Umwelt- und Planungsrecht im Wandel: System, Funktionen, Perspektiven [1 ed.] 9783428534319, 9783428134311

Beiheft 11 zu "Die Verwaltung" ist Prof. Dr. Wilfried Erbguth anlässlich seines 60. Geburtstags gewidmet. Ents

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Umwelt- und Planungsrecht im Wandel: System, Funktionen, Perspektiven [1 ed.]
 9783428534319, 9783428134311

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DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften

Beiheft 11

Umwelt- und Planungsrecht im Wandel System, Funktionen, Perspektiven Herausgegeben von Sabine Schlacke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Umwelt- und Planungsrecht im Wandel

DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften

Herausgegeben von Wilfried Berg, Gabriele Britz, Martin Burgi Stefan Fisch, Johannes Masing, Matthias Ruffert Friedrich Schoch, Helmuth Schulze-Fielitz

Beiheft 11

Umwelt- und Planungsrecht im Wandel System, Funktionen, Perspektiven

Herausgegeben von Sabine Schlacke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0946-1892 ISBN 978-3-428-13431-1 (Print) ISBN 978-3-428-53431-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83431-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Bau-, Planungs-, Umwelt- und Seerecht bilden in der über 30-jährigen beruflichen Tätigkeit von Wilfried Erbguth die Schwerpunkte seines Schaffens. Nach einigen Jahren in Justiz und Verwaltung legte der Jubilar mit seiner Habilitationsschrift „Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts“ 1986 den Grundstein für ein wissenschaftliches Werk, das mit über 200 Beiträgen in den genannten Bereichen nicht nur quantitativ beeindruckt. Nach einer dreijährigen Professur an der Ruhr-Universität Bochum trug Wilfried Erbguth an der Universität Rostock als Hochschullehrer und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsrechts seit 1992 ganz wesentlich zum (Wieder-)Aufbau der Juristischen Fakultät bei. Zeitgleich gründete er das Ostseeinstitut für Seerecht, Umweltrecht und Infrastrukturrecht (OSU), das neben seiner Schriftenreihe und Grundlagenforschung vor allem durch die Rostocker Umweltrechtstage und Seerechtsgespräche nach wie vor bundesweite Resonanz erzeugt. Einem zwischenzeitlichen Ruf an die Juristenfakultät der Universität Leipzig folgte er nicht, sondern blieb seiner Geburtsstadt Rostock treu und engagierte sich als Prorektor, Dekan und Prodekan. Ein besonderes Interesse des Jubilars galt und gilt dem Rechtsschutz im Öffentlichen Recht. Zum „Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht“ referierte er 2001 in Würzburg vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, und auch in der Folge widmete er sich Fragen der Effektivität und Fortentwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem. Forschung und Lehre sind für Wilfried Erbguth untrennbar verbunden. So bezeugen seine Lehrbücher zum Öffentlichen Baurecht und Allgemeinen Verwaltungsrecht sowie das mit Sabine Schlacke verfasste Lehrbuch zum Umweltrecht sein vehementes Interesse an der Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse für Studierende. Besonderes Verdienst hat sich Wilfried Erbguth nicht zuletzt um die unablässige Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erworben; hiervon künden etwa 20 von ihm betreute Promotionen und Habilitationen. Mit dieser Festgabe zum „Umwelt- und Planungsrecht im Wandel“ wünschen ihm die in diesem Band versammelten Schülerinnen und Schüler – auch im

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Vorwort

Namen aller übrigen – zu seinem 60. Geburtstag Gesundheit, Schaffenskraft und Glück. Ad multos annos! Sabine Schlacke, Guy Beaucamp, Wolfram Cremer, Felix Ekardt, Mathias Schubert und Frank Stollmann

Inhaltsverzeichnis Wolfram Cremer Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts. Funktionen und Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Felix Ekardt Schutzpflichten, Abwägungsregeln, Mindeststandards und Drittschutz. Eine Kritik der Judikatur sowie der transnationalen Umweltgrundrechts-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Guy Beaucamp Sonderformen umweltrechtlicher Genehmigungen. Stand und Perspektiven

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Frank Stollmann Das neue BNatSchG und die Handlungsspielräume der Länder . . . . . . . . . . . . . . .

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Mathias Schubert Umweltrecht und Recht räumlicher Gesamtplanung. Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven im Hinblick auf umweltrechtliche Anforderungen im Raumordnungs- und Bauplanungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sabine Schlacke Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet? Begriffliches, Systematik und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts Funktionen und Strukturen Wolfram Cremer

I. Einleitung Jubiläen geben Anlass, über die gemeinsame Vergangenheit nachzudenken. Dabei ist meine Erinnerung an Wilfried Erbguth vor allem dadurch geprägt, dass er im Frühjahr 1997 ohne Zögern bereit war, die Betreuung des für mich in jeder Hinsicht wichtigsten wissenschaftlichen Projekts, meiner Habilitationsschrift, zu übernehmen. Er hat sich sodann, wann immer ich Diskussionsbedarf anmeldete, stets die Zeit genommen, ausführlich über die Arbeit zu diskutieren. Besonderen Dank für diese Zuwendung schulde ich ihm auch deshalb, weil das Habilitationsvorhaben in seinen Anfängen bis zu seinem viel zu frühen Tod von Bernd Jeand’Heur begleitet wurde. Das Interesse des Jubilars an der Arbeit und seine regelmäßige – wenn auch teils von behutsamer kritischer Hinterfragung begleitete – Aufmunterung gaben gleichermaßen Kraft und Inspiration, auf dem beschrittenen Weg unter Setzung einzelner neuer Akzente fortzufahren. Vor diesem Hintergrund habe ich dem Gesamtkonzept dieses Jubiläumsheftes entsprechend über ein Grundlagenthema aus dem mir zugedachten Bereich Umweltschutz und Europarecht nachgedacht, welches diese besonders enge persönlich-fachliche Bindung aufgreift und zugleich das Interesse des Jubilars findet. Ergebnis dieser Überlegungen ist der vorliegende Beitrag, welcher versucht, gewisse – freilich teils stark modifizierte – Überlegungen aus meiner Habilitationsschrift im Kontext der Ziele und namentlich Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts fruchtbar zu machen. Ich bin nicht zuletzt darauf gespannt, wie Wilfried Erbguth meine Ausführungen aufnehmen wird – die Ausführungen eines im Vergleich zum Jubilar umweltrechtlichen Laien. Seit nunmehr über 20 Jahren, nämlich seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 1. Juli 1987, enthält das primäre Gemeinschaftsrecht ein Kapitel über Umweltpolitik und Umweltschutz, welches sich nunmehr im Dritten Teil, Titel XX des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) findet. Die vier Primärrechtsrevisio-

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Wolfram Cremer

nen durch die Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon haben Fassung und Inhalt der einschlägigen Vorschriften – zunächst Art. 130r – 130t E(W)GV, seit dem Vertrag von Amsterdam Art. 174 – 176 EG und jetzt Art. 191 – 193 AEUV – zwar nicht gänzlich unberührt gelassen, substanzielle Änderungen sind indes nicht zu konstatieren. Das gilt auch für die hier zuvörderst interessierenden sog. Handlungsprinzipien1 bzw. Handlungsgrundsätze2 des Art. 191 Abs. 2 AEUV, nämlich die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung, den Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen (Ursprungsprinzip), sowie das Verursacherprinzip. Bezogen auf diese Handlungsgrundsätze hat der Text des E(W)G-Vertrages zwar 1993 durch den Vertrag von Maastricht eine (durchaus viel diskutierte) Ergänzung erfahren, als dem schon 1987 durch die EEA eingefügten Vorbeugungsgrundsatz der Vorsorgegrundsatz hinzugefügt wurde3. Indes besteht – ungeachtet einer durchaus lebendigen Diskussion über Bedeutungsdifferenzen im Detail4 – Einigkeit, dass die beiden Grundsätze inhaltlich zumindest im Wesentlichen übereinstimmen5. Auf etwaige marginale Unterschiede im Detail soll es vorliegend jedenfalls nicht ankommen. Vielmehr ist es Anliegen dieses Beitrages, die Rechtsnatur und die fundamentalen rechtlichen Dimensionen bzw. Funktionen der drei Handlungsgrundsätze unter Berücksichtigung ihrer Unterschiede herauszuarbeiten und einer strukturorientierten Systematisierung zuzuführen. Angezeigt ist namentlich eine Analyse, welche kategorial zwischen den Handlungsgrundsätzen als Rechtfertigungsgründen, Eingriffsverboten und Handlungsgeboten differenziert. Ein solches Unterfangen ist auch 20 Jahre nach Inkrafttreten des Umweltkapitels angezeigt und gar überfällig, weil eine solche grundlegende struktur- und funktionsorientierte Analyse von der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte bislang nicht geleistet wurde (und auch kaum geleistet werden kann), und die Literatur zwar einen bunten Strauß an Vorschlägen zu Inhalt und Justiziabilität der Handlungsgrundsätze hervorgebracht hat, es den Angeboten aber zumeist an ausreichender Differenzierung im Hinblick auf die genannten Funktionen fehlt. 1 So die Bezeichnung bei Astrid Epiney, Zur Bindungswirkung der gemeinschaftsrechtlichen „Umweltprinzipien“ für die Mitgliedstaaten, in: Stefan Kadelbach / Gil Carlos Rodriguez Iglesias / Charlotte Gaitanides (Hrsg.), Europa und seine Verfassung, FS Manfred Zuleeg, 2005, S. 633 (633 und öfter). 2 Dieter H. Scheuing, Das Europäische Umweltverfassungsrecht als Maßstab gerichtlicher Kontrolle, EuR 2002, S. 619 (623). 3 Vgl. dazu nur Miguel Kühn, Die Entwicklung des Vorsorgeprinzips im Europarecht, ZEuS 2006, S. 487 (495 f.); Ludwig Krämer, in: Hans von der Groeben / Jürgen Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, Bd. 3, Art. 174 EG Rn. 39. 4 Vgl. zur Diskussion Christian Calliess, in: ders. / Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV, Kommentar, 3. Aufl. 2007, Art. 174 Rn. 24 ff. 5 Vgl. nur Johannes Caspar, Das europäische Umweltverfassungsrecht, in: HansJoachim Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2. Aufl. 2007, § 2 Rn. 42; Anja Käller, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 174 EGV Rn. 27.

Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts

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Zudem wird kaum beachtet, dass die Handlungsgrundsätze einen im Hinblick auf das (allgemeinere) Umweltschutzziel des EG-Vertrages instrumentellen Charakter aufweisen resp. die Handlungsgrundsätze als gegenüber dem allgemeineren Umweltschutzziel konkretere und präzisere Umweltziele zu qualifizieren sind6. Aus diesem Verhältnis folgt für die nachfolgende Untersuchung, dass zunächst das Gemeinschaftsziel Umweltschutz in funktionaler Perspektive, also als Rechtfertigungsgrund, Eingriffsverbot und Handlungsgebot erörtert wird, um sich sodann in einem zweiten Schritt den Handlungsgrundsätzen des Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV zuzuwenden. Bleibt in der Einleitung noch abschließend anzumerken, dass auch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 keine nennenswerten inhaltlichen Änderungen für das Umweltkapitel mit sich gebracht hat. Die Art. 191 – 193 AEUV weisen gegenüber den Art. 174 – 176 EG überwiegend nur redaktionelle Unterschiede auf7, die insbesondere durch das Verschwinden der Europäischen Gemeinschaft und ihre Ersetzung durch die Europäische Union bedingt sind8. Das gilt namentlich für die hier zuvörderst interessierenden Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 AEUV in Gegenüberstellung zu Art. 174 Abs. 2 EG.

II. Umweltschutz als Ziel des Gemeinschaftsrechts Mit dem Vertrag von Amsterdam hat der Umweltschutz, konkret die Erreichung eines „hohen Maßes an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“, Aufnahme in den Zielkatalog des Art. 2 EG und nunmehr Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV-Lissabon9 gefunden. In Art. 191 Abs. 1 6

Vgl. zu dieser Einordnung Caspar (FN 5), § 2 Rn. 12 f. Siehe zu den Art. 174 bis 176 EG in der Version des Vertrags über eine Verfassung für Europa Jan H. Jans / Joanne Scott, The Convention on the Future of Europe: An Environmental Perspective, Journal of Environmental Law 2003, S. 323 (336); zu den Art. 191 AEUV David Benson / Andrew Jordan, A Grand Bargain or an „Incomplete Contract? European Environmental Policy after the Lisbon Treaty“, European Energy and Environmental Law Review, 2008, S. 280 (284). 8 Neben dieser sprachlichen Anpassung wird Art. 191 AEUV als Nachfolgevorschrift von Art. 174 EG in Abs. 1 4. Spstr. um die Formulierung „und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels“ ergänzt. Zu den Änderungen im Detail, siehe Käller (FN 5), Art. 174 EGV Rn. 52, Art. 175 EGV Rn. 49 und Art. 176 EGV Rn. 10. Auch die Querschnittsklausel erfährt durch den Vertrag von Lissabon (wohl) nur redaktionelle Änderungen und behält zudem als Art. 11 AEUV ihren prominenten Platz im Ersten Teil des Vertrags (AEUV statt EG-Vertrag) unter der Überschrift „Grundsätze“. Allerdings findet sich dort nunmehr eine zweite den Verbraucherschutz betreffende Querschnittsklausel in Gestalt des Art. 12 AEUV. 9 So wie bislang Art. 2 EG für die Gemeinschaft legt Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV-Lissabon nunmehr grundlegende Aufgaben und Ziele der Union fest, näher zu Art. 2 EG Armin Hatje, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 2 EGV Rn. 13 f. 7

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Wolfram Cremer

AEUV werden die Ziele gemeinschaftlicher Umweltpolitik10 sodann näher aufgefächert, wobei die einzelnen Teilziele, nämlich Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität (1. Spstr.), Schutz der menschlichen Gesundheit (2. Spstr.), umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen (3. Spstr.) und die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme (4. Spstr.)11 kategorial durchaus heterogener Natur sind. Während der 1. Spstr. den Umweltschutz ohne nähere inhaltliche Spezifizierung zum Ziel gemeinschaftlicher Umweltpolitik erklärt und der 2. Spstr. die Umweltpolitik kaum weniger spezifisch auch auf den Schutz der menschlichen Gesundheit ausgerichtet wissen will12, beschreibt der 3. Spstr. ein vergleichsweise konkretes Ziel, welches sich auch als Instrument einer Umwelt- oder Klimaschutzpolitik einordnen und dementsprechend rechtlich konfigurieren ließe13. Der 4. Spstr. statuiert sodann weniger ein inhaltliches Ziel gemeinschaftlicher Umweltpolitik, sondern erstreckt den Radius gemeinschaftlicher Umweltpolitik auf die internationale Ebene14. Was bedeutet die (Teil)Zielevielfalt nun für die rechtliche Verfasstheit der gemeinschaftlichen Umweltschutzpolitik, welche in Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV (unter Berücksichtigung regional unterschiedlicher Gegebenheiten) zudem auf ein hohes Schutzniveau ausgerichtet wird? In der hier interessierenden funktionalen Perspektive stellt sich in Parallele zur grundrechtlichen Eingriffsabwehrfunktion einerseits und zur Leistungs- bzw. Schutzfunktion andererseits die Frage, was die EU15 im Inte10 Vgl. zum Umweltbegriff resp. den dadurch umfassten Rechtsgütern nur Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 8; Käller (FN 5), Art. 174 EGV Rn. 7; Wolfgang Kahl, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV / EGV, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003, Art. 174 EGV Rn. 35 ff.; ders., Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 15 f.; Caspar (FN 5), § 2 Rn. 21 – 26; Krämer (FN 3), Art. 174 EG Rn. 2 ff. 11 Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass die dem Art. 174 Abs. 1 4. Spstr. EGV entsprechende Vorschrift des Art. 191 Abs. 1 4. Spstr. AEUV um die Formulierung „und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels“ ergänzt wird. Siehe hierzu nochmals Käller (FN 5), Art. 174 EGV Rn. 52. 12 Näher dazu und zur Verknüpfung mit Art. 152 EG (Art. 168 AEUV) Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 9; Meinhard Schröder, Umweltschutz als Gemeinschaftsziel und Grundsätze des Umweltschutzes, in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 19. 13 Die im 2. und 3. Spstr. genannten Ziele lassen sich freilich auch als Teilmenge eines im 1. Spstr. der Norm niedergelegten allgemeinen und umfassend zu verstehenden Ziels Umweltschutz verstehen, vgl. Kahl (FN 10), S. 19. 14 Nach dem Vertrag von Lissabon unter besonderer Hervorhebung des Klimaschutzes, vgl. dazu bereits FN 8. 15 Vgl. zur umstrittenen Bindung der Mitgliedstaaten an die Umweltziele des Gemeinschafts- und nunmehr Unionsrechts Schröder, Beachtung gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze für den Umweltschutz bei nationalen Maßnahmen (FN 12), § 31 Rn. 1 – 26, der im Ergebnis eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Umweltprinzipien ablehnt (Rn. 12 ff.); anders Calliess (FN 4), Art. 6 EGV Rn. 12; für eine begrenzte Bindungswirkung Epiney (FN 1), S. 648. Für Umweltprinzipien als Rechtfertigungsgründe für mitgliedstaatliche Eingriffe in gemeinschaftsrechtlich / unionsrechtlich

Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts

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resse der genannten Umweltschutzziele unterlassen und was sie zur Verwirklichung der gemeinschaftlichen Umweltschutzziele positiv tun muss. Zudem ist zu erörtern, inwieweit die Umweltschutzziele des Art. 191 Abs. 1 AEUV die Beeinträchtigung anderer Gemeinschaftsziele und nicht zuletzt der Unionsgrundrechte durch Gemeinschaftsrechtsakte zu rechtfertigen vermögen. Wie eingangs angekündigt sollen hier freilich nicht die Umweltschutzziele im Zentrum des Interesses stehen, sondern die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV; deshalb soll hier lediglich das allgemeine (auf hohem Niveau zu verwirklichende) Gemeinschaftsziel Umweltschutz näher betrachtet werden. Nur dessen Analyse ist für die spätere Befassung mit den Handlungsgrundsätzen von grundlegender Bedeutung. Lediglich angedeutet sei, dass insbesondere dem deutlich konkreteren Ziel der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen gem. Art. 191 Abs. 1 3. Spstr. AEUV in jeder der drei Dimensionen (Eingriffsverbot, Handlungsauftrag, Rechtfertigungsgrund) größeres Gewicht beizumessen bzw. präzisere Vorgaben zu entnehmen sein könnten als dem allgemeinen gemeinschaftlichen Umweltschutzziel.

1. Das unionsrechtliche Umweltschutzziel als Rechtfertigungsgrund

Hinsichtlich des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund für Freiheitsverkürzungen wird zwar der Stellenwert bzw. das relative Gewicht des Umweltschutzziels auf der einen Seite und der Freiheitsrechte auf der anderen Seite im Rahmen der Abwägung durchaus unterschiedlich bewertet16, die grundsätzliche Tauglichkeit des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund17 ist in der Literatur indes unbestritten18. Auch der EuGH erkennt den Umweltschutz in ständiger Rechtsprechung als Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in Grundrechte, Grundfreiheiten19 bzw. in den freien Wettbewerb an und hat den Umweltschutz im Rechtfertigungskontext schon vor garantierte Grundfreiheiten Gerd Winter, Umweltrechtliche Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, ZUR 2003, S. 137 (140 f.); Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 65. 16 Vgl. hierzu Caspar (FN 5), § 2 Rn. 13 f. 17 Schröder (FN 15), § 31 Rn. 22 f. 18 Hans H. B. Vedder, Environmental Protection and Free Competition: A New Balance?, Legal Issues of European Integration, 2001, S. 105 (110); Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 65; Winter (FN 15), S. 140 f.; Epiney (FN 1), S. 640 f.; Caroline London, Concurrence et environnement: une entente écologiquement rationelle? Révue Trimestrielle de droit européen, 2003, S. 267 ff. 19 Die grundsätzliche Tauglichkeit des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund für die Verkürzung der Grundfreiheiten ist von der speziellen Frage zu trennen, ob dies auch im Kontext mitgliedstaatlicher Maßnahmen gilt, welche nach der Warenherkunft resp. der Staatsangehörigkeit differenzieren, vgl. dazu nur Wolfram Cremer, Staatlich geförderter Klimaschutz und Gemeinschaftsrecht – Sind das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG) und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) seit dem 1. 7. 2007 gemeinschaftswidrig?, EuZW 2007, S. 591 (593); siehe auch Pål Wennerås, Towards an ever greener Union?, Common Market Law Review 2008, S. 1645 (1654 f.).

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Inkrafttreten der EEA als wesentliches Gemeinschaftsziel ausgezeichnet20. Demzufolge stellen sich hinsichtlich des Umweltschutzes als Rechtfertigungsgrund für Freiheitseingriffe „lediglich“ – wenn auch gewichtige21 – graduelle Fragen, welche in Diskussionen um einen relativen Vorrang des Umweltschutzes vor anderen Gemeinschafts- resp. Unionszielen und -freiheiten22 und (in Deutschland) um einen Grundsatz bestmöglichen Umweltschutzes gemündet sind23. Grundsätzliche strukturelle Fragen bzgl. des Gemeinschaftsziels Umweltschutz stellen sich dagegen insofern nicht.

2. Das unionsrechtliche Umweltschutzziel als die Union bindender objektiv-rechtlicher Grundsatz von Verfassungsrang

Dass das unionsrechtliche Umweltschutzziel jenseits seiner soeben behandelten und „zu Gunsten“ der Union und ihrer Organe wirkenden Funktion als Rechtfertigungsgrund rechtliche Wirkungen auch „zu Lasten“ der Union entfalten kann, wird im Grundsatz kaum mehr bestritten. Zum Ausdruck gebracht wird dies durch Formulierungen wie es handele sich um eine „verbindliche Aufgabenumschreibung“24, „um rechtsverbindliche, gewissermaßen staatszielähnliche Aufgabenbeschreibungen“25 oder um „eine konkrete Rechtspflicht für den Gemeinschaftsgesetzgeber“26. Dieser Position soll hier zwar keineswegs entgegen getreten werden; indes wird in der Literatur oft nicht erkannt resp. beachtet, dass insoweit, eben im Hinblick auf eine handlungsspielraumverkürzende Bindung der Union an das Umweltschutzziel, nochmals zwei Dimensionen unterschieden werden können und aus systematischen Gründen müssen. Das Umweltschutzziel kann einerseits so wirken, dass es der Union Handlungsgrenzen setzt und anderseits kann es ihr Handlungspflichten 20

EuGH, Rs. 240 / 83, Slg. 1985, 531 Rn. 13 (ADBHU). Gewichtig deshalb, weil ihnen im Rahmen der stets notwendigen Abwägung zwischen Umwelt- und Freiheitsschutz zentrale Bedeutung zukommt. 22 Dazu Caspar (FN 5), § 2 Rn. 13 f. 23 Begriffsprägend Manfred Zuleeg, Vorbehaltene Kompetenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiete des Umweltschutzes, NVwZ 1987, S. 280 (283 f.). Diese noch eher schlagwortartigen Vorarbeiten konzeptionell weiterentwickelnd Kahl (FN 10), insbesondere S. 10 ff. und 55 ff.; ferner Thomas Schroer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 1992, S. 128 ff.; Axel Vorwerk, Die umweltpolitischen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der EEA, 1990, S. 33 ff.; Carsten Nowak, in: Sebastian Heselhaus / ders. (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 60 Rn. 11. 24 Kahl (FN 10), S. 19. 25 Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 42; Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 41. 26 Ingolf Pernice, Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf das Umweltrecht – Gemeinschafts(verfassungs-)rechtliche Grundlagen, NVwZ 1990, S. 201 (203). 21

Handlungsgrundsätze des Europäischen Umweltverfassungsrechts

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auferlegen. An die grundrechtliche Terminologie anknüpfend, aber ihres subjektiv-rechtlichen Charakters entkleidet, ist mithin zu erörtern, ob das Umweltschutzziel ein Eingriffsverbot und / oder ein Handlungsgebot statuiert. Zur Erläuterung: Ebenso wie bei Grundrechten kann man auch bei objektiv-rechtlichen Verpflichtungen insbesondere eine Unterlassens- und eine Leistungsdimension27 unterscheiden28. Der Unterschied zwischen einem Grundrecht resp. einem subjektiven Rechtsgehalt einerseits und einer objektiv-rechtlichen Verpflichtung andererseits erschöpft sich darin, dass das objektive gegenüber dem subjektiven Recht unter nur einem einzigen Gesichtspunkt defizitär ist. Wie das subjektive Recht auferlegt auch das objektive Recht dem Verpflichteten eine rechtliche Bindung, der Einzelne vermag sie aber nicht gerichtlich durchzusetzen. Eine objektiv-rechtliche Verpflichtung ist zwar ohne subjektive Berechtigung, nicht aber ein subjektives Recht ohne inhaltlich korrespondierende objektiv-rechtliche Verpflichtung konstruierbar29. Ist die Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht also ohne Bedeutung für den Inhalt eines Rechtssatzes, gilt es nunmehr die objektiv-rechtlichen Dimensionen des Umweltschutzes zu ermitteln. Wie bereits angedeutet kann eine objektiv-rechtliche Verpflichtung mit Verfassungsrang – ebenso wie ein Grundrecht – erstens eine auf ein Unterlassen der Union gerichtete Verpflichtung – d. h. ein Eingriffsverbot – begründen. Zweitens mag ein objektiv-rechtlicher Rechtssatz eine auf ein Tun der Union gerichtete Verpflichtung – d. h. ein Handlungsgebot – statuieren30. Insoweit handelt es sich aber nur um potentielle Dimensionen eines objektiven Rechtssatzes; welche dieser Dimensionen ein objektiver Rechtssatz tatsächlich verbürgt, muss im Wege der Auslegung ermittelt werden. Demgemäß werden die beiden Dimensionen nachfolgend separat voneinander untersucht. a) Das unionsrechtliche Umweltschutzziel als Eingriffsverbot: Zunächst wird erörtert, ob und ggf. wie das unionsrechtliche Umweltschutzziel das Handeln der Union im Sinne eines Eingriffsverbots rechtlich begrenzt. Insbesondere in der deutschen Literatur wird anknüpfend an das Ziel der „Erhaltung“ der Umwelt in Art. 174 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. EG (Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. AEUV) davon ausgegangen, dass damit ein Verschlechte27 Dabei wird die Leistungsdimension der Grundrechte häufig in eine Leistungsdimension im engeren Sinne und eine Schutzdimension aufgegliedert, vgl. dazu im unionsrechtlichen Kontext Thorsten Kingreen, in: Christian Calliess / Matthias Ruffert, EUV / EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 51 GRCh Rn. 19 ff. 28 Auf weitere denkbare Dimensionen, insbes. eine verfahrensrechtliche, wird hier nicht eingegangen. 29 Vgl. auch Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1995, S. 171 ff. und 186 ff.; Christian Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 61. 30 Zur Verdeutlichung sei nochmals betont: Im Unterschied zum Grundrecht korrespondieren mit den aus einem objektiv-rechtlichen Rechtssatz ableitbaren Eingriffsverboten bzw. Handlungsgeboten keine Abwehr- bzw. Leistungsrechte.

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rungsverbot statuiert wird31, ohne dass über die aus diesem Verbot resultierenden rechtlichen Konsequenzen Klarheit bestünde. So heißt es zwar verbreitet, in Folge dieses Verbots dürfe die Umwelt „grundsätzlich nicht verbraucht oder zerstört werden“32; die Bedeutung des Adverbs grundsätzlich wird indes nicht näher erläutert33. Dessen ungeachtet ist die Rede von einem umweltbezogenen Verschlechterungsverbot zumindest insofern zutreffend, als dem Unionsziel Umweltschutz jedenfalls in eingriffsabwehrrechtlicher Perspektive nicht lediglich Appellcharakter zuzuschreiben ist. Seine Bedeutung liegt nicht (allein) im Politisch-Symbolischen; es verbietet der Union als objektiv-rechtlicher Grundsatz von Verfassungsrang unter noch näher zu bestimmenden Voraussetzungen Eingriffe in die Umwelt. Über diese rechtliche Dimension des Umweltschutzes als objektiv-rechtliches Prinzip mit Verfassungsrang sollte angesichts des Wortlauts von Art. 191 Abs. 1 AEUV, der Grundsatznorm des Art. 11 AEUV (ex-Art. 6 EG) sowie der grundsätzlichen Verfasstheit der Union als Rechtsgemeinschaft34 kein Zweifel bestehen. Selbst wenn man sich schwer damit tun mag, dem unionsrechtlichen Umweltschutzziel verbindliche und konkrete Handlungsaufträge abzugewinnen35, ist dem Ziel der „Erhaltung“ der Umwelt in Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. AEUV jedenfalls zu entnehmen, dass es zumindest Sekundärrechtsakten, welche in ihrer Folge / Umsetzung zu schwersten Umweltbeeinträchtigungen führen oder (Private) dazu ermächtigen, ohne dass damit erkennbare Vorteile verbunden wären, mit der Rechtsfolge ihrer (durch die Unionsgerichtsbarkeit zu erklärenden) Nichtigkeit entgegen steht. Mit der Anerkennung des Unionsziels Umweltschutz als Eingriffsverbot – offen bleiben soll an dieser Stelle noch, ob auch der Rückbau umweltschutzgünstigen Sekundärrechts 31 Vgl. Kahl (FN 10), S. 19; Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 8, der freilich formuliert, dass der Begriff der Erhaltung auf ein Verschlechterungsverbot „ziele“. 32 Kahl (FN 10), S. 19; Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 8. Vgl. auch Schröder (FN 12), § 9 Rn. 17, wonach die Umwelt nicht weiter zerstört oder verbraucht werden darf, ohne dieses Verbot in irgendeiner Weise zu relativieren. 33 Im Übrigen wird teils darauf hingewiesen, dass die Politik der Gemeinschaft / Union nicht nur auf Erhaltung der Umwelt resp. einen (wie auch immer zu präzisierenden) ökologischen Bestandsschutz, sondern auch auf den Schutz der Umwelt und die Verbesserung ihrer Qualität (Art. 174 Abs. 1 1. Spstr. 2. und 3. Alt. EG) gerichtet ist und zwischen diesen Teilzielen Überschneidungen bestehen, weshalb eine randscharfe Abgrenzung nicht immer gelingen könne, Kahl (FN 10), S. 19; Martin Nettesheim, in: Eberhard Grabitz / Meinhard Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblatt, Stand: 40. Ergänzungslieferung (Oktober 2009), Bd. III, Art. 174 EGV Rn. 17. Oftmals dienten Lenkungs- und Kontrollmaßnahmen, mit denen bestehende Umweltbelastungen und -verschmutzungen verringert und zukünftig vermieden werden, sowohl der Erhaltung als auch dem Schutz der Umwelt, Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 8. 34 Begriffsprägend wohl Walter Hallstein bei der Ansprache anlässlich seiner Ehrenpromotion in Padua im Jahre 1962, abgedruckt in Thomas Oppermann (Hrsg.), Europäische Reden, S. 341 (343). 35 Dazu sogleich II. 2. b).

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durch die EU als Eingriff in das primärrechtliche Umweltschutzziel zu qualifizieren ist36 – ist freilich noch nichts über seine weiteren inhaltlichen und strukturellen Konturen gesagt. Das Eingriffsverbot ist nämlich keineswegs ein unbedingtes, sondern lediglich ein prima-facie-Verbot37, welches im Interesse der Verfolgung anderer unionsrechtlich akzeptierter Ziele überwunden werden kann. So verstanden entspricht der objektiv-rechtliche Grundsatz Umweltschutz in abwehrrechtlicher Perspektive strukturell der Eingriffsabwehrfunktion der Grundrechte, freilich ohne subjektiv-rechtlich bewehrt zu sein38. Damit befinden wir uns in vertrauten Abwägungskontexten, wie sie ebenfalls durch die Dogmatik der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte vorgezeichnet sind. Dabei gilt es freilich bzgl. der Abwägung zwischen Umwelteingriff und diesen legitimierenden Zielen daran zu erinnern, dass der Umweltschutz im EU-Recht an verschiedenen, teils prominenten Stellen39 eine besondere Wertschätzung erfährt und namentlich ein hohes Schutzniveau40 als Ziel formuliert wird41. Dies drängt die Entscheidungsspielräume resp. die Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers zu Gunsten des Umweltschutzes zumindest tendenziell zurück, ohne dass dies von einer Einzelfallwürdigung entbände. Beurteilt man vor diesem Hintergrund die Rede vom Verschlechterungsverbot, ist diese Wendung, jedenfalls bei Hinzufügung des Attributs „grundsätzlich“, durchaus geeignet, den Umweltschutz als verfassungsrechtliches Eingriffsverbot im Sinne eines prima-facie-Verbots auszuzeichnen. Es ist nur sorgfältig darauf zu achten, dass mit der Rede vom (grundsätzlichen) Verschlechterungsverbot nicht die Vorstellung verbunden wird, dass jede dem Umweltschutz abträgliche Maßnahme der Union, insbesondere EU-Sekundärrechtsakte, das umweltschutzrechtliche Eingriffsverbot verletzt und demgemäß vom EuGH für nichtig zu erklären ist. Auch darf das Attribut „grundsätzlich“ nicht dergestalt missverstanden werden, dass Umweltbeeinträchtigungen durch die Union nur (ganz) ausnahmsweise 36 Die Diskussion wird hier wegen des primären Interesses an der Struktur der Handlungsgrundsätze zurückgestellt, vgl. dazu unten III. 3. 37 Näher zum prima facie-Charakter von Regeln und Prinzipien, siehe Alexy (FN 29), S. 87 f. 38 Vgl. zum fehlenden subjektiv-rechtlichen Charakter des unionsrechtlichen Umweltschutzziels nur Nowak (FN 23), § 60 Rn. 14; Caspar (FN 5), § 2 Rn. 20; ferner Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 41; ders. (FN 10), S. 86; Nettesheim (FN 33), Art. 174 EGV Rn. 15; Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 6. Strikt davon zu trennen ist die Frage nach der individualschützenden Wirkung gemeinschaftsrechtlichen Umweltsekundärrechts, vgl. dazu aus jüngerer Zeit mit zahlreichen Nachweisen Bernhard W. Wegener, Rechtsschutz im europäischen (Umwelt-)Recht, in: Reinhard Hendler u. a. (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2008, S. 319 ff. 39 Zu nennen ist vor allem Art. 11 AEUV. 40 Ein hohes Schutzniveau im Umweltbereich wird nicht nur in Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1. AEUV, sondern zudem in Art. 114 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 95 Abs. 3 EG) gefordert. 41 Vgl. auch Schröder (FN 12), § 9 Rn. 14; Krämer (FN 3), Art. 174 EGV Rn. 11.

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rechtmäßig sein können; „grundsätzlich“ muss vielmehr im Sinne eines prima-facie-Charakters42 des Verschlechterungsverbots verstanden werden. Im Folgenden werde ich, um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen, den Begriff „Eingriffsverbot“ verwenden, was den prima-facie-Charakter des Verbots einschließen soll. b) Das unionsrechtliche Umweltschutzziel als Handlungsgebot: In der Literatur wird verbreitet angenommen, dass die Union nicht nur dazu ermächtigt ist, umweltbezogene Rechtsakte zu erlassen43, sondern in gewissem Umfang auch dazu verpflichtet. So ist insofern etwa von einem Optimierungsgebot die Rede44, teils werden abstrakt-generelle, konkretgenerelle und spezielle Handlungspflichten unterschieden45. Anknüpfungspunkt für ein Handlungsgebot als eine Dimension des Umweltschutzes als objektiv-rechtlicher Grundsatz mit Verfassungsrang ist vor allem Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 2. und 3. Alt. AEUV, wo jenseits des Erhaltungsziels nach dem 1. Spstr. der „Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität“ genannt ist. Dessen ungeachtet wird zwar verbreitet angenommen, dass die Union im Umweltbereich nicht gänzlich untätig bleiben darf46, aus dem Umweltschutzziel aber die Verpflichtung zum Erlass bestimmter Maßnahmen abzuleiten, wird nahezu einhellig abgelehnt oder allenfalls in extremen Ausnahmefällen für möglich gehalten47. Dem soll hier unter Zurückstellung der Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV und unter Ausklammerung von Art. 191 Abs. 1 3. Spstr. AEUV nicht widersprochen werden. Zwar ist nicht zuletzt aus Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 2. und 3. Alt. AEUV ein prima-facie-Gebot zum Erlass umweltschützenden Sekundärrechts ableitbar, dieses Handlungsgebot verdichtet sich aber nur in äußersten Ausnahmefällen zu einer auf den Erlass eines (mehr oder weniger) bestimmten Rechtsakts gerichteten Pflicht. Das instrumentell indifferente allgemeine Umweltschutzziel mag den Entscheidungsspielraum der Unionsorgane im 42

Vgl. dazu bereits FN 37. Vgl. zur Rechtsetzungskompetenz der Union im Umweltbereich im Einzelnen Art. 192 AEUV (ex-Art. 175 EG). Vgl. zur Abgrenzung zu anderen Rechtsgrundlagen des EG-Vertrages / AEUV, insbesondere zur Binnenmarktkompetenz nach Art. 114 AEUV (ex-Art. 95 EG), Käller (FN 5), Art. 175 EGV Rn. 4 ff.; Krämer (FN 3), Art. 175 EGV Rn. 12 ff.; Kahl (FN 10), Art. 175 EGV Rn. 70 ff. 44 Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 42; Stefan Schmitz, Die Europäische Union als Umweltunion, 1996, S. 153. 45 Kahl (FN 10), S. 93 ff. 46 Kahl (FN 10), S. 93 f., nimmt einen generellen umweltpolitischen Rechtsetzungsauftrag an. Caspar (FN 5), § 2 Rn. 19, sieht die Unions- / Gemeinschaftsorgane bei der Rechtsetzung zur Gewährleistung eines umweltrechtlichen Minimums verpflichtet. 47 Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums, der den Gemeinschaftsorganen (Unionsorganen) bei der Verfolgung der Ziele nach Art. 174 Abs. 1 EG (jetzt Art. 191 Abs. 1 AEUV) zustehe, komme eine Verpflichtung zum Erlass einer bestimmten Maßnahme nur bei evidenter Missachtung der Ziele in Betracht, Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 43 f.; Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 43. 43

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Hinblick auf die Ausgestaltung einer Umweltschutzpolitik allenfalls dann auf Null reduzieren, wenn sich eine bestimmte zur Abwendung schwerer Umweltgefährdungen geeignete Maßnahme auch deshalb aufdrängt, weil mit dem Erlass der Maßnahme keine signifikanten Beeinträchtigungen anderer Unionsziele einhergehen. Indes – und das sei nochmals hervorgehoben – handelt es sich insoweit um ein vorläufiges, die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV noch ausblendendes Ergebnis.

III. Die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV als Rechtfertigungsgründe, Eingriffsverbote und Handlungsgebote Anknüpfend an die für das allgemeine Umweltschutzziel getroffene Unterscheidung soll nunmehr auch für die Handlungsgrundsätze (je einzeln) untersucht werden, ob sie über das allgemeine Umweltschutzziel hinausgehend – wenn auch ggf. im Zusammenspiel mit diesem – als (spezielle) Rechtfertigungsgründe taugen sowie Eingriffsverbote und Handlungsgebote statuieren. 1. Zum Umgang mit den Handlungsgrundsätzen des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV in Rechtsprechung und Literatur

Nach anfänglichen Zweifeln48 wird heute kaum mehr bestritten, dass auch die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV nicht lediglich einen politisch-symbolischen Charakter aufweisen, sondern als Rechtsgrundsätze grundsätzlich geeignet sind, auch rechtliche Bindungen zu erzeugen. So heißt es etwa, das primärrechtliche Vorsorgeprinzip des Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG / Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV habe die „Qualität eines Rechtsprinzips, das einen unmittelbar verbindlichen Auftrag für die europäische Umweltpolitik enthält und an die Gemeinschaftsorgane heranträgt“49 resp. ist allgemein von der „rechtliche(n) Verbindlichkeit der Handlungsgrundsätze“50 die Rede. Andererseits wird oftmals (von den selben Autoren / innen) hinzugefügt, dass die Prinzipien bzw. eines der Prinzipien nicht oder nur begrenzt justiziabel sei(en)51, resp. der „konkrete Inhalt(?)52 der Prinzi48 Vgl. etwa Ludwig Krämer, Einheitliche Europäische Akte und Umweltschutz: Überlegungen zu einigen neuen Bestimmungen im Gemeinschaftsrecht, in: Hans-Werner Rengeling (Hrsg.), Europäisches Umweltrecht und europäische Umweltpolitik, 1988, S. 137 (146); dezidiert dagegen frühzeitig Dieter H. Scheuing, Umweltschutz auf der Grundlage der Einheitlichen Europäischen Akte, EuR 1989, S. 152 (174). 49 Ivo Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, S. 204. 50 Schröder (FN 12), § 9 Rn. 46; siehe zur rechtlichen Wirkung der Handlungsgrundsätze des Art. 174 Abs. 2 EG / Art. 191 Abs. 2 AEUV auch Kahl (FN 10), Art. 174 EG Rn. 41. 51 Für eine nur eingeschränkte Justiziabilität des Vorsorgeprinzips Appel (FN 49), S. 204; Calliess (FN 4), Art. 174 EGV Rn. 47. 52 Einfügung des Verfassers.

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pien im Einzelfall nicht einklagbar sei“53. Stärker differenzierend wird zwischen einer Rechtfertigungs- und einer Auftragsfunktion der Prinzipien unterschieden. So sei etwa das Vorsorgeprinzip in seiner Rechtfertigungsdimension stark, in seiner Auftragsdimension dagegen schwach justiziabel54. Wenn also vereinzelt immerhin zwischen Rechtfertigungs- und Auftragsdimension unterschieden wird, sind die Ausführungen doch zumeist durch pauschale Aussagen über die Rechtsverbindlichkeit und Justiziabilität der Handlungsgrundsätze gekennzeichnet. Dabei wird zudem nicht deutlich, was denn mit fehlender oder eingeschränkter Justiziabilität – in der Literatur finden sich höchst divergente Verständnisse des Begriffs Justiziabilität55 – überhaupt bezeichnet sein soll. Insbesondere wäre zu fragen, ob damit eine Divergenz zwischen Inhalt und Durchsetzbarkeit / Klagbarkeit der Norm zum Ausdruck gebracht werden soll (Divergenzmodell) oder die begrenzte Justiziabilität die bloße Kehrseite der den Unionsorganen materiellrechtlich zuzubilligenden Einschätzungsprärogative im Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und anderen Unionszielen darstellt (Konvergenzmodell). Hier wird ein Verständnis von (fehlender / begrenzter) Justiziabilität im Sinne des Divergenzmodells für überzeugender gehalten und demgemäß zu Grunde gelegt; allerdings sind keine Anhaltspunkte für eine nur begrenzte gerichtliche Kontrolle (und zwar in keinem der im EU-Recht geregelten Verfahren) ersichtlich und auch von den Vertretern einer solchen Position nicht vorgetragen. Demgemäß konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen – eine Justiziabilitätsdiskussion hätte im Übrigen ohnehin erst im Anschluss an die Erörterung des materiellen Rechts erfolgen können – auf die materiell-rechtlichen Fragen nach der Qualität der Handlungsgrundsätze als Rechtfertigungsgründe, Eingriffsverbote und Handlungsgebote.

53

Calliess (FN 4), Art. 174 EG Rn. 46. Appel (FN 49), S. 205. 55 So bezeichnet der Begriff nach Matthias Pechstein, Die Justitiabilität des Unionsrechts, EuR 1999, S. 1 ff., die gerichtliche Zuständigkeit zur Auslegung und Anwendung des (Unions)rechts. Fritz Ossenbühl, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: Festgabe für das Bundesverfassungsgericht, Bd. I, 1976, S. 458 (471), bezeichnet den Begriff der Justiziabilität (im Kontext der Überprüfungsbefugnis von Tatsachenfeststellungen) als „Chiffre für das ( . . . ) Kompetenzproblem“. Wiederum anders (im Kontext der Grundrechte) Claus-Wilhelm Canaris, Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeitsprinzip in der richterlichen Anwendung und Fortbildung des Privatrechts, JuS 1989, S. 161 (164); ferner Christian Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 589; Peter Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, 1996, S. 84. 54

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2. Die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV als Rechtfertigungsgründe

Weil das Vorsorge- und Vorbeugungsprinzip (im Folgenden Vorsorgeprinzip), das Verursacherprinzip und das Ursprungsprinzip das Ziel der Erhaltung, des Schutzes und der Verbesserung der Umwelt im Sinne von Unterzielen präzisieren bzw. als Handlungsgrundsätze instrumentell anleiten, liegt es prima facie nahe, diesen als Rechtfertigungsgründen ein gegenüber dem allgemeinen Umweltschutzziel tendenziell höheres Gewicht beizumessen. a) Vorsorgeprinzip: Dem scheint es zu entsprechen, wenn dem Vorsorgeprinzip56 in der Literatur „erhebliche rechtliche Bedeutung“ bei der Rechtfertigung auftragserfüllender Maßnahmen, vor allem hinsichtlich etwaiger im Einzelfall tangierter Grundrechte und insbesondere im Kontext der Verhältnismäßigkeitsprüfung, zuerkannt wird57. Nun kann kein Zweifel bestehen, dass die Statuierung des Vorsorgeprinzips als Handlungsgrundsatz in Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV die Rechtfertigung bei Eingriffen in andere Unionsziele und insbesondere Grundrechte durch „Umweltvorsorgemaßnahmen“ erleichtert, indes wird man nicht annehmen können, dass eine „Vorsorgemaßnahme“ deshalb leichter zu rechtfertigen ist als eine „Gefahrenabwehrmaßnahme“. Prinzipiell ist selbstverständlich das Gegenteil richtig. Die Verankerung des Vorsorgeprinzips als Handlungsgrundsatz der EU-Umweltpolitik bewirkt rechtlich vielmehr, dass bei nur vorsorgenden, aber in Grundrechte eingreifenden Umweltschutzmaßnahmen der EU keineswegs im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine grundsätzliche Präferenz oder ein grundsätzlicher relativer Vorrang für den Grundrechtsschutz streitet. b) Ursprungsprinzip und Verursacherprinzip: Gänzlich anders verhält es sich in struktureller Perspektive mit den beiden anderen Handlungsgrundsätzen des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV. Für diese gilt in der Tat, dass ihnen in der Rechtfertigungsperspektive ein gegenüber dem allgemeinen Umweltschutzziel tendenziell höheres Gewicht zukommt. Dies folgt schlicht aus der mit der Statuierung dieser Grundsätze verbundenen partiellen Präzisierung der gemeinschaftlichen Umweltpolitik im Sinne einer grundsätzlichen Festlegung auf eben den Grundsatz der Vorsorge sowie den Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen. In Konsequenz dessen werden grundrechtseingreifende Maßnahmen der EU in Verwirklichung des Ursprungs- oder Verursacherprinzips – ungeachtet 56 Grundlegend zum Vorsorgeprinzip Appel (FN 49), S. 185 ff. und 202 ff.; Sebastian Prügel, Das Vorsorgeprinzip im europäischen Umweltrecht, 2005; Birger Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, 2009; Karl Heinz Ladeur, The Introduction of the precautionary principle into EU Law, Common Market Law Review 2003, S. 1455 ff. 57 Appel (FN 49), S. 204; Gertrude Lübbe-Wolff, IVU-Richtlinie und Europäisches Vorsorgeprinzip, NVwZ 1998, S. 777 (780).

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einer stets notwendigen Einzelfallprüfung – kaum einmal als Grundrechtsverletzung qualifiziert werden können. Anderes mag ganz ausnahmsweise hinsichtlich des Ursprungsprinzips vorstellbar sein, wenn sich im konkreten Fall zeigen sollte, dass eine dem Ursprungsprinzip verpflichtete Maßnahme zu einer per saldo negativen Ökobilanz führt. Bzgl. einer das Verursacherprinzip verwirklichenden, aber etwa grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahme der EU ist eine Qualifikation als Grundrechtsverletzung noch weniger vorstellbar. Das folgt nicht zuletzt aus den klaren Konturen des Prinzips, welches zur Vermeidung negativer externer Effekte Verantwortung verursachungsbezogen zuordnet und somit zum Grundsatz der Kostenwahrheit und zum Abbau von Marktversagen beiträgt58. Demgemäß vermag das Verursacherprinzip in der Regel auch für den Einzelnen finanziell schwerwiegende Belastungen, namentlich durch Abkehr vom Gemeinlastprinzip, durch Gemeinschaftsrechtsakte zu rechtfertigen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass den Handlungsgrundsätzen des Verursacher- und des Ursprungsprinzips als Rechtfertigungsgründen ein strukturell und tendenziell höheres Gewicht beizumessen ist als dem „schlichten“ Umweltschutzziel nach Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. AEUV und insbesondere der Erhaltung der Umwelt im Sinne der 1. Alt. der Norm.

3. Die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV als Eingriffsverbote

a) Eingriffsbegriff: Eine Analyse der drei hier in Rede stehenden Handlungsgrundsätze als Eingriffsverbote verlangt zunächst eine Vergewisserung darüber, welche Eigenschaften unionales Sekundärrecht oder sonstige Maßnahmen der EU aufweisen müssen, um als Eingriff in einen der Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV qualifiziert werden zu können. Dies sei hier exemplarisch anhand des Vorsorgeprinzips erörtert. Unstreitig dürfte zunächst sein, dass das bloße Unterlassen von der EU kompetenziell erlaubten Umweltvorsorgeregelungen (zu Lasten Privater oder auch der Mitgliedstaaten) keinen Eingriff darstellt, sondern allenfalls das Vorsorgeprinzip als Handlungsgebot herausfordert. Eher theoretischer Natur sind des Weiteren unmittelbare Eingriffe der EU in die Umwelt und das Vorsorgeprinzip, etwa durch den Betrieb eigener emittierender Anlagen. In der Eingriffsperspektive schwieriger zu beurteilen ist dagegen – wie bereits angedeutet59 – eine Verkürzung bestehenden Schutzes, insbesondere die Rücknahme bestehender Vorsorgemaßnahmen durch EU-Sekundärrecht. Handelt es sich insoweit um einen rechtfertigungsbedürftigen Ein58 Vgl. zum Charakter des Verursacherprinzips auch Caspar (FN 5), § 2 Rn. 48; Kahl (FN 10), Art. 174 EGV Rn. 81 f.; Wilfried Erbguth / Sabine Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 7 Rn. 9. 59 Oben II. 2. a).

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griff in das Vorsorgeprinzip? Konzeptionell setzt dies voraus, dass EU-Sekundärrecht, welches zur Verwirklichung des primärrechtlichen Handlungsgrundsatzes der Umweltvorsorge beiträgt, als (prima facie) unionsverfassungsrechtlich geschützt einzustufen ist und die Schutzrücknahme durch neues EU-Sekundärrecht als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff zu qualifizieren ist. Gegen eine solche Einbeziehung sekundärrechtlich fundierter Umwelt(vorsorge)standards spricht prima facie die im EU-Recht vorgegebene Differenz zwischen Primär- und Sekundärrecht, welche impliziert, dass der Sekundärrechtsgesetzgeber sich prinzipiell durch Sekundärrechtsgesetzgebung und mithin höchstselbst und pro futuro keine über das Primärrecht hinausgehenden Bindungen auferlegt und auferlegen kann. Bleibt die Frage nach einer unionsrechtlichen Durchbrechung einer solchen strikten Trennung von primärrechtlicher Maßstabsnorm und sekundärrechtlichem Prüfungsgegenstand im Kontext der primärrechtlichen Handlungsgrundsätze nach Art. 191 Abs. 2 AEUV resp. im Kontext der unionalen Umweltschutzziele insgesamt. Hier ist nun nochmals auf die Rede vom „Verschlechterungsverbot“ zurückkommen. Bislang wurde lediglich gezeigt, dass umweltschädigendes Handeln der Union und insbesondere Sekundärrechtsakte, welche in ihrer Folge / Umsetzung zu Umweltbeeinträchtigungen führen oder (Private) dazu ermächtigen, einem sog. prima facie-Eingriffsverbot unterliegen, welches als (grundsätzliches) Verschlechterungsverbot anschaulich benannt ist. Berücksichtigt man nun, dass das Verschlechterungsverbot normtextuell an das Ziel der „Erhaltung“ der Umwelt in Art. 174 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. EG (Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. AEUV) anknüpft und das Erhaltungsziel die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV überwölbt, wird man jeglichen Rückschritt im sekundärrechtlichen Umweltschutz als mit dem Erhaltungsziel konfligierend und den Rückbau vorsorgenden Umweltrechts als Eingriff in das Vorsorgeprinzip ansehen müssen. Nur diese Interpretation des Einhaltungsziels und des Eingriffsverbots berücksichtigt angemessen, dass die Union kaum einmal unmittelbar durch eigenes Handeln die Umwelt beeinträchtigt (und schützt). Umweltschutzpolitik realisiert sich ganz überwiegend durch sekundärrechtliche Vorgaben gegenüber Dritten, insbesondere Privaten; der Ab- bzw. Rückbau umweltvorsorgender Regelungen ist ein prima facie-Eingriff in das Vorsorgeprinzip als Eingriffsverbot. Gleiches gilt aus den genannten Erwägungen für EU-Sekundärrecht, welches dem Ursprungs- oder dem Verursacherprinzip verpflichtetes EU-Sekundärrecht zurücknimmt. b) Wirkung der Handlungsgrundsätze als Eingriffsverbote: Die oben60 aufgezeigte unterschiedliche Qualität der Handlungsgrundsätze, nicht zuletzt im Verhältnis zum allgemeinen Umweltschutzziel des EU-Vertrages, prägt auch den Charakter und den Stellenwert der Handlungsgrundsätze 60

Vgl. III. 2.

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als Eingriffsverbote. Dabei gilt für das Vorsorgeprinzip, dass die Aufhebung von bestehenden, dem vorsorgenden Umweltschutz verpflichteten Maßnahmen hin zu einer (partiellen) Ausrichtung des EU-Umweltschutzes auf bloße Gefahrenabwehr zwar prinzipiell leichter zu legitimieren ist als der Abbau von Gefahrenabwehrmaßnahmen, eine Legitimation im Sinne einer durch Unionsziele gestützten Rechtfertigung des Eingriffs aber jedenfalls in jedem Einzelfall unausweichlich ist und das Abwägungsurteil auch keineswegs durch einen grundsätzlichen Vorrang anderer Gemeinschaftsziele vorgeprägt ist. Freilich streitet die den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsorganen zuzubilligende Einschätzungsprärogative in dieser Konstellation zu Gunsten der anderen Gemeinschaftsziele. Maßnahmen, welche dagegen dem Verursacher- oder Ursprungsprinzip und mithin entsprechend den obigen Ausführungen in spezifischer und gesteigerter Weise dem Ziel der Erhaltung der Umwelt gem. Art. 174 Abs. 1 1. Spstr. 1. Alt. EG widersprechen, sind ungeachtet der dem Unionsgesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsprärogative schwer und jedenfalls tendenziell schwieriger zu rechtfertigen als Eingriffe in das allgemeine Umweltschutzziel. Das gilt in besonderer Weise für das Verursacherprinzip. Wenn die gemeinschaftliche Umweltpolitik gem. Art. 174 Abs. 2 S. 2 3. Alt. EG am beschriebenen, vergleichsweise konturenscharfen Verursacherprinzip auszurichten ist, ist jede Durchbrechung und insbesondere nachträgliche Verkürzung in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. In den Worten und Kategorien der Prinzipientheorie Alexyscher Prägung kommt das Verursacherprinzip im Unterschied zum allgemeinen Umweltziel, welches bloßen Prinzipiencharakter trägt, wegen seiner Konturenschärfe einer Regel nahe. Eine Regel in diesem Sinne ist ein Tatbestand, der entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden kann. Dagegen können Prinzipien als „Optimierungsgebote“ verstanden werden, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in einem möglichst hohen Maße zu erfüllen sind61. Kollidieren verschiedene Prinzipien miteinander, ist die Lösung dieses Konflikts im Wege der Abwägung zu ermitteln62. 4. Die Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV als Handlungsgebote

Es wurde gezeigt, dass aus dem Umweltschutzziel nach Maßgabe von Art. 191 Abs. 1 1. Spstr. 2. und 3. Alt. AEUV zwar ein prima-facie-Gebot zum Erlass umweltschützenden Sekundärrechts ableitbar ist, dieses Hand61 Alexy (FN 29), S. 75 f. Siehe auch Jan-Reinard Siekmann, Probleme der Prinzipientheorie der Grundrechte, in: Laura Clérico / ders. (Hrsg.), Grundrechte, Prinzipien und Argumentation, 2009, S. 39; Carla Huerta, Normkonflikte im Lichte der Prinzipientheorie, in: Laura Clérico / Jan-Reinard Siekmann (Hrsg.), Grundrechte, Prinzipien und Argumentation, 2009, S. 184. 62 Alexy (FN 29), S. 79; Huerta (FN 61), S. 184.

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lungsgebot sich aber nur in äußersten Ausnahmefällen zu einer auf den Erlass eines (mehr oder weniger) bestimmten Rechtsakts gerichteten Pflicht verdichtet. Das instrumentell indifferente allgemeine Umweltschutzziel vermag den Entscheidungsspielraum der Unionsorgane im Hinblick auf die Ausgestaltung einer Umweltschutzpolitik allenfalls dann auf Null zu reduzieren, wenn sich eine bestimmte zur Abwendung schwerer Umweltgefährdungen geeignete Maßnahme auch deshalb aufdrängt, weil mit dem Erlass der Maßnahme keine signifikanten Beeinträchtigungen anderer Gemeinschaftsziele einhergehen. Anknüpfend an vorstehende Ausführungen können aus dem Vorsorgeprinzip jedenfalls keine strengeren Handlungspflichten der EU abgeleitet werden; eine Pflicht der EU zum Erlass bestimmter Vorsorgemaßnahmen ist kaum vorstellbar. Das ist wohl auch gemeint, wenn davon die Rede ist, die Auftragsdimension des Vorbeugeprinzips sei „schwach justiziabel“63. Anders liegt es beim Ursprungs- und vor allem beim Verursacherprinzip. Um einem Marktversagen zu begegnen, aber auch aus präventiven Gründen – wer zahlen muss, wird sich überlegen, ob er weiterhin emittiert resp. verschmutzt – dürfte das Verursacherprinzip die Unionsorgane zum Erlass entsprechenden Sekundärrechts verpflichten, sofern und sobald der Verursacher einer Verschmutzung identifiziert ist und ihm die dadurch verursachten (Gemein)kosten zugeordnet werden können. Allenfalls die Einräumung einer Übergangsfrist mag in einer solchen Konstellation akzeptabel erscheinen; aber auch dies nur, wenn andernfalls irreparable Schäden drohen. In der Regel wird man die Verpflichtung zur Kompensation in solchen Konstellationen allenfalls auf der Zeitschiene strecken dürfen. Dieser strenge Maßstab einer nur ausnahmsweisen Übergangsfrist muss erst recht gelten, wenn der Betroffene bereits in der Vergangenheit (unerkannt) verschmutzt hatte, ohne dass er dafür die Verantwortung tragen musste. IV. Schluss Die Analyse der drei Handlungsgrundsätze des Art. 191 Abs. 2 S. 2 AEUV als Rechtfertigungsgründe, Eingriffsverbote und Handlungsgebote hat nicht zuletzt in Gegenüberstellung zum allgemeinen Umweltschutzziel ein differenziertes Bild hervorgebracht. Es ist keineswegs so – wie man vielleicht verbreitet vermutet haben mag –, dass die Handlungsgrundsätze bloß in prinzipiell gleicher Weise und insbesondere mit prinzipiell gleichem Gewicht wie das allgemeine Umweltschutzziel als Rechtfertigungsgründe und als Grundlage von Eingriffsverboten und Handlungsgeboten zum Tragen kommen. Auch fällt das jeweilige Verhältnis der drei Handlungsgrundsätze zum allgemeinen Umweltschutzziel durchaus unterschiedlich aus. Für die Statuierung des Vorsorgeprinzips gilt, dass ihm im Konflikt mit anderen 63

Vgl. oben III. 1. mit FN 54.

