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German Pages 180 [185] Year 1965
D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N S C H R I F T E N DER S E K T I O N FÜR
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
36
UMBRA EIN BEITRAG ZUR DICHTERISCHEN SEMANTIK
VON JULIE NOVÂKOVÂ
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1964
Gutachter dieses Bandes: Horst Kusch f und Max Lambertz f
Redaktor der Reihe: Johannes Irmacher Redaktoren dieses Bandes: Bernhard Döhle und Gudrun Gomolka
Erschienen im Akademie -Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1964 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/96/64 Gesamtherstellung: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2067/36 • ES 7 M • Preis: DM 39,—
INHALT
I. Einleitende Bemerkungen — Probleme und Gesichtspunkte — Anordnung der Belege 1. Frage der Stiltypen 2. Ursachen der Bedeutungsveränderungen des Wortes 3. Chronologie der Wortbedeutungen 4. Semasiologische und onomasiologische Reihen 5. Einteilung des Materials II. Sichtung des Belegmaterials A. Dach-, Wand-, Hausschatten; Obdach, Haus; Zurückgezogenheit, Bequemlichkeit
1 3 5 7 9 13 17 17
Sprachliches § 32. Literarische Verwertung § 33. Usus der römischen Dichter § 34. Hausschattenmotiv in der Weltanschauungsentwicklung § 35 — 38. Spätrömische Dichtung § 39. Zwei besondere Fälle § 40. Zusammenfassung § 41.
B. Baum-, Wald-, Gezweig-, Laubschatten u. ä.; Baum, Wald, Gezweig, Laub, Gewächs aller Art
23
Gesellschaftliche Voraussetzungen § 42. Kömische Prosa § 43. Usus der römischen Dichter § 44 — 45. Präpositionen § 46. Der dichterische Plural § 47.
1. Umbra „Pflanzenschatten" in eigener Bedeutung
26
Der schädliche Schatten § 48. Der idyllische Schatten § 49. Zurückweisung der Idylle § 50. Baumschatten als reines Lichtphänomen § 51. Spätrömische Dichtung § 52.
2. Umbra als Gebüsch, Wald, Baum usw. (Metonymie)
30
Winzer- und Gärtnerbegriff §53 — 54. Gebräuchlichere Metonymien § 55. Automatisierung der Metonymie § 56—57. Aktualisierung der Metonymie § 58. Christliche Dichtung § 59.
Zusammenfassung C. Felsen- und Bergschatten; Bergbild am Meeresspiegel; Bergsilhouette
34 34
Kömische Prosa § 61. Der Felsenschatten § 62. Der Bergschatten bei den Klassikern § 63. Bergschatten an der Wasseroberfläche § 64. Bergsilhouette § 65—66. Zusammenfassung § 67.
D. Schatten der Menschengestalt
38
Menschenschatten in der Prosa § 68.
1. Menschenschatten in eigener Bedeutung Der schädliche Menschenschatten § 69. Realistischere Unideutungen § 70. Menschenschatten als Abspiegelung § 71. Menschensilhouette § 72. Antike Thematik Spätroms § 73. Christliche Dichtung § 74. Zusammenfassung § 75. 1*
39
Inhalt
IV
2. Menschenschatten als Metapher a) Der lebendige Schatten
43 43
Ein besonderer Fall § 77.
b) „Schatten" des Verstorbenen, Schattenseele, Totengeist; unterirdischer Geist
44
Allgemeines § 78. Umbra „Totengeist" in der Prosa § 79. Synonyme in der Dichtung § 80. Umbra „Totengeist" in den Jamben § 81. Umbra „Totengeist" im Hexameter § 82. Inhaltliche Verschiedenheit der Metapher § 83. Der dichterische Plural § 84. Umbra „Seele" im Singular § 85. Bin besonderer Fall § 86. Frequenz der Bedeutung umbra „Totengeist" § 87. Verweltlichung der Metapher § 88. Materialisierung der Metapher § 89. Andere Symptome der Automatisierung § 90. Negative Gefühlsbereiche § 91. Spätrömische Dichtung § 92. Christliche Auseinandersetzungen mit umbrae § 93. Zusammenfassung § 94.
c) Schattenbild, Trugbild d) Traum, Traumbild e) Schreckgestalt, Schreckbild Zusammenfassung 3. Umbrae als „Schattenreich, Unterwelt" (Metapher als Metonymie angewendet)
54 55 56 57 57
Vorvergilische Dichtung § 102. Umbrae als Dichterwort und seine Bedeutungsschwankungen § 103. Vergils Verfahren § 104. Automatisierung und Aktualisierung des Tropus § 105. Die Präpositionen ad, sub § 106. Die Präpositionen ad, in § 107. Automatisierung der Phrase sub umbras ire u. ä. § 108. Bedeutungsverschiebung des Pluraletantum umbrae § 109. Spätrömische Dichtung § 110. Zusammenfassung § 111.
