen versagt der auf den Vergleich konkreter durchschaubarer Situationen abgestellte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Umweltschutz vollkommen: Wenn - wiederum aufgrund komplexer Ursache-WirkungsBeziehungen - keine gesicherten Kenntnisse über die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen vorliegen, läßt sich auch nicht entscheiden, ob ein milderes Mittel ebenso wirksam ist wie das zur Entscheidung anstehende. Im Zusammenhang mit der soeben behandelten demokratischen Problematik steht schließlich die Frage, ob bei der üblichen Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in umweltrechtlichen Normen das Bestimmtheitsgebot gewahrt ist. Daß in allen diesen Fällen die Entscheidung nicht "Umweltschutz oder Rechtsstaat" heißen kann, versteht sich von selbst. Umweltschutz zum rechtsstaatlichen Nulltarif, d. h. ohne Freiheitsbeschränkungen, ist nicht möglich, ebenso wenig, wie der Rechtsstaat auf Umweltschutz als Staats- und Grundrechtsvoraussetzungsschutz verzichten kann. Notwendig ist vielmehr ein optimierender Ausgleich zwischen dem verfassungsrechtlich vorgegebenem Rechtsstaat und dem verfassungslegitimen Ziel Umweltschutz. 83 Der im Naßauskiesungsurteil des BVerfG84 beschrittene Weg der umweltschutzindizierten Beschränkung des Grundrechtstatbestandes selbst verbaut allerdings solche Ausgleichsmöglichkeiten eher als der Weg über Grundrechtsbeschränkungen, die u. U. durch Gründe des Umweltschutzes gerechtfertigt, aber durch Schranken-Schranken auch limitiert werden können. Vorsicht ist auch gegenüber der pauschalen Annahme einer allgemeinen Umweltpflichtkeit der Grundrechte, etwa im Sinne einer allgemeinen Perse-Vorrangentscheidung für den Umweltschutz, geboten. Eine solche allgemein formulierte Pflicht zu einem umweltverträglichen Verhalten würde den Bürger nur zu leicht nicht mehr primär als eine selbständig und selbstverantwortlich handelnde Person, sondern letztlich nur noch als Objekt einer umweltrechtlichen Zugriffsordnung behandlen. Eine solche Konzeption wäre aber mit der bestehenden Verfassung nicht mehr zu vereinbaren.

83 Kölble, in: Dokumentation zur 9. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., Berlin 1985, 1986, S. 5f. 84 BVerfGE 58, 330 (338ff.).

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Möglicherweise wird mit der Umweltkrise auch die Endlichkeit der traditionellen grundrechtlichen Ordnungsidee eines freiheitlich-demokratischen Gemeinswesens bewußt. Waldschäden, Ozonzerstörungen, Meeresverschmutzungen u. v. a. m. sind typischerweise gekennzeichnet durch eine Entindividualisierung der Probleme. Deshalb könnten hier zunehmend Kollektive zu verantwortlichen und handelnden Subjekten werden, wie z. B. Überlegungen zu Schadenfonds und Umweltgenossenschaften zeigen. Die Gruppenverantwortung wird - z. B. in der Sonderabgabenjudikatur des BVerfG85 - zur rechtlichen Größe. Ein Verantwortungs- und Zurechnungssystem, das Kollektive und nicht Individuen in seinen Mittelpunkt stellt, kann von der traditionellen Sicht der Grundrechte als herausgehobene Individualrechte nicht mehr dirigiert und limitiert werden. Dazu ist vielmehr eine gewisse Kollektivierung der Grundrechte, vor allem aber ein Umbau der Grundrechtsdogmatik in Richtung auf eine Verstärkung objektivrechtlicher und institutioneller Grundrechtsgehalte unvermeidlich. Die Gefährdungen durch solche Tendenzen sind aber unverkennbar, wie das insbesondere eher makabre Beispiel einer grundrechtlich begründeten Strafpflicht des Staates zeigt. Mit der insbes. durch Art. 1 Abs. 1 GG konstituierten Anthropozentrik der Verfassung sind im übrigen strenge ökozentrische Konzeptionen der Umweltpolitik nur schwer zu vereinbaren. Das muß die Ausgestaltung primär ökologischer Rechtspositionen nicht ausschließen, schafft aber vor dem Forum der Verfassung einen spezifischen Legitimations- und Abwägungsbedarf. c) Sozialstaatsprinzip

Weniger Konfliktstoff bietet das Verhältnis zwischen Sozialstaatsprinzip und Umweltschutz. Auch das Sozialstaatsprinzip setzt aber der Umbildung der Rechtsordnung durch den Umweltschutz Grenzen. Insbesondere beim Einsatz ökonomischer Instrumente im Umweltschutz darf dies nicht dazu führen, daß praktisch nur die finanziell Leistungsfähigeren sich von Umweltschutzmaßnahmen faktisch "freikaufen" können. Auch darf es nicht dazu kommen, daß sozial Schwächere beim Umweltschutz benachteiligt werden; nicht jeder kann es sich etwa leisten, Umweltbelastungen durch einen Umzug in weniger belastete Gebiete auszuweichen.

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Siehe insbes. BVerfGE 55, 298 ff.

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I. Grundlagen

d) Bundesstaatsprinzip Der Umweltschutz kann auch das Bundesstaatsprinzip gefährden und umbilden. Da viele Umweltprobleme sich nicht lokal beschränken lassen, läßt sich die Verlagerung von Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen auf den Bund durch das Ziel des verbesserten Umweltschutzes rechtfertigen. Der Widerspruch zwischen der Engräumigkeit der Landes-Kompetenzzonen und der Weiträumigkeit der entstehenden Probleme kann so das Bundesstaatsprinzip aushöhlen. Immerhin kann dieser Widerspruch aber auch durch Kooperationen im Bundesstaat weitgehend gelöst werden. Ein Sonderproblem bildet die geforderte Umbildung der Finanzverfassung durch eine "ökologische Steuerreform". Zu beachten ist in diesem Zusammenhang schließlich, daß das Bundesstaatsprinzip auch durch eine Ausweitung von Kompetenzen der EG im Umweltbereich in Frage gestellt wird. Die ohnehin fortgeschrittene Aushöhlung der Bundesstaatsidee in der Bundesrepublik Deutschland wird dadurch beschleunigt. Dabei kann aber nicht übersehen werden, daß globale Umweltprobleme die Frage nach der Legitimität einzel staatlicher Entscheidungen in diesem Bereich überhaupt stellen können (z. B. beim Klimaschutz oder beim Schutz der Meere vor Verunreinigungen).

VI. Fazit 1. Umbildungsformen Wieweit die geschilderte Umbildung einzelner Institute durch den Umweltschutz über die Lösung spezifisch umweltbezogener Probleme hinaus auch die allgemeine Rechtsordnung verändert hat, ist wegen der Vielfalt der Entwicklungen nicht leicht und jedenfalls nicht pauschal zu beurteilen. Es lassen sich aber immerhin vier verschiedene Formen der Beeinflussung unterscheiden: Direkte Einwirkungen - als erste Form -, bei denen traditionelle Institute durch die Berührung mit dem Umweltschutz zu einem umweltspezifischen Instrument umgestaltet wurden, lassen sich bisher kaum feststellen. Klassische Fallkonstellationen werden weiterhin mit klassischen Instituten entschieden. Dies gilt sowohl für Bereiche, die überhaupt nicht von der Umweltproblematik berührt wurden (im Zivilrecht beispielsweise das Bereicherungsrecht), als auch für Institute, die auch auf umweltrelevante Fragestellungen Anwendung finden: Auf nicht umweltspezifische Eingriffe des Staates in Gesundheit und Leben hat die Ableitung einer minimalen, punktuellen Verfassungspflicht Umweltschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG keine Auswirkungen gehabt, und klassische Fälle des BGB-Deliktsrechts werden

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gelöst, ohne auf die für Umweltschäden entwickelte Beweislastumkehr und Gefährdungshaftung zurückzugreifen. Gerade das Beispiel des Deliktsrechts leitet aber schon über zu einem zweiten Bereich, in dem durch das Umweltrecht ausgelöste Entwicklungen verknüpft sind mit gleichlaufenden Entwicklungen, die nicht umweltspezifische Fragestellungen betreffen. Beispiele sind das Verhältnis von Umwelthaftung und Produkthaftung oder das Verhältnis von Umweltkriminalität und Wirtschaftskriminalität. In solchen Fällen ist der spezifisch umweltrechtliche Anteil der Entwicklung kaum zu bestimmen. Angesichts des hohen umweltpolitischen Stellenwerts ist aber hier von Umweltschutz ein erheblicher Impuls für die allgemeine Modemisierung der Rechtsordnung zu erwarten. Schließlich gehören zu einem - besonders wichtigen - dritten Bereich der Veränderung der allgemeinen Rechtsordnung durch das Umweltrecht die Fälle, in denen das Umweltrecht klassische Institute als solche zwar unverändert bestehen ließ, sie aber durch neue Institute ergänzte und für diese Anwendungsbereiche eröffnete, wodurch die klassischen Anwendungsbereiche in der juristischen Diskussion zurückgedrängt wurden. Ein Beispiel hierfür ist das oben besprochene Institut der verwaltungsrechtlichen Genehmigung, das in einfachen gewerberechtlichen Fällen weiterhin klassisch angewendet wird, jedoch für umweltrechtliche Fallgestaltungen ausgeweitet und modifiziert worden ist. Gerade dieser dritte Bereich dürfte die größte Bedeutung für die weitere Entwicklung der Gesamtrechtsordnung unter dem hier behandelten Aspekt haben: Das Umweltrecht als spezifische Antwort der Rechtsordnung auf die Umweltschutzproblematik hat Lücken im rechtlichen Instrumentarium ausgefüllt, und zwar sowohl was einzelne Institute als auch was die verschiedenen Rechtsgebiete betrifft. Es hat so die Schwerpunkte der Gesamtrechtsordnung verlagert und dazu beigetragen, daß eine Abgrenzung der Funktionen einzelner traditioneller Institute oder Rechtsgebiete immer schwieriger geworden ist. Die junge Disziplin des Umweltrechts ist damit zu einem Laboratorium der Gesamtrechtsordnung geworden. Dabei erscheint besonders wichtig, daß in diesem Laboratorium - um einen vierten Bereich anzusprechen - auch gänzlich neue Rechtsinstrumente (z. B. die sog. neuen ökonomischen Instrumente) erprobt werden, von denen einzelne möglicherweise eines Tages in die gesamte Rechtsordnung einfließen könnten.

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I. Grundlagen

2. Ausblick Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß die Umbildung der Rechtsordnung in Reaktion auf die Umweltkrise sicher nicht mehr erst an ihrem Anfang steht, sondern schon beträchtliche Fortschritte gemacht hat. Gleichwohl läßt sich auch nicht feststellen, daß die Entwicklung schon ihren Höhepunkt erreicht hat. Denn es zeigte sich, daß viele der juristischen Probleme zwar erkannt sind, aber ihre Lösung in einigen Bereichen über Ansätze nicht hinausgekommen ist. Auch die derzeit in Vorbereitung befindlichen Novellierungen des Umwelthaftungsrechts, des Umweltstrafrechts und die Diskussionen über die ökologische Steuerreform und das Staats ziel Umweltschutz deuten auf eine fortdauernde Umbildung der Rechtsordnung hin. Zudem kann auch nicht festgestellt werden, daß der Anlaß für die Umbildung fortgefallen ist, denn bei der Bewältigung der UmweItkrise stehen Teilerfolge auf dem einen Gebiet Mißerfolgen auf anderen Gebieten gegenüber. Die Herausforderung an die Rechtsordnung, durch die Umweltkrise Instrumente zur Lösung der Umweltprobleme bereitzustellen, ohne die Grundprinzipien der Verfassung in Frage zu stellen, besteht fort. Um sie zu bestehen, werden von Rechtswissenschaft und Praxis nicht nur eine die Verfassung hütende Wachsamkeit verlangt. Gefordert ist vielmehr auch die juristische Innovation, die Öffnung oder auch Relativierung althergebrachter Traditionen sowie das Verständnis für ökologische, technische und soziale Zusammenhänge auch bei Juristen. Stärker als anderswo wird im Umweltrecht das bisher weitgehende Fehlen einer dringend notwendigen prospektiven Jurisprudenz deutlich. Gerade sie kann durch die Ausbildung neuer umweltrechtlicher Grundsätze und Instrumente zur Bewahrung des Verfassungskonsenses beitragen. Dieser hängt heute mehr als je zuvor auch von einem wirksamen Schutz der Umwelt ab.

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht* Gemeinsam mit Sigrid Reinert, Dresden

I. Knappheit als Ursache von Verteilungsproblemen 1. Umweltknappheit

Ausgangspunkt und Grundvoraussetzung der Verteilungsproblematik ist das Phänomen der Knappheit. Knappheit einer Ressource bedeutet, daß die nachgefragten Nutzungen durch die vorhandene Menge oder Qualität eines Gutes nicht hinreichend befriedigt werden können, also insofern Verwendungskonkurrenzen auftreten. Hieraus resultiert das Verteilungsproblem, also die Frage, wer welche Bedürfnisse mit welchen Mitteln befriedigen kann, bzw. wer welche Ressourcen auf welche Weise und in welchem Ausmaß nutzen kann. Im engeren ökonomischen Sinne ist Knappheit als Güterknappheit l eine Grundvoraussetzung des Wirtschaftens 2 und ein wertbildender Faktor in der Marktwirtschaft. 3 Neben den relativen Knappheiten, die Gegenstand des Wirtschaftens sind, gibt es auch absolute Knappheiten die durch Unsubstituierbarkeit einer Ressource gekennzeichnet und letztlich nicht überwindbar sind. Hierzu zählt z. B. gemeinhin auch die Malthusianische Angebotsknappheit physischer Ressourcen und qualitativ hochwertiger Umwelt, eine mögliche globale Grenze der Produktion. 4 Eine neuere Beschreibung dieser

* Das Manuskript beruht auf Überlegungen, die im Rahmen des Kollegs "Umweltstaat" bei der Gottlieb Daimler- und Kar! Benz-Stiftung entwickelt wurden. Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht (ZfU) 1995, S. 273-298. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Deutschen Fachverlag, Frankfurt a. M. I Zum Begriff der "Güter" s. Müller, Art. "Güter, wirtschaftliche" in: Görres-Geseilschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 2,1986, Sp. 1155ff. 2 Vgl. Berg, Der Staat 15 (1976), S. lff. (7). 3 Streissler, Die Knappheitsthese - Begründete Vermutungen oder vermutete Fakten?, in: Siebert (Hrsg.), Erschöpfbare Ressourcen, 1980, S. 9ff., 14ff. 4 S. Streissler, a.a.O. (Fn. 3), S. 14ff.; zur Malthusianischen Naturheorie s. SieJerle, Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt: Studien zur Naturtheorie der klassischen Ökonomie, 1990, S. 8lff.

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I. Grundlagen

globalen Knappheit ist das Bouldingsche Paradigma des Raumschiffs Erde,5 das insbesondere durch die Arbeiten von Meadows und seinen Nachfolgern weite Verbreitung gefunden hat. 6 Der Grad der Knappheit ist abhängig vom jeweiligen Ausmaß der Bedürfnisse und der Menge der vorhandenen Ressourcen. Knappheit ist nicht nur ein durch Natur vorgegebenes, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen, 7 das in gewissem Maße gesteuert werden kann. Eine solche Steuerbarkeit schon der Knappheit, nicht nur der Verteilung der Knappheit, hängt davon ab, wie beeinflußbar die Ressourcen oder die Bedürfnisse nach den Ressourcen sind. 8 Schon bei dieser Knappheitssteuerung setzt die Bedeutung des Rechts ein. So können die Bedürfnisstrukturen beeinflußt werden, indem die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse (z. B. durch Verbote) rechtlich ausgeschlossen oder erschwert wird, oder z. B. durch Gebote bestimmte Bedürfnisse bzw. eine Nachfrage nach bestimmten Gütern erzeugt wird. Ebenso kann das Recht die letztlich zu verteilende Menge vorhandener Ressourcen in gewissem Maße regulieren und Kapazitätsgrenzen festsetzen, bzw. rechtliche Bezugsschranken aufstellen. Recht kann Knappheit verteilen, aber auch Knappheit erzeugen. An den Umweltmedien Boden, Wasser und Luft und den von ihnen zur Verfügung gestellten Nutzenfunktionen herrscht - jedenfalls heute - Knappheit. Sie werden als Produktions(standort)faktor und als Konsumgut in solchen Ausmaßen genutzt, daß eine uneingeschränkte quantitative und qualitative Befriedigung der nachgefragten und potentiell möglichen Nutzungen nicht möglich ist. Dabei muß man allerdings differenzieren. Bei der Knappheit von Umweltgütern insgesamt handelt es sich um eine übergreifende und globale Mangelerscheinung, die lediglich abgeschwächt und zeitlich gestreckt werden kann, als solche aber nicht überwindbar ist. Luft und Wasser sind zwar (in Grenzen) erneuerbar9 , im Grundsatz jedoch, wie auch der Boden und die sogenannten erschöpfbaren Ressourcen iO , nicht vermehrbar oder produzierbar und auch als solche nicht substituierbar. Insofern kann also 5 Boulding, The Economics of the Coming Space-Ship Earth, in: larret (Hrsg.), Environmental Quality in a Growing Economy, 1966, S. 3ff. 6 Meadows u.a., Die Grenzen des Wachstums. Ein Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1973; MesarovitchlPestel, Menschheit am Wendepunkt, 2. Bericht an den Club of Rome zur WeltIage, 1974; insbesondere zu umweItbezogenen Wachstumsgrenzen außerdem Wicke, UmweItökonomie, 3. Aufl., 1992, S. 523 ff.; zur Kritik siehe z. B. Buck, Lenkungsstrategien für die optimale Allokation von Umweltgütern, 1983, S. 21 f. 7 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 31. 8 Behrens, a. a. O. (Fn. 7). 9 Eine natürliche Ressource gilt als emeuerbar oder nicht emeuerbar, je nachdem, ob sie in signifikantem Ausmaß natürlicher Regeneration unterliegt; Welsch, Wohlfahrtstheorie und Wirtschaftspolitik natürlicher Ressource, 1984, S. 8 f.

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht

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von einer absoluten Knappheit von Umwelt bzw. Umweltqualität und auch einzelnen Umweltgütern gesprochen werden. Im übrigen muß aber zwischen der Ressource selbst und den an ihr möglichen Nutzungen unterschieden werden. Die konkreten Knappheitsverhältnisse und der Grad der Knappheit sind auch hier abhängig von den jeweils nachgefragten Verwendungen eines Umweltgutes und den zur Verfügung stehenden Umweltkapazitäten (Belastungskapazitäten) und differieren im einzelnen ganz erheblich nach den verschiedenen Umweltgütern, zwischen verschiedenen Nutzenfunktionen eines Umweltgutes, regional ll und auch zeitlich und sind insofern nur relative Knappheiten.

2. Nutzungsformen und Verwendungskonkurrenzen bei Umweltgütern Primäres Kennzeichen von Umweltknappheit ist also ebenso wie bei anderen Gütern die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot oder, um es anders (vom Verteilungsaspekt her) auszudrücken, Verwendungskonkurrenzen bei vorhandener Kapazitätsgrenze. a) Nutzungs/armen Umweltgüter können als Konsumgüter und als Produktionsgüter in den verschiedensten Formen fungieren 12, so als elementare Lebensvoraussetzungen wie Atemluft und Trinkwasser, durch die Bereitstellung von Freizeitund Erholungswerten, die Nutzung als Aufnahme- und Entsorgungsmedium für Schadstoffe, Standortnutzung für Wohn-, Industrie- und Infrastrukturansiedlungen etc. Die jeweiligen Verwendungen von Umwelt können als konsumtive und produktive Nutzungen qualifiziert werden. Darüber hinaus bietet die Umwelt ökologische Reservats- und Ausgleichsräume, ohne daß diese unmittelbaren Nutzen für den Konsum oder die Produktion haben.

10 Hierzu zählen z. B. Kohle, Erdöl, mineralische Rohstoffe etc. Der Unterschied zwischen diesen erschöpfbaren und anderen als nicht erschöpfbar bezeichneten Ressourcen ist allerdings in den meisten Zusammenhängen nur gradueller Natur. Auch erneuerbare Ressourcen sind im Prinzip erschöpfbar, da die Erschöpfbarkeit einer Ressource nicht nur von ihren natürlichen Eigenschaften abhängt, sondern auch von den ökonomischen Aktivitäten. 11 Regionale Knappheitsunterschiede können sich allerdings z. T. durch Vereinheitlichung umweltrechtlicher Anforderungen und überregionaler Umweltbelastungen abschwächen. In Einzetnillen ist der regionale Aspekt praktisch irrelevant. Dies gilt vor allem für die Belastung der Atmosphätre mit sogenannten Klimagiften (z. B. FCKW, CO 2 ). 12 Hierzu Siebert, Ökonomische Theorie der Umwelt, 1978, S. 8 ff.

6 Kloepfer

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I. Grundlagen

b) Nutzungskonkurrenzen

Es gibt Nutzungskonkurrenzen, bei denen sich die konkurrierenden Nutzungen von vornherein ausschließen. Dies ist insbesondere bei einigen Bodennutzungskonflikten der Fall, z. B. Nutzung für Produktions- oder Erholungszwecke. Der größte Teil der insbesondere Luft, Wasser und Atmosphäre betreffenden Verwendungskonkurrenzen tritt jedoch erst ab einem, nicht unbedingt durch die natürliche Kapazitätsgrenze gekennzeichneten, gewissen Nutzungsgrad auf, bis zu dessen Erreichen konkurrierende Nutzungen grundsätzlich nebeneinander möglich sind. Ein Grundkonflikt ist die Konkurrenz zwischen Umweltnutzungen, die eine bestimmte Qualität eines Umweltgutes voraussetzen, Cz. B. reine Luft, sauberes Wasser, Unberührtheit und Schönheit der Landschaft etc.) und Nutzungen der Umwelt als Schadstoffaufnahme- und Entsorgungsmedium, also insbesondere Konkurrenzen zwischen immissionsempfindlichen und emissionsintensiven Nutzungen von Umweltmedien. Diese Konkurrenz überschneidet sich mit der oben erwähnten Differenzierung zwischen konsumtiven und produktiven Verwendungen von Umweltgütem. So sind konsumtive Verwendungen von Umweltmedien im weiten Maße auch emissionsintensiv Cz. B. privater Autoverkehr, private Heizung, Entsorgung privater Abfalle), während es auch immissionempfindliche produktive Nutzungen gibt Cz. B. Forstwirtschaft, Bierproduktion, Fischzucht). Auch innerhalb einzelner Nutzungsformen treten Verwendungskonkurrenzen auf. So steht emissionsintensiven Nutzungen eine nur begrenzte Schadstoffaufnahme- und Entsorgungskapazität der Umweltmedien zur Verfügung. Auch immissionsempfindliche bzw. allgemein auf Umweltqualität angewiesene Nutzungen können zu einer Überbeanspruchung bestimmter Umweltgüter führen. So verkraftet ein Naturpark nur eine begrenzte Besucherzahl, ein See nur eine begrenzte Zahl von Surfern und Booten etc., ohne daß schwerwiegende ökologische Schäden eintreten. 13 Allgemein spricht man bei Konkurrenzen innerhalb eines Verwendungszwecks von einem Überfüllungsproblem. 3. "Natürliche" und "künstliche" Knappheit bei Umweltgütern Bei der grundsätzlichen Knappheit von Umweltgütern und hieraus sich ergebenden Nutzungskonkurrenzen stellt sich die Frage, wie Knappheit politisch, rechtlich, ökonomisch und gesellschaftlich in Erscheinung tritt und wonach sich die jeweiligen Kapazitätsgrenzen eigentlich bemessen. 13 Hierzu wird es in Zukunft vor allem auf kommunaler Ebene vermehrt zu Verteilungsproblemen kommen.

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht

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Dies ist insofern bedeutsam, als mit der Feststellung von Kapazitätsgrenzen auch schon eine quantitative Verteilungsvorentscheidung für konkurrierende Nutzungen erfolgt. Knappheit wird häufig und bei vielen Umweltgütern in besonderem Maße nicht unmittelbar als solche registriert, sondern erst mittelbar in ihren Auswirkungen zur Kenntnis genommen, z. B. als steigende Preise, als Anspruchsverweigerungen durch den Staat (wenn dieser Güter produziert und/oder verteilt, bei der Verweigerung von Genehmigungen) oder als tatsächliche Auswirkungen wie Immissionsschäden, allgemeine Verschlechterung der Umweltqualität etc. Den tatsächlichen Eigenschaften von Gütern nicht angepaßte Verteilungsmechanismen können dann auch zu falschen oder verzerrten Knappheitsbewertungen führen. Die politisch-rechtliche, gesellschaftliche oder ökonomische Bewertung eines Gutes als knapp muß nicht zwangsläufig mit den tatsächlichen ökologischen Knappheitsverhältnissen übereinstimmen. a) Ökonomische Knappheit Besonders augenfällig deutlich ist dies, wenn Knappheit über den marktwirtschaftlichen Preismechanismus definiert wird. So wurden in der Ökonomie Umweltgüter, insbesondere Luft und Wasser und deren Schadstoffaufnahme- und Entsorgungskapazität lange Zeit als sog. freie Güter l4 angesehen. Unmittelbarer Ausdruck dieser Bewertung war, daß diese Güter nicht dem marktwirtschaftlichen Preismechanismus unterlagen. Dies führte zu einer überhöhten Inanspruchnahme von Umweltgütern, da die Einzelpreise nicht die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten wiedergaben. ls Der Preis gibt nur die Knappheiten am Markt, also von Gütern im Tauschverkehr annähernd zutreffend wieder. Voraussetzung für eine selbständige Preisbildung ist aber, daß diese Güter in irgendeiner Form exklusiver (individueller oder kollektiver) Verfügungsbefugnis unterliegen. Dies ist bisher vor allem beim Boden und bei Bodennutzungen gegeben, auch hier jedoch nicht vollständig. Das Fehlen von exklusiven Verfügungsrechten bei einigen Umweltgütern wird denn auch in der ökonomischen Theorie häufig als eigentliche Ursache für verzerrte Knappheitsbewertungen und Fehlallo14 Zu der sich mit dieser Bewertung überschneidenden Theorie der öffentlichen Güter s. u. S. 90 f. 15 Hansmeyer. Ökonomische Anforderungen an die staatliche Datensetzung für die UmweItpolitik und ihre Realisierung, in: Wegehenkel (Hrsg.), Marktwirtschaft und Umwelt, 1981, S. 6ff., 7; Kemper. Das Umweltproblem in der Marktwirtschaft: Wirtschaftstheoretische Grundlagen und vergleichende Analyse umweltpolitischer Instrumente in der Luftreinhalte- und Gewässerschutzpolitik, 1989, S. 6 f.; Siebert. a.a.O. (Fn. 12), S. 19ff.

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1. Grundlagen

kationen von Umweltgütern und das Auftreten sogenannter negativer externer Effekte l6 und sozialer Kosten (sog. Marktversagen) angenommen. 17 Als gesellschaftliches Subsystem ist der Markt und sind die Marktteilnehmer bzw. alle Umweltnutzer für die Aufnahme aller anderen Knappheitsbewertungsmaßstäbe auf Vorgaben von außen, insbesondere auf Vorgaben durch das Rechtssystem angewiesen. Solche Vorgaben können allgemein die Eigentumsrechtsordnung betreffen, es können aber auch speziell kapazitätsorientierte Vorgaben sein. Bei öffentlichen Gütern (siehe unten) ist Knappheit ökonomisch nur dann festzustellen, wenn Soll-Qualitäten definiert werden (Wassergüte, Luftgüte, Ballungsoptimum bei der Raumnutzung etc.) und diese Qualitätsstandards dann in Preise umgesetzt werden (z. B. Verschmutzungsvermeidungskosten etc.)18 Die so ermittelten Preise kommen dem ökologischen Knappheitsgrad jedoch auch nur so nahe wie die vorgegebenen Soll-Qualitäten bzw. Kapazitätsfestsetzungen. b) Ökologische Knappheit

Um eine eventuelle Diskrepanz zwischen ökologischen Knappheiten und politisch-rechtlichen Knappheitsvorgaben beurteilen zu können, ist zumindest eine ungefähre Vorstellung von den ökologischen Kapazitätsgrenzen erforderlich. Hierbei ist aber zu beachten, daß deren Ermittlung und Einschätzung immer schon durch Vorstellungen über das, was eine Gesellschaft für schützenswert, erhaltenswert und lebens wert hält, beeinflußt sind. Die Fähigkeit der natürlichen Umwelt, die ihr aufgrund von Produktionsund Konsumprozessen zugeführten Belastungen zu bewältigen,19 ist geprägt von einem Schwellenwertphänomen: Die Regenerationskraft der Ökosysteme wird beeinträchtigt und geht verloren, wenn bestimmte Grenzen der 16 Kritisch zum Konzept der Externen Effekte als Erklärung für Umweltprobleme Uhlig, Ökologische Krise und ökonomischer Prozeß, 1978, S. 17 ff. 17 Dabei besteht über das Erfordernis einer Änderung des Marktrahmens mit dem Ziel einer Steuerung der Umweltnutzung über Preise in der marktwirtschaftlich orientierten ökonomischen Theorie wohl weitgehend Einigkeit, vgl. statt vieler Siebert, Praktische Schwierigkeiten bei der Steuerung der Umweltnutzung über Preise, in: Wegehenkel (s. Fn. 15), S. 28 ff., 34; dagegen ist äußerst umstritten, auf weichem Wege die Preisbildung erfolgen soll, durch die Schaffung exklusiver (privater) Nutzungsrechte (ein neoliberales Modell) oder durch die staatliche Festsetzung von Preisen (Abgaben, Benutzungsgebühr u. ä.), vgl. hierzu Frey, Umweltökonomie, 2. Aufl., 1985, S. 40f. 18 Kusehlanski, Ökonomische Bewertung natürlicher Ressourcen: Eine theoretische und empirische Analyse unter Potential aspekten, 1986, S. 62. 19 Vgl. Biek, Veränderungen von Ökosystemen durch Umweltbelastungn, in: Jännicke/Simonis/Waigmann (Hrsg.), Wissen für die Umwelt, 1985, S. 37ff.; hierzu auch Uhlig, a.a.O. (Fn. 16), S. 47ff.

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht

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Belastbarkeit überschritten werden. Im Hinblick auf emissionsintensive Nutzungen der Umwelt werden die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit von Ökosystemen wesentlich durch die Absorptions- und Abbaufahigkeit der Umweltmedien bestimmt. 2o Aber auch für über den Raum definierte Nutzungen bestehen ökologische Belastungsgrenzen z. B. in Hinblick auf die Funktionsfähigkeit von Ausgleichsräumen?1 Überschreitungen dieser Grenzen sind insofern besonders problematisch, da Standortentscheidungen regelmäßig - jedenfalls kurz- und mittelfristig - irreversibel sind. Im Rahmen der Absorptionsfahigkeit der Umwelt wird üblicherweise zwischen Assimilationskapazität und Lagerkapazität (Akkumulation) unterschieden. 22 Die Assimilationskapazität der Umwelt ist Ausdruck des Selbstreinigungspotentials der Aufnahmemedien. Mit diesem Selbstreinigungspotential wird die Fähigkeit von Umweltmedien und Ökosystemen bezeichnet, Emissionen zu weniger schädlichen oder unschädlichen Stoffen und Verbindungen abzubauen. Wo das Assimilationspotential lokal oder überregional überschritten wird, kommt es zur dauerhaften Einlagerung (Akkumulation) von Reststoffen in die Umweltmedien und damit zur Inanspruchnahme der Lagerkapazität eines Mediums. 23 Auch die Lagerkapazität kann in gewissem Umfang in Anspruch genommen werden, ohne daß es - im Regelfall - zu nachhaltigen Störungen und Zerstörungen des ökologischen Gleichgewichts kommt. Bei Überschreitung dieser Grenze kommt es jedoch zu akuten Gesundheits- und ökologischen Schäden und sogar zum Zusammenbruch von Ökosystemen. Diese Grenze bezeichnet die absolute Knappheit aus ökologischer Sicht. Zwischen dieser Grenze als absoluter Knappheit und der Assimilationskapazität liegt ein in weiten Teilen noch unsicheres Gefahren- und Schadenspotential. Über die ökologischen Kapazitätsgrenzen selbst können bisher kaum definitive Aussagen gemacht werden. Die auftretenden z. T. erheblichen ökologischen und anderen Schäden, wie z. B. Waldschäden, Gewässerverschmutzungen etc. und die Anreicherung von Schadstoffen in einzelnen Umweltmedien und in der Nahrungskette etc. machen jedoch deutlich, daß Umweltgüter zumindest teilweise übernutzt werden und die Assimilationskapazität der Umweltmedien zumindest regional, z. T. aber auch überregional (weit) überschritten wurde und wird. 24 Vgl. Wicke. a. a. O. (Fn. 6), S. 57 ff. Siehe hierzu auch Fürst. Ökologisch orientierte Raumplanung, in: Glaeser (Hrsg.), Humanökologie: Grundlagen präventiver Umweltpolitik. 1989. S. 170 ff. 22 Ruck. a. a. o. (Fn. 6), S. 41. 23 Ruck. a. a. o. (Fn. 6), S. 41. 24 Vgl. Wicke. a. a. O. (Fn. 6), S. 57; hierzu ausführlich und nicht auf das Schadstoffproblem beschränkt Uhlig. a. a. O. (Fn. 16), S. 53 ff.; zur monetären Bewertung der Schäden durch die Umweltverschmutzung Wicke. a. a. O. (Fn. 6), S. 59 ff. m. zahlreichen Nachw.; Rehrens-Egge. ZfU 1991, S. 71 ff. 20 21

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I. Grundlagen

c) Rechtliche Knappheitsvorgaben

Rechtliche Knappheitsvorgaben, insbesondere Grenzwerte, dürften sich häufig in weitem Maße ebenfalls über den Grenzen der Assimilationskapazität bewegen. Das beruht nicht nur auf Defiziten in der naturwissenschaftlichen Wirkungsforschung, 25 die inzwischen ohnehin kaum noch den unbezweifelbaren Nimbus der objektiven Wissenschaft hat. 26 Allerdings ist eine Diskrepanz zwischen ökologischen und rechtlichen Bewertungskategorien um so wahrscheinlicher, je weniger definitive Aussagen über ökologische Belastungsgrenzen gemacht werden können. Rechtlich festgesetzte Belastungsgrenzen können insofern, auch wenn sie sich scheinbar an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, auf Vermutungen beruhen, die im Extremfall schon beinahe Fiktionen gleichkommen können. 27 Rechtliche Kapazitätsvorgaben orientieren sich aber auch in ihrer Zielsetzung nicht zwangsläufig an ökologischen Belastungsgrenzen und ökologischen Erfordernissen. Das dürfte u. a. auch damit zusammenhängen, daß die Rechtsformen und Rechtsprinzipien, durch die Knappheitsfestsetzungen erfolgen, nicht immer als vorweggenommene Verteilungsentscheidungen bewußt reflektiert werden. Ohnehin hat sich das mögliche Verständnis des Umweltrechts als Zuteilungsund Verteilungsrecht bisher nicht allgemein durchsetzen können. aa) Grenzwerte Grenzwerte sind wohl die naheliegendsten konkreten rechtlichen Knappheitsfestsetzungen. Hier ist allerdings zwischen Emissionswerten und Immissionswerten zu differenzieren. Emissionswerte als solche geben noch keine Hinweise auf ökologische Belastungsgrenzen. Sie können lediglich mittelbar Belastungsgrenzen ausdrücken, wenn sie mit Immissionsregelungen und -werten gekoppelt oder aus ihnen abgeleitet sind. Im übrigen stellen Emissionswerte vor allem verhaltensorientierte und methodenabhängige 28 Überwachungswerte dar, die als Grundlage zur Emissionsbegrenzung dienen. 29 Dagegen sind Immissionswerte theoretisch echte Belastungswerte, 2S Hierzu z. B. Nagel, Möglichkeiten und Grenzen der öko-toxikologischen Bewertung von Umweltchemikalien, in: Kortenkamp/GrahllGrimme (Hrsg.), Die Grenzenlosigkeit der Grenzwerte, 1988, S. 106 ff. 26 Dazu Beck, Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 278f.; von Lersner, NuR 1990, 193. 27 Vgl. von Lersner, a.a.O. (Fn. 26), S. 193ff., 194 m. Beispielen. 28 Zur Methodenabhängigkeit s. z. B. Bickel, Probleme bei der Festlegung von Emissionswerten in Erlaubnisbescheiden für Abwasserdirekteinleiter der Großindustrie, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, 1986, S. 142ff., 145ff.

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weil sie medienorientierte Höchstwerte darstellen und sich auf naturwissenschaftlich begründete Dosis-Wirkungs-Schwellen zumindest berufen. Unabhängig davon, in welchem Maße konkrete Dosis-Wirkungs-Schwellen naturwissenschaftlich begründbar sind, gehen in die Grenzwertfindung vielfältige, außerhalb ökologischer Kriterien liegende Erwägungen mit ein, wie allgemeine Risikoabschätzungen, Risikoakzeptanz, politische Durchsetzbarkeit, technische Machbarkeit, Kostennutzenerwägungen etc. 30 Diese werthaften Elemente in Grenzwerten sind in den Verfahren zu Grenzwertfestsetzung, die letztlich auf politisch-wirtschaftlichen Konsens ausgerichtet sind, durchaus angelegt, wenn auch nicht immer transparent?) Es ist durchaus konsequent, wenn bei Grenzwertfixierungen der pragmatisch konventionelle Charakter gegenüber dem kognitiven Charakter hervorgehoben wird. 32 Gerade wenn Grenzwerte als Kapazitätsfestsetzugen auch vorgelagerte Verteilungsentscheidungen sind, ist auch zu beachten, daß sie nur instrumentellen Charakter haben, und zwar einmal gegenüber dem jeweiligen Normzweck und zum anderen gegenüber den allgemeinen umweltrechtlichen Prinzipien und Zielsetzungen, denen in diesem Zusammenhang in weitestem Sinne Verteilungsfunktion zukommen, es also letztlich auch darauf ankommt, inwieweit diese Zielsetzungen sich an ökologischen Belastungsgrenzen orientieren. bb) Kapazitätsorientierte Prinzipien des Umweltrechts Als kapazitätsorientierte Prinzipien kommen vor allem das Vorsorgeprinzip und seine Nachbarprinzipien, das Verschlechterungsverbot und das Nachhaltigkeitsprinzip,33 in Betracht. Diese Prinzipien stellen als umweltpolitische Leitlinien keine konkreten rechtlichen Belastungsgrenzen auf, können jedoch eventuell bei der Frage herangezogen werden, nach welchen Orientierungen umweltpolitische Knappheitsfestsetzungen erfolgen sollen und inwieweit sich umweltpolitisch eine Forderung nach Einhaltung der Grenzen natürlicher Regenerationspotentiale begründen läßt. Grundsätzlich haben diese Prinzipien in ihren rechtlichen und politischen AusAusdrücklich TA-Luft, Ziff. 2.1.5. Vgl. hierzu die Beiträge in: Winter, a. a. O. (Fn. 28), unter dem Kapitel Entscheidungsprozesse bei der Festlegung von Grenzwerten, S. 73 ff.; Beyersmann, Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik bei der Grenzwertsetzung für Arbeitsstoffe, in: Kortenkamp/Grahl/Grimme, a.a.O. (Fn. 25), S. 149ff. 31 Hierzu von Lersner, a.a.O. (Fn. 26), S. 195ff.; Winter, S. 8ff. 32 Von Lersner, a. a. O. (Fn. 26), S. 195; Ladeur, Alternativen zum Konzept der Grenzwerte im Umweltrecht, in: Winter, a.a.O. (Fn. 28), S. 263ff., 270f. 33 Diese werden teilweise auch nur als unselbständige Teilprinzipien des Vorsorgeprinzips angesehen, vgl. Schmidt/Müller, JuS 1985, 694ff., 695. 29

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prägungen auch nicht eine ausschließlich verhaltensregulierende Funktion, sondern sind auch allgemein ressourcenbezogen und setzen zu ihrer Wirksamkeit in gewissem Maße jedenfalls auch Belastungsvorgaben voraus. Unmittelbare Rechtsverbindlichkeit haben diese Prinzipien jedoch nur dort, wo ihre Geltung gesetzlich fixiert ist. 34 Das Vorsorgeprinzip besagt allgemein, daß Umweltpolitik sich nicht in der Beseitigung eingetretener Schäden und der Abwehr drohender Gefahren 35 erschöpft, sondern darüber hinaus verlangt, daß die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig bewahrt und schonend in Anspruch genommen werden. 36 Über diesen Minimalkonsens hinaus besteht jedoch bis heute über den Inhalt des Vorsorgeprinzips noch keine annähernde Klarheit. 37 Gesetzliche Ausprägungen hat das Vorsorgeprinzip vor allem in §§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, 1 ChemG, 1 GenTG, la WHG. Das Vorsorgeprinzip wird heute vor allem in zwei Bedeutungsvarianten vertreten,38 die sich nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern vom Vorsorgeprinzip mehrfunktional umfaßt sein können. 39 Die eine Variante betrachtet das Vorsorgeprinzip unter dem Sicherheitsaspekt als Risiko- bzw. Gefahrenvorsorge, die auf die (auch langfristige) Steuerung von Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle hinausläuft. Ressourcenschonenden Charakter hat hier vor allem die Gefahrenvorsorge im Sinne eines emissionbezogenen Minimierungsgebots,40 nach dem Umweltbelastungen auch unterhalb 34 Die rechtliche Festschreibung in Art. 34 EV hat die Prinzipien zwar bundesrechtlich verankert. Es ist aber zweifelhaft, ob dies spürbare Folgen für das besondere Umweitrecht nach sich zieht. 35 Hiermit identisch ist das sogenannte "Schutzprinzip", das die Abwehr konkreter Umweitgefahren im Sinne einer polizeilichen Gefahrenabwehr beeinhaitet, vgl. hierzu KloepferlKröger, NuR 1990, 8 ff., ll f.; in diesem eingeschränkten Sinne ist das Schutzprinzip nicht an ökologischen Assimilations- und Regenerationskapazitäten orientiert, wenn auch durch die Ergänzung von § I BImSchG (s. Gesetz zur Änderung des BImSchG vom 11. Mai 1990, BGBI. I, S. 870) um die Schutzgüter Wasser, Boden und Atmosphäre der immissionsschutzrechtlichen Schutzpflicht ein stärkerer Ressourcenbezug gegeben wurde. 36 Rehbinder, Allgemeines Umweltrecht, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1980, S. 87. 37 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 3, Rdnr. 6; weiterführend für die Konkretisierung der immissionsschutzrechtlichen Vorsorge Trute, Vorsorge strukturen und Luftreinhaiteplanung im BImSchG, 1989. 38 Vgl. zu den einzelnen Varianten Kloepfer, a.a.O. (Fn. 37), § 3, Rdnr. 9ff. 39 Dementsprechend erfaßt der Entwurf eines UGB-AT auch beide Varianten des Vorsorgeprinzips, vgl. KloepferIRehbinderISchmidt-Aßmann, unter Mitwirkung von Kunig, Umweitgesetzbuch - Allgemeiner Teil - Forschungsbericht, 1991, § 4 und die Begr. zu § 4, S. 138 ff. 40 Kloepfer, a. a. O. (Fn. 37), § 3, Rdnr. 17; Breuer, Strukturen und Tendenzen des Umweitschutzrechts, Der Staat 20 (1981), S. 93ff., 413f.; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, 1986, S. 8 J.

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der Gefährlichkeitsschwelle im Sinne einer Belastungs- oder Risikominimierung zu reduzieren sind. Im grundsätzlichen Ansatz noch stärker an ökologischen Kapazitäten orientiert ist die bewirtschaftungsrechtliche Variante des Vorsorgeprinzips.41 Diese verbindet mit dem Vorsorgeprinzip die allgemeine Funktion, Umweltressourcen im Interesse künftiger Nutzungen zu schonen und im Hinblick auf diese Nutzungen "Feiräume" zu schaffen für künftige Lebensräume (Räume für Besiedlung und Erholung, auch für Naturschutz und Landschaftspflege), aber auch als Belastbarkeitsreserven für zukünftige Industrieansiedlungen. 42 Gerade die Vorhaltung von Belastbarkeitsreserven setzt aber eine langfristige Sicherung der ökologischen Funktionen der Umweltmedien und der Erhaltung des natürlichen Regenerationspotentials voraus. Das Vorsorgeprinzip könnte in dieser Auslegung durchaus als Stütze für eine gegenüber dem bisherigen Stand sehr viel weitergehende, an der natürlichen Assimilationskapazität orientierten Belastungsminimierung dienen. Das Verschlechterungsverbot bzw. Bestandsschutzprinzip43 ist insofern kapazitätsorientiert, als es im Grundsatz ein weiteres Anwachsen von Umweltbelastungen ausschließen und zumindest die vorhandene Umweltqualität in ihrem Bestand (status quo) garantieren will. 44 Eine partielle Positivierung hat das Verschlechterungsverbot in § 8 Abs. 2 S. I und Abs. 3 BNatSchG gefunden. Eine Untergrenze des Umweltschutzes gegenüber dem auch auf Umweltverbesserungen gerichteten Vorsorgeprinzip markiert das Verschlechterungsverbot nur vordergründig, da seine Reichweite vom jeweils vorhandenen Umweltbestand abhängt und bei entsprechendem Potential sehr weitgehend sein kann. Das Verschlechterungsverbot als generelles Prinzip verbietet allerdings nicht die Verschlechterung in jedem Einzelfall. Als prinzipielles Verschlechterungsverbot in dem Sinne, daß der Zustand der Umwelt insgesamt nicht gemindert werden darf, dürfte es allerdings in seiner praktischen Wirksamkeit nicht wesentlich über das Verständnis einer konsequenten Ressourcenvorsorge hinausgehen. Konkret auf dauerhafte Sicherung natürlicher Funktionen zielt dagegen das Nachhaltigkeitsprinzip. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, der in § 1 Nr. 1 BWaldG und §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. I Nr. 3 BNatSchG sowie in verschiedenen Naturschutzgesetzen der Länder ausdrücklich positiviert ist,45 besagt, daß erneuerbare Ressourcen nur in dem Umfang in Anspruch 41 Diese verbindet sich insbesondere mit der zu § 5 Abs. I Nr. 2 BlmSchG entwickelten Freiraum-Theorie, vgl. Feldhaus, DVBI. 1980, 133ff.; Kutscheidt, in: Salzwedel, a. a. O. (Fn. 36), S. 237 ff., 251f. 42 Feldhaus, DVBI. 1981, 165ff., 170. 43 Rehbinder, a. a. O. (Fn. 36), S. 91. 44 Kloepfer, a. a. O. (Fn. 37), § 3 Rdnr. 25.

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genommen werden dürfen und so zu bewirtschaften sind, daß ihre künftige Nutzbarkeit gewährleistet ist. 46 Der Grundsatz der Nachhaltigkeit ist ein im Forstrecht entwickeltes Prinzip, bei dem ursprünglich die Sicherung der Nutzfunktion des Waldes im ökonomischen Sinne im Vordergrund stand (siehe z. B. jetzt noch § I Nr. I BWaldG). Als allgemeines für erneuerbare Ressourcen gültiges Prinzip soll es den Umfang ihrer Inanspruchnahme begrenzen in der Weise, daß nicht mehr Ressourcen verbraucht werden als wieder nachwachsen. 47 Die umweltrechtliche Bedeutung liegt gerade darin, daß nicht nur die wirtschaftliche Nutzbarkeit, sondern auch die ökologischen Funktionen langfristig gesichert bleiben sollen. 48 Im Bereich des Schutzes der Umweltmedien Luft, Wasser, Boden spielt der Grundsatz der Nachhaltigkeit bisher positivrechtlich eine eher untergeordnete Rolle. Von seiner spezifischen Zielsetzung her ist das Nachhaltigkeitsprinzip jedoch (für erneuerbare Ressourcen) der konkreteste Anknüpfungspunkt für an den Assimilations- und Regenerationspotentialen der Umweltmedien orientierte Maßnahmen und Regelungen. 49

11. Teilbarkeit und Verteilbarkeit von Umweltgütern Die Frage nach der Teilbarkeit und Verteilbarkeit von Gütern ist vor allem Frage nach den Zusammenhängen zwischen dem technischen, dem ökonomischen und dem rechtlichen Charakter von Gütern. Die Teilbarkeit von Gütern bezieht sich dabei vornehmlich auf ihren faktisch-technischen Charakter, während die Verteilbarkeit die Ebene der ökonomischen rechtlichen Zuordnung von Gütern betrifft.