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Unionszielen kein über das allgemeine Umweltschutzziel hinausgehendes Gewicht zukommt und insbesondere seine Eignung als Eingriffsverbot und gar Handlungsgebot eher hypothetischer Natur ist. Durch seine Anerkennung wird „lediglich“ die Rechtfertigung von vorsorgenden, aber freiheitsbeeinträchtigenden EU-Maßnahmen erleichtert. Dagegen reichen die Wirkungsweise des Ursprungs- und vor allem des Verursachergrundsatzes tendenziell und mithin relativ weiter als das allgemeine Umweltschutzziel. Das gilt nicht nur für die Gewichtung der beiden Grundsätze als Rechtfertigungsgründe. Insbesondere der Verursachergrundsatz markiert nicht nur ein durch gegenläufige Unionsziele und insbesondere Freiheitsrechte kaum zu überwindendes Eingriffsverbot, sondern verpflichtet die EU bei Kenntnis über die Kausalzusammenhänge in aller Regel zum sofortigen Erlass entsprechenden Sekundärrechts.

Schutzpflichten, Abwägungsregeln, Mindeststandards und Drittschutz Eine Kritik der Judikatur sowie der transnationalen Umweltgrundrechts-Diskussion Felix Ekardt

Weder die Reichweite grundrechtlicher „Schutzpflichten“, noch die Dogmatik verfassungsrechtlicher Abwägungen, noch die Frage nach „absoluten“ in Grundrechtsabwägungen zu wahrenden Mindeststandards (Grundrechtskernen) kann als befriedigend geklärt gelten – trotz intensiver, langjähriger Debatten. Die gängigen Judikatur-Formeln erweisen sich bei näherer Analyse häufig als nicht unbedingt stimmig. Dies gilt allgemein wie auch mit Bezug auf „Umweltgrundrechte“ auf nationaler, aber auch auf europa- und völkerrechtlicher Ebene. Bei der Abwägungslehre erweist sich auch der gewohnte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als im Interesse einer klaren Gewaltenbalance näher konturierungsfähig. Dies ermöglicht dann auch eine neue Analyse, ob die Grundrechte absolute Gehalte aufweisen (diese Frage stellt sich keinesfalls nur für Menschenwürde und Luftsicherheitsgesetz, sondern auch, weil die Umweltpolitik „statistische Todesfälle“ hinnimmt). Richtigerweise ergibt sich national wie transnational ein Grundrechtsschutz, der mit „Umweltgrundrecht“ eher missverständlich umschrieben wäre, der aber dennoch deutlich über die Idee letztlich gehaltloser Schutzpflichten hinausweist. All das lässt sich auch in eine argumentativ neue Kritik der dominierenden deutschen Verwaltungsrechtsinterpretation bei Klagebefugnis (Schutznormtheorie) und gerichtlichem Kontrollumfang übersetzen. Die Stoßrichtung ist dabei die Individualklage – nicht die von Freund und Feind überschätzte umweltrechtliche Verbandsklage1.

1 Ausführlicher zu Kap. I. – VI.: Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit: Rechtliche, ethische und politische Zugänge, 2009, § 6; Ekardt, Information, Partizipation, Rechtsschutz. Prozeduralisierung von Gerechtigkeit und Steuerung in der Europäischen Union – unter besonderer Berücksichtigung der Aarhus-Konvention, 2. Aufl. 2009, §§ 1, 5.

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I. Schutzgrundrechte, Abwägungen und Drittschutz als umweltrechtliches Thema Die Abwägung i. w. S. ist ein Kernthema der deutschen (und europäischen) Diskussion im öffentlichen Recht und speziell zwischen Wirtschaftsund Umweltbelangen, und zu diesen Diskussionen hat gerade auch Wilfried Erbguth wesentliche Beiträge geleistet2. Mit Abwägung ist hier nicht allein die Abwägung i. e. S. gemeint, also das planungsrechtliche Programm des Wägens kollidierender Interessen. Gemeint ist vielmehr ein – wenn nicht das – Grundphänomen des Rechts: dass es eben um einen gerechten Ausgleich kollidierender Belange geht. Auch die Ermessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung sind in diesem Sinne Abwägungsprogramme; letztlich ist dies sogar jede einzelne Norminterpretation. Denn letztlich muss jedwede Rechtsanwendung den kollidierenden Freiheitssphären und Freiheitsgarantien der dahinter stehenden Menschen gleichzeitig gerecht zu werden versuchen. Zurückzuführen ist all dies deshalb auf das verfassungsrechtliche Erfordernis, dass der Gesetzgeber kollidierende Belange abwägend in einen gerechten Ausgleich bringen muss. Der Rahmen der gesetzgeberischen Abwägung wird meist Verhältnismäßigkeitsprüfung genannt. Für die Verwaltung, wo der Gesetzgeber diese Abwägung weitgehend vorgenommen hat, beschränkt sich die Abwägung dagegen zunächst (größtenteils) auf das Interpretieren des Tatbestands der Normen, die der Gesetzgeber als Ausdruck seiner Abwägung geschaffen hat. Hat der Gesetzgeber seine Abwägung nicht schon weitgehend vorgenommen und dementsprechend der Verwaltung mehr Spielraum gelassen, nennt man dies in Deutschland meist Ermessen oder (planerische) Abwägung. Diese gesamte Grundstruktur trifft cum grano salis unabhängig davon zu, ob von nationalem, europäischem oder internationalem Recht die Rede ist. Dass gerade im Umweltschutz nicht nur die wirtschaftliche Freiheit, sondern eben auch der Umweltschutz selbst (teilweise auch) als Freiheits- und Grundrechtsaspekt in diese Abwägung eingeht, ist freilich keine triviale, sondern (sofern man eine anspruchsvolle Konzeption von Umweltschutz verfolgt) eine kontroverse Feststellung, der es näher nachzugehen gilt. Der Rahmen für jedwedes Reden über das Umweltrecht ist seit einiger Zeit das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltigkeit wird seit 20 Jahren international immer öfter als Kernziel von Politik benannt, sei es von der UN, der EU oder der Bundesregierung. Sie wird indes dabei nicht durchgängig inhaltlich sehr ernst genommen. Die Ausweitung von Recht / Moral / Politik in intergenerationeller und globaler Hinsicht ist die Inten2 Vgl. pars pro toto Erbguth, JZ 2006, S. 484 ff.; Erbguth / Schubert, JbUTR 2005, S. 63 ff.; Erbguth, DVBl. 2004, S. 802 ff.; Erbguth, DVBl. 1999, S. 1082 ff.; Erbguth, Zur Vereinbarkeit der jüngeren Deregulierungsgesetzgebung im Umweltrecht mit dem Verfassungs- und Europarecht, 1999; Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987.

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tion von Nachhaltigkeit3. Demgegenüber meint nach einer verbreiteten Ansicht – auch unter Juristen – Nachhaltigkeit schlicht eine ausgewogene Verfolgung der drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales, notfalls auch ohne raum- oder zeitübergreifenden Bezug4. Dass dies mindestens missverständlich ist, dass dies insbesondere der – in einer physikalisch endlichen Welt – uneinlösbaren Forderung ewigen Wachstums verhaftet bleibt5 und dass jene Säulen-Perspektive auch mit den völkerrechtlichen Grundlagendokumenten der Nachhaltigkeit unvereinbar ist, war andernorts Thema6. Wenn vorliegend nach Schutzgrundrechten, nach Abwägungsregeln und nach deren Relevanz auch auf einfachrechtlicher Ebene (etwa für Klagebefugnis und Ermessen im Verwaltungs-recht) gefragt wird, so steht dies im Kontext dieses übergreifenden Ziels, auch dann, wenn Schieflagen der Grundrechtsfunktionenlehre, der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder des alten Streits über „absolute Kerne“ von Grundrechten thematisiert werden. Die dabei verfolgten Fragestellungen sind letztlich aber allgemeiner Natur und vom Umweltrecht unabhängig.

II. Missverständnisse über „Umweltgrundrechte“ und „Umweltstaatsziele“ – national und transnational Mit Fragen nach Grundrechten oder Abwägung ist vom Rechtsgebiet her das Verfassungsrecht aufgerufen (in einem funktionalen, auch das europäische „Verfassungs„recht einschließenden Sinne7). Umweltschutz wird indes selten als Grundrechtsproblem thematisiert, sondern eher der Rubrik „Staatsziele“ zugeordnet, also bezogen auf Art. 20a GG oder im europäischen Recht Art. 191 AEUV. Gleichwohl erscheint es verfassungsrechtlich wesentlich, die Grundrechte in den Blick zu nehmen. Grundrechtsinterpretation generiert nicht nur Befugnisse, sondern auch gerichtlich durch3 Vgl. zum Nachhaltigkeitsprinzip in der hier vorgeschlagenen Lesart (sowie m. w. N. zu gegenläufigen Ansichten) Ekardt, Theorie (FN 1), § 1; Ekardt, ZfU 2009, S. 223 ff.; im Ergebnis (nicht unbedingt in den Argumenten) ähnlich Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005; Ott / Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, 2004; Köck, Die Verwaltung 40 (2007), S. 413 ff. 4 Vgl. statt vieler Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 114; Beaucamp, Das Konzept einer zukunftsfähigen Entwicklung im Recht, 2002, S. 18 ff. 5 Zur Unmöglichkeit dieser Forderung siehe FN 6 und 46. 6 Zur Kritik schon Ekardt (FN 3), S. 223 ff.; Ott / Döring, Theorie (FN 3), passim; teilweise auch Appel, Zukunftsvorsorge (FN 3), S. 339 ff. und Köck (FN 3), S. 413 ff.; implizit ebenso Unnerstall, Rechte zukünftiger Generationen, 1999; zur Kritik an der Vorstellung ewigen Wachstums vgl. Daly, Beyond Growth. The Economics of Sustainable Development, 1996; Ekardt, Cool Down. 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft – Klimaschutz neu denken, 2009, Kap. 1; Wuppertal-Institut, Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt, 2008. 7 Zur Staats- und Verfassungs-Kontroverse zuletzt Möllers, Der vermisste Leviathan, 2008.

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setzbare Pflichten der öffentlichen Hand – anders als Staatsziele. Grundrechte sind zudem das stärkste Element einer liberal-demokratischen Verfassung. Die Überwindung des hervorgehoben wirtschaftlich ausgerichteten Freiheitsverständnisses könnte überdies auf verfassungsrechtlicher Ebene das wesentliche Desiderat einer stärker zukunfts- und global orientierten (also: nachhaltigen) Rechtsinterpretation sein. Nebenbei bemerkt: Einschnitte für den Umweltschutz „um der Freiheit(svoraussetzungen) konkreter Menschen willen“ (wie sie in Grundrechten verankert sind) könnte auch motivational viel einleuchtender sein als die gängige, ziemlich irreführende Frontstellung „Selbstentfaltung contra Umweltschutz“, wie sie durch Staatszielnormen latent bekräftigt wird. Früher – und noch heute im Völkerrecht – wurde bzw. wird also durchaus folgerichtig häufig eine Umweltgrundrechtsdiskussion geführt8. Dabei scheint in der völkerrechtswissenschaftlichen (allerdings der Völkerrechtspraxis insoweit fernen) Debatte die Idee starker, gar abwägungsfreier Umweltgrundrechte Freunde zu finden, wogegen in nationalen Debatten Umweltgrundrechte für inhaltlich unkonturierbar und zudem abwägungsoffen und daher letztlich nicht weiterführend gehalten werden. Der vage Tatbestand eines „Umweltgrundrechts“ ergibt sich freilich nur dann, wenn man allgemein ein Grundrecht „auf Umweltschutz“ einführen würde; davon ist vorliegend keine Rede, sondern lediglich von der Frage, ob sich bei korrekter Grund- bzw. Menschenrechtsinterpretation (national oder transnational) nicht stärkere umweltschützerische Gehalte durch Interpretation der bereits existenten Grundrechte ergeben als oft angenommen. Natürlich bleibt einem, wenn ein Schutzbereich einer solchen Grundrechtsgarantie betroffen ist, das Problem notwendiger Abwägungen nicht erspart; dieses Problem gibt es aber ganz genauso auch bei anderen Grundrechten (die Abwägung nennt man gängiger Weise Verhältnismäßigkeitsprüfung). Deshalb geht es nachstehend nicht um echte Grundrechte „auf Umweltschutz“, aber auch nicht um eine ungeprüfte Übernahme der etablierten deutschen Mehrheitsposition, die im Kern „umweltgrundrechtlich“ schlicht auf das Recht auf Leben und Gesundheit verweist und dieses dabei (a) ohne Vorsorgedimension sieht, (b) die in diesem Recht liegende „Schutzpflicht“ de facto hinter abwehrrechtliche Grundrechtspositionen zurückfallen lässt (wegen angeblich weitergehender Abwägungsnotwendigkeiten, aus Gewaltenteilungsgründen usw.) und (c) auch sonst eine Konkretisierung jenes umwelt8 Zur Zusammenfassung der gängigen diesbezüglichen Diskussion vgl. SchmidtRadefeldt, Ökologische Menschenrechte, 2000, S. 33 ff. und 40 ff.; explizit kritisch zu „Umweltgrundrechten“ etwa Steinberg, Verfassungsstaat (FN 4), S. 421 ff.; Hattenberger, Der Umweltschutz als Staatsaufgabe, 1993, S. 77 ff.; Gibson, Saskatchewan Law Review 1990, S. 5 ff.; Nickel, Yale Law Journal 1993, S. 281 (282); positiver beispielsweise Kiss, in: Kromarek (Hrsg.), Environnement et droits de l’homme, 1987, S. 13 ff.; zum Begriff der „Menschenrechte der dritten Generation“ etwa Donnelly, in: Brölmann / Lefeber / Ziek (Hrsg.), Peoples and Minorities in International Law, 1993, S. 119 ff.

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grundrechtlichen Schutzes unterlässt, die ihm eine praktische Relevanz verleihen könnte. Denn genau diese Betrachtungsweise von „Schutzpflichten“ (einschließlich ihrer verwaltungsrechtlichen Folgerungen) sollen vorliegend einer Kritik unterzogen werden.

III. Eine Kritik der Konzeption nachrangiger und unbestimmter grundrechtlicher Schutzpflichten – nicht nur im Umweltrecht Bekanntlich geht die deutsche Rechtsprechung9 mit der Anerkennung umweltgrundrechtlicher Rechtspositionen ziemlich zurückhaltend um und sah bisher bei verfassungsgerichtlichen Drittklagen im Umweltschutz stets keine Grundrechtsverletzung. Vermieden wird bereits der Begriff Schutzrechte, der überhaupt erst deutlich machen würde, dass es sich hier um subjektive Rechte handelt10 (mögen sie auch Abwägungen mit gegenläufigen Rechtspositionen im Rahmen ihrer Schrankenprüfung unterliegen)11. Doch rein faktisch vorhandene Gerichtsansichten müssen nicht per se richtig sein; sie „gelten“ auch nicht einfach, denn Urteile entscheiden nur einen konkreten Rechtsstreit, geben aber keine abstrakt-generelle Norm12 vor13. 9

Vgl. zunächst nur die Grundlegung bei BVerfGE 49, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 ff. Speziell (aber nicht nur) in Verfassungsbeschwerden wird denn häufig auch die Zulässigkeits- und Begründungsprüfung nicht klar unterschieden, so dass letztlich – unter Camouflierung der Frage nach der subjektiven Rechtsqualität – unklar bleibt, ob von der Beschwerdebefugnis, dem Grundrechtsschutzbereich oder Fragen der Grundrechtsschranken die Rede ist. Trotz des (im Gegensatz zu den umweltgrundrechtlichen Klagen) anderen Prozessausgangs trifft dies im Wesentlichen sogar zu auf die Embryonenschutz-Fälle: BVerfGE 39, 1; 88, 203. 11 Eine Sonderstellung nimmt das Atomrecht ein; vgl. zuletzt BVerwG, NVwZ 2008, S. 1012; kritisch dazu Dolde, NVwZ 2009, S. 679 ff. 12 Selbst wo dies in Ausnahmefällen – vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG – einmal anders geregelt ist, hat diese allgemeine Norm lediglich den Inhalt, dass (hier: auf eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht hin) ein Gesetz in einer ganz konkreten Formulierung verboten wird. Es wird also wiederum nur eine konkrete Konstellation gerichtlich abschließend geklärt (auch dies kann dann zwar „unrichtig“ geschehen, doch sollte in einer liberal-demokratischen Ordnung ein solches Urteil gleichwohl im Normalfall Anerkennung finden, da die Alternative noch weniger freiheitsfreundlich wäre: sie wäre nämlich letzten Endes eine Art von Anarchie). Keineswegs wird z. B. im Rahmen des § 31 Abs. 2 BVerfGG aber abstrakt-generell vorgegeben, dass nicht in jedem Gerichtsverfahren und in jeder Rechtsanwendung von neuem nach der „richtigen“ Rechtsinterpretation gesucht werden muss. 13 Die abstrakt-generelle Norm bleibt vielmehr das Gesetz, die Verordnung, die Verfassung usw. Dass sich die Praxis dennoch häufig – akzeptabler Weise – „an bereits ergangenen Urteilen orientiert“, liegt darin, dass (allein) in dem Fall, dass keine substanziellen Gründe für eine neue Rechtsansicht vorgetragen werden, eine Argumentationslastverteilung zugunsten der bereits judizierten alten Rechtsansicht besteht (u. a. aus Gründen der Rechtssicherheit); vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 2. Aufl. 1991, passim; zur Rationalität der Rechtsanwendung und den Canones der Rechtsinterpretation Ekardt / Beckmann, VerwArch 99 (2008), S. 241 (244 ff.). 10

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Der vorliegende Beitrag ist also nicht etwa „rechtspolitisch“; er prüft vielmehr schlicht eine vielleicht veränderte Interpretation des geltenden Rechts. Wie aber könnte eine intergenerationell und global erweiterte, also stärker nachhaltigkeitskonforme Freiheits- bzw. Grundrechtsinterpretation aussehen, die präziser ist als die recht vage Diskussion um ein Umweltgrundrecht14? Es lässt sich bei genauer Betrachtung – in Abweichung von der in Deutschland wohl vorherrschenden Meinung – feststellen, dass der in den Grundrechten steckende Grundbegriff Freiheit vom Wortsinn und von der systematischen Stellung (etwa) im Grundgesetz und in der EU-Grundrechtecharta eine komplexere Interpretation als bisher nahe legt, die nebenbei verschiedene Implikationen im Umweltkontext hat15. Die dabei gewinnbaren Aussagen gelten letztlich also für die Grundrechte insgesamt: 1. Ausgangspunkt bleibt, insoweit ist an der gängigen Sichtweise keine Kritik zu üben, die Idee von Freiheitsrechten als klassisch-liberale Garantien der Selbstentfaltung. 2. Daneben hat die Freiheit jedoch auch eine intergenerationelle16 und globale17 Dimension. Denn es sind zu ihrem Lebenszeitpunkt auch junge und künftige Menschen natürlich Menschen – und schon heute sind dies die Menschen in anderen Ländern – und damit Träger der Menschenrechte. Und das Recht auf gleiche Freiheit muss genau in der Richtung gelten, wo ihm die Gefahren drohen – und sie drohen in einer technisierten, globalisierten Welt zunehmend über Generationen und über Staatsgrenzen hinweg. Das klassisch-liberale Freiheitsverständnis muss aber auch in anderen Punkten revidiert werden: 14 Man könnte im Folgenden oft die Argumente noch erweitern, wenn man vorher begründet, dass Freiheit bzw. die dahinter stehenden Prinzipien Menschenwürde und Unparteilichkeit die universale – und alleinige – Basis gerechter Grundordnungen sind. Aus Raumgründen wird hier darauf verzichtet; näher dazu Ekardt, Theorie (FN 1), §§ 3 – 6; in der Grundstoßrichtung ähnlich Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 127 ff.; teilweise auch Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 109 ff.; beim Verfasser ebd. auch zu den Differenzen insbesondere zu Habermas sowie zu Rawls, A Theory of Justice, 1971. Ebd. auch dazu, dass erst solche Verfassungstheorien zeigen, warum eine Verfassung wie das Grundgesetz richtig ist – und was ihr Fundamentalbegriff (die Menschenwürde), aus der manches Weitere ableitbar ist, bedeutet (für letzteren Gesichtspunkt, den Inhalt von Würde, gibt es freilich auch oft übersehene verfassungstextliche Anhaltspunkte; dazu unten FN 58). 15 Es geht also um eine Interpretation sämtlicher Grundrechte. Die hierzu scheinbar nicht passenden Gleichheitsrechte erscheinen letztlich als spezielle Sicherungen der gleichen Freiheit und stehen zum nachfolgend Hergeleiteten folglich in keinem Widerspruch. 16 Dazu mit teilweise ähnlicher Argumentation auch Unnerstall, Rechte (FN 6), S. 422 ff.; in der Grundtendenz – ohne nähere Begründung – z. B. auch Kloepfer, in: Gethmann / Kloepfer / Nutzinger (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umweltstaat, 1993, S. 22 (26 ff.); Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 212; ausführlicher Ekardt, Theorie (FN 1), §§ 4, 5; die Argumente werden m. E. nicht bemerkt bei Eifert, KJ 2009, S. 211 (214), der deshalb zu Unrecht eine Begründungsschwäche konstatiert. 17 In die diesbezügliche Richtung auch Giegerich, EuGRZ 2004, S. 758 f.

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3. So müssen die Freiheitsrechte unmissverständlich so interpretiert werden, dass sie auch die elementaren physischen Freiheitsvoraussetzungen einschließen – also einen Anspruch nicht nur auf Sozialhilfe, sondern auch auf ein Vorhandensein einer einigermaßen stabilen Ressourcenbasis und eines entsprechenden Globalklimas haben. Denn ohne ein solches Existenzminimum und ohne Leben und Gesundheit gibt es keine Freiheit18. Dieses Grundrecht auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen ist teilweise (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG, 2, 3 EuGRC) ausdrücklich vorgesehen; ansonsten muss es als Interpretation des allgemeinen Freiheitsrechts abgebildet werden19. 4. Ferner muss Freiheit ein Einstehenmüssen für die vorhersehbaren (auch ökologischen) Folgen des eigenen Tuns einschließen – auch in anderen Ländern und in der Zukunft („Verursacherprinzip“). Denn Freiheit heißt Eigenständigkeit und damit Verantwortung – auch für die unangenehmen Konsequenzen des eigenen Lebensplanes. 5. Möglicherweise ergibt sich ferner, dass die Freiheit nur um der Freiheit und der Freiheitsvoraussetzungen willen eingeschränkt werden darf – von denen die elementaren subjektiviert sein mögen, die sonstigen, nur „freiheitsförderlichen“ Bedingungen (wie etwa die Kulturförderung oder die Kindergartenförderung) dagegen nicht20.21 Auf den letzteren Punkt ist im vorletzten Abschnitt noch zurückzukommen. 6. Ferner bedeutet „Freiheitsschutz dort, wo die Gefahr droht“, dass die Freiheit auch einen Anspruch auf (staatlichen) Schutz vor den Mitbürgern einschließen muss (und dies nicht nur in Ausnahmefällen), also 18 Auch die völkerrechtliche Tendenz zu „sozialen“ Grundrechten auf die unterschiedlichen Facetten des Existenzminimums verfügt damit über eine theoretische Begründung; über die Rechtsquelle der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ (vgl. Art. 38 IGH-Statut) ist diese „Völkerrechtsverfassung“ sogar ohne Rückgriff z. B. auf den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte herleitbar; vgl. Ekardt / Meyer-Mews / Schmeichel / Steffenhagen, Welthandelsrecht und Sozialstaatlichkeit – Globalisierung und soziale Ungleichheit, Böckler-Arbeitspapier Nr. 170, 2009, S. 42 ff. 19 Entgegen der h. M. wird insoweit die These vertreten, dass der deutsche Art. 2 Abs. 1 GG in Art. 6 EuGRC (bei wortlautkonformer Interpretation) ein Pendant als allgemeines EU-Freiheitsrecht besitzt; gleiches gilt für Art. 5 EMRK und ähnlich strukturierte andere Grundrechtskataloge. 20 Näher dazu bei FN 49. Siehe aber bereits jetzt FN 19: Diese These gilt auch auf EU-Ebene; der Ausgangspunkt der These, ein allgemeines Freiheitsrecht (welches Kollisionen umfassend abbilden kann), existiert nach zutreffender (allerdings nicht herrschender) Ansicht auch dort. 21 Demgegenüber scheinen z. B. Alexy, Recht (FN 14), S. 127 ff. – und definitiv Habermas, Faktizität (FN 14), S. 109 ff. – den Kreis möglicher Belange, die eine demokratische Politik zu ihrem Anliegen machen kann, gerade nicht einzuschränken. Dagegen schließt der vorliegende Ansatz einen Schutz des Menschen vor sich selbst oder eine Intervention der öffentlichen Gewalt in den Bereich des guten Lebens aus – was eigentlich auch auf der (aber selten klar begründeten und selten klar gezogenen) Linie liberaler Demokratien liegt.

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einen Schutz beispielsweise gegen für meine Freiheit und ihre Voraussetzungen bedrohliche Umweltzerstörungen durch den Staat gegen meine Mitbürger. Letzterer sechster Punkt ist hier ausführlicher herzuleiten, da besonders dieser Punkt der jedenfalls in Deutschland überwiegenden Rechtsmeinung widerspricht. Auch der zweite Punkt (eine Schutzbereichsaussage) und der vierte Punkt (letztlich eine Abwägungsregel) werden von der dominierenden deutschen und europäischen Rechtspraxis allenfalls am Rande wahrgenommen22, doch das mag hier auf sich beruhen. Was den sechsten Punkt betrifft, geht die deutsche Rechtsprechung23 mit der (so die bekannte Themenbezeichnung) Anerkennung grundrechtlicher Schutz„pflichten“ bisher sehr zurückhaltend um. Auch die europäische Rechtsprechung – verankert sind die europäischen Grundrechte in der (seit dem Lissabon-Vertrag verbindlichen) Grundrechte-Charta (EuGRC) sowie in Art. 6 Abs. 1 – 3 EU24 – widmet sich dem Thema letztlich nur bedingt25. Doch wenn die Grundrechte Freiheitsschutz vor dem Staat, aber gleichermaßen auch durch den Staat vor den Mitbürgern meinen sollten und Interessenkonflikte jedweder Art folglich regelmäßig nicht als bipolare, sondern als mehrpolige Freiheitskonflikte zu begreifen sein sollten (Multipolarität), dann würde das a) die traditionelle eher objektiv-rechtliche Einordnung der grundrechtlichen Schutzseite (Schutzpflichten statt Schutzrechte) und b) die traditionelle Ungleichgewichtung von Abwehr- und Schutzseite der Grundrechte – also die Ausscheidung der Schutzpflichten auf Schutzbereichs- oder Abwägungsebene, soweit kein „Evidenzfall“ vorliegt – gerade widerlegen (einschließlich der Vorstellung, eine Betroffenheit von Dritten sei womöglich gar als bloßer „Rechtsreflex“ zu werten und gar nicht erst von einem Grundrechtsschutzbereich erfasst). c) Ebenso widerlegen würde die Multipolarität die darauf aufbauende Vorstellung, die Schutzseite der Grundrechte gehe nahezu vollständig in 22 Das Verursacherprinzip taucht freilich etwa in BVerfGE 115, 118 ff. durchaus auf; allerdings erscheint der Rückgriff auf diesen Topos stets leicht arbiträr und nicht systematisch hergeleitet. 23 Vgl. vorerst zur Ablehnung voller Multipolarität BVerfGE 49, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 ff.; die Problematik wird nicht wahrgenommen bei Couzinet, DVBl. 2008, S. 760 ff., ebenso wie z. T. im dort zitierten Schrifttum; kritisch dagegen Vosgerau, AöR 133 (2008), S. 346 ff.; Schwabe, JZ 2007, S. 134 ff. 24 EuGHE 1970, 1125, Rn. 4; 1974, 491, Rn. 13. 25 Der Europäische Gerichtshof hat Schutzgrundrechte gegen die Gemeinschaft bisher nicht einmal eigens thematisiert. In den Mitgliedstaaten hält er solche Rechte für möglich; vgl. etwa EuGHE 2003, I-5659; 2004, I-9609; 1991, 4007; 1994, 955. Demgegenüber scheint der EGMR – wie unten im Fließtext – von vornherein keine Grundrechtsfunktionenlehre (im Sinne einer Abwehr-Schutz-Scheidung) zu verfolgen, grundrechtliche „Schutz„positionen aber anzuerkennen, wobei deren Reichweite bisher nicht ausbuchstabiert wurde; vgl. etwa EGMR vom 08. 07. 2004, 53924 / 00, Rn. 78 und passim; EGMR, EuGRZ 1995, 530 (533).

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– einem weitgehenden gesetzgeberischen Belieben unterliegenden – verwaltungsrechtlichen Normen auf und entfalte weder bei der verwaltungsrechtlichen Klagebefugnis noch bei der Anwendung des materiellen Rechts eine nennenswerte Relevanz („Anwendungsvorrang des einfachen Rechts“ ist eine ziemlich bescheidene Umschreibung dieser weitgehenden Schlussfolgerungen26). Doch welche Argumente gibt es für die Multipolarität, und wie ist auf bestimmte bekannte Gegenargumente zu antworten? Anders als in der Judikatur, die fast nie verdeutlicht, ob sie bei ihrer Skepsis gegenüber Schutzgrundrechten die Verfassungsbeschwerdebefugnis, den Grundrechtsschutzbereich oder die Grundrechtsschranken im Blick hat (dies bleibt auch bei der – ephemeren – verwaltungsrechtlichen Heranziehung der Schutzgrundrechte offen), soll es nachfolgend eindeutig um die Frage gehen, inwieweit Grundrechte auf Schutzbereichsebene bestehen (was dann allerdings zugleich eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Beschwerdebefugnis auslösen würde). Auf nötige Abwägungen (die dann z. B. auch erst klären, wie viel „Grundrechtsgehalt“ im Sinne einer grundrechtskonformen Auslegung auf das materielle Verwaltungsrecht, etwa das Ermessen, einwirken kann) ist erst später einzugehen. Erstens folgt die Multipolarität der Grundrechte aus dem Freiheitsgedanken selbst, der das Zentrum liberal-demokratischer Verfassungen ist – und zwar, wie in einer Fußnote angedeutet, philosophisch notwendigerweise. Grundrechte als elementare Rechte sollen feste Positionen gegen typische Freiheitsgefahren verleihen. Denn damit verwirklichen sie die im Würdeprinzip verkörperte gebotene Autonomie des Individuums. Und diese Autonomie wird nicht nur direkt durch den Staat bedroht, sondern eben auch durch Private, deren Tun der Staat „nur“ genehmigt oder duldet. Wollte man dies bestreiten, müsste man z. B. den Bau einer Industrieanlage für den Betreiber als freiheitsrelevant betrachten, für die Anwohner dagegen nicht. Das klassisch-liberale Denken tendiert in der Tat in diese Richtung, und dies hat die gängige Judikatur letztlich übernommen. Doch der freiheitliche Staat dient gerade dazu, eine möglichst unparteiische, also von Sonderperspektiven unabhängige Konfliktschlichtung zwischen seinen Bürgern zu ermöglichen, also nicht einen bestimmten (z. B. einen stärker wirtschaftlich ausgerichteten) Lebensplan zu bevorzugen. All dies zeigt, dass Schutzrechte existieren, dass Abwehr und Schutz gleichrangig sind – und dass man von Schutzrechten, nicht von Schutzpflichten reden sollte, da andernfalls die 26 Ein reiner „Anwendungsvorrang“ dort, wo das Grundrecht korrekt abgewogen und diese Abwägung dann als einfaches Recht „aufgeschrieben“ wurde, wäre völlig unproblematisch; nur genau die Prüfung, ob das Grundrecht vom einfachen Recht wirklich korrekt umgesetzt würde, darf dann, wenn die Grundrechte prinzipiell gelten, nicht entfallen; vgl. dazu auch anhand des Fragenkreises „abschließende Harmonisierung eines Rechtsbereichs durch EG-Sekundärrecht“ Ekardt / Schmeichel, ZEuS 2009, S. 171 (176 ff.).

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Gleichrangigkeit gerade nicht anerkannt würde. „Schutz“ im Sinne dieser gesamten Argumentation kann übrigens auch darin bestehen, dass dem Einzelnen eine Leistung, etwa eine Geldleistung zur Sicherung eines Existenzminimums, zugewandt wird. Die Multipolarität der Grundrechte zeigt sich zweitens in Schrankenbzw. Abwägungsbestimmungen wie Art. 2 Abs. 1 GG, 52 EuGRC (die in ähnlicher Form auch jenseits Deutschlands und der EU anzutreffen sind): Diese Normen schreiben als paradigmatische Leitvorschriften liberaldemokratischer Grundrechtskataloge auch ganz konkret rechtlich vor, dass die Handlungsfreiheit durch die „Rechte anderer“ begrenzt wird. Die europäische „Verfassung“ und auch das deutsche Grundgesetz gehen also davon aus, dass bei konkreten staatlichen Konfliktlösungen nicht nur unterschiedliche Interessen, sondern explizit unterschiedliche Grundrechte aufeinander treffen. Das dritte Argument ist der Wortlaut von Normen wie Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 1 EuGRC. Die öffentliche Gewalt hat die Menschenwürde und damit auch die Freiheitsrechte, die gemäß Art. 1 Abs. 2 GG („darum“) um der Würde willen bestehen und darum nach deren Struktur auszulegen sind, zu „achten“ und zu „schützen“. Dieses „Darum“-Verhältnis ist auch in den Materialien zur EuGRC so niedergelegt. Auch die Doppeldimension „Achtung / Schutz“ der Menschenwürde und damit zugleich der Grundrechte – angesichts der eben dargelegten Begründungsfunktion der Würde gegenüber allen Menschenrechten27 – zeigt, dass Freiheit von verschiedenen Seiten her beeinträchtigt werden kann, dass sie also Abwehr und Schutz meint. Vor allem aber ergäbe „schützen“ sprachlich keinen Sinn, wenn damit nur gemeint wäre, dass der Staat nicht selbst direkten Zwang gegen die Bürger ausüben dürfte (sonst könnte sich der Staat statt „Schutz“ mit bloßer Untätigkeit begnügen). Also ist in Normen wie Art. 1 Abs. 1 GG, 1 EuGRC auch der Schutz vor den Mitbürgern gemeint. Und Abwehr und Schutz stehen hier sprachlich gleichberechtigt nebeneinander. All dies impliziert dann erneut, dass es grundrechtlich Abwehr und Schutz gibt und dass Schutz- und Abwehrrechte gleich stark sein müssen – und dass man von Schutzrechten, nicht von irgendwie weniger starken bloßen Schutzpflichten sprechen sollte. Das Gesagte gilt, auch wenn (im Interesse eines gewaltenteilig-demokratischen Institutionensystems, welches gerade der wirksamste Freiheitsschutz ist) dieser „Schutz“ nicht als Direktwirkung der Grundrechte zwischen den Bürgern, sondern als Schutzanspruch gegen den Staat zu lesen ist (vgl. explizit Art. 1 Abs. 3 GG, 51 EuGRC). 27 In Art. 1 Abs. 2 GG sowie in der grundgesetzlichen Abschnittsüberschrift – und ebenso in den Materialien zur EuGRC – heißt es „Menschenrechte“, es sind also nicht nur „einige“ Rechte würdefundiert, wie man vielleicht erwidern könnte, sondern alle. Damit überträgt sich die Menschenwürde-Struktur „gleichermaßen Achtung und Schutz“ auf alle und nicht nur auf einige Menschenrechte.

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Die in Deutschland vorherrschende, am Bundesverfassungsgericht orientierte Position könnte darauf jetzt erwidern, die Schutzfunktion der Grundrechte könne doch nur eine objektivrechtliche Funktion ohne Einklagbarkeit und ohne echte Gleichrangigkeit sein, weil sie eben der Lehre von den Grundrechten als (auch) objektiver Wertordnung entspränge. Doch dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen. Erstens widerlegt der Einwand keines der eben gegebenen Argumente. Und zweitens ist die Wertordnungslehre inhaltlich diffus und letztlich unhaltbar – womit sie auch kein (anderes) Schutz-Verständnis begründen kann. Die Wertordnungslehre selbst ist keine Begründung für irgendetwas, sondern nur eine Behauptung, dass Grundrechte nicht nur Abwehrrechte sind, sondern auch andere, dabei in der Stärke allerdings begrenzte, Funktionen haben; damit stellt die Lehre eine bloße Behauptung dessen dar, die man erst einmal begründen müsste, damit sie überzeugen könnte. Gründe für die Wertordnungslehre – jenseits eines recht vagen Hinweises auf eine „Gesamtschau“ grundrechtlicher und staatszielhafter Verfassungsnormen28 – hat das BVerfG nie genannt. Grundrechte als „nur objektive Ordnung“ widersprechen außerdem dem individualistischen Charakter der Grundrechte. Wie wollte man, zumal entgegen den genannten Argumenten, begründen, dass es einen Teil der Grundrechte geben sollte, der nicht subjektiv und damit nicht einklagbar ist? Erst recht überzeugt die vollständige Negation einer grundrechtlichen Schutzfunktion nicht, wie sie Vertreter der Böckenförde-Schule29 mehr oder minder deutlich insinuieren. Jene Position geht m. E. von einer nicht realisierbaren Ausgangshoffnung aus, indem sie auf „sichere“ Auslegungsergebnisse durch ein reines Abwehrrechtsdenken („weniger Normkonflikte = weniger Abwägung“) hofft. Eine solche Sicherheit wird es jedoch nie geben. Dies nicht nur wegen der Terminologie von Grundordnungen mit unklaren Termini wie Freiheit oder Würde, die sodann via verfassungskonformer Auslegung die gesamte Rechtsfindung infizieren, oder wegen der generellen semantischen Friktionen der Norminterpretation (besonders der teleologischen) sowie durch den generellen Sollenscharakter von Normen, der ein „tatsachen-analoges Beobachten“ der richtigen Normen / Norminterpretationen / Wertungen ausschließt30. Entscheidend ist vielmehr der Charakter 28

Vgl. BVerfGE 4, 7 ff.; 7, 198 (205). Vgl. etwa Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (24 f. und 29 f.); Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 67 ff.; Enders, in: Friauf / Höfling (Hrsg.), GG, Kommentar, Loseblatt, vor Art. 1 Rn. 135 ff.; die gleiche Stoßrichtung findet sich auch bei Schlink, Abwägung im Recht, 1981. 30 Vgl. Somek / Forgo, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 1996, S. 81 ff.; Jeand’Heur, Sprachliches Referenzverhalten bei der juristischen Entscheidungstätigkeit, 1989, S. 11 und passim; Alexy, Theorie (FN 13), S. 17 ff.; Ekardt / Beckmann (FN 13), S. 241 ff. „Sollenscharakter“ bedeutet freilich nicht „subjektiv“; dies zeigte gerade die philosophische Grundlagenargumentation eben im Fließtext. – Immer wieder ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die Begriffsbildung Objektivität / Subjektivität 29

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der Schrankenprüfung, der jeder Grundrechtseingriff unweigerlich unterzogen werden muss und der so oder so in Abwägungen zwischen kollidierenden Belangen führt31. Vor allem aber verkennt der reine Fokus auf Abwehrrechte die Multipolarität der Freiheit und die für sie vorgetragenen Argumente. Und er übergeht, dass die für ihn bemühte konstitutionalistische, altliberale, letztlich aus vordemokratischen deutschen Beständen schöpfende Dogmatiktradition ein durchaus zweifelhafter Anhaltspunkt für die Interpretation moderner Grundordnungen ist. Nicht zutreffend wäre es auch zu behaupten, dass die Anerkennung von Schutzrechten den Bürgern eine bestimmte Form des guten Lebens vorschriebe (oder vorschriebe, man müsse von seiner Freiheit auch Gebrauch machen); dazu unten noch näher, ebenso wie zur angeblich drohenden „Klageflut“ und zur Gewaltenteilung. Das Gesagte versuchte zu zeigen, (1) dass und warum es grundrechtliche Schutzrechte geben muss und (2) dass es sie als subjektive Rechte geben muss. Und nicht nur dies: Die Argumente – speziell der Nebeneinandernennung von Abwehr und Schutz – machen zugleich deutlich, dass (3) Abwehr und Schutz gleichrangig sein müssen32. Für den zweiten und dritten Aspekt spricht ferner die seit langem kritisierte und bezweifelte Unterscheidbarkeit jener beiden Grundrechtsfunktionen, die die deutsche (in dieser Eindeutigkeit allerdings wohl nur die deutsche) Judikatur meist verwendet33. Speziell die Abgrenzung von Abwehrrechten gegen mittelbare Eingriffe – welche wie die Schutzrechte demjenigen gelten, der letztlich Schutz vor den Mitbürgern durch den Staat sucht – und Schutzrechten zueinander erscheint als kaum sinnvoll klärbar34. Vordergründig meint das Abwehrrecht in puncto Erkenntnis keinerlei Bezug zu der Unterscheidung subjektive Rechte versus objektives (von niemandem individuell einklagbares) Recht aufweist. 31 Dies gilt also auch dann, wenn diese kollidierenden Belange nur als objektive Rechtssätze und nicht als subjektive Rechte betrachtet werden. Erst recht würde es gelten, wenn man die Schutzfunktion der Grundrechte schlicht durch weit verstandene Abwehrrechte gegen mittelbare (also indirekte) Grundrechtseingriffe erfassen würde. 32 Für die Gleichrangigkeit tendenziell schon (nur m. E. ohne vollständige Begründung) Schwabe (FN 23), S. 134 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001; Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 503; Vosgerau (FN 23), S. 346 ff.; auch Murswiek, Verantwortung (FN 16), S. 101 ff. intendiert einen Gleichlauf von Umweltnutzung und Umweltschutz, allerdings nicht durch Ausweitung der grundrechtlichen Schutzseite, sondern durch Beschneidung der grundrechtlichen Abwehrseite (auf Schutzbereichsebene). 33 Die folgenden Einwände werden m. E. nicht widerlegt durch die Klärungsversuche von Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 87 ff.; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000, S. 452 und passim; Steinberg, Verfassungsstaat (FN 4), S. 71 ff., 307 ff.; ebenso gilt dies gegenüber Ladeur, DÖV 2007, S. 1 ff. 34 Vgl. auch Dietlein, Lehre (FN 33), S. 89 f.: „Die von der Rechtsprechung entwickelten Lösungsansätze muten zufällig und ergebnisorientiert an“ – unter Hinweis etwa auf BVerfGE 39, 1 (42); 55, 349 (363); 56, 54 (61); BGHZ 64, 220 (222).

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gegen mittelbare Eingriffe, welches die Judikatur in wenig konturierten vereinzelten Fällen zuspricht (und welches in der Böckenförde-Schule konsequenterweise wohl teilweise skeptisch gesehen wird), eine Einflussnahme durch die öffentliche Gewalt auf einen Bürger, der sodann die Freiheit eines anderen Bürgers verkürzt. Im Falle der Schutzrechte geht es dagegen scheinbar um ein fehlendes oder nicht ausreichend wirksames staatliches Unterbinden privater Handlungen. Doch wie genau soll sich das eine vom anderen unterscheiden? So kann man anstelle der Annahme von Schutzrechten in mittelbaren Abwehrrechts-Konstellationen stets fragen, warum die Gestattung, Nichthinderung oder Mitwirkung bei privatem freiheitsbeeinträchtigendem Verhalten kein Abwehrrecht wegen mittelbaren Grundrechtseingriffs auslösen sollte (zumal z. B. eine umwelt- oder baurechtliche Genehmigung den Dritten eine Duldungspflicht auferlegt). Auch die Judikatur bietet keine verwertbaren Abgrenzungskriterien an. Viele werden jetzt erwidern: Bei Abwehrrechten könne der Bürger verlangen, dass der Staat genau eine Sache (z. B. „Erlass einer Abrissverfügung gegen mein Haus“) nicht tue. Dagegen könnten die Schutzrechte nur ein allgemeines Handlungsgebot auslösen (z. B. „mehr Schutz vor Schwefeldioxid durch die Anlage X“), bei dessen Erfüllung die öffentliche Gewalt einen Spielraum haben müsse. Doch dass das nicht per se stimmt, zeigt ein Beispiel. Nicht nur der Adressat einer baurechtlichen Abbruchverfügung (unmittelbarer Eingriff) kann sagen: „Ich will ganz genau diese Verfügung loswerden.“ Genauso gut kann der von einer Genehmigung betroffene Nachbar sagen: „Die Genehmigung soll weg.“ Es geht jeweils um genau eine Handlung – und zwar in letzterem Fall unabhängig davon, ob man dies als mittelbare Eingriffsabwehr oder als Schutz-Ansinnen bezeichnet35. Abwehr von mittelbaren Eingriffen und Schutz sind also nicht sinnvoll scheidbar; letztlich verwendet die Judikatur diese „Scheidung“ wohl auch eher als ScheinRechtfertigung, um der einen Drittklage Bedeutung beizumessen, der anderen dagegen nicht. Eine solche Bedeutung wird Drittklagen primär bei wirtschaftlicher Betroffenheit zugemessen (etwa in den Fällen öffentlicher Warnungen). Die somit zu konstatierende Ununterscheidbarkeit ist ein weiteres Argument dafür, dass die klassisch-liberale wirtschaftliche Freiheit den „Umweltgrundrechten“ nicht vorgehen kann. Zumindest ist sie ein Argument dafür, dass sich die Judikatur nicht in eine camouflierende Scheidung von Abwehrrechten gegen mittelbare Eingriffe versus Schutzpflichten retten kann, um den Grundrechtsschutz im einen Fall zu bejahen und im anderen Fall weitgehend zurückzustellen (und dabei oft von einem „bloßen Rechtsreflex“ zu sprechen, was überhaupt nichts besagt: Warum sollte es denn für 35 Die Möglichkeit einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wird durch das voranstehende und das folgende übrigens nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt; dazu Ekardt, Information (FN 1), § 1 C. I.

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ein Grundrecht nicht relevant sein, wenn sein Freiheitsbereich kausal aufgrund einer staatlichen Entscheidung beeinträchtigt wird?). An alledem ändert auch die Praxis der Rechtsprechung nichts, eine (auch Grund-)Rechtsbetroffenheit tendenziell dann nicht anzunehmen, wenn eine „Allgemeinheit“ betroffen ist. Denn ob ein Recht beeinträchtigt ist, kann nicht davon abhängen, ob auch andere beeinträchtigt sind.

IV. Umweltgrundrechte, Demokratie, Gewaltenteilung – Einwände gegen echte Schutzrechte als Missverständnisse über die verfassungsrechtliche Abwägung Freilich sieht sich eine multipolar ausgerichtete Konzeption nachhaltiger Freiheit noch einer Gruppe weiterer Einwände ausgesetzt, die alle miteinander zusammenhängen und die deshalb sinnvoll nur im Gesamtzusammenhang zu behandeln sind. Diese Einwände lauten sinngemäß: Schutzrechte würden die Parlamente entmachten; und es gäbe in „Schutzfällen“ gegenüber „Abwehrfällen“ per se größere Spielräume36. Indem darauf eingegangen wird, wird zugleich erläutert, warum in dieser Kritik zwar mehrere unzutreffende Vorannahmen enthalten sind – warum aber gleichwohl Spielräume im Rahmen der Lehre von den Abwägungen zwischen kollidierenden Freiheitssphären demokratisch auszufüllen sind. Damit kann zugleich eine Abwägungslehre der (hier: Umwelt-)Grundrechte skizziert werden, die in einer unten näher zu betrachtenden Weise auch auf das einfache Recht der jeweiligen Rechtsordnung ausstrahlt. Zugleich ist die Diskussion auch für die transnationale „Umweltgrundrechtsfrage“ lehrreich. In dieser tritt nämlich häufig die Vorstellung auf, dass generell Eingriffe in Grundrechte in aller Regel ohne detailliert abschichtende Prüfung von Abwägungsregeln gerechtfertigt sind (so letztlich EuGH und EGMR37) – oder die Debatte wird umgekehrt so geführt, als sei jede Beeinträchtigung eines Grundrechts zugleich eine Verletzung dieses Grundrechts. Der letztere Eindruck wird beispielsweise im Kontext der Debatte über „WTO und Menschenrechte“ regelmäßig erweckt38. Schaden also Schutzrechte der Demokratie? Dies wirft die alte Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Demokratie auf. Nicht nur einige 36 Zu weiteren Einwänden (angeblich drohende „Klageflut“ und „Schnüffelei“ unter den Bürgern) vgl. Ekardt, Information (FN 1), § 5 A. – B. sowie in aller Kürze den letzten Abschnitt dieses Beitrags. 37 Zur notwendigen Weiterentwicklung der europarechtlichen Prüfung von Grundrechten sowie von Grundfreiheiten näher Ekardt / Schmeichel (FN 26), S. 171 (197 ff.); zum Verhältnis der „drei Verfassungsgerichte“ zueinander mit einer neuen Perspektive Ekardt / Lessmann, KJ 2006, S. 381 ff. 38 Zu dieser Debatte (mit einem eigenen Ansatz) Ekardt / Meyer-Mews / Schmeichel / Steffenhagen, Welthandelsrecht (FN 18), S. 42 ff.

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Juristen, sondern auch manche Philosophen halten (z. T. implizit) die Demokratie gegenüber der Freiheit sogar für latent vorrangig. Richtig ist dabei zunächst noch, dass – so z. B. Jürgen Habermas – Freiheit und Demokratie sich gegenseitig fördern39. Eine gewaltenteilige, durch Prinzipien eingehegte Demokratie verspricht jedoch ein Mehr an Freiheit, Rationalität und Unparteilichkeit als eine „radikale“ habermasianische, die die Verfassungsgerichtsbarkeit auf eine reine Verfahrenskontrolle reduziert; genau deshalb sind Verfassungen wie das Grundgesetz eben gewaltenteilig und nicht radikaldemokratisch strukturiert. Gerade die Generationengerechtigkeit und die globale Gerechtigkeit (und damit die Nachhaltigkeit), also die Freiheit der jungen und nach uns kommenden Menschen, spricht gegen die radikale Demokratie. Denn die Demokratie ist für künftige und junge und räumlich entfernt lebende Menschen kein Akt der Selbst-, sondern der Fremdbestimmtheit. Denn sie sind heute keine Beteiligten der Demokratie. Vor diesem Hintergrund ist zunächst einmal die multipolaritätskritische Sichtweise unzutreffend, dass eine liberal-demokratische Verfassung eine Art allmächtiges Parlament impliziere (was multipolare Rechte, die Gesetzgebung und Verwaltung ja zusätzliche Bindungen auferlegen, ausschlösse). Geboten ist nicht dies, sondern vielmehr ein System der gewaltenteiligen Ausbalancierung staatlicher Macht im Interesse eines bestmöglichen Freiheitsschutzes und eines Maximums an Rationalität und Unparteilichkeit40. Zur Sicherung dieser Prinzipien sind die Staatsgewalten da. Sowohl das europäische und nationale Gewaltenteilungsprinzip als auch die Existenz starker Verfassungsgerichte zeigen denn auch, dass das Parlament gerade nicht allmächtig sein soll. Das mündet dann aber in eine Demokratie nicht als Gegenprinzip zur Freiheit, sondern als Konfliktlöser zwischen den Freiheiten, was weitere Konfliktlöser wie Gerichte gerade sinnvoll erscheinen lässt. Wir haben bis hierher mehrere Dinge gesehen, teilweise auch schon vor der expliziten Erörterung zur Demokratie: Die Demokratie hat auch ohne 39 In der kantianischen respektive liberal-demokratischen Theorie der Gerechtigkeit folgen Freiheit und Demokratie gemeinsam aus den Prinzipien der Menschenwürde und der Unparteilichkeit (letzteres Prinzip wird z. T. auch Universalisierbarkeitsprinzip oder kategorischer Imperativ genannt, mit leicht anderer Bedeutung); diese Prinzipien wiederum werden als Gebot der Rationalität respektive der Vernunft aufgefasst. Die Überhöhung des Demokratieprinzips bei Habermas, Faktizität (FN 14), S. 109 ff. und 537 ergibt sich teilweise daraus, dass er anders als Kant oder Rawls das Menschenwürde- bzw. Autonomieprinzip nicht aus der Rationalität folgen lässt, sondern als dogmatisch gesetzt sieht. 40 Vgl. die Bemerkung und den Nachweis in FN 14 dazu, dass die Kantsche These zutrifft: dass nämlich Freiheit (und gewaltenteilige Demokratie) auf der Basis von Menschenwürde und Unparteilichkeit ein universales Rationalitätsgebot darstellt, welches der – gerade auch postmodern-konstruktivistischen – Kritik standhält (und zwar, einschließlich aller daraus möglichen Ableitungen wie z. B. des Freiheitsvoraussetzungsschutzes und der Abwägungsregeln, das einzige Rationalitätsgebot im Bereich von Moral und Recht).

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Multipolarität ohnehin Grenzen; nötige Abwägungen zwischen kollidierenden Belangen gibt es ohnehin; und die Betrachtung der Grundrechtsfunktionenlehre hat zudem ergeben, dass sich Abwehr- und Schutzkonstellationen eben gerade nicht per se unterscheiden. Dies gilt es jetzt noch weiter auszuführen. Bei der Abwägung kollidierender Positionen hat das Parlament in der Tat eine gewisse, wenngleich keine absolute Prärogative gegenüber der Justiz. Soweit in diesen Abwägungen nämlich aus den kollidierenden Belangen unterschiedliche Abwägungsergebnisse herleitbar sind – und dies ist der Normalfall –, ist ein (ab-)wählbarer Entscheider die rationale und freiheitsfreundliche Variante: also ein Parlament und kein Gericht. Das Parlament muss sich dabei allerdings im Rahmen bestimmter, aus den Grundrechten selbst herleitbarer Abwägungsregeln bewegen (man kann auch von multipolarer, allerdings durch weitere Regeln konkretisierbarer Verhältnismäßigkeitsprüfung sprechen41); wir kommen auf einige dieser Regeln noch näher zurück. Problematisch an der bisherigen deutschen Debatte ist, dass viele daraus, dass es meist nicht „genau ein“ (womöglich noch quantifizierend-ökonomisch ermitteltes) Abwägungsergebnis geben kann, irrtümlich schließen, es gäbe keine Multipolarität (also keine gleichrangigen Abwehr- und Schutzrechte) und keine weiteren Abwägungsregeln jenseits von Geeignetheit / Erforderlichkeit42. Wir werden noch sehen, dass das nicht zutrifft. Das Gesagte gilt jedenfalls ganz gleichermaßen und unabhängig davon, mit welchem Politik- bzw. Rechtsbereich man es zu tun hat. Die (allgemein fraglos für eine Grundrechtsfrage gehaltene) Entscheidung über die richtigen Gesetze im Bereich der Sicherheits- oder Anti-Terror-Politik folgt damit eben gerade nicht anderen Regeln als beispielsweise die Klimapolitik. Der Gesetzgeber kann jeweils unterschiedliche Entscheidungen treffen, und die Aufgabe von Verfassungsgerichten liegt (allein) darin, eine Rahmenkontrolle anhand einer Reihe aus den Freiheitsrechten selbst herleitbarer Abwägungsregeln vorzunehmen. Der Sache nach geht es dabei stets darum, dass eine Kontrollinstanz wie ein Verfassungsgericht die Einhaltung von Abwägungsregeln überprüft, woraufhin ein verfassungsändernder Gesetzgeber (teilweise) mit einer Verfassungsänderung reagieren 41 In diese Richtung auch Calliess, Rechtsstaat (FN 32), S. 373 ff.; Susnjar, Proportionality, Fundamental Rights, and Balance of Powers, 2010, i.E. 42 Besonders prominent Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 188 ff. und passim. Unklar ist die Linie des Bundesverfassungsgerichts, welches teilweise wie der Europäische Gerichtshof mit Abwägungen verfährt (im Wesentlichen nur Prüfung legitimer Zweck – sehr großzügig –, Geeignetheit, Erforderlichkeit), teilweise wie hier vorgeschlagen mit einer (größeren) Menge von Abwägungsregeln operiert, teilweise aber auch „genau ein“ Abwägungsergebnis dem Gesetzgeber vorzugeben scheint (z. B. beim Embryonenschutz); auch dies ist eine Folge der unklaren Schutzpflichten-Dogmatik; kritisch dazu auch Steinberg, NJW 1996, S. 1995 ff.; Susnjar, Proportionality (FN 41), i. E. Siehe konkret dazu, wie in vereinzelten Fällen (allerdings nicht aus dem Menschenwürdeprinzip) auch einmal totale Abwägungsverbote hergeleitet werden können, etwa Ekardt / Kornack, KritV 2006, S. 349 ff.

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kann; oder daß eine Kontrollinstanz wie ein einfaches Gericht die Einhaltung des gesetzgeberischen Willens durch die Behörden bzw. die Einhaltung von Abwägungsregeln für die an die Behörden weitergereichten Abwägungen prüft usw. Arbeitet man die Abwägungsregeln genau aus, wird die Gewaltenbalance sogar weniger „jurisdiktionsstaatlich“ als bisher (wo Bundesverfassungsgericht bzw. Europäischer Gerichtshof letztlich nach Gusto entscheiden können, ob von weiten oder – wie bei den Abtreibungsentscheidungen – von „keinen“ Parlamentsspielräumen ausgegangen wird). Gehen muss es dabei um ein multipolar freiheitsförderliches (einerseits machtmissbrauchsfeindliches, andererseits die Demokratie als Schutzschild der Freiheit betrachtendes) und zudem unparteilichkeitsadäquates Ping-Pong mit einem außerdem rationalitätsförderlichen, da ein Maximum an guten Gründen mobilisierenden „Mehrebenendiskurs“ zwischen den Staatsgewalten. Zunächst darf ein Verfassungsgericht gegen ein Parlament nie „Tu-genaudas“-Urteile erlassen, sondern muss sich immer auf „So-wie-bisher-jedenfalls-nicht“-Urteile beschränken. Das Bundesverfassungsgericht z. B. darf dem deutschen Bundestag also – um ein für die Nachhaltigkeit wesentliches Beispiel zu verwenden – nicht sagen: „Steige in viereinhalb Jahren aus der Atomenergienutzung aus.“ Es kann aber sagen: „Der bisherige Ausstieg ist zu langsam; entscheide die Frage unter Berücksichtigung folgender Tatsachenlagen, normativer Belange und Verfahrens- sowie Abwägungsregeln bis zum XX.YY.2010 neu.“ Umgekehrt könnte das Verfassungsgericht auf die Klage eines Energiekonzerns hin sagen: „Der Gesetzgeber darf natürlich aus der Atomverstromung aussteigen – aber er muss sich dabei in einem gewissen Rahmen halten, den er aber leider überschritten hat, indem er angeordnet hat, innerhalb von drei Tagen aus der Atomenergienutzung auszusteigen.“ Durch eine solche Linie, die weder dem Parlament die Prärogative nimmt noch dem Verfassungsgericht eine übergroße und unklare Macht gibt, werden alle Staatsgewalten ihren durch Freiheit, Demokratie, Unparteilichkeit und Rationalität definierten Aufgaben am besten gerecht. Dies gilt um so mehr, als das Ping-Pong, wie eben durch den obigen einleitenden Hinweis auf das „Weiterreichen“ von Abwägungen durch den Gesetzgeber kurz skizziert, auch die Exekutive und die einfachen Gerichte einbezieht. Dabei können Behörden auf eine gerichtliche Entscheidung mit neuen Entscheidungen reagieren, die dann ihrerseits wieder der Kontrolle unterliegen; und ebenso verhält es sich zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgerichtsbarkeit; und auch der Gesetzgeber kann auf einfachgerichtliche Entscheidungen z. B. durch Gesetzesänderungen reagieren usw. So entsteht ein komplexes Geflecht von Konkretisierungs- und Kontrollzuständigkeiten.43 Die genannten Prinzipien sprechen hierbei dafür, wie andernorts 43 Ein grundsätzliches, aber häufig anzutreffendes Missverständnis ist es nach alledem, sich so auszudrücken, als hätten die Gerichte als solche eine Abwägung vor-

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näher thematisiert44, dass die Gerichte über normative Abwägungsfragen, schwierige Normtatbestandsinterpretationen und unsichere Tatsachenfragen nur eingeschränkt urteilen dürfen – strikt dürfen sie dagegen urteilen über einfache Normtatbestandsinterpretationen, Verfahrensfragen und sichere Tatsachenlagen. Am Atombeispiel sieht man, dass in komplexen Konstellationen die Abwehrseite der Grundrechte keinesfalls „übersichtlicher“ ist als die vermeintlich kompliziertere Schutzseite. Der Gesetzgeber kann z. B. den „Abwehr„rechten von Energieversorgungsunternehmen in ganz unterschiedlicher Weise Rechnung tragen, wenn er aus der Nutzung der Kernenergie aussteigen möchte. Er kann Billigkeitsentschädigungen festsetzen, Übergangsfristen gewähren usw. Und ganz genauso sieht es für mögliche SchutzKläger aus – man kann alle Kraftwerke abschalten, sie anderweitig sicherer bauen, stärkeren Schutz gegen Terroranschläge treffen u.v.m. Diese Komplexität ist aber eben grundrechtsfunktionenunabhängig. Und sowohl bei „Abwehr“ als auch bei „Schutz“, wenn es diese Funktionen denn gibt, ist jedenfalls klar: Die Gesetze für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit muss in einer gewaltenteiligen Demokratie das Parlament machen, nicht ein Gericht. Deshalb sind Urteile wie die Bundesverfassungsgericht-Judikate zum Embryonenschutz oder zur Familienbesteuerung in jedem Fall problematisch44a. Vielleicht sollte daher ein Verfassungsgericht stets wie das House of Lords in Großbritannien ohne Gesetzesaufhebung auskommen (also auch in so genannten Abwehrfällen mit Nachbesserungsaufträgen statt mit Kassationen arbeiten). Richtig könnte es zumindest sein, die Gesetzesaufhebung als begründungsbedürftigen Ausnahmefall zu sehen – und ansonsten mit „Änderungsaufträgen“ der Justiz ans Parlament auszukommen, ohne selbst ein Gesetz aufzuheben oder einen Gesetzeswortlaut zu diktieren45.

zunehmen (obwohl den Gerichten nur vereinzelt vom Gesetzgeber eine Abwägung „weitergereicht“ wurde, etwa an die Zivilgerichte für die Konkretisierung der zivilgerichtlichen Generalklauseln im Lichte kollidierender Grundrechte – wobei ein Verfassungsgericht diese Zivilgerichtsurteile dann wieder nur darauf überprüfen darf, ob die Abwägungsregeln eingehalten sind). Nicht ausreichend deutlich wird dies z. B. bei Hofmann, ZUR 2007, 470 (471 f.). 44 Vgl. dazu Ekardt, Information (FN 1), § 5; stärker europarechtlich dazu Ekardt / Schenderlein, NVwZ 2008, S. 1059 ff. 44a Vgl. insbesondere BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff. 45 In gewisser Weise ist ein so dargelegtes multipolares Konzept wohl auch ein Beitrag zum Übergang „vom Staats- zum Verfassungs-Paradigma“, wie er eingefordert wird von Möllers, Leviathan (FN 7), passim.