E. Finsternis, Nacht, Halbdunkel, Nebel, Wolke 1. Finsternis, Nacht, Halbdunkel, Nebel
63 63
Entstehung der Bedeutung § 113. Die ältesten Belege § 114. Unterschied zwischen umbra und umbrae § 115. Umbrae und umbra als „Nacht" § 116. Umbra „Dunkel" als rhetorischer Schmuck § 117. Vergil und seine Nachfolger §118. Christliche Dichtung §119. Umbra als Halbdunkel § 120-121. Umbra als Nebel § 122. Zusammenfassung § 123.
2. Wolke und Wolkenschatten
70
Ältere Stufe § 124. Entwicklung zur Metonymie § 125. Christliche Dichtung § 126. Zusammenfassung § 127.
3. „Finsternis" als Metonymie
73
Allgemeines § 128. Umbra als Kluft und Grotte § 129. Umbra als Kerker § 130.
4. Finsternis als Metapher a) Todesfinsternis
75 75
Synonyme und Antonyme § 132. Umbra als „Tod" § 133. Umbra mortis § 134.
b) Finsternis als „Schlummer"
78
Entwicklung der Metapher § 135. Spätrömische Dichtung § 136.
c) Finsternis als „Ohnmacht" Sprachliches und Klassisches § 137. Spätrömische Literatur § 138.
79
Inhalt d) Finsternis als „Blindheit"
V 80
Sprachliches und Vorchristliches § 139. Christliche Dichtung § 140.
e) Dunkel als „Unwissenheit"
81
Klassische Zeit § 141. Christliche Synonyme § 142. Umbra als seelische Blindheit § 143.
f) Nacht der Vergessenheit; Verborgenheit
82
Synonyme und Antonyme § 144. TJmbrae (umbra) bei und nach Vergil § 145. Spätrömische Dichtung § 146. Spätrömische Prosa § 147.
Zusammenfassung F. Schatten als abstrakter Begriff — Die hierauf bezüglichen Metaphern
84 85
ümbra als Fachausdruck § 150.
1. Schatten als solcher im eigenen Sinn
86
Lukrez bis Lucan § 151. Antike Thematik Spätroms § 152. Christliche Thematik §153.
2. Schatten der Pyramide und der Kugel
88
Schatten des Gnomons § 154 —155. Schatten der ägyptischen Pyramiden § 156. Schatten der Erdkugel § 157. Zusammenfassung § 158.
3. Schatten an sich als Metapher a) Abbild, Vorstellung, Schein u. ä
90 90
Belege aus der Prosa § 160. Anschein, bloßer Schein, Vorstellung bei den Dichtem § 161. Umbra als etwas Nichtiges, Vergängliches § 162. Spätrömische Dichtung § 163. Vanitas in der christlichen Thematik § 164. Umbra als theologischer „Typus" § 165. Bin besonderer Fall § 166.
b) Schutz, Obhut, Vorwand
95
Einleitendes § 167. Umbra „Schutz, Obhut" in der Prosa § 168. Die vorchristliche Poesie § 169. Spätrömische Dichtung § 170. Umbra „Obhut" bei den Christen § 171. Umbra als Vorwand § 172.
c) Umbra als Gefahr
97
Zusammenfassung
98
G. Verschiedenes 1. Tierschatten und Vögelwolke
98 98
Prosa und Prosaisches § 176. Schatten eines Vogelschwarmes § 177. Tierschatten als Wasserspiegelbild § 178. Einzeltierschatten § 179. Spätrömische Dichtung § 180.
2. Schatten der Haare, des Geweihs, der Flügel u. ä
101
Volkstümliche und gelehrte Motive § 181. Schmuckmotive § 182. Metonymien § 183. Antike Thematik Spätroms § 184. Christliche Thematik § 185.
3. Schatten der Waffe, Wolke von Pfeilen Schatten der Lanze § 186. Waffenabspiegelung § 187. Schatten einer Wolke von Pfeilen § 188. Spätrömische Dichtung § 189.
105
VI
Inhalt 4. Staubwolke und Staubschatten
106
Klassisches und Nachklassisches § 190. Spätrömische Dichtung § 191.
5. Schatten des Gewebes
107
Segelschatten § 192. Das Beschatten und das Bedecken § 193. Christliche Dichtung § 194.
6. Schatten als Farbe und Licht
108
Die Schwärze § 195. Farbige Luft- und Wasserabtönung § 196. Farbton eines festen Dinges § 197. Umbra als Deckfarbe § 198. ümbra als einfacher Lichtreflex § 199. Umbra als doppelter Lichtreflex § 200.
Zusammenfassung I I I . Ergebnisse — Literarhistorische Ergänzungen — Erklärungsversuch . . .