1. Die Theorie der öffentlichen Güter Die Frage nach der Teilbarkeit von Gütern im allgemeinen und von Umweltgütern im besonderen wird in der Ökonomie häufig in einem Zusammenhang zur Theorie der öffentlichen Güter50 gesehen. Hiernach sind "öffentliche Güter,,51 von den "privaten Gütern" abzugrenzen. Der ein45 Vgl. hierzu Winkler, Art. "Nachhaltigkeit", in: Kimminich/von LersnerlStonn, Handwärterbuch des Umwe1trechts (HdUR), Bd. 2, 2. Aufl. 1992, Sp. 1427ff., 1429. 46 Rehbinder, a. a. O. (Fn. 36), S. 89. 47 Winkter, a. a. O. (Fn. 45), Sp. 1428. 48 Rehbinder, a.a.O. (Fn. 36), S. 89. 49 Ähnlich auch Winkter, a. a. O. (Fn. 45), Sp. 1429. 50 Einen Überblick über die verschiedenen Definitionsansätze liefert Münch, Kollektive Güter und Gebührenelemente einer Gebührentheorie für Kollektivgüter, 1976, S. 20ff. m. w. N.

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zeIne kann mit der tatsächlichen Nutzung eines privaten Gutes andere von der Nutzung ausschließen. 52 Ein öffentliches Gut (i. w. S.) wird angenommen, wenn eine gemeinschaftliche Nutzung besteht und einzelne nicht von der Nutzung ausgeschlossen werden können 53 (oder sollen).54 Von den öffentlichen Gütern sind die "freien Güter" zu unterschieden, die tatsächlich im Überfluß vorhanden sind und deshalb eines Verteilungsregimes nicht bedürfen. Der Öffentlichkeitscharakter von Umweltgütern ist großenteils durch ihre technische Unteilbarkeit bestimmt. 55 Eine technische oder faktische Unteilbarkeit steht dem selbständigen Preismechanismus als marktwirtschaftlichem Ausschlußprinzip im Wege. Das gilt im besonderen für die Luft und größere Gewässer. Der grundSätzlich teilbare Boden, für den es entsprechend Marktpreise gibt, hat z. T. ebenfalls den Charakter eines öffentlichen Gutes, soweit es etwa um seine Aufnahme- und Entsorgungsfunktion in bezug auf Verunreinigungen geht, die durch Luftverschmutzungen hervorgerufen werden. 2. Allgemeines zur Verteilbarkeit von Umweltgütern Der rechtliche Charakter von Umweltgütern ist mit ihrem ökonomischtechnischen Charakter eng verknüpft. Die weitgehende technische Unteilbarkeit von Umweltgütern wie Luft und Wasser bedeutet gleichzeitig, daß rechtlich eine eigentumsmäßige Zuordnung einzelner Qualitäten der Umwelt und eine sinnvolle Abgrenzung individueller Rechtssphären an Umweltgütern durchweg auch Eigentumsrecht oder eigentumsähnliche dingliche Rechte. Die rechtliche und ökonomische Trennung der Nutzenfunktionen von einem Besitzrecht an der Ressource ermöglicht auch bei Fehlen spezifizierter Eigentumsrechte die Zuordnung konkurrierender Nutzungen. Die "Verteilbarkeit" von in weitem Maße unteilbaren, aber knappen Umweltgütern 51 Dieser Begriff sollte nicht mit dem juristischen Begriff der öffentlichen Sache verwechselt werden, vgl. hierzu Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Allgemeiner Teil, 10. Auf!. 1973, S. 389ff. 52 Müller, a. a. O. (Fn. 1), Sp. 1156. 53 Schulbeispiele für öffentliche Güter sind der Leuchtturm oder äußere und innere Sicherheit. 54 In Einklang hiermit steht die Feststellung in der Literatur, daß die Mehrzahl der sog. öffentlichen Güter Mischgüter seien; vgl. Hanusch, Theorie des öffentlichen Gutes: Allokative und distributive Aspekte, 1972, S. 120. Ein auf der Verwandtschaft zwischen öffentlichen Gütern und externen Effekten bezogener Ansatz differenziert zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsgraden je nach dem Ausmaß der auftretenden externen Effekte, vgl. Bonus, ZgesStW 136 (1980), S. 50 ff. 55 Vgl. Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 17 ff.

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hängt dann davon ab, in welchem Maße Umweltnutzungen (auch auf gesetzlichem Wege) ausgeschlossen bzw. Individuen zugerechnet werden können. Dabei stellt sich im Vorfeld der Verteilung vornehmlich die Frage nach der Verteilungsinstitution und hier im besonderen, inwieweit und mit welchen Mitteln der Staat auch über die Gewährleistung des ökologischen Existenzminimums hinaus auf die Entscheidungen über Umweltnutzungen staatlich monopolisieren darf. Auch wenn der Staat eine grundsätzliche Verantwortung für die Verteilung knapper Gemeinschaftsgüter trägt,56 ist damit noch nicht bestimmt, wie die Verteilung jeweils vor sich gehen soll, wer sie vornimmt und wer von den knappen Gütern letztlich wieviel bekommt. Staatliche Verteilungsverantwortung und die vor allem von Ökonomen geforderte sogenannte Privatisierung von Urnweltgütern bzw. sogenannte marktwirtschaftliche Konzepte schließen sich jedenfalls nicht grundsätzlich aus. 57 Unabhängig von praktischen und verfassungsrechtlichen Bedenken ist jedoch festzustellen, daß wichtige umweltpolitische Tendenzen (z. B. im Bodenschutz) eher auf eine Einschränkung privater Rechte an umweltrelevanten Gütern zielen, als auf ihre Erweiterung. Aus staatlicher Sicht ist für die Übernahme der Verteilungsverantwortung das Vorliegen sozialpolitischer, umweltpoliticher oder sonstiger Gemeinwohlbelange wichtiger als das Vorliegen eines Gemeinschaftsgutes. Gemeinschaftsgüter lagen und liegen dementsprechend auch in anderen als umweltrelevanten Verteilungsbereichen nicht immer vor (z. B. Lebensmittel- und Wohnraumbewirtschaftung). Im umweltrelevanten Bereich ist es jedoch signifikant, daß der Staat auch in weitem Umfang die Entscheidung über die Allokation und Nutzung eigentumsfähiger und privater Güter übernommen hat, so vor allem in weiten Bereichen der Bodennutzung (z. B. durch Verteilungs- und Nutzungsvorgaben im Bau- und Planungsrecht, Grundstücksverkehrsrecht etc.). Dies hat auch nicht nur zu Nutzungseinschränkungen geführt. Vor allem sozialpolitische Verteilungsgesichtspunkte können tendenziell auch zu verstärkter Inanspruchnahme umweltrelevanter (auch privater) Güter führen wir z. B. bei Betretungsregelungen im Wald (§ 14 BWaldG), Öffnung der Seeufer durch Naturschutzgesetze und ähnliches. Generell besteht jedenfalls Vgl. allgemein Berg, a. a. O. (Fn. 2), S. Ilf. Über die Möglichkeit marktwirtschaftlicher und gesellschaftsintemer Konzepte existiert eine umfangreiche Literatur; vgl. nur Bonus, Marktwirtschaftliche Konzepte im Umweltschutz, 1984; Wegehenkel (s. Fn. 15); EndreslMarburger, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993; EndreslRehbinderiSchwarze, Haftung und Versicherung für Umweltschäden aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1992; EndreslRehbinderlSchwarze, Umweltzertifikate und Kompensationslösungen aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1993; Zimmennann (Hrsg.), Umweltabgaben, 1992. 56

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eine starke Tendenz, privates Eigentum einzuschränken und eher der Öffentlichkeit neue Rechte zuzuerkennen. 58

IH. Kriterien für die Kapazitätsbestimmung und Verteilung knapper Güter 1. Verteilungssituation in einzelnen Rechtsbereichen Der Blick auf verschiedene Rechtsbereiche, in denen Knappheiten verwaltet werden und wurden, zeigt verschiedene Verteilungsmodelle und Kriterien, die auf dem Charakter des zu verteilenden Gutes, besonderen Interessenlagen, aber auch politischen Entscheidungen beruhen. 59 Staatliche Verteilung von knappen Gütern gibt es z. B. in den Bereichen der Studienplatzvergabe, der Verteilung von Marktständen, der Vergabe von Sendelizenzen, bei wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen wie dem Güterfernverkehr und der Personenbeförderung. In besonderen Krisenzeiten gab es umfangreichere Verteilungsmaßnahmen des Staates in Bereichen wie der Lebensmittelverteilung oder Wohnraumbewirtschaftung. 6o Im geltenden Umweltrecht gibt es unmittelbare Verteilungsregelungen z. B. bei der Erteilung von wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen. Ungeachtet der Vielzahl der Einzelregelungen lassen sich aus den einzelnen Rechtsgebieten übergeordnete Zielvorgaben und Verteilungskriterien abstrahieren, die auch generell für die Verteilung von Umweltgütern Bedeutung haben können. Dabei ist grundsätzlich die Bestimmung, bzw. Festsetzung von Kapazitäten (s. u. 2.) von der konkreten Einzelverteilung (s. u. 3.) zu unterscheiden.

2. Kapazitätsfestsetzung und -ausschöpfung Eine wesentliche Grundentscheidung zur Verteilung ist die Festlegung der Kapazität und ihre tatsächliche Ausnutzung. Die Kapazitätsfestlegung bestimmt sich u. a. auch nach den jeweiligen politischen und gesetzlichen Zielvorgaben und hängt davon ab, welche gesetzlichen, politischen und faktischen Funktionen ein bestimmtes Gut erfüllen kann, soll oder muß. Inso58 Hierzu auch Nießlein. Eigentumsrechte - wie realisieren?, in: Wegehenkel, a. a. O. (Fn. 15), S. 281 ff. 59 Vgl. die Beispiele im folgenden unter III 2 u. 3, insbesondere Fn. 62 u. 73ff.; dazu demnächst ausführlich Kloepjer/Reinert. in: Gethmann/Kloepfer. Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1994. 60 Hierzu Krause. Der verteilende Staat, in: Beiträge zum Recht der Wasserwirtschaft und zum Energierecht: FS-Gieseke, 1958. S. 120.

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weit haben gesetzliche Ziel vorgaben selbst mittelbare Verteilungsfunktionen. Soweit die konkrete Kapazität nicht schon gesetzlich festgelegt wird, obliegt die Festsetzung den jeweils zuständigen Exekutivstellen. Diese konkrete Festlegung ist anhand des übergeordneten Rechts justiziabel. Allerdings ist hierbei ein beschränkt-justiziabler Prognose spielraum anzuerkennen. 61 Soweit besondere subjektiv-rechtliche Positionen, insbesondere Grundrechspositionen betroffen sind, ist regelmäßig auch ein Kapazitätsausschöpfungsgebot anzunehmen,62 wie es das BVerfG zur Studienplatzzuteilung entwickelt hat. 63 Im Rahmen einer solchen Nutzungsoptimierung vorhandener Kapazitäten64 könnten auch Ansätze zur verfassungsrechtlichen Verortung des Effizienzkriteriums gefunden werden. 65 Unter anderem in dem Kapazitätzusammenhang kann außerdem die Behandlung erworbener Besitzstände und vorhandener Rechtspositionen gebracht werden. Ihre strikte Wahrung kann die Manövriermasse in einer "verteilten Welt" gegen Null schrumpfen lassen. 66 Hier müssen Einschränkungen erfolgen, wenn aus einem Kreis prinzipiell Gleichberechtigter einzelne dauerhaft von der Zuteilung bestimmter Güter ausgeschlossen werden. Grundsätzlich muß darauf geachtet werden, daß jeder Berechtigte auch eine tatsächliche Zugangschance erhält und das grundrechtliche Gleichbehandlungsgebot gewahrt wird. 67

3. Verteilung innerhalb der festgelegten Kapazität Wo der Rechtsanspruch als solcher aufgrund von Knappheit leerläuft, wandelt er sich in einen Anspruch auf materielle Abwägung nach gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen. 68 Soweit der Staat BVerwGE 79, 210, 213; 84,238; BVerfGE 64, 238, 242. Vgl. § 10 Abs. 5 S. 2 GüKG; § 13 Abs. 5 S. 3 PBefG; vgl. dazu Bidinger, Personenbeförderungsrecht, 2. Aufl. 1971 ff, Bd. I, § 13 PBefG, Anm. 91 f; Heini Eichhoff/PukaliIKrien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Aufl. 1968ff., Bd. 2, § 10 GüKG, Anm. 5; zum Marktrecht vgl. OVG Hamburg, GewA 1987, 303, 305; Roth, WiVerw 1985, S. 46ff., 51; s. auch BVerwG NVwZ-RR 1990, 349ff.; kritisch zu einem Kapazitätsausschöpfungsgebot Haverkatte, Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983, S. 206ff. 63 BVerfGE 33, 303, 333, 339ff 64 Hierzu gehört auch die Verteilung an möglichst viele Nutzer, vgl. zum Marktrecht LandmannlRohmer, GewO, 15. Aufl. 1989ff., § 70, Rn. 16; zum Wasserrecht vgl. z.B. § 18 Abs. 1 WG-BaWü, § 30 WG-RhPf. 6S Dazu allgemein Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971; Häberle, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), S. 625 ff. 66 Berg, a. a. O. (Fn. 2), S. 7 f. 67 Vgl. BVerwG, GewA 1984,265; OVG Münster, GewA 1991, 113f, 229f 61

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die Verteilung von Gütern lenkt (oder lenken muß), wird der einzelne, je intensiver (in Abhängigkeit von der Knappheit und der Bedeutung des Gutes) diese Lenkung wird, eines Teils der Möglichkeiten autonomer Bedürfnisbefriedigung beraubt und gerät in eine mehr oder weniger69 evidente Abhängigkeit von staatlicher Zuteilung über den engeren sozialstaatlichen Bereich hinaus. Teilhaberrechte, die sich nicht ausreichend realisieren lassen, können im Endeffekt in einigen Bereichen nur Teilhabe an einem gerechten Verteilungsverfahren gewährleisten. Insoweit ein verfassungsrechtlicher Status notgedrungen faktisch auf wenig mehr als den allgemeinen Gleichheitssatz schrumpft,70 müssen aus dieser Situation heraus die jeweiligen Verteilungskriterien einem höheren Anspruch an Sachgerechtigkeit auch im Sinne einer Konkretisierung des Gerechtigkeitsgebots71 genügen. 72 Das maßgeblich im Gleichheitssatz siedelnde Gebot der Verteilungsgerechtigkeit wird in Umrissen als allgemeine Rechtsfigur erkennbar, wobei sachgebietsspezifische Ausprägungen und Besonderheiten selbstverständlich sind. a) Arten von Verteilungskriterien Es lassen sich generell für die konkrete Zuordnung drei Arten von Verteilungskriterien unterscheiden: formale, wertende und Mischtypen aus beiden. Formale Kriterien sind die Pro-Kopf-Verteilung73 und das Losverfahren. Ebenfalls überwiegend formal bestimmen sich das Prioritäts-74 und Anciennitätsprinzip, die nur dann auch besondere Wertungen beinhalten, wenn ein Alter oder eine bestimmte Wartezeit unter besonderen Aspekten als besonders ausgleichswürdig eingestuft wird. Sowohl formal als auch wertend sind Anknüpfungen an vorhandene Rechtspositionen 75 , besonders im HinBerg, a. a. O. (Fn. 2), S. 7 f. Etwa bei Zuteilungen durch sog. "marktwirtschaftliehe Instrumente", die durch rechtliche Rahmenvorgaben bestimmt werden. 70 So etwa Tomuschat, Der Staat 12 (1973), S. 433ff., 463. 71 Hierzu Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip: Über den Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1980, S. 153; Hollerbach, Art. "Gerechtigkeit und Recht", in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staats lexikon, Bd. 2, 7. Auf!. 1986, Sp. 895 ff., 898 f., 900 f. 72 Vgl. BVerfGE 33, 303, 345f.; 37, 104, 113. 73 Wie sie z. B. bei der Lebensmittelverteilung in Krisenzeiten grundsätzlich galt, vgl. Gündell, Die Organisation der deutschen Ernährungswissenschaft im (sc. ersten) Weltkriege, 1939, S. 120. 74 Gemeint ist die Verteilung nach dem Zeitpunkt der AntragsteIlung. Das Prioritätsprinzip gilt häufig in Verteilungssituationen, vgl. für Taxikonzessionen OVG Münster, NVwZ-RR 1991, S. 147. 68

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blick auf das Kriterium des Bestandsschutzes. 76 Wertende Kriterien 77 sind hingegen etwa Anknüpfungen an Bedürfnisse und Interessen Einzelner78 und der Allgemeinheit,79 besondere Verdienste,SO Dignität, finanzielle Leistung und Leistungsfähigkeit. b) Formale Kriterien

Die formalen Kriterien scheinen auf den ersten Blick rechts staatlich besonders bevorzugenswert, da sie die Entscheidungen - mit Ausnahme des Losverfahrens - vorhersehbar machen, vewaltungstechnisch einfach und effektiv durchzuführen sind und rechnerische Chancengleichheit gewähren. Hier zeigen sich aber auch die Schwächen einer rein mathemtischen Verteilung, die häufig vor Art. 3 Abs. 1 GG und den jeweiligen Freiheitsrechten keinen Bestand haben kann, da eine gebotene Güterabwägung nicht stattfindet. Insoweit die zu verteilenden Güter neben dem individuellen Nutzen auch einen starken Gemeinwohlbezug aufweisen, entspricht eine rein mathematische Zufalls- oder Pro-Kopf-Verteilung allenfalls zufällig dem Nutzen und der Bedeutung des Gutes für Dritte und die Allgemeinheit. Zufalls entscheidungen (Losverfahren) führen zwangsläufig zum zufälligen Ausschluß der Verlierer, was bei existenznotwendigen Gütern für Individuen oder Betriebe ein "Todesurteil im Verwaltungswege" bedeuten kann. sl Es kommt deshalb allenfalls als ultima ratio für nicht existenznotwendige unteilbare Güter in Betracht, für deren Verteilung es schlechthin an rationa75 Vgl. § 10 Abs. 5 S. 1 GüKG, § 13 Abs. 3 S. 1 PBefG; hierzu Bidinger, § 13 PBefG, Anm. 8lff., 91 a; § 17 WohnRBewirtschaftungsG v. 1953 (BGBI. I 1953, S.97). 76 Weber, Wirtschaftsregulierung in wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen, 1986, S. 257, führt zusätzlich noch die Verteilung nach einem A-priori-Grundsatz an, die er mit einem Planungsentscheid vergleicht. Dies kann man jedoch allenfalls als zeitliche Charakterisierung des Verteilungsverfahrens ansehen. Auch eine Verteilung apriori muß sich letztlich an irgendwelchen anderen Kriterien orientieren, da der A-priori-Grundsatz keine Aussage darüber macht, wieviel auf welche Nachfrager verteilt werden soll. In dem von Weber angegebenen Beispiel handelt es sich denn auch tatsächlich um eine Verteilung nach dem Kopf-Prinzip. 77 Vgl. zur Wohnraumbewirtschaftung Krause, a.a.O. (Fn. 60), S. 8. 78 Insbesondere in der Krisenbewirtschaftung individuell-existenzieller Güter, vgl. § 9c des Reichsgesetz über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel von 1920 (RGBI. I 1920, S. 949); Gündell, a. a. O. (Fn. 73), S. 120ff. 79 SO Z. B. die Funktionsfähigkeit des örtlichen Taxengewerbes oder der Bundesbahn, vgl. BVerwG NJW 1990, 1376, 1378; BVerfGE 79,208. 2IOff.; BVerfGE 40, 196, 218ff.; vgl. für das Wasserrecht § 18 WG-Bln, § 24 WG-Hess. 80 So im Wohnungsgesetz des Alliierten Kontrollrats von 1946, vgl. Krause, a. a. O. (Fn. 60), S. 3 f. 81 Berg, a. a. O. (Fn. 2), S. 22; Krause, a. a. O. (Fn. 60), S. 15.

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len Kriterien fehlt. Der Vorzug der Praktikabilität 82 und Rechtssicherheit83 darf im übrigen den notwendigen Ausgleich widerstreitender Ansprüche und Interessen nicht vollständig verdrängen. Insofern ebenfalls für existenznotwendige Güter ausgeschlossen ist das Prioritätsprinzip, das seine Extremform erreicht, wenn zum Vorteil der "beati possidentes" eine Verteilungssituation zum totalen Vergabestopp eingefroren wird. 84 c) Wertende Kriterien

Wertende Kriterien sind auch - und regelmäßig sogar vorzugsweise - für Verteilungssituationen erforderlich, die dem Ausgleich verschiedener Interessen- und Anspruchskollisionen Rechnung tragen müssen. Die Bestimmung der Kriterien richtet sich nach den verschiedenen privaten und öffentlichen Verteilungszwecken und -bedürfnissen, den jeweiligen Sachverhalten, insbesondere nach der Art des zu verteilenden Gutes. Da die Möglichkeit allgemeiner Aussagen hier beschränkt ist, soll an dieser Stelle nur ansatzweise auf einige Probleme aufmerksam gemacht werden. Bei einer Verteilung nach finanzieller Leistungsfähigkeit, insbesondere durch marktwirtschaftliche Instrumente, die vorderhand die autonome Präferenz des Einzelnen verwirklicht und instrumentalisiert, dürfen die Grenzen solcher Verteilungsinstrumente nicht übersehen werden. Dabei können insbesondere der Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip den Einsatz solcher Verteilungsinstrumente limitieren. Existenzwichtige Leistungen dürfen jedenfalls nicht allein von persönlichen Einkünften abhängig gemacht werden. Ebenso bedenklich wäre es, die Wahrnehmung von Grundrechten ausschließlich vom individuellen wirtschaftlichen Leistungsvermögen abhängig zu machen. 85 Die Anknüpfung an Rechtspositionen im Sinne eines Bestandsschutzes darf nicht Newcomern den Zugang übermäßig erschweren. Eine vorhandene Rechtsposition als solche rechtfertigt alleine noch nicht eine durchweg positive Differenzierung in der Verteilung. Zu einer vorrangigen Berücksichtigung von einzelnen Rechtspositionen müssen weitere Gründe, wie eine verfassungsrechtliche Verankerung oder ein besonderer Vertrauensschutztatbestand, treten. Kriterien des Verdienstes oder der Würdigkeit Einzelner scheiden schon mangels Objektivierbarkeit von Würdigkeitsmaßstäben regelmäßig aus. 86 Vgl. BVerwGE 16, 190 (191). Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 396 ff. 84 Vgl. Tomuschat, a. a. O. (Fn. 70), S. 445. 85 Vgl. zum Kommerzialisierungseinwand Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 68ff., 129ff., m.w.N. 82 83

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Etwas anderes gilt allenfalls im Sinne eines Opferausgleiches für besondere ausgleichswürdige Leistungen, die Einzelne der Allgemeinheit erbracht haben. Hier ist aber auch einen besonderen rechtfertigenden Sachzusammenhang zu achten. Dieser fehlt regelmäßig bei Kriterien des öffentlichen Bedarfs oder der Nützlichkeit des Nachfragenden. Verteilungsmaßstäbe, die sich auch an öffentlichen Bedürfnissen oder der Realisierung öffentlicher Funktionen eines Gutes 87 orientieren, sind hingegen grundsätzlich zulässige Verteilungskriterien. Die öffentlichen Funktionen eines Gutes bzw. relevante Allgemeinheitsinteressen sind allerdings nicht nur von den jeweiligen gesetzlichen Zielvorgaben, sondern auch von allgemeinpolitischen Konzepten und Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig. Dies könnte sich als Einfallstor für eine starke Ausweitung staatlichen Verteilungsspielraums gegenüber individuellen Positionen erweisen. Die jeweiligen - auch verfassungsrechtlichen - Grenzen der Funktionalisierung des Einzelnen für das Gemeinwohl 88 (etwa auch unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgebots)89 können allerdings nur im Rahmen des jeweiligen speziellen Verteilungsproblems geprüft werden.

IV. Die Verteilung von Umweltgütern Bei der Verteilung von Umweltgütern handelt es sich nicht um eine homogene Verteilungsproblematik, sondern um eine Vielzahl von Verteilungskonflikten, über die nicht ohne weiteres allgemeingültige Aussagen getroffen werden können. Dennoch lassen sich auch hier übergreifende Grundsätze bezüglich der Möglichkeiten und Kriterien der Kapazitätsbestimmung und -austeilung herausarbeiten, und in diesem Rahmen kann untersucht werden, wie etwa Grundsätze der Kapazitätsausschöpfung, Nutzungsoptimierung oder Zugangschancen für Newcomer eingeordnet werden können. Im folgenden sollen einige Ansätze hierfür insbesondere im immissionschutzrechtlichen Bereich aufgezeigt werden.

Hierzu Krause. a. a. O. (Fn. 60). S. l3 f. So z. B. die Repräsentation der Meinungsvielfalt bei der Zuteilung von Rundfunksendefrequenzen an Private, vgl. z. B. §§ 20ff. RundfStV der Länder; §§ 20ff. RundfStV Bln-Bra. 88 Vgl. hierzu etwa Ryffel. Öffentliche Interessen und Gemeinwohl. Reflexion über Inhalt und Funktion, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen. 1986, S. l3 ff. 89 Vgl. Tomuschat. a.a.O. (Fn. 70). S. 463f. 86 87

Die Umweltfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht

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1. Möglichkeiten und Kriterien der Kapazitätsbestimmung bei Umweltgütern

a) KapazitätsJestsetzungen als abstrakt-generelle Nutzenzuordnungen

Eine besondere Bedeutung hat gerade aufgrund der unsicheren Erkenntnislage bezüglich der Belastbarkeit der Umweltmedien die Kapazitätsbestimmung von Umweltgütern. Für die konkurrierenden Nutzungsinteressen bewirkt die Kapazitätsbestimmung fast immer auch schon eine Vorentscheidung für eine generelle Verteilung zwischen diesen Nutzungen. Die Festlegung der Entsorgungskapazität der Luft z. B. bedeutet gleichzeitig die weitgehende Festlegung der zur Verfügung stehenden Atemluftkapazität und -qualität. Die Festlegung der Entsorgungskapazität von Gewässern legt gleichzeitig den Umfang der Nutzbarkeit dieses Gewässers z. B. zur Trinkwassergewinnung fest. Die Feststellung eines Bedarfs, bzw. die Festlegung eines Bedürfnisses nach einer Nutzenfunktion eines Umweltmediums, determinieren insofern die Kapazität einer anderen Nutzenfunktion bzw. eines anderen Umweltgutes. Dies gilt nicht nur innerhalb eines Mediums, sondern auch zwischen verschiedenen Umweltmedien. Die Kapazitätsbestimmung nimmt im wesentlichen eine abstrakt-generelle Nutzenverteilung vor. Hier sind dementsprechend vor allem allgemeine Kriterien und weniger individuelle Ansprüche von Bedeutung. Wie die Bauleitplanung zeigt, können aber auch Kapazitätsbestimmungen schon individuelle Zuteilungsfunktionen ausüben, materielle Zuteilungen von Nutzungen bewirken. 90 So wirkt sich eine Ausweisung im Bebauungsplan unmittelbar auf die individuellen Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers aus. Die Individualisierung der Nutzungsordnung erfolgt insofern zwar über die Eigentumsordnung. Die individuellen Belange des Eigentümers sind aber schon in die allseitige (planerische) Abwägung "eingeschmolzen".91 Kapazitätsfestsetzungen für Güter, die exklusiven Verfügungsrechten unterliegen, haben also selbst materiellen Zuteilungscharakter, während Kapazitätsfestsetzungen für öffentliche bzw. nicht exklusiven Verfügungsbefugnissen unterliegende Güter als solche noch keinen materiellen Zuteilungscharakter besitzen. Dies bewirkt allerdings keine grundsätzlichen Unterschiede in der Einbeziehung individueller Belange in die Entscheidungsfindung. Diese werden immer in einer allgemeinen Abwägung zu berücksichtigen sein, aber auch in dieser aufgehen. Je komplexer die Entscheidungsfindung ist, desto mehr nähern sich Kapazitätsbestimmungen 90 In diesem Sinne Böckenförde, Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 318 ff., 323 ff.; Wahl, DVBI. 1982, S. 51 ff., 56f. 91 Wahl, a. a. O. (Fn. 90). S. 56.

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I. Grundlagen

faktisch Planungsentscheidungen an. Soweit einer solchen Kapazitätsbestimmung eine teilweise generelle (etwa eine räumliche) Entscheidung über eine Nutzungskonkurrenz getroffen wird, könnte man an einen "Kapazitätsvorbehalt" denken, ähnlich dem für die bauliche Nutzung geltenden Planungsvorbehalt. Seine verfassungsrechtlichen Grenzen wären allerdings näher auszuloten. 92 Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß einem solchen "Kapazitätsmodell" ein überwiegend anlagenund auf den einzelnen Nutzer bezogenes Vorsorgekonkzept nicht genügen würde. Ein "Kapazitäts vorbehalt" stellt im übrigen lediglich ein stärker den Aspekt der Verwaltungskonkurrenz und Gemeinwohlbezogenheit beachtendes Regelungsinstrument dar, löst aber nicht die Frage, nach welchen Kriterien Kapazitäten festgesetzt und bereitgestellt werden. Seine Konkretisierung hängt von den jeweiligen Funktionen eines Umweltgutes, gesetzlichen Zielvorgaben und politischen Konzepten ab. Hierbei besteht ein relativ weiter Gestaltungsspielraum. Eine wenigstens relative Priorität sollte hierbei dem Kriterium der Erhaltung natürlicher Assimilations- und Regenerationspotentiale gegenüber anderen Kriterien eingeräumt werden. Zum Teil ist dies sogar durch grundrechtliche Schutzpflichten, die sich auch auf die Erhaltung derivativer Gemeinschaftsgüter, hier der natürlichen Lebensgrundlagen als notwendige Grundrechtsvoraussetzung, beziehen 93 geboten, jedenfalls aber legitimiert. 94 Bei der Kapazitätsfestsetzung können letztlich auch ökologisch gegenläufige Zielvorgaben, wie die wirtschaftliche Systemvorsorge,95 nicht unberücksichtigt bleiben. Eine strikte Einhaltung ökologischer Assimilations- und Regenerationspotentiale wäre demgegenüber nur unter massiver Reduzierung der Umweltnutzungen möglich. Soweit Kapazitätsvorgaben stärker ökologische Prioritäten setzen, werden sie deshalb mittelfristig im günstigsten Fall dem umweltpolitischen Verschlechterungsver92 Die bloße Konstruktion eines "Kapazitätsvorbehalts", also lediglich eines Regelungsinstruments bedeutet nicht per se, daß sich das grundrechtliche Anspruchsgefüge im Hinblick auf Umweltnutzungsfreiheiten verschiebt. Diese Frage stellt sich allgemeiner als Frage der Folgen von Umweltknappheit und notwendiger Verteilung als solcher. Das Beispiel des Planungsvorbehalts zeigt aber, daß die (theoretische) Annahme einer Freiheit zu bestimmten Handlungen den faktischen Widerspruch zu den ihre Realisierung überformenden Regelungsinstrumenten letztlich nicht aushalten kann und der Grad des Umwelt- und Gemeinschaftsbezuges der jeweiligen Freiheitsausübung letztlich für ihre rechtliche Bewertung ausschlaggebend ist; vgl. auch Binswanger u. a., Eigentum und Eigentumspolitik, 1978, S. 27 ff., 64 f.; vgl. auch Send/er, UPR 1983, 33 ff., 4lf. 93 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 225 ff. 94 Murswiek, a.a.O. (Fn. 93), S. 229. 9S Vgl. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, 1989, S. I ff., 18 ff.

Die Umwe\tfrage als Verteilungsproblem in rechtlicher Sicht

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bot96 genügen können. Kapazitätsvorgaben sind als auch politische Entscheidungen wesentlich vom demokratisch-gesellschaftlichen Konsens abhängig. b) Festsetzungen von Belastungskapazitäten im Immissionsschutz

Die Festsetzung von Belastungskapazitäten kann im Immissionsschutz besonders durch Immissionswerte in der Funktion als medienorientierte Höchstwerte erfolgen. Bisherige Grenzwerte sind allerdings nur in wenigen Fällen als echte (an den Assimilations- und Regenerationspotentialen orientierte) Belastungswerte konzipiert. Dies hängt u. a. mit dem immer noch anlagenbezogenen Schutz- und Vorsorgekonzept des BImSchG zusammen, das etwa Immissionswerte lediglich als Schutzstandards vorsieht, während der Vorsorgebereich im wesentlichen durch ausschließlich anlagenbezogene Emissionswerte beherrscht wird. Eine stärkere Trennung der allgemeinen Festsetzung (regionaler) Belastungskapazitäten von der Genehmigungserteilung könnte einer bewirtschaftungsrechtlichen Vorsorgevariante, bzw. dem Nachhaltigkeitsprinzip, zu einer stärkeren Wirkung verhelfen und damit auch unter dem Gesichtspunkt der intergenerationellen Verteilungsgerechtigkeit97 Spielraum für zukünftige Nutzungsinteressen erhalten.

2. Materielle Zuteilung von individuellen Umweltnutzungen a) Allgemeines

Direkte98 rechtliche Zuteilungen von Umweltnutzungen erfolgen im wesentlichen im Rahmen der Erteilung und Versagung von Genehmigungen. Auch wenn der Staat bestimmte Nutzungen nicht unter einen Genehmigungsvorbehalt stellt, kann dies faktisch eine materielle Zuteilung von Nutzungschancen sein. Die Bewirtschaftung von Belastungskapazitäten setzt allerdings sinnvollerweise voraus, daß sie sich auf alle wesentlichen an der Ausschöpfung der Kapazitäten beteiligten Nutzungen erstreckt. So müßten auch diffuse Einzelemissionsquellen, wie z. B. Kraftfahrzeuge, wenn sie zwar nicht einzeln, aber als Gesamtheit eine wesentliche Ursache der Belastung der Luft mit einem Schadstoff sind, in Bewirtschaftungsregelungen integriert werden. Vgl. hierzu Kloepfer, a. a. O. (Fn. 37), § 3 Rdnr. 25. Vgl. Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: Gethmann/Kloepfer/Nutzinger, Langzeitverantwortung im Umwe\tstaat, 1993, S. 22ff. 98 In Abgrenzung zu den indirekten Zuteilungsmechanismen wie indirekten Leistungen und Planungen. 96

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I. Grundlagen

Auch bei der konkreten Verteilung von Umweltnutzungen gilt, daß die prinzipielle Knappheit der Umweltgüter zu einer Verpflichtung des Staates führt, die Kapazitätsknappheit freiheitssichernd zu verwalten. 99 Im Grundsatz gilt ebenfalls ein Vorrang materieller vor formalen Zuteilungskriterien. Hierbei ist aber im Einzelfall je nach der Verteilungssituation zu differenzieren. Muß der Zugang zu einem Naturschutzgebiet begrenzt werden, wird man der zuständigen Behörde, auch aus technischen Gründen der Zugangsbeschränkung, kaum versagen können, z. B. grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip vorzugehen. Formale Kriterien kommen ansonsten dann eher in Frage, je differenzierter die Vorgaben schon bei der allgemeinen Bewertung, etwa der grundsätzlichen Genehmigungsfahigkeit, sind. Differenzierungen sind hinsichtlich der Annahme eines Kapazitätsausschöpfungsgebotes in bezug auf Umweltnutzungen geboten. Ein Kapazitätsausschöpfungsgebot im oben erwähnten Sinne wird man um so eher anerkennen können, je knapper die Kapazitäten festgesetzt werden und je näher sie z. B. natürlichen Assimilations- und Regenerationspotentialen kommen, was allerdings regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. Im übrigen stehen etwa die Freiraum-Funktion des Vorsorgeprinzips bzw. das Nachhaltigkeitsprinzip - zumindest, soweit diese konkret normiert sind - einem Kapazitätsausschöpfungsgebot im obigen Sinne entgegen bzw. relativieren es erheblich. Gleichwohl darf aber nicht eine "geschlossene Gesellschaft" von Umweltnutzern entstehen, die Newcomern generell die Zugangsmöglichkeiten nimmt. b) Probleme der Zuteilung von individuellen Emissionsrechten an genehmigungsbedüiftige Anlagen im Immissionsschutzrecht Zuteilungsrelevanz im Genehmigungsverfahren des Immissionsschutzrechts haben zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Innerhalb der genehmigungsfähigen Vorhaben gibt es - zumindest innerhalb der immissionsrechtlichen Bewertung - keine materiellen Differenzierungskriterien. Die Verteilung richtet sich im Grundsatz nach dem Prioritätsprinzip. J()() Dieses ist aber gerade im Blick auf Newcomer und den 99 In diesem Sinne für Leistungsrecht Müller/Pieroth/Fohmann, Leistungsrecht im Normbereich einer Freiheitsgarantie: Untersucht an der staatlichen Förderung freier Schulen, 1982, S. 129; für das Immissionsschutzrecht a. Trute, a. a. O. (Fn. 37), S. 255, Fn. 63. 100 Feldhaus, DVBI. 1984, S. 552ff., 554 hält die Qualifizierung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung als Zuteilung von Verschmutzungsrechten für eine Verkennung ihrer rechtlichen Bedeutung. Die Genehmigung wird "in der Erwartung

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Gleichheitssatz bedenklich. Die zusätzlichen Instrumente, die den Zuzug von Neunutzern erleichtern sollen, zielen nur auf die Kapazitätsentwicklung, nicht auf eine größere Sachgerechtigkeit des Zuteilungsverfahrens. Das Emissionsminderungsgebot des Vorsorgeprinzips zielt ebenso wie Kompensationslösungen zwar mittelbar auf eine ausgedehntere Verteilung der Kapazitätsentwicklung, nicht auf eine größere Sachgerechtigkeit des Zuteilungsverfahrens. Das Emissionsminderungsgebot des Vorsorgeprinzips zielt ebenso wie Kompensationslösungen zwar mittelbar auf eine ausgedehntere Verteilung der Kapazitäten auf mehrere Nutzer. Im Blick auf eine wünschenswerte Reduzierung der Schadstoffgesamtemissionen und die "Freiraumthese" des Vorsorgeprinzips kann es aber aus ökologischer Sicht erforderlich sein, die geschaffenen Freiräume auch nicht durch Newcomer zu besetzen, sondern freizuhalten. Der Newcomer kann sich jedoch nach geltendem Recht dieser Freiräume bedienen, unabhängig davon, ob seine Anlage etwa als volkswirtschaftlich, arbeitsmarktpolitisch oder regionalpolitisch bedeutsam oder nützlich einzustufen ist. 101 Insofern können sich auch Ziele der Zuteilungsgerechtigkeit gegenseitig beeinträchtigen. Das Newcomerproblem und das Problem der Kapazitätsverknappung können nicht gleichzeitig gelöst werden, solange das Prioritätsprinzip die Zuteilung der Schadstoffkapazitäten regiert. Dieses Problem wird dadurch verschärft, daß die Genehmigungen unbefristet erteilt werden, woraus die Verknappung der Zugangsmöglichkeiten für Newcomer resultiert. In gewissen, genauer zu bestimmenden Grenzen, würde die stärkere Berücksichtigung zusätzlicher materieller Differenzierungskriterien und die Befristung von Genehmigungen sowohl größerer materieller Zuteilungsgerechtigkeit wie auch öffentlichen umweltpolitischen, aber auch möglicherweise wirtschaftspolitischen Interessen und anderen Politikzielen besser entsprechen.

V. Fazit I. An den Umweltmedien herrscht Knappheit. Individuelle Nutzungsbedürfnisse geraten miteinander dergestalt in Konflikt, daß die Zulassung einer Nutzung die Einschränkung einer anderen Nutzung zur Folge hat. Die erteilt, daß bei Einhaltung der in der Genehmigung oder Auflage festgelegten Emissionsbegrenzungen keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden und ausreichend Vorsorge getroffen ist". Die Tatsache, daß ein großer Teil der ökologischen Schäden auf genehmigungskonformen Normalbetrieb von Anlagen zurückzuführen ist, läßt zumindest an der Realitätsnähe dieser Erwartung zweifeln. 101 Vgl. Salzwedel, Probleme einer inneren Harmonisierung des deutschen Umweltrechts. Überschneidungen zwischen gewerbe-, bewirtschaftungs- und planungsrechtlichen Komponenten, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Dokumentation zur 5. wissenschaftlichen Fachtagung, Berlin, 1981; Murswiek, a. a. O. (Fn. 93), S. 361 f., Fn.40.

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I. Grundlagen

aus der Ökonomie bekannte Betrachtung von Umweltproblemen als Verteilungsfragen stellt sich somit auch als rechtliche Frage der Verteilung von Nutzungskonkurrenzen. 2. Knappheit tritt unterschiedlich in Erscheinung. Ökonomische Knappheit bemißt sich durch Angebot und Nachfrage im Güteraustauschverkehr. Sie setzt voraus, daß eine abgrenzbare Verfügungsbefugnis über das Gut besteht. Auch das Recht kann Knappheiten durch Festsetzung von Kapazitätsvorgaben, z. B. in Form von Grenzwerten erzeugen. Das Vorsorge-, das Nachhaltigkeitsprinzip und das Verschlechterungsverbot sind rechtliche kapazitätssteuernde Grundprinzipien des Umweltrechts. 3. Ein wesentlicher Orientierungspunkt zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen müssen auch für das Recht die ökologischen Knappheitsvorgaben sein. Es sind hierbei die Assimilations- und Regenerationskapazität und die absolute Belastungskapazität (Akkumulationskapazität) von Umweltmedien zu unterscheiden. Letztere bestimmt die Grenze, bei deren Überschreitung Gesundheitsschäden und der Zusammenbruch von Ökosystemen bewirkt werden. Die Assimilationskapazität beschreibt den Schwellenwert, bis zu dem das Selbstreinigungspotential der Umwelt negative Wirkungen selbständig beseitigt. Die Bestimmung dieser Grenzen steht unter vielfältigen Erkenntnisschwierigkeiten, die bei rechtlichen Kapazitätsvorgaben zu berücksichtigen sind. 4. Die Art der Verteilung von Umweltgütern hängt u. a. von ihrer Teilbarkeit ab. Ökonomisch und technisch teilbare Güter stehen regelmäßig unter der privatrechtlichen Eigentumsordnung. Eine Eigentumszuordnung scheidet bei nicht teilbaren Gütern aus. Hier lassen sich aber einzelne Nutzungsfunktionen abspalten und individualisieren. Der Staat trägt grundsätzlich die Verantwortung zur Verteilung knapper gemeinschaftlicher Umweltgüter. Damit ist aber noch nichts über den Verteilungsmodus und den Verteilungsmaßstab gesagt. Auch eine Verteilung über den Marktmechanismus und die Privatisierung von Umweltgütern und Umweltnutzungen kann die Wahrnehmung staatlicher Verantwortung sein. Trotz einzelner ökonomischer Instrumente geht die Tendenz zu stärkerer öffentlich-rechtlicher Regelung. 5. Aus einzelnen Rechtsbereichen ist die Verwaltung des Mangels bekannt, insbesondere aus dem Krisenbewirtschaftungsrecht für besondere Mangelsituationen existenzwichtiger Individualgüter, der Studienplatzvergabe, der Zuteilung von Sendelizenzen, dem Marktrecht und einzelnen wettbewerbsrechtlichen Ausnahmebereichen. In vergleichender Betrachtung lassen sich trotz der Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten ableiten. 6. Bei der Verteilung von Umweltnutzungen sind zwei Schritte zu unterscheiden: zum einen die Kapazitätsfestsetzung und zum anderen die Vertei-

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lung innerhalb der Kapazitätsgrenzen. Kriterien für die Kapazitätsbestimmung sind in erster Linie der Gesetzeszweck und verfassungsrechtliche Vorgaben. Bei der Festsetzung von Kapazitäten besteht ein weiter Prognose- und Gestaltungsspielraum der Exekutive, bzw. der Legislative, soweit die Kapazitätsbestimmung schon durch das Gesetz erfolgt. Je stärker grundrechtliche Positionen betroffen sind, desto enger ist der Prognosespielraum. 7. Für die Verteilung selbst besteht, wenn grundrechtliche Ansprüche betroffen sind, grundsätzlich ein Kapazitätsausschöpfungsgebot, das allerdings zum Schutz anderer Verfassungsgüter und Rechtspositionen auch relativiert sein kann. Seine Bedeutung wird auch durch die Kapazitätsfestsetzung bestimmt. Je niedriger die Kapazität innerhalb des Gestaltungsspielraums festgesetzt ist, desto strenger ist das Gebot der Kapazitätsausschöpfung. Ebenso gibt es in diesen Bereichen ein Gebot der breiten Streuung von Nutzungen. 8. Wenn ein Rechtsanspruch als solcher aufgrund von Knappheit leerläuft, wandelt er sich in einen Anspruch auf materielle Abwägung nach gesetzlichen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen. Es besteht insoweit ein Bedürfnis nach einer konkreten Ausformung des Gleichheitssatzes für die einzelnen Rechtsbereiche. 9. Es gibt zur konkreten Verteilung formale und wertende Kriterien sowie Mischformen. Rein formale Kriterien sind zwar einfach handhabbar, genügen aber in grundrechtsintensiven Verteilungssituationen nicht dem Gleichheitssatz, da sie eine gebotene Differenzierung nicht zulassen. Insbesondere das Losprinzip scheint hierbei ungeeignet. Aber auch die ausschließliche Anwendung des Prioritätsprinzips ist für existenzwichtige Bereiche unzureichend. Die Anknüpfung an bestehende Rechtspositionen als Verteilungskriterium bedarf einer gesonderten Rechtfertigung im Einzelfall. Wertende Kriterien erlauben eine größere Einzelfallgerechtigkeit. Neben der grundsätzlichen sachlichen Rechtfertigung und Justiziabilität lassen sich kaum allgemeine Maßstäbe für alle Umweltverteilungssituationen abstrahieren. Die Bestimmung der Kriterien richtet sich nach den verschiedenen privaten und öffentlichen Verteilungszwecken und der Art des zu verteilenden Guts. 10. Es läßt sich - in Anlehnung an den Planungsvorbehalt im Baurecht für die Nutzung von Umweltgütern an einen Kapazitätsvorbehalt denken. Für den Immissionsschutz darf nicht ausschließlich das Prioritätsprinzip die Zuteilung der Schadstoffkapazitäten regieren. Insoweit sind zusätzliche materielle Differenzierungskriterien geboten, deren Grenzen allerdings noch genauer zu bestimmen sind.