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V. Abwägungsregeln, Vorsorge als Grundrecht(sschutzbereich) und das Problem „absoluter“ Mindeststandards bei Grundrechtsabwägungen Abwägungen sind – wie bereits angesprochen – also (auch) bei (Umwelt-)Grundrechten unausweichlich, und sie sind ganz generell nichts Sensationelles. Um es etwas plastischer zu formulieren: Indem die Politik die Industriegesellschaft zulässt, Industrieanlagen genehmigt, den Autoverkehr zulässt usw., nimmt sie sehenden Auges statistisch Tote, also Beeinträchtigungen des Rechts auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen, aufgrund der freigesetzten Luftschadstoffe usw. in Kauf. Dies geschieht in Abwägung mit unser aller Konsumfreiheit und mit der wirtschaftlichen Freiheit der Konsumenten. Man spricht insoweit meist camouflierend von stochastischen Schäden. Das meint statistische Krankheits- und Todesfälle, die jedenfalls langfristig und in Kombination mit anderen Schadensursachen im Gefolge der industriegesellschaftlichen Lebensform auftreten. Da es gerade keine allgemeine Formel „Schädige niemanden“ (neminem laedere46) gibt (weil ansonsten letztlich nahezu alles verboten wäre, denn überaus viele menschliche Handlungen sind auf irgendeinem Wege für irgendjemanden unvorteilhaft), ist dies für sich genommen aber gerade nicht skandalös. Das durchaus Absurde liegt vielmehr in Schizophrenien wie „wir wollen mehr Klimaschutz und trotzdem ständiges Wirtschaftswachstum“, also in politischen Formelkompromissen, die die nötigen schmerzlichen Abwägungen gerade leugnen47. Welche Abwägungsregeln im Einzelnen gelten, lässt sich im Kern bereits aus den Freiheitsrechten selbst ableiten. Dies zeigt sich zunächst für die Grundregel von Abwägungen, die in der gewohnten Prüfung der Verhältnismäßigkeit meist unter der Überschrift „legitimer Zweck“ thematisiert wird: dass das Abwägungsmaterial einerseits vollständig sein muss und andererseits keine unzulässigen Belange enthalten darf. Wenn die andernorts näher begründete Vermutung zutrifft, dass die Selbstbestimmung respektive die neu interpretierte Freiheit – und alles, was daraus folgt – das einzige begründbare Gerechtigkeitskriterium ist, kann man auch relativ leicht als Abwägungsregel angeben, welches das (allein) zulässige Material gerechter Abwägungen ist: nämlich eben die Freiheit aller Beteiligten, die wie gezeigt die elementaren Freiheitsvoraussetzungen einschließt. Neben diesen Men46 M. E. übergangen z. B. bei Hochhuth, Relativitätstheorie des öffentlichen Rechts, 2000. 47 Insgesamt werden im Schrifttum selten Abwägungsregeln unter Einbeziehung der Schutzrechte entwickelt; vgl. aber Calliess, Rechtsstaat (FN 32), passim und Cremer, DÖV 2008, S. 102 ff. – Dazu, dass Nachhaltigkeit in einer physikalisch endlichen Welt (trotz der Potenziale z. B. der Solarenergie) nicht mit dauerhaftem Wirtschaftswachstum vereinbar ist, vgl. Daly, Beyond Growth (FN 6), 1996; Ekardt, Cool Down (FN 6), Kap. 1; Wuppertal-Institut Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt (FN 6), 2008.

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schenrechten sind solche Belange zulässige Abwägungsgegenstände, die die Freiheit fördern, aber nicht zwingend für sie erforderlich sind und die deshalb – da nicht logisch im Freiheitsbegriff enthalten – keine Menschenrechte sind (z. B. Kulturförderung oder die Schaffung von Kindergartenplätzen)48. Für all dies spricht neben der alleinigen Begründbarkeit des Freiheitsprinzips auch: Nur so wird deutlich, dass sowohl autoritäre Freiheitsbeschränkungen als auch eine wirtschaftsliberal-postmoderne Ausblendung der Freiheitsvoraussetzungen unzulässig sind. Interventionen in Fragenkreise, die gar nicht die Freiheit mehrerer Menschen betreffen – also in den Bereich des guten Lebens –, sind damit ausgeschlossen49. Ebenso nicht stimmig wäre m. E. die heutige Praxis, ganz allgemein „das Gemeinwohl“ (oder „das öffentliche Interesse“) zum zulässigen Abwägungsbelang zu erklären. Denn die Rede vom Gemeinwohl erscheint letztlich inhaltsleer, damit letzten Endes beliebig, rechtsdogmatisch folglich überflüssig und potenziell autoritär50. Und „das Gemeinwohl“ zeigt auch nicht, um was es eigentlich geht: um unser aller Selbstbestimmung. Vor diesem Hintergrund sollte m. E. das „Gemeinwohl“ aus dogmatischen Formeln entfernt und das Wort, soweit es in Gesetzen noch explizit erscheint, so interpretiert werden, dass der Schutz von Freiheit und Freiheitsvoraussetzungen gemeint ist. Der große Teil dessen, was herkömmlicher Weise Gemeinwohl heißt, lässt sich ohnehin Freiheitsvoraussetzung nennen (etwa Kulturförderung, die nicht-existenziellen Teile von Sozialstaatlichkeit, Schutz der Biodiversität usw.) – nur dass der neue Begriff klarere Konturen und eine echte Begründung jener Belange anzubieten hat. So könnte der Gemeinwohlbegriff u. U. teilweise auf seinen ursprünglichen Sinn zurückgeführt werden: Es muss um Interessen gehen, die in einem gerechten Staat Beachtung 48 Auch wenn der Bezug zur Freiheit hier selten hergestellt wird, so dürfte doch unstreitig sein, dass die „bloß freiheitsförderlichen“ Bedingungen jedenfalls keine Menschenrechte darstellen – es gibt ein Grundrecht auf das Existenzminimum, aber kein Grundrecht auf einen Kindergartenplatz. Diese Aussage liegt also, trotz der neuen Begründung und der neuen Begrifflichkeit, auf der Linie der gängigen deutschen Diskussion zum Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG): Der Gedanke eines „Existenzminimums“ ist notwendiger Weise nicht beliebig weit zu fassen, sei es nun in sozialer oder ökologischer Hinsicht. Allerdings sind die Freiheitsvoraussetzungen Leben und Gesundheit (in Deutschland und der EU) bereits explizit als grundrechtlich gekennzeichnet. Die Diskussion, ob ein Randbereich von Gesundheit „nicht elementar und daher nicht vom Grundrechtsschutzbereich erfasst“ ist, wäre damit wenig praxisrelevant. 49 Ausführlich zu einer teilweise ähnlichen Abwägungsregel-These (allerdings mit anderen Standards und einer Standard-Begründung eher anhand des Rechtsstaatsprinzips als anhand der Freiheitsrechte, was deren Herleitung indes erschwert und folglich dazu führt, dass der Klarheitsgewinn von Abwägungsregeln schrumpft) Susnjar, Proportionality (FN 41), i.E. 50 Hierzu und zum Folgenden m. w. N. Ekardt, Information (FN 1), § 1 E. (dort auch zur autoritären bis totalitären Rechtsgeschichte des Begriffs); vgl. demgegenüber für Versuche, den Begriff als (nicht inhaltlich gefüllte) Formel für nötige Abwägungen und Verfahrensschritte beizubehalten: Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999.

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verdienen. Gerade das wäre dann aber genauer zu überdenken und zu prüfen und nicht salvatorisch mit der Formel vom Gemeinwohl zu proklamieren – die womöglich nur das Fehlen wirklicher Gründe tarnt (und damit der Rationalität und Unparteilichkeit staatlicher Entscheidungen abträglich ist). Schutzrechte im Umweltschutzkontext fallen auch nicht etwa dadurch zumeist aus dem zulässigen Abwägungsmaterial heraus (bzw.: Schutzrechten fehlt es nicht etwa schon deshalb an der grundrechtlichen Betroffenheit ihres Schutzbereichs), dass Schutzrechte häufig bloße Grundrechtsgefährdungen betreffen. Jener Einwand ginge fehl, weil nur „mögliche“ Grundrechtsbeeinträchtigungen zumindest bei hochwertigen Grundrechten und drohender Irreversibilität der „möglichen“ Schädigung eben gerade nicht unbeachtlich sind, auch wenn die deutsche Judikatur – indem sie, anders als die europäische Judikatur, die Vorsorge (also „Risiken“ bzw. „unsichere Beeinträchtigungen“) meist für uneinklagbar erklärt – implizit voraussetzt51. Andernfalls würden die Grundrechte nicht länger das leisten, was überhaupt der Sinn juridifizierter Grundrechte ist: einen Autonomieschutz genau an der Stelle zu garantieren, wo der Autonomie die Beeinträchtigungen drohen. Und diese drohen nicht nur und nicht in erster Linie von der öffentlichen Gewalt. Dafür spricht auch, dass Gefahr und Vorsorge gar nicht sinnvoll scheidbar sind, wie sich andernorts erwies52. Ferner folgen die bekannten Abwägungsregeln der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Freiheitsverkürzung zugunsten der Belange anderer Beteiligter, unmittelbar aus dem multipolaren Freiheitsprinzip: Es darf eben nicht dem einen etwas an Freiheit genommen werden, was gar keinem anderen Freiheitsträger zugute kommt. Die Angemessenheit als letzter Schritt im Rahmen der konventionellen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann ferner als Dach über eine Reihe weiterer Abwägungsregeln begriffen werden, die ebenfalls aus dem Freiheitsprinzip folgen. Eine Regel davon lautet, dass nicht ein Belang evident zu einseitig zugunsten anderer Belange zurückgestellt werden darf; auch dies folgt wieder aus dem Gedanken, dass die Freiheit insgesamt maximiert werden soll (wobei dies „tödliche“ Abwägungen im Einzelfall, wenn ein Konflikt nicht anders auflösbar ist, aber nicht ausschließt). 51 Vgl. statt vieler BVerwG, NVwZ 1995, 995 ff.; nicht wahrgenommen bei Couzinet (FN 23), S. 760 ff.; differenzierend Calliess, Rechtsstaat (FN 32), S. 244; im Einzelnen zum Diskurs über Gefahrenabwehr und Vorsorge Ekardt / Schmidtke, DÖV 2009, S. 187 ff. 52 Vgl. Ekardt / Schmidtke (FN 51), S. 187 ff. Dort auch zu dem weiteren Problem: dass die h. M. in Deutschland unzulässigerweise die Grundrechte auf den Durchschnittsmenschen orientiert, sich bei der Tatsachenerhebung der Gefährlichkeit eines Schadstoffes also z. B. am 40jährigen Durchschnittsmann orientiert (und damit Schwächere wie Schwangere, Ältere, Kinder unberücksichtigt lässt); vgl. auch Böhm, Der Normmensch, 1996.

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Eine weitere Abwägungsregel ist das erwähnte „Verursacherprinzip“. Noch eine weitere Abwägungsregel lautet, dass die der Abwägung zugrunde liegenden Tatsachenannahmen stimmen müssen. Die jeweilige Entscheidung muss also beispielsweise die neueste Klimaforschung zugrunde legen, wenn sie wissen will, welche Gefahren der Freiheit künftiger Generationen drohen. Wesentlich ist dabei, dass Tatsachen zwar Subsumtionsmaterial sind, um den Grad der Beeinträchtigung eines Belangs festzustellen, dass aber Tatsachenaussagen als solche (!) nichts Normatives besagen: Aus der faktischen Gefährlichkeit von Fluglärm für die Gesundheit der Anwohner beispielsweise – über die man naturwissenschaftliche Diskurse und Erhebungen führen kann – folgt logisch erst einmal nicht, inwieweit dieser Lärm verhindert werden muss. Die Entscheidung im Rahmen der Abwägungsregeln bleibt also stets eine politisch-demokratische und keine naturwissenschaftliche Entscheidung53. Bei unsicheren Tatsachen wie dem Klimawandel besteht ferner eine Pflicht, vorläufige Entscheidungen zu treffen und diese später zu überprüfen. Diese letztgenannte Regel taucht auch in der bisherigen Rechtsprechung auf, allerdings wieder nicht als Anspruch eines Schutzgrundrechtsträgers, sondern als nur objektive Pflicht54. Die Entscheidung für oder gegen eine einigermaßen wirksame Umweltpolitik ist nach alledem also nicht dem Belieben von Mehrheiten oder souveränen Staaten überlassen, auch wenn dies eine verbreitete Betrachtungsweise darstellen mag. Die gängige politische Vorstellung, dass beispielsweise Sicherheitspolitik ein Menschenrechtsproblem ist, Klimaschutz aber nicht, ist vielmehr unzutreffend. Wenn allerdings Abwägungen erlaubt und nötig sind und im Umweltrecht potenziell tödlich verlaufen (auch ein „abgeschwächter“ Klimawandel z. B. wird Todesopfer fordern), so wirft dies die Frage auf, ob die (hier: Umwelt-)Grundrechte vielleicht sogar einen „absoluten“, vor Abwägungen sicheren55 Kern haben. Art. 19 Abs. 2 GG 53 Aus einem Klima-Sein folgt niemals ein Sollen; aus Fakten folgt nie, was im Leben richtigerweise geschehen sollte. Zur Sein-Sollen-Scheidung und zur genauen Relevanz von Tatsachen und Tatsachenunsicherheit in Abwägungen (und überhaupt in rechtlich-moralischen Entscheidungen) auch Ekardt / Susnjar, JbUTR 2007, S. 277 ff. 54 BVerfGE 24, 119 ff.; 3, 303 ff.; 39, 1 ff.; 39, 160 ff.; 53, 30; 77, 170 ff.; BVerfG, NJW 1996, 651; siehe ferner Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000. 55 „Absolut“ wird statt „abwägungsfrei“ leider häufig sprachlich irrig mit „universal“ gleichgesetzt. Wie in FN 14 anklang, ist die Freiheitsidee in der Tat universal gültig; da aber eben allen Menschen Freiheit zukommt, heißt das nicht, dass diese universale Freiheit eine absolute = abwägungsfreie Freiheit ist. Seltsamer Weise nahm die Debatte über Folter und Absolutheit der Menschenwürde gerade von dieser Verwechslung ihren Ausgang: Das Beispiel des gefassten Terroristen, der eine tickende Atombombe in einer Großstadt versteckt hat (und den man nun „foltern sollte oder nicht“) wurde von keinem geringeren als Niklas Luhmann bei einem Vortrag präsentiert, um die Universalität der Menschenrechte zu widerlegen. Leider hat Luhmann damit bestenfalls die Absolutheit der Menschenrechte widerlegt – und zugleich unfreiwillig dokumentiert, dass der Großmeister der soziologischen Systemtheorie (der aufgrund seines Studiums gerne seine rechtswissenschaftliche „Milieukenntnis“ hervorhob) einfache rechtstheoretische Grundkategorien nicht auseinander zu halten weiß.

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gibt hierzu zunächst einmal keinen Aufschluss. Auch wenn die Norm einen Wesensgehalt der Grundrechte garantiert, so sagt dies doch nicht zwingend etwas darüber aus, ob auch jedem Grundrechtsträger in jeder Konstellation von jedem Grundrecht ein absoluter Kern verbleiben muss56. Die deutsche Judikatur wiederum entledigt sich des Problems einfach, indem sie sachlich unzutreffend insinuiert, das geschilderte Problem stochastischer Schäden bestehe gar nicht, und jedenfalls „kurzfristig“ keine Gefährdungen diagnostiziert (was ja meist auch zutrifft, aber eben am Problem vorbeigeht)57. Im Sicherheitsrecht geht die Judikatur dagegen zuweilen von absoluten, substanzialistischen, abwägungsfreien Mindeststandards aus, wie zuletzt der LuftSiG-Fall vor dem Bundesverfassungsgericht illustriert hat (also der Fall der vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Abschussermächtigung aus § 14 Abs. 3 LuftSiG gegenüber von Terroristen als Attentatswaffe z. B. gegen Atomkraftwerke umfunktionierte Flugzeuge mit „unschuldigen“ Passagieren an Bord)58. Diese normative These aus dem LuftSiG-Fall erscheint bei näherem Besehen indes kaum so begründbar, geschweige denn auf das Umweltrecht übertragbar: Zunächst sticht eine markante Inkonsistenz ins Auge: Es ist in keiner Weise begreiflich zu machen, warum das Abschießen von Flugzeugen mit ohnehin todgeweihten Insassen (auch wenn damit ein – nicht sicherer, aber möglicher59 – Super-GAU vermieden werden kann) unter allen (!) Umständen verboten und die Opferung von schlimmstenfalls Hunderttausenden von Menschen am Boden damit strikt geboten sein sollte – und umgekehrt völliges gesetzgeberisches Belieben herrschen soll, wenn (nach Angaben der EU-Kommission) europaweit jährlich 310.000 Tote durch Feinstaub hingenommen werden, nur weil die Mitbürger nicht etwas teurere Autos, Heizungen usw. mit geeigneten Filtertechniken kaufen möchten (und es bestehen auch keine ernstlichen umweltmedizinischen Erkenntnisunsicherheiten hinsichtlich der Kanzerogenität von Feinstaub)60. Die Scheidung Abwehr- versus Schutzrechte kann die Differenzierung wie oben gezeigt nicht rechtfertigen, ebenso wenig wie der pauschale Hinweis, gegen unsichere Beeinträchtigungen gebe es keinen Grundrechtsschutz. Gleichsam hilft der Hinweis auf eine „breite parlamentarische Mehrheit“ (wo immer 56 Zur Kontroverse um Art. 19 Abs. 2 GG m. w. N. auch Hochhuth, Relativitätstheorie (FN 46), S. 150 ff. 57 Exemplarisch hierzu BVerwG, NVwZ 2006, S. 1055 ff.; BVerwGE 87, 332 (375) im Falle des Fluglärms. 58 Vgl. BVerfGE 115, 118 ff.; zur Kritik Vosgerau (FN 23), S. 346 ff.; Isensee, FAZ v. 21. 01. 2008, S. 9; Ekardt / Kornack (FN 42), S. 349 ff.; Depenheuer, in: FS Josef Isensee, 2007, S. 43 ff. 59 Dass auch eine mögliche und nicht nur eine sichere Grundrechtsbeeinträchtigung zählt, war explizit Gegenstand der vorangegangenen Ausführungen. 60 Das entspricht 65.000 Toten allein in Deutschland, vgl. EU-Kommission, vorliegend zitiert nach http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2005/2005_104/01.html.

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der grundrechtliche Standort dieses Hinweises läge) nicht weiter, da sowohl die Feinstaub- als auch die Luftsicherheitspolitik in Deutschland und Europa über eine breite parlamentarische Mehrheit verfüg(t)en. Auch das Menschenwürdeprinzip trägt – trotz verbreiteter dahingehender Behauptung – keine gegenteilige Ansicht, da das Würdeprinzip weder eine als solche anwendbare Rechtsnorm darstellt noch grammatisch die Aussage „absolutes Verbot, jemandem zum Objekt zu machen“ haben kann61. Auch der etwas hilflos wirkende allgemeine Appell, eine Gesellschaft, die bestimmte Dinge nicht strikt verbiete, missachte die Autonomie, hilft nicht wirklich weiter. Werde ich etwa dadurch zum autonomen Individuum, dass es mein heiligstes Recht ist, nicht in einem Flugzeug abgeschossen zu werden und stattdessen 30 Sekunden später durch den Aufprall zu sterben? Absolute Abwägungsverbote kann es durchaus geben; allerdings müssen sie anders begründet werden als bisher üblich; so dürfte das absolute Folterverbot durch freiheitsbezogene Folgenerwägungen hinreichend zu rechtfertigen sein62. In die Falle vermeintlich „absoluter“, dabei aber grundrechtstheoretisch nicht zutreffend begründeter und außerdem doch wieder sehr vager Aussagen tappt demgegenüber nunmehr auch das Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang 2010.

61 Das Menschenwürdeprinzip ist selbst kein Freiheits- / Grund- / Menschenrecht. Dieses Prinzip ist sogar überhaupt keine auf konkrete Einzelfälle zugeschnittene Rechtsnorm, auch nicht eine solches des objektiven Rechts. Die Menschenwürde ist vielmehr der Grund – also die Begründung – der Freiheits- bzw. Menschenrechte, statt selbst ein Recht zu sein; sie dirigiert damit die Anwendung der anderen Normen, hier also der verschiedenen Freiheitssphären der betroffenen Bürger, und gibt die Autonomie als Leitidee der Rechtsordnung vor. Die „Unantastbarkeit“ der Würde und ihr auch in Normen wie Art. 1 Abs. 2 – 3 GG sichtbarer Charakter als „Grund“ der Rechte („darum“, also um der Würde willen, gibt es die Menschenrechte) zeigen, dass dies nicht nur philosophisch, sondern auch rechtsinterpretativ einleuchtet; dies verdeutlicht auch die EUGRC-Materialien-Formulierung von der Würde als „Fundament“. Dass in den EuGRC-Materialien wiederum auch von der Menschenwürde als „Recht“ die Rede ist, meint vor diesem Hintergrund, dass die Menschenwürde eine Art „Recht auf Rechte“ (Enders) darstellt. Zum diesbezüglichen Diskussionsstand Ekardt / Kornack (FN 42), S. 349 ff.; ähnlich Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997; siehe ferner Vosgerau (FN 23), S. 346 ff.; a. A. statt vieler Böckenförde, JZ 2003, S. 809 ff. – Dass die Würde ein subjektives Recht sei, behauptet auch das Bundesverfassungsgericht nicht; allerdings scheint das Gericht die Würde durchaus für eine anwendbare Rechtsnorm zu halten und darunter (bekanntlich) ein Verbot zu verstehen, den Menschen zum Objekt zu machen. 62 Nebenbei bemerkt könnte selbst der LuftSiG-Fall in BVerfGE 115, 118 ff. vielleicht doch noch als (gerade noch) überzeugende Entscheidung anzusehen sein, allerdings nicht wegen der Argumentation zur Menschenwürde: Eher schon können man den LuftSiG-Fall im geschehenen Sinne entscheiden, indem man sagt, dass die Tatsachensituation, dass man erstens wirklich und zweitens rechtzeitig einen Terrorfall vorher erkennt, einfach zu unwahrscheinlich ist, um ein solches Gesetz zu machen. – Zum absoluten Folterverbot vgl. Ekardt, Wird die Demokratie ungerecht?, 2007, Kap. III D.

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VI. Auswirkungen eines erweiterten Schutz„pflichten“und Abwägungskonzepts im einfachen Recht: Schutznormtheorie, Drittschutz, Kontrollumfang Ginge man mit umweltgrundrechtlichen Gehalten in der beschriebenen Weise um, so hat (bzw. hätte) dies auch – entgegen der Judikatur, die in einer gesetzes- und nicht fallrechtlichen Rechtsordnung, aber eben nicht per se „gilt“ (sondern lediglich einen konkreten Einzelfall verbindlich entscheidet) – nicht unerhebliche Auswirkungen im Bereich des Verwaltungsrechts. Dies war andernorts Gegenstand63 und wird hier nur sehr kursorisch skizziert. Die Standorte der grundrechtlichen Einwirkung sind dabei: (a) die Klagebefugnis bzw. die Rechtsverletzung bei Klagen; (b) die verfassungsrechtliche Prüfung und die verfassungskonforme Auslegung von Rechtsbegriffen; (c) und insbesondere auch die Beeinflussung jedweder Art von Ermessen / Abwägung / Verhältnismäßigkeitsprüfung im Verwaltungsrecht64. Einige Auswirkungen der vorliegend entwickelten Interpretation von Umweltgrundrechten im Verwaltungsrecht (national wie auch transnational) wären wohl die folgenden, da gewachsene Argumentationsfiguren wie „privates vs. öffentliches Interesse“, „kein Klagerecht bei gleichzeitiger Betroffenheit der Allgemeinheit“, „Vorrang der Abwehrrechte“ und „Vorsorge gibt keine Klagebefugnis“ – wenn das bis hierher Gesagte zuträfe – ihre rechtliche Begründung einbüßen würden: l

Einen „Anwendungsvorrang“ des einfachen Rechts65 vor den Grundrechten kann es nur bei Abwehr- und Schutzrechten gleichermaßen geben – oder gar nicht. Richtigerweise gibt es diesen Vorrang in beiden Fällen, soweit der Gesetzgeber eine nötige Grundrechtsabwägung in grundrechtskonformer Weise bereits ausgeübt und deren Ergebnis eben in Gestalt des einfachen Rechts „aufgeschrieben“ hat (ein Grenzwert, soweit er die Grundrechte wahrt, ist z. B. ein solches aufgeschriebenes Abwägungsergebnis des Gesetzgebers). Ob das einfache Recht ein Grundrecht insoweit 63

Vgl. dazu Ekardt, Information (FN 1), § 5. Noch einmal der Eingangsgedanke konkreter: Ermessen / Abwägung / Verhältnismäßigkeit sind innerhalb des Verwaltungsrechts in der Sicht einer multipolaren Rechtskonzeption sich stark ähnelnde Konzepte, die anhand von „Abwägungs„regeln klären, ob die Exekutive ihre Spielräume in einem bestimmten Rahmen ausgeübt hat. „Ermessen“ und „Abwägung“ (die für eine streng multipolare Rechtskonzeption keinen Unterschied mehr zueinander haben, da immer mit einer Mehrzahl betroffener – wenn auch nicht jedes Mal grundrechtlich gesicherter – Belange zu rechnen ist) signalisiert dabei, dass der Gesetzgeber die grundsätzliche Abwägung der betroffenen Belange nur teilweise vorgenommen und das Ausbalancieren folglich teilweise an die zuständige Behörde delegiert hat. Beim Raster „Verhältnismäßigkeit“ kann es dagegen auch um Fälle gehen, in denen der Gesetzgeber die nötigen Abwägungen bereits weitgehend zu treffen versucht hat; ebenfalls für eine stärkere Angleichung der verschiedenen Konzepte (in Anlehnung an das britische Recht) Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998. 65 Vgl. BVerwGE 27, 33; 41, 63; 52, 129 und seitdem st. Rspr. 64

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gewahrt hat, ist ggf. durch grundrechtskonforme Auslegung zu klären – allerdings bei Wirtschafts- und Umweltgrundrechten gleichermaßen. l

Folglich geben die Schutzgrundrechte ebenso wie die Abwehrgrundrechte eine Klagebefugnis, eine verfassungskonforme Auslegung, eine Einwirkung auf „nicht abschließend vom Gesetzgeber getroffene Abwägungen“ in Gestalt administrativer Ermessensspielräume usw. her.

l

Bei Abwehr- und Schutzgrundrechten gleichermaßen hängt die Einschlägigkeit (z. B. im Rahmen der Klagebefugnis) nicht – negativ – davon ab, ob außer dem Kläger zugleich eine größere „Allgemeinheit“ betroffen ist, aus der der Kläger sich heraushebt. Denn dies ändert nichts an der vorfindlichen Lage, wenn jemand eben einmal in einem Grundrecht betroffen ist.

l

Der Begriff Gemeinwohl bzw. öffentliches Interesse wäre wie gesehen anders zu interpretieren, wenn er denn im Recht einmal auftaucht (z. B. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).

Es sei noch einmal daran erinnert, dass (1) größere Gewaltenteilungs- und Abwägungsschwierigkeiten bei Schutz(grund)rechten (im Vergleich zu Abwehrrechten) auf einer unzutreffenden Wahrnehmung beruhen und deshalb auch im Verwaltungsrecht keine Einwände gegen die soeben aufgezählten Schlussfolgerungen ergeben. Unzutreffend wäre es auch (2) zu behaupten, dass die Anerkennung von Schutzrechten den Bürgern eine bestimmte Form des guten Lebens vorschriebe (was in der Tat illiberal wäre) und deshalb doch noch einmal überdacht werden müsse. Denn Schutzrechte sichern die Freiheit einfach nur gegen andere Schädiger: eben gegen die Mitbürger, anstatt allein den Staat für gefährlich zu erachten. Die Anerkennung von Schutzrechten bedeutet also mitnichten, dass fortan der Staat den Bürger zwangsbeglücken oder gegen sich selbst schützen müsse. Ein solcher „Schutz“ ist, obschon bei Anschnallpflicht, Peepshowverbot usw. immer wieder praktiziert, in der Tat mit liberalen Verfassungen kaum vereinbar. Dass zuletzt (3) auch eine Klageflut aufgrund einer solchen Neuinterpretation des Rechts weder empirisch zu erwarten ist, noch normativ eine Einschränkung des Klagerechts rechtfertigen würde, wurde andernorts vertieft. Diese gesamte Betrachtung kommt bisher in der juristischen Diskussion zu kurz zugunsten einer Dauerdebatte über die (umweltrechtliche) Verbandsklage, auch wenn die völkerrechtliche Aarhus-Konvention und die europarechtliche ÖffentlichkeitsRL – also das transnationale Verwaltungsrecht – hier eine Erweiterung vorgeben (die der deutsche Gesetzgeber bisher eher blockiert). Dabei ist auf mehrere Aspekte hinzuweisen, die andernorts näher beleuchtet66 und hier daher nur stichwortartig wiederholt werden – 66 Hierzu und zum Folgenden Ekardt / Schenderlein (FN 43), S. 1059 ff.; Ekardt, Information (FN 1), § 5; der bisher unter deutschen Juristen regelmäßig geführte Ver-

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auch auf diese Thematik stieß ich übrigens vor einigen Jahren durch eine Untersuchung von Wilfried Erbguth67: l

Bereits das transnationale Verwaltungsrecht (Aarhus-Konvention, ÖffentlichkeitsRL) gibt in den genannten Rechtstexten nicht nur eine erweiterte Verbands-, sondern auch eine erweiterte Individualklage vor – unabhängig von den Grundrechten.

l

Beinahe wichtiger als die Klagebefugnis der Verbands- und Individualklage (auf die die juristische Debatte fast ausschließlich schaut) erscheint freilich, dass europa- und völkerrechtlich der inhaltliche Erfolg solcher Umweltklagen nicht an unüberwindbaren Heilungs-, Unbeachtlichkeitsund Fristenregelungen für formelle und materielle Rechtsfehler scheitern darf (denn allein die Zulässigkeit einer Klage erreicht ökologisch nichts, wenn letztlich das inhaltliche Anliegen nicht oder nur vorübergehend erreicht wird). Hier ist das deutsche Recht – und die diesen Umstand weithin übergehende juristische Debatte – bislang problematisch. Und hier gebietet schon das zitierte europäische und internationale Verwaltungsrecht Abhilfe; diese Abhilfenotwendigkeit wird allerdings von den deutschen und europäischen Grundrechten (sowie objektiven EG-Primärrechtsprinzipien wie dem Vereitelungsverbot) unterstützt und durch die Abwägungslehre, wie andernorts näher erläutert, auch in ihrer Reichweite teilweise konkretisiert.

l

Auch jenseits von Unbeachtlichkeits- oder Heilungsvorschriften sind umweltrechtliche Verbands- und Individualklagerechte stets nur so stark wie das materielle Recht; dieses ist jedoch auf einfachrechtlicher Ebene oft nicht hinreichend stark, wie sich an der nach wie vor zweifelhaften ökologischen Gesamtbilanz westlicher Gesellschaften ablesen lässt. Ebenso wenig können verwaltungsgerichtliche Klagen auf Einhaltung des einfachen Rechts ein weiteres Grundproblem des Umweltschutzes in den Griff bekommen: das schleichende Wegwägen von Umweltbelangen „im Einzelfall“ in scheinbar „unwichtigen“ Fällen, die sich in ihrer Gesamtheit zu einer Ressourceninanspruchnahme in Europa summieren, die eben gerade nicht mehr dauerhaft und global lebbar und ergo nicht nachhaltig ist.

Genau hier verschafft eine ökologisierte Grundrechtsinterpretation dem materiellen Recht jedoch eine Stärkung (die die Verbandsklage nicht zu leisten vermag; abgesehen davon wird finanzielle und personelle Fähigkeit bandsklagediskurs findet sich am ausführlichsten dokumentiert bei Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008. 67 Vgl. nur Erbguth, Vereinbarkeit (FN 2), passim; dort zwar nicht zum EG-Sekundärrecht der ÖffentlichkeitsRL, wohl aber im selben inhaltlichen Kontext zu den EG-Primärrechtsprinzipien wie dem Vereitelungsverbot, die nun für die Interpretation dieses Sekundärrechts herangezogen werden können; vgl. Ekardt / Schenderlein (FN 43), S. 1059 (1063 ff.).

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der Verbände, real Verbandsklagen zu führen, von Freund und Feind notorisch überschätzt68). Denn Grundrechte können ein strengeres materielles Recht einfordern oder durch entsprechende Auslegung herbeiführen. Sie rechtfertigen also, wenn der durch die Abwägungsregeln gezogene Mindeststandard unterschritten ist (und das dürfte er im Klimaschutz sein), dass deutsche und europäische Verfassungsgerichte die Gesetzgebung anhalten, wirksamer tätig zu werden. Letzten Endes geht es bei der Nutzung von Ressourcen und Klima gesamtgesellschaftlich (besser gesagt: weltweit) dabei um eine quantitative Mengenbegrenzung und ein sukzessives Verringern der bisherigen Nutzungsquantität69. Dass die Gesetzgebung die Gesamtumweltinanspruchnahme so begrenzen muss, dass die elementaren Freiheitsvoraussetzungen dauerhaft und global allen Menschen zur Verfügung stehen, ist dann in der Tat eine Aussage der neu interpretierten Grundrechte.

68 Ein weiteres Verbandsklagenproblem – das allerdings auch Individualklagen betrifft – liegt darin, dass der notorische Personalmangel der Verwaltung dazu führen kann, dass eine erfolgreiche Verbandsklage Verwaltungskapazitäten an einer Stelle bindet und dadurch der Umweltrechtsvollzug einfach an einer anderen Stelle schlechter wird. 69 Zum Problem schon Ekardt / Schenderlein (FN 43), S. 1059 (1065); ein Konzept für Begrenzung und Preis (am Beispiel eines globalen Klimaschutzkonzepts für die Zeit nach 2012) entwickeln Wicke u. a., Beyond Kyoto, 2005; Ekardt, Cool Down (FN 6), Kap. 19 – 22.; Ekardt / von Hövel, Carbon & Climate Law Review 2009, 102 ff.; Berger, Der lange Schatten des Prometheus. Über unseren Umgang mit Energie, 2008; in den Grundintentionen ähnlich auch Kartha / Baer / Athanasiou, The Right to Development in a Climate Constrained World. The Greenhouse Development Rights Framework, Paper of the Heinrich-Böll-Stiftung, EcoEquity, and the Stockholm Environmental Institute, 2007.

Sonderformen umweltrechtlicher Genehmigungen Stand und Perspektiven Guy Beaucamp I. Einleitung Wilfried Erbguth hat sich schon früh um die Systematisierung des Umweltrechts verdient gemacht1 und das Vorhaben, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, stets mit Interesse begleitet und um eigene Beiträge bereichert2. Im Schnittpunkt von Umweltrecht und Allgemeinem Verwaltungsrecht, einem weiteren Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit Erbguths, liegen die Sonderformen der Genehmigung, mit denen sich der folgende Beitrag auseinandersetzt. Bereits vor dem Scheitern des Projekts eines umfassenden Umweltgesetzbuches im Februar 20093 war an dem diesbezüglichen Regierungsentwurf vom 20. Mai 2008 (UGB-RegE 2008)4 deutliche Kritik geübt worden. So hieß es in der Literatur, es ändere sich im Vergleich zum geltenden Recht kaum etwas Wesentliches5, oder, der UGB-Entwurf enthalte zwar positive Ansätze, bleibe aber weit hinter dem zurück, was erreichbar und konsensfähig gewesen wäre6. Die Kritik gipfelte in der Aussage, es sei besser, wenn der vorgelegte Entwurf nicht zum Grundgerüst des deutschen Umweltrechts werde7. Die Überzeugungskraft dieser Aussagen will der folgende Beitrag in Bezug auf einen kleinen Ausschnitt des UGB-RegE 2008 überprüfen. Es soll um die Sonderformen der Genehmigung gehen, die sich in § 55 und § 56 des UGB-RegE 2008 finden. Im Einzelnen handelt es sich um den Vorbescheid, 1

Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987. Zuletzt Erbguth / Schubert, NuR 2008, S. 474 ff. zur integrierten Vorhabengenehmigung; s. a. Erbguth, Die Umweltverträglichkeitsprüfung: Neuregelungen, Entwicklungstendenzen, 2003; ders., Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht, 2005; ders., Strategische Umweltprüfung, 2006. 3 Köck, ZUR 2009, S. 57 f.; Scheidler, UPR 2009, S. 173 ff., dort auch Ausführungen zu den Konsequenzen; s. a. Erbguth / Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, S. 44. 4 http://www.bmu.de/umweltgesetzbuch/downloads/doc/43250.php. 5 Rehbinder, in: Öko-Institut, KGV-Rundbrief 3 – 4 / 2008, S. 12 (19). 6 Winter, ZUR 2008, S. 337 (342). 7 Schrader, ZRP 2008, S. 60 (63). 2

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die Teilgenehmigung und die Zulassung des vorzeitigen Beginns. Hätte sich ein gesetzgeberischer Gewinn ergeben, wenn diese Regeln vom Parlament verabschiedet worden wären? Oder trifft die Behauptung der Kritiker auch auf diesen Detailbereich zu, es sei ohne Reformeifer der aktuelle status quo des Umweltrechts niedergelegt worden? In einem ersten Arbeitsschritt werden die drei besonderen Genehmigungsformen so vorgestellt, wie sie sich zur Zeit im Umweltrecht finden (II.). Anschließend wird zusammengetragen, was an der bestehenden Rechtslage kritisiert wird und welche Veränderungen diesbezüglich angeregt werden (III.). Ein dritter Arbeitsschritt vergleicht sodann die §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 mit dem geltenden Recht und den Reformanregungen (IV.), wobei die sinnvollen von den weniger plausiblen Vorschlägen zu sondern sind. Der Beitrag schließt mit einer zusammenfassenden Bewertung (V.).

II. Die Sonderformen der Genehmigung de lege lata Der Weg vom Antrag bis zur Genehmigung einer Anlage oder eines sonstigen umweltrelevanten Vorhabens kostet viel Zeit und ist mit dem Risiko des Scheiterns behaftet8. Um Lösungen zwischen den Extremen des Errichtungsverbots und der (vollständigen) Genehmigung zu ermöglichen9, haben sich drei Sonderformen im Vorfeld der eigentlichen Genehmigung etabliert.

1. Der Vorbescheid

Der aus dem Bauordnungsrecht stammende Vorbescheid10 beantwortet eine Teilfrage des geplanten Projekts, etwa die nach der Tauglichkeit eines Standorts oder der Zulässigkeit eines geplanten Anlagenkonzepts, abschließend und verbindlich11. Ein Vorbescheid, etwa nach § 9 BImSchG, § 57b Abs. 2 BBergG oder § 7a AtomG, stellt die zur Überprüfung gestellte Genehmigungsvoraussetzung positiv fest oder verneint sie, gestattet dem Antragsteller jedoch nicht, mit seinem Vorhaben zu beginnen12. Man kann ihn 8 Manten, DVBl. 2009, S. 213 (214); Kotulla, Wasserhaushaltgesetz, Kommentar, 1. Aufl. 2003, § 9a, Rdz. 2; Czychowski / Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 9. Aufl. 2007, § 9a, Rdz. 1. 9 So zu § 8a BImSchG Scheuing / Wirths, in: Koch / Scheuing, GK-BImschG, Loseblattkommentar, Stand 12 / 2007, § 8a, Rdz. 136. 10 Kutscheidt, FS Sendler 1991, S. 303 (307). 11 BVerwG, DÖV 1991, S. 841 (843); Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 9, Rdz. 2; Kutscheidt (FN 10), S. 303 (309); Lücke, Vorläufige Staatsakte, 1991, S. 1 f.; Ochtendung, Die Zulassung des vorzeitigen Beginns im Umweltrecht, 1998, S. 211; Sendler u. a., UGB-KomE, 1998, Begründung, S. 645; Wasielewski, in: Koch / Scheuing (FN 9), § 9, Rdz. 18 f. 12 BVerwG, NVwZ 2003, S. 750 (751); Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 2 u. § 9, Rdz. 1; Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 17 u. 26; Ochtendung (FN 11), S. 211; Dietlein, in: Land-

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als einen Ausschnitt13 oder als ein Puzzlestück der späteren Genehmigung charakterisieren. Auf den positiven Vorbescheid kann sich der Antragsteller zwei Jahre lang berufen. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Rechtslage innerhalb dieses Zeitraums ändern sollte14. Eine Verlängerung der Bindungswirkung um weitere zwei Jahre ist auf Antrag möglich15. Zu den Wirkungen des Vorbescheids zählt schließlich, dass er nach Eintreten der Bestandskraft diejenigen Einwendungen ausschließt, die im Verfahren zu seiner Erteilung bereits vorgebracht wurden oder nach den ausgelegten Unterlagen hätten vorgebracht werden können (§§ 11 BImSchG, 7b AtomG)16. Ein Vorbescheid setzt voraus, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an seinem Erlass darlegt17 und dem Gesamtvorhaben keine unüberwindlichen anderweitigen Hindernisse entgegen stehen (vorläufiges positives Gesamturteil)18. Falls die geplante Anlage in den Anwendungsbereich des UVPG fällt19, verlangt § 13 Abs. 1 UVPG schließlich20, dass der Erteilung des Vorbescheids eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorausgeht, die sich auf die nach dem Planungsstand erkennbaren Umweltauswirkungen erstreckt21. Im Ergebnis spart der Vorbescheid dem Antragsteller nicht unbedingt Zeit, jedenfalls aber frustrierte Vorbereitungen und Planungskosten22.

2. Die Teilgenehmigung

Teilgenehmigung und Vorbescheid haben gemeinsam, dass beide Ermessensentscheidungen sind, die nur auf Antrag ergehen. Ebenso wie beim Vormann / Rohmer, Umweltrecht, Loseblattkommentar, Stand 08 / 2008, § 9 BImSchG, Rdz. 2 u. 10; Rombach, Der Faktor Zeit im umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994, S. 203; Erbguth / Schlacke, (FN 3), S. 201. 13 BVerwGE 48, 242, 245; BVerwG, NJW 1984, S. 1473; Kutscheidt (FN 10), S. 303 (309). 14 BVerwGE 70, 365, 374; BVerwG, NJW 1984, S. 1473; Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 93; Jarass (FN 11), § 9, Rdz. 16. 15 § 9 Abs. 2 BImschG; § 7a Abs. 1 S. 2 AtomG. 16 Jarass (FN 11), § 11, Rdz. 10; Rombach (FN 12), S. 203; Ochtendung (FN 11), S. 212; detailliert Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 101 ff.; Dietlein (FN 12), § 11 BImSchG, Rdz. 12 ff. 17 Ochtendung (FN 11), S. 212. 18 Jarass (FN 11), § 9, Rdz. 8; Rombach (FN 12), S. 203; Erbguth / Schlacke (FN 3), S. 201; Ochtendung (FN 11), S. 210 u. 212; Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 24 f. u. 53; a.A. milderer Maßstab Dietlein (FN 12), § 9 BImSchG, Rdz. 43 ff. 19 §§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1, 3b bis 3 f. UVPG i.V. m. dem Katalog der Anlage 1 zum UVPG. 20 s. für das Immissionsschutzrecht auch § 23 Abs. 2 Nr. 5 der 9. BImSchV. 21 Vertiefend Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 67 ff.; Erbguth / Schink, UVPG, Kommentar, 2. Aufl. 1996, § 13, Rdz. 6 f.; Dietlein (FN 12), § 9 BImSchG, Rdz. 14 u. 56. 22 Ochtendung (FN 11), S. 211 f.; Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 15; Rombach (FN 12), S. 202 f.

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bescheid muss für die Teilgenehmigung, die etwa in § 8 BImSchG oder § 57b Abs. 2 BBergG geregelt ist und von §§ 7 Abs. 4 S. 3, 7b AtomG vorausgesetzt wird, ein berechtigtes Interesse dargelegt werden, der beantragte Teil muss genehmigungsfähig sein und die vorläufige Beurteilung des Gesamtvorhabens muss positiv ausgehen23. Die letztgenannte Voraussetzung bzw. ihre Bindungswirkung war24 und ist25 Gegenstand intensiver juristischer Auseinandersetzungen – sowohl bei der Teilgenehmigung als auch beim Vorbescheid. Die Kontroverse soll hier aber nicht verfolgt werden. Für die UVP, die sich vorläufig auf das Gesamtvorhaben und endgültig auf die Umweltauswirkungen des genehmigten Teils bezieht, gilt ebenfalls das zum Vorbescheid Ausgeführte26. Die Teilgenehmigung löst die gleiche Bestandskraftpräklusion aus wie der der Vorbescheid (§§ 11 BImSchG, 7b AtomG)27. Anders als der Vorbescheid klärt die Teilgenehmigung nicht eine einzelne Genehmigungsvoraussetzung, sondern erlaubt entweder die Errichtung eines vom Gesamtvorhaben abtrennbares Teilprojekts, etwa eines Kühlturms, oder die Errichtung und den Betrieb eines Teilprojekts oder sogar die Errichtung der Gesamtanlage28. Da der Antragsteller den genehmigten Teilabschnitt bereits errichten darf, spart er Zeit im Vergleich zu der Situation, dass er zunächst die Genehmigung für das Gesamtvorhaben abwarten müsste29. Andererseits geht er im Vergleich zum Vorbescheid ein gewisses Risiko ein. Die Bindungswirkung der Teilgenehmigung steht nämlich unter einem doppelten Vorbehalt30: zum einen darf sich weder die Sach- noch die Rechtslage ändern, zum anderen darf die weitere Prüfung bei späteren Teilgenehmigungen nicht zu einer Änderung der vorläufigen Gesamtbeurteilung führen.

23 Ochtendung (FN 11), S. 210; Dietlein (FN 12), § 8 BImSchG, Rdz. 24 ff.; Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 5 ff.; Erbguth / Schlacke (FN 3), S. 201; Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 24 ff.; Rombach (FN 12), S. 203 f. 24 s. z. B. BVerwG, DÖV 1991, S. 841 (842); BVerwGE 72, 300, 306 ff.; Kutscheidt (FN 10), S. 303 (312 ff.) m. w. N. aus der älteren Literatur u. Rspr. 25 Vallendar, FS Kutscheidt 2003, S. 77 (80); Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 8 ff. 26 § 13 Abs. 1 UVPG; s. a. § 22 Abs. 3 der 9. BImSchV; Dietlein (FN 12), § 8 BImSchG, Rdz. 123 f.; Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 110 f.; Erbguth / Schink (FN 21), § 13, Rdz. 8 ff. 27 Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 62 f. u. 86; Ochtendung (FN 11), S. 212. 28 Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 2 u. 24; Dietlein (FN 12), § 8 BImSchG, Rdz. 18 f.; Rombach (FN 12), S. 204; Erbguth / Schlacke (FN 3), S. 201; Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 20 ff. u. 60; Ochtendung (FN 11), S. 211. 29 Rombach (FN 12), S. 204; Dietlein (FN 12), § 8 BImSchG, Rdz. 1. 30 Dietlein (FN 12), § 8 BImSchG, Rdz. 80 ff.; Kutscheidt (FN 10), S. 303, 316; Vallendar (FN 25), S. 77 (87); Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 28.

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3. Die Zulassung des vorzeitigen Beginns

§ 8a BImSchG, § 9a WHG, § 33 KrW- / AbfG, § 14 Abs. 2 BWasserStrG sowie § 57b Abs. 1 BBergG regeln aktuell die letzte Vorform der Genehmigung. Diese ist wie die oben geschilderten Sonderformen antragsgebunden und steht im Ermessen der Behörde31. Wie bei der Teilgenehmigung geht es hier primär um Zeitgewinn32. Es liegt ein Antrag auf Genehmigung eines Projekts vor, mit dessen Ausführung, etwa den Bauarbeiten, oder sogar dem Betrieb der Antragsteller schon beginnen will, obwohl die Genehmigungsentscheidung noch nicht gefällt ist33. Die vorzeitige Zulassung erlaubt dies unter den Voraussetzungen, dass die Endentscheidung voraussichtlich zugunsten des Antragstellers ausgeht, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse des Antragstellers an der Beschleunigung vorliegt und der Antragsteller sich verpflichtet – ohne Rücksicht auf die Verschuldensfrage – eventuelle durch die vorzeitige Zulassung entstandene Schäden zu ersetzen sowie bei negativem Ausgang der Endentscheidung den früheren Zustand wiederherzustellen34. Um die letztgenannte Risikoübernahme vor allem im Insolvenzfall zu garantieren, darf die zuständige Behörde die Leistung einer Sicherheit verlangen, etwa in Gestalt einer Bankbürgschaft oder einer Haftpflichtversicherung35. Über die UVP-Pflichtigkeit der Zulassung eines vorzeitigen Beginns gibt es verschiedene Auffassungen. Manche halten das UVPG für gänzlich unanwendbar36. Zutreffend erscheint es zumindest, § 13 Abs. 1 UVPG nicht direkt anzuwenden, weil die vorzeitige Zulassung mangels verbindlicher Regelungswirkung nicht als Teilgenehmigung oder entsprechende Teilzulassung angesehen werden kann37. Befürwortet wird eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 13 Abs. 1 UVPG und damit eine vorläufige UVP, die für eine Prognose über die Zulässigkeit des Gesamtvorhabens aus31

Erbguth / Schlacke (FN 3), S. 201. BVerwG, DÖV 1991, S. 841 (842); OVG Greifswald, NVwZ 2002, S. 1258 (1259); Ochtendung (FN 11), S. 29 u. 211; Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 1; Sellner, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Loseblattkommentar, Stand 08 / 2008, § 8a BImSchG, Rdz. 2; Peper / Schomerus, UPR 1992, S. 9 (10); Paetow, in: Paetow / Kunig / Versteyl, KrW- / AbfG, 2. Aufl. 2003, § 33, Rdz. 1. 33 OVG Greifswald, NVwZ 2002, S. 1258 (1259); Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 30; Ochtendung (FN 11), S. 145 f.; Sellner (FN 32), § 8a BImSchG, Rdz. 14 u. 24. 34 Umfangreiche Analyse der Tatbestandsvoraussetzungen bei Ochtendung (FN 11), S. 57 ff.; Sellner (FN 32), § 8a BImSchG, Rdz. 38 ff.; Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 40 ff.; s. a. Jarass (FN 11), § 8a, Rdz. 8 ff. 35 Ochtendung (FN 11), S. 118; Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 9; Sellner (FN 32), § 8a BImSchG, Rdz. 81 f. 36 Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 23; Erbguth / Schink (FN 21), § 13, Rdz. 5 u. vor §§ 13 – 17, Rdz. 7a. 37 BVerwG, DÖV 1991, S. 841 (843); Peper / Schomerus (FN 32), S. 9 (10); Ochtendung (FN 11), S. 179 f.; a. A. Peters / Balla, UVPG, Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 2, Rdz. 43 u. § 18, Rdz. 27. 32

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reiche38. Die UVP müsse dann aber zumindest die Schritte „Vorlage der Unterlagen“, „Behördenabstimmung“ und „Erörterung der Einwendungen“ abgearbeitet haben, wobei bei kleineren Anlagen auf die Erörterung verzichtet werden könne39. Es gibt allerdings auch die Auffassung, dass wegen der fehlenden Regelung der Öffentlichkeitsbeteiligung die vorzeitige Zulassung UVP-pflichtiger Vorhaben generell ausscheide40. Damit wird der Anwendungsbereich der vorzeitigen Zulassung auf solche Vorhaben und Vorhabenteile beschränkt, die ohne UVP genehmigt werden könnten. Der wesentliche Unterschied zu den unter 1. und 2. geschilderten Sonderformen der Genehmigung liegt darin, dass die Zulassung des vorzeitigen Beginns jederzeit widerrufen werden kann41. Sie entfaltet folglich keine Bindungswirkung für die später zu treffende Genehmigungsentscheidung42. Vertrauen in ihren Bestand kann nicht entstehen und das Risiko der Abänderung liegt allein beim Unternehmer43. Konsequenterweise wirkt die Zulassung des vorzeitigen Beginns auch nicht präkludierend für spätere Einwendungen44.

III. Kritik am Status quo und Reformvorschläge Die praktische Bedeutung von Vorbescheid und Teilgenehmigung wird als sehr gering eingestuft45. Wasiliewski präsentiert Zahlenmaterial aus den letzten beiden Jahrzehnten für die Bundesländer Schleswig-Holstein, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen: nur in ca. 1% der immissionsschutzrechtlichen Verfahren ergingen Vorbescheide46. Die Teilgenehmigung kam in Brandenburg und Schleswig-Holstein 1998 immerhin auf einen Anteil von 10%, in Nordrhein-Westfalen aber nur auf einen Anteil von 1% an den immissionsschutzrechtlichen Verfahren47. Dennoch schlägt niemand die 38 Ochtendung (FN 11), S. 182; Peper / Schomerus (FN 32), S. 9 (11); ähnlich Sellner (FN 32), § 8a BImSchG, Rdz. 58 f.; Paetow (FN 32), § 33, Rdz. 21. 39 Peper / Schomerus (FN 32), S. 9 (11 u. 14); ähnlich Kotulla (FN 8), § 9a, Rdz. 13. 40 Jarass (FN 11), § 8a, Rdz. 2a. 41 § 8a Abs. 2 BImSchG; § 9a Abs. 1 WHG; § 33 Abs. 1 KrW- / AbfG; § 57b Abs. 1 BBergG. 42 BVerwG, DÖV 1991, S.841 (842 f.); OVG Greifswald, NVwZ 2002, S. 1258 (1260); VG Gießen, ZUR 2001, S. 229 (230); Ochtendung (FN 11), S. 137 u. 212; Czychowski / Reinhardt (FN 8), § 9a, Rdz. 4; Sellner (FN 32), § 8a BImSchG, Rdz. 106; Jarass (FN 11), § 8a, Rdz. 18; Paetow (FN 32), § 33, Rdz. 7 u. 23. 43 Ochtendung (FN 11), S. 138, 212 u. 314; Rombach (FN 12), S. 168; Kotulla (FN 8), § 9a, Rdz. 10; Jarass (FN 11), § 8a, Rdz. 9 u. 18. 44 Ochtendung (FN 11), S. 139, 212 u. 314; Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 117. 45 Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 16 u. 126, § 8, Rdz. 172; Dietlein (FN 12), § 9, Rdz. 30. 46 Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 126; schon früh wird die praktische Relevanz des Vorbescheides als gering bezeichnet Kutscheidt (FN 10), S. 303 (310). 47 Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 172.

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völlige Abschaffung dieser Rechtsinstitute vor48, vielleicht auch deswegen, weil Vorbescheid und Teilgenehmigung als antragsgebundene Ermessensentscheidungen nur Angebote an die Vorhabenträger darstellen. Dass das Gesamtvorhaben zumindest vorläufig positiv beurteilt werden muss, bevor eine Teilgenehmigung bzw. ein Vorbescheid ergehen kann, wird vielfach kritisiert, weil die Prognose viel Zeit koste und bisweilen von einer Vollprüfung nicht unterscheidbar sei49. Vallendar schlägt insoweit vor, § 8 S. 2 BImSchG ersatzlos zu streichen50 und so den komplizierten Streit um die Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils bei der Teilgenehmigung mit einem Federstrich des Gesetzgebers zu beseitigen. Wenn ein Vorhabenträger Investitionssicherheit dringend brauche, könne er Einzelfragen im Wege des Vorbescheids klären51. An der Teilgenehmigung wird ferner bemängelt, dass eine zu starke Stückelung – manchmal wurden mehr als 20 Einzelteile genehmigt – zu Unübersichtlichkeit führe und den Rechtsschutz Dritter erschwere52. Deshalb sei eine Beschränkung auf maximal drei oder vier53 Teilgenehmigungen sinnvoll. Zudem erscheint ein Missbrauch dieses Rechtsinstituts nicht abwegig, wenn man bedenkt, dass das Kernkraftwerk Obrigheim aufgrund einer Teilerrichtungsgenehmigung über 20 Jahre lang im „Probebetrieb“ lief54. In Bezug auf die praktische Bedeutung der vorzeitigen Zulassung liegt kein belastbares Zahlenmaterial vor. Die vereinzelten Stellungnahmen und Daten aus den neunziger Jahren lassen indes die Vermutung zu, dass dieses Rechtsinstitut mehr Anklang findet als die Teilgenehmigung und der Vorbescheid55. Der Zulassung des vorzeitigen Beginns wird vor allem vorgeworfen, sie löse die Gefahr einer faktischen Bindung der Genehmigungsbehörde aus, die davor zurückscheue, „vollendete Tatsachen“ wieder zu beseitigen56. Eine ähnliche Gefahr wird auch bei der Teilgenehmigung vermutet57. 48 Schon Kutscheidt (FN 10), S. 303 (320) meint, das gestufte Genehmigungsverfahren sei aus der Genehmigungspraxis nicht mehr wegzudenken. 49 Dietlein (FN 12), § 8, Rdz. 11; Rombach (FN 12), S. 204; Wasielewski (FN 11), § 9, Rdz. 128. 50 Vallendar (FN 25), S. 77 (88 u. 91). 51 Vallendar (FN 25), S. 77 (88). 52 Kutscheidt (FN 10), S. 303 (309 f. u. 317); Sendler u. a., UGB-KomE (FN 11), S. 646; Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 15; Vallendar (FN 25), S. 77 (89). 53 So ausdrücklich Sendler u. a., UGB-KomE (FN 11), § 93 Abs. 3; Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 15. 54 BVerwG, NVwZ 2001, S. 567 f.; Ochtendung (FN 11), S. 301 mit FN 63; Vallendar (FN 25), S. 77 (81); Rombach (FN 12), S. 170. 55 s. i.E. Ochtendung (FN 11), S. 281 ff. m. w. N.; Paetow (FN 32), § 33, Rdz. 6. 56 Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 144; Kotulla (FN 8), § 9a, Rdz. 9; Peper / Schomerus (FN 32), S. 9 (12); Rombach (FN 12), S. 168; Czychowski / Reinhardt (FN 8), § 9a, Rdz. 9; Ochtendung (FN 11), S. 315.