112 .113
1. Lexik
113
2. Grammatik
114
3. Stilistik
114
4. Frequenz des Wortes umbra
115
5. Geschichte des Dichterwortes umbra
118
Klassische Periode § 212. Kachklassische Periode § 213. Die späte Periode § 214.
6. Valerius Flaccus
124
7. Die Ursachen der festgestellten Veränderungen
136
I V . Anhang: Kritische und exegetische Nachträge
140
Lukrez VI 864: § 243. Vergil, Aen. I 607: § 2 4 4 - 2 4 5 . Vergil, Aen. X I I 859: § 246. Valerius Flaccus I I I 55: § 247. Valerius Flaccus IV 681: § 248. Anthologia Latina 1 1 , 465, 1: § 249. Anthologia Latina II 2, 1039, 3: § 250.
Addenda
146
Verzeichnisse
147
1. Stellen Verzeichnis A. Besprochene imira-Stellen in der Dichtung
147 147
B . Die bloß registrierten itm&ra-Stellen in der Dichtimg
154
C. Umbra in der Prosa
164
D. Zxid bei, den Griechen
165
2. Wörterverzeichnis
167
I. E I N L E I T E N D E B E M E R K U N G E N
-
P R O B L E M E UND G E S I C H T S P U N K T E - ANORDNUNG D E R B E L E G E
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind in der Weltphilologie zahlreiche semasiologische und onomasiologische Studien erschienen. Eine ganze Reihe von Aufsätzen, Dissertationen und umfangreicheren Monographien wurde der Untersuchung einzelner Wörter oder Begriffe aus dem oder jenem sprachlichen und kulturellen Gebiete gewidmet. Oft überschreiten diese Sonderuntersuchungen die Grenzen der Einzelsprache, da sie zur Lösung allgemeinsprachwissenschaftlicher Probleme beitragen. In der klassischen Philologie wurden besonders philosophische und politische Ausdrücke und Begriffe untersucht; seit Anfang dieses Jahrhunderts wurde auf diesem Wege — besonders in Deutschland — vor allem das früher im Vergleich mit der griechischen Eigenart unterschätzte geistige Spezifikum Roms ermittelt. Zum Unterschied von derartigen Arbeiten hat die vorliegende Abhandlung ein Wort (und Motiv) zum Objekt, welches in gesellschaftlicher Hinsicht auf den ersten Blick unerheblich zu sein scheint. Zweitens ist ihr Ausgangs- und Zielgebiet vor allem die Literaturgeschichte. Die Studie entstand in einer verhältnismäßig einfachen Form im Jahre 1949 als Ergänzung meiner damals noch handschriftlichen Monographie über die römische Literatur der Jahre 14—117 u. Z. 1 Beim Erforschen des Stils und des Wortschatzes der einzelnen Dichter dieses Zeitalters nahm ich wahr, daß Valerius Placcus (und nach seinem Muster wahrscheinlich Statius) an einigen Stellen das Wort umbra in der Bedeutung „Silhouette" (im gegebenen Fall lebendige Silhouette, ein Mensch oder ein in dunklen Umrissen gesehenes Tier) verwandte. Diese Bedeutung ist meines Wissens in den lateinischen Wörterbüchern bis jetzt noch nicht eingereiht (während die Wörterbücher der griechischen Sprache die entsprechende Bedeutung des griechischen axia angeben). Das bewog mich, dem Worte umbra bei allen römischen Dichtern nachzugehen, ursprünglich nur bis zum Anfang des 2. Jhs. u. Z., nachträglich bis zum 6. J h . , und zwar an Hand meiner eigenen, wie ich hoffe, vollständigen Exzerpte. Es erwies sich, daß das Wort in verschiedenen Zeitabschnitten der literarischen Entwicklung ungleichartig verwendet wurde. In den untersuchten Texten hat es teils verhältnismäßig be1
Devet kapitol o t. zv. stribrnem veku rimske slovesnosti (Neun Kapitel über das sogenannte silberne Zeitalter der römischen Literatur), ÖSAV Prag 1953.