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1. Grundlagen

VI. Zusammenfassung Die ökonomische Betrachtung von Umweltproblemen als Verteilungsprobleme läßt sich auch für das Umweltrecht fruchtbar machen. Soweit eine Knappheit an Umweltgütern besteht, stellt sich das Umweltrecht auch als Verteilungsrecht für Umweltnutzungen dar, das auch die ökologischen Belastungsgrenzen berücksichtigen muß. Aus anderen Verteilungs- und Bewirtschaftungssituationen im Recht lassen sich Kriterien zur Verteilung von Umweltnutzungen ableiten, die die Maßstäbe für eine Verteilung präzisieren können. Generell ist zwischen der Kapazitätsfestsetzung und der Verteilung innerhalb der Kapazität zu unterscheiden. Je nach den Funktionen des Umweltgutes ergeben sich differenzierte Verteilungskriterien, die häufig formale wie wertende Kriterien umfassen müssen. Die Umwelt ist nur begrenzt belastbar. Die Begrenztheit der natürlichen Lebensgrundlagen führt zunehmend dazu, daß nicht mehr alle Anforderungen an die Umwelt beliebig erfüllt werden können. Vielmehr müssen konkurrierende Belastungsanforderungen untereinander in Einklang gebracht werden, sei es etwa durch wechselseitige Begrenzungen oder durch staatliche Auswahl- und Zuteilungsentscheidungen. Umweltprobleme müssen deshalb heute großenteils als Verteilungsprobleme angesehen werden. Je stärker die Umweltknappheit wird, je stärker die existentiellen Lebensgrundlagen bedroht sind und sich ein umweltbezogener Verteilungskampf herausbildet, desto intensivere staatliche Eingriffe in die Nutzungskonflikte sind zu erwarten. Die Herausforderung durch die Umweltfragen für den Staat ist hierbei - jedenfalls derzeit - weniger die Rationierung im Falle einer ökologischen Katastrophe, sondern eher die Verwaltung eines "normalen" Mangels, einer auf Dauer begrenzten ökologischen Kapazität. Ökologische Verteilungsfragen werden jedenfalls eine immer bedeutendere Rolle spielen, so daß es sich lohnt, die Grundlagen und Möglichkeiten staatlicher Verteilung auch aus rechtlicher Sicht ins Auge zu fassen. Bisher hat sich vornehmlich die Ökonomie mit den spezifischen Verteilungsfragen der keiner Eigentümerdisposition unterliegenden knappen Umweltgüter befaßt. 102 Mangel ist jedoch auch als Rechtsproblem an sich keine neue Erscheinung. 103 Als übergreifendes, ganze Politik-, Wirtschaftsund Sozialbereiche erfassendes Problem wird Mangel jedoch vielfach ignoVgl. Siebert, a. a. o. (Fn. 12), S. Uf. Man denke nur an das umfassende Bewirtschaftungsrecht für Lebensmittel und Wohnraum in den Nachkriegsjahren, an die Kapazitätsgrenzen, mit denen der Staat als Leistender in sozialen Bereichen und wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen (Güterkraftverkehr etc.) konfrontiert ist. 102 103

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riert oder verdrängt. 104 Es sollten insofern Umweltpolitik und die rechtlichen Formen des Umgangs mit der Umwelt und einzelnen Umweltgütern stärker auch unter Verteilungsgesichtspunkten betrachtet werden. Bestimmte Verteilungskriterien und -mechanismen werden durch den in der ökonomischen Theorie verwurzelten Ausgangspunkt jedoch nicht präjudiziert. Die Kernfrage, wonach sich die richtige, auch verfassungsmäßige, Verteilung von Umweltgütern bemißt,105 ist zwar auch, aber sicher nicht ausschließlich oder zwingend vorrangig, nach ökonomischen Gesichtspunkten zu entscheiden. 106

Berg, a. a. O. (Fn. 2), S. 4. Allgemein zum Verhältnis Ökonomie und Recht s. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 6ff. 106 S. Tomuschat, a. a. O. (Fn. 70), S. 434. 104

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Recht als Technikkontrolle und Technikermöglichung* I. Einleitung Das Recht - insbesondere das Umwelt- und Technikrecht - und die hieran knüpfende staatliche Vollzugsbürokratie werden heute von wirtschaftlichen, politischen und publizistischen Kreisen zunehmend als Hemmnis und als standortbelastender Kostenfaktor betrachtet. Der unbeliebte Jurist l tritt so als scheinbar überflüssiger Bedenkenträger und Störfaktor in die schöne Welt der freien Technikentwicklung durch Naturwissenschaftler, Ingenieure und Marktentfalter. Dabei wird allerdings übersehen, daß der Jurist und die Rechtsordnung in Staat und Gesellschaft regelmäßig nur politische GrundeinsteIlungen in handhabbare Verhaltensdirektiven umsetzen. Das gilt auch hier. Der bis weit in dieses Jahrhundert hinein vorherrschende Fortschrittsoptimismus, der Glaube an die immer weiter zunehmende Beherrschbarkeit und damit auch Unabhängigkeit von den Unwägbarkeiten der Natur ist in weiten Bevölkerungskreisen zunehmend einem beträchtlichen Pessimismus gewichen. Die Gesellschaft sieht sich mit nicht mehr einschätzbaren Risiken dieser Entwicklung konfrontiert. Damit steht sie tatsächlich oder scheinbar vor einer gewissen Überforderung angesichts der kaum noch vorstellbaren Möglichkeiten aber auch Risiken dieser Entwicklung der Technik. Der Begriff der sog. "Risikogesellschaft" beschreibt diese Befindlichkeit2 .

* Teile der nachfolgenden Ausführungen sind Gegenstand eines Vortrages gewesen, den der Verf. am 22.11.1996 in Berlin auf dem Kolloquium "Gesellschaftliche Voraussetzungen für Technikentwicklung" anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung gehalten hat. Meinem Assistenten Sven Hermerschmidt danke ich für seine Mitarbeit. - Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: zu Putlitz/Schade (Hrsg.), Grenzüberschreitungen, 1997, S. 5373. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung, Ladenburg. I Wengier, Über die Unbeliebtheit der Juristen, in: NJW 1959, S. 1705. 2 Beck. Die Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Modeme, 1986.

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I. Grundlagen

11. Zur Entwicklung von Technikkontrolle durch Recht 1. Vom Prinzip der Genehmigungsfreiheit zum Prinzip der Genehmigungspflicht Die Wahrnehmung und Bekämpfung von Technikrisiken durch das Recht mag heute besonders signifikant sein, ist aber keineswegs neu. Insbesondere mit dem Beginn der Industrialisierung im vorigen Jahrhundert - etwa mit dem massenhaften Einsatz von Dampfmaschinen, mit dem Ausbau der Eisenbahnen und der Mechanisierung der Textilverarbeitung - kommt es auch aus Erfahrungen mit Unfällen zu staatlichen und rechtlichen Gegenreaktionen. Sie beziehen sich zunächst u. a. auf Maßnahmen der Arbeitssicherheit. Die örtlichen Polizeibehörden wurden ermächtigt, im Rahmen von Fabrikinspektionen die Unternehmen insbesondere hinsichtlich Kinder- und Jugendarbeit zu überwachen. Auf französische Vorbilder zurückgreifend entwickelte sich in Deutschland gleichzeitig für den Bereich der Technik ein spezielles Recht der Gefahrenabwehr. Diese Entwicklung von dem allgemeinen Polizeirecht zum Recht der Gewerbepolitik fand ihren Höhepunkt in der preußischen allgemeinen Gewerbeordnung von 1845 3 , aus der später die GewO des Norddeutschen Bundes und die ReichsGewO hervorgingen. In §§ 16ff. GewO wurde das Recht der überwachungs- und genehmigungsbedürftigen Anlagen geregelt. Bei Beibehaltung der damals gefundenen Strukturen kam es im Laufe der Jahre zu erheblichen Modifikationen. Daneben entstand sehr früh auch die erste privatrechtlich organisierte Kontrolle von gefährlichen Anlagen in Form der Dampfkessel-ÜberwachungsVereine, auf deren Fachwissen, Regeln und Normen der Staat letztlich zu seiner Entlastung zurückgreifen konnte. 4 Der vom Prinzip der Gewerbefreiheit geprägte Grundsatz der Genehmigungsfreiheit der Gewerbeaufnahme wurde freilich in den nachfolgenden Jahrzehnten durch Ausweitung der Genehmigungspflicht für besondere Gewerbe immer stärker eingeschränkt. Nach und nach gingen aus dem Gewerberecht wiederum verschiedene Sonderrechtsgebiete der Wirtschaftsaufsicht und des Umweltschutzes hervor. So wurden etwa in den Jahren 1959 das Atomgesetz5 und 1968 das Gerätesicherheitsgesetz6 geschaffen. Preuß. GS S. 41. Die erste derartige Vereinigung wurde nach mehreren Explosionen von Dampfkesseln im Jahre 1866 in Mannheim gegründet; dazu Ronellenfitsch. Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht, in: DVB!. 1989, S. 851 (857) m. w. N. 5 Atomgesetz i.d.F. d. Bek. vom 15.7.1985 BGB!. I S. 1565. 6 Gerätesicherheitsgesetz (GSG) v. 24.06.1968 (BGB!. I S. 717) i.d.F. d. Bek. vom 23.10.1992 (BGB!. I S. 1793). 3

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Im Jahre 1974 entstand insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz 7 , welches die §§ 16ff. GewO vollständig ersetzte. 8 Bei größeren umweltbelastenden Anlagen wurde so das Prinzip der Genehmigungsptlicht zum dominanten Prinzip. Bis heute ist die Ausdifferenzierung einzelner Rechtsgebiete aus dem bisherigen Technikrecht nicht abgeschlossen. Dabei ist insbesondere die Gentechnik, die einen rechtlichen Rahmen durch das Gesetz zur Regelung der Gentechnik vom 1. Juli 19909 erhalten hat, sowie die Magnetschnellbahntechnik (Transrapid), die durch das Magnetschwebebahnplanungsgesetz vom 23. November 1994 10 geregelt wurde, hervorzuheben. Für die sich rasant entwickelnde Inforrnations- und Kommunikationstechnik wurden im wesentlichen erst jetzt eigenständige gesetzliche Regelungen geschaffen 11 •

2. Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge Wenn sich das Technikrecht maßgeblich aus dem Polizeirecht und dem Arbeitssicherheitsrecht entwickelte, ist es somit nach wie vor (auch) Recht der Gefahrenabwehr, d. h., es befaßt sich zunächst mit der Abwehr von Gefahren, die von den jeweiligen Technologien ausgehen. Die Systematik unseres heutigen Technikrechts stammt insoweit also im wesentlichen noch aus dem 19. Jahrhundert. Fraglich ist dabei, ob dieses Instrumentarium ausreichend und geeignet ist 12, um mit der heutigen Entwicklung Schritt zu halten. Schon die allgemein gängige Definition des polizeilichen Gefahrbegriffs l3 wirft Zweifel auf, ob dieser noch den Anforderungen entspricht, welche die Entwicklung der modernen Technik an ihn stellen. Gerade bei der Einführung neuer Technologien, wie in der Mitte dieses Jahrhunderts die friedliche Nutzung der Atomkraft oder heute der Gen- bzw. Biotechnik BImSchG i.d.F. d. Bek. vom 14.5.1990, BGBI. I S. 880. Im einzelnen vgl. Kloepjer/Franzius, Die Entwicklung des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1994, S. 179 (182). 9 BGBI. I S. 1080, i.d.F. d. Bek. v. 16.12.1993, BGBI. I S. 2066. \0 BGBI. I S. 3486. 11 Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.7.1996, BGBI. I, S. 1120. 12 Bejahend Ronellenfitsch (Fn. 4), S. 863; krit. z. B. Pitschas, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, in: DÖV 1989, S. 785 (789). 13 Danach ist eine Gefahr eine Lage, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen würde; vgl. Martens, in: Drews/Wacke/VogeIlMartens. Gefahrenabwehr, Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, S. 220 m. w. N. 7

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I. Grundlagen

wird es immer schwieriger, eine Gefahrprognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes im Sinne des klassischen Gefahrenbegriffs zu stellen. Im klassischen Gefahrenabwehrrecht war es bisher meistens möglich, auf Grund empirischer Erkenntnisse festzustellen, ob bestimmte Geschehensabläufe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen und somit eine Gefahr darstellen oder nicht. Dies wird bei den mit der modemen Technik verbundenen Unwägbarkeiten zunehmend schwieriger. Zum einen sind Prognosen über bestimmte Abläufe kaum oder nicht möglich, wenn noch unbekannte oder noch weitgehend unerforschte Technologien eingeführt werden. Der Bereich des rechtlich relevanten Nichtwissens wird immer größer, je weniger bestimmte technische Abläufe vorhersagbar werden. Zum anderen sind die potentiellen Risiken neuer Technologien nicht abschätzbar und das Ausmaß der daraus entstehenden Schäden für Mensch und Umwelt möglicherweise so hoch, daß es nicht möglich ist, abzuwarten, bis eine Gefahr im ursprünglichen polizeirechtlichen Sinne vorliegt l4 . Es bedarf also gewissermaßen einer Vorverlagerung der Gefahrenabwehr im Sinne einer Risikovorsorge. 15 Diese Risikovorsorge setzt - hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit - auf einer niedrigeren Stufe an als die klassische Gefahrenabwehr; sie bedeutet eine starke Ausweitung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten. Die Errungenschaft der liberalen Rechtsstaatlichkeit - Reduzierung staatlicher Eingriffe auf die Gefahrenabwehr - wird preisgegeben. Im Umweltrecht ist dies dann plausibel, wenn und weil eine erst an der Gefahrensituation einsetzende Umweltschutzintervention zu spät käme. Die Verwaltung wird durch die Gesetze aufgerufen, in Grenzbereichen des menschlichen Wissens und der menschlichen Erfahrung zu handeln, um unbekannte, aber für möglich gehaltene Risiken zu mindern. Die Folge davon ist, daß der Kausalitätszusammenhang, der nach dem überkommenen Gefahrenbegriff zwischen Ursache und einem durch die Ursache drohenden Schaden bestehen muß, nicht mehr in gleichem Maße oder vielleicht überhaupt nicht mehr erforderlich ist. Es muß daher die bloße Möglichkeit oder Plausibilität ausreichen, daß bestimmte Schäden durch bestimmte Geschehensabläufe entstehen könnten. Fehlt aber das Erfordernis eines Kausalitätszusammenhangs, so kann letztlich auch auf konkrete wissenschaftliche Anhaltspunkte oder empirische Regeln verzichtet werden 16. Auch wenn mit dem Abstellen auf ein konkretes Besorgnispotential hier unvertretbare Ausweitungen verhindert werden können, bleibt das Grunddilemma staatlicher Kontrolle ungewisser Technikrisiken doch erhalten. Zum Ganzen Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207 (21Off.). Vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 450f.; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2 Rn. 17. 16 Di Fabio (Fn. 15), a. a. 0., S. 451. 14 15

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Der Staat muß bei der Steuerung solcher Risiken zwei Aspekte berücksichtigen. Einerseits muß er die Risiken, die sich für die Allgemeinheit aus den Folgen der technischen Entwicklung ergeben können, in irgendeiner Form begrenzen, andererseits dürfen diese Begrenzungen nicht dazu führen, daß technische Entwicklungen nicht mehr stattfinden und neue Technologien vielleicht gar nicht erst eingeführt werden können.

III. Verfassungsrechtliche Vorgaben gesetzgeberischer Technikkontrolle Diese ausgleichende Formel beinhaltet nicht nur eine vernünftige technik- und umweltpolitische Maxime für die politische Führung, sondern hat unmittelbar verfassungsrechtliches Gewicht. In verfassungsrechtlicher Sicht, d. h. in Verbindung mit der von der Verfassungsgerichtsbarkeit stark ausgebauten Verfassungsbindung der Gesetzgebung (Art. 20 Abs. 3 GG)17 ist mit dieser Formel auch ein verbindlicher verfassungsrechtlicher Rahmen bezeichnet, der einerseits - im Hinblick auf die Rechte Dritter - eine entsprechende Technikkontrolle fordert - sub 1 -, andererseits aber im Hinblick auf die Rechte der Technikentwickler auch Grenzen der Technikentwicklung vorgibt - sub 2 -.

1. Verfassungsrechtliche Handlungspflichten Nach überwiegender Ansicht, insbesondere des BVeifG, ist der Staat durch seine Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) prinzipiell verpflichtet, die einzelnen Bürger vor den negativen Auswirkungen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zu schützen. Betroffene Güter sind dabei insbesondere die grundrechtlich geWährleisteten Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das Eigentum (Art. 14 GG). Nach der liberal-staatlichen Grundrechtsdogmatik sind diese Rechte jedoch Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Die Gefahren und Risiken der modemen Technik werden jedoch in aller Regel nicht durch den Staat, sondern durch Private (z. B. Anlagenbetreiber) verursacht. Ein Privater kann nicht in ein Grundrecht einer anderen Privatperson eingreifen, da die Grundrechte nicht an ihn adressiert sind. Sie verpflichten den Staat, nicht den Bürger. Aus diesem Dilemma führt die Sicht der Grundrechte (auch) als Ansprüche gegen den Staat auf Schutzgewährung gegen Einwirkungen Dritter auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter. Der Verpflichtete bleibt damit der Staat, an den grundrechtsabgeleitete Schutzpflichten adressiert werden, der 17

Vgl. z.B. Sachs, Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Rn. 6lff. m.w.N.

8 Kloepfer

1. Grundlagen

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diesen Pflichten durch Eingriffe in die Rechtssphäre des störenden Dritten nachkommt. 18 Völlig unbedenklich ist diese Umdeutung der freiheitsgewährenden Grundrechte zu Ermächtigungsnormen für Freiheitseingriffe indessen nicht, sie entspricht aber der ganz überwiegenden Ansicht. Danach sind die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte gegen den Staat, sondern verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die dazu führt, daß die staatliche Gewalt, insbesondere beim Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. I GG, in der Weise verfassungsrechtlich gebunden werden kann, daß dem Staat daraus Handlungspflichten zum Schutz der genannten Rechtsgüter erwachsen l9 • In einem nächsten Schritt hat das BVerfG darüberhinaus klargestellt, daß in dem objektiv-rechtlichen Verstoß gegen staatliche Schutzpflichten zugleich eine subjektive Grundrechtsverletzung zu sehen ist 2o . Danach stehen den objektiven Schutzpflichten korrespondierende subjektive Rechte gegenüber. Dies wird vielfach kritisiert, weil sich der subjektive Schutzanspruch in der Regel gegen den Gesetzgeber richtet 21 , der aber bei der gesetzlichen Konkretisierung bei der Erfüllung der Schutzpflicht einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Es kann also subjektiv-rechtlich im Klagewege keine konkrete Schutzmaßnahme durchgesetzt werden, sondern bestenfalls die Untätigkeit des Gesetzgebers mittels Verfassungsbeschwerde gerügt werden. 22 Gerade im Bereich der sich schnell entwickelnden Technik ist es - wie oben bereits dargelegt - oft schwierig, eine verläßliche Risiko- oder Gefahrenprognose zu stellen. Es ist somit auch unklar, welche Handlungspflichten der Staat zur Erfüllung seiner Schutzpflichten hat - es ist sowohl möglich, daß ein angenommenes Risiko bzw. eine angenommene Gefahr einer Technik sich später als nicht schadensverursachend herausstellt als auch, daß sich umgekehrt Gefahren oder Risiken ergeben können, die nicht bekannt bzw. absehbar waren. Der Staat muß insoweit im Ungewissen handeln, d. h., er muß ungewisse Risiken steuern und dabei nicht selten mit Gegenmitteln reagieren, deren Wirksamkeit zunächst ungewiß ist. Der Gesetzgeber muß damit zwingend auch bei der Festlegung der Risikofeststellung bzw. der Gefahrenprognose selbst einen weiten Gestaltungsspielraum haben 23 . Daraus folgt, daß die öffentliche Gewalt lediglich Vorkeh18

Dazu Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik,

S.91.

BVerfGE 39, 1 (41), vgl. insbes. auch BVerfGE 49, 89 (141 f.) - Kalkar -. BVerfGE 77, 170 (214) - C-Waffen -; 77, 381 (402) - Gorleben -; 79, 174 (201 f.) - Verkehrslärrn -. 21 Fluck, Grundrechtliche Schutzpflichten und Gentechnik, in: UPR 1990, S. 81 (83). 22 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 50. 19

20

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rungen zum Schutz der Grundrechte zu treffen hat, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind24 . Eine unbedingte Schutzpflicht kann daneben auch nur dann entstehen, wenn durch die Untätigkeit des Staates Leben und Gesundheit der Bürger verletzt oder erheblich gefährdet werden 25 • Die sich auf die sogenannte Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG berufende und vieldiskutierte Entscheidung des VGH Kassel 26, die letztlich ein Verbot der Nutzung neuer Technologien konstatierte, solange ein ausdrücklich hierzu ermächtigendes Gesetz fehlte, geht deutlich über das Ziel hinaus. Die Entscheidung verkehrt die Wesentlichkeitstheorie gerade in ihr Gegenteil, indem sie den Gerichten Kompetenzen des parlamentarischen Gesetzgebers überantwortet und so wiederum in Grundrechte der Betreiber ohne gesetzliche Ermächtigung eingreift27 • Der so konstruierte Schutzanspruch gegen den Staat auf Gewährung von Sicherheit hat zu einer starken Veränderung im Staatsverständnis geführt. Die Gewährung von Freiheit vor staatlichen Eingriffen als Grundprinzip des liberalen Rechtsstaats wird zunehmend verdrängt durch die Gewährung von Sicherheit durch den Staat. Die staatlichen Schutzpflichten werden damit immer weiter ausgedehnt und immer subtiler28 . Das BVerfG vertritt inzwischen in gefestigter Rechtsprechung die Auffassung, daß bereits bloße Grundrechtsgefahrdungen unter besonderen Voraussetzungen Grundrechtsverletzungen darstellen können 29 • Die aus den objektiven Wertentscheidungen der Grundrechte folgenden Schutzpflichten des Staates können auch die Pflicht zur Abwehr von Risiken umfassen und es gebieten, auch das bloße Risiko von Grundrechtsverletzungen einzudämmen, selbst wenn sich die angenommenen Risiken vielleicht nie verwirklichen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Rechtsgüter von höchster Bedeutung auf dem Spiele stehen30 . 23 E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, in: NJW 1989, 1633 (1637). 24 BVerfGE 77, 170 (215). 25 So Di Fabio (Fn. 15), S. 49f., der die staatlichen Schutzpflichten aus der Grundfunktion des Staates zur Sicherheitsgewährleistung herleitet. 26 VGH Kassel, NVwZ 1990, 276ff.; zur Diskussion vgJ. die umfangreichen Nachweise bei Kloepfer, Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen?, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, S. 755 Fn. 1. 27 Kloepfer, a.a.O. (Fn. 26), S. 766; Fluck, a.a.O. (Fn. 21), S. 84. 28 Ein eindrucksvolles Beispiel für die Bereiche, die allein von der (freilich wohl bedeutendsten) Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt sein sollen liefert Herrnes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 6ff. 29 BVerfGE 49, 89 (141f.); 52, 214 (220); vgJ. die Nachweise bei Murswiek (Fn. 18), S. 127, Fn. 3. 30 BVerfGE 56, 54 (81).

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I. Grundlagen

2. Verfassungsrechtliche Handlungsgrenzen Daraus kann aber wiederum auch nicht folgen, daß die Entwicklung von Wissenschaft und Technik übermäßig behindert oder gar neue Technologien verhindert werden dürfen, nur weil mit Risiken gerechnet werden kann, deren Verwirklichung äußerst ungewiß ist. Es muß also darum gehen, ein Maß zu finden, das sowohl die technische Entwicklung weiter ermöglicht, als auch die Allgemeinheit vor möglichen Risiken schützt. Eine absolute Sicherheit ist dabei weder möglich noch wäre sie überhaupt erstrebenswert und letztlich auch nicht verfassungsmäßig 3l . Denn natürlich bringen viele soziale Kontakte in der heutigen Gesellschaft Risiken mit sich - man denke nur an den Straßenverkehr -, die oft jedoch von der Allgemeinheit akzeptiert und als Folge des modernen Lebens in Kauf genommen werden. Darüberhinaus ist nicht zu vernachlässigen, daß für die Seite derer, welche die wissenschaftliche und technische Entwicklung vorantreiben, ebenfalls Grundrechte streiten: einerseits im Bereich der Forschung das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG, andererseits für die Betreiber von technischen Anlagen Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Daraus folgt gleichsam auch die reflexive Freiheit, der Gesellschaft bestimmte minimale Risiken, die sich aus neuen Technologien ergeben, aufzubürden. Im Hinblick auf umweltbezogene Technikauswirkungen könnte man sogar - überspitzt von einer Freiheit zu Umweltbelastungen sprechen, wenn diese ein bestimmtes Maß nicht überschreiten 32 . Eine technische Entwicklung kann aus rechtlicher Sicht - nur stattfinden, wenn ihr eine gewisse Freiheit gelassen wird. Nach dem Prinzip "trial and error" müssen dabei grundsätzlich auch Risiken in Kauf genommen werden. Dieses Prinzip prägt dabei nicht nur die technische sondern auch die rechtliche Entwicklung. Neue Störoder Unfälle führen und führten auch häufig zu Nachbesserungen und Erweiterungen bei den rechtlichen Grundlagen 33 . Für das nötige Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit ist die klassische rechtsstaatliche Dogmatik des Gefahrenabwehrbegriffs insoweit weiterhin hilfreich. Allerdings darf es im Umweltschutz nicht nur bei der Gefahrenabwehr verbleiben, vielmehr müssen bereits Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle abgewehrt werden. Hierbei unterscheiden sich Gefahr und Risiko vor allem durch den unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgrad des jeweils befürchteten Schadenseintritts. Zu beachten ist, daß grundrechtliche Schutzgüter vom Staat nur dann mit Risiken belastet werden dürfen, wenn für sie eine gesetzliche Grundlage Vgl. BVerfGE 49, 89 (143). Zu einer hieraus folgenden etwaigen Freiheit zu Umweltbelastungen vgl. Kloepfer (Fn. 26), S. 759f.; Suhr, JZ 1980, S. 166ff. 33 Murswiek (Fn. 14), S. 216f., sowie die Nachweise ebd., S. 216, Fn. 29. 31

32

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vorhanden ist. Außerdem muß die Auferlegung von Risikotragungspflichten auf die Bürger zur Erreichung eines Gemeinwohlzwecks verhältnismäßig sein. Die Ausweitung der Staatsverantwortung nicht nur für Gefahrenabwehr, sondern auch für Risikominimierung hat eine erhebliche Ausweitung der staatlichen Schutzpflicht zur Folge. Denn sowohl das Schutzgut wird durch neue Rechtsgüter erweitert, als auch der Schädigungszusammenhang durch Möglichkeitszusammenhänge oder gar nur noch bloße "vertretbare Auswirkungen u34 . Das Erfordernis des Gesetzesvorbehaltes für die Auferlegung von Risikotragungspflichten bedeutet allerdings nicht, daß risikobehaftete Technologien einem zumindest präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterliegen, wenn eine genau diese Technologie regelnde gesetzliche Grundlage fehlt, wie der VGH Kassel in der bereits erwähnten Entscheidung meinte 35 • Denn jedenfalls bleibt immer der Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht möglich, allerdings mit der Maßgabe, daß hiernach keine Risikovorsorge, sondern nur eine Gefahrenabwehr möglich ist. Im übrigen zielen die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten ja nur auf die Erfüllung bestimmter Mindestpflichten36 • Diesem Erfordernis genügen dann aber wohl auch die traditionellen Ordnungsgesetze 37 . Ein pauschales Verbot der risikobehafteten Entwicklung neuer Techniken würde zur Umkehrung des Freiheitsprinzips führen, mit der Folge, daß zunächst jede potentiell gefahrliche bzw. risikobehaftete Tätigkeit solange verboten ist, bis die Ausübung grundrechtlich gewährter Freiheiten durch ein spezielles Genehmigungsgesetz zugewiesen wird. Im übrigen ist bei einem derartigen Verbot auch eine differenzierte Abwägung zwischen Risiko bzw. Gefahr und Gemeinwohlinteresse nicht mehr möglich 38 .

IV. Technikrecht als Technikvoraussetzung 1. Allgemeines

Die bislang hier behandelte Sicht des Rechts, insbesondere des Technikund Umweltrechts, als Risikosteuerung sieht das Recht naturgemäß eher als Hemmnis, geht also letztlich - populistisch - von einem grundsätzlichen Konflikt zwischen freier Technik- und Wissenschaftsentfaltung einerseits 34 Ein typisches Beispiel dafür ist z. B. § 15 Abs. 1 Nr. 3 lit. b PflSchG, der von "vertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt" spricht; vgl. auch Di Fabio (Fn. 15), S. 452. 3S VGH Kassel, NVwZ 1990, 276 (277). 36 Vgl. Fn. 25. 37 So Kloepfer (Fn. 26), S. 765; Wahl/Masing, JZ 1990,553 (561 f.). 38 Preu, Freiheitsgefährdung durch die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, in: JZ 1991, 265 (271).

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I. Grundlagen

und einer hemmenden Beschränkung durch das Recht andererseits aus. Nun muß ein solcher Ansatz die Rechtswissenschaft als Konfliktlösungswissenschaft nicht stören, zumal es in Deutschland ja auch vielfältige - grundsätzliche wie einzelfallbezogene - Konflikte um die Einführung und Ausgestaltung moderner Techniken gibt. Gleichwohl ist diese konfliktbezogene Sicht nur die halbe Wahrheit, weil es in weiten Bereichen einen solchen Konflikt zwischen Staat bzw. staatlichem Recht und Technikentfaltung gar nicht gibt. Vielmehr kann und wird die Technikentfaltung und Technikförderung auch als Staatsaufgabe verstanden werden können. Hier wächst das Recht in die Funktion notwendiger Technikvoraussetzung hinein. Dabei sind drei wesentliche Aspekte des Rechts als Technikvoraussetzung zu unterscheiden: a) Recht der Technikförderung (sub 2), b) Recht als Technikermöglichung (sub 3) und c) Recht als Sicherung von Technikakzeptanz (sub 4).

2. Recht der Technikf'örderung In einem Rechtsstaat ist auch die Industriepolitik, speziell die staatliche Förderung der Technikentwicklung und -entfaltung rechtlich gebunden. Insbesondere die Gewährung von Zahlungs- und Verschonungssubventionen vollzieht sich nicht im rechtsfreien Raum. Letztlich handelt es sich freilich im wesentlichen nur um einen Unterfall des allgemeinen Subventionsrechts mit seinen bekannten durchgängigen Problemen (insbesondere des Gesetzesvorbehalts, der Subventionsauflagen, der Konkurrentenklagen etc.).

3. Recht als Technikermöglichung Interessanter - und weitaus komplexer - ist die (häufig vernachlässigte) Funktion des Rechts als Ermöglichung von Technikentwicklung und -entfaltung. Aus der Sicht der Grundrechte der Industrie und der Anlagenbetreiber übernimmt hier das (Umwelt- und) Technikrecht auch die Funktion der Sicherung von Grundrechtsvoraussetzungen. Dabei kann das Recht a) Funktionen der Standardisierung und Marktermöglichung, sowie b) der Gewährleistung rechtlicher Entfaltungsvoraussetzungen (insbesondere gegenüber Dritten) einschließlich der Gewährleistung von Rechtssicherheit wahrnehmen. a) Die Technikentfaltung (und letztlich auch die Technikentwicklung) setzt grundSätzlich entsprechende Absatzchancen und im Effekt einen Markt für solche technischen Produkte voraus. Jedenfalls bei technischen Massenprodukten sind Standardisierungen (insbesondere auch zur Sicherung technischer Kompatibilität) erforderlich. In Deutschland wie in anderen

Recht als Technikkontrolle und Technikermöglichung

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primär marktwirtschaftlich orientierten Staaten wird diese außerordentlich wichtige Aufgabe weitgehend den privaten Normungsorganisationen überlassen 39 , die mit großem Erfolg - teilweise allerdings mit staatlichem Einfluß - arbeiten. Wesentliche Standardisierungen können freilich auch vom staatlichen Zulassungs verfahren für technische Produkte und Anlagen ausgehen. Damit wird zugleich die Funktion des Rechts als Marktermöglichung angesprochen. Recht hat bekanntlich auch die Aufgabe, für einen Markt einen ordnungsrechtlichen Rahmen abzustecken. So gesehen, ist Technikrecht stets auch Marktermöglichung für technische Produkte. Letztlich stellen Recht und Rechtsvollzug stets auch eine wesentliche (und häufig teure) Leistung des Staates dar, sie ist Bereitstellung einer für ein Gemeinwesen unerläßlichen normativen Infrastruktur. Technikrecht ist somit stets auch normative Technikermöglichung und keineswegs nur (und regelmäßig von der Funktion her - auch nicht vorrangig) staatliches Technikhemmnis. b) Häufig ist nicht der Staat Gegner der Entwicklung und Entfaltung moderner Technik, sondern vielmehr betroffene Dritte. Diese wenden sich aufgrund ihrer - oben geschilderten - grundrechtlichen Schutzansprüche an den Staat, von dem sie ein entsprechendes Einschreiten (bzw. die Verweigerung einer Anlagenzulassung etc.) fordern. Langwierige juristische "Stellvertreterkriege" in Form von verwaltungsgerichtlichen Prozessen gegen den Staat sind die Folge. Von daher leistet das Recht in seiner rechtsfriedenstiftenden Funktion einen ganz wesentlichen Beitrag zur Technikermöglichung, wenn es insbesondere durch sog. Präklusionsregeiungen40 die Voraussetzungen von Technikentfaltung dadurch schafft, daß sie Dritteinwendungen dauerhaft rechtliche Relevanz abspricht. Damit ist die zentrale Bedeutung des Rechts als Gewährleistung von Rechtssicherheit angesprochen, was weit über die erwähnte Präklusion von Dritteinwendungen hinausgeht. Insbesondere geht es um die Verläßlichkeit und Konstanz staatlicher Zulassungsentscheidungen von Technik. Ohne sie ist eine hinreichende und für die Technikentfaltung unerläßliche Investitionssicherheit nicht vorstellbar. Im Umwelt- und Technikrecht ist wegen der schnellen Entwicklung von wissenschaftlicher Erkenntnis und von Technik der Kontinuitäts- und Vertrauensschutz freilich nicht mehr sehr stark ausgebildet. 41

39 Vgl. z. B. Roßnagel, Ansätze zu einer rechtlichen Steuerung des technischen Wandels, in: UTR Bd. 27 (1994), S. 425 (430). 40 Vgl. exemplarisch §§ 10 III 3 BlmSchG; 18 III 2 GenTG i.V.m. 5 I 2 GenTAnhV; 7 I 2 AtVfV; 5 11 1 MBPlG. 41 Vgl. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, insb. S. 25ff.

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I. Grundlagen

4. Recht als Sicherung von Technikakzeptanz Viele Beispiele umstrittener Technikprojekte zeigen, daß sie ohne entsprechende Akzeptanz kaum durchsetzbar sind. Diese für die Technikentfaltung so wichtige Akzeptanz gegenüber besonders umstrittenen oder tatsächlich oder vermeintlich besonders gefahrlichen Techniken ist ohne die rechtliche Gestaltung und weitere staatliche Hilfe kaum noch möglich. 42 Daher ist Technik- und Umweltrecht auch insoweit eine Leistung des Staates zur Ermöglichung von Technologien. So können z. B. die insbesondere im Planungsrecht vorzufindenden umfangreichen Vorschriften zur Bürgerbeteiligung an entsprechenden Projekten43 , so belastend sie für den einzelnen Unternehmer sein mögen, doch auch als Mittel zu verstehen sein, bei den Betroffenen die soziale Akzeptanz derartiger Projekte zumindest zu erhöhen. Andere Instrumente, wie z. B. die sog. Technikfolgenabschätzung versuchen ähnliches. Ohne eine entsprechende Mindestakzeptanz, ohne die Befriedungsfunktion der staatlichen Sanktionierung von Vorhaben, wären diese wohl nicht mehr zu realisieren. Der einzelne Vorhabenträger könnte also ohne die staatliche (gesetzliche) Gestattung seine Grundrechte faktisch nicht mehr ausüben. Dies gilt insbesondere für besonders heftig umstrittene Technologien, wie Kerntechnik, Gentechnik oder neuerdings für die Magnetschnellbahntechnik (Transrapid). Die entsprechenden Gesetze treffen somit die politisch und faktisch notwendige Feststellung über die Gemeinwohlverträglichkeit und die Akzeptabilität einer solchen Technik. Das Gesetz enthält in der Regel eine Feststellung über die grundsätzliche Realisierbarkeit einer neuen Technik44 . Allerdings kann nicht verkannt werden, daß militante Gegner moderner risikobehafteter Techniken diese häufig auch dann nicht akzeptieren, wenn sie dem geltenden Recht entsprechen. An dieser Stelle von letztlich undemokratisch agierenden Gruppen kann es dann auch weniger um Werbung für mehr Akzeptanz gehen, sondern vielmehr um die vollzugsstarke Durchsetzung geltenden Rechts.

42

Umfassend Kloepfer (Fn. 26), S. 760ff., dort aus der Rechtsprechung des

BVerfG zur Rundfunkfreiheit entwickelnd.

43 Vgl. insb. § 73 VwVfG und entsprechende Sondervorschriften z. B. in §§ 17 FStrG, 20 AEG, 5 MagnetschwebebahnplanungsG (MBPIG); aber auch §§ 3 f. BauGB, lOff. BlmSchG, 18 GenTG. 44 Kloepfer (Fn. 26), S. 762.

Recht als Technikkontrolle und Technikennöglichung

v.

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Technikrecht zwischen Technikkontrolle und Technikermöglichung 1. Grundsätzliche Ambivalenz

Von daher wird deutlich, wie einseitig die Sicht des Umwelt- und Technikrechts als eingreifendes, risikosteuerndes Hemmnis der Technikentfaltung ist. Es ist eben immer auch leistende Technikermöglichung durch rechtliche Normierung. Das wird künftig den Sinn für die Ambivalenz rechtlicher Regelungen auf dem Gebiet der Technikentfaltung schärfen. Von Regeln des Technikrechts sind eben nicht nur die Erfüllung der Funktionen der Gefahrenabwehr und der Risikominimierung zu leisten, sondern eben auch die Funktionen der Sicherung der Technikentfaltung einschließlich der Akzeptanzsicherung für Technik. Dabei muß nicht jede Norm des Technikrechts alle diese Funktionen erfüllen, wohl aber das Technikrecht insgesamt. Das kann zu widersprüchlichen Erwartungen an das Technikrecht führen, das im Wege der Optimierung einen Ausgleich zwischen Technikkontrolle und Technikermöglichung finden muß. Dabei müssen freilich Anforderungen der Technikkontrolle und der Technikermöglichung keineswegs stets oder auch nur regelmäßig widersprüchlich sein. Ein einfaches Beispiel belegt dies: Staatliche Technikkontrolle ist heute eine unerläßliche, wenn auch nicht immer hinreichende Voraussetzung von Technikakzeptanz durch die Bevölkerungsmehrheit. 2. Folgerungen Die Erkenntnis des ambivalenten Charakters des Technikrechts mit belastenden und begünstigenden, eingreifenden wie leistenden Aspekten führt zu erheblichen Konsequenzen. Sie löst das Technikrecht vom traditionellen Eingriffsmodell und gibt dem Gesetzgeber größere Gestaltungsfreiheit. Die größere Gestaltungsmöglichkeit und offenere Rechtsbindungen des Staates im Leistungsbereich kommen dem Technikrecht teilweise zugute. Die im Technikrecht verbreiteten weiten unbestimmten Rechtsbegriffe und Technikklauseln legitimieren sich eben nicht nur aus dem Gedanken des dynamischen Grundrechtsschutzes 45 , sondern eben auch aus der Erwägung, daß Technikrecht zu einem wesentlichen Teil auch staatliche Leistungsfähigkeit darstellt. Vor allem aber legitimiert der ambivalente Charakter des Technikrechts das Kooperationsprinzip als bestimmendes Prinzip der Entscheidungsfindung, die vornehmlich im Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft 45

BVerfGE 49, 89 (137).

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I. Grundlagen

vorzunehmen ist. Die unterschiedlichen Formen der Mitwirkung von Industrie und Betreibern an normativen oder vollziehenden technikrechtlichen Entscheidungen ist weniger als Teilnahme der (damit einem gewissen Kollusionsverdacht ausgesetzten) Kontrollierten an der Kontrolle, sondern viel eher als Mitwirkung der Geförderten an der Förderung legitim. Kooperation bei prinzipiell gleichförmigen Interessen ist eben allemal ein- und leichtgängiger als bei divergierenden Interessen. Bei gleichgerichteten Interessen von Staat und Gesellschaft an Förderungstätigkeiten addieren sich in der Kooperation die Interessen und können zu optimalen Förderungen führen, bei prinzipiell entgegengesetzten Interessen, wie z. B. bei der kooperativen Mitwirkung der Kontrollierten bei einer Kontrolle hemmen sich die Interessen und können so zu suboptimalen Ergebnissen führen. Dies alles schafft der kooperativen Rechtsetzung (durch private Normsetzungsorganisationen oder aber auch durch lobbyistische Einwirkung der Industrie auf staatliche Rechtsetzung) sowie ganz allgemein dem kooperativen Verwaltungshandeln auf dem Gebiet des Technikrechts zusätzliche Legitimation, wobei allerdings die rechts staatliche Begrenzung schon wegen der Entscheidungsauswirkungen auf Dritte nicht vernachlässigt werden darf. 3. Selbstregulierung im Umweltschutz Über die genannten Ansätze des Kooperationsprinzips hinaus werden zunehmend weitere Formen der Selbstregulierung im Umweltschutz46 diskutiert, die mit den geschilderten Instrumenten manche Berührungspunkte haben, teilweise aber auch ganz neue Wege gehen. So werden in dem Mitte 1997 vorzulegenden sog. Sachverständigenentwurf des Umweltgesetzbuches eine Reihe weitgehend innovativer Formen der Selbstregulierung im Umweltschutz enthalten sein. 47 Als Modelle kooperativer Normsetzung werden dort u. a. vorgeschlagen: - die amtliche Einführung und Vermutungswirkung privater technischer Regelwerke, - Zielfestlegungen der Bundesregierung für freiwillige Anforderungen zur Risikovorsorge, - die öffentliche Bekanntgabe von Selbstverpflichtungen, - normersetzende Verträge zwischen Bundesregierung und Verbänden mit der Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung durch den Staat,

46 Umfassend dazu Kloepjer/Elsner, Selbstregulierung im Umwelt- und Technikrecht, in: DVBI. 1996, 964 ff. 47 Zum folgenden dies., DVBI. 1996,964 (970ff.).

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- öffentlich-rechtliche Umweltschutzverträge im nachbarschaftlichen Bereich, - die beschränkte Zulassung von Umweltschutzkartellen und - die Bildung von öffentlich-rechtlichen Umweltgebietsverbänden mit Satzungsautonomie. Insgesamt wird so eine Stärkung des "selbstverwalteten Umweltschutzes" und letztlich der ökologischen Selbst-Beherrschung im Umweltstaat durch eine Ausweitung privater Normsetzung im Umweltbereich angestrebt. Damit soll das Eigeninteresse an Normformulierung und Normbefolgung geweckt, sowie privater Sachverstand mobilisiert und nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig soll der Staat im Hinblick auf seine Normierungs- und Aufsichtsaktivitäten entlastet und weitgehend auf eine Mißbrauchskontrolle beschränkt werden. Schließlich soll mehr Umweltschutzeffizienz durch stärker differenzierte und lokalisierte Umweltschutzanforderungen ermöglicht werden. 4. Ausblick Die Erkenntnis des für die Technik ambivalenten, begünstigenden wie belastenden Doppelcharakters des Technikrechts wird zwar aus dem unbeliebten Juristen in diesem Bereich keinen beliebten Juristen machen. Es kann aber Grundeinstellungen von Politik und Wirtschaft zum Technikund Umweltrecht verändern. Dabei ist manche krasse Fehleinschätzung der derzeit geführten - grundsätzlich nicht unberechtigten - Standortdebatte zu korrigieren. Die Vorstellung, je weniger Umwelt- und Technikrecht es gäbe, desto mehr Technikentfaltung sei möglich, ist schlicht falsch. Es geht nicht um die Beseitigung, sondern um die optimale (auch Übernormierungen beseitigende) Gestaltung von Umwelt- und Technikrecht. Es wäre eine kapitale Fehleinschätzung in der Debatte um den Standort Deutschland, wenn man meinte, wenig Technik- und Umweltrecht sei gleichbedeutend mit viel Technik und viel Wirtschaft. Wenn wir aus der Wiedervereinigung und aus der desolaten Situation der DDR etwas über das Recht lernen konnten, dann dies: Ohne eine wirksame Rechtsordnung, ohne eine effektive normative Infrastruktur ist ein effektives Wirtschaftswachstum verbunden mit der breiten Umsetzung moderner Technik nicht zu realisieren. Insoweit gehört das Recht zu den unverzichtbaren Voraussetzungen der Entwicklung und Entfaltung von Technik in modemen Industriegesellschaften.

11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Zum Grundrecht auf Umweltschutz* I. Das Umweltgrundrecht als Problem 1. a) "Wo sonst in der Bundesrepublik Deutschland die begrünte Umwelt beginnt, endet sie in Berlin-West, stößt der Berliner Bürger auf Mauern und Stacheldraht. Für ihn hat die Erhaltung von Natur und Erholungsflächen eine hohe sozialphysische und sozialpsychische Bedeutung, die unter dem Blickwinkel des Belastungsausgleiches auch einen gewissen Rechtswert gewinnt." Diese politisch-brisanten Sätze stammen aus der Rechtsprechung, d. h. von Richtern des Oberverwaltungsgerichts in Berlin einer einzigartigen Stadt, die eben auch das besonders klar und bewußt macht: Die großen politischen Probleme der Gegenwart - wie u. a. der Umweltschutz - lassen sich in Deutschland nie völlig isoliert von der nationalen Frage sehen. Mit seiner hier ausschnittweise zitierten Entscheidung zur Rodungsgenehmigung für das geplante Kraftwerk Oberhavel 1 hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidungen der Vorinstanz 2 im Ergebnis bestätigt und wegen der damit verbundenen Verzögerung des Kraftwerksbaus die um die Energieversorgung Berlins besorgte politische Führung in dieser Stadt vor große Schwierigkeiten gestellt. Das Gericht benutzt die genannten Formulierungen zur Begründung für seine Ansicht, daß "jeder weitere schwerwiegende Eingriff' in Natur und Erholungsflächen "den einzelnen Bürger von BerlinWest in seinen durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 1 BNatSchG geschützten rechtlichen Interessen" getroffen wird. Der von Politikern verkündete Weg Berlins zur Normalität wird damit im juristischen Bereich jedenfalls durchkreuzt. Die Zuerkennung eines investitionshemmenden ledermannrechts im Sinne eines Quasirechts auf Erhaltung von Natur und Landschaft für jeden einzelnen der 2 Millionen Westberliner bedeutet - derzeit - juristische Anomalität im Vergleich mit den anderen Bundesländern.

* Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 18. Januar 1978. - Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Schriftenreihe der Berliner Juristischen Gesellschaft Heft 56, 1978. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Verlag Walter de Gruyter, Berlin. I Urt. vom 2. 5. 1977, OVG 11 B 2.77, DVBI. 1977, S. 901 (902), NJW 1977, S. 2283 (2285); zustimmend Christoph Sening, BayVBI. 1978, S. 205 f. 2 VG Berlin, Urt. vom 14. 12. 1976, VG XIII A 419.76, DVBI. 1977, S. 353; Urt. vom 15. 12. 1976, VG I A 447.76.

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

b) Zwar hat das Verwaltungs gericht München 3 in der bekannten Gerichtsentscheidung im Hinblick auf eine Bebauungsplanung für ein Landschaftsschutzgebiet das Klagerecht von Personen bejaht, die in dem fraglichen Gebiet nicht wohnten, sondern sich dort nur erholen wollten. Indessen erklärt sich diese Entscheidung wohl primär aus den Besonderheiten der Bayerischen Verfassung, die in Art. 141 Abs. 3 Satz 1 den "Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide ... jedermann gestattet". Trotz dieser weitgehenden Vorschrift haben jedoch weder der Bayerische Verwaltungsgerichtshot noch das Bundesverwaltungsgericht5 die Entscheidung des Verwaltungs gerichts München bestätigt. Während dabei aber der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen Abwehranspruch gegenüber Natur- und Landschaftseingriffen aus Art. 2 Abs. 1 GG unter besonderen Umständen nicht für gänzlich ausgeschlossen hält, scheidet die Argumentation über Art. 2 Abs. 1 GG für das Bundesverwaltungsgericht aus. Dieses sieht lediglich die allgemeine Möglichkeit zu einer auch auf Art. 2 Abs. 2 GG stützbaren Quasi-"Nachbarklage", wobei es selbst auf die sich hieraus ergebenden Abgrenzungs- und Anwendungsschwierigkeiten hinweist. In diesem Zusammenhang stellt das oberste Gericht der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1977 fest, daß es ein "Umweltgrundrecht nicht gibt". Der IV. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt damit eine bereits im Jahre 1975 vom VII. Senat6 getroffene Feststellung, wonach sich aus dem Grundgesetz ein "Grundrecht auf ein Leben in menschenwürdiger oder unschädlicher Umwelt" nicht herleiten läßt. Insoweit darf mit Spannung erwartet werden, ob das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Rechtsprechung bleibt, wenn es sich einmal mit der geschilderten Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin auseinanderzusetzen haben wird. Mit den erwähnten Entscheidungen ist allerdings erst ein Teil der Thematik des Umweltgrundrechts skizziert worden: der des geltenden Rechts. 2. a) Daneben gibt es im Anschluß an internationale und ausländische Vorbilder7 eine Reihe von rechtspolitischen Forderungen in der Bundesrepu3 Urt. vom 13. 12. 1973, M 281 III 73, BayVBI. 1974, S. 198,226, mit zustimmender Anm. von Peter C. Mayer-Tasch, BayVBI. 1974, S. 230f. 4 Urt. vom 11. 6. 1975, 4 IX 74, DVBI. 1975, S. 665 = BayVBI. 1976, S. 83 5 Urt. vom 29. 7. 1977, IV C 51.75, DVBI. 1977, S. 897 = NJW 1978, S. 554; ablehnend hierzu jetzt Christoph Sening, BayVBI. 1978, S. 205 f. 6 Beschl. v. 25. 6. 1975, VII B 84.74, Buchholz 11 Art. 1 GG Nr. 6, S. 1 f. = DÖV 1975, S. 605. 7 Siehe allgemein dazu etwa Dietrich Rauschning, Weber-Festschrift, 1974, S. 719 ff.; speziell zu entsprechenden Forderungen in der Schweiz und den USA: Michael Bothe!Eckhart Stein, ZaöRV 34(1974), S. 351 ff., sowie z. B. Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 289ff.; Hans-Ulrich Müller-Stahel, Schweiz. JZ 1971, S. 153ff.