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Ferner wird die Befürchtung geäußert, dass im Probebetrieb bereits so gravierende Schäden entstehen, dass diese – trotz der Schadensersatz- und Wiederherstellungsverpflichtung des Antragstellers – irreversibel sind58. Wohl auch deshalb wird eine Ausdehnung dieses Rechtsinstituts auf das Atomgesetz abgelehnt59. Schließlich werden die fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung und die fehlende Rechtsschutzmöglichkeit von Nachbarn bei der vorzeitigen Zulassung als negativ bewertet60. Denn die Vorschriften über die vorzeitige Zulassung vermitteln nach Auffassung der Gerichte keinen Drittschutz61. An Reformvorschlägen zur Zulassung des vorzeitigen Beginns findet sich folgendes: In Anlehnung an § 9a WHG und § 33 KrW- / AbfG solle auch der Anwendungsbereich des § 8a BImSchG über den Probebetrieb hinaus auf den Normalbetrieb erweitert werden62. Zudem solle die vorzeitige Zulassung auf gentechnische Anlagen ausgedehnt werden63, und ihre Aufnahme in einen Allgemeinen Teil eines UGB wird ausdrücklich befürwortet64.

IV. Die Sonderformen der Genehmigung im UGB-Regierungsentwurf 2008 Da nicht jeder den Regierungsentwurf für ein Umweltgesetzbuch vom 20. Mai 2008 griffbereit haben wird, seien die nun zu diskutierenden Bestimmungen zunächst wörtlich wiedergegeben: § 55 Vorbescheid, Teilgenehmigung (1) Auf Antrag des Vorhabenträgers kann bei einem berechtigten Interesse 1. über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort vorab entschieden werden (Vorbescheid) oder 2. eine Genehmigung für einen Teil des Vorhabens erteilt werden (Teilgenehmigung), wenn die Genehmigungsvoraussetzungen hinsichtlich des Gegenstandes der Entscheidung vorliegen und eine vorläufige Prüfung ergibt, dass der Durchführung des gesamten Vorhabens keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse im Hinblick auf die Erteilung der Genehmigung entgegenstehen. Ist eine Gewässerbenutzung Teil des Vorhabens, ist auf Antrag für die gesamte Anlage eine Teilgenehmigung zu erteilen, wenn hierfür die Voraussetzungen nach Satz 1 erfüllt sind. 57 Jarass (FN 11), § 8, Rdz. 8; Wasielewski (FN 11), § 8, Rdz. 16; s. a. BVerfGE 53, 30, 50 f. 58 Rombach (FN 12), S. 168. 59 Ochtendung (FN 11), S. 301 f. 60 Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 144; Rombach (FN 12), S. 168. 61 BVerwG, DÖV 1991, S. 841 (842 f.); VG Gießen, ZUR 2001, S. 229 (230). 62 Ochtendung (FN 11), S. 289 ff. 63 Ochtendung (FN 11), S. 303 f. u. 316. 64 Ochtendung (FN 11), S. 306 f., 309 u. 316.

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(2) Vorbescheid und erste Teilgenehmigung dürfen nur nach Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt werden, sofern eine solche nach den §§ 79 bis 83 erforderlich ist. Die Umweltverträglichkeitsprüfung hat sich im Rahmen der vorläufigen Prüfung nach Absatz 1 auf die nach dem jeweiligen Planungsstand erkennbaren Umweltauswirkungen des Gesamtvorhabens zu erstrecken. Sie ist im Hinblick auf die Umweltauswirkungen, über die der Vorbescheid oder die Teilgenehmigungen endgültig entscheiden, abschließend. Bei weiteren Teilgenehmigungen soll die Prüfung der Umweltverträglichkeit auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt werden; die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend. (3) Der Vorbescheid wird unwirksam, wenn der Antragsteller nicht innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit die Genehmigung beantragt. Die Frist kann auf Antrag auf vier Jahre verlängert werden. (4) Bei einem Vorbescheid oder einer Teilgenehmigung entfällt die Bindungswirkung der vorläufigen Gesamtbeurteilung, wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder Einzelprüfungen im Rahmen einer späteren Genehmigung oder späterer Teilgenehmigungen zu einer von der vorläufigen Gesamtbeurteilung abweichenden Beurteilung führen. (5) Ist ein Vorbescheid oder eine Teilgenehmigung erteilt worden, können nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit im weiteren Verfahren zur Genehmigung des Vorhabens Einwendungen nicht mehr auf Grund von Tatsachen erhoben werden, die im vorhergehenden Verfahren fristgerecht vorgebracht worden sind oder nach den ausgelegten Unterlagen hätten vorgebracht werden können. § 56 Vorzeitiger Beginn (1) In einem Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung kann die Genehmigungsbehörde auf Antrag vorläufig zulassen, dass bereits vor Erteilung der Genehmigung mit der Errichtung einer Anlage einschließlich der Maßnahmen, die zur Prüfung ihrer Betriebstüchtigkeit erforderlich sind, oder mit der Benutzung eines Gewässers begonnen wird, wenn 1. mit einer Entscheidung zugunsten des Vorhabenträgers gerechnet werden kann, 2. an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse oder ein berechtigtes Interesse des Vorhabenträgers besteht und 3. der Vorhabenträger sich verpflichtet, alle bis zur Entscheidung durch das Vorhaben verursachten Schäden zu ersetzen und, falls die Genehmigung nicht erteilt wird, den früheren Zustand wiederherzustellen. Soweit nach den §§ 79 bis 83 für das Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, liegen die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 nur dann vor, wenn die Genehmigungsbehörde auf Grundlage der Antragsunterlagen nach § 85, der behördlichen Stellungnahmen nach den §§ 89 und 104 Abs. 1 sowie den Einwendungen der Öffentlichkeit nach den §§ 93 und 105 die zu erwartenden Umweltauswirkungen für diejenigen Teile des Vorhabens, die Gegenstand der Zulassung des vorzeitigen Beginns sein sollen, bewertet und dieses Ergebnis bei der Entscheidung nach Satz 1 Nr. 1 berücksichtigt wird. Für die Prüfung auf Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets nach § 34 des Dritten Buches Umweltgesetzbuch gilt Satz 2 entsprechend. (2) Bei in einem vereinfachten Verfahren zu genehmigenden Anlagen, über deren Änderung ebenfalls in einem vereinfachten Verfahren zu entscheiden ist, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 zugelassen werden, dass bereits vor Erteilung der Genehmigung mit der Änderung begonnen wird. Die

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Guy Beaucamp Genehmigungsbehörde hat über den Antrag nach Satz 1 innerhalb eines Monats zu entscheiden. (3) Die Zulassung des vorzeitigen Beginns kann jederzeit mit Nebenbestimmungen versehen oder widerrufen werden. (4) Die Genehmigungsbehörde kann die Leistung einer Sicherheit verlangen, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der Verpflichtungen aus Absatz 1 Nr. 3 sicherzustellen.

1. Parallelen zum geltenden Recht

Abgesehen von der Zusammenfassung von Vorbescheid und Teilgenehmigung in einer Vorschrift, bestätigt die erste Lektüre der §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 die Aussagen der Begründung zum Regierungsentwurf, die von einer weitgehenden Orientierung am vorhandenen Recht sprechen65. Insbesondere die Struktur als antragsgebundene Ermessensentscheidungen und die Formulierungen von Tatbeständen und Rechtsfolgen entsprechen weitgehend der geltenden Rechtslage. Parallelen zwischen dem geltenden Recht und dem Entwurf finden sich bis in die Details, etwa bei der Geltungsdauer des Vorbescheids (§ 55 Abs. 3 UGB-RegE 2008), der Bestandskraftpräklusion (§ 55 Abs. 4 UGB-RegE 2008) sowie der Möglichkeit, bei Zulassung des vorzeitigen Beginns eine Sicherheit zu verlangen (§ 56 Abs. 4 UGB-RegE 2008). Hinsichtlich der Bindungswirkung der vorläufigen Gesamtbeurteilung im Rahmen der Teilgenehmigung übernimmt der Regierungsentwurf in § 55 Abs. 4 die Formulierung des § 8 S. 2 BImSchG, dehnt sie allerdings auf den Vorbescheid aus. Da diese Parallelität aber auch bislang angenommen wurde66, ergibt sich keine große Veränderung. Jedenfalls hat der Vorschlag Vallendars, § 8 S. 2 BImSchG abzuschaffen, zu Recht keinen Anklang gefunden. Denn der Verweis auf den Vorbescheid beseitigt die Schwierigkeiten mit der Bindungswirkung des vorläufigen Gesamturteils nicht.

2. Nicht übernommene Reformanregungen

Nicht aufgegriffen wurde die vernünftige Anregung, die Zahl der Teilgenehmigungen zu begrenzen. In der Entwurfsbegründung heißt es dazu immerhin, dass es im Ermessen der Genehmigungsbehörde stehe, eine zu kleinteilige Stückelung des Vorhabens abzulehnen67. Der Gefahr, dass die faktische Errichtung bzw. Teilerrichtung einer Anlage quasi normative Wirkung erhält, weil die Behörden davor zurückschre65 http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/begründung/pdf/ugb1_allgem_vorschriften, S. 187 u. 188. 66 Jarass (FN 11), § 9, Rdz. 8. 67 http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/begründung/pdf/ugb1_allgem_vorschriften, S. 188.

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cken, den Rückbau bzw. Teilrückbau anzuordnen, wird vom Entwurf nicht ausdrücklich begegnet. Es erscheint aber höchst zweifelhaft, ob Gesetzesformulierungen diesem Risiko abhelfen können, weil es von der tatsächlichen Verwaltungspraxis abhängt. Bei der Zulassung eines vorzeitigen Beginns ist die fehlende rechtliche Bindungswirkung durch § 56 Abs. 3 UGB-RegE ebenso eindeutig normiert wie etwa bei § 8a Abs. 2 BImSchG. Insoweit einen stärkeren Rechtsschutz zuzulassen, würde den Sinn dieses Rechtsinstituts vereiteln. Keinen Anklang fand ferner der Vorschlag, den Anwendungsbereich der vorzeitigen Zulassung von Anlagen über den Probebetrieb hinaus auf den Normalbetrieb auszudehnen. Diese Zurückhaltung erscheint allerdings angesichts der gerade geschilderten „normativen Kraft der faktisch errichteten und betriebenen Anlage“ gut begründbar68. Hinsichtlich der vorzeitigen Zulassung wurde schließlich der Kritik an möglichen irreversiblen Schäden nicht Rechnung getragen. Diese sind jedoch mit rechtlichen Mitteln, wenn man von der Abschaffung des Rechtsinstituts absieht, nicht kontrollierbar und können auch nach einer endgültigen Genehmigung auftreten. Zudem ist zumindest in der immissionsschutzrechtlichen Praxis bislang kein Fall bekannt geworden, in dem die Schadensersatz- und Wiederherstellungspflicht des Vorhabenträgers nach § 8a Abs. 1 Nr. 3 BImSchG relevant wurde69.

3. Neuerungen

Neu ist die ausdrückliche Ausdehnung des Vorbescheids und der Teilgenehmigung auf das Wasserrecht (§ 55 Abs. 1 S. 2 UGB-RegE 2008). Allerdings wurde die Befugnis der wasserrechtlichen Behörden, Teilentscheidungen zu fällen, schon bislang aus den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechts abgeleitet und überwiegend für zulässig gehalten70. Da die §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 im Kapitel über die Integrierte Vorhabengenehmigung stehen, gelten sie innerhalb des in § 49 UGB-RegE 2008 geregelten Anwendungsbereichs dieses Rechtsinstituts. Damit erfassen sie neben den immissionsschutzrechtlichen Anlagen und wasserrechtlichen Benutzungen auch Deponien und Abfallentsorgungsanlagen71. Ausgeklammert bleiben indes Anlagen, die dem Atomrecht unterfallen, alle Bergbau68 Ausdrücklich zur diesbezüglichen Zurückhaltung mahnend Scheuing / Wirths (FN 9), § 8a, Rdz. 146. 69 Ochtendung (FN 11), S. 285. 70 Ochtendung (FN 11), S. 209; Czychowski / Reinhardt (FN 8), § 9, Rdz. 7. 71 § 49 Abs. 1 Nr. 3 UGB RegE 2008.

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Guy Beaucamp

projekte sowie Verkehrsprojekte72. Auch das Gentechnikrecht wird von §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 nicht erfasst. Der beschränkte Anwendungsbereich der integrierten Vorhabengenehmigung führt dazu, dass das Genehmigungsverfahren im deutschen Umweltrecht nicht deutlich vereinfacht und vereinheitlicht wird73. Diese Schlussfolgerung trifft auch auf die Sonderformen der Genehmigung zu. Eine sinnvolle Klarstellung enthält indes § 56 Abs. 1 S. 2 UGB-RegE 2008 hinsichtlich der UVP bei der vorzeitigen Zulassung. Für diejenigen Abschnitte eines UVP-pflichtigen Vorhabens, die vorab in Angriff genommen werden sollen, müssen behördliche Stellungnahmen und die Einwendungen der Öffentlichkeit zu den Antragsunterlagen vorliegen, bevor die Genehmigungsbehörde entscheiden darf. Diese Regelung hätte eine vernünftige Kompromisslösung in dem unter III. geschilderten Streit über die Anwendbarkeit des UVPG auf die Zulassung des vorzeitigen Beginns geboten. Generell würde die Aufnahme der Vorschriften zur UVP in § 55 Abs. 2 und § 56 Abs. 1 S. 2 UGB-RegE 2008 mehr Übersichtlichkeit schaffen als die bisherige Rechtslage, die diese Normen in § 13 UVPG und §§ 22, 23 der 9. BImSchV auslagert bzw. zu der Frage schweigt74. Positiv erscheint auch das Detail, dass Deponien nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 UGB-RegE 2008 auch bei einem berechtigten privaten Interesse des Vorhabenträgers vorzeitig zugelassen werden dürften. Bislang – und diese Beschränkung wurde angesichts der starken Privatisierung im Bereich der Abfallentsorgung zu Recht kritisiert75 – konnte dies nur bei einem öffentlichen Interesse an einem vorzeitigen Beginn geschehen (vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 2 KrW- / AbfG). V. Fazit In der Gesamtbetrachtung der §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 überwiegen die Parallelen zum geltenden Recht. Die unter IV. 3. geschilderten Neuregelungen betreffen Einzelheiten, erweisen sich jedoch als sinnvoll. Dass es einige Verbesserungsvorschläge aus der Literatur nicht in den Gesetzesentwurf geschafft haben (IV. 2.), lässt sich – abgesehen von der Begrenzung der Zahl der Teilgenehmigungen – plausibel begründen. Soll man nun – in Bezug auf den sehr beschränkten Untersuchungsgegenstand – in den Chor derjenigen einstimmen, die beklagen, dass eine umweltrechtliche Revolution nicht stattgefunden habe? Ich meine, dass zu tiefer Enttäuschung kein Anlass be72

§ 49 Abs. 2 UGB RegE 2008. Erbguth / Schubert (FN 2), S. 474 (479); Schrader (FN 7), S. 60 (61). 74 Die Verzahnung von integriertem Umweltschutz und UVP bewertet auch Rehbinder (FN 3), S. 12 (18) als positiv. 75 Ochtendung (FN 11), S. 292. 73

Sonderformen umweltrechtlicher Genehmigungen

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steht. Vorbescheid, Teilgenehmigung und die Zulassung des vorzeitigen Beginns sind drei seit vielen Jahren etablierte Vorformen der Genehmigung. Dass der UGB-Entwurf insoweit das Rad neu erfindet, war nicht zu erwarten. Es kann nur um kleinschrittige Verbesserungen gehen, die §§ 55, 56 UGB-RegE 2008 in akzeptablem Umfang geleistet hätten.

Das neue BNatSchG und die Handlungsspielräume der Länder Frank Stollmann

Im November 2007 hatte das BMU einen Referentenentwurf für ein Umweltgesetzbuch (UGB) vorgelegt. Dem folgte im Mai 2008 ein überarbeiteter Entwurf für ein UGB 2009. Als geplantes drittes Buch der Kodifikation ist darin auch ein Gesetzesentwurf für die Materie „Naturschutz und Landschaftspflege“ enthalten gewesen, der nach der Abschaffung der Rahmengesetzgebung durch die Föderalismusreform 2006 erstmals als Entwurf einer Vollregelung konzipiert war. Nach dem Scheitern der Bemühungen um ein UGB hatte das Kabinett Entwürfe für vier einzelne Änderungen des Umweltrechts beschlossen und auf den Weg gebracht. Dazu gehörte auch ein Entwurf für ein neues Bundesnaturschutzrecht. Im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens mit zahlreichen Änderungen versehen ist das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ nunmehr verabschiedet worden. Artikel 1 dieses Gesetzes ist das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG). Der Beitrag widmet sich den Inhalten des neuen Bundesrechts und den verbleibenden Handlungsspielräumen der Länder1.

I. Föderalismusreform, Umweltgesetzbuch und das neue BNatSchG 1. Föderalismusreform

Als Ergebnis der Föderalismusreform wurde die bisherige Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG a.F.) abgeschafft und die Kompetenz zur Gesetzgebung für den Naturschutz und die Landschaftspflege – bislang in Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG a.F. dem Bund als Rahmenkompetenz zugewiesen – der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG)2. Damit 1 Dies insbesondere vor dem Hintergrund des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) vom 29. 07. 2009, BGBl. I S. 2542. 2 Vgl. Erbguth / Schlacke, Umweltrecht, 2. Aufl. 2008, § 4 Rn. 46 f.; zur Föderalismusreform speziell für den Bereich des Umweltrechts vgl. Erbguth, Zur Föderalismusreform im Bereich Umwelt, insbesondere Raumordnung, in: FS Rengeling, 2008, S. 35 ff.

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Frank Stollmann

darf der Bund für diesen Bereich nunmehr eine Vollregelung treffen. Da der Naturschutz und die Landschaftspflege nicht zu den zustimmungspflichtigen Sachmaterien gehören (vgl. Art. 74 Abs. 2 GG), ist der Bund für seine Gesetzgebung auf die Zustimmung des Bundesrates nicht angewiesen (Art. 77 GG). Zudem erfolgte die Verlagerung dieser Materien in die konkurrierende Regelungskompetenz des Bundes ohne die Einschränkung der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG3. Zum Ausgleich dieses Kompetenzverlustes wurde den Ländern ein neu konzipiertes Abweichungsprivileg zugestanden. Die Länder können demnach von der ihnen kraft Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG zustehenden Befugnis zur Abweichungsgesetzgebung Gebrauch machen. Das Recht zur Abweichungsgesetzgebung erstreckt sich allerdings nicht auf „die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes“ (vgl. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG, sog. abweichungsfeste Kerne). Es kommt in zeitlicher Hinsicht hinzu, dass Bundesgesetze in dem hier diskutierten Sachgebiet kraft Art. 72 Abs. 3 S. 2 GG – vorbehaltlich abweichender Regelungen mit Zustimmung des Bundesrates – frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft treten. Auf diese Weise soll den Ländern ein Zeitrahmen für die Entscheidung über Abweichungen eröffnet werden4. Und schließlich bestimmt Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG, dass – soweit Bund und Länder von ihren jeweiligen Gesetzgebungszuständigkeiten Gebrauch gemacht haben – im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils später gesetzte Recht vorgeht (sog. lex-posterior-Regel). Die allgemeine Kollisionsregelung zugunsten des Bundesrechts (Art. 31 GG) wird also für diese Fälle außer Kraft gesetzt. 2. Umweltgesetzbuch

Vor diesem kompetenzrechtlichen Hintergrund sollten nach den ursprünglichen Planungen des Bundesumweltministeriums (BMU) 2009 die ersten sechs Bücher eines künftigen Umweltgesetzbuches (UGB) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Bestandteil dieser Kodifikation war auch das Naturschutzrecht (als Drittes Buch – UGB III –)5, das nach der skizzierten Föderalismusreform von den erweiterten Gestaltungsspielräumen des Bundesgesetzgebers umfasst war. Um das Kodifikationsvorhaben aus dem Wahlkampf zum Ende der 16. Legislaturperiode herauszuhalten6, nahm Anfang 2006 eine Projektgruppe im Bundesministerium für 3 Vgl. Becker, DVBl. 2010, S. 754; Sangenstedt, ZUR 2007, S. 505 (506); Szcekulla, DVBl. 2008, S. 300 (301). 4 Vgl. BT-Drs. 16 / 813, S. 11; dazu Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804); Häde, JZ 2006, S. 930 (932); zur „Auskömmlichkeit“ dieses Rahmens vgl. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (491); Haug, DÖV 2008, S. 851 (854). 5 Vgl. dazu Guckelberger, NVwZ 2008, S. 1161 (1167); Kloepfer, Die Verwaltung 41 (2008), S. 195 (217 ff.).

Das neue BNatSchG und die Handlungsspielräume der Länder

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Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die Arbeit zur Erfüllung dieses Auftrags unter Beteiligung aller betroffenen Kreise auf7. Im November 2007 präsentierte das BMU dann seinen Entwurf eines UGB und diskutierte diesen mit den anderen Bundesministerien. Im Mai 2008 stellte das BMU eine überarbeitete Fassung dieses Entwurfs zur Diskussion mit den Ländern und weiteren betroffenen Akteuren, wie den Industrie- und Umweltverbänden8. Die vorgelegten fünf Bücher des UGB sollten, da es in der 16. Legislaturperiode nicht möglich sein würde, ein umfassendes UGB zu schaffen, zunächst vorrangige, zentrale Bereiche des Umweltrechts regeln9: Der Entwurf enthielt ein UGB I mit den allgemeinen Zielen und Grundsätzen des Umweltrechts, den sonstigen fachübergreifenden Umweltmaterien, wie die strategische Umweltverträglichkeitsprüfung (SUP), die öffentlich-rechtliche Umwelthaftung, den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten und das vorhabenbezogene Umweltrecht. Das UGB I sollte zudem die integrierte Vorhabengenehmigung ins vorhabenbezogene Umweltrecht einführen10. Das UGB II (Wasserwirtschaft) und das UGB III (Naturschutz) sollten erstens notwendiger fachrechtlicher Konkretisierung des Ersten Buches dienen. Zweitens hätte der Gesetzgeber durch sie den aus der Verfassungsreform abgeleiteten Auftrag zur Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechts in diesen Gebieten erfüllt. Das UGB IV (Strahlenschutz / nichtionisierende Strahlen) sollte den bisher fehlenden allgemeinen Rechtsrahmen für den Schutz der Bevölkerung vor nichtionisierender Strahlung schaffen und das UGB V (Emissionshandel) Teile des geltenden Energierechts ohne nennenswerte inhaltliche Abweichungen und lediglich unter Anpassung an die Begrifflichkeiten des Ersten Buches in das Gesamt-UGB überführen11. Ein Einführungsgesetz (EG UGB) hätte alle berührten Rechtsvorschriften an das künftige UGB angepasst. In diesem Zusammenhang sollten Folgeänderungen im 6 Der CDU / CSU / SPD-Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 beschreibt die „Neuordnung des Umweltrechts“ als Aufgabe für die 16. Legislaturperiode wie folgt: „Das historisch gewachsene, zwischen verschiedenen Fachgebieten sowie zwischen Bund und Ländern stark zersplitterte Umweltrecht entspricht nicht den Anforderungen an eine integrierte Umweltpolitik: Das deutsche Umweltrecht soll vereinfacht und in einem Umweltgesetzbuch zusammengefasst werden. Die verschiedenen Genehmigungsverfahren sind im Rahmen eines Umweltgesetzbuchs durch eine integrierte Vorhabengenehmigung zu ersetzen.“ 7 Zur Gesamtentwicklung des UGB-Projektes seit 1976 vgl. Erbguth / Schlacke (FN 2), § 2 Rn. 11 f.; Guckelberger (FN 5), S. 1161 f.; Kloepfer (FN 5), S. 195 (199 f.). 8 Dazu Guckelberger (FN 5), S. 1161 (1162). 9 Vgl. Kloepfer (FN 5), S. 195 (205 f.). Abgerundet werden sollte das Paket ursprünglich auch durch ein UGB VI mit Regelungen zu den erneuerbaren Energien (allgemein dazu Erbguth / Schlacke [FN 2], § 16 Rn. 9; Oschmann / Sösemann, ZUR 2007, S. 1), später sollten weitere Bücher folgen, etwa zum gebiets- und verkehrsbezogenen Immissionsschutz, dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht oder dem Bodenschutzrecht (Guckelberger [FN 5], S. 1161 [1163]). 10 Dazu vgl. Sangenstedt (FN 3), S. 505. 11 Allgemein dazu Erbguth / Schlacke (FN 2), § 9 Rn. 6; Knopp, EuZW 2005, S. 616; Frenz, ZUR 2006, S. 393; Ehrmann, ZUR 2006, S. 410; Marr / Wolke, NVwZ 2006, S. 1102.

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Frank Stollmann geltenden umweltrelevanten Fachrecht (Änderungs- und Aufhebungsvorschriften), Übergangs- und Inkrafttretensregelungen vorgenommen werden.

3. Das neue Bundesnaturschutzgesetz

Trotz intensiver Abstimmung der Entwürfe mit allen maßgeblichen Akteuren konnte sich die Bundesregierung letztlich nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen12. Auch in der 16. Legislaturperiode konnte kein UGB vorgelegt werden. Stattdessen wurden kurz nach dem Scheitern der diesbezüglichen Bemühungen vier sogenannte UGB-Nachfolgegesetze in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Es handelt sich hierbei um das Gesetz zur Rechtsbereinigung im Umweltrecht, das Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts13, das Gesetz zur Ablösung des Bundesnaturschutzgesetzes und das Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung14. Im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens mit zahlreichen Änderungen versehen15 ist das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege“16 nunmehr im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Durch das Artikelgesetz werden zahlreiche umweltrechtliche Gesetze novelliert, Artikel 1 des Gesetzes beinhaltet das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG). II. Allgemeine Vorfragen Unabhängig von den materiellrechtlichen Einzelfragen bei der Ausgestaltung des neuen Bundesnaturschutzrechts sind in den letzten Jahren vor allem zwei übergreifende Fragestellungen intensiv diskutiert worden, die letztlich ineinandergreifen: die Vollzugsproblematik und die Standardverschärfungen. Beides ist mit der nunmehrigen Novelle nicht zufriedenstellend gelöst. Das Vollzugsdefizit im Umweltschutzrecht und vor allem im Naturschutzrecht wird allenthalben beklagt17. Verschiedene empirische Untersuchungen belegen die teilweise gravierenden Defizite bei der Umsetzung naturschutzrechtlicher Regelungen. Zwar ließen sich in den letzten Jah12

Vgl. Weber / Riedel, NVwZ 2009, S. 998. Vom 29. 07. 2009, BGBl. I S. 2585. 14 Vom 29. 07. 2009, BGBl. I S. 2433; vgl. dazu BR-Drs. 279 / 09. 15 Vgl. BT-Drs. 16 / 12274; 16 / 12785; 16 / 13298; BR-Drs. 594 / 09. 16 Vom 29. 07. 2009, BGBl. I S. 2542. 17 Vgl. etwa Koch / Krohn, Das Naturschutzrecht im Umweltgesetzbuch, Forum Umweltgesetzbuch, Heft 7, 2008, S. 11; Franzius, ZUR 2010, S. 346 (349); Bender / Sparwasser / Engel, Umweltrecht, 4. Aufl. 2000, Kap. 5 Rn. 39; Hoppe / Beckmann / Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 1 Rn. 151. 13

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ren durchaus gewisse Verbesserungen konzedieren, entsprechende Untersuchungen zeugten aber immer noch von erheblichen Mängeln insbesondere in der Umsetzung der Eingriffsregelung, und dort vor allem hinsichtlich der Eingriffskompensation18. In diesem Zusammenhang ist teilweise die Auffassung vertreten worden, es sei eine hohe normative Dichte des Naturschutzrechts geboten, um den Stellenwert dieses Rechtsgebietes im Vollzug zu erhöhen19. Wolle man ein geradezu „programmiertes Vollzugsdefizit“ verhindern und die Naturschutzverwaltung stärken, sei diese durch konkrete gesetzliche Vorgaben von Argumentationslasten und einem „Vollzugsgegendruck“ zu befreien. Regulative Vorgaben in Gestalt konkreter Standards seien dringend erforderlich, um weiteren Qualitätseinbußen im Verwaltungsvollzug entgegenzuwirken20. Gerade auch die in der letzten Zeit in den Ländern vorgenommenen Deregulierungen der Länder-Naturschutzgesetze21 werden zur Untermauerung herangezogen. Dadurch werde in naturschutzfachlich fragwürdiger Weise auf bisherige Standards verzichtet und auf diese Weise eine Legalisierung der Vollzugsdefizite herbeigeführt. Gegenüber einer höheren normativen Dichte wäre es indes zielführender gewesen, die Normenflut einzudämmen und die Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit vieler Regelungen kritisch zu hinterfragen22. Der Gesetzgeber (im Bund und im jeweiligen Land) sollte sich um legislatorische Zurückhaltung bemühen und sich auf sein vornehmstes und ureigenes Recht besinnen – auf einem entsprechend hohen Abstraktionsniveau allgemeingültige Maßstäbe zu setzen. In Anbetracht der Komplexität der Lebensverhältnisse und gerade angesichts der ständig zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse wäre es widersinnig, dem durch zunehmend ausdifferenzierte Regelungen Rechnung tragen zu wollen. Der Gesetzgeber ist bei einer derart „einzelfallorientierten“ Regelungstechnik ansonsten ständig in der Situation, „nachbessern“ zu müssen. 18 Dazu umfassend Bauriegel / Herzer / Neumann, Stand der Eingriffsregelung in Thüringen, Untersuchungen zur Umsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen an ausgewählten Eingriffsvorhaben, Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 2000, S. 66 f.; Jessel / Rudolf / Feikert / Wellhöfer, Nachkontrollen in der Eingriffsregelung – Erfahrungen aus 4 Jahren Kontrollpraxis in Brandenburg, Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 2003, S. 144 f.; Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (76). 19 Dies korrespondiert auch mit dem Standpunkt, die Integration naturschutzrechtlicher Inhalte in ein Umweltgesetzbuch werde primär eine Gelegenheit zur Standardverschärfung, weniger ein Prozess der Kodifikation (vgl. dazu auch Kloepfer [FN 5], S. 195 [197]; zum „Wert einer Kodifikation des Umweltrechts“ vgl. allgemein Debus, VerwArch 100 [2009], S. 21 f.). 20 So Koch / Krohn (FN 17), S. 11 f.; SRU, Umweltverwaltungen unter Reformdruck: Herausforderungen, Strategien, Perspektiven. Sondergutachten, 2007, Tz. 166 f. 21 Vgl. dazu etwa Stollmann, NuR 2005, S. 640 ff.; zu den neuen Strukturen der Umweltverwaltungen in den Ländern vgl. Ebinger, VerwArch 100 (2009), S. 55 (59 f.). 22 So auch schon Bender / Sparwasser / Engel (FN 17), Kap. 2 Rn. 16.

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Abgesehen von dieser weitgehend vollzugsunfreundlichen Ausgestaltung des Umweltrechts scheitert ein effektiver Normenvollzug an der oftmals unzulänglichen Ausstattung der Umweltbehörden mit den erforderlichen Mitteln, also mit qualifiziertem Personal und modernerer Technik23. Entsprechende empirische Untersuchungen belegen, dass die Umweltverwaltung im Vergleich zu anderen Verwaltungsbereichen tendenziell überdurchschnittlich von Personalabbau und Mittelkürzungen betroffen ist. Anstelle gesetzgeberischer „Kosmetik“ wäre also eine entsprechende Ausstattung der zuständigen Behörden in sächlicher und personeller Hinsicht der erfolgversprechendere Weg zu einem effektiven Gesetzesvollzug. Mit dem jetzigen Erlass des Bundesnaturschutzgesetzes und den zu erwartenden – und durch die Föderalismusreform geradezu provozierten – Reaktionen der Länder wurden aber zum wiederholten Male Chancen vertan.

III. Das neue „Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ Das neue BNatSchG baut die Vorgaben zu Naturschutz und Landschaftspflege weitestgehend zu Vollregelungen aus und überführt landesrechtlich normierte Bereiche des Naturschutzrechts ins Bundesrecht, soweit man eine bundeseinheitliche Regelung für geboten hielt. Das in elf Kapitel gegliederte neue BNatSchG orientiert sich grundsätzlich am bisherigen BNatSchG. Es übernimmt die Struktur und die Regelungen des 2002 umfassend novellierten Gesetzes, enthält aber zudem eine Reihe relevanter Änderungen und Ergänzungen, wobei teilweise auf landesrechtliche Vorschriften zurückgegriffen wurde. Vor allem aber übernimmt es in wesentlichen Teilen die Inhalte des UGB III in der Fassung des Gesetzentwurfs vom 20. Mai 2008 (UGB III-E). 1. Allgemeine Regelungen

Kapitel 1 enthält die allgemeinen Vorschriften (§§ 1 – 7). Als seine Ziele beschreibt § 1 Abs. 1 BNatSchG als (abweichungsfesten) „allgemeinen Grundsatz“ (vergleichbar § 1 Abs. 1 UGB III-E) den dauerhaften Schutz der biologischen Vielfalt, der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sowie der Vielfalt, Eigenart und Schönheit einschließlich des Erholungswerts von Natur und Landschaft, wobei u. a. auch die Wiederherstellung von Natur und Landschaft als Naturschutz erfasst wird. Gegenüber dem Entwurf des UGB „herabgestuft“ wurde allerdings die allgemeine Abwägungsklausel, wonach die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwirklichen sind, soweit es im Einzelfall möglich, erfor23

Bender / Sparwasser / Engel (FN 17), Kap. 2 Rn. 16.

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derlich und unter Abwägung aller naturschutzspezifischen und sonstigen Anforderungen angemessen ist (nunmehr § 2 Abs. 3 BNatSchG; vgl. aber § 1 Abs. 1 S. 2 UGB III-E). Der Freiraumschutz wird betont (§ 1 Abs. 5 BNatSchG); dabei wurde im Gesetzgebungsverfahren die Regelung hinzugefügt, dass die erneute Inanspruchnahme bereits bebauter Flächen sowie die Bebauung unbebauter Innenbereichsflächen, soweit sie nicht für Grünflächen vorgesehen sind, Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen im Außenbereich hat (§ 1 Abs. 5 S. 2 BNatSchG)24. Auch der Bürger soll nach § 2 Abs. 1 BNatSchG an der Verwirklichung der Ziele mitwirken. Gemäß § 3 Abs. 2 BNatSchG – vormals § 3 Abs. 1 UGB III-E – treffen die zuständigen Behörden nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Vorschriften des BNatSchG sowie der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften. Das BNatSchG enthält damit nunmehr eine Eingriffsermächtigung für den Fall eines Verstoßes gegen naturschutzrechtliche Ge- und Verbotstatbestände. Bislang konnten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vornehmlich auf die (landesgesetzlichen) polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln (etwa des § 14 OBG NRW) oder die spezialgesetzlichen Regelungen des jeweiligen Landesnaturschutzrechts (etwa § 57 LNatG M-V oder § 41 SächsNatSchG) gestützt werden. Nach § 3 Abs. 3 BNatSchG soll bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig geprüft werden, ob sich der Zweck mit angemessenem Aufwand auch durch vertragliche Vereinbarungen erreichen lässt. Auf diese Weise soll das Instrumentarium des Vertragsnaturschutzes mit den damit verbundenen Vorteilen konsensualen Verwaltungshandelns genutzt werden. Die Vorschrift gibt – ebenso wie die Vorläuferregelung – freilich nur eine Prüfpflicht vor, ungeachtet der scheinbaren Prioritätensetzung („ . . . vorrangig . . . “) ist eine Präferenz der vertraglichen Lösung gegenüber der Hoheitsmaßnahme im Falle gleicher Eignung nicht zwingend vorgeschrieben25. Die durch den Gesetzgeber eingeräumte Ermessensbetätigung und das daraus folgende Wahlrecht tragen vor allem der Tatsache Rechnung, dass Verträge regelmäßig zeitlich begrenzt abgeschlossen werden, nicht gegenüber Dritten wirken und etwa Schutzgebietsausweisungen, die sich regelmäßig an eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzergruppen richten, nicht ersetzen können26. Bestimmte Nutzungen für öffentliche Zwecke werden privilegiert (§ 4 BNatSchG); eine gleich lautende Regelung enthielt bereits § 4 UGB III-E. Im Übrigen entspricht die Vorschrift nahezu wortgleich § 63 BNatSchG 24

Vgl. BR-Drs. 594 / 09, S. 2. Vgl. BT-Drs. 16 / 12274, S. 52; so auch Gellermann (FN 18), S. 73 (75); grds. Stollmann, VR 2001, S. 365. 26 Zum Vertragsnaturschutz vgl. grds. Rehbinder, DVBl. 2000, S. 859 f.; Schemel / Erbguth, Handbuch Sport und Umwelt, 3. Aufl. 2000, S. 106 ff. 25

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bisheriger Fassung. Allein wegen des Adressatenkreises wurde ein anderer systematischer Zusammenhang gewählt. Bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege muss die besondere Bedeutung einer natur- und landschaftsverträglichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft berücksichtigt werden (§ 5 Abs. 1 BNatSchG)27. Im Gegenzug muss die Landwirtschaft die besonderen Anforderungen an die gute fachliche Praxis beachten (§ 5 Abs. 2 BNatSchG). Die Landwirtschaft hat neben den Anforderungen, die sich aus den für die Landwirtschaft geltenden Vorschriften und § 17 Abs. 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes ergeben, demnach insbesondere die folgenden Grundsätze der guten fachlichen Praxis zu beachten28: – bei der landwirtschaftlichen Nutzung muss die Bewirtschaftung standortangepasst erfolgen und die nachhaltige Bodenfruchtbarkeit und langfristige Nutzbarkeit der Flächen gewährleistet werden; – die zur Vernetzung von Biotopen erforderlichen Landschaftselemente sind zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren; – die Tierhaltung hat in einem ausgewogenen Verhältnis zum Pflanzenbau zu stehen und schädliche Umweltauswirkungen sind zu vermeiden; – auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungsgebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie auf Moorstandorten ist ein Grünlandumbruch zu unterlassen; – die natürliche Ausstattung der Nutzfläche (Boden, Wasser, Flora, Fauna) darf nicht über das zur Erzielung eines nachhaltigen Ertrages erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt werden; – eine schlagspezifische Dokumentation über den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechts zu führen29.

Der Katalog der Grundsätze ergänzt die Regelungen der guten fachlichen Praxis, die sich aus den anderen einschlägigen Vorschriften ergeben. Anknüpfend an die geltenden Regelungen des Pflanzenschutz-, Düngemittelund Bodenschutzrechts, die ebenfalls wichtige Grundsätze guter fachlicher Praxis in der Landwirtschaft regeln, bestimmt die Vorschrift die aus bundesweiter Sicht erforderlichen Grundsätze einer naturschutzfachlich gebotenen guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft30. Entsprechende 27 Vgl. eingehend Müller, NuR 2002, S. 530; Louis, NuR 2002, S. 385 (386 f.); Möckel, NuR 2008, S. 833 f. 28 Zu Einzelfragen Müller (FN 27), S. 530 (531 ff.). 29 Dazu Louis (FN 27), S. 385 (386). 30 Kritisch dazu Gellermann (FN 18), S. 73 (75), vor allem mit dem Hinweis auf eine fehlende Rechtsverordnungsermächtigung, wodurch notwendige Konkretisierungen unterbleiben würden.

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Rahmenbedingungen werden auch für die forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung festgeschrieben (vgl. § 5 Abs. 3 und 4 BNatSchG). Die Beobachtung von Natur und Landschaft (§ 6 BNatSchG) wird als allgemeiner Grundsatz ausgestaltet. Zweck der Umweltbeobachtung ist es gemäß § 6 Abs. 2 BNatSchG, den Zustand des Naturhaushalts und seine Veränderungen, die Folgen solcher Veränderungen, die Einwirkungen auf den Naturhaushalt und die Wirkungen von Umweltschutzmaßnahmen auf den Zustand des Naturhaushalts zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten. Bund und Länder – die diese Aufgaben im Rahmen ihrer Zuständigkeiten originär wahrnehmen – sollen sich dabei gegenseitig unterstützen und ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen (§ 6 Abs. 4 BNatSchG). Umweltbeobachtung ist eine Querschnittaufgabe, die nicht nur den Naturschutzbehörden, sondern allen Behörden in ihrem Sektor obliegt31. Ziel der Regelung ist es, ökologisch ungünstige Entwicklungen rechtzeitig erkennen zu können, daraus Prioritäten für praktisches Handeln aufzuzeigen und Gefahren für Mensch und Umwelt wirkungsvoller begegnen zu können. Gerade in diesem Bereich bedarf es – ungeachtet der Klassifizierung als allgemeiner Grundsatz – weiterer Konkretisierung durch das Landesrecht, zumal was die Aufgabenverteilung zwischen dem jeweiligen Land und den Kommunen anbelangt. Umfassende Legaldefinitionen in § 7 BNatSchG definieren die ausschlaggebenden Begriffe.

2. Landschaftsplanung

Das zweite Kapitel (§§ 8 – 12 BNatSchG) trifft Regelungen in Bezug auf die Landschaftsplanung32. Die Landschaftsplanung wird als allgemeiner Grundsatz festgelegt (§ 8 BNatSchG); danach werden die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege als Grundlage vorsorgenden Handelns im Rahmen der Landschaftsplanung überörtlich und örtlich konkretisiert und die Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Ziele dargestellt und begründet. Die Landschaftsplanung bleibt – anknüpfend an das geltende Recht – im Prinzip dreistufig. Sie wird fakultativ auf kommunaler Ebene durch Grünordnungspläne ergänzt (§ 11 BNatSchG). Landschaftspläne sind – anders als nach altem Recht (vgl. § 16 Abs. 1 BNatSchG a.F.) – aber nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG nicht mehr uneingeschränkt flächendeckend und anlassunabhängig, sondern nur noch aufzustellen, sobald und soweit dies im Hinblick auf Erfordernisse und Maßnahmen i. S. des § 9 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG erforderlich ist. Zuständigkeit und Verfahren der Aufstellung bei Landschaftsprogrammen, Landschaftsrahmenplänen, Landschafts- und Grünordnungsplänen richten sich nach Lan31 32

Louis (FN 27), S. 385 (387). Eingehend zum neuen Recht Gellermann (FN 18), S. 73 (75 f.).

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desrecht (vgl. §§ 10 Abs. 4, 11 Abs. 5 BNatSchG). Die in § 9 Abs. 6 UGB III-E noch enthaltene Regelung, bei erforderlichen Landschaftsrahmenplänen und Landschaftsplänen eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen, ist im BNatSchG nicht mehr enthalten.

3. Allgemeiner und Besonderer Schutz von Natur und Landschaft

In Kapitel 3 des Gesetzes werden Regelungen zum allgemeinen Schutz von Natur und Landschaft getroffen (§§ 13 – 19 BNatSchG)33. § 13 BNatSchG formuliert – konkreter noch als § 13 UGB III-E – den (abweichungsfesten) „allgemeinen Grundsatz“, dass erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vom Verursacher vorrangig zu vermeiden sind; nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder – soweit dies nicht möglich ist – durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren. Damit geht nach der gesetzlichen Idealvorstellung die Realkompensation dem finanziellen Ausgleich vor. Die Privilegierung der nach guter fachlicher Praxis geführten Landwirtschaft bleibt bestehen (§ 14 Abs. 3 BNatSchG). Das Bundesrecht erhält erstmals Regelungen zu Ersatzzahlungen (§ 15 Abs. 6 BNatSchG) und zum Ökokonto (§ 16 BNatSchG), wobei allerdings hinsichtlich letzterem die Ausgestaltung dem Landesrecht überlassen bleibt. Am bisherigen „Huckepackverfahren“ (Prüfung im Rahmen anderer Genehmigungsverfahren) wird festgehalten (§ 17 Abs. 1 BNatSchG); eine Neuerung bietet – im Anschluss an entsprechende Regelungen in den Ländern – die subsidiäre, nichtakzessorische, eigenständige Genehmigungspflicht für Eingriffe, die keiner behördlichen Zulassung oder Anzeige nach anderen Rechtsvorschriften bedürfen (§ 17 Abs. 3 BNatSchG). Das Verhältnis zum Baurecht bleibt unverändert (§ 18 BNatSchG), es entspricht § 21 BNatSchG bisheriger Fassung. Kapitel 4 des Gesetzes widmet sich dem Schutz bestimmter Teile von Natur und Landschaft (§§ 20 – 35 BNatSchG)34. Biotopverbund und klassische Schutzgebietstypen (§§ 20 – 35 UGB III-E) werden als allgemeine Grundsätze ausgestaltet (§ 20 BNatSchG). Der noch in § 30 UGB III-E bundesrechtlich vorgesehene Schutz von Alleen ist im BNatSchG nicht mehr enthalten. Die Biotopverbünde (§ 21 BNatSchG) werden aufgewertet und nicht nur länderübergreifend, sondern auch auf regionaler Ebene (§ 21 Abs. 6 BNatSchG) angelegt. Bei den gesetzlich geschützten Biotopen (§ 30 BNatSchG) hat es im Gesetzgebungsverfahren entgegen den Vorentwürfen (UGB III-E und Regierungsentwurf BNatSchG) zu Lasten des Naturschutzes zahlreiche Privilegierungen bei der Wiederaufnahme der ursprünglichen Nutzung zugunsten der Bauleitplanung (§ 30 Abs. 4 S. 2 BNatSchG), 33 34

Dazu umfassend Franzius (FN 17), S. 346 (347 f.); Gellermann (FN 18), S. 73 (76). Eingehend zum neuen Recht Gellermann (FN 18), S. 73 (76 f.).

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des Vertragsnaturschutzes (§ 30 Abs. 5 BNatSchG) sowie der Gewinnung von Bodenschätzen (§ 30 Abs. 6 BNatSchG) gegeben35. Unter dem Titel „Netz Natura 2000‘“ werden in Abschnitt 2 des vierten Kapitels die Verpflichtungen zum Gebietsschutz aus der FFH- und Vogelschutzrichtlinie umgesetzt (§§ 31 – 36 BNatSchG)36. Dabei wird ein grundsätzliches Verschlechterungsverbot geregelt (§ 33 BNatSchG) und u. a. die Freisetzung genetisch veränderter Organismen begrenzt (vgl. § 35 BNatSchG).

4. Artenschutz und Meeresnaturschutz

Kapitel 5 trifft Vorkehrungen zum Schutz der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, ihrer Lebensstätten und Biotope (§§ 37 – 55 BNatSchG)37. Die bundesrechtlichen (und abweichungsfesten) Regelungen des Artenschutzes im BNatSchG übernehmen weitgehend die bisher im Landesrecht geregelten Vorschriften und lösen sie ab (z. B. die Abbrenn- und Schneideverbote, das Verbot gewerbsmäßigen Sammelns). Der Schutz gegen nichtheimische, gebietsfremde und invasive Arten wird verstärkt (§ 40 BNatSchG), die Regelungen über Zoos und Tiergehege (§§ 42, 43 BNatSchG) vereinheitlicht. Der Besondere Artenschutz (§§ 44 – 47 BNatSchG) bleibt im Grundsatz unverändert, der Schutz nationaler Arten wird verbessert (§ 44 Abs. 1 BNatSchG). Im Übrigen wird der Besondere Artenschutz dann in Einzelfällen gelockert, wenn trotz eines Eingriffs oder Vorhabens die ökologische Funktion von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin gewährleistet ist (§ 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG). In Kapitel 6 wird der Meeresnaturschutz geregelt (§§ 56 – 58 BNatSchG)38. Das (abweichungsfeste) Recht des Meeresnaturschutzes für die Küstengewässer, die Allgemeine Wirtschaftszone und den Festlandsockel erfasst auch den marinen Arten- und Gebietsschutz sowie die Bewertung von Eingriffen im marinen Bereich. Das noch in § 59 UGB III-E vorgesehene integrierte Küstenzonenmanagement hat das BNatSchG nicht beibehalten.

5. Besondere Regelungen

Kapitel 7 schließlich widmet sich der Erholung in Natur und Landschaft (§§ 59 – 62 BNatSchG). Als allgemeinen Grundsatz schreibt § 59 Abs. 1 BNatSchG fest, dass das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und 35 36

Vgl. dazu BT-Drs. 16 / 13298, Nr. 29 und 30; BR-Drs. 594 / 09, S. 6. Dazu zuletzt etwa Steeck / Lau, NVwZ 2009, S. 616; Gellermann (FN 18), S. 73

(77). 37

Umfassend dazu Gellermann (FN 18), S. 73 (78 f.). Dazu allgemein Erbguth / Schlacke (FN 2), § 15; aktuell Gellermann (FN 18), S. 73 (74). 38

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Wegen sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zwecke der Erholung jedermann gestattet ist. Dabei wird die Haftung der Grundeigentümer eingeschränkt (§ 60 BNatSchG; entspricht § 62 UGB III-E) und die Freihaltung von Gewässern und Uferzonen angeordnet (§ 61 BNatSchG; entspricht § 63 UGB III-E). Kapitel 8 normiert die Mitwirkung von anerkannten Naturschutzvereinigungen (§§ 63, 64). Das Kapitel überführt die Vorschriften des bislang geltenden Bundesnaturschutzrechtes über die Mitwirkung und die Rechtsbehelfe von anerkannten Vereinen inhaltlich im Wesentlichen unverändert in das neue Bundesrecht39. Änderungen wurden vor allem zur Verbesserung der Übersichtlichkeit vorgenommen. Das Verfahren und die Voraussetzungen der Anerkennung werden im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geregelt (vgl. § 42 UGB I-E). Die noch in § 65 Abs. 2 Nr. 8 UGB III-E vorgesehene Mitwirkungsbefugnis der Verbände im Verwaltungsverfahren bei der Aufstellung planfeststellungsersetzender Bebauungspläne ist nunmehr entfallen. Im neunten Kapitel des Gesetzes sind Fragen der Eigentumsbindung, Befreiungen u. a. geregelt (§§ 65 – 68). Den Eigentümern und sonstigen Nutzungsberechtigten werden Duldungspflichten aufgegeben (§ 65 BNatSchG; entspricht § 67 UGB III-E). Die Länder erhalten ein Vorkaufsrecht für Grundstücke in Naturschutzgebieten etc. (§ 66 BNatSchG; entspricht im Wesentlichen § 68 UGB III-E). Im Übrigen enthält § 68 BNatSchG Regelungen über entschädigungslose Eigentumsbeschränkungen sowie Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen (entspricht § 70 UGB III-E). Naturschutzrechtliche Befreiungstatbestände sind in § 67 BNatSchG geregelt (entspricht im Wesentlichen § 69 UGB III-E). Die Vorschrift nimmt eine Neukonzeption des Instrumentes der naturschutzrechtlichen Befreiung vor, die allerdings bereits durch das Erste Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2873) angelegt wurde. Mit diesem Gesetz wurde für die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote des besonderen Artenschutzes der Befreiungsgrund der „unzumutbaren Belastung“ eingeführt. Die für den Bereich des besonderen Artenschutzes getroffene Befreiungsregelung ist nunmehr auf das gesamte Naturschutzrecht ausgedehnt worden. Dem Gesetzgeber erschien ein weiteres, paralleles Festhalten am überkommenen, im Landesrecht fortgeführten Befreiungsgrund der unbeabsichtigten Härte für die naturschutzrechtlichen Ge- und Verbote nicht weiter sinnvoll40. Kapitel 10 enthält in den §§ 69 bis 73 BNatSchG Bußgeld- und Strafvorschriften (vgl. §§ 71 – 75 UGB III-E). Die Strafvorschriften in § 71 BNatSchG und die Bußgeldtatbestände (§ 69 BNatSchG) haben sich gegenüber 39 Zur Konzeption nach den §§ 65, 66 UGB III-E vgl. Kloepfer (FN 5), S. 195 (220); Koch / Krohn (FN 17), S. 11 f. 40 BT-Drs. 16 / 12274, S. 77.

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dem geltenden Recht in der Sache im Wesentlichen nicht verändert. Am Schluss des Gesetzes stehen im Kapitel 11 Übergangsregelungen für laufende Verwaltungsverfahren und für schon erfolgte Vereinsanerkennungen (§ 74 BNatSchG).

IV. Verbleibende Spielräume der Länder Nach der dargestellten verfassungsrechtlichen Konzeption (vgl. oben unter I.1.) dürfen die Länder in erheblichem Maße von den bundesrechtlichen Regelungen abweichen (vgl. Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG). In diesem Sinne abweichungsfest sind lediglich „die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes“. Dabei werden Inhalt und Reichweite der „allgemeinen Grundsätze“ durch die Verfassung nicht näher spezifiziert. Zugleich ist der einfachrechtliche Gesetzgeber nicht befugt, die Grundsätze mit konstitutiver Wirkung zu definieren. Ein derartiges Ausgestaltungsrecht steht dem Bundesgesetzgeber nicht zu, verfassungsrechtlich zulässig ist insoweit allenfalls eine deklaratorische Festlegung derjenigen Bestandteile des Naturschutzrechts, die der Bundesgesetzgeber als abweichungsfest erachtet41. Damit stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bundesgesetzgeber einzelne Regelungsbereiche abweichungsfest regeln kann, m. a. W. wo exakt noch weitergehende Handlungsspielräume der Länder gegeben sind. 1. Allgemeine Grundsätze

Die nach Vorstellung des Bundes im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG abweichungsfesten Bereiche sind im Gesetz in den Kapiteln 5 und 6 (Artenschutz und Meeresnaturschutz) sowie in den als allgemeine Grundsätze bezeichneten Vorschriften enthalten42. Vom Bundesgesetzgeber wurden folgende Regelungen als „allgemeine Grundsätze des Naturschutzes“ eingeordnet: – die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 1 Abs. 1 BNatSchG); – die Beobachtung von Natur und Landschaft (§ 6 Abs. 1 BNatSchG); – die Landschaftsplanung (§ 8 BNatSchG); – der naturschutzrechtliche Eingriffstatbestand (§ 13 BNatSchG); 41 Vgl. Koch / Krohn (FN 17), S. 13; Gellermann (FN 18), S. 73 (74 f.); Erbguth / Schlacke (FN 2), § 4 Rn. 46 zufolge zieht die begriffliche Konturenunschärfe Rechtsunsicherheit nach sich, zu deren Bereinigung es bundesverfassungsgerichtlicher Klarstellung bedürfen wird. 42 Vgl. BT-Drs. 16 / 12274, S. 39; zu den „Grundsätzen“ vgl. auch Becker (FN 3), S. 754 (756 f.); Franzius (FN 17), S. 346 (348 f.).

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– der Biotopverbund (§ 20 Abs. 1 BNatSchG); – die gesetzlich geschützten Biotope (§ 30 Abs. 1 BNatSchG); – das Betreten der freien Landschaft (§ 59 Abs. 1 BNatSchG).

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dem Bund durch die Vorgabe eines abweichungsfesten Kerns die Möglichkeit gegeben werden, in allgemeiner Form bundesweite verbindliche Grundsätze für den Schutz der Natur, insbesondere zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts festzulegen43. Es müssten Vorgaben sein, die für einen wirksamen und langfristigen Naturschutz von essentieller Bedeutung sind44. Aus dem allgemeinen wie auch dem fachbezogenen Wortsinn des Begriffs der „allgemeinen Grundsätze“ lässt sich überdies folgern, dass es sich um tragende Prinzipien handeln muss. Dabei gibt es für die Annahme, dass Abweichungsrechte der Länder – als Ausnahme von der Vorrangkompetenz des Bundes – prinzipiell eng und umgekehrt abweichungsfeste Kerne extensiv zu bestimmen sind, keinen Anhaltspunkt45. Davon ausgehend wird man Inhalt und Reichweite der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ i. S. des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG auf hergebrachte materiellrechtliche Grundlagen des Naturschutzrechts beziehen müssen. Die Neujustierung der Gesetzgebungskompetenzen darf nicht dazu führen, dass hinsichtlich zentraler Aspekte unter Umständen 16 unterschiedliche Länderregelungen existieren. Vor diesem Hintergrund kommt der bundesrechtlichen Sperrwirkung die Funktion zu, Rechtseinheitlichkeit dort sicher zu stellen, wo ein einheitliches Schutzniveau naturfachlicher Anforderungen zwingend ist46. Dies bedingt dreierlei: – eine entsprechende „Übung“; – bloße Verfahrens- oder Prozessvorgaben fallen nicht darunter; – verschiedene Rechtskreise berührende Regelungen werden nur erfasst, wenn der Regelungsschwerpunkt im Naturschutzrecht liegt.

Dabei konzediert der Bundesgesetzgeber aber durchaus, dass die Einstufung als allgemeiner Grundsatz keine allumfassenden Regelungsbefugnisse verleiht. Die Gesamtarchitektur eines Naturschutzinstruments könne „weder bis ins letzte Detail noch in ihrer bisherigen rahmenrechtlichen Ausprägung abweichungsfest geregelt werden“47.

43 Vgl. BT-Drs. 16 / 813, S. 11; dazu auch Haratsch, in: Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 74 Rn. 64; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 74 Rn. 123. 44 Koch / Krohn (FN 17), S. 13; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (257). 45 So auch Degenhart (FN 43), Art. 72 Rn. 43; dazu auch Franzius (FN 17), S. 346 (348); a. A. Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356); Schulze-Fielitz (FN 44), S. 249 (256). 46 So auch ausdrücklich Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (82). 47 Vgl. BT-Drs. 16 / 12274, S. 39.

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2. Eingriffsregelung

Davon ausgehend wird die Eingriffsregelung zu den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes zu zählen sein48. In der Literatur ist dies bislang etwa damit begründet worden, dass sie von bundesweiter Bedeutung sei; sie enthalte eine sehr grundsätzliche Kompensationsregel als Ausdruck des Verursacherprinzips, die für das deutsche Naturschutzrecht zentral sei und deshalb vom Bund wenn auch nicht als komplexe Regelung, so doch als allgemeiner Grundsatz festgelegt werden könne49. Ergänzend wird darauf verwiesen, dass die Eingriffsregelung ein allgemeiner Grundsatz des Naturschutzes sei mit dem Bedürfnis, für Wirtschaft und Infrastruktur einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen; zudem habe die Aufgabe der Wiederherstellung von Natur und Landschaft bereits Eingang in die Grundsätze des Naturschutzes gefunden (vgl. § 2 Abs. 1 Nrn. 1 u. 4 BNatSchG a.F.)50. Indes lässt sich nicht exakt erkennen, wo mit Blick auf die Eingriffsregelung genau die Grenze zwischen einer abweichungsfesten Normierung und nicht mehr abweichungsfesten Vorgaben zu ziehen ist. In der Tat wird man die Kernregelung primär in § 13 BNatSchG sehen müssen. Zu den in diesem Sinne zentralen und unerlässlichen Regelungen gehört aber vor allem auch die normative Festlegung dessen, was als Eingriff einzuordnen ist (§ 14 Abs. 1 BNatSchG). Es dürfte zudem weitgehende Übereinstimmung i. S. einer allgemeinen Übung bestehen, dass es sich sowohl beim Vermeidungsgebot als auch bei der vorrangigen Kompensation durch Maßnahmen des Naturschutzes und der nachrangigen Kompensation durch Ersatzgeldzahlung um zentrale Elemente eines effektiven Naturschutzes handelt, die sich als allgemeine Grundsätze des Naturschutzes qualifizieren lassen51. Zweifelhaft ist, ob auch die weiteren Elemente der tradierten Eingriffsregelung, namentlich die Binnendifferenzierung zwischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und die so genannte „Abwägungsstation“, zu den allgemeinen Grundsätzen gehören. Insbesondere bei der Abwägungsstation 48 So etwa ausdrücklich Bunge, in: Spannowsky / Hofmeister (Hrsg.), Die Landschaftsplanung und ihr Beitrag für die räumliche Planung, 2007, S. 127 (147); Fischer-Hüftle (FN 46), S. 78 (82 ff.); Hendrischke, NuR 2007, S. 454 (457); Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (359); Kotulla (FN 4), S. 489 (492 f.); Louis, ZUR 2006, S. 340 (342); Schulze-Fielitz (FN 44), S. 249 (256 f.). 49 Schulze-Fielitz (FN 44), S. 249 (257). 50 Fischer-Hüftle (FN 46), S. 78 (83); zu den Grundsätzen nach § 2 BNatSchG als Orientierungshilfe bei der Auslegung des „abweichungsfesten Kerns“ vgl. Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (358 f.). 51 In diesem Sinne Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (359); nach BT-Drs. 16 / 12274, S. 56 f. kommt der Charakter der Vorschrift als allgemeiner Grundsatz „darin zum Ausdruck, dass sowohl der Tatbestand der Eingriffsregelung – eine erhebliche Beeinträchtigung von Natur und Landschaft – als auch ihre Rechtsfolgenkaskade – Vermeidungspflicht, vorrangiger Ausgleich und Ersatz sowie die Ersatzzahlung als jeweils nachrangige Mittel – geregelt werden“.