1
2
2
3
Einleitende Bemerkungen. Probleme und Gesichtspunkte
ständige Bedeutungen, teils nimmt es nach und nach an neuen Bedeutungsnuancen zu, welche in einigen Fällen in schon fertige neue, sei es usuelle oder okkasionelle Bedeutungen übergehen. Diese neuen Bedeutungen und Bedeutungsnuancen bilden, soweit man aus dem erhaltenen Material schließen kann, bis zum Anfang des 2. Jhs. u. Z. eine gewisse Reihe, vielmehr einen Komplex von Reihen, der gleichlaufend mit der gleichzeitigen Entwicklungslinie des dichterischen Schaffens ist. Diese Reihe von Bedeutungsänderungen zieht sich im großen und ganzen von den Bedeutungen (Bedeutungsvarianten), welche mit den betreffenden klassischen Werken samt ihren realistischen Elementen gleichartig sind und welche man deswegen als klassisch oder realistisch bezeichnen könnte, zu den Bedeutungen (Bedeutungsvarianten) eines anderen künstlerischen Gepräges hin, die man von Fall zu Fall romantisch, barock, impressionistisch nennen könnte, also ebenso, wie man mehr oder weniger unpassend die nachklassischen Literaturwerke selbst bezeichnet. Seit dem 2. J h . u. Z., als die Gesellschaft in Italien mit ihrer „heidnischen" Literatur in tiefen Verfall geraten ist, übernehmen die Dichter im Rahmen der antiken Thematik, soweit man aus dem erhaltenen Material schließen kann, nur noch die fertigen Bedeutungen und BedeutungsVarianten des Wortes. Bei den christlichen Dichtern treten dagegen noch weitere Bedeutungsverschiebungen ein, welche allerdings nicht zahlreich sind, fast immer von der christlichen Prosa abhängen und im ganzen keine zusammenhängende Reihe bilden. Das Hauptziel dieser Arbeit ist es also, das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n d e n sem a n t i s c h e n V e r ä n d e r u n g e n d e s D i c h t e r w o r t e s umbra u n d d e n V e r ä n d e r u n g e n d e r r ö m i s c h e n D i c h t k u n s t bzw. der römischen Gesellschaft selbst festzustellen. Dies kann freilich nur mit Hilfe zahlreicher exegetischer, textkritischer, stilistischer, lexikalischer, hier und da auch grammatischer Erwägungen erreicht werden. Zur I n t e r p r e t a t i o n d e r d i c h t e r i s c h e n T e x t e usw. beizutragen, ist das Nebenziel des Buches. Drittens hoffe ich, zur P r o b l e m a t i k d e r a l l g e m e i n e n S e m a s i o l o g i e , Lexikologie, Literarästhetik u. a. einige Beiträge zu liefern. An Hand des antiken Materials können freilich die allgemeinsprachwissenschaftlichen Probleme kaum gelöst werden. Doch ist es aus methodischen Gründen notwendig, zu einigen Fragen allgemeineren Charakters schon in diesem Kapitel Stellung zu nehmen: erstens zur Frage der Stile, zweitens der gesellschaftlichen Bedingtheit der Wortbedeutungsänderungen, drittens der Chronologie der letzteren. Der zweite und dritte Punkt sind durch ein gemeinsames Problem, nämlich das der Gesetzmäßigkeit oder Zufälligkeit beim Entstehen von neuen Bedeutungen, verbunden. Mit Rücksicht auf diese Gesetzmäßigkeit (oder Zufälligkeit) müssen noch zwei speziellere Probleme erwogen werden: das gegenseitige Verhältnis des Wortschatzes und des Stils von zwei Sprachen (Einfluß des Griechischen auf das Lateinische) und die Zufälligkeit unserer Belege. Viertens sind homonymische und synonymische Reihen und die semasiologische und onomasio-
Frage der Stiltypen
3
logische Methode zu behandeln. Schließlich wird gleich an dieser Stelle eine Erklärung über die Technik der Arbeit, besonders über die Anordnung des Materials in dem Kernkapitel I I gegeben. 1. Frage der
Stiltypen
Schon die Tatsache, daß diese Monographie der Geschichte eines Wortes in der römischen Poesie gewidmet ist, trägt die Voraussetzung in sich, daß der Stil der Dichterwerke gegenüber dem der Prosawerke seinen spezifischen Charakter hat oder wenigstens im alten Rom hatte. Über die Verschiedenheit der beiden Stile bestand in der Antike kein Zweifel.2 Eine kompliziertere Unterscheidung, nämlich der Umstand, daß im Rahmen des dichterischen Stiles noch ein besonderer tragischer, epischer und komischer Stil entstand, kann hier außer acht gelassen werden, ebenso die Mischung dieser Gattungsstile in der nachklassischen Dichtung. Wichtiger erscheint hier die Frage der nachklassischen Mischung der Prosaund der Dichterstile: in die Beredsamkeit gleichwie in die Geschichtsschreibung (welche in der Antike Gattungen der Kunstprosa waren) drangen ehemals spezifisch dichterische, in die Dichtkunst rhetorische Stilelemente ein. Trotzdem blieb der wesentliche Unterschied zwischen dem Dichter- und dem Prosastil immer erhalten; fortwährend galt Ciceros Satz, daß die Dichter eine größere Freiheit beim Bilden und Zusammenstellen der Worte haben als die Prosaiker und daß sie mehr auf die ästhetische Seite und Form bedacht sind. 3 Die weitgehende Beständigkeit dieses Unterschiedes könnte dafür sprechen, daß man diese Stile nicht für Gattungsstile halten sollte, sondern vielmehr für funktionelle Stile, d. h. für Systeme der Ausdrucksmittel, die nach verschiedenen Verwendungsgebieten der Sprache verschieden sind. Die letztere Auffassung des Stils (des Stiltyps, der Stilschicht) wird in der neuzeitlichen Sprachwissenschaft bevorzugt, während die ältere Einteilung der Stile nach Literaturgattungen keinen Beifall mehr findet.4 Der Prosa- und der Dichtungsstil waren aber nicht einmal in der älteren Literatur durch eine unübersteigbare Mauer voneinander getrennt. So herrschte z. B. über die klassische (griechische und römische) Komödie die allgemeine Meinung, daß sie sich von der Prosa nur durch das Versmaß unterscheidet. 