Zum Grundrecht auf Umweltschutz

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blik nach der Einführung eines Umweltgrundrechts 8 . Diese Vorschläge beschränken sich nicht nur auf Vorstöße im gesellschaftlichen Raum und im Schrifttum 9 , sondern werden vor allem von der Regierung selbst betrieben. So ist im "Umweltprogramm" der Bundesregierung von 1971 10 eine Überprüfung des Projekts eines Umweltgrundrechts in der Bundesrepublik angekündigt (und das Eintreten für die Aufnahme eines Rechts auf eine bessere Umwelt in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen deutlich begrüßt) worden. In seiner Regierungserklärung von 1973 sprach der frühere Bundeskanzler Brandt ausdrücklich davon, daß "den Menschen insgesamt ein elementares verfassungsmäßig abzusicherndes Recht auf eine menschenwürdige Umwelt" zukomme I I. Der damalige Bundesinnenminister Genscher nahm diese Forderung ausdrücklich auf12 . Auch maßgebliche Gliederungen der Koalitionsparteien 13, der Sachverständigenrat für Umweltfragen l4 und der Arbeitskreis für Umweltrecht l5 forderten ein Umweltgrundrecht. Die Konferenz der Umweltminister des Bundes und der Länder sprach sich dagegen lediglich allgemein für eine verfassungsrechtliche Verankerung des Umweltschutzes aus l6 . Während der amtierende Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung von 1974 die Forderung nach einem Umweltgrundrecht unerwähnt ließ, nahm sie der derzeitige Bundesinnenminister Maihofer ausdrücklich wieder auf17 . Der Umweltbericht '76 der Bundesregierung sieht dagegen die verfassungsrechtliche Verankerung des Umweltschutzes nur noch in Form einer Staatszielbestimmung vor l8 . Daneben gibt es einige Parallelforderungen in den Bundesländem l9 . 8 Vgl. dazu und zum folgenden besonders Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 11 ff. 9 Siehe dazu Anm. 22. IO BTag Drs. VII271O, S. 9f., auch abgedruckt als: Umweltschutz. Das Umweltprogramm der Bundesregierung, 1972, S. 42. 11 BTag, Steno Ber., 7. Wahlperiode, S. 127 D. 12 Bulletin der BReg 1973, S. 305 ff. 13 Vgl. z.B. "Die Freiburger Thesen der Liberalen", 1972, S. 109f., sowie die Thesen des Arbeitskreises Sozialdemokratischer Juristen zur "Kriminalisierung der Umweltzerstärung", abgedruckt in ZRP 1972 S. 76. 14 Umweltgutachten 1974, 1974, S. 173. 15 Beschl. vom 11. 3. 1974, abgedruckt bei Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 80ff. 16 Umwelt, Informationen des Bundesministers des Innem zur Umweltplanung und zum Umweltschutz, 39/t975, S. I. 17 Umwelt, Informationen des Bundesministers des Innem zur Umweltplanung und zum Umweltschutz, 32/1974, S. I ff. 18 BTag Drs. 7/5684, Tz. 110; auch abgedruckt als Umweltbericht '76. Fortschreibung des Umweltprogramms der Bundesregierung vom 14. Juli 1976, 1976, Tz. 110. 19 Vgl. Z. B. in Baden-Württemberg: Initiativgesetzentwurf der FDP/DVP, BTag Drs. 6/115 (siehe unterdessen Art. 86 Bad.-Württ. Verf. i.d.E. vom 10. 2. 1976, 9 Kloepfer

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

b) Gerade die starke Regierungsbeteiligung an der Forderung nach einem Umweltgrundrecht macht den StaatsrechtIer außerordentlich sensibel und vorsichtig, denn sein professioneller Ansatz ist die Sicht der Verfassung auch als festgeschriebenes Mißtrauen gegen die Regierung. Er wird deshalb bei den exekutiven Forderungen nach einem Umweltgrundrecht nicht ohne Bedenken fragen, ob hier die Regierung wirklich sich selbst im Sinne des traditionellen Grundrechtsdenkens zusätzliche verfassungsrechtliche Beschränkungen auferlegen oder ob sie sich in Wahrheit nicht neue Handlungsbefugnisse verschaffen will. Ist dies tatsächlich nur ein bürgerbezogenes Seid-Nett-Zueinander, eine weise Selbstbeschränkung der Regierung oder wenigstens nur eine Refonn der Worte, die nichts kostet, aber auch nichts bringt? Oder verbergen sich dahinter handfeste politische Interessen - von der Ruhigstellung eigener Parteiflügel bzw. Koalitionspartner sowie der Vorbereitung plakativer Erfolgsbilanzen der Regierung in Sachen Umweltschutz über die gewissennaßen grundrechtliche Stärkung der Umweltschutz-Administration im Kompetenzgerangel bis hin zum realen Legitimationsgewinn und echten Machtzuwachs des umweltschützenden Staates? 3. a) Bei einer derartigen grundSätzlichen Betrachtung besteht allerdings von vornherein die Gefahr einer starken Pauschalisierung der Bewertung der sich um ein mögliches Umweltgrundrecht rankenden verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Problematik. Hier gilt besonders deutlich der Satz, daß die wichtigste Voraussetzung der tragfähigen verfassungsrechtlichen Erkenntnis ihre Differenzierung ist. Das bedeutet für das Problem des Umweltgrundrechts zunächst eine Ausscheidung der Frage, ob es einen grundrechtsabgeleiteten Anspruch auf Vollzug des geltenden Umweltschutzrechts 20 gibt, obwohl ein derartiger Vollzugsanspruch im Ergebnis weitgehend einem Umweltgrundrecht gleichkommt, das unter dem Vorbehalt gesetzgeberischer Konkretisierung steht. Trotzdem bleibt es ein wesentlicher Unterschied, ob ein subjektives öffentliches Recht unmittelbar auf der Verfassung beruht und an deren Gewährleistungskraft teilhat, oder ob es akzessorisch an jeweils änderbares einfaches Recht knüpft. Für das eigentliche Thema des Umweltgrundrechts ist nicht nur eine Unterscheidung nach geltendem21 oder erst zu schaffen[GBI. S. 98]); sowie in Schleswig-Holstein: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landessatzung, BTag Drs. 61132; beide Entwürfe sind abgedruckt bei Heinhard Steiger, a.a.O. (Anm. 8), S. 77f., 83f.; vgl. ferner für Rheinland-Pfalz die SPDInitiative, LTag Drs. 7/2322. 20 Siehe dazu insbesondere Christian Sailer, DVBI. 1976, S. 530ff. ("Umweltrecht als Schutz von Grundrechtsvoraussetzungen"). 21 Für die Ab1eitbarkeit eines Grundrechts auf Umweltschutz aus dem geltenden Verfassungsrecht: Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 290f.; Hildegard Niemöhlmann, in:

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dem 22 Recht erforderlich, sondern auch die Abschichtung danach, ob ein echtes Grundrecht oder bloße Verfassungsmaximen (Staatszielbestimmungen, Verfassungsaufträge)23 zur Diskussion stehen. Vor allem aber ist hinv. Münch, Grundgesetz, Bd. I, 1975, S. 87; Hans H. Rupp, JZ 1971, S. 402 ("im Prinzip"); ders. AöR 101 (1976), S. 178; Werner Weber, DVBI. 1971, S. 806; Christoph Sening, BayVBI. 1976, S. 16 (Abwehranspruch gegen rechtswidrige Eingriffe in Naturschönheiten), ders., BayVBI. 1978, S. 205 f.; wohl auch: Eckhard Rehbinder, ZRP 1970, S. 252; Thomas Wälde, AÖR 99 (1972), S. 623 f.; weitgehend auch: Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 33 ff.; sowie Schlesw.-Holst. VG, Urt. vom 20.9. 1974, IO/A 111174, JR 1974, S. 130f. (,,Anspruch auf Freibleiben vor venneidbaren Belastungen"); dagegen: BVerwG (Anm. 5, 6); Wolfgang Martens, Ipsen-Festschrift, 1977, S. 451; Franz Mayer, BayVBI. 1975, S. 665; Peter-Christoph Stonn, Agrarrecht 1974, S. 185; wohl auch Wolfgang Loschelder, ZBR 1977, S. 340f.; Carl-Hernnann Ule, DVBI. 1972, S. 438; wohl auch (noch): Hans Peter Ipsen, Panzer im Naturschutzpark, 1975, S. 47f., m.w.N.; gegen die Ableitung eines Grundrechtsanspruchs auf umfassenden Umweltschutz: Joachim Baltes, BB 1978, S. 131 (freilich für Abwehrmöglichkeiten aus einzelnen Grundrechten); nur eine akzessorische Ableitung aus bestehenden Grundrechten im Sinne des Umweltschutzes als Sicherung der Grundrechtsvoraussetzungen befürwortet Michael Kloepfer, Zum Umweltschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 28; auch Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 217ff., argumentiert von vorhandenen Grundrechten her. 22 Für die verfassungsändernde Einführung eines Umweltgrundrechts: im Schrifttum (neben den einschlägigen politischen Vorstößen; siehe dazu oben S. 9 f.) besonders Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, passim, bes. S. 62ff., 73 f.; ferner Helmut Külz, DVBI. 1975, S. 189ff.; Peter Häberle, VVDStRL 30, S. 100, Anm. 245; allgemein für die "verfassungsrechtliche Bekräftigung eines im Bürgerinteresse betriebenen Umweltschutzes" (unter gleichzeitiger Festschreibung einer Umweltpflicht) noch Michael Kloepfer, Zum Umweltschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 29; diese pauschale Einschätzung wird aufgegeben; dagegen: Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 558 (bes. S. 591); Günter Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 1977, Art. 3 Abs. I, Rn. 375, Anm. 1; Hans H. Klein, Weber-Festschrift 1974, S. 643 ff. (bes. S. 660); Peter Christoph Stonn, Agrarrecht 1974, S. 185; kritisch auch Ernst Friesenhahn, 50. DJT, 1974, G 22ff.; Martin Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 145f.; Hennann Soell, WiR 1973, S. 87ff.; skeptisch auch Wolfgang Martens, Ipsen-Festschrift, 1977, S. 451. Gegen die gegenwärtige Einführung eines internationalen Rechts auf Umweltschutz: Dietrich Rauschning, Weber-Festschrift, 1974, S. 719ff. (bes. S. 733). 23 Für die Ableitung eines objektiven Umweltschutzprinzips aus dem geltenden Verfassungsrecht: Werner Weber, DVBI. 1971, S. 806 (Verfassungsauftrag); in diese Richtung wohl auch losef Kölble, DÖV 1977, S. 3; für das Sozialstaatsprinzip als allgemeine Grundlage staatlicher Umweltschutzverantwortung Hennann Soell, WiR 1973, S. 84ff.; gegen die Ableitung eines Umweltschutzprinzips aus der Verfassung: Carl-Hermann Ule, DVBI. 1972, S. 438. Für die verfassungsändernde Einführung eines objektiven Verfassungsauftrages vgl. neben den einschlägigen politischen Vorschlägen (siehe dazu S. 9f.): Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 588; Peter-Christoph Stonn, Agrarrecht 1974, S. 185f.;

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sichtlich etwaiger grundrechtlicher Gehalte danach zu differenzieren, ob ein Abwehrrecht24 und bzw. oder auch eine institutionelle Garantie, ein Leistungsgrundrecht25 , ein soziales Grundrecht 26 oder ein Beteiligungsgrundrecht27 erörtert werden soll. b) Hieraus ergeben sich Konsequenzen für den Aufbau der folgenden Überlegungen. Der Darstellung des Modells eines Umweltgrundrechts muß die Prüfung folgen, ob dem geltenden Verfassungsrecht ein derartiges Grundrecht zu entnehmen ist und - falls nein - ob es in das Grundgesetz eingeführt werden sollte. 4. Bevor jedoch eine solche Differenzierung ansetzen kann, ist zunächst zu klären, ob eine intakte Umwelt überhaupt Gegenstand rechtlicher Gewährleistung zu sein vermag. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um ein mögliches Auseinanderfallen von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, sondern vielmehr um die Absteckung des Terrains verfassungsrechtlicher Normierbarkeit. Hierbei steht fest, daß ein gesundes Ökosystem selbst nicht garantiert werden kann, sondern letztlich nur menschliches Verhalten (auch und gerade von Amtsträgern) und zwar mit Geboten, etwas zu tun oder zu unterlassen, um eine intakte Umwelt zu erhalten oder wiederherzustellen. Die natürliche Umwelt folgt Naturgesetzen und nicht staatlichen Gesetzen. In prägnanterer Form noch als bei der Frage nach der Wirtschafts- oder Kulturverfassung - immerhin durch menschliches Handeln dagegen: Martin Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 131 f.; skeptisch auch Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 67 ff. 24 Zum abwehrrechtlichen Gehalt eines Umweltgrundrechts vgl. etwa Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 590f.; Martin Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 146; Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291 f.; Heinhard Steiger Mensch und Umwelt, 1975, S. 39 ff. - auf die Abwehrgehalte der herkömmlichen Grundrechte gegenüber Umweltschäden weisen z. B. deutlich Joachim Baltes, BB 1978, S. 131; Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 218; sowie Heinhard Steiger, a. a. 0., hin. 25 Zum leistungsrechtlichen Aspekt eines Umweitgrundrechts vgl. z. B. Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 589f. (daselbst als soziales Grundrecht bezeichnet); Hans H. Klein, Weber-Festschrift, 1974, S. 648ff.; Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 292f.; Rupert Schoh, JuS 1976, S. 234; Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 6Off. 26 Nicht selten werden der leistungsgrundrechtliche und der sozialgrundrechtliche Aspekt nicht getrennt, so daß die Begriffe Leistungsgrundrecht und soziales Grundrecht synonym gebraucht werden, so z. B. Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 589 f.; vom Wortlaut ähnlich, aber in der Sache genau differenzierend: Rupert Schoh, JuS 1976, S. 234; - zum hier geübten Sprachgebrauch siehe unten S. 23 f. Allgemein zu sozialen Grundrechten, die keine Leistungsansprüche sind, vgl. etwa Georg Brunner, Zur Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 5. 27 Vgl. dazu zuletzt etwa Walter Schmidt, DÖV 1976, S. 581; allgemein zu einem auch verfahrensrechtlichen Verständnis der Grundrechte im Leistungsstaat siehe Peter Häberle, VVDStRL 30, S. 86ff.

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geschaffene soziale Phänomene - werden hier unüberschaubare Grenzen der Verfassung bewußt. Das Verfassungsrecht selbst kann als Rechtsregelung nicht Flugzeuge geräuscharm fliegen lassen, Industrieabgase unschädlich machen, "umgekippte" Gewässer wieder mit Leben erfüllen oder Erosionsflächen begrünen. Es kann allenfalls vom Staat und möglicherweise in zweiter Linie auch von Privaten Maßnahmen fordern, um derartige Umweltziele zu erreichen. Ob und welche Maßnahmen daraufhin ergriffen werden und ob diese dann wirklich erfolgreich sind, ist damit noch keineswegs ausgemacht. Die Verfassung ist eben nicht eine säkularisierte Form des Allmächtigen. Diese Einsicht in die begrenzte Wirkkraft der Verfassung (auch als Garantie einer ungefährdeten Umwelt) wird nicht selten vor allem bei Nicht-Juristen herbe Enttäuschung auslösen. Dennoch kann tragfähiges Verfassungsvertrauen der Bevölkerung nur entstehen, wenn die Möglichkeiten der Verfassung nüchtern eingeschätzt und genutzt werden. Die Verfassung darf auch im Hinblick auf ein Umweltgrundrecht keine Hoffnungen erwekken, die sie nicht einlösen kann 28 ; die Folge wäre enttäuschtes Vertrauen und ein Dahinwelken des Verfassungssinns in der Bevölkerung. Gerade mit diesem schwerwiegenden Einwand wird sich die Forderung nach dem Umweltgrundrecht immer wieder auseinandersetzen müssen. Dies um so mehr, als schon bei den unumstrittenen Grundrechten jedenfalls bei NichtJuristen die schwer zu beseitigende Neigung besteht, nur den Grundrechtstatbestand und nicht auch die Grundrechtsschranken zu sehen. Gerade bei einem möglichen Umweltgrundrecht wäre diese Folge im Zusammenhang mit der verbreiteten Emotionalisierung bei nicht wenigen Bürgerinitiativen für den Umweltschutz 29 verhängnisvoll. Ist durch die Verfassung selbst also eine heile Umwelt nicht absicherbar, so müssen folgerichtig alle individuellen Teilhabeerwartungen entsprechend herabgeschraubt werden. Es können subjektive Rechte nur im Hinblick auf umweltbezogene Maßnahmen des Staates geschaffen werden. Auch hier ist vor überspannten Erwartungen zu warnen. So wie es keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Glück geben kann, so wenig gibt es ein Grundrecht auf grünes, sprich ökologisches Glück. Die Verfassung kann immer nur Voraussetzungen einer intakten Umwelt garantieren, nicht aber die intakte Umwelt selbst.

28 Auf die Gefahr unerfüllbarer Erwartungen bei Einführung eines Umwelt grundrechts weist auch Hans H. Klein, Weber-Festschrift, 1974, S. 657, hin. 29 Ein Grund für diese Emotionalisierung dürfte darin liegen, daß Umweltschutzforderungen häufig in einer Sehnsucht nach verinnerlichtem Glück durch Ursprünglichkeit gründen (vgl. dazu Michael Kloepfer, Evangelisches Staats lexikon, 1975, Sp. 2652). Bei extremen Randgruppen liegt der Grund im Systemhaß.

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

11. Das Umweltgrundrecht als Modell 1. Bei der Erörterung des Umweltgrundrechts als Modell stellt sich daher zunächst die Frage: Wie können diese Voraussetzungsgewährleistungen für die Umwelt nun in Fonn grundrechtlicher Garantien aussehen? Hierbei soll zwischen fünf denkbaren Konzeptionen und zwar abwehrrechtlicher, institutioneller, sozialgrundrechtlicher, leistungsrechtlicher und aktiv-teilhaberechtlicher Art unterschieden werden, wobei diese Gehalte allein oder kumulativ auftreten können. Die sich bei dieser Differenzierung ergebenden Möglichkeiten der Grundrechtsgestaltung durch den Verfassungsgeber oder aber auch durch den Grundrechtsinterpreten sind außerordentlich mannigfaltig.

2. a) Die Konzeption des Umweltgrundrechts als Abwehrrecheo scheint sich der traditionellen liberalen Grundrechtssicht am stärksten anzupassen. Doch würde eine solche mehr als vordergründige Kategorisierung in markanter Weise ungeschichtlich sein. Dem Liberalismus war zunächst das Problem des Umweltschutzes selbst ja weitestgehend unbekannt. Vor allem aber widerspricht liberalem Verfassungsdenken die hinter der Konzeption des Umweltschutzes als staatliche Angelegenheit stehende weitreichende, fast schon totale Vorstellung moderner Staatsaufgaben. Der heutige Staat übernimmt in Abkehr vom Liberalismus auch die Verantwortung für Steuerungsvorgänge innerhalb der Gesellschaft und jetzt sogar - wie sich an seinen Umweltschutzadministrationen zeigt - auch für das Funktionieren der natürlichen Ökosysteme. b) Letzten Endes weist der Staat durch sein zunehmend enger gewobenes Umweltschutzrecht dem einzelnen seinen Teil an natürlichen Umweltgütern zu. Umweltschutzrecht ist also insoweit eben auch Bewirtschaftungsrecht. Die - gemessen an den hohen Umweltkonsumerwartungen - knappen Umweltgüter werden durch unterschiedlichste Instrumentarien zugeteilt. Dies geschieht z. B. durch staatliche Erlaubnis- und Verbotszuständigkeiten in Fonn von Verwaltungsakten (einschließlich der Möglichkeit für kostenverursachende Nebenbestimmungen), durch lenkende Umweltschutzabgaben zur Internalisierung sozialer Zusatzkosten 31 , oder durch die Einräumung zivilrechtlicher Klage- und Schadensersatzmöglichkeiten etc. 32 Diese Sicht des Umweltschutzrechts als Bewirtschaftungsrecht zeigt, daß die Übertragung des status negativus auf die Problematik des UmweltgrundSiehe dazu Anm. 24. Vgl. dazu z.B. Michael Kloepfer. DÖV 1975, S. 593ff.; allgemein zur Internalisierung sozialer Kosten im Umweltschutz: Thomas Wälde. AöR 99 (1972), S. 598ff. 32 Vgl. dazu Thomas Wälde. AöR 99 (1972), S. 614f. 30

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rechts letztlich auf einer historischen Entwurzelung der liberalen, der Freiheitsidee verpflichteten Grundrechtsdogmatik beruht. c) Davon abgesehen, ergibt sich folgendes: Als Abwehrrecht läßt sich ein Umweltgrundrecht im Rahmen herkömmlicher Grundrechtskonstruktionen nur vorstellen als Recht auf Abwehr von Umweltschäden und -gefahren im Sinne eines Eingriffsverbotes, das lediglich im Rahmen zulässiger Grundrechtseinschränkungen durchbrochen werden darf. Dabei bestehen die Schwierigkeiten weniger in der grundSätzlichen Eingriffsproblematik, als vor allem in der abwehrrechtlichen Einbeziehung auch von Umweltgefahrdungen, d. h. in der Eingriffsqualifikation erst drohender Eingriffe. Auch die grundrechtliche Erfassung gerade bloß faktischer Beeinträchtigungen, z. B. durch Immissionen der öffentlichen Hand 33 - also nicht echter Rechtseingriffe - sollte keine grundSätzlichen Schwierigkeiten mehr bereiten. Notfalls bleibt die Argumentationsbrücke über die in faktische Beeinträchtigungen hineinlesbaren, konkludent ausgesprochenen Duldungsgebote gegenüber den Bürgern. Die Schwierigkeiten der abwehrrechtlichen Konzeption dürften vielmehr in Fragen 1. der Grundrechtsberechtigung, 2. der Grundrechtsverpflichtung und 3. der Abgrenzung hinnehmbarer Umweltbelastungen liegen. d) Die Frage nach der Grundrechtsberechtigung rührt an einen der neuralgischsten Punkte der Diskussion um das Umweltgrundreche 4 . Dabei soll hier von dem zusätzlichen Problem eines u. U. möglichen Auseinanderfallens von materieller Rechtsverbürgung und prozessualer Rechtsverfolgungsbefugnis abgesehen werden 35 . Welchen Rechtssubjekten soll also die individuelle grundrechtliche Rechtserzwingungsmacht gegeben werden, um das verfassungsstarke Eingriffsverbot durchsetzen zu können? Gerade weil angeblich bei der Verknüpfung von Umweltanliegen mit herkömmlichen Grundrechten wie z. B. mit den verfassungsrechtlichen Gesundheits- und Eigentumsgewährleistungen (individuelle?) Umweltinteressen nicht ausreichend wahrnehmbar sein sollen, ist ja u. a. die Forderung nach einem Umweltgrundrecht entstanden. Letztlich wird unter dem speziellen Aspekt des Umweltgrundrechts das allgemeine, heftig umstrittene Problem der Abgrenzung subjektiver Rechte im 33 Siehe dazu allgemein z.B. Hans-Jürgen Papier, NJW 1974, S. 1797ff., m.w.N. 34 Siehe zur individuellen Berechtigung bei einem Umweltgrundrecht etwa Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 591; Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 37 ff.; ferner Christoph Sening, BayVBI. 1978, S. 206; sowie allgemein z. B. Ernst Friesenhahn, 50. DIT, 1974, G 25. 35 Siehe dazu im Hinblick auf die umstrittene Verbandsklage im Umweltschutzrecht z. B. Fe/ix Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, bes. S.7ff.

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Umweltschutzreche 6 berührt. Dem kann hier nicht im Grundsätzlichen, sondern nur bezüglich des Umweltgrundrechts nachgegangen werden. Soll dieses Grundrecht nicht zu einem dem deutschen Rechtsdenken weitgehend fremden umweltschutzbezogenen Anspruch auf objektive Rechtmäßigkeit ohne Individualbeschwer werden, sind nähere Eingrenzungen erforderlich. Selbst die zum breiten Grundrecht auf Rechtmäßigkeit denaturierte Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung in Art. 2 Abs. 1 GG ist stets als Grundrecht auf Rechtmäßigkeit zur Verteidigung eigener Rechtspositionen konzipiert worden 3? Auch hier ist der vor allem in Art. 19 Abs. 4 GG deutlich werdende Grundzusammenhang zwischen subjektiven öffentlichen Rechten und individueller Rechtserzwingungsmacht prinzipiell unangetastet geblieben, eben weil kein Grundrecht auf objektive Rechtmäßigkeit unabhängig von subjektiver Betroffenheit anerkannt wurde. Dies muß auch für das Umweltgrundrecht gelten, das gerade nicht als abstraktes Grundrecht auf Umweltschutz-Rechtmäßigkeit zu denken ist. Wie sind dann nun aber individuelle Positionen auf natürliche Umweltgüter zu konzipieren? Relativ leicht fällt dies dort, wo anderweitige subjektive Rechte auf derartige Umweltgüter bestehen, also etwa Eigentums-, Besitz-, Miet-, Pachtpositionen oder öffentlichrechtliche Nutzungspositionen. Allerdings taucht hier sofort die Frage nach Grundrechtskonkurrenzen - etwa zur Eigentumsgarantie - und letztlich danach auf, warum es dann überhaupt noch eines Umweltgrundrechtes bedarf. Eine weitere Hilfserwägung könnten die vom einfachen Gesetzgeber geschaffenen Umweltrechte sein, z. B. Betretungsrechte nach § 27 Bundesnaturschutzgesetz, § 14 Bundeswaldgesetz oder landesrechtliche Seeufer-Betretungsrechte. Allerdings kann dies nicht die einzige Konkretisierungsmöglichkeit sein, soll das Umweltgrundrecht hinsichtlich seiner Konstituierung nicht völlig gesetzgeberischer Disposition überlassen bleiben. Die entscheidende Frage ist die, inwieweit dem einzelnen an natürlichen Umweltgütern (Wasser, Luft, Landschaft etc.) Individualpositionen eingeräumt werden können und sollen, die dann grundrechtlich schützbar wären. Auch hier geht es also letztlich um die Abgrenzung der durch staatliche Umweltschutzmaßnahmen Betroffenen. Die Hilfsargumentation, Umweltschäden beträfen nur diejenigen, die dadurch in ihrer Gesundheit gefährdet 36 Dazu zuletzt Christian Sailer, DVBI. 1976, S. 521 ff.; ferner Man/red Zuleeg, DVBI. 1976, S. 517. 37 Insoweit hilft Art. 2 Abs. 1 GG für die Lösung des Problems eines Umweltgrundrechts nicht weiter; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 29.7.1977, IV C 51.75, NIW 1978, S. 554 (5550; a. A. z. B. Schlesw.-Holst. VG, Urt. vom 20.9.1974, 10 A 111174, IR 1975, S. 130 (131); Christoph Sening, BayVBI. 1978. S. 205 f. Siehe allgemein zu Art. 2 Abs. 1 GG im hiesigen Problemzusammenhang auch unten S.28.

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werden können, reduziert den Umweltschutz auf seine gewiß wichtige, aber nicht einzige Funktion: die des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes 38 für Art. 2 Abs. 2 GG in der konkretisierten Form des Schutzes von Gesundheitsvoraussetzungen. Ganz abgesehen davon, daß damit das Grundrecht auf Gesundheit beherrschend in den Argumentationsvordergrund tritt (und die Frage nach dem Selbstand des Umweltgrundrechts folgerichtig nach sich zieht), bleiben so die Aspekte der eigentumsgefahrdenden und vor allem der nur den Landschaftsgenuß beschneidenden Umweltschädigungen außer Betracht. Zwar ließe sich hinsichtlich umweltschädigender Eigentumsgerahrdungen erneut mit dem Argumentationsmuster des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes arbeiten - Umweltschutz insoweit als Vorfeldsicherung auch des Eigentums -, wobei auch hier die Schwäche derartiger Argumentationen wiederum übernommen werden müßte. Hinsichtlich mehr ästhetischer Umweltwerte39 - z. B. Landschaftsgenuß freilich hilft das Denken mit den Grundrechtsvoraussetzungen ohnehin nicht weiter, weil es ein (jedenfalls ausdrückliches) Grundrecht auf Naturschönheit oder -genuß im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes - anders als in Art. 141 Abs. 3 Satz 1 Bayerische Verfassung 40 - nicht gibt41 . Seine interpretatorische Ableitung aus dem geltenden Verfassungsrecht begegnet im Prinzip den gleichen Schwierigkeiten wie ein mögliches Umweltgrundrecht selbst. So bleibt nur eine eigenständige Urnreißung der VOn jeweiligen Umweltschädigungen Betroffenen. Unabhängig von möglichen Differenzierungen nach der Art der Umweltbelastung wird hier dem Moment einer gewissen räumlichen Nähe zu der Umweltschädigung eine Indizfunktion zukommen42 . Das gleiche gilt für die Betroffenheit auch anderer Grundrechte. Das Krite38 Zum Grundrechtsvoraussetzungsschutz allgemein: BVerfGE 33, 303 (330f.), und davor Michael Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 15 ff.; zur Verbindung des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes mit dem Umweltschutz vgl. dens., Zum Umweltschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 28; sowie dens., Evangelisches Staatslexikon, 1975, Sp. 2655; Christian Sailer, DVBl. 1976, S. 530ff., benutzt den Gedanken des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes, um hieraus einen weitgehenden subjektiven Anspruch auf Vollzug geltender einfacher Umweltgesetze ableiten zu können. 39 Für die Einbeziehung auch immaterieller Komponenten in einen verfassungsrechtlichen Umweltschutz plädieren z.B. Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 290; Eckard Rehbinder, ZRP 1970, S. 252; Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 21 ff. 40 Zur Frage, ob aus dieser Bestimmung ein Grundrecht auf Naturschutz ableitbar ist, vgl. insbes. Christian Sailer, BayVBl. 1975, S. 405 ff.; Christoph Sening, BayVBl. 1976, S. 72ff., jeweils mit ausführl. Nachw.; sowie zur Gegenposition Kar! A. Bettennann, DVBl. 1975, S. 548 ff. 41 A.A. etwa Christoph Sening, BayVBl. 1976, S. 76; ders., BayVBl. 1978, S. 205 f.

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rium der Nähe dürfte letztlich auch hinter dem argumentativen Ansatz einer Quasi-Nachbarklage stehen, der partiell vom Bundesverwaltungsgericht43 zur Lösung von Rechtsschutzfragen im Umweltrecht gewählt worden ist. Letzten Endes wird hier jedoch immer eine Sonderung der Betroffenen gegenüber der Allgemeinheit nach Eingriffsintensität oder -qualität vorzunehmen sein. Diese Aufgabe führt zwangsläufig zu dem Problem der Abgrenzung zulässiger und unzulässiger staatlicher Einwirkungen auf individuell geschützte Umweltpositionen, worauf alsbald einzugehen sein wird. e) Mit einem umweltschutzbezogenen grundrechtlichen Abwehrrecht lassen sich nur staatliche, nicht aber private Umweltbelastungen abwehren, wobei hier auf die feinen Unterschiede zwischen hoheitlichen und verwaltungsprivatrechtlichen Erscheinungsformen des Staates nicht einzugehen ist. Dieses Manko in der Grundrechtsverpflichtetheit beim Grundrecht auf Umweltschutz durch Aussparung privater Grundrechtsverpflichteter, d. h. in der fehlenden Drittwirkung44 , erweist sich deshalb als besonders schwerwiegend, weil die weitaus meisten Verursacher von Umweltschäden Private sind45 • Dies schließt allerdings staatliche Verantwortung für privat verursachte Umweltschäden keineswegs aus. Der umweltschützende Staat hat möglicherweise die Pflicht, gegen Dritte einzuschreiten. Grundrechtlich ist dies im Sinne eines sichernden Grundrechtsvoraussetzungsschutzes46 am ehesten mit einem leistungsrechtlichen Anspruch des Umweltgeschädigten auf ordnungsbehördliches Einschreiten gegen den Umweltschädiger zu fassen. Dazu später mehr. f) Die letztlich entscheidende Frage ist auch bei einem als Abwehrrecht konzipierten Umweltgrundrecht die Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Einwirkungen des Staates auf (rechtlich dann den Privaten verbürgten) Umweltgüter47 . Hierzu bieten sich - ähnlich wie bei anderen Grundrech42 So z. B. auch Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 38; zum entsprechenden Gedanken bei Abgrenzungen der Klagebefugnis bei Prozessen gegen die Genehmigung von Kernkraftwerken siehe Jürgen Schwarze, DÖV 1973, S. 702; Christian Sailer, DVBl. 1976, S. 531. 43 BVerwG, Urt. vom 29.7.1977, IV C 51.75, NJW 1978, S. 554 (556); in diesem Zusammenhang ist interessant, daß die umstrittene Verbandsklage im Umweltschutzrecht häufig als Fortsetzung der Nachbarklage verstanden wird; siehe dazu Felix Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 2 ff., m. w. N. 44 Zum Problem der Drittwirkung eines Umweltgrundrechts vgl. z. B. Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 590; Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 290f.; Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 64f. (ablehnend). 45 Vgl. z. B. Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 590. 46 Siehe dazu Michael Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 19 f. 47 Siehe dazu etwa die Vorschläge von Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291, und von Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 42.

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ten - vornehmlich zwei Ausgrenzungsfonnen an: die quantitative und die qualitative. Die quantitative Ausgrenzung zulässiger staatlicher Einwirkungen dient vor allem dazu, bloße Grundrechtsbelästigungen, d. h. Bagatellbehinderungen, nicht an den Grundrechtsschranken messen zu müssen. Auch trotz der allgemein zu beobachtenden Auflösung der Eingriffsfigur wird eine gewisse Intensität der Grundrechtsbelastung zu fordern sein, um hierin eine wirkliche Grundrechtsbeschränkung erkennen und sie an den teilweise außerordentlich subtilen Schrankenkonstruktionen der Verfassung bzw. ihrer Interpreten messen zu können. Da die verfassungsrechtlich relevante Grundrechtseinschränkung erst bei einer gewissen, allerdings nicht zu hoch anzusetzenden Belastungsintensität beginnt, erfüllt die grundrechtliche Bagatellbeeinträchtigung von vornherein nicht den Grundrechtstatbestand. Das ist nicht mit der zum ähnlichen Ergebnis führenden Vorstellung der Sozialadäquanz zu verwechseln, deren Anwendung im Grundrechtsbereich nicht unproblematisch ist. Die Bagatellbeeinträchtigung ist kein - wie auch immer - gearteter Grundrechtseingriff, das Grundrecht als Eingriffswehr ist tatbestandlich nicht berührt48 . Gibt das Grundrecht auf Umweltschutz einen Abwehranspruch gegenüber Umweltschädigungen und -gefährdungen, so ist es bereits tatbestandlich durch bloße Bagatellbelastungen (unterhalb derartiger Schädigungen und Gefährdungen) überhaupt nicht angesprochen49 . Daran vennag auch die Überlegung nichts zu ändern, daß die Summierung vieler Bagatellbelastungen eine erhebliche Umweltgefährdung bewirken kann, denn bei einem Grundrecht als Abwehrrecht geht es um eine Betrachtung einer wie auch immer abzugrenzenden Belastung der Individualsphäre. Zu einem anderen Ergebnis könnte unter dem Aspekt der Breitenwirkung die noch zu erörternde institutionelle Grundrechtssicht beim Umweltgrundrecht führen. Mit der gelegentlich zu wenig beachteten notwendigen Intensitätsschwelle von Grundrechtseingriffen wird die Diskussion um das Umweltgrundrecht beträchtlich entlastet. Übertriebene Umweltempfindlichkeit gegenüber ökologischen Bagatellbelastungen findet dann im Umweltgrundrecht keine Stütze. Allerdings darf die grundrechtliche Irrelevanz von ökologischen Bagatellbelastungen nicht mit gesundheitlichen Leichtberührungen gleichgesetzt werden. Belastende Umweltbeeinträchtigungen, welche 48 Zum allgemeinen Problem der Eingriffsqualifikation im Hinblick auf Bagatellbelastungen bei der Frage des Grundrechtstatbestandes vgl. Michael Kloepfer, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 409. 49 Dementsprechend ist es richtig, wenn z.B. Joachim Baltes, BB 1978, S. 133, feststellt, daß die bloße Freiheit vor Belästigungen nicht am Schutze des Art. 2 Abs. 2 GG teilnimmt. Zur Intensitätsschwelle bei einem Grundrecht auf Umweltschutz vgl. Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291.

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die menschliche Gesundheit kaum merklich berühren, können zwar nicht den Grundrechtstatbestand des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, wohl aber den eines möglichen Umweltgrundrechts berühren, da auch intensivste Umweltgefährdungen nicht unmittelbar die menschliche Gesundheit berühren müssen. Immerhin gibt die Vemeinung der Grundrechtstatbestandsmäßigkeit bloßer Bagatellbelastungen den Blick für das eigentliche Schrankenproblem des Umweltgrundrechts frei. Unter welchen Voraussetzungen sollen Eingriffe (mit der geforderten Mindestintensität) zulässig sein? Die Zumutbarkeitsgrenze scheint hier doch eher problematisch zu sein 5o , weil u. U. auch intensive, unzumutbare Umweltbelastungen (etwa bei gleichzeitiger Entschädigung) durchaus rechtmäßig sein können. Auch der Hinweis auf höherrangige Rechtsgüter ist recht unbestimmt und bedürfte dringend verfassungsrechtlicher oder doch einfachgesetzlicher Konkretisierung. Immerhin kann das an den Eingriff in das Umweltgrundrecht ansetzbare Verhältnismäßigkeitsprinzip erhebliche Steuerungsqualitäten entfalten. Der Umwelteingriff wird dann als Rechtseingriff in die Mittel-Zweck-Relation des Übermaßverbotes eingespannt und dessen spezifischen Legitimationsund Abwägungsanforderungen unterworfen. Das mit dem Umwelteingriff verbundene Ziel muß also verfassungslegitim, der Eingriff muß geeignet sowie das geringst eingreifende Mittel sein und er darf nicht außer Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen. Das "ökologische Existenzminimum" schließlich wird (schon wegen des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes) regelmäßig unantastbar sein 51 . Insgesamt ermöglicht die modellartige Sicht des Umweltgrundrechts als Abwehrrecht einige wichtige grundrechtliehe Ansatzpunkte, ohne allerdings die einschlägige Problematik ausschöpfen zu können. 3. Das Umweltgrundrecht könnte (zugleich? oder allein) auch als institutionelle Garantie wirksam sein, was sofort in die vielschichtigen Variationen einer institutionellen Grundrechtsdeutung führt. Unterscheidbar sind hier vor allem die rechtlich-institutionellen, die faktisch-institutionellen und die sozial-institutionellen Betrachtungsweisen. 50 A.A. Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291, mit seiner Konzeption des Umweltgrundrechts als "Verbot unzumutbarer Eingriffe in die menschliche Umwelt". 51 So im Ergebnis auch Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 42; vgl. ferner auch Rupert Scholz, JuS 1976, S. 234, der wohl davon ausgeht, daß der Tatbestand eines Umweltgrundrechts sich von vornherein nur auf das "ökologische Existenzminimum" bezieht. Ein solches Grundrecht wäre (als Abwehrgrundrecht) dann grundsätzlich uneinschränkbar. Richtig dürfte die Beobachtung von Hansjörg DeI/mann, DÖV 1975, S. 588, Anm. vor Anm. I - folgend Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 294 - sein, daß die bestehende Umweltschutzgesetzgebung das "ökologische Existenzminimum" bereits weitgehend sichert. Zum "ökologischen Existenzminimum" siehe auch unten S. 27.

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Das Umweltgrundrecht wäre dann - in der rechtlich-institutionellen und damit greifbarsten Variante - insbesondere auch als Garantie eines unterverfassungsrechtlichen Normenbestandes zu verstehen, d. h. vor allem als Garantie des Kernbestandes des geltenden Umweltschutzrechts 52 . Dadurch wird zugleich die veränderungshemmende Kraft einer derartigen Grundrechtskonzeption deutlich. Ist das geltende einfache Umweltrecht wirklich so gelungen, daß es jedenfalls im Kern in Verfassungskraft erstarren sollte? Einem sozial-institutionellen Grundrechtsverständnis kann sich das Umweltgrundrecht nur erschließen, wenn Umweltgenuß als soziale Erscheinung, d. h. als soziale Institution, verstanden wird, was insbesondere in den Ausgestaltungsformen des Umweltgenusses - z. B. Urlaub und Freizeitgestaltung - vorstellbar ist. Auch die Vorstellung eines überindividuellen gesellschaftlichen Effekts des Umweltgrundrechts als objektive Sicherung des Umweltschutzes durch vielfältigsten individuellen Gebrauch, d. h. im Sinne einer tatsächlichen Breitenwirkung, führt in eine institutionelle Betrachtungsweise der Grundrechte und zwar im Sinne faktisch-institutioneller Deutung. Die Schwierigkeiten bestehen hier insgesamt für die Technik der Verfassungsgebung vor allem darin, die institutionelle Deutungsweise festzuschreiben. In einem erst zu schaffenden Grundrecht würden derartige Festschreibungen leicht zu Formulierungen führen, die eher an Staatszielbestimmungen oder Verfassungsaufträge etc. erinnern. Interpretationsweisen lassen sich eben schwerlich zum Grundrechtsinhalt machen. Damit sollen keineswegs die Möglichkeiten einer Grundrechtsinterpretation auch vom einfachen Recht her und gesetzgeberische Funktionen zur Grundrechtskonkretisierung und -organisation unterschätzt werden. 4. Mit dem Einfließen auch institutioneller Grundrechtsgehalte wird endlich bewußt, daß eine Erörterung des Umweltgrundrechts als Modell den großen Schwierigkeiten der laufenden allgemeinen Diskussion um das insbesondere auch leistungs- und teilhaberechtliche Verständnis der Grundrechte 53 und um ihren entsprechenden Ausbau nicht ausweichen kann. Dies zeigt sich insbesondere an der fast schon diskussionsbestimmenden Sicht des Umweltgrundrechts als soziales Grundrecht bzw. als Leistungsgrundrecht oder als Teilhaberecht54 . Teilweise sollen mit diesen Begriffen unter 52 Nicht als Institutsgarantie kann der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als solcher gelten; insoweit ist Ernst Friesenhahn. 50. DJT, 1974, G 25, zu folgen. Trotzdem könnte ein Umweltgrundrecht auch eine institutionelle Garantie in dem hier erörterten Sinne sein. 53 Siehe etwa die Zwischenbilanz bei Ernst Friesenhahn. 50. DJT, 1974, G I fr.; Christian Starck. in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 480ff., jeweils m. w. N.; die eigene Position ist skizziert in Michael Kloepfer. Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 1 ff.

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dem Leitgedanken realer Grundrechtlichkeit durchaus unterschiedliche Aspekte verdeutlicht werden 55 ; häufig ist es aber auch nur ein begriffliches Changieren der gleichen Idee. a) Deshalb soll an dieser Stelle zunächst der eigene Sprachgebrauch offen ge legt werden. Als soziales Grundrecht wird hier ein verfassungshohes Recht verstanden, das dem einzelnen eine Mindestteilhabe an sozialen Gütern garantiert, ohne Rücksicht auf die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten in diesem Bereich, etwa die Rechte auf Arbeit oder auf Wohnung. Derartige soziale Grundrechte gestalten auch die innergesellschaftlichen Beziehungen und können in einem maßgeblich marktwirtschaftlich orientierten System nur durch Inpflichtnahmen Privater realisiert werden oder sie bleiben - wie in der Bundesrepublik - in dem Maße unerfüllt, wie der Staat nicht über diese sozialen Güter verfügt56 . Als Leistungsgrundrecht des status positivus wird ein Grundrecht verstanden, das eine Leistung vom Staat verlangt, sei es in Fonn einer faktischen oder rechtlichen Zuwendung oder auch in Fonn des beanspruchten Eingriffs auf staatliches Handeln gegen Dritte. Soweit soziale Güter sich in staatlicher Verfügungsgewalt befinden, sind die erwähnten sozialen Grundrechte also partielle Leistungsrechte. Als Teilhaberecht dagegen sollen hier nur diejenigen Individualrechtspositionen bewertet werden, die eine Mitentscheidung oder Mitwirkungsposition im Hinblick auf staatliche Entscheidungsfindung garantieren. Dabei sind insbesondere Anhörungs- und Einverständnisanforderungen zu nennen. Hier ist also am ehesten der Bereich des status activus anzusiedeln und damit z.B. auch die Variante des "status activus processualis..57 . Dabei geht es - allgemein gesprochen - vor allem um den Bereich der Partizipation an staatlichen Entscheidungen58 . b) Im Sinne dieser Kategorisierung kann das Umweltschutzgrundrecht dann partiell in der Nähe sozialer Grundrechte gesehen werden, wenn es nicht nur staatsgerichtet verstanden wird, sondern auch als ein innergesellSiehe dazu Anm. 25. Zu den unterschiedlichen übergreifenden grundrechtstheoretischen Konzeptionen vgl. z. B. Emst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. 56 Zu diesem allgemeinen Problem der Verfügungsmacht des Anspruchsgegners über das Anspruchsobjekt bei sozialen Grundrechten vgl. z. B. Georg Brunner, Zur Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 14f. 57 Vgl. hierzu insbesondere das Konzept von Peter Häberle, VVDStRL 3D, S. 86ff. 58 Siehe dazu allgemein Robert Walter und Walter Schmitt Glaeser, VVDStRL 31, S. 147ff., 179ff. 54

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schaftlich wirkendes Recht auf Teilhabe an Umweltgütern, die sich in privater Verfügungsmacht befinden. Damit ist der mögliche Wirkungskreis von vornherein eingeengt: Insbesondere am Umweltgut Luft ist eine derartige Rechtszuordnung an Private oder den Staat noch nicht erfolgt. Unverkennbar ist aber die allgemeine Tendenz hin zur verstärkten staatlich-ordnenden Disposition über die Umweltgüter und damit auch über Luft. Das ist nicht unbedingt ein Trend zur Sozialisierung der Umwelt, weil es größtenteils nicht darum geht, private Anteilsrechte an Umweltgütern zu sozialisieren, sondern um die erstmalige Verrechtlichung bisher weitgehend rechtsfreier Umweltgüter. c) In dem Maße, wie Umweltgüter staatlicher Verfügungsmacht unterstellt werden und schließlich seiner monopolartigen Zuteilungsordnung unterliegen, wird es zu echten umweltbezogenen Leistungsansprüchen in Grundrechtshöhe kommen können. Das ist jedoch nicht die gegenwärtige Rechtssituation, in der - wie erwähnt - viele Umweltgüter (im Gegensatz etwa zu Binnengewässern) weitgehend noch "freie", d. h. nicht bestimmten Rechtssubjekten zugeordnete Güter - ja häufig noch nicht einmal echte Rechtsgüter - sind. Denkbar sind allerdings im Rahmen allgemeiner Beanspruchbarkeit polizeilichen Handeins grundrechtsabgeleitete subjektive Rechte auf behördliches Eingreifen gegen Dritte 59 . Hier wäre dann der Rahmen für die Problemverortung auch der Frage, ob der Staat in öffentlichen Gebäuden etc. zum Nichtraucherschutz durch Rauchverbote verpflichtet wäre und dabei eine grundrechtliche Kollisionslösung vorzunehmen hätte 6o . Ansprüche auf Erlaß von Umweltprogrammen61 und -gesetzen sind dagegen allerdings eher abzulehnen, weil eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Ergreifung konkreter staatsleitender "politischer" Maßnahmen kaum bestehen dürfte. d) Umweltschutzrechtliche Teilhaberechte i. S. von aktivbürgerlichen Mitwirkungsrechten würden erheblichste politische Relevanz haben. Die Bedeutung eines derartigen umweltschutzbezogenen Beteiligungsrechts rührt nicht nur aus der Legitimations- und Befriedungsfunktion von Verfahrensbeteiligungen her. Gerade weil die Abgrenzung eigener Rechte an Umweltgütern so außerordentlich schwierig ist, können Rechte zur VerfahS9 Vgl. dazu Michael Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 6ff.; sowie zuletzt Rudolf Maunz, BayVBI. 1977, S.135ff. 60 Siehe dazu insbes. OVG Berlin, Beschl. vom 18.4.1975, V S 13/75, NJW 1975, S. 2261 f.; Schlesw.-Holst. VG, Urt. vom 20.9.1974,10 111/74; JR 1975, S. 130f.; sowie etwa Rupert Scholz, JuS 1976, S. 234f., und Wolfgang Loschelder, ZBR 1977, S. 337ff., m.w.N. 61 Vgl. Hans Rupp, JZ 1971, S. 403, nach dessen Ansicht die Verwirklichung eines Umweltschutz-Sofortprogramms "eine grundrechtliche Pflicht der staatlichen Gemeinschaft" sein soll.