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wird man nicht von einer zentralen und unerlässlichen Regelung ausgehen können, weil die Eingriffsregelung in ihrem Grundanliegen ein Institut der Folgenbewältigung und nicht der Zulassung von Vorhaben ist. Zweifellos nicht zu den allgemeinen Grundsätzen gehören die Festlegungen zu Flächenpools und Ökokonten, weil es sich bei den Modalitäten der Erbringung von Kompensationsleistungen und der Anrechnung vorgezogener Kompensationsleistungen um detaillierte Ausgestaltungen handelt, die ein Landesgesetzgeber auch anders vornehmen darf. Ähnliches gilt für Regelungen zur Sicherung von Kompensationen und Ersatzgeldzahlungen und anderer vollzugsbezogener Vorschriften. In der Literatur ist zudem darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Konkretisierung der Eingriffsregelung in der Verwaltungspraxis auf unterschiedliche Weise möglich sein muss52. Zudem wird darauf verwiesen, dass die Formel „allgemeine Grundsätze“ selbstverständlich „nicht die konkrete Ausprägung ein(schließt), die diese Instrumente jeweils im Gesetz gefunden haben; sie selbst bilden (abstrakt gesehen) aber doch die hauptsächlichen Regelungselemente, die dem Schutz, der Pflege und der Entwicklung von Natur und Landschaft dienen“53. Auch die Regelungen zur Privilegierung der Landwirtschaft (vgl. § 14 Abs. 2 BNatSchG) sind keine allgemeinen Grundsätze. Dafür spricht vor allem auch der Umstand, dass die Landwirtschaftsprivilegierung in § 5 BNatSchG nicht als allgemeiner Grundsatz des Naturschutzes ausgestaltet wurde. Als bloße Verfahrensregelung – die überdies nicht i. S. einer allgemeinen Übung in den meisten Ländern verankert war – wird man überdies auch § 17 Abs. 3 BNatSchG nicht zu den allgemeinen Grundsätzen rechnen dürfen. Mithin können die Länder zusätzliche Maßnahmen einführen und die bundesrechtlich vorgesehenen Maßnahmen – in begrenztem Umfang – inhaltlich ändern.

3. Landschaftsplanung

Mit Blick auf die Landschaftsplanung gestaltet sich die Situation insofern komplizierter, weil der Verfassungsgesetzgeber offenbar davon ausgegangen ist, dass die Landschaftsplanung nicht zu den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes gehört54. Diese Ansicht des Verfassungsgesetzgebers ist zwar nicht allein maßgebend, weil der Verfassungsbegriff der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ objektiv zu bestimmen ist; teilweise wird die Auffassung des Verfassungsgesetzgebers aber schon unkritisch als authentische Interpretation des Normtextes reflektiert55.

52 53 54 55

Schulze-Fielitz (FN 44), S. 249 (257). Bunge (FN 48), S. 127 (147); ähnlich Hendrischke (FN 48), S. 454 (457). Vgl. BT-Drs. 16 / 813, S. 11. Vgl. dazu Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (359).

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Die Landschaftsplanung ist ein zentrales Instrument zur Ermittlung, Bewertung, Entwicklung und Koordinierung des Naturschutzes, das darüber hinaus auch eine unverzichtbare Koordinierung zu anderen Sektoren leistet und damit in ganz besonderer Weise dem umweltrechtlichen Integrationsprinzip Rechnung trägt56. Das entsprechende Instrumentarium trägt der Tatsache Rechnung, dass angesichts der vielfältigen und häufig konkurrierenden Nutzungsansprüche an Natur und Landschaft deren Schutz und Entwicklung nur durch eine vorausschauende Planung angemessen gewährleistet werden können57. Die zentrale Stellung der Landschaftsplanung im Gefüge der Umweltplanung ist bereits in den UGBEntwürfen der 90er Jahre zum Ausdruck gekommen (so genannter „Professoren-Entwurf“ und Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission – so genannte „Sendler-Kommission“). In beiden Entwürfen ist die Planung des Umweltschutzes als ein unverzichtbares Element angesehen worden, und die Landschaftsplanung das zentrale Vehikel zur Konzeption einer Umweltleitplanung bzw. einer Umweltgrundlagenplanung gewesen58. Die tiefschürfenden Befassungen mit der Umweltplanung im UGB-Prozess der 90er Jahre unterstreichen daher eindrucksvoll die Zentralität und Fundamentalität einer Landschaftsplanung für die Erreichung der Naturschutzziele59. Richtigerweise wird man daher auch das Institut der Landschaftsplanung zu den „allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes“ zu zählen haben60. Zu den abweichungsfesten Bereichen dürfte nicht nur die Regelung zählen, dass eine Landschaftsplanung für die örtlichen und überörtlichen Ziele des Naturschutzes aufzustellen ist (§ 8 BNatSchG), sondern auch die inhalt56 Vgl. Erbguth / Schlacke (FN 2), § 10 Rn. 24 ff.; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl. 2009, § 3 Rn. 46 f. 57 Eine gleichsam „perfekte“ Landschaftsplanung soll weithin flächendeckend sein und in entsprechenden Verfahrensschritten eine vierfache Aufgabe erfüllen (vgl. Bender / Sparwasser / Engel [FN 17], Kap. 5 Rn. 96 f.; Hoppe / Beckmann / Kauch [FN 17], § 15 Rn. 36 ff.; Erbguth / Stollmann, in: Riedel / Lange [Hrsg.], Landschaftsplanung, 2. Aufl. 2002, S. 40 [63 f.]): Für den Planungsraum sind – Natur und Landschaft sowie die Nutzungen in ihrem Ist-Zustand deskriptiv-analytisch zu erfassen und darzustellen (Bestandsanalyse); – die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege qualitativ und nach Möglichkeit auch quantitativ zu konkretisieren (Zielkonkretisierung); – der Ist-Zustand nach Maßgabe dieser Ziele, d. h. im Hinblick auf den angestrebten Zustand prognostisch zu bewerten (Zustandsbewertung) und – die Erfordernisse und Maßnahmen zur Zielverwirklichung – insbesondere die gebotenen Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen – zu entwickeln (Anforderungs- und Maßnahmenkatalog). 58 Vgl. Köck, UPR 2002, S. 321 f. 59 Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (360). 60 So auch Bunge (FN 48), S. 127 (147); Fischer-Hüftle (FN 46), S. 78 (83); Hendrischke (FN 48), S. 454 (458); Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (359 f.); Kotulla (FN 4), S. 489 (493).

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lichen Grundelemente des § 9 Abs. 3 Nrn. 1 – 4 BNatSchG sowie die Regelung zur Fortschreibungspflicht (§ 9 Abs. 4 S. 1 BNatSchG). Eine bestimmte Stufigkeit der Landschaftsplanung dürfte demgegenüber eher nicht zu den allgemeinen Grundsätzen gehören. Das Bundesnaturschutzgesetz hat daher in seinem § 8 zu Recht seine Regelung, dass „die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege ( . . . ) als Grundlage vorsorgenden Handelns im Rahmen der Landschaftsplanung überörtlich und örtlich konkretisiert und die Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Ziele dargestellt und begründet (werden)“, als allgemeinen Grundsatz des Naturschutzes bezeichnet. Vor diesem Hintergrund stellen die Grundlagen der Eingriffsregelung und der Landschaftsplanung „allgemeine Grundsätze des Naturschutzes“ dar. Dies gilt jedoch nicht für die Fragen des behördlichen Verfahrens (Eingriffskontrolle o. ä.)61. Die so bestimmten „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ relativieren die Möglichkeit abweichungsfester Vollregelungen.

4. Konsequenzen

In der Konsequenz der vorgenannten Grundlagen wird das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege mit den dargestellten Inhalten die Landesnaturschutzgesetze zwar zurückdrängen, jedoch nicht komplett überflüssig machen. Dafür werden bereits die bundesrechtlich ausdrücklich vorgesehenen Länderermächtigungen sorgen. Hinsichtlich der Abweichungsbefugnisse gilt im Übrigen folgendes: Für Länder, die von den Abweichungsmöglichkeiten keinen Gebrauch machen, gilt das Bundesrecht62. Freilich ist zweifelhaft, wo die Grenzen der Abweichungsbefugnis der Länder liegen. So kann sich die Abweichungsgesetzgebung in der Verschärfung, aber auch in der Abschwächung der bundesrechtlichen Regelungsintention manifestieren. Sie kann sie jedoch auch nur konkretisieren oder eine bundesrechtliche Zielvorstellung instrumentieren63. Die Entscheidung, ob von der Abweichungsbefugnis Gebrauch gemacht werden soll, liegt grundsätzlich im rechtspolitischen Ermessen des Landes64. Eine gleichsam „natürliche“ Begrenzung stellen in diesem Zusammenhang allein die allgemeinen verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben dar65. 61 Damit sind nach den hier dargestellten Grundlagen aber auch die Mitwirkung der Naturschutzverbände keine „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“, vgl. Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (357); BT-Drs. 16 / 813, S. 11. 62 Wird das mit Anwendungsvorrang ausgestattete Gesetz wieder aufgehoben, kommt das verdrängte Gesetz automatisch wieder zur Anwendung (vgl. Degenhart [FN 43], Art. 72 Rn. 40). 63 Fischer-Hüftle (FN 46), S. 78 (80); Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (356). 64 Degenhart (FN 43), Art. 72 Rn. 43. 65 Vgl. dazu Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (356); Rengeling, DVBl. 2006, S. 1537 (1542).

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Zwar ist gelegentlich bezweifelt worden, ob eine reine Negativgesetzgebung, die lediglich eine bundesrechtliche Regelung für nicht anwendbar erklärt, zulässig ist66. Gefordert sei im Rahmen der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 GG ausdrücklich eine „Regelung“, also eine eigene positive Gestaltung der Regelungsmaterie durch das jeweilige Land. Eine Negativgesetzgebung dahingehend, dass der Landesgesetzgeber auf eine sachliche Regelung verzichtet und lediglich anordnet, dass die bundesgesetzliche Regelung nicht gilt, wäre danach grundsätzlich ausgeschlossen67. Indes erfüllt auch die schlichte Festlegung, dass das jeweilige Bundesgesetz gerade keine Rechtswirkungen entfalten soll, die Anforderungen an eine „Regelung“ im Sinne einer Rechtsgestaltung. In einem solchen Fall gilt dann eben der vor dem Erlass der Bundesnorm bestehende Rechtszustand. Auch darin kann sich ein politischer Gestaltungswille artikulieren68. Die landesgesetzliche Anordnung der „Außerkraftsetzung“ des § 17 Abs. 3 BNatSchG (die nichtakzessorische Genehmigungspflicht bei Eingriffen, vgl. dazu oben III.3. und IV.2.) etwa kann durchaus ein Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Deregulierung sein. Es kommt hinzu, dass jede andere Interpretation im Ergebnis nur zu einer „Abweichungsakrobatik“ der Länder führen würde. In dem (möglichen) Bemühen, eine beabsichtigte schlichte Aussetzung des Bundesrechts zu umgehen, wären Kompromissformeln zu befürchten, die im Ergebnis nur zu größerer Rechtsunsicherheit führen würden. In zeitlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege kraft Art. 72 Abs. 3 S. 2 GG am 1. März 2010 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 27 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege). Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Länder den nunmehr ausdrücklich eröffneten Zeitrahmen für die Entscheidung über Abweichungen (vgl. oben I.1) nutzen werden. Unsicherheiten birgt zudem die sog. lex-posterior-Regel des Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG, wonach im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils später gesetzte Recht vorgeht. Ob sich daraus ein rechtsstaatlich fragwürdiges, weil prinzipiell unbegrenztes Ping-Pong-Spiel sich abwechselnder Normbefehle ergeben wird69, bleibt abzuwarten. Für eine Abweichungsgesetzgebung ist den Ländern jedenfalls rechtlich und faktisch eine weite Ausgestaltungsbefugnis eröffnet.

66

Köck / Wolf (FN 45), S. 353 (356); dazu auch Franzius (FN 17), S. 346 (350 f.). Degenhart (FN 43), Art. 72 Rn. 43; Mayen, DRiZ 2007, S. 51 (54). 68 So explizit Haug (FN 4), S. 851 (854); Uhle, DÖV 2006, S. 370 (373 f.). 69 Dazu Erbguth (FN 2), S. 35 (53); Hoppe, DVBl. 2007, S. 144 (149 ff.); Haug (FN 4), S. 851 (853); Stock, ZG 2006, S. 226 (235 f.); Louis (FN 48), S. 340 (343); Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1549 (1552); zur Entwicklung in den Ländern vgl. Schütte / Kattau, ZUR 2010, S. 353. 67

Umweltrecht und Recht räumlicher Gesamtplanung Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven im Hinblick auf umweltrechtliche Anforderungen im Raumordnungs- und Bauplanungsrecht Mathias Schubert I. Einleitung Umweltschutz ist eine Aufgabe, die angesichts ihrer Komplexität nicht allein mittels spezifischen Umweltrechts bewältigt werden kann1. Gerade der räumlichen Gesamtplanung2 kommt aufgrund ihres querschnittsorientierten Ansatzes, der sie auf die umfassende Berücksichtigung wirtschaftlicher, sozialer und eben ökologischer Belange verpflichtet, besondere Bedeutung für den Umweltschutz zu3. Erfahrungsgemäß finden sich indes zugunsten der Verfolgung wirtschaftlicher und sozialer Interessen regelmäßig zahlreichere und durchsetzungsfähigere Verfechter als zur Verteidigung von Umweltbelangen.4 Fraglos besteht folglich das Erfordernis einer normativen Ausstattung der Gesamtplanung mit den Mitteln, derer es bedarf, den latent gefährdeten5 ökologischen Aspekten das ihnen gebührende Gewicht zu verschaffen oder jedenfalls zu einer gleichrangigen Ausgangsposition in der gebotenen Interessenabwägung zu verhelfen6. Diesem Bedürfnis hat der Gesetzgeber, nicht zuletzt aufgrund vielgestaltiger europarechtlicher Anstöße, Rechnung getragen, so dass zunehmend umweltrecht1

Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 10 Rn. 1. Allgemein dazu Battis, Das System der räumlichen Gesamtplanung, in: Erbguth / Oebbecke / Rengeling / Schulte (Hrsg.), Planung, FS Werner Hoppe, 2000, S. 303. 3 Dazu etwa Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl. 2009, § 3 Rn. 16 ff.; Erbguth / Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 5 Rn. 18; Porger, Umweltschutz durch öffentliches Baurecht, in: Hansmann / Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 3. Aufl. 2007, S. 359 (359 ff.); Sparwasser / Engel / Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 104 ff.; Breuer, Umweltschutzrecht, in: Schmidt-Aßmann / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 48, 66 ff. 4 Dazu aus Rechtsschutzperspektive Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 162 f.; Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III, 2009, § 51 Rn. 7. 5 Erbguth, NVwZ 2007, S. 985 (986). 6 Schubert, Harmonisierung umweltrechtlicher Instrumente in der Bauleitplanung, 2005, S. 21. 2

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liche Vorgaben Eingang in das Recht der räumlichen Gesamtplanung gefunden haben. Der vorliegende Beitrag geht in diesem Zusammenhang Fragen nach, die sich im Gefolge jüngerer Gesetzesentwicklungen im Raumordnungs- und im Bauplanungsrecht stellen. Angesichts der instrumentellen Vielfalt, die jene Rechtsbereiche hinsichtlich ihrer umweltbezogenen Ausstattung inzwischen prägt, beschränken sich die Betrachtungen auf wesentliche Vorgaben in Gestalt der strategischen Umweltprüfung (SUP) und der FFHVerträglichkeitsprüfung als Beispiele gemeinschaftsrechtlich begründeter Instrumente sowie auf die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung als ein solches rein national-rechtlicher Provenienz7. Es soll bei der Darstellung nicht so sehr um die Ausgestaltung der einschlägigen Bestimmungen im Einzelnen gehen; vielmehr stehen grundsätzliche Aspekte, etwa konzeptioneller, rechtssystematischer und rechtspolitischer Art, im Vordergrund. Die Abhandlung beginnt mit einigen Ausführungen zum Verhältnis von Umwelt- und Gesamtplanungsrecht (dazu unter II.); es folgt eine nähere Betrachtung der aktuellen Verfasstheit besagter umweltrechtlicher Instrumente im Recht der Raumordnung (unter III.) sowie im Bauplanungsrecht (unter IV.). Den Beitrag beschließen Bemerkungen zur Bedeutung eines Umweltgesetzbuches für das Recht räumlicher Gesamtplanung (unter V.).

II. Grundsätzliches zum Verhältnis von Umwelt- und Gesamtplanungsrecht Verfassungsrechtlich fundiert findet sich der eingangs erwähnte Auftrag zur Wahrung ökologischer Belange in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG8, wonach der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung zu schützen hat. Die Verfassungsbestimmung verpflichtet in ers7 Zu weiteren umweltrechtlichen Anforderungen im Recht der Bauleitplanung bzw. der Raumordnung aus dem jüngeren Schrifttum etwa Dolde, NVwZ 2007, S. 7; Fischer, NuR 2007, S. 307; Gellermann / Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsverfahren, 2007, S. 105 ff.; Gellermann, NuR 2007, S. 132; Köck, ZUR 2006, S. 518; Kopf, NuR 2008, S. 396; Pauli, BauR 2008, S. 759; Reidt, NVwZ 2010, S. 8 (zum Biotop- und Artenschutz); Ritter, RuR 2007, S. 531; Sparwasser / Mock, ZUR 2008, S. 469; Mitschang, NuR 2008, S. 601; Schmidt, NVwZ 2006, S. 1354; Krautzberger, DVBl. 2008, S. 737; Portz, KommunalPraxis spezial 2009, S. 25; Schwarz, DVBl. 2008, S. 763 (zum Klimaschutz); Paul / Pfeil, NVwZ 2006, S. 505; Stüer, ZfBR 2007, S. 17; Mitschang, LKV 2006, S. 433 (zum Hochwasserschutz). 8 Dazu etwa Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 20a Rn. 12 ff.; Peters, NVwZ 1995, S. 555; Kloepfer, DVBl. 1996, S. 73; kritisch Breuer (FN 3), Rn. 34.

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ter Linie den Gesetzgeber, die darin zum Ausdruck kommende ökologische Zielsetzung in alle Politikbereiche – und damit auch in die räumliche Gesamtplanung – zu integrieren; ihr kommt damit insoweit die gleiche Funktion zu wie der Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV (ex-Art. 6 EG)9. Soweit der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung der verfassungsrechtlichen Integrationsaufgabe – wie regelmäßig – Zielkonflikten begegnet, findet er allerdings in Art. 20a GG kein Entscheidungskriterium zu deren Lösung; insbesondere ist dem Umweltschutz kein den sonstigen Verfassungszielen oder -gütern übergeordneter Rang eingeräumt worden10. Bekanntlich steht schon das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG einer prinzipiellen, d. h. einzelfallunabhängigen Höhergewichtung ökologischer Belange in der (gesamt)planerischen Abwägung11 entgegen12. Auch der Annahme, Art. 20a GG sei als Optimierungsgebot zu verstehen, kraft dessen die natürlichen Lebensgrundlagen so gut zu schützen seien, wie dies rechtlich und faktisch möglich ist, ohne die Verwirklichung anderer öffentlicher Aufgaben in dem angestrebten Umfang unmöglich zu machen13, ist, jedenfalls im hier interessierenden Zusammenhang, die Gefolgschaft zu versagen. Zumindest stiftet sie Verwirrung, wenn mit diesem Postulat (dann doch) der zutreffende Befund einhergeht, der Umweltschutz genieße weder absoluten noch auch nur relativen Vorrang gegenüber anderen Zielen14. Im Rahmen der rechtsstaatlich vorgeprägten raumordnerischen wie bauleitplanerischen Abwägung eignet dem Umweltschutz eben nicht die Steuerungskraft und -fähigkeit, die gemeinhin Optimierungsgeboten zugeschrieben wird15. Ökologische Belange dürfen jedenfalls von Verfassungs wegen in der planerischen Abwägung nicht a priori, selbstverständlich aber im Einzelfall nach Maßgabe ihrer aktuellen Betroffenheit wirtschaftlichen und / oder sozialen Interessen, für die wiederum nichts anderes gilt, vorgezogen werden: Abwägungsrelevanz statt -präponderanz16. Im Einklang mit dem Vorstehenden findet sich einfachgesetzlich für die Raumordnung eine nachhaltige Raumentwicklung17, die u. a. die sozialen 9 Murswiek (FN 8), Rn. 57a; zur Querschnittsklausel etwa Calliess, DVBl. 1998, S. 559. 10 Für eine grundsätzliche Gleichrangigkeit auch Epiney, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Grundgesetz, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 20a Rn. 47; Kloepfer (FN 1), § 3 Rn. 23; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 20a Rn. 14. 11 § 7 Abs. 2 S. 1 ROG, § 1 Abs. 7 BauGB. 12 Erbguth, NuR 2005, S. 211 (214). 13 Murswiek (FN 8), Rn. 53; Epiney (FN 10), Rn. 62. 14 Murswiek (FN 8), Rn. 55. 15 Dazu anhand der bauleitplanerischen Abwägung Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, § 7 Rn. 29 ff. 16 Erbguth (FN 3), § 3 Rn. 20; ders., NuR 2005, S. 211 (214 f.); gegen die Annahme eines Optimierungsgebotes zugunsten ökologischer Belange in der Raumordnung Hoppe (FN 15), § 4 Rn. 7; allgemein in diesem Sinne Jarass (FN 10), Rn. 14.

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und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt, als Leitvorstellung in § 1 Abs. 2 ROG18 festgeschrieben. Im Sinne dieser Leitvorstellung findet sich die Raumordnung als überörtliche und überfachliche Gesamtplanung in den Dienst des Umweltschutzes gestellt, freilich im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe, den Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern (§ 1 Abs. 1 ROG). Der Bauleitplanung ist in § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB als Ziel19 vorgegeben, eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt. Die Bauleitplanung soll nach Satz 2 der Vorschrift ferner dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, dies auch in Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz. Die örtliche Planung wird somit vorsorgend für den Umweltschutz dergestalt instrumentalisiert, dass dessen Belange nicht nur bei der Verfolgung städtebaulicher Zielsetzungen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, sondern vielmehr zu den städtebaulichen Zielen und Zwecken hinzutreten (können)20. Damit wird die Bauleitplanung freilich nicht zu einem ihres städtebaulichen Auftrags enthobenen Werkzeug des Umweltschutzes – und Bauplanungsrecht nicht zu spezifischem Umweltrecht. Stets bleibt – schon aus kompetenziellen Gründen21 – ein städtebaulicher resp. bodenrechtlicher Bezug umweltschützender planerischer Ausweisungen erforderlich22. Im Näheren verdankt bekanntlich das nationale Gesamtplanungsrecht seine umweltrechtliche Ausprägung vor allem Impulsen des europäischen Gemeinschaftsrechts. Sie ist das Ergebnis eines Prozesses fortschreitender Ökologisierung, der mit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in das Bauplanungsrecht seinen Anfang nahm, sodann mit der 17 Dazu Frenz, UPR 2003, S. 361; eingehend Bode, Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, 2003. 18 Raumordnungsgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG) vom 22. 12. 2008, BGBl. I S. 2986 vom 20. 12. 2008; vgl. dazu die Überblicke bei Söfker, UPR 2009, S. 161; Krautzberger / Stüer, BauR 2009, S. 180; Durner, NuR 2009, S. 373; Ritter, DÖV 2009, S. 425; zum Entwurf des GeROG Söfker, UPR 2008, S. 161; Hoppe, NVwZ 2008, S. 936; Müller, RuR 2008, S. 360. 19 Zur Kategorie der Planungsziele als Abwägungsdirektiven Hoppe (FN 15), § 7 Rn. 24 f.; Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 119 ff.; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, Loseblatt, Stand: Oktober 2009, § 1 Rn. 102; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 2002, § 13 Rn. 3; BVerwGE 90, 329 (332). 20 Ebenso Söfker (FN 19), § 1 Rn. 105. 21 Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG; dazu etwa Degenhart, in: Sachs (FN 8), Art. 74 Rn. 73 ff. 22 Söfker (FN 19), § 1 Rn. 105.

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Umsetzung der FFH-Richtlinie23 und der Vogelschutz-Richtlinie24 fortgesetzt wurde und schließlich mit der Einführung der strategischen Umweltprüfung seinen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Jene Entwicklung ist umfassend dokumentiert und wissenschaftlich begleitet worden; einer eingehenderen Nachzeichnung bedarf es deshalb an dieser Stelle nicht25. Festzuhalten ist allerdings, dass auch das europäische Gemeinschaftsrecht, etwa in Gestalt der SUP-RL, nicht zu einer einzelfallunabhängigen Gewichtszunahme der umweltrechtlichen Belange in der raumplanerischen Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB bzw. § 7 Abs. 2 S. 1 ROG geführt hat. Derartiges kann auch nicht der gesetzlich eingeführte Begriff der nachhaltigen Entwicklung (§ 1 Abs. 5 S. 1 BauGB, § 1 Abs. 2 ROG) vermitteln26, und zwar schon deshalb nicht, weil dieser neben den ökologischen Raumansprüchen und -funktionen eben auch solche sozialer und wirtschaftlicher Art umfasst, was zu dem absurden Postulat einer Optimierung auch dieser und damit sämtlicher Belange im Dienste der Nachhaltigkeit führen müsste27. Daher ist derartigen Bestrebungen zu Recht eine deutliche Absage erteilt worden28.

III. Umweltrecht und Raumordnungsrecht: Ökologische Anforderungen an die Raumordnung und Regionalplanung im Gefolge der Raumordnungsnovelle 2009 Mit der Föderalismusreform 200629 wurde die Gesetzgebungskompetenz für die Raumordnung, für die bis dahin eine Rahmenzuständigkeit nach Art. 75 GG a.F. bestanden hatte, in eine konkurrierende Zuständigkeit des 23 Richtlinie 92 / 43 / EWG des Rates vom 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie), ABl.EG Nr. L 206 / 7 vom 22. 7. 92. 24 Richtlinie 79 / 409 / EWG des Rates vom 2. 4. 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl.EG Nr. L 103 / 1 vom 25. 4. 1979. 25 Vgl. etwa Erbguth (FN 3), § 3 Rn. 16 ff.; ders. (FN 5), S. 985 ff.; Schubert (FN 6), passim. 26 So aber Krautzberger / Stüer, DVBl. 2004, S. 914 (923 ff.); Stüer, NVwZ 2005, S. 508 (509 ff.). 27 Deutlich kritisch auch Hoppe, Die Gewichtung der Umweltbelange durch die Umweltprüfung in der bauleitplanungsrechtlichen Abwägung nach dem EAG Bau (BauGB 2004) bei der Aufstellung der Bauleitpläne. Zugleich zu der begrenzten Wirkung des Nachhaltigkeitsprinzips im Planungsrecht, in: Geis / Umbach (Hrsg.), Planung, Steuerung, Kontrolle, FS Richard Bartlsperger, 2006, S. 321 (327, 335 ff.). 28 s. Hoppe (FN 27), S. 324 ff.; dort auch zur (begrenzten) Bedeutung der Nachhaltigkeit im Rahmen der Abwägung, S. 335 ff.; zu Letzterem grundlegend Beaucamp, Das Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung im Recht, 2002. 29 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. 8. 2006, BGBl. I S. 2034; allgemein dazu Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209; Rengeling, DVBl. 2006, S. 1537; Frenz, JURA 2007, S. 165; Häde, JZ 2006, S. 930.

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Bundes überführt30; nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG steht den Ländern in diesem Bereich eine Abweichungskompetenz zu31. Dies hat der Bundesgesetzgeber zum Anlass für die Novellierung des Raumordnungsgesetzes (ROG) genommen und mit dem Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG)32 die bislang bestehenden Rahmenregelungen in bundesrechtliche Vollregelungen überführt. Der Entwurfsbegründung zufolge hat er das nur hinsichtlich derjenigen Regelungsbereiche getan, in denen er es aus fachlichen Gründen als notwendig erachtet hat; im Übrigen hat der Gesetzgeber sich legislative Zurückhaltung auferlegt33. Nachfolgend geht es um wesentliche Anforderungen des Umweltrechts im Raumordnungsgesetz, nämlich um entsprechende Vorgaben in Gestalt von Grundsätzen der Raumordnung (unter 1.), sodann um die strategische Umweltprüfung (unter 2.) und das europäische Habitatschutzrecht (unter 3.). Es folgen einige Bemerkungen zu Fragen des Ausgleichs von regionalplanerisch bedingten Eingriffen in Natur und Landschaft (4.).

1. Ökologische Anforderungen als Grundsatz der Raumordnung

§ 2 Abs. 2 Nr. 6 ROG formuliert raumbedeutsame Aspekte der Umwelt34 als Grundsatz der Raumordnung, der im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung nach § 1 Abs. 2 ROG anzuwenden und durch Festlegungen in Raumordnungsplänen der Länder und des Bundes zu konkretisieren ist, soweit dies erforderlich ist (§ 2 Abs. 1 ROG). Danach ist der Raum in seiner Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Böden, des Wasserhaushalts, der Tier- und Pflanzenwelt sowie des Klimas einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen zu entwickeln, zu sichern oder, soweit erforderlich, möglich und angemessen, wiederherzustellen. Deutlich integrativ im oben beschriebenen Sinne35 wirkt das Erfordernis, wirtschaftliche und soziale Nutzungen des Raums unter Berücksichtigung seiner ökologischen Funktionen zu gestalten; dabei sind Naturgüter sparsam und schonend in Anspruch zu nehmen und Grundwasservorkommen zu schützen. Weiterhin findet sich der Vorrang der Wiedernutzbarmachung 30

Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG. Zu den Auswirkungen der Föderalismusreform im Bereich der Raumordnung Erbguth, Zur Föderalismusreform im Bereich Umwelt, insbesondere Raumordnung, in: Ipsen / Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel, FS Hans-Werner Rengeling, 2008, S. 35 (47 ff.); Hoppe, DVBl. 2007, S. 144; Battis / Kersten, DVBl. 2007, S. 152; Spannowsky, ZfBR 2007, S. 221; ders., UPR 2007, S. 41; Kment, NuR 2006, S. 217; Parakenings, NWVBl. 2008, S. 172; Durner (FN 18), S. 373 f. 32 s. FN 18. 33 Regierungsentwurf BT-Drs. 16 / 10292, S. 19. 34 Vgl. BT-Drs. 16 / 10292, S. 22. 35 s. unter II. bei FN 9. 31

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von Flächen, der Nachverdichtung und anderer Maßnahmen zur Innenentwicklung der Städte und Gemeinden und zur Entwicklung vorhandener Verkehrsflächen vor der erstmaligen Inanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke36. Schließlich umfasst der Raumordnungsgrundsatz u. a. den Ausgleich von Beeinträchtigungen des Naturhaushalts37, die Sorgetragung für den vorbeugenden Hochwasserschutz, den Lärmschutz und die Luftreinhaltung sowie den Klimaschutz, insbesondere durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Wie alle gesetzlichen und planerischen Grundsätze der Raumordnung stellt auch der vorstehend dargelegte nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG eine Vorgabe für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen dar. Das ökologische Gewicht umweltorientierter Raumordnungsgrundsätze hängt also zum einen von etwaigen Konkretisierungen in Raumordnungsplänen ab, zum anderen von dem Gewicht, das jenen Grundsätzen in besagten Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zukommt.

2. Strategische Umweltprüfung

Der eingangs angesprochene Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die Raumordnung artikuliert sich u. a. in der Pflicht, bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen eine Umweltprüfung durchzuführen (§ 9 Abs. 1 ROG). Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dessen ist die Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-RL)38, deren Regelungen bereits im Gefolge des Europarechtsanpassungsgesetzes Bau (EAG Bau)39 im Jahr 2004 in das Raumordnungsgesetz a.F. implementiert worden waren40. Die Ausgestaltung der Umweltprüfung im novellierten ROG ist wenig überraschend ausgefallen; die ehemals rahmenrechtlichen Vorgaben für die Landesgesetzgebung im ROG a.F. sind im Wesentlichen in unmittelbar geltendes Bundesrecht gegossen worden41. Nach § 9 Abs. 1 ROG ist bei der Aufstellung (und vermittels § 7 Abs. 7 ROG auch bei der Änderung, Ergänzung und Aufhebung) von Raumordnungsplänen im Sinne von § 8 ROG von der für den Raumordnungsplan zu36 Zur Verfolgung der vorrangigen Innenentwicklung im Recht der Bauleitplanung s. unten IV.1.b) und 2.b). 37 Dazu auch unter III.4. 38 Richtlinie 2001 / 42 / EG vom 27. 6. 2001, ABl.EG L 197 / 30 vom 21. 7. 2001. 39 Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24. 6. 2004, BGBl. I S. 1359. 40 Dazu Erbguth, NuR 2004, S. 91 (92 f.); ders. (FN 12), S. 214; Schreiber, UPR 2004, S. 50; Kment, NVwZ 2005, S. 886 (887 f.); Uechtritz, ZUR 2006, S. 9; Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen – Eine Untersuchung zur Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie in das Raumordnungsrecht, 2004; Graf, Die Umsetzung der PlanUP-Richtlinie im Raumordnungsrecht des Bundes und der Länder, 2006, S. 73 ff. 41 Zum Folgenden auch Durner (FN 18), S. 378 f.

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ständigen Stelle eine Umweltprüfung durchzuführen. In die Pflicht genommen sind damit zunächst sämtliche Raumordnungspläne der Länder einschließlich der Regionalpläne. Raumordnungspläne für das Bundesgebiet (§ 17 Abs. 2 ROG) und für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (§ 17 Abs. 3 ROG)42 sind qua Verweisung in § 17 Abs. 5 S. 1 ROG ebenfalls der SUP-Pflicht unterworfen. Ausgenommen findet sich hingegen der Raumordnungsplan nach § 17 Abs. 1 ROG, in welchem das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) einzelne Grundsätze der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 ROG für die räumliche Entwicklung des Bundesgebietes konkretisieren kann. Die Begründung zum Gesetzentwurf bemerkt hierzu, es handele sich bei jenem Plan nicht um einen Raumordnungsplan im herkömmlichen Sinne, für den die Voraussetzungen des Art. 2 lit. a) SUP-RL erfüllt wären43. Der Gesetzgeber geht folglich davon aus, dass der Raumordnungsplan nach § 17 Abs. 1 ROG schon kein Plan im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung sei. Letztere verlangt, dass der Plan von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und / oder angenommen wird und aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden muss. Zweifelhaft kann hier allenfalls das Vorliegen der zweiten Voraussetzung sein. Daran fehlte es im Falle des Raumordnungsplans nach § 17 Abs. 1 ROG nur dann, wenn Art. 2 lit. a) 2. Spiegelstrich SUP-RL so zu verstehen wäre, dass die Bestimmung eine normativ begründete Aufstellungspflicht verlangt und solche Pläne von der SUP-Pflicht entbindet, deren Erstellung dem Belieben der jeweiligen Behörde anheim gestellt ist44. Die Vorschrift gestattet allerdings auch eine Interpretation, der zufolge lediglich solche Pläne erfasst sind, die in einem rechtlich ausgestalteten Verfahren erstellt werden müssen, ohne dass es auf den Grund für ihre Aufstellung ankäme45. Die überzeugenderen Gründe sprechen indes für erstere Lesart: So eröffnet Art. 4 42 Zur Raumordnung in der deutschen AWZ Erbguth, NuR 1999, S. 491; ders., Zum Planungsrecht für Küsten und Meere, in: Ennuschat (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft im Staat der Gegenwart, GS Peter J. Tettinger, 2007, S. 397; ders., Die Verwaltung 42 (2009), S. 179 (207 ff.); Erbguth / Müller, DVBl. 2003, S. 625; Kment, Die Verwaltung 40 (2007), S. 53; v. Nicolai, IzR 2004, S. 491; Wolf, ZUR 2005, S. 176; ders., NuR 2005, S. 375; zum Gewicht der Fischereibelange im Rahmen der Meeresraumordnung Schubert, NuR 2009, S. 834 (839 ff.). 43 BT-Drs. 16 / 10292, S. 28. 44 So Näckel, Umweltprüfung für Pläne und Programme: Die Richtlinie 2001 / 42 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 2003, S. 222; Hendler, DVBl. 2003, S. 227 (231); Uebbing (FN 40), S. 48 f.; Schink, NVwZ 2005, S. 615 (617). 45 So Bunge, in: Hartje / Klaphake (Hrsg.), Die Rolle der Europäischen Union in der Umweltplanung, 1998, S. 117 (128); Pietzcker / Fiedler, Gutachten zum Umsetzungsbedarf der Plan-UP-Richtlinie der EG im Baugesetzbuch, erstattet im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, mschrftl., Bonn 2002, S. 8; Sangenstedt, in: Reiter (Hrsg.), Neue Wege in der UVP – Novelliertes UVPGesetz und innovative Methodik, 2001, S. 235 (241).

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Abs. 2 SUP-RL die Wahl, die Anforderungen der Richtlinie entweder in bestehende oder eigens zu schaffende Verfahren zu integrieren, weshalb auch (bislang) verfahrensmäßig nicht normativ verfasste Planungen der SUP-RL unterfallen können. Ausschlaggebend dürften letztlich die englische und die französische Sprachfassung der SUP-RL sein; ihnen fehlt die Interpretationsoffenheit der deutschen Formulierung46. Damit erweist sich die Freistellung des lediglich fakultativen47 Raumordnungsplans nach § 17 Abs. 1 ROG von der SUP-Pflicht als gemeinschaftsrechtskonform. Ebenso wie nach der Bestimmung des Anwendungsbereichs in § 7 Abs. 5 S. 1 ROG a.F. findet sich die Umweltprüfung für Raumordnungspläne unter Verzicht auf EG-rechtlich eröffnete Differenzierungen48 umfassend obligatorisch, d. h. vor allem ohne vorausgehende Vorprüfung des Einzelfalls (Screening), angeordnet49. Eine fakultative Ausnahme sieht § 9 Abs. 2 S. 1 ROG nur in Fällen geringfügiger Änderungen von Raumordnungsplänen vor; diese sind nach Maßgabe einer überschlägigen Einzelfallprüfung SUPpflichtig, in welcher die in Anlage 2 zum ROG genannten Kriterien zu berücksichtigen sind. Die Vorprüfung ist unter Beteiligung der öffentlichen Stellen, deren umwelt- und gesundheitsbezogener Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen des Raumordnungsplans berührt werden kann, durchzuführen (§ 9 Abs. 2 S. 2 ROG). Ergibt die Vorprüfung, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind, hat der Planungsträger die zu diesem Ergebnis führenden Erwägungen in die Planbegründung aufzunehmen (§ 9 Abs. 2 S. 3 ROG). In der Umweltprüfung sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 ROG die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen des Raumordnungsplans auf die Umwelt in ihren einzelnen Schutzgütern sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen zu ermitteln und in einem Umweltbericht frühzeitig zu beschreiben und zu bewerten, wobei der Umweltbericht nach den inhaltlichen Maßgaben der Anlage 1 zum ROG zu verfassen ist. § 9 Abs. 1 S. 2 ROG ordnet die Festlegung des Untersuchungsrahmens der Umweltprüfung einschließlich des erforderlichen Umfangs und Detaillierungsgrads des Umweltberichts an (Scoping); dabei sind die öffentlichen Stellen, deren umweltund gesundheitsbezogener Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen des Raumordnungsplans berührt werden kann, zu beteiligen. Satz 3 der Vorschrift beschränkt die Umweltprüfung auf das, was nach gegenwärti46 Die englische Fassung lautet: „. . . which are required by . . .“, in der französischen heißt es: „. . . exigé par des dispositions . . .“; ebenso Hendler (FN 44), S. 231; Uebbing (FN 40), S. 48; Schink (FN 44), S. 617. 47 Dem Gesetzentwurf ist zu entnehmen, dass dem BMVBS lediglich die Option der bundesweiten Konkretisierung der Raumordnungsgrundsätze nach § 2 Abs. 2 ROG eingeräumt werden sollte, BT-Drs. 16 / 10292, S. 27. 48 Vgl. Art. 3 Abs. 2 – 5 SUP-RL. 49 Zustimmend auch Zentralinstitut für Raumplanung, DVBl. 2005, S. 1149 (1151) anhand § 7 Abs. 5 S. 1 ROG a.F.

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gem Wissensstand und allgemein anerkannten Prüfmethoden sowie nach Inhalt und Detaillierungsgrad des Raumordnungsplans angemessenerweise verlangt werden kann. § 9 Abs. 3 ROG enthält eine Abschichtungsregel, der zufolge die Umweltprüfung auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden soll, wenn in anderen das Plangebiet ganz oder teilweise umfassenden Plänen oder Programmen bereits eine Umweltprüfung nach § 9 Abs. 1 ROG durchgeführt wurde. Dies dürfte insbesondere im Verhältnis von Regionalplänen und landesweiten Raumordnungsplänen von Relevanz sein. § 9 Abs. 2 S. 3 ROG gestattet die Verbindung der Umweltprüfung mit anderen Prüfungen zur Ermittlung oder Bewertung von Umweltauswirkungen. Den Vorgaben der SUP-RL zur (ggf. grenzüberschreitenden) Beteiligung der Öffentlichkeit und Behörden50 tragen die Regelungen in §§ 10, 18 ROG Rechnung. Das Ergebnis der Umweltprüfung ist nach § 7 Abs. 2 S. 2 ROG in der Abwägung nach Satz 1 der Vorschrift zu berücksichtigen. § 9 Abs. 4 ROG ordnet des Weiteren die Überwachung der erheblichen Umweltauswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf die Umwelt an (Monitoring). Ebenfalls geregelt sind das Erfordernis einer zusammenfassenden Erklärung hinsichtlich der Berücksichtigung der Umweltbelange und Konsultationsergebnisse (§ 11 Abs. 3 ROG) sowie deren Bekanntmachung (§ 11 Abs. 2 ROG)51. Zusammenfassend ergibt sich das Bild einer stimmigen und praxisgerechten Umsetzung der Anforderungen der SUP-RL im ROG, die keinen Anlass zu gemeinschaftsrechtlicher Beanstandung bietet52. Mit dem Regelungsgefüge im ROG hat es indes nicht sein Bewenden; auch das UVPG des Bundes enthält Vorschriften zur SUP in der Raumordnung. Nach § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.5, 1.6 der Anlage 3 zum UVPG ist bei Raumordnungsplanungen nach § 8 ROG und solchen des Bundes nach § 17 Abs. 2 und 3 ROG eine obligatorische strategische Umweltprüfung durchzuführen. Diese Anordnung überrascht angesichts der bereits im ROG für sämtliche Raumordnungspläne verbindlich vorgesehenen Umweltprüfungspflicht. Jene auf den ersten Blick bestehende Doppelung wird denn auch im durch das GeROG eingeführten § 16 Abs. 4 UVPG aufgelöst; die Vorschrift belehrt darüber, dass „hierfür“ – gemeint ist: anstelle der in § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.5, 1.6 der Anlage 3 zum UVPG angeordneten strategischen Umweltprüfung – eine Umweltprüfung einschließlich der Überwachung nach den Vorschriften des Raumordnungsgesetzes 50

Art. 6, 7 SUP-RL. Für Raumordnungspläne des Bundes nach § 17 Abs. 2 und 3 ROG findet sich die entsprechende Geltung von § 11 Abs. 2 und 3 in § 19 Abs. 2 ROG angeordnet. 52 Das dürfte auch gegenüber den Unbeachtlichkeitsvorschriften des § 10 ROG gelten; vgl. zur entsprechenden Regelung des § 10 ROG a.F. Kment, DÖV 2006, S. 462. 51

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durchgeführt wird. Warum das UVPG neben dem ROG eine Umweltprüfungspflicht für dieselben Pläne anordnet, welche dann wiederum durch die Verweisung auf das ROG abgelöst wird, vermag auch die Lektüre der Begründung zum Gesetzentwurf nicht zu erhellen. Diese bemerkt dazu lediglich, § 16 Abs. 4 UVPG solle den Vorrang des neuen § 9 ROG vor den Regelungen zur SUP im UVPG regeln, nachdem der Bund die (volle) konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Raumordnung habe und im ROG die strategische Umweltprüfung umfassend regelte53. Die Notwendigkeit, den Vorrang des § 9 ROG vor den Regelungen zur SUP im UVPG zu bestimmen, folgt überhaupt erst daraus, dass das UVPG Regelungen zur SUP für Raumordnungspläne enthält, was angesichts der insoweit abschließenden Bestimmungen im ROG schlichtweg überflüssig ist54. Dem findet sich – im Kontext der Parallelregelung für die bauplanungsrechtliche Umweltprüfung in § 17 Abs. 2 UVPG55 – entgegengehalten, jene Vorschrift wolle „eine Rückfallposition wahren, falls der der Gesetzgeber die im BauGB jetzt abschließend geregelte Umweltprüfung später einmal verändern sollte“56. Damit wird dem Bundesgesetzgeber allen Ernstes unterstellt, er sei fähig, wissentlich den erreichten (europarechtlich vorgegebenen) Standard im ROG (resp. BauGB) wieder zurück zu nehmen, gleichzeitig aber jenen Standard im UVPG aufrecht zu erhalten, welches dann – gleichsam als Netz und doppelter Boden – die deutsche Umsetzungsgesetzgebung vor dem Verdikt der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit bewahrte. Selbst wenn mit „Gesetzgeber“ die für die Vorbereitung entsprechender legislativer Vorhaben „zuständigen“, möglicherweise unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen verfolgenden Ministerien (BMU einerseits, BMVBS andererseits) gemeint sein sollten, erschiene das Bild einer „Rückfallposition“ äußerst fragwürdig, jedenfalls aber stimmte es bedenklich, wenn derart unnötig komplizierte gesetzliche Konstruktionen lediglich Ausdruck von Ressortegoismen und gegenseitigem Misstrauen sein sollten57. Aus gesetzestechnischer Sicht erschiene es jedenfalls vorzugswürdig, wenn das UVPG zum Thema „Raumordnungspläne“ einfach schwiege, was in der Sache zum selben Ergebnis führte wie die gegenwärtige „Systematik“.

53

BT-Drs. 16 / 10292, S. 31. Ähnlich Schreiber (FN 40), S. 52. 55 Kritisch dazu Schubert (FN 6), S. 256 ff.; ders., NuR 2005, S. 369 (375); Uechtritz, BauR 2005, S. 1859 (1861). 56 Wagner / Paßlick, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl. 2007, § 17 Rn. 2. 57 Zu derartigen Phänomenen vor dem Hintergrund der Geschichte des UGB Jarass, ZfU 2006, S. 1 (7 f.). 54

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Mathias Schubert 3. Europäisches Habitatschutzrecht

Nur geringfügige Abweichungen gegenüber dem ROG a.F. sind im Hinblick auf die Anforderungen des Habitatschutzrechts in Umsetzung der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie im neuen Raumordnungsgesetz zu verzeichnen. § 7 Abs. 6 ROG bestimmt in knapper Form, dass, soweit ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein europäisches Vogelschutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigt werden kann, bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen nach den §§ 8 und 17 Abs. 2 und 3 ROG die Vorschriften des BNatSchG über die Zulässigkeit und Durchführung von derartigen Eingriffen einschließlich der Einholung der Stellungnahme der Europäischen Kommission anzuwenden sind. Die Vorschrift entspricht damit im Wesentlichen § 7 Abs. 7 S. 4 Hs. 2 ROG a.F.; entfallen ist allerdings dessen erster Halbsatz, wonach die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura-2000-Gebiete in der Abwägung zu berücksichtigen waren. Die Abwägungsrelevanz jener Belange folgt indes schon aus dem allgemeinen Abwägungsgebot in § 7 Abs. 2 S. 1 ROG. Der Verweis in § 7 Abs. 6 ROG zielt auf §§ 34, 36 BNatSchG58 (§§ 34, 35 BNatSchG a.F.); allerdings ermangelt es auch nach dem neuen Recht eines klaren Anwendungsbefehls zur Durchführung einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen FFH-Verträglichkeitsprüfung für Raumordnungspläne. Ein solcher lässt sich dem Gesetz unmittelbar lediglich für Projekte aus § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG entnehmen. Eine Verweisung auf § 34 Abs. 1 bis 5 für Pläne, die bei behördlichen Entscheidungen zu beachten oder zu berücksichtigen sind – und damit auch für Raumordnungspläne –, findet sich in § 36 S. 1 Nr. 2 BNatSchG59; allerdings gilt § 34 Abs. 1 S. 1 nach § 36 S. 2 BNatSchG für Raumordnungspläne gerade nicht60. Die anwendbaren sonstigen Bestimmungen des § 34 BNatSchG regeln indes Maßstab und Rechtsfolgen der Verträglichkeitsprüfung. Der Gesetzgeber ging demnach offenbar davon aus, dass auch Raumordnungspläne einer derartigen Prüfung zu unterziehen seien; eine normative Anordnung findet sich im BNatSchG jedoch nicht61. Eine solche soll sich offenbar aus dem ROG selbst ergeben62. Hieraus erklärt sich die nunmehr in § 7 Abs. 6 ROG übernommene Bestimmung, wo58 Bundesnaturschutzgesetz vom 29. 7. 2009, BGBl. I S. 2542; dazu Gellermann, NVwZ 2010, S. 73; Louis, NuR 2010, S. 77. 59 In § 35 S. 1 Nr. 2 BNatSchG a.F. waren Raumordnungspläne noch ausdrücklich genannt. 60 Gleiches folgte aus § 35 S. 1 Nr. 2 BNatSchG a.F. 61 Gellermann, Natura 2000 – Europäisches Habitatschutzrecht und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2001, S. 167; daran hat das novellierte BNatSchG (s. FN 58) nichts geändert. 62 Vgl. hierzu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13 / 6392 vom 4. 12. 1996, S. 43.

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nach die einschlägigen Vorschriften des BNatSchG anzuwenden sind, soweit die Erhaltungsziele oder der Schutzzweck der Natura-2000-Gebiete erheblich beeinträchtigt werden können. Allerdings ist zweifelhaft, ob dieser Anordnung das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung entnommen werden kann. Das Ziel der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG besteht in der Feststellung, ob ein Projekt in Bezug auf ein Natura-2000-Gebiet erhaltungszielkonform ist. Das ist gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG nicht der Fall, wenn das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Schutzgebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. § 34 Abs. 2 BNatSchG benennt demnach die fehlende Erhaltungszielkonformität als mögliche Rechtsfolge der Verträglichkeitsprüfung, während § 7 Abs. 6 ROG die fehlende Erhaltungszielkonformität als Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften des BNatSchG normiert. Es geht also bei der im ROG angeordneten Prüfung nach Maßgabe des BNatSchG gerade nicht um die Verträglichkeitsprüfung im eigentlichen Sinne, sondern um die sich im Falle der festgestellten Unverträglichkeit anschließende Prüfung der Zulassungsfähigkeit eines Plans trotz fehlender Vereinbarkeit mit den Erhaltungszielen bzw. Schutzzwecken der Schutzgebiete – mithin um die sog. habitatschutzspezifische Sonderprüfung63. Daraus ergibt sich, dass § 7 Abs. 6 ROG keine Pflicht zur Vornahme einer Verträglichkeitsprüfung begründet, sondern lediglich deren Durchführung voraussetzt64. Bei Geltung des ROG a.F. ließ sich die grundsätzliche Prüfpflicht im Wege der Interpretation des § 7 Abs. 7 S. 4 Hs. 1 herleiten. So setzte die dort vorgesehene Berücksichtigung der Erhaltungsziele bzw. des Schutzzwecks im Rahmen der Abwägung notwendig eine ordnungsgemäße Zusammenstellung des insoweit relevanten Abwägungsmaterials voraus. Zur Vermeidung von Abwägungsfehlern war es daher unverzichtbar, zunächst die Auswirkungen zu ermitteln, die sich aus den planerischen Darstellungen bzw. Festsetzungen für ein betroffenes Schutzgebiet ergaben. So war gewährleistet, dass die Erhaltungszielkonformität der planerischen Darstellungen bzw. Festsetzungen einer näheren Prüfung unterzogen wurde65. Mit der Streichung des § 7 Abs. 7 S. 4 Hs. 1 ROG a.F. ist dieser Anknüpfungspunkt freilich entfallen. Nun muss das Erfordernis einer FFH-Verträglichkeitsprüfung auf das allgemeine Abwägungsgebot im Zusammenhang mit § 7 Abs. 6 ROG gestützt werden. Ob das den strengen Anforderungen genügt, die das Gemeinschaftsrecht an die Klarheit und Bestimmt63

Dies übersieht Schink, NuR 2001, S. 251 (255). So zu Recht Gellermann (FN 61), S. 168; Erbguth, NuR 2000, S. 130 (131); Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 173 (178); a. A. Schink, DÖV 2002, S. 45 (47); Möstl, DVBl. 2002, S. 726 (731). 65 Erbguth (FN 64), S. 131 f.; Gellermann (FN 61), S. 169; i. E. auch Schrödter, NuR 2001, S. 8 (11). 64

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heit der Umsetzung richtliniengestützter Vorgaben stellt66, unterliegt freilich Zweifeln67. Lässt sich das „Ob“ der FFH-Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der Raumordnung nur mit einigem Begründungsaufwand herleiten, so sind der Prüfungsmaßstab, die Rechtsfolgen und die Ausnahmebestimmungen hinsichtlich der Zulässigkeit des betreffenden Plans durch den Verweis in § 36 BNatSchG auf § 34 Abs. 1 S. 2, 3 und Abs. 2 bis 5 BNatSchG ausdrücklich geregelt. Der nähere Inhalt jenes Regimes soll an dieser Stelle nicht (erneut) dargelegt werden68. Erinnert sei nur daran, dass die festgestellte Unverträglichkeit eines Raumordnungsplans in Abweichung von der bloßen Abwägungsrelevanz ökologischer Belange zur Unzulässigkeit des Plans führt, sofern besagte Ausnahmen nicht greifen69.

4. Ausgleich von Eingriffen in Naturhaushalt und Landschaftsbild

Anders als im Bauplanungsrecht70 hat die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG71) keine ausdrückliche Einbindung in das umweltschützende Instrumentarium der Raumordnung erfahren. Vermeidung, Minimierung, Ausgleich und Ersatz von durch Raumordnungspläne vorbereiteten bzw. ermöglichten Eingriffen in Naturhaushalt und Landschaftsbild sind nicht obligatorisch im Rahmen der Abwägungsentscheidung gem. § 7 Abs. 2 S. 1 ROG zu berücksichtigen. Dass jene Belange dennoch sinnvollerweise Gegenstand raumordnerischer Befassung sein können, erweist nicht zuletzt die Bestimmung des § 8 Abs. 5 S. 2 ROG, wonach bei Festlegungen zur anzustrebenden Freiraumstruktur nach Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift zugleich bestimmt werden kann, dass in dem betreffenden Gebiet unvermeidbare Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes an anderer Stelle ausgeglichen, ersetzt oder gemindert werden. Zutreffend ist zum einen darauf hingewiesen worden, dass es sich dabei um eine Vorwirkung der Eingriffsregelung auf der Ebene der Raumordnung resp. Regionalplanung handeln dürfte und zum anderen auf deren besondere Bedeutung, 66 Hierzu Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV, 3. Aufl. 2007, EGV Art. 249 Rn. 54 m. w. Nachw. 67 So auch Gellermann, Bundesnaturschutzgesetz, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Loseblatt, Stand: April 2009, § 35 Rn. 5. 68 Dazu anhand der im Wesentlichen gleich lautenden Vorschriften des BNatSchG a.F. umfassend Gellermann (FN 67), § 34 Rn. 7 ff.; Lieber, NuR 2008, S. 597 (598 ff.); anhand der Bauleitplanung Erbguth (FN 3), § 3 Rn. 79 ff.; Schubert (FN 6), S. 188 ff. 69 Dazu Erbguth (FN 64), S. 134 f.; Schubert (FN 6), S. 225 f. 70 s. dazu unter IV.2. 71 §§ 18 ff. BNatSchG a.F.

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die daraus erwächst, dass Ausgleichsmaßnahmen im großräumigen Maßstab eher möglich erscheinen, als dies vielfach auf örtlicher Ebene der Fall ist72. Vor diesem Hintergrund ist die rechtspolitische Frage aufgeworfen, ob nicht die Eingriffsregelung zum umweltrechtlichen Pflichtprogramm der Raumordnung hinzutreten sollte. Derartiges sah etwa § 265 Abs. 1 des Entwurfs der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (UGB-KomE) 1997 für Regionalpläne vor, aufgrund derer Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind73. Die Sachverständigenkommission begründete diesen Vorschlag mit der vorentscheidenden Bedeutung dieser Planungsebene74. Der jüngst gescheiterte Referentenentwurf eines Umweltgesetzbuches75 sah hingegen keine Vorverlagerung der Eingriffsregelung in die Regionalplanung vor. Solches wäre für die Zukunft nur zu erwägen, wenn sich herausstellte, dass auf nachfolgenden Planungs- und Zulassungsebenen Eingriffe in Natur und Landschaft nicht (mehr) angemessen bewältigt werden können. Allerdings dürfte dann eine gegenüber dem geltenden Recht verstärkte Inpflichtnahme der Flächennutzungsplanung vorrangig in Betracht zu ziehen sein.

IV. Umweltrecht und Bauplanungsrecht: Rechtsentwicklungen im Gefolge der BauGB-Novelle 2007 Auch im Recht der Bauleitplanung findet sich ein breit gefächertes Instrumentarium umweltrechtlicher Anforderungen, welches seine gegenwärtige Gestalt einer fortwährenden, überwiegend gemeinschaftsrechtlich geleiteten Entwicklung verdankt. Im Folgenden richtet sich das Augenmerk zunächst wiederum auf die (strategische) Umweltprüfung, diesmal in ihrer spezifisch bauplanungsrechtlichen Ausprägung, wobei es, ausgehend von deren Einführung mit dem EAG Bau (2004), um jüngere Entwicklungen im Gefolge der Novelle des BauGB im Jahr 2007 geht (dazu unter 1.). Es folgen einige Gedanken zur gegenwärtigen und künftigen Bedeutung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung im Bauplanungsrecht, an der die letztgenannte Novelle ebenfalls nicht spurlos vorübergegangen ist (dazu unter 2.). Keiner gesonderten Betrachtung bedürfen hingegen die habitat72 Erbguth (FN 12), S. 213 zur gleich lautenden Vorgängerregelung in § 7 Abs. 2 S. 2 ROG a.F. 73 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch, Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission, 1998; dazu Hopp, Raumordnungs- und Bauplanungsrecht im Umweltgesetzbuch, 2000, S. 41 ff. 74 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (FN 73), S. 904 u. 911 f. 75 Referentenentwurf für ein Umweltgesetzbuch vom 20. 5. 2008; dazu etwa Erbguth / Schubert, NuR 2008, S. 474; zum Scheitern des UGB vgl. dies., UTR 2010, i. E.

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schutzrechtlichen Anforderungen nach § 1a Abs. 4 BauGB i. V. m. §§ 34, 36 BNatSchG; diese sind von jüngeren gesetzgeberischen Zugriffen verschont geblieben76 und entsprechen in ihrer gesetzlichen Konzeption im Wesentlichen derjenigen des ROG77.