5 Diese Anschauung war übertrieben, man denke nur an die kühnen Neubildungen bei 2 3
4
5
Vgl. J. Marouzeau, Essai sur la distinction des styles, Revue de philologie 45, 1921, 149ff. Cicero, Orator 68: in ea (poetarum voce) cum licentiam statuo maiorem esse quam in nobis faciendorum iugendorumque verborum, tum etiam nonnulli eorurn voluptati vocibus magis quam rebus inserviunt (unsichere Lesung, Hss. nonnullorum voluptati oder volúntate). Vgl. Arbeiten der Prager linguistischen Schule, beginnend mit dem Aufsatz von B. Havránek „Úkoly spisovného jazyka a jeho kultura" (Aufgaben der Schriftsprache und ihre Kultivierung) in: Spisovná destina a jazyková kultura, Prag 1932, 32ff. Aus der Sowjet-Linguistik s. besonders die neueste Abhandlung von B. B. BuHorpajioi!, O iiohhthh „cthjih H3HKa", H3BecTHH AnafleMHH HayK CCGP, OT«eji. jiHTep. h H3HKa 14, 1955, 4, S. 305 ff.
Cicero, Orator 67; Horaz, Serm. I 4, 47 f.
4
6
Einleitende Bemerkungen. Probleme und Gesichtspunkte
Aristophanes und Plautus, die in der Prosa (außer dem Prosimetrum) ausgeschlossen waren. Doch aus dieser literarischen Gattung, die sicher der Prosa verhältnismäßig nahe stand, konnten einzelne Elemente, allerdings umgewertet, auch in die hochpathetische Dichtung übergehen (s. einen Anklang aus Plautus bei Properz, § 76). Und umgekehrt: selbst der größte Meister der römischen Prosa bediente sich einer kühnen Wendung von dichterischem Gepräge, eines êv ôià ôvoïv umbra et imago (Cic. De re p. I I 52) in der Bedeutung, in welcher andere Prosaiker und er selbst an anderen Stellen nur adumbratio verwendeten (s. § 160). Wie zwischen den traditionellen Gattungsstilen, so auch zwischen den einzelnen funktionellen Stilen und besonders zwischen dem Prosa- und dem Dichtungsstil besteht ein dialektisches Verhältnis. „Ununterbrochen übernimmt die Prosa ihre künstlerischen Methoden aus der Verspoesie, wobei sie allerdings deren Funktion und Gestalt im Sinne ihrer eigenen wesentlichen Voraussetzungen und ihrer jeweiligen Entwicklungslage umgestaltet, und umgekehrt übernimmt die Poesie auf gleiche Art und Weise aus der Prosa." 6 Es ist aber keineswegs leicht, in jedem einzelnen Fall festzustellen, in welche Stilschicht oder in welches Stilsystem dieses oder jenes Sprachmittel auf der gegebenen Stufe der Literaturentwicklung gehört oder ob es einfach eines der stilistisch nicht spezifizierten Ausdrucksmittel ist. Am schwierigsten ist es in den klassischen Sprachen. Beide antiken Literaturen sind unvollständig erhalten. Die lateinische Umgangs- und Volkssprache ist uns fast nur in der literarischen Bearbeitung vermittelt. Trotzdem wurde für die Erkenntnis der einzelnen Stilschichten im alten Latein ein gutes Stück Arbeit geleistet. Uber die Rolle von umbra findet man jedoch in den bisherigen Abhandlungen meines Wissens nur geringe und indirekte Belehrung. So hat z. B. Cordier richtig ermittelt, daß das Adj. umbrifer in Ciceros dichterischen Bruchstücken und bei Vergil ein epischer Archaismus ist 7 , aber das Grundwort ließ er außer acht. Es wurde eine Reihe Synonympaare festgestellt, von denen ein Glied dichterisch, das andere prosaisch war (mors — letum usw.). I n einigen Fällen ist eine solche Synonymität dadurch ermöglicht, daß eines von den beiden Wörtern seine Bedeutung änderte, wie z. B. das Wort sator, ,Säer, Pflanzer", welches ursprünglich der Bauernsprache angehörte, die Bedeutung „Hervorbringer, Urheber" bekam, die schon bei Plautus zum Mittel der Kunstsprache geworden ist (sator sartorque scelerum et messor, Capt. 661), und daneben noch (wahrscheinlich später) die Bedeutung „Zeuger, Vater, Gründer", die in hohem tragischen und epischem Stil verwendet wurde; in der Prosa hat sie Cicero mit einem mildernden ut ita dicam benutzt (Nat. d. I I 86), ohne irgendeinen Zusatz ist diese Metapher erst in der Verfallszeit belegt. 8 Eine ähnliche 6 7 8
J. Mukafovsky, Mezi poesii a v^tvarnictvim (Zwischen der Poesie und Bildkunst), Slovo a slovesnost 7, 1941, 2. A. Cordier, Études sur le vocabulaire épique dans l'Ënéide, Paris 1939, 17. 236 u. a. H. Bardon, Sur l'enrichissement du vocabulaire latin chez les prosateurs du Haut-Empire, REA 48, 1946, 251 ff.