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rensbeteiligung gewisse kompensatorische Funktionen übernehmen. Allerdings ist dadurch die Frage der Betroffenheit nur entschärft, nicht gelöst. Insbesondere die heftig umstrittene Frage der Beteiligung von Verbänden in umweltschutzbezogenen Verwaltungs-, Gesetzgebungs- und Gerichtsverfahren 62 wird durch ein umweltschutzrechtliches Teilhaberecht als solches noch nicht entschieden. Hier wie in allen übrigen Gestaltungsmöglichkeiten des Umweltgrundrechts gilt, daß die Frage der Grundrechtsberechtigung von Kollektiven ausschließlich nach Art. 19 Abs. 3 GG zu beurteilen ist. Es wäre freilich möglich, daß ein Umweltgrundrecht die Frage der Grundrechtsberechtigung von Kollektiven ausdrücklich speziell regelt. Nähere Differenzierungen sind hinsichtlich einer teilhaberechtlichen Fassung des Umweltgrundrechts, insbesondere nach der Verfahrensart möglich. Dabei wird vor allem zwischen Gerichts-, Verwaltungs- und Rechtsetzungsverfahren zu unterscheiden sein, wobei insbesondere im Gerichtsverfahren die im deutschen Prozeßrecht geltende Regel selbstnütziger (d. h. der Verteidigung eigener Rechte dienender) Gerichtsverfahren beachtet, aber - von der Verfassung her - nicht unangetastet bleiben muß. Weitere Differenzierungen sind vor allem im Hinblick auf die einzelnen Verfahrensarten möglich. So wird es sehr wohl einen Unterschied machen können, ob es sich etwa im Bereich der Verwaltungs verfahren um ein Planfeststellungsverfahren, ein Verfahren zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften oder zum Erlaß von Verwaltungsakten handelt. Im Gesetzgebungsverfahren wird zwischen der echte Rechtsätze schaffenden Gesetzgebung (mit "nonnalen", allgemeinen Gesetzen und Rechtsverordnungen) einerseits und der materiellen Verwaltungstätigkeit in gesetzgeberischer Fonn andererseits (etwa in Gestalt von parlamentarischen Entscheidungen über die Standorte von Kernkraftwerken) unterschieden werden können. Dabei ist wohl grundsätzlich die materielle Verwaltung in gesetzgeberischer Fonn grundsätzlich partizipationsoffener als die klassische, "allgemeine" Gesetzgebung.

111. Das Umweltgrundrecht im geltenden Verfassungsrecht I. Bei der am Grundrechtsmodell dargestellten typisierenden Differenzierung zwischen abwehr-, institutions- und teilhaberechtlichen Gehalten wird klar, wie problematisch pauschale Urteile über das Umweltgrundrecht sein müssen. Dies gilt nicht nur in der später zu erörternden rechtspolitischen 62 Zum Verbandsklagerecht im Umweltschutzrecht siehe zu den unterschiedlichen Grundsatzpositionen etwa: Eckard RehbinderIHans-G. BurgbacherlRolj Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972 (bejahend), und Felix Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975 (verneinend), sowie zuletzt z. B. Walter Schmidt, DÖV 1976, S. 577 ff.

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Hinsicht, sondern vor allem auch für das nun zunächst zu behandelnde Problem der Ableitbarkeit eines Umweltgrundrechts aus dem geltenden Verfassungsrecht63 . Da ein Umweltgrundrecht als solches vom Grundgesetz (im übrigen auch vom Landesverfassungsrecht64 ) nicht erwähnt wird, kann das geltende Verfassungsrecht zunächst nur daraufhin befragt werden, ob Einzelaspekte dieses Grundrechts bereits de constitutione lata verbürgt sind und ob diese Einzelaspekte zwar dann nicht als Grundrecht, wohl aber unter dem vereinheitlichenden Aspekt des individuellen Grundrechtsschutzes im Umweltschutzbereich interpretatorisch-systematisierend zusammengefaßt werden können. Grundsätzlich ist dabei vor allem zwischen abwehr- und leistungsrechtlichen Aspekten zu unterscheiden. 2. Hinsichtlich der abwehrrechtlichen Gehalte kann weitgehend auf die bereits dargelegten Grundrechtsvoraussetzungs- und Grundrechtskonkurrenzerwägungen bei der Modellerörterung verwiesen werden. Wirklich die menschliche Existenz bedrohende Umwelteinwirkungen des Staates, d. h., Eingriffe in ein wörtlich verstandenes "ökologisches Existenzminimum,,65 des Menschen können grundsätzlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (und Art. 1 GG) verhindert werden. Relevant gesundheitsgefährdende oder -schädigende Umwelteinwirkungen des Staates können bereits durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgewehrt werden 66 . Derartige gesundheitsbezogene Umwelteinschränkungen sind nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Da der verfassungsrechtliche Gesundheitsbegriff zunehmend ausgedehnt wird und vor allem auch psychisches Wohlbefinden mitumfaßt 67 , sind damit eine Reihe gravierender Umweltschädigungen abwehrbar. Soweit der Staat Umweltgüter schädigt, die sich im Eigentum oder einem - vom verfassungsrechtlichen Standpunkt aus - eigentumsgleichen Recht eines Privaten befinden, wird Art. 14 GG wesentliche Abhilfe bringen können. Die nicht zugleich lebens-, gesundheits- oder eigentumsgefährdenden Umwelteingriffe sind mit dem bestehenden Grundrechtsinstrumentarium kaum in den Griff zu bekommen; auch nicht etwa mit dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, dem weder ein GrundZum Meinungsstand siehe Anm. 21. Art. 86 der Bad.-Württ. Verfassung umfaßt nach der Änderung vom 10.2.1976 (GBI. S. 98) immerhin eine objektivrechtliche (nicht grundrechtliche) Absicherung des Umweltschutzes; auch Art. 141 Abs. 3 Satz I Bay. Verf. läßt sich nicht als umfassendes Umweltgrundrecht deuten; siehe dagegen wohl z. B. aber Christian Sening, BayVBI. 1976. S. 72ff.; zur davon unterscheidbaren Frage eines in Art. 141 Abs. 3 Satz I Bay. Verf. hineingelesenen Grundrechts auf Naturschutz siehe Anm.40. 65 Siehe dazu Anm. 51. 66 Vg1 hierzu etwa Joachim Baltes. BB 1978,5. 130ff. 67 Siehe z. B. Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975. S. 33 f. 63

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recht auf Umweltgenuß 68 noch ein (gar drittgerichteter) Anspruch auf Fernbleiben vermeidbarer Belästigungen69 unterlegt werden kann. So weit ist die Auffangfunktion von Art. 2 Abs. I GG gewiß nicht, daß ihm ein ganz und gar neues Grundrecht entnommen werden dürfte. 3. Im leistungsrechtlichen Aspekt des Umweltgrundrechts sind dem geltenden Verfassungsrecht lediglich Abhilfemöglichkeiten hinsichtlich einiger Teilaspekte zu entnehmen. a) Sozialgrundrechtliehe Gehalte der Forderung nach einem Umweltgrundrecht können aus dem geltenden Verfassungsrecht nicht abgeleitet werden. Das Grundgesetz entzieht sich - jedenfalls in den hier interessierenden Bereichen - im Rahmen der geltenden Rechtsgüterordnung sozialen Grundrechtspositionen mit den notwendigen entsprechenden Verpflichtungen Privater70 . b) Leistungsfordernde Aspekte des Umweltgrundrechts können partiell der geltenden Verfassung entnommen werden. Im Vordergrund steht der grundrechtsabgeleitete Anspruch auf behördliches Einschreiten gegen umweltschädigendes Handeln Dritter71 , wodurch insbesondere die Schutz lücke des Abwehrrechts teilweise ausgefüllt werden kann, die durch die fehlende Drittwirkung entsteht, d. h. dadurch, daß Umweltschädigungen durch Private mit grundrechtlichen Abwehrrechten nicht bekämpfbar sind. Gleichwohl kann auch der Anspruch auf behördliches Einschreiten gegenüber privaten Umweltschädigungen nicht das wesentliche Problem im Hinblick auf die Ableitung umweltgrundrechtlicher Gehalte aus dem geltenden Verfassungsrecht vergessen lassen, nämlich daß es ein derartiges Umweltgrundrecht als solches - jedenfalls ausdrücklich 68 So aber Heinhard Steiger. Mensch und Umwelt, 1975, S. 35 (für die durch den Umweltschutz nach seiner Auffassung auch geschützte geistig-seelische Komponente des Daseins) und zuletzt insbesondere Christoph Sening. BayVBI. 1978, S. 205 f., m. w. N. (mit scharfer Kritik vor allem an der Schutznormtheorie zur Abgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Klagebefugnis); kritisch zur Ableitung aus Art. 1,2 Abs. I, 2 GG Carl-Hermann Ule. DVBI. 1972, S. 438. Die Ableitung eines Abwehranspruchs aus Art. 2 Abs. I GG gegen die Beseitigung eines Waldstücks verneint BVerwG. Urt. vom 29.7.1977, IV C 51.75, NJW 1978, S. 554 (555 f.), zu Recht mit dem treffenden Hinweis darauf, daß dies "den Kläger wie auch alle anderen Staatsbürger nicht mehr und nicht weniger angeht, als sonst alles das, was in einem Gemeinwesen allgemein-bezüglich geschieht". 69 So jedoch im Hinblick auf den Schutz von Passivrauchern: Schlesw.-Holst. VG, Urt. v. 20.9.1974, 10 A 111/74, JR 1975, S. l30f.; dagegen zu Recht Wolfgang Losehelder. ZBR 1977, S. 341 f.; Rupert Scholz. JuS 1976, S. 234. 70 Zum Zusammenhang zwischen Rechtsgüterzuteilung und sozialen Grundrechten vgl. etwa: Georg Brunner. Zur Problematik der sozialen Grundrechte, J97 J, S. 14 f. 7\ Siehe dazu Anm. 59.

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eben nicht gibt. Auch der grundrechtliche Umweg über den Anspruch auf behördliches Einschreiten kann kein Recht auf Umweltschutz schaffen. So wird sich in grundrechtlicher Hinsicht ein Recht auf behördliches Einschreiten gegenüber umweltschädigendem Verhalten Privater im wesentlichen praktisch nur auf das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und auf die Eigentumsgarantie stützen lassen. Immerhin ist es auch möglich, aus der individual-begünstigenden Tendenz von vielen Umweltschutznormen einen entsprechenden (dann unterverfassungsrechtlichen) Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten bei Verletzung dieser Rechtsnormen abzuleiten. Insoweit ist der Anspruch auf behördliches Einschreiten eine wichtige Umschaltnorm vom objektiven zum subjektiven Recht. Eine Grundrechtserzeugungsvorstellung ist es jedoch nicht. Der Anspruch auf behördliches Einschreiten ist gerade im Grundrechtsbereich eine grundrechtsakzessorische Idee, die insbesondere unter dem Denkansatz des Grundrechtsvoraussetzungsschutzes von bestehenden Grundrechten ausgeht und diese durch Absicherung ihrer Voraussetzungen real ausübbar, d. h. effektiv machen will 72 • Mit dieser Erkenntnis wird bereits deutlich, daß auch die vielfältigen Versuche, aus den Abwehrrechten des Grundgesetzes ein selbständiges Umweltgrundrecht abzuleiten, nicht erfolgreich sein können. Es handelt sich auch insoweit um einen letztlich akzessorischen Grundrechtsvoraussetzungsschutz. Hier erweist sich vor allem das Grundrecht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit als vorrangiger argumentativer Anknüpfungspunkt für partielle umweltschutzrelevante Leistungsansprüche mit Verfassungskraft. Freilich wird zum Umschlag in ein echtes Leistungsgrundrecht etwa auf Verschaffung der Nutzungsmöglichkeit von Umweltgütern und auf entsprechende staatliche Förderung hierzu noch mehr vorauszusetzen sein als die bloße Konstruierbarkeit als Grundrechtsvoraussetzung. Vielmehr ist insbesondere die staatliche Monopolisierung der Zuteilung von Umweltgütern zu fordern, um Leistungsansprüche in breiter Front ableiten zu können 73. Dem möglichen Freiheitsgewinn durch ein umweltschutzrechtliches Leistungsrecht müßte also ein Freiheitsverlust durch Umwandlung der bisher freien Umweltgüter in staatlich administrierte Güter vorausgehen. Soweit der Staat bereits über Umweltgüter verfügt (z. B. als Eigentümer), kann der Gleichheitssatz weiterhelfen, wenn der Staat den Kreis der Nutzungsberechtigten willkürlich umreißt. c) Im Hinblick auf teilhaberechtliehe Aspekte bei umweltbezogenen staatlichen Verfahren sind nur wenige verfassungsrechtliche Aspekte 72 Siehe zu alledem Michael Kloepfer. Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 6 ff., 15 ff., 28 ff. 73 Zum Zusammenhang zwischen staatlichem Rechtsgütermonopol und Leistungsgrundrechten vgl. BVerfGE 33, 303 (33lf.).

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

erkennbar. Am ehesten lassen sich derartige, freilich nicht umweltschutzspezifische Positionen in umweltschutzbezogenen Gerichtsverfahren (insbesondere Anspruch auf rechtliches Gehör) erkennen. Dabei vermag aber für die Öffnung von Gerichtsverfahren die entscheidende Verfassungs norm die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG - nicht ein Umweltgrundrecht zu konstituieren. Art. 19 Abs. 4 GG setzt subjektiv-öffentliche Rechte voraus, schafft sie aber grundsätzlich nicht selbst. In umweltschutzbezogenen Verwaltungsverfahren wird von Verfassung wegen allenfalls an die Ableitung eines Rechts auf administratives Gehör zu denken sein, während Beteiligungsrechte Privater in staatlichen Normsetzungsverfahren grundsätzlich im geltenden Verfassungsrecht keine Stütze finden. 4. Somit ist als Zwischenergebnis klar, daß durch das Grundgesetz in seiner jetzigen Form wesentliche Anliegen der rechtspolitischen Forderungen nach einem neuen Umweltgrundrecht nicht abgedeckt werden können. Dies gilt vor allem für die Abwehr nicht gesundheits- oder eigentumsgefährdender Umwelteingriffe des Staates sowie für sozialgrundrechtliche, ferner auch für leistungs- und teilhabefordernde Gehalte. Insoweit entsprechen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes der geltenden grundgesetzlichen Rechtslage, während das Oberverwaltungsgericht Berlin sich zu stark vom geltenden Verfassungsrecht entfernt.

IV. Das Umweltgrundrecht als rechtspolitische Forderung Damit ist freilich noch kein Urteil über die rechtspolitische Wünschbarkeit eines neuen Umweltgrundrechts gefällt. 1. Von den vielen einschlägigen Vorschlägen 74 sollen hier nur einige genannt werden. Propagiert wurden insbesondere Erweiterungen von Art. 2 GG i. S. eines Rechts auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit in einer menschenwürdigen Umwelt, deren rechtliche Grundlagen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen75 • Aber auch selbständige Grundrechte, etwa ein neuer Art. 6 a GG, wurden gefordert 76 • Siehe dazu auch oben S. 9 f. So insbesondere der Vorschlag des Arbeitskreises für Umwelt vom 11.3.1974 (abgedruckt bei Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 81 ff.); sowie Steiger, a. a. 0., passim, bes. S. 73 ff. 76 So etwa die früheren Ankündigungen des Bundesinnenministers (vgl. dazu die Darstellung von Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 14f.); zustimmend z. B. Peter-Christoph Storm, Agrarrecht 1974, S. 186 (für eine Grundsatznorm). 74

75

Zum Grundrecht auf Umweltschutz

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Die möglichen und tatsächlichen Formulierungsvorschläge sind hierbei sprachlich außerordentlich nuancenreich. Da geht es in rechtlichen und rechtspolitischen Erwägungen z. B. um eine saubere77, bestmögliche78, zumutbare 79, menschenwürdige 80, humane 8l , gesunde 82 , unschädliche s3 , unbeeinträchtigte und ungefährdete 84 Umwelt. Die "heile Welt" fehlt bislang jedenfalls als Formulierungsvorschlag in diesem Begriffshimmel. 2. Die Bewertung derartiger rechtspolitischer Forderungen nach einem Umweltgrundrecht darf der Jurist nicht von Pauschalurteilen oder gar ökologischen Sentiments abhängig machen. Ein notwendigerweise vorsichtig abwägendes Urteil setzt zunächst eine nüchterne Bilanzierung aller Vorund Nachteile der Einführung eines neuen Umweltgrundrechtes voraus. a) Am Beginn der Schilderung der Vorteile der Einführung eines neuen Umweltgrundrechts steht weniger die eher vordergründige Anpassung an entsprechende Rechtsetzungstendenzen im Ausland 85 , sondern vielmehr die Erwägung über den gesellschaftlichen Stellenwert des Umweltschutzes selbst, wenn das Umweltgrundrecht - ein wichtiges Argument übrigens zu seiner Einführung - als ein (in seiner Wirksamkeit aber noch offenes) Mittel zur Stärkung des Umweltschutzes gesehen wird. Ob das Umweltgrundrecht den Umweltschutz wirklich effektiver machen kann, wird noch zu erörtern sein. Die außerordentlich komplexe Problematik des Stellenwerts des Umweltschutzes selbst kann hier ebensowenig nachgezeichnet werden wie die Aufzeigung widerläufiger Kräfte (Umweltschutz kontra Umweltschutz), etwa im Verhältnis von Naturschutz und Erholungssicherung. Zum Stellenwert des Umweltschutzes hier nur soviel: Vor Übertreibungen - in welcher Richtung auch immer - ist im Interesse nüchterner Zielbestimmung nachdrücklich zu warnen. So wecken Konzeptionen des Umweltschutzes als Überlebensprogramm für das "Raumschiff Erde" doch Hans H. Klein, Weber-Festschrift, 1974, S. 643 ff. Freiburger Thesen der Liberalen, abgedruckt bei Heinhard Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 76. 79 Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 292; daselbst auch der Hinweis auf Schlesw. Holst. VG, Urt. vom 20.9.1974,10 A 111174, JR 1975, S. 130f., das von dem "Anspruch auf Fernbleiben von vermeidbaren Belästigungen" spricht. 80 Vgl. etwa Umweltprogramm der Bundesregierung, BTag Drs. VI/271O, S. 9f.; Umweltbericht '76 der Bundesregierung, BTag Drs. 7/5684, Tz. 110; Arbeitskreis Sozialdemokratischer Juristen, ZRP 1972, S. 77; Freiburger Thesen der Liberalen (a.a.O., Anm. 78); Initiativgesetzentwurf der FDP/DVP in Bad.-Württ. vom 5.7.1972 (LTag Drs. 61115); Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 588ff. 81 Peter Häberle, VVDStRL 30, S. 100 Anm. 245. 82 Umweltbericht '76 der Bundesregierung, BTag Drs. 7/5684, Tz. 110. 83 Hans H. Rupp, JZ 1971, S. 402. 84 Martin Kriele, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 145 f. 85 Siehe dazu oben Anm. 7. 77

78

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

eher nachdenkliche Skepsis, weil es bei nicht dramatisierender Betrachtung jedenfalls in aller Regel hinsichtlich der alltäglichen Umweltprobleme Immissionsabwehr, Gewässerschutz - nicht um das Sein oder Nicht-Sein der Menschheit geht. Umgekehrt ist auch die teilweise gerade bei Juristen anzutreffende Geringschätzung des Umweltschutzes als gewissermaßen (vielleicht schon ein wenig angestaubte) soziale Mode abzulehnen, weil sie mit dem Ernst ökologischer Probleme nicht zu vereinbaren ist. Immerhin zeigen die gerade jetzt aktuellen Probleme der Energieversorgung, des wirtschaftlichen Strukturwandels, der Arbeitslosigkeit und des Nord-Süd-Konflikts, wie schnell sich die gesellschaftliche Wertschätzung des Umweltschutzes wandeln kann und vielleicht wandeln muß. Ursache hierfür mögen auch linksradikale Verlautbarungen und Aktivitäten sein, die unter dem Vorwand oder aus Anlaß von Umweltschutzzielen den inneren Umsturz in dieser Republik betreiben und damit die unsinnige Frontstellung von Umweltschutz und Systemerhaltung provoziert haben. Gewaltdemonstrationen (angeblich) für ökologische Ziele sind insoweit Marksteine für die Schwächung der Umweltschutzidee. Ein neues Umweltgrundrecht wäre aber kein Grundrecht auf Systemzerstörung. Der einschlägige Mißbrauch der Umweltschutzidee darf diese selbst nicht diskreditieren. Das Umweltgrundrecht stände im übrigen wie jedes andere Grundrecht auch unter einer Mißbrauchsschranke, wonach es nicht zum Kampfe gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht werden darf. Allerdings ist die gegenwärtig zu konstatierende Vorhersehbarkeit seines Mißbrauchs ein praktisch wesentliches politisches Argument gegen das Umweltgrundrecht. Immerhin könnte sich aber ein Umweltgrundrecht auch als ein Mittel zur Systemstabilisierung erweisen. Dies wäre dann der Fall, wenn systemskeptische, radikale Ökologen durch das Angebot eines Umweltgrundrechts veranlaßt würden, sich systemimmanent der Möglichkeiten der geltenden Rechts- und Verfassungsordnung zu bedienen, um ihre Interessen durchzusetzen und dadurch davon abgehalten werden, das scheinbar umweltfeindliche politische System der Bundesrepublik selbst zu zerstören. Allerdings dürften etwa die chaotischen Zustände an nicht wenigen bundesdeutschen Hochschulen beweisen, wie illusorisch es jedenfalls bei Systemfeinden ist, deren Anpassung an das geltende System durch Einbeziehung in dieses System zu erwarten. Dagegen steht die sattsam bekannte These des Marsches durch die Institutionen. Immerhin mag - jedenfalls kurzfristig - mit der Einführung des Umweltgrundrechts faktisch manchen überdrehten politischen Forderungen die Spitze genommen werden. Brisante ökologische Begehren wären so möglicherweise (grund-)rechtlich kanalisierbar. Insbesondere könnte durch ein Umweltgrundrecht den Umweltschutzinitiativen kritischer Staatsbürger verdeutlicht werden, daß dieser Staat und seine Verfassung sich ihren Forde-

Zum Grundrecht auf Umweltschutz

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rungen gegenüber nicht grundsätzlich verschließen. Mehr in diese psychologische, integrierende Richtung zielt auch die Anerkennung eines "Impulseffektes,,86 durch das Umweltgrundrecht auf das Umweltbewußtsein der Bevölkerung. Ob es hier allerdings wirklich noch eines Impulses bedarf, mag angesichts des verbreiteten Bewußtseins über Umweltfragen bezweifelt werden, zumal die entscheidende Bewußtseinslücke - das fehlende Bewußtsein, auch selbst Umweltschädiger zu sein - durch ein staatsgerichtetes Umweltgrundrecht schwerlich fortzuräumen ist. Auch eine gewisse Beseitigung des oft beklagten Vollzugsdefizits im Umweltschutzbereich 87 mag durch ein Umweltgrundrecht herbeigeführt werden, weil es nicht zuletzt in Form von daran knüpfenden Klagemöglichkeiten von Verfassungs wegen zusätzliche individuelle Rechterzwingungspositionen schafft. Allerdings wird die Rolle subjektiver, verfassungskräftiger Rechte für einen effektiven Umweltschutz doch häufig überschätzt, zumal - wie erwähnt - neben partieller individueller Absicherung durch das geltende Verfassungsrecht auch und gerade der einfache Gesetzgeber derartige Einzelrechte schaffen kann. Daß die heiß umkämpfte Problematik kollektiver Berechtigungen und Klagebefugnisse (d. h. vor allem Verbandsklagerechte 88 ) durch die Einführung eines Umweltgrundrechts als solches nicht gelöst würde, ist bereits dargelegt worden. Bleibt eine mögliche Klarstellungsfunktion des Umweltgrundrechts, wobei freilich eine Klarstellung begrifflich nur hinsichtlich bereits bestehender umweltbezogener Grundrechtsverbürgungen also vor allem im Hinblick auf das Gesundheits- und das Eigentumsgrundrecht möglich ist. Wichtiger ist da aber die Funktion des Umweltgrundrechts als (vielleicht nicht unbedingt notwendige) Abwägungs- und Auslegungshilfe, wobei jedoch dieses auch durch eine objektive Staatszielbestimmung zu erreichen ist. Als Zwischenbilanz der Vorteile der Einführung eines neuen Umweltgrundrechts bleibt also eher Ungreifbares. Abgesehen von der möglichen geringfügigen Verbesserung des Vollzuges sind vom "Impulseffekt" für das Umweltbewußtsein über die Integration der Ökologen in das verfassungs-

Siehe dazu Hansjörg Dellmann, DÖV 1975, S. 592. Zur Verbandsklage als Möglichkeit zum Abbau des Vollzugsdefizits im Umweltrecht vgl. z.B. Eckard Rehbinder, ZRP 1976, S. 159; Eckard RehbinderlHansG. BurgbacherlRolj Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972, S. 15ff.; Felix Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände?, 1975, S. 20ff. (mit umfassenden Nachw. in Anm. I); - zur Staatszielbestimmung des Umweltschutzes als Möglichkeit zur Beseitigung des Vollzugsdefizits Hansjörg Dellmann, DÖV 1975. S.592. 88 Siehe dazu Anm. 62. 86 87

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

mäßige System der Bundesrepublik Deutschland bis hin zur Abwägungsund Auslegungshilfe hier die Vorteile eher vage. b) An dieser doch wohl ernüchternden Zwischenbilanz der Vorteile eines Umweltgrundrechts hat nun die Aufzählung der Nachteile eines derartigen Grundrechts anzusetzen. Der entscheidende negative Punkt der hier erörterten Verfassungsänderung dürfte eben in ihrer fehlenden Effizienz liegen, wobei hier nicht das geschilderte Problem der fehlenden Verfaßbarkeit von Ökosystemen oder die Abgrenzungsschwierigkeiten des Begriffes Umweltschutz bzw. die notwendige Unbestimmtheit des Umweltgrundrechts 89 gemeint sind. Da im abwehrrechtlichen Teil ein Rechtszuwachs nur außerhalb des mittelbaren Gesundheits- und Eigentumsschutzes zu erwarten steht und hier effizienzmindernd die Probleme der Abgrenzung von Betroffenheit und Eingriff sowie die Schrankenfrage hinzukommen, wird der praktische Effekt eines Umweltgrundrechts eher gering sein. Die sozial-grundrechtliche Dimension des Umweltgrundrechts wird sich im Rahmen der geltenden Wirtschafts- und Umweltrechtsordimng nicht realisieren lassen. Dies wird erst dann anders sein, wenn der Staat ausschließlich über die Umweltgüter verfügen kann - eine wohl nicht unbedingt erstrebenswerte Lösung. Die leistungsrechtliche Komponente wird sich an dem Möglichkeitsvorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates90 und an der allgemeinen Grundrechtsfortentwicklung zu messen haben und weitgehend gesetzgeberischer KOnkretisierung 91 überlassen sein. Auch die Aspekte der Verfahrensteilhabe werden von einem Grundrecht allein schwerlich vorangebracht werden können, sondern bedürfen primär verfahrensgesetzlicher Ausgestaltung. So wird jedenfalls von seiner unmittelbaren Rechtswirkung her vom Umweltgrundrecht nicht allzuviel zu erwarten sein. Hinzu kommen die allgemeinen Effizienzschwierigkeiten von Grundrechten mit ihren notwendigerweise weiten, konkretisierungsbedürftigen und häufig schwer justitiabien Formulierungen, wie sie gerade beim Umweltgrundrecht (etwa schon hinsichtlich der Abgrenzung des Umweltschutzes92 ) notwendig würden 93 . Doch ist der Einwand fehlender Effizienz wirklich geeignet, die Einführung eines neuen Grundrechts zu blockieren? Die Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung und ihrer geringen juristischen Bindungskraft hat der Vgl. dazu etwa Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291. Siehe dazu bes. BVerfGE 33, 303 (333). 91 Dazu etwa Hansjörg DeI/mann, DÖV 1975, S. 589, m. w. N. 92 Zur Abgrenzung siehe etwa Michael Kloepfer, Evangelisches Staatslexikon, 1975, Sp. 2652, und zuletzt etwa Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1977, S. 708 f. 93 Zur Unbestimmtheit eines Umweltgrundrechts vgl. etwa Jörg Lücke, DÖV 1976, S. 291, m. w. N., der freilich darin kein Argument gegen die Anerkennung eines Umweltgrundrechts sieht. 89

90

Zum Grundrecht auf Umweltschutz

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historische Grundgesetzgeber primär in der Richtung verarbeitet, daß er in das Grundgesetz kaum bloße Programmsätze aufgenommen, sondern sich gerade im Grundrechtsteil auf realisier- und einklagbare Grundrechte beschränkt hat. Die Ursache für die Kraft des Grundrechtsgedankens in der Bundesrepublik dürfte gerade in dieser weisen Bescheidung liegen, also primär darin, daß die Grundrechte keine Illusionen sind und regelmäßig keine Erwartungen wecken, die dann schließlich enttäuscht werden müßten. Doch darf über diesem Gesichtspunkt rechtlicher Effizienz nicht vergessen werden, daß Grundrechte eben nicht nur Rechtssätze, sondern auch politisch relevante Aussagen eines Gemeinwesens sind und ihre Verletzung deshalb auch politische Sanktionen haben kann. Zu denken wäre dabei etwa an die Menschenrechtsverletzungen als international diskutierte Tatbestände. Politische Sanktionen stehen hier im Vordergrund. Gerade aber die Menschenrechtswirklichkeit in vielen Teilen der Welt trotz der laufenden Menschenrechtsdebatte sollte jedoch vor nur oder vorwiegend durch mögliche politische Sanktionen geschützten Grundrechten warnen. Dies gilt auch für ein Grundrecht auf Umweltschutz. Niemand wird ausschließen können, daß Enttäuschungen der Bevölkerung über ein derartiges rechtlich ineffektives Umweltgrundrecht94 auf die übrigen Grundrechte und letztlich auf den durch sie verfaßten Staat zurückschlagen. Schließlich wird ein derartiges Umweltgrundrecht schwierige Grundrechtskonkurrenzen mit Art. 2, 14 GG aufwerfen, die nur neue Unklarheiten bringen dürften. Vor allem aber wird das Grundrecht selbst nicht die für die Umweltproblematik entscheidende Konfliktlösung zwischen öffentlichen und privaten Belangen schaffen können, sondern allenfalls recht ungreifbare Formelkompromisse und letztlich lediglich - bisher jedenfalls nicht fehlende - verfassungsrechtliche Konfliktlösungsermächtigungen in Form von grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten. Das Umweltgrundrecht wird also nicht selbst die widerstreitenden Interessen im ökologischen Bereich ausgleichen können. Schließlich aber treffen das Umweltgrundrecht auch die allgemeinen Einwände, die sich gegen viele bereits durchgesetzte wie gegen manche erst geplante Verfassungsänderungen - etwa das derzeit vorgeschlagene Grundrecht auf Datenschutz - vorbringen lassen. Das hervorstechendste Merkmal des Grundgesetzes scheint ja ohnehin für einige Politiker seine Abänderbarkeit zu sein. Dabei sei hier einmal davon abgesehen, daß wirklicher Verfassungsfortschritt heute eher durch die Grundrechtsinterpretation seitens der Gerichte und der Wissenschaft gefördert wird als durch die verfassungsändernde Gesetzgebung. Verfassungsänderungen führen nicht selten dazu, daß politische Entscheidungs- und Diskussionsvorgänge frühzeitig abgebrochen 94

Siehe dazu auch Anm. 28.

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

und teilweise eher vorläufige Zwischenergebnisse verfrüht mit Verfassungskraft festgeschrieben werden. Die Grundgesetzänderung über die Gemeinschaftsaufgaben mag hier ein bezeichnendes Beispiel sein. Gerade im Umweltschutz, der ja erst um seinen Stellenwert mit anderen gesellschaftlichen Leitzielen - wie etwa Vollbeschäftigung - ringt, sind unausgereifte Festlegungen der Verfassung zu vermeiden. Im übrigen könnten dann mit gutem Grund auch andere Ziele ihre Aufnahme finden. Die Verfassung soll aber Kontinuität - ein heute teures Mangelgut - bieten95 und wäre mißverstanden, wenn sie zum bloßen feierlichen Zeitarchiv für die Registrierung aktueller politischer Wünsche würde. Insgesamt überwiegen deutlich die Nachteile gegenüber den Vorteilen einer verfassungsgesetzlichen Einführung eines Umweltgrundrechts. Sollte sich der Verfassungsgeber dennoch eines Tages hierzu entschließen, müßte zur Vermeidung ungleichgewichtiger Fehlsteuerungen zugleich eine Umweltpflicht in die Verfassung aufgenommen werden 96 .

v.

Der Umweltschutz als Staatszielbestimmung

Wäre es nun angesichts der schwierigen rechtlichen Vollziehbarkeit des Umweltgrundrechts nicht viel sinnvoller, den Umweltschutz in Form einer objektiven Staatspflicht bzw. einer Staatszielbestimmung oder als Verfassungsauftrag in das Grundgesetz aufzunehmen 97 ? Gewiß wäre dies eine größere Formenehrlichkeit des Verfassungsgesetzgebers. Freilich würden hierdurch die Einwände rechtlicher Ungreifbarkeit nicht aus der Welt geräumt. Im Gegenteil, der Mangel an Rechtseffizienz würde noch verstärkt, da mit einer Staatszielbestimmung ein Zuwachs individueller Rechtserzwingungsmacht (und die damit verbundenen bescheidenen Verbesserungen des Umweltschutzrechtsvollzuges) nicht mehr zu erwarten sind. Die bloße Staatszielbestimmung oder der reine Verfassungsauftrag für den Umweltschutz wird derzeit wohl von der Bundesregierung 95 Zur Kontinuität als eine Grundmaxime moderner Staatlichkeit: Michael KloepJer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, bes. S. 193 ff. 96 Siehe dazu etwa Ernst Friesenhahn, 50. DJT 1974, G 25; Michael KloepJer, Zum Umweltschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 26, 28; ders., Evangelisches Staatslexikon, 1975, Sp. 2655; von der Frage einer eigenständigen Umweltpflicht ist das Problem zu unterscheiden, ob der Umweltschutz eine neue Sozialpflichtigkeit aller Grundrechte enthält (zum letzteren Hans H. Rupp, JZ 1972, S. 403; Hans H. Klein, Weber-Festschrift, 1974, S. 646); allgemein zum grundrechtsbeschränkenden Aspekt des Umweltschutzes vgl. Michael KloepJer, a. a. 0., S. 26f. 97 So z.B. jetzt Art. 86 Bad.-Württ.Verf. Ld.E. vom 10.2.1976 (GBI. S. 98); allgemein zum Meinungsstand siehe Anm. 23.

Zum Grundrecht auf Umweltschutz

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und tragenden politischen Kräften in der Bundesrepublik favorisiert 98 . Damit ist der bezeichnende Kern des geschilderten Regierungsvorstoßes für ein Umweltgrundrecht bloßgelegt. Es geht wohl letztlich um die verfassungsrechtliche oder mehr noch: verfassungspolitische Aufwertung des von der Bundesregierung verfolgten politischen Staatszieles Umweltschutz. Es wird bestenfalls eine nicht einklagbare Pflicht des Staates zum Umweltschutz geschaffen. Die Abkehr vom Grundrechtsgedanken gibt der Regierung dann faktisch die Möglichkeit, nach eigenem Gutdünken von dem neuen verfassungsrechtlichen Titel Gebrauch zu machen. Demgegenüber verdient dann allerdings das Umweltgrundrecht eindeutig den Vorzug.

VI. Die Ergebnisse Insgesamt ergeben sich damit folgende Folgerungen und Ergebnisse: 1. Dem geltenden Verfassungsrecht lassen sich zwar einige umweltschutzrelevante Schutzgehalte insbesondere abwehrrechtlicher Art entnehmen, nicht aber ein Umweltgrundrecht als solches. 2. Von der Neueinführung eines Umweltgrundrechts wird abgeraten, weil insgesamt die Nachteile die Vorteile übersteigen. 3. Sollte man sich trotzdem zu einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes in der Verfassung entschließen, so wäre - in diesem Falle - ein Umweltgrundrecht gegenüber einer Staatszielbestimmung oder einem Verfassungsauftrag vorzuziehen. 4. Im Falle der Verankerung eines Umweltgrundrechts sollte eine Differenzierung zwischen abwehr- und leistungsrechtlichen Gehalten vorgenommen werden. Im leistungsrechtlichen Teil eines solchen Grundrechts sollten sozialgrundrechtliche Gehalte jedoch nicht verbürgt werden. 5. Die Schrankenregelungen im Umweltgrundrecht sollten bereits gewisse Grundzüge für die Lösung des Konflikts zwischen öffentlichen und privaten Umweltbelangen vornehmen. 6. Das Umweltgrundrecht sollte nicht ohne gleichzeitige Einführung einer Umweltpflicht Privater eingeführt werden. Eine derartige verfassungsrechtliche Umweltpflicht gegenüber dem Staat (nicht etwa gegenüber Dritten) könnte dazu beitragen, das Hauptproblern des Umweltschutzes verfassungsrechtlich in den Griff zu bekommen: die eigene Verantwortung jedes einzelnen für den Umweltschutz. Denn die Umwelthölle, das sind nicht nur die anderen. 98

Siehe oben S. 129.

Staatsaufgabe Umweltschutz Vorüberlegungen zu einem umfassenden Thema*

I. Technik, Umweltschutz, Staat 1. Technik und Staat Nicht die Technik der Macht, sondern die Macht der Technik scheint derzeit das beherrschende Thema des Öffentlichen Rechts zu sein. Können der Staat und seine Rechtsordnung die schnelle Entwicklung der Technik und mögliche hieraus folgende Gefährdungen überhaupt noch in den Griff bekommen? Läuft der Staat den technischen Entwicklungen der Industrie nicht mit ständig größerem Abstand hinterher? Kann der Staat mit seinen bisherigen Bemühungen wirklich die auch offiziös propagierte "ökologische Wende" herbeiführen? Sind die Führung dieses Gemeinwesens und die Bestimmung seiner Leitziele für die Zukunft nicht dem Staat längst durch die Eigendynamik des "technischen Fortschritts" abgenommen worden? Reduziert sich die Funktion des Staates künftig im wesentlichen auf die eines Technik-Wächters? Alle diese Fragen werden im Problemfeld des Umweltschutzes besonders prägnant illustriert, lassen sich aber auch in anderen Bereichen (Datenschutz, Medientechnik, Mikroprozessoren, Waffentechnik) aufspüren. Doch die angebliche oder tatsächliche Machtschwäche des Staates in der Auseinandersetzung mit der Technik ist nur eine Seite des Problems. Führen nicht gerade auch die staatliche Kontrolle der Technik, die tatsächlich übernommene Verantwortung des Staates für die Intaktheit der Natur bzw. von sog. Öko-Systemen (wobei er freilich nicht diese selbst, sondern nur ihre Voraussetzungen sichern kann) zu einem bisher nicht bekannten Anwachsen von staatlichen Aufgaben? In der Tat, die Ausweitung staatlicher Kontrolle ist immer zugleich auch eine Expansion staatlicher Macht, staatliche Umweltsicherung bedeutet vielfach für den Bürger auch Freiheitsverlust und keineswegs nur leistende Sicherung von Grundrechtsvorausset-

* Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBI.) 1979, S. 639-645. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem earl Heymanns Verlag, Köln/Berlin/Bonn/München.

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

zungen. Die selbst übernommene Garantiefunktion des Staates für eine intakte Umwelt bürdet ihm die Last der umfassenden Verantwortung für natürliche Lebensvorgänge (bzw. für ihre Voraussetzungen) auf, die früher typischerweise nicht in seiner Verantwortungssphäre lagen (und entläßt - was häufig bei Forderungen nach staatlichem Umweltschutz übersehen wird - die Gesellschaft weitgehend aus ihrer Verantwortung für die Umwelt). Der Staat als Herr über die natürliche Umwelt kann dieser Rolle nur gerecht werden, wenn ihm eine Fülle neuer Zuständigkeiten zuwächst. In diesem derzeit geknüpften umfassenden Zuständigkeits netz können sich dann ganze Lebensbereiche fangen. So ist z. B. unverkennbar, daß der umweltschützende Staat in weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hineinwirken und - mit einem ökologischen Titel versehen - das gesamte Wirtschaftsgefüge grundlegend verändern kann. Die ökologisch bedingte Investitionslenkung ist partiell längst Wirklichkeit.

2. Staat und Gesellschaft im Umweltschutz Das Hineinwachsen des Staates in die Rolle des Herrn über die Umwelt und der damit verbundene breite Kompetenzzuwachs führen letztlich zurück auf die allgemeine Problematik der Macht- und Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft, wobei hier die grundSätzliche Dimension dieser zweiteilenden Sicht außer Betracht bleiben soll. Die AufeinanderBezogenheit staatlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten im Umweltschutz ist jedenfalls evident. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß viele Konflikte zwischen Staat und Gesellschaft - etwa bei der umweltschutzrechtlichen Drittklage - in Wahrheit innergesellschaftliche Konflikte (z. B. zwischen Anlagebetreibern und Anliegern) sind, bei denen gegen den Staat nur juristische "Stellvertreter-Kriege" geführt werden. Trotz der anstehenden staatlichen Umweltschutzaktivitäten und -zuständigkeiten kann jedoch nicht verkannt werden, daß die politische Kraft der allgemeinen Forderung nach einer umfassenden Sicherung der Umwelt, aber vor allem auch gegenüber konkreten umweltbelastenden Vorhaben vornehmlich aus der Gesellschaft (Bürgerinitiativen etc.) kommt. Freilich sind derartige Aktivitäten der Gesellschaft typischerweise gerade nicht darauf angelegt, ein Umweltproblem durch eigene gesellschaftliche Aktivitäten aus der Welt zu schaffen, sondern vielmehr darauf, ein bestimmtes Verhalten des Staates - z. B. Nichterteilung einer Kraftwerksgenehmigung - zu erreichen. Ist der umweltschützende Staat also ein Instrument der umweltbewußten Gesellschaft? Der gesellschaftlich organisierte Ruf nach dem Staat als Schützer der Umwelt ist vielleicht nicht nur die Ursache, sondern vielmehr auch die Folge des staatlichen Vordringens in den Umweltschutzbereich. Da

Staatsaufgabe Umweltschutz

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der Staat hier eine Fülle von staatlichen Aktivitäten bei sich monopolisiert hat, müssen gesellschaftliche Aktivitäten im Umweltschutzbereich insoweit auf staatliche Aktivitäten oder aber auf Partizipationen an staatlichen Entscheidungsverfahren bzw. auf behördenähnliche Zuständigkeiten (Überwachungskompetenzen, Verbandsklagen usw.) zielen. Hinzu kommt die anders gelagerte - Lobby-Problematik der an Staatsaufträgen interessierten, zunehmend wachsenden Umweltschutzindustrie. Im Ergebnis wirkt also nicht nur die Gesellschaft beim Umweltschutz auf den Staat ein, sondern auch der Staat auf die Gesellschaft etwa bei dem - erfolgreichen - Bemühen um ein geschärftes Umweltbewußtsein. Die staatliche Umweltschutzadministration bewirkt hierbei ein erhöhtes gesellschaftliches Umweltbewußtsein, das dann wiederum nach gesteigerten Umweltschutzaktivitäten ruft: ein Paradestück eines politischen Legitimationszirkels. Das gerade von offizieller Seite vertretene sog. Kooperationsprinzip - i. S. einer Forderung des Zusammenwirkens von Staat und Gesellschaft beim Umweltschutz - zeigt hier einen wesentlichen Aspekt, wenngleich sein idealisierend-politischer Hannoniegehalt natürlich erheblich höher zielt. Bei offiziösen Forderungen z. B. nach "vernünftigen", ausgewogenen Umweltschutzverbänden ("Umweltschutzgewerkschaften") geht es dem Staat u. a. darum, organisierte, repräsentative gesellschaftliche Gesprächspartner zu erhalten, die auch als Beteiligte in staatlichen Umweltschutzverfahren oder gar als Partner ökologischer Gesamtpakte auftreten könnten. Der Versuch des Staates, gesellschaftliche Aktivitäten zur Erfüllung staatlich fonnulierter Umweltschutzpolitik zu gebrauchen (indem man ihnen entgegenkommt), ist jedenfalls an vielen Stellen evident. So nutzen manche Umweltschutzadministrationen des Staates gar nicht ungerne das durch Bürgerinitiativen geschaffene politische Klima, um ihre Vorhaben im Kompetenzgerangel mit anderen staatlichen Administrationen durchzusetzen. Im übrigen regt der Staat nicht nur umweltschützende Verhaltensweisen an (z. B. durch die staatliche Verleihung von Umweltschutzplaketten für bestimmte Produkte zur Erzeugung eines ökologisch sensibilisierten Verbraucherbewußtseins), sondern gebietet teilweise auch Umweltschutzaktivitäten der Gesellschaft, wie dies z. B. bei den gesetzlich geforderten Umweltschutzbeauftragten von Betrieben (Immissionsschutzbeauftragten usw.) der Fall ist. Auch die gesetzliche Verpflichtung zur Bildung öffentlich-rechtlicher Verbände von Umweltbelastern würde dazugehören. Eine besonders wirksame Fonn der Kooperation von Staat und Gesellschaft im Umweltschutzbereich ist die staatliche Anerkennung von gesellschaftlichen Aktivitäten (z. B. bei der gesellschaftlichen Rechtsetzung im Umweltschutzbereich wie etwa bei DIN-Nonnen). Schließlich darf nicht übersehen werden, daß auch bei einer breiten Kompetenzverlagerung im Umweltschutz von der Gesellschaft auf den Staat es

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

zu partiellen Aufgabenrückverlagerungen auf die Gesellschaft in den vielfaltigen Fonnen der sog. Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private kommt. Die hier gefundenen Arten der Mischverantwortung, die u. a. die juristische Erfassung der Forderungen nach einer möglichen Privatisierung im Umweltschutz nicht eben vereinfachen, setzen allerdings die Gesellschaft nie mehr ganz in eine ungeteilte Verantwortung für die Umwelt ein. Sie sind bestenfalls Surrogate gesellschaftlicher Entscheidungsmacht.

11. Problembestimmung 1. Differenzierungsmöglichkeiten Angesichts vielfältigster Umweltschutzaktivitäten des Staates scheint die Frage vorgestrig oder doch theoretisch zu sein, ob der Umweltschutz überhaupt eine staatliche Aufgabe ist. Doch ist dies gewiß kein tragender Einwand gegen die Frage der Legitimation und der Zulässigkeit staatlichen Umweltschutzes. Praktisch relevante Fragestellungen in diesem Bereich staatlicher Berechtigung zum Umweltschutz werden sich freilich nicht mit der groben Alternative des prinzipiellen Ja oder Nein, des Alles oder Nichts erfassen lassen. Vielmehr kommt es auf Differenzierungen bei den vielfaltigen (präventiven - repressiven, planenden - realisierenden, nonnierenden ausführenden, eingreifenden - leistenden usw.) Umweltschutzaktivitäten und insbesondere bei den jeweiligen Grenzziehungen an, wie auch auf Unterscheidungen bezüglich des "Staates", der zum Umweltschutz berufen ist (Bund, Länder, Gemeinden, aber auch die jeweiligen sonstigen staatlichen Erscheinungsfonnen, wie z. B. öffentliche Unternehmen), wobei auch die Rollen der einzelnen staatlichen Gewalten im Umweltschutz näher ausgelotet werden müßten. Die Frage nach dem staatlichen Umweltschutz bedarf ferner einer Differenzierung danach, ob der Staat im einzelnen jeweils zum Umweltschutz nur berechtigt oder auch verpflichtet sein soll, bzw. ob er allein oder neben Privaten Umweltschutzaufgaben wahrnehmen will, d. h., ob ein staatliches Umweltschutzmonopol begründet werden soll oder nicht. Diesen Differenzierungen kann an dieser Stelle nicht im einzelnen nachgegangen werden. Hier muß vielmehr eine Beschränkung auf wenige allgemeine Aspekte erfolgen, die sich im Problemfeld der Staatsaufgabe Umweltschutz ergeben, so daß an dieser Stelle auch der Versuch der Errichtung eines Systems staatlicher Aufgaben im Umweltschutz zu unterbleiben hat.