1. Die bauplanungsrechtliche Umweltprüfung

Das Instrument der bauplanungsrechtlichen Umweltprüfung in ihrer aktuellen Gestalt ist das Resultat einer langen und wechselvollen Rechtsentwicklung. Nachfolgend richtet sich der Blick auf deren beiden vorläufig (?) letzten Etappen, die BauGB-Novellen der Jahre 2004 und 2007. Während Erstere von einem Bestreben nach rechtlicher Vereinfachung und Harmonisierung geleitet war [dazu unter a)], stand bei der Nachfolgenden der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung im Dienste des Primats der Innenentwicklung im Vordergrund – was freilich zu Friktionen im Hinblick auf die konzeptionelle Ausrichtung des EAG Bau geführt hat [dazu unter b)]. a) Zur Umsetzungskonzeption nach dem Europarechtsanpassungsgesetz Bau (2004): Das bereits erwähnte EAG Bau78 hat nicht nur Änderungen im Raumordnungsrecht bewirkt, sondern diente im Weiteren der Implementierung der SUP-RL in das Städtebaurecht79. Die im Gefolge jener Gesetzgebung verwirklichte Grundkonzeption basierte auf dem Gedanken einer strukturell harmonisierenden Umsetzung in bewusster Abkehr von einer „am Wortlaut der Richtlinie haftenden Übernahme gemeinschaftsrechtlicher Einzelvorgaben“ (sog. 1:1-Umsetzung)80. Angesichts der zuvor erfolgten weder europarechts- noch praxisfreundlichen Einführung der vorhabenbezogenen UVP in das Bauplanungsrecht erschien die Entscheidung, die für die Bauleitplanung einschlägigen Vorgaben der SUP-RL und der UVR-RL81 in einem einzigen Instrument, der bauplanungsrechtlichen Umweltprüfung, zusammenzuführen und Letztere als Regelverfahren für grundsätzlich alle Bauleitpläne zu etablieren, durchaus bemerkenswert82. 76

Das gilt auch für die BNatSchG-Novelle 2009, vgl. FN 58. Dazu bereits unter III.3. 78 s. FN 39. 79 Dazu etwa Söfker, Die Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie im Baugesetzbuch, in: Hendler / Ibler / Martinez Soria (Hrsg.), Für Sicherheit, für Europa, FS Volkmar Götz, 2005, S. 143; Hoppe, NVwZ 2004, S. 903; Erbguth / Schubert, DÖV 2005, S. 533; dies., UTR 83 (2005), S. 63; Schubert (FN 55), S. 369; Finkelnburg, NVwZ 2004, S. 897; Jessel, UPR 2004, S. 408; Uechtritz (FN 55), S. 1859; Wagner / Engel, BayVBl. 2005, S. 33. 80 BT-Drs. 15 / 2250, S. 27 f. 81 Richtlinie 85 / 337 / EWG, ABl.EG vom 5. 7. 1985, Nr. L 175, S. 40, geändert durch die Richtlinie 97 / 11 / EG, ABl.EG vom 14. 3. 1997, Nr. L 73, S. 5 und die Richtlinie 2003 / 35 / EG ABl.EG vom 25. 6. 2003, Nr. L 156, S. 17. 82 Zustimmung auch bei Uechtritz (FN 55), S. 1861. 77

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Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, dem Bedürfnis der Planungspraxis nach Vereinheitlichung und Vereinfachung der gesetzlichen Anforderungen83 Rechnung zu tragen84. Entsprechend wurde in § 2 Abs. 4 S. 1 BauGB die voraussetzungslose Pflicht eingeführt, für jeden Bauleitplan eine Umweltprüfung durchzuführen. Der Gesetzgeber hatte damit nicht die gemeinschaftsrechtlich vorgesehene Möglichkeit in Anspruch genommen, für bestimmte Pläne eine SUP nur nach Maßgabe des Ergebnisses einer Vorprüfung des Einzelfalls anzuordnen85. Eine Ausnahme von der regelhaft obligatorischen SUP ist durch das EAG Bau lediglich in § 13 Abs. 1 BauGB eröffnet worden; danach können bestimmte Bauleitpläne im Wege des vereinfachten Verfahrens nach § 13 Abs. 3 BauGB von der Umweltprüfungspflicht freigestellt werden86. Die Norm erfasste ursprünglich zwei Planungsfälle, nämlich – erstens – eine die Grundzüge der Planung nicht berührende Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans und – zweitens – die Aufstellung eines Bebauungsplans im unbeplanten Innenbereich im Sinne von § 34 BauGB, ohne dass der sich aus der vorhandenen Eigenart der näheren Umgebung ergebende Zulässigkeitsmaßstab wesentlich verändert wird87. Die Befreiung von der Prüfpflicht bedingt zudem, dass durch die Planung weder die Zulässigkeit eines UVPpflichtigen Vorhabens vorbereitet oder begründet wird noch Anhaltspunkte für die Beeinträchtigung eines Natura-2000-Gebiets bestehen. Boten die Ausnahmevorschriften aufgrund ihres eng gefassten Anwendungsbereichs auch keinen Anlass zu gemeinschaftsrechtlicher Beanstandung, so galt (und gilt) anderes in rechtspolitischer Hinsicht88: Zum einen setzen sich die Regelungen in Widerspruch zum Verständnis der Umweltprüfung als einem der Bauleitplanung gleichsam „verinnerlichten“ Instrument89, des Weiteren bergen sie die Gefahr bewusster oder unbewusster Überdehnung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen, dies nicht zuletzt aufgrund der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Erschwerend kommt hinzu, dass kein praktischer Gewinn für die Planung ersichtlich ist, welcher die Inkaufnahme derlei Unsicherheiten rechtfertigen könnte, denn 83 Gemeint waren die z. T. nur schwer zu durchdringenden Bestimmungen zum Geltungsbereich der bauplanungsrechtlichen UVP im seinerzeit geltenden UVPG, dazu eingehend Schubert (FN 6), S. 37 ff. 84 BT-Drs. 15 / 2250, S. 28. 85 Vgl. Art. 2 Abs. 5 SUP-RL. 86 Gleiches gilt für die Anforderung, einen Umweltbericht nach § 2a zu erstellen; das BauGB führt den Umweltbericht neben der Umweltprüfung gesondert auf, nach Art. 2 lit. b) SUP-RL ist er aber (begrifflich) Teil der Umweltprüfung, näher dazu Schubert (FN 6), S. 254 ff. 87 Zur Erweiterung des Anwendungsbereichs sogleich unter IV.1.b). 88 Zum Nachfolgenden mit Nachweisen entsprechender Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Schubert (FN 6), S. 260 f. 89 So auch Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 63.

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eine sachgerechte Umweltprüfung erfordert bei richtigem Verständnis keinen ins Gewicht fallenden Mehraufwand gegenüber der allgemeinen Abwägung, welche in jedem Fall eine vollständige Prüfung der Umweltbelange erfordert, zumal die SUP kurz ausfallen kann, wenn offensichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind90. Per Saldo allerdings war die Umsetzungskonzeption im Gefolge des EAG Bau zu begrüßen; angesichts des nur schmalen Anwendungsfeldes der Ausnahmetatbestände des § 13 BauGB überwog der durch § 2 Abs. 4 S. 1 BauGB ausgelöste Vereinfachungs- und Harmonisierungseffekt deutlich. b) (Rück-)Entwicklungen im Gefolge des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte (2007): Nicht einmal zweieinhalb Jahre später hat der Gesetzgeber (freilich unter neuen politischen Vorzeichen) das Anliegen einer strukturell harmonisierenden Umsetzung der SUP-RL zugunsten der Zielsetzung, die Innenentwicklung der Städte im Wege beschleunigter Planung zu stärken, in den Hintergrund gerückt und mit einer neuerlichen Novellierung des BauGB91 den Grundsatz der flächendeckenden SUP-Pflicht in der Bauleitplanung durch Einführung zusätzlicher Ausnahmen (weiter) aufgeweicht. Zum einen ist den in § 13 Abs. 1 BauGB benannten Tatbeständen ein weiterer hinzugetreten; auch der Bebauungsplan, der lediglich Festsetzungen nach § 9 Abs. 2a BauGB enthält, bedarf keiner Umweltprüfung mehr. Jene Festsetzungen sind solche, die für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen der Vorschrift getroffen werden können92. Darüber hinaus gestattet nunmehr der neu eingeführte § 13a BauGB, überschrieben mit „Bebauungspläne der Innenentwicklung“, die Aufstellung93 von Bebauungsplänen für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung im – dem BauGB bis dahin unbekannten – beschleunigten Verfahren, welches sich vor allem dadurch „auszeichnet“, dass es von der Pflicht, eine SUP durchzuführen, entbindet94. Freilich ist die Feststellung, dass ein Bebau90

Ähnlich Reidt, NVwZ 2007, S. 1029 (1031). Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. 12. 2006, BGBl. I S. 3316 vom 27. 12. 2006; das Gesetz ist am 1. 1. 2007 in Kraft getreten; s. dazu Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121; Krautzberger, UPR 2006, S. 405. 92 Dazu nur Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 103a m. w. Nachw. 93 Gleiches gilt für die Änderung und Ergänzung, s. § 13a Abs. 4 BauGB. 94 Dies geschieht durch Verweisung in § 13a Abs. 2 S. 1 auf § 13 Abs. 3 S. 1 BauGB; es entfallen ferner – ebenso wie im vereinfachten Verfahren nach § 13 Abs. 3 S. 1 BauGB – Verfahrensanforderungen, die mit der eigentlichen Umweltprüfung zusammenhängen (Umweltbericht, Angabe nach § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB, zusammenfassende Erklärung nach § 6 Abs. 5 S. 3 und § 10 Abs. 4 BauGB, Überwachung nach § 4c BauGB). 91

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ungsplan der Innenentwicklung dienen soll95, beileibe nicht die einzige Voraussetzung, um in den Genuss des beschleunigten Verfahrens zu kommen; weitere folgen in § 13a Abs. 1 S. 2 – 5 BauGB: So hat der Plan eine zulässige Grundfläche im Sinne des § 19 Abs. 2 BauNVO oder eine Größe der Grundfläche von insgesamt weniger als 20.000 m2 festzusetzen, wobei die Grundflächen mehrerer Bebauungspläne, die in einem engen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufgestellt werden, mitzurechnen sind (§ 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB). Setzt der Plan im vorgenannten Sinne eine Grundfläche von 20.000 m2 bis weniger als 70.000 m2 fest, so hat die Gemeinde, um den Erleichterungen des beschleunigten Verfahrens näher zu kommen, eine überschlägige Vorprüfung des Einzelfalls (Screening) unter Berücksichtigung der in Anlage 2 zum BauGB genannten Kriterien vorzunehmen96. Jene Vorprüfung muss die Gemeinde zu der Einschätzung führen, der Bebauungsplan werde voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben, die nach § 2 Abs. 4 S. 4 BauGB in der Abwägung zu berücksichtigen wären. An der Vorprüfung sind die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereiche durch die Planung berührt werden können, zu beteiligen (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 BauGB). Sollte der Bebauungsplan der Innenentwicklung weder eine zulässige Grundfläche noch eine Größe der Grundfläche festsetzen, so ist die Fläche maßgeblich, die bei Durchführung des Plans voraussichtlich versiegelt wird (Satz 3 der Vorschrift). Schließlich finden sich in den Sätzen 4 und 5 die bereits in § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB aufgeführten Ausschlussgründe (Begründung der Zulässigkeit UVP-pflichtiger Vorhaben, Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten). Mag diesen Regelungen auch Gemeinschaftsrechtskonformität zu attestieren sein97, so muss sich der Gesetzgeber wiederum rechtspolitische Einwände vorhalten lassen. In dem Maße, in dem weitere Kategorien von Bauleitplänen einem umweltprüfungsfreien Aufstellungs-, Ergänzungs- bzw. Änderungsverfahren anheim gegeben werden, entwertet der Gesetzgeber 95 Zum Begriff der Innenentwicklung etwa Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 63a; Battis / Krautzberger / Löhr (FN 91), S. 124; Bunzel, LKV 2007, S. 444 (444 f.); SchmidtEichstaedt, BauR 2007, S. 1148; Uechtritz, BauR 2007, S. 476 (478); Scheidler, ZfBR 2006, S. 752 (753); ders., BauR 2007, S. 650; ders., SächsVBl. 2008, S. 289 (290); Tomerius, ZUR 2008, S. 1 (3); Schröer, NZBau 2007, S. 293; Seidler, NZBau 2008, S. 495; Müller-Grune, BauR 2007, S. 985 (986 ff.); Schrödter, ZfBR 2010, S. 332 (332 f.). 96 Dazu eingehend Schwarz, LKV 2008, S. 12 (13 ff.); s. auch Schröer, NZBau 2008, S. 46 (47) hinsichtlich praktischer Probleme bei der Vorprüfung; Schmidt-Eichstaedt (FN 95), S. 1151; die Vorprüfung stellt freilich keine „nichtförmliche Umweltprüfung“ dar, so aber Müller-Grune (FN 95), S. 988. 97 So Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 63c; Uechtritz (FN 95), S. 481; Scheidler (FN 95), S. 650; ders. (FN 95), S. 293; Reidt (FN 90), S. 1032: exakte Nachzeichnung der Trennlinie, die das Gemeinschaftsrecht als Mindeststandard für die Aufstellung von Bauleitplänen vorgibt; Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB mit den Vorgaben der SUP-RL hingegen bei Götze / Müller, ZUR 2008, S. 8 (9 ff.).

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die bauplanungsrechtliche Umweltprüfung und gibt deutlich zu erkennen, dass er die SUP nicht als Bereicherung für die Bauleitplanung verstanden wissen will, mit deren Hilfe die Gemeinde planbetroffene Umweltbelange in einem geordneten Prozedere angemessen zu bewältigen vermag. Stattdessen reizt der Gesetzgeber die gemeinschaftsrechtlich eröffneten Wege aus, sich, soweit es geht, der offenbar als Belastung empfundenen Umweltprüfung zu entledigen98. Neben der zunehmenden Geringschätzung der Umweltprüfung werden mit der Einführung weiterer unbestimmter Rechtsbegriffe in § 13a Abs. 1 BauGB zusätzliche Gefahrenquellen für ein fehlerhaftes Absehen von der SUP und damit Rechtsunsicherheiten geschaffen99. Freilich handelt es sich in diesem Zusammenhang weniger um die Gefahr gerichtlicher Beanstandung mängelbehafteter Planung, denn § 13a Abs. 1 BauGB wird von maßgeschneiderten Planerhaltungsvorschriften flankiert, welche entsprechende Rechtsverstöße weitgehend gegen Angriffe immunisieren100: So ist u. a. nach § 214 Abs. 2a Nr. 1 BauGB die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften für Bebauungspläne, die im beschleunigten Verfahren aufgestellt worden sind, unbeachtlich, wenn sie auf unzutreffender Beurteilung der Voraussetzung nach § 13a Abs. 1 S. 1 BauGB beruht101. Überdies gilt nach § 214 Abs. 2a Nr. 3 BauGB eine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB als ordnungsgemäß vorgenommen, wenn sie nach den Vorgaben jener Norm durchgeführt worden und ihr Ergebnis nachvollziehbar ist; unbeachtlich ist außerdem die Nichtbeteiligung einzelner Träger öffentlicher Belange an der Vorprüfung. Nach alledem hat das BauGB 2007 von der Vereinheitlichungs- und Vereinfachungsleistung des EAG Bau wenig übrig gelassen, es stellt vielmehr eine Rückkehr auf den überwunden geglaubten Irrweg der „1:1-Umsetzung“ dar102.

98 Anders Scheidler (FN 95), S. 757, der es grundsätzlich als positiv beurteilt, dass der Gesetzgeber die in der SUP-RL eröffneten Ausnahmemöglichkeiten weiter ausnutzt. 99 Ähnlich Uechtritz (FN 95), S. 481; Gronemeyer, BauR 2007, S. 815 (818); zu entsprechenden Streit- bzw. Abgrenzungsfragen bei der Anwendung des § 13a BauGB s. nur Tomerius (FN 95), S. 3 ff.; Erbguth (FN 3), § 5 Rn. 63a ff. m. w. Nachw.; Bunzel (FN 95), S. 444 ff.; Schmidt-Eichstaedt (FN 95), S. 1148 ff. 100 s. hierzu im Einzelnen Erbguth (FN 3), § 15 Rn. 93a, mit berechtigten Zweifeln an der Europarechtskonformität jener Unbeachtlichkeitsvorschriften; keine Bedenken hingegen bei Kment, DVBl. 2007, S. 1275. 101 Kritisch auch Scheidler (FN 95), S. 753; Reidt (FN 90), S. 1030; das dürfte freilich die im Schrifttum geäußerte „Befürchtung“ mildern, die Gemeinden würden aufgrund besagter Unsicherheiten eher auf das beschleunigte Verfahren verzichten, vgl. Upmeier / Brandenburg, Neues Baugesetzbuch 2006, 2007, S. 40; Tomerius (FN 95), S. 3. 102 Ähnlich Reidt (FN 90), S. 1030.

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2. Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung

Die eingangs dargelegte Inpflichtnahme der räumlichen Gesamtplanung für Belange des Umweltschutzes dokumentiert sich des Weiteren in dem Gebot, die originär naturschutzrechtliche Eingriffsregelung103 im Rahmen der Bauleitplanung zur Geltung zu bringen104. Nach einem Überblick über die Einbindung der Eingriffsregelung in das Bauplanungsrecht [unter a)] folgt eine Auseinandersetzung mit der legislativen Beschränkung ihres Anwendungsbereichs aufgrund der BauGB-Novelle 2007 [unter b)]. Es schließen sich Überlegungen zur künftigen Bedeutung jenes Instruments in der Bauleitplanung an, zumal die Eingriffsregelung im Schrifttum angesichts zunehmender EG-rechtlicher Überformung des Bauplanungsrechts bereits grundsätzlich in Frage gestellt wird [dazu unter c)]. a) Integration der Eingriffsregelung in die Bauleitplanung: Normative Grundlage ist zunächst § 1a Abs. 3 S. 1 BauGB, wonach die Gemeinde die Vermeidung und den Ausgleich voraussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen in § 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a BauGB bezeichneten Bestandteilen in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen hat. Des Weiteren bestimmt § 18 Abs. 1 BNatSchG105 das Verhältnis der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zur Bauleitplanung106: Sind aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, ist über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz nach den Vorschriften des BauGB zu entscheiden. Diese Verweisung zielt nicht nur auf besagte Vorschrift des § 1a Abs. 3 S. 1 BauGB, vielmehr enthält das Baugesetzbuch zahlreiche Sondervorschriften hinsichtlich der Art und Weise des Ausgleichs zu erwartender Eingriffe107. Aus der Zusammenschau der einschlägigen bau- und naturschutzrechtlichen Vorschriften ergibt sich folglich die normative Inkorporation der auf Genehmigungsverfahren zugeschnittenen Eingriffsregelung in das Recht der eingriffsvorbereitenden Bauleitplanung in einer auf diese zugeschnittenen Fassung und somit die spezifische Anreicherung des Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB um den naturschutzrechtlichen Vermeidungs- und Kompensationsgrundsatz in Gestalt einer sowohl inhaltlichen als auch verfahrensmäßigen Integration108. 103

Dazu etwa Erbguth / Schlacke (FN 3), § 10 Rn. 30 ff.; Breuer (FN 3), Rn. 121 ff. Zur Entwicklung der Eingriffsregelung im Bauplanungsrecht Louis, NuR 2007, S. 94 (96 ff.). 105 § 21 Abs. 1 BNatSchG a.F. 106 Zum Nachfolgenden s. auch Schubert (FN 6), S. 133 ff. m. w. Nachw. 107 Vgl. §§ 1a Abs. 3, 5 Abs. 2a, 9 Abs. 1a, 135a – 135c, 200a BauGB. 108 So treffend BVerwGE 104, 68 (74); hierzu Krautzberger, NuR 1998, S. 455 (458); Wolf, ZUR 1998, S. 183 (191); Brohm, Die naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung im Bauplanungsrecht, FS Hoppe (FN 2), S. 511 (512). 104

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Es kommt also nach dem Willen des Gesetzgebers zu einer Abarbeitung des durch die §§ 13 ff. BNatSchG109 vorgegebenen Entscheidungsprogramms im Bauleitplanverfahren110. Dieses Entscheidungsprogramm umfasst auf einer ersten Stufe die Prüfung, ob Vorhaben, deren Zulässigkeit durch eine städtebauliche Planung ermöglicht werden soll, Eingriffe im Sinne des § 14 BNatSchG111 erwarten lassen. Daraus ergibt sich das Erfordernis der Bestandsaufnahme und Bewertung des status quo von Natur und Landschaft im Bereich der Planung vor dem Eingriff112. Sind Eingriffe zu erwarten, bedarf es einer vorausschauenden Untersuchung, in welchem Ausmaß die Eingriffe den gegenwärtigen Zustand von Natur und Landschaft zu beeinträchtigen imstande sind. In diesem Zusammenhang gilt es, das Vermeidungsgebot im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 BNatSchG113 zu beachten. Unvermeidbare Eingriffe erfordern schließlich die Entscheidung, ob und in welchem Umfang im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen sind. Gelangt die planende Gemeinde zu der Einschätzung, der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe sei grundsätzlich möglich, so bietet das BauGB ein weitgefächertes Ausgleichsinstrumentarium an, aus dem die Kommune im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB schöpfen kann114. Die Stellung der Eingriffsregelung im Abwägungsprozess der Bauleitplanung hat durch das BVerwG eine abschließende Konturierung erfahren115, welche mittels der ausdrücklichen normativen Einbindung der Vermeidung und des Ausgleichs in die Abwägung gem. § 1 Abs. 7 BauGB Bestätigung durch den Gesetzgeber gefunden hat. Angesichts ihrer (bloßen) Abwägungsrelevanz müssen sich die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege mit den gegenläufigen Erfordernissen der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung messen, und zwar wiederum entsprechend dem ihnen in der konkreten Planungssituation zukommenden Gewicht116. Angesichts der dargelegten Systematik der gesetzlichen Bestimmungen offenbart sich das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung durch die partielle Überführung in das BauGB zu einer verbesserten Praxistauglichkeit zu verhelfen und zudem die Bedeutung der ökologischen Belange für den gemeindlichen Abwägungsprozess 109

§§ 18 ff. BNatSchG a.F. BVerwGE 104, 68 (74). 111 § 18 BNatSchG a.F. 112 BVerwGE 104, 68 (77); VGH Kassel, ZfBR 2001, S. 129 (130); Stich, WiVerw 2002, S. 65 (79). 113 § 19 Abs. 1 BNatSchG a.F. 114 Dazu Erbguth (FN 3), § 3 Rn. 61 ff.; Schubert (FN 6), S. 142 ff.; Gellermann (FN 67), § 21 Rn. 3 ff.; Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger (FN 19), § 1a Rn. 90 ff. 115 BVerwGE 104, 68 (71 ff.). 116 BVerwGE 104, 68 (74). 110

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hervorzuheben117. Beiden Aspekten soll vor allem dadurch Geltung verschafft werden, dass der sich anbahnende Konflikt unterschiedlicher Interessen konzeptionell und damit effektiver bewältigt werden kann, als dies in einem „nachgeschalteten“ Baugenehmigungsverfahren möglich sein könnte118. Schließlich beabsichtigte der Gesetzgeber nach eigenem Bekunden, dem Rechtsanwender zu verdeutlichen, dass im städtebaulichen Planungsrecht ein naturschutzrechtlicher Eingriff mit seinem Ausgleich ein selbstverständlicher Bestandteil jeder städtebaulichen Planung sei und nicht als etwas von außen an die städtebauliche Planung Herangetragenes erscheine119. b) (Rück-)Entwicklungen im Gefolge des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte (2007): Das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte hat auch die bauplanungsrechtliche Eingriffsregelung nicht unangetastet gelassen. Für Bebauungspläne der Innenentwicklung im Sinne des § 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB (Grundfläche kleiner als 20.000 m2), die im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden dürfen, gelten Eingriffe, die aufgrund der Planaufstellung zu erwarten sind, als im Sinne des § 1a Abs. 3 S. 5 BauGB vor der planerischen Entscheidung erfolgt oder zulässig. Es handelt sich um eine gesetzliche Fiktion, die den Entfall der eigentlich nach §§ 18 Abs. 1 BNatSchG, 1a Abs. 3 S. 1 BauGB (nach Maßgabe der Abwägung) bestehenden Ausgleichspflicht bewirkt120. Damit soll offenkundig die Beschleunigung des Verfahrens nach § 13a BauGB durch Befreiung von weiterem, hier vorrangig materiell-rechtlichem „Ballast“ zusätzlich vorangetrieben werden; in der Begründung zum Gesetzentwurf ist – etwas verschwommen – von dem Ziel die Rede, „die Praktikabilität der beschleunigt aufzustellenden kleinräumigen Bebauungspläne der Innenentwicklung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 zu erreichen“121. Paradoxerweise wird das Abgehen von der dem Natur- und Landschaftsschutz dienenden Ausgleichsverpflichtung letztlich damit zu rechtfertigen gesucht, das beschleunigte Verfahren diene der Begrenzung der Flächeninanspruchnahme und der Vermeidung von Eingriffen in Natur und Landschaft122. Der Ge117

BT-Drs. 13 / 6392, S. 37. So treffend zur gesetzgeberischen Intention BVerwGE 104, 68 (73). 119 BT-Drs. 13 / 6392, S. 37; kritisch hierzu Schmidt, NVwZ 1998, S. 337 (338); eingehend zu Steuerungsdefiziten beim Vollzug der Eingriffsregelung Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, Ursachen unter besonderer Berücksichtigung des Naturschutzrechts und der Grundrechte. Zugleich zur Relevanz religiösen Säkularisats im öffentlichen Recht, 2001, S. 79 ff. 120 Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 13a Rn. 17; Battis / Krautzberger / Löhr (FN 91), S. 125; Tomerius (FN 95), S. 5; Uechtritz (FN 95), S. 482. 121 BT-Drs. 16 / 2496, S. 15; kritisch auch Uechtritz (FN 95), S. 482. 122 BT-Drs. 16 / 2496, S. 15. 118

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setzgeber nimmt also, ebenso wie im Fall der Ausnahmen von der SUPPflicht, Einschnitte beim Umweltschutz zugunsten des Umweltschutzes (an anderer Stelle) vor123. Zweifelhaft erscheint bereits, ob die Befreiung von der Ausgleichspflicht die ihr zugedachte Steuerungswirkung tatsächlich wird entfalten oder zumindest fördern können124, zumal die damit bewirkte „Erleichterung“ im beschleunigten Verfahren nicht so gewichtig sein dürfte, wie es zunächst den Anschein hat125. Denn es ist daran zu erinnern, dass das Programm der Eingriffsregelung nicht allein aus der Ausgleichspflicht besteht, sondern mit dem Gebot einsetzt, vermeidbare Beeinträchtigungen zu unterlassen bzw. zu mindern. Da aber der in Bezug genommene § 1a Abs. 3 S. 5 BauGB nur von der Ausgleichspflicht entbindet, hat die Gemeinde auch im beschleunigten Verfahren durchgängig den Anforderungen jenes Vermeidungs- bzw. Minimierungsgebots Rechnung zu tragen126; es kann also nicht die Rede davon sein, die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung sei für Bebauungspläne nach § 13a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB (in Gänze) nicht anwendbar127. Ohnehin bleibt es bei der uneingeschränkten Abwägungsbeachtlichkeit der Naturschutzbelange nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a, Abs. 7 BauGB128. Des ungeachtet leistet der Abbau naturschutzrechtlicher Standards im Ergebnis Belastungsverlagerungen vom Außenbereich in den – wie auch immer zu bestimmenden – der Innenentwicklung zugänglichen Bereich im Sinne von § 13a Abs. 1 BauGB129 Vorschub. Auch wenn die Eingriffsregelung nicht gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs ist, so offenbart sich gleichwohl die Divergenz dieses legislativen Ansatzes gegenüber dem EG-rechtlich fundierten Integrationsprinzip, wonach u. a. – wie etwa bei UVP und SUP – die Umwelt als Wirkungsgefüge begriffen und Wechselwirkungen 123 Kritisch auch Jessel / Berg / Bielfeldt / Kahl, Naturschutz und Landschaftsplanung 2006, S. 271; Scheidler (FN 95), S. 756; ders. (FN 95), S. 656. 124 So darf bezweifelt werden, dass die in § 13a Abs. 2 BauGB vorgesehenen Verfahrenserleichterungen für eine Gemeinde, die vor der Wahl steht, entweder eine Fläche „in der freien Landschaft“ für eine Bebauung vorzusehen oder aber Maßnahmen der Innenentwicklung zu ergreifen, den Ausschlag für Letzteres geben, so aber Scheidler (FN 95), S. 753; vgl. zudem Tomerius (FN 95), S. 7 mit weitergehenden Regelungsvorschlägen zugunsten einer vorrangigen Innenentwicklung. 125 In diesem Sinne auch Reidt (FN 90), S. 1030 ff. 126 So auch Götze / Müller (FN 97), S. 12; Bunzel (FN 95), S. 449; Uechtritz (FN 95), S. 482; Tomerius (FN 95), S. 5, der – wohl zu Recht – bezweifelt, dass die kommunale Praxis diese „feinsinnige Unterscheidung“ (durchgängig) beherzigen wird. 127 So aber Krautzberger, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger (FN 19), § 13a Rn. 82. 128 Krautzberger (FN 19), § 13a Rn. 84; Reidt (FN 90), S. 1031 f.; Bunzel (FN 95), S. 449. 129 Es besteht jedenfalls keine Kongruenz zum Geltungsbereich des § 34 BauGB, Schröer (FN 95), S. 293 f.; Battis (FN 120), § 13a Rn. 4; Schmidt-Eichstaedt (FN 95), S. 1148; Bunzel (FN 95), S. 445; vgl. auch die sonstigen Nachweise in FN 95.

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zwischen ihren Bestandteilen (stärker) berücksichtigt werden sollen130. Mit Hilfe einer solcherart ganzheitlichen Betrachtungsweise sollen nicht nur Belastungsverschiebungen von einem Umweltmedium in ein anderes verhindert oder zumindest verringert werden, sondern freilich auch Verlagerungen von Umweltauswirkungen in räumlicher Hinsicht. Weil dieser ganzheitliche Ansatz in Umsetzung der SUP-RL auch Eingang in das BauGB gefunden hat (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a und lit. i), zieht die beschriebene Einengung der Ausgleichsverpflichtung um der Begrenzung von Eingriffen an anderer Stelle willen einen gesetzesimmanenten Widerspruch nach sich. c) Zum zukünftigen Stellenwert der Eingriffsregelung im Recht der Bauleitplanung: Im Schrifttum wird anlässlich der jüngsten Rechtsentwicklungen die Sorge geäußert, die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Eingriffsregelung könnte ein Tor für weitere Entwicklungen in diese Richtung öffnen131. Andernorts findet sich demgegenüber versichert, die Neuregelung sei nicht als „Einstieg in den gemeinschaftsrechtlich zulässigen Ausstieg aus dem Baurechtskompromiss“ zu verstehen132. Freilich gibt der beiläufige Hinweis, der vollständigen Freistellung der Bauleitplanung von den Anforderungen der Eingriffsregelung stünde das Europarecht nicht entgegen, dann doch Anlass zu entsprechenden Befürchtungen. Und in der Tat sind Letztere nicht aus der Luft gegriffen, wie ein bereits im Zusammenhang mit der BauGB-Novelle 2004 geäußertes Desiderat belegt: Danach werfe die Umsetzung des EU-Umweltrechts in das System des deutschen Raumplanungsrechts eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf, die sich auch bei künftigen Novellen stellen würden. Dazu gehöre es, „nationale Regelungsbereiche zu überprüfen, um eine vermeidbare Überlagerung oder gar Überregulierung zu vermeiden“. Angeregt wird eine „leidenschaftslos zu führende Diskussion der Notwendigkeit deutscher Sonderregelungen in Bereichen, wo trotz des Anspruchs europäischen Umweltrechts europäische Vorgaben nicht bestehen“. So sei eine rechtspolitische Diskussion darüber zu wünschen, „eine Neuregelung im EU-Recht zum Anlass zu nehmen, sozusagen im Gegenzug nationale Regulierungen zu hinterfragen und ggf. rückzubauen“, und es wird gefragt, ob das nicht auch Kraft dafür geben würde, „aus den Innovationen des europäischen Rechts Reformen durchzuführen, statt primär Wege des Beharrens auf national Überkommenem zu suchen“. Als eine solche deutsche Sonderregelung, die „fachlich wohl begründbar, EU-rechtlich aber nicht vorgeschrieben“ sei, 130 Dazu etwa Röckinghausen, Integrierter Umweltschutz im EG-Recht, 1998; Zöttl, Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung, 1998; Calliess, ZUR 2008, S. 343 (344 f.); ders., DVBl. 2010, S. 1; Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2008, § 3 Rn. 31; Martini, VerwArch 100 (2009), S. 41 ff.; Fritz, Integrierter Umweltschutz im Völkerrecht, 2009, S. 72 ff. 131 Louis (FN 104), S. 99. 132 Battis (FN 120), § 13a Rn. 18.

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daher angesichts anwachsender EU-Regelungen als „Überregelung“ erscheine und „über kurz oder lang zu Nachfragen führen“ werde, wird schließlich (neben der flächendeckenden Landschaftsplanung) die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ausgemacht133. Derartige Begehrlichkeiten vermögen freilich noch nicht die These zu untermauern, mit der BauGB-Novelle 2007 sei das Ende der Eingriffsregelung im Bauplanungsrecht eingeläutet. Ob eine fortschreitende Erosion des Baurechtskompromisses zu befürchten ist, kann nur Gegenstand von Mutmaßungen sein. Allerdings erscheint es angezeigt, die Argumente für und wider die Abschaffung der bauplanungsrechtlichen Eingriffsregelung zu wägen. Es ist sicher nicht verwerflich, deren Wert und Bedeutung angesichts zunehmender Überformung des Baurechts durch das europäische Umweltrecht auf den Prüfstand zu stellen. Allerdings erscheint es vorschnell zu konstatieren, die Einführung der SUP und des europäischen Habitatschutzrechts, insbesondere der FFH-Verträglichkeitsprüfung, hätte die Eingriffsregelung entbehrlich gemacht. Das wäre nur dann der Fall, wenn Letztere und die Instrumente EG-rechtlichen Ursprungs eine weitgehende Kongruenz aufzuweisen hätten. Davon kann allerdings nicht die Rede sein, wie die vergleichende Gegenüberstellung der Instrumente erweist134: Sowohl die Umweltprüfung als auch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung sind in ihrer jeweiligen bauplanungsrechtlichen Ausprägung der frühzeitigen Wahrung von Umweltinteressen zu dienen bestimmt und sollen somit dem Vorsorgeprinzip Rechnung tragen, wenngleich sich die Wege, die zur Durchsetzung dieser gemeinsamen Intention beschritten werden, voneinander unterscheiden. Die Umweltprüfung dient vermöge ihres Charakters als vornehmlich verfahrenssteuerndes Instrument der Zusammenstellung, Dokumentation und Bewertung des umweltrelevanten Abwägungsmaterials, bevor jenes in die Gesamtabwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einfließt. Auf diese Weise sollen erhebliche Umweltauswirkungen planerischer Ausweisungen mit der ihnen gebührenden Bedeutung in das Bewusstsein der planenden Gemeinde gerückt werden. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist demgegenüber einerseits begrenzt, da sie lediglich Belange von Natur und Landschaft zu wahren bestimmt ist135; insofern besteht eine Teilkongruenz der Schutzgüter beider Instrumente. Andererseits geht die Eingriffsregelung über die bloße Erfassung und Bewertung von Beeinträchtigungen hinaus; jene Schritte stellen lediglich notwendige Vorarbeiten dar, um dem primären Anliegen der Eingriffsregelung – der Vermeidung und dem Ausgleich etwaiger Beeinträchtigungen – gerecht werden zu kön133 134 135

Krautzberger, UPR 2004, S. 41 (42) mit Fn. 14; ders., DVBl. 2005, S. 197 (200). Ausführlich Schubert (FN 6), S. 154 ff.; auch Uechtritz (FN 55), S. 1865 f. Hierzu Schink, NuR 2003, S. 647 (648).

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nen136. Die Eingriffsregelung vermag mithin als Gefüge materiell-rechtlicher Vorgaben zur Durchsetzung des Verschlechterungsverbots einen deutlich gewichtigeren Einfluss auf die bauplanungsrechtliche Abwägung zu nehmen als die Umweltprüfung in ihrer vornehmlichen Funktion als Instrument der Sammlung und Aufbereitung des umweltrechtlichen Abwägungsmaterials. Die Vermeidung bzw. Verminderung und der Ausgleich erheblicher Umweltauswirkungen erlangen freilich auch im Rahmen der Umweltprüfung Bedeutung. So zählen zu den Informationen, die Eingang in den Umweltbericht nach § 2a BauGB finden müssen, auch die Maßnahmen, die geplant sind, um erhebliche negative Umweltauswirkungen aufgrund der Durchführung des Plans zu verhindern, zu verringern und soweit wie möglich auszugleichen (Nr. 2 c der Anlage 1 zum BauGB). Der Unterschied zum Erfordernis, über die Vermeidung und den Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu entscheiden, ist indes von grundsätzlichem Gewicht: Letzterenfalls handelt es sich um eine materiell-rechtliche Vorgabe, während das Beschreibungserfordernis im Rahmen der Umweltprüfung lediglich verfahrensrechtlicher Natur ist. Die Umweltprüfung verpflichtet nicht aus sich heraus dazu, Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen planerisch auszuweisen, denn das Verfahrenserfordernis, einen Umweltbericht zu erstellen, beinhaltet lediglich die Beschreibung der aufgrund entsprechender Vorschriften – etwa der Eingriffsregelung oder im Gefolge des allgemeinen Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB – geplanten Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen137. Stellt man des Weiteren die Eingriffsregelung und die Anforderungen des Habitatschutzrechts nach § 1a Abs. 4 BauGB i. V. m. §§ 34, 36 BNatSchG einander gegenüber, so ergibt sich Folgendes: Offenkundig kommt dem Habitatschutzrecht nur ein vergleichsweise kleiner räumlicher Anwendungsbereich zu, während die Eingriffsregelung auch außerhalb der in das Schutzgebietsnetz Natura 2000 integrierten Areale zur Geltung zu bringen ist. Auch mit Blick auf den Ausgleich von Beeinträchtigungen unterscheiden sich die sachlichen Anwendungsbereiche erheblich: Das Habitatschutzrecht verpflichtet nur dann zu Ausgleichsmaßnahmen, wenn ein Bauleitplan trotz negativen Ergebnisses der FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 3, 4 i. V. m. § 36 BNatSchG ausnahmsweise zugelassen werden soll; dabei handelt es sich um Maßnahmen, die zur Sicherung des Zusammenhangs von Natura 2000 notwendig sind (§ 34 Abs. 5 S. 1 BNatSchG). Diese Kohärenzsicherungsmaßnahmen überlappen sich allenfalls zu einem geringen Teil mit den 136

In diesem Sinne auch Uechtritz (FN 55), S. 1865. Vgl. Wulfhorst, ZfBR 2001, S. 523 (527); Kment, in: Hoppe (FN 56), § 6 Rn. 16; Krautzberger (FN 127), § 2 Rn. 209. 137

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im Rahmen der Eingriffsregelung festzulegenden Ausgleichsmaßnahmen und unterliegen überdies nicht der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB. All das erweist, das der Eingriffsregelung im Kontext der Bauleitplanung bei aller europarechtlich bewirkten instrumentellen Vielfalt nach wie vor erheblicher eigenständiger Gehalt und damit nicht zu unterschätzender Eigenwert zukommt; ihren Ausfall könnte daher weder die Umweltprüfung noch das europäische Naturschutzrecht kompensieren. Die Folge partieller Überlagerungen und Redundanzen in prozeduraler Hinsicht darf also nicht sein, die Eingriffsregelung kurzerhand über Bord zu werfen; stattdessen bieten sich vielfältige Möglichkeiten der verfahrens- wie materiell-rechtlichen Vernetzung und Harmonisierung an, die bereits an anderer Stelle eingehend dargestellt worden sind138 – diese Fragen sollten Gegenstand künftiger Novellen des BauGB sein.

V. Zur Bedeutung eines kodifizierten Umweltrechts für das Recht der räumlichen Gesamtplanung Seit beinahe 30 Jahren wird in Deutschland eine Diskussion darüber geführt, ob und ggf. wie das weithin als zersplittert und unsystematisch empfundene Umweltrecht in einem übergreifenden Umweltgesetzbuch (UGB) zusammengeführt, vereinheitlicht und damit aus Vollzugsperspektive vereinfacht werden könnte resp. sollte139. Über das Bedürfnis eines derartigen Werks bestand recht schnell weitgehend Einigkeit140; die nähere Ausgestaltung hingegen ist offenbar Gegenstand derart unversöhnlicher Vorstellungen, dass daran kürzlich zum zweiten Mal ein entsprechendes Gesetzesvorhaben gescheitert ist141. Nachfolgend soll es weder um das prinzipielle Für und Wider eines UGB gehen, noch um den näheren Gehalt des nicht Gesetz gewordenen letzten Referentenentwurfs142, sondern allein darum, welche Relevanz einer Kodifikation des Umweltrechts143 für das hier behandelte Recht der räumlichen Gesamtplanung allgemein eignen könnte. Durchmus138

Schubert (FN 6), S. 167 ff., 240 ff.; auch Sydow, DVBl. 2006, S. 65. Zu den Zielen, wissenschaftlichen Vorarbeiten und Entwürfen s. Jarass (FN 57), S. 1 ff.; Kloepfer, UPR 2007, S. 161; ders., Die Verwaltung 41 (2008), S. 195; Oldiges, ZG 2008, S. 263; Smeddinck, EurUP 2007, S. 202; Szczekalla, DVBl. 2008, S. 300, jeweils m. w. Nachw. 140 Grundsätzliche Zweifel allerdings bei Breuer (FN 3), Rn. 53 f.; Reinhardt, VerwArch 100 (2009), S. 6 (10), mit Blick auf das Wasserrecht. 141 Dazu Erbguth / Schubert, UTR 2010, i. E.; Knopp, UPR 2009, S. 121; Köck, ZUR 2009, S. 57; Weber / Riedel, NVwZ 2009, S. 998. 142 Dazu etwa Kloepfer, Die Verwaltung 41 (2008), S. 195; Erbguth / Schubert (FN 75), S. 474; Calliess (FN 130), S. 343; Guckelberger, NVwZ 2008, S. 1161; Lottermoser, UPR 2007, S. 401; Sangenstedt, ZUR 2007, S. 505; Winter, ZUR 2008, S. 337; ablehnend Schrader, ZRP 2008, S. 60. 143 Zu deren grundsätzlichem Wert Debus, VerwArch 100 (2009), S. 21. 139

Umweltrecht und Recht räumlicher Gesamtplanung

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tert man die im Laufe der wechselvollen Geschichte des „Projekts UGB“ vorgelegten Vorschläge und Entwürfe, so tritt insoweit Folgendes zu Tage: Der im Auftrag des Umweltbundesamtes entwickelte sog. Professorenentwurf des Jahres 1990144 sah eine medienübergreifende Umweltleitplanung145 vor, welche die bestehenden umweltbezogenen Fachplanungen zusammenführen und fortentwickeln sollte. Zutreffend findet sich die Nähe einer derartigen Planung zur räumlichen Gesamtplanung herausgestellt146. Das Verhältnis beider Planungen sollte dem Entwurf zufolge von einem grundsätzlichen Vorrang der räumlichen Gesamtplanung bestimmt sein147; allerdings war vorgesehen, dass die (dreistufig ausgestaltete148) Umweltleitplanung sogar von den der Abwägung herkömmlicherweise nicht zugänglichen Zielen der Raumordnung abweichen konnte, sofern dies aus besonderen Gründen des Umweltschutzes notwendig ist und näher begründet wird149. Die Beantwortung der Frage, inwieweit derartige Abweichungen zu einer Änderung bestehender Raumordnungsziele führen sollten, fand sich der Landesgesetzgebung überantwortet150. Des Weiteren sah der Professorenentwurf eine allgemeine Abwägungsklausel vor, der zufolge bei raumbedeutsamen Planungen die Belange des Umweltschutzes mit einem ihrer herausgehobenen Bedeutung entsprechenden Gewicht bei der Abwägung zu berücksichtigen sein sollten151. Bei Zielkonflikten war gar vorgesehen, den Umweltbelangen einen absoluten Vorrang einzuräumen, wenn eine schwere und langfristige Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen droht152. Schließlich fand sich eine sog. Umweltfolgenprüfung für bestimmte vorhabenbezogene Bauleitpläne (zu denen auch bestimmte Flächennutzungspläne zählten) angeordnet153. Deutlich geringer fiel der Einfluss des Entwurfs der Sachverständigenkommission für ein UGB (1998)154 auf das Gesamtplanungsrecht aus155: Das Konzept einer eigenständigen Umweltleitplanung wurde nicht aufgegriffen, 144

Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil,

1990. 145 Dazu grundsätzlich Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987, S. 147 ff.; eingehend zu Formen der Umweltgesamtplanung im Kontext eines UGB Gärditz, Die Verwaltung 40 (2007), S. 203. 146 Jarass (FN 57), S. 15. 147 § 21 Abs. 2 S. 1 ProfE UGB-AT. 148 § 19 Abs. 2 ProfE UGB-AT. 149 § 21 Abs. 2 S. 2 ProfE UGB-AT. 150 § 21 Abs. 2 S. 3 ProfE UGB-AT. 151 § 29 Abs. 1 S. 1 ProfE UGB-AT. 152 § 29 Abs. 2 ProfE UGB-AT. 153 § 48 Abs. 1 i. V. m. § 32 Abs. 3 Nr. 4 ProfE UGB-AT. 154 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. 155 Eingehend dazu Hopp (FN 73), S. 41 ff. und 161 ff.

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Mathias Schubert

stattdessen war eine stärkere Ökologisierung der Bauleitplanung und der Raumordnung vorgesehen. Hierzu sollte eine sog. Umweltgrundlagenplanung als Bestandteil oder obligatorische Vorstufe der Bauleit- und Raumordnungsplanungen umweltrelevante Informationen liefern156. Zwischenzeitlich hatte mit dem bereits erwähnten Baurechtskompromiss die umweltrechtliche Anreicherung des originären Bauplanungsrechts eingesetzt, so dass die Sachverständigenkommission ausdrücklich davon absah, das Bundesbaurecht insgesamt einem Umweltgesetzbuch „einzuverleiben“ oder wesentliche Teile herauszuschneiden und in das UGB zu verlagern. Den damit verbundenen schädlichen Zerreißungseffekt beurteilte man als ungleich größer als den möglichen Gewinn an innerer Geschlossenheit des Umweltrechts. Der richtige Weg wurde vielmehr in einer sinnvollen Verzahnung beider Materien gesehen157. Der zuletzt gescheiterte Referentenentwurf eines UGB (2007 / 08)158 sah schließlich gegenüber dem geltenden Recht keine inhaltlichen Änderungen im Verhältnis von Umwelt- und Gesamtplanungsrecht vor. Mit der Überführung des BNatSchG in das UGB III wäre lediglich eine entsprechende Verschiebung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und des Habitatschutzrechts einhergegangen, an welche das BauGB und das ROG redaktionell anzupassen gewesen wären. Der Überblick erweist den zunehmenden Bedeutungsverlust eines kodifizierten Umweltrechts für das Recht räumlicher Gesamtplanung, der sich aus der zwischenzeitlich gewachsenen umweltrechtlichen Ausstattung des originären Raumplanungsrechts erklärt159. Vor dem Hintergrund der instrumentellen Vielfalt, die das Raumordnungs- wie das Bauplanungsrecht de lege lata prägt, besteht kein Bedürfnis mehr, weitere Instrumente, etwa solche der Umweltplanung, einzusetzen, um die Wahrnehmung des dem Gesamtplanungsrecht zukommenden ökologischen Gestaltungsauftrags zu sichern. Die Effektivität jener Aufgabenwahrnehmung hängt aufgrund der Inbezugnahme des Umweltfachrechts, insbesondere des Naturschutzrechts, ganz wesentlich von dessen innerer Verfasstheit ab, und nicht so sehr davon, ob es sektoral oder als Teil einer übergreifenden Kodifikation ausgestaltet ist. In dem Maße, in dem umweltrechtliche Instrumente in das Gesamtplanungsrecht strukturell integriert sind, wächst dessen ökologische Autarkie gegenüber dem Umweltrecht im eigentlichen Sinne und damit die Unabhängigkeit von dessen Regelungsschwächen. Das tritt bei der vollständig integrierten strategischen Umweltprüfung160 besonders deutlich hervor. 156 157 158 159 160

Rechtsgrundsätzlich dazu Erbguth (FN 145), S. 152 f. BMU, UGB-KomE, Einleitung, S. 93. Entwurf vom 4. 12. 2008. Ebenso Jarass (FN 57), S. 16. Dazu bereits unter III.2. und IV.1.

Umweltrecht und Recht räumlicher Gesamtplanung

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VI. Fazit Sowohl die Raumordnung als auch die Bauleitplanung finden sich vor dem Hintergrund des Art. 20a GG und aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zugunsten des Umweltschutzes in die Pflicht genommen, ohne dass damit ein prinzipieller, d. h. einzelfallunabhängiger Vorrang ökologischer Belange gegenüber ökonomischen und sozialen Interessen einhergeht. Auch nach Erlass des (Bundes-)Raumordnungsgesetzes 2009 auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG finden sich die strategische Umweltprüfung (SUP) und die FFH-Verträglichkeitsprüfung den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (weitestgehend161) entsprechend umgesetzt, ohne dass es gegenüber den Vorgängerregelungen des ROG a.F. zu wesentlichen inhaltlichen Änderungen gekommen ist. Anderes gilt für die letzte Novellierung des Baugesetzbuchs im Jahr 2007: Hier ist, soweit es die SUP angeht, gegenüber dem EAG Bau (2004) eine Entwicklung auszumachen, die nicht lediglich punktuell ansetzt, sondern das bis dahin verfolgte Leitbild einer strukturell harmonisierenden Rezeption des EG-rechtlich Vorgegebenen in Frage stellt. Gemeint ist die Abkehr von dem Konzept der SUP als ein der Bauleitplanung verinnerlichtes Instrument zugunsten der Planungsbeschleunigung um den Preis gewachsener Rechtsunsicherheit. Die Zielstellung, planerische Zugriffe auf bislang nicht für Siedlungszwecke beanspruchte Flächen zu beschränken, ist freilich zu begrüßen, doch sieht sich das Steuerungspotential des hierzu konzipierten Bebauungsplans der Innenentwicklung Zweifeln ausgesetzt. Im Sog jener Entwicklung hat überdies die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung an Wirkungskraft eingebüßt. Deren Eigenwert vermögen allerdings die umweltschützenden Instrumente des europäischen Rechts nicht in Frage zu stellen. Darauf gründet das Plädoyer, etwaige Überschneidungen verfahrens- oder materiell-rechtlicher Art nicht durch Aufgabe der bauplanungsrechtlichen Eingriffsregelung zu beseitigen, sondern im Wege der Harmonisierung und wechselseitigen Vernetzung mit der SUP und dem Habitatschutzrecht aufzulösen. Der Kodifizierung des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch kommt kaum (mehr) Relevanz für das Recht der räumlichen Gesamtplanung zu, was mit der ökologischen Anreicherung des ROG und des BauGB selbst zu erklären ist. Insoweit erweist sich das Gesamtplanungsrecht als in sich geschlossene Materie; die Herauslösung einzelner Teile und ihre Übernahme in ein UGB hätten mehr schädliche Zerreißungseffekte zur Folge als einen Gewinn für die Geschlossenheit des Umweltrechts. Das Gesamtplanungsrecht ist weniger auf den Erlass eines Umweltgesetzbuchs angewiesen, als auf die Vollzugstauglichkeit jener Regelungsbereiche des Umwelt-, insbesondere des Naturschutzrechts, auf die es Bezug nimmt. 161 Zu Bedenken hinsichtlich der Anordnung der FFH-Verträglichkeitsprüfung s. aber unter III.3.

Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet? Begriffliches, Systematik und Perspektiven Sabine Schlacke I. Klimawandel und Klimaschutzrecht Es ist naturwissenschaftlich anerkannt, dass anthropogene Emissionen die Konzentration von Treibhausgasen, insbesondere von Kohlendioxid (CO2), in der Atmosphäre erhöhen1. Die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre führt zu einem globalen Temperaturanstieg, der mittlerweile 0,8 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter (1880) beträgt.2 In Abhängigkeit von dem jeweiligen Emissionsszenario wird bis zum Jahr 2100 eine globale Erwärmung zwischen 3 und 7 Grad Celsius prognostiziert3, die mit erheblichen ökologischen4, ökonomischen5 und 1 Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2007. The Fourth Assessment Report. Synthesis Report, 2007, S. 5 ff. (im Internet unter: http:// www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/syr/ar4_syr_spm.pdf, Stand: 26. 3. 2010); ders., Climate Change 2007. The Physical Basis. Working Group I Contribution to the Fourth Assessment Report, 2007, S. 102 ff. (im Internet unter: http://www.ipcc.ch/ pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-chapter1.pdf, Stand: 19. 5. 2010). 2 Vgl. hierzu Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Kassensturz für den Weltklimavertrag, 2009, S. 9. 3 Ausführlich zu den Emissionsszenarien IPCC (FN 1), Table S 8.1. 4 Zu den Klimawirkungen auf die Natur gehören das Abschmelzen der Gletscher und der Eismassen an den Polen. Damit verbunden sind ein Anstieg des globalen Meeresspiegels, eine Versauerung des Meeres und ein Verlust an biologischer Vielfalt. Infolge der Erderwärmung ist in vielen Regionen bereits eine Zunahme von Wetterextremen wie Dürren, Hitzewellen, Starkregen, Überflutungen und Tropenstürmen festgestellt worden. Hierdurch sowie durch den Verlust von Inseln und Küstenregionen durch den steigenden Meeresspiegel wird die Migration der betroffenen Bevölkerung zunehmen. Mit dem Verlust von Ökosystemressourcen und -leistungen werden Grundlagen der Wasserversorgung, der Nahrungsmittelproduktion sowie der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vieler Länder, insbesondere der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, gefährdet. Es besteht die Gefahr, dass die Anpassungsfähigkeit vieler Länder überfordert wird und Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen sowie Migrationsströme und damit verbunden ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft ausgelöst werden. Vgl. dazu ausführlich Rahmstorf, A semi-empirical approach to projecting future sea-level rise, Science 315, S. 368 ff.; WBGU (FN 2), S. 11 f., vgl. zum Meeresspiegelanstieg im Allgemeinen WBGU, Die Zukunft der Meere – zu warm, zu hoch, zu sauer, 2006, S. 33 ff., 67 ff.; WBGU, Welt im Wandel – Sicherheitsrisiko Klimawandel, 2007, S. 59 ff., 110 ff., 124 ff. 5 Bereits 2006 hat der ehemalige Weltbank-Chefökonom und derzeitige Leiter des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung Nicholas Stern im Auftrag

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Sabine Schlacke

sozialen6 Auswirkungen einhergehen könnte7. Daran ändern auch die beiden vergleichsweise marginalen Fehler nichts, die im vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) entdeckt wurden8. Vor diesem Hintergrund und den bereits vorhandenen globalen Klimaund Ökosystemveränderungen empfehlen Wissenschaftler9 und die Europäische Union10, die Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, weil insoweit die durch den Temperaturanstieg ausgelösten globalen Veränderungen als gerade noch beherrschbar angesehen werden11. Die 2-Grad-Celsius-Leitplanke ist wesentlicher Inhalt des Kopenhagen Accords12, der das wichtigste Ergebnis der 15. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention (KRK) ist13. Der globale Klimawandel stellt eine in räumlicher und zeitlicher Hinsicht bislang kaum gekannte Herausforderung für Recht und Politik dar: Instrumente zur Eindämmung der globalen Klimaveränderung müssen geeignet sein, eine z. T. mit erheblicher Verzögerung wirkende, kaum reversible Erwärmung der Erdatmosphäre aufzuhalten. Aufgrund der in der Zukunft liegenden Auswirkungen gegenwärtigen klimaschädigenden Verhaltens sind nicht nur die gegenwärtigen, sondern vor allem Rechte und Interessen zukünftiger Generationen zu berücksichtigen14. Die erwärmende Wirkung der britischen Regierung festgestellt, dass die jährlichen Kosten für die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration schätzungsweise bei etwa 1% des globalen Bruttoinlandsprodukts liegen, wenn jetzt – das hieß damals 2006 – begonnen wird, entschieden zu handeln. Wenn nicht gehandelt wird, liegen die Kosten des Klimawandels bei einem Verlust von wenigstens 5% des globalen Bruttoinlandsprodukts. Wenn man eine breitere Palette von Risiken und Einflüssen berücksichtigt, könnten die Schäden auf 20% oder mehr des erwarteten globalen Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Entwicklungs- und Schwellenländer würden die ökonomischen Folgen des Klimawandels überdurchschnittlich stark zu spüren bekommen; Stern, The Economics of Climate Change, 2006, S. 122 ff. 6 Vgl. dazu ausführlich WBGU 2007 (FN 4), S. 81 ff. 7 Vgl. insbesondere zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels auch den Stern Report v. 30. 6. 2006, (Stern Review on the Economics of Climate Change), abrufbar unter http://www.hm-treasury.gov.uk/stern_review_report.htm (Stand: 19. 5. 2010). 8 Schlacke, Der Weltklimarat in der Kritik – zu Recht?, ZUR 2010, S. 225 f. 9 Vgl. WBGU (FN 2), S. 14; Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Umweltgutachten 2008, Kapitel 3, Rn. 91. 10 Mitteilung der Kommission v. 10. 1. 2007 „Begrenzung des globalen Klimawandels auf 2 Grad Celsius – Der Weg in die Zukunft bis 2020 und darüber hinaus“, KOM(2007)20 endg.; Mitteilung der Kommission v. 23. 1. 2008 „20 und 20 bis 2020 – Chancen Europas im Klimawandel“, KOM(2008)30 endg. 11 Vgl. SRU (FN 9), Rn. 91. 12 FCCC/CP/2009/11/Add.1, Page 5, abrufbar unter http://unfccc.int/resource/ docs/2009 cop15/eng/11a01.pdf (Stand: 19. 5. 2010). 13 Weitere Fortschritte sind die Reform des Clean Development Mechanism (CDM) sowie eine Verbesserung der Überwachung der weltweiten Abholzung und Walddegradation (REDD), vgl. Schwarze, Driften Klimawissenschaft und Klimapolitik auseinander?, ZUR 2010, S. 57 (58).

Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet?

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der Treibhausgasemissionen tritt zudem nicht lokal auf, sondern global, m. a. W. jenseits des lokalen Emissionsortes. Emissionen aus Industrieländern schaden insbesondere Entwicklungsländern, die mangels Industrialisierung selbst kaum Treibhausgase emittieren15. Neben intergenerationellen sind somit auch grenzüberschreitende Auswirkungen und daraus resultierende Konflikte zu berücksichtigen16. Das Klimaproblem ist mithin nicht (allein) nationalstaatlich lösbar, sondern bedarf eines staatenübergreifenden, supra-, trans- und internationalen Ansatzes. Klimaschutzrecht de lege lata hat sich in den letzten Jahren auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene entwickelt und ist in den verschiedenen Sachbereichen durch komplexe und verzweigte Regelwerke gekennzeichnet. Dieser Beitrag unternimmt eine vorläufige Bestandsaufnahme und Systematisierung der vorhandenen klimaschutzrelevanten Regelungen auf den verschiedenen Rechtsebenen, wobei in erster Linie Strukturen und systembildende Ansätze aufgezeigt werden. Ein vollständiges Bild klimaschutzrelevanter Regelungen kann hier gleichwohl nicht gezeichnet werden, diese Aufgabe ist umfänglicheren Projekten (Dissertationen / Habilitationsschriften) vorbehalten17. Ob die insoweit identifizierbaren klimaschutzbezogenen Vorschriften bereits ein eigenständiges Rechtsgebiet formen, ist die Kernfrage, die nach einer Bestimmung des Begriffs Klimaschutzrecht (II.) und eines Überblicks über das geltende Klimaschutzrecht (III.) zur Beantwortung ansteht (IV.).