Ursachen der Bedeutungsveränderungen des Wortes
5
Unterscheidung versuche ich bei dem Worte umbra aufzustellen: in seiner (fortwährend gültigen und erneuerten) Ur- oder Grundbedeutung gehörte es in die älteste Schicht des lateinischen Wortschatzes. Schwieriger ist die Klassifizierung der Tropen. Das Übertragen der Bedeutung ist eine allgemeine sprachliche Erscheinung, aber es ist möglich, daß einige Metaphern aus der Literatur in die Sprache eingedrungen sind. Dagegen waren manche Metaphern dichterisch schwer verwendbar (umbra „Salme", s. § 176). Manche Metonymien sind nach allem Poetismen geblieben, so umbra „Haare", s. § 206. Aus dem Gesagten ergibt sich vor allem praktisch, daß im folgenden auch den prosaischen Belegen Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Die Klassifikation einzelner Bedeutungen nach Stiltypen ist nicht Ziel dieser Monographie; sie kann nicht systematisch durchgeführt werden, und zum Hauptproblem des Buches (Verhältnis des Bedeutungswandels zu der Entwicklung der Literatur) ist sie bloß als Behelf von Nutzen.
2. Ursachen der Bedeutungsveränderungen des Wortes Ich versuche nicht das Problem zu lösen, was die allgemeine, immer gültige Ursache des Bedeutungswandels in der Sprache ist. Es geht mir darum, ob und wie weit sich bei dem Bedeutungsübergang die gesellschaftliche und kulturelle Lage geltend macht. Die letztangeführte Metonymie umbra „Haare", welche für die verhältnismäßig kleinliche Thematik der fiavisch-trajanischen Dichtkunst typisch ist (vgl. § 183), kann als Beispiel dienen, wie die Bereicherung eines Wortes um eine neue Bedeutung oder Bedeutungsnuance mit der gleichzeitigen Literatur und so auch indirekt mit den gesellschaftlichen Beziehungen im Zusammenhang stehen kann. Dies ist aber bei semantischen Veränderungen gar nicht immer der Fall. Es wurden zahlreiche Belege gegen und auch für die Thesis „Bedeutungswandel ist Kulturwandel" zusammengetragen. 9 Meiner Meinung naeh sind in dieser Hinsicht zwei Wortklassen zu unterscheiden: 1. Wörter, die durch ihren Begriffsinhalt nur wenig oder gar nicht geeignet sind, die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen widerzuspiegeln, 2. Wörter, welche diese Fähigkeit besitzen, wobei die Grenze zwischen beiden Kategorien verschwommen ist. Zu den ersten gehören z. B. solche Wörter, deren Bedeutung durch Mißverständnis, also eigentlich rein „mechanisch" verschoben wurde, wie z. B. aus dem lat. qua re das franz. car entstand. 1 0 Es wäre aussichtslos, aus gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen irgendwelche Fälle zu erklären, in denen die neue Be• Vgl. Franz Dornseiff, Das Problem des Bedeutungswandels, Ztschr. für deutsche Philologie 63, 1938, 119 ff. 10 Vgl. Manu Leumann, Zum Mechanismus des Bedeutungswandels, Indogerm. Forschungen, 45, 1927, 105 ff.