Staatsaufgabe Umweltschutz

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2. Problemausgrenzung

Desgleichen kann hier keine Auseinandersetzung mit der weiten Grundsatzproblematik der allgemeinen Grenzen staatlicher Wirkungsbefugnis überhaupt erfolgen. Diese Grundsatzdebatte um Legitimation und Limitierung staatlicher Aufgaben kann an dieser Stelle nicht aufgenommen werden. Es soll deshalb hier lediglich Skepsis gegenüber ganz generellen und nivellierenden Lösungen - etwa gegenüber dem Subsidiaritätsprinzip angemeldet werden. Jedenfalls soweit politische Lehren als unverrückbare Verfassungs grundsätze ausgegeben werden und die gebotene Differenzierung der Problemlösung von vornherein verhindert wird. Auch die am reinen Effizienzdenken orientierte Frage danach, wo eine Angelegenheit besser bzw. kostengünstiger erledigt werden kann, vermag nicht als allgemeiner Rechtsrnaßstab für die Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft dienen, ganz unabhängig davon, daß die Beurteilung als "besser" nur begrenzt objektivierbar ist und deshalb häufig umstritten bleiben dürfte.

III. Umweltschutz als Staatsaufgabe? 1. Überlebenssicherung durch Umweltschutz

Weitaus zu simpel erscheint zur Ableitung einer Staatsaufgabe Umweltschutz die u. a. auf Art. 2 Abs. 2 GG gestützte Argumentation, der Umweltschutz sei als Überlebenssicherung vom Staat wahrzunehmen. Ganz unabhängig davon, daß es auch einen gesellschaftlichen Auftrag zur Sorge um das Leben und die Gesundheit von Mitmenschen gibt (Privatkrankenhäuser und private Rettungsdienste, private Wohlfahrtspflege usw.), greift die dahinterstehende Gleichsetzung von Überlebenssicherung und Umweltschutz viel zu kurz. Ohne den Ernst und die Bedeutung vieler drängender Fragen des Umweltschutzes leugnen zu wollen, können sehr viele Umweltbelastungen doch nicht als relevante Gesundheits- oder gar Lebensgefährdungen und ihre Abwehr folgerichtig nicht als Gesundheits- oder Lebensschutz verstanden werden. Dies wird ganz klar bei dem sog. ästhetischen Umweltschutz - z. B. bei der Erhaltung von Landschaftsschönheiten -, aber auch in weiten Bereichen der Umweltvorsorge und Ressourcenbewirtschaftung, bei denen (noch) nicht von der Abwehr relevanter Gesundheitsgefahren gesprochen werden kann. So vermag der Aspekt der Überlebenssicherung staatlicher Umweltschutzaktivitäten nur für den vergleichsweise kleinen Bereich der Sicherung eines wörtlich verstandenen "ökologischen Existenzminimums" (i. S. eines Schutzes essentieller Grundrechtsvoraussetzungen) gelten, nicht aber für weit darüber hinausreichenden Umweltschutz insgesamt. 11 Kloepfer

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

2. Gewalt- und Verbotsmonopol im Umweltschutz Soweit Umweltschutzprobleme nur durch die Anwendung von (rechtmäßiger) Gewalt zu lösen sind, ist dies kraft des staatlichen Gewaltmonopols grundsätzlich eine staatliche Aufgabe. Ganz abgesehen davon, daß damit aber nur ein kleiner Teil der Problematik - nämlich der "Vollstreckungs-" bzw. Erzwingungsaspekt - angesprochen wird, bleibt unklar, welche und wessen umweltschutzbezogenen Entscheidungen im einzelnen eigentlich vollstreckt werden sollen. Gerade Umweltschutzsstreitigkeiten zwischen Privaten enden ja häufig auch in staatlicher Vollstreckung. So ist hier die Frage nach dem Vollstreckungs gegenstand letztlich entscheidend, wodurch wiederum auf die Umweltschutzordnung verwiesen wird, die danach zu gestalten ist, ob und in welchen Umfang Umweltschutz eine Staatsaufgabe ist. Insoweit führt das Gewaltargument nicht wirklich weiter. Gleiches gilt für die Hinweise auf das staatliche Verbots- und Genehmigungsinstrumentarium, das auch vor dem Hintergrund faktischer Erzwingungsmöglichkeiten des Staates gesehen werden muß. Gewiß ist der Ausspruch eines verbindlichen Verbotes einer Umweltbelastung in der Regel (von privatrechtlichen Abwehransprüchen bei privaten Umweltgütern einmal abgesehen) eine staatliche Angelegenheit. Doch ist damit gerade nicht geklärt, wann ein Verbot legitim und zulässig ist, von der die Argumentationsgrundlage verändernden privatrechtlichen Regelsetzung im Umweltschutzbereich wie etwa bei DIN-Normen ganz abgesehen.

3. Kontrolle, Information im Umweltschutz Die im Umweltschutzbereich erforderliche umfassende nachträgliche Kontrolle über die Einhaltung gebotener Umweltschutzstandards (aber auch die Präventivkontrolle i. S. von Umweltverträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsverfahren) scheint für staatliches Handeln zu sprechen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß das Phänomen der Kontrolle eine keineswegs nur staatliche Aktivität ist, wie z. B. das Phänomen der sozialen Kontrolle zeigt. Die staatliche Kontrolle ist im wesentlichen eine akzessorische Zuständigkeit; sie will die Einhaltung staatlich gebotener Standards sicherstellen. Es geht also um die Einhaltung staatlicher Gebote, d. h. im Kern um die Gewährleistung der staatlichen Rechtsordnung. Damit verweist aber der Ansatz der staatlichen Kontrolle letztlich wieder auf die Grundfrage, inwieweit der Staat im Umweltschutz tätig werden, d. h. hier normieren bzw. im Einzelfall gebieten oder verbieten darf. Das setzt auch der Einrichtung beliebig weiter Umweltüberwachungssysteme des Staates deutliche Grenzen.

Staatsaufgabe Umweltschutz

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Der mit der Kontrollproblematik eng, aber nicht untrennbar verbundene Aspekt der Beschaffung und Sammlung umweltschutzbezogener Infonnationen und Daten spricht nicht unbedingt für eine entsprechende umfassende Umweltzuständigkeit des Staates. Auch diese Fähigkeit ist vielmehr eine Hilfszuständigkeit zur Ennöglichung anderer umweltschutzbezogener Aktivitäten des Staates. Es sollen z. B. die ebenfalls nur angebundene Kontrolltätigkeit oder etwa die staatliche Umweltplanung ennöglicht werden. Daß der Staat über besonders gute Möglichkeiten zur Infonnationsbeschaffung, -sammlung und -verarbeitung verfügt - etwa im Bereich der Vernetzung ökologischer Einzeldaten, der Umweltdatenbanken, der ökologischen Kartierungen, der Emissionskataster und möglicher Umweltprobenbanken usw. - begründet als solche für ihn noch keine Zuständigkeit. Da es auch in der Gesellschaft umfassende und gut funktionierende Infonnationsbeschaffungs- und -verarbeitungssysteme gibt, ist durch den Hinweis auf entsprechende staatliche Tätigkeiten das Problem der einschlägigen Aufgabenverteilung nur angesprochen, aber nicht gelöst. Entsprechendes gilt im wesentlichen ebenfalls für den Aspekt der Umweltschutzforschung, die ja im Prinzip nichts anderes ist als eine wissenschaftlich fundierte Datenbeschaffung. Sie ist im staatlichen wie im privaten Bereich vorstellbar. Ihre Förderung insbesondere bei der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien mag staatliche Aufgabe sein, eine staatliche Monopolisierung der Forschung oder aber auch eine zu weit gehende Vorgabe von Forschungszielen im Umweltschutzbereich wären aber jedenfalls verfassungswidrig. 4. Zukunftsvorsorge durch Umweltschutz Da eine längerfristige Umweltpolitik eine intakte Umwelt auch für kommende Zeiten sichern und deshalb einen zukunftsblinden Chauvinismus des Gegenwärtigen bekämpfen muß, könnte dem Staat gewissennaßen als Fürsprecher künftiger Generationen eine bedeutende Rolle im Umweltschutz zukommen. Allerdings zeigen bereits die Systeme privater Vorsorge (etwa bürgerlich- bzw. versicherungsrechtlicher Art), daß die Zukunftssicherung keineswegs ein staatliches Monopol darstellt. Allerdings steht im Bereich nichtstaatlicher Vorsorge zunächst die individuelle Sicherung eindeutig im Vordergrund, wenngleich - jedenfalls im Bereich von Unternehmen und Verbänden - durchaus Erscheinungen überindividueller Vorsorge, vor allem auch in Fonn von Überlebensstrategien für Organisationen, erkennbar werden. Dennoch hat der staatliche Auftrag zur Existenzsicherung für künftige Generationen nicht nur eine erkennbar andere inhaltliche, dem staatlichen Gemeinwohlauftrag verpflichtete Komponente, sondern vor allem auch eine 11'

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

erheblich andere, weil sehr viel weitere zeitliche Dimension. Gehen typischerweise private Vorsorgemaßnahmen selten über die zweite oder dritte kommende Generation hinaus und umfassen konkretere Zukunftsüberlegungen von Verbänden und Unternehmen kaum je mehr als einen Zeitraum von 30 (allenfalls bis zu 50) Jahren, so muß der Staat doch sehr viel weiter denken, wenngleich die Mängel und Unvollkommenheiten staatlicher Planung auch hier natürliche Grenzen der staatlichen Zukunftsvorsorge bezeichnen. Weil der Staat für die überdauernde Kontinuität des Gemeinwesens verantwortlich ist, trägt er nicht nur eine herausgehobene Verantwortung für die Vergangenheit und deren Pflege, sondern auch für die Sicherung der Zukunft. Nur in der Gegenwart und der die Gegenwärtigen noch betreffenden Zukunft gibt es heute wirklich eine Konkurrenz privater und staatlicher Handlungsaktivitäten, nicht aber in der Vorsorge für die weitergehende Zukunft. In dem Maße aber, wie (vor allem die mittlere und fernere) Zukunft keine Lobby hat, ist der Staat zu ihrem Schutz aufgefordert. Das spricht für staatliche Zuständigkeiten im Bereich der weit vorausschauenden Umweltvorsorge. Damit ist allerdings keineswegs der Gesamtbereich etwaiger Umweltschutzaktivitäten des Staates erfaßt.

5. Überregionalität von Umweltproblemen Die Umweltproblematik greift nicht nur über die Gegenwart hinaus, sondern auch über die Gemeinden, die Regionen, die Länder und nicht selten auch über die Staaten. Die Umweltschutzproblematik ist also weder durch zeitliche noch durch räumliche Nähe geprägt. Allerdings wäre es verfehlt, aus der - in vielen, nicht allen Fällen - fehlenden räumlichen Nähe von Umweltschutzproblemen per se eine staatliche Zuständigkeit für ihre Lösung abzuleiten oder gar eine Kompetenzverlagerung von den Gemeinden auf die Länder bzw. von den Ländern auf den Bund zu fordern. Zunächst ist Überregionalität bzw. Übernationalität auch der privaten Aufgabenerfüllung z. B. bei Verbänden und Unternehmen nicht fremd und vermag als solche keinen staatlichen Zuständigkeitstitel zu begründen. Im übrigen ergibt der Gesichtspunkt der Überregionalität bzw. der Übernationalität allenfalls eine Hilfszuständigkeit für die Außen vertretung und für die Koordinierung verschiedener regionaler Umweltschutzaktivitäten, nicht aber eine umfassende Zuständigkeit für diese Aktivitäten selbst. So wird in der Tat die internationalrechtliche Wahrnehmung von Umweltschutzbelangen nach außen primär - Länderzuständigkeiten wie private Abwehransprüche bleiben unberührt - der Bundesrepublik Deutschland überantwortet werden müssen. Daraus kann jedoch grundsätzlich keine Folgerung für die Aufteilung der Umweltschutzverantwortlichkeiten nach innen abgeleitet werden.

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6. Staatliche Konßiktlösung und Umweltschutz In eine andere Richtung führt die Überlegung, daß der Staat aus seiner Konfliktlösungsbefugnis heraus für die Lösung von Umweltschutzproblemen zuständig wäre. Dabei geht es weniger um die Rechtsprechungszuständigkeit oder das Gewaltmonopol des Staates als vielmehr um die Frage, ob es eine staatliche Befugnis zur Lösung der gesellschaftlichen Zielkonflikte bei der Umweltschutzproblematik (z. B. Umweltschutz oder Verkehrswegebau usw.) gibt. Gewiß folgt aus dem politischen Führungsauftrag des Staates auch die grundsätzliche Befugnis der Prioritätenfestlegung und die damit verbundene Kompetenz zur Zielkonfliktlösung für das Gemeinwesen. Mit dieser sehr grundsätzlichen Feststellung ist freilich die Frage nach staatlichen Kompetenzen zum Umweltschutz im Konkreten kaum gelöst. Zum einen kann (und darf) die staatliche Konfliktlösung die innergesellschaftliche Konfliktaustragung nicht völlig ersetzen; sinnvollerweise wird der Staat eher Verfahren zur Konfliktaustragung und -entscheidung bereitstellen und sich bei eigenen Konfliktentscheidungen möglichst zurückhalten. Dabei darf auch nicht verkannt werden, daß selbst bei programmatischen Globalentscheidungen über Zielvorstellungen des Gemeinwesens sich diese Festlegungen stets in einer Fülle von Einzelentscheidungen konkretisieren, realisieren und bewähren müssen. Auf der Ebene staatlicher Entscheidungsfindung hat die Aufgabe der Prioritätenfestsetzung und der Konfliktlösung ebenfalls ein ganz erhebliches Gewicht, weil ein hochdifferenziertes Staatswesen wie die Bundesrepublik Deutschland keineswegs ein homogenes Umweltschutzinteresse hat, sondern häufig nur die mannigfaltigen umweltschutzbezogenen Interessengegensätze in seinen verschiedenen, vor allem administrativen Gliederungen widerspiegelt, was zu der seit langem umstrittenen grundsätzlichen Frage führt, ob die Aufgabe des Umweltschutzes trotz ihres Querschnittscharakters einem einheitlichen Ressort zugeordnet werden kann und soll. Jedenfalls sind unter dem Aspekt des Umweltschutzes schon heute die Abstimmungen und Integrationen der verschiedenen staatlichen Politiken und Planungen als Mittel innerstaatlicher Konfliktlösung unverzichtbar.

7. Umweltschutzabgaben und -subventionen Umweltschutz führt zu weitreichenden finanziellen Folgen und bedingt umfassende Finanzlastverteilungssysteme und -verfahren, wie z. B. die wachsenden Umweltschutzabgaben einerseits und die vielfältigen Umweltschutzsubventionen andererseits zeigen. Dabei genügt nun keineswegs die Feststellung, daß die Erhebung von (Umweltschutz-)Abgaben bzw. die Verteilung von (Umweltschutz-)Subventionen per se eine staatliche Angelegen-

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heit ist. So richtig es zwar ist, auf die funktionelle Monopolisierung dieser Instrumente beim Staat hinzuweisen, so sagt diese Feststellung überhaupt nichts darüber aus, ob und wo diese Instrumente einzusetzen sind. Insoweit ähnelt die Problematik also der oben bereits behandelten Frage nach der Bedeutung des staatlichen Zwangs- und Verbotsmonopols für die Rollenverteilung im Umweltschutz. Erst wenn erwiesen wäre, daß bestimmte Umweltschutzprobleme nur durch Abgaben oder Subventionen erfüllbar sein sollten, kann dies ein entscheidendes Argument für staatliche Umweltschutzaktivitäten in diesem Bereich sein, Ob darüber hinaus noch i. S. herkömmlicher Kategorien grundsätzlich verschiedene Maßstäbe für Eingriffe und Leistungen bei der Antwort auf die Frage nach dem Umweltschutz als staatliche Aufgabe gelten können, mag hier dahinstehen. Jedenfalls werden Umweltabgaben immer auf stärkere politische Widerstände stoßen als Umweltschutzsubventionen. 8. Finanzierungsprobleme im Umweltschutz Bei den grundsätzlichen Finanzierungskonzeptionen des Umweltschutzes stehen sich zur Bestimmung des Kostentragungspflichtigen vor allem das Gemeinlastprinzip und der Verursachergrundsatz gegenüber. Obwohl beide Prinzipien - nicht zuletzt wegen der ungenügenden Konkretheit des Verursachergrundsatzes und seiner Schwierigkeiten bei einer Verursachervielzahl - nicht ganz trennscharf abzugrenzen und erst recht nicht "pur" zu verwirklichen sind, ist doch wohl deutlich, daß Kostentragungen durch die Allgemeinheit - jedenfalls durch Abgaben- und Subventionssysteme - staatsnäher sind als Kostentragungen durch den - wie auch immer zu bestimmenden - jeweiligen Umweltbelaster. Freilich darf dies nicht zu übereilten Fehlschlüssen führen, da finanzielle Überbürdungssysteme und die Umlenkung von Finanzströmen - gerade unabhängig vom grundsätzlich verfolgten Finanzierungsprinzip - ordnende und normierende staatliche Aktivitäten fordern können. So ist das geltende Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland zu einem großen Teil als Versuch der Kostenrückverlagerung auf den Verursacher zu verstehen, um so eine gesellschaftliche Selbstregulierung zu erreichen. Umgekehrt ist zur Realisierung des Gemeinlastprinzips keineswegs eine staatliche Aktivität zwingend erforderlich. Gerade staatliche Inaktivität führt im umweltrelevanten Bereich zur Realisierung des Gemeinlastprinzips, wenn einzelne die Umwelt belasten und die Kosten für die Beseitigung der dadurch entstandenen Umweltschäden faktisch von der Gemeinschaft getragen werden. Dies ist allerdings möglich, solange die natürlichen Umweltgüter (Luft, Wasser usw.) als "freie Güter" verstanden werden, deren Inanspruchnahme in der Kostenrechnung des Verursachers nicht auftritt, sondern "soziale Zusatzkosten" bleibt.

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9. Verrechtlichung und Zuteilung von Umweltgütern Es ist Aufgabe des Staates, diese Konzeption der Umweltgüter als "freie Güter" - jedenfalls partiell - zu beseitigen, indem er den Zugriff auf sie rechtlich ordnet, etwa dadurch, daß er Erlaubnis- bzw. Verbotsverfahren, Belastungsgrenzen oder aber zivilrechtliehe Abwehr- oder Schadensersatzansprüche bezüglich Umweltbelastungen schafft, Produkt- und Verwendungsgenehmigungen einführt oder indem er gar die natürlichen Umweltgüter verstaatlicht. Umweltrecht wird unter diesen Umständen insoweit zu einem Zuteilungsrecht. Diese Zuteilungsordnung ist dann aber - jedenfalls in essentiellen Bereichen - schwerlich anders als durch den Staat zu realisieren. Auch die - wenig realistischen - Vorstellungen, allgemeine Umweltgüter zum Zwecke der wirtschaftlichen Selbststeuerung nach Marktgesichtspunkten zu verteilen (z. B. durch eine Verschmutzungsbörse für individuelle Verschmutzungsrechte), setzt staatliches Handeln i. S. der Verrechtlichung (nicht unbedingt: Verstaatlichung) von Umweltgütern und der Organisation (und vielleicht auch des Ingangsetzens von Märkten) voraus. Insgesamt ist der Zuteilungscharakter des rechtlich geordneten Umweltschutzes in der Tat ein wesentliches Argument für staatliche Aktivitäten in diesem Bereich. Die dem Staat hier erwachsende Zuständigkeit zur Verrechtlichung und "Zuteilung" von Umweltgütern, seine Kompetenzen zur Überbürdung von Finanzierungslasten und ggf. zur Marktermöglichung und -organisation im Umweltschutzbereich zeigen, daß gewisse Ähnlichkeiten mit der Stellung des Staates im Bereich der Wirtschaftsintervention vorhanden sind: Die sachliche Verbindung wird ohnehin durch die wirtschaftlichen Auswirkungen von Umweltschutzmaßnahmen hergestellt, und viele Umweltschutzmaßnahmen sind zugleich Wirtschaftsinterventionen. Dennoch sind die wesentlichen Ähnlichkeiten nur begrenzt. Findet der Staat im Bereich der Wirtschaftsintervention einen Markt bzw. einen Kreislauf ökonomischer Güter vor, so steht der Staat im Umweltschutzbereich vor dem Problem, ökonomisch relevante "Güter" erst schaffen und sie marktfahig machen bzw. in Marktmechanismen einordnen zu müssen. Spezifisch staatliche Aufgabenfelder werden dabei gerade dort betreten, wo es um die Integrationen verschiedener Politiken, also insbesondere der Wirtschafts- und Umweltpolitik, geht. Umweltpolitik ist zwar unabhängig von einer Wirtschaftspolitik und vom Wirtschaftssystem erforderlich, nur werden ihre Instrumente stark vom jeweiligen Wirtschaftssystem bzw. der Wirtschaftspolitik mitbestimmt. 10. Folgerung Insgesamt ergeben die verschiedenartigen Kriterien durchaus unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob und inwieweit der Staat sich des

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Umweltschutzes annehmen kann, darf und muß. Mit den sich abzeichnenden Differenzierungsmöglichkeiten wird aber erkennbar, daß ein vollends verstaatlichter Umweltschutz schwerlich mit unserem Verständnis vom Staat mit seiner Verfassungs- und Rechtsordnung vereinbar wäre. Nähere Aufschlüsse über den Verlauf der Grenze zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Umweltschutzaktivitäten könnten nur weitere Differenzierungen hinsichtlich der vielfältigen einzelnen Umweltschutz aktivitäten geben, um diese dann jeweils als obligatorische oder fakultative Staats- bzw. Gesellschaftsangelegenheit qualifizieren zu können.

IV. Zuordnung von Umweltschutzaktivitäten An dieser Stelle kann nur eine ganz grobe Aufteilung der Ebenen von Umweltschutzaktivitäten erfolgen. Dabei muß beachtet werden, daß der Staat gerade im Bereich des Umweltschutzes Instrumentarien gebraucht (Erzeugung eines politischen Klimas, öffentliche Anprangerungen, Appelle, "Überreden", Initiierung von Selbstbeschränkungsabkommen, Normankündigungen, internationale Zusagen mit der Absicht der Inlandslenkung usw.), die schwerlich mit herkömmlichen Rechtskategorien erfaßt werden können und die deshalb hier außer Betracht bleiben sollen.

1. Differenzierung der Umweltaktivitäten Wird einmal von der - nicht unbedeutenden und besonders naheliegenden - Möglichkeit des Staates abgesehen, von ihm selbst verursachte Umweltbelastungen zu verhindern oder zu vermindern, müssen für die Frage nach der Rolle des Staates im Umweltschutz vor allem folgende - in sich noch weiter differenzierbare - Hauptkategorien möglicher Umweltaktivitäten unterschieden werden, wobei gewisse Übergänge unvermeidbar sind: a) Ökologische Gesamtlenkung (Vorgabe ökologischer Gesamtdaten, ökologische Globallenkung und Grundsatzplanung, Umweltpolitikformulierung und -integration, Umweltschutzerrnöglichung durch Organisation und Bereitstellung von Rechtsinstrumentarien, Erstellung einer Umweltrechtsordnung, Lenkung von Finanzströmen und Aufbau von Finanzierungssystemen usw.);

Staatsaufgabe Umweltschutz

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b) Ökologische Einzellenkung (Einzeldatenvorgabe und -durchsetzung durch Verwaltung und Rechtsprechung, insbesondere durch Rechtsanwendungsentscheidungen, Kontrolle, Vollstreckung, aber auch Einzelplanungen); c) Eigenvomahme im Umweltschutz

(umweltschützende Handlungen durch den Staat selbst, staatliche Umweltschutzeinrichtungen, staatliche Umweltschutzinvestitionen, öffentliche Umweltschutzunternehmen). 2. Ökologische Gesamtlenkung Bei der für die Querschnittsaufgabe Umweltschutz ebenso wichtigen wie komplizierten ökologischen Gesamtlenkung mit der Vorgabe allgemeiner Umweltschutzstandards und der Entwicklung von teilweise oder ganz übergreifenden Gesamtkonzeptionen (z. B. für die derzeit diskutierte Umweltrechtskodifikation) scheint die staatliche Rolle am unangefochtensten zu sein. Dies gilt vor allem für den staatlichen Auftrag zur Erstellung einer Umweltrechtsordnung mit allen ihren Teilgebieten. Jedenfalls in dem Maße, wie der Umweltschutz verrechtlicht wird bzw. von Verfassungs wegen (etwa wegen des Gesetzesvorbehalts) zu verrechtlichen ist, muß die Staatsaufgabe des Aufbaus einer Umweltrechtsordnung bejaht werden. Allerdings bleibt auch dann offen, welche Rolle der Staat in der von ihm normierten Rechtsordnung spielen darf bzw. muß. Jedenfalls theoretisch sind auch weitestgehend zivilrechtliche Lösungen möglich, bei denen dann das Auseinanderfallen der Befugnisse zum Erlaß einer Rechtsordnung (durch den Staat) einerseits und ihrer Anwendung und Realisierung (durch die Bürger) andererseits besonders deutlich wird. Im übrigen werden selbst bei einer grundsätzlichen Bejahung des Staatsauftrags zum Aufbau einer Umweltrechtsordnung wesentliche allgemeine Fragen nicht beantwortet, wobei der Aspekt der inhaltlichen Gestaltung einmal ganz außer Betracht bleiben soll. So sind insbesondere noch die (nicht nur durch die Verfassung vorgegebenen) Grenzen der Umweltrechtsordnung und die Schranken einer möglichen Verrechtlichung zu erarbeiten. Sowohl gegen die äußere Übernormierung (durch eine zu starke Anhäufung von Vorschriften) wie vor allem gegen die innere Übernormierung (durch zu große Detailversessenheit) wird hier der Grundsatz der Normierungserforderlichkeit wenigstens in krassen Fällen verfassungsrechtliche Abhilfe schaffen können. Offen bleibt schließlich auch die gerade im Umweltschutz so bedeutsame Frage nach der gesellschaftlichen Rechtsetzung (durch DIN-

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

oder VDI-Nonnen usw.), wodurch nur von der nonnierenden Seite her die tragende Problematik des Sachverstandes im Umweltschutz angesprochen wird, die ihrerseits wieder auf dem weiten und noch unvollkommen durchfurchten Problemfeld des Sachverstandes in der Demokratie siedelt. 3. Ökologische Einzellenkung Bezüglich der ökologischen Einzellenkung ist die staatliche Rolle keineswegs so einleuchtend wie im Gebiet der ökologischen Gesamtlenkung. Im Bereich einzelfallbezogener Umweltschutzverwirklichung bietet sich neben dem Instrument staatlicher Einwirkung sehr wohl auch die Möglichkeit des individuellen Ausgleichs beteiligter Einzelinteressen an. Obwohl die verbindliche Rechtsanwendung und die Rechtsvollstreckung klassische staatliche Kompetenzen bezeichnen, darf nicht verkannt werden, daß es sich hier um akzessorische Zuständigkeiten nach Maßgabe der staatlich erlassenen Rechtsordnung handelt. Dort, wo die Umweltschutzrechtsordnung das Handeln Privater voraussetzt (z. B. bei der Zuerkennung zivilrechtlicher Abwehr- oder Schadensersatzansprüche oder bei wettbewerbsrechtlichen Sonderregelungen für den Umweltschutz), bleibt insoweit für den Staat zunächst unmittelbar kein Raum mehr. Anders wird dies im wesentlichen erst dann wenn seine Gerichte angerufen werden. Maßgeblich für den Umfang der staatlichen Anwendungs- und Vollstreckungszuständigkeit ist also letztlich die Rechtsordnung selbst. Deshalb kann im Bereich ökologischer Einzellenkung in der Regel nur in einem fonnellen Sinne, nicht aber in einem materiellen Sinne (der Durchsetzung) von einer geborenen Staatsaufgabe gesprochen werden. Im Rahmen einer zulässigen Ausfonnung (der Gestaltung) der Rechtsordnung vennag aber auch die Einzellenkung in ihrer inhaltlichen Dimension zulässigerweise zu einer geborenen Staatsaufgabe zu werden. 4. Eigenvornahme durch den Staat Der derzeit umstrittenste Bereich ist der der umweltschützenden Eigenvornahme, d. h. der selbst realisierenden Umweltschutzaktivitäten des Staates durch eigene Umweltschutzmaßnahmen (z. B. gemeindliche Müllabfuhr sowie - in Verbindung mit Verboten von Individualheizung und -verkehr staatliche Wärrneversorgung und öffentlicher City-Nahverkehr usw.). Hier ist der primäre umweltschutzbezogene Ansatzpunkt für die derzeitige Privatisierungs- (bzw. "Verstaatlichungs-")Diskussion, die an dieser Stelle nicht aufgenommen werden kann. Der Hinweis auf gesetzlich angeordnete Monopole des Staates zur Abwehr von Privatisierungen greift jedenfalls zu kurz, da es ja gerade darum geht, inwieweit derartige vom Gesetzgeber geschaffene Monopole zulässig sind. Der Hinweis auf kostengünstigere Lösungen

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durch Private hat primär ein rechtspolitisches Gewicht. Der wesentliche rechtliche Aspekt ist der, ob ein staatlicher Steuerungsvorbehalt bzw. eine staatliche Ver- bzw. Entsorgungssicherung im Umweltschutz durch eine Eigenvornahme des Staates geeignet und - was wichtiger erscheint - erforderlich ist, um erhebliche Umweltgefährdungen von der Bevölkerung abzuwehren bzw. um einen Mindeststandard umwelt schützender Daseinsvorsorge in sozialstaatlich vertretbarer Form zu gewährleisten.

V. Umweltschutz als Verfassungszielbestimmung? Angesichts der differenzierenden Antwort, die auf die Frage nach dem Umweltschutz als Staatsaufgabe gefunden werden muß, erscheint die seit geraumer Zeit diskutierte Forderung nach einer in die Verfassung aufzunehmenden Staatszielbestimmung Umweltschutz - etwa wie in Art. 86 badenwürttembergische Verfassung n. F. - eher problematisch zu sein. Dabei sollen hier feinere Unterscheidungen danach außer Betracht bleiben, ob die Einführung eines Verfassungsauftrages, einer Staatszielbestimmung oder einer verfassungsrechtlich verankerten Staatsaufgabe gefordert wird (wobei hier freilich der Ableitung derartiger eigenständiger Gehalte aus dem geltenden Verfassungsrecht von vornherein eine Absage zu erteilen ist, was nicht ausschließt, bestimmte abgegrenzte Pflichten zu umweltschützenden Aktivitäten des Staates aus verschiedenen Verfassungsgeboten - z. B. Art. 2 Abs. 2, 74 Nr. 24 GG, "Sozialstaatsprinzip" - herzuleiten. Da auch bei engagiertesten Verfechtern eines verstärkten Umweltschutzes kein staatliches Umweltschutzmonopol gefordert wird, sondern den Privaten durchaus ein eigenes umweltschützendes Betätigungsfeld erhalten bleiben soll, erscheint es doch recht problematisch, eine Staatszielbestimmung Umweltschutz aufzunehmen, die ja dann zugleich auch eine Gesellschaftszielbestimmung wäre. Die prinzipielle alleinige Staatsbezogenheit der Verfassung für den Umweltschutzbereich aufzuheben, erscheint jedenfalls nicht unproblematisch zu sein. Im übrigen wären erhebliche Zweifel an der Rechtseffizienz einer derartigen Verfassungsbestimmung durchaus angebracht, zumal eine individuelle Rechtserzwingungsmacht wie bei dem immer noch diskutierten - ebenfalls nicht unproblematischen - Grundrecht auf Umweltschutz damit gerade nicht gewährt würde. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, daß der Umweltschutz in Baden-Württemberg wegen der dortigen neuen Verfassungsbestimmung faktisch einen meßbar anderen Rang hätte als in den anderen Bundesländern. Die mit einer Verfassungsverankerung vor allem verbundene mögliche politische Aufwertung des Umweltschutzes muß insgesamt abgewogen werden mit dem Verlust an Verfassungseffizienz und mit den möglichen politischen Schäden, die aufgrund von Enttäuschungen überhöhter Verfassungserwartungen in der Bevölkerung durch bloße Pro-

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

grammsätze entstehen können. Außerdem ist es mehr als zweifelhaft, ob die Verfassung wirklich ein Tagebuch für - wenn auch wichtige - politische Gegenwartswünsche werden sollte. Wie steht es dann z. B. mit anderen wichtigen politischen Zielen, wie z. B. der Kultur-Staatlichkeit? Insgesamt verrät jedenfalls der vorschnell erhobene Ruf nach Verfassungsänderungen allemal das Fehlen einer gewachsenen Verfassungskultur.

VI. Ausblick Ein tieferer Sinn der staatlichen Betätigung im Umweltschutz liegt auch im Auftrag des Staates zur Erhaltung des verfassungsgebotenen politischen Systems. Wer sich die ökologisch getönten Protestbewegungen der Gegenwart anschaut, weiß, daß für einen Teil der Bevölkerung die Frage des Umweltschutzes längst zum außerordentlich wichtigen Maßstab für die Beurteilung des politischen Systems in der Bundesrepublik geworden ist. Insoweit hat die staatliche Umweltschutzpolitik auch eine ähnliche Funktion wie die staatliche Wirtschaftspolitik: Hier muß vom Staat eine Pflege der Voraussetzungen des notwendigen Verfassungskonsenses betrieben werden. So wie die funktionierende Wirtschaft eine - wenn nicht die essentielle Sicherung der Verfassungsvoraussetzungen (und damit der derzeitigen staatlichen Grundordnung) ist, gilt dies ähnlich auch für eine unzerstörte Umwelt. Es bedarf sicherlich eines hohen Maßes an Staatskunst, beide Faktoren - leistungsfähige Wirtschaft und intakte Umwelt - gleichermaßen zu gewährleisten. Diese Sicht des staatlichen Umweltschutzes als Sicherung von Verfassungsvoraussetzungen zeigt zugleich, daß Umweltschutz als Beitrag zur Erhaltung des politischen Systems der Bundesrepublik nur in gesicherter Rechtsstaatlichkeit sinnvoll ist. Umweltschutz gibt weder eine umfassende, verfassungsverdrängende Katastrophenkompetenz noch eine Zuständigkeit zu allumfassender Umweltkontrolle und ist auch keine Legitimation für die Aushöhlung der Länder- und Gemeindeverantwortung. Auch wenn die ökologischen Probleme sehr ernst zu nehmen sind, darf die Bundesrepublik kein "totaler" Umweltstaat werden, in dem Umweltschutz ein absoluter Wert wäre und in dem folgerichtig die Umweltnützigkeit zum allbeherrschenden Maßstab würde. So wichtig er häufig auch sein mag, staatlicher Umweltschutz ist unter dem Grundgesetz ausschließlich innerhalb der verfassungsrechtlich vorgegebenen staatlichen Gesamtordnung zulässig und kann nur im Rahmen des für den Staat (bzw. für die Volkswirtschaft) finanziell Machbaren gefordert werden. Rechtsstaatswidrigen, gewalttätigen oder finanziell ruinösen Forderungen nach Umweltschutz hat der Staat entschieden entgegenzutreten. Denn eines ist sicher: Die Staatsaufgabe Umweltschutz darf niemals zur Staats-Aufgabe führen.

Umweltschutz und Verfassungs recht Zum Umweltschutz als Staatspflicht*

A. Allgemeine Problematik I. Auf dem Weg zum Umweltstaat?

a) Wird unser Staat zunehmend ein UmweItstaat, d. h. ein Staat, der die Unversehrtheit seiner Umwelt zu seiner Aufgabe sowie zum Maßstab und zum Verfahrensziel seiner Entscheidungen macht? Diese Frage drängt sich auf, nachdem inzwischen auf Bundesebene wie in fast allen Bundesländern Umweltministerien entstanden sind 1, die Umweltgesetzgebung ein ungeahntes Maß erreicht hat, die Umweltadministrationen und die staatlichen Umweltinvestitionen ständig wachsen und der Umweltschutz eine zentrale Rolle im Bevölkerungsbewußtsein und folgerichtig auch in allen Regierungserklärungen und Parteiprogrammen spielt2 • Alles das mag im Interesse

* Das Manuskript ist aus einem Gastvortrag hervorgegangen, den der Verfasser am 14.12.1987 an der Universität Heidelberg gehalten hat. - Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBI.) 1988, S. 305-316. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Carl Heymanns Verlag, Köln, Berlin, Bonn, München. I Bund: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Länderebene: Baden-Württemberg: Ministerium für Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz, Bayern: Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen, Berlin: Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Bremen: Senator für Umweltschutz, Hamburg: Umweltbehörde, Hessen: Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit, Niedersachsen: Umweltminister, Nordrhein-Westfalen: Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft, Rheinland-Pfalz: Minister für Umwelt- und Gesundheit, Saarland: Minister für Umwelt. Lediglich Schleswig-Holstein hat (noch) kein Umweltministerium errichtet. 2 Von den grundsätzlichen programmatischen Aussagen der Parteien vgl. etwa das Umweltpolitische Programm der CDU vom 10.12.1979; "Umweltpolitik in den 80er Jahren", Positionspapier der CSU vom 7.5.1980; "F.D.P. und Umweltschutz", Umweltpolitische Beschlüsse des 30. ordentlichen Bundesparteitages vom 15. bis 17.6.1978; "Umweltpolitik für die 80er Jahre", Ökologisches Aktionsprogramm der F.D.P., beschlossen auf dem 32. ordentlichen Bundesparteitag vom 29. bis 31.5.1981; Bundesprogramm der GRÜNEN, beschlossen von der 2. Bundesversammlung vom 21. bis 23.3.1980; "Sicherheit für die 80er Jahre: Ökonomie, Ökologie, Umweltschutz", beschlossen auf dem Bundesparteitag der SPD vom 3. bis 7.12.1979; "Frieden mit der Natur. Für eine umweltverträgliche Industriegesell-

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einer Verbesserung der Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zu begrüßen sein. Dies um so mehr, als die - nun gewiß nicht wenigen - Umweltschutzaktivitäten des Staates bisher nur Annäherungen an einen akzeptablen Zustand der Umwelt gebracht haben. Gleichwohl sieht der Verfassungsrechtler die umweltbezogenen Ausweitungen staatlichen Handels nicht ohne Sorge, weil die Staatsaufgabe Umweltschutz bestehende Verfassungsstrukturen relativiert sowie in Frage stellt und so zu Veifassungsgefährdungen führt: Das Vordringen notwendigerweise sachverständiger (also wahrheits- und nicht mehrheitsbezogener) Entscheidungen in die Gesetzgebung etwa illegitimiert zunehmend kompromißhafte demokratische Majoritätsentscheidungen und verfremdet die traditionell rechtsstaatlichen Strukturen der Rechtsanwendungsentscheidungen der Rechtsprechung und Verwaltung, indem sie etwa privaten Sachverständigen eine Schlüsselrolle bei der staatlichen Entscheidungsfindung einräume. Außerdem führt die Notwendigkeit zur Lösung großräumiger Umweltprobleme folgerichtig zur Frage nach der einschlägigen Problemlösungskapazität der Gemeinden und der Bundesländer im Bundesstaat, ja selbst des Gesamtstaats. Jedenfalls lassen grenzüberschreitende Umweltbelastungen 4 insoweit an dem heutigen Sinn kleinräumiger Kompetenzzonen zweifeln. Insgesamt erfolgt mit der Zunahme umweltschutzbezogener staatlicher Eingriffs-, Kontroll- und Handlungsrnacht ein ständiger Machtzuwachs des - wie auch immer intern gegliederten - Staates. Diese staatliche Machtzunahme wird politisch meist bejubelt und viel zu selten problematisiert. Wegen der notwendigen Flexibilität und Weite umweltrechtlicher Schlüsselbegriffe (z. B. "Vorsorge gegen schädliche Umwelteingriffe,,)5 kann dieser schaft", beschlossen auf dem Bundesparteitag der SPD vom 17. bis 21.5.1984. Die genannten Programme werden analysiert von Malunat, Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zu der Wochenzeitung "Das Parlament"), B 29/87, S. 30ff., Zu den neuesten umweltpolitischen Verstößen unten Fußn. 6, 23, 69 und 86. 3 Einen wichtigen Beispielsfall stellen die technischen Normen in ihrer Entstehung und Funktion dar; vgl. allgemein zu den technischen Normen Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; P. Kirchhof, Kontrolle der Technik als staatliche und private Aufgabe, Vortrag auf dem 3. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht am 23.9.1987, ms.; Rittstieg, Die Konkretisierung technischer Standards im Anlagenrecht, 1982, S. 45 ff.; Rengeling, Der Stand der Technik bei der Genehmigung umweltgefahrdender Anlagen, 1985, S. 45; Hanning, Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, 1976, S. 70 ff.; Sendler, NJW 1986, 2907; Hoffmann-Riem, WiVerw. 1983, 120; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1987,265. 4 Vgl. dazu z.B. BVerwG, DÖV 1987,494; KloepferlKohler, Kernkraftwerk und Staatsgrenze, 1981; Kloepfer, DVBI. 1984, 245; ders., AVR 25 (1987), 277; ferner Everling, NVwZ 1987,1. S Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; hierzu etwa ehr. Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzrechts, 1987, S. 64 ff.

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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Machtzuwachs des Staates auch nur unvollkommen rechtlich abgegrenzt werden. Insgesamt gefährden immer neue bzw. intensivierte umweltpolitische Eingriffsbefugnisse des Staates zunehmend die Machtbalance zwischen staatlicher Herrschaft und bürgerlicher Freiheit. Das Umweltrecht nimmt immer mehr (vor allem im Wasserrecht, aber zunehmend auch im Abfall- und Immissionsrecht) Züge eines Notbewirtschaftungsrechts mit den eminenten Freiheitsbelastungen an, wie sie etwa aus dem Kriegsbewirtschaftungsrecht bekannt sind. Schleichende Freiheitsverluste sind jedenfalls sicher, wo staatliche Umweltschutzmaßnahmen unlimitiert und übermäßig erfolgen. Und systemsprengende Einseitigkeiten drohen, wenn der Umweltschutz verabsolutiert wird und seine Relativierung durch andere Staatsaufgaben kategorisch abgelehnt wird 6 . Einen totalen Umweltstaat darf aber niemand wollen, selbst wenn die Bevölkerungsmehrheit eine entsprechende Frage jubelnd bejahen würde. b) Nur zu leicht wird im übrigen der Staat selbst ein Opfer seines eigenen Machtzuwachses im Umweltschutz. Es gibt eben auch und gerade Staatsbelastungen durch Staatskompetenzen. Wie umfassende Wirtschaftsinterventionen der öffentlichen Hand zur Zurechenbarkeit wirtschaftlicher Fehlentwicklungen gegenüber dem Staat führten, machen umfassende Umweltkompetenzen des Staates diesen zunehmend verantwortlich für Mängel in der natürlichen Umwelt. War früher etwa eine Überschwemmung oder ein Erdrutsch ein Schicksalsschlag, so wird heute sehr schnell nach der staatlichen Verantwortlichkeit hierfür und schließlich nach Ersatzansprüchen gegen den Staat gefragt. Aktuell denke man etwa nur an die Diskussion um staatliche Ersatzansprüche für Waldschäden 7 . Interessanterweise stehen gerade im Umweltbereich häufig weniger die eigentlichen Verursacher im Mittelpunkt der Diskussion, sondern paradoxerweise der umweltschützende Staat, der so unter ständigen Handlungs- und Erfolgsdruck gestellt wird, obwohl er häufig nur auf ein Versagen gesellschaftlicher Selbstregulation reagiert. Die bevorzugte Inanspruchnahme des Staates hängt sicherlich auch damit zusammen, daß jedenfalls bei den häufig vorliegenden summierten Immissionen die einzelnen Verursacher und ihre konkreten Verursacherbeiträge nur schwierig zu fassen sind 8 , während dies beim "Staat" anders ist oder doch scheint. 6 Tendenzen hierzu finden sich in dem "Entwurf eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel" der Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN, vgl. BT-DruckS. 11/663, S. 4f. 7 Hierzu etwa Bender, Zur staatshaftungsrechtlichen Problematik der WaIdschäden, UTR 2, S. 83 ff.; Ebersbach, NuR 1985, 165; E. v. Hippel, NJW 1985, 30; Langer, NVwZ 1987, 195; Murswiek, NVwZ 1986, 611; ders., NVwZ 1987, 481; nunmehr auch BGH, Urteil vom 10. 12. 1987 - Az. III 2R 220/86, DVBI. 1988, 232 (keine Staatshaftung).

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

c) Auf diese Weise entsteht so sehr schnell eine Bevälkerungsmentalität, die in allen Mißlichkeiten des Lebens den Staat als Nothelfer (nicht nur) im Umweltschutz sieht und verantwortlich für unterbliebene oder erfolglose Hilfe macht. Die angebliche Omnipotenz des umweltschützenden Staates wird schließlich verinnerlicht, weshalb Umweltschäden und -katastrophen im Ergebnis zu einer Legitimitäts- und Vertrauenskrise des Staates führen können. Eine zerstörte Umwelt bedroht so den Verfassungskonsens, auf dem unser Gemeinwesen ruht. d) Als Zwischenergebnis bleibt schon hier festzuhalten, daß jede umweltpolitische Omnipotenz oder jede einseitige Übermacht des Staates zu einem unversöhnlichen Gegensatz zur Grundidee der Verfassung, der Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht, führen müßte. Jedenfalls ist angesichts der zunehmenden Umweltschutzaktivitäten des Staates zu fragen, ob und inwieweit die Verfassung diese Entwicklung steuert, kontrolliert oder sogar fordert.

11. Umweltspezifische Verfassungsregelungen 1. Weimarer Verfassung Die an (häufig unerfüllten) Programmsätzen reiche Weimarer Verfassung 9 forderte in ihrem Art. 150 Abs. I staatlichen Schutz und Pflege nicht nur für die Denkmäler der Kunst und Geschichte, sondern auch für die Naturdenkmäler und die Landschaft. Mit dieser Bestimmung, die noch stark programmatischen, nicht aber unmittelbar rechtsgestaltenden Gehalt hatte, wird der alte Zusammenhang des Naturschutzes mit dem Kulturauftrag des Staates deutlich, der den Naturschutz etwa in Preußen der Kultusverwaltung überantwortete ("Naturdenkmäler") und noch heute in der - manchmal so preußischen - DDR deutlich wird, die ihr bisher wichtigstes umweltpolitisches Gesetz: Landeskulturgesetz lO nennt.

8 Bender (Fußn. 7), S. 95; aus zivilrechtlicher Sicht Marburger, Zur zivilrechtlichen Haftung für Waldschäden, UTR 2, S. 109ff., 144. 9 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919 (RGBI. S. 1383), nachgedruckt u.a. bei Hildebrandt (Hrsg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, 13. Aufl. 1985, S. 69 ff. 10 Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur der Deutschen Demokratischen Republik vom 14.5.1970 (GBI. 1 S. 67), zuletzt geändert am 21.7.1982 (GBI. I S. 467); umfassend zur Stellung des Umweltschutzes im Rechtssystem der DDR neuerdings Lücke, Umweltschutz in der Verfassung der DDR, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1987, S. 153ff.

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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2. Länderveifassungen Im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Länder taucht der Begriff des Umweltschutzes als solcher bisher - trotz einiger einschlägiger rechtspolitischer Bemühungen 11 - nicht auf. Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, daß es in unserem Staat überhaupt keine verfassungsrechtlichen Aussagen zum Umweltschutz gäbe. Immerhin werden u. a. die natürlichen Lebensgrundlagen von den Verfassungen Baden-Württembergs (Art. 86)12, Bayerns (Art. 141 Abs. 3)13, des Saarlandes (Art. 59 a)14 sowie der Länder Bremen (Art. 11 a, 26 Nr. 5, 65)15, Hamburg (Präambel) 16, Nordrhein-Westfalen (Art. 29 a)17 und Rheinland-Pfalz (Art. 73 a)18 geschützt, wobei insbesondere die bayerische, die bremische und die saarländische Verfassung noch detailliertere Aussagen treffen (vgl. auch Art. 31 BV). Weitere Landesverfassungen bekennen sich in der Wei11 Vgl. insbes. BT-Drucks. 8/1502, BR-Drucks. 247/78 (Gesetzesantrag Hessens); BR-Drucks. 307/84 (Gesetzesantrag Schleswitl-Holsteins); BT-Drucks. 10/ 990 (Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion DIE GRUNEN); BT-Drucks. 10/1502 und 11 /1 0 (Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der SPD); BT-Drucks. 11/663 (Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN); BT-Drucks. 11/885 (Gesetzentwurf des Bundesrates); zu den drei letztgenannten Entwürfen ausführlich unten 8.; vgl. ferner die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 18.3.1987, Bulletin der Bundesregierung Nr. 27 vom 19.3.1987, S. 205 ff., und die Plenardebatte des Deutschen Bundestages vom 2.4.1987, BT-Plen.-Prot. 11/37S (B)ff. 12 Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11.11.1953 (GBI. S. 173), zuletzt geändert am 14.5.1984 (GBI. S. 301). Durch Verfassungsänderung vom 10.2.1976 (GBI. S. 98) wurden die Schutzgüter um die "natürlichen Lebensgrundlagen" ergänzt. \3 Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.12.1946 (BayRS loo-I-S). Wesentliche Erweiterungen der bereits in der ursprünglichen Fassung enthaltenen Schutzgehalte (Art. 141 BayVerf. a.f.) gehen auf die Verfassungsänderung vom 20.6.1984 (GVBI. S. 223) zurück (Art. 3 Abs. 2, Art. 131 Abs. 2, Art. 141 Bay. Verf. n.f.). Hierzu näher Soell, WiVerw. 1986,205 (208f.). 14 Verfassung des Saarlandes vom 15.12.1947 (Amtsblatt S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 1183 vom 25.1.1985 (Amtsblatt S. 106). Der neue Art. 59 a Saarl. Verf., der einen eigenen Abschnitt der saarländischen Verfassung bildet, tritt neben den älteren Art. 34 Abs. 2 Saarl. Verf., der Naturdenkmäler und Landschaft neben die Kulturdenkmäler stellt und dem Schutz und der Pflege des Staates anempfiehlt. Art. 59 a Saarl. Verf. enthält neben Umweltschutzaufgaben i. e. S. auch ein Energiespargebot und nennt ausdrücklich den Schutz des Waldes als ..erstrangige Aufgabe des Staates". 15 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21.10.1947 (BremGBI. S. 251), zuletzt geändert am 9.12.1986 (Gesetz zur Aufnahme des Umweltschutzes), BremGBI. S. 283. 16 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6.6.1952 (BL IIOO-a), Präambel geändert am 27.6.1986 (GVBI. S. 167). 17 Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18.6.1950 (GV NW S. 127), zuletzt geändert am 19.3.1985 (Einfügung von Art. 29 a), GV NW S. 255. 12 Kloepfer

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

marer Tradition zum Denkmal- und Landschaftsschutz (vgl. Art. 62 Hess. Verf. 19, Art. 18 Abs. 2 NW Verf., 40 Abs. 3 Verf. Rh.-Pf.). Einen eigenen Akzent setzt die Verfassung Bremens, deren Aussage, der Mensch stehe "höher als Technik und Maschine" (Art. 12 Brem. Verf.) - ursprünglich wohl primär auf die Arbeitswelt verweisend - heute auch auf den Umweltschutz bezogen werden kann. Es ist das Verdienst der bremischen Verfassung, noch wenig erkannte Zielkonvergenzen zwischen Umweltschutz und technischer Arbeitssicherheit sowie anderer Rechtsgebiete (z. B. Datenschutz) auf eine einheitliche verfassungsrechtliche Wertentscheidung zurückgeführt zu haben.

3. Grundgesetz Im Gegensatz zu den ohnehin stärker (auch) programmatisch geprägten Landesverfassungen enthält das mehr rechtssatzhafte Grundgesetz bisher kaum umweltschutzspezifische Aussagen. Lediglich bei der Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund, und zwar bezüglich der Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Nr. 24 GG - seit 1972)20 sowie zum Naturschutz (Art. 75 Nr. 3 GG), Wasserhaushalt (Art. 75 Nr. 4 GG) und zum Tierschutz (Art. 74 Nr. 20 GG) sind umweltschutzspezifische Verfassungs aus sagen vorhanden, aber nur zur Kompetenzabgrenzung von Bund und Ländern, nicht aber im Verhältnis von Staat und Bürgern. Eine Fülle weiterer Kompetenzvorschriften sowie verschiedene Grundrechte sind zwar nicht umweltspezifisch, wohl aber (auch) umweltrelevant. Die insgesamt gleichwohl große Zurückhaltung der westdeutschen Bundesverfassung gegenüber dem Umweltschutz als einer der zentralen Aufgaben des modemen Gemeinwesens wird vielerorts als unbefriedigend empfunden. Deshalb sind die Forderungen nach einer Konstitutionalisierung des Umweltschutzes entstanden, auf die später einzugehen sein wird.

18 Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18.5.1947 (VOBL S. 209), zuletzt geändert am 19.11.1985 (Landesgesetz zur Änderung der Landesverfassung - Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen), OVBI. S. 260. 19 Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946 (OVBI. S. 229), zuletzt geändert am 23.3.1970 (OVBI. I S. 281). 20 Oesetz vom 12.4.1972 (BOBI. I S. 593). Bestrebungen, auch den Wasserhaushalt in die konkurrierende Oesetzgebungskompetenz des Bundes zu überführen, scheiterten hingegen am Widerstand der Länder; hierzu zuletzt BT-Drucks. 7/887.

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111. Problemaspekte des Umweltverfassungsrechts

a) Grundsätzlich sind unterschiedliche verfassungsrechtliche Annäherungen an das Phänomen des Umweltschutzes möglich. Dabei ist jetzt und in absehbarer Zeit keine umfassende Umweltverfassung im Sinne einer SubVerfassung (etwa wie die Finanzverfassung) zu erwarten. Auch kann die Verfassung von vornherein nur Rechtssätze und zwar primär über staatliches Verhalten, schwerlich aber gewünschte Zustandsbeschreibungen der Umwelt enthalten, weil verfassungsrechtliche Prognosen ökologischen Glücks rechtlich weitestgehend nutz- und sinnlos wären. Das Verfassungsrecht kann zunächst Aussagen darüber treffen, ob und inwieweit der Staat Umweltschutzaufgaben wahrnehmen muß oder darf. Auf Seiten des Bürgers, also grundrechtlich, wird diese Problematik zunächst von der Frage aufgenommen, ob sich aus den Grundrechten ein Anspruch auf umweltschützendes staatliches Handeln ableiten läßt. wobei hier aber auch die grundrechtliche Frage des Anspruches auf Unterlassen umweltbelastenden staatlichen Handeins aufkommen kann. Darüber hinaus können sich aus den Grundrechten privater Umweltschützer (Art. 2 Abs. 1 GG evtl. i. V. mit dem Übennaßverbot) bzw. gewerblicher Umweltschutzunternehmen (Art. 12, 14 GG) Grenzen für die staatlichen Umweltschutzaktivitäten ergeben. Die Staatspflicht zum Umweltschutz und die Grundrechte für private Umweltschutzaktivitäten sind dabei insoweit primär richtungsgleiche Verfassungspositionen. Ihre Reibungsflächen beziehen sich hier eher auf Fragen der Umweltschutzkonkurrenz, zielen im Ergebnis aber beide auf die Ennöglichung von Umweltschutz (und zwar entweder durch den Staat oder durch Private)21. b) Die Kollision des Umweltschutzes mit gegenläufigen Interessen kann sich auf staatlicher Ebene in einschlägigen Kompetenz- und Ressortkonkurrenzen niederschlagen, wird auf Verfassungsebene vor allem aber durch die verfassungspraktisch außerordentlich wichtige Frage nach den Begrenzungen staatlichen Umweltschutzes durch die Grundrechte privater Umweltbelaster (Art. 12, 14 GG) thematisiert. Es handelt sich dabei - allgemein gesprochen - um das prinzipielle Thema des grundrechtlichen Schutzes Privater vor Maßnahmen des staatlichen Umweltschutzes 22 . Vorsicht ist dabei gegenüber der pauschalen Annahme einer allgemeinen Umweltpflichtigkeit der Grundrechte, jedenfalls im Sinne einer allgemeinen ökologischen Reduzierung der Grundrechtstatbestände oder einer Per-seVorrangentscheidung für den Umweltschutz, geboten 23 . Dies gilt minde21 22

Kirchhoj(Fußn. 3), S. 15ff. Umfassend nunmehr Murswiek, Die staatliche Verordnung für die Risiken der

Technik, 1985, S. 88 ff. 12'

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

stens so lange, wie der Verfassungsgeber sich nicht zur gleichzeitigen Einführung einer allgemeinen individuellen Umweltpflicht entschließt. Dies ist derzeit jedoch nicht zu erwarten, weil es ja bequemer ist, den Umweltschutz prinzipiell als Staatsaufgabe zu konstitutionalisieren und belastende Wirkungen des Umweltschutzes für den Bürger24 möglichst nicht politisch zu thematisieren. Jedenfalls kann staatlicher Umweltschutz auch freiheitsbeschränkend wirken, selbst wenn man gleichzeitig die staatliche Ermöglichung des Umweltgenusses für Dritte, d. h. den Prozeß der Umverteilung von Umweltressourcen bedenkt. Erschwerend kommt noch hinzu, daß die Schwierigkeiten bei der Erkennbarkeit von Kausalverläufen von Umweltschäden (insbes. wegen der synergetischen Effekte )25 und das Ausgreifen des umweltpolitischen Vorsorgegedankens insbes. das Geeignetheitsprinzip und den Erforderlichkeitsgedanken als rechtsstaatliche Kernaussagen nur noch unvollkommen greifen lassen. Insoweit wird im Umweltrecht das Übermaßverbot als Schutzinstrument der Individualfreiheit faktisch deutlich geschwächt. Unter grundrechtlichem Aspekt stellt sich also die Frage nach den umweltrelevanten grundrechtlichen Positionen sowohl des privaten Umweltbelasteten wie auch des privaten Umweltbelasters und schließlich des privaten Umweltschützers. Bereits bei diesem Ansatz wird die Komplexität des Themas - Umweltschutz in der Verfassung - deutlich, die augenscheinlich verschiedenartige Kollisionen in sich birgt und vor allem nach gesetzgeberischen Kollisionslösungen verlangt. c) Die allgemeinen veifassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Macht begrenzen selbstverständlich auch die umweltschützenden Aktivitäten des Staates. Im bundesstaatlichen Bereich bleibt es theoretisch bei der gesetzgeberischen Regelzuständigkeit der Länder (Art. 70 GG), wenngleich der Bundesgesetzgeber über weitestgehende Einzelzuständigkeiten auf dem Umweltsektor verfügt 26 . Trotz der Weiträumigkeit vieler Umweltprobleme ist im 23 Dies wird vor allem in dem "Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung eines Artikels 20 a)" des Bundesrates berücksichtigt, der die Einführung einer "Abwägungsklausel" vorsieht, vgl. BTDrucks. 11/885, S. 3. Allerdings ist damit noch kein Urteil über diese Abwägungsklausel gefällt (näheres hierzu unten B IV 2 e), zum al es auch andere konstruktive Wege zur Herstellung einer Konkordanz mit anderen verfassungsrechtlichen Entscheidungen gibt. 24 Zu den belastenden Wirkungen des Umweltschutzes vgl. etwa Sendler, UPR 1983, 33 und 73. 25 Zu den Ursachen der Waldschäden Moosmayer, Waldschäden aus naturwissenschaftlicher Sicht, UTR 2, S. 1 (6ff.).

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übrigen vor ungeschriebenen Umweltschutzzuständigkeiten des Bundes aus der Natur der Sache zu warnen, zumal dem Bund (auch) hier ohnehin längst neue Kompetenzen durch Verfassungsänderung (Art. 74 Nr. 24 GG) zugewachsen sind 27 . Die Länder können großräumige Umweltprobleme im Rahmen ihrer Kompetenzen regelmäßig auch durch horizontale Kooperationen untereinander lösen. Unter rechtsstaatlich-demokratischen Aspekten stellt sich durch den staatlichen Umweltschutz vor allem das Problem, ob und inwieweit der parlamentarische Gesetzgeber die technischen Einzelheiten der sich schnell ändernden technisch-wissenschaftlichen Standards im Umweltrecht selbst bestimmen kann und u. U. sogar muß 28 . Die Grenzen der gesetzlichen Normierbarkeit sind dabei freilich schnell erreicht. Vor allem harrt der verfassungsrechtlich wirklich akzeptable Einbau der Regeln von Wissenschaft und Technik in die Gesetzgebung (aber auch anderer staatlicher Entscheidungs- und Kontrollvorgänge) noch immer einer überzeugenden Lösung 29 • Daß der staatliche Gesetzgeber bei der Schaffung von Umweltnormen stark auf den technisch-wissenschaftlichen Sachverstand angewiesen ist, der primär bei den umweltbelastenden Unternehmen als potentielle Gesetzesadressaten zu finden ist, verstärkt die Probleme einer legitimen und vernünftigen Umweltgesetzgebung des Staates noch erheblich. Obwohl dem theoretischen Ideal der Demokratie scheinbar so nahe, dürfte es nicht selten doch mehr als bedenklich sein, den Umweltbelastern als Gesetzesbetroffe26 Der Bund besitzt die - meist umfassend ausgeschöpfte - konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74) auf den Gebieten des Kernenergierechts (Nr. 11 a), des Pflanzen- und Tierschutzrechts (Nr. 20), des Gefahrstoffrechts (Nr. 11, 12, 17, 19, 20), des Abfall-, Lärmschutz- und Luftreinhaltungsrechts (Nr. 24), sowie die Rahmenkompetenz (Art. 75) auf den Gebieten des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Nr. 3), der Raumordnung und des Wasserhaushaltes (Nr. 4). 27 Vgl. oben Fußn. 20. Allgemein zu ungeschriebenen Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, 1980, § 37 11 5. 28 Zur sog. Wesentlichkeitstheorie BVerfGE 33, 125 (163); 64, 165 (192f.); 40, 237 (249f.); 41, 251 (259ff.); 45, 400 (417); 47, 46 (48fO; 48, 210 (221); 49, 89 (126f.); Heue, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 15. Aufl. 1985, Rdnr. 509; Schnapp, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 1985, Art. 20, Rdnr. 46; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 20 IV 4b; Listl, DVBI. 1978, 10 (12ff.); Kisker, NJW 1977, 1313 (1317ff.); Kloepfer, JZ 1984,685; ders., NJW 1985,2497; Eberle, DÖV 1984,485; Becker, BayVBI. 1985,641; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1 1987, § 24 Rdnm. 63 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986. 29 Jüngstes Beispiel dafür ist die verfassungsrechtlich keineswegs unproblematische Neufassung des § 7 a Abs. I Satz. 3, 2. Halbs. WHG; hierzu Breuer, NuR 1987, 49 (53); ders., Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl. 1987, Rdnm. 374ff.; Lübbe-Wolff, DÖV 1987, 896.

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

nen ein faktisch entscheidendes Mitgestaltungsrecht bei der Gesetzgebung einzuräumen, weil deren Interessen nicht mit denen der Gesamtgesellschaft gleichgesetzt werden dürfen 3o . d) Dem allen kann hier indessen nicht im einzelnen nachgegangen werden. Im folgenden soll vielmehr nur ein einziger Ausschnitt aus der Gesamtproblematik Umweltschutz und Verfassung erörtert werden, der durch die einschlägigen verfassungspolitischen Vorstöße zur Grundgesetzänderung ein besonderes Gewicht erhalten hat. Es handelt sich dabei um die Frage, ob es eine Verfassungspflicht des Staates zum Schutz der Umwelt gibt oder rechtspolitisch doch geben sollte.

B. Staatspflicht zum Umweltschutz I. Grundsätzliches Aus dem geltenden Verfassungsrecht des Bundes läßt sich keine Rechtspflicht des Staates zum Umweltschutz insgesamt, möglicherweise aber in einigen Bereichen oder doch wenigstens in Einzelfällen ableiten. Solange es die vorgeschlagene Staatszielbestimmung Umweltschutz (oder gar ein Umweltgrundrecht) nicht gibt, ist aus dem Grundgesetz eine allgemeine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zum Umweltschutz nicht ableitbar. Eine solche folgt de constitutione lata insbesondere auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip31, das mit seinem Auftrag zur Daseinsvorsorge umfassende Umweltaktivitäten des Staates zwar grundsätzlich legitimiert, konkrete staatliche Aktivitäten insoweit aber nur ganz ausnahmsweise etwa im Überiappungsbereich von technischer Arbeitssicherheit und Umweltschutz - fordert 32 • Das staatliche Dürfen zu staatlichen Umweltschutzaktivitäten ist verfassungsrechtlich keinesfalls mit staatlichen Handlungsgeboten gleichzusetzen. Dies zeigt sich auch an den genannten umweltspezifischen Gesetzgebungskompetenzen, die Gesetzgebungsbefugnisse, aber grundsätzlich keine Gesetzgebungspflichten begründen 33 . Entsprechendes gilt im Prinzip auch für umweltschützende Befugnisse der Exekutive, wobei hier allerdings der ermächtigende Gesetzgeber entsprechende Handlungspflichten der VerwalVgl. auch Kirchhof (Fußn. 3), S. 18 ff. So aber W. Weber, DVBl. 1971, 806; zust. H. H. Klein, Ein Grundrecht auf saubere Umwelt?, in: FS Wemer Weber, 1974, S. 643ff. (644). 32 Ebenso u. a. Rauschning, Staats aufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), 167ff. (177). Vgl. allgemein auch Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 1958 ff., Art. 73 Rdnr. 5. A. A. aber die in Fußn. 31 Genannten, wie auch Steiger, in: SalzwedeI (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 2lff. (26). 33 Stern (Fußn. 27), § 37 II 4 c. 30

31

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tung vorsehen kann. Bei administrativen Ennessensennächtigungen sind ausnahmsweise - insbesondere auch aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen (z. B. Art. 2 Abs. 2, 3 GG) - Ennessensreduzierungen auf Null und daraufhin Pflichten der Behörden zum umweltschützenden Einschreiten vorstellbar34 . Wenn überhaupt, können sich also aus dem geltenden Verfassungsrecht, d. h. aus speziellen, nicht umweltgesetz-spezifischen Verfassungsartikeln nur punktuelle Umweltpflichten des Staates ergeben. Dabei sind vor allem staatliche Unterlassungs- und Handlungspflichten voneinander zu unterscheiden. 11. Unterlassungspflichten

Die grundrechtliche Abwehr umweltbelastender Aktivitäten des Staates scheint der klassischen grundrechtlichen Abwehrfunktion zugunsten des Individuums vor staatlichen Übergriffen am ehesten zu entsprechen. Hierbei ist allerdings näher zu differenzieren zwischen unmittelbaren Umweltbeeinträchtigungen durch tatsächliches Vorgehen des Staates einerseits und mittelbaren Umweltbeeinträchtigungen durch die staatlichen Genehmigungen für umweltbeeinträchtigende Aktionen andererseits.

l. Tatsächliche Beeinträchtigungen Die Berufung auf Grundrechte (z. B. Art. 2 Abs. 2, 14 GG) gegenüber Umweltbelastungen unmittelbar durch den hoheitlich handelnden Staat (z. B. tieffliegende Bundeswehrflugzeuge, Bundeswehr-Schießplatz, Lännbelästigungen durch Polizei, Feuerwehr, Paketpostämter) aktualisieren typischerweise in Fonn der Abwehr faktischer Eingriffe des Staates grundrechtliche Abwehrgehalte; nicht selten wird freilich auch versucht, derartige Konflikte durch das - insoweit nur bedingt funktionsadäquate - zivilrechtliche Nachbarrecht zu lösen35 •

34 Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167ff. (199f.); allgemein zur ,,Ermessensreduzierung auf Null" Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1986, § 18 Rdnr. 60; ErichsenlMartens, in: dies. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 1986, § 12 II 2 c ce. 35 Vgl. zur Rolle des Zivilrechts im Umweltschutz insbes. Marburger, Ausbau des Individualschutzes gegen Umwe1tbe1astungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, Gutachten C zum 56. Deutschen Juristentag Berlin 1986, in: Verhandlungen des 56. DIT, Bd. I, 1986, C lOlff.; Kloepfer, VerwArch. 76 (1985), 371 (379 ff.).

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

2. Staatliche Genehmigungen Der weitaus wichtigere Fall der grundrechtlichen Abwehr von (auch) staatsverursachten Umweltbeeinträchtigungen ist jedoch das Vorgehen gegen den Staat als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde bezüglich der Umweltbelastungen Dritter (z. B. eines Anlagenbetreibers). Bei diesen sich vielfach in öffentlich-rechtlichen Nachbarklagen 36 entladenden Konflikten werden von den Anliegern juristische "Selbstvertreterkriege" gegen den genehmigenden bzw. nicht einschreitenden Staat geführt, wo doch eigentlich der Betreiber als Umweltbelaster der primäre Konfliktgegner sein sollte. Indem ein Großteil der Umweltgesetze staatlichen Genehmigungsentscheidungen privat-rechtsgestaltende Wirkung beilegt, d. h. zivilrechtliehe Abwehransprüche ausschließt (vgl. z. B. § 14 BImSchG), machen sie allerdings das "Austauschen" des Gegners im juristischen Dreiecksverhältnis von Umweltbelaster, Belastetem und Genehmigungsbehörde unvermeidbar. Von daher ist die These aufgekommen, das Umweltrecht enthalte auch einen Immissionsduldungszwang, den der Staat sich insoweit zurechnen lassen müßte 37 • Das kann freilich nicht davon ablenken, daß der genehmigende Staat nicht der unmittelbare Verursacher der genehmigten Umweltbelastungen ist. Soweit sich die Anlieger bei ihren Nachbarklagen auf Grundrechte (vornehmlich Art. 14 GG und 2 Abs. 2 GG) berufen und der Staat deswegen gegen den Betreiber bzw. Umweltbelaster vorgeht, handelt es sich um eine durch staatliche Aktion vermittelte, gewissermaßen verwaltungsrechtliche Quasi-"Drittwirkung". Demgegenüber kann sich der Belastete gegenüber dem Umweltbelaster nicht auf Grundrechte berufen, da den Grundrechten keine unmittelbare Drittwirkung unter Privaten zukommes. Staatliche Spielräume zur ausgleichenden Konfliktlösung ergeben sich vor allem im Bereich der grundrechtlichen Inhaltsausgestaltung und Schrankenziehung. 36 Vgl. zu dieser bereits aus dem Baurecht bekannten Konstellation etwa Berger, Grundfragen umweltrechtlicher Nachbarklagen - zum verwaltungsrechtlichen Drittschutz im Bauplanungsrecht, Immissionsschutzrecht und Kernenergierecht, 1982; Jarass, NJW 1983,2844; Marburger (Fußn. 35), C 16ff. m.w.N. 37 Murswiek (Fußn. 22), S. 91 ff.; ders., NVwZ 1986, 611 (613); ders., WiVerw. 1986, 179 (204); ders., NVwZ 1987,481; a. A. Schmidt, ZRP 1987, 345 (347); Papier, in: Maunz/Dürig (Fußn. 32), Art. 14 Rdnr. 43 a. 38 Vgl. zu dieser schon lange, aber vielleicht noch immer nicht ..ausdiskutierten" Frage statt aller Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 1979, S. 137 ff. m. w. N.; Dürig, in: Maunz/Dürig (Fußn. 32), Art. lAbs. 3, Rdnm. 127ff.; Hesse (Fußn. 28), Rdnm. 351 ff. Entsprechend in bezug auf den Umweltschutz Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S.28; Lücke, DÖV 1976, 289 (291); Steiger, Mensch und Umwelt. Zur Frage der Einführung eines Umweltgrundrechts, 1975, S. 64 f.

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III. Leistungspflichten 1. Verfassungsrechtliche Schutzpflicht Mit diesem Dreiecksverhältnis zwischen Umweltbelaster, Belastetem und Genehmigungsbehörde eng (aber nicht allein) ist das derzeit schwierigste Grundrechtsproblem im Umweltbereich verbunden, nämlich die Frage, ob es einen grundrechtlichen Anspruch gegen den Staat auf umweltschützendes staatliches Handeln gegenüber Dritten gibt. Dies führt zu der weiten, hier nicht im einzelnen darstellbaren Problematik der Grundrechte als Leistungsrechte 39, die wohl stets nur differenziert gelöst werden kann. Während etwa ein umweltfreundliches, grundrechtsförderndes Handeln (z. B. durch Umweltschutzsubventionen) schwerlich als Verfassungspflicht konstruierbar sein dürfte, ist in Einzelfällen ein grundrechtssicherndes Handeln des Staates40 gegenüber umweltschädigenden und gesundheits- bzw. eigentumsschädigenden Verhaltensweisen Dritter (Schutzpflicht) u. U. eher verfassungsrechtlich ableitbar.

2. Teilgewährleistungen Einzelne insoweit potentiell schutzpflichtbegründende Grundrechte wie insbesondere Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 14 GG und Art. 2 Abs. I GG enthalten zwar keine umweltspezifischen Verfassungsaussagen, wohl aber mittelbar umweltschützende Teilgewährleistungen. 39 Vgl. dazu unter den zahlreichen Schrifttumsäußerungen insbes. Badura, Der Staat 19 (1975), 17ff.; E. W. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534ff.); Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, in: FG 25 Jahre BVerfG, 1978, S. 89; G. Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971; Hesse, EuGRZ 1978, 427 (433f.); H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1974, passim; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 2ff.; ders. (Fußn. 38), S. 22ff.; W. Martens und Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, WDStRL 30 (1971), 7ff. und 43ff.; Rupp, AöR 101 (1976), 161 (176ff.); Schambeck, Grundrechte und Sozialordnung, 1969; Tomandl, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, 1967, sowie zuletzt Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 395 ff.; speziell im Hinblick auf den Umweltschutz H. H. Klein (Fußn. 31), S. 646ff. 40 Vgl. allgemein zu den Grundrechten als Schutzrechten Alexy (Fußn. 39), S. 41Off.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 27ff.; Kloepfer, Grundrechte (Fußn. 39), S. 19 ff.; sowie speziell im Hinblick auf den Schutz vor den Folgen von Umweltschädigungen Rupp, J2 1971, 401 (402); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, sowie Murswiek, WiVerw. 1986, 179. Die Unterscheidung zwischen Grundrechten als Schutzrechten und klassischen Abwehrrechten wird von Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff., zu Unrecht in Frage gestellt. Vgl. auch dens., NVwZ 1983,523.

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

a) So schützt z. B. Art. 2 Abs. 2 GG nicht nur das Leben und die körperliche Unversehrtheit, sondern auch ein "ökologisches Existenzminimum" i. S. eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes41 • Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 2 Abs. 2 GG nicht nur als subjektives Abwehrrecht vor staatlichen Eingriffen. Vielmehr folgt darüber hinaus aus seinem objektivrechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren42 . Diesen zunächst im FristenlösungsUrtei143 und im Schieyer-Beschluß44 entwickelten Grundsatz hat die Rechtsprechung seither mehrfach auf Fallkonstellationen im Überschneidungsbereich von Gesundheits- und Umweltschutz bezogen (Kernkraftwerke Kalkar45 und Mülheim-Kärlich46 , Flughafen Düsseldorf Lohausen47 , Waldsterben 48 . Mit der - allerdings nicht zu überziehenden - Ausdehnung des verfassungsrechtlichen Gesundheitsbegriffes, insbesondere der Einbeziehung auch des psychischen Wohlbefindens 49 könnten zunehmend mehr Umweltschädigungen nach geltendem Verfassungsrecht mittelbar abwehrbar werden. b) Über die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG können Umweltbelange reflexartig und punktuell in den Eigentumsschutz einbezogen werden. Die teilweise Übereinstimmung zwischen den Belangen des Eigentumsund Umweltschutzes wird vor allem bei der Waldschadensproblematik deutlich, die allerdings auch die Schwierigkeiten juristischer Abhilfe verdeutlicht. Die derzeit vornehmlich (kontrovers) diskutierten Entschädigungsansprüche der geschädigten Waldeigentümer gegenüber Staat und Schadstoffemittenten50 könnten zum Umweltschutz freilich nur einen mittelbaren Beitrag leisten, indem sie die Kosten versäumten Umweltschutzes spürbar machen. Auch wenn die Durchsetzung derartiger Ansprüche auf erhebliche 41 Hierzu näher Kloepfer (Fußn. 38), S. 22, 27ff. m. w. N. Von Art. 2 Abs. 2 GG als "Eckpfeiler des Immissionsschutzes" spricht im wesentlichen sinngleich Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (207). Zum "ökologischen Existenzminimum" begriffsprägend Scholz, JuS 1976, 232 (234). 42 Anders aber noch BVerfGE I, 97 (!04f.). 43 BVerfGE 39, I (41 ff.). 44 BVerfGE 46, 160 (164f.). 45 BVerfGE 49, 89 (140ff.). 46 BVerfGE 53, 30 (57 ff.). 47 BVerfGE 56, 54 (73 ff.). 48 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, 2931. 49 BVerfGE 56, 54 (73 ff.). 50 Vgl. hierzu insbes. Leisner, Waldsterben. Öffentlichrechtliche Ersatzansprüche, 1983, sowie die in den Fußn. 7 und 8 Genannten. Ferner u. a. E. v. Hippel, NJW 1985,30; Ladeur, DÖV 1986,445.

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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Schwierigkeiten stößt und der Vorprüfungsausschuß des BVerfG51 und soeben der BGH52 eine pflichtwidrige Verletzung der gesetzgeberischen Schutzpflicht verneint hat, scheint die weitere rechtliche und rechtspolitische Entwicklung noch durchaus offen. c) Schließlich wird argumentiert, das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung des Art. 2 Abs. I GG schütze als Hauptfreiheitsrecht bzw. Auffanggrundrecht zumindest in Verbindung mit Art. I Abs. I GG die Existenz einer menschenwürdigen UmweltS3 . Diese Vorstellung ist jedoch so allgemein, daß sich hieraus regelmäßig keine konkret-individuellen Schutzansprüche ergeben können 54 .

Im Vordergrund der verfassungsrechtlichen Teilgewährleistungen des Umweltschutzes steht daher das durch Art. 2 Abs. 2 Satz I GG verbürgte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 3. Veifassungsrechtliche Sicherungen

Die staatliche Schutzpflicht aktualisiert sich nicht nur in strengen materiellrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für risikobehaftete Vorhaben, sondern schlägt sich auch in verfahrensrechtlichen Sicherungen niede~5. Diese verfahrensrechtlichen Sicherungen werden um so wichtiger, als sich materielle Gewährleistungen im Umweltschutz - etwa Emissionsbegrenzungen - angesichts ständiger Veränderungen von Wissenschaft und Technik nur schwer präzise und dauerhaft formulieren lassen und ständige Anpassungen staatlicher Standards an diese Veränderungen kaum in rechtsstaatlich einwandfreier Weise zu gewährleisten sind56 . BVerfG (Vorprüfung sau schuß), NJW 1983,2931 (2932). BGH, Urteil vom 10.12.1987 - Az. III ZR 220/86, DVBI. 1988,232. 53 Lücke, DÖV 1976, 289 (290); Rupp, JZ 1971, 401 (402); W. Weber, DVBI. 1971, 806. Vgl. auch Steiger (Fußn. 32), S. 46f. 54 Dagegen auch Rauschning (Fußn. 32), S. 181; ähnlich Maus, JA 1979, 287 (288). Ule, DVBI. 1972, 437 (438), bestreitet sogar einen Zusammenhang zwischen Art. I und 2 GG und dem Umweltschutz. Zu einem menschenwürdigen Leben dürfte indessen auch ein "Mindestmaß an immateriellen Umweltschutzverhältnissen" gehören; so zutreffend Lücke, DÖV 1976, 289 (290). 55 BVerfGE 53, 30 (65 f.); vgl. zuvor bereits zum Verfahrensgedanken (außerhalb des Umweltschutzes) BVerfGE 37, 132 (141, 148); 39, 276 (294); 44, 105 (119ff.); 45, 422 (430ff.). 46, 325 (334); 49, 220 (225); 51, 324 (346ff.); 52, 214 (219), sowie im Schrifttum zuletzt statt vieler LerchelSchmitt GlaeserISchmidt-Aßmann, Verfahren als Staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984. 56 Hierzu bereits oben A III c. Vgl. auch Praml, NuR 1986, 66 mit Fußn. 8. Bedenklich ist auch die lange Dauer der Anpassungsverfahren. So steht der angekündigte "zügige Erlaß" der Abwasserverwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. I Satz 3 2. Halbs. WHG n. F. (Inkrafttreten 1.1.1987) noch immer weitestgehend aus. 51

52

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Wie das BVerfG im Mülheim-Kärlich-Beschluß ausgeführt hat, ist davon auszugehen, "daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist,,57. Das BVerfG gibt damit für die förmlichen und durch breite Verfahrensteilhabe gekennzeichneten Genehmigungsverfahren bei großtechnischen Anlagen eine grundsätzliche "Bestandsgarantie". Sie können durch den Gesetzgeber modifiziert, nicht aber völlig abgebaut werden. 4. Gefahr und Risiko Im einzelnen ist bei grundrechtsabgeleiteten Ansprüchen auf Umweltschutz gegen Dritte zwischen Schutzpflichten i. S. der Gefahrenabwehr einerseits und der Risikovorsorge andererseits zu unterscheiden. Als Gefahr kann dabei - verkürzt gesagt - ein wahrscheinlicher Schadenseintritt verstanden werden. "Risiko" bezeichnet hingegen einen theoretisch möglichen Schadenseintritt, der jedoch so unwahrscheinlich ist, daß die Gefahrenschwelle nicht erreicht wird 58 . Die Gefahrenschwelle umschreibt hierbei eine normative Dezision dessen, was die Rechtsgemeinschaft ohne behördliche Einschreitensmöglichkeit hinzunehmen bereit ist. Bei dem so hingenommenen Risiko kann es sich sowohl um ein bekanntes als auch um ein bloß denkbares, im übrigen aber unbekanntes Risiko handeln. Grundrechtlich ableitbare Schutzpflichten des Staates bestehen grundsätzlich zwar auch im Risikobereich, sie sind dort jedoch nicht zu weit zu spannen. Die Hinnahme eines sozialadäquaten Restrisikos ist verfassungsrechtlich nicht nur zulässig, die Forderung nach einem völligen Risikoausschluß wäre u. U. sogar unverhältnismäßig, da absolute technische Sicherheit in einer hochindustrialisierten Gesellschaft nicht zu realisieren ist59 . Es reicht eine - risikospezifisch abgestufte - Vorsorge nach dem Maßstab der "praktischen Vernunft,,60. Die Grundrechte unterliegen insofern einer zivilisaBVerfGE 53, 30 (65). Vgl. zu dem - im Unterschied zum Gefahrbegriff bisher außergesetzlichen Risikobegriff Marburger, in: Bitburger Gespräche, Jb. 1981, S. 39ff. m. w.N.; Birkhofer, ebenda, S. 61 ff., sowie die Sammelbände Blümel/Wagner (Hrsg.), Technische Risiken und Recht, 1981 (mit Beiträgen u. a. von Benda und Ossenbühl), und Hosemann (Hrsg.), Risiko - Schnittstelle zwischen Recht und Technik, 1982 (mit Beiträgen u. a. von Marburger, Ossenbühl und Sellner), zuletzt Roßnagel, UPR 1986,46, und Salzwedel, NVwZ 1987,276. 59 So selbst Roßnagel, UPR 1986, 46 (47). Tiefgreifende soziale, kulturelle und politische Konsequenzen leitet Beck, Risikogesellschaft, 1986, hieraus ab. 57 58

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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tionsspezifischen "Situationsprägung,,61. Die friedliche Nutzung der Atomenergie ist daher nach der zutreffenden Auffassung des BVerfG62 mit dem Grundgesetz - bei gesetzlicher Regelung und bei Einsatz aller erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen - vereinbar. Allerdings steht dieses Judikat gleichsam unter einer auflösenden Bedingung: "Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist,,63. Dieser Fall ist bislang - auch mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl, der sich (soweit erkennbar) im Rahmen des bekannten Risikos hielt - nicht eingetreten.

5. Zwischenergebnis Auszugehen ist also insgesamt davon, daß aus der geltenden Verfassung nur punktuell justitiable Schutzpflichten des Staates, etwa bei Gefährdung des ökologischen Existenzminimums, abgeleitet werden können. Ein Grundrecht auf Umweltschutz ist aus dem Grundgesetz ebensowenig ableitbar wie eine Staatszielbestimmung Umweltschutz. Es bleiben daher erhebliche verfassungsrechtliche "Schutzlücken" namentlich hinsichtlich des Lebensund Gesundheitsschutzes der Nachwelt, des Schutzes von öffentlichem Land, öffentlichen Gewässern, komplexen Ökosystemen, der Artenvielfalt, des Klimas, der Ressourcensicherung, der Erholungsqualität und der ästhetischen Werte von Landschaften 64 • Dies hängt u. a. zusammen mit dem ver60 Vgl. zum Ganzen, insbes. zum Begriff des Restrisikos und zum Maßstab der "praktischen Vernunft", BVerfGE 49, 89 (137ff., 143). Zu letzterem im Schrifttum insbes. Breuer, DVBI. 1978, 829 (8350; Ossenbühl, DÖV 1982, 833; Rengeling, DVBI. 1988, 257ff. Eine Gegenposition vertritt u. a. Ladeur, UPR 1986, 361 (368 ff.), der sich gegen die Annahme einer "Quasi-Sicherheit" wendet und für die Akzeptanz des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen eintritt, wobei die (wohl intendierten) rechtlichen Konsequenzen allerdings im dunkeln bleiben. 61 Vgl. zu diesem - allerdings vorsichtig zu verwendenden - Gedanken Degenhart, Kernenergierecht, 2. Aufl., 1982, S. 148 ff. Ähnlich zuvor etwa Lücke, DÖV 1976, 289 (294), der von "Sozialpflichtigkeit" spricht und sich auf die Rechtsprechung zur "Gemeinschaftsbezogenheit" bzw. ,,-gebundenheit" der Grundrechte beruft. 62 BVerfGE 49, 89 (142). 63 BVerfGE 49, 89 (130). 64 BMI/BMJ (Hrsg.), Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission, 1983, S.91. Der im Herbst 1961 eingesetzten Kommission gehörten die Professoren Badura, Denninger, J. P. Malier, Oppermann, Ramm, E. Rehbinder und W. Schmidt an.

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Ir. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

gleichsweise geringen Rechtsschutz für öffentliche Güter im westdeutschen Rechtsschutzsystem. Allerdings sind alle diese Verfassungslücken nicht ihrerseits verfassungswidrig.

IV. Rechtspolitische Vorstöße 1. Vorschläge

a) Ein annähernd umfassender verfassungsrechtlicher Schutz der Umwelt wäre - eventuell - nur dann zu erreichen, wenn der Gesetzgeber im Anschluß an ausländische Vorbilder (z. B. Schweiz, Spanien etc.) den Umweltschutz in der Verfassung verankern würde. Denkbar wäre ein Umweltgrundrecht65 , eine objektive Umweltpflicht66 oder wofür - auf Drängen der F.D.P. - sich u.a. die CDU/CSU-F.D.P.-Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und F.D.P. vom März 1987 ausspricht67 - eine Staatszielbestimmung Umweltschutz68 . b) Unterdessen ist das Verfahren der Verfassungsänderung mit Gesetzentwürfen u. a. des Bundesrates, der SPD und der Grünen angelaufen 69 . 65 Dahin gehende Forderungen wurden schon seit Beginn der Umweltgesetzgebung erhoben. Bereits im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 wird die Überprüfung des Projekts eines Umweltgrundrechts angekündigt (BT-Drucks. IV/271O, S. 9f.). Vgl. wegen weiterer Beispiele und zur kritischen Würdigung Dellmann, DÖV 1975, 588. Zur kontroversen Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum insbes. Benda, UPR 1982,241 (242ff.); H. Huber, Umwelt und Umweltschutz als Rechtsbegriffe, in: FS Klecatsky, Bd. I, 1980, S. 353 ff.; H. H. Klein (Fußn. 31), S. 643ff.; Kloepfer (Fußn. 38), S. 9f., 38ff. m. umfassenden Nachw.; Lücke, DÖV 1976, 289; Maus, JA 1979, 287; Steiger (Fußn. 32) insbes. S. 73ff., sowie in letzter Zeit etwa Soell, NuR 1985,205. 66 Hierzu Kloepfer (Fußn. 38), S. 39; vgl. auch Art. 141 Abs. 3 S. 2 Bay. Verf. 67 Vgl. FAZ Nr. 63 vom 16.3.1987, S. 7. 68 Dafür bereits der Umweltbericht '76 der Bundesregierung (BT -Drucks. 71 5684), Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmung/Gesetzgebungsaufträge (Fußn. 64), S. 84. Vgl. zu dessen Resonanz Wienholtz, AöR 109 (1984), 532. Ferner Rauschning, DÖV 1986, 489; Rupp, DVBl. 1985, 990; v. Mutius, WiVerw. 1987, 51; Depenheuer, DVBI. 1987, 809, und neuestens Murswiek, ZRP 1988, 14. Umfassend Michel, Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes Im Grundgesetz, 1986. 69 Am 14.10.1987 fand eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages statt, der den Gesetzentwurf der SPD (BT-Drucks. 11/10) zum Gegenstand hatte, dem aber auch die Gesetzentwürfe der Fraktion DIE GRÜNEN (BT -Drucks. 111990) und des Bundesrates (BT-Drucks. 11/885) zugrunde lagen (näher zu diesen sogleich), vgl. A-Prot. 8/1. Die während der Anhörung vorgetragenen mündlichen Statements werden im Folgenden abbreviativ als "Anhörung", die ihnen zugrunde liegenden schriftlichen Stellungnahmen als "Stellungnahme" gekennzeichnet.

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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aa) Der Entwurf des Bundesrates (BT-Drucks. 11/885) lautet: "Art. 20 a (1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates. (2) Bund und Länder regeln das Nähere in Gesetzen unter Abwägung mit anderen Rechtsgütern und Staatsaufgaben. " bb) Der Entwurf der Fraktion der SPD (BT-Drucks. 11/10) will folgende Änderungen: 1. Nach Artikel 20 wird folgender Artikel 20 a eingefügt: "Artikel 20 a Umweltschutz Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates." 2. In Artikel 28 Abs. 1 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt: "Sie muß auch der Verantwortung des Staates für die natürlichen Lebensgrundlagen gerecht werden." cc) Im Entwurf der Fraktion der Grünen (BT-Drucks. 11/663) sind folgende Fonnulierungen vorgesehen: 1. In Artikel 2 Abs. 2 wird an den bisherigen Satz 1 folgender Halbsatz angefügt: " ... , die Erhaltung seiner natürlichen Lebensgrundlagen und den Schutz vor erheblichen Beeinträchtigungen seiner natürlichen Umwelt." 2. Artikel 14 wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 Satz 2 erhält folgende Fassung: "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen dienen." b) Absatz 3 Satz I erhält folgende Fassung: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zulässig." 3. In Artikel 20 Abs. 1 werden folgende Sätze angefügt: "Die natürliche Umwelt steht als Lebensgrundlage des Menschen und um ihrer selbst willen unter dem besonderen Schutz des Staates. Bei Konflikten zwischen ökologischer Belastbarkeit und ökonomischen Erfordernissen ist den ökologischen Belangen der Vorrang einzuräumen, wenn andernfalls eine erhebliche Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt droht."

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

4. Artikel 28 Abs. 1 Satz 1 erhält folgende Fassung: "Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes und der Verantwortung des Staates für die natürliche Umwelt entsprechen." c) Der Bundesratsentwurf enthält im wesentlichen die Vorstellungen der Koalition zwischen CDU/CSU und F.D.P. Nachdem sich die CDU/CSUFraktion 1986 mehrheitlich noch gegen eine entsprechende Verfassungsänderung ausgesprochen hatte 70, setzte sich bei der Koalitionsvereinbarung 1987 die F.D.P. mit ihrer langjährigen Forderung nach Einführung einer Staatszielbestimmung Umweltschutz durch. Dabei liegt es nahe, in der jetzigen Formulierung einen Kompromiß zu sehen, bei dem der Abs. 1 maßgeblich von der F.D.P. und der relativierende Abs. 2 entscheidend von der CDU /CSU geprägt wurde. Nur falls dieser Kompromiß im nachhinein gefährdet würde, wären noch ernsthafte Zweifel an der politischen Realisierbarkeit der nun angestrebten Verfassungsänderung angebracht. 2. Unterschiede zwischen den Vorschlägen a) Die Differenzen zwischen dem Bundesratsentwurf und dem Entwurf der SPD sind nämlich nicht so groß, daß hieraus nicht doch eine einheitliche Lösung erwachsen könnte, die mit der für Verfassungsänderungen erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet werden könnte. Die Unterschiede zwischen den Entwürfen des Bundesrates und der SPD beziehen sich auf: 1. die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen (Bundesrat) oder nur "die natürlichen Lebensgrundlagen" (SPD), 2.

"Schutz" (Bundesrat) oder "besonderer Schutz" (SPD),

3. Homogenitätsklausel; pro: SPD, contra: Bundesrat, 4.

Abwägungsklausel; pro: Bundesrat, contra: SPD.

Dabei sollten substantielle Einigungsschwierigkeiten bei den Nm. 1-3 nicht auftauchen; größere Probleme könnte es aber bezüglich der Abwägungsklausel geben. b) Zu Nr. 1 - Lebensgrundlagen oder Lebensgrundlagen des Menschen: In der Diskussion um die Bezugnahme der künftigen Verfassungsbestimmung auf den Menschen tritt an sich ein großer konzeptioneller Streit der 70 Vgl. Das Parlament Nr. 51 vom 19.12.1987, S. 16. 1. Sp. Entsprechend wurde eine damalige Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion im deutschen Bundestag am 16.1.1986 abgelehnt. vgl. BT-Plen.-Prot. 10. S. 14254ff.