II. Klimaschutzrecht – eine (vorläufige) Begriffsbestimmung Eine Skizzierung der Rechtslage zur Lösung des Klimaproblems setzt die Klärung des Begriffs „Klimaschutzrecht“ voraus. „Klimaschutzrecht“ ist ein neuartiger Begriff, der rechtsdogmatisch bislang wenig konturiert ist. Der Begriff wurde erstmalig im Jahr 2005 für eine Dissertation verwendet18 und fand sich danach immer häufiger in wissenschaftlichen Beiträgen in 14 Vgl. zur intergenerationellen Gerechtigkeit Hiskes, The human right to a green future – environmental rights and intergenerational justice, 2009; Ekardt, Klimawandel, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, in: Bugge / Voigt (Hrsg.), Sustainable Development in International and National Law, 2008. 15 Vgl. zum globalen Emissionsgefälle World Resources Institute, Navigating the numbers – greenhouse gas data and international climate policy, 2005; UNFCCC, Climate change: impacts, vulnerability and adaptation in developing countries, 2007. 16 Vgl. Anand, International environmental justice: a North-South dimension, 2004. Zur internationalen und intergenerationellen Gerechtigkeit auch Vanderheiden, Atmospheric justice – a political theory of climate change, 2008. 17 So wird etwa nicht auf den Bereich des Beihilferechts eingegangen, vgl. dazu Scheel, Klimaschutz durch Umweltschutz- und Energiebeihilfen: Neue Leitlinien der Europäischen Gemeinschaft, DÖV 2009, S. 529 ff. 18 Winkler, Klimaschutzrecht, 2005.

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Fachzeitschriften19. Als Schutzgut dieses Rechtsbereichs kommt zum einen die Atmosphäre selbst in Betracht20; zum anderen ist ein stabiles Klima Grundvoraussetzung für menschliches und tierisches Leben sowie die Pflanzenwelt. Das Klima ist zudem Rechtsgut verschiedener Umweltgesetze21, so dass Klimaschutz – jedenfalls auch – Aufgabe des Umweltrechts ist22. Klimaschutz ist etwa Bestandteil der Luftreinhaltungspolitik23. Dennoch bestehen bereits hinsichtlich der Zielsetzung Unterschiede zwischen klassischem Immissionsschutzrecht und dem Klimaschutzrecht: Während das Immissionsschutzrecht Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung bezweckt und die Instrumente entweder an den Quellen der Luft- oder Lärmemissionen ansetzen oder den Schutz der Umweltgüter vor Luft- und Lärmemissionen bezwecken, sind anthropogene Klimaveränderungen diffuser Natur, die global und z. T. mit erheblicher zeitlicher Verzögerung eintreten24. Klimaschützende Regelungen existieren ferner in zahlreichen Einzelgesetzen, die dem Energie-, insbesondere dem Umweltenergierecht zuzuordnen sind. Regelwerke wie das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz oder das Erneuerbare-Energien-Gesetz entfalten eine gewisse Eigenständigkeit, wenngleich auch hier Bezüge zum Bundes-Immissionsschutzrecht bestehen. Darüber hinaus existieren klimaschützende Regelungen auf nationaler, supranationaler und internationaler Rechtsebene. Dass das Umweltrecht und das Energierecht die beiden Eckpunkte eines Spannungsbogens bilden, in dessen Mittelpunkt das Klimaschutzrecht zu verorten ist, zeigt sich an den Regelungen zu Erneuerbaren Energien: Zum einen zählen diese zum Energierecht bzw. Energiewirtschaftsrecht, das eine Marktöffnung zugunsten von mehr Wettbewerb bezweckt. Zum anderen zielt das Recht der Erneuerbaren Energien auf eine möglichst nachhaltige Energieerzeugung, die wiederum Umwelt-, respektive Klimaschutz bezweckt. Insofern liegt es nahe, für die Identifizierung derjenigen Regelungen, die ein klimaschutzbezogenes Rechtsgebiet prägen und hierzu beitragen, ein 19 Weinreich, Klimaschutzrecht in Deutschland, ZUR 2006, S. 399 (404); Wustlich, „Erneuerbare Wärme“ im Klimaschutzrecht, ZUR 2008, S. 113 ff.; Gärditz, Schwerpunktbereich – Einführung in das Klimaschutzrecht, JuS 2008, S. 324 (324); Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2008, S. 258 ff.; Müller / Schulze-Fielitz, Auf dem Wege zu einem Klimaschutzrecht – Eine einleitende Problemskizze, in: Schulze-Fielitz / Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 9 ff.; Erbguth / Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 16 Klimaschutzrecht, S. 405 ff.; vgl. zuletzt Gärditz, Ökologische Binnenkonflikte im Klimaschutzrecht, DVBl. 2010, S. 214 ff. 20 Vgl. hierzu Wustlich, Die Atmosphäre als globales Umweltgut, 2003. 21 Vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UVPG, §§ 2 Abs. 3 Nr. 4, 7 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG sowie § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 7 ROG. 22 Gärditz (FN 19), S. 324. 23 Vgl. Sparwasser / Engel / Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 10 Rn. 1; Wolf, Umweltrecht, 2002, § 13 Rn. 787, 788. 24 Gärditz (FN 19), S. 324 f.

Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet?

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funktionales Unterscheidungskriterium heranzuziehen: Danach ist unter Klimaschutzrecht „die Summe derjenigen Rechtsnormen, die das Klima vor anthropogenen Einwirkungen schützen sollen“, zu verstehen25. Zu den klimaschützenden Regelungen zählen danach zum einen jene, die auf die Bekämpfung des Ozonschichtabbaus und zum anderen auf die Vermeidung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur gerichtet sind. Zu letzterem Bereich gehören ebenfalls Regelungen, die die Vermeidung des Austritts von Treibhausgasen, insbesondere Kohlendioxid, in die Atmosphäre bezwecken, wie etwa Vorschriften zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, sog. Carbon Capture and Storage (CCS)26. Die rechtliche Steuerung des Geoengineerings kann weder dem Klimaschutzrecht noch jenem Recht, das auf Anpassung an den Klimawandel zielt, eindeutig zugeordnet werden. Im Unterschied zu Vermeidung und Verminderung von Treibhausgasemissionen oder zu Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel bezwecken Maßnahmen des Geoengineerings, den Klimawandel durch gezielte Eingriffe in das Erdsystem in kurzer Zeit zu mildern oder gar zu aufzuhalten. Zum einen handelt es sich um Techniken zur Beseitigung bereits in der Erdatmosphäre befindlicher Treibhausgase, zum anderen um solche, die den Einfall von Sonnenstrahlung verhindern (z. B. durch sog. „sulfur injections“27) oder die Reflektion derselben verstärken (z. B. solar radiation management28)29. Eine in der Erforschung begriffene Technologie ist die Düngung des Meeres mit Eisensulfat. Durch sie soll das Algenwachstum und damit die Aufnahme von Kohlendioxid angeregt werden, absterbende Algen sollen zum Meeresboden sinken und das gebundene CO2 dem Meer und folglich auch der Atmosphäre entziehen. Ob diese Maßnahmen tatsächlich zu einer profunden Treibhausgasbindung beitragen, ist wissenschaftlich umstritten30 und hinsichtlich der Eisendüngung – jedenfalls bislang – zu verneinen31. Noch fehlt es an spezifischen, die Vorteile 25

Gärditz (FN 19), S. 324. Schlacke / Much, Rechtsprobleme der CO2-Sequestrierung, SZIER 2010 (i. E.); Much, Die Rechtsfragen der Ablagerung von CO2 in unterirdischen geologischen Formationen, 2009, S. 60 ff.; Kohls / Kahle, Klimafreundliche Kohlekraft dank CCS?, ZUR 2009, S. 122 ff.; Schlacke, Klimaschutz durch CO2-Speicherung im Meeresboden – völkerrechtliche Anforderungen und europarechtliche Herausforderungen, EurUP 2007, S. 87 ff. 27 Durch Einbringung großer Mengen Schwefelpartikel in die Stratosphäre soll ein Schutzschild zur Verringerung der die Erdoberfläche erreichenden Sonneneinstrahlung aufgebaut werden. 28 Robock / Bunz / Kravitz / Stenchikow, A Test for Geoengineering?, Science 2010, S. 530 f.; Keith / Parson / Morgan, Research on global sun block needed now, Nature 1 / 2010. 29 Blackstock / Long, Science 2010, S. 527. 30 WBGU 2006 (FN 4). 31 Zum tatsächlichen Erfolg und zu den rechtlichen Anforderungen des sog. „Lohafex-Forschungsvorhaben“, ein vom Bundesforschungsministerium initiiertes und vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) durchgeführtes Experiment zur 26

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und Risiken dieser Maßnahmen und Technologien steuernden rechtlichen Vorgaben. Vom Klimaschutzrecht abzugrenzen sind Vorschriften, die der Anpassung, mit anderen Worten der Adaption an den Klimawandel dienen, wie etwa rechtliche Instrumente zur Bekämpfung und Beseitigung eingetretener Schäden des Klimawandels (z. B. wasserrechtliche Regelungen zur Hochwasserbekämpfung)32. Nachfolgend wird die Analyse des Klimaschutzrechts de lege lata beschränkt auf öffentlich-rechtliche Regelungen. Unberücksichtigt bleiben insofern Vorschriften, die dem Privatrecht zuzurechnen sind. Eine Analyse der Auswirkungen etwa des Einsatzes von Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien auf das Zivilrecht, insbesondere Mietrecht, ist weiteren Untersuchungen anheim gestellt33.

III. Klimaschutzrecht im Mehrebenensystem Die globale Herausforderung, die die Bekämpfung des Klimawandels für die gegenwärtige und zukünftige Menschheit darstellt, wurde zunächst auf völkerrechtlicher Ebene erkannt, sodann wurden diese Impulse von der Europäischen Union aufgenommen und auf nationaler Ebene umgesetzt. Dem Klimaschutzrecht kann mithin ein inter- und supranationaler Charakter bescheinigt werden; es ist ein typisches Beispiel für die Entwicklung von Governancestrukturen im Mehrebenensystem34.

Meeresdüngung im Südatlantik, vgl. Schlacke / Kenzler, Klimaschutz durch Meeresdüngung? Zum (Spannungs-)Verhältnis zwischen Seevölkerrecht und Biodiversitätskonvention, NuR 2009, S. 753 ff.; Ginzky, Die Meeresdüngung als Klimaschutzmaßnahme – Vorgaben des internationalen Rechts, ZUR 2009, S. 480 ff.; Proelß, Rechtsgutachten zur Völkerrechtmäßigkeit des Meeresforschungsexperimentes LOHAFEX v. 22. 1. 2009, S. 16, abrufbar unter http://www.bmbf.de/_media/press/Univ_Kiel_zu_ LOHAFEX.pdf (Stand: 19. 5. 2010); in gekürzter Fassung auch abgedruckt in EurUP 2009, S. 15 ff. 32 Hierzu vgl. Köck, Klimawandel und Recht, ZUR 2007, S. 393 ff. 33 Vgl. hierzu Schmidt, Energieeffizienz im Mietrecht: Der neue Energieausweis, ZUR 2008, S. 463 ff.; Ringel, Der Einsatz Erneuerbarer Energien zur Wärmegewinnung als Modernisierungsmaßnahme im Sinne der §§ 554, 559 BGB, WuM 2009, S. 71 ff. 34 Vgl. Benz, Einleitung: Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept?, in: Benz (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2004, S. 15; König, Öffentliche Verwaltung und Globalisierung, VerwArch 32 (2001), S. 475 ff.; aus rechtswissenschaftlicher Perspektive vgl. Groß, Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 152; Pache, Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 106.

Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet?

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1. Der internationale Rechtsrahmen zum Schutz des Klimas

Der internationale Rechtsrahmen zum Schutz des Klimas ist geprägt durch völkerrechtliche Abkommen zur Bekämpfung des Ozonschichtabbaus und zur Verhinderung der anthropogenen Erwärmung der Erdatmosphäre. Die Bekämpfung des Ozonschichtabbaus durch das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vom 22. März 198535 und das hierzu abgeschlossene und inzwischen mehrfach geänderte Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, vom 16. September 198736, kann als beispielslose Erfolgsgeschichte internationaler Umweltpolitik bezeichnet werden37. Wichtige Faktoren hierfür waren erstens eine völkerrechtlich innovative Ausgestaltung des Vertragswerks, indem eine Rahmensetzung durch Protokolle mit konkreten Reduktionsverpflichtungen für die Herstellung und den Verbrauch Ozon abbauender Substanzen ausgefüllt wurde, zweitens eine dynamische Weiterentwicklung der Protokolle durch Mehrheitsprinzip und drittens die Einrichtung innovativer, langfristig angelegter Finanzierungsmechanismen, die die Mehrkosten der Entwicklungsländer für die Erfüllung ihrer Reduktionsverpflichtungen trägt38. Insoweit liegt das aktuelle Hauptaugenmerk der internationalen Klimaschutzregulierung auf der Vermeidung der anthropogenen Erwärmung der Erdatmosphäre. a) Klimarahmenkonvention und Kioto-Protokoll: Um dem drohenden „Treibhauseffekt“ entgegenzuwirken, wurde 1992 auf der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro39 der Versuch unternommen, eine weltweite Klimakonvention zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen zu vereinbaren40. Die Rio-Konferenz führte 1993 zur Unterzeichnung der schon zuvor von der UN-Generalversammlung beschlossenen Klimarahmenkonvention (KRK41) durch 154 Staaten. Ihr zentrales Ziel ist, Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird (Art. 2 Abs. 1 KRK). Die im Kopenhagen Accord42 genannte 2-Grad-Celsius-Leitplanke, die besagt, dass bei einer Erhöhung der globalen Mitteltemperatur von 35

BGBl. II, 1988, S. 901. BGBl. II, 1988, S. 1015, zuletzt geändert durch BGBl. II, 1999, 921 (Pekinger Änderung). 37 Andersen / Sarma, Protecting the Ozone Layer, 2002; Parson, Protecting the Ozone Layer: Science and Strategy, 2003. 38 Vgl. WBGU, Klimapolitik nach Kopenhagen, 2010, S. 13. 39 H.-J. Koch, in: ders., Umweltrecht, 2. Aufl. 2007, § 4 Rn. 17. 40 Zur Wichtigkeit eines global koordinierten Systems Pierce, Energy Independence and Global Warming, Environmental Law (ENVTL.L.) 2007, S. 595. 41 Vgl. bereits H.-J. Koch (FN 39), § 8 Rn. 6; die EG hat das Klimaprotokoll am 31. 5. 2002 ratifiziert. 42 Siehe oben FN 12. 36

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mehr als 2 Grad Celsius eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems erreicht ist, kann als – die Schädlichkeitsschwelle makierende – grenzwertartige Konkretisierung dieser Zielsetzung verstanden werden43. Zu ihrer Verwirklichung normiert Art. 3 KRK verschiedene – oftmals bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannte – Strukturprinzipien: das Vorsorge-, das Verursacher- und das Nachhaltigkeitsprinzip44 sowie einen neuartigen Grundsatz, das Verantwortlichkeitsprinzip. Letzteres gebietet, dass Klimaschutz „gemeinsam, aber mit den jeweils unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ betrieben werden soll, wonach die Länder im Wesentlichen entsprechend ihrem historischen und gegenwärtigen Beitrag zur Klimaerwärmung Reduktionsverpflichtungen zu übernehmen haben45. Das Verantwortlichkeitsprinzip beinhaltet zugleich eine Verteilungsgerechtigkeit (auch Gerechtigkeitsgrundsatz genannt)46, die bislang noch nicht rechtsverbindlich gelöst ist, zu der aber Vorschläge existieren47. Das Verantwortlichkeitsprinzip ist vom Verursacherprinzip insoweit zu unterscheiden, weil es die Verantwortung für einen Umweltschaden den einzelnen Vertragsstaaten zuweist und nicht die konkreten Urheber von Umweltbelastungen zur Beseitigung verpflichtet (z. B. Unternehmen). Der Verantwortungsgrundsatz ist eng verknüpft mit dem Nachhaltigkeitsgrundsatz48, der bezweckt, die Interessen gegenwärtiger Generationen mit jenen zukünftiger in Einklang zu bringen49. Das Klimaschutzrecht zielt ferner auf ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, indem es zur Vermeidung von Folgeschäden des Klimawandels beiträgt. Konkrete Verpflichtungen der Vertragsstaaten zur Reduzierung von sechs Treibhausgasen50 enthält das Protokoll von Kioto51 vom 11. Dezember 43 So wohl auch Oschmann / Rostankowski, Das Internationale Klimaschutzrecht nach Kopenhagen, ZUR 2010, S. 59 (60 f.). 44 Vgl. Epiney / Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998. 45 Vgl. Ramjamani, Differential Treatment in International Environmental Law, 2006, S. 160; Stone, Common but Differentiated Responsibilities in International Law, Am. J. Int’l L 2004, S. 300. 46 Vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 KRK: „auf der Grundlage der Gerechtigkeit“; ferner Koch / Mielke, Globalisierung des Umweltrechts, ZUR 2009, S. 403 (407). 47 Vgl. WBGU (FN 2). 48 Völkerrechtlich besteht weitgehend Konsens darüber, dass der Zweck nachhaltiger Entwicklung darin besteht, zu einem angemessenen Ausgleich der divergierenden Zielsetzungen wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Entwicklung und des Umweltschutzes zu gelangen (sog. „Drei-Säulen-Modell“), vgl. Bückmann / Lee / Simonis, Das Nachhaltigkeitsgebot der Agenda 21 und seine Umsetzung in das Umweltund Planungsrecht, UPR 2002, S. 168; Ketteler, Der Begriff der Nachhaltigkeit im Umwelt- und Planungsrecht, NuR 2002, S. 513; Rehbinder, Das deutsche Umweltrecht auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, NVwZ 2002, S. 657; Schlacke, Der Nachhaltigkeitsgrundsatz im Agrar- und Lebensmittelrecht – Konzeptionelle Überlegungen, ZUR 2002, S. 377; SRU, Umweltgutachten 2002, BT-Drs. 14 / 8792, S. 67 f.; eingehend zu alldem Beaucamp, Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung, 2002. 49 Vgl. etwa Art. 3 KRK. 50 Zum Beispiel: Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, Schwefelhexafluorid, perfluorierte Kohlenwasserstoffe und teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe.

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199752. Danach müssen im Zeitraum von 2008 bis 2012 diese Treibhausgase um mindestens 5 % unter das Niveau von 1990 reduziert werden. Zur Erreichung dieser Zielsetzung stellt das Kioto-Protokoll verschiedene flexible Mechanismen53 (Emissionszertifikatehandel, Joint Implementation (kurz JI)54 und den Clean Development Mechanism (CDM))55 zur Verfügung56. Dem Kioto-Protokoll fehlt eine universelle Reduktionsverpflichtung57. Es erlegt lediglich den industrialisierten Vertragsstaaten in Anlage I Reduktionsverpflichtungen auf. Die Europäische Union hat das Kioto-Protokoll mit der Entscheidung 2002 / 358 / EG vom 25. April 200258 genehmigt und ist seitdem verpflichtet, ihre gemeinsamen anthropogenen Treibhausgasemissionen, die im Anhang A des Protokolls aufgeführt sind, im Zeitraum von 2008 bis 2012 gegenüber dem Stand von 1990 um 8% zu senken59. 51 BGBl. II, 1998, S. 130; dazu Müller-Kraenner, Zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Kioto-Protokolls, ZUR 1998, S. 113; Sach / Reese, Das Kyoto-Protokoll nach Bonn und Marrakesch, ZUR 2002, S. 65; Graichen / Harders, Die Ausgestaltung des internationalen Emissionshandels nach dem Kyoto-Protokoll und seine nationalen Umsetzungsvoraussetzungen, ZUR 2002, S. 73; Marr / Oberthür, Die Ergebnisse der 6. und 7. Klimakonferenz von Bonn und Marrakesch, NuR 2002, S. 573; Verheyen, Klimaschutz – ein Beispiel für kooperative Umweltpolitik? Das Zusammenspiel zwischen Staat und privaten Akteuren zur Erreichung von Klimaschutzzielen auf internationaler, europäischer und deutscher Ebene, NuR 2002, S. 445. 52 Vgl. den Überblick von Freestone, The UN Framework Convention on Climate Change, the Kyoto Protocol and the Kyoto mechanisms, in: Freestone / Streck, Legal aspects of implementing the Kyoto Protocol mechanisms: making Kyoto work, 2005, S. 3. 53 Die Klimarahmenkonvention erwähnt die flexiblen Mechanismen nur allgemein als eine Handlungsoption, eröffnet aber Spielräume für weitere Maßnahmen. 54 Der JI-Mechanismus besteht darin, dass ein Investor aus einem Anlage-I-Staat ein Projekt in einem anderen Anlage-I-Staat (mit-)finanziert und sich die durch das Projekt eingesparten Emissionen als sog. Emissionsreduktionseinheiten („emission reduction units“ – ERU) übertragen lässt. Das Kioto-Protokoll schreibt „additionality“ (Zusätzlichkeit) vor, d. h. dass ein derartiges Projekt „zu einer Reduktion der Emissionen aus Quellen oder zu einer Verstärkung des Abbaus durch Senken führt, die zu den ohne das Projekt entstehenden hinzukommt.“ Weiterhin gilt wie für den Emissionshandel auch für JI das Erfordernis der „supplementarity“, also eines Ergänzungsverhältnisses zu sonstigen Klimaschutzmaßnahmen. Kritisch zur Nachprüfbarkeit der Zusätzlichkeit Winter, Das Klima ist keine Ware, ZUR 2009, S. 289. 55 Der Mechanismus besteht darin, dass ein Investor aus einem Anlage-I-Staat ein Projekt in einem Nicht-Anlage-I-Staat (mit-)finanziert und sich in Höhe der durch das Projekt eingesparten Emissionen sog. zertifizierte Emissionsreduktionseinheiten („certified emission reduction units“ – CER) zuweisen lässt. Das Kioto-Protokoll schreibt wie bei JI „additionality“ des Projekts vor. Als weitere, im Vergleich zu der JI strengere Voraussetzung werden reale, messbare und langfristige Vorteile in Bezug auf die Abschwächung der Klimaänderungen verlangt. Demgegenüber entfällt die Anforderung der „supplementarity“. Es bedarf also keines Nachweises, dass das Gastgeberland eine eigene Klimaschutzpolitik betreibt. 56 H.-J. Koch (FN 39), § 4 Rn. 17; vgl. zu den Vertragsstaatenkonferenzen in Bonn und Marrakesch 2001: Sach / Reese (FN 51), S. 65; Graichen / Harders (FN 51), S. 73; Oberthür / Marr, Das System der Erfüllungskontrolle des Kyoto-Protokolls – Ein Schritt zur wirksamen Durchsetzung im Umweltvölkerrecht, ZUR 2002, S. 81. 57 WBGU (FN 2). 58 Vgl. ABlEG L 358 v. 16. 12. 2006, S. 87.

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Entsprechend dem Charakter des Völkerrechts als Koordinationsrecht ist auch der Sanktionsmechanismus als weich zu bewerten, jedoch stärker institutionalisiert als in anderen umweltvölkerrechtlichen Abkommen60. Angesichts der zeitlichen Begrenzung des Kioto-Protokolls bis 2012 bedarf es eines Nachfolgeabkommens. Eine völkervertragsrechtliche Vereinbarung, die für den Zeitraum 2013 bis 2020 neue Reduktionsverpflichtungen enthält, kam auf der letzten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention und zum Kioto-Protokoll in Kopenhagen nicht zustande61. Die versammelten Staaten nahmen lediglich den sog. Kopenhagen Accord zur Kenntnis, der am Rande der Konferenz von einer Reihe von Staaten mit den USA und China an der Spitze ausgehandelt worden war. Die von der Konferenz erwartete Verabschiedung konkreter Reduktionsziele und -verpflichtungen für Industrie- und Entwicklungsländer für die Periode von 2013 bis 2020 enthält der Kopenhagen Accord nicht. Stattdessen sind wesentliche Inhalte des Kopenhagen Accords, dass der Klimawandel zu einer der größten Herausforderungen der Gegenwart erklärt wird. Die 2-Grad-CelsiusLeitplanke wurde als Obergrenze für die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur festgelegt. Hinsichtlich der diesbezüglich zu erbringenden Emissionsreduktionen durch Nationalstaaten enthält der Kopenhagen Accord ein Pledge-and-Review-Verfahren, das auf eine freiwillige Meldung von Reduktionszielen der Regierungen setzt sowie auf einen Wettbewerb der Staaten „to the top“, der durch die Veröffentlichung der Klimaschutzziele der Regierungen entstehen soll62. Die Europäische Union hat, wie bereits in ihrem Klima- und Energiepaket vorgesehen, für 2020 ein Reduktionsziel in Höhe von 20% gegenüber den Treibhausgasemissionen im Jahr 1990 dem UN-Klimasekretariat gemeldet63. Sie hält jedoch an ihrem Angebot fest, die Reduktionsverpflichtung auf 30% zu erhöhen, wenn andere Staaten in einem internationalen Abkommen vergleichbare Verpflichtungen eingehen. 59 Die EU-Mitgliedstaaten treten dabei im Verhältnis zu den anderen Kioto-Vertragsstaaten als sog. „bubble“ auf, so dass nationale Verpflichtungen im Innenverhältnis unterschiedlich hoch ausfallen können. 60 Vgl. zur Durchsetzung und Sanktionierung des Kioto-Protokolls ausführlich Montini, The compliance regime of the Kyoto Protocol, in: Douma / Massai / Montini (Hrsg.), The Kyoto Protocol and beyond – legal and policy challenges of climate change, 2007, S. 95; Holtwisch, Das Nichteinhaltungsverfahren des Kyoto-Protokolls, 2006; Oberthür / Marr (FN 56), S. 81 ff. 61 Vgl. http://unfccc.int/files/meetings/cop_13/application/pdf/cp_bali_act_p.pdf (Stand: 19. 5. 2010); http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,523551,00.html (Stand: 19. 5. 2010). Vgl. zur Vernetzung von Klima- und Entwicklungspolitik auch die Studie „Financing climate change policies in developing countries“ des Policy Department Economic and Scientific Policy des Europäischen Parlaments; http:// www. europarl.europa.eu/activities/committees/studies/download.do?file=21631 (Stand: 19. 5. 2010). 62 Der Stand der aktuellen Meldung kann abgerufen werden unter http://unfccc. int/home/items/5264.php (Stand: 19. 5. 2010). 63 Vgl. http://unfccc.int/files/meetings/application/pdf/europeanunioncphaccord_ app1.pdf (Stand 19. 5. 2010).

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Der rechtliche Status des Kopenhagen Accords ist interpretationsoffen64, allerdings spricht einiges dafür, dass die Länder, die ihre Emissionsreduktionsziele gemeldet haben, seine rechtliche Verbindlichkeit hiermit stillschweigend anerkennen, so dass es sich nicht nur um eine Erklärung handelt, die als sog. soft law einzuordnen ist65: Die freiwillige Benennung der Reduktionsziele durch die Nationalstaaten könnte als selbständige Beitrittserklärung zu dem Kopenhagen Accord interpretiert werden und somit völkerrechtliche Bindungswirkung erzeugen. Daneben kann die Staatengemeinschaft dem Kopenhagen Accord durch seine Integration in die Klimarahmenkonvention oder in das Kioto-Protokoll sowie als Verhandlungsgrundlage eines zukünftigen verbindlichen Post-Kioto-Abkommens eine explizite Verbindlichkeit beimessen66. b) Bewertung: Insgesamt ist auf internationaler Ebene ein Wille zum Handeln erkennbar, konkret verpflichtende Maßnahmen des Klimaschutzes über den Zeitrahmen von 2012 hinaus fehlen bislang. Hieran ändern selbst die von den Staaten gemeldeten Reduktionsverpflichtungen im Rahmen des Kopenhagen Accords nichts, die insgesamt nicht die erforderliche Emissionsreduzierung beinhalten, um eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund scheint das Völkervertragsrecht unter der Prämisse rechtlich verbindlichen und effektiven Handelns im Klimaschutzbereich an seine Grenzen zu stoßen. Dies kann u. a. auf den Entscheidungsmodus, das Konsensprinzip, zurückgeführt werden67. Das Mehrheitsprinzip ist zwar in Art. 7 Abs. 3 KRK angelegt, findet aber regelmäßig keine Anwendung. Das Konsensprinzip trägt zwar der Sorge der Staaten vor ungewollten Souveränitätsverlusten Rechnung, es bewirkt aber keine Beschleunigung der Abstimmungsprozesse oder gewährleistet, dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Eine Relativierung des Konsensprinzips in internationalen Verhandlungen kann durch die Einführung von qualifizierten, nord-süd-paritätischen Entscheidungen oder dem Verfahren der schweigenden Zustimmung (tacit-acceptance-Verfahren) herbeigeführt werden, bei dem ein mit Zwei-Drittel-Mehrheit gefasster Beschluss auch für Staaten Bindungswirkung entfaltet, die nicht zugestimmt haben, wobei die Möglichkeit der ausdrücklichen schriftlichen Ablehnung des Beschlusses innerhalb einer bestimmten Frist eingeräumt wird. Diese flexiblen Abstimmungsmechanismen sind etwa im Montrealer Protokoll vorgesehen und haben maßgeblich zu dessen Erfolg beigetragen68. 64 65 66 67 68

Vgl. Oschmann / Rostankowski (FN 43), S. 59 (62 f.). Noch offen lassend Oschmann / Rostankowski (FN 43), S. 62 f. Oschmann / Rostankowski (FN 43), S. 62. WBGU (FN 38). Vgl. oben FN 36.

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Zur Sicherstellung des inhaltlichen Erfolgs umweltvölkerrechtlicher Verträge trägt insbesondere die institutionelle Ausgestaltung der Erfüllungskontrolle bei. Hierbei spielt die Errichtung von Sekretariaten eine maßgebliche Rolle, die erforderlichenfalls nicht nur über die Einhaltung der Berichtspflicht der Mitgliedstaaten wachen, sondern weitergehende Rechte zur Informationsbeschaffung erhalten sollten. Die Maßnahmen der Erfüllungskontrolle stellen zusammen mit den festgelegten konkreten Verpflichtungen und den Durchsetzungsmechanismen eine effektive Umsetzung des Völkervertragsrechts sicher. Völkergewohnheitsrechtliche Pflichten, die zum Teil auch Eingang in die Klimarahmenkonvention gefunden haben69 (Vorsorgeprinzip70, Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen71), tragen aufgrund ihrer Abstraktheit72 und mangels wirksamer Durchsetzungsmechanismen derzeit kaum zur Eindämmung des Klimawandels bei73. Neben einem völkervertraglichen Abkommen könnten auch bi- und multilaterale Partnerschaften in verschiedenen Sachbereichen (z. B. Finanzierung, Risikobewertung sowie Entwicklung, Transfer und Einsatz von Technologie) dazu führen, den Prozess der völkerrechtlichen Einigung auf globale klimaschützende Zielsetzungen noch vor der kommenden Klimakonferenz in Mexiko (Cancún) zu beschleunigen74. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland könnten diesbezüglich eine entscheidende Vorreiterrolle einnehmen75. 2. Klimaschutzrecht auf der europäischen Ebene

Die Europäische Kommission76 und der Rat der Europäischen Union77 haben sich zu einem globalen, rechtsverbindlichen Post-2012-Abkommen 69

Das Vorsorgeprinzip ist in Art. 3 Abs. 3 KRK verankert. Epiney, Das „Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen“ – Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, AVR 33 (1995), S. 309 (317 f.); Maurmann, Rechtsgrundsätze des Völkerrechts am Beispiel des Vorsorgeprinzips, S. 171 ff. 71 Oschmann / Rostankowski (FN 43), S. 63 f.; Epiney (FN 70), S. 326; Verheyen, Climate change damage and International Law, 2005, S. 138 ff. 72 Bodansky, The United Nation Convention on Climate Change: A Commentary, 18 Yale Journal of International Law, 1993, S. 501. 73 A. A. wohl Oschmann / Rostankowski (FN 43), S. 63 ff.; ebensolches gilt für das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeit (Art. 3 Abs. 1 KRK). 74 Vgl. Deutsch-mexikanische Erklärung zur Fortsetzung der internationalen Klimaverhandlungen v. 2. 5. 2010. 75 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Klimapolitik nach Kopenhagen: Auf drei Ebenen zum Erfolg, 2010, S. 7 ff. 76 Communication from the Commission: International climate policy post-Copenhagen: Acting now to reinvigorate global action on climate change, COM(2010) 86 final. 70

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bekannt, um die Klimaerwärmung bis 2050 auf 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau einzudämmen. Um diese Zielsetzung zu erreichen, hat die Europäische Union in der Vergangenheit bereits zahlreiche Rechtsakte in unterschiedlichen Sachbereichen erlassen. Mit seinem am 24. Juni 2008 in Kraft getretenen Klima- und Energiepaket78 setzt die Europäische Union verbindlich die im Frühjahr 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft beschlossenen Emissionsminderungsziele von mindestens 20% bis 2020 gegenüber 1990 um. Unter der Bedingung, dass andere Staaten vergleichbare Verpflichtungen in einem internationalen Abkommen eingehen, ist die Europäische Union bereit, ihre Emissionen um 30% bis 2020 zu reduzieren79. Die u. a. zur Erreichung dieser Zielsetzung erlassenen unionsweiten klimaschützenden Rechtsakte wurden als Teil der Querschnittsmaterie Umweltschutz auf Art. 175 EGV (jetzt Art. 192 AEUV) und als Rechtsangleichungsmaßnahmen auf Art. 95 EGV (jetzt Art. 114 AEUV) gestützt80. Zukünftig dürfte auch der durch den Lissabon-Vertrag neu eingefügte Kompetenztitel „Energie“, Art. 194 AEUV, für klimaschützende Maßnahmen fruchtbar gemacht werden81. a) Emissionshandelsrecht: Kernelement des europäischen Klimaschutzrechts ist die Richtlinie 2003 / 87 / EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (sog. Emissionshandelsrichtlinie)82. Veranlasst durch das Kioto-Protokoll wird hierdurch ein unionsweites System für einen ab dem 1. Januar 2005 begonnenen Emissionshandel errichtet, um Treibhausgasemissionen dort zu vermindern, wo 77 Council conclusions on Climate change Follow-up to the Copenhagen Conference (7 – 19 December 2009), 3002nd ENVIRONMENT Council meeting, Brussels, 15 March 2010. 78 Das Paket wurde 2007 beschlossen und ist am 25. 6. 2009 in Kraft getreten; vgl. http://www.bmu.de/klimaschutz/internationale_klimapolitik/doc/44444.php (Stand: 19. 5. 2010). 79 Entscheidung Nr. 406 / 2009 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. 4. 2009, ABlEG L 140 / 136. 80 Kahl, Energie und Klimaschutz – Kompetenzen und Handlungsfelder der EU, in: Schulze-Fielitz / Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, S. 21 (54 ff.); zur Erneuerbaren Energien-Richtlinie ders., Alte und neue Kompetenzprobleme im EGUmweltrecht – Die geplante Richtlinie zur Förderung Erneuerbarer Energien, NVwZ 2009, S. 265 ff. 81 Ebd., S. 48 ff., 58 ff.; vgl. ferner ders., Die Kompetenzen der EU in der Energiepolitik nach Lissabon, EuR 2009, S. 601 ff.; Nettesheim, Das Energiekapitel im Vertrag von Lissabon, JZ 2010, S. 19 ff.; Gundel / Germelmann, Kein Schlussstein für die Liberalisierung der Energiemärkte: Das Dritte Binnenmarktpaket, EuZW 2009, S. 763 ff. 82 V. 13. 10. 2003, ABlEG L 275 / 32; dazu Reuter / Busch, Einführung eines EUweiten Emissionshandels – Die Richtlinie 2003 / 87 / EG, EuZW 2004, S. 39; Stewing, Emissionshandel in der Europäischen Gemeinschaft, 2004; Zimmer, CO2-Emissionsrechtehandel in der EU, 2004, S. 93 ff.

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dies am kostengünstigsten ist83. Der europäische Emissionshandel beinhaltet, dass Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Treibhausgase84 emittieren, einer Genehmigungspflicht unterliegen. Die Genehmigung wird nur erteilt, wenn die Unternehmen sich verpflichten, handelbare Emissionsrechte („Zertifikate“), die von den Mitgliedstaaten an die Unternehmen – zunächst kostenlos – verteilt werden, in Höhe ihres Ausstoßes zurückzugeben. Im Mittelpunkt des Systems steht bzw. stand die Festlegung der nationalen Zuteilungspläne. Durch die sog. Verbindungsrichtlinie 2004 / 101 / EG85 verknüpfte die Europäische Union ihr Emissionshandelssystem mit den flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls und ermöglicht damit die Berücksichtigung von JI- und CDM-Maßnahmen beim Handel mit Emissionszertifikaten86. Insbesondere diese und andere Mechanismen wurden durch die im Rahmen des Klima- und Energiepakets erlassene Richtlinie 2009 / 29 / EG87 fortgeschrieben und novelliert. Sie regelt die Phase III von 2013 bis 2020. Zentrale Elemente sind die Einführung einer unionseinheitlichen Obergrenze für CO2-Emissionen sowie eines zentralen Systems der Registrierung und Veröffentlichung der Zertifikate. Darüber hinaus ist die Versteigerung als Grundprinzip für die Zuteilung vorgesehen88. Anstelle nationaler Allokationspläne werden Emissionsberechtigungen zukünftig durch die Kommission vergeben. Ferner werden weitere Treibhausgase vom Emissionshandel erfasst89. Neben der bereits erfolgten Einbeziehung des Luftverkehrs in das System durch die Richtlinie 2008 / 101 / EG90 wird dieser Schritt für weitere Sektoren noch erwogen91. 83 Ausführlich zum Europäischen Emissionshandelssystem vgl. Michaelis / Holtwisch, Das europäische Emissionshandelssystem, JA 2005, S. 71 (72 ff.); Knopp / Hoffmann, Das Europäische Emissionsrechtehandelssystem im Kontext der projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls, EuZW 2005, S. 616; ferner Frenz, Emissionshandel – Rückblick und Ausblick, ZUR 2006, S. 393; Ehrmann, Das ProMechG – Projektbezogene Mechanismen des Kyoto-Protokolls und europäischer Emissionshandel, ZUR 2006, S. 410; Marr / Wolke, Das Emissionshandelssystem nimmt Formen an, NVwZ 2006, S. 1102. 84 Erfasst sind z. B. Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, teilhalogenierte Kohlenwasserstoffe, perfluorierte Kohlenwasserstoffe sowie Schwefelhexafluorid. 85 Richtlinie 2004 / 101 / EG v. 27. 10. 2004 zur Änderung der Richtlinie 2003 / 87 / EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft im Sinne der projektbezogenen Mechanismen des Kioto-Protokolls, ABlEG L 338 / 18; vgl. dazu das Schrifttum in FN 83. 86 Dazu Knopp / Hoffmann (FN 83), S. 616; Marr / Wolke (FN 83), S. 1105 ff. 87 V. 23. 4. 2009, ABlEG L 140 / 63. 88 Zur Zulässigkeit der Versteigerung vgl. Jungnickel / Dulce, Die Zulässigkeit der (teilweisen) Versteigerung von Emissionsberechtigungen aus europarechtlicher Sicht, NVwZ 2009, S. 623 ff. 89 Vgl. zur Novellierung auf Basis des Richtlinienvorschlags KOM(2008) 16 endg.; dazu vgl. Wegener, Die Novelle des EU-Emissionshandelssystems, ZUR 2009, S. 283 (284 ff.); Czybulka, Ausweitung des Emissionshandels und Lastenteilung: Das europäische Paket zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020, EurUP 2009, S. 26. 90 ABlEG 2009 L 8 / 3.

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b) Förderung Erneuerbarer Energien: Neben dem Emissionshandel setzt die Europäische Union mit ihrem Klima- und Energiepaket auf die Förderung Erneuerbarer Energien. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009 / 28 / EG92 ändert zunächst93 und löst zum 1. Januar 2012 die programmsatzartige Vorgängerrichtlinie 2001 / 77 / EG zur Förderung von Strom aus erneuerbaren Quellen94 und die Biokraftstoffrichtlinie 2003 / 30 / EG95 ab und führt mit dem neu geregelten Wärme / Kälte-Bereich alle energetischen Verwendungsarten in einem Rechtsakt zusammen96. Die Richtlinie sieht einen Anteil von 20% erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch von Strom und Wärme / Kälte bis 2020, der anteilig auf die Mitgliedstaaten umgelegt wird und nach nationalen Aktionsplänen97 erfüllt wird, sowie eine 10% Biokraftstoffquote für jeden Mitgliedstaat vor98. Die Richtlinie setzt damit für Strom und Wärme erstmals verbindliche Ziele fest. Für Biokraftstoffe war bereits in der Richtlinie 2003 / 30 / EG eine sukzessiv ansteigende Quote vorgesehen. Neben neuen Vorgaben zum Netzzugang, zur Anlageneffizienz, zur Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften, Herkunftsnachweisen, Ausbildung und Information sowie bestimmten Berichtspflichten enthält die Richtlinie in Art. 17 – 19 Umweltanforderungen für die Nutzung erneuerbarer Energien als flüssige Biobrennstoffe, zu denen ebenfalls Biokraftstoffe gehören99. An91 Vgl. zur Einbeziehung der Seeschifffahrt den 3. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009 / 29 / EG. 92 Richtlinie 2009 / 28 / EG v. 23. 4. 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, ABlEG L 140 / 16. 93 Einige Artikel wurden bereits zum 1. 4. 2010 aufgehoben, vgl. Art. 26. 94 Richtlinie 2001 / 77 / EG v. 27. 9. 2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt, ABlEG 2001 L 283 / 33. Zur Darstellung dieser programmsatzartigen, meist Erneuerbare-Energien-Richtlinie bezeichneten Richtlinie vgl. Oschmann, Strom aus erneuerbaren Energien im Europarecht – Die Richtlinie 2001 / 77 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt, 2002. 95 Richtlinie 2003 / 30 / EG v. 8. 5. 2003 zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor, ABlEG L 123 / 42. Im Rahmen der Energiesteuer-Richtlinie 2003 / 96 / EG v. 27. 10. 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, ABlEG L 283 / 51 sind außerdem Steuererleichterungen vorgesehen. 96 Ausführlich dazu Lehnert / Vollprecht, Neue Impulse von Europa: Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU, ZUR 2009, S. 307 ff. 97 Nicht zu verwechseln mit den Nationalen Allokationsplänen des Emissionshandels. 98 Vgl. bereits Mitteilung der Kommission, Fahrplan für erneuerbare Energien im 21. Jahrhundert: Größere Nachhaltigkeit für die Zukunft, KOM(2006) 848. 99 Hierzu Ludwig, Nachhaltigkeitsanforderungen beim Anbau nachwachsender Rohstoffe im europäischen Recht, ZUR 2009, S. 317 ff.; Ekardt / Schmeichel / Heering, Europäische und nationale Regulierung der Bioenergie und ihrer ökologisch-sozialen Ambivalenzen, NuR 2009, S. 222 (226).

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gesichts der Geltung der Kriterien auch für importierte Biomasse kann dies welthandelsrechtliche Probleme nach sich ziehen. c) Energieeffizienz: Im Bereich Energieeffizienz wird bis 2020 unionsweit eine Energieeinsparung von 20% angestrebt, ohne dass dies bisher verbindlich festgesetzt wurde100. Erreicht werden soll dies zum einen durch eine energieversorgungsseitige Strategie, indem den Energieversorgungsunternehmen eine Pflicht zur Effizienzsteigerung bei der Energieerzeugung / -umwandlung, dem Energietransport oder bei der Versorgung von Endverbrauchern auferlegt wird. Dieser Ansatz ist im Energiebinnenmarktrecht enthalten, das durch das sog. dritte „Energiebinnenmarktpaket“101 eine maßgebliche Novellierung erfahren hat102, und liegt der Endenergieeffizienz-Richtlinie103 zugrunde. Zum anderen setzt die Europäische Union unmittelbar am Energieverbrauch an, indem energieverbrauchsrelevante Prozesse und Produkte im weitesten Sinne reguliert werden. Zu dieser zweiten Strategie zählen die Ökodesign-Richtlinie104, die Gebäude-Richtlinie105, die Richtlinie zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Energieverbrauchsgeräten inklusive Haushaltsgeräten106 sowie die Fahrzeug-Richtlinie107.108

100 Mitteilung der Kommission, Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potential ausschöpfen, KOM(2006) 545. 101 Hierzu zählen die Richtlinie 2009 / 72 / EG v. 13. 7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003 / 54 / EG (EltRL), ABlEG L 211 / 55; Richtlinie 2009 / 73 / EG v. 13. 7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003 / 55 / EG (GasRL), ABlEG L 211 / 94; Verordnung (EG) Nr. 714 / 2009 v. 13. 7. 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228 / 2003, (StromhandelsVO), ABlEG L 211 / 15; Verordnung (EG) Nr. 715 / 2009 v. 13. 7. 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775 / 2005 (GasfernleitungsVO), ABlEG L 211 / 36; Verordnung (EG) Nr. 713 / 2009 v. 13. 7. 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABlEG L 211 / 1. 102 Hierzu im Einzelnen Britz, Klimaschutz und Versorgungssicherheit durch Energieeffizienz, ZUR 2010, S. 124 (125 ff.). 103 Richtlinie 2006 / 32 / EG v. 5. 4. 2006 über die Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen und zur Aufhebung der Richtlinie 93 / 76 / EWG, ABlEG L 114 / 64. 104 Richtlinie 2009 / 125 / EG v. 21. 10. 2009 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte (ABlEG L 285 / 10 v. 31. 10. 2010) sowie der Richtlinien 96 / 57 / EG (ABlEG L 236 / 36) und 2000 / 55 / EG (ABlEG L 191 / 29). 105 Richtlinie 2002 / 91 / EG v. 16. 12. 2002 über die Gesamteffizienz von Gebäuden, ABlEG L 1 / 65. 106 Richtlinie 92 / 75 / EWG v. 22. 9. 1992 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch Haushaltsgeräte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen, ABlEG L 297 / 16; vgl. u. a. den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen (KOM(2008) 778 endg.).

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d) Sonstige Maßnahmen: Als sonstige Maßnahmen kommen jene in Betracht, die einerseits nicht auf die Vermeidung der Entstehung von Kohlendioxid, sondern auf die Vermeidung dessen Austritts in die Atmosphäre gerichtet sind sowie solche, die im Schwerpunkt Luftreinhaltung bezwecken und als Nebeneffekt Klimaschutz bewirken. aa) CO2-Abscheidung und Speicherung: Neben einer Änderung des Emissionshandelssystems, dem Erlass der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie und der Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Bereich des Straßenverkehrs hat die Europäische Union im Rahmen ihres Klima- und Energiepakets ebenfalls rechtliche Anforderungen an die Abscheidung, den Transport und die Speicherung von Treibhausgasen festgelegt. Die Richtlinie 2009 / 31 / EG (Carbon Capture and Storage (CCS)-Richtlinie)109 integriert die rechtliche Steuerung des Transports und der Abscheidung von Kohlendioxid in bestehende Rechtsakte des EU-Industrieanlagenrechts110. Im Übrigen ist es den Mitgliedstaaten anheim gestellt, weitergehende Anforderungen festzulegen. Das Hauptaugenmerk der CCS-Richtlinie liegt auf der geologischen Speicherung von CO2. Neben der terrestrischen Speicherung findet die CCS-Richtlinie auch auf den Meeresuntergrund111, im Küstenmeer und in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Mitgliedstaaten Anwendung. Hinsichtlich der Auswahl der Speicherstätten obliegt es den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Landnutzungsplanung potentielle Speicherstätten zu bestimmen; sie haben auch das Recht, auf Teilen oder der Gesamtheit ihres Hoheitsgebiets eine Speicherung zu verbieten. Insofern eröffnet die CCS-Richtlinie ein opting-out hinsichtlich der Speicherung von CO2 und ermöglicht den Mitgliedstaaten andere energiebezogene Nutzungen, die etwa für die Energieversorgungssicherheit oder die Entwicklung erneuerbarer Energien von Bedeutung sind, einen Vorrang einzuräumen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat für eine Speicherung, so bedarf es 107 Die Richtlinie 2009 / 33 / EG v. 23. 4. 2009 über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge, ABlEG L 120 / 5 verpflichtet Antragsteller in Vergabeverfahren, Energie- und Umweltauswirkungen neu gekaufter Fahrzeuge zu berücksichtigen. 108 Vgl. insgesamt Reimer, Ansätze zur Erhöhung der Energieeffizienz im Europarecht – Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Schulze-Fielitz / Müller, Europäisches Klimaschutzrecht, 2009, S. 147 ff. 109 Richtlinie 2009 / 31 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. 4. 2009 über die geologische Speicherung von Kohlendioxid und zur Änderung der Richtlinie 85 / 337 / EWG des Rates sowie der Richtlinien 2000 / 60 / EG, 2001 / 80 / EG, 2004 / 35 / EG, 2006 / 12 / EG und 2008 / 1 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 1013 / 2006, ABl. L 140 v. 5. 6. 2009, S. 114. 110 Insbesondere hinsichtlich der Richtlinie 2008 / 1 / EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 24 v. 29. 1. 2008, S. 8 und der Richtlinie 85 / 337 / EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung. 111 Zu den völkerrechtlichen Voraussetzungen der Speicherung im Meeresuntergrund vgl. Schlacke / Much (FN 26); Stoll / Lehmann, Die Speicherung von CO2 im Meeresuntergrund – die völkerrechtliche Sicht, ZUR 2008, S. 281 ff.; Schlacke (FN 26), S. 87 ff.

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eines Rechtsrahmens, der eine Untersuchungs-, Speicher- und Stilllegungsgenehmigung vorsieht112. Insgesamt belässt die CCS-Richtlinie den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume im Bereich der Auswahl der Speicherstätten, der Ausgestaltung der Genehmigungen sowie der Festlegung der Modalitäten für die Übertragung der Verantwortung für stillgelegte Speicherstätten vom Betreiber auf den Staat. Sie ist adressiert an die EU-Mitgliedstaaten und bis zum 25. Juni 2011 in nationales Recht umzusetzen. bb) Luftreinhaltung: Klimaschutzbezogene Auswirkungen beinhaltet auch das übrige EU-Luftreinhalterecht, zu dem quellenbezogene Regelungen für Kraftfahrzeuge und Industrieanlagen zählen sowie quellenunabhängige Regelungen113: Die Luftqualitätsrahmenrichtlinie 2008 / 50 / EG vom 21. Mai 2008 über die Luftqualität und saubere Luft für Europa114 macht Vorgaben für die Luftqualität durch die Festlegung von Grenz- und Leitwerten und für die zu ergreifenden Maßnahmen und ist damit ein zentrales Element zum Erreichen der gesundheitsrelevanten Ziele der von der EU-Kommission vorgelegten „Luftreinhaltestrategie“ zur Verbesserung der Umweltsituation bis 2020115. Die Regelungen für die Reduzierung von Kfz-Abgasen stellen quellenbezogene Maßnahmen dar, die sowohl auf die Senkung der Feinstaubpartikel als auch auf die Senkung der Treibhausgasemissionen zielen. Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, sind – nach fehlgeschlagenen Selbstverpflichtungen116 der Automobilhersteller – durch die Verordnung (EG) Nr. 443 / 2009 verbindliche Emissionsnormen für neue PKW festgesetzt worden117. Zusätzlich wird der Einsatz von Biokraftstoffen und anderen Maßnahmen außerhalb der Fahrzeugtechnik mit bis zu 10g angerechnet, wenn die Nachhaltigkeitskriterien der Richtlinie 2009 / 30 / EG erfüllt sind, die Art. 17 Erneuerbare-Energien-Richtlinie entsprechen118. Bei Überschreitung der festgelegten Grenzwerte ist ab 2012 ein stufenweiser Zuschlag von den Automobilherstellern zu zahlen, der von 5 Euro pro g / km in 2012 auf 95 Euro pro g / km im Jahr 2015 ansteigt.

112 Vgl. im Einzelnen Schlacke / Much (FN 26); Doppelhammer, Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur geologischen Speicherung von Kohlendioxid, ZUR 2008, S. 250 (251 ff.); Kohls / Kahle (FN 26), S. 124. 113 Ausführlich zur Systematisierung des EG-Luftreinhaltungsrechts Mayer, Entwicklungslinien im Luftreinhaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft, EurUP 2008, S. 227 (231). 114 ABlEG L 152 / 1; dazu Falke, ZUR 2008, S. 218. 115 V. 21. 9. 2005, KOM(2005) 446 endg.; dazu Scheidler, Fortentwicklung des europäischen Luftreinhalterechts, NuR 2006, S. 354. 116 H.-J. Koch (FN 39), § 4 Rn. 21. 117 V. 23. 4. 2009, ABlEG 2009 L 140 / 7. 118 Art. 7 b; ABlEG 2009 L 140 / 88.

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3. Deutsches Klimaschutzrecht

Vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsetzung hat sich – eigenständig oder hierdurch veranlasst – eine umfangreiche deutsche Gesetzgebung entwickelt, die in Regelungen zum Emissionszertifikatehandel, zu Erneuerbaren Energien, zur Energieeffizienz und zum Umwelt- und Planungsrecht unterschieden werden kann. a) Recht des Emissionszertifikatehandels: Den europäischen Vorgaben zum Emissionshandel ist der Bundesgesetzgeber durch das TreibhausgasEmissionshandelsgesetz (TEHG)119, das Gesetz über den nationalen Allokationsplan (NAPG) – nunmehr Zuteilungsgesetz 2012120 – und die Zuteilungsverordnung121 nachgekommen.122 Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz bildet den rechtlichen Rahmen des Emissionszertifikatehandels, wohingegen das auf Grundlage von § 7 TEHG geschaffene Zuteilungsgesetz 2012 und der dazu ergangene nationale Zuteilungsplan die nationalen CO2-Emissionsziele sowie die Zuteilung und Ausgabe der Emissionsberechtigungen für den Zeitraum 2008 bis 2012 regeln123. Durch die jüngsten EU-Vorgaben124 wurde die Versteigerung als Grundprinzip für die Zuteilung nach 2012 verankert125. 119 TEHG v. 8. 7. 2004, BGBl. I S. 1578, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz v. 16. 7. 2009, BGBl. I S. 1954. 120 Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 – 2007 (ZuG 2007) v. 26. 8. 2004, BGBl. I S. 2211; nunmehr Zuteilungsgesetz 2012 (ZuG) v. 7. 8. 2007 für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012, BGBl. I S. 1788; hierzu Kobes, Emissionshandel 2008 – 2012, NVwZ 2007, S. 857; Spieth / Hamer, Emissionshandel: Zertifikatebewirtschaftung durch Brüssel, NVwZ 2007, S. 867. 121 Zuteilungsverordnung 2007 (ZuV 2007) v. 31. 8. 2004, BGBl. I S. 2255; nunmehr Zuteilungsverordnung 2012 (ZuV 2012) v. 13. 8. 2007, BGBl. I S. 1941. 122 Vgl. ausführlich Schmidt / Kahl, Umweltrecht, 2006, § 3 Rn. 148 ff.; Adam / Hentschke / Kopp-Assenmacher, Handbuch des Emissionshandelrechts, 2006; Körner, in: ders. / Vierhaus, TEHG, Kommentar, 2005, Einl. Rn. 1 f.; Kloepfer, Umweltrecht, 2004, § 17 Rn. 90 ff.; Weidemann, Emissionserlaubnis zwischen Markt und Plan, DVBl. 2004, S. 727; Kobes, Grundzüge des Emissionshandels in Deutschland, NVwZ 2004, S. 513 (514); Weinreich / Marr, Handel gegen Klimawandel – Überblick und ausgewählte Rechtsfragen zum neuen Emissionshandelssystem, NJW 2005, S. 1078; Michaelis / Holtwisch (FN 83), S. 71. 123 Ausführlich hierzu Frenz, Die Zuteilungsregeln für die zweite Emissionshandelsperiode Teil 1 – Industrie- vs. Energieanlagen, NuR 2007, S. 513; ders., Die Zuteilungsregeln für die zweite Emissionshandelsperiode Teil 2 – Benchmark-System und Standardauslastungsfaktor für alle Anlagen ab 2003 sowie Zertifikatveräußerung, NuR 2007, S. 587; ferner Rebentisch, Rechtsfragen der kostenlosen Zuteilung von Berechtigungen im Rahmen des Emissionshandelsrechts, NVwZ 2006, S. 747; zur rechtmäßigen Anwendung des § 4 Abs. 4 ZuG 2007 vgl. OVG Berlin-Brandenburg, ZUR 2007, S. 142 (147), m. Anm. v. Günther / Schnutenhaus, ZUR 2007, S. 193. 124 Vgl. oben FN 82. 125 Vgl. Emissionshandels-Versteigerungsverordnung 2012 v. 17. 7. 2009, BGBl. I S. 2048; Datenerhebungsverordnung 2020 v. 22. 7. 2009, BGBl. I S. 2118; TEHGÄndG

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Der Konzeption nach wird den Unternehmen eine bestimmte Menge an Emissionszertifikaten zugeteilt, mit denen sie „haushalten“ müssen und dergestalt ihren Minderungsverpflichtungen nachkommen. Ziel ist es, dass die Unternehmen einerseits ihre Energieeffizienz steigern – insbesondere durch Einsatz neuer, innovativer Techniken – und zugleich ihre CO2-Emissionen senken, um mit den zugeteilten Zertifikaten auszukommen. Ferner ist es ihnen gestattet, Zertifikate von anderen deutschen oder mitgliedstaatlichen Unternehmen hinzuzukaufen. Entscheidend dafür, ob sie zukaufen oder Emissionen an ihren eigenen Anlagen vermeiden, sind letztlich die individuellen Kosten: Ist die Vermeidung von Emissionen kostengünstiger als der Preis der Zertifikate, wird die eigene Anlage verbessert und umgekehrt. Das Emissionshandelssystem bezweckt mithin, den Ausstoß von Kohlendioxid dort zu reduzieren, wo es am kostengünstigsten ist und sich am wirtschaftlichsten realisieren lässt. In Folge der gezielten Begrenzung der Gesamtemissionsmenge und der Knappheit von Emissionsberechtigungen erhält die vermiedene Tonne CO2 daher – erstmalig – einen Marktpreis. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist damit ein wichtiger Kostenfaktor für Unternehmen, der einen wirtschaftlichen Anreiz schafft, durch Emissionseinsparungen künftig u. a. Einnahmen zu erzielen126. Die Komplexität des Zuteilungsverfahrens begründet ein erhebliches Konfliktpotential127. So hat das Bundesverwaltungsgericht und nachfolgend auch das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der im Emissionszertifikatehandelssystem liegenden Eingriffe in eigentumsrechtliche Positionen ihre verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeit mit Blick auf das Allgemeininteresse bejaht und überdies die Europarechtskonformität bestätigt128. Daneben hat der EuGH festgestellt, dass die Nichteinbeziehung des Chemie- und Nichteisenmetallsektors zwar den Gleichheitssatz tangiere, die unterschiedliche Behandlung aber aufgrund der geringen Mengen an Emissionen und der schrittweisen Einführung des komplexen Systems gerechtfertigt sei129.130 v. 16. 7. 2009, BGBl. I S. 1954; EHVV 2012 v. 17. 7. 2009, BGBl. I S. 2048; DEV 2020 v. 22. 7. 2009, BGBl. I S. 2118. 126 Ausführlich zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie am Beispiel des Emissionshandels vgl. Frenz, Nachhaltiges Wettbewerbsrecht – mit Vorrang des Umweltschutzes?, EWS 2007, S. 337 (339); ferner EuG, NVwZ 2006, S. 75; Siems, Von Umweltökonomie und dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – Wie die Ökonomie ins deutsche Umweltrecht einzog, NuR 2005, S. 443; Martini / Gebauer, „Alles umsonst?“ Zur Zuteilung von CO2-Emissionszertifikaten – Ökonomische Idee und rechtliche Rahmenbedingungen, ZUR 2007, S. 225. 127 Ausführlich hierzu Schmidt / Kahl (FN 122), § 3 Rn. 154; Holtwisch, Rechtmäßigkeit des Emissionshandelssystems, JA 2006, S. 182. 128 BVerwGE 124, 47; siehe ferner BVerfG, ZUR 2007, S. 579; BVerfG, NVwZ 2007, S. 937 (942); BVerfG, UPR 2007, S. 344; zusammenfassend Frenz, Emissionshandel und Grundgesetz nach drei Entscheidungen des BVerfG, UPR 2008, S. 8; ferner Günther / Schnutenhaus, Die Rechtsprechung zum Emissionshandelsrecht, NVwZ 2007, S. 1140.