7
6
Einleitende Bemerkungen. Probleme und Gesichtspunkte
deutung durch Dekomposition bedingt ist, z. B. wenn das Verbum supersedere, welches bis zum Anfang des 2. Jhs. u. Z. nur in metaphorischer Bedeutung „etwas unterlassen" belegt ist, die Bedeutung „über etwas sitzen" gewann und wenn aus dieser neuen Bedeutung eine neue Metapher „bei etwas beharren" entstand, also ein Tropus, welcher eine dem ursprünglichen entgegengesetzte Bedeutung hat. 1 1 8 Bei den Wörtern der zweiten Kategorie vollziehen sich Bedeutungsübergänge ebenfalls nach allgemeinen psychologischen und sprachlichen Gesetzen, aber in der Weise, daß der neue Sachinhalt etwas aus der jeweiligen gesellschaftlichen Situation verrät. So ist z. B. der Prozeß der Bedeutungsverengung, als ein allgemeinsprachlicher angesehen, nicht gesellschaftlich bedingt; wenn aber das griechische ÖQVIQ die Bedeutung „Henne" annahm und auca zu französischem l'oie „Gans" wurde, war dies eine Abspiegelung der Denkart der Bauernschichten, für welche die Henne oder die Gans die wichtigsten von allen Vögeln sind. 12 Und manchmal kann die Bedeutungsübertragung sogar eine soziale Umwälzung widerspiegeln, z. B. muß im Verlaufe eines derartigen Prozesses die Bezeichnung für einen Sklaven (servus) auf den Leibeigenen übertragen worden sein. Dies sind jedoch nur einmalige Bedeutungsänderungen. Mit umbra ist es komplizierter: Wie kann eine ganze Serie von semantischen Veränderungen eines einzigen Wortes die kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen in deren Zeitfolge auf irgendeine Weise widerspiegeln? 9 In diesem Fall muß man verschiedene Funktionen des Wortes, insbesondere seine literarische Rolle in Betracht ziehen. Das in der Umgangs-, Bauernsprache usw. verwendete Wort geht allerdings in die Literatursprache über, oft ist es auch umgekehrt. Aber nur der Sprachkontext irgendeiner Form der Ideologie, also in unserem Fall die schöne Literatur oder die Dichtkunst, ist der Faktor, welcher der semantischen Entwicklung des Wortes eine bestimmte Richtung geben kann. Erst in den literarischen Werken, die als solche die Weltanschauung der Gesellschaft wiedergeben und die also in ihrer Zeitfolge auch eine deutliche ideologische Reihe bilden, können (aber müssen nicht) die Bedeutungsveränderungen eines und desselben Wortes wenigstens zu einem gewissen Grad eine Entwicklungskurve geben, welche den parallelen literarischen, ideellen, gesellschaftlichen Veränderungen entspricht und durch dieselben gewissermaßen bedingt und verursacht ist, vgl. § 237. Um diese Kurve zu skizzieren, ist es notwendig, die Chronologie der einzelnen Wortbedeutungen festzustellen. 11
13
Die Bedeutung „den Vorsitz haben", die in den Wörterbüchern Cato zugeschrieben wird, beruht auf einer Konjektur, durch welche in jüngeren Handschriften der Gen. familiae für das ältere jamilia eingesetzt wurde, De agric. 5, 1. S. meinen Artikel Litibus familia supersedeat, in: Studia antiqua Antonio Salac . . . oblata, CSAV Prag 1955, 90ff. J. Vendryes, Le language, Paris 1939, 235f.
Chronologie der Wortbedeutungen
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3. Chronologie der Wortbedeutungen Das Problem der Chronologie der Wortbedeutungen ist teilweise dem der WortChronologie ähnlich. Grundwörter, sofern sie weder abgeleitet (wie ens) noch aus einer fremden Sprache entlehnt sind, sind immer älter als die Kontexte, in denen sie erhalten sind. Dies ist größtenteils auch bei den Ableitungen der Fall. Nur ausnahmsweise entstand das Wort direkt in einem uns erhaltenen Werke, wie das Ciceronische qualitas (Acad. I 25). Quintilians Angabe, daß das Wort reatus eine Neuschöpfung des Messala ist (VIII 3, 34), klingt glaubwürdig, denn die Stilneuerungen der augusteischen Zeit waren berüchtigt. Gibt es kein solches verläßliches Zeugnis, muß die Frage „im Zusammenhang mit dem ganzen Wortschatz des Autors und mit seiner Ausdrucksweise" gelöst werden.13 Sonst irrt man sich leicht bei solchen Überlegungen ; vgl. z. B. schon Macrobius' Bemerkung, daß das Wort umbraculum kein Neologismus des Vergil ist, wie manche glauben, sondern daß es schon Varrò verwendete (Saturn. VI 4,8) ; es war aber wahrscheinlich noch älter, denn das von Macrobius zitierte Bruchstück des Varrò von „einem Schirm bestimmter Art" spricht (id genus umbraculi, Antiq. 10,2). Das Wort als Lautform ist verhältnismäßig beständig ; seine Bedeutung ist viel veränderlicher. Im individuellen Kontext des Sprechenden entstehen neue Bedeutungen und Bedeutungsvarianten viel leichter als neue Wörter. Die Ur- oder Grundbedeutung, das ist diejenige Bedeutung, von der man alle anderen bezeugten Bedeutungen ableiten kann, ist — falls es sich um keine Neuschöpfung des Autors handelt — viel älter als unsere Texte. Die abgeleiteten Bedeutungen sind nicht nur viel jünger, sie sind auch Zeugnis, Mittel und Folge der Kulturentwicklung der Sprachgemeinschaft. Die Metapher bracchium „Seitenast der Rebe" bezeugt die Entfaltung des Weinbaus, pes die der Schiffahrt. Auf dem Gebiete der materiellen Kultur läßt sich die zeitliche Reihenfolge der Bedeutungen leicht genug bestimmen ; das Aufeinanderfolgen einzelner Erscheinungen dieser Art ist im ganzen gut bekannt. Schwieriger ist es mit dem subtileren und komplizierteren Bereich des Denkens, des Gefühls, der Phantasie, der Poesie, namentlich wenn es sich um ein besonders empfindliches Begriffswort handelt, welches immer neue Ergänzungs- und Nebenbedeutungen anzunehmen fähig ist; dies ist der Fall bei umbra, s. § 17—19. Dieses reiche Bedeutungspotential unterwirft sich gut der jeweiligen individuellen Vorliebe und Laune des Sprechenden, die im sprachlichen Verkehr nicht immer mit der allgemeinen Zeitlage zusammenhängen konnte. Doch wenn es sich um einen Uterarischen Kontext handelt, kann man ein solches polysemantisches Wort aus dem allgemeinen Entwicklungsgesetz nicht herausnehmen : eine neue Bedeutung (Bedeutungsvariante) 13
K. Janâcek, On the term 6ykr\jia, Archivum orientale 18, 1950, 307.
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Einleitende Bemerkungen. Probleme und Gesichtspunkte
entsteht, sobald die veränderte literarische, kulturelle, indirekt auch gesellschaftliche Situation (inbegriffen die Vorliebe eines Autors, die metrische Konvention u. ä.) sie erfordert. I n manchen Fällen ist eine solche konkrete Lage, welche zur Bereicherung des Wortes um eine neue Bedeutung führt, bekannt. So entbehrten z. B. die römischen Dichter, nachdem sie vom Saturnius zum Hexameter übergegangen waren, ein der Technik des neuen Verses entsprechendes (vgl. § 79 und 103) dichterisches Äquivalent für das prosaische inferi „die Toten, die Unterwelt"; sie bedienten sich also der Pluralform der schon existierenden Metapher umbra „Totengeist", wodurch das Pluraletantum umbrae „Schattenreich" entstand, s. § 102—111. I m Falle von Ciceros qualitas ist uns die absolute Chronologie des Neologismus bekannt (die Acad. sind im Jahre 45 v. u. Z. entstanden). Im Falle von umbrae „Schattenreich" kann man nur relative Chronologie bestimmen: die Bedeutung ist jünger als umbra „Totengeist". Mit solch einer relativen Zeitbestimmung muß man sich in den Erörterungen des II. Kapitels fast fortwährend begnügen. In dem angeführten Fall wird die Zeitfolge von Bedeutungen durch ihren inneren Zusammenhang ermittelt. Ein anderes Merkmal des relativen Alters der Bedeutung kann der Umstand sein, daß sie einem bestimmten Grad der Stilkultivierung entspricht und daß sie für die ältere Zeit schwer vorauszusetzen ist. So war die schon erwähnte Metonymie umbra „Haare" durch manches vorbedingt, s. § 182—183. Zusammengefaßt: obwohl die Belege für diese oder jene Bedeutung infolge der Unvollständigkeit unseres Materials zufällig sind und obwohl in den meisten Fällen die neue Bedeutung (Bedeutungsvariante) älter ist als ihre älteste dichterische Anwendung, muß doch die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Bedeutungen des literarischen Wortes erhalten sind, nicht zufällig sein; sie kann im ganzen die wirkliche Zeitfolge (relative Chronologie) widerspiegeln. Zu dieser These sind jedoch Vorbehalte zu machen. Ihre Gültigkeit ist desto größer, je mehr Belege es für diese oder jene Bedeutung gibt und je vollständiger man aus den Belegen verwandten Charakters ihre Genesis verfolgen kann. Dieser Entwicklungsprozeß (das Entstehen von neuen Bedeutungen) wird aber vor allem durch den wichtigen Umstand kompliziert, daß die römische Literatur unter dem Einfluß der griechischen entstand und sich entwickelte. Daher erklären sich z. B. Wörter, die nach griechischem Muster gebildet worden sind, wie jenes Übersetzungslehnwort qualitas, und auch Bedeutungsentlehnungen, wie beispielsweise ratio „Rechnung" auch noch die Bedeutung Aoyog „Verstand" erhalten hat. Ähnlich konnte das griech.