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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Umweltpolitik um den sog. anthropozentrischen bzw. ökozentrischen Umweltschutz71 zutage. Die entsprechende Formulierung des Gesetzentwurfs der Grünen sagt deutlich, worum es geht: "Die natürliche Umwelt steht als Lebensgrundlage des Menschen und um ihrer selbst willen (Hervorhebung vom Verf.) unter dem Schutz des Staates"n. Bei einer sehr entschlossenen ökozentrischen Umweltpolitik könnte letztlich auch Umweltschutz gegen den Menschen gemacht werden. Dies dürfte aber wohl kaum durch den SPD-Entwurf beabsichtigt sein. Soweit ein ökozentrischer Umweltschutz mit der Verantwortung für die künftigen Generationen begründet wird, vermag dem auch eine anthropozentrische Formulierung zu genügen, denn "Mensch" im Sinne dieser Formulierung ist auch der künftige "Mensch,,73. Insoweit könnten auch beim Vorschlag des Bundesrates die ökologischen Interessen kommender Generationen in die verfassungsrechtlich präformierten Entscheidungen staatlicher Umweltpolitik einfIießen74 . Da Maßstab aller verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (vornehmlich) der Mensch ist (Art. I Satz I GG, Präambel etc.), müßte sich verfassungsrechtlich im übrigen letztlich auch ein ökozentrischer Umweltschutz am Wohle des Menschen ausrichten und dürfte jedenfalls nicht gegen das menschliche Wohl verstoßen 75 . Umgekehrt setzt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen nicht erst bei einer unmittelbaren Gefährdung menschlicher Rechtsgüter, sondern vorsorgend weit davor an. Deshalb dürften in der Verfassungspraxis die einschlägigen Unterschiede zwischen 71 Siehe etwa Bonelmann, KritJ 1985,345 und 1986, I; ders., NuR 1987, I; ablehnend Keller, KritJ 1986, 339. 72 Hierzu BT-Drucks. 11/663, S. 4f. 73 So auch Hoppe, Schriftl. Stellungnahme zu der Anhörung (Fußn. 69) zu Punkt 1.8, Anl. A-Prot., S. 92 (97); Leisner, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 110 (113); Lerche, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 133; RandelzhoJer, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 137 (141); ders., Anhörung (Fußn. 69), S. 8/57 (8/59); insoweit zust. auch G. Frank, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 82 (84). Grundsätzliche Kritik an der Weite und Unbestimmtheit des Begriffes "natürliche Lebensgrundlagen (des Menschen)" bei Rauschning, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 146 (147ff.); kritisch zu dem Begriff "natürliche Lebensgrundlagen" ohne Erwähnung des Menschen Badura, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 39 (43 f.); Leisner, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/51f.; hiergegen H. P. Schneider, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/97 (8/98 f.); W. Schmidt, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 232. 74 Michel (Fußn. 68), S. 275 ff.; Bull, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/31 (8/32ff.); ders., Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 47 (49); Delbrück, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 68 (70); Denninger, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/37 (81 39); Hoppe, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/44 (8/45); ders., Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 92 (94); Lerche, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 133. 75 Insbes. Leisner, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot. S. I IO (114); zweifelnd G. Frank, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 82 (83 ff.). 13 Kloepfer

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II. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

den Entwürfen des Bundesrates und der SPD eher minimal, wenn überhaupt feststell bar sein. c) Zu Nr. 2 - Schutz oder besonderer Schutz: Ähnliches gilt auch für die Frage, ob der Umwelt künftig ein Schutz oder ein besonderer Schutz zugebilligt wird. Macht es wirklich einen greifbaren verfassungsrechtlichen Unterschied, wenn z. B. Art. 6 Abs. I GG die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, Art. 6 Abs. 4 GG aber der Mutter "nur" einen Anspruch auf Schutz zubilligt? Liegt der Unterschied hier nicht eher in der Institutionenbezogenheit (Art. 6 Abs. I GG) bzw. der stärkeren Individualbezogenheit (Art. 6 Abs. 4 GG) der Verfassungsgarantien? Beabsichtigt ist mit der Formulierung "besonderer" augenscheinlich eine gewisse Heraushebung76 , die juristisch mindestens als allgemeines Verbot der nachrangigen Bewertung des Schutzobjektes zu verstehen ist. Eine pauschale Vorrangentscheidung für ökologische Belange - wie dies die Grünen in ihrem Entwurf vorsehen - läge darin allerdings noch nicht. Auch in diesem Fall dürften im Ergebnis die praktischen Unterschiede zwischen den bei den Formulierungen in der Verfassungspraxis eher mit der Lupe zu suchen sein, zumal jede Wertentscheidung der Verfassung jedenfalls das Verbot in sich birgt, im Hinblick auf diese Wertentscheidung zu diskriminieren. d) Zu Nr. 3 - Homogenitätsklausel: Die Homogenitätsklausel, die der SPD-Entwurf (Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen) und der Entwurf der Grünen (Verantwortung für die natürliche Umwelt) vorsehen, soll eine entsprechende bundesverfassungsrechtliche Prägung der Landesverfassungen sichern. Ganz abgesehen davon, daß auch ein Art. 20 a GG die Landesstaatsgewalt binden würde 77, hätte eine Homogenitätsklausel schon deshalb nur begrenzte praktische Wirkungen, weil die Mehrheit der Länder als Vorreiter unterdessen entsprechende umweltrelevante Wertentscheidungen in die Verfassung aufgenommen hat78 . Im übrigen sind gewisse Brücken zwischen dem Bundesratsent76 Die Begründung des SPD-Entwurfes will Art. 20 a GG als "normative Richtlinie an die Gesetzgebung" verstanden wissen, "die eine grobe Vernachlässigung oder Untätigkeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu einem Verstoß gegen die Verfassung werden" läßt, vg!. BT-Drucks. 11/10, S. 3 r. Sp. (Hervorhebung durch

Verf.). 77 Hoppe. Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 92 (106f.), der sich gleichwohl aus Gründen der Rechtsklarheit für eine Homogenitätsklausel ausspricht; Ler-

che. Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 133 (135). 78 Vg!. oben Fußn. 12-19. Indes weist Denninger. Stellungnahme (Fußn. 69). An!. A-Prot., S. 76 (80f.), darauf hin, daß die vorhandenen Schutzklauseln in den Landesverfassungen den Schutzbereich zumeist nicht voll abdeckten (z. B. Art. 62 Hess. Verf.).

Umweltschutz und Verfassungsrecht

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wurf und dem SPD-Entwurf insoweit erkennbar, als Art. 20 a Abs. 2 GG des Bundesratsentwurfs ebenfalls die Länder mittelbar auf die Staatszielbestimmung Umweltschutz verpflichten würde. e) Zu Nr. 4 - Abwägungsklausel: Der erheblichste Unterschied zwischen den Entwürfen des Bundesrates und der SPD besteht in der Abwägungsklausel des Art. 20 a Abs. 2 GG im Entwurf des Bundesrates. Im Gegensatz zum SPD-Vorschlag enthält auch der Entwurf der Grünen eine Abwägungsklausel, freilich dort mit einer pauschalen Vorrangentscheidung zugunsten des Umweltschutzes. Soweit sich der einfache Gesetzgeber im Rahmen des Bundesratsentwurfs für einen Vorrang des Umweltschutzes entscheiden würde, liefen in solchen Fällen die Entwürfe des Bundesrates und der Grünen faktisch auf das gleiche hinaus. Im entscheidenden Unterschied zum Vorschlag der Grünen kann nach dem Bundesratsentwurf der Gesetzgeber aber eben auch einmal die Belange des Umweltschutzes hintanstellen, und gerade darum geht es wohl Teilen der Regierungskoalition 79. Eine solche politische Prioritätenbildung des Gesetzgebers zu Lasten des Umweltschutzes wird allerdings auch nicht durch den SPD-Entwurf verhindert. Bei verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen insbes. in den Staatszielbestimmungen ist der gesetzgeberische Konkretisierung- und Gestaltungsauftrag prinzipiell unbestritten. Dies gilt auch dann, wenn man die Unterschiede zwischen Staatsstrukturbestimmungen (vor allem Republik, Demokratie und Rechtsstaat) und Staatsaufgabenbestimmungen anerkennt 8o . Freilich kann die Staatszielbestimmung Umweltschutz auch Auswirkungen auf die Staatsstruktur haben (z. B. durch Veränderung der Entscheidungsstrukturen und -ebenen). Kollidiert eine Verfassungsbestimmung mit anderen Verfassungsentscheidungen, wird die Notwendigkeit vor allem gesetzgeberischer Kollisionslösungen grundsätzlich nicht bezweifelt81 • 79 Dies wird in der Begründung des Gesetzentwurfes sowie der Stellungnahme der Bundesregierung allerdings nur andeutungsweise ersichtlich, vgl. BT-Drucks. I 1/885, S. 4 r. Sp. a. E. und S. 6 r. Sp. a. E. 80 Auf diese Unterscheidung hebt insbes. Randelzhofer, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 137 (l42f.), ab. 81 Aus diesem Grunde wird die Einführung einer besonderen Abwägungsklausel abgelehnt von Bult, Stellungnahme (Fußn. 69). Anl. A-Prot., S. 47 (57ff.); Denninger, Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 76 (80); Hoppe, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 92 (lOOff.); W. Schmidt, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 232 (233f.). Für notwendig gehalten - zumeist unter einer einseitigen Bevorzugung des Umweltschutzes vorzubeugen - wird sie demgegenüber von Leisner, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., 86 S. 110 (l24ff.); Lerche, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 133 f.; Randelzhofer, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 137 (142 f.); Rauschning, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. AProt, S. 146 (l62ff.); Stern, Stellungnahme (Fußn. 69), S. 261 (281 ff.). Delbrück,

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Allenfalls bei der immanenten Berücksichtigung einfachgesetzlicher Rechtsgüter könnten gewisse Probleme auftauchen, wobei allerdings sehr viele Rechtsgüter heute auch eine verfassungsrechtliche Verwurzelung haben. Umgekehrt würde sich eine Abwägungsklausel leicht dem Vorwurf der Verfassungsheuchelei ausgesetzt sehen, wenn sie dem Staat eine beliebige Freizeichnung von verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen erlauben würde 82 • Jedenfalls wäre eine solche Abwägungsklausel bei einer Staatszielbestimmung im Grundgesetz ein Fremdkörper. Die vom Bundesrat verfolgte Hoffnung, durch den in seinem Entwurf enthaltenen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber unmittelbare Rückgriffe der Exekutive oder Judikative auf die Staatszielbestimmung Umweltschutz verhindern zu können, dürfte sich als trügerisch erweisen, wie etwa die in der Vergangenheit erfolgten unmittelbaren richterrechtlichen Zugriffe auf das Sozialstaatsprinzip zeigen 83 . f) Da der SPD-Entwurf gesetzliche Konkretisierungen und Abwägungen im Hinblick auf das Staatsziel Umweltschutz nicht verhindert, sollten auch Kompromisse im Hinblick auf die Abwägungsklausel denkbar sein. Zu denken wäre etwa an folgende Lösungen:

1. Die schwächere Formulierung des Bundesratsentwurfs des Art. 20 a GG wird ohne die Abwägungsklausel verabschiedet, oder aber 2. Die schärfere Formel der SPD des Art. 20 a wird verabschiedet, dafür aber mit einer gesetzlichen Regelungsklausel. g) Der Gesetzentwurf der Grünen unterscheidet sich in vielfältigen Beziehungen sowohl vom Bundesrats- wie vom SPD-Entwurf. Er enthält als einziger 1. ein Umweltgrundrecht, 2. eine umweltspezifische Beschränkung des Eigentums, 3. eine abstrakte Vorrangsentscheidung für den Umweltschutz, 4. eine Positionierung der Staatszielentscheidung in Art. 20 GG, was dann wohl eine Ewigkeitsgarantie für die Verfassungsänderung gern. Art. 79 Abs. 3 GG bedeuten würde. Einleuchtend ist an diesem Entwurf der Grünen, daß er den Konflikt zwischen Eigentum und Umweltschutz anspricht, weniger einleuchtend freilich, Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 68 (71 f.), erhebt systematische Einwände gegen die Abwägungsklausel, hält sie aber gleichwohl für notwendig, um die Verwaltung vor Legitimationsproblemen zu schützen. 82 Deutliche Ablehnung auch bei Murswiek, ZRP 1988, 14 (17f.). 83 Zuerst BVerwGE I, 159 (162); hierzu etwa W. Martens und Häberle (Fußn. 39) VVDStRL 30 (1972), 7 ff. und 43 ff.

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daß er diesen einseitig löst. Allerdings ennöglicht Art. 14 GG auch ohne Verfassungsänderung bereits in seiner derzeitigen Gestalt erhebliche umweltspezifische Beschränkungen des Eigentums wie insbesondere die Naßauskiesungsentscheidung des BVerfG 84 zeigt.

3. Beuneilung der Vorschläge a) Die - jedenfalls theoretisch - stärkste Verfassungsposition erhielte der Umweltschutz wohl bei Verankerung eines Umweltgrundrechtei 5 (das freilich nur bei Verbürgung seiner unmittelbaren Drittwirkung volle Effektivität haben würde). Denn hierdurch würde nicht nur eine objektive Umweltpflicht des Staates begründet, sondern zugleich auch eine individuelle, insbesondere verfassungsrechtliche Rechtserzwingungsmacht zur Einhaltung dieser Pflicht, was notwendigerweise zugleich die Klagebefugnis im Umweltrecht ausdehnen würde 86 . Mit einem Grundrecht auf Umweltschutz könnte auch dem einseitigen Machtzuwachs des Staates durch immer neue Umweltkompetenzen entgegengewirkt werden, weil hierdurch - freilich richtungsgleiche - Individualrechte entstehen. Die Anerkennung eines Grundrechts auf Umweltschutz wäre die folgerichtige individualrechtliehe Konsequenz der Erschließung neuer staatlicher Handlungsbereiche in einem auch auf das Individualwohl verpflichteten Verfassungsstaat. Allerdings liegt gerade darin das entscheidende Problem. Sind die Umwelt bzw. einzelne Umweltgüter wirklich der Individualsphäre und der hieran anknüpfenden individuellen Erzwingbarkeit zuordenbar? Den entscheidenden (allerdings relativierungsbedüftigen) Einwand gegen ein umfassendes Umweltgrundrecht hat E. Rehbinder bereits vor mehr als 15 Jahren fonnuliert: "Anspruch des Bürgers gegenüber dem Staat (... ) auf reine Luft usw. ist mit einem politischen System nicht vereinbar, in dem BVerfGE 58, 300 (328 ff.). Ablehnend zu einem Umweltgrundrecht insbes. wegen der zu großen Weite und Unbestimmtheit des Schutzgutes, etwa Bull, Stellungnahme (Fußn. 69), An!. AProt., S. 47 (54 f.); Denninger, Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 76 (78); Hoppe Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 92 (96f.); Leisner Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 110 (I 16); abw. G. Frank, Stellungnahme (Fußn. 69), An!. A-Prot., S. 82 (85 ff.). 86 Vg!. dazu auch den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungs gerichtsordnung vom 11.11.1987, BTDrucks. 11/1153, der die Ausdehnung der Klagebefugnis für den gesamten Bereich des Umweltrechts auf Umweltschutzverbände ohne das Erfordernis einer individuellen Rechtsbetroffenheit, sowie die Übernahme der Gerichtskosten im Falle des Unterliegens der Umweltschutzverbände im gerichtlichen Verfahren vorsieht. Als Alternativen weist der Entwurf auf die Einführung der "Interessentenklage" (Ausreichen einer tatsächlichen Betroffenheit) oder einer "kommunalen Verbandsklage" hin, in der die Gemeinde die Rechte der Bürger geltend machen kann. 84 85

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H. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

Parlament und Regierung - und nicht die Gerichte - Prioritäten setzen und setzen müssen,,87. Dieser Gedanke findet sich auch in der Rechtsprechung des BVerfG wieder, das somit zur Schlüsselstelle staatlicher Umweltpolitik wird. Sowohl in der Fluglärm-Entscheidung 88 als auch im Beschluß des Vorprüfungsausschusses zur Verfassungs beschwerde hinsichtlich des Waldsterbens 89 äußert es Vorbehalte bereits gegenüber der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden, mit denen gesetzgeberisches Unterlassen gerügt wird: "Denn gerade hier (d. h. bei der Verwirklichung der Schutzpflicht) hängt die Entscheidung, ob und mit welchem Inhalt ein Gesetz zu erlassen ist, von vielen wirtschaftlichen, politischen und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten ab, die sich richterlicher Nachprüfung im allgemeinen entziehen,,9o. Insgesamt könnte ein selbständiges Umweltgrundrecht regelmäßig nur gegenüber evidentem und schwerwiegendem gesetzgeberischen Versagen (Unterlassen oder fehlerhaften Entscheidungen) helfen 91 . Es wäre kein Garant einer optimalen Umweltpolitik oder gar Wegweiser für jeden Einzelfall. Insgesamt müssen jedenfalls schwerwiegende Zweifel an einer hinreichenden realen Einlösbarkeit des Grundrechts in der politischen und rechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland angemeldet werden. De constitutione lata wurde bislang erst in einem einzigen Fall in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein individueller Umweltanspruch gegenüber dem Staat bejaht. Das OVG Berlin92 sah in der Rodung von 50 000 Bäumen für einen Kraftwerksbau einen Eingriff in durch Art. 2 Abs. I GG i. V. mit § I BNatSchG geschützte rechtliche Interessen und billigte den klagenden Bürgern einen Abwehranspruch zu. Auch wenn die Begründung die durch die Insellage Berlins (West) bedingte besondere Bedeutung von Natur- und Erholungsflächen für die Einwohner der Stadt hervorhebt, hat die Entscheidung weit über den Einzelfall (welcher sie geblieben ist) hinausgehende Bedeutung. b) Bei Verankerung nur einer objektiven Umweltpflicht des Staates fehlt jedenfalls unmittelbar - die individuelle Rechtserzwingungsmacht des 87 Rehbinder, ZRP 1970, 250 (252); vgl. relativierend Lücke, DÖV 1976, 289 (294), der zu Recht u. a. darauf hinweist, daß die Anerkennung als Grundrecht nicht die gesetzgeberische Gestaltungsbefugnis ausschließt. Weitere Argumente gegen die Aufnahme eines Umweltschutzrechts sind bei Rauschning (Fußn. 32), S. 178 Fußn. 31, zusammengestellt. 88 BVerfGE 56, 54 (70ff.). 89 BVerfG (Vorprüfungsauschuß), NJW 1983,2931. 90 BVerfGE 56, 54 (71). 91 Weitergehend wohl Roth-Stielow, NJW 1984, 1942f.; hiergegen aber instruktiv Bugiel/Meyer, NJW 1985, 778. 92 OVG Berlin, DVBI. 1977, 901 (902) = NJW 1977, 2283 (2285).

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Umweltgrundrechts. Bei einer Staatszielbestimmung Umweltschutz wäre darüber hinaus auch unklar, ob und inwieweit überhaupt eine echte rechtsverbindliche Umweltpflicht des Staates allgemein oder im konkreten Fall begründet würde. Dies hängt u. a. zusammen mit der ungeklärten Dogmatik von Staatszielbestimmungen, die - das steht fest - jedenfalls nicht als rechtlich irrelevant behandelt werden dürfen93 . c) Die Vorteile aller erörterten Verfassungsänderungen werden vor allem in der (nuancierten) Sicherung des Umweltschutzes - etwa durch eine entsprechende Impulswirkung und eine allgemeine rechtliche Aufwertung sowie in der politischen Integrationswirkung von Bevölkerungsgruppen mit starkem Umweltbewußtsein gesehen 94 . Dabei mag es in Zeiten politischer Zerrissenheit in der Tat auch einen gewissen eigenständigen und nicht nur symbolhaften Selbstwert der Integration im demokratischen Staat darstellen, seltener werdende Grundkonsense in die Verfassung hineinzuschreiben. Es ist sinnvoll, wenn sich möglichst viele Bürger und Gruppen in der Verfassung wiederfinden, wobei diese allerdings darüber nicht konturenlos werden darf. d) In der rechtspolitischen Diskussion werden häufig die Nachteile der erörterten Verfassungsänderungsprojekte - sei es Staatsziel oder Grundrecht - betont. Die einschlägigen Bedenken gehen primär in die Richtung fehlender rechtlicher Faßbarkeit und Effektivität, d. h. letztlich mangelnder Normierbarkeit derartiger Verfassungsänderungen95 , wodurch eine Verfassungsenttäuschung mit Folgen für die Glaubwürdigkeit des Grundgesetzes insgesamt vorprogrammiert sei. In der Tat ist die Gefahr nicht unbeträchtlich, daß ein Umweltgrundrecht und erst recht eine Staatszielbestimmung Umweltschutz zur unverbindlichen politischen Prosa wird, bei der an die Stelle rechtlicher Verbindlichkeit letztlich politischer Pathos tritt. Außerdem fürchten nicht wenige (heute freilich nur noch selten laut werdende) Stim93 Das schließt nicht aus, daß es dem Verfassungsgeber primär nicht um Rechtswirkungen geht. Depenheuer, DVBI. 1987, 809 (81Off.), folgert aus der bisherigen Normgebungsgeschichte, daß es dem Verfassungs geber eher um die Appellfunktion, als um einen wirklichen Regelungsgehalt gehe. 94 Hierzu näher Kloepfer (Fußn. 38), S. 32 ff. m. w. N., und Soell, NuR 1985, 205 (212). Zum erwarteten "Impulseffekt" insbes. Dellmann, DÖV 1975,588 (592). 95 Vgl. aus der bisherigen Diskussion etwa Kloepfer (Fußn. 38), S, 35ff. m.w.N.; H. H. Klein (Fußn. 31), S.660, warnt vor der Gefahr, daß "die Aufnahme einer solchen Vorschrift in das GG die Illusion hervorrufen könnte, es sei zum Schutz unserer Umwelt bereits wesentliches geleistet". Von einer "Flucht in die Staatszielbestimmung" spricht Steiger (Fußn. 32), S. 71. Grundsätzlich kritisch zum "Verankerungsunwesen" Forsthoff, Einiges über die Geltung und Wirkung der Verfassung, in: FS E. R. Huber, 1973, S. 3 (7 f.). Vor einer "Überanstrengung des Rechts" warnt auch H. Huber (Fußn. 65), S. 369. Vgl. nunmehr insbes. auch Rauschning, Stellungnahme (Fußn. 69), Anm. A-Prot., S. 146 (147ff.); Murswiek, ZRP 1988, 14 (16f.).

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men eine einseitige Überbetonung des Umweltschutzes96 zu Lasten der Grundrechte (der Umweltbelaster) wie auch der anderen Staatsaufgaben. Andere warnen vor einem durch die Verfassungsänderungen angeblich geebneten Weg zur ökologischen Planwirtschaft, wenn nicht gleichzeitig die Marktwirtschaft verfassungsrechtlich verankert werde. Damit hängt auch der Vorschlag zusammen, das Staatsziel Umweltschutz in Art. 109 Abs. 2 GG (gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht) hineinzuschreiben 97 • Dabei wird aber übersehen, daß staatliche Umweltpolitik nicht nur oder auch nur primär eine Frage der staatlichen Haushaltswirtschaft ist. Im übrigen funktioniert Art. 109 Abs. 2 GG als Festschreibung des sog. magischen Vierecks schon jetzt nicht, weil es sich in der Realität als weitgehend unrealisierbar erwiesen hat. Dies wird nicht besser, sondern noch schwieriger, wenn aus dem Viereck durch Hinzufügung einer ökologischen Ecke ein magisches Fünfeck wird. Der damit auch angesprochene Streit um die systematische Stellung der Staatszielbestimmung (bisherige Vorschläge u. a.: Art. 20 a, 21 a, 37 a GG etc.) ist im übrigen rechtlich (nicht unbedingt politisch) weitgehend bedeutungslos, soweit nicht (wie von den Grünen) eine Veränderung des Art. 20 GG betrieben wird, was der Verfassungsänderung ja dann möglicherweise wie erwähnt - eine Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) verleihen würde. e) Die Konsequenzen der diskutierten Verfassungsänderungen sollten nicht über-, aber auch nicht unterschätzt werden. Zwar ist nicht zu erwarten, daß die entscheidende und umfassende Konfliktlösung zwischen dem Umweltschutz und anderen wesentlichen staatlichen und gesellschaftlichen Zielen wirklich durch neue verfassungsrechtliche Bestimmungen herbeigeführt würde oder auf diese Weise auch nur ein umweltpolitisches Rückschrittsverbot mit Verfassungskraft verhängt werden könnte. Dennoch kämen einem Umweltgrundrecht und einer Staatsziel- oder besser Staatsaufgabenbestimmung Umweltschutz doch beträchtliche auslegungsleitende und ennessensausrichtende Wirkungen zu, deren rechtliche und praktische Bedeutung nicht zu unterschätzen wäre 98 (und die im politischen Raum 96 In diesem Sinne etwa Rupp, DVBI. 1985, 990 (991); vgl. auch die in Fußn. 82 als Befürworter einer Abwägungsklausel aufgeführten Stimmen. Symptomatisch für den "Wertewandel" in der Diskussion, Depenheuer, DVBI. 1987, 809 (814 mit Fußn.39). 97 Schalz, Stellungnahme bei der öffentlichen Anhörung der CDU/CSU-Bundestags fraktion am 28.5.1984 zum Thema: "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz?", "Argumente", hrsg. von W. Schäuble, 10/84, S. 32 (40f.). Kritisch H. P. Schneider, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 250 (259 f.). 98 Im Hinblick auf den Entwurf des Bundesrates a. A. Murswiek, ZRP 1988,14

(18).

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auch begrüßt oder auch - in Teilen der Regierungskoalition - befürchtet wird). Insbesondere bei der Auslegung und Konkretisierung von GeneralklauseIn dürfte die potentielle Auswirkung der geplanten Verfassungsänderungen jedenfalls auf die Dauer beträchtlich sein, was auch für privatrechtliche Beziehungen wichtig werden könnte 99 . Ein Grundrecht auf Umweltschutz und erst recht eine Staatszielbestimmung Umweltschutz blieben allerdings auf eine gesetzliche Konkretisierung und Ausgestaltung angewiesen. Dabei wäre allerdings die nonnative Kraft eines Umweltgrundrechts größer als die einer Staatszielbestimmung Umweltschutz. Jedenfalls eine Staatszielbestimmung Umweltschutz wäre noch kein detailliert durchgebildeter Maßstab für die Beurteilung einschlägiger rechtlicher Probleme. Dennoch könnte abgeschwächt und vennittelt auch die Staatszielbestimmung Umweltschutz maßstabbildende Kraft entfalten und zwar nicht nur für einfachgesetzliche Konflikte, sondern ebenso für die Lösung der eingangs geschildert verfassungsrechtlichen Kollisionen der Grundrechte von Umweltbelaster, Umweltbelastetem und Umweltschutz sowie des Konflikts zwischen staatlichem Umweltschutz und der Grundrechte der Umweltbelaster 1oo . Bereits diskutiert wird, ob sich aus einer Staatszielbestimmung Umweltschutz auch Beweislastregeln oder Entscheidungsvennutungen etwa nach dem Motto: "in dubio pro natura" ergeben könnten 101. Eine Ausweitung bisheriger Klagebefugnisse wird zwar nicht notwendige, aber doch denkbare Folge einer Staatszielbestimmung Umweltschutz sein. Insoweit wären nur graduelle Unterschiede zu dem noch weitergehenden Grundrecht auf Umweltschutz zu erwarten. f) Wie sich ein Grundrecht auf Umweltschutz bzw. eine Staatszielbestimmung Umweltschutz im einzelnen insbesondere auf die Rechtsprechung des BVerfG auswirken würde, ist wegen des "Phantasievorbehaltes"I02 der Interpreten, dem die Verfassung insoweit faktisch unterliegt, im voraus kaum abschätzbar. Wie sich der (verfassungsändernde) Gesetzgeber auch 99 Letztlich lassen sich aber die konkreten Auswirkungen der Einführung einer Staatszielbestimmung Umweltschutz kaum vorhersagen; vgl. allgemein dazu etwa Hoppe, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 92 (95 f.); Murswiek, ZRP 1988, 14 (17f.); sowie unten Fußn. 102. 100 Ausführlich zu der Frage der Leistungsfähigkeit des Umweltstaatsziels Michel (Fußn. 68), S. 281ff., 286ff. 101 Vgl. etwa Leisner, Anhörung (Fußn. 69), S. 8/51 (8/52). Freilich könnte dieser Effekt durch die vorgesehene Abwägungsklausel relativiert werden: hierzu Murswiek, ZRP 1988, 14 (17f.). 102 Kloepfer, Stellungnahme (Fußn. 97), S. 17 (19); Hoppe, Stellungnahme (Fußn. 69), Anl. A-Prot., S. 92 (93); vgl. auch Michel (Fußn. 68), S. 285 ff.

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immer entscheiden wird - die Verankerung eines Individualgrundrechts ist inzwischen allerdings unwahrscheinlich -, sollte Klarheit darüber bestehen, daß jetzt und in der Zukunft die eigentliche rechtliche Konfliktlösung nicht in den Höhen des Verfassungsrechts, sondern in den Niederungen der einfachen Gesetzgebung und vor allem auf der Ebene eines effektiven Gesetzesvollzuges 103 zu suchen sein wird 104 • Das gegenwärtige Umweltschutzdefizit beruht vorrangig auf einem Defizit des Gesetzesvollzuges und vielleicht auf einem Defizit in unseren Köpfen. Und daran kann eine Verfassungsänderung allein nur wenig ändern.

103 Hierzu insbes. die grundlegende Studie von Mayntz et al. , Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978, sowie die entsprechenden Befunde in den Umweltgutachten 1974 und 1978, BT-Drucks. 7/2802 und BT-Drucks. 8/1938. Zu spezielleren Aspekten Hucke et al. , Implementation kommunaler Umweltpolitik, 1980, und G. Winter, Vollzugsdefizit im Wasserrecht. In manchen Punkten relativierend Ule/Laubinger, Gutachten B für den 52. Deutschen luristentag Wiesbaden 1978, in: Verhandlungen des 52. DIT, Bd. I, 1978, B 31 ff. 104 So (wenn auch für den Bereich der Sozialpolitik) Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 37.

Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen? Zur Entscheidung des VGH Kassel vom 6. 11. 1989*

I. Problemstellung 1. Zum Ausgangsfall des VGH Kassel a) Inhalt

Der VGH Kassel hat am 6. November 1989 in einem viel diskutierten 1 Beschwerdebeschluß2 - im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO - die Zulässigkeit gentechnischer Anlagen von einem Genehmigungsgesetz abhängig gemacht. Das Betreiben gentechnischer Anlagen wurde damit der Sache nach gegenüber den potentiellen Betreibern unter ein verfassungsrechtliches präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gestellt? Darüber hinaus hat das Gericht den Umgang

* Anmerkung der Herausgeber: Erstveröffentlichung in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens - Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S. 755-769. Für die freundliche Abdruckgenehmigung danken wir dem Verlag C. H. Beck, München. 1 Vgl. Deutsch, NJW 1990, 339; Fluck, UPR 1990, 8lff.; Gersdorf, DÖV 1990, 514ff.; Hidien, WUR 1990, 184f.; Hirsch, NJW 1990, 1445ff.; Kunig, JK 1990, GO Art. 20 III/26; Murswiek, JuS 1990, 588f.; Preu, JZ 1991, 265ff.; Rose, DVBI. 1990, 279ff.; Rupp, JZ 1990, 9lf.; Sendler, NVwZ 1990, 23lff., dens., UPR 1990, 41 ff., 48; Vitzthum, VBIBW 1990, 48ff.; dens.lGeddert-Steinacher, Der Zweck im Gentechnikrecht, 1990, S. 29ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553ff.; Wassner, FAZ Nr. 283 v. 6.12.1989, S. 17. Dem Beschluß zustimmend, Bizer, KJ 1990, 127ff.; Eiberle-Herm, NuR 1990, 204ff. 2 BB 1989, 2285ff. = DB 1989, 2427ff. = DVBI. 1990, 63ff. = Gew.Arch. 1990, 49ff. = JZ 1990, 88ff. = NJW 1990, 336ff. = NuR 1990, 22lff. = NVwZ 1990, 276ff. = RdL 1990, 95ff. = UPR 1990, 33ff. Vgl. auch den Beschluß des VG Frankfurt vom 3.2.1989 (NVwZ 1989, 1097ff.). Im Unterschied zu dem VGH Kassel hat das VG Frankfurt für die Zulässigkeit der Gentechnologie kein spezielles Genehmigungsgesetz gefordert. Anders als der VGH hat das Gericht hier keine mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie vergleichbare Gefahrensituation gesehen. Dagegen hat der VGH Kassel in einem später ergangenen Beschluß vom 23.5.1990 (NVwZ-RR 1990, 458 ff.) für Anlagen, in denen nicht mit gentechnischen Methoden gearbeitet wird, sondern in denen lediglich ein auf gentechnischem Wege gewonnenes Zwischenprodukt zur Herstellung von Humaninsulin verwendet wird, an den Genehmigungsvoraussetzungen des BImSchG gemessen.

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11. Verfassungsrahmen des Umweltschutzes

mit der Gentechnologie ohne ein entsprechendes Genehmigungsgesetz verboten. 4 Im folgenden soll es nicht um die rechtspolitische Wünschbarkeit eines solchen Gesetzes - die m. E. bestand - gehen, sondern um die rechtliche Gebotenheit - und genauer - um die Rechtsfolge des Unterlassens des gesetzgeberisch gebotenen Handeins. b) Reaktionen und Konsequenzen

Der Beschluß ist auf nahezu einhellige und überwiegend sehr scharfe Kritik im Schrifttum gestoßen. 5 Gleichwohl war der tatsächliche Erfolg der Entscheidung enorm. Sie führte - auch im Hinblick auf den damals absehbaren Verlust der Bundesratsmehrheit für die Regierungskoalition - letztlich zum entscheidenden Impuls für die endgültige Verabschiedung des Gentechnikgesetzes nach einem vorhergegangenen außerordentlich langen Gesetzgebungsverfahren. Vielleicht hat wegen dieses "Erfolgs" die Beigeladene (d. h. die Betreiberfirma) keine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des VGH eingelegt. Inzwischen ist am 1. Juli 1990 das Gesetz zur Regelung der Gentechnik in Kraft getreten. 6 c) Bedeutung für die Zukunft

Dies ändert aber nichts an der möglichen grundSätzlichen Bedeutung des angesprochenen Beschlusses für die Zukunft. Verallgemeinert könnte er zu einem allgemeinen Verfassungsverbot für risikobehaftete Techniken ohne gesetzgeberische Zulassung führen. Denn das Gericht begründet seinen Beschluß mit den möglichen Gefahren, die sich aus dem Umgang mit der neuen, in Teilen noch unbekannten Gentechnologie7 für das Leben und die Gesundheit anderer ergeben können. 8 Deshalb sei nach der Wesentlichkeits3 Vgl. Rupp, JZ 1990, 91 f., 92; Send/er, NVwZ 1990, 231 ff., 232; Wahl/Masing, JZ 1990, 553ff., 555. 4 Vgl. VGH Kassel, JZ 1990, 88ff., 91; Rupp, JZ 1990, 91f., 92; Send/er, NVwZ 1990, 231 ff., 232. 5 Vgl. die Nachweise in Fn. 1. 6 BGBI. I S. 1080. Zum GenTG vgl. nur FritschlHaverkamp, BB 1990, Beilage zu Heft 25; NäthlichslWeber, Gentechnikgesetz, Kommentar, 1990; KlaepferlDelbrück, Zum neuen Gentechnikgesetz (GenTG), DÖV 1990, 897 ff. 7 Vgl. hierzu Deutsch, NJW 1990,339. 8 Zur Problematik, ob das Gericht solche abstrakten Erwägungen überhaupt anstellen durfte, vgl. Hidien, WUR 1990, 184f.; Fluck, UPR 1990,81 ff., 84f.; Preu, JZ 1991, 265ff., 269; Rose, DVBI. 1990, 279ff., 280f.; vgl. auch R. Schalz, JuS 1976, 232ff., 236, der in Art. 2 Abs. 2 GG ein soziales Grundrecht sieht, das den Staat zur positiven Gesundheitsvorsorge verpflichtet, wenn die Gesundheit oder die physische Integrität gefährdet ist. Die konkrete Ausgestaltung des Schutzanspruchs

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theorie in Verbindung mit der aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten staatlichen Schutzpflicht ein spezielles Genehmigungsgesetz erforderlich. 9 Nach dieser Auffassung ist das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für das drittgefährdende Verhalten "Gentechnologie" verfassungsrechtlich geboten. Ließe sich dieser Gedanke verallgemeinern, würde die gesetzgeberische Inaktivität künftig wie ein Technikverbot für risikobehaftete Techniken, ja möglicherweise als Verbot für alle - gesetzlich nicht zugelassenen - Tätigkeiten (z. B. Sport) bedeuten, die Drittrisiken in sich bergen. 2. Verfassungssicherung gegenüber Drittgefährdungen? Ein Spezifikum des vom VGH Kassel behandelten Falls ist darin zu sehen, daß die Gefährdung der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG nicht unmittelbar von einem Hoheitsträger in Form eines Eingriffverhältnisses ausging, sondern es sich um nichtstaatliche Gefährdungen lO seitens Dritter im Rahmen ihrer - jeweils vom VGH angenommenen - Grundrechtsausübung handelt. 1 1 Dabei kann der Schutzbereich der Grundrechte, insbesondere der aus Art. 2 Abs. 2 GG, berührt sein. Die Betreiber gentechnischer Anlagen können je nach Arbeitsbereich 12 durch Ausübung ihrer Forschungs-, Berufs- oder Eigentumsfreiheit das Leben, die Gesundheit oder obliegt dem Gesetzgeber. Aus Gründen der Gewaltenteilung darf grds. kein Gericht (Ausnahme: Verfassungs gericht) diesen gesetzgeberischen Gestaitungsspielraum ausfüllen, es sei denn, das gesetzgeberische Schweigen stellt materiell eine Grundrechtsverletzung dar. Vgl. auch Rupp, JZ 1990, 91 f., 92 mit Hinweis auf BVerfGE 20, 150, 159 = JZ 1966,609. 9 Zur Problematik der staatlichen Schutzpflicht aus Grundrechten wird an anderer Stelle noch näher einzugehen sein. 10 Klein, NJW 1989, 1633ff., 1636. Dies ist jedoch nicht unstreitig. In der Rspr. und in der Literatur gibt es Ansätze, die im Rahmen des Rechts-Dreiecks die Grundrechtsbeeinträchtigung durch Dritte dem Staat im Rahmen einer Garantenposition, die durch eine grundrechtliche Schutzpflicht begründet wird, unmittelbar zurechnen und damit grundrechtlich abgeleitete Schutzansprüche und Abwehrrechte gleichsetzen; vgl. hierzu m. w. N. die berechtigte Kritik bei Herrnes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 49ff., 68f., 71 ff., 219ff.; Fluck, UPR 1990, 81 ff., 83; Klein, NJW 1989, 1633ff., 1639; a.A. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 91 ff., 106ff. Zu dieser Problematik wird noch an anderer Stelle einzugehen sein. 11 Zum Problem, ob der Gefährdete einen Anspruch auf bestimmte staatliche Aktivitäten hat, vgl. z. B. Klein, NJW 1989, 1633 ff., 1636ff.; Steiger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 21 ff., 41 ff., sowie BVerfGE 77, 170,214. 12 Es gibt im Bereich der Gentechnologie gefährliche sowie ungefährliche Arbeitsbereiche: Vgl. Deutsch, NJW 1990,339, der als Mitarbeiter der Enquete-Kommission des Bundestages "Chancen und Risiken der Gentechnologie" bzgl. dieser Problematik auf den Bericht der Kommission von 1987, S. 282ff. verweist.

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die körperliche Unversehrtheit anderer gefahrden, was noch nichts darüber sagt, ob insoweit in Verfassungssubstanz eingegriffen wird. Bei genauerer Betrachtung kann es dabei mangels Grundrechtsdrittwirkung nicht um möglicherweise drohende Grundrechtseingriffe durch Dritte gehen, sondern um potentielle Eingriffe in Rechtsgüter, die gegenüber dem Staat grundrechtlieh, gegenüber Privaten aber zivilrechtlieh geschützt sind. Der potentielle Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist zunächst ein rein zivilrechtliches Problem mit den - vom VGH nicht gewürdigten - zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten (z. B. der vorbeugenden Unterlassungsklage). Zur Grundrechtsfrage wird dieser potentielle Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erst durch die Konstruktion eines (grundrechtlichen) Schutzanspruchs gegen den Staat, der gegen den eingreifenden, gefahrdenden Privaten einschreiten soll. Die Lehre l3 faßt dieses Verhältnis zwischen "Staat Störer - Opfer" heute häufig unter den Oberbegriff "Rechts-Dreieck". In diesem Verhältnis sind im täglichen Leben viele Situationen einer möglichen Rechtsgefährdung Dritter durch Grundrechtsausübung denkbar. Dies gilt vor allem auch im Bereich unerkannter Risiken. So gibt es beispielsweise viele Technologien, die nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung und Technik als ungefährlich gelten, aber gleichwohl möglicherweise ein erhebliches Risikopotential in sich tragen. 14 Vergangensheitsbezogen sei an den Brandschutz durch Spritzasbest erinnert, in der Gegenwart könnte an den Einsatz heute als harmlos geltender Stoffe gedacht werden. Auch das Rauchen beispielsweise soll nach neueren medizinischen Erkenntnissen das Krebsrisiko nicht unerheblich steigern. 15 Ist dies ebenso wie Dra13 lsensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 34ff.; vgl. auch Fluck, UPR 1990, 81 ff., 82 f.; Hennes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 204ff.; Klein, NJW 1989, 1633ff.; Murswiek, Staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 89ff.; Scholz, JuS 1976, 232ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, § 69 IV 5 a (S. 945 f.); Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen 1976, S. 125.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff., 556 f. 14 Sendler, UPR 1990, 41 ff., 48. 15 Vgl. auch den Fall des OVG Berlin vom 18.4.1975 (NJW 1975, 226lf.). Dort klagte ein Student gegen die Fachhochschule auf Erlaß eines Rauchverbots in den Vorlesungsräumen, die er im Rahmen der Lehrveranstaltungen besuchen mußte. Das OVG gab dem Antrag auf Erlaß einer Anordnung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren statt, "da ein Rechtsanspruch auf Erlaß des angestrebten Rauchverbots mit großer Wahrscheinlichkeit" bestehe. Die Anspruchsgrundlage sollte das Hausrecht des Rektors sein, das ihn ermächtigte, "von den Studenten Gefahren abzuwehren, die ihnen in räumlichen Bereichen der Fachhochschule an grundrechtlich geschützten Rechten drohen." Hierzu zählt auch Art. 2 Abs. 2 GG. Dies rechtfertigt ein Rauchverbot, weil auch das Passivrauchen in geschlossenen Räumen die Gesundheit gefährdet. Ähnlich der VG Sch1eswig in einer Entscheidung vom 20.9.1974 (JR 1975, 130f.). Das Gericht leitet dagegen den Anspruch auf das Rauchverbot nicht aus einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung - und damit nicht aus Art. 2

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chenfliegen, Fahrradfahren oder Surfen am Strand wegen potentieller Drittgefahrdung ohne ausdrückliche gesetzliche Zulassung jetzt von sofort an verboten? Die Beispiele für tägliche Risiken im zwischenmenschlichen Bereich (ohne spezifische gesetzliche Regelung) lassen sich nahezu unbegrenzt fortführen. 3. Grundsatzproblematik Müssen jetzt also alle potentiell drittgefährdenden Verhaltensweisen einer präventiven Kontrolle durch ein Genehmigungsgesetz unterstellt werden und sind diese ohne zulassendes Gesetz vorerst verboten? Dies muß bezweifelt werden. Angesichts der Tatsache, daß nahezu jeder soziale Kontakt Risiken mit sich bringt,16 wäre der Staat überhaupt nicht in der Lage, die für eine entsprechende Kontrolle erforderlichen Kosten und Personal aufwand zu erbringen. Verfassungsrechtliche Schutzpflichten finden ihre Grenze im Unmöglichkeitskriterium. 17 Ganz unabhängig davon wäre dies ein entscheidender Schritt zur staatlichen Totalrnacht, wenn der Staat so befugt, ja verfassungsrechtlich verpflichtet wäre, jedes Drittrisiko abzuwenden. Es wäre letztlich eine Niederlage für die Freiheit in Deutschland, würde jede Risikoverursachung durch Private an eine gesetzliche Zulassung geknüpft. Der Spruch: "Keine Freiheit ohne Risiko" ginge in seine schlimme Erfüllung durch Umkehrung: Ohne Risiko keine Freiheit. Die im Beschluß des VGH Kassel vorgenommene Umpolung grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen zu einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 18 stellt letztlich ein Postulat nach totaler Sicherheit in der Gesellschaft dar. Eine totale Sicherheit kann es aber in einem freiheitlich ausgerichteten Rechtssystem nicht geben. Totale Sicherheit bedeutet letztendlich den totalen Staat, der in allen privaten und gesellschaftlichen Bereichen präsent sein müßte. 19

Abs. 2 GG - ab, sondern wegen möglicher Belästigungen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. I GG. Kritisch zu bei den Entscheidungen R. Schoh, JuS 1976, 232 ff. 16 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 139. 17 Herrnes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 244 f.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 41 f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 111 ff., 117; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 228. 18 Rupp, JZ 1989, 9lf., 92. 19 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 41; Klein, NJW 1989, 1633 ff. 1639; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 117.

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11. Problemlösung durch Problembeseitigung? Eine ebenso nachhaltige wie totale Problemlösung wäre die Problembeseitigung, indem die Säulen der Problemkonstruktion abgetragen werden. Ein Rechtsproblem, das nicht besteht, braucht auch nicht rechtlich gelöst zu werden. Das vom VGH Kassel behandelte Problem würde sich nicht stellen, wenn a) kein grundrechtlicher Anspruch auf Betreiben potentiell umweltgefährdender Anlagen bestünde, b) bzw. wenn, c) oder wenn kein grundrechtlicher Schutzanspruch gegen entsprechende Driugefährdungen bestünde, d) oder wenn bei Vorliegen von a) bzw. b) und c) eine ausreichende gesetzliche Grundlage vorlag. Während d) nur im konkreten Fall eine andere Entscheidung erforderlich gemacht hätte, würde der Fortfall von a) bzw. b) oder c) die Beseitigung der Grundsatzproblematik bedeuten. Die vom VGH vorgeführte Konstruktion eines bürgergerichteten verfassungsrechtlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (Erlaubnis durch Gesetz) ruht maßgeblich auf der Vorstellung der kollidierenden Grundrechte der potentiellen Verursacher von Risiken (z. B. künftige Anlagenbetreiber) und der möglichen Belasteten (Immittenten) in Form von rechtlichen Schutzansprüchen. Die bekannte Relativierung der Grundrechtsbindung durch die staatliche Funktion zur Auflösung von Grundrechtskollision (oder zur Vornahme von Abwägung) läßt sich gerade in der Argumentation des VGH gut nachzeichnen. Die Lockerung der Verfassungsbindung durch die Kollision von Verfassungswerten beschreibt auch die Gefahr der ungemein erfolgreichen Formel von der praktischen Konkordanz (Hesse)20, wobei deren grundsätzlichen Verdienste an anderen Stellen nicht übersehen werden sollen. Sollte aber die vom VGH konstruierte Grundrechtskollision nicht bestehen, würde die Konstruktion des VGH in sich zusammenbrechen.

20 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl., 1988, Rn. 72, 318 ff.

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1. Grundrechtsschutz für Umweltbelastungen und -gefährdungen? Nicht von vornherein ist ausgemacht, daß umweltbelastende oder umweltgefährdende Aktivitäten überhaupt oder jedenfalls in vollem Umfange grundrechtlich geschützt sind. Kann heute überhaupt noch von einer "Umweltbelastungsfreiheit" u. a. im Sinne eines Grundrechts auf Verschmutzung ausgegangen werden? Die Frage stellt sich wohl noch schärfer als bei der bekannten, allerdings nicht übermäßig ertragreichen Diskussion um die sog. Baufreiheit 21 • Die Naßauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit der Herausnahme der Grundwassernutzung aus den privatrechtlichen Eigentumsbefugnissen 22 stellt für die Grund-Rechtslosstellung von Umweltbelastungen eine wichtige Station dar, wenngleich ihre maßgeblich auch auf Tradition abstellende Argumentation - jedenfalls unmittelbar - nur schwerlich auf Fälle neuartiger Technologien paßt. Allerdings sollte mit Vorab-Limitierungen des Grundrechtstatbestandes schon deshalb besonders behutsam umgegangen werden, weil insoweit auf eine grundrechtliche Kontrolle staatlichen HandeIns und vor allem auf die Feinsteuerungsmöglichkeit der Schrankenlimitierung (insbesondere auf das Übermaßverbot) verzichtet wird,z3 Im übrigen ist hier die Gleichstellung von Eingriff und Gefährdung in bzw. für die Umwelt nicht ohne weiteres möglich. Es wäre nahezu ein Verfassungsumsturz, wollte man eine Handlung allein deswegen ohne Grundrechtsschutz lassen, weil von ihr umweltbelastende Konsequenzen ausgehen oder gar nur ausgehen können. 24 Wenn überhaupt, könnten so weitgehende Beschlüsse nur für besonders intensive Formen der Umweltschädigung bzw. der schweren Umweltgefährdung gezogen werden. Im wesentlichen wird dies nur dazu führen, den Bereich der Umweltkriminalität oder vergleichbar sozialschädliche Umweltbelastungen grundrechtslos zu lassen. Davon konnte im Bereich der Entscheidung des VGH aber keine Rede sein. Immerhin birgt dieser Argumentationsansatz für die Zukunft einige Entfaltungsmöglichkeiten, soweit mit zunehmender Umweltsensibilität der Bevölkerung weitere Formen der Umweltbelastung in der Allgemeinheit als sozial schädlich gelten sollten. Dann wäre allerdings immer noch zu beden21 Vgl. hierzu Kautzberger. in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, Kommentar, 3. Aufl., 1991, § 1 BauGB Rn. 7f. m. w.N. zum Streitstand. 22 BVerfGE 58, 300 (338 ff.). 23 Gersdorf, DÖV 1990, 514ff., 515; Kloepfer. Umweltrecht, 1989, § 2 Rn. 31; Vitzthum. VB1BW 1990, 48ff.. 50f. 24 So allerdings H. Hofmann. Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 322f. mit Fn. 90; Roßnagel. Grundrechte und Kernkraftwerke, 1979, S. 42. 14 Klo