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b) Recht der Erneuerbaren Energien: In Deutschland wird der Primärenergieverbrauch nach wie vor in erster Linie durch fossile Energien bereit gestellt, deren Emissionen maßgeblich den anthropogenen Klimawandel (mit-)verursachen131, insofern setzt Klimaschutz bei der Umgestaltung der Energieerzeugung und -versorgung an. Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Jahr 2020 den Anteil Erneuerbarer Energien (Windenergie, Wasserkraft, Solarenergie, Geothermie) am Endenergieverbrauch auf 30% zu erhöhen, wozu sie nunmehr auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2009 (EEG 2009) für den Stromsektor verpflichtet132 und wofür nach Auffassung wissenschaftlicher Studien nicht nur klimaschutz-, sondern auch arbeitsmarkt-, industrie-133 und sicherheitspolitische134 Gründe sprechen. Für die Erreichung ihrer Ausbauziele beschloss die Bundesregierung im August 2007 auf Schloss Meseberg die Eckpunkte eines „Integrierten Energie- und Klimaprogramms“ (IEKP)135, das ca. 30 Gesetzgebungsmaßnahmen im weitesten Sinne enthält. Als neuartiges Strukturprinzip kann das Vorrangprinzip identifiziert werden, das aus dem EEG sowie gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben als allgemeines Prinzip des Energiewirtschaftsrechts abgeleitet wird136. Danach ist Erneuerbaren Energien ein Vorrang vor fossilen Energieträgern einzuräumen. Das deutsche Recht der Erneuerbaren Energien orientiert sich im Wesentlichen an den drei Energiesektoren Strom, Wärme und Kraftstoffe.137 129 EuGH, NVwZ 2009, S. 382; dazu Epiney, Zur Rechtsprechung des EuGH im Umweltrecht im Jahr 2008, EurUP 2009, S. 94 (97). 130 Vgl. Weinreich / Marr (FN 122), S. 1078 (1081); ferner Shirvani, Rechtsschutz gegen Zuteilungsentscheidungen im Emissionshandelsrecht, NVwZ 2005, S. 868; Begemann / Lustermann, Emissionshandel: Rechtsfragen zum zweiten Erfüllungsfaktor, NVwZ 2006, S. 135. 131 Knapp 90% der Energie wird durch Öl, Kohle und Erdgas gewonnen; vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Erneuerbare Energien in Zahlen, Juni 2009, S. 4 (abrufbar unter http://www.erneuerbare-energien. de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/ee_hintergrund_2009_bf.pdf (Stand: 19. 5. 2010)). 132 Vgl. § 1 Abs. 2 EEG 2009. 133 Sensfuß / Ragwitz, Gutachten für das BMU, Analyse des Preiseffektes der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf die Börsenpreise im deutschen Stromhandel, 2007; Kratzat / Lehr / Nitsch / Edler / Lutz, Erneuerbare Energien: Arbeitsplatzeffekte 2006 – Abschlussbericht des Vorhabens „Wirkungen des Ausbaus der erneuerbaren Energien auf den deutschen Arbeitsmarkt – Follow up“, 2007. 134 Adelphi Consult & Wuppertal Institut, Gutachten für das BMU, Die sicherheitspolitische Bedeutung erneuerbarer Energien, 2007. 135 Vgl. http://www.bmu.de/klimaschutz/downloads/doc/39875.php (Stand: 19. 5. 2010); einen Überblick gibt Schalast, Vorrang für den Klimaschutz: Der Umbau des Regelungsrahmens der Energieversorgung in Deutschland durch die Eckpunkte der Bundesregierung für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm, IR 2008, S. 34 ff. 136 Möstl, Der Vorrang erneuerbarer Energien – Ein Prinzip des Energiewirtschaftsrechts nimmt Gestalt an, RdE 2003, S. 90.

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aa) Strombereich: Im Strombereich fand bereits 1991 mit dem Stromeinspeisungsgesetz138 eine rechtliche Steuerung Erneuerbarer Energien durch eine Einspeisevergütung statt. Das am 1. April 2000 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz, das seine letzte maßgebliche Novelle 2009139 erfahren hat140, setzt diese Tradition fort. Das EEG hat sich im Hinblick auf die Erreichung der Ausbauziele für erneuerbare Energien im Strombereich als bislang effektivstes Förderinstrument der Bundesregierung herausgestellt und wird international als beispielhaft bewertet141. Kern des mehrfach kommentierten Gesetzes142 ist die Anschluss-, Abnahme- und Verteilungspflicht für Netzbetreiber von Strom, der aus sog. regenerativen Energieträgern gewonnen wurde. Im Interesse der Planungs- und Investitionssicherheit der Anlagenbetreiber sind Höhe und Dauer (20 Jahre) der Vergütung im EEG normiert. Die gesetzlich garantierte Mindestvergütung soll die gegenüber fossilen Energieträgern höheren Stromgestehungskosten ausgleichen und ist daher nach eingesetzter Technologie und Anlagengröße unterschiedlich hoch143. Die differenzierte Vergütung dient damit nicht als Anreiz zur Nutzung einer bestimmten Technologie. Durch den gesetzlichen Anspruch des Anlagenbetreibers gegen den Netzbetreiber auf Vergütung wird die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien ins Privatrecht verlagert, wobei der Konfliktdruck durch die Einrichtung der EEG-Clearingstelle reduziert wird. Das EEG 2009144 enthält weitreichende Verbesserungen zur Förderung erneuerbarer Energien im Sinne des oben erwähnten integrierten Energie137 Einen Überblick gibt Wustlich, Rechtsentwicklung der Erneuerbaren Energien – Kontinuitäten, Umbrüche, Konsolidierung, in: Ehricke (Hrsg.), Die neuen Herausforderungen im Lichte des Energierechts, 2009, S. 41 ff. 138 V. 7. 12. 1990 (BGBl. I S. 2633). 139 Erneuerbare-Energien-Gesetz v. 25. 10. 2008 (BGBl. I S. 2074), das durch Art. 3 des Gesetzes v. 29. 7. 2009 (BGBl. I S. 2542) geändert worden ist; Altrock / Lehnert, Die EEG-Novelle 2009, ZNER 2008, S. 118; Schumacher, Die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimapakets, ZUR 2008, S. 121. 140 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Ewer, in: Koch, Umweltrecht, 2007, § 9 Rn. 65. 141 Ewer (FN 140), § 9 Rn. 66; ausführlich zu den Erneuerbaren Energien im deutschen und europäischen Recht Oschmann / Sösemann, Erneuerbare Energien im deutschen und europäischen Recht – Ein Überblick, ZUR 2007, S. 1; s. auch den Vergleich mit dem britischen Quotensystem von Laube / Toke, Einspeisetarife sind billiger und effizienter als Quoten- / Zertifikatssysteme. Der Vergleich DeutschlandGroßbritannien stellt frühere Erwartungen auf den Kopf, ZNER 2006, S. 132. 142 Altrock / Oschmann / Theobald, EEG, 2. Aufl. 2008; Danner / Theobald, Energierecht, Loseblatt (Stand: 2009), Bd. 2 – VI.B1; Reshöft / Steiner / Dreher, EEG, 2. Aufl. 2005; Salje, EEG, 5. Aufl., 2009; Frenz / Müggenborg, EEG, 2010. 143 BT-Drs. 15 / 2864, S. 36 f. 144 Hierzu vgl. Oschmann, Neues Recht für Erneuerbare Energien, NJW 2009, S. 263 ff.; Wedemeyer, Das novellierte „EEG 09“ unter besonderer Berücksichtigung der Biomasseanlagen, NuR 2009, S. 24 ff.; Altrock / Lehnert (FN 139), S. 118 ff.

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und Klimaprogramms der Bundesregierung. Zu nennen sind: eine attraktivere Gestaltung des Repowering (§ 30 EEG 2009), die Verbesserung der Bedingungen für die Offshore-Windkraft (§ 31 EEG 2009), die Netzintegration von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien mitsamt der Regelung des Einspeisemanagements (§§ 9 – 12 EEG 2009) sowie Boni, wie etwa für jene im Biomassebereich nach § 27 Abs. 4 EEG 2009, die für besonders förderungswürdige Technologien (Technologiebonus), für die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen und Gülle (sog. Nawaro-Bonus) sowie für die Erzeugung des Stroms in Kraft-Wärme-Kopplung (sog. KWKBonus) gezahlt werden. Hierdurch soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2020 von derzeit 13% auf 30% erhöht werden (§ 1 Abs. 2 EEG 2009). Ausdrücklich bezweckt das EEG 2009 im Schwerpunkt Klimaschutz und lediglich sekundär eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung145. Die in der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie festgelegten Nachhaltigkeitsanforderungen für Biomasse146 wurden durch die Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von flüssiger Biomasse zur Stromerzeugung (Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung)147 und für den Kraftstoffbereich durch die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung148 umgesetzt. bb) Wärmebereich: Der zweite, bedeutende Energiesektor ist der Wärmesektor, der aufgrund seiner vielfältigen und strukturell unterschiedlichen Akteure maßgeblich vom Strombereich differiert. Im Unterschied zum Strommarkt, auf dem ein Netz existiert, verfügt der Wärmemarkt nicht über ein großräumiges Wärmenetz, in das an jedem Ort Wärme eingespeist werden kann. Vielmehr ist der Wärmesektor durch kleinere, dezentrale Wärmenetze gekennzeichnet, die allen Akteuren eine Einspeisung der Wärme ermöglichen. Aufgrund eines fehlenden flächendeckenden Wärmenetzes wurde lange Zeit die Nutzung Erneuerbarer Energien im Wärmemarkt allein durch staatliche Zuschüsse und zinsverbilligte Darlehen finanziell gefördert149. 145 Vgl. Sösemann, Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG (Luftreinhaltung als Kompetenzgrundlage für EEG und EEWärmeG), ZNER 2008, S. 137 (138). 146 Vgl. dazu Ludwig (FN 99), S. 317 ff.; dies., Energetische Verwendung von Biomasse nur mit Augenmaß vorantreiben, NuR 2009, S. 831 (832); Lehnert / Vollprecht (FN 96), S. 316. 147 V. 23. 7. 2009, BioSt-NachV, BGBl. I S. 2174; dazu Ekardt / Hennig, Die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung: Chancen und Grenzen von NachhaltigkeitsKriterienkatalogen, ZUR 2009, S. 543 ff. 148 Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von Biokraftstoffen (Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung – Biokraft-NachV) v. 30. 9. 2009, BGBl. I S. 3182. 149 Das wichtigste Förderprogramm ist das sog. „Marktanreizprogramm“ des Bundesumweltministeriums, vgl. Richtlinien zur Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt v. 5. 12. 2007, BAnz. Nr. 241 v. 28. 12. 2007, S. 8383.

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Der hierauf rückführbare und im Vergleich zum Strombereich bislang langsame Anstieg der Erneuerbaren Energien im Wärmesektor auf insgesamt 6,6% soll durch das Anfang 2009 in Kraft getretene ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz (EEWärmeG)150 auf mindestens 14% bis 2020 gesteigert werden151. Ziel des EEWärmeG ist der Schutz des Klimas durch Steigerung der Energieeffizienz.152 Die Erzeugung von Heizwärme aus klimafreundlichen Quellen wie Sonne, Biogas, Holz oder Erdwärme soll gefördert werden, da sie ein großes Potential für die Einsparung fossiler Brennstoffe in sich bergen. Hierzu werden Pflichten für die Nutzung erneuerbarer Energien bei Neubauten festgelegt (1. Säule des EEWärmeG)153. Bei Altbauten bleibt es bei einer indirekten Verhaltenssteuerung mittels finanzieller Anreize (2. Säule des EEWärmeG). Als fragmentarisch ist die rechtliche Steuerung des angestrebten Ausbaus von Wärmenetzen (3. Säule des EEWärmeG)154 einzustufen. Der Anreiz zum Ausbau einer Wärmeinfrastruktur kommt zum Ausdruck, indem Wärmenetzanschlüsse auch als Ersatzmaßnahme gelten (§ 7 Abs. 3 EEWärmeG), Wärmenetze förderfähig nach dem Marktanreizprogramm sind (§ 14 Abs. 4 EEWärmeG) und § 16 EEWärmeG einen Anschluss- und Benutzungszwang für Wärmenetze zulässt, die dem Klimaschutz dienen. cc) Kraftstoffbereich: Der dritte Energiesektor, der Kraftstoffbereich, unterscheidet sich wiederum maßgeblich hinsichtlich Struktur, Marktakteuren (Mineralölhersteller und -lieferanten, Verkehrsteilnehmer), Vertriebsstrukturen (keine netzgebundene Versorgung) und durch eine geringe Auswahlmöglichkeit der einsetzbaren Erneuerbaren Energien (nur Biomasse in Form von Biokraftstoffen) vom Strom- und Wärmemarkt. Die ErneuerbareEnergien-Richtlinie der Europäischen Union verpflichtet zur Erreichung eines europaweit einheitlichen Mindestziels von 10% von Erneuerbaren Energien bei allen Verkehrsträgern155. Nach einer ursprünglich lediglich steuerlichen Begünstigung von Biokraftstoffen durch das Energiesteuergesetz156 konnte der Anteil Erneuerbarer Energien (= Biomasse) am Kraftstoffverbrauch durch Erlass des Bio150

BR-Drs. 9 / 08 v. 4. 1. 2008; Wustlich (FN 19), S. 113. § 1 Abs. 2 EEWärmeG. Der Geltungsbereich dieser Nutzungspflicht umfasst sämtliche Gebäude mit einer Nutzfläche von mehr als 50 Quadratmetern, die unter Einsatz von Energie beheizt oder gekühlt werden. 152 Dazu Wustlich, Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, NVwZ 2008, S. 1041 ff.; ders. (FN 19), S. 113 ff.; Müller, Das neue Wärmegesetz als Instrument deutscher Klimaschutzpolitik, ZNER 2008, S. 132 ff.; zu Strategien der Förderung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt vgl. Fischer / Klinski, Modelle für eine Förderung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt aus rechtlicher Sicht, ZUR 2007, S. 8 ff. 153 § 3 Abs. 1 EEWärmeG. 154 Vgl. Fischer / Klinski (FN 152), S. 8 ff. 155 Vgl. Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2009 / 28 / EG. 156 V. 15. 7. 2006, BGBl. I S. 1534, geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 18. 12. 2006, BGBl. I S. 3180. 151

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kraftstoffquotengesetzes157 2007 auf 7,6% erhöht werden, ging aber 2009 um ca. 2% zurück.158 Etwas anderes gilt indes für den 2006 eingeführten 2. Abschnitt zu Biokraftstoffen, der im Wesentlichen in das BImSchG integriert wurde (§§ 37a-37d BImSchG). Mit dem Biokraftstoffquotengesetz wurde zum einen die steuerliche Förderung von Biokraftstoffen ab dem 1. Januar 2007 eingeschränkt (§ 50 EnStG) und zum anderen in den §§ 37a ff. BImSchG eine Biokraftstoffzwangsquote eingeführt. Die Quote besteht aus einer Einzelquote für Ottokraftstoffe und Diesel sowie einer jährlich steigenden Gesamtquote. Hiernach ist die Mineralölwirtschaft gehalten, einen (steigenden) Mindestanteil von Biokraftstoffen (§ 37a Abs. 3 BImSchG) in den Verkehr zu bringen159. Den verpflichteten Mineralölunternehmen steht es freilich offen, die Pflicht zur Quotenerfüllung an Dritte abzutreten (§ 37a Abs. 4 S. 2 BImSchG)160. Durch das am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen161 wird – im Unterschied zur ursprünglich beabsichtigten, aber am Bundestag gescheiterten Novelle des Biokraftstoffrechts162 – ein gemäßigter Ausbau des Anteils von Biokraftstoffen angestrebt: So wird etwa für das Jahr 2009 die gesetzliche Quote leicht abgesenkt, für das Folgejahr auf einer Höhe von 6,25 % eingefroren. Ferner wird die Biokraftstoffquote ab 2015 von der energetischen Quote auf ihren Netto-Beitrag zur Treibhausgasverminderung umgestellt und erstmals aus Biogas aufbereitetes Biomethan auf die Biokraftstoffquote anrechenbar. Im Unterschied zum Wärmebereich werden nicht die Nachfragenden, m. a. W. die Endverbraucher, sondern die Anbietenden verpflichtet. Ergän157 Gesetz zur Einführung einer Biokraftstoffquote durch Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes und zur Änderung energie- und stromsteuerrechtlicher Vorschriften v. 18. 12. 2006, BGBl. I S. 3180; vgl. hierzu Jarass, Die neuen Regelungen zur Biokraftstoffquote, ZUR 2007, S. 518 ff.; Oschmann / Sösemann (FN 141), S. 1 ff., S. 4 ff. 158 BMU (FN 131), S. 5 (abrufbar unter http://www.erneuerbare-energien.de/files/ pdfs/allgemein/application/pdf/ee_hintergrund_2009_bf.pdf (Stand: 17. 5. 2010)). 159 H.-J. Koch (FN 39), § 4 Rn. 45; ausführlich hierzu ferner Jarass (FN 157), S. 518. Ferner ist geplant mit einem neuen Absatz 3a in § 37 a BImSchG die Biokraftstoffquote ab 2015 von der energetischen Quote auf ihren Netto-Beitrag zur Treibhausgasverminderung umzustellen und durch Änderung des Absatzes 1 Satz 1 erstmals aus Biogas aufbereitetes Biomethan auf die Biokraftstoffquote anzurechnen. Bundestagsbeschluss v. 23. 4. 2009, Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen (BR-Drs. 379 / 09). 160 Zur Durchsetzung dieser Quotenregelungen sieht das BImSchG zahlreiche Mitteilungspflichten vor (§ 37c Abs. 1 BImSchG). Insbesondere haben die Verpflichteten nach § 37c Abs. 1 S. 1, 2 BImSchG der zuständigen Stelle jeweils bis zum 15. April eines Jahres die im vorangegangenen Kalenderjahr in Verkehr gebrachte Menge Ottound Dieselkraftstoffs sowie die in Verkehr gebrachte Menge von Biokraftstoffen mitzuteilen. Für den Fall des Unterschreitens der Quote sind als Sanktionsmittel hohe Abgaben vorgesehen (§ 37c Abs. 2 BImSchG). Vgl. Jarass (FN 157), S. 518 (523). 161 BGBl. I 2009, S. 1804. 162 Siehe den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, BR-Drs. 7 / 08.

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zend zur Quotenregelung des BImSchG fördert das Energiesteuergesetz die Vermarktung von Biokraftstoffen durch eine (befristete) steuerliche Privilegierung von Biokraftstoffen, die nicht zur Erfüllung der Quote angerechnet werden kann. c) Recht der Energieeffizienz: Das Recht der Energieeffizienz ist eine Querschnittsmaterie, die vielfältige und unterschiedliche Regelungen zur Steigerung der Energieeffizienz, m.a.W. zur Reduktion des Energieeinsatzes beinhaltet163. Zum Recht der Energieeffizienz zählt das im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz stehende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG)164. Zweck des Gesetzes ist es, einen Beitrag zur Erhöhung der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung in der Bundesrepublik Deutschland auf 25% durch den befristeten Schutz, die Förderung der Modernisierung und des Neubaus von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen), die Unterstützung der Markteinführung der Brennstoffzelle sowie die Förderung des Neu- und Ausbaus von Wärmenetzen, in die Wärme aus KWK-Anlagen eingespeist wird, im Interesse der Energieeinsparung, des Umweltschutzes und der Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung zu leisten (§ 1 KWKG)165. Ähnlich wie das ErneuerbareEnergien-Gesetz setzt das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz auf eine Anschluss-, Abnahme- und Vergütungspflicht des in KWK-Anlagen gewonnenen Stroms (§ 4 Abs. 1, 2 KWKG). Der Preis für den aufgenommenen KWK-Strom bestimmt sich nach der Vereinbarung zwischen dem Betreiber der KWK-Anlage und dem Netzbetreiber. Die Steigerung von Energieeffizienz im Gebäudebereich bezweckt das 2005 neugefasste und 2009 geänderte Energieeinsparungsgesetz (EnEG)166, aufgrund dessen die Energieeinsparverordnung (EnEV) i. d. F. vom 24. Juli 2007167 erlassen wurde168. Zur Steigerung der Energieeffizienz hat der Verordnungsgeber u. a. einen Energieausweis für Gebäude eingeführt (§ 16 EnEV), um den Energieverbrauch bzw. -bedarf einer Wohnung oder eines 163 Vgl. Nationaler Energieeffizienzplan des BMU, abrufbar unter http://www. bmu.de/energieeffizienz/nationaler_energieeffizienzplan/doc/42374.php (Stand: 10. 4. 2010). 164 Gesetz v. 19. 3. 2002, BGBl. I S. 1092; zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz v. 25. 10. 2008, BGBl. I S. 2101; vgl. ausführlich hierzu Burgi, Klimaschutz durch weiterentwickelte KWK-Förderung, DVBl. 2008, S. 1205 ff.; Lamfried, Die aktuellen Vorschläge zur Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, ZNER 2007, S. 280 ff. 165 Zur Novelle des KWKG 2009 vgl. Jacobshagen, Energieeffizienz in der Energieerzeugung – Die Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, ZUR 2008, S. 449 ff. 166 BGBl. I S. 2684, zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz v. 28. 3. 2009, BGBl. I S. 643. 167 BGBl. I 2007, S. 1519. 168 Hierzu Flache / Hänsel, Die neue Energieeinsparverordnung (EnEV), NJW-Spezial 2009 , S. 332 f.

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Gebäudes zum Gegenstand der Kauf-, Miet- oder Pachtentscheidung werden zu lassen, so dass mittelbar effizientere Immobilien Wertsteigerungen und deren Eigentümer Anreize zur energetischen Sanierung erfahren169. Die jüngste Novelle der Energieeinsparverordnung 2009170 verpflichtet Bauherren zu bautechnischen Maßnahmen zugunsten eines effizienten Betriebsenergieverbrauchs für Wohngebäude, Bürogebäude und bestimmte Betriebsgebäude. Im Produktbereich bezweckt das Energiebetriebene-Produkte-Gesetz (EBPG)171 als Umsetzung der Ökodesign-Richtlinie172 die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte173. Durch Mindesteffizienz- bzw. Höchstverbrauchsanforderungen sollen energieineffiziente Produkte vom Markt verdrängt werden. Die Verpflichtung zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs bezweckt eine Förderung von Kaufentscheidungen der Endverbraucher zugunsten energieeffizienter Produkte. Das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG)174 und die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (EnVKV)175 verpflichten Hersteller und Händler von Haushaltsgeräten nicht nur zu Angaben über den Energieverbrauch. Darüber hinaus werden die Geräte in verschiedene, durch Richtlinien definierte Energieeffizienzklassen eingeteilt, die eine Bewertung des Energieverbrauchs des jeweiligen Gerätes enthalten. Die entsprechende Energieeffizienzklasse wird durch ein EU-Label deklariert176. Daneben beabsichtigen Qualitätszeichen, die für energieeffiziente Produkte vergeben werden, die Konsumentenentscheidung zu beeinflussen. 169 Zu aktuellen Problemen der Energieeinsparung im Mietwohnsektor durch Wärme-Contracting vgl. ferner Kramer, Energieeinsparung im Mietwohnsektor durch Wärme-Contracting, ZUR 2007, S. 283. 170 Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden (Energieeinsparverordnung – EnEV) v. 24. 7. 2007, BGBl. I S. 1519, geändert durch Verordnung v. 29. 4. 2009, BGBl. I S. 954. 171 BGBl. I S. 258. 172 Siehe oben FN 104. 173 Vgl. Nusser, Zwei EBPG – Erste Erfahrungen mit der Umsetzung der Ökodesign-Richtlinie, ZUR 2010, S. 130 ff. 174 Gesetz zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energieeinsparung bei Geräten und Kraftfahrzeugen (Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz – EnVKG) v. 30. 1. 2002, BGBl. I S. 570. 175 Verordnung über die Kennzeichnung von Haushaltsgeräten mit Angaben über den Verbrauch an Energie und anderen wichtigen Ressourcen (Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung – EnVKV) v. 30. 10. 1997, BGBl. I S. 2616, zuletzt geändert durch Art. 1 Verordnung v. 19. 2. 2004, BGBl. I S. 311. 176 Vgl. die Durchführungs-Richtlinie 94 / 2 / EG der Kommission v. 21. 1. 1994 zur Durchführung der Richtlinie 92 / 75 / EWG betreffend die Energieetikettierung für elektrische Haushaltskühl- und -gefriergeräte sowie entsprechende Kombinationsgeräte, ABlEG L 45 / 1; ferner für Waschmaschinen: Richtlinie 95 / 12 / EG betreffend die Energieetikettierung für elektrische Haushaltswaschmaschinen, ABlEG L 136 / 1; Wäschetrockner: Richtlinie 95 / 13 / EG im Hinblick auf das Energieetikett für elektrische Haushaltswäschetrockner, ABlEG L 136 / 28.

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Neben spezifisch auf den Energieverbrauch abstellende Zeichen – wie etwa den Energy Star für Bürogeräte177 – berücksichtigen auch Umweltzeichen wie die Europäische Blume178 und der Blaue Engel179 Energieeffizienzgesichtspunkte. Veranlasst durch europarechtliche Vorgaben kam es zu einer wesentlichen Umgestaltung des Energiewirtschaftsrechts180: Neben einer vollständigen Öffnung der Strom- und Gasmärkte durch Vorgaben zur Entflechtung der Energieversorgungsnetze bzgl. der Wertschöpfungsstufen wurde das Energiewirtschaftsgesetz mit einer klimaschützenden Zweckrichtung aufgeladen. Nunmehr ist es auch gerichtet auf eine preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leistungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas (§ 1 Abs. 1 EnWG). Überdies dient die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas sowie der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen (§ 1 Abs. 2 EnWG). Auch die Strommessung wurde liberalisiert im Sinne des Klimaschutzes181: So sollen nunmehr innovative Verfahren der Messung sowie lastabhängige, zeitvariable Tarife durch die Änderung des § 21b EnWG ermöglicht und gefördert werden. Vorrangiges Ziel war dabei die Einsparung von Energiekosten für Verbraucher sowie eine Verbesserung der Effizienz der Nutzung von Kraftwerkparks. d) Klimaschutzbezogene Regelungen des Umwelt- und Planungsrechts: Neben den soeben skizzierten Einzelgesetzen und Einzelregelungen existieren im Immissionsschutz-, Naturschutz- und Wasserrecht sowie im Raumordnungs- und Baurecht Normen, die ebenfalls dem Klimaschutz zu dienen bestimmt sind. Regelungen zum Emissionshandel (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 und S. 4 BImSchG182) und solche, die das Recht Erneuerbarer Energien in Bezug auf 177 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 106 / 2008 v. 15. 1. 2008 über ein gemeinschaftliches Kennzeichnungsprogramm für Strom sparende Bürogeräte, ABlEG L 39 / 1. 178 Verordnung (EG) Nr. 1980 / 2000 v. 17. 7. 2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens, ABlEG L 237 / 1. 179 Näheres abrufbar unter http://www.blauer-engel.de/de/blauer_engel/index.php (Stand: 10. 4. 2010). 180 Vgl. oben FN 103 – 106, ferner Kühne / Brodowski, Das neue Energiewirtschaftsrecht nach der Reform 2005, NVwZ 2005, S. 849. 181 BGBl. I S. 2966. 182 Dazu Feldhaus, Der Vorsorgegrundsatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, DVBl. 1980, S. 133; Kloepfer / Kröger, Zur Konkretisierung der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht, NuR 1990, S. 8; Kutscheidt, in: FS Redeker, 1993, S. 439ff.; Rehbinder, in: FS Sendler, 1991, S. 269ff.; Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993; Rid / Hammann, Immissionsschutzrechtliche Lärmvorsorge, NVwZ 1989, S. 200.

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Kraftstoffe (§§ 37a ff. BImSchG) betreffen, wurden in das BImSchG integriert. Anforderungen an eine effiziente Energieverwendung enthält ferner das Abfallrecht, das die Zulassung einer Abfallentsorgungsanlage an eine effiziente Energieverwendung knüpft (§ 32 Abs. 1 KrW- / AbfG). Zudem ist das Klima Schutzgut mehrerer Umweltgesetze (vgl. § 1 Abs. 1 BImSchG, § 1a 9. BImSchV, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UVGP, § 1a Abs. 1 S. 3 WHG, §§ 2 Abs. 1 Nr. 6, 10 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG). Im Raumordnungs- und Bauleitplanungsrecht sollen Freiräume in ihrer Bedeutung auch für das Klima gesichert werden (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 ROG). Bauleitpläne sind auch „in Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz“ aufzustellen (§ 1 Abs. 5 S. 2 BauGB) und Auswirkungen auf das Klima sind zu beachten (§ 1 Abs. 6 Nr. 7a) BauGB)183. Diese Zielsetzungen werden mit Instrumenten unterfüttert: Das raumordnerische Instrumentarium ermöglicht es den Planungsträgern, Vorrang- und Eignungsgebiete für Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien auszuweisen. Ferner können Festsetzungen in Bebauungsplänen zum Schutz des Klimas getroffen werden (etwa Heizstoffverwendungsverbote gem. § 9 Abs. 1 Nr. 23a) und Solarenergieanlagen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 23b) BauGB)184. Zur Steuerung von Anlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien erfahren diese eine Privilegierung für ihre Errichtung und ihren Betrieb im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 und 6 BauGB). Wesentlich zur planerischen Steuerung von Außenbereichsvorhaben, die Erneuerbare Energien nutzen, trägt ferner § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB bei, der die zuständige Genehmigungsbehörde zur Berücksichtigung der vorgelagerten planerischen Entscheidungen zwingt. Einer Verhinderungsplanung – in Form der Nichtausweisung hinreichend geeigneter Flächen etwa zur Windkraftnutzung – ist seitens der Rechtsprechung ein Riegel vorgeschoben worden185. e) Bewertung: Durch das Klima- und Energiepaket der Europäischen Union sowie durch jenes der Bundesrepublik Deutschland wurden wesentliche Lücken, die u. a. in der Förderung Erneuerbarer Energien bestanden haben, geschlossen. Die Richtlinie 2009 / 28 / EG verpflichtet sektorenübergreifend die Mitgliedstaaten zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und wirkt insofern unionsweit konzept- und strukturbildend186. 183 Zur Auslegung dieser Zielsetzung vgl. Schmidt, Klimaschutz in der Bauleitplanung nach dem BauGB 2004, NVwZ 2006, S. 1354 (1355 ff.); Krautzberger, Städtebauliche Verträge zur Umsetzung klimaschützender und energieeinsparender Zielsetzungen, DVBl. 2008, S. 737 (738 ff.); Söfker, Bebauungsplan, Energieeinsparverordnung und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, UPR 2009, S. 81 (82 ff.). 184 Sparwasser / Mock, Energieeffizienz und Klimaschutz im Bebauungsplan, ZUR 2008, S. 469 ff. 185 BVerwGE 117, 287 (294 ff.); BVerwGE 122, 109. 186 Wustlich (FN 137), S. 41 (59).

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Neben diesem als Herzstück des Klimaschutzrechts zu bezeichnenden Teilgebiet Erneuerbare Energien187 besitzt der Emissionshandel nach wie vor eine zentrale Funktion für das europäische und nationale Klimaschutzrecht. Trotz seines Gesamtbudgets an CO2-Emissionen, das einer Kontingentierung – also einem Instrument der Plan- und Notwirtschaft – gleich kommt, ist er als marktbasiertes Instrument par excellence einzuordnen. Zwar wird der tatsächliche Nutzen des unionsweiten Emissionshandelssystems für eine Reduktion von Treibhausgasen aufgrund der marktorientierten Ausgestaltung, des begrenzten Anwendungsbereichs sowie der Komplexität und Intransparenz des Regelungskonzepts bezweifelt188, wobei das System zusätzlich zahlreiche Rechtsprobleme aufwirft189. Der eingeschlagene Weg sollte allerdings nicht vorschnell verlassen werden, zumal die ersten beiden Handelsperioden (2005 – 2007 und 2008 – 2012) durchaus noch als Experimentierphasen gewertet werden können190. Darüber hinaus soll den identifizierten Mängeln durch Einsatz neuartiger Instrumente (Versteigerung von Zertifikaten) entgegengewirkt werden. Die Europäische Union hat dieses unionsweite Emissionshandelssystem schließlich durch die Richtlinie 2004 / 101 / EG mit den im Kioto-Protokoll vorgesehenen internationalen Projekt-Mechanismen verbunden. Die hierdurch erfolgte Verzahnung des regionalen EU-Handelssystems mit internationalen Projekten könnte wegweisend für andere regionale Handelssysteme oder gar für die Ausdehnung des europäischen Handelssystems auf die globale Ebene sein. Das mehr oder weniger gute Funktionieren des EU-Emissionshandels ist sicherlich auf das Vorhandensein von unionsrechtlichen Kontrollmechanismen und Sanktionsinstrumenten sowie den supranationalen Charakter der Union zurückzuführen. Ob dieses gleichwohl ein Ausschlussgrund für dessen Übertragbarkeit auf die internationale Ebene ist191, bedarf weiterer Diskussion.

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Ebd. Kritisch Wegener (FN 89), S. 283 (284 ff.); Winter (FN 54), S. 289; ders. The Climate is No Commodity: Taking Stock of the Emissions Trading System, Journal of Environmental Law 2010, S. 1 (21); ders., Die institutionelle und instrumentelle Entstaatlichung im Klimaschutzregime: Gestalt, Problemlösungskapazität und Rechtsstaatlichkeit, in: Giegerich / Proelß, Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts durch Völker- und Europarecht, 2010, S. 49 (87); Beckmann / Fisahn, Probleme des Handels mit Verschmutzungsrechten – eine Bewertung ordnungsrechtlicher und marktgesteuerter Instrumente in der Umweltpolitik, ZUR 2009, S. 299 ff.; demgegenüber beurteilen das System positiv Convery / Ellerman / de Perthuis, The European Carbon Market in Action: Lessons from the First Trading Period, JEEPL 2008, S. 215 ff.; Rodi, Immissionsschutz durch Emissionshandel – internationale, europäische und nationale Entwicklungen, in: Oldiges (Hrsg.), Immissionsschutz durch Emissionshandel – eine Zwischenbilanz, 2007, S. 15 ff. 189 Hierzu Epiney, Zur Entwicklung des Emissionshandels in der EU, ZUR 2009, S. 236 (238 ff.). 190 Schlacke, Erfolgsaussichten für Post-Kyoto-Abkommen unsicher, ifo Schnelldienst 2009, S. 10 (12). 191 So Epiney (FN 189), S. 236 (244 ff.). 188

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Einer Verknüpfung steht derzeit freilich der unsichere völkerrechtliche Entwicklungsstand entgegen192. Sowohl auf der EU- als auch auf der nationalen Rechtsebene wird ein Instrumentenmix gerichtet auf die Vermeidung anthropogener Klimaerwärmung erkennbar, der traditionelle direkte Verhaltenssteuerung (z. B. Pflichten zur Nutzung von regenerativen Energiequellen im Wärmebereich oder im Biokraftstoffbereich) und indirekte Verhaltenssteuerung (z. B. Abgaben auf Mineralöl) beinhaltet. Zur Förderung der Nutzung erneuerbarer Energieträger setzen die Europäische Union und Deutschland schwerpunktmäßig ökonomische Anreize (Einspeisevergütung, Wahlfreiheit der Verbraucher durch Auflösung der Energieversorgungsmonopole). Aber auch „weiche“ Instrumente – wie etwa die Förderung klimaschutzrelevanter Qualitätssiegel – finden Anwendung. Neben Wasserkraft, Windenergie, Solarenergie und Geothermie ist die Förderung der Energiegewinnung aus Biomasse eine wesentliche Säule europäischer und deutscher Klimaschutzpolitik193. Biomasse kann als einziger erneuerbarer Energieträger nicht nur zur Stromerzeugung und im Wärme- / Kältebereich, sondern auch zur Erzeugung von Kraftstoffen genutzt werden194. Negativen Nebenfolgen der Nutzung Erneuerbarer Energien, wie sie etwa bei der Erzeugung von Biomasse für die Biodiversität und Ernährungssicherheit auftreten können, soll durch rechtliche Anforderungen an eine nachhaltige Erzeugung entgegengewirkt werden. Derartige Anforderungen existieren jedoch nicht für sämtliche relevanten Bereiche und Zielkonflikte, weil einerseits die Biomasse für die Erzeugung von Wärme und andererseits Konflikte mit der Nahrungsmittelkonkurrenz und der Vertreibung der Bevölkerung noch nicht berücksichtigt sind. Ferner wird auf eine Förderung der Effizienzsteigerung der Biomassenutzung gesetzt195.

192 Vgl. Rodi, Die Fortentwicklung des EU-Emissionshandels vor dem Hintergrund der Kyoto-Nachfolge-Diskussion, in: Schulze-Fielitz / Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, S. 189 (201 ff.). 193 Vgl. § 3 Abs. 1 Gesetz über den Vorrang Erneuerbarer Energien (ErneuerbareEnergien-Gesetz – EEG) v. 25. 10. 2008, BGBl. I S. 2074, zuletzt geändert durch Art. 12 Gesetz v. 22. 12. 2009, BGBl. I S 3950; s. auch Integriertes Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, abrufbar unter http://www.bmu.de/klimaschutz/ downloads/doc/39875.php (Stand: Januar 2010); ferner Gärditz (FN 19), S. 324 (327). 194 WBGU, Welt im Wandel, Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung, 2008, S. 158; Wustlich (FN 137), S. 41 (51). 195 Vgl. Schlacke / Schmeichel, Ansätze zur effizienten Nutzung von Biomasse im Recht, in: Schulze-Fielitz / Müller, Klimaschutz durch Bioenergie (i. E.).

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IV. Klimaschutzrecht – ein Rechtsgebiet? Durch die Verwendung des Begriffs „Klimaschutzrecht“ und die Identifizierung klimaschützender Regelungen wird noch kein Rechtsgebiet statuiert. Nach Schulze-Fielitz196 ist die Entwicklung eines Rechtsgebiets „Folge eines gefestigten Konsenses, der nicht von Natur aus vorgegeben, sondern Folge zahlreicher ineinandergreifender sozialer Entwicklungsprozesse ist ( . . . )“197. Vorliegend wird ein engerer Ansatz gewählt, den u. a. Erbguth auch in seiner Habilitationsschrift „Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts“ (1987) verfolgte: Danach ist ein Rechtsgebiet gekennzeichnet durch Regelwerke und Einzelregelungen, die durch übergreifende Zielsetzungen, Prinzipien und Instrumente eine gegenüber anderen Rechtsbereichen abgrenzbare Eigenständigkeit erkennen lassen198. Es ist demzufolge nach den im positiven Recht zum Ausdruck kommenden gemeinsamen Zielsetzungen, Prinzipien und Instrumenten zu fragen, die durch ihre Einmaligkeit, Abgestimmtheit und Kohärenz ein eigenes Rechtsgebiet prägen und sich zugleich von anderen Rechtsgebieten unterscheiden. Vor diesem Hintergrund ist zu konstatieren, dass die vorstehende – freilich lediglich überblicksartige – Bestandsaufnahme noch kein hochkomplexes, ausdifferenziertes und kohärentes System des Klimaschutzrechts offenbart. Allerdings sind Ansatzpunkte erkennbar, die auf ein neues Rechtsgebiet in statu nascendi hindeuten. Kennzeichen des Klimaschutzrechts ist ein Rechtsbestand auf allen Rechtsebenen, der Klima bzw. Klimaschutz als systembildende Gesichtspunkte zu eigen hat. Der Rechtsbestand im Mehrebenensystem weist insofern eine pyramidenähnliche Struktur auf: Während auf der völkerrechtlichen Ebene lediglich wenige (Rahmen-)Vereinbarungen zur Bekämpfung der anthropogenen Klimaerwärmung bestehen, entfalten die supra- und insbesondere die nationale Ebene ein quantitativ und qualitativ zunehmendes Regelungsinstrumentarium sui generis. Dieses kann in drei Säulen zusammengefasst werden: das Recht des Emissionszertifikatehandels, das Recht der Erneuerbaren Energien und das Recht der Energieeffizienz. Allerdings fehlt es trotz zahlreicher – teils eigenständiger, teils querschnittsartiger – Normen an einer unions- und verfassungsrechtlichen, ei196 Schulze-Fielitz, Umweltrecht, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, 2007, S. 989 (990 ff.). 197 Hierzu zählen Elemente einer äußeren Professionalisierung des Rechtsgebiets – etwa durch Lehrstuhlbezeichnungen, Schriftenreihen, selbständige Lehrbücher, Zeitschriften –, die Anerkennung als Prüfungsfach, in Form der Anerkennung als Einteilungskriterium in Bibliotheken, Bibliographien, Geschäftsverteilungsplänen von Gerichten oder Zuständigkeiten von Behörden, vgl. Müller / Schulze-Fielitz (FN 19), S. 10. 198 In diesem Sinne Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987, S. 24; Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1987.

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genständigen Gesetzgebungskompetenz für den Erlass klimaschutzrelevanter Vorschriften199. Dies deutet freilich darauf hin, dass bislang das Klimaschutzrecht noch als Teilmaterie des Energiewirtschafts- und des Umweltrechts auf supra- und nationaler Ebene begriffen wird. Gleichwohl weisen beide Ebenen gebietsprägende Parlamentsgesetze auf, wie sie im Emissionshandels- und Erneuerbaren Energienrecht sowie im Bereich der CO2Abscheidung und Speicherung zu verzeichnen sind. Trotz der nach wie vor bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten zum Energie- und Umweltrecht beinhalten klimarelevante Normen eine eigenständige Zielsetzung, nämlich die Verhinderung und Minderung anthropogener Klimaänderungen. Diese Zielsetzung unterscheidet sich von jener des Energie- und Umweltrechts, da sie nicht im Schwerpunkt Energieversorgungssicherheit und Wettbewerb gewährleistet und auch nicht auf den Schutz der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden sowie Natur- und Landschaftspflege gerichtet ist. Sie findet Ausdruck in neuartigen Rechtsgrundsätzen (Verantwortungs- und Gerechtigkeitsprinzip)200 und deutet insoweit auf die Eigenständigkeit des Rechtsgebiets hin. Neben neuartigen Prinzipien ist auch hinsichtlich des Instrumentariums ein Trend zur Exklusivität zu konstatieren. Mit dem Emissionshandel, der Einspeisevergütung von Strom aus Erneuerbaren Energiequellen und Energieeffizienzkennzeichnung setzt das Klimaschutzrecht maßgeblich auf ökonomische Anreize, um Staaten, Unternehmen und Endverbraucher zu klimaschützenden Maßnahmen zu motivieren. Außer einer Steuerung durch den Markt findet sich zugleich eine Mischung mit ordnungsrechtlichen Instrumenten zur Vermeidung des Klimawandels. Vor allem im Bereich des Rechts der Erneuerbaren Energien tritt am Beispiel des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes zu Tage, dass der Gesetzgeber das ordnungsrechtliche Instrumentarium nicht außer Acht lässt201. Allerdings ist die Vielzahl der unterschiedlichen Gesetze und Instrumente bislang nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Dies zeigt sich vor allem im Bereich der Energieeffizienz: Die Energieeinsparung wird als eine der „größten Ressourcen künftiger Energieversorgung“ eingestuft202. Das Recht der Energieeffizienz enthält zwar zahlreiche Einzelinstrumente; sie lassen in ihrer Fülle und Diffusität aber noch kein konsistentes System erkennen203. Weitere Instrumente werden rechtspolitisch diskutiert (z. B. Top199 Zur Problematik des Kompetenzmix am Beispiel des EEWärmeG vgl. Milkau, Bundeskompetenzen für ein Umweltenergierecht, ZUR 2008, S. 561 (564 ff.). 200 Ebenfalls hervorhebend Winter (FN 188), S. 49 (87). 201 In diesem Sinne auch Wustlich, Ökonomisierung im Umweltrecht, ZUR 2009, S. 515 (521 f.). 202 Schomerus, Rechtliche Instrumente zur Verbesserung der Energienutzung, NVwZ 2009, S. 418 (418). 203 Ebd., S. 418 (423).

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Runner-Ansatz204, Einsatz von Smart metering205), ohne dass aber zugleich ein übergreifendes Konzept entwickelt wird. Darüber hinaus wird die Zielsetzung „Klimaschutz“ oftmals nicht optimal erreicht. Erste Einschätzungen etwa der Effektivität des Emissionshandelssystems liegen vor und konstatieren eine nicht hinreichende Erreichung der erforderlichen Emissionsminderung und der Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips206. Anlagen, die vom Anwendungsbereich des TEHG erfasst werden, haben nicht das Vorsorgegebot gem. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG zu berücksichtigen. Der effektive Betrieb dieser Anlagen i. S. d. Klimaschutzes – etwa Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung oder CO2-Abscheidungstechnologien –, ist bislang keine immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzung.207 Diese sog. Lenkungsunschärfe bzw. geringe ökologische Treffsicherheit ist neben einer Reihe positiver Effekte ein Nachteil der Instrumente der indirekten Verhaltenssteuerung, zu denen der Emissionshandel zählt208. Darüber hinaus kann die Unabgestimmtheit der unterschiedlichen Maßnahmen und Instrumente ihre jeweilige Effektivität im Hinblick auf den Klimaschutz mindern. Zu einer Effektivitätsminderung kann auch das Mehrebenensystem beitragen. Das Mehrebenensystem mag zwar anspruchsvolle Ziele forcieren, um dergestalt die Tragik der Allmende zu vermeiden, andererseits wird aber auch ein Rechtsrahmen für nationale Regulierung gesetzt, der weiterreichende Maßnahmen verhindern kann.209 Ferner können sich die ergriffenen Maßnahmen in ihrer Effektivität zum Teil gegenseitig behindern: So ist fraglich, inwieweit Energieeffizienzmaßnahmen und Kohlenstoffsequestrierung210 die Entwicklung Erneuerbarer Energien verlangsamen. 204 Der Top-Runner-Ansatz wird als geeignetes Mittel zur Verbesserung der Endenergieeffizienz im Bereich energiebetriebener Geräte diskutiert. In Japan wird dieses Modell bereits erfolgreich umgesetzt. Kern des Ansatzes ist die Vorgabe von Mindesteffizienzstandards für bestimmte Produktgruppen, um Leerlaufverluste zu vermeiden. Vgl. Schomerus, Der Top-Runner-Ansatz als Instrument zur Steigerung der Endenergieeffizienz, EurUP 2008, S. 130 ff. 205 Hierbei geht es um den Einsatz intelligenter Stromzähler als Mittel zur Energieeinsparung; vgl. Benz, Energieeffizienz durch intelligente Stromzähler – Rechtliche Rahmenbedingungen, ZUR 2008, S. 457 ff. 206 Vgl. Winter (FN 54), S. 289; ders. (FN 188), S. 1 (21). 207 Vgl. Klinger, Das Sterben der Kohlekraftwerke oder: Zeit für eine Klimaschutz-Verbandsklage?; ZUR 2010, S. 169 (170); Wolf, CCS, Anlagengenehmigungsrecht und Emissionshandel, ZUR 2009, S. 571 (576). 208 Vgl. dazu allgemein Kloepfer (FN 122), § 5 Rn. 174, 187; Lübbe-Wolf, Instrumente des Umweltrechts – Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, S. 481 (487); Winter (FN 54), S. 289 (295). 209 Vgl. Winter (FN 188), S. 49. 210 Wuppertaler Institut / DLR / ZSW / PIK im Auftrag des BMU, RECCS – Strukturell-ökonomisch-ökologischer Vergleich regenerativer Energietechnologien (RE) mit Carbon Capture and Storage (CCS).

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Auch Verwaltungsverfahren, Hindernisse beim Netzzugang und fehlende (staatliche) Unterstützungsmaßnahmen können für eine Minderung der Effektivität des vorhandenen klimaschutzrechtlichen Instrumentariums verantwortlich sein. Nach dem Fortschrittsbericht „Erneuerbare Energien“ der Kommission ist die Verfehlung des für 2010 festgelegten Ziels hierauf rückführbar. Mag auch die neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie211 teilweise Abhilfe schaffen, so stellt sich doch die Frage nach weiteren Maßnahmen sowie einer verstärkten Harmonisierung von Verfahrensabläufen und Vernetzung des Instrumentariums. Es bleibt die Frage, inwieweit es zu Wertungsunterschieden, Widersprüchen, Doppelungen und Überschneidungen kommt. So ist etwa das Recht der Erneuerbaren Energien weitgehend durch Einzelregelungen gekennzeichnet, eine sachgerechte Verknüpfung mit dem energiewirtschaftlichen Gesamtsystem212 fehlt bislang. Angesichts der klimapolitischen Notwendigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien und der damit einhergehenden Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien in den einzelnen Sektoren bedarf es umso dringlicher einer Abstimmung mit dem energiewirtschaftlichen Gesamtsystem. Auch die rechtliche Steuerung der Energiemärkte beinhaltet keinen gesamthaften Ansatz, was sich in der fehlenden Systemintegration widerspiegelt. Demgegenüber ist die umfangreiche Integration klimaschutzbezogener Regelungen in das Immissionsschutzrecht nur bedingt sachgerecht. Die Zielsetzungen des Immissionsschutzrechts (Luftreinhaltung und Lärmschutz) stimmen nur teilweise mit jener des Klimaschutzrechts überein. Eine Überschneidung ist lediglich in den Bereichen zu konstatieren, die explizit der Luftreinhaltung und zugleich dem Klimaschutz dienen. Daneben sind aber auch einzelne Materien in einer Vielzahl von Rechtsakten geregelt. So finden sich allein im deutschen Recht Regeln zur energetischen Biomassenutzung in EEG, EEWärmeG, der Biomasseverordnung und der Nachhaltigkeitsverordnung zum EEG. Auch die Ausgestaltung des Instrumentariums erweist sich als bislang unzureichend koordiniert. Steht im Klimaschutzrecht eine indirekte Verhaltenssteuerung durch Setzen ökonomischer Anreize im Vordergrund, so beruht etwa das Immissionsschutzrecht maßgeblich auf ordnungsrechtlichen Instrumenten. Dieser differierende Regelungsansatz kann zu Problemen im Bereich des Vollzugs führen. Hinzu tritt die Erkenntnis, dass der soeben skizzierte Bestand des Klimaschutzrechts defizitär ist. Um der anthropogenen Klimaerwärmung wirk211 Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie ermöglicht Kooperationen bei finanziellen Fördermaßnahmen oder gemeinsamen Projekten. Hierdurch wird die Nutzung des effizientesten Erzeugungsstandorts begünstigt. Insoweit ist die Entstehung neuer Kooperationsformen zu erwarten. 212 Vgl. Scholtka / Baumbach, Die Entwicklung des Energierechts seit Inkrafttreten des EnWG 2005, NJW 2008, S. 1128 ff.

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sam entgegen zu treten, bedarf es eines globalen rechtsverbindlichen Konzepts, an dem es bislang fehlt. Auf supra- und nationaler Ebene mangelt es vor allem an einer vollständigen Einbeziehung des Transportsektors (Straßenverkehr, Schifffahrt), denn ihm kommt für den Gesamtausstoß von Treibhausgasen eine gravierende Bedeutung zu. Auch fehlt es bislang an einer ausreichenden Steuerung des Konsumentenverhaltens und des grenzüberschreitenden Warenverkehrs sowie an einer Einbeziehung der durch die Landwirtschaft verursachten Treibhausgase. Vor allem fehlt es an Instrumenten, die Anreize zum Verzicht auf den Einsatz von Energie ansetzen (Suffizienz). Darüber hinaus ist das bauleitplanerische Instrumentarium zum Schutz des Klimas schwerpunktmäßig auf den Schutz des urbanen Mikroklimas ausgerichtet. Maßnahmen zum Schutz des Makroklimas lassen sich nicht oder nur mit erheblichem Begründungsaufwand rechtfertigen. Die Beschränkung nationaler Instrumente auf das „örtliche“ Klima trägt nicht hinreichend dem Schutzzweck des Klimaschutzrechts Rechnung und bedarf einer grundlegenden Ergänzung. Im Immissionsschutzrecht kommt dem Klimaschutz bzgl. der Anlagengenehmigung keine wesentliche Bedeutung zu: Das Vorsorgegebot des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG findet für Anlagen, die dem Emissionshandel unterliegen, keine Anwendung213 und das Effizienzgebot wird durch die Regelungen des Treibhausgasemissionshandelsgesetzes ersetzt und ist mithin nicht Genehmigungsvoraussetzung214. Ein systemprägendes Kerngesetz215 in Form eines Klimaschutzgesetzes ist bislang weder auf Bundes- noch auf europäischer Ebene vorhanden, wenngleich ein solches bereits auf Bundeslandebene existiert216. Systemprägend sind bislang lediglich Teilgesetze wie das Treibhausgasemissionshandels-, das Zuteilungs- und das Projekt-Mechanismengesetz sowie das Erneuerbare Energien-Gesetz. Großbritannien hat als weltweit wohl erste Nation 2008 ein Klimaschutzgesetz erlassen217. Es dürfte eine Frage der Zeit sein, wann die Europäische Union und / oder Deutschland sich zum Erlass eines systemprägenden Rechtsaktes entschließen.

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Vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 BImSchG. Klinger (FN 207), S. 169 (170). 215 Wustlich (FN 20), S. 333, nennt es „Hauptgesetz“. 216 Hamburgisches Gesetz zum Schutz des Klimas durch Energieeinsparung (Hamburgisches Klimaschutzgesetz – HmbKliSchG) v. 25. 6. 1997, HmbGVBl. 1997, S. 261. 217 Großbritannien: Climate Change Act (c. 27) v. 26. 11. 2008, der in Artikel 1 zu einer CO2-Emissionsreduktion von 80% bis 2050 im Vergleich zum Basisjahr 1990 verpflichtet, abrufbar unter http://www.opsi.gov.uk/acts/acts2008/ukpga_20080027_en_ 2#pt1-pb2-l1g4 (Stand: 4. 7. 2010). 214

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V. Fazit und Ausblick Insgesamt sind bislang bezüglich der vorhandenen klimaschützenden Regelungen nur ansatzweise Grundstrukturen erkennbar, denen eine ordnende Kraft zukommt und die zugleich für Normenklarheit, Rechtssicherheit und Effektivität sorgen. Klimaschutzrecht de lege lata ist vielmehr in weiten Bereichen durch einen fragmentarischen Charakter gekennzeichnet. Wie sich an den vorhandenen klimaschützenden Regelungen im Bereich der Energieeffizienz und im Umweltrecht offenbart, ist Klimaschutzrecht nach wie vor eine Querschnittsmaterie, wenngleich sich eigenständige Prinzipien und ein besonderer Instrumentenmix herauskristallisieren. Klimaschutz bedarf als „common interest“ der Staatengemeinschaft218 einer strukturbezogenen, transnationalen und globalen Strategie i. S. eines neuen kooperativen Souveränitätsverständnisses. Bislang sind auf der europäischen und deutschen Rechtsebene interventionistische, marktorientierte und sektorale Strategien zu erkennen. Es fehlt aber an einer ganzheitlichen, rechtsebenen- und sektorenübergreifenden219 Strategie zur Bekämpfung des anthropogenen Klimawandels220. Diese zu entwickeln ist freilich zuvörderst Aufgabe von Staaten, aufgrund des transnationalen Charakters der Problematik letztlich aber Aufgabe der globalen Staatengemeinschaft221. Das Völkerrecht scheint zur Bewältigung des Klimaproblems in der verbleibenden Zeitspanne von wenigen Jahren mit seinen üblichen Mechanismen (Völkervertragsrecht) an Grenzen zu stoßen. Insofern dürften der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten – wie etwa Deutschland – eine strategische Pionierfunktion beigemessen werden. Diese Rolle lässt sich allein schon vor dem Hintergrund des vergleichsweise ausgefeilten, wenngleich noch nicht vollständigen und durchsetzbaren Klimaschutzrechts begründen222. 218 Vgl. Durner, Common Goods: Statusprinzipien von Umweltgütern im Völkerrecht, 2001, S. 18 f. 219 So bereits für das Recht der Erneuerbaren Energien Wustlich (FN 137), S. 41 (58). 220 Vgl. hierzu den Vorschlag eines „Budgetansatzes“ des WBGU (FN 2), Weltklimavertrag, S. 21 ff.; wonach zur Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius eine absolute Menge weltweit bis 2050 emittierter Treibhausgase völkervertragsrechtlich festzulegen ist. Vor dem Hintergrund einer 67%igen Wahrscheinlichkeit der Einhaltung des 2-Grad-Celsius-Ziels schlägt der WBGU 750 Mrd. t CO2 für ein Globalbudget vor. Auf dieser Grundlage sind sämtliche Länder mit einem genau bestimmten nationalen Emissionsbudget auszustatten. Zur Verteilung des Globalbudgets soll das Pro-Kopf-Prinzip als Schlüssel herangezogen werden, nach dem jedem Menschen die gleiche Menge an CO2-Emissionen zusteht. Nationale Emissionsbudgets bemessen sich demnach an der Bevölkerungsgröße eines Landes. Um dem Verursacherprinzip und der historischen Verantwortung der Industrieländer Rechnung zu tragen, ist der Beginn des Budgetzeitraums auf das Jahr 1990 zu legen. 221 Vgl. Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004. 222 In diesem Sinne wohl auch Wegener, Zukunftsfähigkeit des Europäischen Umweltrechts, ZUR 2009, S. 459 (461).

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Daneben ist den sich jenseits des Nationalstaates und der Staatengemeinschaft entwickelnden neuartigen Formen grenzüberschreitender Kooperation und Koordination zur Vermeidung anthropogenen Klimawandels Aufmerksamkeit zu widmen. Hierbei handelt es sich um neuartige transnationale Governance-Formationen in Form privater Netzwerke oder Organisationen, an denen auch Staaten beteiligt werden können. So beabsichtigt etwa die DESERTEC-Foundation, der in erster Linie Wirtschaftsunternehmen angehören, die Errichtung eines europäischen Stromnetzes, um mit in Nordafrika erzeugtem Solarstrom Europa zu versorgen223. Durch Bündelung kompetenter öffentlicher und / oder privater Partner sowie durch eine rasche Projektverwirklichung können derartige Projekte eine große Effektivität und Effizienz entfalten. Sie treten damit – jedenfalls zum Teil – an die Stelle staatlicher Allgemeinwohlverantwortung und implizieren Eingriffe in Rechte Einzelner. Da sie nicht durch Völkervertragsrecht, Unionsrecht oder durch nationale Rechtsetzung (demokratisch) legitimiert werden, stellt sich die Frage, ob diese wohl hohe Problemlösungsfähigkeit ausreicht, um derartige Maßnahmen zu legitimieren. Ggf. muss insoweit auf neu zu entwickelnde, alternative Legitimationsmechanismen zurückgegriffen werden. Verfahrensgerechtigkeit (Transparenz, Information, Beteiligung, Rechtsschutz), die auf die Teilhabe Einzelner an der Entscheidungsfindung gerichtet ist, kann hierzu beitragen224. Wegweisend könnte insofern das UN-ECEÜbereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung und Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention)225 sein226. All diesen Entwicklungen, Strukturbildungen und neuartigen Phänomenen im Bereich des Klimaschutzrechts sollten zukünftig aus rechtswissenschaftlicher Perspektive eine erhöhte Aufmerksamkeit und Begleitung zukommen.

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Vgl. im Einzelnen unter http://www.desertec.org/de/ (Stand: 17. 5. 2010). Winter (FN 188), S. 49 (88 f.); zur völkerrechtswissenschaftlichen Diskussion des Einzelnen als Subjekt des Völkerrechts vgl. Laskowski, Demokratisierung des Umweltrechts, ZUR 2010, S. 171 (172); Herdegen, Völkerrecht, 2009, § 7 Rn. 3 ff., § 8 Rn. 1 ff. 225 UN / ECE-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten v. 25. 6. 1998, in Kraft seit dem 30. 10. 2001, abgedruckt in: AVR 2000, S. 253 ff.; dazu m. w. N. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 2, 233 ff. 226 Vgl. Laskowski (FN 224), S. 171 (173, 180); Koch / Mielke (FN 46), S. 403 (408), die eine Etablierung internationaler Verbandsklagerechte und den Zugang zu einer internationalen Gerichtsbarkeit für Verbände vorschlagen. 224

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Guy Beaucamp, Professur für Verwaltungsrecht, Zivilrecht, Familienrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Prof. Dr. Wolfram Cremer, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht an der Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik und apl. Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock Prof. Dr. Sabine Schlacke, Professur für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt deutsches, europäisches und internationales Umweltrecht, Verwaltungsrecht, Leiterin der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht an der Universität Bremen Dr. Mathias Schubert, Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsrechts, Wissenschaftlicher Koordinator des Ostseeinstituts für Seerecht, Umweltrecht und Infrastrukturrecht, Universität Rostock Dr. Frank Stollmann, Leitender Ministerialrat im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen, Lehrbeauftragter für Medizinrecht am Institut für Rechtsfragen der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf