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German Pages XVIII, 478 [486] Year 2020
Markus Heidingsfelder
Trump – beobachtet Eine Struktursuche
Trump – beobachtet
Markus Heidingsfelder
Trump – beobachtet Eine Struktursuche
Markus Heidingsfelder Xiamen University Malaysia Sepang, Selangor Malaysia
ISBN 978-3-658-24761-4 ISBN 978-3-658-24762-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Katrin Emmerich Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Für Peter, der dagegen war
I n h a lt
Vorwort 3 I Werte 1 Die Immunreaktion 13 Wer nicht wagt … 21 || Von Menschen und Systemen 26 || Eine Welt der Neins 30 || Progressiver Konservativismus 37 2 Der Parasit 43 Selbstausgrenzung 53 3 Das Ende der amerikanischen Mission 59 Richtiges Bewusstsein 65 4 Der Wert von Werten 73 Selbstverständlich! 77 || Amerika, Amerika 84 || The American 89 || Opportunismus 100 || Khashoggi 103 || Kavanaugh 107 II Interessen 1 Systeminteressen 119 Die blanke Waffe 131 || Der machtlose Machthaber 135 || Das Konfliktgenie 140 || Politik als Passion 149 2 Rolle vs. Person 155 Individuum 1 165 || Der tiefe Staat 175 || Pro familia 182 || Leaks 186 || Cliquenpolitik 192 3 Macht vs. Recht 201 Berechtigte Erwartungen 211 || Interessenschutz 215 4 Macht vs. Geld 221 Politische Kontrolle 227 || Ein anderes Blatt 231 VII
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Inhalt
5 Macht vs. Information 235 Die Realität der Massenmedien 241 || Hexenjagd 250 || Massenmedium Twitter 258 || Zuschauen 261 || Öffentliches Meinen 266 6 Macht vs. Wahrheit 271 Risiken und Gefahren 277 || Alternative Fakten 285 III Schluss Readymade Trump 293 || Neue harte Grenzen 298 || Nationalismus 310 || Was tun? 316 || Irrationalität I: Gefühle 329 || Irrationalität II: Angst 337 Nachwort 341 Bibliografie 349 Anmerkungen 421
Not then, the man and his moments. Rather, moments and their man. Nach Erving Goffman This season of America is crazy. I stopped watching during the 08–16 seasons, things got too boring. But season 17 is so exciting, I never miss an episode. I can’t wait for the finale (!) TheoKabala89
V o rw o rt
Dieses Buch ist die Entfaltung einer Paradoxie: Es versucht, von Donald Trump zu sprechen, indem es von ihm absieht. Aber nicht, um die beiden Momente auf einer höheren Ebene dialektisch ›aufzuheben‹. Stattdessen will es von der Spannung des Gegensatzes profitieren, in der Sprache Trumps: aus ihr Kapital schlagen. Das Mittel dazu ist Subtraktion. Man könnte auch von einer gezielten Vernachlässigung sprechen. Trumps Hautfarbe, seine Frisur, sein rüpelhaftes Benehmen, seine Motive und Interessen: all diese Details sollen im Folgenden keine Rolle spielen – selbst dann nicht, wenn von ihnen die Rede ist. Ich richte zwar das Fernglas auf ihn, aber nur, um es umzudrehen. Meine Kenngrößen sind eine systemtheoretische Verkleinerungszahl sowie ein spezielles Objektiv, das an die Stelle der üblichen Primärbeobachtungen ein Beobachten von Beobachtungen setzt. Das Ziel ist, die vom Sensationalismus dominierte, emotional aufgeladene und personalisierte öffentliche Debatte um den amerikanischen Präsidenten auf diese Weise ein Stück weit auszukühlen. An die Stelle von Ablehnung bzw. Zustimmung tritt eine Aufmerksamkeit für die sozialen Strukturen. Aus diesem Blickwinkel erweist sich die Person Trump mit einem Mal selbst als eine solche Struktur. Der Titel ist bewusst doppeldeutig gewählt.1 Denn es geht keineswegs nur darum, Trump zu beobachten. Sondern immer auch darum, sein Beobachten zu beobachten, das andere Beobachter beobachtet, die wiederum ihn beobachten. Wie aber beobachtet man Beobachtungen? Indem man sich die Unterscheidungen genauer ansieht, die sie leiten. Genau so definiere ich beobachten: Man benutzt eine Unterscheidung, die das, was man mit ihrer Hilfe sehen kann, allererst entstehen lässt (vgl. SpencerBrown 1997). Wenn ich mich dafür entscheide, Trump zu beobachten, dessen Beobachten von anderen Beobachtern beobachtet wird, muss ich daher angeben können, was meine Beobachtungsweise von jener der Massenmedien oder der Politik unterscheidet.2 3
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Vorwort
Da wäre zunächst die grundlegende Unterscheidung von wahr und falsch: Lässt sich das, was ich behaupte, belegen? Stimmig mag es sein, aber stimmt es auch, hält es einer Überprüfung stand? Ich nehme damit eine virtuelle Perspektive ein, die das Ganze der Gesellschaft vom Teilbereich der Wissenschaft aus beobachtet. Wichtig ist, diese Perspektive nicht mit einem ›richtigen‹ Abstandsverhältnis zu verwechseln. Eher handelt es sich um eine Art Simulation – und genau das hat meine Perspektive mit der politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, massenmedialen gemeinsam. Sie hat also keinen Alleinvertretungsanspruch. Eine andere wichtige Unterscheidung ist spezifischer: die von System und Umwelt. Sie kennzeichnet das wissenschaftliche Programm oder die ›Software‹, die ich im Folgenden auf Trump anwende. Andere spezifisch wissenschaftliche Unterscheidungen wie zum Beispiel die zwischen Rolle und Person kommen hinzu. Sie alle müssen sich den Routinen der wissenschaftlichen Überprüfung unterwerfen. Wenn ich Trump im Folgenden mit Hilfe dieser Unterscheidungen beobachte, geht es also nicht darum, der Welt nun die ultimative Wahrheit über Donald Trump zukommen zu lassen – zu »sagen, was ist«, wie es das legendäre Spiegel-Motto vorsieht. Erstens kann man Trump auch anders beobachten. Zweitens findet mein Beobachten, weil es Beobachtungen beobachtet, auf einer zweiten Ebene statt, es kann also wiederum selbst in Relation gesetzt werden. Der Vorteil dieser Methode der ›Umbeobachtung‹ ist, dass sie Aussagen über Trump und die Welt in den Modus der Kontingenz versetzt, also darauf aufmerksam macht, dass sie nur möglich sind. Dank ihr kann man beobachtungsleitende Unterscheidungen von anders möglichen Unterscheidungen unterscheiden und sich derart von dem lösen, was sich als Beobachtung gleichsam aufdrängt (vgl. Luhmann 2008c: 133). Denken Sie an eine der wichtigsten Unterscheidungen überhaupt: die von gut und böse. Sie wird im Zusammenhang mit Trump oft bemüht, nicht zuletzt von ihm selbst. Man kann gerade im Fall der Moral von einer Art ›cognitive harassment‹ sprechen: von einer Unterscheidung, die eine entwürdigende Wirkung hat, die übergriffig ist (was sich auch daran zeigt, dass sie hier zum Einsatz kommt, obwohl ich sie gerade zurückgewiesen habe). Dass Trump böse ist, davon sind viele seiner Gegner überzeugt – schließlich ergreift er für Nazis Partei, schubst andere Politiker zur Seite, trifft Entscheidungen, die der Umwelt schaden, Reiche reicher und Arme ärmer machen und die Menschenrechte mit Füßen treten. Trump wiederum nennt Deutschland böse, sogar ›sehr böse‹, oder die Massenmedien, die ihn ungerecht behandeln usw. usf. Anstatt die Unterscheidung
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einfach weiterzuverwenden, also entweder Trump auch böse zu nennen, oder – die andere Möglichkeit – ihn gutzuheißen, votiere ich mit Luhmann dafür, die Unterscheidung selbst zu beobachten. Das Entweder-Oder, das sie mir aufnötigen will, weise ich zurück. Durchaus im Sinne von Melvilles berühmter Romanfigur, dem Schreiber Bartleby: »I would prefer not to.« (2004) Stattdessen schaue ich auf die Art und Weise, wie sie Beobachtungen leitet, und das heißt: auf die Beschränkungen, die mir eine solche Unterscheidung auferlegt: auf das, was sie einschließt, und auf das, was sie ausschließt. Auf diese Weise gelingt zuletzt der Blick auf die Einheit dieser Differenz – und damit auch auf das, was nicht von ihr erreicht wird, was also weder gut noch böse ist. Ich komme auf diese Weise nicht zu einer höheren Wahrheitsart, zu einem ›Besserwissen‹, zu sicheren Antworten. Ich muss, um überhaupt beobachten zu können, ja selbst unterscheiden. Aber ich kann, in einer Formulierung Niklas Luhmanns, die Dinge neu beleuchten, das bereits Bekannte anders kontextieren. Anstatt zu sagen, was ist, interpretiere ich dieses ›Ist‹ aus anderen Möglichkeiten; und um diese Möglichkeiten miteinander vergleichen zu können, abstrahiere oder ›verringere‹ ich und schaue ausschließlich auf Funktionen – buchstäblich, weil mein Theoriedesign Menschen ausschließt. Auf dem Monitor dieser Untersuchung erscheinen Einzelhandlungen nur im Hinblick auf ihre Funktions- oder Systemzugehörigkeit. Dieses Buch ist deshalb in vielerlei Hinsicht eine Art Umkehroperation, freundlicher formuliert: eine Einladung, sich versuchsweise auf das Entweder-Oder der System-Umwelt-Unterscheidung einzulassen und zusammen mit seinem Autor auf eine Struktursuche zu begeben – auf die Suche nicht nach (bösen oder guten) Absichten einzelner Akteure, sondern nach dem, was die ›Absichten‹ der Politik, des Rechts, der Wirtschaft steuert, was die Anschlussfähigkeit der politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen Operationen gleichzeitig garantiert und limitiert. Auf die Sicherheit, dass meine Beobachtung Trumps wahrer ist als andere Beobachtungen, muss ich im Folgenden also verzichten. An ihre Stelle tritt eine gewisse Nervosität – sicher bin ich mir nicht. Diese Unsicherheit kann ich mir leisten, weil ich – im Gegensatz zu Trump – keine kollektiv bindenden Entscheidungen zu treffen habe. Der Vorteil ist, dass ich das eigene Beobachten mit Komplexität anreichern kann, es wird zugleich umfassender und entspannter. Man könnte auch sagen: weitstirnig, im Gegensatz zur Engstirnigkeit, die gegenwärtig die politischen Debatten bestimmt und es den Kontrahenten so schwer macht, sich zu verständigen. Ein wenig von dieser Weitstirnigkeit hoffe ich den Lesern dieses Buches vermitteln zu können.
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Worauf ich nicht verzichten will, ist die durch das Design der Theorie gewährleistete Konsistenz oder Nichtbeliebigkeit, die man mit Luhmann in provokanter Weise wie folgt auf den Punkt bringen kann: Sollte ich mit meinen Überlegungen falsch liegen, liege ich immerhin ›richtig falsch‹ (vgl. Luhmann 2001: 34). Sprich: Es muss schon alles zueinander passen. Es ist allerdings nur ein kleiner Trost, da der Anschlusswert der Wissenschaft nicht Schönheit ist, sondern Wahrheit. Und auf die – wissenschaftliche – Wahrheit im Fall Trumps bin ich im Folgenden aus, so schön das Besteck, das ich verwende, auch sein mag. Wichtig ist der Hinweis, dass ich mit dem Beobachter keine psychische Einheit meine, also eine bestimmte Person wie den Verfasser dieses Textes, Donald Trump, Robert Mueller oder Bob Woodward – wobei all diese Personen natürlich auch als Beobachter infrage kommen –, sondern eine Operation. Wenn sich solche Beobachtungsoperationen zu Sequenzen verketten, die sich von der Umwelt unterscheiden lassen, hat man es mit einem System zu tun; ein abstrakter Begriff, der immer dann anfällt, wenn das Kommunizieren als Muster betrachtet wird und die einzelnen konkreten Kommunikationen aus der Beobachtung herausfallen.3 Rechtfertigen lässt sich mein Beobachten erst im Nachhinein, weshalb ich Systemtheorie auch gern als Heuristik begreife, als ein zunächst durch nichts zu rechtfertigendes Verfahren. Erst die Resultate können – sozusagen ›post-faktisch‹ – das Vorgehen legitimieren. Uwe Johnson weist auf das ursprüngliche Verständnis von Heuristik als einer »wissenschaftlichen Erfindungskunst« hin, die mit der Dichtungskunst das erfindende Element gemeinsam hat (vgl. 1986: 11). Wenn ich in diesem Text das heuristische Erfinden einer Methodik unterwerfe und sie entsprechend diszipliniere (also etwa Sprünge vermeide), dann nehme ich ihr damit aber nicht das Produktionsmoment. Der Wissenschaft mag es nicht darum gehen, Schönes zu produzieren; Wahres produzieren muss sie, will sie Wissenschaft sein. Sie produziert Dinge, die sie für wahr hält, wahrer jedenfalls als etwas, das hierfür nur ausgegeben wird – fake news zum Beispiel. Kreativ ist dieses Vorgehen, weil es etwas ausprobiert – ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt. Der Sprung steht in diesem Fall also am Anfang. Er ist als arglose Frage verkleidet: What if…? Welche Konsequenzen hat es, wenn man Trump aus der Systemperspektive betrachtet? Spezieller gefragt: Wie beobachtet das Recht Donald Trump? Und wie beobachtet er das Recht? Oder die Massenmedien? Lässt sich womöglich ein Muster aufspüren, das sie verbindet? Zum Bewusstsein Trumps habe ich schließlich keinen Zugang. Auch das faktische Geschehen im Weißen Haus – und um das Weiße Haus herum – ist für mich unerreichbar.
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Erneut: Man kann Trump auch anders beobachten. Andererseits wird genau das von den Massenmedien bereits geleistet. Und die Wissenschaft bemüht bislang vor allem moralische Unterscheidungen: Trump ist böse, Demokratie ein Gut und gut. Eine poetische oder literarische Betrachtungsweise Trumps steht meines Wissens bislang aus, dürfte sich aber bereits auf dem Weg befinden. Sie müsste sich vor allem einer gewissen Bescheidenheit befleißigen und das kreative Monopol der Realität anerkennen, die offenbar einen besseren Blick für das Potenzial von Potenzialitäten hat als die dafür zuständige Fiktion.4 Um sicherzustellen, dass ich trotz hoher Abstraktionslage den Kontakt zu den Fakten (zu dem, was gesagt wurde) nicht verliere, will ich im Folgenden immer wieder auf diese zurückkommen. Zwar folge auch ich der Devise Luhmanns: »Der Flug muß über den Wolken stattfinden …« (1984: 13). Denn eine allzu große Konzentration auf Details verstellt den Blick auf das Wesentliche, in meinem Fall: auf die hier zu untersuchenden Systemkonflikte. In diesem Sinne ist die Karte ›besser‹ als das Gebiet, mit Hoel (2018) zu sprechen: »a macroscale description of a system (a map) can be more informative than a fully detailed microscale description of the system (the territory).« Sobald man durch die Wolkendecke stößt und auf das ›pralle Leben‹ blickt, wird es unübersichtlich, stellt man fest, dass alles mit allem zusammenhängt, werden Kopplungen, Verschränkungen, Verschmierungen sichtbar, ist man mit einer Vielzahl von »praktischen Fusionen« (Nassehi) konfrontiert. Die Politik etwa folgt dann nicht mehr ›rein und aseptisch‹ ihrer systemtheoretischen Bestimmung – es kommen nicht-politische Kriterien ins Spiel, Geltungssucht, der Glaube an die eigenen oder die Fähigkeiten anderer, die Frage, ob man Senator in Washington ist oder in Texas, Intelligenz, Dummheit, die Integration in verschiedene Netzwerke usw.5 In meinen Augen müssen sich präzise Unterscheidungen und Materialreichtum aber nicht ausschließen. Ich werde mir deshalb öfter als in der Systemtheorie üblich ›Durchblicke nach unten‹ gönnen, nicht nur um die Leistungsfähigkeit der Systemtheorie im Hinblick auf die Beantwortung einer aktuellen gesellschaftlichen Frage zu demonstrieren, sondern auch um den am Thema interessierten Laien den Zugang zu erleichtern. Doch da die konkreten, hier immer wieder angesprochenen Einzelheiten (»Anhaltspunkte«) diesen Flug nicht steuern können, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu fliegen bzw. mich auf meine Instrumente zu verlassen, will ich das den Konflikten zugrundeliegende gemeinsame Muster erfassen. Zumindest hier bewege ich mich auf von der Tradition geprimten Bahnen. »Wenn man sich über die Menschen Gedanken macht«, so Marc Aurel,
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»muss man auch die irdischen Dinge betrachten, als ob man von irgendeinem höheren Punkt aus nach unten schaute: Tierherden, Heere, Ackerbau, Hochzeiten, Scheidungen, Geburten, Todesfälle, den Lärm von Gerichtsverhandlungen, verlassene Landschaften, vielfältige Barbarenvölker, Feste, Totenklagen, Märkte, das Durcheinander und das aus Gegensätzen zu einer Ordnung Zusammengefügte.« (Aurel 1998: 167) Auch Francis Bacon plädierte – Titus Lucretius heranzitierend – für eine erhöhte Beobachterposition, im gleichen Moment die Notwendigkeit der Forscherdemut geltend machend: »Es ist ein Vergnügen, am Ufer zu stehen und zuzusehen, wie die Schiffe auf dem Meer hin und her geworfen werden; es ist ein Vergnügen, am Fenster einer Burg zu stehen und tief unter sich eine Schlacht und deren Wagnisse zu beobachten; aber kein Vergnügen ist mit dem zu vergleichen, auf dem erhöhten Boden der Wahrheit zu stehen (einem uneinnehmbaren Hügel, auf dem die Luft stets klar und heiter ist) und die Irrtümer, Irrungen, Nebel und Stürme im Tale drunten zu gewahren. Doch sollte dieses Zuschauen nicht in Stolz und Überheblichkeit, sondern in Mitleid geschehen.« (Bacon 2012: 10 f.) Ich will versuchen, der hier geforderten Demut der Beobachtung durch die verwendete Methode gerecht zu werden, und mich in Momenten der Beobachtungsvergessenheit – denen der Primärbeobachtung – an meine »Subjektivität« (Nietzsche) zu erinnern. Zwar sollten Sie allem, was ich über meine Gründe sagen könnte, mich mehrere Monate lang mit dem Gegenstand Trump auseinandergesetzt zu haben, mit Skepsis begegnen. Doch ganz gleich, was mein Motiv gewesen sein mag: Mir hat diese Arbeit ermöglicht, was ich auch für ihre Leser im Sinn habe – mit Trump fertigzuwerden. Zwar haben weder Trump noch die Massenmedien die Hände in den Schoß gelegt, als dieser Text Ende Januar 2019 fertiggestellt wurde. Es hat eine Weile gedauert, bis ich im Februar 2020 endlich die Druckfahnen in den Händen hielt. Die Prüfverfahren der Wissenschaft nehmen nun einmal mehr Zeit in Anspruch als die anderer gesellschaftlicher Teilbereiche, mögen sie aus der Sicht des Rechts auch wie im Zeitraffer erscheinen. Das Buch genügt also nicht den Anforderungen an Aktualität, die der Leser von den Massenmedien kennt. Doch das ist auch nicht sein Anspruch; ich bin schließlich nicht, um den geschätzten Kollegen Castells zu zitieren, im Informations-Gewerbe tätig. Ich hatte meine ›Beweisaufnahme‹ Ende 2018, kurz nach den Zwischenwahlen, mehr oder weniger abgeschlossen, und war überzeugt, genug Daten beisammen zu haben, um präsentierbare Ergebnisse herausziehen zu können. Wenn ich richtig liege, so meine Überlegung im Nachwort, können mir die weiteren Ereignisse gar nicht davonlaufen.
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Im gleichen Moment habe ich aber auch darauf hingewiesen, dass ich keine hellseherischen Fähigkeiten besitze. Die heutige Gegenwart konnte ich genau so wenig vorhersehen wie das Johns Hopkins Center for Health Security den Zeitpunkt einer weltweiten Pandemie. Die einstige Aufregung um den amerikanischen Präsidenten wirkt in der jetzigen Situation, die viele dystopische Fantasien Wirklichkeit werden lässt, fast ein wenig kleinlich. Es trifft sich, dass ich in der Einleitung ausgerechnet die Metapher des Immunsystems bemühe, um die Abwehrreaktionen auf Trump zu beschreiben. Mit dem neuen Erreger kann zwar selbst der amerikanische Präsident nicht mithalten. Aber viele meiner Überlegungen im Hinblick auf Krisensituationen erweisen sich zurzeit als hochaktuell. Aus der Sicht Trumps rechtfertigt das Virus gleichermaßen eine Zwangspause des Parlaments wie einen vorübergehenden Einwanderungsstopp, aus der seines Justizministers William Barr gar die Aufhebung des Habeas Corpus – von den faktischen Maßnahmen anderer Regierungen ganz zu schweigen. Auch die in den Schlusskapiteln behandelte Frage nach dem Verhältnis von Politik und Wissenschaft stellt sich in dieser Situation mit Nachdruck aufs Neue. Der Forschungsgegenstand Gesellschaft hat die Eigenschaft, nicht stillzuhalten, damit müssen Soziologen leben. Doch bestimmte Themen sind schlicht zu wichtig, um sie den Massenmedien zu überlassen. Die Lizenz, um fake von real, wahr von unwahr zu unterscheiden, hat schließlich nur eine gesellschaftliche Instanz: die Wissenschaft. Die auf diese Weise nicht zuletzt garantiert, dass die Medien, aber auch die Politik, das Recht, die Wirtschaft sowie alle anderen gesellschaftlichen Funktionsbereiche weiterhin ihren Aufgaben nachkommen können. Pflichtbewusstsein mithin als vorzeigbares Motiv? Es gibt sicher schlechtere. Kuala Lumpur, im April 2020
I W e rt e
1 Die Immunreaktion
Auf den ersten Blick scheint Donald Trump wenig mit einer griechischen Sagengestalt gemein zu haben. Auf den zweiten erweist er sich als moderne Variante des König Midas: Nahezu alles, was er anfasst, wird zu einem Skandal – und sei es ein Wasserglas.6 Innerhalb von gerade einmal zwei Jahren als amerikanischer Präsident ist es ihm gelungen, einen außergewöhnlichen Reichtum an Eklats, Demütigungen und Affären um sich zu versammeln. Weshalb die für Skandaldiagnosen zuständigen Medien von einer ›unprecedented presidency‹ sprechen (vgl. Reinl 2018). Man könnte auch von einer ›unpresidented presidency‹ sprechen, um einen der jetzt schon legendären Rechtschreibfehler Trumps aufzugreifen, denn der amerikanische Präsident verhält sich nicht so, wie sich amerikanische Präsidenten normalerweise verhalten: präsidial.7 Selbst wenn man sich die Perspektive der Trump-Befürworter zu eigen macht und von einer Hetzjagd der Medien auf ihn ausgeht, von einer massenmedialen oder von den politischen Eliten – oder beiden – gesteuer ten Verschwörung mittels fake news spricht: dass die Aufregung um den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten groß ist, lässt sich kaum leugnen. Die Kommunikation über Trump ist seit seinem Wahlsieg enorm angeschwollen, und auch der vorliegende Text trägt zu dieser Schwellung mit bei. Eine solche Schwellung ist immer ein Hinweis auf eine Krisenlage, weil eine der Funktionen von Gesellschaft error correction ist, die Irrtumsbehebung und Verhaltensabstimmung in solchen Lagen. In der Folge vermehrt und differenziert, augmentiert und amplifiziert sich Kommunikation. Viele kennen das aus ihrem Privatleben, wenn etwa der Partner feststellt, dass sie fremdgegangen sind. Oder in meinem Fall: Wenn ich meinen pakistanischen Freunden gegenüber Zweifel daran äußere, dass der Koran ›von Gott kommt‹. Dann wird es laut. Oder ohrenbetäubend still, gerade in Interaktionssituationen, in denen man es nicht zum offenen Konflikt kommen lassen will. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_1
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Soviel steht fest: Der Lärm um Trump ist unüberhörbar, das Ausmaß an Beachtung und Besorgnis erheblich. Man kann darüber streiten, ob er von Trump ausgeht oder von den vielen Trump-kritischen Medienorganisationen. Letztere würden wohl für ersteres plädieren, Trump selbst argumentiert bekanntlich anders herum: Es sind die Medien, die eine witch hunt auf ihn veranstalten, ihn höchst unfair behandeln. Dass er deren aktuelle Präferenzrichtung in der Berichterstattung darstellt, unfair oder nicht, wird aber wohl niemand ernsthaft bestreiten. Trump bringt Zuschauer, hohe Einschaltquoten, hohe Klickraten. Gerade Trump-kritische Medien sind in diesem Sinne außerordentlich Trump-treu. Sie generieren mit dem Thema Trump immer wieder hohe Aufmerksamkeit. Ihm selbst ist das nicht entgangen.8 ›Der Laden brummt‹, dank Trump.9 Politik bietet mehr Stoff denn je – und die Massenmedien haben Gefallen daran gefunden, ihn als ›Anti-Christen‹ darzustellen, als den »Mann, der nur Vernichtung kennt« (Kornelius 2018), als einen »sexist, homophobic, bigoted, fount of all evil demagogue who must be resisted at every turn« (Roff 2018a), »a Frankenstein’s monster of past presidents’ worst attributes: Andrew Jackson’s rage; Millard Fillmore’s bigotry; James Buchanan’s incompetence and spite; Theodore Roosevelt’s self-aggrandizement; Richard Nixon’s paranoia, insecurity, and indifference to law; and Bill Clinton’s lack of self-control and reflexive dishonesty« (Goldsmith 2017). Aus systemtheoretischer Perspektive ist die Dämonisierung Trumps wenig hilfreich, um das Phänomen zu verstehen. Vielversprechender ist da schon ein Blick auf die soziale Form des Dämonischen oder ›Sinnwidrigen‹ selbst (vgl. Tillich 1926). Das Dämonische verspricht Leben statt Erzlangeweile, Wirrnis statt Vernunft – und wir alle nehmen ein Stück weit teil an diesem lustvollen Grauen, das die Massenmedien, sozusagen selbst dämonisch, der Welt zurzeit mithilfe des Dämons Trump unterbreiten. Ich will im Folgenden einen anderen Weg einschlagen, der von der Semantik der Dämonie absieht zugunsten der Sozialstruktur.10 Auch die Häme, die dem amerikanischen Präsidenten in den Medien widerfährt, hilft aus meiner Sicht nicht weiter: »Tatsächlich … ist Donald Trump, man kann es leider nicht anders sagen, ein Trottel. Und erst seit er Präsident ist, könnte die Welt laut lachen über die armen USA, die sich so einen Trottel ins Weiße Haus gesetzt haben.« (Kuzmany 2018a) Es ist allzu leicht, sich über ihn lustig zu machen – über sein Aussehen, seine Art zu sprechen oder sich zu kleiden, seinen Mangel an Bildung, das fehlende diplomatische Geschick; oder darüber, dass er sogar »zu dumm zum Lügen« ist – so wiederum Kuzmany, der sich für die Gegenseite offenbar nicht interessiert, die aus meiner Sicht weitaus größere Erkenntnischancen bereithält, gera-
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de im Hinblick auf den Beruf des Politikers: Man ist zu klug, um ehrlich zu sein.11 Deshalb sage ich zunächst ›ja‹ zu Trump – wenn auch nicht im Sinne seiner Anhänger. Sondern im Sinne der Wissenschaft, weil nur die Zustimmung auf der Höhe der gesellschaftlichen Empirie operiert (vgl. Baecker 2002: 203). Dass der 45. amerikanische Präsident Donald Trump heißt, lässt sich schließlich kaum bestreiten. Trump ist ein Faktum, für viele gar ein factum brutum, also eine hässliche Tatsache – und gerade diese Hässlichkeit könnte ein Hinweis auf ihre Wahrheit sein. ›Ja‹ zu sagen und sich gleichsam zum Komplizen Trumps zu machen, ist also nicht genug, denn offenbar wird er von weiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt. Man ist gegen Trump und versucht zurzeit – Trump würde sagen: mit allen Mitteln, unfairerweise – ihn loszuwerden. Ich muss auf den ersten Schritt, das Ja zu Trump, also einen zweiten folgen lassen: das Nein zu Trump. Die Gesellschaft ist sich in Bezug auf ihn nicht sicher. Sie will ihn, er ist der amerikanische Präsident, und sie will ihn nicht, denn er ist eine »Schande« (Zaschke 2018). Zunächst zum Nein – der Frage, woher der Lärm rühren könnte, den wir seit seinem Wahlsieg vernehmen. Der Erreger Trump scheint, ähnlich wie körperlicher Schmerz, eine Reaktion auf ihn geradezu zu erzwingen. In dieser Hinsicht ließe er sich als eine Immunantwort der Gesellschaft begreifen; er wäre ein Hinweis darauf, dass sie sich in einem kritischen Zustand befindet, eine Art Warn- und Leitsignal, das laut mancher Beobachter allerdings mittlerweile dabei ist, diesen Charakter der Warnung zu verlieren und sich in eine Art chronischen Schmerz zu verwandeln. Insbesondere die Massenmedien sehen momentan in der Herstellung von Antikörpern ihre Aufgabe, ja: heilige Pflicht. Dabei trifft es sich, dass im Fall des Krisenbegriffs zunächst der medizinische Wortgebrauch Pate stand (vgl. Koselleck 2010: 205). Amerika ist krank, so ihre Diagnose – und wenn sich nicht bald ein geeignetes Gegenmittel findet, ist es dem Untergang geweiht, dann fällt es dem Totalitarismus anheim. Der Frage, ob sie es womöglich sind, die diese Krise allererst heraufbeschworen haben und weiterhin beschwören, will ich mich später zuwenden. Dass sie selbst entscheidend zur Krisenwahrnehmung beitragen, ist jedenfalls evident. Zeitungen wie die New York Times oder die Washington Post, Sender wie CNN stufen Trump als gefährlich ein und sind auf eine Beseitigung des als fremd erkannten Reizes aus, produzieren Abwehrartikel und Abwehrsendungen en masse; Abwehrkörper, gegen die sich Trump wiederum mithilfe seines persönlichen Massenmediums Twitter zur Wehr setzt: »The fake news me-
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dia is going crazy with their conspiracy theories and blind hatred.« (Trump 2018)12 Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass sich der Kandidat Trump im Wahlkampf die Funktion der Krise selbst zunutze gemacht hatte – nur dass er nicht zu den Waffen, sondern zu den Urnen rief. »His brand was crisis«, und darin folgte er der Beraterfirma Greenberg Carville Shrum (GCS), die diese Taktik mit großem Erfolg 2002 im Rahmen des Bolivianischen Präsidentschaftswahlkampfs angewandt hatte, Amerika in ein zweites Bolivien verwandelnd: »Our country is falling apart. Our infrastructure is falling apart … Our airports are, like, third world.« (Trump, zitiert nach Kennedy 2016)13 Eine Taktik, auf die der Präsident im Vorfeld der Zwischenwahlen erneut zurückgreifen sollte – diesmal allerdings mit eher gemischtem Erfolg (vgl. Blitzer 2018; Healy and Dickerson 2018). Kampagne und Krise haben manches gemeinsam (vgl. Arlt 2008: 63). In beiden Fällen geht es um die Möglichkeit verschärfter Beobachtung – mit dem großen Unterschied, dass die Krise unerwünschte Aufmerksamkeit forciert, während die Kampagne möglichst viel Aufmerksamkeit wecken will – und sei es für eine Krise. Das verbindet die Kampagne wiederum mit der krisenhaften Berichterstattung in den Massenmedien, denen Trump eine groß angelegte Kampagne gegen ihn vorwirft. Er muss es wissen, denn für ihn ist die Kampagne – ein weiterer überaus ungewöhnlicher Aspekt seiner ungewöhnlichen Präsidentschaft – aus noch zu erörternden Gründen ein wichtiger Teil seines politischen Alltags.14 Nehmen wir uns ein Beispiel an Angela Merkel und setzen der massenmedialen Aufregung Besonnenheit entgegen, anstatt uns mit männlicher Entschlossenheit in den Kampf zu stürzen.15 Eine Krise alarmiert, ruft uns gleichsam zu den Waffen (à l’arme), dies ist ihre Funktion. Sie ist eine Art Ausnahmezustand, der das erlaubt, ja erforderlich macht, was andernfalls nicht erlaubt wäre. Nicht nur Trump, auch seine Gegner nehmen diese Funktion gern in Anspruch.16 Dabei gerät allzu leicht aus dem Blick, dass es nicht die Krise, sondern die gesellschaftliche Ordnung ist, die den Ausnahmezustand darstellt. Physiker sprechen in diesem Fall von niedriger Entropie. In der Regel merken wir davon nichts, weil der Normalisierungsaufwand, den die Gesellschaft jeden Moment treibt, vor allem mittels ihrer Institutionen, enorm ist. Doch sobald wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Ordnung richten, werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Schauspiels, eines fast dramatischen Kampfes gegen die Unordnung, dessen Ausgang ungewiss ist. Ob und wie es weitergeht, steht prinzipiell in jedem Moment auf dem Spiel (vgl. Baecker 2008: 606).17 Die soziale Ordnung ist alles andere als stabil, ihre vermeintliche, vorübergehende Stabi-
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lität ist prekär, nicht im Sinne von problematisch, sondern im Sinne von ›widerruflich, unsicher‹. Sie hat es immer »mit Zustimmung und Ablehnung, mit Harmonie und Konflikt, mit Widerstand und Unterwerfung gleichermaßen zu tun«, so Dirk Baecker, »und befindet sich daher immer und grundsätzlich mehr oder minder nah an ihrem eigenen Zusammenbruch.« (2008: 606) Gesellschaft ist also eine spannende Angelegenheit, auch und gerade in ihren langweiligen Momenten. Doch für Geschichten, die von Konformität und Einvernehmen, Wiederholung und Konstanz handeln, interessieren sich die auf Diskontinuität und Konflikt abstellenden Massenmedien nicht (vgl. Luhmann 1996a: 141). Die hohen Kosten der Langeweile werden in Filmen wie The Truman Show, Matrix oder Total Recall zwar durchaus sichtbar gemacht, aber stets nur in Form einer scheinbaren Langeweile, die auf der Seite der Information wiedereintritt: Niemand, könnte man sagen, kauft der Langeweile ihre Geschichte ab. Stattdessen wird der Alltag zu einer Verschwörung hochstilisiert, identifiziert man Bösewichte, die den Beteiligten ein X (Normalität) für ein U (Fernsehshow, Matrix, künstlich implantierte Erinnerung) vormachen. Um es vorwegzunehmen: Dieses Moment der durchschauten Täuschung, das für die Kritische Theorie von elementarer Bedeutung ist, spielt auch für Trumps Umgang mit den Medien eine wichtige Rolle. Wenn sich Ablehnungen und Konflikte häufen oder für sich genommen besonders schwer wiegen, geht eine Art soziale Alarmanlage an, flackert ein Warnsignal auf, das dann darauf bezogenes Handeln nahelegt (vgl. Luhmann 1984: 509), einem Motor nicht unähnlich, der durch Aussetzer anzeigt, dass etwas getan werden muss, »zum Beispiel in das Innere des Motors einzugreifen und dort Veränderungen vorzunehmen – oder: Der Motor blockiert endgültig« (Fuchs 2004: 36). Mitunter hat es fast den Anschein, als stottere dieser gesellschaftliche Motor unentwegt. Krisen, wohin man blickt. Der inflationäre Wortgebrauch hat nahezu alle Lebensbereiche erfasst: »Innen- und Außenpolitik, Kultur, Wirtschaft, Kirchen und Religionen, alle Geistes- und Sozialwissenschaften und ebenso die Naturwissenschaften, Technik und Industrie …« (Koselleck 2010: 203) Ist die Krise womöglich unser Schicksal?18 Aus der Sicht Luhmanns bietet die Struktur der modernen Gesellschaft ihr jedenfalls allerbeste Voraussetzungen; es muss nur einer ihrer hochgradig spezialisierten Teilbereiche Probleme haben, seiner Funktion nachzukommen, und diese ›nach außen abgeben‹, also andere Systeme zur Miterfüllung zwingen, schon können sie sich einstellen (vgl. Luhmann 2017: 860 ff.). Er spricht im Fall dieser Miterfüllung von »nichtakzeptab-
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len Problemüberwälzungen«. ›Nicht akzeptabel‹ sind diese Überwälzungen aber nicht nur, weil sie Krisen erzeugen. Sie sind es vor allem aus Sicht der funktionalen Differenzierung, die gleichsam ihrer Würde beraubt, weil zur Entdifferenzierung gezwungen und in Richtung einer regressiven Strukturtransformation gedrängt wird. Ist der gehäufte Gebrauch ein Indiz für eine tatsächliche, allumfassende Krise? Oder haben wir es lediglich mit einer ›statistischen Korrelation‹ zu tun, die auf ungenaues Reden zurückzuführen ist?19 Andererseits sind die Zeichen für eine allumfassende Krise – man denke vor allem an die Umweltverschmutzung – offensichtlich. Wer könnte deren Wirklichkeitsgehalt bezweifeln? Auch dass die USA im Niedergang begriffen sind, dass dieser Niedergang real ist, lässt sich empirisch verifizieren (vgl. Friedman and Hertz 2015, Kummerfeld 2015). Exakt dieser Niedergang ist es ja, den sich Trump zunutze machen konnte.20 Wir können die Krisenwahrnehmung also nicht nur Trump bzw. den Massenmedien zuschreiben, mögen beide auch eine Art crisis hunt betreiben. Dass Trump den Begriff der Krise schätzt, hat vor allem damit zu tun, dass er auf eine endgültige Entscheidung zielt: »Erfolg oder Scheitern, Recht oder Unrecht, Leben oder Tod, schließlich Heil oder Verdammnis.« (Koselleck 2013: 204) Entweder-oder-Alternativen, die dem Entwederoder-Kandidaten Trump entgegenkamen, der sich mithilfe des Krisenbegriffs erfolgreich auf der Seite des Erfolgs (des amerikanischen Heils) platzieren konnte. Der Wahlkampf als entscheidende Schlacht – auch die Gegenseite ward und wird nicht müde, die Krise zu betonen: »… just a glance at recent headlines should tell you that this moment really is different. The stakes really are higher.« (Barack Obama, zitiert nach Abramson 2018)21 Die Krise wird als Zwang zum Urteilen und Handeln unter Zeitnot begriffen, als unbestimmte Verpflichtung zur Aktion (vgl. Koselleck 2010: 213). Sie suggeriert zeitliche Dringlichkeit und rechtfertigt daher ungewöhnliche Maßnahmen, auch die Schnelligkeit, ja Übereiltheit eines Eingriffs. Der Patriot Act wäre ein Beispiel, die von Trump für den Mauerbau geforderten Gelder angesichts der »Border Crisis« ein anderes. Auch ein möglicher Angriff der USA auf Nordkorea oder den Iran ließe sich mit dem Hinweis auf eine Krise rechtfertigen. Oder die Notwendigkeit, eine Revolution zu starten, um der Doppelbedrohung aus Kapitalismus und islamischem Faschismus etwas entgegenzusetzen: »I think we are in a crisis of the underpinnings of capitalism, and on top of that we’re now, I believe, at the beginning stages of a global war against Islamic fascism …« (Steve Bannon, zitiert nach Guilford and Sonnad 2017). Und nicht zuletzt: die ungewöhnliche Entscheidung der amerikanischen Wähler, einem Außensei-
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ter die Führung ihres Landes anzuvertrauen.22 Ist Trump selbst also gar nicht die Krise, sondern vielmehr dessen Lösung?23 Aus dieser Perspektive würde er eine Antwort auf Probleme der Politik darstellen, ihrem Leistungsniveau gerecht zu werden – sie hätte sich gleichsam hilfesuchend an die Umwelt gewandt, also die Funktion ›nach außen‹ abgegeben. Aber warum wird die Lösung Trump dann wiederum kritisch beobachtet? Als sei der einstige Außenseiter für genau diese Probleme der Funktionserfüllung, für die – nichtakzeptable – Minderung der politischen Leistung verantwortlich? Nur weil er lügt, Minderheiten beleidigt, sich rassistisch und sexistisch äußert, mit kruden Parolen provoziert und seine Gegner diffamiert? (Vgl. Groitl 2017) Eine dritte Antwort würde beide in ein Verhältnis setzen – und eine vierte die Möglichkeit einer akzeptablen Problemüberwälzung ins Auge fassen. Dann hätten wir es nicht mit einer Krise zu tun, die Gesellschaft könnte sich entspannt zurücklehnen, Trump beim Regieren zusehen und auf Interventionen verzichten. Eines wissen wir heute jedenfalls: alle Versuche seiner Gegner, Trumps Krisenkommunikation argumentativ abzuschwächen – und damit den Herausforderer zu schwächen –, gingen ins Leere. Ende 2018 ist er selbst zu einer Krise geworden, der er sich – laut Washington Post – hilflos gegenübersieht: »Trump feels angry, unprotected amid mounting crises« (Parker und Rucker 2018). Auch ihm fehlen die Mittel, die Krisenkommunikation zu lindern, die sich – je nach Beobachterstandpunkt – in unterschiedliche Facetten auffächern lässt. Da ist – vor allem im Zusammenhang mit Bob Woodwards Buch Fear (2018) und dem anonymen, in der New York Times veröffentlichten Artikel eines Trump-Mitarbeiters – von einer Autoritätskrise die Rede, von »Trump’s Political Crisis« (Collinson 2018), mitunter auch direkt von einer »Trump crisis« (Baynes 2018). Andere Beobachter sprechen von einer Politikkrise, wieder andere von einer Verfassungskrise, einer Demokratiekrise, einer »historic national crisis«, die wiederum für eine Krise des Anstands mitverantwortlich sei, für eine umfassende »US civility crisis« (Zurcher 2018a). Für Showmaster Bill Maher handelt es sich um die »third great crisis in American history«, nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und dem amerikanischen Bürgerkrieg, und der von Trump kritisierte ehemalige FBI-Chef John Brennan stimmt ihm zu (vgl. Shaw 2018). Herrscht demnach Krieg in den USA? Etliche Beobachter sind dieser Ansicht – mit der Einschränkung, dass er als ›kalter‹ Krieg begriffen wird, als »cold civil war«, der mit allen Mitteln bis auf das einer direkten militärischen Konfrontation ausgetragen wird. Selbst wenn die Trump-Krise eine bloße Konstruktion der Massenme
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dien sein sollte, stellt sich immer noch die Frage: Was genau haben sie gegen ihn? Warum konstruieren sie so? Handelt es sich bei ihm in Wahrheit um eine eher harmlose Substanz, die zu Unrecht als gefährlich eingestuft wird? Ist das, was wir beobachten, gar keine Krise, sondern eher eine Überempfindlichkeitsreaktion, eine soziale Allergie, die von den Medien befeuert wird? Haben wir es mit einem ›Trump Derangement Syndrome‹ zu tun, wie seine Anhänger behaupten? Was will die Gesellschaft hier schützen: tatsächlich ihre demokratischen Institutionen? Allen Ernstes: die Integrität der CIA? Und nicht zuletzt: Wenn es um error correction geht – worin besteht dann der Fehler? Schließlich kam Trump nicht mittels eines Staatsstreichs an die Macht, sondern wurde demokratisch gewählt, mögen Russland et al. bei der Wahl auch ihre Finger im Spiel gehabt haben: »Americans elected Trump. Nobody else did.« (Cohen 2018) Müsste die Gesellschaft dann nicht eher über die Abschaffung der Demokratie nachdenken als darüber, Trump abzuschaffen?24 Vor allem: Kann die Gesellschaft überhaupt Fehler machen? Die Antwort mag überraschen: Nein, das kann sie nicht. Menschen können Fehler machen, anominous statt anonymous sagen, collusion mit einem l schreiben, border mit einem a, aus Versehen covfefe twittern, Belgien als Stadt bezeichnen (und die EU als Europa) oder Queen Elizabeth II beim Abmarschieren der Ehrengarde den Rücken zukehren und vor ihr herlaufen – und andere Menschen können versuchen, Gründe für solche Fehler anzugeben, etwa jene, die Captain America-Darsteller Chris Evans für Trumps Versagen im Hinblick auf korrekte Rechtschreibung geltend macht: »It’s ›counsel‹, Biff. The word is ›counsel‹. I was trying to comprehend how in the world a man, even as moronic as you, can misspell a word he probably reads fifty times a day. But then it dawned on me, you probably only HEAR the word. You don’t read shit« (Evans, zitiert nach Corbett 2018).25 Aber die Gesellschaft ist kein Mensch. Sie besteht auch nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen, und die reproduzieren sich über Anschlüsse. Der Wahlsieg Trumps war kein Versehen. Auch ein vermeintlich falscher Anschluss, ein Missverständnis, ein Rechtschreibfehler, sexuelle Belästigung, ein schwerwiegender Bruch des Protokolls, »der jahrzehntelange Verzicht auf eine nicht nur wohlfahrtsstaatliche und rechtsstaatliche, sondern tatsächlich politische Begründung der Politik« (Baecker 2016), das mutwillige Unterschätzen von Problemen, »deren Tragweite für viele im täglichen Leben sich aufdrängt – zum Beispiel Zufluss von Asylbewerbern oder allgemeiner: kulturell und ethnisch fremde Bevölkerungsteile … zunehmende Gewalt auf Straßen, in Schulen …«
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(Luhmann 2002a: 134) oder ein »massive fraud« (Philip Roth über Trump, zitiert nach McGrath 2018) im Präsidentenamt setzen sie fort. Genau wie Scheidungen, Terroranschläge oder Kriege. Deshalb sieht die Gesellschaft Krisen nicht kritisch. Sie lässt sie zwar zu, aber wiederum nur als Kommunikation, als Fortsetzung ihrer selbst. Es sind die mit Kommunikation gekoppelten Menschen, die ein Stottern des sozialen Motors beobachten und kommunikative Anschlüsse beanstanden, die dann derartige Störungen abzufangen und zu neutralisieren versuchen. Etwa indem man klarstellt: Man hat es nicht so gemeint, hat sich versprochen, wollte ursprünglich wouldn’t sagen, lag nicht nur hinsichtlich seiner cabinet picks falsch (vgl. F. Jordan 2018), sondern auch im Fall von Obamas Staatsbürgerschaft (vgl. BBC 2018b). Und natürlich kann man schon im Vorfeld darauf aufmerksam machen, dass sich eine bestimmte Entscheidung im Nachhinein womöglich als falsch, als Fehlinvestition erweisen könnte. Etwas, das sich immer dann empfiehlt, wenn man bereit ist, ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen.
Wer nicht wagt … Dass Trump bereit ist, Schäden als Folge eigenen Handelns zu riskieren, ist bekannt. Er scheint eine gewisse Sicherheit darin zu finden, Unsicherheit auf Dauer zu stellen. Mutig konstruiert er Alternativen, was den an politische Vorsicht gewöhnten Berichterstattern etwa im Hinblick auf den Koreagipfel große Sorgen bereitete.26 Bob Woodward berichtet von einem Beinahe-Tweet Trumps, das – so Woodward in guter journalistischer, sprich: skandalträchtiger Manier – um ein Haar den dritten Weltkrieg ausgelöst hätte (vgl. Perper 2018). Dabei scheint der gegenwärtige amerikanische Präsident vor allem auf die passende Eingebung zum passenden Moment zu vertrauen. Ein instinct for politics tritt an die Stelle des bisher üblichen, abwartenden Handelns. Die möglichen Kosten scheinen Trump – diese »riesengroße Risikomaschine« (Michael Lewis) – nicht zu beunruhigen. Ganz im Gegensatz zu den Experten: »But foreign policy experts at both ends of the political spectrum are worried about the costs.« (Bennett 2018b). Das Gleiche im Hinblick auf seine Nahostpolitik: »If Trump misplays his hand, it could endanger millions of lives« (ebd.). Oder für seine Politik der Strafzölle: »Nach Schätzung des Auto-Forschungszentrums CAR würden die geplanten Zölle die Pkw-Verkaufspreise in den USA um bis zu 7000 Dollar pro Wagen in
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die Höhe treiben […] Trumps Spiel ist deshalb riskant – auch für ihn persönlich. Vor allem im Senat nämlich ist längst aufgefallen, dass der Regierungschef die Verhängung von Zöllen stets mit angeblichen Gefahren für die nationale Sicherheit begründet« (Brössler und Hulverscheidt 2018). Wie immer man sein Vorgehen beurteilen mag: dass seine politischen Kunststücke die Nerven kitzeln, lässt sich kaum bestreiten. Denn sie sind stets in Gefahr, außer Kontrolle zu geraten. An einem Sicherheitsnetz ist er nicht interessiert: Trump agiert nicht vorsichtig. Das Publikum wartet gespannt, ob der Konfliktkünstler womöglich die Balance verliert und stürzt – oder ob sich sein Einsatz lohnt: »The possibility of a pardon is explicitly mentioned by the one person on the whole planet who can give him a pardon. It’s stunning. It’s stunning.« (Daniel Goldman, zitiert nach McCarthy 2018) Als Politiker ist Trump vor allem Entscheider – als der wurde er gewählt, und dem versucht er gerecht zu werden. Natürlich kann er Entscheidungen nur im Hier und Jetzt treffen. Doch es ist genau das damit verbundene Risiko, das er geschickt für seine Zwecke einzusetzen weiß. Trump konstruiert in einem fort Alternativen zur bisherigen Politik. Die Zukunft, die er in die Gegenwart hineinprojiziert, ist great. Ganz gleich, ob sich die Dinge zuletzt tatsächlich so entwickeln, ob seine Wette aufgeht, sich der Einsatz lohnt: dieses Vorgehen scheint ihm allemal besser zu sein, als die Dinge einfach laufen zu lassen. Er tut etwas, legt nicht die Hände in den Schoß, wartet nicht ab. Eine gewisse Auflockerung der ›sedimentierten Vegangenheit‹ ist ihm ohne Frage gelungen. Die Zukunft ist natürlich weiterhin offen. Aber mit seiner Entscheidung, Kim Jong-un zu treffen, hat er eine neue Geschichte begonnen. Und es ist dieser Neuanfang, den er erfolgreich zu vermarkten wusste, und der unabhängig von dem, was in der Zukunft geschieht, in Erinnerung bleiben wird. Was Trump nicht bewusst zu sein scheint: dass Prognosen revidiert werden können, Entscheidungen aber nicht. Dabei gelingt es ihm, die »Bedingungen der Selbstverunsicherung« (Luhmann 2002a: 433), denen sich prognosebasierte Entscheidungen ausgesetzt sehen, einfach zu ignorieren – und genau hierin erweist er sich in der Tat als politischer Politiker: als jemand, der in der Lage ist, mit diesem Risiko umzugehen. Zukunftsunsicherheit übersetzt er – shooting-from-thehip – in ein Durchsetzungsproblem. Er übernimmt Verantwortung, gedankenlos. Bob Woodward spricht vom ›Trump way‹: »Playing by ear, acting on impulse.« (2018) Genau dieses Vorgehen beunruhigt seine Kritiker so. Besonnenheit – die sich bei der Vorbereitung von Entscheidungen eigentlich von selbst versteht – ist nicht Teil seiner ›Impulspolitik‹. »Chess vs.
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checkers is standard shorthand for suggesting a president is either smart, or not. President Trump’s forte is the latter; it’s a simple game that doesn’t call for much strategic forethought. Who could have guessed that would be the wrong game for a president. The consequences have run a narrow gamut from bad to disastrous. With Charlottesville, Va., Trump’s impulsive short-termism now threatens the values, identity and character, indeed the very exceptionalism, of a nation.« (Lawrence 2017) Mögen viele Beobachter ihm aufgrund der Kurzfristigkeit seines Handelns auch kritisieren, für das die eigene Präsidentschaft das beste Beispiel darstellt (nach allem, was man weiß, hatte er nicht mit seinem Wahlsieg gerechnet, vgl. Wolff 2018) – dadurch, dass er entscheidungsfroh zur Tat schreitet, demonstriert er, dass er in der Tat Politiker ist und nicht nur ein »Marketing-Gag« (Baecker 2016). Trump hat sich der Funktion der Durchsetzungsfähigkeit zur Verfügung gestellt, und er macht von ihr Gebrauch, auf welchem Leistungsniveau auch immer. Ob er sich Illusionen hingibt, darüber können wir nichts wissen. Aber dass er keine ›Ethik‹ benötigt, um sich zu entscheiden, ist evident. Im Hinblick auf Nordkorea rechtfertigte Trump die Inkaufnahme des Risikos bzw. den Vertrauensvorschuss, den er Kim Jong-un gewährte, mit der Gefahr, die angeblich von Nordkorea ausgeht; bezüglich nahezu aller anderen Entscheidungen mit der Notwendigkeit der Wiederherstellung amerikanischer Größe. Ob er am Ende den Kürzeren ziehen und sich seine Strategie als falsch erweisen wird, ist in beiden Fällen offen, auch wenn manches bereits darauf hindeuten mag – im Hinblick auf Fragen der Selbstdarstellung hat sie sich aber bereits bewährt. Denn wer Risiken eingeht, kommuniziert nicht zuletzt, dass er vor Schäden keine Angst hat. Ein großer, mächtiger, finanzstarker ›Marktteilnehmer‹ wie die USA ist hier natürlich im Vorteil, genauso wie ein mächtiger Präsident. Beide können Krisen leichter überstehen und sich daher eher auf Risiken einlassen als andere, »die ohnehin am Rande des Ruins operieren« (Luhmann 1994b [1988]: 123).27 Man kann Trumps ungewöhnliche Robustheit in diesen Fragen als Rationalität ganz eigener Art begreifen, die er vermutlich seinem Vorleben als Geschäftsmann verdankt. Gerade das Marktverhalten lässt sich als Verhalten mit unbekannten Risiken definieren. Robustheit – das selbstbewusste in Kauf nehmen von Unsicherheit – scheint hier wichtiger zu sein als Effizienzkriterien oder Optimierungen (vgl. ebd.: 122). Aber gilt das auch für den Bereich der Politik? Geht es am Ende gar nicht um Geschicklichkeit in der Ausnutzung von Markt- oder Machtchancen oder die Rationalität einer Risikokalkulation, sondern schlicht um Durchhaltever-
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mögen? Bisher hat Trump eigene und fremde Irrtümer jedenfalls einigermaßen erfolgreich überstanden. Seine Strategien bewähren sich – vielleicht gerade, weil sie falsch sind.28 Nun ist ja jede Situation, wie sie ist – auch wenn man über die Deutung dieser Ists natürlich streiten kann. Auch darüber, ob es sinnvoll ist, von einer Trump-Krise zu sprechen (im Rahmen dieser Einleitung: durchaus). Dass die USA ein enorm hohes Handelsdefizit aufweisen, ist unbestritten – aber sind Deutschland und China daran schuld? Ist dieses Defizit der Grund allen amerikanischen Übels? Was ist mit Dienstleistungen und Unternehmensanteilen, gleichen Internet und Finanzsektor es nicht aus? Gehört Hillary Clinton hinter Gitter? Stellt die »Singularität Nordkorea« (Peter Sloterdijk) überhaupt eine Gefahr dar? Benötigen die USA eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, ist sie im Hinblick auf Fragen der Grenzsicherung so essenziell, wie Trump behauptet? Da sich der Gegenwart keine eindeutigen Orientierungen entnehmen lassen, kann man sich durchaus darüber wundern, dass der Präsident der USA sich so oft dafür entscheidet, eine Alternative zu konstruieren (vgl. Luhmann 2002a: 146). Die Zukunft ist schließlich unbestimmt. Dennoch bestimmt Trump sie in einem fort, und zwar indem er eine Differenz in sie hineinprojiziert: zwischen dem, was ohne sein Zutun geschähe – und dem, was sich dank seiner Entscheidungen einstellen wird. Anstatt die bisherige Politik des Misstrauens fortzusetzen, möchte er Kim Jong-un vertrauen. Anstatt den ›Nukleardeal‹ mit dem Iran fortzusetzen, hat er ihn gekündigt – genau wie das Klima-Abkommen. Und so weiter und so fort. Genau dadurch bestätigt Trump die Unbekanntheit der Zukunft, denn wäre sie bekannt, ließe sie ja gar keine Alternativen zu (vgl. Luhmann 2002a: 147). Dabei scheint es für viele Möglichkeiten ein Zeitfenster zu geben: Was heute möglich ist, stellt morgen keine Option mehr dar. Ob Trump in zwei Jahren weiterhin als Möglichkeit gesehen wird? Fest steht, dass sich 2016 viele Wähler für die Projektion der Differenz »America First« entschieden haben: für eine Zukunft wiederhergestellter amerikanischer Größe. Der Politikstil Trumps hat viel mit einem grundsätzlichen Interesse an Abweichung zu tun, das für Außenseiter typisch ist (dazu gleich mehr). Ihn nur als einen ›Gegen-Obama‹ zu deuten, der von seinem Vorgänger gemachte Entscheidungen allein deshalb revidiert, weil sie von seinem Vorgänger gemacht wurden, greift also zu kurz. Zwar muss jeder Entscheider Alternativen konstruieren. Das wird gerade von Politikern erwartet, denen man zutraut, ›entscheidend‹ auf die Verhältnisse einzuwirken. Trump kann die Dinge also schon von Berufs wegen nicht einfach so laufen lassen, wie sie laufen. Hier erweist er sich in der Tat als äußerst ›politischer Poli-
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tiker‹, als ein progressiver zumal (auch dazu später mehr). Und jemand, der sich als Alternative bisheriger Politik empfiehlt, kommt gar nicht umhin, diese Alternativität in Worten und Taten auch ein Stück weit vorzuführen. Bemerkenswert ist jedoch, mit welcher Konsequenz – lies: unbeirrbaren Folgerichtigkeit – er dieser Aufgabe nachkommt. Und warum genau diese Alternativen – warum keine anderen? Lässt man Fragen seiner Personwerdung zunächst außen vor und konzentriert sich auf den politischen Aspekt, dann scheint es um Vertragserfüllung zu gehen. Als Herausforderer hatte er seinen Wählern eine Zukunft in Aussicht gestellt, die sich von der politischen Gegenwart deutlich unterschied, »bringing change to Washington«, und in seinem »Contract with the American Voter« fein säuberlich die einzelnen Schritte aufgelistet, um dieses Ziel zu erreichen. Mit seiner Wahl haben die Wähler diesen Vertrag gleichsam gegengezeichnet.29 Mit dem Hinweis auf die im Wahlkampf gegebenen Versprechen habe ich die Frage nach den Gründen aber nur verlagert. Denn warum hat Trump seinen Wählern überhaupt all diese Dinge zugesichert? Anders gefragt: Welchen Zweck haben die Versprechen erfüllt? Ganz einfach: Sie sollten zu seinem Wahlsieg beitragen. Vermutlich haben sie das sogar; in welchem Maße ist genauso schwer zu bestimmen wie der Einflusss von Russland und Cambridge Analytica auf den Wahlausgang. Trump hat also offenbar richtig entschieden. Es war zumindest nicht falsch, den Wählern eine Steuerreform, eine Mauer und die Kündigung des Pariser Abkommens zu versprechen sowie die Inhaftierung Hillary Clintons zu fordern. War es richtig, die Regeln der Diplomatie zu ignorieren und Kim Jongun ›einfach so‹ zu treffen? Darüber ist man sich nicht einig, der Großteil der Beobachter ist aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Januar 2019) anderer Ansicht. Haben die Wähler Trumps richtig entschieden? Das sehen jene, die ihn für die Krise verantwortlich machen, natürlich nicht so. Sie legen offenbar andere Kriterien als die Trump-Anhänger zugrunde. Dass er bemüht ist, Wahlversprechen zu erfüllen, wird zwar wahrgenommen, aber nicht zu seinen Gunsten ausgelegt; dass er die Zukunftsunsicherheit seiner Wähler instinktiv und höchst erfolgreich in ein Konsens- und Durchsetzungsproblem verwandelt hat, – kurzum: dass er als Politiker gehandelt hat, man könnte zu seinen Gunsten sogar hinzufügen: dass ihm nach jahrzehntelangem Verzicht endlich eine tatsächlich politische Begründung der Politik gelungen ist – wird von ihnen ebenfalls nicht gewürdigt.30 Trump hat politische Verantwortung übernommen, und er scheint sie auch mit einem gewissen Genuss wahrzunehmen – auch und gerade in
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Fällen, in denen im Hinblick auf risikoreiche Entscheidungen entsprechende Normen fehlen. Ist das nicht der Fall, kann er sie als obsolet markieren. Genau das könnte erklären, warum politische Macht für den eher an finanziellem Gewinn interessierten Geschäftsmann Trump so attraktiv ist: sie kann mit Risiken umgehen (vgl. Luhmann 2002a: 433).31
Von Menschen und Systemen Wie können seine Gegner es wagen, als Amerikaner nicht Teil einer, nämlich seiner amerikanischen Agenda sein zu wollen, die das Land wieder groß machen möchte? Auch die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Seine Gegner haben andere Vorstellungen von amerikanischer Größe. Sie halten die von Trump getroffenen Entscheidungen für falsch. Diese sind aus ihrer Sicht nicht nur ungeeignet, die amerikanische Größe zu restaurieren, sie könnten diese Größe zudem auch dauerhaft, wenn man so will: ›nachhaltig‹ beschädigen. Grob gesagt lautet ihre Zwecksetzung: ›Wir müssen Amerika retten – vor Donald Trump.‹ Liegen sie damit richtig? Stellt Trump eine Gefahr für die USA dar? Kaum, denn bei Gefahren geht es um Schäden, die ohne eigenes Zutun eintreten, man rechnet sie der Umwelt zu. Stattdessen sind viele Wähler mit der Entscheidung, ihn zum Präsidenten zu machen, ein Risiko eingegangen. Sie haben künftige Schäden als Folge ihrer Wahl bewusst in Kauf genommen. Wäre Hillary Clinton eine bessere ›Anlage‹ gewesen? Haben sie sich geirrt, werden sie ihre Entscheidung bereuen, tun sie es bereits?32 All diese Fragen stellt sich die Gesellschaft nicht. Genausowenig wie sich die Evolution fragt, ob der Mensch womöglich ein Fehler war. In diesem Sinne sind Fehler in der Tat ›menschlich‹ – nicht nur Tiere machen keine, auch die Gesellschaft vertut sich nicht. Die gesellschaftliche Evolution hat sich für die Variation Trump entschieden und sich anschließend nur eine Frage gestellt: positive oder negative Selektion? Die Antwort darauf kennen wir. Was geschieht, geschieht; erst Menschen machen einen Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Geschehen, einem guten und schlechten Präsidenten – ein Unterschied, den die Gesellschaft bzw. ›die Geschichte‹ nicht kennt. Es sind die Menschen, die ein Problem mit Trump haben; Menschen, die Kommunikation (also Gesellschaft) gleichsam mitmachen. Sie sind es, die kommunikative Anschlüsse beanstanden und Strukturänderungen fordern, während die Gesellschaft nur daran in-
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teressiert ist, dass überhaupt angeschlossen wird, irgendwie, wenn man so will: um jeden Preis. Ohne Menschen wäre das Abfangen und Neutralisieren unvorgesehener Störungen also nicht möglich.33 Das Immunsystem entwickelt sich in diesem Dazwischen, dem Bereich der Kopplung zwischen Menschen und Systemen (vgl. Luhmann 1995a: 566). Trump streitet nicht mit der Gesellschaft, und die streitet nicht mit ihm – da ist keine Stelle, um Rilke zu paraphrasieren, die ihn sieht.34 Und keine, die ihn hört. Ganz im Gegensatz zu ihren treuen Begleitern, den Menschen. Sie sehen eine Trump-Rede im Fernsehen, erinnern sich an das, was er vorher gesagt hat, unterstellen, dass andere sich daran erinnern, und sagen Dinge, die vorausgesetzte oder geäußerte Erwartungen bestätigen oder diesen widersprechen. Das Immunsystem will denn auch keine Irrtümer korrigieren, dafür ist es ohnehin zu spät, das Kind ist ja längst in den Brunnen gefallen, das covfefe getwittert, das Abhängigkeitsverhältnis einseitig sexualisiert und Trump amtierender Präsident; es will nur die mit Widersprüchen und Konflikten verbundenen strukturellen Risiken eindämmen und mögliche Gewebeschäden verhindern, um die Fortsetzung von Kommunikation trotz covfefe, verletzter Würde und eines ›Frankenstein-Präsidenten‹ Trump zu ermöglichen. Die soziale Immunantwort ist im wahrsten Sinne des Wortes Krisenmanagement, und was sie managt, sind ganz bestimmte kommunikative Anschlüsse; Anschlüsse, die zum Erreger ein Verhältnis suchen. Trump dient als Ansatzpunkt dieser Anschlüsse. Auf diese Weise garantiert das Immunsystem die Fortsetzung von Gesellschaft, trotz der Negationen, trotz des Störfaktors Trump. Schließlich kann die Gesellschaft ihre Abwehr von Störungen nicht auf eine Voraussicht der Störung stützen und für alle Fälle Punkt-für-Punkt-Gegenmaßnahmen bereithalten (vgl. Luhmann 1995a: 566). Genau dieses Defizit wird vom Immunsystem kompensiert, und zwar indem es für den fallweise auftretenden Konflikt Lösungen produziert, die dann beim wiederholten Auftreten eines solchen Falls erneut zum Zuge kommen können. Die Facebook-Krise ist dafür ein gutes Beispiel. Der Skandal um den Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica führte dazu, dass a) das Unternehmen neue Regeln einführte, die einen erneuten Missbrauch der Nutzerdaten verhindern sollen, b) weitere Regulierungen angemahnt wurden, »well-crafted«, nicht nur so dahingesagte (vgl. Bloomberg 2018a); und c) in letzter Konsequenz zu der Forderung, sofort seinen Social-Media-Account zu löschen, weil nicht nur Facebook, sondern alle sozialen Netzwerke, zu einer ›Erosion‹ der Gesellschaft führten (vgl. Lanier 2018). Noch einmal: man kann Facebook oder Trump so – kritisch, krisistisch – beobachten.
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Aber was immer sich Jaron Lanier unter einer gesellschaftlichen Erosion vorstellen mag: Weder Facebook noch Donald Trump sind in der Lage, die Gesellschaft zu zerstören. In einer etwas ungenauen, vorläufigen Formulierung könnte man auch sagen: die Gesellschaft lernt – wenn auch nicht aus Fehlern, sondern aus dem, was Menschen für Fehler halten. Dabei können diese natürlich wiederum Fehler machen, oder anders, diese Bestimmung ist natürlich wiederum selbst fehleranfällig. Könnte es ein Fehler sein, sein Facebook-Konto zu löschen? Ist es ein Fehler, in einem nach Aufmerksamkeit strebenden Buch das durch die sozialen Medien geförderte Streben nach Aufmerksamkeit zu verurteilen? War es falsch, Trump zum Präsidenten zu küren? Die Gesellschaft kann diese Fragen nicht entscheiden. Menschen schon. Eines jedenfalls steht fest: auf Trump waren die USA nicht vorbereitet. Einen Präsidenten wie ihn hatte niemand erwartet – nicht einmal die in Projektionsfragen bewanderten Schriftsteller.35 Angeblich nicht einmal er selbst.36 In diesem Sinne ist ihm eine Überraschung gelungen. Das Ergebnis war eine gewisse Ratlosigkeit, laut Nicholas Taleb vor allem der sogenannten ›Eliten‹: »It was exactly as on Candid Camera, imagine the characteristic look on someone’s face after they pull a trick on him, and the person is at a loss about how to react.« (Taleb 2016) Viele der Regeln, die von der normativen Selbstbindung des Politikers ausgehen, erwiesen sich im Hinblick auf Trump als nutzlos. Die bisherigen Techniken des containment im Hinblick auf das Präsidentenamt etwa, die neben den Kontrollinstanzen der Verfassung und des Kongresses vor allem eine Art self-containment, also Moral vorsahen, erwiesen sich in seinem Fall als nutzlos. Seitdem gibt die Hilflosigkeit der Mittel gegen den Machtmissbrauch Trumps zu denken, der wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich behandelt – und zwar ohne ein Differenzierungskriterium, also einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonst sachlich einleuchtenden Grund für viele seiner Maßnahmen nennen zu können.37 Trump hat offenbar keinerlei Hemmungen, bisherige Hemmungen zu enthemmen. Er ist nicht bereit, die strukturellen Konsequenzen in Kauf zu nehmen, die mit der normativen, rechtlichen und moralischen Bindung des Amts einhergehen, sprich: seine Macht zum Guten zu gebrauchen, zum Schutze des Rechts, der Armen, der Minderheiten, weil das zu Lasten seiner Handlungsfreiheit ginge. Er weigert sich, die Höherrangigkeit der Verfassung anzuerkennen und sich in ihrem Sinne einzuschränken, weder nach innen (durch die Anerkennung von Verfahrensregelungen, die mit Gewaltenteilung und repräsentativer Demokratie korrespondie-
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ren) noch nach außen (durch die Anerkennung von Grundrechten; höchstens im Hinblick darauf, diese einzuschränken, wie zuletzt seine Bemerkung zum Geburtsrecht verdeutlicht hat). Er bezieht sich denn auch höchst selten auf diese Instanz – die einzige, die noch zwischen der Politik und dem Recht steht (vgl. Luhmann 2002a: 213). Ausnahmen – der zweite Zusatzartikel – bestätigen die Regel. Als Symbol für Amerikas Greatness benötigt er die Verfassung zwar, das Recht des persönlichen Waffenbesitzes eingeschlossen. Doch die dort niedergelegte Verlagerung von der Willkür eines Souveräns, der an der Staatsspitze stehend Entscheidungen treffen kann, die dann eins zu eins umgesetzt werden, und der nur eine Oberhoheit außer Gott über sich anerkennen muss, hin zur Oberhoheit der politischen Organisation, ist ihm offenbar fremd. Es ist exakt diese politische Ordnung, deren Komplexität und Undurchschaubarkeit dem Bürger so zu schaffen macht, gerade in ihren bürokratischen Dimensionen, auf die Trump eine Antwort darstellt. Sie sperrt sich nicht nur gegen das Erzähltwerden, sie lässt sich vor allem nicht in ein Narrativ übersetzen, das den Einzelnen, den amerikanischen Helden, den mover und shaker, an die erste Stelle setzt – höchstens in eins, das ihn in einem fast aussichtslosen Kampf gegen ein gesichts- und namenloses deep state-Dickicht zeigt.38 In dieser Hinsicht können wir Trump als neues Paradigma begreifen, denn die bei – nicht nur demokratischen – Machthabern übliche wechselseitige Steigerung von Normativismus, Moralismus und faktischer Machtausübung lässt sich bei ihm nur in geringem Maße beobachten. In Anlehnung an einen legendären Satz aus Michael Crichtons Jurassic Park könnte man auch formulieren: Trump can’t be contained. Trump breaks free.39 Eine gerichtete Sensibilisierung, die eine schnelle Reaktion erlaubt hätte, lag in seinem Fall jedenfalls nicht vor. Das Erkennungsverfahren musste zunächst entwickelt werden, eine Analyse war erforderlich, zu der auch dieser Text ein Stück weit beitragen mag; all das nahm viel Zeit in Anspruch, die dem Antigen Trump zugutekam. Die Immunabwehr ist noch im Gange. Am Ende könnten neue Regeln stehen, die wir in diesem Sinne als »Antikörperbildung mit einer am Fall gewonnenen Spezifität« (Luhmann 1995a: 567) verstehen können.40 Doch was genau ist das Problem? In den Worten des saudischen Kronprinzen: »Why the outrage?« (Mohammed bin Salman, zitiert nach Said et al. 2018) In denen von Donald Trump Jr.: »What are they resisting? The greatest economy in decades? The best job numbers in history for all demographics? America actually winning for a change?« (Zitiert nach Hayes 2018b) Genauer: Was lässt sich als Problem konstruieren, auf das die Gesellschaft mit einer Immunantwort reagiert? Offenbar identifiziert sie
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Donald Trump als einen Fremdkörper (corpus alienum), der von außen in ihre kommunikativen Gewebe oder Hohlorgane gelangt ist. Welche ›So zialzellen‹ sind dafür verantwortlich bzw. werden von Trump erregt?
Eine Welt der Neins Luhmanns Vorstellung war, dass das Immunsystem aus Ablehnungssymbolen besteht, die vorher relativ frei in der Gesellschaft herumschwirren, deren Verwendung im Fall der Immunreaktion aber entsprechend konditioniert wird (vgl. Luhmann 1984: 506). Der soziale Normfall ist das Ja, die Gesellschaft rechnet mit der Annahme von Kommunikationsofferten. Jede Kommunikation hofft auf Annahme, warum sollte man sich sonst die Mühe machen, etwas mitzuteilen, sich auf eine Bühne zu stellen und einen Song zu singen, ein Gedicht vorzutragen, dem Angebeteten einen Heiratsantrag zu machen oder ein Buch zu schreiben – weil man abgelehnt werden möchte? Das Immunsystem dagegen aktiviert die Neins. In der Folge entsteht »eine Welt der Neins« (Luhmann), und es sind diese Neins, die ich als Immunereignisse identifizieren will. Es macht deshalb mehr Sinn, von orientierten Strukturen statt von einem Immunsystem zu sprechen, das sich ja dann kommunikativ schließen müsste; von Strukturen, die sich an der Person Trump ausrichten wie Eisenspäne an einem Magneten. Trump fungiert als Einigungsmotiv, er ist das gemeinsame Zuwider. Sehen wir uns diese aus Ablehnungssymbolen bestehende Struktur also etwas genauer an. Sie kann uns darüber Auskunft geben, was genau im Hinblick auf Trump das Problem sein könnte bzw. was sich als Problem konstruieren lässt. Mancher betrachtet sein Aussehen als ein Problem: die Haare, die Gesichtsfarbe, die kleinen Hände, die allzu lange Krawatte usw. Die Liste ist lang, aber sie informiert eher über die Selektionskriterien der Massenmedien im Bereich der Unterhaltung. Haare und Krawatten können nicht ins Präsidentenamt gewählt werden – und sie machen auch keine Politik. ›Wärmer‹ wird es schon, wenn wir uns den Fettnäpfchen zuwenden, in die er bisher getreten ist, wobei wir ein missglücktes (›creepy‹) Kompliment wie etwa das an Brigitte Macron gerichtete »You’re in such great shape« außer Acht lassen wollen – nicht zuletzt, weil sich die Beobachter hier nicht einig sind (»People will shrug and say, ›#Trump was just offering her a compliment!‹« so etwa Alex Berg, die das allerdings anders sieht; Berg
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2017). Trumps fehlende Manieren sind keineswegs unwichtig, aber auch sie lenken vom Wesentlichen ab. Interessanter wird es schon, wenn man sich seiner so oft karikierten Sprechweise zuwendet. Einige Beobachter glauben, dass nicht so sehr die Wahl seiner Themen ausschlaggebend dafür war, dass er über seine erfahrenen Mitkonkurrenten als Präsidentschaftskandidat triumphierte, sondern sein Kommunikationsstil. Laut Ahmadian et al. (2017) war Trump den Mitbewerbern in den vier Kommunikationssegmenten (a) grandiosity ratings, (b) use of first person pronouns, (c) greater pitch dynamics und (d) informal communication überlegen. Die Antwort auf die in der Studie gestellte Frage »whether this same communication profile will help or hinder success in a general election« kennen wir. Trumps ›Kommunikationsprofil‹ hat ganz erheblich zu seinem Wahlsieg beigetragen. Dass er im Segment Grandiosität zu glänzen weiß, ist laut medizini scher Beobachter kein Zufall. Angeblich ist sie eines seiner wesentlichen Charaktermerkmale, neben »impulsivity, hypersensitivity to slights or criticism, and an apparent inability to distinguish between fantasy and reality« (Herman et al., zitiert nach Greene 2016). Trump zeige Symptome ›mentaler Instabilität‹, und das führe zu der Frage, ob »his fitness for the immense responsibilities of the office« gegeben sei. Die Professoren der Harvard Medical School und der Universität von Kalifornien hatten dem Präsidentschaftskandidaten deshalb geraten, sich einer »full medical and neuropsychiatric evaluation« zu unterziehen. Bisher ist Trump ihrem Ersuchen nicht nachgekommen.41 Offenbar rechtfertigt auch hier der Begriff der Krise einen derartigen Schritt, rät die Disziplin doch in der Regel von Ferndiagnosen dieser Art ab. Allen Frances hatte seine Kollegen deshalb zur Ordnung gerufen: »I find this careless, and politically motivated, use of Personality Disorder Diagnoses inappropriate, inaccurate, and troubling.« (Frances 2017) Vielversprechender scheint mir eine ganz andere Frage zu sein, die bisher vor allem im Zusammenhang mit dem Geniebegriff in der Kunst erörtert wurde: Welche Chancen bietet die Politik ›mentaler Instabilität‹? Trump mag sich selbst als »sehr stabiles Genie« thematisieren (vgl. Gstalter 2018), doch könnte es hier gerade auf seine Instabilität ankommen. Ohnehin ist ja nicht ausgemacht, dass er tatsächlich den medizinischen Kriterien der Instabilität genügt, auch wenn man sie leicht in sein Verhalten hineinlesen kann, genauso wie seine ungewöhnliche Zähigkeit und ein – wenn man so will – fast schon pathologisches Durchhaltevermögen, das angeblich auch in seiner Unterschrift Form annimmt.42 Frances hatte deshalb wider besseres Wissen folgende Diagnose gewagt: »Trump’s behavior causes a great
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deal of significant distress and impairment in others, but he seems singularly undistressed and his obnoxiousness has been richly rewarded, not a source of impairment.« (Frances 2017) Doch weder sein Aussehen noch seine ›entsetzlichen Eigenschaften‹ können als Gründe für die beobachtete Krise gelten.43 Und auch nicht das vermeintliche Chaos bzw. die »Dysfunktionalität« (Obama 2018) im Weißen Haus, die Beobachter an den vielen Leaks und Personalwechseln, dem unzureichenden Entscheidungsmanagement und den widersprüchlichen Stellungnahmen seiner Akteure festmachen. Wenn man sich in Ablehnungen engagieren will, muss etwas Höheres auf dem Spiel stehen als ungehobelte Manieren, Narzissmus, Impulsivität, lächerliches Aussehen, ein bestimmter Kommunikationsstil oder eine schlampig arbeitende Verwaltung. Was ist dieses Höhere im Falle Trumps? Rufen wir uns, bevor wir weitergehen, noch einmal die Funktionsweise des Immunsystems in Erinnerung. Ich hatte gesagt, dass es auf ein als Bedrohung wahrgenommenes Phänomen reagiert: nicht so sehr auf eine Person, sondern eher auf eine als fehlerhaft eingeschätzte ›Politikerzelle‹. Was genau wird aktiviert, wie sehen die Antikörper, also die Ablehnungssymbole in seinem Fall aus? Groitl fasst die Vergehen des Kandidaten Trump wie folgt zusammen: »In seinem Wahlkampf hat er gelogen, Minderheiten beleidigt, sich rassistisch und sexistisch geäußert, mit kruden Parolen provoziert, seine Gegenkandidatin Hillary Clinton diffamiert und mit haltlosen Manipulationsvorwürfen den demokratischen Prozess beschädigt.« (2017) Sofort wird deutlich, dass zu den Ablehnungsyymbolen nicht nur gleichsam flache Werte wie gutes Benehmen, angemessenes Verhalten usw. gehören, sondern vor allem tiefe Werte wie Demokratie, Gleichheit oder Wahrheit. Es sind diese Werte, die im Fall Trumps bevorzugt aufgerufen werden. Trump-Gegner Jeff Flake bemüht conscience und principle, der ehemalige FBI-Chef John Brennan von Integrität, James Comey von higher loyalty und honor, um Trumps Defizite in seinem Buch »Größer als das Amt« wie folgt zusammenzufassen: »Der gegenwärtige Präsident ist ein Mann ohne Moral und agiert ohne jede Bindung an die Wahrheit und die Werte unserer Demokratie. Unter seiner Führung verkommt Politik zum reinen Geschäft, er ist egozentrisch und verlangt persönliche Ergebenheit.« (2018: 373) Für Michiko Kakutani, die ein Trump-Zeitalter postuliert, ist er gar mitverantwortlich für den ›Tod der Wahrheit‹ (die sie in ihrem Buch freilich wiederauferstehen lässt, vgl. 2018). Auch für den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden steckt viel mehr hinter Trumps Verhalten als nur eine psychische Störung: »He is just trashing American values the way he
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talks about people, the way he makes fun of people, the way he denigrates folks […] I got to tell you, I think there is a method to his madness because he wants you to get down in the mosh pit with him.« (Biden, zitiert nach Tackett 2018) All diese Symbole richten sich wie kleine Kompassnadeln am Magneten Trump aus. Es entsteht ein Muster aus Ablehnungen, das man als Trump-typisch bezeichnen könnte. Das ›Unpräsidiale‹ seines Verhaltens kommt hinzu, die vermeintliche Missachtung des höchsten zu vergebenden Amtes in den USA.44 Nicht nur der ständige Verstoß gegen ›ungeschriebene Gesetze‹ (Zschäptitz 2018), auch der gegen die geschriebenen gehört hierher, seien es die vielen unterstellten Interessenkonflikte, die vermeintliche Behinderung der Justiz oder die sogenannte collusion, also die angeblich zum Zwecke des Wahlsiegs verheimlichten Absprachen mit der russischen Regierung. Diese Verstöße gegen das Recht stehen bisher (Stand Januar 2019) nur als Vorwürfe im Raum. Trump »hat Recht«: Bis zu dem Moment, in dem man ihm die Absprache nachweist, existiert sie nicht, nur als Wunschtraum seiner Gegner, die sich hier selbst nicht an die Spielregeln der Demokratie halten (was ihnen ironischerweise der Demokratie-Gegner Trump vorwirft, Stichwort Unschuldsvermutung). Kurzum, was die Abwehrreaktion rechtfertigt sind vor allem Verstöße gegen die politischen Sitten der USA. Es sind diese Verstöße, die als Bedrohung wahrgenommen werden – bedroht ist das demokratische Gewebe der USA, »the very structure of our governance« (William D. Ruckelshaus), deren Unversehrtheit es aus Sicht der Antikörper zu erhalten gilt. Trump ist ein politischer Krankheitserreger, was zuletzt die Missachtung seiner Person rechtfertigt, also den Rückgriff auf Moral – ganz so, als gehörten Moral und Wahrheit jenseits ihres Symbolcharakters tatsächlich zum politischen Repertoire. Wobei ausgerechnet der Lügner Trump Befürwortern wie Gegnern als ehrlich gilt, als jemand, der im Gegensatz zu den professionellen Politikern etwa auf die Heuchelei der politischen Korrektheit verzichte: »U. S. President Donald Trump can be accused of having many faults, but hypocrisy is not one of them.« (Farrell and Finnemore 2017; zum Risiko, das Trump mit diesem Verzicht in Kauf nimmt, gleich mehr.) Das starke, entschlossene Engagement, das seine Gegner an den Tag legen, hängt direkt mit der Natur des normativen Erwartens zusammen, mit einem »Norm Commitment« (Goode), das Emotionen erwartet (vgl. Luhmann 1984: 441, siehe auch Goode 1960: 256 f.). Aber nicht etwa, weil es sich bei Normen um emotionale Einstellungen handelt, sondern weil das hohe Risiko der Kontrafaktizität und Unbelehrbarkeit durch entsprechende interne Einstellungen aufgefangen werden muss. Nur sie können die
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geforderte Durchhaltebereitschaft zugleich garantieren und plausibel machen (vgl. Luhmann 1984: 442). Die Trump-Gegner versuchen verzweifelt, die Normen wiederherzustellen, sie erwarten von Trump Entschuldigungen (er kommt ihrem Ersuchen ab und an äußerst widerwillig nach, seltene Beispiele wären Charlottesville und Helsinki), während die TrumpBefürworter durch die »America First«-Norm gebunden sind, die es ihnen erlaubt, dem Druck zu widerstehen und nicht zuletzt Trumps viele Skandale zu übersehen. In beiden Fällen wird das Risiko intern kompensiert – und in beiden Fällen werden die Normen in ›Mitwirkungspflichten‹ übersetzt, um die Situation zu bereinigen (vgl. Luhmann 1984: 442). Es ist offensichtlich, dass er nur noch geringe Chancen hat, die Missachtungskomponente zu reduzieren und in Richtung Achtung zu verschieben. Tatsächlich könnte man ja auch darauf achten, was Trump sonst noch ist und zu bieten hat. Anders als viele seiner Vorgänger hat er beispielsweise noch keinen Krieg angefangen: »Trump is a uniquely grotesque individual, but nothing he’s done so far has been nearly as destructive as the Iraq War.« (Goldberg 2018) Er selbst könnte auf die soziale Gegenstrategie des Verzeihens setzen, die dann allerdings erfordern würde, dass er sein Leben grundsätzlich umstellte – und das wäre für ihn nicht ungefährlich, weil die Gesellschaft auf Wiederholungen des als moralisch negativ verbuchten Verhaltens hoch allergisch reagiert (einmal abgesehen von der Frage, ob Trump es überhaupt psychisch verkraften könnte, dass ihm verziehen wurde). Vor allem aber erfolgt die Zuteilung von Missachtung nicht einfach so, spontan und umstandslos – und wie erwähnt keineswegs nur, weil er sich nicht zu benehmen weiß und etwa gegen diplomatische Ge pflogenheiten verstößt. Genau deshalb ist eine Renormalisierung der Sachlage so problematisch. Da er in den Augen seiner Gegner das Gewebe der amerikanischen Demokratie bedroht, lässt er sich nicht als Einzelfall isolieren und wie ein Tumor einfach herausschneiden – er hat die Gesellschaft ja bereits angesteckt. Er ist in genau diesem Sinne keine Hexe. Das wäre für die Gesellschaft durchaus von Vorteil: Man jagt ihn, verbrennt ihn, und kann anschließend weitermachen wie bisher – es gäbe nichts zu lernen. Trump ist aber genauso wenig ein Unfall, um mit Luhmann und 50 Cent eine ›kühlere Semantik‹ zu bemühen (vgl. Kurtz 2017), eine akzidentelle Schädigung, die als Zufall abgewickelt und deshalb als einmalig und unwiederholbar abgefangen werden kann, mag für seinen Wahlsieg auch eine seltene Ursachenkonstellation verantwortlich sein (was die genaue Definition von Unfall ist, vgl. Luhmann 1984: 442, 454). Auch in diesem Fall gäbe er weder zu normativen Sanktionen noch zu lernender Anpassung Anlass.
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Von Trumps Unfähigkeit kann jedenfalls keine Rede sein. Das ist offenbar die Ansicht des anonymen Op Ed-Schreibers der New York Times, der von den Defiziten einer Einzelperson ausgeht, die das Gerüst aber nicht bedrohen können (Anonymous 2018) – zumindest solange eifrige Verwaltungsbeamte wie er weiterhin pflichtvergessen ihrem Dienst an der amerikanischen Allgemeinheit nachkommen.45 Doch der oberste Entscheider der USA hat sich in Sachen Machtausübung bisher als durchaus fähig gezeigt, worauf die damalige Pressesprecherin des Weißen Hauses mit Recht hinwies, nicht ohne die Trump’sche Andersartigkeit bzw. Alternativität zu würdigen: »Sometimes it is unconventional, but he always gets results.« (Sanders, zitiert nach Breuninger and Mangan 2018) Dafür stehen die Steuerreform genauso ein wie die Durchsetzung seiner zwei SupremeCourt-Kandidaten und ganz generell seine Fähigkeiten als ›Teflon-Präsident‹ (vgl. Chugani 2018).46 Wie bereits angedeutet spielen die mit der Selbstbeschreibung der Gesellschaft beauftragten Massenmedien bei der Krisenwahrnehmung eine Hauptrolle (vgl. Luhmann 1996a: 173). Sie sind es, die gleichsam das Orchester der Beobachter dirigieren, und da die Mehrzahl von ihnen Trump negativ sieht, hat er kaum eine andere Wahl, als ihre Glaubwürdigkeit infrage zu stellen, womit er bei seinen Wählern offenbar höchst erfolgreich ist. Trump mag begeistert von den Möglichkeiten der Täuschung sein (vgl. Trump and Schwartz 1987, T. Schwartz 2018), aber er setzt auch in hohem Maße auf das kommunikative Potenzial einer ›durchschauten Täuschung‹, indem er für seine Wähler die Täuschungen der Massenmedien – mit Adorno: der Kulturindustrie – durchschaut.47 Aus ihrer Übereinstimmung, die in einer nicht mehr konsenspflichtigen Welt in der Tat überrascht, wird eine Verschwörung – und Trump erweist sich auch und gerade in deren Diffamierung als hoch intelligent, denn die kommunikativen Bedingungen der modernen Gesellschaft begünstigen Aussagen, die bestimmte Realitätskonstruktionen als falsch deklarieren und stattdessen eine andere Welt anbieten.48 Es ist nicht nur die Diskreditierung der Medien, die es hier zu beachten gilt, sondern auch seine Gegenerzählungen oder »alternative facts« (so Kelly-Anne Conways brillante Wortschöpfung). Diese Erzählungen kommen ohne die für die Massenmedien so wichtige Empathie aus – schließlich geht es um eine Alternative. Stattdessen nutzt Trump ein anderes ihrer Mittel: das der Skandalisierung. Er skandalisierte den Umgang mit Kavanaugh, wies auf die Misstände in der Trump-Berichterstattung der Massenmedien hin und bediente sich dieser Strategie auch im Zusammenhang mit seiner Google-Kritik: »Google search results for ›Trump News‹
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shows only the viewing/reporting of Fake News Media. In other words, they have it RIGGED, for me & others, so that almost all stories & news is BAD. Fake CNN is prominent. Republican/Conservative & Fair Media is shut out. Illegal? […] They are controlling what we can & cannot see.« Wobei der Widerstand, auf den er und seine Anhänger stoßen, eher als Steigerungsmotiv wirkt – nämlich radikalisierend (vgl. Luhmann 1996b: 168). Zwar verschweißen sie ihre Sicht auf die Realität mit der eigenen Identität, aber sie sind weit davon entfernt, sie als bloße Projektion zu behaupten. Sprich: dass die Aufgabe der Massenmedien nicht in der korrekten Wiedergabe der Realität liegen könnte, scheinen sie genauso wenig zu sehen wie die Medien selbst, denen sie mit Trump Versagen, verzerrte Berichterstattung und Meinungsmanipulation vorwerfen.49 Genau deshalb muss Trump immer weitertwittern, also in einem fort Information erzeugen und interpretieren. Jeden Tag bietet er eine alternative Welt- und Gesellschaftsbeschreibung an, an der sich zwar nicht die Gesellschaft orientiert, wohl aber seine Anhänger. Bisher hatten die Medien die Exklusivrechte an dieser Sonderleistung inne. Der »modern day president« (Trump über Trump) macht auch damit Schluss – und sorgt hier und da durchaus für Momente der Erleuchtung, zum Beispiel indem er mit Hilfe eines alternativen Fotos auf die Selektivitätsfilter der Medien aufmerksam macht (vgl. Herbert 2018). Oder mit der erwähnten Google-Kritik auf die Macht der Suchmaschinen bei der politischen Meinungsbildung hinweist (vgl. Hancock, Metaxa-Kakavouli, Park 2018, die dem Hinweis nachgegangen sind und ihm zumindest teilweise zustimmen: »Trump is right about one thing: search engines, like other media sources, have some power over the information that citizens seek.«).
Progressiver Konservativismus Der Immunvergleich dient keineswegs nur als Analogie, er ist nicht nur metaphorisch gemeint, sondern funktional, kann aber allzu leicht »überdeutet« werden. Robert Mueller III als Fresszelle zu beschreiben, die darauf aus ist, den Krankheitserreger Trump zu umfließen, in sein Plasma aufzunehmen und zu verdauen, würde nicht nur dem Sonderermittler unrecht tun.50 Wichtig ist aber der Hinweis, dass die Funktion des sozialen Immunsystems nicht einfach darin besteht, Abweichungen zu korrigieren und den vorherigen Zustand wiederherzustellen. Es muss flexibel genug sein, brauchbare Änderungen auch anzunehmen, dient also nicht
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notwendig dem Erhalt der attackierten Strukturen (vgl. Luhmann 1984: 504). Nehmen wir das Beispiel einer Firma, die in Schwierigkeiten gerät, und dann saniert werden muss, die also ihre Strukturen ändert, um weitermachen zu können. Bekanntlich hat Trump diesen Vergleich im Hinblick auf die USA bemüht: Die Firma USA schreibe rote Zahlen, es müsse deshalb darum gehen, die Verluste dauerhaft zu beseitigen und die Rückkehr zu kapitalerhaltenden Gewinnen zu ermöglichen. Da personelle Einschnitte oft das letzte Mittel sind, um ein schwere Verluste einfahrendes Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren, waren die Ängste des Personals nachvollziehbar. Sie sollten sich bewahrheiten: »There are nearly 80 000 thousand fewer federal employees today than there were when Trump came in office«, meldet David Bossie von Fox News Vollzug. »This president is focused on the deconstruction of the administrative state.« Und Forbes assistiert: »President Trump’s White House payroll has 374 employees, that’s 95 fewer staffers than Barack Obama at the same point in their presidencies.« (Andrzejewski 2018) Sind seine Änderungen also womöglich brauchbar? Hat er die dringend benötigte Wende eingeleitet? Die Gesellschaft mag den Status quo bevorzugen, die liberalen Massenmedien mögen die Demokratie für ein hohes Gut halten, das stets bejaht werden muss – doch es ist das Nein, wenn man so will: der Verstoß, der sie vor der Erstarrung in nicht mehr adäquaten Verhaltensmustern schützt. Der Schutz der Immunreaktion gilt also nicht etwa einem bestimmten politischen oder wirtschaftlichen Programm; was hier gesichert wird, ist nicht die Kontinuität der Demokratie oder des Freihandels. Die Immunreaktion schützt die Fortsetzung der Kommunikation und in diesem Sinne die Gesellschaft selbst, wie immer diese im Einzelnen programmiert ist. Vielleicht tun die USA ja gut daran, die Regeln zu ändern, wie Trump vorschlägt? Und mit der Selbstüberforderung Schluss zu machen, die Wohlfahrtsstaat und Weltherrschaft der amerikanischen Politik auferlegen? Den Aufstieg Chinas zu blockieren, das die Idee der freien Marktwirtschaft für die bösen Zwecke der Welteroberung benutzt? Die durch Wahlen bedingte, von Wählerinteressen abhängige demokratische Insta bilität durch eine an langen Fristen orientierte, stabile Herrschaft zu ersetzen? Unterschätzen wir aber nicht das konservative Moment, das nicht nur jede Gesellschaft, sondern auch die Evolution selbst auszeichnet. In den Worten seines Vorgängers: »The status quo pushes back.« (Obama 2018) Es könnte sein, dass der heftige Widerstand der Trump-Gegner nicht nur damit zusammenhängt, dass der neue Präsident bestimmte Werte aus der
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politischen Kommunikation der USA ausschließen will; sondern vor allem damit, dass er das politische Verhalten selbst ändern möchte, also tiefsitzende Gewohnheiten, gleichsam den Charakter der amerikanischen Politik. Damit macht uns Trump nicht zuletzt darauf aufmerksam, wie wenig hilfreich klassische Differenzierungen wie konservativ und progressiv oder rechts und links heute noch sind, um die politischen Lager zu unterscheiden. Der Präsident gehört zwar einer konservativen Partei an, ist aber abgesehen von seinem Bezug auf einige konservative Kernthemen alles andere als konservativ; im Gegensatz zu den vermeintlich progressiven Demokraten, die das Erreichte bewahren möchten. Trump ist ein progressiver Konservativer, und zwar auf einer ganz grundsätzlichen Ebene: weil er will, dass die Zukunft anders ist als die Gegenwart. Er möchte den Zustand also gerade nicht konservieren, sondern ändern, etwa den Bedeutungsschwund der USA nicht bewahren, sondern die alte ›Greatness‹ zurückholen. Er will gerade nicht nichts machen und die Realität akzeptieren, wie sie ist – »Es ist, wie es ist«, laut Luhmann das tautologisch-ontologische Credo aller Konservativen –, höchstens möglichen Abwegen (Schwulenehe etc.) vorbeugen. Wirklich konservativ ist er nur in Bezug auf einige wenige, aber dafür umso wichtigere konservative Flagship-Themen: pro-life, pro-guns, contra Steuererhöhungen. Hier dürfte sich einer der Hauptgründe für Trumps Diffamierung der Verwaltung finden, die gezwungen ist, äußerst vorsichtig zu agieren, ja deren Funktion die Vorsicht ist, das Er- und Festhalten an einmal etablierten Abläufen. Es ist kein Zufall, dass die Verwaltungsbeamten ihren Widerstand gegen Trump nicht nur politisch und rechtlich, also funktional, sondern immer auch mit dem Hinweis auf Normen und Werte rechtfertigen. Ethik verweist auf das, was akzeptiert ist, man könnte sagen: auf das ›Establishment‹ (im Sinne des Etablierten). Das Problem ist die Heftigkeit von Trumps Attacken, der, wie es scheint, Änderungen um jeden Preis durchsetzen will. Sein ehemaliger Konsultant Steve Bannon verwendet das Wort ›Revolution‹, und tatsächlich verdankt das Wort konservativ der Französischen Revolution seine Entstehung. Konservativ war, wer sich gegen die Ideen der Französischen Revolution stellte. Heute kann als konservativ gelten, wer sich gegen die Ideen der Amerikanischen Revolution stellt, auch wenn Bannon sie mittlerweile wieder für beendet erklärt hat.51 Für seine Gegner ist es günstig, dass Trump ein schlechter Heuchler ist, denn Heuchelei wäre ein effektives Mittel, seine radikalen Absichten zu verstecken (vgl. Weick 1977: 207 ff.). Doch Heuchelei gehört nicht zum Lieb-
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lingsrepertoire der neuen Regierung, die Absage an die übliche politische Heuchelei ist Bestandteil des Trump’schen Markenkerns. Allerdings scheinen Bannon und Trump sich von der Praxis des Umstürzens grob vereinfachte Vorstellungen gemacht zu haben. Gerade Organisationen leisten gegen Neuerungen erheblichen Widerstand, sie stehen aus systemimmanenten Gründen, die die Kontrolle von social action betreffen, jeder »fresh action« skeptisch gegenüber (White 2008: 281). Das gilt keineswegs nur für Organisationen: der Status quo hat gesamtgesellschaftlich stets eine größere Legitimität und wird daher in der Regel verteidigt. Wer Strukturen und Praktiken ändern will, und vor allem, wer akzeptierte Normen und Werte infrage stellt, begibt sich in ein »ambivalentes Licht« (Luhmann). Auf Heuchelei als jene Technik, die dazu dienen könnte, das Neue im Alten zu verstecken, kann Trump aber auch deshalb nicht zurückgreifen, weil er das Neue ja sichtbar machen muss. Neuheit ist Teil seines Versprechens: »From this day forward, a new vision will govern our land […] A new national pride will stir our souls, lift our sights, and heal our divisions.« (Trump 2017a) Das Gleiche gilt in Bezug auf die links/rechts-Unterscheidung, die ebenfalls seit der französischen Revolution in Betrieb ist. Bekanntlich trafen sich die Anhänger der radikalen Prinzipien damals auf der linken Seite der Versammlungsräume, während die rechte Seite eher von den gemäßigten oder restaurativen Kräften benutzt wurde. Erst im Laufe des 19. Jahrhundert wurde das Schema mit sozialistischen Ideen aufgefüllt, worauf die Rechte ihren konservativen Charakter verlor und sich im Gegenzug zum Vertreter der Wohlfahrtsgewinne mauserte, die man sich von der Dynamik eines freien Marktes versprach (vgl. Luhmann 2002: 187). Trump, der sich aufgrund seiner Parteizugehörigkeit offiziell auf der rechten, konservativen Seite positioniert, nimmt in Wahrheit beide Momente des Schemas in Anspruch. Einerseits stellt er die Republikaner als eine Art ›Arbeiterpartei‹ vor, aber anders als die Linke geht er davon aus, dass Arbeitsplätze nur mit einem erheblichen Kapitalaufwand und nur bei günstigen Standortbedingungen zu erhalten sind. Seine Grenzpolitik wiederum würde es rechtfertigen, seinen Standpunkt als rechts zu bezeichnen, ist ein Rechter doch eher bereit, so Dirk Baecker, Exklusion hinzunehmen, während die Linke am Prinzip der Inklusion aller festhält (vgl. Baecker 2008: 609). Auch seine Steuerreform folgt konservativen Prinzipien. Seine Politik der Strafzölle dagegen kann als linkspopulistisch beschrieben werden. Trump verwende »eine Arbeiter- und Farmerrhetorik, die jeden Klassenkämpfer zieren würde«, so Reiermann (2018: 66). These und Antithese verbänden sich in der ›Synthese Trump‹ – was es wiederum
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erlauben würde, ihn zumindest geistesgeschichtlich dem linken Lager zuzuordnen. Doch weder hebt Trump die Gegensätze auf einer höheren Ebene auf, noch handelt es sich heute noch um Gegensätze. Stattdessen wird das Schema von der laufenden Politik je nach Anlass mit Inhalten gefüllt. Es mag zwar die Erinnerung an die französische Revolution und sozialistische Ambitionen wachhalten und in diesem Sinne bekannte Strukturen vorgeben, dient aber vor allem dem Zweck, politische Konflikte zu inszenieren; je nachdem, welches Thema gerade auf der Tagesordnung steht, lassen sich hier ganz unterschiedliche Einträge vornehmen (vgl. Luhmann 2002: 95). Selbst der Begriff des Liberalismus, der ursprünglich die Freiheitsrechte des Einzelnen preist und zum Grundinventar ›westlicher Werte‹ gehört, kann dann der linken, vermeintlich ›totalitären‹ Seite zugeordnet werden. Er steht dann nicht mehr für eine moderne, pluralistische Demokratie, sondern für die idealistische Schwäche der Weltverbesserer, die sich mit der Realität nicht abfinden wollen und partout darauf bestehen »weniger gut etablierten Bevölkerungsteilen« (Luhmann) zu helfen. Mögen die Unterscheidungen konservativ/progressiv bzw. rechts/links also nur noch wenig hilfreich sein, wenn es darum geht, heutige politische Positionen zu analysieren – um die gegnerische Seite bezeichnen zu können, erweisen sie sich für Demokraten wie Republikaner nach wie vor als nützlich: »The Left has become totally unhinged. They no longer care what is Right for our Countrty [sic]!« Wie ich weiter oben angedeutet habe, lässt sich die Differenz vor allem in Bezug auf unterschiedliche Zeitwahrnehmungen nutzen (vgl. Luhmann 1997: 1078 f.). Aus Sicht der Konservativen ergibt sich die Zukunft aus der Gegenwart, und der Kontrast zwischen Zukunft und Vergangenheit sollte eher abgeschwächt werden; aus Sicht der Progressiven gilt es, den Kontrast zu verschärfen und dafür zu sorgen, dass die Zukunft beseitigt wird – zum Beispiel die Zukunft einer brachliegenden amerikanischen Stahlindustrie oder die Zukunft einer lächerlichen Nation: »We don’t want other leaders and other countries laughing at us anymore […] and they won’t be.« (Trump, zitiert nach McGrath 2017) Konservativ dagegen erscheinen seine Gegner, denn sie sind es, die wollen, dass alles mehr oder weniger so bleibt, wie es ist: das atlantische Bündnis, die Gesundheitsreform, das Pariser Abkommen. Und natürlich sollen sich Präsidenten weiterhin so benehmen, wie es bisher für Präsidenten üblich war. Umgekehrt ist nicht erkennbar, was genau die sogenannten Konservativen eigentlich erhalten möchten, wenn man von Stahlfabriken und Denkmälern für Sklavenhalter absieht; es scheint gegenwärtig eher so zu sein, dass die Demokraten Dinge be-
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wahren möchten, die Trump infrage stellt.52 Grundsätzlich macht es also mehr Sinn, ihn als progressiv zu begreifen, denn aus seiner Sicht kann vieles nicht so bleiben, wie es ist. Nicht zuletzt ist Trump auch progressiv im Hinblick auf seine Interpretation der Rolle des Politikers, die alles andere als traditionell ist; man denke allein an seine Tätigkeit als Twitter-Verleger. Es gilt, Ruhe zu bewahren und sich dem durch Zeitdruck begründeten Entweder-oder, das die Krisenrhetorik uns aufdrängt, mit einem Wedernoch zu entziehen – nicht zuletzt deshalb, weil der Zeitdruck selbst ein Krisensymptom darstellt. Es mag durchaus so etwas wie eilige Letztentscheidungen geben; die Entscheidungen, die unsere Selbstzerstörung verhindern und unser Überleben auf diesem Planeten sichern sollen, würden sich für diesen Rang eignen. Doch die Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten war ganz sicher keine. Auch eine Überreaktion des Immunsystems kann bekanntlich zum Tod führen. Typisch für Immunreaktionen ist, dass sie automatisch, ohne Kognition, erfolgen, und genau diesem Mangel will ich mit vorliegender Untersu chung abhelfen.53 Dabei wird gerade der Umstand, dass Trump als ›nicht dazugehörig‹ diskriminiert wird, für mich von besonderem Interesse sein – und das nicht nur, weil es sich bei ihm um eine »unglaubliche Story« (Wolff 2018) handelt.54 Sondern vor allem, weil genau diese ›Nicht-Dazugehörigkeit‹ ihn für viele Wähler so attraktiv gemacht und zuletzt ins Präsidentenamt befördert hat. Die Krise der Politik, die Luhmann bereits Anfang der 1980er Jahre zur Sprache brachte und deren Ursache er in der Selbstüberforderung des Wohlfahrtsstaates sah (vgl. Luhmann 2011), konnte Trump, den ausgewiesenen Nicht-Politiker, nicht beschädigen – im Gegenteil. Dass sie in Trump nun ihre Fortsetzung findet, ist nicht ohne Ironie: die Antwort auf die Krise wäre nicht ihre Eindämmung, sondern deren Verschärfung.
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Ich hatte zunächst das Bild einer Immunantwort gewählt, um mich dem Phänomen Trump zu nähern, und die Gesellschaft mit einem Organismus verglichen, die auf einen als fremd erkannten Reiz reagiert. Auslöser einer solchen Immunantwort beim Menschen können zum einen krankhaft veränderte Zellen des eigenen Körpers sein – und auf die Gesellschaft bezogen: das Infragestellen bestimmter Grundwerte. Aus dieser Perspektive erscheint der Lärm um Trump als Ausdruck einer verborgenen Zweckmäßigkeit, als eine Art Aufschrei der Gesellschaft über eine furchtbare Fehlentwicklung, ähnlich dem Fieber, das anzeigt, dass eine Entzündung vorliegt. Die zuständigen Ärzte sind offenbar der Ansicht, dass er nicht hierhin gehört, dass er beseitigt werden muss, dass er bösartig ist. Es liegt dann nahe, Trump als Krebsgeschwür zu thematisieren, das an der Präsidentschaft nagt (vgl. Capehart 2017). Oder davon zu sprechen, dass Trumps »›Fake News‹ Propaganda Campaign« Metastasen ausbildet (vgl. Bort 2018). Um ihn als Krebsgeschwür thematisieren zu können, müsste man die Gesellschaft vor Trump allerdings als gesund beschreiben – und im jetzigen Zustand: als krank und unter Umständen heilbar. Anschließend könnte man unterschiedliche Arzneien diskutieren. Tatsächlich wird genau das zurzeit getan. Die Rezepturen lauten: mehr Frauen in die Politik; den Rechten Begriffe wie Heimat, Vaterland usw. nicht überlassen und ein linkes Gegen-Narrativ entwickeln; protestieren, natürlich; Zivilcourage; Aussöhnung; Psilocybin (weil dessen halluzinogener Effekt zur Aussöhnung führt); offene Briefe und Onlinepetitionen unterschreiben; mit Hashtags (#MuslimBanProtest, #NoBanNoWall etc.) Solidarität kundtun; Geld spenden, etwa an die American Civil Liberties Union (ACLU); oder, was die Demokraten empfehlen: Demokraten wählen. Da Trump selbst offenbar nicht zu reparieren ist, schließt man ihn einfach aus – er ist dysfunktional und gehört wie ein Tumor entfernt. Aus der amerikanischen Geschichte lässt er sich zwar kaum mehr herausschneiden, aber vielleicht © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_2
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aus dem Präsidentenamt? Das ist in einer demokratischen Gesellschaft bekanntlich durch Wahlen möglich – und im äußersten Notfall: durch eine Amtsenthebung (was dem in die Machtfülle der Autokraten verliebten, von der Tyrannei versuchten Trump zugutekommt: seine Ermordung ist nicht wirklich eine Option). Aber wenn man schon so unterscheiden möchte: Ist dann nicht eher die amerikanische Kultur das Problem, die – um im Bild zu bleiben – diesen bösartigen Tumor nicht nur ausgebildet, sondern auch dessen Wachstum entscheidend befördert hat? Denn warum bilden sich überhaupt »fake news-Metastasen« aus? Welcher ›Nährboden‹ begünstigt hier die Anschlüsse? Warum wird ein Kandidat gewählt, der lügt, Minderheiten beleidigt, sich rassistisch und sexistisch äußert und seine Gegenkandidatin diffamiert? (Vgl. Groitl 2017) Anders gesagt, der Tumor Trump hat eine Funktion, er ist als Problem schematisierbar. Die These dieses Buches ist, dass das Phänomen Trump auf ein Fundamentalproblem der modernen Gesellschaft hinweist. Weshalb sich viele funktionale Äquivalente finden lassen, die auf dieses Problem bezogen sind. Trump stellt lediglich eine unter mehreren und vergleichbaren Problemlösungen dar (vgl. Fuchs 2004: 27). Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, auf den Bereich der Biologie zurückzugreifen: indem man Trump als Parasiten begreift – als einen ›Mitesser‹.55 Das meine ich nicht negativ. Ich gehe nicht davon aus, dass Trump seinen ›Wirt‹ schädigt. Stattdessen begreife ich den Parasiten mit Michel Serres (1987) als einen Motor der Evolution oder mit Luhmann: als einen Mechanismus, der strukturabhängige Möglichkeiten nutzt (vgl. Luhmann 1997: 661). Der Parasit »tritt zur Seite, er schweift ab« (Serres 1987: 53). Das kann er nur, weil es etwas gibt, von dem sich abschweifen lässt. Das ist zunächst die Ordnung der Politik. Sie beruht – wie jede andere Ordnung auch – auf Ausschließungen. Man könnte auch von einem ›Invisibilisierungseffekt‹ sprechen, der jedem Formgebrauch zugrundeliegt. In diesem Sinne hat der Parasit Trump an den herrschenden Gepflogenheiten und sozialen Praktiken der amerikanischen Politik die Vorteile der Abweichung entdeckt. Er ist zwar keineswegs der erste, der sie für sich zu nutzen weiß. Neu ist indes, mit welcher Deutlichkeit ein amerikanischer Präsident nicht nur von einem würdevoll-präsidialen Verhalten, sondern auch von vielen als ›amerikanisch‹ identifizierten, in der Verfassung kodifizierten Grundwerten abweicht. Die von ihm attackierte etablierte ›politische Klasse‹ bzw. das politische Establishment bedient sich in einem fort dieser Sprache der Werte, auch wenn ihr niemand diese »Heuchelei zweiter Ordnung« (Luhmann) noch
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abkauft. Sie ist genau deshalb ein lohnendes Angriffsziel. Die ›intelligente Intelligenz‹ der Politiker dient Trump als Kontrastfolie für ein als ehrlich und geradlinig eingeschätztes Verhalten: »Trump never ran for archbishop, so you never saw anything in his behaviour that was saintly, and that was fine. Whereas Obama behaved like the Archbishop of Canterbury, and was going to do good but people didn’t feel their lives were better.« (Taleb, zitiert nach Haidar 2017) Trump verurteilt die Heuchelei denn auch nicht moralisch – er weicht ab und verzichtet darauf. Das erklärt seine Abneigung gegenüber dem Pathos der »Thousand-points-Kampagne« George H. W. Bushs, »intended to be a nice heartwarming reference to the supposed inherent goodness of the ›American People‹. You should imagine stars in the firmament, and hope […]« (David Kahana 2018). Für diese metaphernreiche Gutmenschen-Rhetorik – die zu allem Überfluss an die »Hundert-Blumen-Bewegung« Maos erinnert, mag es sich ursprünglich auch um eine Thomas Wolfe-Referenz gehandelt haben (Wolfe 2011: 431) – hat er nur Verachtung übrig: »The thousand points of light, what the hell was that by the way? Thousand points of light, what did that mean, does anyone know? I know one thing, Make America Great Again we understand. Putting America first, we understand. Thousand points of light, I never quite got that one. What the hell is that? Has anyone ever figured that one out? And it was put out by a Republican, wasn’t it?« (Trump, zitiert nach Moran 2018d) Genau hier findet sich jener soziale Mechanismus, den ich als parasitär begreife, und der es erlaubt, die im Ausgeschlossenen liegenden Ordnungsvorteile zu nutzen. Dazu gehören auch die Chancen, die sich im Bereich der herrschenden Kultur bieten, also etwa die Möglichkeit, gegen Normen zu verstoßen, und die Chancen der politischen Inkorrektheit wahrzunehmen56 – um dann erfreut festzustellen, dass dieser Verstoß auf Zuspruch stößt (Metastasen ausbildet) und bei den Normvertretern Abwehrreflexe, aber auch Ohnmacht auslöst.57 Es könnte hilfreich sein, einmal – gleichsam politisch inkorrekt – die Vorteile von Ungleichheit zu diskutieren, etwa unter dem Aspekt der Arbeitsteilung. Hier geht es mir aber zunächst nur darum, auf die Chancen hinzuweisen, die diese Struktur Trump bietet, der an ihr erfolgreich parasitiert. Nicht nur im Hinblick auf das öffentliche Ideal, sondern auch durch die Forderung, die Zone der Exklusion zu befestigen. Die Heuchelei einer flüchtlingsfreundlichen Politik macht Trump nicht mit, der die ›Loser‹ aus der Gewinnerzone, der Inklusionszone, heraushalten möchte. Was auf der Gesetzgebungsebene ohnehin schon geschieht, aber öffentlich (bisher) nicht zugegeben werden kann, gibt er zu: dass es ihm darum geht, die USA
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in eine Festung zu verwandeln, damit der Exklusionsbereich der »shithole countries« diese Inklusionszone nicht diffundieren kann (vgl. Kirby 2018). Auch das selbstbewusste Zurückweisen dessen, was man einst emphatisch Bildung genannt hat, gehört hierher. Stolz sendet Trump Signale aus, die auf sein Unvermögen hinweisen – ihm reicht die Definition durch Herkunft. Dass ihm die Aneignung von Kultur oder gar innerer Werte nie gelungen ist, dass ihn seine Sozialisation nicht ausreichend gegen Verführungen und Korruption hat schützen können, erweist sich als Chance. Konsequent nutzt er die Möglichkeiten, die sich im Ausschlussbereich von Geist und gebildetem Verhalten bieten – die Möglichkeiten eines anderen als des gesellschaftlich anerkannten Wegs der Selbstdarstellung. Durch sein politisch inkorrektes Verhalten, seine expressive, rohe Individualität wirkt er darüber hinaus authentisch: als heuchle er nicht, als stimmten das Innen und das Außen bei ihm überein. Genau das werfen ihm die Massenmedien vor – und fordern: doch bitte ›nach außen hin‹ den Anschein zu wahren. Wenigstens so zu tun, als ob: »Auch frühere US-Regierungen hielten es mit den Menschenrechten nicht immer so genau. Doch wenigstens wahrten sie nach außen hin den Anschein. Trump legt die brutalen Transaktionen offen, die sonst hinter den Kulissen stattfinden und unter ihm, so zeigt der Fall Khashoggi, eine neue Dimension gewinnen. Trump gibt sich nicht mal ansatzweise Mühe, sein Kalkül zu kaschieren.« (Pitzke 2018b) Seine Ehrlichkeit tut weh. Lügen und Betrügen sind zwar nicht gern gesehen, aber brutale Transaktionen gehören hinter die Kulissen. Der Geschäftsmann Trump weigert sich gleichsam, »eine Abgabe an die allgemeine Kasse der Menschlichkeit zu entrichten« (so eine von Luhmann zitierte Formulierung in »William Lovell«, vgl. Tieck 1986) – die Abweichung bringt mehr Rendite. Folgt man Lili Loofbourow, ist Trump viel schlimmer als ein Heuchler, weil er nicht einmal versuche, in Moralität zu investieren: »What he is demonstrating is that he will say anything – really, anything – to make the story he wants to be true.« (Loofbourow 2017) Seine Befürworter sind überzeugt: Trump ›says what he believes‹. Die Massenmedien dagegen bezweifeln es: »Trump doesn’t believe much of anything, and is making it up as he blusters along« (Sargent 2015). Für mich kann es allerdings nicht darum gehen, ob Trump an etwas glaubt oder nicht, denn auch das ist schlicht nicht objektivierbar. Sondern nur darum, ob seine Darstellung eines Menschen, der an etwas glaubt – und zudem sagt, an was er glaubt, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste –, gelingt. Und das scheint der Fall zu sein. Das Gelingen dieser Darstellung hängt unmittelbar mit dem üblichen Misstrauen gegenüber Politikern zusammen, die selten als authentisch
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wahrgenommen werden – und es auch kaum sein können. Denn die Fähigkeit, andere zu täuschen, ist für einen Politiker – und vor allem für den Souverän eines Staates – eine Überlebensnotwendigkeit. In den Worten von Trumps Vorbild Richard Nixon: »If you can’t lie, you’ll never go anywhere.« (Zitiert nach Steele 1981) Das galt schon für die Herrscher vormoderner Zeiten: »Zu reden statt zu schweigen, würde bedeuten, den Gegnern Gelegenheit zu geben, die guten Pläne des Fürsten vor der Zeit zu sabotieren.« (Fuchs 2013) Es gilt erst recht, seit die Politiker einer massenmedialen Rundumbeobachtung ausgesetzt sind. Will ein Politiker dieser Beobachtung etwas entziehen, hat er keine andere Wahl als die Kunst der Täuschung zu erlernen (was nicht ausschließt, dass er sich zusätzlich eines als Catch and Kill bezeichneten, möglicherweise illegalen Verfahrens bedient, also ein Pakt mit den Medien schließt). Ein Politiker könnte seine Vorhaben natürlich auch einfach still in sich bewahren, nur wäre er dann handlungsunfähig. Er muss also, indem er redet, anders denken, kurz: lügen können. »Er darf gerade nicht die moderne Narretei der Ehrlichkeit, der kommunikativen Transparenz ausüben, sondern muss über hinreichend Intelligenz verfügen, die Kunst zu beherrschen, nicht zu meinen, was er sagt. Er muss, wie man auch formulieren könnte, im Blick auf Dissimulieren-können eine üppigere Intelligenz entwickeln als der Durchschnittsmensch, der wegen des Fehlens dieses Überschusses an Täuschungsmöglichkeiten Untertan ist und gerade nicht: Fürst.« (Fuchs 2013) Die Betonung liegt auf ›entwickeln‹, denn mag der Fürst auch qua Geburt das Recht zum Regieren haben, die Kunst der Täuschung gilt es zu erlernen. Aus der Sicht Luhmanns ist Heuchelei – neben dem Moment der Karriereorientierung – für die Politik von essenzieller Bedeutung. Sie ist das, was die heuchelnden Politiker im Rahmen der Finanzkrise als Argument für den Erhalt schwächelnder Kreditinstitute geltend machten: systemrelevant (vgl. Luhmann 2008b: 187). Vor Trump war es politischer Konsens, dass die Kunst der Täuschung im Dienste durchgehaltener Ziele, die sich auf die allgemeine Wohlfahrt, auf das Gemeinwohl beziehen, durchaus erlaubt sei und nur dann Anlass zur Verurteilung gebe, wenn der Souverän eigennützig handelt, es also zu einem Interessenkonflikt kommt, wie er etwa in Helsinki beobachtet wurde. Die Profession des Politikers hatte darin ihre differentia specifica – und genau diese Kunstausübung machte sie den Wählern gegenüber verdächtig. Zwar ist Trump kein typischer Politiker, aber auch er heuchelt natürlich – vor allem indem er heuchelt, nicht zu heucheln, also absichtlich nach außen hin das Bild eines Menschen vermittelt, der ehrlich sei. Ganz ohne konventionelle Heuchelei kommt aber selbst Trump nicht
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aus, weshalb er hin und wieder darauf zurückgreift, etwa den Zusammenschlusss des Landes anmahnt – »I just want to tell you that in these times, we have to unify […] We have to come together and send one clear, and strong message that acts of threats or political violence have no place in the United States of America« (zitiert nach Mark 2018) –, die Verunglimpfung politischer Gegner verurteilt – »No one should carelessly compare political opponents to historic villains, which is done often« (zitiert nach BBC 2018d) –, mithilfe einer brutal einfallslosen Verfassungs-Paraphrase einen schwarzen Bürgerrechtler ehrt – »Today we celebrate Dr. Martin Luther King Jr. for standing up for the self-evident truth Americans hold so dear, that no matter what the color of our skin or the place of our birth, we are all created equal by God« (zitiert nach Diamond, Vazquez 2019) – oder kurz nach einer gezielten Beleidigung (Deutschland werde von Russland kontrolliert) behauptet, er habe eine ›sehr, sehr gute Beziehung‹ zu Angela Merkel: »We have a very, very good relationship with the chancellor. We have a tremendous relationship with Germany.« (Zitiert nach Haltiwanger 2018a) Das ist vor allem praktisch – denn genau wie im Falle der ›tiefgründigen‹ Lüge kann er so Handlungsspielräume offenhalten. Der zweite Weg, den er benutzt, ist weniger raffiniert. Er führt die »doppelt destillierte Lüge« (Thomas Carlyle) auf ihre Wurzel zurück: auf die Heuchelei erster Potenz namens Lüge. Auf genau diese einfachen Lügen bezieht er sich deshalb auch gern, wenn es um andere Politiker geht: »He told me that he had nothing to do with it […] He told me that maybe, I would say, five times.« (Zitiert nach Garza 2018) Dabei kommt ihm zugute, dass Moral heute einen »altgewordenen, zerfurchten Eindruck« macht (vgl. Luhmann 2008b: 144). Trumps Unmoral wirkt frischer, dynamischer, kraftvoller. So antwortet etwa Mike Pence auf die Frage eines Reporters, ob es Trumps Recht sei, zu lügen: »It’s his right to express his opinion as President-Elect of the United States, I think (that’s) one of the things that’s refreshing about our President-Elect […]« (zitiert nach Smith 2016) Die Anschlussfrage des Reporters George Stephanopoulos – »Why is it refreshing to make false statements?« – wäre damit beantwortet. Sie sind erfrischend, gerade weil sie falsch sind. Es kommt ihm aber auch aus den eben erwähnten Gründen zugute: weil die allgemeine Vorstellung ohnehin ist, dass die Politik immer auch ein unlauteres (zur Lüge und Intrige zwingendes) Geschäft ist. Der TrumpWähler hegt keine Bewunderung für besonders raffinierte Strategen dieses Berufes wie wir sie etwa in Barack Obama finden, und auch die taktischen Finessen Angela Merkels gehören hierher. Er misstraut dieser »Überschussintelligenz« (Peter Fuchs) vielmehr, die Kenner der Materie
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durchaus goutieren können. Trumps Unwillen oder Unfähigkeit sich zu verstellen, so sehr sie ihm zuletzt womöglich zum Verhängnis werden mag, gereicht ihm im Hinblick auf seine Wähler zum Vorteil. Nicht zuletzt weicht Trump von der üblichen politischen Rhetorik ab: »When Trump was running for election, I said what he says makes sense to a grocery store owner. Because the grocery guy can say Trump is wrong because he can see where he is wrong. But with Obama, he can’t understand what he’s saying, so the grocery man doesn’t know where he is wrong […] What he says makes common sense, asking why are we paying so much for this rubbish or why do we need these complex taxes, or why do we want lobbyists.« (Taleb, zitiert nach Haidar 2017) Aus der Sicht eines Popstars: »being NOT a politician« (so Shania Twain in einem Tweet, die Angewohnheit des Präsidenten, in Versalien zu schreiben, kopierend) bedeute: to talk to »a portion of America like an accessible person they could relate to« (zitiert nach Harmon 2018). *** Die Chancen der Abweichung finden sich nicht nur auf der Makro-Ebene der primären Sozialstrukturen, man findet sie nicht nur in dem, was politische Kultur genannt wird, sondern auch auf der ›Mikro-Ebene‹: in den sozialen Strukturen der Person und der Rolle, die den Einschluss der Menschen in die Systeme ermöglichen – und zwar durch Ausschluss. Denn auch das, was eine Person ist, beruht auf Ausschließungen, genau wie das, was eine Rolle charakterisiert. Im Fall der Person wird das ausgeschlossen, was man von dieser oder jener Person nicht erwartet, und zwar schlicht deshalb, weil sie dieses Verhalten bisher nicht an den Tag gelegt hat. Im Fall der Rolle sind bestimmte Verhaltensweisen nicht erwünscht – im Hinblick auf Brett Kavanaugh kann man zwischen der Rolle des Teenagers und der des Richters unterscheiden, die je unterschiedliche Verhaltensweisen lizensieren. Ich komme im zweiten Teil ausführlich darauf zurück, will an dieser Stelle nur auf die Chancen hinweisen, die beide Strukturen Trump bieten. Bisher hat er von der Möglichkeit der Abweichung nur im Hinblick auf die Rolle des Politikers und hier insbesondere die des Präsidenten Gebrauch gemacht, indem er sie zugunsten der Person verschob. Seiner Person wiederum, von der man die Abweichung von Normen geradezu erwartet, ist er weitgehend treu geblieben. Sollte man sein Mussolini-Zitat als bewusste Abweichung, als einen gezielten Verstoß gegen die Sitten begreifen? Oder stand ihm die Ursache seines Verhaltens in diesem Fall psychisch nicht zur Verfügung? Die Web-
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seite Gawker hatte Trump in Versuchung geführt und diverse Zitate des Duce mit dem Hashtag »#MakeAmericaGreatAgain« gekoppelt, Trump das Zitat anschließend retweetet. Der damalige Chefredakteur John Cook hatte zunächst Bedenken, »that it ›wouldn’t trick anyone but a complete idiot‹« (Wright 2018). Doch die Frage, ob es sich bei ihm um einen Faschisten handelt, konnte damit nicht zufriedenstellend beantwortet werden. »He tweets like one«, so Gawker. Ob es Sinn ergibt, ihm diese Abweichung als kognitive Eigenleistung zuzurechnen, ist eine Frage; dass er mit dieser normfreien Äußerung abgewichen ist, eine andere. Letztere lässt sich umstandslos mit ›ja‹ beantworten. Trump hat das anonyme und objektive Gebot, keine Faschisten mit Zitaten zu würdigen, ignoriert – und damit erneut gegen Erwartungen verstoßen. Gewiss könnte man ihn auch als Geisteskranken bzw. Idioten beschreiben, was sein Handeln gleichermaßen als unfreiwillig wie als unbeeinflussbar ausweisen würde. Damit würde man allerdings nur den nächsten »Ausschaltknopf« (Jannis Brühl) betätigen. Oder als ›charakterlos‹, mit Karl Jaspers: »als Seele, die ihre Unreinheit nicht spürt und nicht ständig daraus herausdrängt, sondern gedankenlos im Schmutz fortlebt« (vgl. Arendt und Jaspers 1993: 177). Dann kann man sich auf der Seite des Charakters positionieren. Generell gilt, dass derjenige gedankenlos ist, der sich an die Norm hält, also ›mitläuft‹, während die Abweichung eine kognitive Eigenleistung erfordert, nämlich den bewussten Verstoß gegen die Regel.58 Trump wäre also alles andere als charakterlos – denn dass es in der Gesellschaft nicht gern gesehen wird, wenn man Faschisten zitiert, sich über Missbrauchsopfer lustig macht oder Menschenrechte für zweitrangig erklärt, dürfte ihm klar sein. Im Falle des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi bemüht er »America’s economy and jobs« (PTI 2018), im Falle Blasey Fords den politischen Sieg, um sich darstellen zu können. Er würde, um im Bild zu bleiben, gleichsam aus der ›Reinheit‹ herausdrängen: gedankenvoll. Und das Mussolini-Zitat? Stammt zufällig von einem Faschisten, ist davon abgesehen aber »ein sehr gutes, sehr interessantes Zitat« (Trump, zitiert nach Wright 2018). Dass diese Norm gegen die gleichsam höheren Norm des Antifaschismus schlechte Karten hat, ist ihm mit Sicherheit bewusst – doch die Realität sieht, wie Trump weiß, anders aus: »I’m not a baby.« (Zitiert nach Stahl 2018) Man könnte ihm zugute halten, dass sich Realitätsdefizite in der Tat nicht im Normativen ausgleichen lassen. So oder so, mit dem Mussolini-Retweet und der Verhöhnung Dr. Fords wich Trump ab – und erfand so, wie Serres es für Parasiten vorsieht, eine neue Möglichkeit: »weil er nicht wie alle speist, konstruiert er eine neue Logik.« (Serres 1987: 58) Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Neuheit jenseits der üblichen
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Dämonisierungen zu analysieren. Vor allem gilt es, auf die von den Massenmedien so ausgiebig bemühte Moral zu verzichten, da sie selbst Teil der von Trump verletzten Strukturen ist, genau wie die Normen, die sie schützen sollen. Diese Strukturen sind wie eingangs erwähnt nicht fest. Wenn der amerikanische Präsident etwas tweetet, dann erneuert sich die Struktur der Massenmedien dadurch, wie sie an diesen Tweet anschließen, nämlich anders als etwa die Politik oder das Recht. Es sind diese fortwährenden Anschlüsse, die einschränken, was möglich ist und was nicht – und so das produzieren, was ich Struktur nenne. Gerade weil politische Strukturen Einschränkungen festigen, ist die Beobachtung dieser Strukturen im Hinblick auf Donald Trump so ertragreich. In der Regel funktioniert die Politik einfach vor sich hin. Trump dagegen weicht ununterbrochen ab. Er akzeptiert die Einschränkungen nicht, die ihm die Politik auferlegt; und macht erst durch die Abweichung sichtbar, was ansonsten geräuschlos – ›einfach so‹ – vor sich hinfunktionieren würde. Zum Beispiel das von Präsidenten erwartete würdevolle Verhalten.59 Eine Struktur ist also keine Ursache, sie produziert nichts, etwa einen Konflikt mit einer anderen Struktur. Aber natürlich kann man ihr positiv oder negativ gegenüberstehen. Wenn etwas als abweichend bestimmt wird, wird die Struktur sichtbar, von der abgewichen wird – anstatt sie, wie üblich, zu bestätigen. Eigenartigerweise wird Struktur selten als Voraussetzung, als eine Art ›Ermächtigungsgesetz‹ für Handlungen gesehen, also positiv bestimmt, sondern in der Regel eher negativ: dann engen Strukturen ein, lähmen, bremsen. Doch ohne sie würden wir in einem sozialen Vakuum handeln und vermutlich, so Luhmann, nicht einmal feststellen können, ob überhaupt gehandelt wurde (vgl. Luhmann 1984: 384). Trumps Strukturverständnis im Hinblick auf die Politik – und hier insbesondere auf die Verwaltung – bemüht die alltägliche Sichtweise: er begreift Strukturen als Hindernisse, die ihn dabei stören, seine Agenda umzusetzen. Ein Hinweis darauf, dass schon das Bestellen einer Cola auf diesen Einschränkungen aufruht, diese Bestellung allererst möglich machend, könnte Trump womöglich von ihrem Potenzial überzeugen. Ein »Get me a Coke, please« ist nur deshalb möglich, weil die Sozialstruktur nahezu alle anderen denkbaren Möglichkeiten ausschaltet (vgl. Moran 2018a). In diesem Sinne ist eine Struktur ein Etwas, das erst durch den Störfall erschlossen wird, weil es vorher gleichsam nicht vorhanden war (vgl. Fuchs 2010: 160) – zum Beispiel, wenn sich die Coke mit einem Mal nicht mehr bestellen lässt. Weder handelt es sich um laufende Potenzialitäten, noch lassen sie sich aktualisieren, sprich: sie führen keine Eigenexistenz.
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Auf ihr Sein kann man nur mittels ›technischer Störungen‹ schließen: »Sie imponieren als Form, wenn das ›Statthafte‹, als das Normale oder Erwartbare, unterschieden und bezeichnet wird anhand nicht-konformer Verläufe.« (Fuchs 2010: 160) Diese Störfälle, die eine ganze Reihe von unterschiedlichen Strukturen sichtbar machen, verursacht Trump pausenlos, vor allem im politischen Bereich, nicht zuletzt im Hinblick auf die Wahrnehmung seiner Rolle als Präsident, deren schematische Wirksamkeit er zugunsten einer deutlichen Personalisierung erheblich minimiert, aber auch im Hinblick auf die Rollenperformance anderer oder im Hinblick auf zivilisatorisch standardisierte Grundwerte. Es sind diese Störfälle, die Woodward und andere zum Anlass nehmen, von chaotischen Verhältnissen im Weißen Haus zu sprechen – dabei übersehend, dass das Chaos ›in Ordnung‹ ist, also selbst eine konsistente Struktur aufweist, deren Verästelungen und Ausprägungen ich in diesem Buch nachgehen will. Es mag eigenartig klingen, aber was der Parasit Trump tut, ist keineswegs dysfunktional. Vielmehr überführt er die Kehrseiten der funktionalen Differenzierung, ihre Dysfunktionalitäten, in Funktionalitäten und macht sie derart operativ handhabbar. Die Frage ist, ob die USA, was viele befürchten, ja: als Schreckgespenst an die Wand malen, nun vom Zustand der Ausnahme oder der Abweichung in eine neue, parasitäre – womöglich faschistische – Ordnung übergehen. Michel Serres, dem ich den Begriff des Parasiten verdanke, konstatiert: »Die Abweichung wird zur Statik.« (Serres 1987: 53) Erst versagt dieser Pfeiler, dann der nächste – weicht bald alles ab? Sind wir Zeugen einer Bifurkation, schlagen die USA gerade einen Weg ein, der sie unwiderruflich in Richtung Totalitarismus führt, gleiten sie vom Zustand der Ausnahme oder der Abweichung über in eine neue Primärordnung? Oder ist die Aufregung um Trump gerade ein Hinweis darauf, dass sie nach wie vor fest im Gerüst der funktionalen Differenzierung eingespannt ist? Der Parasit testet eine Möglichkeit der Abweichung – ob sie letztlich verworfen oder für immer mehr Anschlüsse benutzt wird, ist offen. Noch wackelt das neue Gebäude erheblich, kann von Normalität bzw. ›Stillstand‹ (statikos bedeutet ursprünglich »zum Stillstand bringend«) nicht die Rede sein. Aber sein wichtigster Pfeiler – Trump in der Rolle des abweichenden Präsidenten – hat sich bisher als äußerst stabil erwiesen.
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Selbstausgrenzung Es könnte aufgrund dieser deutlichen Abweichungen Sinn ergeben, Trump als deviant zu bezeichnen und mit dem Instrumentarium Howard S. Beckers zu traktieren (vgl. Becker 1963). Hatte Becker sich noch ausschließlich mit Minderheiten wie Homosexuellen und Jazzmusikern (»homosexuals and drug addicts«) befasst, mit sogenannten underdogs, macht die Herkunft Trumps eine Modifikation des Konzepts nötig. Man könnte in seinem Fall stattdessen von einem overdog sprechen. Becker führt zunächst unterschiedliche Bestimmungsmöglichkeiten des Außenseiters an, bevor er seine eigene vorstellt, etwa die statistische Definition, die ich kurz im Hinblick auf Trump überprüfen will. So ist offenbar, dass Trump sich deutlich von einem gewöhnlichen Politiker unterscheidet. Sein unpräsidiales, ungehobeltes Verhalten, seine vulgäre Sprache, aber auch sein Status als Millionär differ from what is most common. Doch es sind laut Becker nicht so sehr die »personal and social characteristics of deviants«, die Außenseiter zu Außenseitern machen, sondern »the process by which they come to the thought of as outsiders« (Becker 1963: 2). Es ist dieser Zuschreibungsprozess, für den er sich interessiert und der unter dem Namen labeling theory Karriere machte. Denn: »Just because one has committed an infraction of a rule does not mean that others will respond […]« (Becker 1963: 2). Kurz gesagt: ohne Anschluss kein Normbruch. Beckers Innovation bestand in dieser konstruktivistischen Bestimmung des Außenseiters: »The deviant is one to whom that label has successfully been applied; deviant behavior is behavior that people so label.« (Becker 1963: 9) Diese Zuschreibung kann Trump für sich in Anspruch nehmen. Mehr noch, in seinem Fall ist der Außenseiter selbst derjenige, der den Status erfolgreich für sich reklamiert – als positive Eigenschaft, weil alle, die ›drinnen‹ sind, sich schuldig gemacht haben: »I’m an outsider fighting for you […] The corrupt media, which is totally corrupt […] is working along with the political Establishment and is totally panicking.« (zitiert nach Gray, Snavely 2016) ›Draußen‹ zu sein bedeutet zunächst einmal: kein Teil jenes Sumpfes zu sein, den Trump trockenzulegen versprach. Nur dass es bei ihm nicht um ein gesamtgesellschaftliches Außenseitertum geht, das er als erfolgreicher Unternehmer und Millionär auch kaum für sich reklamieren kann, sondern darum, zu kreuzen – die erfolgreich bewohnte Innenseite der Wirtschaft zu verlassen und auf die Innenseite des Politikhabitats zu wechseln. Dass der Außenseiter, der nun faktisch ein ›Innenseiter‹ ist, dieser Außen-
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seiterrolle weiterhin gerecht werden muss, macht Trump zu einer beinahe tragischen Figur. Wobei die moderne Gesellschaft nur eine Form der Abweichung kennt: den Widerstand. Dieser Widerstand wiederum tritt in zweifacher Form auf, als Fundamentalismus (Widerstand gegen den Vergleich) und Terrorismus (Widerstand gegen den Versuch, sich dem Vergleich zu entziehen; vgl. Baecker 2008: 77). Man ist zunächst versucht, Trump nur das erstere zuzuschreiben. Als Abweichler eignet ihm aber durchaus eine gewisse terroristische Qualität. Er wirft zwar keine Bomben, aber sein Verhalten bewirkt das Gleiche – und inspiriert offenbar auch echte Bombenleger. Es ist darauf angelegt, gegen ein »Das tut man nicht!« massiv zu verstoßen: »You know, they have a word. It sort of became old-fashioned. It’s called a nationalist. And I say, really, we’re not supposed to use that word. You know what I am? I’m a nationalist, OK? I’m a nationalist.« (Trump 2018) Auf diese Weise erreicht er, dass bestimmte Werte und Normen sich dem Vergleich aussetzen und ihre eigene Kontingenz eingestehen müssen. Darin besteht seine momentane Überlegenheit gegenüber denen, die mit einem Mal das Selbstverständliche legitimieren müssen. Die Antwort darauf kann eigentlich nur sein, ihm seine eigene Kontingenz – wenn man so will: seine eigene Modernität – vorzuführen. Kein leichtes Unterfangen, denn genau diese Kontingenz (»Schau, es geht auch anders! America Second! Black Supremacy!«) wird vom Fundamentalisten bockiert. Die Idee des Außenseitertums ist, wie Becker gezeigt hat, eng verknüpft mit dem abweichenden Handeln, das er als »failure to obey group rules« begreift. Erst dieses von der Gesellschaft als abweichend beglaubigte Handeln macht den potenziellen Außenseiter zum tatsächlichen, beglaubigt den ihm von der Gesellschaft zugewiesenen und im Fall von Trump selbstbewusst übernommenen Status. Denn wer abweicht, ist nicht notwendig ein ›Versager‹, wie Trump demonstriert. Wer nur kopiert, wer nur tut, was von allen erwartet wird, unterscheidet sich nicht. »Zu den Kulturmustern der Moderne gehört aber nicht zuletzt die hohe Bewertung individueller Besonderheit, ja Einzigartigkeit.« (Luhmann 2002b: 49) Würde Trump die Regeln befolgen, also bestimmte gesellschaftliche Normen, die beispielsweise von Politikern und insbesondere von Parteimitgliedern ein bestimmtes Verhalten erwarten, würde er sich damit nicht nur zu einem korrupten Insider machen, sondern auch wesentliche Momente seiner Individualität einbüßen. Es ist für ihn deshalb von essenzieller Bedeutung, die von ihm verlangten Anpassungsleistungen im Bereich der Politik weiterhin zurückzuweisen, und zwar gerade, weil er die Grenze von außen nach innen erfolg-
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reich gekreuzt hat. Etwas, das er in der Folge ständig zu invisibilisieren sucht: zum einen durch sein offensiv und selbstbewusst prozessiertes abweichendes Verhalten, mittels dessen er nicht nur etablierte diplomatische Protokolle verletzt, sondern auch ganz normale Umgangsformen; zum anderen dadurch, dass er die Rolle des Außenseiters weiterhin explizit für sich reklamiert, etwa indem er die Verantwortung für von ihm verantwortete Gesetzesentwürfe zurückweist oder sich bei seinen Wahlkampfveranstaltungen explizit über die Präsidentenrolle lustig macht.60 Trump ist dazu verdammt, seinen Anhängern weiterhin glaubhaft zu vermitteln, dass his line of action does not fit in (Becker 1963: 18), dass er »less like them« ist: less like a real politician, less like a Republican, less like the establishment etc. Noch aber ist er kein true outsider. Denn auch wenn er im Zuge seiner Darstellung gegen viele Normen verstoßen hat, so hat er doch bisher beispielsweise keinen Mord begangen. Die Äußerung, dass er einen begehen könnte und ihn diese Tat keinerlei Wählerstimmen kosten würde, ist zwar ein weiterer Normverstoß, aber deshalb noch lange nicht strafbar.61 Auch seine Unehrenhaftigkeit und Unkonventionalität sind kein Grund, ihn des Amtes zu entheben: »I’m not advocating impeaching Trump because he’s unconventional, or because of his politics, or because of his personality.« (Lichtman 2017) Und natürlich gilt für den Präsidenten der USA im Gegensatz zu den von Becker untersuchten Außenseitern: he is less likely to be taken to the police station. Erst eine rechtskräftige Verurteilung etwa aufgrund der Behinderung der Justiz würde diesen Status umgehend ändern. Anders gesagt, Trump muss schon ›geschriebene Gesetze‹ brechen, will er den Rang eines echten Außenseiters beanspruchen. Dass die rechtliche Schematisierung und Technisierung der Macht ihm nicht recht sind, weil sie begrenzen, ist bekannt. Das hätte er als Insider wissen können – als Outsider musste er es in einer Art Crashkurs erst lernen. Seine Verbündeten machen die republikanischen Insider für die Probleme verantwortlich, auf die er vor allem zu Beginn seiner Amtszeit stieß: »This is not on President Trump. No one expected a business man to completely understand the nuances, the complicated ins-and-outs of Washington and its legislative process.« (Jeanine Pirro, zitiert nach Edkins 2017) Auch Moderatorin Laura Ingraham gesteht dem Neuling eine Eingewöhnungszeit zu: »It’s complex [Trump is] new to it […] he’s a year and a half into this.« (Ingraham, zitiert nach Croucher 2018) Interessanterweise ist es exakt der Status des Außenseiters, den seine Parteigenossen im Hinblick auf eine mögliche Justizbehinderung als Verteidigungsstrategie ins Spiel brachten. Womöglich nicht ohne Hinterge
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danken, denn es ist kein ganz ungefährliches Manöver: »He’s new at government and doesn’t know how to obstruct justice«, so sein Parteigenosse Paul Ryan. »And so he probably wasn’t steeped into the long going protocols that established the relationships between DOJ, FBI, and White Houses.« (Ryan, zitiert nach Lerner 2017) Es mag durchaus sein, dass Ryans Hinweis eine Art Retourkutsche an die Adresse Pirros darstellt. Indem er sich ihr Argument zu eigen macht, es nun aber auf eine mögliche Absicht to influence, obstruct, or impede the due administration of justice (so die Definition der Justizbehinderung) bezieht, kreiert er eine für den Präsidenten hoch riskante Position. Dass die Unkenntnis den Präsidenten schützt, wenn die Tatfrage – quaestio facti – einmal entschieden ist, lässt sich zwar nicht ganz ausschließen, ist aber unwahrscheinlich. Brett Edkins übersetzt Pirros Argument wie folgt: Trump weiß nicht, was er tut – er ist inkompetent.62 Aus der Sicht Trumps scheinen die Vorteile, die der Blickwinkel des Außenseiters mit sich führt, die vielen Nachteile aber deutlich aufzuwiegen. In dieser Funktion des Outsider-Insiders empfiehlt er sich Graduierten der Liberty University als Vorbild – und rät ihnen davon ab, sich im Bereich des von ihnen erfolgreich abgeschlossenen Studiums zu bewähren.63 Auch hier findet sich eine bemerkenswerte Abweichung, denn in der Regel definiert das Studium einer bestimmten Disziplin, als Einheit der Ausbildung, die Verwendbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und in beruflichen Positionen. Trump weist diese gesellschaftliche Anforderung zurück und schwärmt vor den Absolventen stattdessen von den mit dem Außenseitertum verknüpften Möglichkeiten: »It’s the outsiders who change the world.« (Trump, zitiert nach Superville 2018)64 Die Motive, die er mit diesem Bekenntnis zum Außenseitertum aufruft, können als bekannt vorausgesetzt werden. Da ist zum einen die Figur des Amateurs, der tut, was er liebt, dem es nicht aufs Geld ankommt und der jeder Professionalisierung gewollt entgegentritt, die »Negationsrückstände« der Systeme nutzend (vgl. Luhmann 2008c: 35). Das, was Ausbildung ermöglichen soll, den Zutritt zu den Teilsystemen der Gesellschaft, wird relativiert zugunsten einer Liebe, die Hobby-Akademiker und LaienPräsidenten vorsieht – Enthusiasten und ›Idioten‹ wie Trump, die an den Grenzlinien der Systeme siedeln.65 Da ist zum anderen die Vorstellung des vor lauter Spezialisierung blind für die großen Zusammenhänge gewordenen ›Fachidioten‹, ein auch im Englischen bekanntes deutsches Lehnwort, das hier vor allem das Desinteresse des Experten für what goes on around him bezeichnet, was sich also außerhalb der vom Fachmann bewohnten Innenseite abspielt.
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Jenseits der alltäglichen Diffamierungen hat die Skepsis gegenüber den Experten spätestens seit Paul Valérys Bonmot, dass ein Experte jemand ist, der sich nach Regeln irrt, auch die Wissenschaft erreicht. Daniel Kahnemanns umfangreiches Werk dient nicht zuletzt dem Zweck, diese These empirisch zu stützen und die vermeintliche Überlegenheit der Expertenurteile zu entzaubern. Das Paradoxon, dass hier ein Experte den Experten ihre Durchschnittlichkeit bescheinigt, wird dadurch abgemildert, dass der Autor seinen eigenen Untersuchungen misstraut (vgl. Kahnemann 2011). Bereits Kidder hatte sich gefragt, inwiefern das Expertenwissen überhaupt die Praxis bestimmt; die Vermutung ist, dass Organisationswissen, Milieukenntnisse, Kontaktfähigkeit und Routinen mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger sind; Trump kann sein mangelndes Wissen also kaum kompensieren, da ihm auch in diesen Bereichen die Kenntnisse fehlen (vgl. Kidder 1983). Das hat nicht zuletzt der Streit mit den Demokraten um die Finanzierung der Mauer gezeigt, der zur längsten – wenn man so will: greatest – Haushaltssperre in der US-amerikanischen Geschichte führte: »Trumps gesamtes Verhalten in den vergangenen 35 Tagen zeigt allerdings auch die Schwäche, die er als Außenseiter hat. Seine Kontrahentin Nancy Pelosi ist seit Jahrzehnten in der Politik und weiß genau, was sie zu tun und zu lassen hat, um zum Ziel zu kommen.« (Kühn 2019) Auch deshalb ist die patriotische Perspektive für den Außenseiter Trump von solcher Bedeutung, weil sie das Problem der Professionalität bzw. des Spezialistentums zu kompensieren vermag: »America First« dient Trump und seinen Anhängern als ein gemeinsamer Bezugspunkt, der über die Gräben der Funktionssysteme bzw. der Arbeitsteilung hinwegreicht. Mit einem Mal ziehen alle Teilbereiche an einem, dem nationalen Strang. Was immer jemand sein mag, ob Stahlarbeiter, Professor, Taxifahrer, Barkeeper, mit einem Mal sind sie alle Mitglieder einer nationalen amerikanischen Gemeinschaft, zu der allerdings – und hier findet sich eine weitere bemerkenswerte Innovation – längst nicht mehr jeder Zutritt hat. Laut Kahnemann ist es vor allem die Selbstüberschätzung der Experten, die fatale Folgen zeitigt, also das Vertrauen, das sie in ihre eigene Beobachtungsfähigkeit haben und haben müssen, weil Experte sein auch heißt, Begründungsansprüche erheben zu können. Zumindest über diese Selbstüberschätzung und das Vertrauen in die Richtigkeit des eigenen Urteils verfügt der gegenwärtige amerikanische Präsident in hohem Maße. Der Outsider und Nicht-Experte Donald Trump ist nicht besser oder schlechter als die Insider, profitiert aber genau wie die Experten von dem Fanatismus, eine Situation richtig einschätzen zu können. Er geht davon aus, dass
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er richtig liegt. Sein »natural instinct for science« (Trump) versorgt ihn mit Urteilssicherheit in Klimafragen, sein Genius und »a-brain« (Trump) hilft in allen anderen Bereichen: »That is probably the worst thing about him – his certainty. That all he knows is all anybody ever need to know.« (Bill Maher) Selbst-Implikation – also die Einsicht in die Relativität des eigenen Urteils – verhindert diese Hybris bzw. over-confidence, kann allerdings auch der eigenen Karriere im Weg stehen. Ein Politiker, der zugibt, skeptisch im Hinblick auf eigene Lösungsvorschläge zu sein, taugt nicht zum Helden. Auch Experten können kaum mit dem Hinweis auf die Unsicherheit ihrer Einschätzung punkten. Der zweite Aspekt, der den Außenseiterkandidaten in den Augen der Wähler wählbar machte, hängt mit der bereits erwähnten Frage der Verstellung zusammen. Man könnte ihn wie folgt zusammenfassen: »(T)here is dishonesty and demagoguery on all political sides, why not support someone from the outside?« (Doherty 2017) Trump hat diese Vorstellung, dass er als Außenseiter nicht nur anders, sondern auch ehrlicher sei als die im Sumpf der Täuschung großgewordenen professionellen Politiker, erfolgreich für sich nutzen können. Das Erstaunliche ist, dass es ihm trotz seiner zahlreichen Lügen bis heute gelungen ist, als vergleichsweise ehrlich dazustehen. Das hat vor allem mit dem von ihm erfolgreich vermittelten Eindruck der Personalität zu tun: er mag hier und da lügen, aber er bleibt sich dennoch treu – er bleibt Trump, ein ›ehrlicher Lügner‹, der bei der in Washington üblichen Heuchelei, die sich schon auf der sprachlichen Ebene als das Gegenteil der üblichen politischen Rhetorik zeigt, nicht mitmacht. Eine ganz andere Frage ist, ob er sich als Außenseiter auf der Innenseite der Politik langfristig wird behaupten können: »The question is whether this bold experiment in empowering the citizen politician will, over time, prove to be such a failure that we will look again to the people who actually know the rules and master the trade to govern us again? Or will we just move from Trump to Oprah?« (Podhoretz 2017)
3 D a s E n d e d e r a m e r i k a n i s c h e n Mi s s i o n
Dass amerikanische Präsidenten ihre Wahl als Umbruch interpretieren, ist keineswegs neu. Neu ist, dass die Wahl Trumps keine einheitsbildende war. Zwar diente auch dieser Wahlvorgang dem Zweck, der amerikanischen Nation ihre Identität bewusst zu machen, doch in diesem Fall erfolgte die Identitätsbildung über Exklusion. Die durch Trump erfolgte Neugründung der USA geschah um diesen Preis der Spaltung: auf der einen Seite die Befürworter eines rücksichtslosen amerikanischen Patriotismus (sprich: Nationalismus) – auf der anderen die Advokaten von Demokratie und Menschenrechten. Seiner Ankündigung im Zuge seiner Inauguration, ein Präsident aller Amerikaner sein zu wollen (vgl. Trump 2017a, Johnson 2017), konnte er keine Taten folgen lassen: Es hätte ihn seine Gefolgschaft gekostet. »Die Idee der ›Trump-Basis‹ ist absolut zentral, das ist ja alles, was die haben«, so Michael Wolff (zitiert nach Richter 2018). Nicht die Übereinstimmung mit allen, sondern die fundamentalistischen, auf Abgrenzung zielenden Identifikationen machen seine Politik für viele so attraktiv. Der Präsident muss deshalb weiter auf die Spannungen zwischen seinen Wählern und dem Rest der Bevölkerung setzen, auf die DSA, die Disunited States of America.66 Die Versöhnung verbietet sich aus Gründen des Machterhalts von selbst. Genau deshalb ist der Unterschied zwischen dem Wahlkämpfer Trump und dem Präsidenten Trump nicht besonders groß. Auch wenn er, wie seine vielen Vorgänger, den amerikanischen Traum von Wohlstand und Größe ins Zentrum seiner Kampagne stellte, so weicht er doch in einem wesentlichen Punkt von der Agenda dieser Vorgänger ab: demokratische Werte spielen für ihn nur eine untergeordnete Rolle. Trump verzichtet auf das bisher übliche Sendungsbewusstsein der Amerikaner, in der Welt für diese Werte einzustehen. »We are not here to lecture«, ließ er Saudi-Arabien anläßlich seiner ersten Auslandsreise wissen (vgl. Trump 2017c). Viele Beobachter bringen diesen Wertverzicht direkt mit der Ermordung Jamal Khashoggis in Zusammenhang. Denn dass er © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_3
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Saudi-Arabien in Fragen der Menschenrechte nicht belehren wollte, so der ehemalige FBI-Chef Brennan, habe dessen Herrscher dazu ermutigt, sich hier noch aggressiver als bisher zu verhalten (vgl. Lim 2018). Für Bill Clinton wie für viele andere US-amerikanische Präsidenten gehörten Wohlstand und Demokratie unmittelbar zusammen: »We began the 20th century with a choice: to harness the industrial revolution to our values of free enterprise, conservation, and human decency. Those choices made all the difference.« (Clinton 1997) Das Rezept lautete: Demokratie und Marktwirtschaft. Trump verzichtet auf die Demokratie. Seine Doktrin ist nicht daran interessiert, das außenpolitische Engagement der USA mit der demokratischen Tradition – einem ›Freiheit-haben-wir-immer-gutgefunden‹ – in Übereinstimmung zu bringen. Sein Leitmotiv »America First« ist frei vom demokratischen Ballast, mit dem seine Vorgänger die US-Politik beschwerten: »Trump’s foreign policy has […] made a break, not just with previous Republican practice, but with everything America used to stand for.« (Krugman 2018b) Es scheint, dass man seit Trump nur mehr das nationale Interesse Amerikas heranziehen muss, um die amerikanische Außenpolitik zu verstehen – eine weitere einschneidende Neuerung (vgl. Hacke 2002: 24). Der Führungswille gilt nicht mehr der Welt. Trump streicht mithin ein für Imperien wichtiges Merkmal, deren ›Mission‹ (vgl. Münkler 2005). Inwiefern das als Hinweis darauf gelesen werden sollte, dass die USA den seit Reagan auch offiziell vertretenen imperialen Anspruch der Weltherrschaft aufgegeben haben, müsste eigens untersucht werden. Michel Houellebecq ist dankbar für den Kurswechsel: »It’s very good news for the rest of the world […] The Americans are getting off our backs. The Americans are letting us exist.« (Houellebecq 2018) Die USA vor Trump hatten »das Banner der Freiheit zum Merkmal der Außenpolitik gemacht« und dem Land damit zugleich »ein Gefühl von Kontinuität und Sinn vermittelt« (Hacke 2002: 606). Von diesem Fluch, der Verantwortung für Frieden und Freiheit in der Welt nachkommen zu müssen – auch wenn sich antikoloniale Grundhaltung und Antikommunismus regelmäßig in die Quere kamen –, hat Trump das Land erlöst. Dann aber wäre er das Gegenteil einer ›Hexe‹, er hätte die verwunschenen USA stattdessen von etwas befreit, das ihr bislang nur Schaden zugefügt hat.67 Warum sah sich Trump zu abweichendem Anschlusshandeln genötigt? Der Hauptanstoß ging vom sogenannten ›Niedergang‹ der USA aus, also einer Krisensituation, weshalb man sich nicht nur innen- sondern auch außenpolitisch auf den Erklärungsansatz der Statusinkongruenz beziehen könnte. Dass seine Innovation zumindest intern anschlussfähig war, hat seine Wahl zum Präsidenten gezeigt. Sie vermochte also offenbar, situa-
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tiv zu überzeugen, wobei die eingangs erwähnte, mit Krisen verbundene Hoffnung eine wichtige Rolle spielte, die Trump überzeugend zu verkörpern vermochte. Die Wahl macht ihm nun ›konformes Abweichen‹ möglich, wie sie im Falle der Gesetzgebung vorliegt. Die Frage ist, ob sich hier auch jenseits der bisher üblichen Rhetorik etwas gewandelt hat, sie bezieht sich also auf das Ausmaß oder die Radikalität der von ihm vorgenommenen Änderung. Dabei gilt es, das Moment der Rhetorik nicht zu unterschätzen, denn wie eingangs erwähnt wirken sich semantische Formen der Selbstbestimmung ja wiederum darauf aus, wie in der Politik Information verarbeitet wird – in Luhmanns Worten: »welche Anpassungsnotwendigkeiten […] auf den Bildschirmen des Systems« erscheinen (Luhmann 1984: 477). Aus meiner Sicht verdeckt die offensive Abkehr von bestimmten, als charakteristisch geltenden idealistischen Aspekten der amerikanischen Außenpolitik zugunsten einer gleichsam ›realistischen‹ Vorgehensweise aber deren Kontinuität. Ich bin mit dieser Einschätzung nicht allein: »[T] he ongoing diplomatic strategies and logic of the US government are still a continuation of the former administrations’ policies. The difference is that the current policies have shaken off the banner of the so-called liberalism, and become simpler and cruder.« (Chenghao 2018) So wird Trump beispielsweise, genau wie viele seiner Vorgänger, vom Primat der Außenpolitik geleitet. Er ordnet seine Innenpolitik den Prioritäten der »America First«-Doktrin unter; als ein Versuch, das außenpolitische Engagement mit den nationalen Interessen der USA in Einklang zu bringen. Dabei stellt schon der Umstand, dass er überhaupt glaubt, auf eine ›Doktrin‹ zurückgreifen zu müssen, also auf eine politische Leitlinie – doxa im Sinne von Meinungswissen im Gegensatz zu strengem Wissen (episteme) – einen Anschluss an bisherige politische Gewohnheiten dar, an eine 200 Jahre alte US-amerikanische Tradition außenpolitischer Grundsätze und Handlungsanleitungen.68 Den Europäern ist diese »spezifisch amerikanische Vorliebe für außenpolitische Grundprinzipien« (Hacke 2002: 604) eher fremd. Für viele Beobachter verdeckte die bisherige Betonung der Moral, demokratischer Werte und Rechtsprinzipien ohnehin nur die eigenen nationalen Interessen der USA. In diesem Sinne könnte man Trumps Doktrin als ›ehrlich‹ bezeichnen. Seine Machtpolitik bedarf keiner idealistischen Fassade mehr. Das ›Imperium‹ hätte also lediglich »die lächelnde Maske« abgelegt, »die es unter Barack Obama getragen hat« (Junge Welt 2018). Anders als seine Vorgänger will er zwar den freien Handel nicht fördern. Aber schon Clinton und Obama verfolgten das Ziel, die internationalen Lasten und Kosten von anderen Staaten stärker mittragen zu lassen.
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Auch die Beschränkung auf Handelsfragen ist nicht neu, sondern stellt eine Rückkehr zu den Anfängen der amerikanischen ›Greatness‹ dar: »Im Wissen um ihre wirtschaftliche Kraft wollten die USA vor allem wirtschaftlich in der Welt dominieren.« (Hacke 2002: 57) Anstatt den Weg einer Imperialmacht zu gehen, setzten sie auf ein ›informelles Imperium‹, das sie mit der Hilfe Großbritanniens errichteten – als eine Art »stiller Teilhaber der englischen Weltgeltung« (Hacke 2002: 57). Auch Fröhlich weist auf das Kontinuitätsmuster der amerikanischen Außenpolitik hin, das von geostrategischen Nationalinteressen bedingt werde und im Laufe der Zeit lediglich eine ideologische Erweiterung erfuhr (vgl. 1998). Dazu trugen vor allem Faschismus und Kommunismus bei. Sie erlaubten es, die handelspolitische, profitorientierte Komponente mit Visionen und Konzepten anzureichern, ja ›schönzureden‹. Fast alle us-amerikanischen Präsidenten befleißigten sich deshalb einer moralisch codierten Rhetorik, die es erlaubte, die eigenen Absichten und Einstellungen auf der guten Seite der Welt zu platzieren. Die außenpolitische Geschichte der USA, abgefasst in dieser Rhetorik, liest sich dann so: »America became the world’s mightiest industrial power, saved the world from tyranny in two World Wars and a long cold war, and time and again reached out across the globe to millions who, like us, longed for the blessings of liberty.« (Clinton 1997) Seit Trump wird die Idee von Amerikas Einzigartigkeit und Größe nicht mehr mit der Idee von Amerikas Vorbild und Auftrag in der Welt verknüpft – dem Auftrag, in den Worten Bill Clintons, »einen neuen Gemeinsinn für ein neues Jahrhundert zu gewinnen.« (Zitiert nach Hacke 2002: 604) Clintons »menschliche Belange« (»human affairs«) sind zu ›amerikanischen Belangen‹ geworden. An die Stelle des globalen Gemeinsinns, eines sensus communis, ist ein amerikanischer Eigensinn getreten, eine gleichsam unethische Ethik, die nur noch vorsieht, sich für das Wohl Amerikas einzusetzen. Was einst als für das Gemeinwohl störend empfunden wurde – Egoismus, Hang zum Vorurteil (so zumindest Wanninger 1998) – ist für diesen gemeinen Eigensinn nun konstitutiv. Zwar halluziniert Trump – genau wie Clinton – ein promised land, aber dieses Versprechen gilt nur noch für jene, die sich schon ›drinnen‹ befinden – und die Bürger Norwegens (vgl. Kirby 2018). Ohne Hemmungen spricht er über wirtschaftliche Eigeninteressen der USA, anders als fast alle seine Vorgänger. Da ihn geltende Moral, demokratische Werte und Rechtsprinzipien nicht behindern, muss er die eigenen nationalen Interessen aber auch gar nicht verdecken. Mit einer gewissen Schamlosigkeit setzt er sie an die erste Stelle. War das Bestreben seiner Vorgänger, die eigene, an Profit und Macht-
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gewinnen orientierte Politik moralisch zu qualifizieren, besser? Wer so fragt, ist der Moral bereits in die Falle gegangen. Politisch lassen sich die Versuche der USA, ins Weltregiment einzugreifen und sich für gute Dinge einzusetzen, jedenfalls nicht rechtfertigen; es handelt sich vielmehr um ein klaren Mißbrauch der eigenen Macht (vgl. Luhmann 2008b: 167). Der Verzicht auf Moral als politisches Programm ist sozusagen moralisch geboten. Was eine Nation für gut (Demokratie, ›Freiheit‹) und für schlecht (›Tyrannei‹) hält, lässt sich zwar begründen, aber kaum mehr auf eine sozial akzeptable Zentralformel reduzieren. *** Ein kurzer Vergleich mit früheren Präsidenten kann das Mischungsverhältnis aus Änderung und Erhaltung verdeutlichen, das für jede Strukturänderung wesentlich ist. So hatte bereits Kennedy ein außenpolitisches Umdenken gefordert und auf eine gewisse imperiale Überbeanspruchung hingewiesen.69 Seine Antwort, um den in Sichtweite geratenen Niedergang der USA zu verhindern, war die Anerkennung von new frontiers, die auch den einstigen moralischen Forderungen neue Grenzen setzten.70 Trumps neue Grenzen befestigen die alten, überwunden geglaubten – auch nach innen. Die größte Kontinuität zeigt sich im Hinblick auf den auch von den Massenmedien gern im Zusammenhang mit Trump beschworenen Richard Nixon. Allerdings nicht so sehr in Bezug auf dessen Rechtsverständnis. Auch Nixon hatte mit dem Vorwurf leben müssen, ›unamerikanisch‹ zu handeln, da er ähnlich wie Trump weniger in idealen und moralischen, sondern vor allem in machtpolitischen Kategorien dachte. Nixons Taktik, neoisolationistische Tendenzen zu neutralisieren, war ein ›begrenztes Entgegenkommen‹; ein »Drahtseilakt, der Balance und Klugheit erforderte« (Hacke 2002: 602). Doch die Nixon-Doktrin hatte der Trump-Doktrin gegenüber einen entscheidenden Nachteil: sie war zu komplex, um sie in eine schlüssige Erzählung zu überführen, und ließ sich den Amerikanern deshalb nicht vermitteln. Mit Carter verbindet ihn mehr, als man zunächst vermuten mag. Da wäre zum einen seine Rolle als Außenseiter: »The idea of a morally upright outsider cleaning up the nation’s capital remains so potent and alluring that 40 years later, it’s still the heart of the narrative spun by most of the 2016 presidential candidates.« (Vgl. Allen 2015) Da wäre zum anderen seine gegen die übliche politische Professionalität ausgespielte Ehrlichkeit: »On the trail, Carter found that what voters wanted most at a time of
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deep mistrust of government was a president who would simply be honest with the American public. So he had developed a response that he delivered, in slightly varying wording, to voters all across the country: ›If I ever lie, or even make a misleading statement, don’t vote for me.‹« (Allen 2015) Für manche Beobachter war es diese Ehrlichkeit, die Carter für das Amt des Präsidenten – und ein Leben in Washington – von vornherein disqualifizierte: »If Jimmy Carter had really been honest, he would have realized from the start that he belonged in Georgia, NOT the White House. His ambition overrode his honesty, and blinded him to that truth.« (Steve Gibson, zitiert nach Quora 2017) Paradoxerweise ist die Trump-Doktrin ähnlich realitätsfremd wie die idealistische Menschenrechtsdoktrin eines Jimmy Carter, wenn nicht realitätsfremder. Mit Clinton schließlich verbindet ihn die Betonung der Ökonomie bzw. die Ökonomisierung der Außenpolitik, doch kann man im Falle Clintons kaum von einer Doktrin sprechen. Und genau wie der ungeliebte Vorgänger Obama, auf den das 2009 verabschiedete »Buy American«-Gesetz zurückgeht, das vorsah, bei geförderten Investitionen und Projekten nur in den USA hergestellte Güter zu verwenden, versucht auch Trump, möglichst viel international fluktuierendes Kapital und möglichst viel Arbeit ins eigene Staatsgebiet zu ziehen.71 Amerikaner zu sein, so schon Obama damals, müsse sich wieder ›auszahlen‹. Auch der Nafta-Vertrag stand bereits damals zur Diskussion: »Ich sage, wir werden aussteigen aus Nafta, bis wir es neu verhandeln, und wir verhandeln es neu zu Bedingungen, die Vorteile bringen für alle Amerikaner.« (Zitiert nach Graw 2017) Doch es war an Trump, den Ankündigungen Obamas Taten folgen zu lassen. Wenn man Konstanz und Änderung auf der Programmebene untersucht und auf die unterschiedlichen, idealtypisch zugespitzten Denkschulen der amerikanischen Politik bezieht, wobei ich Hacke darin folge, Neoisolationisten, globale Unilateralisten und multilaterale Globalisten zu unterscheiden (vgl. 2002: 610), dann lässt sich Trump vor allem der Denkschule der Neoisolationisten zuordnen – und deren Tradition ist lang, laut Hacke gar die längste Tradition in der amerikanischen Außenpolitik.72 Man kann deshalb sagen, dass Trump in vielerlei Hinsichten lediglich inhibierte Möglichkeiten der US-amerikanischen Außenpolitik desinhibiert, also reaktiviert hat (vgl. Luhmann 1984: 480). Die entsprechende Differenz ist die von Ermöglichung und Repression. Unter Obama wurden viele zur Reproduktion der amerikanischen Außenpolitik benötigte Erwartungsstrukturen nur sehr begrenzt ausgenutzt. Trump ist es gelungen, das Verhältnis von Aktivierung und Inhibierung zu ändern, indem er die von ihm realisierte Differenz von Vorher und Nachher zu einer neuen
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amerikanischen Identität verdichtet hat, mit der sich zwar längst nicht alle Amerikaner identifizieren können, wohl aber ein erheblicher Teil von ihnen. Ob es sich lediglich um eine kurzfristige, situationsabhängige Reaktivierung handelt, die entsprechende umweltbezogene Anpassungsmöglichkeiten freigesetzt hat, ist zurzeit noch nicht abzusehen. Es könnte sein, dass sich die USA einem neuen »American Dilemma« (Myrdal) gegenübersehen, einem circulus vitiosus, aus dem ihnen nur ein mit der negativen Dynamik positiver Rückkopplungen vertrauter Paartherapeut wieder heraushelfen kann. In einem anderen Zusammenhang allerdings bricht Trump radikal mit der Tradition: er steht zu seinem Wort. »In jedem Wahlkampf versprach der letztlich siegreiche Kandidat außenpolitischen Wandel. Nach der Amtsübernahme jedoch verblaßte dieser Anspruch. Der neue Präsident trat vielmehr in die Fußstapfen seines Vorgängers und bemühte sich um eine von beiden Parteien getragene Außenpolitik.« (Hacke 2002: 607) Nur wenige amerikanische Präsidenten konnten einlösen, was sie in ihren Doktrinen versprochen hatten. Dass es Donald Trump nicht gelingen wird, die USA erneut an die erste Stelle zu setzen bzw. wieder great zu machen, lässt sich schon jetzt ohne große Anstrengung vorhersehen. Erste Hinweise darauf, dass er es eher kleiner macht – und damit meine ich nicht nur das sogenannte Ansehen der USA in der Welt, das offenbar schon erheblich gelitten hat (vgl. Gallup 2018) – liegen bereits vor (vgl. Wyne 2018, siehe auch Agerholm 2016, Bandow 2018 und McCoy 2018).
Richtiges Bewusstsein Trump möchte zwar niemanden mehr zur Demokratie bekehren, wie er gegenüber seinen saudi-arabischen (sunnitischen) Geschäftspartnern betonte. Er ist deshalb aber alles andere als ideologie- oder wertefrei, wie immer wieder behauptet wurde. Ob seine Ideologie »deep« (T. Schwartz 2018) ist oder nicht, will ich offen lassen – wobei sich die Frage stellt, ob eine oberflächliche Ideologie nicht vorzuziehen ist, weil sie weniger Schaden anrichtet.73 Doherty et al. gehen Trump auf den Leim, wenn sie seine Ideologie personalisieren und von der »ideology of Trumpism« sprechen (vgl. 2017). Seine Lösung ist alles andere als originell. Er bedient sich bei einer der bekanntesten Ideologien überhaupt, die im Zuge der funktionalen Differenzierung an Bedeutung gewann und als eine Art Gegenbewegung begriffen
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werden kann, der Ideologie des ›ökonomischen Nationalismus‹. Sie besagt, dass die Nation gewinnt, wenn sie Gewinn macht – und dafür hat die Politik zu sorgen, indem sie die Gewinne durch Interventionen sicherzustellen sucht. Erste Erfahrungen mit dieser Kopplung von Patriotismus und Wirtschaft hat die Gesellschaft mit den Programmen des Merkantilismus und Protektionismus sammeln können. Trump scheint davon auszugehen, dass sich alle Angelegenheiten auf wirtschaftliche – und in diesem Sinne ›technische‹ – reduzieren lassen, es also für die Politik keine Probleme gibt, die sich nicht durch die Steigerung des Wirtschaftspotenzials lösen ließen. In diesem Vereinfachungseffekt bewährt sich der materialistische Grundsatz seiner Ideologie (vgl. Luhmann 2010: 322) – und auch seine Außenpolitik widmet sich nur noch dem Problem der Verteilung knapper Güter. Bis auf die kulturnationalistischen Momente seines Programms ist alle Informationsverarbeitung auf diese Vereinfachung abgestellt, und selbst die Ausländerfeindlichkeit und die Verachtung der Menschenrechte wird, jenseits der erwähnten nationalen Sicherheitsinteressen, noch mit der Erwirtschaftung von Jobs begründet. Anders als die Kommunisten, die Ideologie als ›falsches Bewusstsein‹ nur für die andere Seite vorsahen, will ich Ideologien mit Karl Mannheim als Verabsolutierungen von Wertordnungen begreifen, die es erlauben, konkreten Interessen eine ›höhere‹ Motivation zu geben, sie zu sanktifizieren (vgl. 2015). Dieses Vorgehen im Bereich der Politik war bereits einem Autor bekannt, der noch ohne den Ideologiebegriff auskommen musste: »As no party, in the present age, can well support itself without a philosophical or speculative system of principles, annexed to to its political or practical core; we accordingly find, that each of the factions, into which this nation is divided, has reared up a fabric of the former kind, in order to protect and cover that scheme of actions, which it pursues.« (Hume 1964: 443, der im Folgenden jeweils ein konservativ-christliches und ein progressiv-demokratisches ›spekulatives Prinzip‹ unterscheidet.) Jedes Denken, das die eigene Standortgebundenheit überhöht, ist in diesem Sinne ideologisch, was Mannheim gleichermaßen für das konservative, das liberale und das sozialistische Denken nachgewiesen hat. Dass er trotz dieser Totalisierung des Begriffs am Postulat der Objektivität festhielt und von der Möglichkeit einer ›Neutralisierung der Standortgebundenheit‹ ausging, will ich hier vernachlässigen. Luhmann weist darauf hin, dass genau eine solche Neutralisierung ja wiederum auf Ideologie hinausliefe. Auch der Glaube an Objektivität, der für die Wissenschaft lange Zeit zentral war, kann in Ideologie kippen, ebenso wie der Glaube an die Konstruiertheit allen Wissens.74
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Der Faktor Ideologie spielt auch im Hinblick auf die Irrelevanz der vielen Korruptionsskandale, die sich um Trump ranken, eine Rolle: »Corruption, to the fascist politician […] is really about the corruption of purity rather than of the law. Officially, the fascist politician’s denunciations of corruption sound like a denunciation of political corruption. But such talk is intended to evoke corruption in the sense of the usurpation of the traditional order.« (Jason Stanley, zitiert nach Beinart 2018) Nicht der Umstand, dass er womöglich das Recht gebrochen hat, ist dann von Bedeutung, sondern dass er dem konservativen Auftrag treu geblieben ist, »upholding traditional gender and class hierarchies« (Beinart 2018), aber auch dem traditionellen Gebaren der Reichen und Mächtigen, für die man voraussetzt, dass sie es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen müssen: »Once you grasp that for Trump and many of his supporters, corruption means less the violation of law than the violation of established hierarchies, their behavior makes more sense.« (Beinart 2018) Luhmann weist auf die begriffliche Innovationsleistung von Karl Marx hin: Hatte der Begriff zunächst nur die Wissenschaft von der Verhaltenssteuerung durch Ideen bezeichnet (so bei Antoine Louis Claude Destutt de Tracy, den Luhmann als ›Ideologie‹-Erfinder ausmacht, vgl. Luhmann 1997: 1079), verlagert Marx ihn auf eine Ebene zweiter Ordnung, von der aus sich andere Beobachter beobachten lassen im Hinblick auf das, was ihnen entgeht. Eine gewisse Nähe zur Psychoanalyse ist offenkundig, weshalb die Ideologie bei Freud auch eine Neuauflage erfuhr. Seit dieser Zeit – grob gesagt seit dem 18. Jahrhundert – gilt das soziale Interesse vorwiegend diesem Beobachten eines Nichtbeobachtenkönnens. Freuds revolutionäre Idee war, dass alle psychischen Prozesse Mario netten eines Unbewussten sind – eine Idee, die jede Möglichkeit von Schuldzurechnungen vernichtet. Ein zur Vernunft fähiges Bewusstsein steht dann nicht mehr zur Verfügung, es befindet sich immer unter Latenzverdacht. Das ist für Ideologien nicht sehr angenehm. Konsequenterweise sieht der Marx’sche Ideologiebegriff einen kompetenten Zweitbeobachter vor, jemanden, der den Durchblick hat, der es, kurz gesagt, besser weiß und kein Teil des ›Verblendungszusammenhangs‹ ist. Ideologien benötigen Schuldige, seien es ›Linke‹, die EU, China, oder alte weiße Männer. Die Frankfurter Schule hat dieses Moment des Ideologiebegriffs zu einem entscheidenden Bestandteil ihres Theoretisierens gemacht, und denen, die nicht durchblickten, diesen Durchblick verschafft – wenn auch um den Preis einer gewissen stilistischen Unzugänglichkeit (schließlich sollten die Adorno lesenden Kapitalisten sich seine Einsichten nicht zunutze machen können). Anstatt sich aber zu fragen, warum sie im Gegensatz
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zu ihren Gegnern in der Lage waren, die Gesellschaft richtig zu beschreiben, legten Adorno et al. Ideologiekritik in der oben erwähnten Form aus: Ideologie als die Ideologie der anderen. Luhmann spricht der Kritischen Theorie denn auch den Rang einer Wissenschaft ab – nicht aufgrund ihrer »diffamierenden Intentionen«, sondern aufgrund ihrer Erstbeobachtungsperspektive (vgl. Luhmann 1997: 1115 f.). Genau diese Perspektive macht sie für Trump und seine Verbündeten so attraktiv. Dass Richard Spencer, der Erfinder der Bezeichnung »Alt-Right«, sich mit Adorno befasst hat, ist bekannt (vgl. Zax 2017). Andreas Huyssen ist – ganz Frankfurter Schule – dem Verdacht nachgegangen und war erstaunt: »I made a surprising discovery: an obsession with the Frankfurt School as bête noire not just in Breitbart himself, but in the wider circles of American white supremacists and their publications.« (2017) Doch diese Nähe bzw. ›Besessenheit‹ ist alles andere als überraschend. Sie hängt mit einem Design zusammen, das Verantwortung zuschreiben will, das Schuldige sucht – und sie auch findet. Der eigene, beobachtende Standpunkt wird nicht mitbezeichnet, immer nur der fremde, beobachtete, falsche. Die ideologische Perspektive erklärt auch die Unfähigkeit der TrumpRegierung, Widersprüche und Konflikte zu absorbieren. Toleranz gehört nicht zu ihren Vorzügen. Deshalb dürfen weder die Wirtschaft, noch die Massenmedien oder wissenschaftliche Forschung ihr eigenes Recht im Konfliktfall geltend machen. Mehr noch, nicht einmal die Opposition darf dieses Recht mehr wahrnehmen. Als sich die Demokraten während Trumps Rede zur Nation mit Applaus zurückhielten, warf er ihnen deshalb Landesverrat vor: »They were like death and un-American. Un-American. Somebody said, ›treasonous‹. I mean, Yeah, I guess why not? Can we call that treason? Why not? I mean they certainly didn’t seem to love our country that much.« (Trump 2018) Das Grundprinzip der Demokratie kann in den durch Mehrheiten legitimierten, befristeten Ämtern gesehen werden, die durch Wahlen besetzt werden. Damit die Bevölkerung sich gegen einen amtierenden Präsidenten und für einen anderen entscheiden kann, bedarf es deshalb der Etablierung einer Opposition, die gegebenenfalls übernehmen kann; deshalb wurde diese opponierende Seite im Laufe der Zeit als ein legitimer Teil der Politik betrachtet. Aus Illoyalität konnte so eine – wie es seit dem 19. Jahrhundert im United Kingdom heißt – »loyal opposition« werden. Nassehi weist deshalb darauf hin, dass demokratische Politik immer schon gespalten ist – man kann hier von der Konfliktfähigkeit demokratischer Politik sprechen – und es exakt diese Spaltung ist, die Inklusion ermöglicht (vgl. Nassehi 2016: 18).
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Der Lärm um Trump ist auch deshalb so groß, weil der Mechanismus der Opposition als eines internen, also innerhalb der politischen Institutionen verankerten Dagegen, für das nordamerikanische (wie im Übrigen auch für das europäische) Politikverständnis konstitutiv ist. Es identifiziert sich in genau diesem Sinn als demokratisch. Sein Zweck ist, die Machthaber – also jene, die aufgrund ihrer parlamentarischen Mehrheit Entscheidungen treffen können – zu zwingen, ihre Entscheidungen mit ›guten Gründen‹ zu versehen. In diesem Sinne sind die Massenmedien in der Tat immer auch opposition party. Es ist genau jener durch die Opposition und die Medien erzeugte Rechtfertigungsdruck, den die gegenwärtige Regierung der USA und insbesondere ihr gegenwärtiger Repräsentant Donald Trump als eine Zumutung empfinden. Die aktuelle Regierung markiert ihre Entscheidungen dem politischen Publikum (also den Wählern) gegenüber nicht als kontingente, sondern als einzig mögliche, alternativenlose Entscheidungen. Ihr geht es nicht darum, gute Gründe darzulegen, wie sich vor allem im Zusammenhang mit dem Mauerbau und dem Reisebann gezeigt hat, auch wenn sie sich dieser Zumutung nicht ganz verschließen kann – »Schumer said the U. S. can achieve border security without a wall, which ›doesn’t solve the problem‹ of illegal immigration. The president snapped that ›it totally solves the problem.‹« (Pramuk 2018) – sondern darum, zu gewinnen, also ihre Entscheidungen durchzusetzen. Was bisherigen demokratischen Regierungen zum Vorteil gereichte – dass die Politik für die Wahrnehmung ihrer Umwelt gleichsam ›Antennen‹ ausbildet und derart bestimmte Unzulänglichkeiten schon früh zu spüren bekommt –, sieht Trump als einen Nachteil an. Ihm geht es darum, die höhere Komplexität, den Pluralismus der funktional differenzierten Gesellschaft zurückzuschrauben. Anderen Bereichen als der Politik werden keine Grundrechte konzediert. Was in einem Einparteiensystem möglich ist, gelingt der Trump-Regie rung aber natürlich nicht: das Auftreten von Widersprüchen von vornherein zu verhindern. In einer funktional differenzierten Gesellschaft, in der Politik und Wirtschaft nur Teilsysteme neben anderen sind, findet sich nun einmal keine gesamtgesellschaftliche ideologische Indoktrination. Die Politisierung allen öffentlichen Handelns, mit der Trump liebäugelt, um die beiden Oppositionsparteien – die Demokraten und die Massenme dien – auf Linie zu bringen, ist in den USA schlicht nicht möglich. Nicht zuletzt ist seine Regierung weit von der Planungskapazität entfernt, die etwa China der Welt zur Zeit vorführt, weil Weltsicht, Problemverständnis und Entscheidungstechnik hier buchstäblich ›in eins‹ fallen: in eine Partei (vgl. Luhmann 2010: 324). Diese Kongruenz lässt sich in einer Demokratie auch
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deshalb nicht herstellen, da man hier nur von Wahl zu Wahl planen kann. Politische Operationen werden nicht errechnet, sondern als Entscheidungen getroffen; und weil man nie wissen kann, wer nach der nächsten Wahl entscheiden wird, sieht sich die Politik in einer Demokratie immer mit einer für sie unbekannten Zukunft konfrontiert (vgl. Luhmann 2002a: 104). Zwar ist ein Mehrparteiensystem in der Lage, soziale Widersprüche und Konflikte zu absorbieren, nur geht diese Fähigkeit immer auf Kosten der zeitlichen und sachlichen Konsistenz des Entscheidens: Alles dauert länger, ist umständlicher, und erfordert zudem, dass die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Familie sowie die individuellen Persönlichkeiten hohe eigene Formen der Autonomie genießen, und derart gegen die »Variationen« der Politik geschützt werden können (vgl. Luhmann 2010: 329). Im Gegensatz zu Demokratien sind Diktaturen durch das Außerkraftsetzen des Codes von Regierung/Opposition in der Lage, ein solches hohes Entscheidungstempo der Politik zu gewährleisten, wie sich wiederum in China etwa im Bereich des Umweltschutzes zeigt.75 Dies könnte – jenseits persönlicher Machtinteressen – einer der Hauptgründe dafür sein, dass Trump mit einer Re-Stratifizierung der US-Politik liebäugelt, die eine durchgreifende Steuerung der gesellschaftlichen Teilbereiche und zuletzt die Vernichtung von Modernität selbst in Aussicht stellt. (Wie erfolgreich moderne Diktatoren wie Erdogan oder Putin tatsächlich darin sind, die Wirtschaft, das Recht oder die Kunst zu steuern bzw. zu de-autonomisieren, wäre ein eigenes Forschungsprogramm wert.) Auch Trumps Kritik der Bürokratie gehört hierher. Bürokratie setzt zu viele Entscheidungen und Entscheidungsnotwendigkeiten voraus – ›zu viele‹ im Vergleich »zu den Erfolgen, die man damit erzielen kann« (Luhmann 2011: 78). Besonders ein Tweet Trumps zur Notwendigkeit des Mauerbaus ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich: »When a country is no longer able to say who can, and who cannot, come in & out, especially for reasons of safety &.security [sic] – big trouble!« 176 231 seiner Follower – mögen viele davon auch aus Bots bestehen – gefiel die Idee, dass sie nun nicht nur vor der unkontrollierten Zuwanderung von Mexikanern geschützt sind, sondern auch vor der Vorläufigkeit der eigenen Staaatsbürgerschaft: einer Staatsbürgerschaft auf Widerruf. Dass diese Abhängigkeit von persönlicher Motivation, inklusive der Gesinnung, aus ihrer Sicht ein Problem darstellt, hatte die Deutsche Demokratische Republik mit dem Mauerbau im Jahre 1961 demonstriert, als der einzigen Möglichkeit darüber zu verfügen, who can and cannot come in and out. Gesinnung – oder andere persönliche Motive – war für die DDR keine sichere Grundlage mehr für die nötige Entscheidungssicherheit ihrer Verwaltungssysteme (vgl. Luhmann
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2010: 104). Für Trump ist sie es offenbar genausowenig. Sein Tweet ist ein deutlicher Hinweis auf ein autoritatives Herrschaftsverständnis, dass das Verhalten der American people nicht als freiwillig, als persönlich bedingt und damit variabel anerkennt, sondern es in ein unpersönlich-fragloses Akzeptieren verwandeln will. Wie in der DDR würde ein solcher Mauerbau, der auch die Ausreise der eigenen Staatsbürger reguliert, in den USA dazu führen, dass niemand den Verbleib in der einstmals freien, nun unfreien Welt, vor sich oder anderen als persönlichen Entschluss mehr rechtfertigen muss. Selbst jene, die den Prinzipien dieses neuen Regimes ihren Konsens verweigern, müssten deren Geltung anerkennen – sie hätten keine andere Wahl. Auch hierin erweist sich die Trump-Regierung somit als ›unamerikanisch‹: nicht das freiwillige ideologische Bekenntnis zu den USA und ihren Werten, sondern die vom Staat verordnete Gesinnung macht dann den Amerikaner aus. Zwar lässt sich die Reduktion durch eine gemeinsame Ideologie, wie Russland zeigt, auch bei Zulassung mehrerer Parteien erreichen, insofern eine von ihnen fraglos dominiert, also die Vergleichbarkeit von Machtansprüchen nicht gegeben ist, wie es etwa in Russland im Fall von Putins Partei Einiges Russland der Fall ist; doch die fraglose und unbedingte Dominanz der GOP ist in den USA bekanntlich nicht der Fall (vgl. Luhmann 2010: 325). Wie die Zwischenwahlen gezeigt haben, ist die Demokratische Partei keineswegs nur als Element eines begrenzten politischen Pluralismus zugelassen, also lediglich eine pressure group, sondern echte Konkurrentin um die Macht, die die Auslegungskompetenz der Trump-Regierung massiv infrage stellt (vgl. Luhmann 2010: 327). Allerdings lässt sich das Strukturschema der ›einen und einzigen Partei‹ auch für eine andere Funktion als die der Ideologieverwaltung einsetzen, wie sich etwa anhand vieler Länder der sogenannten Dritten Welt nachweisen lässt. Luhmann hatte in den 1970er Jahren vermutet, dass ein ideologiefreies, opportunistisches Parteiensystem den Integrationsbedürfnissen einer sich aus traditionellen Bindungen lösenden Gesellschaft, die noch keine öffentliche Meinung ausgebildet hat und sich eher personell als sachlich-programmatisch orientiert, durchaus entgegenkomme. Vielleicht wäre ein Einparteiensystem, das Trump anzustreben scheint – also das Ende der amerikanischen Demokratie –, angesichts der gegenwärtigen Lage daher gar keine so schlechte Idee. Es könnte die internen Konflikte, den kalten Bürgerkrieg beenden – oder zumindest ›die Spitze des Problems abstumpfen‹ (vgl. Luhmann 2010: 402). Wie effektiv es sein kann, die Mobilität bzw. die Wahlmöglichkeiten des Publikums einzudämmen, zeigt sich im Falle vieler Entwicklungsländer. Was die USA vor Trump
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gern anderen Ländern vorwarfen, würde auf sie selbst zutreffen: Wir hätten es mit einem failed state zu tun, den nur die Autokratie vor sich selbst retten kann. Der Ostblock hatte seinen Untergang laut Luhmann zu gleichen Teilen der Überschätzung von Organisation und der Unterschätzung der weltweiten funktionalen Differenzierung zu verdanken (vgl. Luhmann 1997: 1060). Die Überschätzung der Organisation ist nicht Trumps Problem, wie ich noch zeigen werde; es könnte aber sein, dass die Unterschätzung der funktionalen Differenzierung auch ihn letztlich zu Fall bringen wird.
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Die Überlegung, dass Wertkonsens, eine Zivilreligion und Legitimitätsglaube – also eine Art grober vorfunktionaler Differenzierung – das Fundament einer friedlichen Gesellschaft bilden, ist so alt wie die Soziologie (vgl. Luhmann 1984: 174).76 Bis heute halten viele Soziologen an diesem normativen Gesellschaftsbegriff fest. Danach wird die Einheit der Gesellschaft durch die gemeinsame Anerkennung eines Mindestbestandes an Werten konstituiert. Doch ist das faktisch der Fall? Ist der Wertkonsens Grundlage des Gesellschaftssystems? Tatsächlich wäre die Bezugnahme sowohl auf normativ einforderba ren Konsens als auch das Pochen auf Verträge viel zu riskant (vgl. Luhmann 1996: 178). Gesellschaft löst lediglich ein Zeitproblem, und zwar wie man von einer Kommunikation – etwa einem Normbruch – zur nächsten kommt, zum Beispiel zur Empörung über diesen Normbruch. Auch ein Nein stellt einen Anschluss dar und reproduziert Kommunikation – und längst nicht jedes Ja ist ernst gemeint. Ältere Gesellschaften unterschieden zwischen zwischen normal-normativen (»natürlich-moralischen«) Regeln und daran orientiertem Verhalten, das diese entweder bestätigte oder davon abwich (vgl. Luhmann 1997: 771). Die moderne Gesellschaft bietet eine neue Form, mit der Verhaltenserwartungen gebündelt und einander zugeordnet werden. Auf der Seite normativer Vorgaben finden sich unbedingt geltende Werte, mit denen ich mich in diesem ersten Teil auseinandersetze. Der Ebene des an Regeln orientierten Verhaltens, auf der man zwischen Rollen und Personen unterscheidet, wende ich mich im zweiten, den Systeminteressen gewidmeten Teil zu. Dabei verschleiert die Semantik der Werte die Schärfe des Bruchs zwischen dem Mittelalter und der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft; ganz so, als ginge es nach wie vor um das Gleiche (vgl. Luhmann 2002a: 359). Um sich den Unterschied klarzumachen, um nicht einer »Kontinuitätsillusion« zu erliegen, muss man sich klarmachen, dass Wer© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_4
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te in der Moderne nur mehr eine mögliche Ebene der Beschreibung darstellen. Sie lassen sich zunächst einmal ganz schlicht als ›Gesichtspunkte des (Wert-)Schätzens‹ bestimmen, von was auch immer: von der Wichtigkeit bzw. Greatness des eigenen Landes über ausreichende Jobs für deren Einwohner bis hin zu hoch abstrakten (gleichsam tief konkreten), einen Sonderrang einnehmenden Werten wie Freiheit, Individualität, Demokratie, Rationalität oder Selbstverwirklichung. Diese Beispiele zeigen deutlich den diskriminierenden Charakter von Werten, auf den ich gleich noch näher zu sprechen komme. Normen lassen sich demgegenüber beschreiben als Direktiven zu den Gesichtspunkten, von denen aus etwas geschätzt werden muss. Sie präzisieren Erwartungen, schränken ein, was sein darf und was nicht. Luhmann spricht von der Norm als einer »Rechtsform der Erwartung«: Konformität soll sein, Abweichung soll nicht sein. Folter zum Beispiel, so der Konsens in Demokratien, soll nicht sein. Aber wer Folter befürwortet, so wie Donald Trump, diesem ›Sollwert‹ also widerspricht, hat deshalb noch nichts zu befürchten – jedenfalls nicht mehr als die Missachtung derer, die sie verneinen. Im Falle Trumps ist es die Abweichung von bestimmten moralischen Normen, die sein soll. Wir haben hier genau zwei Möglichkeiten: Wir können entweder auf den von ihm diffamierten und verletzten Normen bestehen, also selbst normativ reagieren und der Normverletzung entgegentreten, zum Beispiel indem wir uns über ihn empören. Die andere Möglichkeit nennt Luhmann die kognitive Reaktion. Sie ist auch als ›Lernen‹ bekannt (vgl. Luhmann 1984: 437, siehe auch 2008b: 41 f.). Dabei haben Normverstöße nicht nur eine negative Funktion, als Anlass für die positive der Bestrafung. Wie Trump demonstriert, schärfen seine Abweichungen das Normbewusstsein, sie haben zu Maßnahmen gegen den Abweichenden geführt und so die Solidarität der Normanhänger gestärkt – man denke allein an die vom Boston Globe organisierten Proteste »to protect free press from Trump attacks« (vgl. Salsberg 2018). Oder an die Reaktionen angesichts der Ermordung Jamal Khashoggis. Oder ganz grundsätzlich an die Reaktion der Gesellschaft auf Trump: »I argue that Donald Trump is in fact making America great again – by driving us to engage in our democracy […]« (Jensen 2018). Wobei er im gleichen Moment der entgegengesetzten Tendenz folgt und an – aus seiner Sicht bzw. der seiner republikanischen Wähler – Bewahrenswertem festhält: Denkmäler für Sklavenhalter, Abtreibungsverbot, traditionelle Geschlechterrollen etc. Man könnte im Hinblick auf die Kunst von zeitlosen Klassikern sprechen, zu denen auch das Lobpreis auf Südstaatengeneral General Robert E. Lee gehört. Diese Werte sind gleich-
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sam dem ›Stilwandel‹, der Umwertung entzogen. In der Kunst hat dieses Festhalten nur Bedeutung, weil es etwas gibt, wogegen es sich richtet: »das laufende Historischwerden der Stile« (Luhmann 1995b: 212). Es könnte sich lohnen, diese Überlegungen auf die Politik zu übertragen; auf das Historischwerden der Politikstile reagiert der modern day president Trump mit neuen, innovativen, abweichenden Formen, im gleichen Moment Partei für den Erhalt der alten Bestände ergreifend. Die Konföderiertenstatuen können nicht aufgegeben werden; als Zeugnisse einer vergangenen Kultur wäre ihr Abbau – wenn man so will: die Freiluft-Musealisierung des Rassismus – ein unersetzlicher Verlust für die USA.77 Allerdings lässt sich im Falle der permanenten Erwartungsenttäuschungen durch Trump wie eingangs erwähnt mittlerweile eine gewisse Habituation beobachten, die sich immer dann einstellt, wenn relevante Konsequenzen ausbleiben. Wird es Trump gelingen, »durch fortwährende Übersteigerung jeden Rechtsbegriff abzustumpfen« (Zweig 2017: 459)? Da seine permanenten Erwartungsenttäuschungen auf der rechtlichen Ebene bisher auf nur geringen Widerstand stoßen und allein die Massenmedien und die Demokraten mit der Formulierung von ›Gegenausdrücken‹ befasst sind, ist die Gefahr groß, dass die Erwartungen verblassen, ja verlernt werden, und sich die amerikanische Gesellschaft an die Enttäuschungen gewöhnt (vgl. Luhmann 2008b: 41). Aus Sicht der Komiker ist diese neue Ordnung bereits Realität. Als ihn Michael Che als Lester Holt in einem Sketch für Saturday Night Live der Justizbehinderung überführt, folgt auf den Triumph schnell die Ernüchterung: »Wait, so did I get him? Is it all over? Oh, no I didn’t? Nothing matters. Absolutely nothing matters anymore.« (Chaitin 2017) So sehr sich die Massenmedien auch über Trump empören – da er vor allem ungeschriebene Gesetze bricht, kann er rechtlich nicht belangt werden. Bisher hat keiner seiner Normverstöße Konsequenzen nach sich gezogen. Auch seine Attacken auf Comedy-Formate wie Saturday Night Live nicht (vgl. Obeidallah 2019). Wer sich weiter über Trump aufregen möchte, kann das natürlich dennoch tun, und er befindet sich in guter Gesellschaft: auf der Seite der von Trump verleumdeten politischen Korrektheit, der Befürworter von Gleichberechtigung, Pressefreiheit, demokratischer Grundwerte. Was nicht sein darf, darf nicht sein, auch wenn es ist: »It is important Republicans make it explicitly clear that Trump’s war on freedom of expression is wrong … If Trump does nothing more than take to Twitter to slam ›SNL‹ for its jokes about him, these attacks must still be called out. Why? Because they are more than just wrong – they are unAmerican.« (Obeidallah 2019) Die Massenmedien geben sich größte Mühe,
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das erhöhte Erregungsniveau nicht abklingen zu lassen, so problematisch das angesichts der vielen Normverstöße Trumps auch sein mag. Sie reagieren also, um in der Terminologie zu bleiben, in Form der sensitization – und auch in der Form der sensatization, dazu später mehr –, die zu einer generell gehobenen Bereitschaft führt, auf von Trump ausgehende Reize – egal welche – verstärkte Reaktionen zu zeigen. Die Trump-Befürworter haben für dieses Verhalten das Schlagwort vom Trump-Derangement-Syndrome geprägt. Das Nein zu Trump wird als Kombination verschiedener Krankheitszeichen aufgefasst, als ein Symptomverband, wobei der Begriff des Syndroms immerhin darauf verweist, dass die sichere Diagnose einer konkret vorliegenden Symptomatik nicht möglich ist. An ihre Stelle tritt eine grobe, vorläufige diagnostische Zuordnung, die es erlaubt, »those who oppose him and his policies as nothing more than the blind hatred of those who preach tolerance and free speech« (Cillizza 2018b) zu be greifen.78 Doch der normative Gesellschaftsbegriff überschätzt den strukturell erforderlichen ebenso wie den faktisch bestehenden Konsens erheblich. Dem Verbrecher, Geheimnisverräter, Justizbehinderer, Hush Money-Zahler, Catch & Kill Payment-Koordinator ist es ja nicht um die Anerkennung der Norm zu tun, er will gerade das Nicht-der-Norm-Entsprechende, Verbotene. Das lässt sich schon daran zeigen, dass er mit Rücksicht auf die Norm – und die Polizei – seine Tat versteckt. Auch der Steuerhinterzieher führt eine gesellschaftliche Existenz – als Steuerhinterzieher. Diese »Eigenlogik des Bösen« (Luhmann) gehört mit zur Gesellschaft, sie liegt nicht außerhalb ihrer Grenzen.79 Genau deshalb kann nicht der Normkonsens Grundlage der Gesellschaft sein, sondern nur die ›Oder-Verknüpfung‹ von einerseits konformem und andererseits abweichendem Verhalten mit entsprechender Differenzierung von Erwartungen und Reaktionen. Hat sich Gesellschaft in Vietnam, Bosnien oder auf der Krim nicht fortgesetzt? Auch eine Abweichung reproduziert Gesellschaft, das gilt für Menschenesser genauso wie für Politiker, die andere Politiker zur Seite schubsen, Folter gutheißen, Nazis in Schutz nehmen oder das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung ignorieren. Gesellschaftliche Reproduktion hängt mithin nicht davon ab, dass hinreichender Wertkonsens, hinreichendes Einverständnis über das shared symbolic system erarbeitet wird. Das lässt sich erneut am Beispiel der Abweichung selbst demonstrieren. Einerseits werden Abweichungen nicht gutgeheißen – ›in‹ ist Konsens, Übereinstimmung, Frieden. Andererseits sind sie in der modernen Gesellschaft mitunter hoch angesehen. Manche nutzen die Chance der Abweichung, entscheiden sich für ein Verhalten, das mit geltenden Normen und
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Werten nicht übereinstimmt – bestreiten, dass die Erde den Mittelpunkt des Kosmos darstellt, dass die Zeit absolut ist, die Gesellschaft aus Menschen besteht, das Klima bzw. die Demokratie geschützt werden muss – und öffnen so Räume für neues Verhalten, ermöglichen Anpassungen an die Umwelt, heißen Van Gogh, Albert Einstein, Niklas Luhmann oder Donald Trump. In der Kunst werden Abweichungen heutzutage geradezu erwartet. Der Künstler, der abweicht, demonstriert dabei nicht notwendig Indifferenz oder Ignoranz, sondern »Sachkenntnis, Umsicht und Genauigkeit« – er muss ja wissen, worauf es beim Abweichen ankommt, wodurch sich das auszeichnet, wovon er (um der Norm gerecht zu werden: oder sie) abzuweichen gedenkt (vgl. Luhmann 1995b: 211). Trump führt diese Sachkenntnis vor. Er mag ohne die Umsicht und die Genauigkeit des Künstlers auskommen, doch er weiß, wovon er abweichen muss. Seine Neuerungen ›gefallen‹, und schon darin liegt eine bemerkenswerte Neuerung.80
Selbstverständlich! Dass Werten in der Moderne ein solcher Wert beigemessen wird, hängt direkt mit den seit dem Mittelalter erfolgten Umstellungen zusammen. War damals Ungleichheit des Rangs noch die Bedingung für soziale Ordnung, muss die moderne Gesellschaft den Individuen im Prinzip gleiche Zugangschancen zu den Systemen ermöglichen, ›All-Inklusion‹ gewährleisten. Bush Jr. nannte Obama als ein Beispiel für diese Inklusionsgleichheit und reservierte sie gleichsam für die USA, als dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das ›selbst‹ einem Schwarzen die Präsidentschaft ermöglicht.81 Auch Trump steht für die Wirklichkeit des Inklusionsideals ein, denn er hat nur dank der Gültigkeit dieses Ideals die Politik betreten können (und aufgrund des Umstands, dass die Prozesse der Politik-Inklusion es dort eher erlauben, den Laien auf die Leistungsrolle zu übertragen als anderswo, man denke an Reagan oder Schwarzenegger). Als Unternehmer und Millionär ist er im gleichen Moment aber das Paradebeispiel für die in den USA grassierende Ungleichheit der Chancen, Karrieren, Einkommen, der Lebensmöglichkeiten schlechthin. Man könnte in Anspielung auf Simmel vom ›dialektischen Geist‹ der Amerikaner sprechen – einem Geist, der Gleichberechtigung und Ungleichheit, checks and disbalances, die Beschwörung der Gemeinschaft und die des Egoismus mühelos in sich vereint.
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Inklusionsgleichheit ist also alles andere als faktische Gleichheit, ist nicht: Gerechtigkeit. Es mag viele gute Menschen geben, die daran interessiert sind, den Armen und Schwachen zu helfen – Menschen wie Bernie Sanders, Bill Gates oder Prince Charles. Das ändert nichts an der völligen Indifferenz der großen Sozialbereiche diesen Armen und Schwachen gegenüber. Sie scheren sich nicht um Gerechtigkeit oder Fairness. Menschen sind diesen Systemen gleichgültig – mit Maren Lehmann: gleich gültig. Faktisch sind die Reichen und Starken aber ein bisschen gleicher. Das liegt nicht etwa daran, dass die Systeme kein Gewissen haben (in der Tat, sie haben keins), sondern schlicht und einfach daran, wie sie operieren. Mag der gute Mensch auch der Inklusion den Vorzug geben und etwa verlangen, dass Arme, Schwache, Flüchtlinge eingeschlossen werden – Systeme schließen völlig unabhängig davon ein oder aus. Das amerikanische Narrativ propagiert die Eigenleistung der Individuen: wo jemand landet, hängt nicht von der Herkunft, sondern von der eigenen Tüchtigkeit ab. Die USA haben eine ganze Semantik auf diesen Effekten der funktionalen Differenzierung errichtet, den Ausschluss des Individuums so in seine Feier verwandelt: den »American Dream«.82 Das Narrativ verschweigt, dass die Politik, das Recht, die Wirtschaft, die Massenmedien, die Erziehung allesamt gegebene Unterschiede nicht nur reproduzieren, sondern auch eiskalt ausnutzen und ausbauen. Herkunft und Kreditwürdigkeit gehören genauso hierher wie gutes Aussehen (das vor allem die Massenmedien interessiert) oder Talent (das die Erziehung prämiert).83 Zwar musste Trump selbst Karriere machen, er konnte sich nicht auf der des Vaters ›ausruhen‹, um seinen Status als erfolgreicher Geschäftsmann zu erlangen. Dennoch ist er keineswegs ein selbstgemachter Milliardär, wie er im Wahlkampf behauptet hatte, erhielt er doch über mehrere Jahre hinweg inflationsbereinigt von seinen Eltern Kapitalzuschüsse in Höhe von 413 Millionen Dollar (vgl. Barstow et al. 2018). Es ist diese Strukturkontingenz der modernen Gesellschaft, die Werte generiert – als gleichsam »vernunftsichere, aufklärungsfeste Aprioris« (Luhmann 2008b: 139). Ihre ›unverbindliche Verbindlichkeit‹ korreliert mit einem Unbehagen an Kontingenz. So ist etwa Freiheit vor allem deshalb eine abstrakte Norm geworden, weil sie in der funktional differenzierten Moderne Inklusion garantiert, die freie Systemwahl. Sie ist der normgewordene granted access to all functional systems, von dem auch Trump Gebrauch machte. In genau diesem Sinne handelt es sich bei Werten um jene semantische Form, die dem funktionalen Differenzierungstypus entspricht.
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Dabei profitiert Trumps Politikstil von einem wesentlichen Merkmal von Werten: ihrem impliziten Charakter. Mit anderen Worten, sie werden vorausgesetzt, sie gelten unbegründet. Genau diese Selbstverständlichkeit ist es, die ein Wert suggeriert. Darüber gibt nicht zuletzt die amerikanische Verfassung Auskunft: »We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.« (»Declaration of Independence«, zitiert nach National Archives 2018, eigene Hervorhebung) In genau diesem Sinne fungieren Werte als Reflexionsstopps. Dass Demokratie ein Wert ist, wird selten explizit, also direkt gesagt – und zwar deshalb, weil es die Ablehnung des als selbstverständlich geltenden Wertes denkbar macht, ihn gleichsam ent-selbstverständlicht. Das ist für Werte typisch: sie werden indirekt kommuniziert, weil man davon ausgeht, dass in bezug auf Wertschätzungen Konsens besteht, aber erzeugen damit die Gefahr direkter Kommunikation, die sofort Missachtung provoziert. Weshalb es in den USA lange Zeit nicht nötig war, auf den Wert von Werten wie Demokratie oder Freiheit hinweisen zu müssen – es sei denn andere Nationen, die diese für die freie (demokratische) Welt selbstverständlichen Werte nicht für abgemacht hielten. Jede Entscheidung für oder gegen etwas ist ja letztlich kontingent und in diesem Sinne fragwürdig: man könnte eine andere treffen; eine Entscheidung, die sich im Rückgriff auf einen Wert rechtfertigt, aber scheinbar nicht. Hier findet sich der Zweck von Normen: Sie schützen die stets gefährdeten Werte vor dem Wertverfall. Zwar kann auch die normsichere Entscheidung enttäuscht werden, aber dank der Norm muss man aus der Enttäuschung nichts lernen, sondern antizipiert weiterhin das, was sein soll. Ein Mensch wurde gegessen, ein Verfahren verloren, Männer und Frauen sind nicht gleichberechtigt, Weiße und Schwarze noch viel weniger, Amerika nicht mehr great, China keine Demokratie, aber all das soll nicht sein. Zwar bilden soziale Systeme Normen und arbeiten dann mit dieser Struktur, aber nicht etwa, weil bestimmte Normen sich gleichsam selbst setzen und ›richtig‹ sind, sondern weil das in ihnen zum Ausdruck kommende »Sollen-Sollen« (Luhmann) funktional unersetzlich ist. Es ermöglicht Übereinkunft – wenn auch nicht faktischen Konsens – und in diesem Sinne ein Invariantsetzen von Strukturen, wodurch verlässliche Wahrscheinlichkeiten etabliert werden können. Genau deshalb war der Kommentar Merkels zur ›unreliability‹ der USA trotz seiner vermeintlichen Schlichtheit von solcher Schärfe – er besagte: wir stimmen nicht mehr
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überein (vgl. Smale und Erlanger 2017). Faktisch ist ein Wert also alles andere als selbstverständlich, so schmerzhaft das für Befürworter der Demokratie, der Gleichberechtigung, der Rationalität usw. auch sein mag. Dass wir die Herstellung sozialer Übereinkunft nur ungern dem Zufall überlassen, ist nachvollziehbar. Werte helfen uns dabei, ihn auszuschalten – sie koordinieren das Verhalten über Erwartungen und wirken in diesem Sinne stabilisierend. Bewährtes und Gesolltes geben Halt, vor allem wenn man nicht weiterweiß, Bewährtes mitunter auf die einfachste Weise: dann eben so wie immer. So sind sich Donald Trump und Stephen Colbert darin einig, dass die physische Ausübung von Macht – Gewalt – keinen Wert darstellt, zumindest dann nicht, wenn sie – wie beim Attentat auf den republikanischen Abgeordneten Steve Scalise – als nicht staatlich-lizensierte Gewalt Form annimmt. Die symbolische Darstellung illegitimer, weil nicht der Austreibung von Gewalt dienender Gewalt, der sich die Komikerin Kathy Griffin schuldig machte, wurde denn auch einhellig als ein Verstoß gegen die gemeinsame Werteordnung verurteilt, als »very, very brutal assault« (Trump) – und Griffin im Anschluss an das Foto als Unperson markiert.84 An Griffin wird deutlich, dass Normen (moralische Regeln wie ›Du sollst keinen blutigen, abgeschlagenen Kopf hochhalten, selbst wenn es sich um keinen echten handelt‹) Werte schützen, es sich bei Werten aber wiederum um Diskriminierungen handelt, also um Benachteiligungen.85 Gewalt wird gegenüber der Gewaltlosigkeit benachteiligt, Krankheit ist der Gesundheit und Freiheit gegenüber der Unfreiheit im Nachteil – es gilt, sie zu schützen, ohne dass man dafür Günde angeben müsste. Selbst Demokratiegegner wie Trumps Berater Peter Thiel, der sie geschickt gegen die Herrschaft des Volkes ausspielt (vgl. 2009) stellen den Wert der Freiheit nicht in Frage. Und das, obwohl wir faktisch alles andere als frei sind: die Ehe schränkt unseren Fortpflanzungstrieb ein, Eigentum schränkt den gleichen Zugang aller zu Gütern ein, von den vielen weltweit in Sklaverei lebenden Menschen ganz zu schweigen. Wir verdanken Trumps Interventionen, dass diese Unterstellung der Geltung von Werten als solche sichtbar wurde, oder anders: den Beweis, dass es mit der vermeintlichen Stabilität der Werte nicht weit her ist. Und zwar deshalb, weil sie kommunikativ hergestellt werden. Denn wenn Werte kraft Unterstellung gelten, diese Unterstellung nun aber infrage gestellt wird, dann gelten sie nicht mehr – jedenfalls nicht mehr ohne Weiteres, was den Werten ihren Wert nimmt.86 Anders als die Befürworter von Gleichberechtigung und Demokratie nimmt Trump den üblichen Wertebonus in vielen Bereichen nicht für
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sich in Anspruch – wie wir gesehen haben auch nicht in einem für die Republikaner üblicherweise so wichtigen Bereich: dem der Religion. Weshalb sich zum ersten Mal seit langer Zeit die anderen melden müssen, um ihr Nichteinverstandensein zu signalisieren, und zwar vor allem im Hinblick auf als demokratisch begriffene Werte: nein, Demokratie ist ein Wert; nein, die Unabhängigkeit des Rechts und der Wissenschaft sind Werte; nein, die Pressefreiheit bzw. die von den Massenmedien ausgeübte Kontrollfunktion ist ein Wert; nein, man sagt nicht, dass man die eigene Tochter gern daten würde; nein, Folter ist keine gute Sache; und nein, man schneidet einem kritischen Journalisten nicht die Finger ab, um ihn anschließend in Säure aufzulösen. Dieser Ansicht ist selbst der Werteverächter Donald Trump – »It’s a horrible thing that took place […] The killing of a journalist. Very, very bad situation […] It should have never happened« (zitiert nach Talmazan 2018) –, auch wenn er es ein Stück weit nachvollziehbar kann, da es sich bei Khashoggi um einen Staatsfeind gehandelt hat (vgl. Borger 2018), aber: »my decision is in no way based on that – this is an unacceptable and horrible crime« (Trump 2018b). Auch dass man Frauen nicht einfach an ihr Geschlechtsteil fasst, ist selbstverständlich, genauso selbstverständlich wie eine solche Redeweise in sogenannten locker room contexts, weshalb sich Trump mit Recht auf diese Norm bzw. locker room rule beruft. (Da er den Satz nicht im Kontext eines locker rooms gesagt, sondern in das Mikrofon eines Radioreporters gesprochen hat, ist er aber dummerweise nicht mehr durch die Norm geschützt.) In diesem Sinne kann Trump als Provokateur begriffen werden: er ruft hervor (pro-vocare), und zwar das, was üblicherweise nicht des Hervorrufens für nötig befunden wird, nämlich die Verteidigung des Selbstverständlichen. Hiermit hängt die Hilflosigkeit der Neinsager zusammen, die sich für etwas einsetzen müssen, das – so die Idee – eigentlich gar keiner Erörterung bedarf. Mit einem Mal haben die Befürworter der Pressefreiheit und der Demokratie die Argumentationslast – eine ungewöhnliche Situation gerade für ein Land, das sich als urdemokratisch begreift.87 Der Demokratiebegriff erfüllte in den USA lange Zeit eine wesentliche Funktion als Motivationsmittel. Er war nicht nur in der Lage, die mit ihm verbundenen Selektionsvorschläge sicherzustellen, er trug auch dem Bedürfnis Rechnung, oberhalb aller politischen Meinungsunterschiede noch eine gemeinsame Ebene unverletzlicher Geltung zur Verfügung zu stellen. Ganz egal, ob man Republikaner oder Demokrat war – dass Demokratie einen Wert darstellt, galt. Auch diese unverletztliche Geltung hat Trump verletzt. Vorteil Trump: seine Gegner müssen das, was unbegründet gilt, begründen. Es geht plötzlich nicht mehr darum, wie man die Demokratie
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schützt, sondern ob man sie überhaupt schützen soll. Seitdem muss Demokratie erläutert und begründet werden, und kann genau deshalb bezweifelt werden.88 Mit Trump können wir die Frage stellen, warum Demokratie einen Wert darstellt. Eine mögliche Antwort wäre: weil sie gut für die Menschen ist. Sie ist sozusagen great: »We have free and fair elections and the peaceful transfer of power – that is one thing that makes America great.« (Hillary Clinton, zitiert nach Lee and Merica 2016). Trump-Gegner könnten einwenden: Das ist sie nicht. Schließlich haben die Menschen Trump gewählt. Es ist von daher kein Zufall, dass Trump die Anwendung von Folter, in diesem Fall die Programmform des waterboarding, in seinem allerersten One-to-one-Fernsehinterview ausdrücklich nicht ausschließt (vgl. Weaver, Ackerman 2017). Auch diese Bejahung wurde als Provokation verstanden, natürlich vor allem von Menschenrechtsorganisationen. Die Frage, ob es rights fully independent of consequences auch für Terroristen geben soll, hat Trump für sich persönlich damit klar verneint. Wie vor ihm schon etliche Hollywoodfilme, die Folter im Namen des Guten gutheißen.89 Wenn man ganz Pittsburgh vor einem Atombombenanschlag retten könnte, indem man einem Terroristen ein bisschen wehtut – ist das nicht Rechtfertigung genug? Trump ist bekannt, dass das Rechtssystem diese Frage anders beantwortet als die Gesellschaft und weist im selben Interview deshalb darauf hin, dass Folter vom Gesetz gedeckt sein muss. Er ergänzt seinen moralischen Normbruch – Folter gutzuheißen – also mit dem Hinweis auf die rechtlich einzuhaltende Norm.90 Ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Normverstoß ihm nicht einfach unterläuft. Das deutsche Grundgesetz formuliert diese Norm in Artikel 1 als Faktum: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« In Wahrheit ist sie natürlich, wie wir alle wissen, durchaus antastbar – nur nicht für das deutsche Grundgesetz, das dessen Unantastbarkeit gerade deshalb behauptet, weil sie nicht Realität ist. Deutlich zeigt sich hier nicht nur die biblische Herkunft der Idee der Menschenwürde und die damit verbundenen Gedanken der vom Schöpfer verliehenen unveräußerlichen ›natürlichen‹ Rechte (Leben, Freiheit, Glücksansprüche usw.), die in der funktional differenzierten Gesellschaft als Verzicht auf die Legimität von Schichtung und als Postulat von der Gleichheit aller Menschen Form annehmen, sondern vor allem der kontrafaktische Charakter von Normen, die auch dann gelten, wenn sie nicht gelten bzw. nicht durchgesetzt werden können. Denn die erwähnte Dauergeltung der Verhaltenserwartungen bleibt ja auch dann in Kraft, wenn Normen enttäuscht werden, was sie im genauen Sinne so widerstandsfähig macht.
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Luhmann begreift diese kontrafaktische Stabilisierung als die Funktion normativen Erlebens – und Normen als Formeln für kontrafaktisches Erwarten (vgl. Luhmann 2008e: 20). Ob Folter funktioniert, mag vom Einzelfall und den benutzten Methoden abhängen, wie Trump suggeriert: »Absolutely, I feel it works.« (Zitiert nach Weaver, Ackerman 2017) Aber dass auf der Welt gefoltert wird, dass sie »ein gefährlicher Ort« (Trump) ist, dürfte niemand bezweifeln. Auch jene nicht, die die Menschenwürde für unantastbar halten. Diese Kontrafaktizität wird auch am historischen Umstand deutlich, dass die Menschenrechte ausgerechnet in einer Gesellschaft ausgerufen wurden, in der Sklaverei Teil des Alltags war – genauer: im Amerika des Jahres 1776. Das Recht musste sich gegen eine – zumindest im Süden der USA – massiv anders ausgerichtete Realität behaupten, und zum Teil muss es das im amerikanischen Süden bis heute. Genau in diesem Sinne verdoppeln Normen die Wirklichkeit, so wie man zwischen Ernst und Spiel unterscheiden kann (vgl. Luhmann 2008e: 21). Erst dank ihnen gewinnen wir eine Vorstellung von harter, faktischer Wirklichkeit. Gewiss, man soll sich anständig benehmen, aber vom Rüpel Trump, who grabs a woman by the pussy, lernen wir mehr über die reale Realität als von einem Lehrer, der nicht nur anständiges – konformes – Benehmen von uns erwartet, sondern auch, dass wir sein Erwarten übernehmen. Die einzige Alternative wäre, das Schema konform/abweichend selbst zurückzuweisen. Trotz der grundsätzlichen (grundgesetzlichen) Unantastbarkeit bleibt für die deutsche Regierung jedoch ein geringer Spielraum. Denn möglicherweise verletzen bestimmte – sanfte – Foltermethoden die Würde des Menschen ja nicht? Und auch die Bestimmung dessen, was Folter ist, öffnet Räume. Die heavy metal music rotation, die Manuel Noriega zur Aufgabe zwang, mag für andere durchaus Genusschancen bereithalten (vgl. Swanson II et al. 2018). Unantastbar ist so gesehen nicht so sehr die Menschenwürde, sondern eher die gesetzliche Norm – solange sie gilt. Vollends unantastbar aber ist offenbar die Normativität der Norm selbst. Denn dass die Unterscheidung selbst bad bzw. unjust sein könnte, die gut von böse, gerecht von ungerecht trennt, mit diesem Reflexionsniveau ist nicht nur der rechtliche Alltag überfordert. Die Massenmedien können und wollen sie aufgrund ihres großen Interesses an Normverstößen ohnehin nicht beantworten. Ein Normverstoß ist eine ›gute‹ Nachricht, weil sie einen Neuheitswert bzw. Überbietungswert aufweist (dazu mehr in Kapitel 5 des zweiten Teils). Diese Aufgabe bleibt also den Soziologen überlassen, die Normverstöße nicht wichtiger als Konformität nehmen. Und so verdankt meine Disziplin aus-
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gerechnet einem der Wissenschaft und dem Nachsinnen feindlich gesonnenen Präsidenten, den mit Werten verbundenen Reflexionsembargo ein Stück weit aufgehoben und den Blick der Öffentlichkeit dafür geschärft zu haben, dass Normen soziale Fakten sind. Trump führt der modernen Gesellschaft ihren Betriebsmodus vor: den der Kontingenz. Er demonstriert in einem fort, dass man anders handeln kann. Nur weil das ›Anders-Handeln‹ antizipierbar ist, gibt es ja Normen, hat man eigens dafür Verfahren der Abwicklung von Konflikten und Verstößen ersonnen. Wir haben es mit einer generalisierten Kontingenz zu tun, die es zwar auch schon früher gab, die aber in der Moderne zur Grundstruktur geworden ist. Einfacher gesagt: Trump zeigt uns, dass in der Moderne gewählt werden muss – und dass gewählt wird. Nicht nur Präsidenten, sondern auch Überzeugungen, genau wie Werte. Dank ihm wird eine selektive Praxis sichtbar, die ihre eigene Selektivität verneint, denn was für die meisten von uns notwendig und unersetzbar ist (Demokratie, Toleranz, Menschenrechte, Gleichberechtigung), markiert er als bloß möglich. Es ist diese Kontingenz unserer Gesellschaft, die wir als Erklärung für den forcierten Einsatz von Identitätsangeboten heranziehen müssen, wie sie auch Trump seinen Anhängern liefert – Angebote, die sich selbst wiederum als nicht-kontingent inszenieren. Denn »America First« ist ja nicht einfach ein Angebot unter anderen, es ist das einzig wahre Angebot, das Angebot der Angebote. Es kann in diesem Sinne als eine Art ›inviolate level‹ begriffen werden, genauso wenig negierbar wie Gott im System der Religion. Dieser Wert der amerikanischen Erstheit gibt Trumps Entscheidungen einen Rückhalt im Unbezweifelbaren.
Amerika, Amerika Das Verwirrende ist, dass Trumps politische Gegner in den USA das gleiche Symbol polieren wie er: ›Amerika‹, ein Sinnformangebot, das die politische Verfassung genauso umfasst wie bestimmte moralische Werte und Normen, die diese schützen sollen; eine Selektion, die motiviert, anstatt kalt zu lassen. ›Amerika‹ dient beiden Lagern als externe Referenz, als ein Fundament für ihre Argumente.91 »If Trump does nothing more than take to Twitter to slam ›SNL‹ for its jokes about him, these attacks must still be called out. Why? Because they are more than just wrong – they are unAmerican.« (Obeidallah 2019) Im Gegensatz zu seinen Gegnern verwendet er den Wert ›Amerika‹ al-
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lerdings nur als Chiffre, als Geheimzeichen, das allein rechtgläubige Amerikaner zu entschlüsseln vermögen. Die unbestimmte Einheit ›Amerika‹ erlaubt es, die USA-Welt von anderen Welten und Kulturen zu unterscheiden. Wichtig ist dabei nicht so sehr die genaue Bestimmung dessen, was die Größe der USA bzw. Amerikas faktisch ausmacht, sondern vor allem die Proklamation ihrer Wiederherstellung. Trump hat diesen Wert um das Moment der Erstheit erweitert – eine Erweiterung, die im gleichen Moment eine bemerkenswerte Verengung darstellt. Auf den ersten Blick ist der Slogan »America First« nicht viel mehr als eine Versicherung der USA, der versprochenen Versorgungsleistung nachzukommen und das Wohlergehen der Bevölkerung auf ihrem Staatsgebiet sicherzustellen. Auch der Obama-Regierung ging es nicht um die deutsche oder die mexikanische Bevölkerung. In Trumps Worten: »I’m not elected by Europeans, I’m elected by Americans – by American taxpayers.« (Zitiert nach Harvard 2019) Aber natürlich steckt mehr dahinter: zum einen der Vorwurf, dass der vorherigen Regierung dieses Wohlergehen – das eben nicht nur in Form von Sozialhilfe, sondern auch gleichsam psychologisch und symbolisch sichergestellt werden muss, durch Statuen, Heldenwürdigung etc. – nicht am Herzen lag. Schließlich beinhaltet es eine Frage, nämlich die nach der Verteilung: Wer gehört denn dazu – wer kann diese ›Staatshilfe‹, dieses Wohlergehen rechtmäßig für sich beanspruchen? Und damit zusammenhängend einen Verdacht: Viele Menschen nehmen den Status des Amerikaners unberechtigterweise für sich in Anspruch und haben damit zum Niedergang des Landes beigetragen.92 Unter anderem hochschwangere Frauen, die illegal die Grenze überqueren und – kaum auf der anderen Seite angelangt – Kinder gebären, denen dann alle möglichen Rechte als Amerikaner zustehen: »The baby is essentially a citizen of the United States for 85 years with all of those benefits. It’s ridiculous.« (Trump, zitiert nach Rosenkrantz 2018) Wohlfahrt weist in die Zukunft, sie ist ein Versprechen. Fragen der Verteilung dagegen betreffen die Gegenwart (vgl. Luhmann 2002a: 365) Weshalb Luhmann in Bezug auf Deutschland vermutet: »Es ist nach alldem kein Zufall, daß die Wohlfahrtsformel vor allem in der Wiederaufbauzeit nach dem zweiten Weltkrieg einleuchtete.« (Luhmann 2002a: 365) Sobald man aber an die Grenzen der erreichbaren Wohlfahrt stößt – und die Globalisierung hat nicht nur den Amerikanern diese Grenzen aufgezeigt –, verschieben sich die Probleme aus der Politik wieder in die Wirtschaft. Genau das hat Trump realisiert, der – wie schon seine Vorgänger Reagan und Obama – versucht, die Standortqualität der USA zu verbessern.
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Zwar wird das Symbol Gott bisher nur von wenigen Trump-Mitarbeitern bemüht, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen (vgl. Malik 2018a; Givetash and Rosenblatt 2018), aber im Rahmen dessen, was die amerikanische Soziologie ›Zivilreligion‹ genannt hat, spielt es durchaus eine Rolle – als ein Sinn-Arrangement, das die Unnegierbarkeit Amerikas auf die Unnegierbarkeit Gottes zurückführt.93 Robert M. Bellahs Annahme war, dass im Prinzip alle Identität stiftenden oder Akzeptanz schaffenden Elemente für eine Kultur die Funktion religiöser Anteile erfüllen, dass also auch in nicht-religiösen Angelegenheiten religiöse Anteile mitgeführt werden, und dass sich diese bürgerliche Religion insbesondere in den USA fest etabliert habe – als ein Schöpfen aus dem christlichen Fundus, das keineswegs mit dem Christentum identisch sei. Stattdessen hätten die Amerikaner biblische Themen und Motive mit wichtigen Ereignissen der eigenen Geschichte vermischt (vgl. Bellah 1974). In diesem Sinne lässt sich die amerikanische Zivilreligion im Sinne der proklamierten Grundwerte der zeitgenössischen US-amerikanischen Gesellschaft bzw. der grundlegenden Wertideen verstehen, die in der amerikanischen Verfassung kodifiziert sind. Gunter Zimmermann hat deren sakrale Basis in den politischen Aussagen der »Federalist Papers« nachgewiesen, dessen Autoren – drei der Gründerväter der USA – zwar bestreiten, dass eine ideale Gemeinschaft, also das Reich Gottes, durch menschliche Anstrengungen erreicht werden könne, die aber im gleichen Moment die Bundesversammlung von Madison als einen politischer Prozess betrachten, der den Inhalt der göttlichen Verheißung erfüllt. Diese Verheißung finde sich in der physischen Natur des amerikanischen Kontinents, den der Schöpfer den Amerikanern nicht etwa zufällig zum Geschenk gemacht habe, sondern damit sie aus einem lockeren Staatenbund eine starke politische Union schmieden, wenn man so will: dem Herrn zum Wohlgefallen (vgl. Zimmermann 1996). Sprich: Nicht so sehr die Würde des Menschen, sondern die Würde der amerikanischen Verfassung ist unantastbar. Für gewisse Mindestelemente dieses quasireligiösen Verfassungsglaubens konnte man bisher bei allen Bürgern der USA Konsens unterstellen, als ›Vision einer moralischen Gesellschaft‹. Auch ihre Realität ist aber kein empirischer Konsens, sondern die einer laufend in Anspruch genommenen Prämisse: »beliefs in core American values (life, liberty, the pursuit of happiness, justice for all); behaviors associated with national rites and rituals (Memorial Day, the Fourth of July, Thanksgiving) as well as more quotidian practices (protests, public free speech, petitions for the redress of grievances, free religious expression); and experiences
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of belonging (citizenship by right of birth or naturalization)« (Marcus und Balaji 2017). Trump stellt die amerikanische Zivilreligion nicht grundsätzlich in Frage, auch er verknüpft politisches Handeln mit bestimmten Grundwerten. Wohl aber verzichtet er auf etliche, bisher als dazugehörig und also amerikanisch bestimmte Selbstverständlichkeiten. Seine Variante kann als exklusiv bezeichnet werden, denn sie ist auf einige wenige, ›wahre‹ amerikanische Werte aus, auf »beliefs that demand absolute allegiance to our government, behaviors that require a willingness to take up arms to maintain the social order, and notions of belonging grounded in specific religious and racial identities.« (Marcus und Balaji 2017) Anders als von Snyder (2018) postuliert, bedürfen Werte aber keineswegs einander. Die von Trump vorgenommene Reduzierung auf einige amerikanische, ›christliche‹ Basiswerte hat sich im Gegenteil als höchst effektiv erwiesen. Man könnte sagen, Trump invertiert Adorno: Es gibt ein richtiges im falschen (von den Demokraten verseuchten) Amerika. Diesem Amerika gilt es, gegen das andere, liberale, schwulenfreundliche, naive (dem Iran und China trauende) Amerika zum Sieg zu verhelfen. Die Trump-Gegner dagegen imaginieren eine andere ›community‹: eine inklusive, freundliche, offene – aus Trumps Sicht, eine schwache. Sie sind der Ansicht, dass Trump ihre Heimat gleichsam ent- oder de-amerikanisiere. So prophezeit Trump-Kritiker John Brennan, dass sich das andere, wahre Amerika gegen ihn durchsetzen werde, um danach wieder wahrhaft groß zu sein: »You […] will not destroy America […]. America will triumph over you.« (Stevenson and Stubley 2018) Dabei scheint den wenigsten aufzufallen, wie ähnlich sich die Gegner in ihrer politischen Rhetorik sind. Das wurde zuletzt anlässlich der Beerdigung John McCains deutlich. Gerade eine Beerdigung ist ein perfekter Hintergrund, um an den Wert von Werten zu erinnern – an »certain inalienable rights, endowed by our creator« (Obama, zitiert nach Mindock 2018). Schließlich ist ihre Aufgabe, den Hinterbliebenen bzw. den noch Gegenwärtigen eine Sinnofferte anzubieten, die über das Schicksal des Beerdigten, über die einzelne Biografie hinausweist und in exakt diesem Sinne: Trauer zu feiern. Die von den Medien prozessierte Ahnung, dass mit McCain nicht nur ein Amerikaner, sondern auch ein Amerika zu Grabe getragen worden sein könnte – »McCain’s funeral was a melancholy last hurrah for what’s been lost« (Jaffe und Rucker 2018) – wurde von seiner Tochter bestätigt, die in ihrer Rede nicht nur von ihrem Vater, sondern auch von »seinem Amerika« Abschied nahm: »We gather here to mourn the passing of American greatness, the real thing, not cheap rhetoric.« (Zitiert nach Cranley 2018)
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Die Größe Amerikas wurde laut ihr durch den Triumph Trumps beschädigt, und nicht etwa, wie von ihm behauptet, wiederhergestellt. Auf diese Weise konnte sie, wie es die Tradition der Zivilreligion vorsieht, die religiöse Heilsthematik der Wiederauferstehung mit einer amerikanischen Heilsthematik verknüpfen94, sich im Gegensatz zu Trump einer ›teuren‹ Rhetorik bedienend; von einem Amerika der Revolution sprechen (»Fighters with no stomach for the summer soldier and sunshine patriot, making the world anew with the bells of liberty«), einem Amerika Lincolns (»Fulfilling the promise of the Declaration of Independence that all men are created equal and suffering greatly to see it through«), einem Amerika des Militärs (»the America of the boys who rushed the colors in every war across three centuries, knowing in them is the life of the republic«), einem Amerika des Vietnamkriegs (»Fighting the fight even in the most forlorn cause, even in the most grim circumstances, even in the most distant and hostile corner of the world. Standing in defeat for the life and liberty of other peoples in other lands«) und nicht zuletzt einem großzügigen, freundlichen, inklusiven, weiblichen Amerika (»[…] generous and welcoming and bold. She is resourceful and confident and secure. She meets her responsibilities, she speaks quietly because she is strong. America does not boast because she has no need to«; zitiert nach Givetash und McCausland 2018). Inwiefern Meghan McCain auf eine Auferstehung dieser alten Größe im Diesseits hofft, ging aus der Rede nicht explizit hervor. Doch der Umstand, dass sie die Würdigung ihres Vaters für eine Herabwürdigung Trumps nutzte, könnte ein Hinweis sein. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.95 Das Missverständnis könnte sein, dass es dieses Amerika John McCains immer nur im Jenseits gab. Es ist ein idealisiertes Amerika, das wenig mit der Realität zu tun hat, sei es mit der des Vietnamkriegs, sei es mit der Lincolns oder mit jener der Cherokees. Auch deshalb war die Beschwörung dieser Werte im Rahmen einer Beerdigung eine gute Idee. Nach allem, was wir wissen, fliegt der einstige Pilot John McCain nicht durch die Wolken dem Gesicht Gottes entgegen – und umgekehrt steigt kein göttliches Amerika von dort zu den Amerikanern herab, noch ist es je von dort herabgestiegen, mag es sich einst auch geschlossen zu bestimmten Idealen bekannt haben, die sich gegenwärtig der Bewährung aussetzen müssen. Im Zwielicht der Präsidentschaft Trumps erstrahlte selbst das ›Weichei‹ George H. W. Bush in neuem Glanz (vgl. Bryant 2018). Dessen Dahinscheiden und die anschließenden Feierlichkeiten dominierten tagelang auf irritierend massive Weise die Berichterstattung der amerikanischen Medien; ob ihm die gleiche Aufmerksamkeit zugekommen wäre, hätte Hillary
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Clinton die Wahl gewonnen, kann zumindest bezweifelt werden. Genüsslich wurde der noble Staatsmann und Aristokrat Bush gegen den amtierenden Präsidenten in Szene gesetzt, als »a contrast impossible to miss« (Page 2018). Auch diese Beerdigung wurde genutzt, um sie gegen Trump auszuspielen – nicht nur ein Präsident, eine ganze politische Ära wurde, so die Massenmedien, zu Grabe getragen: »Americans have not just been mourning the passing of a president, but also the vanishing of a bygone politics« (Bryant 2018). Das Weiterleben McCains im Himmel ist durch seine Lebensführung gewährleistet, oder anders: seine Heilsaussichten sind gut. Und der notorische Lügner Trump, dem man mehrere außereheliche Affären nachgewiesen hat? Auch er hat ja ein idealisiertes Amerika bemüht, lediglich dessen Inklusionspotenzial ein wenig verkleinert: »He was not someone who was personally a Christian, but he was someone who showed that he knew the power of calling America a Christian civilization.« (Matthew Bowman, zitiert nach Riess 2018) Auch im Hinblick auf die Religion erweist sich der »am wenigsten gottesfürchtige Präsident der US-Geschichte« (Berliner Morgenpost) als Populist.96 Ein bisschen Beten hat schließlich noch keinem geschadet – vor allem dann nicht, wenn es mit einem Lobpreis auf den von Gott gesandten Trump verbunden werden kann: »Über Jahrzehnte driftete dieses Land auseinander, und jetzt hast du uns Präsident Donald Trump gegeben, der uns wieder heilt.« (Robert Jeffries, zitiert nach Berliner Morgenpost 2018) Trumps Arznei: eine speziell für seine an Globalisierungsparanoia erkrankten, unter einem Minderwertigkeitskomplex leidenden Wähler hergestellte Tinktur, die auf typisch amerikanische Ausgangsstoffe zurückgreift. Wer immer ihm vorwirft, unamerikanisch zu handeln, hat sich die Rezeptur nicht genau angesehen.
The American Warum ist er nur so besessen vom Gewinnen, fragen die amerikanischen Massenmedien scheinheilig, etwa seinen Co-Autor Tony Schwartz, der Trumps Verhalten mit dessen Kindheit erklärt, also beim Individuum stehenbleibt (vgl. T. Schwartz 2018). Aus meiner Sicht taugt Trump selbst wenig »as a focus of praise or blame, of responsibility for noncivilized behavior« (Levy und Rappaport 1982). Der Bezug auf Trumps Kindheit ergibt im Hinblick auf seine Identität als Amerikaner nur dann Sinn, wenn man auf die soziale Matrix achtet, die in den USA Menschen formatiert.
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Deshalb will ich in diesem Abschnitt versuchen, die Ereignisse zu erfassen, die Trump mit seinem Vater, mit der Gruppe und seinem Land verbinden. Mit Ruesch und Bateson (1951) begreife ich jene Werte als Dreh- und Angelpunkt des amerikanischen Lebens, die sich aus der Geschichte der Einwanderung und der Besiedlung, die immer auch eine Emigration war, ergeben haben (vgl. Simon 2005, an dessen Zusammenfassung ich mich im Folgenden orientiere). Die Heldenhaftigkeit der amerikanischen Pioniere – ihr Mut, die Heimat zu verlassen und sich dem Unbekannten zu stellen – steht dabei in direktem Zusammenhang mit dem amerikanischen Ideal der Freiheit; die meisten Einwanderer hatten Staaten verlassen, in denen sie unterdrückt wurden oder die sie als ungerecht empfanden. Auch Trumps Großvater Friedrich (später: Frederick) Trump entschied sich im Alter von 16 Jahren, von Kallstadt in der Pfalz in die USA zu emigrieren; offenbar nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen, galt in der Pfalz doch das Prinzip der ›Realteilung‹, dem die USA das der ›Arbeitsteilung‹ entgegensetzten, das jedem Tüchtigen nach fünf Jahren den Erwerb mehrerer Morgen Land erlaubte (vgl. Trump und Schwartz 1987: 66). Indem Trump die Einwanderung als Identifikationsangebot für die USA ablehnt, handelt er aber noch lange nicht ›unamerikanisch‹. Denn obwohl die amerikanische Gesellschaft einerseits der Gleichheit einen hohen Wert beimisst, bestehen in den USA wie erwähnt die größten denkbaren Unterschiede und Ungleichheiten im Blick auf Wohlstand, Position und Macht, ohne die er es kaum ins Präsidentenamt geschafft hätte. Dass diese Unterschiede zugenommen haben, darin stimmen Massenmedien und Wissenschaft überein, auch wenn über die Gründe gestritten wird.97 Trotz dieser Ungleichheiten bekennen sich die USA auch unter Trump noch prinzipiell zur Gleichheit und nicht zur Ungleichheit. Simon führt das Geschworenengericht als Beispiel an. Dieses Prinzip, Gremien und Steuergruppen und nicht etwa Einzelpersonen Autorität zuzuweisen, trägt nicht nur dem Ideal der Gleichheit Rechnung; es erlaubt im gleichen Moment auch, sich die Funktionalität von Autorität zunutze zu machen, und zwar durch den Verzicht auf individuelle Autoritäten.98 Dieser Umstand erklärt nicht zuletzt die Bedeutung von Sportteams in amerikanischen Universitäten. Von früher Kindheit an werden Amerikaner darin trainiert, sich in Gruppen einzufügen: »Daher genügt es ihm (›dem‹ Amerikaner, M. H.) nicht, wie in einem patriarchalen System, sich mit dem jeweiligen Oberhaupt gut zu stellen, sondern er muss im System der Gleichen vielen gefallen.« (Simon 2005: 38) Ein Konformitätsdruck, dem der Millionärssohn Trump nicht im üblichen Maße ausgesetzt war. Beobachter wie
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Karen Demirjian unterstellen ihm deshalb implizit, kein Amerikaner zu sein: »He is not a guy to join a group.«99 Dieser Wert steht in direktem Zusammenhang mit einem anderen Wert: dem des Gewinnens. Wer Erfolg hat, wird in den USA von seinen Mitbürgern anerkannt und respektiert, und erwirbt somit auch das Recht, sich selbst zu respektieren und wertvoll zu fühlen. Bestimmt wird Erfolg aber rein quantitativ. Andy Warhol hat mit seiner Serie der Dollarzeichen diesem amerikanischen Wert ein Denkmal gesetzt. Trump verdankt seine Wahl nicht zuletzt diesen beiden Werten, die er in Reinform – also ohne moralische oder intellektuelle Eintrübungen – zu verkörpern weiß. Als Geschäftsmann steht er für finanziellen Erfolg, wie immer es um seine Finanzen faktisch bestellt sein mag, und es ist dieser finanzielle Erfolg, den er auch seinen Wählern in Aussicht stellte: »Billions of Dollars are pouring into the coffers of the U.S.A. because of the Tariffs being charged to China […] lets just make our Country richer than ever before!« Auch das amerikanische Credo des Time is money hängt direkt mit der Geschichte der USA als Einwanderungsland zusammen. Denn da die Herkunft der Einwanderer so verschieden war, blieb zuletzt nur die quantitative Bewertung als gemeinsamer Nenner – der in Geld messbare, wirtschaftliche Erfolg (vgl. Simon 2005: 39). Wer Erfolg hat, wird in den USA deshalb von seinen Mitbürgern anerkannt und respektiert, womit er das Recht erwirbt, sich selbst zu respektieren und wertvoll zu fühlen – und der Erfolg wird wirtschaftlich gemessen. Diese »zwanghafte Orientierung an quantifizierbaren Maßstäben« (Simon 2005) hat in den USA nicht nur dazu geführt, dass Maximierung einen höheren Wert als Optimierung darstellt; wir können sie auch im Hinblick auf die Formatierung bzw. Erziehung Trumps einsetzen, betreten hier allerdings den Boden der Spekulation. »Menschen werden geboren. Personen entstehen durch Sozialisation und Erziehung«, so Luhmann (2002b: 38). Die Vermutung ist, dass im Falle Trumps das Milieu, in dem seine Sozialisation stattfand, eine wichtigere Rolle spielt als die Erziehung. Die Erziehung konnte die sozialisationsgesteuerte Genesis seiner Person deshalb nicht korrigieren und offenbar nur geringfügig ergänzen. Nicht nur die Überzeugung von der Überlegenheit der weißen Rasse, auch ein gewisser Hang zur Kriminalität wurde ihm offenbar ›in die Wiege gelegt‹.100 Von den individuellen Besonderheiten seiner Aufzucht abgesehen, scheint die Notwendigkeit der Maximierung auch Trumps Kindheit entscheidend geprägt zu haben. Amerikanische Eltern verlangen von ihren Kindern, ›heavier, bigger, stronger, and smarter than other babies‹ zu sein:
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»Liebe und Zuneigung wird davon abhängig gemacht.« (Simon 2005: 39) Trump bestätigt diesen Verdacht: »That’s why I’m so screwed up, because I had a father who pushed me so hard […]« (zitiert nach T. Schwartz 2018). Sein Co-Autor Tony Schwartz beschreibt eine Seite von ihm aus diesem Grund als die eines »frightened child of a relentlessly critical and bullying father and a distant and disengaged mother who couldn’t or wouldn’t protect him«. Die andere Seite sei die des selbstbewussten Geschäftsmanns, der dem Vater gerecht werden will: »Fear is the hidden through-line in Trump’s life – fear of weakness, of inadequacy, of failure, of criticism and of insignificance. He has spent his life trying to outrun these fears by ›winning‹ – as he puts it – and by redefining reality whenever the facts don’t serve the narrative he seeks to create. It hasn’t worked, but not for lack of effort.« (T. Schwartz 2018) Weil das Scheitern hier keine Option darstellt, es sei denn innerhalb bestimmter subkultureller Kontexte, haben die USA für diese Fälle diverse Erzählungen kreiert, die in den meisten Fällen von der Pflicht des Weitermachens handeln. Auch wenn man noch so oft angezählt oder ausgeknockt wird: Man muss wieder aufstehen. Trump hat dieses Ideal des Gewinners bzw. Gewinnens auf fast schon parodistische Weise in seinem Wahlkampf prozessiert: »We’re going to win. We’re going to win so much. We’re going to win at trade, we’re going to win at the border. We’re going to win so much, you’re going to be so sick and tired of winning, you’re going to come to me and go, ›Please, please, we can’t win any more.‹« (Trump, zitiert nach Crilly 2017) Genau deshalb ist es ihm nicht möglich, eine Niederlage einzugestehen, die immer nur als die Vertagung eines zukünftigen Sieges interpretiert werden kann: »Ultimately, I have no doubt that we’ll win that particular case.« (Trump, zitiert nach Thomas und Superville 2017) Denn wer immer wieder aufsteht, der schafft es eines Tages auch, so die Idee. Es gibt in diesem Sinne kein Scheitern. Was es gibt, ist das Glück des Tüchtigen, sprich: des Handelnden, der eines Tages für seine Mühen belohnt wird, der also auch selbst schuld ist, wenn er es nicht schafft, und diese Schuld nicht abwälzen kann auf ›die Welt‹. Für Ruesch und Bateson (1951) liegt in diesem amerikanischen Selbstverständnis bzw. ›Realitätssinn‹ der Amerikaner der Schlüssel zur Frage, warum es trotz der massiven sozialen Ungleichheiten in den USA bisher nicht zu Unruhen kam: Gleichheit wird immer nur als Gleichheit der Möglichkeiten verstanden. Dass auch diese Gleichheit der Möglichkeiten lediglich ein Ideal darstellt, wissen wir heute. Doch nur wer dieses Ideal – und nicht die wirklichen Verhältnisse – als Vergleichsmaßstab nimmt, ist in der Lage, auf Besseres zu verweisen.
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Ein anderer von Ruesch und Bateson ermittelter amerikanischer Wert ist der Wandel (1951). Veränderung wird stillschweigend mit Fortschritt gleichgesetzt. Simon spricht von einer ›Kultur der Ingenieure‹, die ihr Handeln nicht am Warum, sondern allein am Wie orientieren; ein Wert, der in der Philosophie des Pragmatismus Form annahm. Für die Süddeutsche Zeitung ist Trump denn auch ein Produkt dieser Denkschule (Kreye 2016) – ein Akteur, dem »jedes Mittel recht ist«, und für den – wie für die Pragmatiker die Wahrheit ihrer Theorie – die Richtigkeit seines Handelns allein der praktische Erfolg beglaubigen kann. Nun gehört zum Pragmatismus mehr als nur der blinde ›Wille zur Handlung‹ oder zur Praxis; vielmehr geht es darum, die eigenen Überlegungen (mit Peirce: »den Gegenstand unserer Konzeption«) mit den Folgen dieses Handelns zu konfrontieren, sie anhand der beobachtbaren Resultate, der praktischen Konsequenzen zu beurteilen. Welches Mittel recht ist, entscheidet sich im Nachhinein: »›Das Wahre‹ ist, um es kurz zu sagen, nichts anderes als das, was uns auf dem Wege des Denkens vorwärtsbringt.« (James 1994: 140) Man kann hier durchaus von ›post-truth‹ sprechen, ein Terminus, den das Oxford English Dictionary zum Wort des Jahres 2016 kürte, und den man im Deutschen als Postfaktizität kennt, Angela Merkel sei Dank (vgl. Heine 2016). Er hat keinen guten Klang, als leugne er die Wirklichkeit, dabei ging es den Pragmatikern ganz im Gegenteil darum, sie anzuerkennen. Das Gegenteil ist mithin der Fall bzw. wahr: dem Pragmatiker ist gerade nicht jedes Mittel recht, sondern nur eins, das sich bewährt. Für Peirce ist der Pragmatismus deshalb vor allem eine Methode der Begriffsklärung, die sein einstiger Weggefährt James später ›gekidnappt‹ habe, um sie in eine Weltanschauung zu verwandeln (Peirce 1992). Dass Trump jemand ist, der sorgfältig prüft, mit James: welches Verhalten eine Idee »diktiert oder anregt«, um sie anschließend in den »Fluss der subjektiven Erfahrung« zu tauchen, ist eher unwahrscheinlich – die »America First«-Norm lässt es schlicht nicht zu. Die Ideen werden gerade nicht an der Umsetzung in der Wirklichkeit gemessen, sondern daran, wie sie sich in dieses Schema fügen. Das zeigt sich nicht zuletzt an seiner Entschlossenheit, die den Wählern gegenüber formulierten Wahlversprechen zu halten, und zwar völlig unabhängig von den Widerständen, die die Wirklichkeit ihnen entgegensetzt. Die Verwirrung hat mit einem Umstand zu tun, mit dem ich mich im zweiten Teil ausführlich beschäftigen werde: der Übersetzung einer Wahrheitsfrage in eine Machtfrage. Wahr ist für Trump das, was ihn auf dem Weg der Macht weiterbringt. Dieser Wechsel des Mediums ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht, mit Gregory Bateson zu sprechen.
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Das ändert nichts daran, dass der Pragmatismus so interpretiert wurde: als »eine Denkschablone für erfolgsbesessene Werbestrategen und Geschäftsmänner« (Duru 2017). Daran war Kidnapper James nicht ganz unschuldig, der vom cash value der Wahrheit spricht, »ihrem Wert in bar« (Marcuse 1994: 13) – und damit auf einen anderen amerikanischen Wert bezug nimmt. Wahrheit, so James, müsse sich auszahlen. Ludwig Marcuse hat darauf aufmerksam gemacht, dass diese Metaphern nicht zuletzt als Kampfbegriffe gedeutet werden müssen, die dem Zweck dienten, die Welt »aus den Klauen der geistreich erdachten metaphysischen Gespenster« zu befreien (Marcuse 1994: 14). Es kam also auch hier darauf an, that they pay, sprich: dass sie sich gegen die alten Autoritäten in Stellung bringen ließen. Der Preis dieser Zuspitzungen war, dass der Pragmatismus schließlich zu etwas wurde, gegen das er sich ursprünglich gerichtet hatte – zu einem Glaubenssystem, einer neuen Kirche. Es passt ins Bild, dass James dem »Willen zum Glauben« (1956) einen eigenen Aufsatz widmete. Demnach hätte der Trump-Anhänger das Recht eine gläubige, Trump bejahende Haltung einzunehmen, mag auch der »rein logische Intellekt« (Bertrand Russell) dazu keinen zwingenden Grund sehen. Gewiss, die Vorstellung »America First/Great Again« kann wahr werden; folgt man Trump, ist das mittlerweile der Fall, Amerika ist dank seines Wirkens great again. Nur wird die Vorstellung nicht durch eine weitere Behauptung wahr, durch einen den Willen zum Glauben beglaubigenden Willen, sondern durch entsprechende Ereignisse, also post-faktisch – die Vorstellung selbst ist noch kein solches Faktum. Lassen sich derlei Ereignisse identifizieren? Der Aufsatz von James stellt eine pragmatische Referenz auf die Pascalsche Wette dar, es handelt sich – wenn man so will – um Religionspsychologie. Auf ähnliche Weise lässt sich die Wette auf Trump bzw. die wiederherzustellende Größe Amerikas erklären. Es ist eine bessere Wette als die auf den unaufhaltsamen Niedergang, weil der Erwartungswert des Gewinns, der durch den Glauben an Trump bzw. Amerikas Größe erreicht werden kann, größer ist als der Erwartungswert im Fall des Unglaubens. Genauso wenig wie Pascal ein Argument für die Existenz Gottes präsentiert, sondern eines für den Glauben an diese Existenz, geht es dem Trump-Anhänger nicht so sehr um die faktische Wiederherstellung amerikanischer Größe – es ist der Glaube an diese Wiederherstellung bzw. an Trump, der sich auszahlt (der gleichsam cash value hat, und für Trump: power value). ›Wahr‹ ist mithin nicht, dass Trump Amerika wieder groß gemacht hat; wahr ist der Glaube an den Erlöser Trump. Dass dieser Glaube die Trump-Anhänger nicht auf dem Weg des Denkens weiterbringt, dürf-
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te feststehen; dass er sie aber weiterbringt, wohin auch immer, auch – die Stabilität seiner Zustimmungswerte (der »unwavering support«, den er trotz seines »shocking behavior« erfährt, vgl. Azarian 2016) spricht eine deutliche Sprache. Umgekehrt gilt für Trump, dass die Richtigkeit seines Handelns bisher einzig durch das Post-Faktum seiner Wahl zum Präsidenten beglaubigt wurde - und auch die fortdauernde Unterstützung der republikanischen Wählerschaft lässt sich belegen. »How to explain the thousands of Trump supporters who held signs – given to them when they entered the Coliseum – that read ›Finish the Wall‹, when Trump has not yet begun any construction on said wall?« fragt Dave Eggers in einem Text für den Guardian, der den erneuten Sieg Trumps für durchsaus möglich hält (2018). Die politische Erklärung liefert die»America First«-Ideologie, die allgemein und unbestimmt genug ist, um jeweils neuen Lagen Sinn zu geben, wobei Trump seinen Anhängern hin und wieder durchaus ›zuflaggen‹ muss, wie bestimmte unerwartete Ereignisse korrekt zu interpretieren sind (vgl. Luhmann 2010: 308); die psychologische Erklärung liefert der Ansatz von James. »We needed somebody like Trump. We were getting weaker and weaker.« (Mando Ramirez, zitiert nach Eggers 2019) Ob Trump in der Lage ist, den Trend faktisch umzukehren, ist demgegenüber zweitrangig. Während Ideologie die unbestimmte Komplexität von Politik in bestimmbare Komplexität transformiert und derart das eigene Denken und Handeln orientiert, fungiert der Wille zur Ideologie als eine Art self-fulfilling prophecy: es ist wahr, dass Trump Amerika wieder groß macht, weil es besser ist, an dessen Wiederauferstehung zu glauben als an seinen Abstieg. Wer das Beste hofft, wird schon durch die Hoffnung belohnt, ob es nun eintrifft der nicht. Zumindest in das Werk von James lässt sich deshalb ein amerikanischer »Optimismus der Willenskraft« hineinbeobachten, der auch Trump auszeichnet, mit Bertrand Russell: der allmächtige Mensch, und damit ein »typisch amerikanischer Appell an die Gewalt« (zitiert nach Duru 2017). Wobei ich das Wort in diesem Zusammenhang nicht als Anwendung physischer Kraft, sondern als Handlungszwang begreife (der für Amerikaner möglicherweise eine Zwangshandlung darstellt): appelliert wird dazu, sich zu zwingen, und zwar zum Handeln, was mit Stärke identifiziert wird. Situationen werden mittels Handlung beherrscht: »I don’t think I have to prepare very much. It’s about attitude. It’s about willingness to get things done.« (Trump vor seinem ersten Besuch bei Kim Jong-un, zitiert nach Smith 2018a) Wäre Trump Pragmatiker, hätte er sich wenig später dem Post-Faktum gestellt, dass er mit diesem blinden Willen zur Handlung in außenpolitischer Hinsicht bisher nur sehr wenig erreicht hat.
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James hatte sich als ›Schwächling‹ geoutet, als Loser, der sich zum Heldentum entschließt (vgl. Marcuse 1994: 67), in eine Ethik des Durchhaltens und Weitermachens rettet. In diesem Sinne können wir die Trump-Wähler als Schwächlinge begreifen, als Verlierer, die sich couragiert, ja heroisch für Trump entscheiden, für den Willen zum Glauben – für eine »Moral des Muts, nicht ein Sedativ« (Marcuse 1994: 68). Sie können als Entfaltung eines Paradoxons begriffen werden: Schwächlinge, »hart wie die Rocky Mountains« (James, zitiert nach Marcuse 1994: 68). Die Zarten vertrauen auf die Politik und den Staat und die Institutionen. »Die Harten nehmen auf sich die Freiheit und den Zufall und das Rätsel und das Unvorhersehbare, mit Mut.« (Marcuse 1994: 68) Sie verzichten beherzt auf alle bisherigen Sicherheiten, auf die »Ammenlieder« der Demokraten, die »eine zu zarte Menschheit sich zur Tröstung geschaffen hat« (Marcuse 1994: 68), um Trump auf sich zu nehmen: mit Mut. Mittels dieser Perspektive ist zuletzt die vielfach für nötig befundene Würdigung seiner gern als dumm, ungebildet und rassistisch denunzierten Anhänger möglich (vgl. Lerner 2016). Jenseits aller Inhalte erscheint der Wille zu Trump als Wille zum Abenteuer, »wenn man mit Abenteuer jenes überschwengliche Offen-Sein für Erfahrungen bezeichnet, welche die pragmatische Methode als eine ihrer Konsequenzen entlassen hat« (Marcuse 1994: 72). Bisher hat sich dieser Glaube an eine Erneuerung, ja Neuschöpfung Amerikas, deren »hingerissene Zeugen« (Marcuse) sie nun sind, offenbar ausgezahlt. Es ist ein erneuter Hinweis auf die These von Bateson und Ruesch, dass Handeln in den USA, anders als etwa in Deutschland, grundsätzlich höher bewertet wird als Erleben. Auch die Strafzölle und Dekrete Trumps und der ›Trump Shutdown‹ können als Illustration dieser Unterstellung dienen. Noch im Nike-Slogan »Just do it« spiegelt sich dieser Wille zum Glauben an die Tat – vor aller Reflexion. Die Amerikaner haben ihm Folge geleistet ›einfach‹ Trump gewählt, wider alle Vernunft, denn die hilft in Sachen Glauben nicht viel. Und ihr Anführer lebt ihnen das Credo blinden Handelns vor. Hier kommt wiederum der Held ins Spiel, dessen Heldentum beglaubigt wird dadurch, dass er zum Anführer wird. Handlung und Umsetzung sind hoch bewertet – oder um es mit Hilfe eines psychoanalytischen Begriffs auszudrücken: das Ich. Nicht zuletzt in diesem heroischen Aktionismus erweist sich Trump als uramerikanisch. Um Ruesch und Bateson zu paraphrasieren: Things have to be done fast in America, and therefore politics has to be ›brief‹ (vgl. 1951: 148). Aus diesem Blickwinkel erscheint auch Trumps Bitte an den Senat, »to ditch the filibuster role and allow a simple majori-
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ty vote so he could get his legislative priorities through the chamber ›fast and easy‹« (zitiert nach Moore 2017) in einem anderen, amerikanischen Licht. Zuletzt sei ein amerikanischer Unwert genannt, den Trump für seine Zwecke nutzt: den der weißen Überlegenheit. Ich muss den Leser kaum daran erinnern, dass die amerikanische Geschichte die Geschichte eines Genozids ist. Auch der Rassismus ist, wie nicht zuletzt die ungleich hohen Zahlen schwarzer Gefängnisinsassen zeigen, ›amerikanisch‹ (vgl. Alexander 2012). Für Shintarō Ishihara ist dieser Rassismus ein elementarer Bestandteil der amerikanischen Ideologie, der auch zum Atombombenabwurf auf Japan geführt habe (vgl. Ishihara 1991). So gesehen ist es in der Tat eine Sensation, dass Barack Obama trotz seiner Hautfarbe Präsident werden konnte – aber kaum die Wahl eines white supremacist in einem Land, das Schwarze bis heute bis auf einige wenige Ausnahmen – sagen wir es vorsichtig – deutlich benachteiligt. *** In den vorhergehenden Abschnitten habe ich zu zeigen versucht, dass die Stabilität von Werten auf einer »Unterstellung des Unterstellens« (Luhmann) beruht, und insofern alles andere als stabil ist. Diese Praxis der Unterstellungsunterstellung kann als ein fortwährendes Austesten des Wertebestands einer Gesellschaft begriffen werden, mit der das Unterstellen geleistet werden kann – oder eben nicht mehr geleistet werden kann. Da es keinen Selbstvollzug der Werte gibt, kann Trump sie ohne große Mühe gegen die Wand fahren lassen – allerdings wiederum im Namen von Werten. Würde er keinerlei Werte in Anspruch nehmen, wäre das in der Tat hoch innovativ, aber damit fiele die für jeden Politiker so wichtige Übereinstimmung mit seinen Wählern aus. Trump ist in dieser Hinsicht durchaus reliable – nur eben nicht seinen Bündnispartnern gegenüber. Dass Werte wertvoll sind, würde auch er also kaum bestreiten. Demokratie, Menschenrechte oder Gleichberechtigung sind zwar verhandelbar – aber nur, sofern Amerikas Erstheit nicht negiert wird. Dabei gereichte Trump insbesondere ein Umstand zum Vorteil: der Kandidat der Republikaner setzte auf einige wenige basic values, vornehmlich auf den Wert der amerikanischen Nation und auf Arbeitsplätze. Im Gegensatz dazu wichen die Demokraten dem Problem der mit Werten verbundenen Diskriminierung aus, indem sie zu viele – unübersichtlich viele – anführten. Wie Luhmann anmerkt: »Like stars in the heavens there are countless values.« (Luhmann 2008e: 28) Wer Feuer, Leidenschaft, Nach-
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druck will, muss sich beschränken. Auch hierin war Trump erfolgreicher als seine Konkurrenten.101 Doch der Preis, den Trump für diese Beschränkung zahlt, ist hoch: wenn Geld und Nation kollidieren, kann er nicht auf andere Werte ausweichen. Der Zwang lautet hier: Etabliere eine Werthierarchie und entscheide dich für einen der beiden Werte – Vertragserfüllung oder Zahlungsfähigkeit, Nationalismus oder Geld – auf Kosten des anderen. Man kann mit Luhmann von einer Art Verdrängungswettbewerb zwischen nationalen und wirtschaftlichen Themen sprechen. Dessen Vermutung war, dass in dem Maße, in dem der Fundamentalismus zurücktrete, wirtschaftliche Themen die »Hauptmasse des politischen Streits« bilden würden (vgl. Luhmann 2002a: 111). Doch Trump kann es sich nicht erlauben, den Fundamentalismus zu vernachlässigen. ›In letzter Instanz‹ scheint er sich stets für die Nation zu entscheiden, zumal in Fragen der Innenpolitik, und hier wiederum inbesondere in Wahlkampfzeiten: »The assault on our country at our Southern Border, including the Criminal elements and DRUGS pouring in, is far more important to me, as President, than Trade or the USMCA.« (Trump 2018) Auch die Entscheidung, das Pariser Abkommen zu kündigen, riskiert hohe Kosten. Große Ölfirmen wie ExxonMobil drängten Trump, dem Abkommen treu zu bleiben. Zudem droht den USA durch die Kündigung eine zusätzliche Spaltung: viele Staaten haben sich jenseits des Abkommens ehrgeizige Einsparziele verpasst und fungieren als international vernetzte »laboratories for new, innovative policies« (National Research Council 2011: 167). Trumps Fundamentalismus muss diese Vergleiche abwehren. Gemeinsam ist beiden Positionen, dass sie eines deutlichen EntwederOder bedürfen – und genau hier kommen sie zusammen. Dass Trump seine wirtschaftlich motivierten Entscheidungen wie die Strafzölle auf Stahl mit nationalen Sicherheitsinteressen begründet, erscheint aus dieser Sicht weniger absurd. Nicht so sehr, weil die USA Stahl zur Kriegsführung benötigen, sondern weil beide Momente in Trumps Doktrin eine Einheit bilden. Dass der Frieden mit Nordkorea wichtiger ist als Zahlungsfähigkeit, kann dabei als Trump’sche Variante des Pazifismus begriffen werden: »I think that, frankly, North Korea is maybe more important than trade […]. Trade is very important. But massive warfare with millions, potentially millions of people being killed? That, as we would say, trumps trade.« (Trump, zitiert nach Watson 2017) Trump könnte auch kognitiv reagieren und den Verlust der einstigen Größe Amerikas anerkennen. Er reagiert normativ, das heißt, er beharrt trotz anders ausgerichteter Wirklichkeit auf dieser Größe – genau wie sei-
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ne Wähler. Seine politische Lernfähigkeit bzw. sein Opportunismus wird sich daher vermutlich in jenen Bereichen erweisen, die nicht zentraler Bestandteil seiner »America First«-Agenda sind, wie sich etwa im Fall der Strafrechts- und Gefängnisreform gezeigt hat (vgl. Vazquez et al. 2018). In den anderen diese Agenda betreffenden Feldern erlaubt die Norm ihm, das Nichtlernen und Beharren auf dem Kontrafaktischen in eine Strategie zu verwandeln. Die Norm »entpathologisiert« (Luhmann) sein Verhalten gleichsam, sie schützt ihn, gibt ihm – wie jedem von uns – das Recht zur Lernverweigerung, sei es im Hinblick auf die Gesundheitsreform, den Reisebann, den Mauerbau – oder ganz grundsätzlich die wiederherzustellende bzw. wiederhergestellte, nun aber schützenswerte Größe der USA. Doch auch das Symbol »America First« ist das Ergebnis einer Wahl: es führt einerseits die Beliebigkeit der Möglichkeiten vor, sich anders zu entscheiden (zum Beispiel für ein »America Second«) und reglementiert diese im gleichen Moment (es gibt zu dieser Alternative keine Alternative). Mit anderen Worten, es ist weder unmöglich noch notwendig, die USA an die erste Stelle zu setzen.102 Das symbolische Arrangement kombiniert so Notwendigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit in einer Weise, die klarstellt, welcher Sinn negiert werden muss, obwohl er nicht negierbar ist (vgl. Fuchs 2004: 89 ff.). Wenn es etwas gibt, dass Trump nicht kommunizieren kann, dann Amerikas Zweitheit oder Mittelmäßigkeit. Dass es prinzipiell möglich ist, hat Helsinki gezeigt – und hätte es noch eines Nachweises bedurft: dass der amtierende amerikanische Präsident ein Zehenspitzenakrobat ist, der Risiken nicht scheut. Sein dortiger Auftritt sorgte für die bis dato wohl kritischste Phase seiner Präsidentschaft.103 Selbst Parteifreunde waren mit dieser Negation bzw. negotiation des Unnegierbaren nicht einverstanden. Trump war eine weitere Premiere gelungen: »We’ve never seen a moment in our history like this where serious people of both parties are questioning the loyalty of the president of the United States. Unprecedented.« (Carl Bernstein, zitiert nach M. Sullivan 2018) Ausgerechnet Trump hatte in Helsinki demonstriert, dass auch seine Kampagne im Kontingenzmodus operiert und der Wert Amerika negierbar ist: nicht nur dessen Institutionen (wie CIA und FBI), sondern sogar dessen Erstheit. Wenn es um das eigene Schicksal geht, spricht offenbar nichts gegen ein »America Second«.
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Opportunismus Das übliche Misstrauen, das Wähler Politikern gegenüber fühlen, weil sie ihren Selbstdarstellungen und Absichtsbekundungen nicht glauben, bekam Trump kaum zu spüren, da es sich bei ihm nicht um einen ›richtigen‹ Politiker handelte. Seit seinem Wahlsieg versucht er den Beweis zu führen, dass die Amtsübernahme daran nichts geändert hat.104 Weil er derart darauf bedacht ist, dass seine Teilnahme an Macht weder der Überzeugungskraft seiner Prinzipien, noch denen seiner Person schadet, nutzt er die weiten Spielräume für opportunistisches politisches Taktieren im Rahmen dieser Überzeugungen – man hätte im Falle des Pariser Abkommens etwa statt umweltpolitischer Aspekte das Wachstumspotential der sauberen Energiewirtschaft (clean energy industries) anführen können – nicht aus. Der Rückzug aus der Transpazifischen Partnerschaft (vgl. Lawrence 2017) ist ein weiterer Beweis für seine Vertragstreue bzw. Loyalität. Das Problem wird auch daran deutlich, dass Trump sich schwer damit tut, in anderen, nicht direkt mit Wahlversprechen bzw. seinem Image verbundenen Bereichen Entscheidungen zu treffen. Hier scheiden viele Möglichkeiten eben nicht von vornherein aus, gibt es Spielräume, eine Vielzahl von Möglichkeiten jenseits eines klaren Ja oder Nein. Die Trump vorgeworfene Prinzipienlosigkeit ist deshalb keine – er bleibt ›sich selbst‹ und dem Vertragsprinzip durchaus treu. Ob dieser Vertrag, der dem Zweck diente, den Wahlkampf zu gewinnen, eine gute Regierungssgrundlage darstellt, ist eine andere Frage, die sich ihm offenbar nicht stellt. Sally Yates hat sie mit Nein beantwortet, genauso wie der Supreme Court, der ihn schlicht ignoriert und sich stattdessen bei seiner Entscheidung zugunsten des Reisebanns auf jene Rolle bezieht, die Trump zugunsten der Person interpretiert: die des Präsidenten (dazu mehr im zweiten Teil). Ein Blick auf das Verhältnis von politischer Programmierung und Opportunismus kann hier zusätzliche Klarheit verschaffen (vgl. Luhmann 2010: 226). Opportunismus ist ein Verhalten, das sich an wechselnden Präferenzen orientiert, also einmal diesem, einmal jenem Wert auf Kosten anderer besondere Aufmerksamkeit zuwendet (vgl. Luhmann 2010: 227). Tatsächlich bedarf die Politik bis zu einem gewissen Maße einer solchen Handlungsweise, wie immer sie von außen beobachtet wird, etwa als Prinzipienlosigkeit, Ideologiefreiheit, Populismus etc. Zwar muss sie sich mit bestimmten Werten identifizieren und diese als legitimes Ziel institutionalisieren, zum Beispiel als »America First«, »jobs jobs jobs« oder ›Grenzsicherheit‹. Sie kann aber keine grundsätzlichen Rangverhältnisse zwi-
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schen diesen Werten festlegen, sondern muss auf die Situation reagieren. Oder, wie Cyert und March es im Hinblick auf Wirtschaftsunternehmen formulieren: die Politik muss zu einer »sequentional attention to goals« in der Lage sein (1963: 35 f., 118; siehe auch Rice 1963: 13 f., 188 ff.; sowie Luhmann 2010: 227). Politik kann gar nicht anders, will sie gesellschaftliche Komplexität reduzieren; sie muss, will sie zu dieser Reduktion in der Lage sein, nach wechselnden Präferenzen entscheiden. Im Falle Trumps liegen zwei Werte vor – eine Reduktion, die sich in eine schlüssige Erzählung gießen ließ: Geld und Nation. Was sich im Wahlkampf als Vorteil erwies, wird in der politischen Praxis zum Nachteil, weil es zu ständigen Wertkonflikten zwischen Geld und Nation kommt, die wie erwähnt nicht durch andere Werte – Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung usw. – aufgefangen werden können. (Wie man die Diskrepanz zwischen Rollen und Werten vermeiden kann, lässt sich gut an Angela Merkel studieren, deren Flexibilität – oder ›Gesinnungslosigkeit‹ – die Essenz ihrer Machtstellung bzw. ihres Machterhalts war. Sie muss jedoch genauso, insbesondere im Hinblick auf ihre Partner, verlässlich sein – eine Verlässlichkeit, die durch Werte untermauert wird.) Eine komplexe, durchaus widersprüchliche Wertstruktur, die Raum für unbestimmte, nicht festgelegte Prioritäten lässt, ist eine notwendige Voraussetzung für effizientes politisches Handeln (vgl. Luhmann 2010: 227). Diese ist hinsichtlich der Trump-Regierung insofern unterkomplex, weil sie die Vertragstreue gegenüber den Wählern im Besonderen und die Erstheit Amerikas im Allgemeinen für wichtiger hält als alles andere. Trump ist also – was man als kontraintuitive Erkenntnis bezeichnen kann – gerade kein Opportunist. Das musste seine Partei, die offenbar andere Erwartungen an ihn hatte, im Laufe der Zeit lernen: »Trump’s political philosophy seemed mercurial and opportunistic. The assumption was that he would be a rootless, transactional president.« (Robb 2017) Und genau das kann als problematisch beobachtet werden, nicht nur aus Sicht der Republikaner. Denn den Zweck ›amerikanische Erstheit‹ bzw. ›Wahlversprechen erfüllen‹ als invarianten Gesichtspunkt allen politischen Handelns zu setzen, sich also in eine künstlich verengte (ideologische) Position zu begeben, die eigentlich nach Ausgleich verlangt – und anders ist Zweckrationalisierung grundsätzlich nicht möglich –, lässt sich kaum für alle Situationen durchsetzen. Funktionale, also äquivalent vergleichbare Alternativen des Handelns können so nicht in den Blick kommen, bzw. wie erwähnt eigentlich nur in jenen Bereichen, die nicht Vertragsbestandteil sind. Aus der Sicht Schlegels muss ein Staat, der verfährt wie die USA un-
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ter Trump und seine Umwelt nur im Schema festliegender Interessen wahrnimmt, notwendig despotisch werden – nicht weil der gegenwärtige Präsident zufälligerweise Autokraten schätzt, weil er »Kim Jong-ish« (Stephen Colbert) agiert. Sondern weil jeder Staat, der die Politik spezifischen Zwecke unterordnet, anstatt sie ihrer selbstreferenziellen Konstitution zu überlassen, entsprechend diskriminieren muss und derart die »ohnehin artifizielle Einheit des Nationalstaats« (Luhmann 2002a: 220) untergräbt. Manche Beobachter befürchten deshalb den Zerfall der Einheit USA, denn tatsächlich setzt die Doktrin ja nicht Amerika an die erste Stelle, sondern ein Amerika der ›unterprivilegierten‹ Weißen, aus dem etwa Kalifornien (Stichwort »Calexit«) auszuscheren droht. Dabei dürfte klar sein, dass etwa die Hochschätzung der Zahlungsfähigkeit in bestimmten Zusammenhängen gar nicht neutralisiert werden muss. Gerade im Falle des atlantischen Verteidigungsbündnisses werden die destruktiven Folgen dieses Beharrens auf einer solchen Zweck/Mittel-Hierarchie alter Schule deutlich, denn dieses Bündnis fußt nun einmal nicht nur auf wirtschaftlichen Überlegungen. Andererseits hat der weitgehende Verzicht auf Opportunismus durchaus Vorteile, vor allem im Hinblick auf seine Anhänger, weil Trump so die Überzeugungskraft der eigenen Marke stärkt. Doch die Anforderungen an die Reduktionsleistungen der Ideologie, an ihre Verwendbarkeit als Entscheidungs- und Erklärungshilfe, sind hoch; sie kann dem nur durch hohe Symbolkonsistenz und Explizitheit der Werte, Programme und Faktendeutungen gerecht werden. Auch deshalb weist Trump immer und immer wieder auf die amerikanische Erstheit und die Notwendigkeit des Mauerbaus hin. Aus dem gleichen Grund nimmt die Figur der fake news bzw. der ›alternativen Fakten‹ hier eine so wichtige Rolle ein: die Fakten müssen fortlaufend im Sinne seiner Ideologie gedeutet werden. Wenn sich schon die Ereignisse nicht kontrollieren lassen, kann man immer noch versuchen, die Informationen über die Ereignisse zu kontrollieren, und nur diese beeinflussen ja das, was auf der Symbolebene passiert (vgl. Luhmann 2010: 340). Trump kann sich in dem Maße, als er von projektiver Informationsverarbeitung abhängig ist, keine Niederlage im Einzelfall mehr leisten. Er kämpft deshalb einen fast schon verzweifelten Kampf, um die Fassade seiner Macht zu erhalten.105 Man könnte sagen, Trump besteht – ähnlich wie einst Lenin – auf dem Recht, die faktischen Fakten um einer ›größeren Wahrheit‹ willen beugen zu können. Seine Wähler scheinen ihm hierin zu folgen: »›Is he just not aware of how those numbers work?‹ asked Tur of Schlapp. ›What’s the point of the tweet?‹ replied Schlapp. ›The point of
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the tweet is that for all Americans – liberals and conservatives, Democrats and Republicans, no matter the color of your skin – there’s greater economic opportunity today than before Donald [Trump].‹« (Schlapp, zitiert nach Wemple 2018b) Wenn es um die Erstheit Amerikas bzw. den Schutz der Verbindung zu seinen Wählern geht, sind Fakten zweitrangig. Das gilt auch für seine möglichen Rechtsvergehen: »I don’t know how you can impeach somebody who’s done a great job […]« (Trump, zitiert nach Beauchamp 2018). Das Konsistenzgebot der Trump-Doktrin blockiert zwar in erheblichem Maße die Änderungsfähigkeit seiner ideologisch abgedeckten Entscheidungsvoraussetzungen – Amerikas Erstheit ist nicht verhandelbar, auch die Mauer hat er seinen Wählern vertraglich zugesichert. Aber wie genau er etwa die Wiederherstellung der Erstheit umzusetzen gedenkt, darüber hat Trump keine Angaben gemacht, hier hat er also durchaus etwas Spielraum – und den scheint er zu nutzen. In der Außenpolitik etwa verwirrt er seine Gegner mit »ideologischer Flexibilität« (Sauerbrey 2018).
Khashoggi Der Mord an Jamal Khashoggi war beides: Normverstoß und unbestreitbare Tatsache. Saudi-Arabien wies im Moment der Anerkennung deshalb auf die Wirklichkeit des Normbruchs hin, den das Regime auf die Vertuschungsabsicht ausdehnte: »There obviously was a tremendous mistake made, and what compounded the mistake was the attempt to try to cover up. That is unacceptable in any government.« (Adel al-Jubeir, zitiert nach McKurdy 2018) CDU-Politiker Norbert Röttgen nannte den Mord einen »absoluten Testfall der moralischen internationalen Führungsrolle der USA« (vgl. Welt 2018). Allerdings hatte Trump diese moralische Führungsrolle ja explizit zurückgewiesen. Wenn es sich um einen Testfall handelte, dann vor allem deshalb, weil sein Bekenntnis zum Absehen von moralischen Führungsinteressen zugunsten gemeinsamer Geschäftsinteressen hier zum ersten Mal ernsthaft auf seine Tauglichkeit hin geprüft wurde. Diesen Test hat Trump nicht bestanden – und somit erneut seine Untauglichkeit als Autokrat demonstriert. Röttgens Reaktion war normativer Natur, er weigerte sich, zu lernen, weil nicht sein darf, was nicht sein darf: dass die USA nicht mehr moralisch führen wollen. Man könnte vom normativen Erwarten auf das nor-
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mative Erwarten sprechen (vgl. Luhmann 2008b: 234). Auch Trump-Gegner James Comey machte die Norm geltend: »The United States should be a shining light for the world, modeling a democracy that values truth, respects free press, protects human rights, and stands against murderers, oppression, and bigotry […]. Trump and the Republican Party are dimming that light.« (Comey, zitiert nach Touchberry 2018b) Mit gleichem Recht kann auch Trumps erste Reaktion als normativ bezeichnet werden, weil er sich durch das faktische Verhalten des saudi-arabischen Kronprinzen zunächst nicht beirren ließ. Dieser hatte ihn zwar enttäuscht, vor allem im Hinblick auf ein taktisch wenig geschicktes Vorgehen: »They had a very bad original concept, it was carried out poorly and the cover-up was the worst in the history of cover-ups.« (Trump, zitiert nach BBC 2018c) Der Hinweis auf die Unfähigkeit der Handelnden ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil er die Lernnotwendigkeiten derart auf den Einzelfall begrenzt, auf die Defizite einer »15-köpfigen Mördertruppe« (Sabah), und derart das Gerüst der Beziehungen intakt lässt. Im gleichen Moment konnte Trump normative Erwartungen dadurch in kognitive umstilisieren: Es war nicht richtig, Khashoggi zu töten, aber vor allem haben die Killer geschlampt (vgl. Luhmann 1984: 454, siehe auch Endnote 153). All das erlaubte es Trump, einerseits eine gewisse Änderungsbereitschaft zu signalisieren, um den Anlass im gleichen Moment als nicht ausreichend zurückzuweisen. Seine Antwort an die Presse hätte auch lauten können: ›I’m not a baby.‹ Die harte, faktische Wirklichkeit kennt Foltermorde, zumal die Saudi-Arabiens. Seine Entscheidung, das Kollisionsproblem der unterschiedlichen Werte zu lösen, indem er den Wert der Jobs und damit der amerikanischen Erstheit gegen den Wert eines Menschenlebens ausspielte, kann als tragic choice bezeichnet werden: amerikanische Interessen privaten Rechten vorzuziehen (zum Begriff der tragischen Wahl, siehe Luhmann 2008b: 247). Immerhin, es geschah ›seufzend‹: »It’s very sad.« (Trump, zitiert nach Gilbert 2018) Jakob Augstein hingegen zeigte sich beeindruckt: »Das ist doch mal eine klare Aussage: Mord hin, Zerstückelung her – was zählt ist die Kohle.« (2018) Bemerkenswert ist allerdings nicht so sehr, dass Trump hier den Bezug auf moralische Maximen oder Prinzipien vermissen ließ, die sich ohnehin nicht eindeutig von wirtschaftlichen unterscheiden lassen – eine »solche, wechselseitig exklusive Abgrenzung«, merkt Luhmann an, sei undurchführbar (vgl. Luhmann 1997: 397), man könnte hinzufügen: gerade auch für die Wirtschaft –, sondern dass er offenbar keinerlei Scheu davor hat, mit Mißachtung gestraft zu werden: »Other presidents have often shied away from talking about what lies at the heart of the strategic alliance with Saudi Arabia – oil production
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and low gas prices. Not Mr. Trump.« (Barnes 2018) Wie sich an seiner Reaktion studieren lässt, kann der diabolische Geldwert ein Symbol wie das der Menschenrechte mühelos ersetzen und ›eintrocknen‹ lassen (vgl. Luhmann 1994b: 242). Menschenrechte mögen ein hohes Gut sein, aber wie alle Güter sind sie in der Lage, hohe Kosten zu verursachen. Trumps Seufzer war nicht ausreichend. Bald zeigte sich, dass die neue Norm der Belastungsprobe Khashoggi nicht gewachsen war. »The world has a question for the White House«, so die Washington Post. »When do murders matter?« (Rauhala and Troianovski 2018) Im Fall Khashoggis – »a Washington Post columnist and U. S. permanent resident« (Shesgreen 2018) – spielte ein vorsätzlicher Tötungsdelikt offenbar eine gewisse Rolle. Zumindest für die Massenmedien, mögen die Wirkungen auf die Politik sich bisher auch eher in Grenzen halten. Ein ganz andere Frage ist, wann ein Geschäftsabschluss mit Saudi-Arabien einen Verstoß gegen die Moral darstellt. Antwort: kurz nach dem Bekanntwerden einer Journalisten-Zerstückelung. Nach der Intervention der Medien und Stelllungnahmen einzelner Republikaner wie Bob Corker oder Lindsey Graham (vgl. Shesgreen 2018) machte Trump zumindest eine gewisse Bereitschaft zu Sanktionen geltend: »Whoever thought of that idea, I think is in big trouble. And they should be in big trouble.« (Zitiert nach BBC 2018c) Lässt sich noch bestreiten, dass der Kronprinz involviert war? »Well, the prince is running things over there more so at this stage. He’s running things and so if anybody were going to be, it would be him.« Doch zuletzt spiele es schlicht keine Rolle: »In any case, our relationship is with the Kingdom of Saudi Arabia.« (BBC 2018c) Dass weder für die Türkei noch für Saudi-Arabien die Funktionsautonomiepostulate Rechtsstaat und Demokratie als durchgesetzt gelten können, ist bekannt. Die Ermordung eines Kritikers ist in Saudi-Arabien keine Ausnahme, sondern die Regel – es ist gleichsam das Privileg des saudischen Kronprinzen, Gegner zu liquidieren. Dieses Privileg eines »Rechts zur Rechtswidrigkeit« (Luhmann) mag man einem Herrscher im sogenannten Westen nicht zugestehen, schlicht weil er – anders als Trump anzunehmen vorgibt – keiner ist; als Inhaber der höchsten politischen Gewalt darf er nur öffentlich von solchen Zuständen träumen. Die Mehrzahl der amerikanischen Politiker fühlte sich ermutigt, an ihren normativen Erwartungen festzuhalten, und einen Konflikt mit dem Weißen Haus in Kauf zu nehmen. Zu dieser Entschlossenheit trug nicht zuletzt die Reaktion der Medien bzw. der Öffentlichkeit entscheidend bei. Lindsey Graham wusste sich mit seiner aggressiven Reaktion auf der si-
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cheren Seite, denn dass man ihm darin recht geben würde, dass ein – zumal mit den USA verbündeter – Staat nicht ungestraft kritische Journalisten ermorden darf, davon konnte er ausgehen (vgl. Schmitt und Fandos 2018). In archaischen Gesellschaften war es diese öffentliche Unterstützung angesichts eines Rechtsbruchs, die dann – um die »colére publique« (Durkheim) in Schach halten zu können – zu entsprechenden Rechtsre geln geführt und Erwartungssicherheit produziert hatte (vgl. Luhmann 1984: 454 ff., der allerdings einschränkt: wenn man Berichten aus diesen Gesellschaften traut). Heute scheint die öffentliche Erregung – sei es im Falle Khashoggis oder im Zusammenhang mit der #metoo-Debatte, dazu mehr im nächsten Abschnitt – darauf zu reagieren, dass die Aufmerksamkeit für Probleme der Menschenrechte zwar weltweit zugenommen hat, diese aber nicht durch Gesetze oder Verträge modifizierbar sind, weil sich ihre Gültigkeit nicht zentralisieren lässt. Da sich die Enttäuschungen nicht abarbeiten lassen, tritt etwas anderes an ihre Stelle: »eine sehr ursprüngliche Art von Normgenesen auf Grund von sakandalösen Vorkommnissen« (Luhmann 2008b: 249), von Skandalen mit normgenerierender Potenz. »Ob es Texte gibt, die das verbieten, und von wem sie beschlossen sind, wer sie ratifiziert hat und wer nicht, spielt dabei kaum eine Rolle«, so Luhmann. Als Beispiele dienten ihm »das spurlose Verschwinden von Personen mit staatlicher Verhinderung der Aufklärung, rechtswidrige Verhaftungen und Folterungen sowie politische Morde jeder Art« (Luhmann 2008b: 249). Saudi-Arabien ist es im Fall Khashoggi auf bemerkenswerte Weise gelungen, all diese Momente zusammenzubringen. Die empörte Reaktion der Weltgemeinschaft – »fast so, wie wenn der Normsinn durch sakrale Mächte gedeckt wäre« (2008b: 249) – bestätigt Luhmanns Vermutung. Sein Vorschlag war es, die Semantik der Menschenrechte durch die der Menschenpflichten zu ersetzen (2008b: 251) und die hochmoralisierte Pathosformel ›Menschenrechte‹, also eine vollkommen inflationäre Semantik, durch gesetzlich geregelte Vorschriften zu ersetzen. »Er hebelt damit Kants kategorischen Imperativ aus und damit auch die Idee einer an die Vernunft geknüpften Ethik. Stattdessen richtet er sich an den ›empirischen Befunden‹ aus, dass dort, wo die Menschenrechte gültig werden sollen, nur Verpflichtungen greifen, also dann im genauen Sinn zu MenschenRECHTEN konvertieren statt zu Verkündigungen.« (Peter Fuchs in einer E-Mail an den Autor, 19. Oktober 2018) Das würde erstens heißen, die Regierungen der Türkei oder Saudi-Arabiens in die Pflicht zu nehmen, und derart zumindes in dieser Hinsicht auf ihrem Territorium für Ordnung zu sorgen. Und es entspräche zweitens der Tendenz, das weltgesellschaftliche Politiksystem stärker zu strukturieren. War Luhmann in dieser Hinsicht
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womöglich zu hoffnungsfroh? Hat er hier selbst normativ erwartet – nämlich: funktional differenziert? Zum einen lässt sich diese Prätention zurzeit in der Tat beobachten; auch die Idee, Rechte in Pflichten zu verwandeln, ist erkennbar, etwa im Rahmen der EU. Mögliche Untersuchungsfelder wären die international arbeitenden Gerichte und die entsprechenden Kommissionen. Vor allem aber gilt es, auf die Konjunktive zu achten: ›wenn es so wäre, dann …‹ Luhmann bezieht sich auf eine Alternative, von der er nicht behauptet, dass sie gilt oder funktionieren würde: »Er bezeichnet wie immer ein Problem – aus den Wolken heraus.« (Fuchs in einer E-Mail vom 19. 10. 2018 an mich, M. H.)
Kavanaugh Im Bereich der Politik erfüllen Werte zunächst die Funktion eines Dementis: Seht her, Politik beschäftigt sich nicht nur mit sich selbst – sie kümmert sich, setzt gesellschaftliche Anliegen durch! (Vgl. Luhmann 2002a: 360) Insbesondere die sogenannten Grundwerte stehen dafür ein. Vor allem aber erlauben es Werte, die gesellschaftliche Realität zurückzuweisen, was vielen Politikern on both sides entgegenkommt (nicht zuletzt, weil diese Realität sich nicht ohne Weiteres beschreiben und schon gar nicht erzählen lässt). Anstatt die Wirklichkeit des amerikanischen Niedergangs zu akzeptieren, weist Trump sie zurück – der Wert ›Great America‹ kann nicht bestritten werden, was auch immer die Wirklichkeit darüber zu sagen hat. Das gestattet es, eine Art Schwarzweißbild zu entwerfen, weil er sich – wie jeder Wert – vom entsprechenden Gegenwert unterscheiden lässt. Vor allem aber steht er dafür ein, dass es Trump nicht um sich selbst geht, ums bloße Machthaben, seine Karriere, seine Familie oder die Vermehrung seines Reichtums. Wie erwähnt gibt es viele Werte – allzuviele. Trumps Geschick bestand nicht nur in einem hochselektiven Zugriff auf diese lange Werteliste; er machte zudem klar, dass der Wert der amerikanischen Größe zuerst kommt, auch im Rahmen seiner Agenda – es ist der Wert aller Werte. Subtile Nuancierungen überließ er seinen Gegnern. Damit hatte Trump gleichsam die Priorität dieser Priorität verdeutlicht. Anders gesagt, der Wert ist selber great – und nicht zuletzt ist er von großer semantischer Ambiguität und wird selten ausformuliert, höchstens ex negativo: in Form eines Amerika, über das alle lachen, das unfair behandelt wird, in dem die mob rule
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herrscht usw. Nicht die Definition, nur die Intuition wird ihm gerecht. Der Wert ist in diesem Sinne Moment einer bestimmten amerikanischen Kultur, eines Wissens, das sich nur im praktischen Umgang lernen lässt. Trump hat höchstes Geschick im Umgang mit den Sinnmomenten gezeigt, die ihn im Laufe der Zeit angereichert haben. Während man die Werte selbst der Umwelt der Politik zurechnen kann, gilt das nicht für das Management der Wertkollisionen. Sie hat hier entsprechende Entscheidungsfreiheiten. So zögert Trump nicht, die »America First«-Doktrin politisch auszulegen, wenn es um Zuwanderungsfragen geht – trotz der Einwände aus dem Silicon Valley, das wirtschaftliche Bedenken geltend macht.106 Im Rahmen internationaler Politik lässt er wiederum politische Bedenken nicht gelten, sondern argumentiert in der Regel wirtschaftlich. Luhmann hatte sich gefragt, wie lange Werte politisch noch akzeptabel seien, die ja angesichts der zu bewältigenden Probleme vor allem einer gewissen Hilflosigkeit, um nicht zu sagen Ohnmacht, Ausdruck verleihen (vgl. 2002a: 364). Trump hat diese Frage verschärft – noch ist die Gesellschaft damit beschäftigt, Antworten zu formulieren. Doch auch wenn es sich um einen Leerlauf handeln mag, politisch sind Werte nach wie vor von großer Bedeutung, weil sich mit ihrer Hilfe Konflikte konstruieren und auch entscheiden lassen. Das lässt sich gut anhand der von den Medien wie den Politikern als ›Zirkus‹ verurteilten Anhörung des Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh deutlich machen. Viele Kommentatoren sprachen von einem »schlimmen Tag«, einem »Tiefpunkt politischer Taktiererei«. Doch für all jene, die sich Fragen der Differenzierung und der Grenzlinien widmen wollen, die zwischen der Politik, dem Recht, den Massenmedien und den sogenannten sozialen Medien verlaufen, war es ein guter Tag. Beide Parteien beriefen sich auf Werte, die Demokraten vor allem auf die Rechte der von sexueller Belästigung betroffenen Frauen – vom Schwung und der moralischen Vehemenz der #metoo-Bewegung profitierend – sowie auf den Wert der politischen Neutralität des Richters (also auf ein adäquates, von Trump fortlaufend in Frage gestelltes Rollenverhalten). Das Dilemma der Republikaner war, dass sie sich nur implizit auf die von ihnen vertretenen ›weißen‹ und ›männlichen‹ – wenn man so will: politisch inkorrekten – Werte berufen konnten. Bis sich Lindsey Graham in seiner lautstarken, leidenschaftlichen Stellungnahme für Kavanaugh bewusst im Ton vergriff bzw. diese Kommunikationsschwelle überschritt: »I know I’m a single white male from South Carolina, and I’m told I should shut up, but I will not shut up, if that’s OK.« (Zitiert nach Amatulli 2018)
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Damit gelang ihm nicht nur, der Wählerbasis erfolgreich zu signalisieren, für welche Werte seine Seite einsteht: weiße Hautfarbe und Maskulinität, ja Vulgarität (ironischerweise repräsentiert durch »Miss Lindsey«, vgl. Quora 2018). Sondern auch, das Problem der ›Diskriminierung‹ auf die andere Seite der Differenz zu verlagern, was sich bisher allerdings nur als begrenzt anschlussfähig erwiesen hat. Doch zuletzt ging es in der Anhörung nicht um Werte. Sondern um Politik. Und hier gilt: »In der Politik hat die Macht Vorrang vor allem.« (Rüesch 2018) Mag Gleichberechtigung gesamtgesellschaftlich auch einen hohen Wert darstellen, in der Politik steht Durchsetzungsfähigkeit an erster Stelle. Während die Massenmedien in ihrer Berichterstattung an Fragen interessiert waren, die für die Politik nur eine nachgeordnete Rolle spielen – zum Beispiel daran, »politische Gegensätze auf die Ebene charakterlicher Fragen« (Rüesch 2018) zu verlagern und nach dem ›wahren‹ Brett Kavanaugh zu fragen107 –, ging es den beiden Parteien um politische Positionsmanöver, um Operationen im Schema von Regierung und Opposition. Den Demokraten gelang zwar die Verzögerung des Verfahrens und die Diskreditierung des Kandidaten, aber die Republikaner konnten die bislang relativ nüchtern und deshalb zugunsten der demokratischen Interessen geführte Debatte mit den alten Mitteln Pathos und Ethos auf Emotion hin kanalisieren: »The true overarching driving original intent of the founders was that reason could take a stand against passion in the arena – and what you saw yesterday, particularly on the right side of that committee, was passion before reason.« (John Meacham, zitiert nach Yazbek 2018) Parteien benötigen ein öffentliches Bekenntnis zu Werten, damit ihre kalte politische Professionalität als guter Wille erscheinen kann – im Fall der Demokraten: als die Bereitschaft, die Erfahrungen von Missbrauchsopfern und generell Frauenrechte zu berücksichtigen –, doch die Entfremdung der Parteipolitik vom politischen Publikum ist durch die Spezifizierung der Politik gleichsam vorprogrammiert (vgl. Luhmann 2002a: 267). Genau deshalb hatten die Bilder des von Missbrauchsopfern im Aufzug zur Rede gestellten Senators Flake einen derart hohen Symbolwert. Sie ermöglichten den Medien eine wunderschöne Erzählung: »Danach erzwang er eine FBI-Untersuchung gegen den Richterkandidaten.« (Tagesanzeiger 2018) Protest matters – ganz so, als könne das Publikum tatsächlich bei Parteibeschlüssen mitwirken.108 Dabei kam den Demokraten zugute, dass die Frage der Gleichberechtigung als symptomatisch gilt für das Können der Partei, während die Gegenseite als eine Karriereorganisation in Erscheinung trat, der es vor allem darum geht, ihre Leute – tatsächlich: alte, weiße Männer – mit Posten zu versorgen. Die Hoffnung der Demokraten war,
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dass sich die Effekte ihres Engagements für Frauen an Wählerstimmen würden messen lassen. Die Zwischenwahlen haben diese Hoffnungen offenbar ein Stück weit bestätigt: »Nearly every category of women rebelled.« (Greenberg 2018) Aus Sicht der Republikaner hatte man mehr als genug damit getan, Dr. Ford überhaupt die Chance einer Anhörung zu gewähren. Aber nun sei es auch Zeit, die Angelegenheit hinter sich zu lassen und zur Abstimmung zu schreiten: »You’ve done that enough. You’ve demonstrated that you don’t hate women.« (Rush Limbaugh, zitiert nach I. Schwartz 2018) Ihre Hoffnung war, dass die vermeintliche Schmutzkampagne der Demokraten gegen einen ›guten Mann‹ die republikanische Basis mobilisieren würde. Auch diese Hoffnung sollte sich erfüllen: »auf eine Weise, wie es den Republikanern den ganzen Sommer über im Vorfeld der Zwischenwahlen am 8. November nicht gelungen ist.« (Stelzenmüller, zitiert nach Barenberg 2018) Lindsey Grahams Brandrede, die den Demokraten das moralische Recht auf Machtausübung bzw. die Regierungsübernahme streitig machte, konnte zwar die FBI-Untersuchung nicht abwenden, aber die Prüfung der parteiinternen Durchsetzungsfähigkeit hatte der Senator damit glanzvoll bestanden; nicht zuletzt, weil es ihm gelang, seiner hilflosen Partei eine Formulierung der ›einzig richtigen Meinung‹ im Hinblick auf das Verfahren anzubieten, die auf eine paradoxe Kombination aus Würdigung und Diskreditierung des Opfers hinauslief (»Something happened. I don’t know what.« Zitiert nach Vorhees 2018). Die Opposition Jeff Flakes ließ sich ohne allzu großen Aufwand in diese Strategie integrieren, nicht nur, weil sie im Gewand der persönlichen Idiosynkrasie daherkam – der sensible Senator, »a devout family man, a Mormon« (Ana Cabrera), jemand, der im Gegensatz zu den anderen republikanischen Senatoren offenbar ein Gewissen besitzt (»I was, principally, concerned about helping my friend listen to his doubts and his conscience«, so Senator Chris Coons, zitiert nach Gaudiano 2018) –, sondern auch, weil sie den Republikanern dankenswerterweise das Bekenntnis zu einem anderen Wert ermöglichte, der in der Partei seit Trumps Amtsübernahme ein wenig zu kurz kommt: dem der Demokratie. Doch weder die Demokraten noch die Republikaner repräsentieren die Gesellschaft. Sie repräsentieren nicht einmal das amerikanische System staatsbezogener Politik (vgl. Luhmann 2002a: 271). Wir haben es mit Organisationen zu tun, die kollektive Entscheidungen vorbereiten – von Entscheidungen über die Regierungsbildung bis hin zu Fragen der Besetzung der Gerichte. Anders gesagt: Parteipolitik ist nicht Politik. Der Wi-
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derspruch zwischen talk und action (vgl. Brunsson 1989), der auf beiden Seiten zum Tragen kam, das Berufen auf Werte einerseits – Demokraten: Gleichberechtigung für Frauen, Republikaner: Männerberechtigung – und das politische Handeln andererseits – Demokraten: Kavanaugh verhindern, Republikaner: Kavanaugh durchsetzen – ist systemimmanenter Natur und für ausdifferenzierte Organisationen typisch (vgl. Luhmann 2002a: 271). In diesem Sinne kann man beide Parteien mit Brunsson als »Organizations of Hypocrisy« bezeichnen, die der Forderung nachkommen »to talk in a way that satisfies one demand, to decide in a say that satisfies another« – ein Verhalten, das Brunsson (1993) nicht nur als für Organisationen typisch bezeichnet, sondern ganz grundsätzlich als ein für sie fundamentales Verhaltensmuster ansieht. Für die Demokraten war Dr. Blasey Ford ein Glücksfall, der ihnen als Anhaltspunkt für die eigene Identitätsfindung als ›Frauenpartei‹ diente, genau wie Brett Kavanaugh für die Republikaner, der ihnen – nach anfänglichem Zögern – ermöglichte, ihre Identität als weiße, ›männliche‹ Partei zu prozessieren: entschieden, aggressiv, leidenschaftlich – den gemeinhin als männlich begriffenen Attributen. Die Gefährdung der Gruppe durch die #metoo-Bedrohung sorgte für Kohäsionseffekte und stellte jenes ›homogene Wir‹ erst her, das dann gegen die Gegner ins Feld geführt werden konnte.109 Doch es war an Donald Trump, »a president in full command of his party« (Lawrence 2018), mit einem gezielten Verstoß gegen die Erwartungen die auf den Republikanern ruhenden Entscheidungslasten zu reduzieren und auf das eigene Handeln zurückzulenken: »And you mimicked Professor Blasey Ford. You mimicked her.« (Stahl 2018) Seine Antwort auf Stahls Empörung stellt die Verhältnisse klar: weder Fragen der Wahrheit noch der Glaubwürdigkeit oder des Anstands, sondern schlicht die Frage der Durchsetzungsfähigkeit stand im Mittelpunkt seines Handelns. »I’m not gonna get into it because we won. It doesn’t matter. We won.« (Zitiert nach Stahl 2018) Für viele Beobachter repräsentierte die Anhörung jenen kalten Kulturkrieg, auf den sich die USA unter Trump eingelassen haben, einen Kampf zweier Versionen von ›Amerika‹ – und wie schon im Falle des Konflikts zwischen al-Qaida und den USA ging es auch hier darum, wie das Verhältnis von Mann und Frau geordnet werden soll. Die Republikaner scheinen dabei die Position von al-Qaida eingenommen zu haben: das Patriarchat soll als Herrschaft über die Sippe, sozusagen über die alten ›Clanstrukturen‹ gesichert werden, während die Demokraten gewillt sind – sagen wir es vorsichtig mit Dirk Baecker: emanzipierte Formen der Beschäftigung von Frauen zu erproben (vgl. Baecker et al. 2002: 220).
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Aus ihrer Sicht – und jener der »Elite-Medien« (Gingrich) – verläuft die Konfliktlinie in diesem Fall aber nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen den ›Subjektfähigkeiten‹ Vernunft (das Erkennen: Demokraten) und Willen (das Handeln: Republikaner). Den Demokraten ging es nach eigener Aussage um die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Irrtum: die Entscheidung für Kavanaugh ist falsch, weil sie a) Anliegen der Frauen nicht ernstnimmt und er b) nicht den für das höchste Richteramt nötigen Charakter besitzt. Sie operierten demnach im Modus der Kognition, während es die Republikaner nur darauf abgesehen hatten, eine Differenz zu erzeugen: »Graham: Ford’s testimony won’t change my vote.« (Kullgren 2018) Tatsächlich profitierten beide Parteien von der Personalie. Kavanaugh ist – ohne dass er das beabsichtigt hätte – etwas Erstaunliches gelungen: er hat den Beliebtheitswert beider Parteien steigern können. Die übliche Entfremdung oder Distanz zwischen ihnen und dem politischen Publikum kam hier kaum zum Tragen; stattdessen schien es, als würden Demokraten wie Republikaner ausnahmsweise einmal in direktem Kontakt mit der Wählerschaft agieren (etwas, das ansonsten nur Trump auf seinen Wahlkampfveranstaltungen gelingt). Aus dieser Perspektive symbolisiert Kavanaugh nicht so sehr Frauenverachtung oder white male privilege, sondern vor allem die Aufgeschlossenheit der Parteien im Hinblick auf die Anliegen ihrer Umwelt. Der Preis war auch hier eine gewisse Regression des Funktionsniveaus, wenn man so will: eine Trübung des professionellen Blicks beider Parteien zugunsten von öffentlichen Wertbekenntnissen. Die hochmoralischen Massenmedien hatten im Anschluss an das Bekanntwerden der Vorwürfe versucht, Indizien dafür zusammenzutragen, dass Kavanaugh ein Heuchler sein könnte, der nicht meint, was er sagt (vgl. Selk 2018). Dass sie hier einigermaßen erfolgreich waren, kann zwar nicht bestritten werden, ist aber letztlich irrelevant; denn dass die Leute tatsächlich meinen müssten, was sie sagen, ist zuletzt nichts als eine »utopische Vorstellung« (vgl. Luhmann 1997: 397). Der Vorwurf der Heuchelei ist also nicht ohne Weiteres zurückzuweisen, doch das gilt erneut for both sides. Dass auch die Ankläger sexuellen Missbrauchs heucheln könnten, hat zuletzt die Debatte um Asia Argento deutlich gemacht. In den Worten von Bari Weiss: »Asia Argento Proves no Gender Has a Monopoly on Hypocrisy and Harm.« (B. Weiss 2018) Die im Rahmen der #metoo-Debatte gezeigten Moralformen lassen sich mit Luhmann als ›enthusiastisch‹ fassen (vgl. Luhmann 2008b: 193) – es ist eine kämpferische, leicht entflammbare Moral, weil sie davon ausgeht, dass die Gegner (in der Regel: ›Männer‹) ohnehin nicht überzeugt werden
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können. Sie begnügt sich auch nicht mit Kritik, sondern engagiert sich aktiv, mitunter durchaus unter Einsatz von Leib und Leben. Nesrine Malik spricht von einer »dark rage«, die frau mühsam mithilfe von Rationalität (»a forced rationality«) zu kontrollieren suche: »things must not swing too far just because emotions were high« (Malik 2018b). Trump hat dieser enthusiastischen Moral in Form der politischen Inkorrektheit eine kämpferische, enthusiastische Unmoral entgegengesetzt: »Schon mit der Wahl Donald Trumps, der sich seiner sexuellen Übergriffe sogar brüstete, demonstrierte die konservative Basis vor zwei Jahren, dass sie den Absolutismus der #MeToo-Bewegung ablehnt und andere politische Gesichtspunkte stärker gewichtet.« (Rüesch 2018) Moral ist ein Alarmsignal, sie hat also eine ähnliche Funktion wie die Krise. Dieses Signal geht immer dann an, wenn man auf bestimmte Probleme aufmerksam wird, die sich nicht innerhalb der großen Funktionsbereiche lösen lassen, die also auf gewisse Defizite der funktionalen Ordnung hinweisen. Der beunruhigenden Realität des sexuellen Missbrauchs ist offenbar weder politisch noch rechtlich und schon gar nicht religiös beizukommen (vgl. Luhmann 1997: 404). Genau deshalb lässt sich moralische Kommunikation hier ohne große Mühe aktualisieren. Sie findet in den Massenmedien einen engen Verbündeten, die Missbrauchsfälle in Skandale überführen. Dabei könnte das Problem der Umstand sein, dass Missbrauch kaum als Skandal thematisierbar ist, da jeder Skandal davon lebt, dass andere Fälle nicht entdeckt werden (vgl. Luhmann 1997: 404). Die #metoo-Debatte dagegen hat gezeigt, dass es eine Vielzahl ›anderer Fälle‹ gibt, dass sexueller Missbrauch keine Ausnahme darstellt. Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder angegriffen wurden, #MeToo schreiben würde, so Alissa Milanos Hoffnungs, könnte man den Leuten ein Gefühl vom Ausmaß des Problems geben (vgl. Klette 2017) Das Ausmaß ist nun bekannt: »Harvey Weinstein is everywhere, and every woman has met him.« (Fox 2017) Das zeigt sich schon an den beiden prominenten politischen Figuren Clinton und Kavanaugh: hier ein demokratischer Präsident, dessen »Unwahrheiten über seine Beziehung mit Monica Lewinsky ihm ein Absetzungsverfahren wegen Meineids eintrug«, dort »einer seiner damaligen Verfolger, damals ein eifriger junger Anwalt im Team des Sonderermittlers Kenneth Starr […]« (Rüesch 2018). Dann wäre der Skandal, dass es sich um keinen Skandal handelt. Das Resultat ist denn auch eine gewisse praktische Ratlosigkeit. Jenseits von lautstarker Entrüstung, die hier und da zur Missachtung und hin und wieder auch zur – selten rechtlichen – Sanktionierung einzelner Täter führt, gibt es kaum Möglichkeiten. Folgt man der Logik von Bari Weiss, handelt es sich um ein gleich-
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sam menschliches, allzumenschliches Problem: »Women are hypocrites. Women are abusers. Women are liars. Just like men. This obvious fact – that women are fully human – bears repeating in light of the Asia Argento news and should inform the #MeToo movement going forward.« (B. Weiss 2018) Allein: genau dazu ist diese ›offensichtliche Tatsache‹ nicht in der Lage. Die naheliegendste Lösung – die Entfernung von Menschen aus der Gesellschaft – kommt offenbar nicht infrage (auch wenn Luhmann genau dieser Forderung auf der theoretischen Ebene nachgekommen ist). Wenn die #metoo-Bewegung das Recht dazu bringen kann, gravierende Verstöße zu ahnden, ist damit also schon viel gewonnen. Das setzt aber wiederum ein korruptionsfreies Handhaben der Recht/Unrecht-Unterscheidung voraus. Steht das Geschlecht der Richter womöglich einem fairen Verfahren im Wege? Sollte es sich so verhalten, wären Frauen hier klar im Nachteil, da die meisten Richterposten zurzeit von Männern – in der Logik Trumps: Man-Judges – gehalten werden. Am Fall Kavanaugh lässt sich aber nicht nur verdeutlichen, wie sich der gesellschaftliche Wandel und die zunehmende Polarisierung auf das Verhältnis von Recht und Politik auswirken, auch die zeitlichen Disharmonien zwischen den Systemen lassen sich mit seiner Hilfe noch einmal anschaulich machen: hier die Politik – die Republikaner standen bekanntlich unter erheblichem Zeitdruck, die Demokraten reagierten auf die Versuche der Beschleunigung mit solchen der Verzögerung – dort das Recht, das – wie die Sonderermittlung zeigt – sehr langsam vorgeht, »gebremst durch Anforderungen der Sorgfalt und Begründbarkeit« (Luhmann 1995a: 427). Schon deshalb kann die Eilüberprüfung Kavanaughs durch das FBI – das dem Department of Justice untersteht, das wiederum dem Weißen Haus untersteht – nicht als rechtlich angemessene Untersuchung eingestuft werden. Auch die Begrenzung der Untersuchung auf einige wenige Zeugen spottete allen Anforderungen an rechtliche Sorgfalt. Doch der politischen wurde sie gerecht: aus Sicht des Weißen Hauses sollte die FBI-Untersuchung das Problem der Abstimmung lösen, die Zielorientierung war nicht die Wahrheitsfindung, d. h. mögliche Rechtsverstöße Kavanaughs, sondern die Ermöglichung einer Entscheidung durch die Rücksichtnahme auf oppositionelle Interessen. Nicht zuletzt erinnerte die Anhörung daran, dass das Recht eines der wichtigsten Gestaltungselemente der Politik ist. Die massiven strukturellen Auswirkungen der Nominierung Kavanaughs auf die Politik wurden in den Massenmedien ausgiebig diskutiert, wobei diese ja erst dann zum Tragen kommen, wenn das Höchste Gericht, dem er nun angehört, Entscheidungen trifft, also tätig wird.
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Anders als Trump annimmt, wird Kavanaugh aber nicht als ›TrumpRichter‹ wirken, auch wenn genau das seit seiner Anhörung befürchtet wird: »Can anyone seriously entertain the notion that a reasonable Democrat, or a reasonable liberal of any kind, would after that performance consider him a fair arbiter in, say, a case about partisan gerrymandering, voter identification, or anything else with a strong partisan valence?« (Wittes 2018) Es ist zwar richtig, dass es keine Gesetze sind, die Gesetze erlassen, sondern Richter. Insbesondere in den USA stößt das Recht hier an seine Grenzen – mehr noch: möglicherweise existieren diese Grenzen dort gar nicht, zumindest nicht in Systemform. Ich komme im nächsten Teil ausführlich darauf zurück. Doch eines wird der Richter Kavanaugh ganz sicher nicht tun: seine Entscheidungen unter Rückgriff auf den Code Regierung/Opposition begründen.
II Interessen
1 S y st e m i n t e r e s s e n
Die Figur des Immunsystems hat ihre Grenzen. Sie ist zwar mehr als nur eine Metapher, doch ihre Übertragung von organischen auf soziale Zusammenhänge darf auch nicht überstrapaziert werden (vgl. Luhmann 1984: 507). Nicht nur stellt die Gesellschaft anders als ein Organismus keinen körperlichen Zusammenhang dar, schon ganz grundsätzlich spielen Räume in Kommunikationsfragen nur eine Nebenrolle. Vermutlich reagiert der spatial turn auf genau diesen Umstand, die informationstechnologische Bagatellisierung des Raums (vgl. Luhmann 2002a: 220), als ein ›Make Space Great Again‹. Deshalb kann streng genommen auch keine Rede davon sein, dass die Gesellschaft lernt. Nicht das gesamte System steht ja unter Änderungsdruck, wenn sich eine Krise zusammenbraut. Krisen sind zwar immer Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Relevanz, genau das lädt zu jenem diffusen Verhalten ein, das sich in Krisensituationen beobachten lässt, aber wie bereits erwähnt nehmen sie von bestimmten sozialen Teilsystemen ihren Ausgang, bei denen es mit der Funktionserfüllung hapert, weshalb sie anderen Systemen deren Miterfüllung zumuten (vgl. Luhmann 2017: 862). Diese Krisenanfälligkeit verdanken Systeme ihrer hochgradigen Spezialisierung, und es ist so konsequent wie ironisch, dass ein politischer Amateur und ausgewiesener Nicht-Spezialist wie Trump dazu berufen wurde, die Funktionsdefizite der Politik zu beheben. Abgefangen werden die Störungen aber wiederum lokal. Gerade die moderne Gesellschaft kann deshalb als ultra-stabil gelten, weil sie über Stufenfunktionen verfügt (vgl. Ashby 1981: 48). So sind politische Schwierigkeiten nicht automatisch ökonomische Schwierigkeiten. Genausowenig müssen wegen der Trump-Krise wissenschaftliche Theorien geändert werden. Andernfalls wäre sie in der Lage, das gesamte Gesellschaftssystem zu disbalancieren, und das gesamte System müsste anschließend – nach der Immunreaktion – erst wieder in eine Balance finden. Dafür aber wäre so viel Zeit erforderlich, dass ein einigermaßen ausgeglichener, stabiler Zu© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_5
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stand unerreichbar würde, weil die nächste Störung bereits ungeduldig auf ihren Einsatz wartet. Dass sie diesen von der Wiederherstellung des Gleichgewichts abhängig machen, also rücksichtsvoll agieren könnte, ist eine schöne, aber wenig realistische Vorstellung. Um es in einer etwas anderen Sprache zu sagen: Es ist die lose Kopplung der einzelnen Systeme oder Sozialbereiche, die für die ungewöhnliche soziale Stabilität verantwortlich ist.110 Vor allem ein Bereich der Gesellschaft ist mit Zwecken der Immunab wehr befasst: das Recht (vgl. Luhmann 1984: 509 ff., siehe auch 1995a: 565 ff.). Es ist auf Konflikte gleichsam angewiesen. Ohne Konflikte würde es schlicht vergessen werden, weil es dann niemand mehr in Anspruch nehmen müsste. Zwar erfüllt es weitaus mehr Funktionen als nur die, im Fall eines Widerspruchs sicherzustellen, dass man weiterhin die eigenen Erwartungen kommunizieren kann, aber es ist genau über diese Funktion mit dem Immunsystem der Gesellschaft verbunden. Das Ergebnis ist die Sicherstellung einer hohen Erwartungssicherheit, und das reicht; denn welche Zustände faktisch erreicht werden können, kann es natürlich nicht kontrollieren (vgl. Luhmann 1984: 509 ff., siehe auch 1995a: 565 ff.). Andernfalls hätte Trumps Anwalt Michael Cohen kaum dafür bestraft werden können, im Wahlkampf Schweigegeldzahlungen geleistet und damit gegen Finanzierungsregeln verstoßen zu haben – der Verstoß hätte schlicht nicht stattgefunden. Verstöße finden aber statt. Das Recht stellt lediglich sicher, dass unsere – keineswegs selbstverständlichen – Erwartungen, nicht beleidigt, betrogen, vergewaltigt oder ermordet zu werden, kommuniziert werden können. Und zwar in einer ganz besonderen Weise, die wenig mit der Normalkommunikation zu tun hat, die unseren Alltag dominiert, und die sich deutlich von den in der Politik, der Wirtschaft oder den Massenmedien üblichen Anschlüssen unterscheidet. Dabei dient es nicht etwa der Vermeidung von Konflikten – es scheint sie im Gegenteil eher anzuziehen –, wohl aber verhindert es deren gewaltsame Austragung. Der sogenannte Interessenkonflikt stellt einen Sonderfall dar, der die unzulässige Kopplung persönlicher Interessen mit Systeminteressen bezeichnet; ein Vorwurf, der im Zusammenhang mit dem 45. amerikani schen Präsidenten immer wieder laut wurde. Auch Trumps Kehrtwende China gegenüber – die Ankündigung, dass er dem chinesischen Telekommunikationsriesen ZTE helfen wolle, ihn wieder geschäftsfähig zu machen – wurde als ein solcher Interessenkonflikt beobachtet, als ein Konflikt zwischen den Trump’schen Interessen und denen der Vereinigten Staaten, genau wie seine geschäftlichen Verbindungen nach Russland und Saudi-Arabien: »It’s not some wild coincidence that the Administration’s fo-
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reign policy is most inexplicable toward the two countries – Russia and Saudi Arabia – where the Trump family pursues the most business.« (Chris Murphy, zitiert nach D. Smith 2018b) Ist die Maxime, der er folgt, in Wahrheit womöglich ein »Trump First«? Nicht nur Grafologen sind dieser Ansicht.111 Allen Lichtman hatte von Trump Selbstbeschränkung im Hinblick auf geschäftliche Fragen gefordert.112 Dass Trump auch diese Erwartung enttäuscht hat, wissen wir – und erwarten von ihm, es auch weiterhin zu tun. Bisher ist es ihm gelungen, to hold his position dishonorably – was durchaus als Leistung eigener Art gesehen werden kann. Doch wenn ich im Folgenden von Interessenkonflikten spreche, will ich mich nicht auf die juristische Bedeutung beschränken, und auch nicht auf private oder persönliche Interessen von Gruppen oder Individuen. Ich halte diese Interessenkonflikte für vergleichsweise trivial und sehe sie darüber hinaus nicht nur negativ.113 Stattdessen gehe ich von Systeminteressen aus. Im eigentlichen Sinne haben Systeme natürlich keine Interessen.114 Zwar verfolgen Institutionen wie die Grand Ole Party oder auch kommunikative Clusterbildungen wie die Alt Right-oder die #metoo-Bewegung offiziell durchaus bestimmte Absichten oder Ziele, doch die Durchsetzung dieser Absichten müssen sie der Gesellschaft überlassen. Und die schmiedet keine Pläne, genausowenig wie deren Subsysteme Politik, Recht, Religion, Wissenschaft, Massenmedien, Kunst etc. Sie setzt sich lediglich fort, und diese Fortsetzung verdankt sich keinem Plan und keiner Absicht. In einem bestimmten Sinne verfolgen Systeme aber durchaus bestimmte Interessen, genauer gesagt ein einziges, das wir alle selbst gut kennen – zu kontinuieren. Dramatischer formuliert könnte man auch sagen: zu überleben. Sie haben keine Wahl, sie sind gleichsam ›zum Weitermachen verdammt‹ (vgl. Luhmann 1984: 395 f.). Es ist die einzige Zweckmäßigkeit, die sie kennen, denn zum Weitermachen gibt es nur eine einzige Alternative – aufzuhören, wenn man so will: zu sterben. Sie stellen deshalb sicher, dass sie einem einzelnen Ereignis keine allzu große Macht einräumen. Man könnte sagen, das System nimmt das einzelne Ereignis nicht ernst – nur im Hinblick darauf, daran anschließen zu können. Schon alltägliche Kommunikation zwischen physisch Anwesenden – die klassische Definition von Interaktion – ist nicht auf ein Ende aus, ganz gleich, was die daran Beteiligten im Sinn haben mögen. Nur muss sie vor einem Ende keine Angst haben, denn schon an der nächsten Ecke geht es weiter, findet sich der nächste Gesprächspartner, die nächste Kommunikationsofferte. Das Interaktionsende beendet anders gesagt nicht die Gesellschaft, im Gegenteil, es setzt sie fort. Weil diese Enden keine Ausnahme
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darstellen, sondern vorgesehen sind, stellt sie uns dafür freundlicherweise bestimmte Formen zur Verfügung, »institutionalisierte Beendigungszeremonien« (Luhmann), derer man sich bedienen kann bzw. die sich unserer bedienen, von denen die meisten nicht zufällig eine Fortsetzung in Aussicht stellen: »Auf Wiedersehen« – »Bis später« – »Wir sehen uns« – »Ich melde mich«.115 Das gilt auch für den Bereich der großen Funktionssysteme. Nehmen wir die Politik: weder Watergate noch die Lewinsky-Affäre haben sie beenden können. Auch eine Amtsenthebung Trumps wird von ihr nur im Hinblick auf weitere Anschlüsse genutzt werden. Zwar könnte sie in der Tat Auswirkungen auf die Börse haben, wie der Präsident anmahnt: »If I ever got impeached, I think the market would crash. I think everybody would be very poor.« (Zitiert nach Melloy 2018) Doch seine Zwangsbeurlaubung würde die Wirtschaft nicht beenden; gerade die von ihm projizierte ›Verarmung aller‹, also die Geldnot, wäre in diesem Sinne eine gute Nachricht. Die Wirtschaft hat von Trump nichts zu befürchten. Genauso wenig wie die Politik. Selbst Konflikte haben ein Interesse an ihrer Fortsetzung. Nur machen sie sich das Leben durch ihre Tendenz zur Eskalation sozusagen unnötig selbst schwer. Irgendwann erledigen sie sich dann meist von selbst und erlahmen, vor allem wenn sie auf der Interaktionsebene erfolgen: man ist es schließlich leid und veträgt sich wieder. Gerade die Massenmedien wissen dieser Konfliktmüdigkeit entscheidend entgegenzuwirken, auch wenn sie im Fall Trumps offenbar langsam an ihre Grenzen stoßen und sich ein gewisser – von denselben Medien wiederum als gefährlich stigmatisierter – Gewöhnungseffekt einstellt.116 Doch so sehr sich die Systeme, könnte man mit Schopenhauer sagen, in diesem Willen zur Reproduktion gleichen, so sehr unterscheiden sie sich aber hinsichtlich ihrer reproduktiven Interessen. Wie man sie unterscheidet, ist festgelegt: indem man sich ihre Struktur genauer ansieht. Um nur zwei wesentliche Strukturmerkmale anzuführen: die spezifische Kommunikation, die sie prozessieren, man könnte auch sagen: die sie in die Gesellschaft einschreiben – und der Code, dem sie folgen: kein Verschlüsselungscode, sondern ein Leitdual, eine Art Über-Unterscheidung. Interesse heißt dann: Präferenz für einen – den eigenen – Codewert.117 Der Wissenschaft geht es um Wahrheit, der Wirtschaft um Zahlungsfähigkeit und der Politik um Machterhalt – und nicht etwa um die Umwelt, es sei denn, um Wählerstimmen zu gewinnen. Das Recht ist daran interessiert, normative Erwartungssicherheit herzustellen, die Funktion des Bildungssystems liegt in der Erzeugung von Kompetenzen, die Mas-
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senmedien stellen der Gesellschaft eine Selbstbeschreibung zur Verfügung bzw. haben hier gleichsam die Führung inne (in der Variante Armin Nassehis: simulieren eine gemeinsame Welt, vgl. 2016: 35). All diese Strukturen sind das Ergebnis fortlaufender Annahmen und Ablehnungen. Sie alle sind in Bewegung, keine dieser Einheiten besitzt eine feststehende, stabile Existenz. Alles, worüber sie verfügen, sind operative Anschlussroutinen, die sich jedesmal neu bewähren müssen – und zwar im Hier und Jetzt, »in praxi« (Nassehi). Den Eigensinn der anderen Systeme kann etwa die Politik nur in Form von Irritationen berücksichtigen.118 Diese müssen in die systemeigene Operativität übersetzt werden, sprich: in kollektiv bindende Entscheidungen. Was Gesellschaft ist, verdankt sich den widerstreitenden Interessen dieser Systeme, die sich nicht mehr zu einem gesellschaftlichen Gesamtinter esse zusammenschließen lassen. Stattdessen hat man es mit der Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen zu tun, dem Zusammenspiel getrennter Funktionen: »Wie sie sich kombinieren, behindern, erregen, bekämpfen, stützen, fortsetzen, ersetzen, verstärken, zerstören – unterschiedliche Geschwindigkeiten.« (Valéry 2011: 60) Darauf, dass die Operationen der Massenmedien, der Politik und der Wissenschaft unterschiedlich getaktet sind, hatte ich bereits hingewiesen. Die Erkenntnis des Kohelet, dass ein jegliches seine Zeit habe, lässt sich entsprechend umformulieren: Jedes System hat seine Zeit.119 Die Schnelligkeit, mit der die Wirtschaft auf Preisänderungen durch Preisänderungen reagiert, kontrastiert auf eigentümliche Weise mit der Langsamkeit, mit der die Wissenschaft erwünschte neue Forschungsresultate vorlegen kann (vgl. Luhmann 1995a: 426). Vor allem Rechtsprozesse muten aus Sicht anderer Systeme mitunter wie Stillstand an; ihnen eignet ein Trägheitsmoment, das die Politik daran hindert, allzu flüchtigen Launen nachzugeben (vgl. Luhmann 1995a: 417). Aus Sicht der Massenmedien handelte es sich bei der Sonderermittlung Robert Muellers deshalb um eine »slow moving story« (Bill Maher). Aus der Sicht des Rechts bewegte sich Mueller dagegen ungewöhnlich schnell: »Months have gone by – people think it’s a long time – it is not in criminal justice […]. He has moved incredibly quickly, got a lot of cooperation agreements, charges, done an extraordinary job of running down Russian hacking of the election.« (Anne Milgram, zitiert nach Taylor 2018) Das Resultat sind gewisse zeitliche Disharmonien. Die ungewöhnlich hohe Schlagzahl der Massenmedien kann das System der Politik oder des Rechts zwar nicht direkt beeinflussen. Dass sich beide dem von den Medien ausgehenden Zeitdruck aber auch nicht völlig entziehen können, ist offensichtlich. Gleiches gilt für die Wissenschaft, wie dieser
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Text zeigt, der zu einer Präsidentschaft Stellung nimmt, die noch nicht abgeschlossen ist. Wir müssen uns in dieser von Systeminteressen zerteilten Umwelt zurechtfinden, denn bestimmte permanente Plätze sind in dieser Ordnung für uns nicht mehr vorgesehen. Ein Donald Trump ist nicht nur eindeutig und exklusiv Politiker. Er kann gar nicht – zumindest nicht in dieser Wirklichkeit – ›nur‹ Präsident sein. Obamas Twitter-Account nimmt darauf Bezug, weist ihn als »Dad, husband, President, citizen« aus. Die Liste lässt sich verlängern. Trump gehört nicht nur zur Bevölkerung, ist Ehemann und Vater, sondern auch Liebhaber, Kunde, Golfspieler, wird vom Medizinsystem als Patient prozessiert, vom Rechtssystem als Angeklagter oder Kläger etc. Wie ich noch zeigen werde, wird dieses Design auf der Rollenebene konkret (dazu vor allem im Zusammenhang mit dem als ›unpräsidial‹ beobachteten Verhalten Trumps gleich mehr).120 Die Anforderungen an jeden Einzelnen von uns sind also hoch, was nicht zuletzt das Erstarken von Fundamentalismen erklärt, von identitären Bewegungen wie der Identitären Bewegung, Alt-Right oder PEGIDA, deren Anliegen es ist, die verlorengegangene Permanenz fester Plätze zurückzugewinnen – eine deutliche, grundsätzliche Ablehnung dessen, was funktionale Differenzierung bedeutet. Auch die Wähler Donald Trumps und der AfD lassen sich ein Stück weit dieser Gegenbewegung zuordnen. Wenn versucht wird, zu einer strikten Kopplung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche überzugehen, etwa politische und ökonomische Systeminteressen zu integrieren, kann es zu jener Form von Konflikten kommen, denen dieser zweiten Teil gewidmet ist. Sie treten dann auf, wenn der politischen Kommunikation kein politischer Code mehr zugrundeliegt, es also nicht mehr um Macht geht, sondern um Zahlungsfähigkeit. Würde sich die Katholische Kirche entscheiden, den Ablasshandel zu revitalisieren, ließe sich ein solcher Systemkonflikt beobachten. Ein Gericht, das seine Argumente an ökonomischen oder politischen Überlegungen orientiert statt an rechtlichen, riskiert ihn ebenso wie ein Künstler, der mit seinem Werk dem Machthaber schmeicheln will.121 Man könnte auch von einer Verschiebung der Systemreferenz sprechen. Ich denke dabei aber nicht nur an Konflikte zwischen den großen Einheiten oder Systemen der Gesellschaft. Mit Luhmann begreife ich auch den Widerstreit von Anforderungen, die die eigene Persönlichkeit und die soziale Ordnung der Rollenerwartung an uns stellen, als einen solchen »Systemkonflikt« (Luhmann 1999: 54). Trumps Versuche, Politik in eine andere Typik zu kanalisieren und nicht Macht, sondern Zahlungsfähigkeit an die erste Stelle zu setzen, führen
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das Konfliktpotenzial der unterschiedlichen Systemstrukturen vor. »The theme that comes up, over and over, is money,« so Jeffrey A. Bader (zitiert nach Landler 2018a). Man denke an die Bemerkungen nach dem Zusammentreffen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, etwa an den Ratschlag, die »great beaches« Nordkoreas doch einmal aus einer »real-estate perspective« zu betrachten, statt in einem fort die politisch-militärische zu bemühen (vgl. Benen 2018). Auch das Ende der war games, der gemeinsamen Militärmanöver der USA und Südkoreas, wird von ihm im Hinblick auf die hohen Kosten begründet: »The war games are very expensive […]. I know a lot about airplanes, it’s very expensive« (zitiert nach Lendon 2018). Zumindest der Außenpolitiker Trump scheint keine andere als die wirtschaftliche Perspektive zu kennen: »In his transactional approach to foreign policy, considerations of financial profit or cost – often measured in ways that economists deem simplistic – can outweigh virtually any other consideration.« (Landler 2018a) Trumps Handeln im Hinblick auf die beiden Koreas ist die Aktualisierung der immer naheliegende Frage, was ›Güter‹ im Falle eines Verkaufs einbringen würden (vgl. Luhmann 1994b: 201), vor allem solche, die hohe Kosten verursachen, wie Manöver – oder welche anderen Güter man gegen sie eintauschen könnte.122 Auch andere internationale Beziehungen – Handelsbeziehungen, politische Allianzen – werden von ihm dem Geldwert unterworfen. Wenn Trump Allianzen und Verträge kauft und verkauft, handelt er – aus Sicht des Geschäftsmanns – also hoch rational. Nur nicht aus der Perspektive des Militärs bzw. der Politik. Derartige Systemkonflikte haben durchaus eine existenzielle Dimension, denn es sind die Strukturen, die Anschlussfähigkeit und damit die Fortsetzbarkeit des Systems garantieren. Zwar sind sie änderbar, Politik kann sich als lernfähig erweisen, aber der Bereich möglicher Änderungen ist durch eben diese Strukturen limitiert. Anders gesagt: Politik kann sich nicht in Wirtschaft verwandeln, das würde sie beenden. Das erklärt – jenseits der moralischen Empörung – die Aufregung um den politischen Dealmaker Trump, der die Politik zwar nur von außen zu irritieren vermag, aber als amerikanischer Präsident über ein enorm hohes Irritationspotenzial verfügt. *** Die übliche Definition eines Interessenkonflikts lautet: »A conflict of interest is a set of conditions in which professional judgment concerning a primary interest (such as a patient’s welfare or the validity of research) tends
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to be unduly influenced by a secondary interest (such as financial gain).« (Thompson 1993: 573)123 Im Hinblick auf Trumps Einreisestopp wie auch auf die Strafzölle ließe sich formulieren: A conflict of interest is a set of conditions in which professional judgment concerning a primary interest (national security) tends to be unduly influenced by a secondary interest (such as keeping a promise made during a campaign). Eine andere mögliche, ebenfalls dem Bereich der Medizin entstammende Definition lautet: Interessenkonflikte sind Gegebenheiten, »die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird« (Lieb 2011: 177). Auch diese Definition lässt sich entsprechend modifizieren: Ein Interessenkonflikt ist eine Situation, in der sekundäre – externe – Systeminteressen das primäre Systeminteresse gefährden. Dann kommen sich zwei unterschiedliche Wirksamkeiten in die Quere – und somit auch zwei unterschiedliche Geschwindig keiten. Die These der Systemkonflikte könnte hilfreich sein, die Aufregung um Trump besser zu verstehen, die nicht nur auf Verstöße gegen die ›guten Sitten‹ zurückgeht, sondern auch ein Resultat seiner Verstöße gegen die ›Sitten‹ der funktionalen Differenzierung ist.124 Auf diese Weise kann man, was sich im Bereich der Moral und der Werte auf diffuse Weise zeigt, entsprechend präzisieren. Der Multifunktionalität der im ersten Teil behandelten Konflikte stelle ich in diesem zweiten Teil somit eine funktionale Spezifizierung zur Seite. Dabei stehen zwei Konflikte im Mittelpunkt: zum einen Trumps Versuche, mithilfe der Politik die anderen gesellschaftlichen Bereiche zu steuern, sie zu ›politisieren‹; zum anderen sein Bestreben, wirtschaftliches Denken in die Politik zu überführen. Doch auch zwischen der Politik und den Massenmedien oder seiner Person und der Präsidentenrolle lassen sich zahlreiche, für die Präsidentschaft Trumps charakteristische Systemkonflikte beobachten. In der Regel verhindert die »›natürliche‹ Autonomiesicherung« (Luhmann) der einzelnen Systeme jeden Versuch der direkten Einflussnahme. Gewiss ist Politik auf Steuerzahlungen angewiesen, Wirtschaft auf Rechtssicherheit und das Recht auf die politische Gesetzgebung usw. Erneut in systemtheoretischer Begrifflichkeit: all diese Bereiche sind strukturell gekoppelt, können sich also gegenseitig irritieren, aber keiner kann in den anderen hineinoperieren. Sie alle rekonstruieren das Ganze (aber Unwahre, mit Adorno) der Gesellschaft von ihrem Platz aus. Zwar reklamiert Politik eine Steuerungsfähigkeit des Ganzen, dies ist gleichsam die Fiktion des Politischen; aber ihre faktischen Möglichkeiten
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sind durch die Funktion begrenzt. Diese Funktion ist nicht die Steuerung der Gesellschaft, sondern nur das Treffen von kollektiv bindenden – also in den meisten Fällen: landesweit gültigen – Entscheidungen. Politik ›politikt‹: sie wirtschaftet nicht, sie entscheidet nicht über ökonomische Strategien oder über wissenschaftliche Wahrheit und auch nicht über die Berichterstattung in den Massenmedien. Genau das zeigt, dass sie funktioniert, dass sozusagen alles mit rechten Dingen zugeht. Politische Entscheidungen wirken in all diese Bereiche ›machtvoll‹ hinein, aber wie sie im Innern dieser Bereiche umgesetzt werden, lässt sich von außen nicht steuern. Kontrolle wird im rekursiven Netzwerk der eigenen Operationen erzeugt, ist also an die eigenen Strukturen gebunden. Ohne Frage wird die politische Praxis nicht nur vom politischen Code bestimmt – und ganz sicher hat der Staat eigene wirtschaftliche Interessen. Aber was immer hier in Anschlüsse überführt wird, muss sich dem politischen Code fügen. Ob eine politische, die Kollektivität bindende Entscheidung schön ist oder nicht, spielt keine Rolle; genauso wenig wie ihre ›Wahrheit‹. Sie kann auf fake news beruhen (zum Beispiel auf dem Argument, dass Strafzölle bzw. der Reisebann nötig seien, um die nationale Sicherheit der USA zu gewährleisten, oder dass es den Klimawandel nicht gibt) – das muss sie nicht daran hindern, in Kraft zu treten. Auch das Recht orientiert sich ausschließlich an den eigenen Systemzuständen. Wenn es Fragen beantworten und Entscheidungen treffen soll, kann es nur das eigene Gedächtnis bemühen. In den USA richtet es seine Entscheidungen zum Beispiel an den eigenen, bisher getroffenen Entscheidungen aus: Marbury v. Madison, 1803 (4 – 0 decision), McCulloch v. Maryland, 1819 (7 – 0 decision), Dred Scott v. Sandford, 1857 (7 – 2 decision), Plessy v. Ferguson, 1896 (7 – 1 decision), Korematsu v. United States, 1944 (6 – 3 decision) – oder Roe v. Wade, 1973 (7 – 2 decision). Sollte Trump sich fragen, ob eine bestimmte Tatsachenbehauptung auf CNN oder auf einer Homepage gegendarstellungsfähig ist, werden seine Anwälte zur Lösung dieser Frage nach gesetzlichen Grundlagen suchen und dabei vermutlich auf bestimmte vertragliche Regelungen stoßen; sie werden möglicherweise auch nach dem bisherigen Umgang des Rechts mit den zuständigen Instituten fragen – und nicht zuletzt danach, ob es die Funktion der Gegendarstellung nahelegt, auch auf einer Internet-Homepage Anwendung zu finden (vgl. Vesting 2001). Wenn Versuche der strikten Kopplung zwischen diesen Bereichen bemerkt werden, schaltet sich das für die Immunabwehr zuständige Rechtssystem ein. Luhmann nennt Doping, das im Sport den Code von Sieg und Niederlage unterläuft, oder Korruption, die die Recht/Unrecht-Unter-
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scheidung aushöhlt, oder das Benutzen von Insiderwissen bei Börsengeschäften (vgl. 1997: 402). Dem Doping entspricht in der Politik das, wofür sich der Sonderermittler interessierte: die Nutzung unerlaubter Methoden zur Steigerung der politischen Leistung, von möglichen Absprachen (collusion) mit Russland über diverse russische oder sonstige Cyberattacken zugunsten des Kandidaten bis hin zu unerlaubten ›Geldspritzen‹ bzw. Wahlkampffinanzierungen – all jene illegalen Aufputschmittel also, die zu einer ungleichen Chancengleichheit im politischen Wettbewerb führen und die Balance zwischen Regierung und Opposition bedrohen.125 Deshalb wehrt Trump sich so vehement gegen entsprechende Vorwürfe: sie suggerieren, dass er den Wahlsieg nicht politisch verdient hat, sondern russischen Stimulanzien verdankt. Nicht nur seine Äußerungen im Zusammenhang mit den juristischen Auseinandersetzungen um den Reisebann zeigen, dass ihm die in der westlichen Politik übliche Selbstunterwerfung unter rechtlichen Regulierungen fremd ist. Für ihn stellt die Selbstbegrenzung des Politischen auf das Politische keinen Wert dar. Folgerichtig ist auch das Primat der funktionalen Differenzierung für ihn hinfällig: die Idee, den entsprechenden Bereichen der Gesellschaft die Regie zu überlassen. Er gesteht dieses Recht weder dem Recht noch der Wirtschaft noch den Massenmedien noch der Wissenschaft zu, die er allesamt politisch kontrollieren möchte. Sein Politikverständnis ist expansiv (vgl. Luhmann 2011: 140), er geht von der führenden Rolle der Politik in der Gesellschaft aus. Der Präsident kann die Gesellschaft ›verbessern‹, so seine Vorstellung. Daran scheinen auch seine Wähler zu glauben.126 Er hat sich die mit dieser Auffassung zusammenhängende Alarmierbarkeit zunutze gemacht: Amerika ist nicht mehr great? Höchste Zeit, das zu ändern, einzugreifen, umzudirigieren, zu regulieren und zu deregulieren. Dass er dabei wie ein Geschäftsmann agiert, kreiert zusätzliche Konflikte. Ohne Frage ist der Wert politischer Selbstbegrenzung ein ›westlicher‹. Vor allem demokratische bzw. westliche Staaten wollen die Gesellschaft davor schützen, dass alles staatlich bestimmt und vorentschieden wird. Politik mischt sich ein, das ja – aber sie ist gleichsam bescheiden: sie versteht sich als sozialen Teilbereich. Auch die Selbstunterwerfung unter rechtlichen Regulierungen gehört dazu: Rechtsetzung ist nicht Rechtsprechung. Die von Erdogan, Putin, Orban et al. und auch Trump angestrebte »Totalkonditionierung« (Nassehi), Totalpolitisierung des Staates läuft dieser Selbstbegrenzung des Politischen zuwider. In diesem Sinne ist Trumps Anspruch, die anderen sozialen Bereiche politisch kontrollieren zu wollen,
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in der Tat ›unamerikanisch‹ bzw. ›undemokratisch‹ – und hat Trump vor allem bezüglich seiner Tarifpolitik den Vorwurf eingebracht, ein Sozialist zu sein (vgl. Bishop 2018, Swaminathan 2019, DeBord 2019). In demokratischen Staaten haben die Fluktuationen der Politik damit zu tun, dass Wahlen veranstaltet werden. In den USA hängt es beispielsweise nicht vom Willen Trumps bzw. des Präsidenten, sondern von Wahlen ab, wer regiert – aber nur bis zur nächsten Wahl. Genau das lässt sich als Demokratie bestimmen: Es gibt Bedingungen dafür, den höchsten Machthaber ins Amt zu wählen – und, from Trump’s standpoint, leider auch dafür, ihn wieder abzuwählen (vgl. Luhmann 2002a: 64). Denn dass diese Befristung Trump nicht ganz geheuer ist, hat er mit seiner unverhohlenen Bewunderung für den zum ›Präsidenten auf Lebenszeit‹ gekürten Xi Jinping deutlich gemacht: »Maybe we’ll have to give that a shot someday.« (Trump, zitiert nach Phillips 2018) Zwar hat er seine Bemerkung im Nachhinein als Scherz abgetan, aber was bleibt, ist der sogenannte ›wahre Kern‹: Trump strebt in der Politik ein Zurück zu hierarchischen Strukturen an. An der Spitze der Hierarchie steht »King Me« Trump, steht der imperiale Präsident als Zentralinstanz, die vorzeichnet, was zu geschehen hat.127 (Die beiden anderen demokratischen Kontrollfunktionen stellten für ihn lange Zeit keine Gefahr dar. Mit der Übernahme des Repräsentantenhauses durch die Demokraten ist immerhin die Funktion der Gewaltenteilung wieder zurück im Spiel. Von der Verfassung dagegen hat er weiterhin nichts zu befürchten. Zu den Gründen später mehr.) Zwar macht er seit seinem Amtsantritt mit dem Umstand Bekanntschaft, dass starke, determinierende Herrschaft – als Durchsetzungsfähigkeit des Willens – kein sinnvolles Konzept mehr ist, um die von zufälligen Änderungen beherrschte Ordnung der Politik begreifen zu können (vgl. Luhmann 2002a: 429). Die Wiederherstellung der Asymmetrien, wie sie für ältere Gesellschaften typisch waren, gelingt ihm daher nur ansatzweise, im Weißen Haus etwa durch eine Personalpolitik, die Loyalität wichtiger nimmt als Kompetenz. Viele seiner Berater waren deshalb vor allem damit befasst, ihn auf die Grenzen seiner Macht hinzuweisen, die weder die Politik noch andere gesellschaftliche Funktionsbereiche kontrollieren kann: »When the president would say, ›Well here’s what I want to do. And here’s how I want to do it.‹ And I’d have to say to him: ›Well, Mr. President, I understand what you want to do but you can’t do it that way. It violates the law, it violates a treaty.‹ You know. He got really frustrated.« (Rex Tillerson, zitiert nach USA News 2018) Der von der gesellschaftlichen Differenzierung und ihrer Inklusionsgleichheit profitierende Trump wendet sich gegen eben diese Differenzierungsform – ganz so, als gäbe es zu
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ihr eine Alternative, etwa die Rückkehr zu segmentären Formen (was unter den Schlagworten Tribalismus und Nepotismus verhandelt wird) oder zur Stratifikation (wobei die von ihm angestrebte politbürokratische Kontrolle – die von Trump verordneten Diäten bzw. Stellenkürzungen dienen diesem Zweck – ein Stück weit durch die Hierarchie begünstigt wird, die in Organisationen wie der GOP oder dem Weißen Haus vorliegt). Paradoxerweise ist es ausgerechnet die funktionale Differenzierung, die ihn hier begünstigt: »Was als Alternative auftreten kann, hat Recht auf Gehör und auf Bewährungschancen.« (Luhmann 1984: 464) Luhmanns Annahme war, dass Redundanzbedarf und Neuheit in der Moderne zur Deckung kommen. Wer sich wie Trump als Alternative präsentiert, hat den Eignungstest damit schon fast bestanden (vgl. Luhmann 2008d: 39). Was die Trump-Wähler vereint, die aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen kommen, ist diese Mindestbedingung einer Alternativvorstellung und der Nichtidentität mit der politischen Klasse bzw. den »herrschenden Kreisen« (vgl. Luhmann 1996b: 208). Das gilt im Übrigen auch für die Wählerschaft der AfD, die clever genug war, die eigene Alternativität zum Teil ihres Firmennamens zu machen. Doch die »Alternative für Deutschland« ist in Wahrheit keine, und auch Trumps Alternativprojekt ist nicht umsetzbar. Um Alternative sein zu können, muss er sich deshalb vor allem entsprechend verhalten; sein Rückgriff auf das Stilmittel des unkonventionellen Auftretens verdankt sich dieser Not. Der heroische Tabubrecher und auf riskante Wetten setzende Trump ist hierin alles andere als frei.128 Was nicht heißt, dass er nicht ab und an Alternativen vorschlagen kann, zum Beispiel die Kündigung bestimmter Abkommen usw. Auch die Einführung bestimmter Themen (Clintons Inhaftierung, fake news, Karawane, deep state) sowie der Versuch, »bürokratische Verheerungen« (Luhmann) aufzulösen, haben sich hier als fruchtbar erwiesen. In diesem Kontext bekommt die Unterstellung, die Trump-Regierung kreiere Chaos und Dysfunktionalität, eine andere, systemtheoretische Bedeutung: bezeichnet wird damit nicht mehr allein eine gewisse Inkompetenz, die Regierungsfunktion wahrzunehmen, sondern die Unfähigkeit der Trump-Regierung, zwischen den Funktionen von Politik, Wirtschaft, Recht etc. zu unterscheiden.
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Die blanke Waffe Dirk Baecker sieht in der Wahl Trumps zum Präsidenten eine »Rückkehr der Politik in der Politik«: Trump lege gleichsam die blanke Waffe auf den Tisch (vgl. Baecker 2016). Auch Meinungsinhaber Jill Lawrence befindet: »He is blatantly, offensively political and, since this is politics, it’s working.« (2018) Dieses offen machtpolitische ›Einsetzen der Ellenbogen‹, das nicht zuletzt im Umgang mit anderen Regierungschefs Form annahm (wohl am auffälligsten im Wegschubsen des montenegrischen Premierministers), positioniert sich auf der Gegenseite eines ordentlich verwalteten, langsamen, langweiligen Handelns – auch auf der Gegenseite dessen, was man Diplomatie nennt. Es zeigt sich in Trumps rücksichtlosem Umgang mit dem Recht, der Wirtschaft, den Massenmedien und der Wissenschaft, inklusive deren Repräsentanten: Richtern, Firmenchefs, Unternehmern, Journalisten, Forschern. An die Stelle des als höflich und deshalb oft als verlogen empfundenen typischen Politikerverhaltens tritt Grobheit, wenn man so will: Barbarei – und mit diesem groben und barbarischen Verhalten verletzt Trump eine weitere Norm, was wiederum seinen Anhängern gefällt, die diesen Kommunikationsstil mit dem Hinweis auf die in der Wirtschaft üblichen Verhaltensweisen rechtfertigen.129 Er selbst begründet seine Brutalität bekanntlich mit der Brutalität der anderen, die unfair zu den USA seien, sie lächerlich gemacht und ihrerseits herumgeschubst hätten. Seine Anhänger sind zufrieden: »We finally have a president with some balls.« (So ein anonymer Trump-Fan bei Jimmy Kimmel Live!) In den Worten Bill Mahers: »He is not a politician – but also the most politician ever.« Aus dieser Perspektive macht Trump Politik um der Politik willen; eine Politik, die sich nichts mehr gefallen lässt, die sich weder durch Fragen des Rechts noch durch Vorstellungen von Diplomatie oder von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen aus der Ruhe bringen lassen will. Und zwar weil das Recht, die Diplomatie, die Wissenschaft und nicht zuletzt die Massenmedien von weiten Teilen der amerikanischen wie mittlerweile auch der deutschen Bevölkerung gerade als nicht autonom und von politischen Interessen frei empfunden werden; ein Verdacht, den Trump in einem fort geschickt bestätigt und den die traditionell agierenden Politiker wie auch die Massenmedien nicht abschütteln können. Für Dirk Baecker liegt der Grund für diese Entwicklung in der Unverträglichkeit von Demokratie und freiem Handel: »Man kann nicht von derselben Bevölkerung, die mehrheitlich unter den realen oder eingebildeten Folgen der Globalisierung zu leiden hat, erwarten, dass sie einer Politik ihre Stimme gibt, die für genau diese Globalisierung mitverantwortlich ist,
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beziehungsweise zu wenig dafür tut, ihre schädlichen Folgen abzufedern.« (Baecker 2016) Die neoliberale Politik habe sich darauf verlassen, dass der freie Handel von selbst für eine Gesellschaft sorge, die gleiche Chancen für alle generiere. Doch der von Großkonzernen dominierte Wettbewerb um Marktnischen werde eben nicht nur durch Käufer, sondern vor allem auch durch Marktzutrittsrechte aller Art entschieden, so Baecker – und Trumps Politik bringe diese Marktmacht des Staates zurück ins Spiel, in der Außenpolitik vor allem durch seine Strafzölle, in der Innenpolitik durch alle möglichen Formen der Deregulierung. Diese Marktmacht des Staates werde vom Liberalismus unterschätzt und vom Neoliberalismus geleugnet. Aus der Sicht Baeckers hat die Politik bzw. haben die Politiker etwas falsch gemacht, jahrzehntelang: sie haben die von ihnen betriebene Politik nicht politisch begründet. Stattdessen haben sie die Politik den Einschränkungen des Wohlfahrtsstaates, des Rechtsstaates unterworfen und es zugelassen, dass eine durch die Verfassung, das Recht und Sachzwänge dirigierte Verwaltung (in Trumps Diktion: der deep state) sie jeder Souveränität beraubt hat – und zwar der Souveränität kollektiv bindender Entscheidungen. »Politik heißt, kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen, weil man es kann. Das ist Donald J. Trumps Aussage und Versprechen.« (Baecker 2016) Es handle sich zwar um eine leere, nicht durch gute Gründe vorab abgesicherte Aussage. Doch es bleibe ein Versprechen, und zwar »ein Versprechen der Befähigung zur Politik« (Baecker 2016). Gerade in Krisen – und Trump hat vor allem deshalb ständig auf das Vorhandensein einer Krise hingewiesen – erwartet die Bevölkerung, dass die Politik nicht nur den Bedingungen demokratischer Verfahren genügt. Sondern dass sie Entscheidungen trifft, die auf diese außergewöhnlichen Umstände reagiert und deren Beherrschung in Aussicht stellt. Dass sie Macht in Anspruch nimmt. Und diesen Machtanspruch nicht etwa versteckt. Darin ist Trump in der Tat ein Meister. Er droht anderen Staaten unverhohlen mit Konsequenzen: »Or I’ll do my own thing.« (zitiert nach Goddard 2018) Er entscheidet nicht nur, er sorgt immer auch dafür, dass die Bevölkerung seine Entscheidungen zu sehen bekommt. Dunkle Mächte, die hinter den Kulissen ihre Interessen verfolgen, die Vernunft der Verhältnisse, bloßer Pragmatismus – all das wurde mit ihm abgewählt. Der Erfolg Trumps, können wir Dirk Baecker paraphrasieren, ist der Erfolg einer Figur, die in ihrer ganzen Ambivalenz zwischen populistischer Politik und machtvollem Führungsanspruch immerhin wieder deutlich macht, dass die Zukunft nicht entschieden ist, sondern entschieden werden muss (vgl. Baecker 2008: 96). Gönnen wir uns an dieser Stelle einen Seufzer: Es ist ja verständlich.
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Die Trump-Wähler wollen wieder sehen, wie Politik gemacht wird – und Trump zeigt es ihnen. Im Mehrebenensystem einer international verflochtenen Politik spielen Machtfragen zwar nach wie vor eine Rolle, werden Positionen entschieden und gegen andere durchgesetzt, nur: »wie und wo diese Macht entsteht, von wem sie ausgeübt wird, wer von ihr profitiert und wer nicht, ist mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen« (Baecker 2016). Die Sozialsysteme der Gesellschaft sind für den common sense eines Trump-Wählers undurchdringlich – ihre Eigengesetzlichkeit kann nicht mit der Alltagsvernunft eingeholt werden (vgl. Sloterdijk 2013: 421). Diese Exklusion des common sense und damit der alltagsvernünftigen Menschen aus den sozialen Großbereichen ist einer der Gründe für Trumps Erfolg. Gewiss könnte ein Experte versuchen, den Laien zu erklären, warum »die Dinge im ausdifferenzierten Subsystem funktionieren, wie sie funktionieren, und daß es nicht anders sein kann, auch und gerade wenn es dem gesunden Verstand absurd erscheint« (Sloterdijk 2013: 421) – aber es scheint, dass sie sich genau das nicht zumuten wollen, weil es auf Kosten der alten Gewissheiten ginge. Die Wahrnehmung der Trump- wie der AfD-Wähler war, dass Regierung und Opposition alles unter sich ausmachen; dass die Politik gleichsam ihr Spiel spielt, abgekoppelt und unabhängig von ihren Interessen, und die Opposition als Teil des Establishments das Spiel der Regierung mitspielt, so dass echte Opposition und von daher echte Inklusion nicht mehr stattfindet. »Wenn nichts zur Wahl gestellt wird, oder wenn das, was zur Wahl gestellt wird, sich kaum unterscheidet«, warnte Luhmann bereits in den 1980er Jahren, »schwindet auch die Bedeutung und das Interesse an aktiver politischer Beteiligung oder sucht sich Ausdrucksbahnen außerhalb der politischen Wahl.« (Vgl. Luhmann 2011: 139) Dem Außenseiter Trump gelang es, das Interesse auf die Politik zurückzulenken. Indem er ihr eine gewisse Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit unterstellte, da nicht sie, sondern staatliche Institutionen (der deep state) und eigensüchige Eliten (der ›Sumpf‹) die Kontrolle über den Staat übernommen hätten, entsprach er offenbar einem diffusen Gefühl der Wähler, dass die Politik ohne sie und die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse auskomme. Mit ihm stand eine echte Alternative zur Wahl und damit ein Grund, sich wieder aktiv politisch zu beteiligen. Die Interessen und »Lebensformen« (Nassehi) der Trump-Wähler, zu denen Rassismus ebenso gehört wie eine traditionelle Rollenauffassung der Geschlechter und der Stolz auf die eigene Nation, fanden in ihm einen Vertreter dieser Interessen; und der Milliardär Trump sah in der Vertretung dieser Interessen die Chance, zum Präsidenten der USA gewählt zu werden.
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Doch wie steht es um seine faktische Durchsetzungsfähigkeit, die in Form von kollektiv bindenden Entscheidungen Form annimmt? (Vgl. Luhmann 2011: 75 ff.) Tatsächlich besteht die Kunst Trumps vor allem darin, Macht in Formen zu bringen, die wenig mit tatsächlicher Machtausübung zu tun haben. Die Macht ist vor allem symbolischer Natur: seien es seine Tweets, seine Reden, seine mit raumgreifender Unterschrift markierten Dekrete, seine photo session mit Kim Jong-un, seine Angriffe auf Reporter, oder seine als authentisch, ja als heldenhaft wahrgenommenen Tabubrüche: »Rather than take concrete actions, Trump has deployed unusually strong rhetoric. He has attacked judges in unprecedented terms. He has repeatedly demanded that the Justice Department investigate various political opponents. And, of course, he has made sweeping claims about pardons. So far, however, there’s been little follow-through […]. It’s less an exercise of power as an appeal to the public […].« (Graham 2018) Die Frage, ob der Alleinherrscher, den Trump gibt, faktisch existiert, spielte in seiner Beurteilung deshalb lange Zeit keine Rolle.130 Doch natürlich geht es nicht darum, Durchsetzungsfähigkeit selbst durchzusetzen – das wäre Macht im Leerlauf –, sondern immer auch darum, etwas durchzusetzen: eine Steuerreform, einen Obersten Richter, »jobs, jobs, jobs«, den Mauerbau, und alles in allem: Amerikas Rückkehr zu alter Größe. An irgendetwas muss die Kommunikation von Macht schließlich Halt finden.131 Nach einigen strukturell bedingten Anlaufschwierigkeiten kann Trump hier durchaus Vollzug melden. Die Gesundheitsreform durchzusetzen ist ihm zwar nicht gelungen, wohl aber die Steuerreform und die hoch umstrittene Reform der neuen Einreisebestimmungen, wenn auch in der politisch bzw. rechtlich korrekten – watered down – Variante. Auch in Sachen Deregulierung hat Trump ›geliefert‹, etwa durch die Aufhebung der Regeln zur Gewährleistung der Netzneutralität oder das Einfrieren des Klimaschutzplans (Clean Power Plan) oder im Hinblick auf den Arbeitnehmerschutz. Zudem ist er, wie versprochen, aus dem Pariser Klimavertrag und dem Atomabkommen mit dem Iran ausgetreten, hat mit der Verhängung der Strafzölle begonnen, die ›fehlgeleitete‹ Handelspolitik der USA zu korrigieren (vgl. Langer et al. 2018) – und auch im Hinblick auf die versprochene Neuausrichtung des Supreme Court hat er sich als handlungsfähig erwiesen: »Up to now, their [Trumps und Mitch McConnells, M. H.] work, which includes the addition of two new originalist justices to the United States Supreme Court, has been stellar.« (Roff 2018b) All diese Entscheidungen waren von enormer Bedeutung, weil nur sie Trumps Macht empirisch belegen.
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Den Gründen für die Anlaufschwierigkeiten werde ich mich im nächsten Kapitel widmen, an dieser Stelle will ich nur darauf aufmerksam machen, dass Trump – ein ganz erstaunlicher Umstand – viele seiner Wahlversprechen tatsächlich eingelöst hat und auch weiterhin darum bemüht ist, die noch offenen – wie beispielsweise die Verbesserung der Beziehungen zu Russland und den Mauerbau – einzulösen. Promises made, promises kept: in der Tat. Auch in dieser Hinsicht weicht er deutlich von der bisherigen politischen Praxis ab.132 Nur das zentrale Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, das mit einer Überschätzung seiner politischen Handlungsmacht einhergeht, wird er aus offenkundigen Gründen nicht einlösen können – weshalb er die zurückerlangte Größe Amerikas, wie immer man sie im Einzelnen deuten mag, denn auch schlicht behauptet. Warum sich das als ein Problem erweisen könnte, will ich im Schlussteil des Buchs erörtern. Das Problem ist, dass sich Trump keineswegs sicher sein kann, dass die von ihm getroffenen Entscheidungen auch zu den gewünschten Resultaten führen – und das nicht nur deshalb, weil andere Staaten Einwände gegen die Erstheit Amerikas haben könnten.133 Sondern vor allem, weil völlig ungewiss ist, in den Worten John McCains: »difficult to calculate«, wie sich seine politischen Entscheidungen auf die anderen Funktionsbereiche der Gesellschaft auswirken werden. Genau mit diesen Wirkungen auf den Rest der Weltgesellschaft muss Trump sich schon jetzt beschäftigen – vermutlich früher als erwünscht. Das Thema ist schon seit einer ganzen Weile nicht mehr die fehlgeleitete Handelspolitik der USA, sondern die Korrektur der von der Trump-Regierung als fehlgeleitet beobachteten Handelspolitik.
Der machtlose Machthaber Anders als Trump anzunehmen scheint, beruht Macht nicht etwa darauf, von gegebenen Möglichkeiten der Machtausübung Gebrauch machen zu können. Machtausübung bedeutet im Gegenteil: diese Möglichkeiten nicht auszuüben, von ihrer Verwirklichung abzusehen. Das Vermeiden von – möglichen und möglich bleibenden – Sanktionen ist für sie wesentlich. Paradox formuliert verwirklicht sich Macht dadurch, dass sie nicht verwirklicht wird. Jeder faktische Rückgriff auf Vermeidungsalternativen, jede Ausübung von Gewalt zum Beispiel, wirkt auf sie zurück – irreversibel. Es liegt im Interesse der Macht, eine solche Wendung zu vermeiden.
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Macht ist damit schon strukturell – und nicht erst: rechtlich – aufgebaut auf Kontrolle des Ausnahmefalles; darauf, dass das Machtpotenzial nicht aktualisiert wird (vgl. Luhmann 1975: 23). Gleichzeitig mit der Kommunikation über das in Aussicht genommene Handeln findet immer auch eine Metakommunikation über Macht statt. Diese Symbolisierung ist ein unerlässliches Requisit jeder Machtbildung (vgl. Luhmann 1975: 32). Das erklärt auch, warum Trump sich von ganzem Herzen eine Militärparade wünscht. Die Sprache hält für diesen Zweck »Dispositionsbegriffe« (Luhmann) bereit wie Kraft, Fähigkeit, Potenz. Und Twitter: Großbuchstaben. Wie sich gerade an Trump zeigen lässt, nimmt formulierte Macht im Kommunikationsprozess oft den Charakter einer Drohung an: »NEVER , EVER THREATEN THE UNITED STATES AGAIN OR YOU WILL SUFFER CONSEQUENCES THE LIKES OF WHICH FEW THROUGHOUT HISTORY HAVE
EVER SUFFERED BEFORE .«
Die Drohung an den Iran bringt zum Ausdruck, dass der amerikanische Präsident über ungleich größere Reserven verfügt als sein Kontrahent, und kann in diesem Sinne als Machtsymbol verstanden werden. Durch die Großbuchstaben versucht Trump, ihr mehr Nachdruck zu verleihen, was eher den gegenteiligen Effekt hat; denn Macht, die signalisiert, dass sie womöglich nicht ernst genommen werden könnte und es deshalb über Großschreibung sicherstellen will, die also schreien muss, damit ihr Potenzial sichtbar wird, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Genau in dieser Schwäche liegt die Stärke des Mediums Macht begründet, hier findet sich ihr Risiko (vgl. Luhmann 2002a: 35). Macht, die droht, setzt sich der Möglichkeit einer expliziten Negation aus und bildet so schon einen ersten Schritt zur Realisierung der Vermeidungsalternativen, einen ersten Schritt zur Zerstörung der Macht, und wird daher nach Möglichkeit vermieden. Iran könnte Trumps Macht weiterhin testen. Nordkoreas Machthaber Kim war gut darin, diese Schwäche, die nichts anderes ist als Provozierbarkeit, auszunutzen. Die symbolische Qualität der Macht leidet unter solchen Formen des Widerstands, wie sie auch im Falle des anonymen OpEd-Schreibers sichtbar wurde, der unterstellte, dass der amerikanische Präsident nicht Herr im eigenen Weißen Hause sei. Auch deshalb war er so versessen darauf, ihn aufzuspüren, wie die Drohung an die Adresse der New York Times zeigt, mit rechtlichen Schritten die Herausgabe des Namens zu erzwingen. Der Erfolg einer solchen Maßnahme, so offenbar die Annahme, könnte die unterstellte Machtlosigkeit richtigstellen. Allein: genau
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hier erweist Trump sich erneut als einigermaßen machtlos. »We’re confident that the Department of Justice understands that the First Amendment protects all American citizens and that it would not participate in such a blatant abuse of government power.« (Landler and Benner 2018) Abgesehen davon hat der Text ja längst die Machtlosigkeit des Präsidenten demonstriert und gezeigt, dass der Machtzwang nicht funktioniert – und im gleichen Moment dessen Macht gezeigt, wenn auch nur die des Arbeitgebers, der den Autor – theoretisch – ›feuern‹ könnte. Doch keine Strafmaßnahme kann die Missachtung der Macht rückgängig machen. Sie kann höchstens zukünftigen Sündern ein mahnendes Beispiel sein. Macht zeigt sich also gerade nicht in Zwangsmaßnahmen gegen Staaten, Journalisten oder widerspenstige Senatoren, wie Trump zu glauben scheint, sondern darin, dass die Durchsetzung der von ihm veranlassten Maßnahmen ›wie von selbst‹ erfolgt. Man erkennt sie daran, dass derjenige, über den Macht ausgeübt wird, tut wie ihm geheißen. Genau das, was Macht definiert, findet also im Falle Trumps oft nicht statt. Weder China noch die EU gehorchen ihm. Nicht einmal die eigenen Mitarbeiter, die heimlich Unterlagen von seinem Schreibtisch entfernen und seine Anweisungen ignorieren. Offenbar muss Trump großen Aufwand treiben, um gehört zu werden, womit er seine Machtlosigkeit zusätzlich sichtbar macht. Das scheint er selbst nicht so zu sehen, für den die Drohung offenbar ein wesentlicher Bestandteil seiner Machtausübung ist. Trump droht ungewöhnlich viel, eigentlich ununterbrochen, auch wenn er damit bisher nicht viel bewirkt hat. (Wobei sich die meisten Ankündigungen unangenehmer Maßnahmen offenbar nicht an den richten, dem er sie ankündigt, sondern an seine Anhänger: indem sie ihn als zwar gewillt, aber machtlos ausweisen, bezeugen sie das Narrativ des Washingtoner Sumpfes bzw. des deep state.) Eine Anfang November 2018 durchgeführte Google-Suche nach Meldungen, die mit den Worten ›Trump droht‹ (Trump threatens) beginnen, erzielte folgende Ergebnisse: As Caravan Of Migrants Heads North, Trump Threatens To Close Southern U. S. Border; Trump threatens to seal U. S.-Mexico border over migrant caravan. Can he do it?; Trump threatens drastic action on immigration in bid to energize GOP voters; Trump threatens to use military to shut down Mexico border; Trump threatens 5 percent spending cut for agencies; Trump threatens to cut aid to Honduras over migrants; Trump threatens drastic action on immigration in hopes of energizing …; Trump threatens to send troops to the border and cancel trade deal to …; Trump Threatens to Punish Honduras Over Immigrant Caravan; Jamal Khashoggi: Trump threatens ›very severe‹ consequences over …; Trump threatens to cut California firefighting aid over
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›old trees‹; ›You Better Get Your Act Together‹: Trump Threatens To Cut Funding …; Donald Trump threatens Saudis with ›severe‹ consequences if they …; Trump Threatens a Showdown with Iran. But How?; Trump Threatens Iran’s Oil Clients; Trump threatens Iranian president in ALL CAPS ; Donald Trump threatens to pull US out of World Trade Organisation; Government shutdown: Trump threatens shutdown a month before the …; Trump Threatens to Interfere With FBI ; Jerusalem UN vote: Trump threatens US aid recipients; Trump threatens ›ruination‹ of Canada with auto tariffs; Donald Trump threatens to slap tariffs on almost all Chinese goods; Trump Threatens to Withhold Aid to Palestinians; Trump threatens to ›totally destroy‹ North Korea, slaps ›rogue‹ Iran in …; Trump threatens to pull federal funds for Calif. wildfires over forest ›mismanagement‹; Trump threatens ›war-like posture‹ if Democrats investigate him …134
Er ist deshalb oft mit der Frage konfrontiert, ob er die angedrohte Sanktion ausführen soll. Wenn all das Drohen nichts nützt, kann Trump sich zwar entscheiden, die Grenze nach Mexiko zu schließen, Nordkorea anzugreifen, Kanada zu ruinieren, den nationalen Notstand auszurufen usw. Aber was dann? Obamas nicht erfolgte Sanktion im Hinblick auf die ›rote Linie‹, die Syrien besser nicht überschreite, gereichte ihm nicht zum Vorteil – mehr noch, sie wuchs sich zu einer ›Red Line Crisis‹ aus: »We in the Obama administration stepped up to the brink of military action against Assad. And then, suddenly, we stepped back.« (Rhodes 2018) Ganz gleich, was letztlich die Gründe für Obamas Verzicht gewesen sein mögen, seine Drohung erwies sich als leer. Die Vielzahl der angedrohten aber nie ausgeführten Sanktionen lässt Trump als Hund erscheinen, der zwar bellt, aber nicht beißt: »Trump, as he so often does, levied an empty threat on Twitter […]« (Blumenthal und D’Angelo 2018). Auch der Rückzieher im Zusammenhang mit der Haushaltssperre wurde nicht zu seinen Gunsten ausgelegt (vgl. Al Jazeera 2019). Die Frage ist, welcher Spielraum ihm im Hinblick auf seine eigene Entscheidungskette gelassen wird, wie frei er noch ist, wenn er erst einmal begonnen hat, Drohungen zu kommunizieren. Er mag sich als ein frei Handelnder empfinden, tatsächlich wird sein Verhaltensspielraum durch jede Drohung kleiner, erweist sich die Zukunft als weniger offen. Es sieht so aus, als mache Trump, indem er sie in einem fort symbolisiert, zu viel Gebrauch von seiner Macht. Seine ständigen Drohungen könnten kontraproduktiv sein – nämlich dann, wenn weiterer Widerstand ihn dazu zwingt, sie schließlich wahrzumachen, wie die Haushaltssperre gezeigt hat. Es ist der Nichtgebrauch der Machtmittel, der Macht so mächtig macht – wenn sich der Machtlose, nicht ohne Weiteres fügt, hat sie schon einen Großteil
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dessen verloren, was sie auszeichnet. Anders als Nancy Pelosi hat Rohani den Präsidenten nicht in diese Verlegenheit gebracht. Er verzichtete auf eine Antwort in Form einer erneuten Drohung. Stattdessen wandte er sich an sein Team, die Antwort gleichsam ›murmelnd‹: »there is no need for us to respond to any nonsensical comment and answer back to them« (zitiert nach RFE/RL 2018). Behandelt man Macht, wie Trump es tut, als Schädigungsfähigkeit, liegt die Steigerungsrichtung in der Größe des Schadens, den der Machthaber verursachen kann, und/oder in der Größe der Gegenmacht, die eine Schädigung effektiv verhindern könnte. Von Nordkorea hat er nicht viel zu befürchten, auch der Iran ist kein ebenbürtiger Gegner. Anders verhält es sich im Fall der EU, Chinas und der Demokraten. Doch die von Trump favorisierte enge Assoziation von Mächtigkeit und Gefährlichkeit (»Real power is […] fear«, zitiert nach Woodward 2018) ist eigentlich nur für archaisches Denken adäquat. Die Größe des Trump’schen Machtpotenzials ist garantiert, aber der Grad an Ausdifferenzierung bereitet ihm – offen sichtlich – Probleme. Anerkannt bzw. als verbindlich betrachtet werden die Entscheidungen des Präsidenten ja nicht, weil er faktisch der Herrscher ist. Unter relativ einfachen Systembedingungen kann der Machtcode Glaubhaftigkeit zwar schlicht durch Stärke symbolisieren, eventuell unterstützt durch gelegentliche Exempel dieser Stärke (vgl. Luhmann 1975: 50). Doch in einem hochkomplexen, hochdifferenzierten System wie der Politik versagt dieses Mittel. Für Glaubhaftigkeit sorgen hier die rechtliche Schematisierung und Technisierung der Macht. Sie ziehen der Trump’schen Willkür Bremsen (so die schöne Formulierung Luhmanns, 2010: 87). Seine Antwort ist eine doppelte: einerseits der Rückgriff auf Recht als Berechtigung, auf einen vormodernen Rechtsbegriff der richtigen Handlungszwecke; andererseits der Rückgriff auf den Begriff der Rolle. Als Präsident handelt er notwendig im Sinne Amerikas, so die Idee, deshalb ist eine Überprüfung seiner Position überflüssig: »When the President does it, that means it’s not illegal.« (Nixon im David-Frost-Interview, zitiert nach Bunch 2016) In Trumps Variante: »The law’s totally on my side […]. The president can’t have a conflict of interest.« (Zitiert nach Bunch 2016) So groß das Vertrauen seiner Anhänger in diese Außenbindung auch sein mag, durchsetzbar ist sie in der modernen Gesellschaft nicht mehr. Die Genialiät eines Systemdesigns, das mithilfe des Prinzips der Gewaltentrennung Entscheidungsfähigkeit mit dem Verzicht auf eine eindeutig hierarchische Struktur verbindet (vgl. Luhmann 2010: 88), ist der Trump’schen Genialität mindestens ebenbürtig. Dass die Differenzierung hier noch lange nicht Halt macht, sondern weit über die Herrschaftsorga-
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ne hinausreicht, ist aus seiner Sicht ein Problem, das er nicht zufällig zu einem seiner wichtigsten Wahlkampfthemen gemacht hat. Der Innenbindung der Politik stehen die externen Schranken gegenüber, die das Recht zur Verfügung stellt – inklusive des Rechts der Staatsbürger, vor dem Zugriff der Politik geschützt zu werden. Auch hier greift eine Trump’sche Sparmaßnahme bzw. Wertverengung: während er die Schutzwürdigkeit der Privatrechte hervorhebt, nicht zuletzt im Zusammenhang mit gegen ihn und seine Mitarbeiter durchgeführten Hausdurchsuchungen, ist die Doktrin der Menschenrechte für ihn von nur geringem Interesse. Das ist nur konsequent, denn die »America First«-Logik kennt keine Menschenrechte mehr, sondern nur noch Amerikanerrechte.
Das Konfliktgenie Ich habe den Konfliktbegriff bisher selbstverständlich vorausgesetzt.135 Höchste Zeit, eine genaue Bestimmung nachzureichen. Als Konflikt erscheint ein Thema, wenn man zeigen kann, wer die Position des Dafür und wer die Position des Dagegen einnimmt, es bedarf also der Kommunikation des Widerspruchs (vgl. im Folgenden Luhmann 1984: 530 ff.). Damit fallen bloß vermutete Gegensätze von vornherein durch das Raster – erst das Nein macht den Konflikt beobachtbar. Ich unterscheide damit die sozialstrukturellen Bedingungen für mögliche Konflikte von Konflikten auf der Verhaltensebene. Denn da Systeme wie gesagt weder Interessen haben noch diese äußern können, kann es zwischen ihnen auch keine Konflikte geben – das wäre so, als würde die Politik sich mit der Wirtschaft streiten. Die Wirtschaft sagt aber nicht Nein zur Politik Donald Trumps, und auch das Recht ›verhält‹ sich nicht zur Politik. Nicht die Strukturen – in unserem Fall: die funktional differenzierten Subsysteme – selbst widersprechen sich. Es sind die Menschen, die widersprechen, die ein Nein kommunizieren, das auf eine vorherige Kommunikation antwortet, und es ist diese Rückkommunikation der Nichtakzeptanz einer Kommunikation, die Konflikte definiert (vgl. Luhmann 1984: 530). Nehmen wir die Äußerung von John Roberts, der von Trump zum Leiter der Bundesgerichte und zum Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernannt wurde: »We do not have Obama judges or Trump judges, Bush judges or Clinton judges […]. What we have is an extraordinary group of dedicated judges doing their level best to do equal right to those appearing before them. That independent judiciary is something we should all be thank-
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ful for.« (Zitiert nach A. Liptak 2018a) Etwas Besseres konnte Konfliktliebhaber Trump nicht passieren, der die Nichtakzeptanz seiner Kommunikation nicht akzeptierte: »Sorry Chief Justice John Roberts, but you do indeed have ›Obama judges‹ […] and they have a much different point of view than the people who are charged with the safety of our country.« (Zitiert nach A. Liptak 2018a) Wobei der Konflikt streng genommen nicht erst mit der Stellungnahme von Roberts anhob. Schon mit der Bezeichnung ›ObamaRichter‹ hatte er bestimmte, durch die funktionale Differenzierungsordnung vorgegebene Erwartungsannahmezumutungen in Frage gestellt und ein ›Nein‹ kommuniziert. Jüngste Beispiele aus der Politik wären Erdogans bzw. Trumps Kritik an ihren Notenbanken, die deren Repräsentanten wiederum empört zurückweisen, indem sie auf die Unabhängigkeit von der Politik aufmerksam machen: »We don’t consider political factors or things like that«, so etwa der von Trump nominierte Fed-Chef Jerome Powell (vgl. Borak 2018). Im Falle der türkischen Notenbank war offenbar Kreativität nötig, um dem von Erdogan ausgehenden politischen Druck auszuweichen: »Statt sich an eine offizielle Zinserhöhung heranzutrauen, die bei Erdogan in Ungnade gefallen wäre, überlegten sich die Zentralbanker aber noch einen ganz anderen Kniff: Sie boten den Geschäftsbanken einfach seit dem Wochenbeginn gar kein Geld mehr an, für das der Haupt-Zinssatz von 17,75 Prozent fällig gewesen wäre.« (ntv 2018a) Zwar favorisiert die moderne Gesellschaft in ihren Selbstbeschreibungen – in ihrem mission statement, wenn man so will – den Konsens, das Einverständnis, die Fortsetzung über das Ja, pejorativ: das Mitläufertum. Doch faktisch lässt sie sich ebenso über das Nein fortsetzen. Mit anderen Worten, sie hat – im Gegensatz zu uns – eine hohe Widerspruchstoleranz. (Luhmanns wunderbare Frage in einer seiner Vorlesungen war: »Wozu haben wir denn das Nein in der Sprache?«) Konflikte benötigen also Verhalten, genau wie Krisen. Sie benötigen »Ausflaggpunkte« (Luhmann 1984: 191 ff.) der Kommunikation: eine Sally Yates, die dem Einreisebann widerspricht; einen James Comey, der »ehrliche Loyalität« in Aussicht stellt; einen Reporter, der Trumps Behauptung einer »largest inauguration crowd in history« zurückweist, dem wiederum Trumps Pressesprecher widerspricht usw. usf. Eine Sally Yates muss ja am Anschlusshandeln Trumps ablesen können, ob sie verstanden wurde – und genau das hat er ihr mit seiner Reaktion, der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, ermöglicht. Bei den Zurechnungsprozessen – der Unterstellung, dass jemand etwas gesagt hat – kommen dann wiederum alle möglichen Semantiken ins Spiel. In der Regel – vor allem in westlichen Kontexten – wird
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auf Interessen und Motive zugerechnet, auf die Absichten dessen, der sich mitteilt, und die Situation ignoriert, die das Handeln und auch das Handlungsverständnis des ›konkreten Einzelmenschen‹ determiniert. Dieses Buch versucht nicht zuletzt den Nachweis zu erbringen, dass eine Analyse, die von Trumps Interessen und Motiven absieht, größeren Erklärungswert hat.136 Um es zu wiederholen: Der Interessengegensatz zwischen Politik und Recht selbst ist noch kein Konflikt. Er stellt lediglich die strukturelle Bedingung für Konflikte zur Verfügung. Sie bedürfen der Auslösung. Wenn man sich das, was sie auslöst, näher ansehen möchte, muss man die Bedingungen für Konflikte deshalb von ihrer Aktualisierung unterscheiden, anstatt beide Momente begrifflich – marxistisch – zusammenzuziehen (vgl. Luhmann 1984: 531, Fußnote 62). Gerade weil politische Strukturen Einschränkungen festigen, ist die Beobachtung dieser Strukturen im Hinblick auf den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten so ertragreich. Wie kein anderer Politiker der Gegenwart schöpft Trump das destruktive Potential aus, das in den Interessengegensätzen der Systeme liegt. Konflikte sind attraktiv, im wörtlichen Sinne: sie ziehen an, und zwar Kommunikationsmasse. Hat man sich auf erst einmal auf einen Konflikt eingelassen, kann er eine erstaunliche Sogkraft entfalten, die sich durchaus mit der von Tornados vergleichen lässt; alles Handeln, jede Äußerung wird von einer Art Wirbel, einer spiralig aufsteigenden Drehbewegung erfasst, die eine kommunikative Schneise der Zerstörung schlägt und dem System, von dem der Konflikt seinen Ausgang nahm, erheblichen Schaden zufügen kann (vgl. Luhmann 1984: 532 f.). Doch so sehr Trump die destruktive Kraft des Konflikts zu schätzen weiß, die im Verhältnis zu den Systemen liegt, in denen er Anlass und Ausgang findet – im Verhältnis zur Verwaltung oder zur Opposition, im Verhältnis zum Recht, zur Wirtschaft, zu den Massenmendien und auch zur Wissenschaft (vgl. Luhmann 1984: 532) – so wenig scheint es ihm um die bloße Zerstörung zu gehen. Es hat eher den Anschein, als nehme er sie gleichsam in Kauf; als der Preis, den er für den vom Konflikt ausgehenden, alles absorbierenden ›sozialen Unterdruck‹, der »alle Aufmerksamkeit und alle Ressourcen […] beansprucht« (Luhmann 1984: 533), allzu gerne zahlt. Es gibt kaum ein besseres Mittel, als von anderen, nicht genehmen Fragen abzulenken. Hinzu kommt die erwähnte, von ihm ausgehende hohe Bindungswirkung, weit effektiver als jeder Loyalitätsappell, die nicht zuletzt für die Gegnerschaft selbst gilt (vgl. Luhmann 1984: 533). Man stelle sich Trump ohne Gegner vor, denen er nahezu alle seiner Handlungsmotive verdankt – ohne Hillary, Obama, die Demokraten, die Globalisten, die Massenmedien,
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die EU, China, Iran, illegale Einwanderer, den deep state usw. Ohne den Konflikt mit all diesen Widersachern würde ihm die »Identifikationslinie« (Luhmann) fehlen, die es ihm erlaubt, die vielen unterschiedlichen Momente und Gelegenheiten zu einer Geschichte zusammenzufassen – jener Geschichte, die wir unter dem Titel »Make America Great Again« kennen. Trump scheint instinktiv erfasst zu haben, dass sich mit Konflikten ›Staat machen‹ lässt, wenn auch zwangsläufig ein rücksichtsloser, auf scharfer Gegnerschaft beruhender, der vor keiner Möglichkeit des Benachteiligens, Zwingens, Schädigens zurückschreckt, solange er sich nur dem Konfliktmuster fügt und den eigenen Interessen nicht zu sehr widerspricht (vgl. Luhmann 1984: 534). Militärischen Konflikten zum Beispiel geht er bisher konsequent aus dem Weg. Ein Konflikt ist dabei genausowenig dysfunktional wie eine Krise. Er bedeutet also kein Versagen von Gesellschaft, als sei der Nichtkonflikt, der Konsens, das Ziel. Die Gesellschaft und ihre Subsysteme haben nur ein Ziel bzw. Interesse: sich fortzusetzen. Der Konflikt macht die Fortsetzung von Gesellschaft möglich – obwohl und gerade weil der Normalweg blockiert ist. Für das Recht ist er sogar konstitutiv: »es entsteht und entwickelt sich auf der Suche nach Lösungen für Konflikte, sobald diese Lösungen nicht nur ad hoc (und dann: inclusive Gewaltanwendung) erfolgen […]« (Luhmann 1995a: 56). (Diese konstitutiven Konfliktqualitäten lassen sich auch in unserem Alltag – immer ist jemand anderer Meinung – oder im Bereich der Staatsbildung beobachten.) Im Bereich der Konfliktkommunikation hat sich der ›Idiot‹ Trump (vgl. Mortimer 2017) bisher geradezu als Virtuose erwiesen, auch wenn er bislang vergeblich auf die Würdigung seiner Verdienste hofft. Es reicht ihm nicht, einfach nur Nein zu sagen und Erwartungen zu enttäuschen, er legt es immer auch auf das »Gegennein« (Luhmann) an, das dann in der Regel in normativer Form erfolgt, etwa mit dem Hinweis auf bestimmte Werte (die Unabhängigkeit der Justiz, Menschenrechte) oder Regeln (»Das gehört sich nicht«), mit einem Wort: auf den Konflikt. Und je deutlicher, expliziter das Gegennein formuliert wird, desto zwingender, aggressiver reagiert wiederum Trump. Versuche der Ummotivierung überlässt er größtenteils seinen Unterhändlern, während er sich auf das Verkünden von Sanktionen spezialisiert. Dabei ist er aus den oben erwähnten Gründen vor allem darum bemüht, dass sein Handeln gesehen wird – statt des Hinterzimmers wählt er die Manege. Trump bekennt sich offen zu der von ihm favorisierten Kommunika tionsform: »I like conflict, I like having two people with different points of view, and I certainly have that. And then I make a decision. But I like watch-
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ing it, I like seeing it, and I think it’s the best way to go.« (Zitiert nach Mark 2018) Und schon dieses Bekenntnis zum Konflikt hat ein gewisses Konfliktpotenzial, auch hier weicht Trump ab, da Konflikte wie erwähnt nicht das gesellschaftliche Ideal darstellen. In der Außenpolitik generiert seine Vorliebe für Konflikte einen weiteren Konflikt, denn die Präferenz gilt hier der Diplomatie, also einem kompromissbereiten Verhalten, das sogenannte Win-win-Situationen sucht und möglichst vermeidet, andere bloßzustellen oder in die Enge zu treiben. Als undiplomatisch dagegen gilt, sich einen kurzfristigen Nutzen zu sichern und dafür langfristig Nachteile zu riskieren. Trump ist bekanntlich nicht auf ›Doppelsiege‹ aus, die beiden Seiten gleichermaßen Vorteile sichern – das wäre auch eigenartig, denn dann käme Amerika nicht zuerst –, noch hat er ein Problem damit, andere bloßzustellen oder gar in die Enge zu treiben; und dass er sich mit dem Nordkorea-Summit einen kurzfristigen Nutzen zu sichern wusste, kann als gesichert gelten. Trump ist ein Konfliktakrobat, wobei die griechische Herkunft des Wortes – akróbatos heißt ›auf den Fußspitzen gehend‹ – den entscheidenden Hinweis liefert. Dass er eher selten als Zehenspitzengänger tituliert wird, ist evident. Ein anderes Schema der Orientierung, des Täppischen, des unkontrollierbaren Herumzuckens, des Pathologischen, hat die Führung des Diskurses übernommen. Doch was genau zeichnet die von Trump favorisierte Kommunikationsform jenseits ihrer hohen Integrationskraft aus? Der Auslöser und Katalysator der Konfliktbildung ist die Exklusion: das, was dem anderen schadet, wird als eigener Nutzen betrachtet. Das gleiche gilt umgekehrt (vgl. Luhmann 1984: 531). Trump lässt sein Gegenüber – ganz gleich, ob es sich um eine Person, um ein Unternehmen oder um einen Staat handelt – stets wissen: ›Ich tue nicht, was Du möchtest, wenn Du nicht tust, was ich möchte.‹ Dieses Muster kann man etwa im Zusammenhang mit der Frage des Mauerbaus beobachten (Tauschwaren: die DACA legalization bzw. die Haushaltssperre), in der Frage der Strafzölle, im Hinblick auf seine Forderungen gegenüber der NATO oder auch in seinem Umgang mit Nordkorea. Im Fall der NATO ist diese besondere Konfliktanbahnung schon allein deshalb so vielversprechend, weil Trump, wie üblich die Grenzen funktionaler Differenzierung ignorierend, von seinen Gesprächspartnern verlangt, gleichsam Äpfel gegen Birnen zu tauschen bzw. fair share on defense gegen tariff exemptions. Wobei Äpfel und Birnen immerhin noch der gleichen Klasse zugehören: »NATO related issues and trade are completely separate issues,« so Jyrki Katainen (zitiert nach Petroff 2018). Details kommen hinzu, etwa der Umstand, dass alle 28 EU-Mitglieder ihre Verteidi-
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gungsbudgets selbst festlegen. »Trump vermischt alles mit allem, Handel mit Verteidigung, Wirtschaft mit NATO« (Leifert 2018) – und genau das steigert seine Erfolgsaussichten. Trumps Gegenüber kann gar nicht tun, was von ihm verlangt wird, weshalb der Konflikt, dem der Gegensatz von politischen und wirtschaftlichen Systeminteressen zugrundeliegt, beste Chancen hat, sich fortzusetzen. Hinzu gesellt sich bei Trump – vor allem im Umgang mit Untergebenen – offenbar eine gewisse Paranoia: die Vermutung, dass der andere ohnehin nicht tun wird, was er möchte. Etwa: positiv über ihn zu berichten. Oder: sich dem Präsidenten gegenüber loyal zu verhalten. So ging er im Falle James Comeys davon aus, dass der FBI-Chef ein Konfliktmuster praktizierte, obwohl er nur tat, was seine Rolle vorsah: der Verfassung gegenüber loyal zu sein.137 Auch auf dieses nur vermutete Bereits-Praktizieren kann er dann reagieren, sprich: der Widerspruch muss zunächst nicht explizit sein. Auf diese Weise erreichte Trump zuletzt das, was ihm mit seinem Loyalitätsappell nicht gelingen wollte: Comey an sich zu binden (vgl. Luhmann 1984: 533). (Ein ähnlich gelagerter Fall findet sich im Zusammenhang mit Jeff Sessions. Das juristische Konzept der Befangenheit ist Trump fremd, der diese ›fehlende Objektivität‹ vorlebt, von seinen Mitarbeitern ausdrücklich verlangt, und sie deshalb auch bei anderen unterstellt. Ich komme ausführlich darauf zurück.) Konflikte haben einen hohen Faszinationswert, das ist dem Präsidenten offenbar bewusst: »Trump knows tension makes good television« (Tackett 2018). In jedem Fall sind sie unterhaltsamer als die gemeinsame Verneigung vor Werten – die sich nicht zufällig am besten auf Beerdigungen macht – und ganz grundsätzlich lebhafter, ereignisreicher, spannender als der Alltag, weil hier jederzeit etwas Entscheidendes geschehen kann: »Jeder Moment […] kann eine Wende darstellen […]« (Baecker 2002: 204). Diese unpolitischen Motive sind keineswegs unwichtig. Trump lässt sich intuitiv darauf ein, er weiß um die Notwendigkeit, seine Anhänger immer auch zu ›unterhalten‹. Vor allem aber gibt der Konflikt Trump das Gefühl, Herr der Situation zu sein; das, was sonst auseinanderzulaufen droht, kann so integriert werden. Konfliktkommunikation ist eine wunderbare Möglichkeit, der Regellosigkeit und Unübersichtlichkeit der eigenen Situation zu begegnen, und der Ungewissheit zu entgehen. Wer sich in einem Konflikt befindet, gewinnt Handlungssicherheit; er kann der Angst um die eigene Existenz begegnen, weil er weiß, was als Nächstes zu tun und zu lassen ist (vgl. Simon 2001). Handelskriege sind keineswegs leicht zu gewinnen – der Gewinn liegt für Trump in der Drohung selbst. Das Gleiche gilt für seine Attacken gegen
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den Sonderermittler oder die Haushaltssperre: »I will take the mantle […]. I will be the one to shut it down. I’m not going to blame you for it.« (Zitiert nach Tackett 2018) Man könnte Trump in diesem Sinne als ›feind-selig‹ bezeichnen – der Konflikt erlöst ihn gleichsam von allen irdischen Übeln und lässt ihn stattdessen der himmlischen Wonnen der Gewissheit teilhaftig werden. Dabei kommt ihm eine der wesentlichen Eigenschaften demokratischer Politik überaus gelegen, denn die Codierung Regierung/Opposition schreibt Konflikte geradezu vor (vgl. Luhmann 2002a: 96). In China ist die Politik als unitärer Block gegeben, und das Resultat ist eine Tendenz zum Konflikt mit der gesellschaftseigenen Umwelt, der entsprechend unterdrückt werden muss – sei es durch entsprechende Maßnahmen auf der Ebene der öffentlichen Kommunikation, sei es durch Gewaltausübung (vgl. Luhmann 2002a: 94). Interne Konflikte sind für moderne Politik also von entscheidender Bedeutung; der Versuch, ohne sie auszukommen, den die Gremien der französischen Revolution unternommen hatten, kann als gescheitert gelten (vgl. Luhmann 2002a: 94). Auch ihre Bedeutung im Hinblick auf die Ausdifferenzierung des Systems sollte deshalb nicht unterschätzt werden (vgl. Luhmann 2002: 94 f.). Im Falle der Demokratie wurden die Kontroversen durch Parteibildung strukturiert – man gehörte zu den »Whigs« oder zu den »Tories«, aber nicht zu beiden; und später war man links oder rechts, für die Revolution oder dagegen. Wenn Trump von der Opposition verlangt, ihm zuzustimmen und zu folgen, der er doch das Beste für Amerika im Sinn habe, und ihr »Quertreiberei« vorwirft, ist das deshalb nicht ohne Ironie; er würde sich schon deshalb nicht als Despot bzw. Diktator eignen, weil er es liebt, politische Konflikte zur Aufführung zu bringen. Eine Regierung aus ›Gleichgesinnten‹, so sehr er sich mitunter als Autokrat aufspielt, würde ihm sein liebstes Kommunikationsmittel nehmen. Erst der öffentliche Konflikt gestattet es ihm, sich zu inszenieren – sei es als ›linientreu‹, pro-amerikanisch oder ausländerfeindlich. Wir können ihn in diesem Sinne entgegen der üblichen Annahmen als durch und durch demokratischen Politiker auffassen. Ohne Frage dienen die ›Trump-Konflikte‹ aber auch anderen Zwecken. Auf internationaler Bühne ist er laut eigener Auskunft vor allem an einer günstigen Verhandlungsposition interessiert, er nutzt sie hier also überwiegend zur Entscheidungsfindung, weil dem »one-trick pony« (Beschloss) keine anderen Fähigkeiten zur Verfügung stehen, um sie zu erreichen. Wenn es dann faktisch zu einem Interessenausgleich kommt, muss er deshalb als Sieg verkauft werden.138 Auch wenn die Fakten dagegen sprechen.139 Die meisten der Skandale und Kontroversen, die sich im Laufe der letz-
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ten Monate im Zusammenhang mit Donald Trump beobachten ließen, lassen sich auf die in diesem zweiten Teil beschriebenen Interessen- bzw. Systemkonflikte zurückführen. Sie hängen davon ab, dass die Gesellschaft in bestimmter, funktional differenzierter Weise erwartet. Die Erwartungslinien des Rechts etwa sind andere als die der Politik oder der Wirtschaft – und in der Regel kreuzen sie sich auch nicht.140 Wenn das geschieht, ist eine gewisse Destabilisierung die Folge – man weiß nicht mehr, in welche Richtung die Erwartungen erfüllt werden (vgl. Luhmann 1984: 501).141 Diese unvereinbaren Linien können sich natürlich auch in Trump selbst kreuzen. Er reagiert dann nicht mehr auf die eine oder andere Möglichkeit, sondern auf das Ausschließungsverhältnis selbst – eben: den Widerspruch (vgl. Luhmann 1984: 502). Soll er in einem Tweet zur Sonderermittlung Stellung nehmen – oder sich lieber zurückhalten? Soll er die Gewalt rechtsextremer Demonstranten verurteilen – oder soll er es nicht? Soll er sich über das vermeintliche Missbrauchsopfer Dr. Blasey Ford lustig machen – oder sie lieber würdigen? Soll er seiner wirtschaftlichen oder seiner nationalistischen Agenda den Vorzug geben? In vielen Fällen löst er den Widerspruch durch Temporalisierung bzw. den Einsatz von Zeit: erst wird Dr. Ford gewürdigt – dann macht man sich über sie lustig. Erst ergreift man Partei für Neonazis – dann korrigiert man sich. Erst sagt man would, dann wouldn’t. Trump hat aus diesem Selbst-Widerspruch – und wir alle widersprechen uns von Zeit zu Zeit – eine Tugend gemacht. In den Worten der Massenmedien: »It’s a he said – he said thing.« (Superville 2018) Der Selbstwiderspruch gelingt ihm laut Guardian mitunter sogar innerhalb eines einzigen Statements: »That’s at least three self-contradictions in one short answer. What kind of genius accuses his own justice department of a witch-hunt in the same sentence as insisting that he won’t take a position on the same justice department, while still promising to do just that?« (Wolffe 2018a) Politico stellte deshalb die rhetorische Frage: »Has anyone ever disagreed with Donald Trump more than Donald Trump?« (Kruse and Weiland 2016) Showmaster Stephen Colbert hat diesen Umstand genutzt, um den Kandidaten Trump in einer virtuellen Fernsehdebatte gegen sich selbst antreten zu lassen: »Tonight, the leading Republican faces off against arguably his greatest opponent, himself.« Dass seine Anhänger sich an seinen fortlaufenden Selbstdementi nicht stören, ist nicht verwunderlich, denn sie spielen zuletzt keine Rolle, zumindest solange er sich bei den relevanten Themen nicht widerspricht. Sofern er kein kleines Amerika fordert, das an zweiter oder dritter Stelle kommt, oder jobs, jobs, jobs für irrelevant erklärt, droht ihm hier keine Gefahr. Dabei ist diese Trump’sche Instabilität keineswegs dysfunktional. Das
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Gegenteil ist der Fall, denn sie erlaubt es ihm, laufend auf sich und seine Umwelt reagieren zu können, zum Beispiel in Form von Meinungen, die sich kontinuierlich ändern, je nachdem ob man gerade einem verhassten Moderator gegenübersitzt oder Sean Hannity, ob die Wahlkampfveranstaltung in Iowa stattfindet oder in Texas usw. Zudem wird diese Instabilität, werden diese ›kleinen Lügen‹ von ihm erwartet – und in dieser Hinsicht kann man sich auf ihn verlassen. Da Meinungen keine eine für alle Mal feststehenden, ereignisunabhängigen Größen sind, ist es zudem absolut legitim, hier opportunistisch zu agieren: sich je nach Situation anders zu entscheiden, für oder gegen Ted Cruz, für oder gegen Iowa. Konrad Adenauers legendärer Satz lautete bekanntlich: »Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden.« Trumps Version kommt ohne Weisheit aus: Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, siutuationsabhängig zu handeln. Nicht zuletzt kommt ihm die durch seine Widersprüche erzielte Verunsicherung zugute – man weiß nie, woran man bei ihm ist. (Was auch seine Herrschaftsposition im Weißen Haus stärkt. Man könnte von ›Sicherheitsabsorption‹ im Gegensatz zu Unsicherheitsabsorption sprechen, weil sich die Kommunikationsteilnehmer weder auf sachliche Einsicht noch auf einen bestimmten Konsens verlassen können – verantwortlich ist ganz allein der Präsident. Damit fällt eines der wichtigsten Instrumente aus, Informationslücken zu schließen, was sich an der Vielzahl der widersprüchlichen Stellungnahmen zeigt, die das Weiße Haus bisher der Öffentlichkeit zukommen ließ. gl. Luhmann 1999: 181 f. Wer dennoch, also ohne Rücksprache mit Trump, Verantwortung übernehmen will, kann das eigentlich nur auf informale Weise tun, vgl. Anonymous 2018.) In den meisten Fällen gibt das Recht über jene Erwartungen Auskunft, die sich im Konfliktfall behaupten. Auch Normen informieren über Bewährungsaussichten; wer Nazis in Schutz nehmen, sich über Behinderte oder Mißbrauchsopfer lustig machen will, kann mit erheblichem Widerstand rechnen. Doch strafbar machen kann sich der Störer mit einem solchen Normverstoß nicht. Alles, was er riskiert, ist eine gewisse soziale Ächtung. Trump entscheidet sich trotz alledem fast immer für ein deutliches Dagegen. Er weist beinahe lustvoll vor allem die an ihn als Präsidenten gerichteten moralischen Erwartungen zurück. Die Gewinne, die mit seinen Normbrüchen verbunden sind, werden von seinen Anhängern auf der Seite seiner Person verbucht – sei es als Unerschrockenheit, sei es als Treue zu sich selbst, oder als Nicht-Konformität, Courage, Ehrlichkeit etc. Nur dem Konflikt mit seinen Anhängern geht er aus dem Weg. Man könnte sagen,
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und dies wäre eine Möglichkeit, Populismus einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, dass er sich negationsfrei auf sie einlässt. Es ist die Perspektive der Liebe.
Politik als Passion Liebt Trump seine Anhänger? Lieben seine Anhänger ihn? Zumindest signalisiert er seiner ›Basis‹ in einem fort, dass er ihre Weltsicht internalisiert hat, dass er diese Sicht – den Fremdenhass, die Angst vor dem Bedeutungsverlust und dem Niedergang der großen amerikanischen Nation – in allem, was er tut, laufend mitbeachtet, wie eigenartig diese auch immer sein mag. Er handelt exakt so, wie es das Konzept der Liebe vorsieht. Vor allem die Tendenzen ins Pathologische, in eine Überbeanspruchung, die hier sichtbar werden, sind für sie typisch. In der Beziehung zu ihrem über alles geliebten Präsidenten können sich viele Wähler von den Enttäuschungen des Lebens erholen, hier kann über alles geredet werden, von der Angst vor Ausländern, homosexuellen oder schwarzen oder homosexuellen schwarzen Amerikanern bis hin zu nationalistischen und sogar nationalsozialistischen Gefühlen, bei ihm finden sie – anders als bei den Massenmedien – für alles Verständnis. Vor allem aber: hier zählt ihre Stimme noch. Trump ist das keineswegs unbekannt, im Gegenteil, er macht sich diese »soziale Regression« (Slater 1963) zunutze, spielt mit ihr: »I’m in love, and you’re in love, we’re all in love together« (zitiert nach Rucker 2019), bestätigt er seinen Zuhörern bei einer seiner vielen Rallies, die diese ›Politik als Passion‹ zelebrieren. »It’s been a great romance and we’re only getting stronger together« (zitiert nach Quinn 2019), äußert er anläßlich einer anderen, um die Bedeutung einer gemeinsamen Geschichte wissend, auf die Liebende zurückblicken können. Und er macht klar, dass diese Liebe keineswegs (nur) gleichgeschlechtlicher Natur ist: »I have people that I love and that love me, frankly, and that includes a lot of women.« (Zitiert nach Moran 2018c) Seine Anhänger haben sich, wie es sich für die Form der leidenschaftlichen Liebe gehört, frei für ihn entschieden; sie hatten die Wahl und sie haben ihn gewählt, sich gegen alle gesellschaftlichen Widerstände, womöglich gegen den Rat der Eltern, Freunde, Verwandten, in jedem Fall aber den der Massenmedien auf ihn eingelassen – das ist es, was Slater mit sozialer Regression bezeichnet, den Ausfall von social control mechanisms –, und
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das war ihnen nicht zuletzt dank Trumps ›Subjektivität‹ möglich, dank bestimmter Sondermerkmale, über die niemand sonst verfügt, einer ›Ichheit‹, die die Zuwendung zu ihm plausibel erscheinen ließ. Dabei kam ihm zugute, dass seine Selbstdarstellung gerade nicht im Hinblick auf Normerfüllung erfolgte, sondern vor allem im Hinblick auf höchstpersönliche Eigenarten, zu denen auch der Normverstoß gehört. Die mit der Liebe verbundenen Kommunikationsprobleme sind ihm fremd: »There is so much love in this room. It’s easy to talk. You can call your heart out. There is love in this room. You can talk your heart out.« (Zitiert nach O’Donnell 2019, Interpunktion korrigiert) Warum ist es ›easy to talk‹? Sollte die Passion seine Rhetorik nicht ins Stottern bringen, seine Rede verwirren? (Vgl. Luhmann 1994a: 154) Nicht notwendig. Zum einen sind Trumps Reden ohnehin wirr, sogar ›wild‹ (Cillizzza), verfügen trotz ihrer Inkohärenz aber über einen bemerkenswerten ›flow‹: »›We like the – we like the – it’s just a flowing. They do comma. They don’t do – they do a comma.‹ I genuinely have no idea what the hell he is talking about here. But it is flowing. With the comma. You always do the comma.« (Cillizza 2018c) Zum anderen weist er mit recht darauf hin, dass Liebe die Annahmewahrscheinlichkeit seiner Äußerungen garantiert, deren hervorstechendstes Merkmal nun einmal die Banalisierung ist – da macht auch die Liebe keine Ausnahme. Nicht zuletzt profitiert er davon, dass sie nicht den Anspruch hat, mit der Vernunft zu konkurrieren (vgl. Luhmann 982: 120). Die Vernunft ist alt und langweilig, die Liebe jung und aufregend, wen interessieren da schon Fragen der Durchsetzbarkeit, der Kommasetzung, des Zusammenhangs? Doch zur Liebe gehört bekanntlich auch deren Simulation, das Werben und Verführen (vgl. Luhmann 1982: 76.). Würde Trump seinen Intimpartnern ›reinen Wein‹ einschenken und sie etwa darüber informieren, dass sich viele Probleme auf der Sachebene gar nicht lösen lassen, dass etwa die Globalisierung genausowenig aufzuhalten ist wie der Niedergang der USA, dass ihre Jobs nicht zu retten sind, dass eine Grenzmauer keinen Unterschied macht, könnte es zum Konflikt mit ihnen kommen. Und wie wir wissen, wiegen Konflikte in Liebesfragen schwer – jeder einzelne symbolisiert das Ende. Auch das gehört zu ihrer Pathologie, zu den mit ihr verbundenen Belastungen: ihre Neigung zur Enttäuschung (vgl. Luhmann 1984: 513; zur Nähe von Liebe und Konflikt, siehe: 185 ff.) Seine Anhänger halten ihm die Treue, ganz gleich, was er sich bisher hat zuschulden kommen lassen: »The most consistent thing about his presidency is how much people who love him, love him and how much the people who hate him, hate him.« (Micah Roberts, zitiert nach Goodkind 2018) Sie vertrauen ihm, und zwar
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durchaus ›blind‹, wie es sich für Liebende gehört: »Ninety-one per cent of self-identified ›strong Trump supporters‹ say they trust Trump for accurate information, compared to just 11 per cent who say they trust the mainstream media. In fact, a good number of those respondents said they trust the word of Trump more than their own family and friends.« (Proskow 2018) Zu viel hängt für sie von diesem Vertrauen ab, als dass sie auf die Enttäuschungen, die er ihnen mitunter bereitet, kognitiv reagieren könnten. Ihre Reaktion ist normativer Natur: sie weigern sich, zu lernen – und lernen in dieser Hinsicht von Trump, der es genauso hält. Gemeinsam bewohnen sie eine Wirklichkeit, die sich querstellt zur wirklichen Welt – der Welt der Globalisierung und des amerikanischen Niedergangs – und schaffen sich stattdessen eine eigene. Auch das ist für Liebesbeziehungen typisch: Sie sind weniger wirklich als die Wirklichkeit, die anderen gesellschaftlichen Beziehungen verlieren durch sie an Wert, gewinnen aber an Wirklichkeit, wenn man so will: an Unwirtlichkeit und Härte (vgl. Kluge 2018; ich komme auf dieses gegenstrukturelle Moment der Liebe im Schlussteil zurück.) Ein solches für die Liebe typisches, untypisches Verhalten, das den Exzess geradezu vorsieht – ein Exzess, der sich in Trumps Grenzpolitik ebenso wiederfindet wie in den Lock her up!-Forderungen oder den Ausfällen gegen die Medien –, lässt sich bekanntlich nicht auf Dauer stellen (vgl. Luhmann 1984: 305). Liebe und Routine schließen sich aus, Verheiratete können ein Lied davon singen. Wie gelingt es Trump, den wahrscheinlichen Zerfall unwahrscheinlich erscheinen zu lassen? Die Antwort ist er selbst, genauer: seine Person. Sie ist es, die der Liebe seiner Anhänger Dauer verleiht, die als Gewissheit über den Moment hinausreicht. Und weil Personen sich bekanntlich wandeln oder als unzuverlässig erweisen können, kommt es darauf an, sie im Gebrauch zu testen. Trump hat seine Anhänger bisher nicht enttäuscht, er hat sich im Alltag bewährt, seine Haltung ihnen gegenüber hat sich als stabil erwiesen (vgl. Luhmann 1982: 170). Er folgt nicht (nur) den eigenen Interessen, scheint es, oder noch schlimmer: politischen Gewohnheiten, die immer auch den Kompromiss vorsehen – stattdessen gibt er in einem fort die Bereitschaft zu erkennen, sich in Richtung seiner Basis zu ›transzendieren‹, also gleichsam über sich hinauszugehen, und sei es um den Preis eines Shutdowns oder verfassungsrechtlicher Schwierigkeiten (vgl. Luhmann 1984: 306, siehe auch Kelley 1982: 93 ff.). Er wird in diesem Sinne von den TrumpAnhängern nicht nur als der Trump begriffen, der er nun einmal ist, als eine Summe von Merkmalen, sondern immer auch als »individualisiertes Weltverhältnis« (Luhmann) – als ein ›Trump-für-sie‹. Und genauso setzt er
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sich in Szene: »I will fight for you with every breath in my body – and I will never, ever let you down.« (Trump 2017a) Eine derartige Genese von Intimität, wie sie in der Beziehung von Trump zu seiner Wählerschaft sichtbar wird, setzt enorm viel Kultur voraus. Es mag sich um eine Art Gegenkultur handeln, um eine Alternative zur gepflegten, als elitär begriffenen Kultur Europas, die man in den USA lange Zeit relativ erfolglos nachzuahmen versucht hatte (vgl. Heidingsfelder 2012: 35 ff.), doch es bleibt Kultur. Ohne entsprechende Milieukenntnisse wäre weder auf Seiten Trumps noch auf der seiner Anhänger jenes nunancierte Beobachten und Zurechnen möglich, das Liebe allererst möglich macht. Für den jungen Werther stellt die gesamte Natur den Resonanzraum dar, in dem seine Liebe widerhallt; im Falle Trumps erlaubt die Fiktion ›Amerika‹ diesen Widerhall des Gefühls, das Schwingen auf derselben Frequenz (vgl. Luhmann 1984: 308). Es könnte sein, dass ich die in der Attributionstheorie üblichen, von Sympathie und Empathie absehenden Liebesvorstellungen überdehne, wenn ich sie auf das Verhältnis Trumps zu seinen Wählern ausweite, aber gerade in diesem Fall erweist sich die dort übliche Differenz von Handeln und Beobachten, actor und observer, als äußerst nützlich (vgl. Luhmann 1984: 308; vgl. auch Jones et al. 1972: 79 – 94). Im Unterschied zu einer Zweierbeziehung, in der sich die beiden Positionen simultan auf beiden Seiten realisieren, lässt sich hier allerdings eine gewisse Asymmetrie beobachten: Trump orientiert sich als Handelnder stärker an der Situation, er hat zuletzt keine andere Wahl, weil sich seine ›bessere Hälfte‹ aus Millionen von Individuen zusammensetzt; die sein Handeln beobachtende Basis dagegen rechnet stärker auf seine Person zu. Man könnte sagen, dass etwa sein Verhalten im Zusammenhang mit der Finanzierung der Grenzmauer zu Mexiko eine Art permanenten Test darstellt. Als Frage formuliert: Können wir mit einem stabilen Verhalten Deinerseits rechnen? Oder wirst Du unsere Liebe enttäuschen, unser Vertrauen missbrauchen? Es war an diversen FoxKommentatoren, diese Erwartungen an ein stabiles, verlässliches Handeln des Präsidenten zu zu formulieren, als der sich offenbar ausnahmsweise einmal nach der Situation richten wollte. Im letzten Moment gelang es ihm, die Gründe seines Verhaltens auf die Ebene seiner Beziehung zu den Wählern »hochzutransformieren« (vgl. Luhmann 1984: 308 f.). Das Resultat war der zu Recht von Nancy Pelosi als »Trump shutdown« bezeichnete Liebesbeweis. Bekanntlich blieb Trump, der erneut hoch gepokert hatte, zuletzt keine andere Wahl, als sich wiederum nach der Situation zu richten und den Shutdown zu beenden – immerhin: den längsten der US-amerikanischen Geschichte. Aus Sicht von Ann Coulter und anderen Kommen-
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tatoren hat er den Test dennoch nicht bestanden: »Good news for George Herbert Walker Bush: As of today, he is no longer the biggest wimp ever to serve as President of the United States.« (Zitiert nach Griffith 2019) Gewiss spielen kleine Streitigkeiten in einer Liebesbeziehung zuletzt keine Rolle, doch gerade der Mauerbau kann als zentrales Versprechen Trumps gelten, weshalb etwa Lindsey Graham eindringlich davor gewarnt hatte, die Auseinandersetzung mit den Demokraten auf die leichte Schulter zu nehmen: »If he gives in now, that’s the end of 2019, in terms of him being an effective president […]. That’s probably the end of his presidency.« (Zitiert nach Cummings 2019) Die Sonderproblematik der Mauerfinanzierung zeigt die hohe Konfliktträchtigkeit der Beziehung, die Trump zu seinen Wählern unterhält. Sie ist für jede Liebesbeziehung typisch. Ganz gleich wie stark das Band sein mag, das hier geknüpft wurde, und wie sehr man sich in bestimmten Fragen einig ist: der Shutdown hat gezeigt, wie prekär die Beziehung ist, weil seine Wähler ihn in einem fort draufhin beobachten, ob er die Haltungen durchhält, die diese Beziehung tragen (vgl. Luhmann 1984: 309). Liebt Trump seine Anhänger so wie sie ihn? Oder täuscht er diese Liebe nur vor? Laut Trump-Kritiker Krugman ist letzteres der Fall. Weder seine Steuerreform noch seine Arbeitsmarktpolitik kämen den »ordinary racist Americans« zugute, aus denen sich seine Wählerschaft zusammensetze, von der versprochenen Drainage des Sumpfs ganz zu schweigen: »Almost every important position has gone to a lobbyist or someone with strong financial connections to industry.« (Vgl. Krugman 2018a) Krugman glaubt sogar zu wissen, dass Trump Freude daran hat, sich als eine Art Heiratsschwindler zu betätigen und seine Anhänger zu hintergehen.142 Da weder er noch irgendwer sonst in Trump hineinsehen kann, bleibt diese Vermutung aber reine Spekulation. Lohnender ist da schon ein Blick auf sein Außen: auf den Umstand, dass es ihm keinerlei Mühe bereitet, das Inkommunikable – eben: Liebe – mitzuteilen. »Bildlich gesprochen, kann die Mitteilung nicht kühl bleiben, wenn die Information zu heiß ist.« (Luhmann 1994a: 156) Die Passion bringt seine Rhetorik nichts ›ins Stottern‹ (vgl. Luhmann 1994a: 154), was Rückschlüsse auf sein Selbstverständnis als Liebender erlaubt. Ist sein Verhalten, sein leichtfertiges Thematisieren von Intimität, sein Vertrauen in Rhetorik, adäquat für eine Beziehung, die als Liebe definiert ist? Oder sollte das Verhältnis als romantisches begriffen werden, weil beide Seiten wissen, dass die Inszenierung, obwohl sie Welt (bzw. Amerika) bedeuten soll, nicht ernst zu nehmen ist? (Vgl. Luhmann 1994a: 161) Hinsichtlich seiner Gegner nutzt Trump die vom Recht garantierte Ver-
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mehrung der Konfliktchancen jedenfalls weidlich aus.143 Er geht aber noch weiter, und erst hier beginnt mein Interesse am Interessenkonflikt: Es sieht so aus, als versuche Trump seine Macht zur Erhaltung bzw. Regenerierung dieser Macht einzusetzen – und nicht nur zur Durchsetzung rechtsgültiger Entscheidungen.
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Menschen befinden sich in der Umwelt der Systeme. Wie also kommen sie hinein, wie gelingt Inklusion? Indem sie in bestimmte Rollen schlüpfen, diese Rollen ›personifizieren‹. In der modernen Gesellschaft werden Personen nicht mehr durch ihren sozialen Status und invariante Zugehörigkeiten identifiziert, sondern vor allem durch den von ihnen gewählten Beruf, durch ihre Mitgliedschaften. Dabei bieten die unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereiche getrennte Aufstiegswege; der Tellerwäscher kann zum Millionär werden, aber der Millionär nicht ohne Weiteres zum Präsidenten. Es gehört zu den Erfolgen Trumps, dass er die Wähler davon überzeugen konnte, »that the skills of leadership and decision-making every good businessman possesses are transferable to any circumstance« (Podhoretz 2017). Doch zunächst musste er seine Partei überzeugen, denn erst die Rolle des Parteimitglieds hat ihm den Zugang zur Politik ermöglicht.144 Parteien sind eine relativ neue Errungenschaft, sie existieren erst seit dem 19. Jahrhundert. Luhmann begreift sie als Nachfolger der Konfessionen: hier die Protestanten bzw. Linken, dort die Katholiken bzw. Konservativen. Was sie unterscheidet, ist mithin ihre Einstellung zu bestimmten Themen, die in der Form von Grundrechten und Grundwerten auftreten. Dem Wähler reicht es nicht, wenn die Partei nur eine personell-organisatorische Einheit bildet, sie muss sich mit bestimmten Symbolen und Interessen identifizieren, oder eine Ideologie vorweisen können, die nicht die einer anderen Partei ist. Waren in den Anfangstagen vor allem die Betroffenheiten durch die Folgen der Industrialisierung von Belang, dreht sich heute alles um die Folgen dieser Folgen, die unter dem Stichwort der Globalisierung verhandelt werden. Eine Zeit lang dominierte – zumindest in Deutschland – das Thema der Umweltverschmutzung die Debatte und führte bekanntlich sogar zur Bildung einer neuen Partei. Die Trump-Wähler hatten andere Ansprüche angemeldet, und diese bezogen sich nicht auf das Problem der Naturbelas© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_6
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tung durch nichtverwertbare Abfälle. Im Gegenteil: diese Belastung nehmen sie offenbar in Kauf, sofern sie – etwa in Form von Fracking – für mehr Wohlstand sorgt. Parteien disziplinieren die, die ihnen angehören. Zwar ist das Verhalten eines Parteimitglieds nicht im Einzelnen vorgezeichnet, aber die Rolle schließt mittels bestimmter selektiver Standards beliebiges Verhalten aus. Wer eintritt, erklärt sich bereit, Parteierwartungen zu erfüllen, besondere Aufgaben auszuführen und sich dabei bestimmter Kommunikationswege und -typen zu bedienen. Die Partei geht davon aus, sie rechnet damit, ohne diese Erwartungen von Fall zu Fall ermitteln oder gar motivieren zu müssen. Nur so kann sie sich an sachlichen Gesichtspunkten ausrichten und Handlungszusammenhänge prozessieren. Die GOP hatte also gute Gründe, die wahren Umstände für die Rollenübernahme Trumps im Dunkeln zu belassen. Mit anderen Worten, die Mitgliedsrolle neutralisiert die individuellen Motive für den Parteieintritt. An deren Stelle tritt eine »homogenisierte Mitgliedschaftsmotivation« (Luhmann). Man unterscheidet, anders gesagt, zwischen der Rolle und der Person, mit Simmel: zwischen dem Träger einer bestimmten Sachpotenz und seinem ›Charakter‹ (vgl. Simmel 1989: 598). In dem Moment, in dem die Entscheidungen eines Politikers nicht mehr als politisch oder durch die Partei motiviert gelten, kommt es zur Krise bzw. zum dem, was ich einen trivialen Interessenkonflikt genannt habe. Dann treten Motive eigenmächtiger Bevorzugung oder Benachteiligung an die Stelle der Mitgliedsmotive, wird das Handeln als absichtlich beobachtet, als erfolge es aus eigenem Antrieb heraus, und nicht ›pflichtgemäß‹. Da politische Rollen allein aber keine Politik treiben können, sind Parteien auf Personen angewiesen. (Wobei auch die Parteien selbst als Rollen aufgefasst werden können, vgl. Luhmann 2010: 328.) Sie sind zudem kaum entbehrliche Konsensfaktoren. In diesem Sinne vermochte Trump als Repräsentant bestimmter Themen, von Jas (America First, Mauer, Zahlungsfähigkeit, Respekt) und Neins (Muslime, Clinton, Handelsdefizit, deep state), Vertrauen zu gewinnen und Zustimmung zu bündeln. Anders gesagt, Trump repräsentierte keineswegs nur Trump. Dabei kam ihm die zunehmende gesellschaftliche Orientierung an Personen zugute. Für diese Zunahme gibt es viele Gründe. Luhmann vermutet, dass sie vor allem mit dem Umstand zu tun hat, dass wir unsere Zukunft als offen und damit als abhängig von Handlungen und Entscheidungen erleben (vgl. Luhmann 1996a: 66 f.). Wem es wie Donald Trump gelingt, sich als Handelnden persönlich in Szene zu setzen, als individuellen, vielleicht sogar außergewöhnlichen Entscheider, der wird zum greifbaren Symbol
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für das, was sich nicht greifen lässt. Den Eindruck des ›kleinen Mannes‹ bzw. der ›kleinen Frau‹, dass Politik sich selbst macht und die Wähler keinen Einfluss haben, konnte er so für seine Zwecke nutzen: »Today’s ceremony, however, has very special meaning. Because today we are not merely transferring power from one Administration to another, or from one party to another – but we are transferring power from Washington, D. C. and giving it back to you, the American People.« (Trump 2017a) In dieser Form hat er dem in einer unübersichtlichen, verwickelten Situation gefangenen, überforderten politischen Publikum wichtige Entscheidungshilfen angeboten – nichtrationale, weltanschauliche, gruppenmäßige bzw. parteiliche Anhaltspunkte, vor allem aber persönliche, was sich sogar für die Zwecke einer Art Intimbeziehung zu seinen Wählern ausnutzen ließ. Mit Trump bekamen sie zudem einen echten Helden, der mutig alle möglichen Tabus brach und mit der Heuchelei in der Politik Schluss machte. Zwar haben Person und Rolle viel gemeinsam, und das Person-Sein oder besser: das ›Person-zu-sein-Haben‹, der soziale Zwang, sich wie eine Person zu verhalten, verlangt uns mitunter einiges an schauspielerischem – manche sagen: heuchlerischem – Vermögen ab.145 Hinzu kommt die später noch zu erörternde, Trump in die Karten spielende Forderung, ganz man selbst, ein Ich zu sein, das der verwerflichen Verstellung entgegengesetzt wird – einer Verstellung, die nicht ganz zu unrecht als Merkmal professioneller Politiker gilt. Doch während es bei der Rolle um allgemein attribuierte Einschränkungen des Verhaltens geht, die sich an den Inhaber einer sozialen Position richten, also etwa darum, wie man sich als Präsident zu verhalten hat, bezeichnet die Person den konkreten Menschen.146 Vom Sprecher des Weißen Hauses erwartet man, dass er sich wie der Sprecher des Weißen Hauses verhält – und vom jeweiligen Stelleninhaber, dass er diese Sprecherrolle individuell ausfüllt, also individuell attribuierte Einschränkungen von Verhaltensmöglichkeiten verkörpert. Von einem Präsidenten erwartet man, dass er die Präsidentenrolle individuell ausführt – aber auch, dass er sich präsidial verhält. Das ist durch die Verknüpfung von Rolle und Person garantiert. Gewisse Freiheiten des eigenen Verhaltens innerhalb dieses Rahmens sind zwar ein wichtiger Teil der Rolle, aber man sollte die individuellen Variationsmöglichkeiten auch nicht im Übermaß beanspruchen. Im Normalfall wirkt die Disziplin der Mitgliedsrolle auf die Sonderrolle des Einzelnen, auf die Person, zurück. Auf diese Weise kann die Partei, genau wie jede andere Organisation, Lenkbarkeit und Elastizität vereinen (vgl. Luhmann 1999: 48). An Trump lässt sich studieren, welche Konsequenzen der Verzicht auf ein angemessenes Rollenverhalten haben kann. Die Möglichkeiten der GOP, das Geschehen
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zu lenken, sind seit seiner Amtsübernahme stark eingeschränkt. Es wirkt eher so, als lenke Trump die Partei, die deshalb wenig beweglich wirkt. *** Man kann sich die Nützlichkeit der Separierung von Rolle und Person anhand der eigenen Alltagserfahrung vor Augen führen. Jeder von uns muss jeden Tag zahlreiche, zum Teil äußerst flüchtige Kontakte unterhalten, in denen die individuelle Person nicht interessiert. Ich verzichte im Kontakt mit dem Supermarktkassierer darauf, persönliche Bedürfnisse zu befriedigen – zumindest sofern sie nicht für den Rollenkontext als Kunde relevant sind. Wünsche, Gefühle, Stimmungen: all das muss warten, bis der rechte Augenblick dafür gekommen ist. Genau das kann man mit Norbert Elias ›Zivilisierung‹ nennen (1976). Parsons geht sogar so weit, die Unfähigkeit, bestimmten Rollenerwartungen zu entsprechen, als Krankheit aufzufassen – Wasser auf die Mühlen der Trump-Ferndiagnostiker: »the primary criteria for mental illness must be defined with reference to social role-performance of the individual – it is an incapacity to meet the expectation of social roles« (Parsons 1964: 258). Ob krank oder nicht, Trump macht die Rollenheuchelei nicht mit. Er verschiebt das Gewicht zugunsten der Person: »As far as I’m concerned I like to take everything personally, because you do better that way.« (Zitiert nach Reuters 2018c) Die Abneigung Trumps gegen rollenkonformes Handeln zeigt sich auf vielen Ebenen, etwa im Bereich der Personalpolitik. Hier sind seit seiner Amtsübernahme nicht mehr Kompetenz und Talent entscheidend, sondern Loyalität – aber nicht der Verfassung, sondern seiner Person gegenüber (die sozusagen eher zufällig Präsident der USA geworden ist): »You know, the only reason I gave him the job [was] because I felt loyalty, he was an original supporter.« (Zitiert nach Associated Press 2018) Wenn seine Mitarbeiter ihn in dieser Hinsicht einmal enttäuscht und das Gesetz der Loyalität gebrochen haben, so wird berichtet, vertraut er ihnen nie wieder; sie bekommen für die Übertretung dieser Norm gleichsam ›lebens länglich‹. An diese Struktur hält er sich. Sie ist für ihn wichtiger als jede Erfüllungssicherheit, weil sie die Vorbedingung jeder Sicherheit darstellt. Tatsächlich könnte sich ja ein ehemals Illoyaler in der nächsten Situation durchaus als loyal erweisen. Ob die Erwartungen sich realisieren werden, kann man nicht wissen; auch ein Giuliani oder selbst die eigene Tochter könnten sich eines Tages als illoyal herausstellen. Aber auf Freunde und
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Verwandte zu setzen, hilft Trump, dieses hohe Maß an Unsicherheit auszuhalten. Dass seine Entscheidungen zugunsten einiger weniger loyaler Personen nicht nur den eigenen Mitarbeiterstab auf eine sehr viel einfachere Stufe der Sachbearbeitung zurückwerfen, liegt auf der Hand. Es lässt sich auch im Hinblick auf die einzelnen Ministerien nachweisen. Hier sei vor allem das Moment des Zeitverlusts bzw. der Drosselung des Entscheidungstempos genannt. Man kann auch allgemeiner von Strukturverlusten sprechen, die sich innenpolitisch etwa in der geringen Anzahl verabschiedener Gesetze zeigten; das, was Politik reproduziert, das Treffen kollektiv bindender Entscheidungen, findet unter erschwerten Bedingungen statt. Doch der Blick gilt in erster Linie der Person und nicht so sehr der Struktur. Vor allem wenn es zu Konflikten kommt, werden sie in der Regel auf die persönlichen Eigenschaften der Beteiligten zurückgeführt (vgl. Luhmann 1999: 250 f.). Gerade Trumps Verhalten kann – weil es nicht den Regeln entspricht – als persönlich und absichtlich aufgefasst werden; anders als das Verhalten jener, die ihre Pflicht tun, das diesen Regeln also gerecht wird, und die sich über diese Pflichttreue definieren. Der Präsident dreht das Verhältnis um: Er begreift Pflichttreue, Rollentreue, wie sie auch in Comeys Weigerung einer Loyalitätserklärung Gestalt annahm, als persönlich motiviert – oder ist zumindest bestrebt, sie so erscheinen zu lassen. Etwa indem er Comey als grandstander und showboat beschreibt, also auf persönliche Eigenschaften hinweist, die zu seiner Entlassung geführt hätten, und nicht etwa auf die im Kündigungsschreiben angegebene fehlende Kompetenz. Deshalb gilt ihm der loyale Manafort als brave man – und der illoyale Cohen bekommt die Höchststrafe, er wird in einem Tweet auf seine Rolle reduziert: »If anyone is looking for a good lawyer, I would strongly suggest that you don’t retain the services of Michael Cohen!« Die zahlreichen Konflikte, die sich zwischen Trump und seiner Partei beobachten lassen, können ebenfalls auf diesen strukturellen Konflikt zwischen Rolle und Person zurückgeführt werden. Niemand nimmt ihm die Unerfahrenheit in der Politik übel, aber viele irritiert die Ignoranz, mit der er auf Parteierwartungen bezüglich seiner Mitgliedsrolle reagiert hat und nach wie vor reagiert. Seine Lieblingsrolle ist die Ich-Rolle, die Verkörperung eines Ideals, das einen Menschen vorsieht, der sich selbst treu bleibt – aus struktureller Sicht eher: den mit seiner Person verbundenen Erwartungen, also der Vergangenheit seiner Handlungen – und der Regeln nur als Einschränkungen erfährt. Dabei nimmt Trump für seine Selbsttreue Risiken in Kauf, von denen normale Menschen nur träumen können, von den damit verbundenen Kosten ganz zu schweigen.
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Ein großer Teil der Bewunderung für Trump geht auf diese Selbsttreue des Präsidenten zurück, der seine Ich-Rolle offenbar sehr viel überzeugender spielt als etwa Hillary Clinton: »Is Hillary Rodham Clinton not presenting her true self to voters?«, fragt etwa Nyhan 2016, der in ihrem ›Authentizitätsproblem‹ das größte Problem für die Demokraten sah. Dieses Problem hatte die GOP für sich gelöst: »Who is the ›authenticity‹ candidate of 2016? Yup: It’s Donald Trump.« (Sargent 2015) Doch der Normalfall ist diese Ichtreue nicht. Auch hier erweist Trump sich als deviant. Beglaubigt wird sie in erster Linie dadurch, dass er sie gegen die präsidialen Rollenerwartungen – buchstäblich: ›ausspielt‹. »I can do it«, teilt Kandidat Trump seinen Anhängern im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Connecticut mit: »You know what, I’m like a really smart person. Like a lot of you people. Presidential is easy.« (Zitiert nach De La Cuetara 2016) Aus seiner Not, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können, wird eine Tugend: tapfer wehrt sich Trump gegen die Artifizialität eines Rollenverhaltens, das einem Korsett gleich sein natürliches, authentisches Selbst abzuschnüren droht. Seitdem gehört die Parodie präsidialen Verhaltens mit zu seinen größten Hits. Die Sehnsucht der Massenmedien nach der rollenadäquaten Verkörperung von Präsidialität teilen die Anhänger des Präsidenten nicht. Interessanterweise verbindet dieses Vorgehen den ›Anti-Intellektuellen‹ Trump mit den ihn kririsierenden, verhassten Intellektuellen. Genau wie sie führt er das eigene Ich als Antwort auf die Ich-Schwäche der anderen ins Feld. Doch anders als der Intellektuelle, der immer auch seine Schwäche eingestehen muss, um attraktiv für alle anderen zu werden, die sich schwach wissen, wird Trump für die Schwachen attraktiv durch seine – rüpelhafte – Stärke und ›Echtheit‹ (vgl. Baecker 2008: 78). Ihm muss niemand die Maske vom Gesicht reißen, denn anscheinend trägt er keine. An dieser Stelle kann der erneute Hinweis auf die Wortherkunft von ›Person‹ uns aber vor der Naivität bewahren, eine ›maskierte Existenz‹ von einer authentischen, wahren zu unterscheiden. Trumps Person ist nichts anderes als diese Maske, die aus den an ihn gerichteten Erwartungen besteht. Auch sie hat zwei Seiten: eine Außenseite, die aus Fremderwartungen besteht, und eine nach innen gerichtete, die mittels Narrativität Selbsterwartungen formuliert. Indem Trump die Balance von Rolle und Person zugunsten der Person verschiebt, gelingt es ihm, die präsidialen Erwartungen an ihn entscheidend zu minimieren. Die Vorteile scheinen die Nachteile zu überwiegen. So wird sein Handeln trotz seiner Amoralität als nicht moralisch anrüchig beobachtet. Erfolgreich macht er allen vor, keinem etwas vorzumachen –
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anders als sein raffinierter Vorgänger, dem es gelang, gleichzeitig als Friedensnobelpreisträger und »größter Kriegspräsident der USA« Eingang in die Geschichtsbücher zu finden (vgl. Röhlig 2016). Zudem ist man geneigt, ihm seine Ausbrüche und Unüberlegtheiten eher nachzusehen – man bezieht sie nicht so sehr auf ihn als Präsidenten, sondern auf ihn als Person. »Das schreibt man, wenn man oben auf der Zugspitze steht und die Landschaft bewundert«, so Mosche Zimmermann, emeritierter Professor von der Hebräischen Universität in Jerusalem, über den Eintrag Trumps in das Gästebuch des israelischen Holocaust-Museums, um hinzuzufügen: »Das ist keineswegs passend für Yad Vashem, aber typisch für Trump.« (Zitiert nach FAZ 2017)147 Nun sind Menschen zwar prinzipiell zu kontingentem Verhalten fähig. Aber die Erwartungsrestriktionen hinsichtlich der Person schränken diese Erwartungen erheblich ein. Paul Ryan und Donald Trump sind beide Politiker, doch sie unterscheiden sich deutlich in ihrer Rollenausführung: »Während Ryan immer etwas oberlehrerhaft daherkommt und daher in Washington auch als ›Wonk‹ (›Streber‹) verspottet wird, ist Trump als Politiker nicht gerade für seine Detailversessenheit bekannt. Während Ryan leise Töne und lange Verhandlungen bevorzugt, twittert Trump am liebsten in Großbuchstaben.« (Riesche 2017) Ähnliches gilt für Trump und Robert Mueller. Die Erwartungsrestriktion an Mueller ist Integrität: »Robert Mueller might just be America’s straightest arrow – a respected, nonpartisan and fiercely apolitical public servant whose only lifetime motivation has been the search for justice.« (Graff 2017) Exakt diese Erwartung an die Integrität der Person ist Bestandteil der special-counsel regulations: Der Sonderermittler muss sich als »a lawyer with a reputation for integrity and impartial decisionmaking« (Katyal 2017) bewährt haben. Die Person Trumps dagegen genießt vor allem als jemand, dem man nicht vertrauen kann, Vertrauen. In dieser Hinsicht machen sich auch seine Wähler keinerlei Illusionen: »I’ve not met one […] who did not have a pretty clear picture of Trump. They’ve known all along that he’s a needy narcissist, a womanizer, a lowlife, a liar, a braggart and a generally miserable human being. That’s why the ›Access Hollywood‹ tape or the I-could-shoot-somebody-on-Fifth-Avenue did not kill his candidacy.« (Cohen 2018) – »I know he makes stuff up. I know he exaggerates«, gibt der Trump-Fan Justin aus Tucson zu Protokoll. »What president hasn’t?« (Zitiert nach Eggers 2019) Greenfield macht eine einfache Rechnung auf: »The exit polls from election night 2016 showed that 61 percent of voters thought Trump was unqualified for the job, and 64 percent said he was not honest or trustworthy. Simple arithmetic reveals that mil-
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lions of people voted for Trump believing he was neither qualified nor honest and trustworthy.« (Greenfield 2018, kursiv im Original) Die Begründung Comeys, »what led him to start keeping a paper trail of his meetings with the president«, bezieht sich denn auch explizit auf Trumps Person – und nicht darauf, dass er es mit dem Präsidenten zu tun hatte: »A combination of things. I think the circumstances, the subject matter, and the person I was interacting with.« Von dieser Person erwartet Comey nichts Gutes: »I was honestly concerned he might lie about the nature of our meeting, so I thought it important to document.« (Comey, zitiert nach Stein 2017) Trump hat ihn in dieser Hinsicht offenbar nicht enttäuscht. Die Frage der Person spielt auch bei der rechtlichen Beurteilung der Angelegenheit eine wichtige Rolle, da hier Aussage gegen Aussage steht – die eines Präsidenten, der es mit der Wahrheit nicht genau nimmt, gegen die eines career professional, dessen Integrität – wenn es nach John McCain geht – »never wavered« (zitiert nach Savransky 2017). Dem selbst Kritiker eine »fierce independence and his deep integrity« zugestehen (Obama, Savransky 2017). Eine Integrität, die ihm im Jahre 2004 beinahe den Job gekostet hätte. Doch zuletzt ist auch eine noch so integre Person nicht mehr als eine Auswahl von Merkmalen – eine kommunikativ wirksame Struktur, ein sozial hervorgebrachtes Erwartungsaggregat. Es ist dieses Aggregat, das limitiert, was an Muellers oder Trumps Verhalten passend, erwartbar, anschlussfähig ist – und was nicht. So sei es im Falle des früheren FBI-Direktors Comey des Öfteren zu Verwechslungen von Ehrlichkeit, Integrität und Ehre mit Starrköpfigkeit und Selbstgerechtigkeit gekommen – »strong, personal convictions about what is right« (Beinart 2017; Hervorhebung M. H.) hätten die professionelle Rollenausführung eingetrübt, Comey habe seine persönliche Integrität über die des FBI gestellt, zum Beispiel hinsichtlich Hillary Clintons Emails: »He would have protected the bureau by playing it by the book.« (Beinhart 2017) Ob dieser Starrsinn Teil der Person wird, hängt davon ab, ob andere an sie anschließen und er dann in diese Struktur eingebaut wird, so dass das Muster der Zuschreibung erweitert werden kann. Trumps Versuch, im Rahmen seiner zweiten Fernsehansprache präsidial zu agieren, kann in dieser Hinsicht kein Erfolg bescheinigt werden: »The speech was bewildering. Was this stiff oration given by the same man who captured the nation’s attention – and elicited outrage – with his descent down a gold escalator in June 2015, his vow that ›I alone can fix it‹ in summer 2016, or his invocation of ›American carnage‹ in January 2017? It’s hard to believe that master showman was the same person who sat behind the Resolute Desk
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on Tuesday.« (Graham 2019) Ähnlich urteilte die Washington Post: »Trump tried to play a normal president on television. The result was very strange.« (Rosenberg 2019) Wer sich als Mörder kleiner Kinder Ruhm erwarb, von dem wird nicht mehr erwartet, dass er nett zu kleinen Kindern ist – er ist von dieser Verpflichtung gleichsam befreit. Stattdessen erwartet man nun den Kindermord. Ähnliches gilt für Trump, bei dem niemand mehr davon ausgeht, dass er sich präsidial benimmt, ja nicht einmal: dass er Umgangsformen wahrt. Trump ›benimmt sich daneben‹, und genau das macht einen Großteil seiner personalen Identität aus. Das macht Klagen gegen Rufmord problematisch.148 Wir erwarten von Trump, dass er lügt, übertreibt, aggressiv reagiert – und von Robert Mueller III, dass es nicht zu einem Interessenkonflikt kommt.149 Was eine Person ist, hat also viel mit Repetition zu tun – dem, was wir wiederholt tun. Man kann sie mit Peter Fuchs als eine »Zeitfigur« begreifen (vgl. Fuchs 2010: 164). Diese Zeit lässt sich mittels der Unterscheidung von esse/posse konstruieren. Einerseits wird auf ein Sein (esse) zugerechnet, was nur heißt, dass bestimmte Adressierungen zeitfester sind als andere; etwa die Festlegung Trumps als Prahlhans, Lügner, Narzisst, Rassist, Sexist, Idiot. Diese Zurechnung kann verschiedene Formen annehmen. Stigmatisierungen sind eine solche Seinsmöglichkeit; die Idee, dass wir es mit einem durchgängigen Charakter zu tun haben, eine andere. Andererseits ist jede Seinsprojektion mit einer Möglichkeitsprojektion (posse) verknüpft. Aus der Projektion, dass Trump prahlt und lügt, an komplexen politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen nicht interessiert ist und sich zuletzt nur für sich selbst interessiert, ergeben sich andere – genau dadurch zugelassene – Möglichkeit, sie machen Platz für eine eingeschränkte Alternativität. Das Dual kommt meistens dann zum Zug, wenn es nicht um Rollenverhalten, sondern um persönliche Eigenschaften geht. Die Seinszuschreibung als notorischer Lügner, Normbrecher und Streithansel hat für Trump deshalb durchaus existenzielle Bedeutung, weil sie darüber entscheidet, was er sonst noch sein kann und was hier ausgeschlossen ist. Wie verhält sich Trumps Psyche zu dieser Zuschreibungspraxis? Folgt man Peter Fuchs, hat er hier zwei Möglichkeiten. Er kann diese Zuschreibungen entweder in sein Erleben übernehmen, sich mit der Rolle des Lügners und Normbrechers identifizieren; oder er kann sie intern zurückweisen. Denn diese individuell zugeschriebenen Einschränkungen des Verhaltens werfen immer auch eine Kehrseite aus, die kommunikativ nicht bekannt ist. Erst wenn sie bekannt werden, muss man sie modifizieren (vgl.
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Fuchs 2010: 166). Nichts zwingt Robert Mueller oder James Comey, die an sie gerichteten Erwartungen tiefer Integrität zu bestätigen – und nichts Trump, den an ihn gerichteten Erwartungen des Rüpels und Lügners weiterhin gerecht zu werden und der bisherigen Selbstdarstellung zu folgen. Alle drei könnten die Form der Unperson bemühen, etwas Unerwartetes, für sie nicht Typisches, und ihnen von daher nicht Zustehendes tun – und derart aus der Kaserne, dem Gefängnis der Person ausbrechen. Wir kennen diese innere Abwehr gegen Zumutungen des Person-Seins vor allem von Pubertierenden, die in der Regel als »unbegründete Aggression« klassifiziert wird. Das Bild, das sich Trump von sich selbst macht – das jeder von uns intern entwirft –, deckt sich also nicht mit dem, was die soziale – externe – Seinszumutung für uns vorsieht. Was davon wir übernehmen und was davon wir zurückweisen, als eine Art ›Sedimentierung‹ von Jas und Neins, ist im genauen Sinne unsere Privatsache. Dabei ist es im Falle des Abweichlers Trump nicht ohne Ironie, dass das Schema am Devianzfall erkennbar wird, denn hier weicht er kaum einmal ab, sondern agiert deckungsgleich mit dem, was man von ihm erwartet, also mit jenen Möglichkeiten, die ihm individuell zugeschrieben werden. Er hat die Adressierung als ›ein Trump‹ akzeptiert – als jemand, der unkonventionell, unpräsidial agiert, Normen bricht etc. – denn es ist diese Person, mit der er bisher Erfolg hatte, die ein ›Gewinner‹ ist, und dank der er Resultate liefern kann. Seine Selbstdarstellung wurde in Reaktion seiner Anhänger auf ihn zurückgespiegelt und hat sich als politische Verpflichtung, so zu bleiben, bei ihm festgesetzt. So absurd es klingt, aber Trump könnte sein Gesicht verlieren, wenn er sich mit einem Mal als vorsichtig, höflich und ehrlich – mit einem Wort: als zivilisiert – erweist. Seine Unperson wäre ein ehrliches, interessiertes, offenes, bescheidenes, kompromissbereites Individuum. Er hat hier durchaus etwas zu verlieren – die Reputation des Rüpels und des Außenseiters. Würde Trump den Zumutungen in Bezug auf die rollenadäquate Verkörperung des Präsidenten entsprechen, würde er von einem irrealen zu einem real politician werden und das einzige Kapital einbüßen, das ihn als Präsidenten gegenüber seinen Anhängern auszeichnet: seine Glaubwürdigkeit als Person. Er könnte die Zuschreibung ›Lügner‹ auch mit dem Hinweis auf Cleverness zurückweisen, also auf ein geschicktes Handhaben von Wahrheit zu seinen Gunsten. Was er indirekt auch tut: »Millions of people agree with me when I say that [there aremillions of illegal votes in the US]. If you would have looked on one of the other networks, and all of the people that were calling in, they’re saying ›We agree with Mr. Trump. We agree.‹ They’re very smart people.« (Trump, zitiert nach Vyse 2016) Oder indem
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er darauf aufmerksam macht, dass seine Anhänger ihm die Lügen glauben, seine Äußerungen also für wahr halten: »No, not at all, because many people feel the same way that I do.« (Vyse 2016) Lügen, rüpelhaftes Benehmen, Vulgärsprache und ähnliche Verhaltensweisen sind zwar in der Regel nicht sozial zustimmungsfähig, auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten durch die Popkultur eine gewisse Berechtigung erhalten haben. Man könnte sagen, dass sie es ein Stück weit möglich gemacht hat, dass wir alle öfter als bisher üblich die Chancen der bürgerlichen ›Unperson‹ genießen können – aber natürlich hängt die soziale Akzeptanz, die für eine bestimmte Performance aufgebracht werden kann, immer auch davon ab, wo wir uns in der Geschichte gerade befinden, was also an Konformität und Devianz gerade plausibel und verkraftbar ist. Der ›Unpräsident‹ Trump scheint den Grenzfall auszutesten.
Individuum 1 Ein Bonmot des ehemaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer besagt, dass das Amt den Politiker stärker verändert als der Politiker das Amt. Im Fall Trumps scheint es genau anders herum zu sein: Trump hat das Amt stark verändert – so stark, dass manch einer sich darum Sorgen macht –, während es auf ihn offenbar nur geringe Auswirkungen hatte. Das Gleiche scheint auf seine Partei zuzutreffen. Zwar sollte Trump als Parteimitglied in der Lage sein, Parteiinteressen und solche der eigenen Person zu koordinieren. Darauf hat man zumindest lange Zeit gehofft, genauso wie auf ein bestimmtes verbales Verhalten, eines, das die formalen Erwartungen stützt, schließlich ist dieses Ausdrucksverhalten ein elementarer – konstanter – Bestandteil der Rolle (siehe stellvertretend Nicholas 2016). Und gerade vom Präsidenten wird erwartet, Gefühle zu vertagen, Ausdrucksbedürfnisse zurückzuhalten, mit anderen Worten und erneut in Bezug auf Elias: zivilisiert zu agieren – mit Régis Debray: zu heucheln. Ob Trump dazu nicht in der Lage ist, wissen wir nicht. Was wir wissen, ist, dass er genau diese Erwartungen immer wieder enttäuscht hat – zur Freude seiner Anhänger, zum Verdruss seiner Gegner. An die Stelle des rollenkonformen Verhaltens tritt bei ihm das trumpkonforme Verhalten: die Person dominiert die Rolle. Dabei hat er auf die Rationalität des Präsidentenamtes zunächst durchaus mit Formen der Selbstrationalisierung reagiert. »The oath of office I take today is an oath of allegiance to all Americans.« (Trump 2017a) Auch
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im Hinblick auf die Sonderermittlungen: »As I have stated many times, a thorough investigation will confirm what we already know – there was no collusion between my campaign and any foreign entity. I look forward to this matter concluding quickly.« (Trump, zitiert nach Watson 2017) Um Missverständnisse zu vermeiden, dementierte er dieses staatstragende, rollenkonforme Verhalten aber bereits wenige Stunden später via Twitter: »With all of the illegal acts that took place in the Clinton campaign & Obama Administration, there was never a special (counsel) appointed! This is the single greatest witch hunt of a politician in American history!« (Trump, zitiert nach Landler 2018a) Nur mit Mühe konnten ihn seine Berater zur halbpräsidialen Charlottesville-Richtigstellung überreden, die er – laut Woodward – im Nachhinein bereut habe: »biggest f---ing mistake I’ve made« (Herb and Gangel 2018). Es ist erwartbar, dass der Person Mike Pence – »a down-the-middle, predictable, standard-issue conservative Christian« – von der Partei ein größeres Vertrauen hinsichtlich einer möglichen Rollenausführung als Präsident entgegengebracht wird (vgl. Wattenberg 2017). Bei den republikanischen Wählern ist der Vizepräsident allerdings nur unerheblich beliebter als Trump (vgl. Le Miere 2017). Und für den Rest macht die Personalie offenbar keinen Unterschied (Rasmussen 2017). Dass die Wähler den Vizepräsidenten für das bessere role-model halten, wenn es um Fragen der Moral geht, ist wenig überraschend (»31 percent of voters rate Pence’s ›personal morals or ethics‹ as ›Excellent,‹ compared to 17 percent for Trump«, Change Research 2017). Die Kehrseite dieser vorbildlichen moralischen Haltung ist das Mißtrauen, das sie ihm in Machtfragen entgegenbringen – hier schneidet Trump erheblich besser ab (vgl. Change Research 2019). Beide Momente hängen eng miteinander zusammen: Moral wird als Beschränkung wahrgenommen, die man sich in Zeiten der Globalisierung nicht mehr leisten kann. Die Notwendigkeit der Erhaltung amerikanischer Größe erfordert es, die ›Samthandschuhe‹ auszuziehen, schließlich fühlt sich der Gegner (die Demokraten, China, Iran) auch nicht an Moral gebunden (vgl. Luhmann 2000: 140). Gerade der Umstand, dass Trump nicht wie andere Politiker versucht, den Anschein moralischer Korrektheit zu wahren, geschweige denn zu propagieren, kommt dem Bild des Machthabers zugute. Trump kommuniziert stattdessen den Willen, ›bis zum Äußersten‹ zu gehen, wenn es darauf ankommt, und das kommt an. (Ich komme auf diesen barbarischen Aspekt seiner Politik, die sich auch bei anderen Rechtspopulisten findet, im Schlussteil zurück.) Der Vergleich macht klar, dass Trump den Wählern mehr als nur eine »kapriziöse Subjektivität« (Luhmann) bot, er identifizierte sich auch mit
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einer bestimmten sachlichen Linie, und ermöglichte so eine doppelte Möglichkeit der Orientierung – die unmoralische Person Trump verschmolz mit der Vorstellung des gnadenlosen Entscheiders, der Minderheitenrechte von Grundrechten trennt, und die Institutionen, die seine Willkür limitieren, genau deshalb attackiert. Als Person brachte er vor allem die Symbole auf Hochglanz – zu denen neben Amerika und ihm selbst als dem erfolgreichen Geschäftsmann auch »Feminazi« Hillary Clinton gehörte –, proklamierte unmoralische Werte, lancierte Themen, kurzum: agierte unter dem Schutz der Unverbindlichkeit, die ihm seine Rolle als Angreifer und Neinsager ermöglichte, und konnte mit der Darbietung offenbar überzeugen. Clinton dagegen hatte nur ein Sachprogramm anzubieten. Der Fehler der Demokraten war zudem, die Wirkung ihrer Persönlichkeit auf die Öffentlichkeit unterschätzt zu haben, und die Selektion allein einem innerbürokratischen – durchaus schmutzigen – Ausscheidungskampf zu überlassen, der zudem noch öffentlich gemacht werden konnte. Normalerweise ist es die Partei, die den Zusammenhang mit der erreichbaren politischen Unterstützung der Bevölkerung gewährleistet. Dank Twitter ist Trump auf diese Vermittlungsleistung nicht mehr angewiesen. Die durch die Parteimitgliedschaft garantierten finanziellen Sicherheiten dagegen nahm er in Anspruch. Dass er auf das Geld der Partei zurückgriff, um seine Kampagne zu finanzieren, kann als deutlicher Hinweis auf seine Vermögensverhältnisse verstanden werden. Im Gegenzug machten die Republikaner erneut bestimmte Erwartungen an das Mitglied geltend: »He’s going to have to figure out that he’s got to be more inclusive and bring people together, and I think he will.« (Fred Malek, zitiert nach Lee und Murray 2016). Trump hat sie bekanntlich mehrfach enttäuscht. Der Erfolg seiner Exklusionspolitik gab ihm – sozusagen ›post-faktisch‹ – recht. Er benötigte die Partei auch nicht, um im Wahlkampf besondere verbale Freiheiten in Anspruch zu nehmen; diese waren bereits durch seine parteilose Parteilichkeit geschützt, den ›Trumpismus‹. Denn parteilich war Trump ja durchaus, und zwar in dem Sinne, dass er die Vorteile des Vorläufigen, Oppositionellen für sich selbst auszunutzen wusste, zu denen auch gehört, sich nicht gleich auf bestimmte Programme festlegen zu müssen. Der Wahlkämpfer Trump nahm den Erfolg vorweg, er musste nicht entscheiden, sondern nur überlegen, wie er entscheiden würde, und das erlaubte ihm, allzu spezifische Interessen und Werte zu generalisieren. Als es tatsächlich zur Wachablösung kam, hätte er wie bisher üblich die Neuerungen der Konkurrentin übernehmen können, was sich schon aus Kos-
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tengründen angeboten hätte (vgl. Luhmann 2010: 300). Auch gegen diese Norm hat Trump verstoßen. *** Als Wahlkämpfer konnte sich Trump in der politischen Arena behaupten. Doch die parteiinternen Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, gelang ihm zunächst nur unter größten Mühen. Die vielen Appelle und Drohungen an Parteimitglieder oder Demokraten zeigten seine Hilflosigkeit, ja Machtlosigkeit, die nicht zuletzt mit seiner Außenseiterrolle zusammenhängt. Denn als Politiker muss Trump vor allem eines tun: kollektiv bindende Entscheidungen treffen. Absichtserklärungen aber sind noch keine Gesetze.150 Auch die von Trump so geliebten Dekrete sind lediglich Anweisungen, die dann im Rahmen bereits bestehender Gesetze umgesetzt werden sollen, aber sie können die Bindungswirkung bereits getroffener Entscheidungen nicht aufheben. Zwar sind sie selbst bindend, müssen sich aber vor ihrer Umsetzung noch einer rechtlichen Überprüfung unterziehen. Gerichten steht es frei, sie anzufechten. Kurzum, es sind Gesetze, die (noch) keine Gesetze sind, und genau in dieser Form konnte Trump sie publikumswirksam für sich einsetzen.151 Vielen Wählern dürfte in dieser Anfangszeit schmerzlich bewusst geworden sein, dass sie in Wahrheit nicht für eine Person, sondern für die Leistungsfähigkeit einer Organisation gestimmt hatten. Denn diese Leistungsfähigkeit zu gewährleisten, ist alles andere als einfach. Eine Partei muss in der Lage sein, eine Vielzahl unterschiedlicher Momente zu organisieren: den Grad an Zentralisierung des Einflusses, wie Mitglieder rekrutiert werden, wie man sie in Anspruch nimmt, die Art und Elastizitität der Loyalitäten der Parteimitglieder, des hauptamtlichen Parteiapparates, die Aufstiegsregelungen, die Quellen der Parteifinanzierung etc. pp. (Vgl. Luhmann 2010: 300) Die Problematik lässt sich mit Hilfe der Unterscheidung formale/informale Macht genauer bestimmen. Offenbar hat Trump seine formale Macht überschätzt. Diese Macht tritt selbstgewiss, legitim und sichtbar auf – seine Dekrete zeigen sie in Aktion. Doch es ist die andere, die informale, wenn man so will: die Gegenmacht, die sich im Normalfall durchsetzt. Die Position des Präsidenten bedeutet gerade nicht die absolute Konzentration aller Macht, nicht einmal in den USA – das würde den Kollaps des politischen Systems bedeuten. Trump musste auf schmerzhafte Weise erkennen, dass Funktionen und Probleme der Politik nicht solche der Selbstverwirk-
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lichung eines einzelnen Menschen sind. Lange Zeit sah es so aus, als sei er zum Opfer seiner eigenen Personalität geworden. Ich hatte eingangs darauf hingewiesen, dass viele der Konflikte, die sich im Weißen Haus beobachten lassen, sich um die Einführung von Änderungen kristallisieren – und Trump ist nicht allein deshalb zum Bezugspunkt von Feindseligkeiten geworden, die womöglich in ganz anderen Konfliktlagen, Unsicherheiten und Spannungen wurzeln, weil er Neuerungen einführen will, sondern weil er selbst eine Neuerung darstellt. Die Probleme, die sich ihm bei der Umsetzung stellen, hängen zum einen ganz grundsätzlich damit zusammen, dass er ein Außenseiter ist, wenn man so will: mit seiner politischen Inkompetenz; und zum anderen mit seiner Undiszipliniertheit bzw. der seines Teams, das diese Änderungen durchboxen will, ohne die »modes of blockage peculiar to each level« (White 2008: 282) zu berücksichtigen. Wer Neuerungen einführen will, sagen wir, eine neue Gesundheitsreform auf den Weg bringen möchte, benötigt dafür einen Änderungskonsens – und den findet ein Politiker in der Struktur der Machtdifferenzierung, die man Partei nennt. Deshalb sind persönliche Bekanntschaft bzw. ›Seilschaften‹ so wichtig, weil man dann weiß, wen man für neue Gedanken gewinnen kann – und natürlich muss man wissen, wen es überhaupt zu gewinnen gilt, »wessen Vorkonsens an welchen Stellen zählt, wessen Konsens den anderer nach sich zieht, welche Personaländerungenen durchgesetzt werden müssten, wann man sich mit etwas solidarisch erklären muss, um den Anschluss nicht zu verpassen« (Luhmann 2010: 315). Über all diese Kenntnisse in Sachen Differenzierung der Konsensrelevanz verfügt der Außenseiter Trump nicht – mit einer Ausnahme, die er aus der freien Wirtschaft kennt, dem Mittel der Personalveränderung.152 Dass er gewillt ist, seine Machtvorteile rücksichtslos auszunutzen und Personen, die er als nicht loyal erfährt, einfach zu ›feuern‹, hat zwar dazu beigetragen, dass sich seine persönliche Führungsleistung verfestigen und er Familienmitglieder begünstigen konnte, weshalb er als ›Chef im Ring‹ gilt; es ist aber nur begrenzt hilfreich, um die so wichtigen kleingruppenartigen parteiinternen Prozesse beeinflussen zu können. Es scheint mitunter so, als sehe er die Notwendigkeit interner Motivation gar nicht, genau wie er offenbar die Notwendigkeit taktisch-berechneter Allianzen mit den Demokraten bisher weitgehend ignoriert hat.153 Bis auf wenige Ausnahmen, die ins Bild passen.154 All das war erwartbar. Trump fehlt das Wissen, das ›Urteilsvermögen‹, wie man die Parteistruktur – und die des Kongresses – nutzen könnte. Das ist nicht überraschend, weil es eine Kenntnis der Lage voraussetzen würde,
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die ihm als Außenseiter bzw. Uneingeweihten nun einmal nicht zur Verfügung steht. Das Problem ist auch, dass jene, die Trump für sich gewinnen müsste, Teil des Systems (bzw. des ›Establishments‹) bzw. des Problems sind, als dessen Lösung er sich begreift – sogar ein Teil jener Behörde, die ihm eigentlich zuarbeiten soll: das Weiße Haus (vgl. Anonymous 2018). Die Republikaner hatten Trump in seiner Einzigartigkeit erst als Person für die politische Funktion des Wahlkämpfers und dann für die des Präsidenten in Anspruch genommen. Sie können sich daher in der Tat nicht beschweren, genausowenig wie seine Wähler, wie Marco Rubio zu Recht anmerkt: »People got what they voted vor.« (Zitiert nach Lemongello 2017)155 Nicht seine Arbeitskraft, sondern seine Individualität hat ihn zum Commander-in-Chief gemacht. Seine Leistung besteht deshalb bis heute nicht in der zuverlässigen Durchführung vorgegebener politischer Programme. Trump programmiert sich selbst: »Although he was elected as a Republican, the president shows little affinity for ideals long espoused by conservatives.« (Anonymous 2018) Dabei kommt ihm entgegen, dass die klassische Idee von Herrschaft sich auf Personen bezieht – auf besondere Personen, ohne deren Denken etwa der Markt zusammenbrechen würde und jedermann mit einem Mal ›sehr arm‹ wäre.156 Trump hat diese Personvorstellung – die Idee einer personellen Einheit – erfolgreich für politische Zwecke nutzen können. Er erscheint als »willkürfähige Persönlichkeit« (Dirk Baecker), als jemand, der eindeutige Handlungszurechnungen ermöglicht. Die vielen Fehler, die seine Tweets aufweisen, von unpresidented bis zum legendären covfefe, beglaubigen diese Willkür. Mit Trump kehrt die Person als disziplinierungsbedürftige Willkür auf die Innenseite der demokratischen Politik zurück. An diesem Wiedereintritt von Herrschaft in die Politik müssen sich die USA bis heute abarbeiten: »No president I know of has asserted a blanket power to reject any request that doesn’t suit him – until Donald Trump. No president I know of has rejected requests on the grounds that the committee requesting is controlled by Democrats – until Donald Trump. The ongoing battle between this administration and the House committees is not, at heart, a legal dispute at all; it is an assertion by a president that the law and the Constitution are simply irrelevant when they conflict with his will.« (Epps 2019) Welche Auswirkungen er selbst faktisch auf den Gang der Geschäfte hat, ist schwer zu ergründen. Gerade in seinem Fall ist kommt es aber eher auf die symbolisch-expressive Funktion an – auf Trump als konkrete, sichtbare Generalisierung von Verhaltenserwartungen. Seine Bedeutung besteht darin, dass er einen relativ konsistenten Zusammenhang von Er-
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wartungen darstellt, der in dieser Form gegenwärtig nicht von anderen US-Politikern, zumal republikanischen, gewährleistet werden kann – und er zieht genau deshalb Vertrauen auf sich, das nicht übertragbar ist, das nur ihm gilt, gerade weil er nicht vertrauenswürdig ist bzw. weil man ihm in dieser Hinsicht vertrauen kann (vgl. Luhmann 2010: 336). Als diese Person vermochte er es, Zukunft zu vergegenwärtigen und schon während des Wahlkampfes von dem zu überzeugen, was viele Wähler erhofften und erwarteten; und als diese Person macht er sichtbare Politik, ›bestraft‹ China und die EU, trifft Kim Jong-un, twittert gegen illoyale Parteigenossen, die Massenmedien und den Sondermittler, was immer dann im Einzelnen tatsächlich darauf folgt. Die Auswirkungen des Person models Trump auf seine Untergebenen dagegen sind kaum zu übersehen: »You’re a press secretary, not a commentator«, rügt Mollie Katz Sarah Huckabee-Sanders, die sich im Stile Trumps an James Comey gewandt hatte: »Sit down.« (Zitiert nach Cole 2018) Auch Brett Kavanaughs Verhalten in der Anhörung wurde als problematisch, weil ›trump-esk‹ wahrgenommen.157 Kavanaugh war aus der Rolle des Richters gefallen: »Ich verstehe diejenigen meiner amerikanischen Freunde – auch die, die Juristen sind –, die sagen: Hier hat jemand ein Temperament, einen Charakter gezeigt, der sich eigentlich für diesen hohen Beruf, der auch eine Berufung ist, nicht eignet.« (Barenberg 2018)158 Zeigt Trump als amerikanischer Präsident ein Temperament, einen Charakter, der sich für diesen hohen Beruf, der auch eine Berufung ist, eignet? Aus Sicht seiner Befürworter überwiegen die Vorteile, auch wenn sie sich darin einig sind, dass er hier und da ein klein wenig zu weit geht: »His mouth, his overall attitude, is fucked up […], how he talks about people or to people sometimes. Sometimes I guess he gets caught up like anybody else. But overall he’s like, ›If you ain’t for us, then we ain’t for you. Get the fuck on.‹ You know what I mean?« (Angel Gaudet, zitiert nach Eggers 2019) Doch seine Person ist nicht ohne Weiteres übertragbar. Kavanaugh war es gelungen, sie vorübergehend in Anspruch zu nehmen und sich erfolgreich als Kopie in Szene zu setzen – im Gegensatz zu Rick Saccone, dem »Trump before Trump«. Das Beispiel, das Rick Wilson bemüht, erinnert an die Metapher des Zehenspitzenakrobaten: »It’s like pretending to be a ballerina. One either is or isn’t – and you can’t fake it.« (Zitiert nach Kranz 2017) Persönlichkeitsmuster lassen sich kopieren, man kann sich – mit Luhmann – nach Erfolgsmodellen ›kleiden und frisieren‹, aber die Resultate können nicht verwechselt werden (vgl. Luhmann 1984: 430). Denn was hier eingekleidet wird, ist immer »ein konkretes und dadurch immer schon unverwechselbares psychisches System« (Luhmann 1984: 430).
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Doch ganz gleich, wie ›subjektiv‹ sich ein Republikaner gibt, er muss die Ziele und Zwecke der Partei gutheißen – er muss alle formalen Regeln achten und bestätigen, auch und dann, wenn es gar nicht um das eigene Verhalten geht. Die Politik fordert ein bestimmtes Verhalten von Politikern, die Partei von ihren Mitgliedern. Beide setzen sich so selbst zugleich die Grenzen für ihre Sonderrollen, also für das besondere Leistungsverhalten innerhalb der Partei, der Institution etc. Auf diese Weise werden die Sozialstrukturen der Politik wie der Partei objektiviert und die formalen Erwartungen kommunikativ bestätigt. All das dient ihrem Fortbestand. Gerade weil Trump sie in einem fort verletzt, lässt er sie umso deutlicher hervortreten. Da die üblichen Sicherheitsmaßnahmen – Lern- und Sozialisierungsprozesse des politischen Lebens – bei ihm nicht zum Zuge kamen, genausowenig wie das Erfordernis einer politischen Karriere, konnten sie bei seiner Persönlichkeitsgestaltung nicht Regie führen, um Unfallsicherheit zu gewährleisten (vgl. Luhmann 1995a: 532). Als Außenseiter fehlt ihm die »Abweichungsvorsicht« (Luhmann), die jeder professionell Sozialisierte sich im Laufe der Zeit antrainiert. Ob sich daraus zuletzt eine neue politische Kultur entwickelt, ist offen. Ein gewisser Trend von Rollenorientierung zu Personorientierung scheint sich zwar momentan abzuzeichnen (einen umgekehrten Trend hatte Luhmann verneint, vgl. 1984: 431). Doch nur wer mit beiden Erwartungsidentifikationen umzugehen weiß – wer also in der Lage ist, sich der Situation anzupassen und den Gegensatz situationsadäquat zu verwenden, wer also je nach Bedarf mal individuell, mal abstrakt zu agieren weiß, ohne es zum offenen Widerspruch kommen zu lassen – kann seine Wirkungsmöglichkeiten in einer Organisation wie der GOP oder der Demokratischen Partei steigern (vgl. Luhmann 1984: 432). Luhmann weist allerdings mit recht darauf hin, dass »die Fähigkeiten und Tugenden, die man braucht, um sich zu hohen Positionen vorzuarbeiten, nicht mit denen identisch sind, die man dort verwenden kann« (Luhmann 2010: 338). Dass Trump nicht den üblichen parteiinternen Aufstiegsweg ging, war genausowenig wie bei Macron ein Nachteil; es erwies sich gerade im Wahlkampf zunächst als enormer Vorteil, dass er weit entfernt war von der blassen Profillosigkeit der meisten Berufspolitiker – der Preis, den etwa eine Hillary Clinton für diesen Sozialisationsprozess hat zahlen müssen. Der Kandidat Trump musste nicht erst »mit den starken Farben einer bedeutenden Persönlichkeit bemalt werden« (Luhmann 2010: 337) – er leuchtete schon bunt. Wie ist es ihm gelungen, die Partei zuletzt hinter sich zu versammeln und seine informale Macht auszubauen? Weil eine Bürokratie wie die
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GOP – genau wie jeder andere Sozialverband – auf einem individuelle Vorteile suchenden, Nachteile meidenden Kalkül beruht (Luhmann 2002a: 40ff.). Parteimitglieder sind aufeinander angewiesen. In diesem Sinne kann die Partei der Republikaner als ›Medium des Aufeinanderangewiesenseins‹ begriffen werden, das bestimmte strikte Kopplungen zulässt: Sanktionen entweder belohnender oder bestrafender Art. Dass Trump strenger bestraft als seine Vorgänger, ist bekannt: jede Illoyalität wird mit öffentlicher Ächtung vergolten. Wer ihm die strikte Gefolgschaft verweigert, hat nur die Möglichkeit des Rücktritts – weshalb deren Zahl unter ihm denn auch ungewöhnlich hoch ist – und muss zudem jederzeit damit rechnen, ›gefeuert‹ zu werden: sei es von ihm oder von den Wählern. Genau deshalb ist die Partei umgekehrt an ihn gebunden: die hohen Zustimmungswerte der republikanischen Wählerbasis lassen ihr keine andere Wahl. Trump hat sie an die Macht befördert – und er hat zudem ›geliefert‹: »from appointing judges to slashing taxes to gutting federal regulations, conservatives hail Trump for achieving what even Ronald Reagan could not« (Smith 2018a). Luhmann unterschied zwischen unterschiedlichen Einflussformen: 1. der Unsicherheitsabsorption, für die neue Verbündete wie die Partei-Autoritäten Lindsey Graham oder Mitch McConnell Sorge tragen – also Personen, von denen man annimmt, dass sie im Gegensatz zu Trump Gründe für ihr Verhalten anführen könnten, wobei Luhmann klarstellt, dass die Zuschreibung von Autorität »keine allzu scharfe Beleuchtung verträgt« (2002a: 42); allerdings haben sowohl Graham als auch McConnell ihre Fähigkeit, schlecht definierte Probleme in besser definierte zu überführen, bereits mehrfach unter Beweis gestellt; 2. dem Tausch, den Trump aus der Wirtschaft kennt: Loyalität wird positiv entgolten; 3. der spezifisch politischen Einflussform der Macht, wobei sich Trumps Machtosigkeit wie mehrfach erwähnt daran zeigt, dass seine Drohungen kaum je Wirkung zeigen, weshalb er zur Tat schreiten und sie faktisch ausführen, unliebsame Mitarbeiter öffentlich demütigen und/oder entlassen muss. Über das Kommunikationsgeschick, das Drohpotenzial der Macht sichtbar zu machen, ohne damit zu drohen, verfügt er im Gegensatz zu McConnell offenbar nicht. Insofern ist der »iron grip« (David Smith), den die Massenmedien beobachten, eine Schimäre. Trump ist genauso auf die Partei angewiesen wie die Partei auf ihn – aber sie hat nichts gegen Mystifikationen einzuwenden, die ihn gegenüber der Öffentlichkeit als starken Anführer und mächtigen Entscheider erscheinen lassen.
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Was bedeutet die Abhängigkeit der amerikanischen Politik, genauer: der Republikaner, von Trump? Zunächst einmal: Abhängigkeit von der Gesellschaft. Die GOP kann dankbar dafür sein, dass die USA eine Persönlichkeit wie ihn ausgebildet und zur Verfügung gestellt hatte – sie selbst war dazu nicht in der Lage. Gefährlich ist diese von Trump prozessierte Rollenverschmelzung durch Individualität, weil die politische Unterstützung hier auf dem Weg über unpolitische Motive gewonnen wird (vgl. Luhmann 2010: 340). Die Politik liefert sich damit einer unberechenbaren Umwelt aus, also Ereignissen, die sie weder antizipieren noch kontrollieren kann. Trump hat deutlich gemacht, was dabei herauskommt, wenn die Politik den Zufall einlädt, mitzumischen. In England hat die konservative Partei mit dem Brexit ähnliche Erfahrungen gemacht. Ähnlichkeit ist sich freund: dass Trump den Brexit gutheißt, lässt sich jenseits inhaltlicher Überschneidungen auch auf dieses Strukturmoment zurückführen.159 Beide sind ›gleicher Herkunft‹, verdanken ihre Karriere dieser Öffnung der Politik zur Umwelt hin, und teilen in dieser Hinsicht wesentliche Sozialisationserfahrungen. Im Falle Trumps ist evident, dass die GOP diese Personalentscheidung traf, um politische Unterstützung zu gewinnen, und daran ist nichts Ungewöhnliches, so ungewöhnlich ihr Kandidat auch war. Dasselbe gilt für Cameron, der sich im Gegensatz zur GOP allerdings verkalkuliert hatte. In den Worten Trumps: He didn’t get the mood of his country right. Wie sowohl Trump als auch der Brexit zeigen, gingen mit dem Verzicht auf die übliche Trennung von Unterstützung und Rekrutierung viele bisherige politische Entwicklungsgewinne verloren. Zwar konnte die Partei mit Trump die Wahl gewinnen. Der Preis war a) der Verlust der sozialen Generalisierung der Rollenbesetzung bzw. die Rückkehr askriptiver Bindungen bezüglich Rekrutierungsfragen, b) die Entdifferenzierung der Präsidentenrolle, sowie c) die Infragestellung der Differenz verschiedener gesellschaftlicher Aufstiegswege (vgl. Luhmann 2010: 419). Seit Trump können Problemlösungen in den Bereichen Sach- und Personalfragen im Weißen Haus nicht mehr unabhängig voneinander variiert werden. Die sachlichen Erfordernisse eines Amtes etwa spielen gegenüber den Trump’schen Familien- und Sympathieinteressen nur mehr eine untergeordnete Rolle. Trump verneint das für die Politik so wichtige Prinzip sozialer Distanz. Partikulare, freundschaftliche und familiäre Verpflichtungen sowie Gleichheit der Gesinnung entscheiden nun wieder darüber, ob jemand eine Rolle im System übernehmen darf. Damit werden die besonderen strukturellen Voraussetzungen, die für die hohe innere Varietät des politischen Systems verantwortlich sind, ein Stück weit sabotiert.
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Mildern lässt sich die Abhängigkeit der Politik von Personen nur, wenn die Politik die Persönlichkeitsgestaltung für ihre Zwecke selbst übernimmt. Nur das kann ihr relative Autonomie und Unfallsicherheit garantieren. Ein echtes Dilemma, denn es war exakt jene von der Partei erfolgreich kontrollierte Persönlichkeitsgestaltung, die letztlich zu Trump geführt hat. Die Wähler wollten keine von der Politik geformte Persönlichkeit, keinen weiteren »Avatar« (Bill Maher). Sondern ein authentisches, von den Lern- und Sozialisierungsprozessen des politischen Lebens unbeflecktes Individuum.
Der tiefe Staat Was in der Politik möglich ist, gilt nicht für die Verwaltung: die individuelle Persönlichkeit als Entscheidungsfaktor wird hier weitgehend eliminiert (vgl. Luhmann 2010: 427). Sally Yates verdankt es nicht so sehr ihrem Charisma, dass sie es so weit bringen konnte. Sondern ihrer Fähigkeit, bestimmte Zwecke zu verwirklichen, auf bestimmte Tatbestände in vorgezeichneter Weise zu reagieren. Das Gleiche trifft auf James Comey, Robert Mueller oder Brett Kavanaugh zu. Als Person hat Trump zwar einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Verwaltungsprogramme, zumindest sofern er als Person Konsens schaffen oder repräsentieren kann; beides zählt bekanntlich nicht zu seinen Stärken. Doch dieser Einfluss legitimiert noch kein verbindliches Entscheiden. Denn in den Stellen, die nach Maßgabe des politischen Programms verbindlich entschieden werden, wird die Person neutralisiert, da man ja voraussetzt, dass dieses Programm akzeptabel bzw. dem Publikum zumutbar ist und es nun nur noch darum geht, aufgrund dieses Programms die richtigen, also dazu passenden Entscheidungen zu treffen (vgl. Luhmann 2010: 430). In gleichliegenden Fällen müssen etwa Richterurteile einander gleichen, und genau das war hinsichtlich des Reisebanns lange Zeit der Fall. (Trumps Vorwürfe hinsichtlich der hier getroffenen legalen Entscheidungen als persönlich motiviert lassen sich daher ohne große Mühe empirisch widerlegen.) Wer mit dem Strom schwimmt, fällt nicht weiter auf, alle anderen müssen sich engagieren, werden zu Selbstdarstellungen gezwungen. Luhmann spricht von ›Motivdruck‹: Warum sollte man es riskieren, plötzlich aus dem Hintergrund hervorzutreten, persönlich sichtbar zu werden und sich der Gefahr auszusetzen, abgelehnt und lächerlich gemacht zu wer-
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den? Wer abweicht, trägt die Beweislast – als Person, denn abweichen wird wie erwähnt in der Regel persönlich zugerechnet (vgl. Luhmann 2010: 436). Das ist ganz im Sinne Trumps, der dieses Risiko nicht scheut, dem es im Gegenteil um genau diese Sichtbarkeit geht – und damit einen wunden Punkt der Verwaltung trifft, die bestrebt ist, Konflikte zu leugnen und durch Formeln und Freundlichkeiten zu überdecken (vgl. Luhmann 1999: 248, 390). Eine Meinungsdivergenz, wie sie sich zwischen Yates und Trump gezeigt hat, kann deshalb nicht formal legitim sein und bleiben. Das Schreiben von Yates an die Belegschaft des Justizministeriums, in dem sie darlegt, dass der Erlass nicht rechtmäßig sei, machte die Leugnung unmöglich. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung zwischen Trump und Jeff Sessions. Auf Trumps Hohn und Feindseligkeiten reagierte Sessions formal und distanziert, seiner Rolle gemäß; er leugnete den Konflikt nicht – das war nicht möglich, Trumps offene Aggressivität hatte dafür gesorgt, dass er sich nicht übersehen ließ –, sondern verwies auf die von ihm wahrgenommene Funktion. Man könnte sagen, er nahm die Möglichkeit wahr, sich ›aus seinem Handeln zurückzuziehen‹, persönliche Distanz mitzuteilen, als ein ›Herr-Präsident-ich-wünsche-nicht-dass-mir-Handlungenauf-persönliche-Eigenschaften-angerechnet-werden‹ (vgl. Luhmann 1999: 390). Trump unterlief diesen Anspruch nicht zuletzt dadurch, dass er ihn persönlich adressierte: »Jeff.« Indem er die für die Verwaltung typische Trennung von Person und Rolle nicht nur für sich, sondern auch für andere in Frage stellt, Yates und Mueller parteipolitische Motive unterstellt, Comey als ›Spinner‹ bezeichnet, Sessions’ ›Männlichkeit‹ infrage stellt und von ›Obama-Richtern‹ spricht, rührt er an dem Grundverständnis der Verwaltung, mehr noch, an eines ihrer Strukturprinzipien. Er kann das nur, weil diese Trennung natürlich praktisch nie vollends gelingt: »Auch Verwaltungen sind ja von Menschen betriebene Sozialsysteme mit einem Bedarf für gegenstrukturelle Leistungen.« (Luhmann 2010: 427) Doch im Prinzip sind die Modelle richtigen Entscheidens hier indifferent dagegen, welche Person ent scheidet.160 Trump kehrt die Anforderungen um: für ihn geht es nicht um die Fähigkeiten des Verwaltungspersonals, richtige, sondern für ihn günstige Entscheidungen zu treffen, sprich: Konsens und Unterstützung für sein politisches Programm zu aktivieren. Das erwartet er von »Jeff« und allen anderen. Trumps Attacken gegen die Verwaltungsbeamte Washingtons haben sich geschickt eine Negativbewertung zunutze gemacht, die seit jeher zur
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Grundorientierung der Wähler dazugehört. Hier zeigt sich erneut eine bemerkenswerte Parallele zur Frankfurter Schule. Adorno et al. weisen bereits in den 1950er Jahren im Anschluss an die Feststellung antipolitischer Gefühle der Bevölkerung gegenüber Politikern und Bürokraten darauf hin: »Nor should it be denied that a tremendously swollen bureaucratic apparatus, such as that which was necessitated by war conditions and which was, to a certain extent, safe from public criticism, develops unpleasant features, and that the machinery has an inbound tendency to entrench itself and to perpetuate itself for its own sake.« (Adorno et al. 1950: 693) Diese Kritik an den Auswüchsen der Bürokratie, der »verwaltungstechnischen Expansion« (Adorno 1973: 372) geht zwar von völlig anderen Vorstellungen aus, wenn man so will: einer ›Verschwörung‹ der instrumentellen Vernuft, doch die grundlegende Befürchtung ist dieselbe – dass sich die Verwaltung gegenüber Politik und Wirtschaft verselbständigt hat, dass es ein »Primat der Administration« (Adorno) gibt, Verfahrens- und Zuständigkeitsfragen die Kontrolle übernommen haben. Dem ›tiefen Staat‹ Trumps entspricht Adornos ›verwaltete Welt‹, in beiden Fällen haben wir es mit einer Anonymisierung von Herrschaft zu tun. Nur dass es Trump nicht um die Rettung des Subjekts, sondern um die Rettung der Herrschaft geht, genauer: des herrschenden Subjekts. Im Hinblick auf die Frage: »Brauchen wir so viel Verwaltung?« sind sich Trump und die Frankfurter Schule aber einig: Nein, brauchen wir nicht. Doch was lässt sich jenseits von Psychologie und Kapitalismuskritik im Bereich der Funktionen zu dieser Frage sagen? Kann man die Idee strukturell begründen, dass da etwas ›tiefer‹ sei als die demokratisch gewählte Regierung? Tatsächlich kann die Politik nicht die gleiche Komplexität des organisatorischen Aufbaus und der Entscheidungsprogramme gewinnen wie die Verwaltung (vgl. Luhmann 2010: 333). Die Zahl ihrer Handlungen ist weitaus geringer, auch wenn es in den einzelnen Parteien natürlich Tendenzen zur Bürokratisierung gibt. Der Unterschied ist der zwischen einer eher segmentären und einer eher funktionalen Differenzierung: hier gleichartige Teilsysteme, die die gleichen Ziele verfolgen, nämlich den Aufbau politischer Macht und der Einflussnahme auf die Verwaltung, dort die hochkomplexe, funktional differenzierte Verwaltung selbst. Insofern scheint der Terminus des ›tiefen Staates‹ eher die Einsicht der Politik auszudrücken, der Verwaltung in dieser Hinsicht unterlegen zu sein. In ihm kommt die nicht ganz unberechtigte Angst zum Ausdruck, dass die Vorverarbeitungsleistungen der politischen Organisationen die Autonomie der Politik infrage stellen könnten, anstatt ihr unter die Arme zu greifen. Denn über eine derart gesteigerte Kommunikationsleistung,
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wie sie hier zu finden ist, verfügt weder die Politik noch die Trump direkt unterstehende Verwaltung, die man als Weißes Haus kennt. Luhmann vermutet, dass das, was als Schutz des Bürgers vor der Verwaltung gedacht war, »längst zum Schutz der Verwaltung vor der Politik geworden« ist (Luhmann 2010: 389). Die Weisungsgewalt Trumps endet am Hinweis auf die ›ständige Rechtsprechung‹, die von ihm in Dekreten und Gesetzen adressierten Problemlagen werden in Rechtsverfahren ›eingefangen‹, um die von Trump angestrebte Allianz von Wählerinteressen und Politik zu verhindern. Doch so wenig ihm das gefallen mag, der nicht müde wird, immer wieder auf diese ›Mauer‹ hinzuweisen, an der sich seine Bemühungen brechen, den Wahlversprechen gerecht zu werden: nur dadurch, dass die Verwaltung sich auf Gesetze und Urteile stützt, anstatt auf Personen oder Parteien, kann sie sich den politischen Fluktuationen entziehen (Luhmann 2010: 389). Mit Luhmann lässt sich der ›tiefen Staat‹ als »künstlich gesteigerte und spezialisierte Notwendigkeit, beschäftigt zu sein« (Luhmann 2002a: 272) fassen. An die Stelle einer Verschwörungstheorie, die eine permanente, vom Wechsel der Regierungen unbeeindruckt durchregierende ›Schattenregierung‹ halluziniert, tritt ein Wachstumsproblem. Der Stellenhaushalt, so Luhmann, tendiere nun einmal zur Ergänzung und Erweiterung, und dieses kleinformatige Sichbeschäftigen sei schlicht nicht koordinierbar (vgl. Luhmann 2002a: 273). Das spricht gegen den von Trump propagierten Konspirationismus, der von genau dieser Steuerung und Koordination handelt; er ist unrealistisch, denn er gründet sich in einem Handlungsverständnis, das von Subjekten bzw. Personen ausgeht, von ›Drahtziehern‹, die gleichermaßen seine Politik unterminieren wie Google-Suchergebnisse beeinflussen. Deshalb muss man Vorschläge der Eingrenzung aber noch lange nicht zurückweisen. Die Abneigung des Publikums gegenüber Bürokratie und Verwaltung sowie dem Staat als Ganzem ist jedenfalls weder ein Zufall noch ein Irrtum, der sich durch »werbende Aufklärung« beheben ließe (vgl. Luhmann 2010: 386). Die Negativbewertung erfüllt außerdem durchaus eine positive Funktion, weil sie erleichtert und entlastet. Genau diese Funktion konnte der Kandidat Trump für seine Zwecke nutzen, wobei ihm entgegenkam, dass sie – typisch für derlei Stereotype – durch Logik nicht erreicht wird. Allerdings ist sein Erfolg auch ein Anzeichen dafür, dass sich die Umstände geändert haben könnten: das Negativbild entlastet nicht mehr, sondern wird als Belastung verbucht. Ging es der Politik bisher vor allem darum, der Bürokratie gegenüber einen modus agendi zu finden – auch wenn
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das, wie Luhmann formuliert, »in einer Atmosphäre der uninformierten Abneigung« geschah –, so hat sich diese Atmosphäre unter Trump geändert; das Negativ, das immer schon zur Grundorientierung des Publikums mit dazugehörte, wird von ihm verschärft und zugespitzt (vgl. Luhmann 2010: 388). Es geht nun nicht mehr darum, die Pubikumsrolle gegen das Durchsickern der negativen Ressentiments abzudichten – im Gegenteil, Trump befördert den Konflikt, heizt ihn an. An einer auf Arbeitsabläufe ausgerichteten Verständigung ist er nur noch begrenzt interessiert, was sich auch in seinem Umgang mit der Oppositionspartei und der bewusst herbeigeführten ›Regierungsstillegung‹ zeigt. Das allgemeine Negativbild der Institutionen, der politischen Bürokratie und der Politik selbst, und die Welt der unmittelbaren Erwartungen und Handlungen kommen bei ihm ein Stück weit zur Deckung. Die eigenen Beamten werden zu Gegnern stilisiert. Eine Sachbearbeiterin wie Sally Yates, die die politische Praxis genau kennt – und die, wie sich gezeigt hat, im Fall des Reisebanns die Schwierigkeiten der Umsetzung auch korrekt vorausgesagt hat –, wird genauso diffamiert wie der ehemalige FBI-Chef James Comey, der einstige Oberste Rechtsberater des Präsidenten, Jeff Sessions, oder Fed-Chef Jerome Powell. Das Mittel ist stets das gleiche: der Präsident zieht genau das in Zweifel, was die Beamten als Rechtfertigung ihrer Handlungen anführen, die Trennung von Person und Rolle. Normalerweise hat in Organisationen derjenige den burden of proof, der nach dem Persönlichen fragt, nach dem, was sich jenseits der Dienstzeit abspielt. Das hat sich mit dem Einzug Trumps in das Weiße Haus geändert – nicht das Persönliche, sondern die unpersönliche Rollenausführung bedarf nun der Rechtfertigung. Trump mobilisiert dern Teilnahmebereich der Person für den der Rolle – und umgekehrt. Mitunter scheint es gar, als akzeptiere er Handelnde ausschließlich als Personen. Die abstrakten Formen der Sicherheit, die sich in der Funktionsfähigkeit der Systeme und der individuellen Rollenmobilität finden, sind ihm nicht geheuer, weshalb er auf die elementaren Sicherheiten zurückgreift, die in den einfachen, personal verdichteten Handlungszusammenhängen der Vormoderne zuhause waren (vgl. Luhmann 2010: 164). Nicht einmal das Verdienst der politischen Karriere wird von ihm berücksichtigt – die einzige Ausnahme stellt ein Mechanismus dar, den er aus eigener Erfahrung kennt: die Effektübertragung (vgl. Luhmann 2010: 165). Entstammt die Person einem anderen System, hat sich etwa als Fernsehmoderator oder Geschäftsmann oder Schwiegersohn bewährt, qualifiziert sie das automatisch auch für die Politik. Ich hatte gesagt, dass ich vom Begriff des Niedergangs absehen will.
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Doch dass große Teile der Administration durch die Forderung, formale Zugehörigkeit und innere Anteilnahme in eins fallen zu lassen, nun unter erheblich erschwerten Bedingungen operieren, sollte deutlich geworden sein. Sozialordnung und Person lassen sich nicht ohne weiteres auf dasselbe Gleis setzen. Denn wenn Entscheidungen nicht mehr unabhängig von individuellen Personen getroffen werden können, kommt es bei der Entscheidungsfindung nur mehr darauf an, wer beteiligt ist. Zudem geht die durch interne Differenzierung gewonnene Elastizität ein Stück weit verloren. Situationsadäquates Handeln ist dann in Gefahr, mit persönlichen Grundeinstellungen in Konflikt zu geraten – eine Gefahr, die der Präsident seinen Mitarbeitern ständig selbst vor Augen führt. Man kann darüber spekulieren, ob es Trump womöglich auf die Schwächung der amerikanischen Regierung abgesehen hat. Dass es solche Spekulationen gibt, ist ein deutlicher Hinweis auf die Problematik seines Vorgehens. Es kann durchaus als anti-institutionell begriffen werden. Der ›Rückbau‹ unpersönlicher Routinen zugunsten persönlicher Handlungen hemmt ja nicht nur die Flüssigkeit der Abläufe, sondern torpediert auch die Legitimität der Entscheidungen selbst (vgl. Luhmann 2010: 96 ff.). Da diese die Vorbedingung jeder komplexen Entscheidungsorganisation ist, auf der »umfangreiche, indirekte, arbeitsteilige, ineinandergefügte und einander vorausssetzenden Prozesse der Entscheidungsfindung« (Luhmann 2010: 96) aufruhen, hat Trumps Verzicht mitunter dramatische Folgen, die man unter anderem im Zusammenhang mit dem Reisebann beobachten konnte. Legitimität unter Trump heißt, die fraglose Hinnahme bindender Entscheidungen erneut von persönlichen Motivationsstrukturen abhängig zu machen, und zwar von der Trump-Treue der Beteiligten. Man kann hier von der Entselbstverständlichung des institutionellen Handelns sprechen, es wird nicht mehr der Institution, der Norm, sondern dem Handelnden zugerechnet, als Ausdruck freier Entscheidung (für oder gegen Trump) betrachtet – und muss seitdem, zumindest dem Präsidenten gegenüber, auch so dargestellt und verantwortet werden. Damit geht eine enorme Einschränkung der Handungsspielräume der Beteiligten einher. Auch der Bereich, in dem das Weiße Haus Handeln steuern kann, ohne die »persönliche Ausdrucksgeschichte des Individuums« zu diskreditieren, schrumpft erheblich (vgl. Luhmann 1999: 390). Und nicht zuletzt wird die Freiheit des Einzelnen, sich mit mal dieser, mal jener Sicht zu identifizieren, eingeschränkt: wer für Trump arbeitet, muss etwas Bestimmtes sein. Man könnte ihm zugute halten, dass er damit die oft beklagte ›Entfremdung‹ rückgängig macht, die viele professionelle Rolleninhaber empfinden. Der Präsident ermöglicht ihnen, jede Gelegenheit zu einer Selbst-
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darstellung nutzen. Der Nachteil dieser Strategie ist nicht nur ihr kleines Format und ihre Trump-Bindung – die Selbstdarsteller laufen zudem Gefahr, bei neuartigen Verhaltensanforderungen ihr Gesicht zu verlieren (vgl. Luhmann 1999: 392; Luhmann macht auf eine dritte Strategie aufmerksam, die sich über die Nachteile von Unpersönlichkeit und Persönlichkeit erhebt, weil sie die Darstellungschancen der Person im Rahmen der formalen – unpersönlichen – Erwartungsstrukturen nutzt. Sie wird in Formvollendung von Lindsey Graham umgesetzt, der die ihm als Minister zur Verfügung stehenden ›Sachmittel‹ geschickt als Ausdrucksformen seiner Selbstdarstellung nutzt). Zusamenfassend lässt sich sagen, dass Trump versucht – mit wechselndem Erfolg –, die Unabhängigkeit der sozialen und politischen Ordnung von der Zustimmung des Einzelnen rückgängig zu machen. Genau diese Indifferenz gegen individuelle Motivation, gegen Zustimmung oder Ablehnung ist es, die mit dem Begriff der Geltung von Werten und Normen bezeichnet wird. Auf der Wertebene, der »letzterreichbaren Ebene der Erwartungsfestlegung«, gibt es keine ›Richtigkeitsfeststellungen‹ mehr, weil sich hier alles Handeln unter positive und negative Wertgesichtspunkte bringen lässt (vgl. Luhmann 1984: 433). Nur eine logische Rangordnung (1. Freiheit, 2. Profit, 3. Demokratie?) könnte hier Abhilfe schaffen. Der Wert der amerikanischen Erstheit erlaubt es Trump, sich mit seinen Parteigenossen über bestimmte Maßnahmen zu verständigen, er kann auf die Erwartung bauen, dass jeder im ›Team Trump‹ diesem Ausgangspunkt zustimmt. Gegen die Ideologisierung dieses Werts hat er zwar keine Einwände, er muss sich schließlich in ein Parteiprogramm übersetzen und gegen die Demokraten in Stellung bringen lassen. Doch auf der Rollenebene versucht er, die für die Moderne typische Erweiterung des Zweierschemas von faktischem Verhalten und normativen Regeln des Verhaltens (hier: Amerika- bzw. Trump-Treue) rückgängig zu machen – das rein Persönliche, Individuelle, das man aus der Rolle gleichsam ›herausgezogen‹ hatte, wird wieder in sie hineingestopft, die Differenz zur Rollenanforderung minimiert (vgl. Luhmann 1984: 435). Die Probleme, denen sich dieser Trump’sche ›Rollen-Rückbau‹ im Bereich der Politik gegenübersieht, haben mit den Komplexitätserfordernissen der modernen Gesellschaft zu tun, die auf diese Form der Differenzierung kaum verzichten kann. Dass sie im gleichen Moment den Erfolg der Person Trump möglich gemacht hat – weil sie »eine deutlich permissive Haltung gegenüber dem, was Individuen als ihre Person darstellen«, begünstigt (Luhmann 1984: 435) – ist eine schöne Pointe, bekräftigt diesen Umstand aber nur.
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Pro familia Die Verwandtschaft blieb über lange Zeit hinweg Grundlage des Zusammenlebens. Auf ihr basierte nicht nur der Anspruchs auf besondere Rücksichtnahmen und die Einfügung in eine gemeinsame Lebensordnung, sie erlaubte es auch, bestimmten Familien besondere Prominenz zuzuerkennen (vgl. Luhmann 2010: 58 f.). Auf Verwandtschaft basierende Systeme sind jedoch größenmäßig begrenzt – die Abstammungsverhältnisse müssen sich schließlich überblicken lassen. Erst die Trennung von Verwandtschaftssystem und politischer Ordnung war die Voraussetzung für die Weiterentwicklung in Richtung einer funktional-klaren, nicht-diffusen Struktur, innerhalb derer politische Herrschaft unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen stabilisiert werden konnte. Die Ernennung von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und seiner Tochter Ivanka zu senior advisors (Chefberatern) ändert an der Gültigkeit der Verhältnisse zunächst nichts.161 Trump hat das Amt des Präsidenten nicht geerbt, und er wird es auch nicht an Kushner, den »Chief White House Nepotism Beneficiary« (Stephen Colbert), weitergeben können. Aber dass Trump mit dieser Entscheidung ein Stück weit die funktionale politische Struktur diffundiert und für eine Vielzahl von Konflikten sorgt, ist evident. Die Diffusion wird schon in der ungewöhnlich langen Liste der für Kushner vorgesehenen Aufgaben deutlich, zu der nicht zuletzt die Friedensherstellung im Mittleren Osten gehört. »It is not unusual for powerful men to give their son-in-laws ›do-nothing-jobs‹«, kommentiert John Oliver die Personalie. »But leave it to Donald Trump, who can’t even get nepotism right to give his a ›do-everything-job.‹« (Zitiert nach Guerrasio 2017) Immerhin: Trump begründet die Ernennung Kushners nicht mit persönlichen Gefühlen, hält sich also zumindest hier an die Norm. Dass zu dieser ungewöhnlich langen Liste noch die Aufgabe hinzukam, »to overhaul the federal government«, wurde von Stephen Colbert ironisch begrüßt, schließlich tue eine solche Überprüfung angesichts der katastrophalen Zustände im Weißen Haus tatsächlich Not: »Somebody keeps putting totally unqualified people in charge of really important stuff.« (Zitiert nach Mazza 2017) Ein Umstand, der nicht nur für Belustigung sorgt: »Both Kushner and a lot of people close to this president have never seeped to really grasp what they lack in terms of their understanding of how things work in Washington, how diplomacy works, how foreign policy works […] so they charged forwards without consulting people who did know.« (Abby Phillip, zitiert nach King 2017)162
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Der Rückgriff auf Familienmitglieder ist dabei so unprofessionell wie natürlich, schließlich handelt es sich um die »most ancient form of social organization« (Fukuyama 2011). Doch auch die Rückkehr zu dieser alten Form der Kooperation hat ihren Preis. Er liegt im Verzicht auf ein konsistentes Ordnungsschema, in dem ein Moment das andere stützt (vgl. Luhmann 2010: 61). Kushner kann als eine Art ›Mini-Me‹ des Präsidenten gesehen werden, weil er wie dieser über den einzelnen Aufgabenbereichen thront; die speziellen Entscheidungsrollen mit bindenden Entscheidungskompetenzen werden in seiner Person vereint, wobei er allerdings wiederum auf spezielle Berater zugreifen kann. Das Resultat ist eine enorme Drosselung des Entscheidungstempos und damit vor allem ein Zeitverlust im Hinblick auf kritische Lagen, denn ohne Einholung seiner Zustimmung kann in diesen Bereichen nun nicht mehr gehandelt werden (vgl. Luhmann 2010: 62). Das Ausschalten der familiären Rollenbindung durch die Trennung von Arbeit und Familie wurde durch Kushners Ernennung zwar nicht rückgängig gemacht, aber anders als ein Beamter wie – sagen wir – Rod Rosenstein, dessen Statusstreben von gesellschaftlichen Aufstiegsbedingungen wie persönlichen Beziehungen zu den höchsten Kreisen oder Reichtum weitgehend unabhängig gemacht werden konnte, verdankt Kushner seinen Status politikexternen (systemexternen) Bedingungen (vgl. Luhmann 2010: 159). Dass seine Ernennung von den Verwaltungsbeamten Washingtons mit einigem Befremden zur Kenntnis genommen wurde, ist daher verständlich; es verstößt aber wiederum zunächst nicht gegen Gesetze, sondern nur gegen Erwartungen.163 Die Unpersönlichkeit, die für das Handlungsbild der Verwaltung im Weißen Haus bisher bestimmend war, wird von Trump korrigiert hinsichtlich einer Abhängigkeit von individuellen, als loyal erachteten Personen, und dadurch die Stetigkeit, Wiederholbarkeit und Zuverlässigkeit des Verwaltungshandelns erheblich minimiert. Hier lässt sich eine bemerkenswerte Parallele zu Entwicklungsländern konstatieren – auch hier ist Loyalität wichtiger als Talent. Das erweist sich vor allem im Hinblick auf die Entschärfung von Konflikten als eher nachteilig. Normalerweise trägt die interne Differenzierung des Weißen Hauses dazu bei. Durch sie werden die Konfliktlinien vielfach gebrochen, dadurch die Bildung durchgehender Fronten erschwert (vgl. Luhmann 1999: 241). Ein Abbau der Differenzierung dagegen wirkt in die entgegengesetzte Richtung, was dem Konfliktliebhaber Trump offenbar entgegenkommt. Stabil halten lässt sich die hohe innere Varietät des politischen Systems, lassen sich die besonderen strukturellen Voraussetzungen nur, wenn man
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sich in einem fort anstrengt – nicht einfach so, nicht von selbst (vgl. Luhmann 2010: 422). Dieses Bemühen lässt Trump vermissen, doch es scheint nicht nur Faulheit dahinterzustecken.164 Etliche Stellen – die Institutionalisierung von Rollen (wozu Luhmann ›im weiteren Sinne‹ auch Parlamentssitze, Regierungsämter und Richterrollen zählt, vgl. Luhmann 2010: 429) – einfach nicht zu besetzen, entspricht seinen Vorstellungen eines ›flachen Staates‹ bzw. einer schlanken Hierarchie.165 Die Vielzahl dieser Stellen – ihre ›Tiefe‹ – stellt ein Problem für ihn dar, weil die Personalentscheidungen hier normalerweise mittels spezifischer Sachkriterien rationalisiert werden. Trump kann diese Positionen, die zum Teil in der Verfassung vorgesehen sind, aber nicht einfach abschaffen; die Nichtbesetzung ist daher die naheliegendste und einfachste Lösung.166 Dabei nimmt ihm eine natürliche Begrenztheit in vielen Besetzungsfragen die Entscheidung ab: so viele Freunde und Verwandte, wie sie nötig wären, um die Stellen aufzufüllen und Neutralität zu neutralisieren, stehen ihm schlicht nicht zur Verfügung. Trumps Lösung dieses Problems trägt zusätzlich zur Ineffizienz der Regierung bei: die Vielzahl an ›acting‹, also vorläufigen Amtsinhabern (vgl. Eilperin, Dawsey und Kim 2019). Das damit verbundene Risiko nimmt er gern in Kauf: »The president has told others it makes the acting secretaries more ›responsive,‹, an administration official said.« (Eilperin, Dawsey und Kim 2019). Damit stimmen keineswegs alle Parteigenossen überein: » I do feel«, so etwa Senator Joni Ernst, »that in order to reassure allies and also push back our adversaries, it’s very important that we have a permanent secretary of defense.« (Zitiert nach Eilperin, Dawsey und Kim 2019) Wenn Jack Bryan mit seiner Einschätzung richtig liegt, kommt es dem russischen Agenten Trump auf genau diese Schwächung an. Ohnehin scheint der höchste Grad an Ordnung im Weißen Haus für ihn erreicht, wenn es nur noch einen einzigen Stelleninhaber gibt: ihn selbst.167 Der Vollständigkeit halber und um Missverständnisse zu vermeiden, sei hinzugefügt, dass die für funktionale Differenzierung übliche Institutionalisierung des unpersönlichen Arbeitsstils natürlich überhaupt nicht ausschließt, dass man in diese unpersönliche Arbeitsatmosphäre persönliche Beziehungen wieder einführt. Trump schätzt persönliche Beziehungen ja nicht ohne Grund: sie sind taktisch nützlich und lassen sich »zu einem wertvollen Arbeitskapital kumulieren« (vgl. Luhmann 2010: 162; vgl. auch 1984: 462 ff.). Luhmann stellt die Frage, die Trump für sich bejaht hat: ob die gesellschaftliche Ausdifferenzierung hier möglicherweise an ihre Grenzen stößt, ob die Institutionalisierung eines solchen, nicht an der Person orientierten Arbeitsethos überhaupt gelingen kann (vgl.
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Luhmann 2010: 162 f.). Aber dass die Kapazitität einer Verwaltung, wie sie das Weiße Haus darstellt, sich nur mittels einer solchen Isolierung der Rollen gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt steigern lässt, dürfte ein leuchten. Zwar sind die informellen Beziehungen bei der Arbeit heute wichtiger, als sie es in älteren, rigideren Berufen waren. Doch nach wie vor zeichnen sich diese persönlichen Beziehungen dadurch aus, dass sie nicht selbstverständlich sind, einen gleichsam gegenstrukturellen und insofern nicht formalen Charakter haben. Wer am Arbeitsplatz klatscht und tratscht, wer über Kollegen oder Parteikollegen herzieht, um aufgestauten Ärger loszuwerden, handelt deshalb aber keineswegs dysfunktional – im Gegenteil, hier kann man ausdrücken, was sich in formalen Situationen nicht äußern lässt, und schafft derart eine Art »Auffangbecken« (Luhmann). Steht dieses Becken nicht zur Verfügung, besteht die Gefahr, dass der Ärger sich andere Wege sucht, zum Beispiel in Form von Leaks. (Ich komme im nächsten Abschnitt ausführlich darauf zurück.) Die informale Situation dagegen kann die Organisation gleichsam nach außen hin abdichten. Sie erlaubt es, Formalien in einer lockeren Form zu prozessieren, sich freier und auch respektloser zu verhalten – und danach kehrt man zur Korrektheit des formalen Verhaltens zurück. Wir haben es mit einer Art ›Doppelmoral‹ zu tun, die beide Bereiche voneinander trennt, aber vom Mitglied auch eine gewisse Gewandtheit im Switchen von einer Situation zur anderen verlangt (vgl. Luhmann 1999: 49). Allerdings entfaltet diese zweite Moral ihre Wirkungen als Ausnahme. In kleinen Unternehmen – Familienbetrieben! – liegen formale und informale Verhaltensaspekte dagegen nach wie vor eng beieinander. Die meisten Situationen sind hier nicht klar definiert. Wir können von einem informalen Verhalten sprechen, das sich fortlaufend an der Möglichkeit formaler Situationsauffassung aussteuert (vgl. Luhmann 1999: 49). Im Weißen Haus lässt sich deutlich eine Tendenz zur Dissoziierung formaler und informaler Verhaltensweisen feststellen. Die Kommunikationsschranken, die normalerweise für die Trennung der informalen und formalen Situationen sorgen, fallen ein Stück weit weg, klare Situationsdefinitionen sind damit nicht mehr möglich.168 Ob bewusste Schwächung oder nicht, der für Institutionen typischen Legitimität des Entscheidens stehen unter Trump jedenfalls andere Verhaltenserwartungen gegenüber, die der Familie und eines ›Trump-mäßigen‹ Ehrenkodex, auf den ich im nächsten Abschnitt näher eingehe (vgl. Luhmann 2010: 99). Das Resultat sind die vielen Rollenkonflikte, die sich im Weißen Haus beobachten lassen. Denn was aus der Sicht Trumps gut
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und sinnvoll erscheint, stellt eine massive Belastung für alle Beteiligten dar, Jared Kushner und Ivanka Trump eingeschlossen. Nicht zuletzt fällt mit der Präferenz für Freunde und Verwandte auch die Idee der mit der persönlichen Unabhängigkeit verbundenen gefühlsmäßigen Neutralisierung des Verhaltens aus. Die Anforderungen an das Verhaltensgeschick eines Präsidenten sind enorm. Wer sie erfüllen will, rät Luhmann, sollte versuchen, formale wie informale Erwartungen emotional zu neutralisieren: »Dann kann jeder situationsadäquat handeln, ohne mit persönlichen Grundeinstellungen in Konflikt zu kommen.« (Luhmann 2010: 50) Das ist gerade gegenüber Familienmitgliedern aber natürlich nicht leicht. Die ›Familienpolitik‹ Trumps lässt sich wie folgt bilanzieren: auf der negativen Seite kann die bisher erreichte Systemkomplexität des Weißen Hauses als Verlust verbucht werden; auf der Habenseite steht die gelungene gefühlsmäßige Integration Jared Kushners und Ivanka Trumps in ihre Arbeitswelt, also etwas, wovon gewöhnliche – nicht mit Trump verwandte – Arbeitnehmer nur träumen können.169
Leaks Eine formale Organisation wie das Weiße Haus bemüht sich in der Regel um eine geschlossene, konfliktfreie Darstellung nach außen. Doch die Darstellungsdisziplin der Trump-Regierung erwies sich in dieser Hinsicht von Anfang an als mangelhaft. Offenbar sind viele Mitarbeiter nicht bereit, kollegial zu handeln; so wurden zunächst ungewöhnlich viele Informationen geleakt, die nicht nur Trump entlarvten – man denke an seinen Geheimnisverrat gegenüber der russischen Delegation –, sondern das gesamte Weiße Haus.170 Die gemeinsame Prätention, dass die Regierungsmitarbeiter sich gegenseitig Deckung geben und als ein Team agieren, wurde durch die Leaks effektiv zerstört (vgl. Luhmann 1999: 316). Stattdessen vermittelte man der Öffentlichkeit ein anderes Bild – vorsichtig formuliert: ein uneinheitliches. Natürlich kann man die Frage stellen, was die Leaker antreibt: Moral, Häme, Boshaftigkeit, gar Vaterlandsliebe? Ein großer Teil der Motivation dürfte Trumps Bevorzugung von Familienmitgliedern und Freunden bei der Stellenbesetzung geschuldet sein, die am Fundament der Kollegialität rühren. Cassidy vermutet: »By deliberately creating a factionalized, dog-eat-dog culture inside the White House, one that mimics how
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he ran his business and the premise of his reality-television show, Trump has turned the people who work for him into White House versions of the prisoners in Tucker’s story.« (Cassidy 2018, der auf die berühmte Anekdote des Mathematikers Albert Tucker anspielt, der damit eine zentrale Idee der Spieltheorie anschaulich machen wollte.) Doch ihre Motive sind mir nicht zugänglich. Ich will mich deshalb im Folgenden auf das strukturelle Moment der fehlenden Kollegialität konzentrieren, das die Massenme dien gegen den in der Regierung Obama prozessierten ›Team spirit‹ ausspielen: »In the White House under both Obama and Clinton, team spirit was strong enough for mutual denial to be the rule.« (Cassidy 2018) Da dieses Moment – also das Wahrnehmen der kollegialen Pflicht, sich gegenseitig zu schützen – nur für bestimmte Personen gilt, nicht aber für das gesamte Weiße Haus, ist hier eine weitere Funktionsregression zu beob achten. Machtausübung beruht auf unterschiedlich strukturierten Vermeidungsalternativen (vgl. Luhmann 1975: 22). Wie erwähnt zieht auch Machthaber Trump es vor, zu bellen. Der Unterschied ist, dass der Machtunterworfene seine Alternative – sei es die des physischen Kampfes, sei es die einer Entlassung – eher vermeiden möchte als der Machthaber (vgl. Luhmann 1975: 22). Dass »a lot of them are afraid to come and talk«, so Trump gegenüber Woodward, spricht für seine Macht im Weißen Haus. Wer Angst hat, so die Idee, tut ›wie ihm geheißen‹. Doch Angst wäre gar nicht nötig, die Beteiligten könnten auch ohne sie tun, wie ihnen geheißen, solange für sie nur die Vermeidungsalternativen erkennbar sind (vgl. Luhmann 1975: 22). Trumps Androhung scharfer Sanktionen gegenüber den Leakern zeigen nicht nur seine Machtlosigkeit, sondern vor allem, dass der Normalweg der informalen Missbilligung, die solche Entgleisungen in der Regel zu verhindern weiß, blockiert ist – dieses Ventil steht im Weißen Haus offenbar nicht zur Verfügung, weshalb der Ärger auf andere Weise abfließt. Trumps Gegenmaßnahmen sehen vor, noch mehr Misstrauen zu säen, um die Verräter in den eigenen Reihen ausfindig zu machen (vgl. Cranley 2108b).171 Hinzu kommt, dass der Präsident selbst fortwährend mangelnden Teamgeist demonstriert: »But, of course, teamwork is anathema to Trump, who is himself addicted to leaking. In conversations with his cronies, which take place on a regular basis, he routinely bad-mouths certain officials, and the cronies then tell journalists – on a non-attributable basis, of course – that Person X or Person Y has fallen out of favor. That helps explain why there are so many stories about who’s up and who’s down, so many personnel changes, and so many leaks.« (Cassidy 2018) Die NDAs, die Trumps Mit-
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arbeiter unterzeichnen müssen, sind ein Ausdruck seines Misstrauens – er rechnet nicht mit Loyalität, aus was für Gründen auch immer. Dass sie ›not enforceable‹ sind, scheint ihm nicht so wichtig zu sein, für ihn zählt vor allem die in schriftlicher Form manifestierte Androhung juristischer Folgen, also das Moment der Einschüchterung. Ich ersetze den Begriff des ›team spirit‹, der eine Art moralische Verpflichtung im Sinne amerikanischer Community-Ideale essentialisiert, im Folgenden durch den des kollegialen Drucks (vgl. Luhmann 1999: 316). Es ist dieser Druck, der dem Weißen Haus Trumps fehlt, nicht eine rigidere Disziplinarordnung. Nicht jeder ist zu der kompromisslosen Loyalität bereit, die im internen Zirkel der Clique Trumps lange Zeit für den Zusammenhalt sorgte und in Michael Cohens wunderbar pathetischem Bekenntnis zu seinem Arbeitgeber ihren Ausdruck fand: »I’m the guy who stops the leaks. I’m the guy who protects the president and the family. I’m the guy who would take a bullet for the president […]« (zitiert nach Fox 2017). Mehr Loyalität kann man kaum verlangen. Doch eine Gefängnisstrafe zu riskieren um der guten Außendarstellung willen, dazu sind bekanntlich nur die wenigsten bereit. Ganz abgesehen vom Problem der Leaks können formale Erwartungen wie die einer geschlossenen Außendarstellung generell nur so lange aufrechterhalten werden, wie es äußere Gründe dafür gibt (vgl. Luhmann 1999: 316). Sobald die Journalisten den Raum verlassen haben, sobald der Präsident sich entfernt, tritt in der Regel die erwähnte informale Ordnung in Kraft, die es erlaubt, über die Darstellungen zu sprechen, an denen man vorher mitgewirkt hat. Und hier ist ein zynischer Jargon, der an die Stelle der bürokratischen Fachsprache tritt, durchaus die Regel. Gerade in der Situation, in der sich Trump befindet – und zwar vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an –, also unter erheblichem Druck von der Umwelt stehend, namentlich der von den Massenmedien dominierten Öffentlichkeit, ist das kollegiale Gespräch von großer Bedeutung. Es kann auch helfen, die Spannung zwischen dem Ideal der Außendarstellung, den gesellschaftlichen Erwartungen und der Realität der Kommunikation im Weißen Haus erträglicher zu machen (vgl. Luhmann 1999: 317). Ein gutes Arbeitsklima scheint im Hause Trump aber nicht zu herrschen – was fatal ist, weil es den Mitarbeitern erlauben würde, die Ansprüche der Außenwelt und die formalen Verhaltensregeln nicht nur kritisch, sondern auch gelassen zu sehen. Es ist diese – an die Möglichkeit des Kritisierens geknüpfte – Gelassenheit, die nicht gegeben ist; vermutlich nicht einmal im ›inneren Zirkel‹ Trumps (meine Vermutung ist, dass Bannon zu dieser Kritik in der Lage war). Doch da sie sich der eindeutigen Lenkbarkeit
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von oben entzieht – und genau hierin besteht ihre Leistungsfähigkeit (vgl. Luhmann 1999: 317) – bringt Trump einer entspannten, kollegialen Atmosphäre nur wenig Vertrauen entgegen: »Trump is a big – BIG – believer in the chain of command. He’s on the top. Everyone who works for him does what he says. Or they get fired. It’s one of the reasons Trump has struggled so badly to adjust to the presidency.« (Cillizza 2018d. Auf die Auswirkungen dieser Herrschaftsvorstellungen im Hinblick auf die gesellschaftlichen Teilbereiche Recht, Wirtschaft, Massenmedien und Wissenschaft komme ich in den folgenden Kapiteln zu sprechen. In den Worten Cillizzas: »He doesn’t seem to understand, for instance, that while the Justice Department is part of the federal government, the attorney general shouldn’t be taking his daily marching orders from the President.«) Dabei hat der Präsident von dieser Seite eigentlich wenig zu befürchten: interne Witzeleien über Trumps Führungsstil oder seine Rechtschreibfehler können der formalen Praxis nicht gefährlich werden. Im Gegenteil, sie wirken eher als Bestätigung. Trump ist und bleibt der Präsident – nur unter dieser Voraussetzung machen derlei Respektlosigkeiten oder »Ventilsitten« (Parsons) ja Sinn (vgl. Luhmann 1984: 462). Gerade wenn die Hierarchie derart scharf seligiert, wie es im Weißen Haus unter Trump der Fall ist, wäre informale Kommunikation in der Lage, dies einerseits zum Ausdruck zu bringen, und andererseits im gleichen Moment die Hierarchie selektion zu bestätigen. Da dieser Latenzbereich aber nur in eingeschränkter Form zur Verfügung steht, da sich die offizielle Struktur nur begrenzt in andere Möglichkeiten auflösen kann, bleibt den gewöhnlichen Mitarbeitern nur das ›Leaken‹ – und den Trump-Vertrauten der Rückzug in eine besonders informelle Informalität, der ich mich im nächsten Abschnitt zuwenden will: die der Clique. Das heißt natürlich nicht, dass es im Weißen Haus keinerlei informalen Meinungsaustausch gibt. Das wird etwa daran sichtbar, dass Trump die Zulassung von Schwarzen im Kollegenkreis des Weißen Hauses nicht proaktiv fördert – ein Umstand, den sich seine ehemalige Mitarbeiterin Omarosa Manigault Newman für Formen der Selbstdarstellung zunutze machte: »But her comments about an absence of people of color in the White House tapped into an issue that has clouded Trump’s administration, which produced a cabinet more male and white than any of Trump’s four predecessors.« (Siddiqui 2017) »Niggers in the White House«, um auf das Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Schmähgedicht zu referieren, sind offenbar nicht im Sinne der Trump-Administration – schließlich kann ein Schwarzer sich nicht ohne Weiteres zu einem rassistisch gesonnenen weißen Kollegen setzen und mit ihm zwanglos und »aus gemütlicher Di-
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stanz« (Luhmann) über »the removal of our beautiful Confederate statues and monuments from public spaces« plaudern (vgl. Zorthian 2017).172 Es ist nicht leicht, einer solchen rassistischen Vertrauenserwartung des Präsidenten offen entgegenzutreten, wenn man zu seinen Untergebenen gehört. Soziale Abhängigkeiten am Arbeitsplatz lassen eine Kommunikation über einklagbare Rechte oft nicht zu (vgl. Luhmann 1995a: 159). Der Vorwurf an Comey, er hätte seine Bedenken früher mitteilen müssen, ist von daher naiv, genauso wie die Behauptung eines Senatsmitglieds, dass er ein »I hope« des Chefs nicht als Weisung hätte auffassen müssen. Comeys Verteidigungsstrategie zielt auf diese Abhängigkeit: »I don’t want to make [it] sound like I’m captain courageous. [I] didn’t know whether [I] should have said to the president, ›sir, that’s wrong […]. In the moment it didn’t come to my mind. What came to my mind is be careful what you say, so I said Flynn is a good guy.« (Comey, zitiert nach Rolley 2017) Comeys Antwort hätte auch lauten können: »I couldn’t really see a stimulus or a cultural norm, but I could certainly hear myself say things like ›Well, I know I should do what the boss says but, well, I don’t know […]‹« (Becker 1988: 16). Deshalb ist der Vorwurf, er hätte sich Trump gegenüber sofort auf die formale Regel berufen müssen, kaum gerechtfertigt. Der strategische Wert von Regeln liegt ja nicht darin, sie unbedingt exakt zu befolgen, »sondern darin, daß sie bestimmten Personen oder Positionen die Möglichkeit zuspielen, über Befolgung oder Nichtbefolgung […] zu entscheiden […] und sich durch welche Entscheidung auch immer Vorteile zu sichern« (Luhmann 1999: 310). Auf solchen Entscheidungen baut ein Großteil der informalen Organisation auf. Und dass Personen von höherem Status erfolgreich Toleranz für ungewöhnliches, abweichendes Verhalten erwarten können, ist ebenfalls bekannt. Den Presseprecher kann eine rassistische oder sexistische Bemerkung schnell seinen Job kosten, doch der Präsident der USA genießt einen ungleich höheren Abweichungskredit, was sich für Trump bislang als günstig erwiesen hat. Allerdings nehmen alle Mitarbeiter einer Organisation diesen Kredit, der die Zusammenführung des institiutionell Getrennten vorsieht, bis zu einem gewissen Grad für sich in Anspruch. Es käme ansonsten schon aufgrund von Bagatellen zu Kündigungen (vgl. Luhmann 1999: 313). Die Frage, ob James Comey sich auf die Regel hätte berufen sollen, stellte sich für ihn in einer immer schon strukturierten Situation. Ein: »Sie hoffen vergeblich« lag genausowenig nahe wie der Hinweis auf die Unangemessenheit der Bitte. Dem Präsidenten stattdessen – im Moment der Lüge – seine zukünftige Ehrlichkeit zuzusichern, war zwar nicht ungeschickt, aber offenkundig auch nicht ausreichend. »Honest loyalty« ist
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Trump nicht Loyalität genug. In jedem Fall war weder sein noch Comeys Verhalten zufällig, nur bewegten sie sich in unterschiedlichen sozialen Ordnungen (oder, wie die Massenmedien zu formulieren belieben, »incompatible moral universes«; Beinart 2017). Hier scheint sich der Verzicht Trumps auf eine professionelle Ethik zu rächen, denn diese sichert nicht nur die Grenzen des Mitteilbaren, sondern auch die grundsätzliche Gefahr einer unkontrollierten, ›wilden‹ Konkurrenz (vgl. Luhmann 1999: 319). Da im Weißen Haus starke – von familiären etc. Überlegungen dominierte – Konkurrenzsituationen vorherrschen, ist das Vertrauen in die Loyalität und Diskretion der Kollegen eher gering. Freimütigen Gedankenaustausch kann es in einem solchen »Team of Vipers« (Sims 2019) nicht geben. Auch andere berufsethische Normen, die das Konkurrenzverhalten einschränken, sind in Trumps Weißem Haus nur schwach ausgeprägt, etwa hinsichtlich des Verhaltens ihm selbst gegenüber. Der Präsident ist bekannt dafür, sich von Außenstehenden emotional einfangen zu lassen; sich bei ihm einzuschmeicheln und/oder ihm gegenüber anzugeben, scheinen keine Tabus zu sein, im Gegenteil (vgl. Luhmann 1999: 319), genauso wenig wie das Anschwärzen anderer. Trump selbst mischt hier an vorderster Front mit: »[Trump] said, ›She is Ditzy DeVos, what do you expect? In a very short period of time, I will get rid of her. Believe me, believe me.‹« (Zitiert nach Haltiwanger 2018b) Die Möglichkeit der Gleichbehandlung, die wesentlich zum kollegialen Stil dazugehört, entfällt im – von festen Statusunterschieden und Bevorzugung geprägten – Weißen Haus unter Trump weitgehend (vgl. Luhmann 1999: 319). Gleichbehandlung ist nicht in seinem Sinn, auch wenn die Institutionalisierung kollegialen Verhaltens durchaus der formalen Autoritätshierarchie dient – aber eben nicht unmittelbar, nicht direkt (vgl. Luhmann 1999: 320). Trump nutzt diese Ressource, dieses Korrelat zum formalen Prinzip ›monokratischer Leistung‹ deshalb nur in geringem Maße. Das starke Motiv der Kameradschaft, das eine überzeugende Außendarstellung sicherstellen und das Weiße Haus effektiver als Pflicht oder Patriotismus vor selbständigen Außenhandlungen (Leaks, Buchveröffentlichungen, TV-Interviews) schützen könnte, kommt so kaum zum Tragen.173 Genauso wenig wie ein psychologischer Nebeneffekt von Kollegialität, denn diese dient nicht zuletzt der Selbstachtung der Mitglieder, da sie gleichermaßen Distanzierung wie Sanktifizierung ermöglicht: eine Erhöhung der eigenen Ziele, die Einstellungen mit moralischer Legitimität versieht (vgl. Luhmann 1999: 321). Stattdessen nehmen manche Mitarbeiter des Weißen Hauses die Sanktifizierung gegen ihren Chef in Anspruch: »We want the administration to succeed and think that many of its poli-
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cies have already made America safer and more prosperous. But we believe our first duty is to this country, and the president continues to act in a manner that is detrimental to the health of our republic.« (Anonym, zitiert nach Cillizza 2018a) Wie anhand des Zitats deutlich wird, kann Sanktifizierung den Sinn der Arbeit so definieren, dass selbst routinemäßige Handlungen einen gewissen Wert bekommen, etwa indem man sie mit Widerstandspotenzial auflädt; und gerade die Routine ist es ja, die Trump ein Stück weit sabotiert, sie besitzt für ihn also schon von sich aus Merkmale der resistance. Distanzierung würde es erlauben, diesen Widerstandssinn aus einem gewissen Abstand heraus zu betrachten. Doch Trump ist nicht auf Distanz aus, er fordert die bedingungslose Gefolgschaft; ein Wert, der heute nur noch begrenzt zustimmungsfähig ist.
Cliquenpolitik James Comey hatte Trump mit einem Mafiaboss verglichen. Wir müssen nicht so weit gehen, mag der Sonderermittler sich auch bestimmter Verfahren bedienen, die bisher vor allem im Bereich des organisierten Verbre chens zum Zuge kamen (vgl. Nelles 2018), oder der Präsident eine Sprache benutzen, die man eher der ›Unterwelt‹ zuordnet (vgl. Mazza 2018). Aber dass sich der Begriff der Kollegialität allein offenbar nicht eignet, um das Geschehen im Weißen Haus zu beschreiben, ist offenkundig. Weder agiert der Präsident kollegial, noch scheinen seine Untergebenen Vertrauen in die Aufführungsdisziplin und Loyalität ihrer Kollegen zu haben (und schon gar nicht in die des Präsidenten). Nicht allein die vielen Personalwechsel oder die NDAs, auch die vielen Leaks deuten darauf hin. Trump hat recht, das muss nicht ›Chaos‹ bedeuten (vgl. Lucey 2017). Es bedeutet, dass viele der vom Präsidenten und seinem Team prozessierten Normabweichungen offenbar nicht durch die Mitgliedsrolle gedeckt sind. Trump scheint zwar das Risiko zu lieben, ist aber schlau genug, sich in großer Runde nicht als Rassist zu exponieren – weshalb er die kleine sucht, einen inner circle.174 Ich will diese kleine Gruppe besonderer Vertrauter, in der es nicht mehr darauf abkommt, den Anschein formaler Korrektheit zu wahren, die Trump-Clique nennen (vgl. Luhmann 1999: 324). Cliquen werden immer dann relevant, wenn Personen sich a) persönlich exponieren, und b) von der formalen Norm abweichen, also ein gewisses Risiko eingehen (vgl. Luhmann 1999: 324). Unterstützung für ihr Ver-
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halten finden sie dann zwar weiterhin unter den Kollegen – aber eben nicht mehr unter allen. Sie bilden sich immer dort, »wo das Verhältnis zur formalen Organisation besonders distanziert und problematisch wird, wo man nicht mehr unbefangen und unmittelbar nach der Berufsnorm lebt, sondern sie aus einem gewissen Abstand sieht« (Luhmann 1999: 324). Es ist wenig überraschend, dass man in Trumps Weißem Haus auf massive Cliquenbildung stößt, schließlich steht der gegenwärtige Präsident gleichermaßen in einem gebrochenen Verhältnis zur herrschenden Ordnung der Politik wie zur Berufsnorm des Politikers. Doch während all das noch darstellbar ist, gilt das nicht für sein Verhältnis zum Gesetz. In der Clique dagegen findet die problematische Legitimität vieler seiner Handlungen und der seiner Mitarbeiter Unterstützung. Deren interne Normen lassen sich nicht formalisieren, da es in formalen Organisationen wie dem Weißen Haus nur eine konsistente formale Ordnung gibt – informalisieren aber schon (vgl. Luhmann 1999: 330). Der Grund dafür, warum das Handeln der Trump-Getreuen immer wieder an die Grenzen der Peripherie gerät, ist der Chef selbst – er scheint ein gewisses Maß an Illegalität geichsam einzufordern, und ist deshalb auf den Cliquenkonsens angewiesen: »The root of the problem is the president’s amorality. Anyone who works with him knows he is not moored to any discernible first principles that guide his decision making.« (Anonymous 2018) In der Trump-Clique lassen sich viele, als menschenverachtend eingestufte Dinge erstens sagen und zweitens dafür Unterstützer finden. Man könnte die Phrase vom locker room talk aufgreifen. Kelly Sadlers Bemerkung über den krebskranken John McCain – »He’s dying anyway« (vgl. Rucker 2018) – ist Trump-Cliquen-Talk. Sie kann als Solidaritätsbeweis begriffen werden, mehr noch: als »eine Art Stilzwang« (Luhmann). In der TrumpClique musss niemand befürchten, für solche menschenverachtenden Äußerungen belangt zu werden, was eine enorme psychologische Entlastung darstellt. Die dominierende gesellschaftliche – und vor allem die politischprofessionelle – Wertstruktur kann in diesem Zirkel offensiver abgewertet werden als unter Kollegen oder in der Öffentlichkeit. Ein zynischer Kommentar wie der über McCains baldiges Ableben trifft hier auf verständnisvolle Zuhörern; die Sache (McCains Aufforderung an den Senat, Gina Haspels Nominierung als CIA-Direktor zurückzuweisen) und die ablehnende Haltung gegenüber der Person McCains kommen wie selbstverständlich zusammen. Das Klima im Weißen Haus lässt solche Äußerungen zu. Sadlers ›Fehler‹ war es, bei dem entsprechenden Meeting auf den sozialen Konsens zu hoffen, mit dem sie in der Trump-Clique rechnen kann –
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vermutlich war sie auch ein Stück weit versucht, ihre kühle Sicht der Dinge zur Schau zu stellen (der erste Teil des Satzes steht dafür ein: It doesn’t matter). Doch da Cliquen keine scharfen Grenzen der Mitgliedschaft besitzen, ist es nicht immer leicht, die Zugehörigkeit festzustellen. Es mag sein, dass die Leaker des Kommentars nur in ›verdünnter Weise‹ teilgenommen haben; eindeutige Mitgliedschaftskriterien gibt es nicht, weshalb man Sadler – zumindest aus der Sicht Trumps – keinen Vorwurf machen kann. Die offizielle Stellungnahme des Weißen Hauses zum Tod McCains lautet: »We respect Senator McCain’s service to our nation and he and his family are in our prayers during this difficult time.« (Zitiert nach Neumann and Brown 2018) Die Anpassung an die Umwelt – und sei es durch einen im Telegrammstil kommunizierten und dadurch fast schon karikierten Konformismus – verdeutlicht den Unterschied. Diese Anpassung ist in der Clique nicht nötig. Zwar wurde Sadler etwa einen Monat später aufgrund des enormen öffentlichen Drucks hin entlassen, aber eine offizielle Entschuldigung des Weißen Hauses ist bis heute nicht erfolgt. Stattdessen kritisierte das Weiße Haus den Umstand, dass die Äußerung nach außen gelangen, also den inneren Zirkel verlassen konnte – ein deutlicher, wenngleich wenig überraschender Hinweis darauf, dass Sadlers Äußerung intern konsensfähig ist, und ein Signal an die anderen Mitglieder der Clique, dass sie sich als solche zu bewähren haben. Die Anforderungen sind nicht besonders hoch. Sadler führt sie vor: Zustimmung zu den Negativbildern, hin und wieder Informationen beitragen (in diesem Fall: McCains Krankheitszustand), nichts nach außen dringen lassen – und in der Lage sein, in formalen Kontexten die wahren Auffassungen zurückzuhalten (vgl. Luhmann 1999: 326). Jede Clique schart sich um einen speziellen Bedarf an illegalen Handlungen und Ausdrucksmöglichkeiten. Luhmann hat darauf hingewiesen, dass manche nur dem Zweck dienen, ihren Mitgliedern unter problematischen Beziehungen die Selbstachtung zu erhalten (vgl. Luhmann 1999: 325). Das gilt nicht zuletzt für den Präsidenten selbst, der als Neuling und Außenseiter einem enormen Druck ausgesetzt ist und das hohe Anspruchsniveau, das mit der Rolle des Präsidenten verbunden ist, nur mühsam zu bewältigen weiß. Seine Clique gibt ihm Halt. Sie verhilft Trump zur Flucht aus seiner menschlichen Isolation (vgl. Luhmann 1999: 326). Und es könnte sein, dass die Cliquenmitglieder genau diese Isolierung und Überforderung sehen – wenn man so will: wie Trump leidet – und deshalb bemüht sind, seinen Loyalitätserwartungen zu entsprechen, was wiederum sie selbst überfordert. Luhmann hat auf einen besonderen Aspekt der Cliquenbildung hinge-
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wiesen, die im Zusammenhang mit Sadlers Bemerkung relevant ist: die Fähigkeit der Trump-Clique, die Moral im Weißen Haus zu untergraben (vgl. Luhmann 1999: 326). Denn der ständige Austausch unter Gleichgesinnten sorgt nicht nur dafür, dass sich innere Überzeugungen festigen (was im Hinblick auf die sozialen Medien als Echokammer-Effekt diskutiert wird), er macht den Mitgliedern auch die Artifizialität dessen bewusst, was als formaler Konsens gilt. Schließlich lässt sich in der Clique ein ganz anderer Konsens leben. Da ich über genaue Binnenkenntnisse nicht verfüge, kann ich über den Typus der Trump-Cliquenwirtschaft an dieser Stelle nur spekulieren. Vermutlich handelt es sich um eine Mischung, in der zwei unterschiedliche Funktionen zusammenkommen: einen Bastard aus strategischer und ›Versager-Clique‹ (vgl. Luhmann 1999: 327). In der Versager-Clique suchen Unzufriedene Halt, den ihnen die erfolgreichen Kollegen nicht gewähren können (vgl. Luhmann 1999: 327). Trump ist zwar Präsident, muss aber enorm viel Häme ertragen, ähnlich wie viele seiner Mitarbeiter (vor allem seine Pressesprecher, die mehr als andere Mitarbeiter öffentlich im Mittelpunkt stehen); in den Augen der Massenmedien ist er ein schlechter Präsident, der den offiziellen Anforderung der Rolle nicht gerecht wird, genau wie Sarah Huckabee-Sanders, die als »professional bullshit artist« verhöhnt und mehrfach der Lüge bezichtigt wurde (vgl. R. Schwartz 2018). Da beide – in den Augen der Massenmedien – laufend vor dem enorm hohen Anspruchsniveau ihrer Ämter scheitern, erlaubt ihnen der Anschluss an die kleine Gruppe der verhöhnten, lächerlich gemachten Trump-Mitarbeiter, ihre Selbstachtung zu erhalten. Im gleichen Moment kann die Trump-Clique sich aber auch in ihren persönlichen Interessen unterstützen, gerade im Hinblick auf Bedürfnisse, die mit den Mitteln der formalen Organisation nicht befriedigt werden können – Karriereinteressen, »Interessen an Arbeitserleichterungen, Nebeneinkünften und Prestigesymbolen« – und ganz allgemein das Bedürfnis, die eigene Machtposition auszubauen (vgl. Luhmann 1999: 327). Dass die Mitglieder der Trump-Clique im Weißen Haus – durchaus in ›aufrichtiger Überzeugung‹, genau wie ihre internen Gegner – eine bestimmte Politik verfolgen, die etwa eine Lockerung der Fesseln bürokratischer, rechtlicher und finanzieller Kontrollen vorsieht, ist bekannt; dass sie sich damit aber teilweise aus der etablierten formalen Ordnung herausbewegen, ist erst seit der Sonderermittlung ein Thema. Der Unterschied ist, dass die Versager-Cliquen Informationen vor allem zur Bestätigung ihres Weltbildes benutzen, während die strategischen Cliquen sie als Handlungsgrundlage nutzen (vgl. Luhmann 1999: 329).
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Die Trump-Clique kann als Gegenbild der formalen Organisation im Weißen Haus begriffen werden: es handelt sich um eine soziale Einheit, die daran gehindert wird, sich zu formalisieren – und an der sich studieren lässt, was genau Formalisierung eigentlich bewirkt, wenn man so will: um das ›Schwarze Haus‹. Seine Ordnung nimmt in der persönlichen Achtung Form an, die Trump etwa einem Paul Manafort zuteil werden lässt. Der Zweck: bestimmte Leistungen (nicht zu ›singen‹/not to break) zu motivieren, die formal nicht organisiert werden können. Dieser gegenseitige Beistand ist Sinn und Zweck der Cliquen-Zugehörigkeit, gerade auch im Konfliktfall. Trump signalisiert seinem ehemaligen Wahlkampfmanager, dass er mit dessen Performance im Prozess überaus zufrieden ist und er deshalb mit einer Begnadigung rechnen kann – genau diese Disziplin und Zuverlässigkeit des cliquentypischen Verhaltens hat Michael Cohen zuletzt vermissen lassen, und seine Konversion ins Lager der Trump-Gegner nicht zufällig moralisch bzw. patriotisch begründet: »In talking to him, again, I have to be careful what I share as an attorney, but I can tell you that Helsinki was a significant turning point.« (Zitiert nach Gettys 2018) Sein Anwalt Lenny Davis spricht von einem ›evolutionären‹, gleichsam natürlichem Prozess, der seinen Mandanten zwangsläufig – also letztlich ohne dessen Zutun – auf die Seite des Lichts verschlagen habe (vgl. Gettys 2018). Es ist die Seite der formalen Ordnung. Für den ›zwielichtartigen‹ Charakter der anderen Seite stehen die shady characters der Trump-Clique ein, von denen fünf bisher rechtskräftig verurteilt wurden. Damit hat der Sonderermittler offiziell bestätigt, dass sie in manchen Bereichen ›zu weit‹ gegangen ist. Trump hat mitunter versucht, den expressiven Gehalt seiner Verfehlungen abzuschwächen, sie ihrer Symbolwirkung zu entkleiden; Russia thing ist dafür ein gutes Beispiel, locker room talk ein anderes – diese Bagatellisierung des korrekten Verhaltens ist für Cliquen typisch, mehr noch, sie ist eine conditio sine qua non der Cliquen-Existenz. Sie erklärt nicht zuletzt Trumps Sympathie für »Richard Nixon’s clique with its organized crimeaffiliations« (Sherry 2018: 46) und dessen Rechtsverständnis. Trump scheint – wie ein Fürst – davon auszugehen, dass ihm – im Interesse des Friedens bzw. seines Machterhalts – bestimmte Rechtsbrüche zustehen (vgl. Luhmann 1995a: 437). Nur ist sein Erwarten nicht mehr eingebettet in einen ethisch-naturrechtlichen Zusammenhang, der den Frieden bzw. Machterhalt über gelegentliche Rechtsverletzungen stellen könnte. Echos dieses Rechtsverständnisses finden sich in Maßnahmen wie dem deutschen Radikalenerlass bzw. ›Extremistenbeschluss‹, den in der Nachfolge von 9/11 erlassenen amerikanischen Terrorgesetzen, aber auch in Trumps
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Überlegung, den nationalen Notstand auszurufen, um den Mauerbau zu finanzieren – und auch in der amerikanischen Verfassung, die eine gelegentliche Rechtsverletzung »on great occasions when the safety of the nation or its very high interests are at stake« (Jefferson, zitiert nach Caldwell 1943: 212) vorsieht. Dazu gleich mehr. Auf struktureller Ebene begegnet uns hier erneut ein anderer Vorwurf gegenüber Trump: seine Demokratiefeindlichkeit. Sie ist nur logisch, denn die Demokratisierung der Politik und die Positivierung des Rechts haben sich gegenseitig ermöglicht. Wer Demokratie für obsolet hält, für ein Eingeständnis der Schwäche, der wird auch die Positivität des Rechts nicht achten. Mit diesem Rechtsverständnis stünde Trump zwar auch innerhalb seiner eigenen Partei auf verlorenem Posten – aber auch wenn Hillary Clinton verkündet, Trumps »final target is democracy itself« (zitiert nach Lee and Merica 2016; vgl. auch New York Times Editorial Board 2018d), so hat er die Demokratie bisher zumindest nicht explizit infrage gestellt.175 Dass die informale Konfliktordnung ihre positiven Seiten hat, ist evident: sie entlastet, indem sie jene Konflikte absorbiert, die in der formalen Ordnung nicht erscheinen können und sorgt so für eine gewisse Stabilität (vgl. Luhmann 1999: 246). Die Frage ist, inwiefern man von einer ›Balkanisierung‹ des Weißen Hauses sprechen kann, da viele Konflikte oft kein Ende finden – und eine noch größere Zahl in Kündigungen endet.176 Halten wir Trump zugute, dass es ganz ohne Rechtsverstöße nicht geht (vgl. Luhmann 1995a: 568 f.). Man muss nicht gleich ›Mord und Totschlag‹ bemühen, es reicht ein Hinweis auf Schmuggel, Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung. Wir können hier von einem Interessenkonflikt zwischen dem Rechtssystem und der individuellen Selbstbestimmung sprechen, die in der modernen Gesellschaft einen enorm hohen Stellenwert hat, dort sogar als Anspruch auftritt. Wer alle Gesetze befolgt, wird diesen Anspruch kaum verwirklichen können, weshalb die Sonderermittler hier auch schnell fündig wurden. Vor allem weite Teile der Wirtschaft »würden zusammenbrechen, wenn das Recht hier befolgt würde« (Luhmann 1995a: 569). Aber auch in der Politik oder den Massenmedien würde die strikte Beachtung des Rechts zum Kollaps führen – oder jedenfalls Operationen so weit verlangsamen, dass sie vom Stillstand kaum mehr zu unterscheiden wären (eine bemerkenswerte, eingangs erwähnte Eigenschaft des Rechts). Das Unrechtsbewusstsein Trumps mag hier seine Rechtfertigung finden. Es könnte zudem erklären, warum die Trump-Anhänger dessen triviale Interessenkonflikte ›nicht so eng‹ sehen wie die hochmoralischen Massenmedien, die sie sehr eng sehen. Jeder weiß, dass durchgehende Rechtsbefolgung zwar erwartet wird, aber dem in der Gesellschaft – zumal
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im kulturellen Kontext der USA – hochbewerteten Individualismus widerspricht. Wer hier ›davonkommt‹, der wird eher geachtet als geächtet. Jemanden wegen Steuerhintergehen zu überführen, ist deshalb gleichsam nicht fair.177 Doch schon ganz grundsätzlich lässt sich nichtlegitimierbares Handeln kaum vermeiden – und das schon deshalb, weil jede Organisation wie erwähnt ein gewisses Maß an Normabweichung praktizieren muss (vgl. Luhmann 1999: 305). Man denke an den Druck der Interessenverbände oder den der Medien. Diese Konzessionen sind ein Teil ihrer Struktur. Selbst die von VW entwickelte Schadstoffsoftware kann in diesem Sinne als ›Konzession‹ begriffen werden. Doch was, wenn der Präsident der Abweichende ist? Sollen seine Abweichungen zu Maßnahmen gegen ihn führen, muss er einen als besonders problematisch betrachteten Normverstoß begehen. Bisher hat seine Partei offenbar nichts gegen Trumps Verstöße einzuwenden. Weder die Preisgabe codegestützter Informationen noch der Verdacht der Zusammenarbeit mit Russland oder die Parteinahme für Neo-Nazis haben parteiintern etwas bewirkt. Sollte eine als besonders problematisch eingestufte Äußerung – sagen wir: das Leugnen des Holocaust oder Barack Obama als nigger zu bezeichnen – öffentlich werden, könnte das die Solidarität der Normanhänger auch innerhalb der republikanischen Partei stärken, und möglicherweise einen ›kreativen‹ Prozess freisetzen, der dann – in welcher Form auch immer – die Anpassung der Partei an die Umwelt ermöglichen würde (vgl. Luhmann 1999: 304). Aber Trumps Parteikollegen bauen auch hier bereits vor, nicht zuletzt jene, die selbst zur Risikogruppe gehören: »I will always say using the N-word is wrong, and it’s bad, and should never be accepted in our society. But just because [Trump] might have done it years ago, not as our president, doesn’t mean we need to continue to berate him because he used it […]. To hold somebody accountable for something he did years ago as our President today, I think it sets a bad prece dent.« (Williams, zitiert nach Ducharme 2018b) Wie aber lässt sich sinnvoll im Bereich der brauchbaren Illegalität operieren? Welchen Rat kann die Wissenschaft hier dem Präsidenten geben? (Vgl. im Folgenden Luhmann1999: 310 f.) Ein Gespür für Übergänge zu entwickeln, für Zweideutigkeiten; nicht frontal anzugreifen, womit man sich der Gefahr direkter Sanktionen aussetzen würde, sondern am Rand der Legalität zu operieren; und zuletzt: die kurzen Abstecher ins Illegale nicht zur Regel werden zu lassen. Es gilt, sich mit einer twilight zone vertraut zu machen, in der man nicht haftbar abweichen kann (vgl. im Folgenden Luhmann 1999: 311). Bisher hat der notorische Abweichler Trump in dieser Hinsicht viel Talent gezeigt. Er hat seine Verstöße stets so stilisiert, dass
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man ihm im Großen und Ganzen keine Vorwürfe machen konnte (mögen seine politischen Gegner das auch anders sehen und genau dieses ›Große und Ganze‹ anmahnen, von dem sie freilich andere Vorstellungen haben als der Präsident). Wenn Verfehlungen ans Tageslicht kamen, hat er ihren Inhalt abgeschwächt, mit Hinweisen auf eine amerikatreue Einstellung gerechtfertigt, und nicht zuletzt deren Bagatellcharakter herausgestellt: in Zeiten wie diesen, in denen die USA um ihr Überleben kämpfen, kommt es auf derartige Details nicht an. Kurzum, er hat sein Vorgehen effektiv von jener groben Schwarz-Weiß-Technik ablösen können, der er sich auf der rhetorischen Ebene bedient – jenem ›Entweder-für-oder-gegenAmerika‹. Sein eigenes Handeln lässt sich bislang nicht als entweder legal oder illegal charakterisieren, das macht seinen Opponenten so zu schaffen, die ihn klar auf der illegalen Seite platzieren möchten. Anders gesagt, er weicht »sichtbar aber nicht haftbar« ab (vgl. Luhmann 199: 311). Trump profitiert davon, dass formalisierte Erwartungen lediglich Tendenzerwartungen sein können. Explizit machen lässt sich ihr ›wirklicher Sinn‹ nicht. Sie bezeichnen zwar bestimmte Handlungen, meinen aber eigentlich entsprechende Einstellungen (vgl. Luhmann 1999: 311). Auch in diesem Zusammenhang lässt sich ein Systemkonflikt beobachten. Luhmann spricht vom Problem, ›kollidierender Systeminteressen‹, die eigentlich eine getrennte Behandlung erfordern. Aber wie? Zum Beispiel, wie im ersten Teil gezeigt, indem man die formale Erwartung als Norm erhält (vgl. Luhmann 1999: 312). Dann kann zwar faktisch anders gehandelt werden, es ändert aber nichts an daran, dass die Erwartung gilt – beide Bereiche kommen sich nicht in die Quere und können »so gegeneinander abgedichtet werden, daß der Kontrast ihrer Normen nicht zu offenen Verhaltensschwierigkeiten, Enttäuschungen und peinlichen Verwechslungen führt« (Luhmann 1999: 312). Bei allem Geschick, das Trump in der Zwischensphäre der legalen Illegalität bis dato an den Tag gelegt hat, in bezug auf ihre großen Teilbereiche hat er der Gesellschaft diese Enttäuschungen nicht ersparen können. Auch die peinlichen Verwechslungen nicht, wie ich in den folgenden Abschnitten zeigen werde. Doch der Unterschied zwischen abweichendem und konformem Handeln ist nicht so groß, wie man annimmt. Beide sind ja sozial motiviert, das abweichende Handeln ist nicht individueller oder persönlicher als das konforme. Das wichtigste Merkmal illegalen Handelns sind die ungewissen Kosten (vgl. Luhmann 1999: 314). Illegales Operieren erfordert deshalb besondere »Hilfshandlungen des Schützens und Versteckens« (Luhmann 1999: 313). Trump und sein Team waren mutig genug, sich mit russischen Interessenvertretern zu treffen, aber haben offenbar die Folge-
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kosten unterschätzt und auch deshalb nicht an sekundäre Stützen gedacht, die das Kostenrisiko hätten mindern können – nicht einmal im Fall der EMail-Betreffzeilen.
3 Macht vs. Recht
Die Politik folgt dem Präferenzwert der Macht. Was immer Politiker öffentlich als Gründe für ihr Handeln anführen mögen, es dient zuletzt nur einem einzigen Zweck: dem Machtgewinn bzw. Machterhalt. Welche Folgen das haben kann, lässt sich in den fiktiven Welten von Game of Thrones oder House of Cards begutachten: zumeist chaotische. In der realen Realität ist glücklicherweise ein eigens zur Chaosbegrenzung ersonnenes System wirksam, das dem Streben nach Macht deutliche Grenzen setzt – das Recht. Luhmann spricht deshalb von einer Zweitcodierung der Macht durch den binären Schematismus von Recht und Unrecht (vgl. Luhmann 1975: 43). Dass ein politischer Politiker wie Donald Trump mit einem solchen System, das sich anmaßt, sein Handeln zu kontrollieren, größte Probleme hat, liegt auf der Hand. Nichts bedroht seine als Herrschaft imaginierte, »imperiale« Präsidentschaft so sehr wie die vom Recht zur Verfügung gestellte Unterscheidung von rechtmäßiger und rechtswidriger Macht, die dem diffusen Charakter dieser Macht Einhalt gebietet, sie in ein Entweder-Oder zwingt (vgl. Luhmann 1975: 43). Dass das Recht etliche seiner Entscheidungen als nicht rechtmäßig zurückgewiesen hat, ist bekannt. Trumps wichtigster Trumpf ist der von konservativen Richtern dominierte Supreme Court, die buchstäblich letzte Instanz, die Trump offenbar als ›Regierungsgericht‹ begreift, da dort die ›Trump-Richter‹ überwiegen. Zwar ist das Recht wiederum durch den Schematismus Regierung/Opposition zweitcodiert, doch Trump unterstellt dem Recht eine entsprechende Erstcodierung. Dann aber wäre das Recht kein eigenes System, sondern lediglich ein Programm des Politiksystems. Auch hier weicht er deutlich von den bisher üblichen Unterstellungen ab, die rechtliche Legitimität und legitimierende Wertbeziehungen voraussetzen. Das Rechtssystem – in Form des obersten Richters John Roberts – weist die Behauptung zwar zurück: »We do not have Obama judges or Trump judges, Bush judges or Clinton judges …« (Zitiert nach Washington Post Editorial Board © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_7
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2019) Doch Trump hat mit dem Verdacht, den er auch auf die anderen Funktionsbereiche der modernen Gesellschaft anwendet – dass diese keineswegs neutral kommunizieren, sondern ihre Kriterien anderen Bereichen entnehmen – einen wunden Punkt getroffen. Er findet sich allerdings nicht so sehr in Form eines Rechtsbruchs, als Korruption, zum Beispiel als opportunistische Anpassung an den Machthaber Trump (oder aus Trumps Sicht: an die demokratische Eliten in Washington) – all das kommt ohne Frage hin und wieder vor. (Vgl. Luhmann 1995: 81) Sondern im Moment der Produktion. ›Schuld‹ ist eine Konstruktion, sie wird hergestellt. Es geht in der Rechtsprechung also nicht um Gerechtigkeit – und schon gar nicht um die richtige Erkenntnis von Tatsachen. Zwar geschieht diese Konstruktion erstens nicht ›einfach so‹, sondern methodisch. Zweitens richtet sie sich nicht am Code Regierung/Opposition bzw. Republikaner/Demokraten aus. Doch das ändert nichts am Umstand der Produktion. Recht wird nicht erkannt, es wird fabriziert, und die ›Quellen‹, aus denen die rechtlichen Fakten sprudeln, nennt man Gerichte. Diese entscheiden von Fall zu Fall, also ›konkret‹. Alle abstrakten Regeln, alle Leitsätze, Prinzipien, Rechtsheorien beziehen sich auf diese spezifische Faktenproduktion, auf diese Quellen. Es handelt sich mithin um einen Zirkel: Das Recht, das ein Gericht anwendet, wird von ihm selbst geschaffen (vgl. Luhmann 1995a: 306). Dabei ist eine der hervorstechendsten Eigenschaften dieser Faktenproduktion, dass sie Zeit braucht. Denn die Plausibilitäten des Rechts sind andere als die des gesunden Menschenverstands. Schuld wird erst ganz zuletzt festgestellt, wenn das Verfahren zu einem Ende kommt, weshalb die Annahme der ›Unschuld‹ bzw. Nicht-Schuld für das laufende Verfahren so zentral ist. Jede Vor-Verurteilung stellt die Autorität des rechtlichen Verfahrens infrage, so offensichtlich vieles auch von vornherein sein mag, ganz gleich ›welche Sprache die Fakten sprechen‹. Das Recht konstruiert Fakten auf die ihm eigene, autonome – eben: unabhängige – Weise. Wer interviewt wird, sagt nicht unter Eid aus, wie Rudy Guiliani – sozusagen völlig zu Recht – zugunsten Trumps betont (vgl. Cillizza 2018c). Das Recht ist in dieser Faktenkonstruktion genauso unabhängig wie die Massenmedien, die sich über eine solche Äußerung empören, sie professionell zu skandalisieren wissen. Diese Unabhängigkeit spricht Trump bekanntlich beiden Bereichen ab. Auf das Moment der Produktion hat er es dabei aber gar nicht abgesehen. Trump legt den Finger also nicht in die Wunde – der landet eher zufällig dort, indem er von dem vor Gericht üblichen ›Als-ob‹ – wenn man so will: der Heuchelei – abweicht, dass es bei der Konstruktion von Schuld lediglich um die Erkenntnis von Tatsachen geht.
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Dass die Politik einzelne Rechtsentscheidungen beeinflusst, sollte klar sein. Und natürlich haben die Richter entsprechende »Interpretationsfreiheiten«, das lässt sich kaum vermeiden (vgl. Luhmann 1995a: 420; zu dem Versuch, diese Freiheiten im Bezug auf die Verfassung einzuschränken, gleich mehr). Aber das direkte Hineinkopieren politischer Ordnungsvorstellungen in das Recht ist ausgeschlossen. (Luhmann nennt die Spezifik seiner Problemlagen, die Einzelfallabhängigkeit und das Fehlen einer ›Opposition‹, vgl Luhmann 1995a: 409, 411, 421.) Wie ich im vorhergehenden Kapitel gezeigt habe, hat Trumps Gerechtigkeitsverständnis mehr mit den auf Hilfs- und Abhängigkeitsbeziehungen aufbauenden Rechtsvorstellungen zu tun, vor allem mit den Formen von Solidarität und Interessenausgleich, die in älteren Sozialordnungen wirksam waren (vgl. Luhmann 1995a: 226). Innerhalb dieser Ordnungen regelt das Netz aus Verwandtschaft, der dörflichen und schichtspezifischen Geselligkeit, der Klientelsysteme etc. die sozialen Reziprozitäten. Im Fall Trumps besteht dieses Netz vor allem aus Familienmitgliedern, hinzu kommt die Cliquenzugehörigkeit, und auch hier wird Entgegenkommen mit Entgegenkommen vergolten, also davon abhängig gemacht, ob man sich auf die Wünsche des anderen einlässt. Konnte diese Maxime in Adelsgesellschaften noch dadurch angepasst werden, dass die Leistungen höherrangiger Personen als Gunsterweise höher bewertet wurden, stößt dieses Gerechtigkeitssverständnis in einer funktional differenzierten Gesellschaft an Grenzen – die der Systeme (vgl. Luhmann 1995a: 226). Die Norm der Reziprozität hat hier keine praktische Bedeutung mehr, zum einen, weil viele Professionsrollen – Anwalts- und Richterrollen – nun nicht mehr dem Geltungsbereich der Reziprozitätsmaxime zugehören, weshalb deren Einbeziehung ›Korruption‹ bedeuten würde (vgl. Luhmann 1995a: 227); zum anderen, weil man sich in älteren Sozialordnungen nicht ohne Nachteil aus der praktizierten Solidarität zurückziehen konnte, während die funktional differenzierte Gesellschaft genau hierfür entsprechende Rückzugsräume zur Verfügung stellt, wie an Michael Cohen deutlich wurde. Auch der tapfere Paul Manafort lebt in einer funktional differenzierten Gesellschaft, deren formale Rechtsregel, gleiche Fälle gleich zu entscheiden und also Gerechtigkeit mit Gleichheit zu verbinden, ein Präsident Trump nicht auszuhebeln vermag. Anders gesagt, Trump kann zwar begnadigen, aber nicht entscheiden, ob etwas ein Verbrechen ist oder nicht. Das liegt nicht in seiner Macht. Für Trump geht es darum, ob das, was Manafort bekommt, gerecht bemessen ist, und da nämlicher sich geweigert hat, zu ›singen‹, also die Form der Reziprozität bemühte – mehr noch: offenbar nur zugestimmt hat, der
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Regierung Informationen über den Präsidenten zur Verfügung zu stellen, um seine Kooperationsverpflichtungen gegenüber Trump zu erfüllen (vgl. Jacobs 2018b) – ist dessen Antwort: Nein bzw. »Very unfair!« Das Recht ist demgegenüber nur daran interessiert, den Fall Manafort gerecht zu entscheiden, und nicht daran, Gerechtigkeit im Sinne der Trump’schen Reziprozität walten zu lassen – als das, »was in einer Position im Hinblick auf andere geschuldet ist« (Luhmann 1981: 51, kursiv im Original). Anders gesagt, zwischen einem gerechten Richter und einer gerechten Strafe besteht ein bedeutender Unterschied, mag er sprachlich auch nicht immer ganz klar sein. Gerechtigkeit in einer modernen Gesellschaft taugt deshalb auch nicht mehr für Zwecke der Moral oder der Ethik, die Trump in Rechtsfragen so gern bemüht: »He happens to be a very good person. And I think it’s very sad what they’ve done to Paul Manafort.« Ob Paul Manafort eine ›sehr gute Person‹ ist oder nicht, ist für das Recht aber nur von geringem Interesse. Er mag einen einwandfreien Lebenswandel führen oder nicht, dunkelblaue Blazer mit Goldknöpfen schätzen oder Dreiviertel-ArmBlousons aus Pythonleder; er mag »ein ganz, ganz armer Typ mit scheußlichem Geschmack« sein, »der nicht den Stil und die Weltläufigkeit hat, sich in Paris oder Mailand beschneidern zu lassen, wenn er denn schon Spaß an teuren Anzügen hat, auf ewig geistig festgepappt in einer längst entsorgten, vergangenen Idee von Luxus« (Rützel 2018) – all diese Gesichtspunkte spielen für die Massenmedien eine große, für das Recht aber keine Rolle. Allerdings: Recht lässt sich ändern, und zuständig ist hier die Politik, also Trump, dem man durchaus zutraut, Änderungen mit negativen Absichten, also zu seinen Gunsten, durchzuführen. Auch seine das Geburtsrecht wie das Wahlrecht betreffenden Pläne mögen als Beispiele dienen. Es ist dieser durch die Gesetzgebung herbeigeführte »Konsistenzbruch« (Luhmann) bzw. die zeitliche Ungerechtigkeit zwischen dem Recht vor und nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes, die für die vielerorten zu hörenden Rufe nach Gerechtigkeit verantwortlich sein dürftte (vgl. Luhmann 1995a: 229). Sie als ethisches Prinzip wiederzubeleben oder gar als Wert aufzufassen, käme Trump entgegen; denn dann müsste man im Einzelfall abwägen, ob man der Gerechtigkeit oder der Freiheit oder gar Amerika den Vorzug gibt. Rechtliches Entscheiden würde der Beliebigkeit anheimfallen. (Luhmann verweist in diesem Kontext auf die Bedeutung der rechtlichen Programme, die Gerechtigkeit entsprechend konditionieren, in ein ›WennDann‹ überführen. Vgl. Luhmann 1995a: 230 ff.) In rechtlichen Fragen Recht zu bekommen ist für Trump von großer Be-
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deutung, denn erst wenn die von ihm propagierte Werte rechtliche Form annehmen, sind sie für alle verbindlich; erst dann wird ein Verhalten, das von diesen Regeln abweicht, strafbar und kann mit rechtlichen Sanktionen verbunden werden; erst dann kann Politik sich über eine bestehende Gerichtspraxis hinwegsetzen. Schon jetzt ist mit seiner Wahl zum Präsidenten offenbar ein Kulturwandel verbunden, der sexuelle Anzüglichkeiten genauso wie die Diskriminierung von Ausländern gesellschaftlich wenn nicht salonfähig, so doch akzeptabler gemacht hat. Den höchsten Grad der Institutionalisierung erfährt dieser Wandel aber erst, wenn er in rechtliche Regelungen gegossen wird. *** Die Funktionalisierung des Rechts stellt eine enorme Entlastung des täglichen Lebens dar. Dank ihr müssen wir uns nicht mehr auf die normativen – was vor allem heißt: nicht selbstverständlichen – Erwartungen anderer stützen (vgl. Luhmann 1995a: 149). Um dieser Aufgabe der Absicherung nachkommen zu können, sieht das Recht nicht nur vom individuellen Lebenswandel oder dem persönlichen Geschmack ab, sondern ganz grundsätzlich vom sozialen Kontext der individuellen Motive. So bekommt ein Republikaner nicht eher Recht als ein Demokrat, ein Reicher nicht eher als ein Armer, ein Präsident nicht eher als ein Taxifahrer, jedenfalls nicht automatisch. Vor dem Recht sind – wie einst vor Gott – alle gleich, hier hat auch »ein ganz, ganz armer Typ« noch einer Chance. Anders formuliert: Das Recht wurde – wie andere Sozialbereiche auch – im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung aus seiner sozialen Einbettung gelöst. Nun kann kein normativer Mechanismus Enttäuschungen ausschließen. Sie fallen bei gerichtlichen Entscheidungen für den an, der den Rechtsstreit verliert. Der Verlierer muss das Urteil akzeptieren, das ist zumindest die Erwartung; er kann sich zwar unüberzeugt geben, aber sollte das auf vernünftige Weise tun. Doch die Trump-Administration erwartet vom Recht etwas, das man vom Recht in einer funktional differenzierten Gesellschaft schlechterdings nicht verlangen kann: ihr einfach nur recht zu geben, also zuzustimmen – weshalb Stephen Colbert vorschlug, das Department of Justice in ›Department of Justification‹ umzubenennen. Indem Trump die Entscheidung des ersten Richters infrage stellte, der den Bann als unrechtmäßig zurückwies, ja dessen Richter-Sein anzweifelte (»so-called judge«), verhielt er sich zwar selbst nicht unrechtmäßig, machte sich also nicht strafbar, da er keine auf gesetzlicher Grundlage ergangene Vorschrift verletzte, sondern nur die nicht-gesetzliche Vorschrift, auf ein gerichtliches
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Urteil vernünftig zu reagieren.178 Doch mit seinem Verhalten wich er deutlich von der vor Gericht üblichen Verhaltensnorm ab, die vorsieht, dass die Beteiligten sich wechselseitig in ihren Rollen anerkennen. Ich hatte diese Anerkennung als Funktionsvoraussetzung genannt. Der für Konflikte typischen ›Überintegration‹ wirkt die Verrechtlichung des Konflikts normalerweise entgegen. Diese Lösung konnte im Fall Trumps nicht greifen, weil er die Unabhängigkeit des Dritten – des Sonderermittlers, des Richters – der mit der Konditionierung der Entscheidung befasst war, öffentlich anzweifelte. Auch indem er die vom Department of Justice verfügte Durchsuchung von Michael Cohens Büro als ›Einbruch‹ markierte, gelang es ihm, Recht als Machtausübung zu diskreditieren.179 Trump mag »just one guy« sein, wie es der Komiker Louis CK hoffnungsfroh formulierte, und in der Tat sollte man Trumps Irritationspotenzial nicht überschätzen, aber dieser one guy ist nun einmal der mit großen Machtbefugnissen ausgestattete amerikanische Präsident, dessen Politisierung des Rechts nicht einfach sozial isoliert werden kann, wie es im Falle des »US-Normalbürgers« oder eines Normalministers möglich wäre. Die Autonomie des Rechts, die dazu dienen sollte, der Politik ›das Wasser abzugraben‹, wird von der höchsten Instanz der amerikanischen Politik attackiert – wenn auch bisher nur ›kommunikativ‹. Diese Diskreditierung ist allerdings weniger ungewöhnlich, als es den Anschein hat. Auch in Deutschland hatten sich Politiker von einer rechtmäßigen staatsanwaltschaftlichen Untersuchung der Redaktionsräume einer Illustrierten distanziert, selbst der Bundeskanzler hatte die Handlungsweise der Staatsanwaltschaft öffentlich in Zweifel gezogen. Die gleiche Frage, die Luhmann damals an Willy Brandt richtete, können wir auch Donald Trump stellen: Auf welchen Code will der Präsident denn sonst seine Glaubhaftigkeit als Machthaber stützen – etwa auf die Anerkennung seiner guten Absichten? Oder auf das Faktum überlegener Gewalt? »Beide Antworten hätten einen regressiven Charakter; sie würden auf einen gesellschaftlich-politischen Zustand verweisen, der mit der rechtsstaatlichen Codierung politischer Macht gerade überwunden worden war.« (Luhmann 1975: 126) Mag Trump auch von einer Rückkehr zu asymmetrischen, hierarchischen Strukturen träumen – zuletzt hatte er keine andere Wahl, als seine Enttäuschungen über das erste Urteil im Falle des Reisebanns wiederum auf den Gerichtsweg zu lenken. Dieses Gebundensein an die Eigenlogik des Rechts mag nicht nur Trump bedauerlich finden. Wir können beispielsweise das Recht nicht bitten, zwischen den europäischen Regierungschefs und der Position der amerikanischen Regierung im Falle des Pariser Abkommens zu vermitteln. Dazu
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müsste es – länderübergreifend – zwischen berechtigten Erwartungen und unberechtigten Erwartungen bzw. Interessen unterscheiden, also etwa den Klimaschutz für rechtens erklären und das Gegenteil für Unrecht. Wie problematisch eine solche internationale Rechtssprechung ist, können wir am ICJ (International Court of Justice) beobachten; ein Staat, der die Zuständigkeit des Gerichts nicht anerkennt, kann nicht belangt werden. Ein solches Leugnen der gerichtlichen Zuständigkeit ist einem Bürger der Vereinigten Staaten nicht möglich, selbst dem Präsidenten nicht. Doch was auf den ersten Blick verlockend aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen als Fata Morgana: bei einer solchen internationalen Zuständigkeit würde die Zahl der Konflikte vermutlich eher zunehmen. Denn die Konflikte des Rechts sind nicht jene, um die es ursprünglich ging; es kann ja nur solche Konflikte lösen, die es selbst konstruieren kann (vgl. Luhmann 1995a: 159). Ausserdem würde die Juridifizierung des Klimakonflikts zwischen den USA und den anderen G7-Staaten die Fortsetzung der Beziehungen natürlich erheblich gefährden. (Für Luhmann übrigens einer der Gründe, warum wir in Intimbeziehungen auf so viel Gewalt stoßen; vgl. Luhmann 1995a: 159.)180 Eine andere Möglichkeit, ›ins Reine‹ zu kommen, ist: im gleichsam Unreinen zu verbleiben, indem man den Konflikt als Dauerkonflikt stabilisiert, in dem dann jeder zum Zug kommen kann (vgl. Luhmann 1995a: 159). Der Kalte Krieg ist dafür ein gutes Beispiel, manche Ehe ein anderes. Auch Trumps Verhalten gegenüber dem Sonderermittler oder den Medien gehört hierher. Dass er als Präsident eher als andere in der Lage ist, eine Umprogrammierung der juristischen Entscheidungsprogramme zu bewirken, liegt auf der Hand. Trumps Richterernennungen weisen in diese Richtung: insgesamt 60 konservative Richter hat er für Posten an Bundesgerichten vorgeschlagen. Neben Neil Gorsuch am Supreme Court wurden bisher 13 weitere Bundesrichter vom Senat bereits bestätigt. Damit erfüllt Trump ein weiteres seiner Wahlversprechen. Wie der Reisebann gezeigt hat, ist der Erlass eines Gesetzes für die herrschende Gruppierung ein Symbol des Erfolgs, und das Gleiche würde im Falle eines neuen Abtreibungsgesetzes gelten. Anders als Sally Yates annahm, hat das Recht neuen Gesetzen relativ wenig Widerstand entgegenzusetzen (vgl. Luhmann 1995a: 427). Denn es geht ja nicht darum, altes Recht zu transformieren, sondern darum, neues zu schaffen. Für die Republikaner stand viel auf dem Spiel; wie bereits erwähnt ist die politische Konditionierung der Gesetzgebung eines der wichtigsten politischen Instrumente überhaupt, ähnlich der politischen Konditionierung des Geldumsatzes, die Trump mit der Steuerreform gelungen war. Die Ernennung
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Kavanaughs kann deshalb als enormer politischer Erfolg gelten: »There are still many reasons to worry about Trump’s long-term effect on the Republican party, and on the country he leads. But if your primary concern in voting for him was in protecting and expanding conservative influence in the judiciary, he has more than vindicated your political calculus. If the only reason you didn’t vote for him in 2016 was because you believed people like me who said that he wouldn’t keep his promises on matters like this, you need to think again ahead of 2020. I will.« (Dougherty 2018) Dank des konservativen Übergewichts sind nun Rechtsänderungen möglich, die wiederum der Regierung Trump zugutekommen werden. Das hat nicht zuletzt die 5:4-Entscheidung des Supreme Court zugunsten des Reisebanns oder das Verbot der Transgender-Rekruten demonstriert. Dass das Rechtssystem deshalb stets in der politisch erwünschten Richtung reagiert, ist allerdings eine Illusion. Gerade in einem Land, in dem die »realistische Rechtslehre« vorherrscht, also die Auffassung, dass nur das als Recht gilt, was die Gerichte als solches anerkennen, wogen Trumps despektierliche Äußerungen schwer (Luhmann 1995a: 305). Umfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass ihm die angestrebte Umprogrammierung der Öffentlichkeit bezüglich der Sonderermittlung nicht gelungen ist, nicht einmal im Bereich seiner Kernwähler.181 Dabei unterscheidet sich die Präferenz für die Sonderermittlung laut Statistik allerdings deutlich von der für ein Amtsenthebungsverfahren: hier gab es ebensoviele Befürworter wie Gegner. Noch deutlicher fiel die Präferenz für Jeff Sessions bzw. dessen Weiterbeschäftigung aus.182 Es scheint so, als sei ein großer Teil der Öffentlichkeit mit Trumps Diskreditierung der Massenmedien einverstanden; auch die Herabwürdigung von Organisation in Form von staatlicher Bürokratie (FBI, CIA) wird ihm verziehen. Aber die Infragestellung des Rechts zugunsten der Politik scheint eine Grenze zu markieren. Trump hat dessen symbolische Strahlkraft unterschätzt. Er ist aus Sicht vieler Bürger zwar nicht an Sitten und Moral gebunden, wohl aber an das Gesetz. Genau wie der Richter. Aus Trumps Sicht sind ein Neil Gorsuch, ein Brett Kavanaugh an den Präsidenten, also an ihn gebunden. Wir können zwar nicht ganz ausschließen, dass es sich bei beiden – in seiner Diktion – um ›Trump-Richter‹ handelt, doch das wäre dann deren Privatsache und kaum öffentlich vermittelbar. Dass sich ein gewisser Rückstand der Beschreibung den Verhältnissen gegenüber beobachten lässt, hat mit der eingangs erörterten besonderen Stellung der Gerichte zu tun, die von der Rechtstheorie bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde (vgl. Luhmann 1995a: 305).
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Wie sich etwa im Zusammenhang mit dem Urteil gegen Paul Manafort beobachten ließ, funktionieren die Institutionen in den USA trotz des Störers Trump aber nach wie vor tadellos. Die Juroren hatten ihr Urteil weder von politischen noch von wirtschaftlichen Überlegungen abhängig gemacht, selbst jene, die dem Angeklagten wohlgesonnen waren nicht: »I did not want Paul Manafort to be guilty. But he was and no one is above the law.« (Jurorin Paula Duncan, zitiert nach Reuters 2018a). Ein Jurymitglied ließ sich von der Schuld Manaforts nicht überzeugt: »We all tried to convince her to look at the paper trail. We laid it out in front of her again and again and she still said that she had a reasonable doubt.« (Paula Duncan, zitiert nach Reuters 2018a) Diese rechtliche »Zauberformel« (Axel Montenbruck) des in dubio pro reo lässt möglichen Sekundärinteressen durchaus etwas Spielraum. Doch was auch immer die Motive des holdouts waren: weder politische noch wirtschaftliche, allein rechtliche Überlegungen gaben zuletzt den Ausschlag. *** Bezüglich des Reisebanns war sich Trump möglicher Schwierigkeiten und Widerstände offenbar von vornherein bewusst. Ob er mit fehlender Durchführbarkeit rechnete, weil der Machtcode im Fall der Beziehung des Department of Justice zum Weißen Haus gegentendenziell gebaut ist, wissen wir nicht. Es ist zumindest unwahrscheinlich. Doch nur dank dieser Struktur, die einer Sally Yates das Recht und die Pflicht, somit auch die Verantwortung für eine Gehorsamsverweigerung bei rechtswidrigen Befehlen zuschiebt, konnte diese überhaupt auf den Gedanken einer ›Befehlsverweigerung‹ kommen (vgl. Luhmann 1975: 127).183 So oder so: das Department of Justice wurde vor der Veröffentlichung nicht unterrichtet, Yates hörte von der executive order zum ersten Mal im Autoradio. Auch dies ist noch nicht strafbar, wohl aber ungewöhnlich: »COOPER (on camera): Is that normal procedure? YATES : No. First I’ve heard of that.« (Yates 2017)
Auch andere bisher übliche Verfahrenswege wurden entweder gar nicht beschritten oder erfolgten in letzter Sekunde.184 Die ›Interessen‹ von Politik und Recht sind die Vermeidung von Unruhen und der Erhalt des (inneren) Friedens, auch wenn beide sich in ihren Antworten sehr unterscheiden. Auch Trump gibt als offiziellen Grund für die executive order die
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innere Sicherheit an, doch der vorübergehend und für alle Instanzen überraschend in Kraft getretene Erlass sorgte zunächst für das Gegenteil.185 Das ungewöhnliche Vorgehen kann aber auch schlicht verstanden werden als Zweifel an Yates’ politischer Loyalität gegenüber dem Präsidenten; einem buchstäblich berechtigten bzw. rechtmäßigen Zweifel, denn auch ihre Loyalität kann keiner einzelnen Person gelten, auch nicht dem amtierenden Präsidenten, sondern nur dem Recht selbst: »Our loyalty at the Department of Justice should be with the people of the United States and the law and the constitution, and no one and nothing else« (Yates, zitiert nach Cooper 2017) Allein das ist wiederum rechtmäßig. Der Erlass war aus Sicht Yates zwar politics-ful – aber eben nicht: lawful.186 Die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Trump und Yates lassen die zwei Seiten der Verwaltung sichtbar werden; wobei schon der Umstand, dass der ansonsten still im Hintergrund arbeitende Verwaltungsapparat hier auf sich aufmerksam macht, und zwar mit einer eigenen Stellungnahme, die einem bloßen Apparat in der Regel nicht zusteht, eine Besonderheit darstellt. (Was auch auf den mehrfach erwähnten anonymen Beitrag eines Trump-Mitarbeiters in der New York Times zutrifft, vgl. Anonymous 2018.) Diese zwei Seiten der Verwaltung sind einerseits die Beratung der Organe politischer Willensbildung – diese Funktion hat Trump bekanntlich nicht wahrgenommen – und andererseits der Vollzug der aus dieser Willensbildung hervorgehenden Entscheidungen; diese Funktion zu erfüllen, hat sich das Department of Justice bekanntlich geweigert. Und das, obwohl es als Verwaltung seine Zwecke keineswegs selbst bestimmt. Als Berater der Politik steht es im Schatten eben dieser Politik – Luhmann spricht von einer »internen, wenn nicht sogar vertraulichen Beziehung« (vgl. Luhmann 1999: 8). Es scheint, dass dieses Vertrauen im Falle des Reisebanns nicht gewährleistet war. Weder hat Trump dem Department bzw. seiner Leiterin vertraut, noch vertraute diese Leiterin ihrem Präsidenten – ob in Reaktion auf den vorherigen Vertrauensentzug Trumps, können wir nicht wissen, ist aber ohnehin nur relevant für den, der die Schuldfrage stellt. Fest steht: Yates hat sich von der eigenen institutionellen Abhängigkeit nicht beunruhigen lassen. Stattdessen hat sie den minimalen Spielraum genutzt, der ihr zur Verfügung stand, alle Vorsicht außer Acht lassend, die für das Handeln von Verwaltungen normalerweise bezeichnend ist. Durch ihre Handlungen ist es ihr gelungen, einen Kontakt zur Öffentlichkeit herzustellen und deren ›Fremdheit‹ der Amtswelt gegenüber ein Stück weit zu minimieren. Man kann ihr somit eine erfolgreiche PR-Kampagne bescheinigen – Yates hat es geschafft, dem Apparat des DoJ einen Hauch von Menschlichkeit zu verleihen. Sie selbst wurde – hoch erstaunlich für eine
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Verwaltungsbeamtin – als Heldin besungen, als »a Profile in Courage« gerühmt: »The fired acting attorney general proved this week that there are still a few in Washington who believe in truth and the law.« (Winship 2017) Nicht ganz zu Unrecht, denn in der Regel sind unabhängige Beobachtungen Sache der Verwaltung nicht. Yates weigerte sich, als Opfer in den Apparat eingespannt zu werden. Stattdessen hat sie Trumps Erlass genutzt, um ihre Berufssituation neu zu erfassen (vgl. Luhmann 1999: 10).
Berechtigte Erwartungen Als der Staat erfunden wurde, gab es das – in ganz unterschiedlichen Formen auftretende – Recht schon (vgl. Luhmann 1995a: 407). Aber vollkommen getrennt konnte man sich beide, iurisdictio und imperium, lange auch nicht vorstellen. Das ist im Grunde bis heute so geblieben. Trumps Probleme, die Grenze zwischen beiden Bereichen zu sehen, hängt damit zusammen, dass sie so aufeinander angewiesen sind: Soll Recht durchgesetzt werden, braucht es die Politik, und wenn es nicht durchgesetzt wird, gibt es keine »überzeugende (unterstellbare) Normstabilität«; die Politik benutzt umgekehrt das Recht zur, wie Luhmann schön formuliert, »Diversifikation [also als Ausweitung von Wahlmöglichkeiten, M. H.] des Zugriffs auf politisch konzentrierte Macht« (Luhmann 1995a: 150). Die Trennung der Bereiche Recht und Politik schließt intensive kausale Beziehungen zwar keineswegs aus – für Luhmann sind sie aus genau diesem Grund überhaupt erkennbar (vgl. Luhmann 1995a: 421). Doch die Dichte des Zusammenhangs erlaubt es noch lange nicht, von einer Einheit zu sprechen. Selbstverständlich soll ein Brett Kavanaugh als Jurist wirken. Zwar ließ sein Verhalten Zweifel an der Fähigkeit aufkommen, rechtliche Fragen (ob er sich einer versuchten Vergewaltigung schuldig gemacht hat) und politische Fragen (ob er als Richter durchsetzungsfähig ist) zu unterscheiden.187 Doch das Zusammenspiel beider Bereiche ist nur aufgrund ihrer Differenzierung möglich. Ein Politiker wie Trump benutzt das Medium Macht, und diese Macht drückt sich in überlegener, mit Zwang drohender Weisungsgewalt aus – aber nicht dem Recht gegenüber! In den Worten von Sally Yates: »Politics is supposed to end at DOJ.« (Yates 2017) Erst das Recht kann die angestrebte »Diversifikation des Zugriffs« auf Macht beglaubigen, oder kürzer: kann der Politik Recht geben. An die Stelle bloßer Autorität tritt in der Moderne die Autorität des Rechts.188 Yates und auch die meisten Richter argumentierten, dass der Reisebann zwar ein Wahlver-
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sprechen Trumps wahrmache, aber gegen die amerikanische Verfassung verstoße – und genau hier, bei der Interpretation des Reisebanns, spielt das Motiv eine Rolle. Zwar ist Trump als US-amerikanischer Präsident außergewöhnlich machtvoll: er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Repräsentant und Leiter der Außenpolitik, zudem verantwortlich für das Funktionieren des Regierungssystems – und nicht zuletzt obliegt ihm die vollziehende Gewalt. Seine verfassungsrechtliche Position ist nicht von ungefähr der des britischen Monarchen des 18. Jahrhunderts nachempfunden.189 Hinzu kommt die Heroisierung des Präsidentenamtes, die sich im 20. Jahrhundert beobachten lässt. Hacke verweist auf den gigantischen Ausbau des persönlichen Stabs im Laufe der US-amerikanischen Geschichte: von 37 Mitarbeitern im Jahre 1939 bis zu 900 Mitarbeitern im Jahr 1998 (vgl. 2002: 24). Zwar hatten die Gründerväter der USA wenig Vertrauen in den Menschen, weshalb ihnen an einer Verfassung gelegen war, die einen verderbten, selbstsüchtigen Präsidenten kontrollieren kann. Sie waren, könnte man sagen, auf Trump vorbereitet. Sie legten allerdings auch die Grundlage für die Legitimation des Reisebanns: die Möglichkeit des Präsidenten – mit Thomas Jefferson: das Risiko – über eine strikte Gesetzesauslegung hinauszutreten, wenn es die Selbsterhaltung der Nation verlangt. Dann ist es an jenen Tapferen »who accept of great charges […] to risk themselves« (Jefferson, zitiert nach Caldwell 1943: 212). Gewiss, es sei alles andere als leicht, zwischen »proper and improper occasions for the exceeding of powers« zu unterscheiden. Doch: »The good officer is bound to draw it at his own peril, and throw himself on the justice of his country and the rectitude of his motives.« (Jefferson, zitiert nach Caldwell 1943: 212) Es trifft sich, dass Trump mit Risiken umzugehen weiß, mag er auch alles andere als ein ›good officer‹ sein. Doch genau das, was er im Fall des Reisebanns mit Jefferson für sich in Anspruch nahm, sprachen ihm die Gerichte zunächst ab: dass seine Motive ihn rechtfertigen können. Sie deuteten sie als sekundäre: very low interests. Zwar gab Trump den ›Frieden‹ bzw. die nationale Sicherheit öffentlich als Grund für das Einreiseverbot an und versuchte mit dramatischen Tweets nicht zuletzt, die für Rechtsfälle übliche Verlagerung vom Normativen ins Kognitive zu blockieren, doch dieser Interpretation wollte sich die Mehrzahl der Bundesrichter nicht anschließen. Die Überlegung, dass im Falle des Reisebanns ein politisches Primärinteresse (innere Sicherheit) von einem anderen, sekundären Interesse (verfassungsfeindliches Wahlversprechen) überlagert wird, war auch der Ausgangspunkt für die Weigerung von Yates, die Anwälte des Department of Justice mit der Gesetzesvorlage zum Gericht zu schicken: »The
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facts reflected that this really was an attempt to make good on the President’s campaign promise of a muslim ban. That it was about religion. And as the Department of Justice on something as essential as religious freedom I couldn’t in good conscience send our DOJ laywers into to make an argument that wasn’t grounded in the truth.« (Yates 2017)190 Doch eine politische Absicht ist noch kein rechtliches Argument. Das Recht interessiert sich nicht für die Überlegenheit des – bestimmte Erwartungen artikulierenden – Präsidenten. Die Richter: höchstens insgeheim. Auch wenn man daran zweifeln mag, dass das Recht faktisch in der Lage ist, die Armen gegen die Reichen und Mächtigen, die Loser gegen die Gewinner, Pornostars gegen Präsidenten zu schützen, so ist diese Funktion doch für sein Selbstverständnis wesentlich. Trump wies auf die Wirklichkeit hin, wenn er schon früh den baldigen Sieg – die Verabschiedung des Reisebanns – in Aussicht stellte, weil das Recht gegen die Politik am Ende schlechte Karten hat: »We’ll win. For the safety of the country, we’ll win.« (Trump, zitiert nach Seipel 2017) Doch vor allem machte er darauf aufmerksam, dass er nicht im rechtlichen Sinne erwartete. Die von ihm kommunizierten Hoffnungen bezogen sich allein auf seine Position der Überlegenheit. Bereits im Altertum war eine wichtige Funktion des Rechts der Schutz der Armen vor den Reichen und Mächtigen, und auch das Mittelalter unterschied (Luhmann: »gelegentlich«) zwischen der Regierungsgewalt und der Rechtsfürsorge des Fürsten. (Vgl. Luhmann 1995a: 151) Doch in der modernen Gesellschaft sind normative Erwartungen zu ihrer Geltendmachung nicht mehr auf Überlegenheitspositionen angewiesen. (Ironischerweise spielt ausgerechnet die Wirtschaft bei dieser Entwicklung die Hauptrolle. Erst die Anerkennung von frei verfügbarem Eigentum und der Rechtsfähigkeit von Organisationen, die ihre Gründung nicht mehr einem Dekret des Machthabers verdanken, führte zur Rekonstruktion ›subjektiver‹ Rechte als objektiver. Vgl Luhmann 1995a: 151) Wie wichtig das für das Selbstverständnis des Rechts ist, zeigt sich im Engagement vieler Anwälte für die Schwachen und Unterdrückten, also einer Passion dafür, ›von unten her zu plädieren‹. Für Luhmann handelt es sich bei diesem Bottomup gar um ein durchaus »professionelles Interesse der Juristen« (vgl. Luhmann 1995a: 151). Diese Professionalität ist Trump offenbar nicht nur fremd, sondern auch zuwider. Ganz anders sein Gegner James Comey, der gegenüber seinen Mitarbeitern betonte: »Unsere Aufgabe ist es, gerecht zu sein. Und nicht, uns darüber Sorgen zu machen, ob wir einen Fall gewinnen oder verlieren werden.« (Comey, zitiert nach Kohlenberg 2017) Kohlenberg berich-
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tet, dass Comey, als er 2002 Staatsanwalt von New York wurde, vor seine Mitarbeiter trat und fragte: »Wer von Ihnen hat bislang noch nie einen Fall verloren? Es gibt einen Namen für solche Staatsanwälte, sie gehören zum Club der Hasenfüße.« (Kohlenberg 2017) Für Trump stellt Verlieren, und sei es im Namen einer guten Sache, dagegen keinen Wert dar. Bereits in seinen Jahren als Unternehmer sah er das Recht vor allem als Mittel an, um seine Kritiker und Gegner unter Druck zu setzen. Diesen Schluss zog zumindest die amerikanische Juristenvereinigung, nachdem sie sich mehr als 3 500 Klagen angesehen hatte, in die Trump verwickelt war (vgl. Kohlenberg 2017). Trump interpretiert die Daten anders: »Wow, USA Today did today’s cover story on my record in lawsuits. Verdict: 450 wins, 38 losses. Isn’t that what you want for your president?« Mit seinen rechtlichen Erwartungen hatte sich der Außenseiter Trump blamiert; oder anders, die Eigenständigkeit der Ordnungsfunktion des Rechts war ihm insofern nicht bekannt, als er nicht wusste, was er berechtigterweise erwarten konnte. So erfolgreich er als Geschäftsmann in Rechtsfragen war, der Präsident kann mit dieser Quote bisher nicht mithalten: »The Washington Post estimates that the Trump administration has lost a phenomenally high 40 to 50 major cases in the federal court system – across the country – and that the issue is not partisan judges but more likely a president overstepping constitutional bounds.« (Papenfuss 2018c) Der letzte Rückschlag erfolgte Ende 2018: »The ruling is the latest in a series of legal setbacks for the administration, which has suffered losses in court in its efforts to wield executive authority to press its agenda on immigration, voting and the environment.« (Scheiber 2018) Denn genau hier findet sich der entscheidende Unterschied zur Politik: das Recht muss Erwartungssicherheit ermöglichen, »und zwar gerade angesichts von absehbaren, nicht zu verhindernden Enttäuschungen« (Luhmann 1995a: 153). Diesen Zukunftsbezug der rechtlichen Normfunktion gibt es nicht kostenlos. Er ist zunächst überaus unwahrscheinlich, jedenfalls in hohem Maße unvernünftig. Wie kann ein normal denkender Mensch davon ausgehen, dass sich nicht der Realität entsprechende Erwartungen durchsetzen lassen? Dass der amerikanische Präsident Recht bekommt, ist aus der Perspektive Trumps bzw. des ›gesunden Menschenverstands‹ erwartbar – aber wie konnten Trumps Gegner im Falle des Reisebanns auf das Recht vertrauen? Aus dem gleichen Grund, warum für Trump Loyalität und Konflikte so wichtig sind: weil man sich so wenigstens auf dieser Ebene – der Erwartungsebene – auf eine noch unbekannte Zukunft einstellen kann (vgl. Luhmann 1995a: 130). Inwiefern der Präsident das Recht enttäuscht hat, weshalb es möglich
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ist, dass es gegen ihn Substitute der Anspruchserfüllung (Strafen) durchsetzt, lässt sich zur Zeit (Januar 2019) noch nicht sagen.191 Dass er gegen moralische Normen verstoßen hat, ist bekannt, zieht aber, wie bereits mehrfach erwähnt, keine strafrechtlichen Folgen nach sich. Es ist zwar theoretisch möglich, den amerikanischen Präsidenten mit Missachtung zu strafen, aber ihn für kommunikationsirrelevant zu erklären und fürderhin nicht mehr partizipieren zu lassen, eher nicht. Richtig ist – und in diesem Sinne hat Trump recht, wenn er sich zunächst implizit als loser bezeichnet –, dass die Rechtswidrigkeit des Einreisebanns lange Zeit ein politischer Misserfolg war und insofern einen Pluspunkt für die Demokraten und andere politische Gegner darstellte. Doch diese politische Perspektive ist nicht die des Rechts. Trump war gerade deshalb lange Zeit nicht in der Lage, seine (Amts-)Macht, also seine Überlegenheit in Recht umzusetzen, weil er politisch und nicht rechtlich erwartet hatte.
Interessenschutz Welche privaten Interessen das Recht für schutzwürdig hält, worauf man sich bei einer Gesetzeseingabe also einzustellen hat, und wie das Recht etwaige – triviale – Konflikte entscheidet, lässt sich nur herausfinden, wenn man das Recht selbst beobachtet: seine Praxis (vgl. Luhmann 1995a: 391). Aus Sicht der realistischen Rechtstheorie heißt das, Interessen zu ignorieren – und stattdessen zu versuchen, Richterverhalten vorauszusehen (vgl. Luhmann 1995a: 391) Die Politik – bzw. die Instanz, die die Gesetze ›gibt‹ – sollte also versuchen, die dazu nötigen Redundanzen zu ermitteln und zu antizipieren, welche Interessen – und wann! – in die Dynamik des Rechts eingeschleust werden können. Wäre das Trump im Fall des Reisebanns nicht gelungen, hätte er sich des Vertragsbruchs schuldig gemacht. Der damit verbundenen Gefahren war er sich sehr wohl bewusst. Sein Contract with the American Voter listet den Punkt unter den »5 actions to restore security and the constitutional rule of law« auf: »suspend immigration from terror-prone regions where vetting cannot safely occur. All vetting of people coming into our country will be considered ›extreme vetting‹« (K. Liptak 2017). Verträge muss man halten – zumindest wenn es um seine Wähler geht, beabsichtigt Trump diese Norm offenbar nicht zu brechen. Dass er die Nachbesserungen des Entwurfs – obgleich von ihm verantwortet – auf Twitter abfällig als »watered down, politically correct ver-
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sions« bezeichnete, ist im Hinblick auf den mit den Wählern geschlossenen Vertrag nur logisch. Das Recht, so die Botschaft, lässt ihm leider keine andere Wahl, als den Vertrag ›aufzuweichen‹ (und von der sensiblen, verfassungsfeindlichen Komponente zu befreien, die Sally Yates solche Sorgen bereitet hatte). Faktisch stellt die Verwässerung jedoch eine Verrechtlichung dar, die sich offenbar der Intervention Rudy Giulianis verdankt.192 Das Recht interessiert sich herzlich wenig für diesen vermeintlichen Vertrag – ansonsten könnten seine Wähler Trump verklagen. Wie groß der Interessenkonflikt zwischen der Politik Trumps und dem Rechtssystem mittlerweile ist, wird auch anhand der Vielzahl der das Recht repräsentierenden Beamten deutlich, die sich gegen ihn bzw. diese Politik erheben: erst Yates, dann Comey, dann sogar der von Trump berufene Rosenstein, zuletzt die Generalstaatsanwälte der US-Bundesstaaten Maryland und Washington D. C., die Klage gegen ihn einreichen wollen, um die checks and balances wiederherzustellen.193 Diese Staatsdiener mögen in der Tat Teil einer dunklen, unkontrollierbaren Macht, eines deep state, eines Staates im Staate sein, der nur ein Ziel verfolgt: Trump und seine liberale Agenda zu vernichten. Doch vor allem tun sie das, was ihre Profession vorsieht, emphatisch: ihre Pflicht, und die lautet, die Autonomie des Rechts gegenüber der Verfassung zu sichern – mit all den Problemen, die damit zusammenhängen. Dass sie Trump möglicherweise nur schaden wollen, kann deshalb natürlich nicht völlig ausgeschlossen werden. Mit alldem ist aber die Frage noch nicht beantwortet, welche Interessen geopfert, welche geschützt werden müssen. Im Fall des Reisebanns war Trump aus Sicht der Bundesrichter bereit, die eigenen Interessen als Vertragspartner seiner Wähler über die der Verfassung zu stellen, was von vielen als ›unamerikanisch‹ beobachtet wurde, während Trump sein Vorgehen mit den Interessen Anmerikas rechtfertigte, diese im Sinne Jeffersons über die Verfassung stellend: risking himself on a great occasion that puts the high interests of the nation at stake (vgl. Caldwell 1943: 212). Demgegenüber sahen es die Bundesrichter als ihre Aufgabe an, die amerikanische Verfassung gegen das Interesse der Regierung zu schützen, ein Wahlversprechen auf Kosten dieser Verfassung einzulösen, also ein sekundäres Interesse über ein primäres zu stellen. Der Supreme Court hatte das letzte Wort – und machte nachdrücklich auf das Moment der rechtlichen Faktenproduktion aufmerksam. Aus seiner Sicht liegt weder ein sekundäres Interesse vor, noch ist die Verfassung gefährdet – möglicherweise durch Donald Trump, aber nicht durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der er zufälligerweise ist, »holding that the president’s expressions of hostility toward Mus-
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lims were ›extrinsic‹ to his decision« (Super 2018). Der Reisebann, so die Richter, diene nationalen Sicherheitsinteressen.194 Er sei nicht von einer ›diskriminierenden Absicht‹ beseelt – sollte sich diese niedrige Absicht eines Tages erweisen, wäre »judicial deference […] no longer justified.« (Super 2018) Ein Richter in Boston hatte früh die Richtung vorgegeben. Der US-Kongress habe im Einwanderungsgesetz den Präsidenten ausdrücklich ermächtigt, »Ausländer oder Ausländergruppen« von der Einreise abzuhalten; Gerichte seien nicht dazu da, parlamentarische Entscheidungen politisch zu bewerten, ein Recht auf Einreise gäbe es nicht, schon gar nicht auf dem Klageweg, ein Interessenkonflikt zwischen Gesetzesentwurf und Verfassung bestünde nicht, und nirgendwo im Dokument kämen die Worte muslim countries vor (vgl. Durden 2017). Auf den Einwand eines Anwalts der American Civil Liberties Union (ACLU), dass das Wort ›Muslim‹ in der Verfügung des Präsidenten zwar in der Tat nicht vorkomme, aber dass »the president described what he was going to do as a Muslim ban and then he proceeded to carry it out« (Durden 2017), erwiderte Gorton: »Am I to take the words of an executive at any point before or after election as a part of that executive order?«195 Die Anwälte des Departments of Justice nahmen diesen Hinweis dankbar auf. Sie verlangten vom Gericht: to pull the shutters closed, to pretend it has not seen what it has und sich ausschließlich auf den vorliegenden Gesetzesentwurf zu beziehen. Für den Fall einer darüber hinausgehenden Bezugnahme wiesen sie vorsorglich darauf hin, dass »the candidate’s statements on the campaign trail – in this case, Trump’s call for a ›Muslim‹ ban – should not be considered when reviewing a president’s actions«. Mehr noch, es gelte, die Entscheidung des Präsidenten als politisch motiviert anzuerkennen: denn »judicial rulings have long held that presidents are to be trusted when they say they are acting to protect national security« (zitiert nach Gomez 2017). Kurzum, sie argumentierten im Sinne funktionaler Differenzierung. Der Supreme Court ist ihnen darin gefolgt. Tatsächlich wirkt die Entscheidung eines Richters, und sei es die eines Schiedsrichters, zunächst rechtlich motiviert. Man kann sich jedenfalls nicht ohne weiteres hinstellen und sie durch Motive eigenmächtiger Bevorzugung sekundärer Interessen oder Benachteiligung erklären, also einen Interessenkonflikt unterstellen, wie Trump es tut. Genau das, was er den Richtern absprach, die für ihn ungünstige Urteile gefällt hatten – nämlich ihrer Rolle gerecht zu werden –, machte er für sich bezüglich des Reisebanns geltend. Dass die meisten Richter ihrem Präsidenten nicht trauen, dürfte aber
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nicht nur mit seinen Wahlversprechen zusammenhängen, sondern auch mit dem erwähnten Umstand, dass Trump die für die Moderne übliche Trennung zwischen Rolle und Person diffundiert (in seiner Sprache: verflüssigt, waters down). Man weiß, was man von einem Präsidenten der USA, von einem »good officer« (Jefferson) zu erwarten hat; aber man weiß auch, was man von der Person Trump zu erwarten hat. Da die Person Trump die Rolle dominiert, macht der Rekurs der Bundesrichter auf diese Person durchaus Sinn; der Rekurs des Supreme Court auf die Rolle des Präsidenten dagegen eher weniger. Nur nicht von der Perspektive des Rechts aus! Seine Mechanismen sehen vor, ›ohne Ansehen der Person‹ zu wirken, wie sehr auch immer diese sich in den Vordergrund drängen mag (vgl. Luhmann 1995a: 162). Die Formel für die Selbstreferentialität – wenn man so will: den Narzissmus – des Rechtssystems ist Vernunft. Was immer zu positivem Recht erklärt wird, also zu dem, was rechtlich gilt, muss vernünftig begründet werden können, ohne Hinweis auf Gott, das Schicksal, Ideologie oder irrationale Ängste vor Ausländern. Es geht darum, ob sich ein Argument sehen lassen kann – und sei es das der Anwälte des Department of Justice, dass man den muslimfeindlichen Wahlkämpfer von Trump dem Präsidenten unterscheiden müsse (vgl. Luhmann 1995a: 532). Eine sachliche Definition des Rechts existiert nicht. Was es gibt, ist allein die jeweils ›richtige‹ – vernünftige – Zuordnung der Werte Recht und Unrecht, ist das Recht selbst (vgl. Luhmann 1995a: 131). Dass der Supreme Court diesem Argument folgt und dem Präsidenten vertraut, also Trumps Wahlkampf- und andere Äußerungen ignoriert, ist (sein) ›gutes Recht‹: »The court’s answer […] is premised on (sometimes unarticulated) assumptions about how the presidency actually functions – that the President […] is not using national security, law enforcement, or military prerogative as a cover for naked partisanship or self-dealing.« (Renan 2018: 2193) Es gilt die Auslegung des Willens des Gesetzgebers, und hier reicht bereits die Form des Reisebanns – als die Form einer Änderung vorherigen Rechtszustandes –, um eine primäre Absicht zu unterstellen (vgl. Luhmann 1995a: 530). Der Bann ist Trump nicht einfach zugestoßen, so die Unterstellung. Sondern er will mit dieser Gesetzesänderung etwas Bestimmtes erreichen, und das Gericht interessiert sich nicht so sehr für seine faktischen Motive, sondern vor allem für Gründe, die juristisch Sinn ergeben – sie müssen als vernünftig einsehbar dargestellt werden können. Aus Sicht wissenschaftlicher Beobachter bestätigt das Urteil des Supreme Court den Verdacht eines ›Baufehlers‹ der US-Verfassung, oder sogar – so Klaus Ziegert – des »Pfuschs am Bau«. Das, was Korruption verhin-
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dern soll, wäre gleichsam selbst korrupt. Denn die ›Väter‹ der Verfassung waren Advokaten (lawyers) und Sklavenhalter. »Auf jeden Fall hat die ›republikanische‹ Verfassung dem Volk keine, den Senatoren einige und dem Präsidenten ziemlich viel Macht zugeteilt; Recht und Staat fallen dabei durch das Netz, wobei ›Recht‹ natürlich nicht Gesetz sondern Rechtsentscheidung durch Gerichte heißt, entsprechend der Konstruktion des common law zu Richtern ernannte oder gewählte Advokaten. Die schlauen Senatoren – deswegen eben das republikanisch-römische Modell – haben sich also über die Verfassung genügend ›wriggle room‹ verschafft, um überall die Finger mit im Kuchen zu haben und das durch eine gerichtliche Entscheidung zu legitimieren. Die Verfassung steht in den USA über dem Recht. In einem Rechtsstaat darf es das nicht geben, und so bleibt es – zumindest funktional – fraglich, ob die USA die ›rule of law‹ haben.« (Ziegert in einer E-Mail vom 7. 8. 2018 an mich, M. H. Das oft angeführte stacking of courts – also die richtigen Advokaten zum Richter zu ernennen – ist laut Ziegert gar nicht nötig, um eine ›richtige‹ Entscheidung zu bekommen: »Die Verfassung ist offen wie ein Scheunentor. Man klagt einfach so lange weiter, bis man die richtige Entscheidung bekommt und dann sind ›die anderen‹ dran; jetzt also wieder, wenn ›der Neue‹ [Brett Kavanaugh, M. H.] in den Sessel gehoben sein wird, das Zurückdrehen der Geburtenabbruchentscheidung.«) Mit der Referenz auf die Verfassung ist in den USA alles möglich bzw. unmöglich: Recht und American Creed fließen zusammen. Ziegert: »Wenn ein Richter, bei welchem Gericht auch immer, urteilt, daß Präsident Trump im Rahmen der ihm von der Verfassung gegebenen Exekutivrechte rechtmäßig (legal) gehandelt hat, ist er (in diesem Fall) im Recht – denn es gibt dazu kein Gesetz! Im nächsten Fall (das kann der gleiche sein, aber anders präpariert und interpretiert) wird wieder anders entschieden.« *** Wenn ich abschließend doch noch einen kurzen Blick auf die möglichen Motive Trumps werfe, dann nur im Hinblick auf eine von CNN-Moderator Fareed Zakaria vorgebrachte Unterscheidung. Zakaria hatte im Hinblick auf Trumps ›Geheimnisverrat‹ – die Preisgabe hochsensibler Geheimdienstinformationen (vgl. Yaron 2017) – die Differenz von incompetence/ something worse ins Spiel gebracht. Doch es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die sich jenseits von Unfähigkeit und Landesverrat bzw. Korruption befindet. Und zwar die, dass Trump schlicht nicht einer Meinung mit den rechtlichen und politischen Normen ist, von den moralischen – zu denen
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political correctness gehört – einmal abgesehen. Er hält sie nicht für legitim. Die Norm ist schlecht für die USA – und für ihn. Die Klimanorm ist »ungerecht« und schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung der USA, die Verfassungsnorm hindert ihn daran, seine Wahlversprechen einzulösen, und die bisherige Steuernorm ist ungerecht gegenüber den Reichen. Reichsein lohnt sich nicht! Man verdient Geld in Höhe mehrerer Millionen Dollar und wird deshalb von der Norm benachteiligt. Die Norm ist ›trumpwidrig‹, sie befindet sich nicht mit bestimmten Werten seiner Person im Einklang: »Before becoming president, Trump admitted to attempting to pay as little taxes as possible because he believed the government would waste the money […]« (Kwong 2018c) Warum sollte er dabei mithelfen, bestimmte Normen gegen seine massiv anders ausgerichtete Realität durchzuhalten? Die Steuernorm ist am unneutralsten in einem Wohlfahrtsstaat wie Deutschland, der erhebliche Belastungen des Eigentums vorsieht. Doch auch in den USA ist sie noch lange nicht neutral. Weshalb Trump den »radikalsten Anti-Robin-Hood der Geschichte« (Robert Greenstein) gibt und alle ›Trumps‹ entlastet: Wer im Jahr mindestens eine Millionen Dollar verdient, soll künftig 50 000 Dollar Steuern sparen. Auch die Weigerung, seine Einkünfte offenzulegen, oder die Kündigung des Klimaschutzabkommens können als Ausdruck seines Nicht-Einverstandenseins mit diesen als ethisch begriffenen Selbstverpflichtungen gelten. Denn einklagen lassen sich solche Verpflichtungen wie erwähnt nicht. Moralische Normen sind Wertdirektiven, keine Gesetze. Ihre kollektive Bindungswirkung geht auf etwas zurück, das man als ›Gruppenzwang‹ bezeichnen kann. Dass »Individual 1« Trump dieser Konformitätsdruck kalt lässt, sollte deutlich geworden sein. Nun sind Umweltzerstörung und Steuerhinterziehung sozial genausowenig erwünscht wie Geheimnisverrat, das ist auch Trump klar. Er könnte Freunde enttäuschen – Politikerfreunde, die mit für die gesetzliche Norm verantwortlich sind und bestimmte Erwartungen in ihn haben, zum Beispiel: dass er von ihnen mitgestaltete Normen befolgt. Oder auch nur die Minimalerwartung hegen, dass er die private Seite auf der privaten Seite lässt, was im Hinblick auf seine Prominenz von vornherein illusorisch war. Doch offenbar hat erst die Aussicht auf ein mögliches Amtsenthebungsverfahren ihm klargemacht, dass er im Fall der Russlandaffäre bisher nicht im Sinne des Rechts erwartet hatte – dass er, genau wie seine »wunderbaren Kinder« (vgl. Bryant 2018) und Freunde, ein Recht darauf hat, verurteilt zu werden.
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»America is not a country, it’s a business«, hatte Brad Pitt in seiner Rolle als Jackie im Gangster-Drama Killing Them Softly den Zustand der USA auf den Punkt gebracht. Jared Kushner und Donald Trump scheinen diese als Kritik an der Finanzkrise gedachte Aussage als Empfehlung zu interpretieren – als gelte es, das Land in eine Firma zu verwandeln. In der Variante Kushners liest sie sich wie folgt: »The government should be run like a great American company.« (Zitiert nach Gilchrist 2017) Hier findet sich einer der wesentlichen Gründe für die Präferenz Trumps für die sogenannten ›Goldman-Sachs-Leute‹, also politische Außenseiter wie Gary Cohen und Diana Habib Powell.196 Verkürzt gesagt geht es Trump um Zahlungsfähigkeit – verlängert gesagt: um die Rationalität in der Selektion der Bedingungen für die Weitergabe von Zahlungsfähigkeit (vgl. Luhmann 1994b: 142). Die einschränkenden Faktoren sind Steuern und – in der Diktion Trumps: »jobs, jobs, jobs«. Er überträgt also ein wirtschaftliches Kalkül – die Prämierung des Faktors Profitibilität – auf die Politik. Zwar wird durch Zahlungsfähigkeit notwendig zugleich immer auch Zahlungsunfähigkeit erzeugt, aber dieses Problem ließ sich, wie Trump demonstriert hat, erfolgreich marginalisieren: hauptsächlich durch die Forderung an die Wirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen, damit die Konsumenten bzw. the American people ihre Ausgaben refinanzieren können (vgl. Luhmann 1994b: 143). Aber auch dadurch, dass man etwa dem eigenen Staat – bzw. dem politischen Establishment – und schließlich anderen Staaten wie Deutschland und China Verantwortung zuweist. Die Ausgabendisposition der USA und seiner Kommunen betrachtet er in der Folge als nicht wirtschaftlich motiviert, sie kommen für ihn nur in Form von Kosten in Betracht. Das schlägt sich deutlich in den vielen Kürzungsprogrammen der Regierung nieder, dem Versuch, diese Kosten zu minimieren (vgl. Krieg and Mullery 2017). Entweder man ist ein Gewinner oder man ist ein Verlierer – warum sollte man einem Verlierer helfen? In © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_8
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den USA schiebt man die Begründungslast dem in die Schuhe, der es nicht geschafft hat: sei es ein akzeptables Einkommen zu beziehen, das Abitur zu machen oder Präsident zu werden. Die meisten Amerikaner halten den Wohlfahrtsstaat als den Versuch, zwischen ökonomischen Erfordernissen und sozialen Forderungen zu vermitteln und das politische Gleichheitsideal mit dem wirtschaftlichen Ungleichheitsideal (Kapitalismus) in ein operatives Gleichgewicht zu bringen, deshalb für verfehlt – schlimmer noch: für Sozialismus. Die Rolle des Volkes wird in der Wirtschaft bekanntlich von den Konsumenten eingenommen. Trump kann deshalb nicht daran gelegen sein, die American people als eine durch Werte oder Ideale verbundene Gemeinschaft zu begreifen.197 Weshalb Trumps erster Berater Kushner wenig überraschend formuliert: »Our hope is that we can achieve successes and efficiencies for our customers, who are the citizens.« (Zitiert nach Gilchrist 2017) Die Antwort der Massenmedien auf diese Einschätzung ließ – in Form von Stephen Colbert – nicht lange auf sich warten: »We own the store. Which means: You work for us, buddy.« Auch die Wissenschaft fühlte sich berufen, Kushner zurechtzuweisen: »Someone has to tell Jared Kushner that citizens are his boss, not his customers. When you’ve inherited your job, that might be difficult to understand, but it’s an important idea.« (Mukunda, zitiert nach Illing 2017) Für Mukunda geht es in dem Zusammenhang um zwei Fragen: »One is the broader idea of what’s the relationship between being good at business and good at government, and the second is the specifics of what the Trump administration is trying to do.« Aus der Sicht Mukundas qualifizieren die Fähigkeiten eines Geschäftsmannes nicht für das Geschäft der Politik. Zwar gäbe es dazu bisher keine Untersuchungen, da sich diese Frage konkret erst seit Donald Trump stelle: »But we have a lot of research on the extent to which skills are transferable from one area to another. And when you look at studies within the business world, what you see is that, in fact, skills don’t even transport from one company to another […] If skills don’t transport well from, say, one investment bank to another, why would we believe they transport well from business to the completely different environment of government?« Dass es Möglichkeiten der ›Effektübertragung‹ gibt, hatte ich erwähnt – ohne sie hätte es Trump nie ins Präsidentenamt geschafft (vgl. Luhmann 2010: 165). Man könnte sagen, dass es ihm gelungen ist, den Teilnahmebereich der Wirtschaft für den der Politik zu mobilisieren. Aber die Voraussetzungen dafür, in einem anderen Bereich erfolgreich zu sein, lässt er vermissen: eine rollenmobile Persönlichkeit. Trump ist auf die Rolle des Geschäftsmanns festgelegt.
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Der zweite Hinweis, den Mukunda gibt, ist ertragreicher. Er zielt auf den Systemkonflikt, mit dem ich mich in diesem Kapitel beschäftigen werde: »Companies are supposed to run at a profit. If your government is running at a profit, you have a problem; it’s not an indicator of success.« (Mukunda, zitiert nach Illing 2017) In der Sprache der Systemtheorie: die Codes der Wirtschaft und der Politik sind nicht ineinander konvertierbar (vgl. Luhmann 1997: 367). Geldbesitz kann nicht in Macht umgesetzt werden oder umgekehrt. Kreuzen lässt sich die Grenze nur innerhalb der jeweiligen Codes. Wer es dennoch versucht, riskiert einen Konflikt. Eine ganz andere Frage ist, ob die Bürger Trumps Vorgesetzte sind, wie die Kritiker Kushners behaupten. Es ist eine schöne Vorstellung, aber sie entspricht nicht der Realität, denn auch Demokratie basiert auf Macht. Zwar sieht sie sich auf Legitimation verwiesen. Aber das Modell der legitimationsbedürftigen Demokratie ist immer noch ein Herrschaftsmodell. Die Asymmetrie der Herrschaft wird als unverzichtbare Struktur vorausgesetzt, obwohl Demokratie sagt: Es herrscht das Volk (vgl. Luhmann 2002a: 364). Trump kann seine ›Kunden‹ also zwingen – etwa zu Steuerzahlungen. Oder dazu eine Presidential Alert-Kurznachricht zu empfangen. »That’s impossible. He can’t text us – can he?« fragt eine verängstigte Mutter in einem Sketch der Jimmy Kimmel-Show. Die Antwort ist: Yes he can. Trump hat die Macht, genau das zu tun. Die ›Kunden‹ dagegen haben gegen ihn wenig in der Hand. Sie können Witze über ihn machen, ihn kritisieren und verklagen, aber nicht das Produkt reklamieren – höchstens, indem sie sich nach vier Jahren für ein anderes entscheiden. Anders verhält es sich in der Wirtschaft. Hier hat der Kunde die freie Wahl. Dass den meisten Europäern amerikanische Autos nicht gefallen, hat damit zu tun, dass die Bedürfnisse nicht gleich verteilt sind – genau wie das Geld, das hier im Spiel ist. Diese Ungleichheit kann man mit Luhmann als wirtschaftlichen Motor begreifen (vgl. Luhmann 2011: 112). Nehmen wir uns an Trump ein Beispiel und begreifen sie versuchsweise als politischen Motor. Der Kunde bzw. Wähler verlangt ein bestimmtes politisches Produkt, und da er es im ersten Laden nicht findet, geht er zum nächsten, dem ›GOP Store‹. (Endnote: Den es in der Tat gibt, allerdings kann man dort lediglich T-Shirts, Buttons, Sticker und ›Yard Signs‹ erwerben, vgl. https:// www.gopstore.com/). Er stellt fest, dass ihm das Produkt Trump gut gefällt – ein Alternativprodukt, das Nationalismus und Geld bzw. Zahlungsfähigkeit zusammenbringt, Provokationen und Normbrüche inklusive. So wie die Wirtschaft mithilfe des Markts die Bedürfnisse der Kunden testet – bzw. kreiert –, hat auch Trump das Bedürfnis nach einem Kandidaten wie ihm getestet. Um die Chancen des ›Trump-Produkts‹ zu erhöhen, griff
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er zu einem Mittel, das gleichermaßen in der Werbung wie im Funktionalismus Verwendung findet: der Konstruktion eines Problems. Im Funktionalismus löst die Gesellschaft das Problem, in der Werbung das Produkt. Es gibt viele Produkte, die für Sauberkeit sorgen – aber wer es streifenfrei will, braucht Meister Proper, und wer das weißeste Weiß möchte, Dash. Es gibt viele amerikanische Politiker, denen Amerikas Größe am Herzen liegt – aber nur wenige, die es wieder so ›weiß‹ machen möchten wie Donald Trump. Michael Cohen hat in seiner Anhörung noch einmal bestätigt, dass der Präsident das politische Forum vor allem als Marktplatz begreift, dass es ihm also darum geht, ›konsumiert‹ zu werden: »As Michael Cohen said in his testimony on Wednesday, even the presidential campaign was a marketing campaign to build the Trump brand.« (Brooks 2019) Aus dieser Sicht ist Trumps Populismus nicht mehr und nicht weniger als eine Investition: der Versuch, durch die Befriedigung bestimmter Marktbedürfnisse die eigenen Absatzchancen zu steigern – und die Nachfrage nach einem rassistischen (nationalistischen usw.) Produkt ist in weiten Teilen der USA offenbar größer als bisher angenommen. Die Rolle des Marktes übernehmen in der Politik die Medien, weshalb Trump so sehr an einer positiven Darstellung seiner Person gelegen ist, die gleichsam den ›Preis‹ festlegt, zu dem er gehandelt wird. In einer Diktatur ist die Politik deshalb nur begrenzt lernfähig, einem Putin liegt wenig daran, zu beobachten, wie er beobachtet wird. Dem stehen die beweglichen Preise für Politikerprodukte in demokratischen Ländern gegenüber. Die Marktbeobachtung wird hier durch – wiederum zum größten Teil von den Medien vorgenommene – Umfragen statistisch abgestützt, die beobachten, wie Wähler das Produkt beurteilen: ob sie ›kaufen‹ oder nicht. Trump stellt diese Beobachtung seiner Person immer schon mit in Rechnung, bevor er vor die Mikrofone tritt. Weshalb er es beispielsweise so gern vor einem startbereiten Helikopter tut, dessen drehende Rotorblätter nicht nur seine fortlaufende Einsatzbereitschaft beglaubigen, sondern ihm auch das Überhören unangenehmer Fragen erlauben. Wie alle Waren fällt auch die Ware Trump in Gebrauchswert und Tauschwert auseinander (vgl. Baecker 2008: 19 ff.). Sie befriedigt zweierlei Bedürfnisse, einerseits das Bedürfnis nach ihrem ›Verbrauch‹ und andererseits das ihrer ›Verwertung‹. Das Problem ist, dass Trump diese individuellen Bedürfnisse nur befriedigen kann, wenn er beide befriedigt: einerseits also die Bedürfnisse dessen, was man Realpolitik nennen könnte, andererseits die Bedürfnisse der Symbolpolitik, für die Werte und Normen eine entscheidende Rolle spielen. Als Ware ist Trump – zumindest aus
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der Sicht von Karl Marx – der missing link zwischen beiden, wobei Trump die eigenen Bedürfnisse im Bereich der Verwertung nur befriedigen kann, wenn er auch die Bedürfnisse anderer befriedigt.198 Der Kunde ›gebraucht‹ Trump – und stellt anschließend seine Erfahrung (Ist-Leistung) einem Vergleichswert (Soll-Leistung) gegenüber. Wer zufrieden ist, kauft bzw. wählt ihn erneut, empfiehlt ihn weiter, kauft womöglich andere Trump-Produkte (von ihm unterstützte Politiker) – und ist vielleicht sogar bereit, für das Produkt einen höheren Preis zu zahlen (in Form der Folgen der Strafzölle, eines kalten Bürgerkriegs oder einer Haushaltssperre). Das scheint auf die meisten Trump-Kunden zuzutreffen: »In October, for example, 44 percent of 2016 voters said they approved of Trump’s performance in office, compared with 37 percent of the general population. Among Republicans, 82 percent of voters approved of Trump in October, compared with 75 percent of all Republicans.« (Kahn 2017) Kunden, die ein anderes Produkt gekauft, aber trotzdem Trump bekommen haben, erkundigen sich nach Rückgabemöglichkeiten: »what’s your return policy? america has a trump item that is damaged and fits very poorly that we don’t want anymore.« (kathleen@baad_ kittee, zitiert nach Moran 2018d) Das ist wie bereits erwähnt nicht möglich: unzufriedene Kunden müssen sich gedulden und bis 2020 mit ihm vorliebnehmen. (Eine Möglichkeit, das Verhältnis von Trump zu seinen Anhängern auf einer abstrakten Ebene zu verdeutlichen, bietet Fritz Heiders P-O-X-Modell (1958). In ihm wird der Trump-Anhänger als P in Beziehung gesetzt zu O (anderen, hier: Trump); eine Beziehung, die durch X (ein x-beliebiges Einstellungsobjekt, in unserem Fall: MAGA bzw. »America First«) gestiftet wird. In Heiders Modell sind alle drei Elemente in einem Balancedreieck über Relationen miteinander verbunden. Diese Relationen können positiv und negativ sein und existieren wiederum in zwei Arten von Relationen: einer Einheitsrelation und einer Werterelation. Sollten die negativen Relationen eines Tages überwiegen, muss P sich entscheiden, will sie die ursprüngliche Balance wiederherstellen: 1. Trump (O) isn’t so bad after all; 2. MAGA (X) isn’t as great as originally thought; 3. Trump (O) couldn’t really have made America great again (X). Heiders Norm lautet: P will die Balance. Die ließe sich auch über die Vermeidung Trumps erreichen, oder über die Vermeidung jedweden »America First«-Gedankens. Wer die Entscheidung von P vorhersagen will, muss laut Heider nur alle möglichen Resultate in den Blick nehmen, um anschließend jene Handlung auszuwählen, die den geringsten Aufwand erfordert. Simple Mathematik mithin – + + + = + (balanced); −+−=+ (balanced); − + + = − (unbalanced) – die zwar kaum zu ei-
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ner Wahlprognose taugt, aber helfen kann, die Stabilität zu verstehen, die Trumps Beziehung zu seinen Anhängern kennzeichnet.) Doch der Vergleich hat auch aus anderen Gründen seine Grenzen. Zwar war Trump in der Lage, Patriotismus bzw. Nationalismus und Zahlungsfähigkeit für den Wahlsieg zu kapitalisieren, also von einem Trend zu profitieren. Aber am Tag des Wahlsiegs wurde ihm kein finanzieller Gewinn ausgezahlt – Trumps Gewinn war die Macht. Mögen politische Kampagnen auch viel von wirtschaftlichen gelernt haben und in der Person des Kandidaten eine Art thematisches Produkt sehen, sie befriedigen keine wirtschaftlichen Bedürfnisse. Dass Trump Gesetze als Geschäftsabschlüsse denkt, weshalb er von Geschäftsabschluss zu Geschäftsabschluss eilt, von einem Deal zum nächsten, ändert daran nichts.199 Anders als bei einer geschäftlichen Transaktion, in der es darum geht, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen, sind Gewinne in der Politik keine feststehenden Größen. Zudem gilt es stets, die langfristigen Folgen zu kalkulieren. Auch deshalb gilt: »Trump muss mehr vertreten als nur die Firma USA.« (Rothenberg 2017) Dem Geschäftsmann Trump konnte es gleich sein, wie die Wirtschaft als Ganzes auf seine Abschlüsse reagiert. Nun muss er genau diese – (un) gewollten – Auswirkungen seiner Gesetze auf die Gesellschaft antizipieren. Die Bemerkung »Und in China fällt ein Sack Reis um« markierte in Zeiten vor der Globalisierung die Irrelevanz eines Ereignisses; heute markiert sie die nichtlineare Dynamik der Weltverhältnisse, weil schlicht nicht mehr vorhersehbar ist, in welchem Maße sich gerade in China umfallende Reissäcke auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken. »America First« beinhaltet in diesem Sinne auch die Vorstellung, dass sich die Volkswirtschaft der USA von der globalen Entwicklung – vom Rest der Welt – abkoppeln lässt. Man könnte das neue politische Credo des Landes deshalb als Inversion des alten Roosevelt-Statements fassen: It has become unclear that acts and policies of nations in other parts of the world have far-reaching effects on us (vgl. Roosevelt 1938).200 Politik ist zwar immer auch ein Marktgeschehen, das es erfordert, zwischen Konkurrenten, Tauschpartnern und Mitarbeitern zu unterscheiden (vgl. Luhmann 1994a: 105). Konkurrenz ist vor allem im Wahlkampf wichtig (»Lyin’ Ted«), Tauschpartner benötigt man zum Regieren (»Beautiful Ted«). Aber Trump überfordert die Dealfähigkeit der Politik. Er liest die ›Konkurrenzlage‹ an der Handelsdifferenz ab und begreift China, Deutschland, Kanada usw. als Mitbewerber, nicht als Partner (›Alliierte‹). Die Fragen, die er sich stellt, sind nicht politischer Natur. Sie lauten: Mit wem tauschen? Gegen wen konkurrieren? Mit wem kooperieren?
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Politische Kontrolle Der Umstand, dass wirtschaftliche Themen in der Politik eine Hauptrolle spielen, kam dem Geschäftsmann und Dealmaker Trump gelegen. Wie alle amerikanischen Präsidenten vor ihm geht er davon aus, dass man ihn am wirtschaftlichen Wohlergehen der USA misst. Deshalb mutet er sich ja zu, politische Entscheidungen so zu treffen, dass sie die Wirtschaft der USA fördern, und vermutete Fehlentwicklungen zu korrigieren. Und in der Tat hängen politische Erfolge (Wahlsiege) seit der Demokratisierung nun einmal von wirtschaftlichen Konjunkturen ab. Nur sind diese ihrerseits eingebettet in längerfristige Strukturverschiebungen im Weltwirtschaftssystem. Diese Langfristigkeit stellt für einen die Rolle des heroischen Aktionisten spielenden »5-Minuten-Präsidenten« (Jon Meacham) nur dann ein Problem dar, wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist. Dann weist er die Folgen zurück. Dass heißt natürlich nicht, dass er damit die Autonomie der Wirtschaft anerkennen würde, denn gute Folgen reklamiert er ja durchaus für sich: »This is the greatest economy that we’ve had in our history, the best.«201 Er folgt hier einem von Nils Brunsson (1993) identifizierten Skript der Optimierung, das es der Politik ermöglicht, mit Resultaten fertig zu werden, und zwar gleichermaßen guten wie schlechten: Heuchelei und Rechtfertigung. Trump tut so, als sei die gute Wirtschaftslage ihm zu verdanken – und er lässt uns wissen, dass er hinsichtlich der Wirtschaft gute Absichten hat, mögen sie auch – vorübergehend – negative Folgen zeitigen (es geht ihm um Amerika). Beide Verfahren sind in der Lage, den Mangel an politischer Kontrolle auszugleichen. Gewiss kann man Politik zur Kontrolle der Wirtschaft einsetzen (vgl. Luhmann 1994a: 25). Dann nimmt die Wirtschaft jene Entscheidungen in Anspruch, die ihr Trump auf internationaler Ebene gegenwärtig etwa mittels der Strafzölle zur Verfügung stellt. Aber kontrollieren lässt sich nicht, wie man die Wirtschaft, sondern nur, wie man die wirtschaftliche Variabilität irritiert. Deren Operationen kann die Politik nicht steuern. Sie kann lediglich versuchen, Einfluss zu nehmen. Die Wirtschaft wiederum reagiert auf diese Versuche der politischen Festsetzung mit eigenen Mitteln. Trump kann nicht entscheiden, dass der Dollar stark sein und es den USA wirtschaftlich gutgehen soll. Er kann der amerikanischen Wirtschaft kein vierprozentiges Wachstum vorschreiben. Zwar benötigt sie politisch-rechtliche Vorgaben, die den sich ändernden Verhältnissen angepasst werden müssen – etwa der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung erneuerba-
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rer (›sauberer‹) Energien. Aber die amerikanische Politik kann die amerikanische Wirtschaft bzw. einzelne ihrer Teilbereiche wie etwa die Stahl-, Auto- oder Kohleindustrie nicht sanieren. Sie kann nicht einmal einzelne Betriebe sanieren. Denn was benötigt man, um die Wirtschaft zu sanieren? Geld – »also Wirtschaft« (Luhmann 1992: 325). Zwar reklamierte Trump den Verzicht von Ford, eine Autofabrik in Mexiko bauen zu wollen, in einem Tweet zunächst als Verdienst für sich: »Thank you to Ford for scrapping a new plant in Mexico and creating 700 new jobs in the U. S. This is just the beginning – much more to follow.« (Trump, zitiert nach Covert 2017) Bei näherem Hinsehen erwies sich die Entscheidung aber keineswegs als Moment politischer Kontrolle: »But the small car production originally planned for the discontinued San Luis Potosi plant is shifting to an existing Ford Mexican assembly plant, not returning to the U. S.« (Isidore 2017) Die Massenmedien waren dem Präsidenten zunächst auf den Leim gegangen – zu schön war die zu erzählende Geschichte – und gaben sich entsprechend enttäuscht: »These plans aren’t new – they were first announced in 2015. But they may seem at odds with all the recent buzz about U. S. automakers bringing jobs back to the U. S., particularly Ford, amid pressure from Trump.« (Isidore 2017) Der Trump durchaus freundlich gesonnene Ford-Vorstandsvorsitzende Mark Fields machte deutlich, was für ein wirtschaftliches Unternehmen selbstverständlich ist: dass wirtschaftliche Überlegungen den Ausschlag gaben. »The bottom line is we’re not seeing the volume and the demand that we expected for that plant. And, therefore, we’re looking at our capacity and saying, ›You know what, we can build that in an existing facility and use capacity that we already have.‹« (Fields, zitiert nach Lovelace 2017) Welche Überraschung: »Main reason for canceling Mexico plant was market demand, not Trump.« (Lovelace 2017) Wie die Wirtschaft mit den von der Politik ausgehenden Irritationen – und dem Appell an Patriotismus – umging, ließ sich indes gut beobachten: indem eine längst getroffene wirtschaftliche Entscheidung als »vote of confidence« markiert wurde.202 Denn natürlich hofft Fields, dass die amerikanische Autoindustrie von den Entscheidungen der neuen Regierung profitiert – sie sind keineswegs unwichtig, gerade weil sie der Wirtschaftsumwelt zugeordnet werden müssen. Ähnlich reserviert zeigte sich die Firma im Hinblick auf Trumps Hinweis, dank seiner Strafzölle könne sie nun den beliebten Ford Active in den USA fertigen lassen: »It would not be profitable to build the Focus Active in the U. S. given an expected annual sales volume of fewer than 50,000 units and its competitive segment. Ford is proud to employ more U. S. hourly
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workers and build more vehicles in the U. S. than any other automaker.« (Ford, zitiert nach Howard 2018) Nicht zuletzt sind die Effekte politischer Maßnahmen aufgrund der Komplexität der Wirtschaft wie erwähnt schwer zu bestimmen. Die Verhältnisse lassen eine längerfristige Planung schlicht nicht zu (vgl. Luhmann 2011: 10). Insbesondere seit die Finanzmärkte globalisiert sind, Arbeit und Produktion aber nach wie vor regional verankert sein müssen. Die Folge ist, »daß Nationalstaaten um internationales Kapital konkurrieren, um zu erreichen, daß das Kapital auf ihrem Territorium eingesetzt wird« (Luhmann 2002a: 387) – genau das also, worum sich Trump verstärkt bemüht. Nur lassen sich die Erfolgsbedingungen von einem zwar wichtigen, aber letztlich nur regionalen politischem System aus – dem der USA – nicht kontrollieren, wie das Produkt Trump seinen Käufern vormacht. Man kann lediglich korrigierend oder abschwächend in die wirtschaftlichen Abläufe eingreifen. Selbst wenn Trump und sein Team die Lage tiefenscharf analysieren würden, um herauszufinden, für welche Arten von Sachlagen welche Problemlösungsrichtung am besten passt, sie wüssten immer noch nichts über die Erfolgsaussichten ihrer Entscheidungen (vgl. Luhmann 2002a: 127). Kurz gesagt, politische Handlungen wie eine Steuer- oder Gesundheitsreform oder Strafzölle können nicht das Verhalten der Wirtschaft auf diese Entscheidungen steuern. Die Politik versucht zwar, Gewinnchancen zu eröffnen und derart Aktivitäten zu stimulieren. Und gewiss reagiert die Börse auf präsidiale Tweets. Oder die Wirtschaft auf Strafzölle. Aber keineswegs immer in der Weise, die den politischen Intentionen entspricht. Ob steuerliche Anreize bestimmte Investitionen zur Folge haben, ob sich die Förderung bestimmter Branchen – Kohle, Stahl – günstig auf die Marktfähigkeit von Unternehmen auswirkt, kann man schlicht nicht wissen. Mitunter führen bestimmte Entscheidungen zum Gegenteil dessen, was ursprünglich beabsichtigt war. Die besten Absichten (Amerika wieder groß zu machen) können ganz gegenteilige Folgen haben (es eher kleiner machen).203 Diese Effekte des Steuerungshandelns treten nicht nur ungesteuert auf, sie sind grundsätzlich nicht steuerbar – könnte man sie planen, so Luhmann, würden sie ja verschwinden (vgl. Luhmann 1992b: 330). So hatte Trump vermutlich nicht geplant, mit dem Reisebann Silicon Valley gegen sich aufzubringen. Oder mit den Strafzöllen Harley Davidson zur Schließung ihrer amerikanischen Produktionsstätten zu bewegen: »Suprised that Harley-Davidson, of all companies, would be the first to wave the White Flag […]« (Trump 2018). Als er bemerkt hatte, wie sich sein Zollprogramm auf die amerikanischen Bauern auswirkte, musste er eine Art
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Programmrettungsprogramm auflegen, das mehrere Billionen Dollar bezuschusste (vgl. Petersdorf 2018). Die Kritik, die ihm Dirigismus à la Sowjetunion (»Sozialismus«) vorwarf, ließ nicht lange auf sich warten.204 In den USA war die Idee einer politischen Kontrolle der sich selbst kontrollierenden Wirtschaft nie populär, vor allem nicht im Hinblick auf die Vorstellung der invisible hand, also der Idee, dass der Lärm der einzelnen Handlungsmotive auf gleichsam magische Weise zur Ordnung gebracht werden könne – weshalb Luhmann hier ein Kompromissangebot an die Religion vermutet (vgl. 1984: 174). Doch der Präsident hatte hier kaum eine Wahl: »Farmers are a key part of the rural political base that elected President Donald Trump, who has promised they will emerge from a trade war better off.« (Bloomberg 2018b) Die Alternative wäre eine Umprogrammierung und damit das Eingestehen eines Fehlers gewesen, was aus politischer Sicht für ihn nicht infrage kommt. Nicht zuletzt passt die Finanzhilfe perfekt zur Logik seiner Strafzollpolitik: jener der politischen Intervention. Trump vertraut der unsichtbaren Hand nicht – und er ist damit keineswegs allein. In der Tat hat diese Vorstellung seit der Französischen Revolution – und erst recht seit der Globalisierung – erheblich an Plausibilität verloren. Allerdings ist er nicht an einer ethischen Steuerung interessiert, wie sie der Sozialismus vorsah. Es geht eher um das Gegenteil: eine Zurückweisung allgemeiner ethischer Ansprüche, die nun nur mehr für Amerikaner geltend gemacht werden können. Trump hätte wissen können, dass die Verhältnisse, auf die sich seine Bemühungen richten, sich durch diese Bemühungen in unerwarteter Weise selbst ändern würden; die Probleme, denen er sich heute gegenübersieht, sind zum Teil sein eigenes Werk. Der Erfolg seiner Maßnahmen hängt nun einmal nicht allein von politischen Faktoren ab – und nur diese kann die Politik ja kontrollieren. Sicher, sie reklamiert eine Steuerungsfähigkeit des Ganzen, aber ihre faktischen Möglichkeiten sind durch die Funktion begrenzt. Doch ein »gebrochenes Verhältnis zu den eigenen Zielen«, das auf die weitläufigen und unübersehbaren Folgen jeder Planung hinweist, passt kaum zu seinem politischen Programm (vgl. Luhmann 2011: 9).
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Ein anderes Blatt Der Wirtschaftspolitiker Trump kämpft an zwei Fronten: einer globalen und einer regionalen. Diese zwei Fronten bilden zurzeit die zentrale Differenz der Wirtschaft: auf der einen Seite der internationale Finanzmarkt, auf der anderen die regional organisierten Komplexe von Industrie und Arbeit (vgl. Luhmann 2002a: 114). Die Strategien, die er jeweils anwendet, sind dabei genau entgegengesetzt: International wird reguliert, national wird dereguliert. Seine Wähler kauften ihm die Möglichkeit einer regionalstaatlichen Kontrolle der globalen Finanzmärkte zunächst ab. Trump ist bemüht, sie in diesem Glauben zu bestärken: »Tariffs are working far better than anyone ever anticipated. China market has dropped 27 % in last 4months [sic], and they are talking to us. Our market is stronger than ever […]« – »[…] big dollars are flowing into our Treasury [sic][…]« Dass die USA hier im Gegensatz zu vielen anderen staatlichen Akteuren in einer eher vorteilhaften Situation sind, ist klar: »Some say his plan could work as the U. S. is negotiating from a position of strength – a strong economy and low unemployment rates.« (Hayes 2018a) Zwar liegen seinen Überlegungen Kausalannahmen zugrunde, die mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht viel zu tun haben, aber offenbar lassen sie sich gut ›vermarkten‹, sprich: lässt sich aus ihnen politisches Kapital schlagen. Trump wird sichtbar als einer, der für Amerikas Interessen einsteht – rücksichtslos zwar, weil es die Stunde nun einmal verlangt, aber auch mutig, unerschrocken, kraftvoll. Die Entscheidung, Strafzölle zu verhängen, vermittelt den Eindruck, dass er etwas tut. Er agiert, anstatt abzuwarten, bis die Dinge sich von selbst wenden, nicht nur laut Niklas Luhmann die beste Strategie (vgl. Luhmann 2002a: 113). Doch der Rat, den ein Wirtschaftswissenschaftler des 18. Jahrhunderts (Vincent de Gournay) seinen Zeitgenossen gab – »Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même!« (zitiert nach Ehrlicher 1975: 481) – dürfte den action hero Trump kaum erreichen.205 Dass die von ihm bisher erzielten Effekte seinen wirtschaftlichen Intentionen entsprechen, wie er beteuert, darf man bezweifeln. Es spielt aber zuletzt auch keine Rolle, zumindest nicht für die Politik, denn hier kommt es nur auf die Kommunikation von Interventionsabsichten an, nicht so sehr auf die tatsächlich eintretenden oder nicht eintretenden Effekte, die sich zudem in den meisten Fällen erst sehr viel später zeigen. Trump ist das bewusst: »I won’t be there.« (Zitiert nach Suebsaeng und Markay 2018) Die Auswirkungen dieser politischen Eingriffe stehen also auf einem anderen Blatt. Sie sollen Wahlchancen erhöhen und Trump als größten aller
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wirtschaftlichen ›Influencer‹ ausweisen. Vielleicht weiß er, dass seine Interventionen die USA nicht zurück auf die Gewinnerstraße bringen, womöglich ist er auch über die Komplexität des Welthandels im Bilde, über globale Lieferketten, die Konsequenzen für Zulieferer, Investoren und Kunden. Indem er gegen alle Widerstände und gerade deshalb für alle weithin sichtbar für die sterbende amerikanische Stahlindustrie Partei ergreift, für den american worker, handelt er also nicht so sehr wirtschaftlich, sondern politisch. Die Strafzölle geben Trump bzw. den USA die Möglichkeit, auf die Missachtung des Gebots ›Sei fair zu den USA‹ zu reagieren. Nicht notwendig, um sie durchzusetzen: »I’m using tariffs to negotiate.« (Trump, zitiert nach Wall Street Journal 2018) Mexiko, Kanada, die EU und China haben die Drohung ernst genommen – und entsprechend reagiert. Trump streitet, droht, zieht frohen Mutes in den Handelskrieg und sorgt im gleichen Moment dafür, dass seine Handlungen – die Kommunikation von Macht, genau wie seine Zuversicht – wahrgenommen werden. Und wie in einem richtigen Krieg fordert er eine gewisse Opferbereitschaft von der Bevölkerung bzw. seinem Kundenstamm: »Be patient!« Auch China bereitet die eigene Bevölkerung auf harte Zeiten vor: »Inflicted with the largest-ever trade war in world economic history, China will inevitably suffer economic and trade losses, and be confronted with new difficulties in national economic transformation. But just as jade needs to be polished, China also needs to go through trials and tribulations to be strong.« (Xiudong 2018) Noch sind die USA ungewöhnlich mächtig, vor allem dank des Dollars. Die EU, Kanada und viele andere Länder, aber auch Organisationen wie die NATO, sind verzweifelt bemüht, die Verwirklichung der von Trump angedrohten Strafzölle zu vermeiden. Wir haben gesehen, dass es dieses Vermeiden von (möglichen und möglich bleibenden) Sanktionen ist, das Macht ausmacht (vgl. Luhmann 1975: 23). Bei der Kommunikation über ein Thema wie die Erhöhung der Verteidigungsausgaben zieht Trump genau wie die NATO-Länder immer die Option in Betracht, dass er die Möglichkeit hat, seine Auffassung durchzusetzen (vgl. Luhmann 1975: 24 f.). Die anderen Herrscher, Staatenlenker, Regierungschefs, Präsidenten flehen um Gnade und bringen Trump so in die Position, ihnen diese – vielleicht, je nachdem, in jedem Fall aber freiwillig – zukommen zu lassen. Im Falle der EU erwies Trump dem Bittsteller – und offenbar erfolgreicher Erklärer der komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge, dumbing things down (Sampathkumar 2018) – Juncker diese Gnade, zeigte sich dem Schwächeren gegenüber wohlwollend und konnte so die Erstheit der USA demonstrieren: die hohe Autorität der USA begnadigt die EU.
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Um es zu wiederholen: Trump kann mit seinem Programm zur Rettung der amerikanischen superiority bzw. supremacy politische Erfolge oder Misserfolge erzielen, doch er ist weit davon entfernt, mit seinen politischen Entscheidungen die Wirtschaft regulieren zu können – oder sie deregulieren zu können, was auf das Gleiche hinausläuft. Darauf kommt es für ihn aber vermutlich auch nicht an. Sondern darauf, davon auszugehen. Was schon daran zu sehen ist, dass diese Beschreibung der Realität mittels des Kausalschemas – Trump tut etwas, droht China und Deutschland, verhängt Strafzölle, und das bewirkt Gutes – im Hinblick auf ihre politischen Effekte beurteilt wird, also vor allem im Hinblick auf die Erhöhung seiner Chancen, erneut gewählt zu werden.
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Wenn man der Auseinandersetzung mit Trump die Schwere nehmen will, könnte man statt von einer Trump-Krise auch von einer ›Trump-Affäre‹ sprechen. Beide teilen das Moment der zeitlichen Begrenztheit: sie gehen irgendwann vorüber. Beide erlauben es, eine Vielzahl unterschiedlicher Momente (hier: Skandale) zu vereinheitlichen. Affaire ist eine Zusammenziehung von (avoir) à faire: ›zu tun haben‹. Zu denen, die mit Trump zu tun haben, die sich zu ihm hingezogen fühlen, gehören neben etlichen Politikern, Geschäftsleuten und seinen Anhängern auch die Massenmedien, die diese Beziehung partout nicht auskühlen lassen wollen. Stattdessen lässt sich eine fortlaufende Redynamisierung beobachten – jede Möglichkeit der Vertrautheit, die ein Ende der Affäre bewirken würde, wird blockiert. Erneut mit Trump: On both sides. Rund um die Uhr, mitunter minütlich, reagiert er auf sie, die auf ihn reagieren. Es trifft sich, dass die ursprüngliche Bedeutung im Laufe der Zeit ein Euphemismus für Liebschaft oder Sexbeziehung wurde, und zwar besonders für solche, die man als skandalträchtig empfand. Denn auch die liefert ihnen Trump. Doch jene die Berichterstattung lange Zeit beherrschende Affäre zwischen ihm und dem Pornostar Stormy Daniels ist zuletzt nicht mehr als eine Delikatesse (vgl. Luhmann 1982: 55). Ich spreche von echten Gefühlen, nicht vom »Zugang zu sexueller Realisation« (Luhmann). Für die Massenmedien ist Putin Trumps fatal attraction – aus meiner Sicht stellt die Beziehung der Massenmedien zu Trump eine solche love turned to obsession dar. Kellyanne Conway wundert sich: »Why is everybody so obsessed with the President of the United States that they can’t even begin or finish a sentence without mentioning his name five times. It’s kind of weird.« (Zitiert nach Correll 2018) Diese Besessenheit erweist sich schon am Ausmaß der täglichen Berichterstattung, aber auch an der Leidenschaft und Vehemenz, die beide Seiten zur Schau stellen. Aber was kennzeichnet die Dynamik dieser Beziehung? Vor allem eine gewisse Maßlosigkeit, die spätestens seit Trumps Amtsantritt das Maß das Verhaltens darstellt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_9
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In genau diesem Sinne genügt auch die Beziehung der Massenmedien zu Trump dem Code passionierter Liebe, die Maßlosigkeit, ja den Exzess vorsieht – und im Exzess können Liebe und Hass bekanntlich leicht ineinander übergehen (vgl. Luhmann 1994a: 83, 86). Beide können ihre Passion nur schlecht beherrschen, wie Liebende überschreiten sie fortwährend die Grenze zu vernünftigem Verhalten und lassen die für Vernunft so wichtige Distanz vermissen. Die Trump-Befürworter werfen den Medien pathologisches Verhalten vor – Stichwort ›Trump Derangement Syndrome‹ –, das aber, wenn wir es als Liebe klassifizieren, als etwas anderes sichtbar wird: als jene kontinuierliche Aufmerksamkeit und Dauerhandlungsbereitschaft im Blick auf den anderen, die auch Trump im Hinblick auf die Massenmedien demonstriert (vgl. Luhmann 1994a: 44). In der Liebe sorgt die Einbeziehung von Mühe und Schmerz für die Differenzierung von Liebe und Interesse bzw. Liebe und Wirtschaft (vgl. Luhmann 1994a: 83). Im Fall von Interessen kann man eine Gegenrechnung aufmachen, im Fall der Liebe ist eine Kostenkalkulation nicht vorgesehen. Die Frage ist, um welche Kosten es sich hier handeln könnte, welche Trump, welche die Medien in Kauf genommen haben – und ob sie, wie es Luhmann für die Liebe vorsieht, diese womöglich wachhält. »The president’s press attacks don’t just threaten truth: they create an atmosphere in which journalists are in real danger«, so Tisdall 2018, der an eine Warnung der New York Times-Herausgeber anschließt: »calling journalists the ›enemy of the people‹ is dangerous, period« (New York Times Editorial Board 2018a). Während die Medien Trump die hohen, von ihm verursachten Kosten vorhalten (die Attacke auf eine Synagoge in Pittsburgh, die Paketbomben, die Polarisierung), macht er sie für die Negativa verantwortlich, weil diese alles tun »to blame Republicans, Conservatives and me for the division and hatred that has been going on for so long in our Country. Actually, it is their Fake & Dishonest reporting which is causing problems far greater than they understand!« Liebe totalisiert, das hat sie mit dem Konflikt gemeinsam (vgl. Luhmann 1982: 85). Sie macht alles relevant, was mit dem Geliebten zusammenhängt – bis hin zu »Klopapier am Schuh« (Spiegel 2018). Nachlässigkeit kann sie sich nicht leisten. Im Fall der Liebe erfordert alles Handeln die ständige Beobachtung und Überprüfung des anderen unter Schematismen wie Liebe/Indifferenz, im Fall des Konflikts wird alles Handeln, alles Mitteilen unter den Gesichtspunkt der Gegnerschaft gebracht: hier eine corporate media machine, der verlängerte Arm des Establishments, das Trump schaden will, indem es fake news über ihn verbreiten lässt, dort der rassistische, sexistische Idiot und Lügner, der die Demokratie abschaffen will und
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Nazis gutheißt: ein geschlossener Zirkel, in dem alle Momente sich wechselseitig stärken, ausweglos; ein hoch integriertes, verdichtetes Sozialsystem, das wie ein schwarzes Loch Masse anzieht – Handlungsmasse, Kommunikationsmasse. Wie wir gesehen haben, hat gerade Gegnerschaft hat eine hohe Bindungswirkung, sie ist im genauen Wortsinn ›attraktiv‹ – wie die Liebe zieht sie gegensätzliche Handlungen zusammen, integriert sie, und fügt sie in ein System ein, das seiner eigenen, unberechenbaren Dynamik folgt und von den beiden Parteien nur irritiert, aber nicht gesteuert werden kann. Der Unterschied ist, dass Liebe eine ›gemeinsame Welt‹ halluziniert, während es bei Trump und den Medien um das Gegenteil geht: sie bewohnen unterschiedliche Welten, und beobachten den jeweils anderen nur im Hinblick auf diese Unterschiedlichkeit. Genau wie Dan Gallagher gegen die ihn belästigende Alex Forrest ohne stichhaltige Beweise nichts ausrichten kann, so lässt sich auch gegen Trump ohne stichhaltige Beweise für ein Fehlverhalten nichts bewirken. Eine andere Weltsicht ist noch kein Grund, ihn zur Jagd freizugeben.206 Trump verschickt keine Paketbomben und er fordert seine Anhänger auch nicht dazu auf, welche zu verschicken. In den Worten seiner Pressesprecherin: »The only person responsible for carrying out either of these heinous acts were the individual who carried it out.« (Huckabee-Sanders, zitiert nach Breuninger 2018b) Die Medien machen ihn denn auch nicht direkt verantwortlich. Indirekt aber schon: »No @PressSec, CNN did not say @realDonaldTrump was directly responsible for the bomb sent to our office by his ardent and emboldened supporter. We did say that he, and you, should understand your words matter. Every single one of them. But so far, you don’t seem to get that.« (CNN Public Relations, zitiert nach Breuninger 2018b) »Eine verhängnisvolle Affäre« endet mit dem Tod von Alex Forrest. Endet die Trump-Affäre mit dem – politischen – Tod Trumps? Werden sich die amerikanischen Wähler und die Demokratie am Ende umarmen und ›nach oben‹ gehen, während die Kamera auf einem Bild von Abraham Lincoln verweilt?207 Die Liebe der Wähler zu Trump resultiert aus seinem Versprechen, ihr Amerika und damit auch sie wieder groß zu machen, und zwar um den Preis eines wirtschaftlichen und politischen Konfrontatismus, dessen strukturelle – rechtliche, wirtschaftliche und politische – Dimensionen ich in diesem Buch auszuleuchten versucht habe. Den Gründen für die Liebe bzw. Hassliebe der Massenmedien zu Trump will ich mich in diesem Abschnitt zuwenden. Machen wir uns, bevor wir weitergehen, aber etwas klar, das allzu leicht aus dem Blickwinkel zu geraten droht: Alles, was wir über Trump wissen,
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wissen wir aus den Massenmedien – und das gilt für die meisten Bewohner dieses Planeten, Melania, Ivanka und einige wenige andere ausgenommen.208 Nur die wenigsten Menschen sind persönlich mit ihm bekannt. Selbst die Tatsache, dass er existiert, wissen wir nur aus den Medien. Es könnte sein, dass es sich bei ihm lediglich um ein mediales Konstrukt handelt – um fake news. Unwahrscheinlich genug ist die Figur ja durchaus, wie wiederum die Massenmedien befinden – so unwahrscheinlich, dass er als Protagonist für ein vernünftiges Drehbuch nicht infrage käme.209 Fest steht: Für die meisten von uns gibt es keinen Trump jenseits der medialen Realität – keinen selbsterfahrenen. Für uns gibt es nur den Trump, den die mediale Kommunikation prozessiert. Warum wir das so leicht vergessen? Weil wir ihn sehen und hören können – weil die Massenmedien, um mit Friedrich Kittler zu sprechen, Realität kommunizieren (vgl. Kittler 1999). Zwar lesen wir auch Berichte über ihn. Vor allem aber wird er uns mithilfe von Bewegtbildern gezeigt – als ein Mann, der auf Hubschrauber zugeht, Flugzeuge besteigt bzw. verlässt, der Interviews gibt, Reden hält, ein Mann mit orangefarbener Haut, einer eigenartigen Frisur und einer langen roten Krawatte, der andere Präsidenten zur Seite schubst; ein Mann, der zwar auf ganz bestimmte Weise von den Medien konstruiert wird, den wir aber nicht als Konstruktion erfahren, genauso wenig wie die Welt um uns herum. Nicht nur Trump misstraut dieser Quelle. Medientheorie selbst scheint sich zu einem großen Teil diesem Zweifel zu verdanken. Doch der amerikanische Präsident ist der erste Politiker, der den Manipulationsverdacht zu einem wichtigen Moment seines politischen Programms gemacht hat – nur dass er die Problemlösung – »wie in den Schauerromanen des 18. Jahrhunderts« (Luhmann 1996a: 10) – in einem geheimen Drahtzieher im Hintergrund sucht. Hier zeigt sich erneut die eingangs erwähnte Verwandtschaft zu den Theorien bzw. Spukgeschichten der Frankfurter Schule. Bekanntlich versieht Trump aber nicht alle Massenmedien mit dem Fake news-Sticker. Sondern lediglich jene, die ihm nicht wohlgesonnen sind, ihn also in einer Weise konstruieren, die ihm nicht zusagt. Wir können sie mit Bill Moyers wahlweise »Mainstream Media« (vgl. Buzzflash 2003, Moore 2004) oder mit Newt Gingrich »Elite Media« nennen (vgl. Buzzflash 2003, Moore 2004). Die erste Bezeichnung verortet die ›ideologischen Medien‹ (»ideological press«) auf der anderen Seite und unterstellt ihnen, »a partisan propaganda arm of the Republican National Committee« zu sein (Moyers, zitiert nach Moore 2004); die zweite verfährt genau umgekehrt, platziert »the lesser news media« auf der Innenseite und spielt sie gegen die »lockstep hostility of the Times, The Washington Post,
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and the left-wing TV systems«, inklusive »its academic and Hollywood allies« Gingrich 2019) aus. Beide Seiten werfen der jeweils anderen vor, die Medien für politische Zwecke instrumentalisiert zu haben. Aus systemtheoretischer Sicht geht das Gefüge oder der Eigenwert der Trump-Berichterstattung aber nicht so sehr auf Fragen der politischen Gegnerschaft zurück (auch wenn ich natürlich nicht bestreiten will, dass sie eine Rolle spielen und sich möglicherweise zurzeit eine gewisse Verschärfung beobachten lässt). Sie ist in erster Linie ein Effekt der funktionalen Differenzierung, der sich selbst verstärkt – kaltherzig, könnte man sagen, absolut desinteressiert am Schicksal seiner Person oder dem der Demokraten. Das gilt genauso für die sogenannten ›sozialen Medien‹. Auch die Rankingsysteme von Google bestehen nicht aus progressiven – linken, Trump-feindlichen – Algorithmen, auch hier gibt es keinen ›kleinen Mann‹, »sitting behind the curtain figuring out what they’re going to show the user« (Lofgren, zitiert nach Griffin 2018). Selbst wenn es ihn gäbe, er könnte die Medien nicht in der von Trump imaginierten Form steuern. Mehr noch: auch der selbsternannte Aufklärer Trump wirkt nur als Irritation. Die Funktionsweise der Massenmedien kann auch durch eine ›Aufdeckung‹ dieser Funktionsweise, dieser besonderen Form der Selbstverstärkung nicht destabilisiert werden. Sie bleibt in Kraft, prozessiert jedwede Aufdeckung zu ihren Bedingungen, konstruiert Realität auf ihre Weise, auch die Realität ihrer Konstruktion. Die ›Funktoren‹ der Medien – ihre reskursiv stabilisierten Verknüpfungen – lassen sich nicht funktionalisieren, sie müssen latent bleiben, denn die Latenz hat ja selbst eine Funktion (vgl. Luhmann 1984: 89). Das hat nicht zuletzt das alternative Faktum bzw. Foto vom G7-Gipfel gezeigt, das Trump der Weltöffentlichkeit präsentierte, um auf die selektiven Mechanismen aufmerksam zu machen, die hier wirksam sind – aus Trumps Sicht der Wille, ihn zu ›jagen‹, unfair zu prozessieren usw. (Vgl. Herbert 2018) Doch der einzige Wille, der hier sichtbar wird, ist der Wille der Medien zur Selbstreproduktion. Dass dieser bestimmte Mechanismen zugrundeliegen, lässt sich indes beobachten. Die zwei Fotos scheinen zu beweisen, dass die Wahrheit in der Tat nicht die Wahrheit ist (vgl. Kenny 2018), denn beide Fotos vermitteln unterschiedliche Wahrheiten – und das, obwohl sie beide gleichermaßen wahr sind bzw. niemand ihre Faktizität ernsthaft bestreiten würde. Die Medien entschieden sich wenig überraschend für das von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte Foto: »Denzel’s photo immediately went viral, and it was interpreted as showing the tenseness of the G7 summit and Trump’s attitude towards allies.« (Zhang 2018) –
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»Something about the photo caught the imagination of the web, and it was the German version that went viral, popping up all over social media, sometimes in its original form, sometimes altered for humorous or satirical ends.« (Benhamou 2018)
Das Bild wurde den in den Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen verkündeten Erwartungen an den Gipfel als »incredibly tense meeting« (Jenkins 2018) gerecht. Es diente als Illustration der These »how isolated Trump has become from the other world leaders« (Jenkins 2018). Vor allem aber wurde es den Abbildpräferenzen der Massenmedien gerecht, die sich in erster Linie für eine Realität der ›Brüche‹ interessieren – seien es solche auf der Zeitachse oder im Sozialen (vgl. Luhmann 1996a: 141). Konstanz und Einvernehmen lässt sie kalt. Sie richten ihre Scheinwerfer bevorzugt auf Diskontinuitäten und Konflikte, und zwar völlig unabhängig von ideologischen und normativen Vorurteilen. Ausgerechnet Konfliktliebhaber Trump konterte die Darstellung mit einem Foto, das eine eher entspannte, heitere Situation zeigt, inklusive einer lächelnden Kanzlerin. Sein Kommentar: »I have a great relationship with Angela Merkel of Germany, but the Fake News Media only shows the bad photos (implying anger) of negotiating an agreement – where I am asking for things that no other American President would ask for!« (Trump 2018) Gewiss kann man Merkels Lächeln auch anders deuten: Trump legt seine Hand auf die der Kanzlerin und bringt sie damit in Verlegenheit. Interessant ist aber, dass die Massenmedien auf Trumps Kritik eigenartig geschlossen reagierten und derart Trump’sche Verschwörungstheorien zu bestätigen schienen. Die USA Today bekannte zwar zunächst: »There’s more than Merkel’s stare down.« (May 2018) Auch der Guardian fragte scheinbar selbstkritisch: »A photo released by Angela Merkel caused a social media sensation. But did the summit look as grim to the other leaders?« (Parkinson 2018) Doch anstatt sich darüber Gedanken zu machen, warum sich die meisten Medien für das Konfliktfoto entschieden haben, präsentierten sie nun – mit einem Mal ›objektiv‹ – alle anderen, von den einzelnen Regierungen verantworteten G7-Fotos: »Each country’s photo shows something different.« (May 2018) Ein Panoramablick, zu dem sie ihr Erzfeind Trump angestiftet hatte, dem gegenüber sie sich aber wenig dankbar erweisen. Im Gegenteil: »Dass offizielle Pressestellen nach politischen Großereignissen Bilder veröffentlichen, die den jeweils eigenen Regierungschef in günstiges Licht stellen, ist nicht unüblich.« (Zeit 2018) Wenn dem so ist: Warum dann nicht gleich so? Die Reaktion der Times of Israel kann als ›formvollendet‹ gelten, weil sie die dank Trump sichtbar gewordene Perspektiven-
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pluralität in die Inkongruenz der Medien zurückübersetzt und den G7Gipfel erneut im Konfliktmodus präsentiert, als ein »photo duel between image-conscious world leaders« (Benhamou 2018).
Die Realität der Massenmedien Die Funktion der Massenmedien ist es, die Gesellschaft mit einer Selbstbeschreibung auszustatten: Wer bin ich, wofür stehe ich? (Vgl. Luhmann 1996a: 141, 169 ff.) Sie übernehmen damit die Funktionsstelle, die in der vormodernen Gesellschaft durch die Repräsentanzen besetzt wurde – im späten Mittelalter Europas etwa durch die Spitzen Papst und Kaiser, die schon die spätere Ausdifferenzierung in Richtung Recht und Politik vorbereiteten (vgl. Fuchs 2004: 80). Doch diese Beschreibung, die auf eine Bestimmung der gesellschaftlichen Identität hinausläuft, darf keinesfalls mit der Realität verwechselt werden, die sie zu beschreiben sucht – es ist, darauf weist der Titel von Luhmanns Buch hin, gleichsam die Pointe vorwegnehmend, die Realität der Massenmedien. Sie ist eine Konstruktion, genau wie der vorliegende Text, der diese Konstruktion der Medien wissenschaftlich rekonstruiert.210 Doch da die Massenmedien – wiederum: im Rahmen vorliegender Konstruktion – das Monopol für die Selbstbeschreibung der Gesellschaft haben, spielen sie eine besonders wichtige Rolle. (In anderen wissenschaftlichen Programmen wird ihre Bedeutung dadurch sichtbar, dass sie als Stellvertreter der Öffentlichkeit oder gar als fourth estate begriffen werden.) Geht es Trump also womöglich nur darum, dieses Monopol zu brechen? Dass Monopole gefährlich sind, ist im Bereich der Wirtschaft längst allgemeiner Konsens, und auch das Gewaltmonopol des Staates wird oft kritisiert. Gewiss, die Massenmedien sind nicht der alleinige Anbieter von Realität, auch die Soziologie hat hier gewisse Rechte, aber ihre marktbeherrschende Stellung dürfte unbestritten sein. Sollten wir die Kritik Trumps an diesem Quasimonopol deshalb nicht eher gutheißen, ihr zumindest Gehör schenken, anstatt sie einfach zurückzuweisen? Wie ich im Folgenden zu zeigen versuche, eignen sich die Massenme dien aus vielerlei Gründen nicht für Zwecke der Reflexion, so anregend die Morgenlektüre der New York Times im Vergleich zu manchem wissenschaftlichen Fachbuch auch sein mag. Im Folgenden eine Liste ihrer wesentlichen Mechanismen:
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∘∘ Massenmedien haben eine Präferenz für Informationen, also für Mitteilungen, die uns überraschen, weil sie uns etwas Neues mitteilen (vgl. Shannon 1963). Trump war eine solche Neuigkeit. Mittlerweile ist er zwar ein Altbekannter. Aber einer, der zuverlässig weitere Neuigkeiten liefert. ∘∘ Massenmedien ziehen Konflikte allen anderen sozialen Formen vor, genau wie Trump. Ich habe den Auslöseanlass und Katalysator der Konfliktbildung schon gennant: die Exklusion Das, was dem anderen – im Fall Trump: den Massenmedien, im Fall der liberalen Medien: Trump – schadet, wird als eigener Nutzen betrachtet. Die Massenme dien profitieren von der Trump-Kritik schon deshalb, weil sie seine Reaktion darauf wiederum thematisieren und mitunter sogar skandalisieren können. Da er seine Neins so deutlich formuliert, gerade auch im Hinblick auf sie selbst (»opposition party«, »fake news«, »fraud news«, »corporate media machine«, »enemy of the people« usw.) zwingt er sie zu einer Rückkommunikation. Hin und wieder reagieren beide mit einer gewissen Schadenfreude – Trump, wenn er ihnen eine Falschmeldung nachweisen kann, die Massenmedien vor allem, indem sie auf den geringen Bildungsgrad des Präsidenten hinweisen: »Trump slams New York Times op-ed but fails twice in attempt to say ›anonymous‹.« (Cummings 2018b) Ob diese Zurschaustellung von Literalität bei den Trump-Anhängern Bewunderung auslöst, ist eher zweifelhaft. Dass sie damit ihren Ruf als ›Elitmedien‹ bekräftigen, ist wahrscheinlicher. Wie bereits erwähnt, stellen Kriege, Konflikte oder Gewalt in der Gesellschaft keine Werte dar. Hier finden wir auch den Hauptgrund dafür, warum sich Konflikte in den meisten Fällen im Sozialen verlaufen. Interaktion hält sie nicht lange aus, wir alle kennen das vom Streit mit den Eltern oder dem Partner. Konflikte haben deshalb eine natürliche Tendenz zur Auflösung, zur Entropie (vgl. Luhmann 1984: 531). Irgendwann ist man es einfach leid, lenkt ein, verträgt sich wieder. Die Konvention des Happy End trägt diesem Bedürfnis auf der literarischen Ebene Rechnung. Die Massenmedien schalten diese für Interaktionssysteme typische Konfliktrepression aus. Sie sorgen für das Weiterbestehen des Konflikts, treiben ihn an. Da sie von Konflikten geradezu angezogen werden und das wiederum Konflikte anzieht, sorgen sie dafür, dass der Konflikt Trumps mit Comey, mit Yates, mit Clinton, mit ihnen selbst weitere Konflikte stimulieren kann. (Ich hatte auf die Konfliktempfindlichkeit hingewiesen,
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die als eine Art Derangement Syndrome wirksam wird, das gleichermaßen Trump wie die Massenmedien umfasst, und Konflikte – also ein Nein – auch dort unterstellt bzw. erwartet, wo sie objektiv gar nicht vorliegen, was ein Gegennein aktiviert: und schon liegen sie vor.) Dabei kommt ihnen der institutionell vorgesehene Parteiengegensatz entgegen. Was dem politischen System erlaubt, Regierung und Opposition auszuwechseln, befähigt die Medien zu einer Berichterstattung, die diesen Gegensatz in den Mittelpunkt rückt – zu Ungunsten der kontinuierlichen Werte, die politische Verantwortung ausmachen (vgl. Luhmann 1996a: 44). Dass Konflikte die Selbstbeschreibung der Gesellschaft dominieren, kann man bedenklich finden. Aus meiner Sicht ist etwas anderes aber problematischer: wie die Medien diese Einseitigkeit kompensieren. Dazu gleich mehr. Konflikt und Normverstoß sind auch deshalb wichtige Selektoren, weil sie Fortsetzungsgeschichten ermöglichen: »Sie vertagen die erlösende Information über Gewinner und Verlierer mit dem Hinweis auf Zukunft.« (Luhmann 1996a: 59) Oder wie es der zu Anfang dieses Buches zitierte TheoKabala89 im Hinblick auf Trump formuliert: »This season of America is crazy. I stopped watching during the 08 – 1 6 seasons, things got too boring. But season 17 is so exciting, I never miss an episode.« Und auch hier kann man sich dank der Erwartungen auf eine noch unbekannte Zukunft einstellen. TheoKabala89 erwartet ein großes Finale – er erwartet im Sinne der Unterhaltungsnorm, die bei einer Erzählung einen Konflikt garantiert, sowie Versuche, ihn zu lösen, und einen Höhepunkt, an dem die gesamte Handlung kurzzeitig kollabiert. Trump muss mit dieser von den Medien befeuerten Spannung leben, die auf der anderen Seite für solches Interesse sorgt und auf der Verstehensseite zum Raten anregt: Hat er sich eines Vergehens schuldig gemacht, jenseits der vielen Normverstöße? Wird es zu einem Amtsenthebungsverfahren kommen (und Allen Lichtman, der das in The Case for Impeachment 2017 angekündigt hatte, seinen Ruf als zuverlässiger Politwahrsager erneuern)? Wie geht die Geschichte aus? Die Zuschauer sind begeistert, aber sie rechnen eben auch mit einem dramatischen Abschluss bzw. Höhepunkt: »I can’t wait to see the finale.« Trump geht es darum, sich in jedem Moment dieser ›Folgen‹ als Gewinner darzustellen und so die Deutungshoheit über die Situation zurückzugewinnen. Weshalb er positive Meldungen selbst kreiert – durch Reden, Tweets, schräge Kabinettsitzungen und Fernsehauftritte, die den Medien wiederum Anlass zu weiterer Häme geben: »Then came Trump’s unspooling of a list of achievements designed, in his mind, to lift him far above his detractors. It has become a common tactic for him, but more
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grandiose with each rendition.« (Star Tribune Editorial Board 2018) Da die demokratisch gesonnenen Medien in der Überzahl sind (Gingrich spricht nicht zufällig von »the lesser media«), bleibt ihm nichts anderes übrig, als eine Art Guerillataktik anzuwenden. Das gelingt ihm durch eine flexible Medienstrategie, die unterschiedliche Plattformen wie Twitter, Wahlkampfveranstaltungen, öffentliche Pressemitteilungen, Interviews nutzt, und auf der thematischen Ebene vor allem durch die fortwährende Diskreditierung der Meldungen des Gegners als fake news und opposition party. Der Gleichsinn der Medien, der nicht zuletzt in den vom Boston Globe organisierten Protestkundgebungen Form annahm, als ein »coordinated editorial response«, sorgt für eine gewisse Plausibilität dieser These. ∘∘ Am liebsten berichten Medien über Neuigkeiten in Form von morali schen Bewertungen, was nichts anderes heißt, als sie zum Anlass zur Achtung oder Missachtung von Personen zu nehmen. Wie konnte Trump Comey nur auf diese unwürdige Art und Weise behandeln? »I think he just slapped the FBI in the face. It was disgraceful, outrageous, disgusting.« (Ron Hosko, zitiert nach Beckett 2017) Wie kann er den Präsidenten Montenegros nur einfach beiseiteschieben? »OUTRAGE has erupted in Montenegro after Donald Trump ›humiliated‹ the country’s Prime Minister by shoving him out of his way at this weekend’s G7 summit […] According to Russian news agency TASS, one even suggested tiny Montenegro should place sanctions on the US in revenge.« (Sun 2017) Und da sie an einer Eskalation interessiert sind, ist ihre Forderung: »There should follow tough sanctions against America to let it know whose prime minister was pushed and humiliated.« (Sun 2017) Wie kann er Melania nur so behandeln? »›It’s interesting that Trump got out of the car and came up the stairs and shook hands instead of helping his wife out of the car, waiting for her, or even looking back for her,‹ Ms Wood (body language expert) told the Mail Online.« (Worley 2017) Nicht zu sprechen von seinem sexistischen Gebaren oder seinem vermeintlichen ›Aufruf zur Gewalt‹, dem CNN-Video: »CNN called it ›a sad day when the President of the United States encourages violence against reporters.‹ The network cited Trump’s ›juvenile behavior far below the dignity of his office. We will keep doing our jobs. He should start doing his.‹« (Nakamura 2017) Wie anhand der Beispiele deutlich geworden sein sollte, kann durch Skandalisierung auf Seiten des Publikums Entrüstung aktiviert und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt werden: »You tiny tiny tiny little man«, twitterte etwa J. K. Rowling nach
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Trumps Schubser gegen den Präsidenten Montenegros – und konnte sicher sein, dass ihr viele beipflichten würden. Moralische Tweets kommen den Medien gerade recht, um sie – entsprechend gerahmt – selbst prozessieren zu können: »The Trump tape […]. Do you know how real this is for women? That we never know who talks like this after we leave a room? I feel so sick. Sick.« (Mo Ryan, zitiert nach Burke 2016) Matt Schlapp, Vorsitzender der American Conservative Union, wundert sich: »Why you have to make the moral step – why do you have to say he’s done something immoral?« (Zitiert nach Wemple 2018b) Aus Schlapps Perspektive ist der Einwand nachvollziehbar: Moral hat in einer Intimbeziehung nichts verloren, im Gegenteil, sie steht jeder Vertiefung zwischenmenschlicher Intimität im Weg (vgl. Luhmann 1984: 318). Sachgerechtes, ›richtiges‹ Intimverhalten ist so schlechterdings nicht möglich (vgl Luhmann 1994a: 56). Trump-Anhänger können daher gut auf sie verzichten. Warum gelingt dieser Verzicht den Massenmedien nicht? Weil sich hier das erwähnte Kompensativ ihrer Konfliktpräferenz findet: Genau das, was in ihrer Darstellung der Realität systematisch benachteiligt wird, was stets zu kurz kommt, kann so massiv aufgewertet werden – ganz so, als läge es im Wesen der Moral, für Frieden, Ausgleich, Solidarität zu sorgen. Die Möglichkeiten, Dissens und Kampf moralisch zu prämieren, kommen in ihrer Realitätskonstruktion nicht vor (vgl. Luhmann 1996a: 142) – obwohl sie selbst genau diese Möglichkeit, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Trump, ständig aktualisieren. Anders gesagt, die Medien lieben nicht Trump – sie lieben den Konfliktlieferanten in ihm, der für sie in dieser Hinsicht gleich mehrere Probleme löst: er rechtfertigt ihre Orientierung am Pathologischen, Nicht-Selbstverständlichen, erlaubt es ihnen im gleichen Moment, das Selbstverständliche anzumahnen, und lässt die altgewordene, müde Moral aufgrund der Deutlichkeit seiner Verfehlungen wieder jung und frisch wirken (vgl. Luhmann 1996a: 144). Der Moral konnte nichts Besseres passieren als Donald Trump, der auf sie die Wirkung eines Jungbrunnens hat. Das entsprechende Bild müsste erst noch gemalt werden: Es würde ein Bad zeigen, auf dem von der einen Seite die gealterte Moral ins orangefarbene Wasser steigt, das sie auf der anderen Seite verjüngt verlässt. Gerade weil sie hochmoralisch sind, Daniel Bax spricht von »Tugendterror« (2014), gilt ihr Interesse zunächst und vor allem Verstößen gegen das Recht. Sie sind Meister des Aufschaukelns – als einer Art »spiraling out of control«, wie Marco Rubio diese mediale Eigendynamik im Zusammenhang mit der ›Russlandaffäre« beschreibt, der sie durch eine andere,
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ein geordnetes rechtliches Verfahren, ersetzt wissen möchte (Rubio 2017), wohl wissend, dass die Massenmedien nicht einfach aufhören zu operieren, nur weil sich im Anderswo des rechtlichen Raums mehrere Personen an einen Tisch setzen. Es ist nachvollziehbar, dass diese unkontrollierbare, sich selbst verstärkende Dynamik aus der Sicht Trumps als »Schadenzauber« erscheint, als eine Art Pakt mit den Demokraten, den Clintons, George Soros oder anderen Teufeln. Doch schon dadurch, dass er sich gern zum Skandal äußert, liefert er ihnen weitere Skandale und verstärkt so den ›Zauber‹, trägt mit zum Reproduktionsprozess bei. Seine Parteikollegen wissen um diesen Teufelskreis: »Republican senator Lindsey Graham tells President Donald Trump to ›knock it off‹ with tweets about the former FBI chief James Comey, during an interview on CBS program Face the Nation. ›You may be the first president in history to go down because you can’t stop inappropriately talking about an investigation that, if you just were quiet, would clear you‹.« (Guardian 2017b) Der Zirkel kann so nicht gebrochen werden. Die Entrüstung der Medien über bzw. ihre Begeisterung für den Normverstoß stärkt aber nicht nur die Norm, sondern auch die Unkenntnis über die Normalität von Devianz (vgl. Luhmann 1996a: 62). Denn Devianz ist business as usual, ist ein weit verbreitetes Verhalten. Das kann in die Trump-Berichterstattung aber natürlich nicht Eingang finden, die den Präsidenten als Einzelfall skandalisiert. Bevor Luhmann die durch die Massenmedien erzielten sozialen Stabilisierungseffekte hervorhob, sah er deren Interesse am Neuigkeitswert und ›Bedrohungseffekt‹ aller Ereignisse durchaus kritisch: Jedem, der Zeitung lese, würde so der Eindruck einer permanenten Krise vermittelt. »Daraus können sehr leicht Bewegungen entstehen, die lawinenartig anschwellend das ausgewogene Gefüge funktional spezifischer Leistungen durcheinanderbringen und das System auf primitivere Stufen der Entwicklung zurückwerfen […]« (Luhmann 2010: 257). In Trumps Worten: They are »causing problems far greater than they understand!« (Trump 2018) An diese Kritik schließt er auch Jahre später noch an: Weil Unruhe gegenüber der Ruhe bevorzugt wird, und diese die »Achse der Selbstbeschreibung« vorgibt, befindet sich die moderne Gesellschaft im Zustand permanenter Überforderung: »Sie erzeugt ›Probleme‹, die ›Lösungen‹ erfordern, die ›Probleme‹ erzeugen, die ›Lösungen‹ erfordern.« (Luhmann 1996a: 141) Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Medien als Produzent von sozialen Eigenwerten der modernen Gesellschaft einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Stabilisierung leisten. Massenmedien versorgen uns mit »relativ stabilen Orientierungen im kognitiven, im normativen und im evaluativen Bereich, die nicht ab extra gegeben sein können« (Luhmann
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1996a: 177). Zum Beispiel durch ihre fortwährende Reproduktion unserer Vorstellungen von Moral oder von Personen, die zumeist in Form von Opfern und Helden anfallen. Sie sind also, korrigiert sich Luhmann, alles andere als ein destabilisierender Faktor für die Gesellschaft, weshalb es nicht gerechtfertigt sei, sie in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Wichtig ist der Hinweis auf die relative – dynamische – Stabilität dieser Orientierungen, denn natürlich sind auch diese von den Massenmedien produzierten Objekte oder Quasiobjekte ›sterblich‹ bzw. müssen weiterhin produziert werden. Hier sind die Befürchtungen der Medien groß, diese Reproduktion momentan nicht mehr zuverlässig leisten zu können, denn sie haben es mit einem beinahe ebenbürtigen Gegner zu tun: »Right now, many Americans listening to their president are experiencing what I experienced frequently a child. Nothing means anything, and reality is being canceled. There is confusion, there is chaos, everything is upside down and inside out.« (Leve 2017) ∘∘ Eine dritte die massenmediale Realität erzeugende Form ist weniger auffällig: die Form der Quantität (vgl. Luhmann 1996a: 178). Wobei es den Medien selten um die nackte Zahl geht, sondern meistens um Zahlenverhältnisse und -vergleiche. Vor allem Zeit- und Zahldifferenzen lassen sich gut kombinieren, stets in Form von negativer oder positiver Steigerung: je imposanter der Normverstoß, desto berichtenswerter ist er. In dem Maße, in dem das zum Thema der öffentlichen Meinung wird, entsteht ein Anlass zur Kommentierung, wenn nicht zu eingreifendem Handeln (vgl. Luhmann 1996a: 179). Die Beliebtheitswerte Trumps sind dafür ein gutes Beispiel (vgl. Cummings 2018a), die Verkaufszahlen von Nike im Zusammenhang mit der Kaepernick-Kampagne ein anderes (vgl. Linnane 2018). Auch Raumdifferenzen spielen eine Rolle, etwa in Form von regionalen/nationalen Vergleichen, man denke an die Handelsbilanzen bzw. Handelsbilanzdefizite der unterschiedlichen Volkswirtschaften, die erst dank Trump zu einem Thema der Medien wurden; oder an oben erwähnte Harvard-Studie, die es den Massenmedien erlaubte, die eigene Thematisierung Trumps zu thematisieren, indem sie die media coverage of Trump’s first 100 days mit denen anderer Präsidenten verglichen. *** Da der Code der Massenmedien so gebaut ist, dass er ständig Information in Nicht-Information transformiert, sind sie in einem fort auf neue Nach-
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richten angewiesen, die wiederum in alte überführt werden. Eine Selbstveraltung, die Trump entgegenkommt – er würde sofort an Attraktivität verlieren, wenn er nicht mehr dafür Sorge trüge, dass seine Handlungen Neuheitswert aufweisen.211 Ich hatte Trumps Devianzen nicht zufällig mit Terrorattacken verglichen, weil sie gleichermaßen soziales Interesse aktivieren wie bekannte Normvorstellungen ›sprengen‹. Terroristen operieren, indem sie Bomben werfen, Trump attackiert die Ordnung mit verbalen Sprengsätzen: »These threats are not isolated but a part of a larger assault on the norms that uphold our democracy«, so das Büro des Milliardärs Tom Steyer, an den zwei Paketbomben geschickt wurden (zitiert nach Hutzler 2018a). »Die Bomben verschickten andere, den Sprengstoff aber liefert Trump«, sekundiert die Süddeutsche Zeitung (vgl. Anzlinger 2018). Da keine einzige der Bomben detonierte, könnte man mit Trump von einem ›very bad original concept‹ sprechen, ›carried out poorly‹. Auch für den in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft durchgeführten Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh wird der ›hater‹ Trump verantwortlich gemacht (vgl. Fritze and Jackson 2018b). Weil Devianzen ›gute‹ Nachrichten sind, ist Trump – genau wie Terroranschläge – gut für das Geschäft. Der ehemalige CBS-Geschäftsführer Les Moonves hat das im Zusammenhang mit dem Wahlkampf in bemerkenswerter Offenheit klargestellt: »It may not be good for America, but it’s damn good for CBS […]. They’re not even talking about the issues – they’re just throwing bombs at each other […]. I’ve never seen anything like this and this is going to be a very good year for us. [Laughter] Sorry, it’s a terrible thing to say, but bring it on, Donald, go ahead. Keep going […]. For us, economically, Donald’s place in this election is a good thing.« (Moonves, zitiert nach Hiltzik 2016) Den Massenmedien konnte nichts Besseres passieren, als »a politics robbed of everything but total interpersonal conflict, a politics that was entirely performative, rooted only in sparring matches« (Krotov 2016). Trump hat ihnen all das gegeben, weshalb Moonves’ Dankbarkeit nachvollziehbar ist: »This election season, campaign journalism finally got the election it wanted: cataclysmic yet contentless, dense but personality driven.« Nachvollziehbar ist aber auch sein schlechtes Gewissen, denn was gut für die Massenmedien ist, muss noch lange nicht gut für die Gesellschaft sein, weshalb die Massenmedien Konflikte auf der thematischen Ebene wie erwähnt verurteilen. Um es zu wiederholen: Gerade weil sie an Imposanzverstärkung und Eskalation interessiert sind, haben sie ein so großes Interesse daran, die Normalität der eigenen Operationen herauszustellen.
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An der Reaktion auf Trumps alternatives G7-Foto, auf seine Medien attacken, an Moonves’ und auch an Lemons Statement wird deutlich, dass die Massenmedien in der Lage sind, rudimentär über die eigene Rolle nachzudenken. (Matt Taibbi spricht von ›Quasi-Reflexion‹, zitiert nach Johnson 2018.) Und sei es darüber, inwiefern sie mit ihrer anfänglichen Trump-Begeisterung dem Kandidaten womöglich zum Erfolg verholfen haben, also in wiederum moralischer Form, in diesem Fall mithilfe der Unterscheidung von Schuld und Sühne. Oder indem sie mit Hilfe des Kausalschemas nachzuvollziehen versuchen »[h]ow the media created the president« (Sillito 2016). Hier findet sich ein weiterer, eher verdeckt wirkender Selektor der Massenmedien, der Rückgriff auf Ursachen, die andere Ursachen eliminieren (vgl. Luhmann 1996a: 140). Auch ›Selbstkritik‹ gehört hierher – in Form der Frage, »whether the commercial impulses of TV are interfering with the imperatives of democracy« und »some new rules« fordern (Hiltzik 2016). Denn auch das haben die Massenmedien gelernt, und zwar vor allem von der Wissenschaft: dass sie offiziell als Kontrollorgan der Demokratie fungieren, als fourth estate. Eine Rolle, die sie auf der richtigen Seite platziert, der Seite eines Werts, der Demokratie, und damit auch auf der eines anderen Werts, dem des rationalen Arguments.212 Die Massenmedien müssen diese Selbsteinschätzung bejahen, sie stehen dem eigenen Ich ja nicht unbefangen gegenüber – genausowenig wie Trump. Ein gewisser Narzissmus ist hier also auf beiden Seiten beobachtbar, schlichter: ein Verhältnis der Loyalität und Affirmation sich selbst gegenüber (vgl. Luhmann 1997: 965). So wie Trump davon ausgeht, dass die USA ohne sein »a-brain« schlecht dastünden, so gehen auch die Massenmedien davon aus, dass die USA ihrer bedürfen. Ihre Selbstbeobachtung identifiziert sich mit dem, was sie beobachtet: sich selbst. Sie würdigt sich bzw. die Medien als strukturelles Resultat gesellschaftlicher Evolution und versucht, die eigene Autonomie zu begründen – ihre Rolle als Freund des amerikanischen Volkes: »The media has a dual role. First, it is to facilitate the spreading of information. Second, to hold folks at the top accountable for their actions. The media does a very good job of both of these tasks, and for that I am thankful. The media is not the enemy of the people.« (Treffiletti 2018) Richtig ist, dass die Demokratie auf die Massenmedien angewiesen ist – aber nicht etwa, weil sie die Intransparenz der politischen Prozesse aufzulösen imstande wären, das wäre das Ende der Politik, sondern weil sie »hier und da Stichproben nehmen, die tatsächliche Zustände sichtbar machen«, so Dirk Baecker (zitiert nach Nutt 2017). Auf diese Weise wird die Legitimität einer notwendig intransparenten demokratischen Politik
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garantiert. Trump setzt mithilfe seiner Tweets eine Alternativtransparenz an ihre Stelle. Doch ganz gleich, wie elaboriert die eigene Begrifflichkeit ist und was die Medien an Wissen einbauen können: da es sich um eine Steigerung von Selbstbeobachtungen handelt, bleibt es bei der ›Bekränzung‹ der eigenen Operationen. Aus dem Reflexionszirkel führt kein Weg heraus.
Hexenjagd Die Rolle des Kontrollorgans der Demokratie wahrzunehmen, ist verlockend. Die Massenmedien sind zurzeit eifrig bemüht, dieser Verpflichtung nachzukommen. »Democracy dies in Darkness« lautet der neue Slogan der Washington Post. »Die Botschaft ist klar: Die Journalisten sehen sich offenbar in der postfaktischen Trump-Ära als eine der letzten Verteidigungslinien von Freiheit und Demokratie.« (Becker 2017) Trump dreht den Spieß um, er begreift die Medien im Gegenteil als ›Feinde des Volkes‹. Aus seiner Sicht verteidigen sie nicht die Demokratie, sondern den Wahlverlierer, die demokratische Partei. Sein ehemaliger Berater Stephen Bannon gab den Ton vor: »The media here is the opposition party. They don’t understand this country. They still do not understand why Donald Trump is the president of the United States. […] The media should be embarrassed and humiliated and keep its mouth shut and just listen for a while.« (Zitiert nach Grynbaum 2017) Die Medien sind diesem Rat nicht gefolgt, was daran liegen könnte, dass sie sich nicht adressieren lassen. Folgt man Trump, hat ihr Verhalten ihm gegenüber etwas Hysterisches, weshalb er deren Trump-Berichterstattung denn auch mit einer ›Hexenjagd‹ vergleicht. (Bertrand Russell begreift die Hexenjagd als »typisch amerikanische« Angelegenheit, 1968: 334. Es würde sich mithin um ein bedeutendes nationales Sinnmoment handeln, auf das Trump aus diesem Grund zurückgegriffen hätte: Amerikaner wissen ganz genau, wovon die Rede ist, wenn von einer Hexenjagd die Rede ist, weil sie in ihre Land immer schon mit Hexenjagden rechnen.) Dass die Massenmedien diese Behauptung zurückweisen, ist nachvollziehbar, da sie ihrem professionellem Selbstverständnis nach ›nur‹ und zudem ›objektiv‹ berichten, und nicht etwa jemandem – bewusst (»intentionally«), wie Don Lemon hinzufügt, als gehe es um eine strafrechtliche Frage – schaden wollen. Doch was die Berichterstattung angeht, geben die Daten Trump recht, wie unterschiedliche Studien belegen: sie ist in der Tat überwiegend negativer Natur.213
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Wie lässt sich dieser von Trump kritisierte Gleichsinn der Medien erklären? Wie kommt es, dass die Mehrheit der Medien (mit Gingrich: ›the greater media‹) mittlerweile gegen Trump votiert, nachdem sie ihn zunächst nur neugierig ›beschnuppert‹ hatten, mehr noch: ihm zunächst vergleichsweise wohlgesonnen waren?214 Der Grund dafür war nicht etwa sein politisches Programm, das Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, das interessierte sie im Gegensatz zu seinen Wählern nur am Rande. Er versprach etwas anderes, für sie viel Wichtigeres: Abwechslung. Es ging ihnen nicht um Trump, es ging um Trump als Information. Zu Beginn des Wahlkampfs ist der Kandidat ein Unterschied, der einen Unterschied macht (vgl. Bateson 1981: 488). Als Abweichler und Außenseiter, als unreal politician, besitzt er hohen Informationswert, und wird deshalb bevorzugt prozessiert. Selbst politische Gegner würdigen diese Andersheit, nicht zuletzt in Anbetracht der verhassten republikanischen Konkurrenten.215 Grundsätzlich ist eine prominente Persönlichkeit wie er für die Medien in allen Aspekten seiner Lebensführung relevant, sei es als Ehemann, Vater, Geschäftsmann oder Golfspieler. Sein Verhalten wird von den Massenmedien daher genau unter die Lupe genommen, auch seine geschmacklichen Vorlieben, sofern sie Informationswert besitzen. Doch die Liebe der Medien für Trump – seine Attraktivität (Anziehungskraft) – hängt auch mit ihrer Vorliebe für etwas zusammen, das eher dem Bereich der Unterhaltung zuzuordnen ist: seiner Außergewöhnlichkeit. Oder um es mit der New York Times zu sagen: »The man has flair […].«216 Diese Außergewöhnlichkeit – als positive Abweichung – findet sich in dem Umstand, dass er kein gewöhnlicher Politiker ist, in seinem Aussehen und Auftreten, seiner Art zu sprechen, sich zu kleiden, in seiner jungen schönen Frau, und nicht zuletzt in seinem außergewöhnlichen Reichtum. Trump bedient – ähnlich wie der Terror – die Sehnsucht der Medien nach dem Exorbitanten. Nicht nur seine Person ist außergewöhnlich, seine Verstöße sind es ebenso. Exakt die von den Medien kritisierten Normbrüche sind es, die ihn in den Augen des Publikums interessanter machen als den ›Avatar‹ Hillary Clinton oder seine republikanischen Mitbewerber: »Trump was giving people more to talk about and saying it in a way that resonated […]. Dull, balanced articles […] don’t provoke fury, laughter or much in the way of emotion. Trump was simply more entertaining and generating more passion. In a news environment moving from a world of subscriptions and long-term appointments-to-view to the vagaries of clicks, friends’ recommendations and Facebook news streams, that makes him a winner.« (Sillito 2016) Was also ist der Grund für den Wechsel von einer freundlichen, inter-
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essierten Positivberichterstattung über die politische Innovation Trump zu der von ihm als fake news diskreditierten Negativberichterstattung?217 Zwei mögliche Ursachen scheinen infrage zu kommen: Trump hat entweder öfter und massiver als andere gegen gute Sitten und vor allem gute demokratische Grundregeln verstoßen, so dass der fourth estate sich genötigt sah, darauf aufmerksam zu machen – to hold him accountable. Sie sähen in ihm also weniger eine Hexe, als vielmehr einen Häretiker, den Vertreter einer gefährlichen, antidemokratischen Irrlehre (auch die Inquisition interessierte sich nicht so sehr für jene, die dem ›Hokuscorpus‹ der Kirche mit eigenem Zauber Konkurrenz machten, als vielmehr für solche, die es grundsätzlich in Frage stellten). Die andere Möglichkeit ist, dass die Medien entgegen ihrer Selbsteinschätzung sekundären Interessen den Vorzug gegeben haben: dass sie die Gegenpartei unterstützen, die öffentliche Meinung im Sinne der Demokraten manipulieren, bias produzieren (vgl. Luhmann 1996a: 78). Es ist die Sicht Trumps, der sie mit Bannon als verlängerten Arm der Opposition begreift. Und sie pflichten ihm hierin sogar ein Stück weit bei: »There is a lot of truth to the stereotype that the American media is centered in New York City and Washington, D. C., staffed by Democrats, and hostile to Republicans.« (Friedersdorf 2016) In diesem Fall hätten wir es mit einem weiteren Interessenkonflikt zu tun. Lobbyist Friedersdorf bestreitet nicht, dass es zu Fehlern kommen kann. Doch die Politikvermutung weist er zurück: »He’s [der Journalist, M. H.] trying. His bias may lead to an error, or he may be totally on point. Don’t be blind to what he gets wrong or right. If you read carefully and with an open mind, you’ll spot the good stuff.« (Friedersdorf 2016) Der Systemtheoretiker entscheidet sich im Fall eines solchen Entweder-Oder für die eingangs erwähnte Lösung Bartlebys: Lieber nicht (vgl. Melville 2004). Dass die demokratischen oder liberalen Medien die Mehrheit stellen, und ihre Sicht auf die Dinge eine demokratische ist, mag für Trump ungünstig sein, ist aber noch kein Hinweis auf eine Verschwörung. Zum einen sind die Medien und Trump, wie wir gesehen haben, Teil eines Konfliktsystems, das ähnlich hohe Bindungswirkungen aufweist wie der von Sauron geschmiedete Meisterring. Zum anderen reagieren die Selektoren der Massenmedien wie erwähnt äußerst sensibel auf Normverstöße, mit denen der Präsident sie fortlaufend versorgt. Ihre Berichterstattung ist keineswegs ›nur‹ Berichterstattung, sondern eine auf Neuheit, Quantität, Konflikt, Skandalisierung, Moralisierung, Personalisierung setzende Berichterstattung, – jenseits aller Schattierungen der Parteilichkeit. Trumps fortwährende Normverstöße ermöglichen ihnen nicht nur ein »penetran-
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tes Insistieren« (Luhmann), sondern auch, sich selbst ausdrücklich auf der Gegenseite zu platzieren, auf der Seite des Guten. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte bezogen deshalb mehrere Zeitungen öffentlich gegen einen Präsidentschaftskandidaten Stellung, was ihnen – wenig überraschend – selbst eine Nachricht wert war: »The USA Today editorial board has never in its 34-year history picked sides in a presidential race. Trump’s ›indifference‹ and ›ignorance‹ prompted the national newspaper to change that policy […]. The Editorial Board does not have a consensus for a Clinton endorsement […]. Whatever you do, however, resist the siren song of a dangerous demagogue. By all means vote, just not for Donald Trump.« (USA Today Editorial Board 2016) Die San Diego Tribune war nicht so zimperlich: »On 30 September 2016, the San Diego Union Tribune made history. For the first time in its 148-year history it endorsed a Democrat candidate, Hillary Clinton. It was also a first in 126 years for the Arizona Republic.« (Sillito 2016) Folgt man Trump, haben die ›linken Drahtzieher‹ irgendwann die Macht übernommen. Folgt man Luhmann, verdankt sich die zunehmend negativ eingefärbte Formbildung den selbstverstärkenden Mechanismen der Massenmedien, die sozusagen nichts Böses im Sinn haben – aber eben auch nichts Gutes. Dies ist die Realität der Massenmedien, die deshalb zwar noch lange keine fake news produzieren, die aber sehr wohl News produzieren – genau wie die Wissenschaft Wahrheit produziert. Wenn es sich um eine ›witch hunt‹ handelt, dann vor allem deshalb, weil Trump den Medien mit seinen Handlungen fortlaufend neue Hinweise darauf liefert, dass er mit dem Teufel im Bunde steht. An dieser Stelle bietet sich die in der Einleitung versprochene Behandlung des Dämonischen an. Was hat es mit der Dämonisierung Trumps durch die ›dämonischen‹ Medien auf sich?218 Das Dämonische ist nach Tillich eine endliche Größe, die den Anspruch erhebt, unendlich und von göttlicher Größe zu sein, ein endliches Element, das zu unendlicher Macht und Bedeutung erhoben wird. Wie anhand der folgenden Beispiele deutlich werden sollte, ist das Dämonische eng mit der Ideologie verwandt, die man als dessen säkulare Variante begreifen köann. Diese Verbindung wird auch sichtbar, wenn ein ehemaliger Mitarbeiter von Cambridge Analytica davon spricht, dass es der Firma darum gegangen sei, »[to] built models to exploit what we knew about [the millions of people, M. H.] and target their inner demons« (Cadwalladr und Graham-Harrison 2018). So manifestiert sich die im Dämonischen Form annehmende Verzerrung beispielsweise in einer mit letztgültigem Anspruch auftretende Lehre (Dogma), einer Unbedingtheit beanspruchenden historisch-wissenschaft-
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lichen Forschung, im sakral-priesterlichen Element, das mit unbedingter Würde auftreten will, in einer Kirche, die die Unbedingtheit ihres Fundaments mit der Unbedingtheit ihrer Institution verwechselt – und nicht zuletzt in der Selbsterhebung einer Nation über allen anderen. Vor allem der erste und der letzte Punkt prädestinieren Trump zu jenem Dämon, der uns in den Massenmedien begegnet. Man könnte Tillich paraphrasierend formulieren: Wo das Dämonische innerhalb der Massenmedien auftritt, hat es stets den Zustand der Besessenheit zur Folge. »Besessenheit ist dämonische Besessenheit.« (1987: 126) Es ist diese Besessenheit der dämonischen Medien mit dem Dämon Trump, die es erlaubt, die Berichterstattung über ihn mit einer in den USA äußerst beliebten ›Unruhnacht‹ in Verbindung zu bringen: »That’s why, for Halloween, instead of decorating my house with witches and goblins, I just hung up newspapers.« (Stephen Colbert, zitiert nach Russonello 2018a) In diesem Sinne ließe sich diese Analyse als Versuch lesen, dem protestantischen Prinzip zu folgen und der Besessenheit der Medien – mit Stephen Colbert: der ›Boo York Times‹ und des ›Washington Ghost‹ – von einem »strukturell und institutionell gedeckten Konstrukt« (Luhmann 1996a: 66) namens Trump eine Alternativkonstruktion entgegenzusetzen, die eine andere Rechnung aufmacht: eine, die von Funktionen bzw. Systeminteressen ausgeht. Es ist zwar durchaus möglich, dass komplexe Hintergründe Trump zu seinem Tun motivieren, ja: nötigen. Sie werden überwiegend thematisiert, um sein Verschulden festzustellen. Nur können wir über diese Motive nichts wissen. Mehr noch, auch Handelnde sind ja keine empirischen Fakten, werden in den Medien aber eifrig als solche verteidigt. Diese Konstitution von Handlungen durch »typisierendes Verstehen« (Luhmann) scheint eine wichtige Funktion der Massenmedien im Hinblick auf die kulturelle Institutionalisierung des Handelns zu sein – sie spielt Trump in die Karten, der sich als mutig, mitunter willkürlich Handelnder inszeniert. Auf den ersten Blick spricht durchaus manches dafür, diese Besessenheit als ›Hexenjagd‹ zu bezeichnen.219 Schließlich besteht in breiten Bevölkerungskreisen ein Interesse an Trumps ›Verfolgung‹. Das ist auch der Wirtschaft nicht entgangen.220 Dass persönliche Motive bei seiner medialen Denunziation eine wichtige Rolle spielen, wie Trump unterstellt, kann jedenfalls nicht ganz ausgeschlossen werden. Wird er zuletzt nur aufgrund von Antipathie auf dem Scheiterhaufen bzw. vor dem Richter enden, wie er glaubt? Weil die Politikindustrie, der Verbund aus Medien, ›Dems‹ und des politischen Establishments, ihn dort sehen will? Aus systemtheoretischer Sicht ist der Konflikt eine Koproduktion, die
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eine Zurechnung von Verantwortung nicht erlaubt. Deshalb stehen in diesem Buch die wechselseitigen Ermöglichungen im Mittelpunkt der Analyse. Die Medien erwarten von Trump den Normverstoß, und Trump nutzt seinerseits gezielt die Selektivität der Massenmedien aus, wenn er ihnen mittels seiner Handlungen diese Normverstöße liefert. Beide ›haben sich‹, im Sinne von: to avoir a faire. Wenn Trump den Massenmedien die Verantwortung zuschreibt, verwendet er eine scharf kausale Strategie, vor allem aber eine Simplifikation, die auch von den Massenmedien selbst vorgenommen wird, die wiederum ihn verantwortlich machen. Sie aktivieren human interest vorzugsweise auf Handelnde, auf Täter, die verantwortlich sind, und Opfer, die es nicht sind – genau wie Trump. Wenn der Präsident gegen bestimmte Organisationen wie die New York Times oder CNN agiert, sie etwa von Pressebriefings ausschließt oder öffentlich als fake news diffamiert, dann tut er etwas, das wiederum beobachtet wird und fördert so das, was er bekämpft – er benutzt die Massenmedien, die ihn benutzen. Beide sind Gefangene der Situation. Die Medien sind Trump gegenüber aber schon deshalb im Vorteil, weil sie im Gegensatz zu ihm ›teilbar‹ sind. Dieses Ungleichgewicht erklärt auch den weiter oben erwähnten Anti-CNN-Werbespot bzw. Trumps Begeisterung dafür. Er war nicht so sehr ein Lobpreis der ›Gewalt gegen Reporter‹, sondern machte eher von der Möglichkeit Gebrauch, die ungreifbare Medienorganisation dingfest zu machen. Wäre Trump ein wenig belesener, er könnte auf Shakespeare verweisen: What’s CNN? It is nor hand, nor foot, nor arm, nor face, nor any other part belonging to a man (vgl. Shakespeare 2014: 28). Der Spot stattete den Sender mit ›Hand und Fuß‹, mit Arm und Antlitz aus, verwandelte den Namen des Feindes in einen Gegenspieler, in eine ›Vereinzelung‹ (Peter Fuchs), die sich niederwerfen ließ. Die moralische Empörung darüber war genauso übertrieben wie der Spot technisch schlecht gemacht: Wrestling ist ein Show-, kein Kampfsport, niemand wird verletzt. Mitunter weicht Trump deshalb auf Repräsentanten wie April Ryan, Yamiche Alcindor, Abby Phillip oder zuletzt Jim Acosta aus, was den Medien die nächste Nachricht wert ist: »In a stunning break with protocol, the White House said Wednesday night that it’s suspending the press pass of CNN’s Jim Acosta ›until further notice.‹ Peter Baker, the chief White House correspondent for The New York Times, said on Twitter: ›This is something I’ve never seen since I started covering the White House in 1996. Other presidents did not fear tough questioning.‹« (Stelter 2018) Handelt es sich zudem um einen behinderten Reporter, lassen sich die Selektoren Moral und Quantität kombinieren: »Donald Trump’s Worst Offense? Mocking Disabled Reporter, Poll Finds.« (Carmon 2016)
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Eine Möglichkeit, wie man diese Koproduktion unterdrücken könnte, wäre: Resonanzunterdrückung. Man berichtet nicht mehr über Trump. Das ist natürlich genauso wenig eine Option wie der Vorschlag von Jay Rosen, nur noch Praktikanten zu den Pressekonferenzen zu schicken.221 Beide Ziele lassen sich allein über individuelle Motivation kaum erreichen. Zu ihrer Durchsetzung müssten sich die Massenmedien also wiederum an die Politik bzw. Donald Trump wenden. Eine andere Möglichkeit hatte ich bereits erwähnt: Trump hört auf zu twittern bzw. auf Lindsey Graham. Dafür könnte es zu spät sein. Außerdem würde er damit das Instrument verlieren, das ihm seine ›Gegendarstellungen‹ ermöglicht. Zuletzt könnte Trump versuchen, die Massenmedien gesetzlich zu zwingen, über ihn nur mehr in positiver Form zu berichten. Eine solche Intervention in deren Eigendynamik ist in einer Demokratie bekanntlich ausgeschlossen. Auch die Idee, CNN einen Staatssender zur Seite zu stellen, »that makes him look good« (Vick 2018), ist wenig erfolgversprechend.222 Seine bisherigen Versuche einer positiven Außendarstellung haben lediglich zu noch mehr Häme geführt.223 Nicht zuletzt von Seiten des politischen Gegners, der solche Gelegenheiten nicht ungenutzt verstreichen lässt: »GREAT meeting today with the best staff in the history of the world!!!« (Chuck Schumer, zitiert nach Cillizza 2017) *** Ob Trump nun Opfer einer Hexenjagd ist oder nicht, die Parallelen zu einer sich selbst verstärkenden Negativberichterstattung, die vor einigen Jahren in den deutschen Medien zu beobachten war, sind signifikant. Damals war es der Bild-Zeitung gelungen, mit ihrer medialen Macht am damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ein Exempel zu statuieren. Wulff hatte es gewagt, der Zeitung zu drohen – wenn auch in nobler Form: sollte sie eine Geschichte über die vermeintliche Vergangenheit von Bettina Wulff veröffentlichen, sei der Rubikon überschritten. Zudem war Wulff trotz der historischen Referenz auf einen römischen Feldherrn durchaus um Ausgleich bemüht – höflichere Drohungen als die folgende sind schwer vorstellbar: »Es wäre nett, wenn ihr Büro versuchen kann, Herrn Glaeseker oder Herrn Hagebölling, den Chef des Bundespräsidialamtes, oder mich zu erreichen (…) Ich hoffe, dass Sie die Nachricht abhören können, und bitte um Vergebung (…) Und … Insofern – ja … denke ich mal, es gibt jetzt noch ’ne Chance, und die sollten wir nutzen.« (Zitiert nach Bild 2014) Zur Strafe wurde er von Bild zur Jagd freigegeben. Dass die anderen Medien der Einladung zu dieser Jagd so bereitwillig folgten, die am Ende
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zur Demission Wulffs führte, wertet Daniel Bax – der hier gar von einer Tragödie spricht – nicht als gutes Zeichen für die Demokratie (vgl. Bax 2014). Das rechtliche Urteil fiel eindeutig aus: Juristisch war Wulff nichts vorzuwerfen. Dass es überhaupt zum Prozess gegen ihn kam, so Bax, habe allein an der »Kleinlichkeit und Verbissenheit der Staatsanwälte« gelegen, die offenbar massiv von den Massenmedien irritiert wurden. Dennoch wurde der Rücktritt Wulffs von den Medien anschließend wiederum als gerechtfertigt beobachtet, da er seiner Rolle als Präsident nicht gerecht geworden sei – ein Umstand, der Trump längst hätte zu Fall bringen müssen: »Sein Umgang mit den Enthüllungen zu Hauskredit, Gratisurlauben und Mailboxen wurde den Ansprüchen des Amtes nicht gerecht.« So der damalige Bild-Chef Kai Diekmann, dessen Urteil das Recht nachvollzog; dass »die meisten Medien in Diekmanns Tenor einstimmen, war am Ende nur noch Formsache« (Bax 2014). Im Fall Wulffs hatten die Medien einen Skandal produziert, an dem am Ende nicht viel dran war. Trump scheint sich in einer ähnlichen Lage zu sehen. Er hat mehrfach beteuert und wie ein Mantra wiederholt, dass an der ›Russlandsache‹ nichts dran sei: »No collusion.« Sollte von den Vorwürfen gegen ihn am Ende kaum etwas übrigbleiben, müsste es seinen Anklägern in den Redaktionen und den Late Shows zu denken geben, bei aller Abneigung gegen seine Person. Es könnte sein, dass Trump Opfer eines Korruptionsverdachts wird, der sich am Ende nicht beweisen lässt. Noch eine andere Ähnlichkeit fällt ins Auge: dass erst Wulffs Umgang mit der Krise – so ein Standardargument vieler deutscher Journalisten – zu seinem Sturz geführt habe. Es könnte durchaus sein, dass sich Trumps rege Twitter-Tätigkeit eines Tages rächt bzw. die dort versammelten Verlautbarungen Teil eines gerichtlichen Beweisverfahrens werden. Doch im Gegensatz zu Wulff hat er genau dank dieses Gegenmediums noch eine echte Chance. Ich interessiere mich in diesem Text nur ganz am Rande für die psychologischen Aspekte der Trump-Affäre. Wollen die von Trump ausgebooteten career professionals im Weißen Haus ihm die unwürdige Behandlung heimzahlen? Es könnte durchaus sein, dass sich die Aufregung letztlich nur psychologisch erklären lässt. In die mediale Empörung der corporate media machine über Trump spielen viele Aspekte hinein, die mit den konkreten Vorwürfen nichts zu tun haben. Welche Rolle spielt der Neid auf seine schöne Frau, über die – genau wie über Bettina Wulff – hinter der Hand allerhand ›Escortgerüchte‹ in Umlauf sind? (Vgl. etwa Buchanan 2018; Evans 2018) Der Hass auf einen Außenseiter, who pulled it off – dem es entgegen aller Prognosen und Empfehlungen und Boykotte gelungen war,
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die Wahl zu gewinnen? Möglicherweise keine geringe, denn: »Trump’s victory, then, was a brutal kick in the teeth for those loathed pundits, insiders and ›righteous mongers‹.« (Sillito 2016) Auch der Präsident stellt einen direkten Zusammenhang zwischen der negativen Presse und seinem Amtsantritt her: »So when I won the presidency, I th – I – I – the press treats me terribly. I thought very strongly that, you know, the one great thing will happen is the press will start treating me great. Lesley, they treat me worse. They got worse instead of better. Very dishonest.« (Trump, zitiert nach Stahl 2018) Trumps Antwort ist auch deshalb so aufschlussreich, weil die Frage an ihn nicht war, was ihn am meisten enttäuscht hat, sondern was er am meisten bedaure. Lesley Stahl: »Okay, this-- you’re-- but you regret?« – »I regret that the press treats me so badly […].« Trumps Hass auf die Medien könnte also in der Tat auf verletzte Gefühle zurückgehen. Weil er für seine Liebe zu den Medien keine Gegenliebe findet, bleibt ihm nur, die einstige Geliebte zu hassen (vgl. Luhmann 1982: 86). »Some say the President’s antagonistic approach intensified in part because news organizations like The New York Times, considered liberal, didn’t take him seriously as a candidate. The paper gave Hillary Clinton an 85 percent chance of winning even as votes were counted on election night.« (Magee 2018)
Massenmedium Twitter An Trump wird sichtbar, dass Machtausübung heute keineswegs mehr allein aus kollektiv bindenden Entscheidungen besteht (vgl. Nassehi 2016). Zur Macht des Fernsehens ist die Macht der Tweets getreten. Die wohl wichtigste Innovation des Politikers Trump betrifft die Nutzung eines sozialen Mediums als Massenmedium. Als sein eigener Twitter-Verleger tritt er mit einer Auflage von etwa 36 Millionen mit seiner eigenen ›Zeitung‹ gegen die Massenmedien an. Für diese Interpretation spricht nicht zuletzt, dass Trump seine Möglichkeiten als gatekeeper nutzte und unliebsame Kommentatoren wie Stephen King und andere einfach sperren ließ. Dagegen hatte Twitter zunächst nichts einzuwenden. Erst ein Gerichtsurteil, dass diese Zensurmaßnahme als verfassungswidrig einstufte, setzte dieser Praxis ein Ende (vgl. Pierson 2018). Seitdem muss Trump gesperrten Usern wieder Zugang zu seinen Tweets gewähren. Geschäftsführer Jack Dorsey, der Trump zunächst einen Freifahrtschein ausgestellt hatte, wollte davon später nichts mehr wissen;
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dass er seine im Stile Trumps verpackte Warnung (»We could BAN Trump for breaking our rules about abusive tweets«) der Öffentlichkeit kurz vor der Anhörung in Washington zur Verfügung stellte, könnte Zufall sein; die zeitliche Nähe spricht nicht dafür. Womöglich hat sich Dorsey einer Trump-Taktik bedient – zu drohen, zum Beispiel mit Kreativität: »Twitter CEO Jack Dorsey hinted to Politico that deciding whether to sanction the President of the United States for firing off abusive tweets would feature more art than science.« (Zitiert nach Martosko 2018) Die Kommentarfunktion nutzen seitdem vor allem Trumps Gegner. Stimmen seiner Anhänger sind in der Unterzahl, stattdessen dominiert ein Rattenschwanz negativer Bemerkungen seine Tweets, die von sachlicher Kritik bis zur Häme reichen und eine gewisse Genugtuung zur Schau stellen, zumindest den Kommentardiskurs dominieren zu können.224 Doch zuletzt spielen die Kommentare – ähnlich wie die einstigen Leserbriefe an Zeitungen – keine entscheidende Rolle. Die Massenmedien konzentrieren sich auf Trumps Tweets und ignorieren sie weitgehend, obwohl diese neue Form der Öffentlichkeit manches zu bieten hat. Ein Kommentar zu einem Trump-Tweet hat für sie offenbar keinen besonders hohen Informationswert – es sei denn, eine berühmte Person hat sich dort zu Wort gemeldet. (Eine wohltuende Ausnahme stellt die Huffington Post dar, die sich als Onlinezeitung immer auch der Frage widmet, wie ›das Netz‹ auf bestimmte Ereignisse reagiert.) Aus Sicht des deutschen public intellectual Sascha Lobo entsteht durch Trumps Tweets ein weiterer Interessenkonflikt: die Exekutivgewalt verschmelze mit dem, was als ›vierte Gewalt‹ beobachtet wird, unter anderem von den Medien selbst, nämlich ihrer demokratischen Kontrollfunktion. Ob diese Unterstellung einer die Exekutive, Judikative und Legislative ergänzenden ›Infotive‹ zutrifft, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Rechtsnorm den Präsidenten schützt: »Trumps Tweet ist eindeutig keine legitime Gewaltsamkeit des geschriebenen Wortes, aber nicht verboten oder auch nur sanktioniert. Gegen diesen demokratiegefährdenden Missbrauch der persönlichen Publizität ist bisher kein sinnvolles Gegenmittel erkennbar.« (Lobo 2017) Wie Lobo selbst ausführt, stellen Trumps Tweets aber keine politischen Handlungen dar – anders als die Massenmedien annehmen, wenn sie von seiner Neigung »to govern by tweet« (Weiss 2018) sprechen. Nicht nur für Macron gilt: »I don’t do politics through tweets.« (Macron, zitiert nach Quint 2018) Ein Tweet ist keine kollektiv bindende Entscheidung und also keine Politik. Genau genommen haben Tweets noch nicht einmal den Status einer Pressemitteilung. Dass Trumps elektronische Verlautbarungen
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die Politik erheblich irritieren, ist zwar evident. Faktisch hält sich die Belastung des Systems durch seine Verlegertätigkeit aber in überschaubaren Grenzen. Sie ist nicht so sehr für die tatsächliche Politik, sondern vor allem für seine treuen ›Leser‹ von Belang – und für die Massenmedien, die offenbar gar nicht genug vom Twitterpräsidenten bekommen können. Anders als Trumps Tweets und die sozialen Medien erzählen die Massenmedien keine Geschichten von Fremdenangst, sondern von einer Willkommenskultur. Es handelt sich um eine Übersetzung des Inklusionsanspruchs in ein Vorher-Nachher, das diesen Anspruch aber nicht erfüllt (vorher draußen, nachher drinnen), das könnte nur das Recht, sondern ihn erzählt. Trotz der Globalisierung bemühen die Massenmedien weiterhin das Ideal der Verständigung und des Ausgleichs und erwarten von der Masse, an die sie sich wenden, dass sie sich aktiv mit der guten Seite des Moralschemas identifiziert. Es geht darum, zu zeigen, dass man sich für Hungernde, Unterdrückte, ja: Fremde engagiert – aus Trumps Sicht und der seiner Anhänger eine Zumutung. Hier findet sich einer der Hauptgründe dafür, warum viele seiner Wähler das ›Medien-Bashing‹ Trumps begrüßen. Es mag zuallererst eine Reaktion auf die fortgesetzte Kritik an ihm sein, aber im gleichen Moment erlaubt es ihm, die Massenmedien als Agenten dieser moralischen Überforderung zu identifizieren. Das ständige Anmahnen politischer Korrektheit hat diese innere Abwehrhaltung der Trump-Anhänger nur verstärkt. Aus ihrer Sicht arbeiten die Medien mit den Politikern zusammen, vornehmlich demokratischen, die diese hohen Anforderungen an sie stellen. In Trumps Tweets und Bemerkungen fällt die offiziell bevorzugte Version und das, was ›der kleine Mann auf der Straße‹ sagt, mit einem Mal in eins. Die mitunter etwas unbestimmt als ›weiß, wütend, männlich‹ bestimmte Gruppierung will sich nicht mehr in Männer und Frauen anderer Herkunft und Hautfarbe hineinversetzen.225 Diese neue nationale Engstirnigkeit hat sich nicht nur in den USA als zustimmungsfähig erwiesen; doch Trump war der erste Politiker, der sie für die Zwecke der Machtübernahme nutzen konnte, indem er das Streben nach Identität als Gegengift gegen wirtschaftliche Globalisierung und politische Entrechtung anbot. Warum aber muten uns die Massenmedien in einem solchen Maße Empathie zu – und hier insbesondere das Fernsehen? Luhmann sieht im moralischen Anspruch der Massenmedien eine Folge des Verlusts der religiösen Absicherung von Moral: Man konnte sich zwar bereits auf rechtliche Regulierungen stützen, ansonsten im Schadensfall aber nur auf das Jüngste Gericht hoffen. Seitdem sei Moral universal auf individualistischer Grundlage. Alle sozialen Einteilungen, auch die Religion, würden von ihr
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unterlaufen; diese Generalisierung und Universalisierung moralischer Ansprüche finde in der Realität der Massenmedien ihre Entsprechung – eine Realität, die sich offenbar zu weit von der Realität vieler Wähler entfernt hat (vgl. Luhmann 2012a). Dirk Baecker bietet eine Alternativerklärung. Seine These ist, dass es im Fall des Fernsehens darum ging, das neue Medium zu bändigen. So wie die Renaissance den Buchdruck in den Humanismus überführte, so erlaubt auch die vom Fernsehen prozessierte Kultur der solidarischen Öffnung gegenüber den Armen und Schwachen eine Zähmung, technischer: eine Reduktion der überschüssigen, mit dem neuen Medium auftretenden Möglichkeiten (vgl. 2008: 373). Den sozialen Medien dagegen ist nichts Menschliches fremd, Solidarität und Hass kommen hier gleichermaßen zum Zug. Versuche, den Hass durch gesetzliche Normen zu zügeln und auch hier die massenmediale Solidarität zu etablieren – nicht zufällig eine Forderung der Massenmedien –, sind jedoch verfehlt, genauso wie die absurde Forderung an Facebook, Information über Freundschaft zu stellen. Die Gesellschaft wird andere Wege finden müssen.
Zuschauen Die Massenmedien betreffen unmittelbar eine der drei von Luhmann definierten Publikumsrollen: die des Zuschauers. Diese Rolle korrespondiert mit der des symbolisch-expressiven Handelns in der Politik, denn wer beim Handeln beobachtet wird, handelt anders als der, der sich unbeobachtet weiß – er ist gezwungen, sein Handeln öffentlich darzustellen. Das Zuschauen selbst hat also Auswirkungen auf Trump, auch wenn hier keine Steuerung vorliegt und die Effekte ganz unterschiedlicher Art sein können. Die Zuschauer wissen, dass ihnen ein Blick hinter die politischen Kulissen nicht möglich ist. Genau den scheint ihnen der gegenwärtige Präsident zu gewähren, nicht nur durch seine Tweets, sondern auch, weil er in einem fort Verschwörungstheorien bemüht, die ihnen beim Durchschauen der Täuschungen behilflich sein sollen. Sein Erfolg hat auch damit zu tun, dass hinter den Kulissen der Politik ja in der Tat Dinge geschehen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und zugänglich sind; Legitimität und Intransparenz gehen in Demokratien Hand in Hand. Indem Trump diese intransparenten Prozesse für seine Wähler ›durchschaut‹, bestätigt er
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den Verdacht – und lenkt im gleichen Moment von den eigenen, nicht für die Öffentlichkeit gedachten Handlungen ab. Den Versuchen der Massenmedien, diese aufzudecken, begegnet er auf dieselbe Weise: indem er ihnen unterstellt, das Gegenteil von dem zu tun, was sie tun, also gerade keine faktischen Zustände sichtbar zu machen, sondern im Gegenteil mittels fake news zur Intransparenz beizutragen. Das Resultat ist eine Zunahme sowohl von Intransparenz als auch einer trügerischen Transparenz (vgl. Nutt 2017). Trumps Tweets sind aber auch deshalb so effektiv, weil sie die Komplexität des politischen Geschehens für seine Anhänger drastisch reduzieren: »I will be the first to let you know if things go bad.« (Trump 2018) Diese haben ja nicht nur anderes zu tun, ihnen fehlen auch Informationen und ein geschultes Urteilsvermögen, um jeden Zug der Politik sachgemäß würdigen zu können. Etwas, das Rex Tillerson, der ehemalige Außenminister der USA, bedauerlich findet: »I will be honest with you, it troubles me that the American people seem to want to know so little about issues, that they are satisfied with a 128 characters.« (Zitiert nach Chapa 2018) An dieser Einschätzung dürfte auch der Umstand nichts ändern, dass es inzwischen 280 Zeichen sind oder dass Trump immer mehr auf die Technik der Fortsetzungstweets setzt. Etwas anderes ist wichtiger: dass er seiner Basis das Gefühl gibt, als lasse sich das Geschehen mühelos überblicken; dass er sie teilhaben lässt. Der Preis dieser »direkten Repräsentation« (Nadia Urbinati) ist ein rigides Freund/Feind-Schema: »Er kann eine Sprache benutzen, die ihre Empfänger am Abwägen hindert und zu unmittelbarer Zustimmung oder Ablehnung zwingt.« (Urbinati, zitiert nach Felsch 2017) Die neue Unversöhnlichkeit der Lager lässt sich mit dem Begriff der ›Versäulung‹ fassen: als Unmöglichkeit, von einer Seite zur anderen zu wechseln (vgl. Luhmann 2010: 401; zur Herkunft des Begriffs, der ein sehr erfolgreiches niederländisches »Exportprodukt« darstellt, siehe Molendijk 2007). Fakten spielen hier eine Nebenrolle, da es nicht um den von Habermas modellierten Austausch rationaler Akteure geht (vgl. Habermas 1962). Niemand trifft sich mehr auf dem Marktplatz, um dort um die richtige Meinung zu streiten (vgl. Baecker 2008: 614). Zwar gibt es weiterhin Wettkämpfe – aber sie werden nicht mehr mithilfe von Argumenten ausgefochten. Die gefühlsmäßig persönliche Gruppenidentität bestimmt die Debatte. Welche Prozesse hier zum Tragen kommen, lässt sich deshalb mit einem soziologischen Instrumentarium allein nicht mehr erfassen. Luhmann hatte Talcott Parsons noch dafür kritisiert, dieses Moment – »unter dem Einfluß der amerikanischen Wahlforschung« – als zu
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hoch einzuschätzen (Luhmann 2010: 403). Mag diese Kritik damals noch zugetroffen haben, heute gilt sie nicht mehr. Trumps Politik griff bewusst auf die ungeformten Spannungen und Gereiztheiten zurück, die zu den Systemen bisher keinen Zutritt hatten, auf emotionale Gegenstrukturen, die aus unbefriedigten Gefühlsbedürfnissen resultieren (vgl. Luhmann 1999: 380), um sie in Richtung Wahlsieg zu kanalisieren. Dieser Rückgriff ist die eigenliche Innovation, die zurzeit unter dem Namen Populismus diskutiert wird. Trumps Leistung besteht vor allem in einer überzeugenden Verkörperung diesesr ›Gegenpolitik‹. Die Paradoxie liegt darin, dass er jene negativen Gefühlskomponenten, die sich gegen die politische Ordnung wenden, in den Dienst dieser Ordnung stellt. Dieser Widerspruch ist die Grundlage vieler Konflikte – er erklärt auch, warum er die bisherigen politischen Gepflogenheiten auf den Kopf stellen musste: er hat gar keine andere Wahl, soll die Inszenierung des Gegen-Trump auch weiterhin gelingen. Ich komme im Schlussteil ausführlich darauf zurück. An dieser Stelle nur der Hinweis, dass Trump hier ein ›Problem‹ löst, genauer: dass sich hier ein Problem konstruieren lässt, nämlich die fehlende emotionale Motivierung, zu Politik beizutragen. Trump (und anderen Populisten) gelang diese Motivierung – um den Preis, die negativen Gefühlskomponenten gegenüber der Politik zu verstärken. Das Problem, dem sich der Populismus gegenübersieht, der nun Politik machen muss, ist: die Emotionen wiederum in die Komplexität der gesellschaftlichen »Tauschordnungen« (Luhmann) zu übersetzen, in jene ›Umwegigkeit‹, die für Systeme typisch ist. Er wird also weiterhin Ansatzpunkte finden. Der wohl wichtigste Grund für die Effektivität seiner Diffamierung der Medien – bzw. jener als liberal bzw. als Teil des gegnerischen Lagers geschmähten – ist der ›Ideologieverdacht‹ bzw. die Unterstellung eines falschen Bewusstseins. Sie können ihrer ursprünglich zugedachten Aufgabe, zwischen Politikern und dem Publikum zu vermitteln, deshalb nicht mehr ohne weiteres nachkommen: »It sounds ridiculous, but it has worked. Seventy-one percent of Republicans now think that Special Counsel Robert Mueller’s investigation is a ›witch hunt,‹ and just 16 percent consider it a legitimate investigation, all because the president has said so.« (Proskow 2018) Kritische Impulse werden erstickt, indem Trump alle Zweifel im Hinblick auf das falsche Bewusstsein der Zweifler erledigt – eine Technik, die er auch im Hinblick auf andere Widersacher anwendet: von Obama-Richtern bis hin zu Clinton-Generälen. Vermochten die Massenmedien in der Ära vor Trump noch, die Funktion des Zuschauers unabhängig von der individuellen Motivlage des Einzelnen stabil zu halten, ist dies in der ›TrumÄra‹ nicht mehr möglich. Die Stabilität ist nun nur noch die Stabilität der
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Gegnerschaft, weshalb auch die disziplinierende Wirkung ihres Beobachtens sehr viel geringer ist. Die bisherige Passivität des Zuschauers kann durch die Massenmedien nicht mehr gesichert werden. Hier findet sich die wichtigste Änderung bezüglich der Publikumsrolle: Politische Aktivität ist nicht mehr darauf angewiesen, sich anderen Rollen zuzuwenden. Man kann nun auch als Zuschauer reagieren, oder eher: sich abreagieren und seinen Frustrationen freien Lauf lassen. Was sich früher am Stammtisch oder unter Arbeitskollegen als politische Meinungsbildung in physischer Kopräsenz vollzog, findet nun im Netz statt – enthemmter, erregter, chaotischer. Während der Einfluss der sich früher in Kleingruppen vollziehenden Prozesse der Meinungsbildung auf unpolitischen Mitteln beruht hat, auf »diffuser sozialer Nähe und dadurch begründetem Vertrauen« (Luhmann 2010: 409), scheint in der aufgeheizten Atmosphäre der USA heute schon die Zugehörigkeit zum eigenen politischen Lager dieses Vertrauen gegenüber Unbekannten im Netz zu gewährleisten. Andererseits sollten wir die sozialen Medien – und die der russischen Trolle – im Hinblick auf die Aktivierung des Publikums auch nicht überschätzen. Und schon gar nicht als ›Ausschaltknopf‹ benutzen: als alleinige Ursache für die Wirkung Trump heranziehen. Ich habe die zwei komplementären Publikumsrollen und ihre unterschiedlichen Funktionen im Zusammenhang mit der Anhörung Kavanaughs bereits genannt: hier die Artikulation von Interessen und Forderungen, dort die Gewährung politischer Unterstützung (vgl. Luhmann 2010: 410 ff.). Politische Unterstützung ist formal anerkannt, das Publikum übt sie in seiner Rolle als Wähler aus. Hier findet die Trennung von anderen, unpolitischen Rollen statt, die durch den allgemeinen und geheimen Charakter der Wahl sowie durch die Abstraktion der Wahlthemen geleistet wird. Die Wahl selbst zwingt zu scharfer Abstraktion, alle individuellen Motive werden hier abgewiesen (vgl. Luhmann 2010: 411) Persönliche Interessen wie etwa das Verlangen nach einem Windelrabatt für alleinerziehende Mütter, der Beschallung von Mastschweinen mit Musik von Adele oder die Nichtberücksichtigung eines bestimmten Richterkandidaten aufgrund des Verdachts der sexuellen Belästigung kann man hier nicht mitteilen, Motive müssen generalisiert werden, sie müssen sich ein anderes Forum suchen. Aufzüge zum Beispiel: »We all ran after him. We held open the elevator and I just started telling him why it was important and what had happened to me and why he should not let Brett Kavanaugh on the Supreme Court.« (Ana Maria Archila, zitiert nach Millstein 2018) Diese unterschiedlichen Funktionen geben beiden Rollenarten unter-
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schiedliche Chancen. Der Einfluss des einzelnen Wählers ist bekanntlich minimal; aber die politische Interessenverfolgung lässt sich gut mit individuellen Motivlagen in Einklang bringen (vgl. Luhmann 2010: 412). Sie lohnt entsprechende Aufwendungen, und sei es die, von Virginia nach Washington zu reisen, dort stundenlang vor dem Büro eines Politikers auszuharren, um ihn dann zur Rede stellen zu können – so wie Maria Gallagher, der es tatsächlich gelang, Senator Jeff Flake auf dem Weg zur Kavanaugh-Anhörung abzufangen (vgl. Gallagher 2018). Allerdings ist ein Gespräch im Aufzug nicht selbst schon legitim. Die Trennung zwischen diesen Funktionen hält dem politischen Publikum die Wahl zwischen zwei Einflusskanälen offen – und garantiert darüber hinaus die Autonomie der Politik. Der direkte Tausch von Forderungserfüllung gegen politische Unterstützung wird auf diese Weise ausgeschlossen – oder zumindest erheblich erschwert. »Stände der Bürger dem Politiker nur in einer einzigen Rolle gegenüber […], drängte sich eine tauschförmige Transaktion auf.« (Vgl. Luhmann 2002a: 413) Trump ist es mit seinem Vertrag bekanntlich gelungen, beide Momente zu diffundieren: ›Wenn Ihr mich wählt, werde ich Eure Forderungen – Mauerbau usw. – erfüllen.‹ Die Konsequenzen zeigten sich etwa in der von ihm ausgelösten Haushaltssperre, dem »Trump Shutdown« (Pelosi). Der Präsident ist verzweifelt bemüht, seine Wahlversprechen einzuhalten und bedroht damit die Struktur der Politik; diese lebt gerade davon, dass Versprechen nicht eingelöst werden, weil sie auf Flexibilität angewiesen ist. Doch der Dealmaker Trump ist nicht am Erhalt der politischen Komplexität interessiert, er ist auf den direkten Tausch mit seinen ›politischen Kunden‹ aus. Da es ihm bei der politischen Entscheidungsfindung allein darum geht, die Stimmen seiner Wählerbasis nicht zu verlieren, kann man seine Politik auch als irrational bezeichnen, weil sie keine politischen Probleme lösen möchte – wodurch sie zur Erhaltung des Systems beitragen würde –, sondern Grundsätze beschwört und Entscheidungsengpässe prozessiert. Als rational kann dagegen sein Versuch gewertet werden, im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Finanzierung der Mauer die Bestimmung dessen, was eine Mauer sei, aufzuweichen – und eine Art verwässerte (watered down) Version ins Spiel zu bringen, um ein vernünftiges Weiterregieren zu ermöglichen: »The shift marks a tacit acknowledgment of retreat by the White House on one of its signature issues as it faces the reality of divided government in the new year and a partial government shutdown that is in its second week.« (Sonmez et al. 2018) Auch das Herunterschrauben seiner finanziellen Forderungen – von ehemals 25 auf 5 Billionen – ist rational. Gegenüber seinen Wählern wiederum muss Trump aber weiterhin
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Irrationalität bzw. Unbeugsamkeit demonstrieren: »The Wall is the Wall, it has never changed or evolved from the first day I conceived of it.« (Zitiert nach Sonmez et al. 2018) Diese direkte Forderungserfüllung ist ein weiteres Merkmal dessen, was man gemeinhin Populismus nennt. Wenn auch mit der Besonderheit, dass nicht ›das Volk‹ die Forderungen formuliert, sondern der Populist sie ihm gleichsam in den Mund legt: »This is what happens in politics in plain terms: political entrepreneurs seize the opportunity to mobilise people around a particular issue.« (Fukuyama, zitiert nach Koulinka 2017) Forderungserfüllungen, die Trump in seinem ›Vertrag‹ – also in vermeintlich rechtlich bindender Form – denen zusichert, die ihn wählen werden. Was Trump seinen zukünftigen Wählern nicht sagen konnte, war natürlich, dass die Umsetzung dieser Entscheidungen nicht allein von seinem Wahlsieg abhängt, sondern auch davon, dass er sich in den Verhandlungen mit seinen Parteikollegen und den Demokraten, gegenüber den Gerichten usw. durchsetzt. Allein dieser Hinweis aber hätte das Narrativ beschädigt, da relativiert. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, lassen sich diese Misserfolge aber wunderbar in ein anderes Narrativ einpassen, das des deep state bzw. des swamp, der den demokratisch Gewählten das Regieren aus der Hand nimmt. Im Falle des Mauerbaus bzw. der Finanzierung sind es die an innerer Sicherheit nicht interessierten Demokraten, die verantwortlich gemacht werden können. Die Politik Trumps wird an ihrer Publikumsgrenze, genauer: an seiner Unterstützergrenze festgelegt und kann – wie in anderen Zusammenhängen bereits erwähnt – deshalb keine generalisierte Position gewinnen, die einen Interessenausgleich ermöglichen würde. Folgerichtig wird selbst der politische Interessenausgleich von Trump als tauschförmige Transaktion inszeniert.
Öffentliches Meinen In der Regel erwarten Amerikaner voneinander ein Ja zu Demokratie und ein Nein zum Missbrauch Schutzbefohlener. Trump ist es durch seine Abweichungen nicht nur gelungen, selbst bestimmte Themen zu institutionalisieren: America First bzw. »MAGA«, »Crooked Hillary«, deep state, fake news, witch hunt, Mauer usw. Er hat auch die Form der Auseinandersetzung ändern können. Seitdem ist die öffentliche Meinung in den USA zweigeteilt in jene, die mit Habermas und der New York Times an eine rationale
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Auseinandersetzung unter Gleichen glauben, und jene, die Rationalität für einen Trick, zumindest aber für eine Zumutung halten. Luhmann hat darauf hingewiesen, dass so viel gemeinsam besessene Vernunft gar nicht vorausgesetzt werden kann, als dass sich von der Öffentlichkeit organähnliches Handeln erwarten ließe. Gemeinsame Resultate sind nicht Teil ihres Repertoires. Ohnehin ist die Idee der Öffent lichkeit als einer kritischen Instanz nur vorstellbar, wenn sie durch Organisation strukturiert ist, wie sie etwa im Fall der unterschiedlichen Medienorganisationen vorliegt, von Zeitungshäusern über Radiostationen bis hin zu Fernsehsendern und sozialen Medien. Das Problem ist, dass diese organisierte Informationsverarbeitung und die öffentliche Meinung nicht dasselbe sind, auch wenn erstere sich oft als solche ausgibt. Doch die öffentliche Meinung ist kein bloßes Artefakt der Massenmedien, das würde sie politisch delegitimieren. Das Narrativ von Habermas handelt von der kurzzeitigen Blüte einer unabhängigen, gleichzeitig inklusiven und exklusiven – weil aristokratischen – Öffentlichkeit und ihrem Niedergang, sieht also eine gewisse Fallhöhe vor (vgl. Habermas 1975). Was sie zu Fall bringt, sind jene Kräfte, die sie allererst möglich machten – die Massenmedien und die Wirtschaft. Was Habermas als öffentliche Sphäre begreift, fasst Luhmann als »Interaktion in Oberschichten«, und was sich in seinen Augen wandelt, ist deren Semantik. Ein Niedergang ist in seiner Erzählung nicht vorgesehen (vgl. Luhmann 1993a: 72 – 161) Aus Luhmanns Sicht überträgt das Postulat der Öffentlichkeit den »Handungszwang elementarer Interaktionen von Angesicht zu Angesicht und die dafür spezifische Verantwortlichkeit« der Salons und Kaffeehäuser auf das Gesellschaftssystem, »mit bewußter Verwischung des Unterschieds zwischen diesen Ebenen der Systembildung: Interaktionen sind per definitionem öffentlich, Gesellschaften können es nicht sein« (Luhmann 2017: 175). Die Soziologie beklagte schon früh, was Trump heute umtreibt: die Selektivität der medienbestimmten öffentlichen Meinung, die bei Trump zur Selektivität der die Öffentlichkeit manipulierenden Massenmedien wird – und genau wie einst die Soziologie (vgl. Luhmann 2002a: 282) führt auch Trump diese Klage öffentlich und spricht der corporate media machine bzw. den linksliberalen, demokratischen Zeitungen den Alleinvertretungsanspruch der öffentlichen Meinung ab. Tatsächlich sieht der Begriff der Öffentlichkeit ja gerade vor, dass die Frage der Zustimmung bzw. Ablehnung von Meinungen nicht vorentschieden ist. Genau darüber befindet die Öffentlichkeit erst – wobei die fromme Hoffnung war, dass diese Entscheidungen rational getroffen würden, weil die Individuen nun alles unter sich ausmachen können, unbeeinflusst von
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Autorität oder Tradition, also keine externen Einflüsse das Entscheidungsverfahren mehr beeinflussen. Diese Vorstellung einer unabhängigen Öffentlichkeit hat sich bis heute gehalten. Auch deshalb war der Facebook-Datenskandal ein Skandal; nicht nur, weil er das Ausmaß der Kontrolle vorführte, sondern auch den Umstand, dass die Menschen diese Kontrolle durchaus begrüßen. Die Vorstellung, dass die öffentliche Meinung nur eine einzige Funktion innehat, die sich auf die eines kritischen Resonanzbodens für politisches Handeln beschränkt, ist insofern naiv (vgl. Luhmann 2010: 434). Spätestens seit Trump ist klar, dass es auch eine andere Art von Öffentlichkeit gibt. Diese Öffentlichkeit ist kein Ort der Vernunft mehr, auch wenn hier nach wie vor – »durchaus agonal« (Dirk Baecker) – gestritten wird. Da in den meisten demokratischen Ländern nur alle vier Jahre gewählt wird, »regiert die öffentliche Meinung in der Zwischenzeit« (Luhmann 2002a: 281) und erlaubt derart nicht zuletzt eine Vorwegnahme des Wahlausgangs, die allerdings in einem fort korrigiert wird. Dass das Vertrauen in solche Vorwegnahmen in den USA seit Trumps Wahlsieg gelitten hat, ist bekannt – auch dies kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die Massenmedien sich mit der Öffentlichkeit verwechseln und zudem Rationalitätsmaßstäbe zugrunde legen (wie sie etwa auch in der Analyse der ›Fernsehduelle‹ zum Zuge kamen), die nicht die Maßstäbe der Wähler waren. Die Trump-Gegner sind der Ansicht, dass ein Ja zu Trump nicht – oder zumindest: nicht mehr – überzeugend als Vernunft begriffen werden kann. Nur: genau diesen Anspruch haben die Trump-Befürworter gar nicht mehr. Folgt man Luhmann, führen die durch die Massenmedien öffentlich gemachten Konflikte aber ohnehin nicht zur Destillierung von Vernunft – sondern lediglich zur Destillierung von Ideologien (vgl. Luhmann 2002a: 282). Trump findet Halt bei seinen Anhängern, und diese halten sich an ihn; beide stützen sich so gegenseitig. Die Themenwahl ist hier durch Konsens gedeckt. Dieser Konsens, der zur Verständigung nötig ist und in den gemeinsamen Rufen nach Hillary Clintons Inhaftierung Form annimmt, kann nicht in jeder Situation problematisiert und neu festgestellt werden – er ist die Voraussetzung der Verständigung, und genau die stellt die Institutionalisierung der Themen sicher (vgl. Luhmann 2002a: 438) Es ist dieser Konsens, der Trumps Wahlkampfveranstaltungen so erfolgreich macht. Natürlich kann man die Konsensfrage dann trotzdem stellen – ausdrücklich, aber das kostet wertvolle Zeit, die man lieber dem reibungslosen Fortgang der Kommunikation zur Verfügung stellt. Gerade bei einer Wahlkampfveranstaltung will man den Konsens erleben, »Lock her up!« rufen,
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in diesen Rufen aufgehen, nicht die Forderung als Problem erfahren. Dem von den Massenmedien als Held gefeierten »plaid shirt guy« Tyler Linfesty gelang es, diese Übereinstimmung als Konvention zu entzaubern, weshalb er von den Sicherheitskräften denn auch umgehend entfernt wurde (vgl. Martinez 2018). Der Trump-Anhänger weiß natürlich, dass der Trump-Gegner anderer Meinung ist. Er nimmt die andere Meinung im günstigsten Falle vielleicht sogar ernst, aber das ist für ihn noch lange kein Grund, die eigene aufzugeben. Denn genau das, was nahezu jeder Trump-Gegner für sich in Anspruch nimmt – dass die eigene Meinung besser ist als die der doofen Trump-Anhänger, weil sie auf rationaler Grundlage gebildet wurde –, kann er nicht akzeptieren. Es ist ja genau diese Zumutung der »ruling class« (Taleb), rational zu agieren, die ihn dazu gebracht hat, auf die Barrikaden zu gehen: »The Corporate Mainstream Media consider themselves the kingmakers. They are filled with smug elite liberals that think they know what’s best for everyone.« (Chantal, zitiert nach Washington Times 2017) Dass er in der öffentlichen Diskussion nicht mithalten kann, dass man ihm gleichsam die Zulassung zur Gesellschaft verweigert, hat er verstanden – und sich mittels Trump Zugang verschafft. Die Identifikation mit Trump gelingt seinen Anhängern gerade deshalb so gut, weil er kein Intellektueller ist, der Shakespeare zitiert. Der Auschluss – in Form eines Konditionalprogramms: wenn Bildung, dann Teilhabe – trug mit zur Motivation bei, es den Schlaubergern und Besserwissern zu zeigen. In diesem Sinne hat Trump in der Tat ›die besten Worte‹, weil sie seine Anhänger besser als die »closely crafted but deeply derisive rhetoric« eines Obama erreichen, die »large segments of the American public with outright contempt« behandelt habe (vgl. Richmond Times 2018). Trumps Vokabular mag sich auf dem Level eines Siebtklässlers bewegen,226 hat genau deshalb aber den Vorteil der Verständlichkeit. Es ist in diesem Sinne selbst ein Symbol, das der Volksnähe (aus der Sicht seiner Gegner: der Dummheit). Taleb macht sich zum Wortführer, Monate bevor Trump die Wahl gewinnt: »You can call Trump’s plain-speaking what you like. But the way intellectuals treat people who don’t agree with them isn’t good either.« (Taleb, zitiert nach Haidar 2017) Auch seine vielen Rechtschreibfehler sollten in diesem Kontext gelesen werden. Zwar bemühen sich seine Mitarbeiter, Trumps Stil in den von ihnen verfassten Tweets zu übernehmen – doch so weit, auch Fehler hineinzu schmuggeln, gehen sie bisher nicht: »However, they are not thought to intentionally misspell words or names.« (Oppenheim 2018) Der von den Medien beklagte Niedergang der Trump’schen Tweetqualität dürfte auch
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mit dem Umstand zusammenhängen, dass Trump sie nicht mehr ausschließlich selbst verfasst, nicht nur mit der Erweiterung auf 280 Zeichen.227 All das bestätigt die Vermutung, dass politische Herrschaft sich nicht auf Diskussion gründen lässt, denn die – moralische – Bereitschaft, sich der Vernunft zu stellen und zu fügen, wie Habermas es vorsah, kann nicht unterstellt werden (vgl. Luhmann 2010: 439). Sie wird in dieser Hinsicht mutwillig überschätzt; eine Überschätzung, die mit der bereits erwähnten Erwartung zu tun hat, dass die öffentliche Meinung entscheidungsähnlich agieren könnte. Sie erweist sich in einer funktional differenzierten Gesellschaft zuletzt als Ideologie, die die Interessen des Bürgertums schützt – der Elite, wenn man so will: »What we have been seeing worldwide, from India to the UK to the US, is the rebellion against the inner circle of no-skin-inthe-game policymaking ›clerks‹ and journalists-insiders, that class of paternalistic semi-intellectual experts with some Ivy league, Oxford-Cambridge, or similar label-driven education who are telling the rest of us 1) what to do, 2) what to eat, 3) how to speak, 4) how to think […] and 5) who to vote for.« (Taleb 2016)
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Wissen ist Macht, heißt es. Eine politische Macht ist Wissenschaft deshalb aber noch lange nicht – und kann es auch nicht sein. Zwar hat sie das »Monopol auf Zuteilung für intersubjektive Gewißheit« (Luhmann), also den Anspruch, fake news von real news zu unterscheiden und die Tatsächlichkeit eines Vorgangs – den Klimawandel, die Effektivität einer Grenzmauer – beglaubigen zu können. Allerdings ist sie sich hinsichtlich ihrer Resultate oft nicht einig. Das Moment der in ihr institutionalisierten wissenschaftlichen Kontroverse neutralisiert jeden Konsens. Sie löst das Problem pragmatisch: Einer bietet Wahrheiten an, immer schon im Hinblick auf entsprechende Rezeptionserwartungen, ein anderer schlägt anschließend eine Festlegung vor (vgl. Luhmann 1992b: 347). Aber das ist nicht das Ende, diese rigide Kopplung ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wird immer schon im Hinblick auf ihre mögliche Wiederauflösung beobachtet – und die Wissenschaft belehrt uns nicht zuletzt darüber, dass auch die Stein genannten ›Rinnsale‹ aus Mineral, Felsbruchstücken, Gläsern und organischen Rückständen nicht ewig halten. Auch wenn von der Wissenschaft nach wie vor Gewissheiten erwartet werden, gerade in Zeiten wie diesen, in denen Trump die Unsicherheit der Wissenschaft politisch einsetzt. Doch sicheres Wissen hat sie nun einmal nicht im Angebot. Dennoch kann kein Politiker, erst recht keiner mit einem instinct for science, der Wissenschaft ihr Wissensmonopol streitig machen (vgl. Lee 2018). Und zwar deshalb, weil die Geltung dieses Wissens methodisch gesichert ist, sich also gerade keinem Instinkt und keiner Meinung verdankt. Weshalb jede Meinungsäußerung in der Wissenschaft »die Bereitschaft zur Erläuterung, zur Verteidigung, ja zum Streit anzeigt« (Luhmann 1992b: 242) – wer sich irrt, war leichtfertig. Er sollte es aber tunlichst vermeiden: Wer einmal irrt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht, weil Wahrheit in hohem Maße auf Kredit und Vertrauen basiert. In der wissenschaftlichen Variante: Fehlernachweise können auf eine Ausschaltung der Glaubwürdigkeit für weitere Äußerungen hinaus© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_10
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laufen. (Vgl. Luhmann 1992b: 242) Zwar ist die Wissenschaft bemüht, die schädlichen – ehrabschneidenden, entwürdigenden – Folgen derartiger Konflikte erheblich abzuschwächen und gegen andere Interaktionskontexte abzudichten, das kann ihnen aber nicht vollständig Einhalt gebieten. Immerhin: zum ›Gesichtsverlust‹ führt ein solcher Irrtum nicht. (Vgl. Luhmann 1992b: 243) »Von einer überdurchschnittlich hohen Selbstmordquote unter Wissenschaftlern ist jedenfalls nichts bekannt.« (Luhmann 1992b: 243. Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht zuletzt die, dass Gesichtsverluste je nach Kultur unterschiedlich gewichtet werden, vgl. Blaschke 2014.) Wie die Wissenschaft koppelt und entkoppelt, lässt sich gut anhand des sogenannten Zwei-Grad-Ziels demonstrieren, das lange mit dem Hinweis auf die thermohaline Zirkulation (THC) im Atlantik gerechtfertigt wurde. Carlo und Julia Jaeger haben vor etwa zehn Jahren einen anderen Wahrheitsvorschlag unterbreitet: »Die THC ist nicht die Art von Klimaschwelle, die ein Zwei-Grad-Limit rechtfertigen könnte.« (Zitiert nach Müller-Jung 2009) Die kritische Temperatur, so die beiden Forscher, sei möglicherweise höher und die sozio-ökonomischen Folgen einer Störung der Meereströmung geringer als anfangs befürchtet (vgl. Jaeger and Jaeger 2010). Das Zwei-Grad-Ziel ist aber nicht nur ein Hinweis auf die Mechanismen der wissenschaftlichen Wahrheitsproduktion (es resultierte eher zufällig »out of a marginal remark in an early paper about climate policy«, Jaeger and Jaeger 2010), sondern auch darauf, dass Wahrheitsvorschläge auf politische Förderung angewiesen sind (vgl. Luhmann 1992b: 631). In diesem Fall konnte durch die Beschreibung eines bestimmten Zustands und seiner mutmaßlichen Zukunft ein politischer Handlungsbedarf erzeugt werden (vgl. Luhmann 2002a: 394). Aber wie sich gerade im Zusammenhang mit Trump zeigt, können wissenschaftliche Feststellungen auch politisch unbequem sein. Vor allem die Erkenntnisse im Bereich der Klimaforschung sind nicht mit der »America First«-Doktrin kompatibel. Trump kann die Instanz, die als Streit über Wahrheit die Wahrheit vertritt, zwar nicht negieren, dafür ist ihre Prestige zu hoch – ihr die Ressourcen abziehen aber schon.228 Für den wissenschaftlichen Bereich ist die Politik nun einmal nicht zuständig, genauso wenig wie die Politik für den der Wissenschaft. Wissen darf keine Machtansprüche transportieren, die Wissenschaft kann ihre Autorität nicht politisch nutzen – umgekehrt kann die Politik keine Wahrheitsansprüche anmelden. Momentan ist sich die Forschergemeinde einig: Der Klimawandel ist ein Faktum, und er ist auf unseren Einfluss zurückzuführen. »Der Klimawandel ist menschengemacht, mehr CO2 führt zu mehr Erwärmung, der Meeresspiegel steigt durch die globale Erwärmung. In der Wissenschaftscom-
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munity herrscht darüber praktisch zu 100 Prozent Einigkeit. Wichtig ist, dass man sich nicht von einzelnen Details aus den Studien – die sich teilweise widersprechen – verwirren lässt, um dann daraus zu folgern, dass bei diesen großen Fragen noch Zweifel bestehen könnten.« (Matthias Mengel, zitiert nach Fischer 2018) Trump meldet dennoch Zweifel an: »I don’t think it’s a hoax, I think there’s probably a difference. But I don’t know that it’s manmade.« (Zitiert nach Stahl 2018) Diese sind insofern berechtigt, weil es um einen Wahrheitsvorschlag geht, nicht um Wahrheit. Das ist Trump bekannt: »We have scientists that disagree with that.« (Zitiert nach Stahl 2018) Ähnlich äußert sich Larry Kudlow, der Direktor des National Economic Council: »I won’t say it’s a scare tactic but I think they overestimate.« (Kudlow, zitiert nach Miere 2018) Exakt diese Freiheit der Wissenschaft sichert die Autonomie der Politik und hat es Trump zuletzt erlaubt, das Klimaschutzabkommen zu kündigen. Nun ist der Konsenswert der Wissenschaft hoch, höher als in allen anderen Bereichen der Gesellschaft, zumindest wenn es um den Konsens aller Vernünftigen geht (vgl. Luhmann 2010: 345). Nur wissenschaftsimmanente Kritik hat deshalb gegen sie eine Chance. Mit anderen Worten, Kritik an der Wissenschaft muss selbst wissenschaftlich sein, muss Hypothesen, Theorien oder Methoden kritisieren.229 Für die Politik gibt es hier zwei Möglichkeiten, diese institutionelle Sonderstellung der Wissenschaft auszunutzen (vgl. Luhmann 2010: 346). Entweder das wissenschaftliche Wissen wird übertragen, also in der politischen Praxis nutzbar gemacht. Dafür müssen Wissenschaftler und Praktiker zusammenarbeiten – erst dann wird aus Wissen Macht. Politik kann sich hier die Symbolfunktion großer Namen zunutze machen (man denke an Obama und John Holdren). Diese großen Namen stehen Trump nicht zur Verfügung, weshalb er auf kleine ausweicht – nicht wenig überraschend: überwiegend auf Außenseiter, wie er selbst einer ist.230 Erst Ende 2018 nominierte Trump mit dem Metereologen Kelvin Droegemeyer schließlich einen wissenschaftlichen Berater. Er wich auch hier von der bisherigen Tradition ab: »Droegemeier would be the first non-physicist to serve as White House science adviser since Congress established the OSTP in 1976.« (Reardon and Witze 2018) Immerhin: Holdren bescheinigte Trump eine ›solide Wahl‹: »He is a respected senior scientist and he has experience in speaking science to power.« (Holdren, zitiert nach Reardon and Witze 2018) Die andere Möglichkeit steht Trump bekanntlich nicht zur Verfügung: seinen Gegnern mittels eines anderen Symbols, dem des wissenschaftlichen Konsensmonopols, in Klimafragen die Vernunft abzusprechen. Allerdings kommt es für die Politik immer schon entscheidend dar-
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auf an, diesen symbolischen Gebrauch mit ihren Reduktionsnotwendigkeiten, mit Wertfixierungen und Parteinahmen in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Luhmann 2010: 347). Etwa indem Begriffe in Schlagworte verwandelt, das Vokabular verständlich gemacht, Einschränkungen und Vorbehalte weggelassen werden; indem man die Wissenschaft nachträglich heranzieht, um längst beschlossenen politischen Entscheidungen den Schein der Objektivität zu verleihen; oder indem man durch die Vorwegnahme auf das durch sie ermöglichte Konsenspotenzial Entscheidungen zu beeinflussen und in die eine oder andere Richtung zu lenken versucht. Es sei denn, dem stehen gewichtige politische Interessen wie die »America First«-Doktrin entgegen. Doch um Wahrheit geht es nie, wenn die Politik sich der Wissenschaft bedient, sondern stets um Macht, also um Zwecke, die nicht solche der Wissenschaft sind. Anders gesagt, die Politik beobachtet die Wissenschaft daraufhin, wie sie Wahlchancen gefährdet oder steigert – nicht mehr und nicht weniger. Das lässt sich gerade im Zusammenhang mit der Frage des Klimawandels zeigen. Während es Macron und Merkel gelang, sich die von der Wissenschaft zur Verfügung gestellten »respektablen Selbstinterpretationen« (Luhmann) zunutze zu machen, stand Trump als Gegner des Planeten da. *** Das Spannungsverhältnis, in dem die Trump-Regierung zur Wissenschaft steht, ist für Demokratien eher untypisch. Es ist aber die Regel in totalitären Zusammenhängen bzw. sogenannten Einparteiensystemen, wo die Struktur ideologischer Verhaltensprämissen die Ordnung vorgibt (vgl. Luhmann 2010: 319). Die Trump-Regierung stößt hier auf erhebliche Probleme, da die für die Wissenschaft so elementare Hinterfragbarkeit (Falsifizierbarkeit) der Hypothesen für die »America First«-Ideologie des ökonomischen Nationalismus keine Option darstellt. Die Erstwürdigkeit Amerikas kann ja nur dann Gefühle engagieren und binden, wenn sie nicht falsifizierbar ist. Sie steht deshalb auch nicht zur Diskussion: »The Paris Agreement handicaps the United States economy in order to win praise from the very foreign capitals and global activists that have long sought to gain wealth at our country’s expense. They don’t put America first. I do, and I always will.« (Trump 2017b) Ich hatte deshalb von einem inviolate level gesprochen, die Erstheit Amerikas wird als nicht negierbar behandelt. Wie nicht nur im Zusammenhang mit der Aufkündigung des Klimaabkommens deutlich wurde, ist das größte Hindernis für Trumps politische Flexibilität ein durch sie begrenztes Problemverständnis, das alle Positio-
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nierungen entsprechend vorstrukturiert. Ideologien sind nur begrenzt lernfähig (im Gegensatz zur Dummheit ist dem ideologischen Gebrechen, mit Kant: dem ›Zuviel an Urteilskraft‹, aber durchaus abzuhelfen). Im Fall Trumps kommt noch ein anderes Moment hinzu: das der direkten Forderungserfüllung. Er hatte im Rahmen des Wahlkampfs auf eine Reihe von Entscheidungswünschen des Publikums reagiert.231 Die Kündigung des Pariser Abkommens war ein wichtiger Teil dieser Positivierungsstrategie. Trumps Programm erweist sich hier als konsistent. Opportunismus ist ihm in Vertragsfragen mit dem Wähler nicht möglich. Auch die Parteien Chinas oder Russlands können zwar nicht auf Forderungen verzichten, aber sie akzentuieren anders. Ihr Mittel ist es, die Ideologie der Partei als Gesetz der öffentlichen Meinung zu institutionalisieren (vgl. Luhmann 2010: 322). Was immer gefordert wird, muss mit dieser Ideologie übereinstimmen; Überraschungen sind damit weitgehend ausgeschlossen. Dieses Mittel steht Trump nicht zur Verfügung. Stattdessen institutionalisiert er die öffentliche Meinung: »The selfishness in the ongoing US policies on economy and trade, global governance and collective security reflects the public opinion and demands of the American people.« (Chenghao 2018) Dass ihm an der Freiheit der Wissenschaft nicht viel gelegen ist, und er auch hier ›gewinnen‹ bzw. der Wissenschaft sein ideologisches – wirtschafts-nationales – Konsistenzangebot aufzwingen will, zeigen nicht nur die vielen Kürzungen, sondern auch die von ihm eingeleiteten Maßnahmen der Informationskontrolle.232 Die Trump-Regierung kann die Wissenschaft aber nicht einfach für unzuständig erklären und den Klimawandel weiterhin als fake news ausgeben. Um an ihrer Geltung partizipieren zu können, muss die »America First«Ideologie, die Handels- und Jobideologie, sich selbst als Wissenschaft ausgeben. Larry Kudlow führt vor, wie es geht: »I’m not denying any climate change issues, George. The issue here though is magnitudes and timing.« (Kudlow, zitiert nach Miere 2018) Trumps eigene Versuche, seine Politik als Wissenschaft auszugeben, nutzen die Möglichkeit der Empirie: indem anläßlich der Kündigung des Pariser Abkommens eine Fülle von Daten präsentiert, die er im Sinne seiner Doktrin deutet.233 Aus seiner Sicht geht es beim Abkommen aber gar nicht um das Klima, sondern um die Zahlungsfähigkeit der USA: »This agreement is less about the climate and more about other countries gaining a financial advantage over the United States.« Es zu kündigen, sei »in America’s economic interest and won’t matter much to the climate« (Trump 2017b). Er wechselt also einfach das Thema: nicht mehr der Klimawandel, sondern der angestrebte ›Amerikawandel‹ wird wissenschaftlich beobachtet und in Da-
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ten aufgelöst. Die Daten stehen in Beziehung zu diesem Wandel, nicht mehr in Beziehung zur Erderwärmung. Diese ist aus seiner Sicht schlicht nicht anschlussfähig. Kurzum, Trump lässt nicht zu, dass das Klima ihm bei der Umsetzung seiner Doktrin in die Quere kommt. Zahlungsfähigkeit ist wichtiger als Umweltschutz, der nur als Kostenfaktor in Erscheinung tritt.234 Die von Trump so erfolgreich eingesetzte Angstrhetorik (mit Kudlow: »scare tactic«), die sich gleichermaßen gegen innere (Demokraten, Massenmedien, deep state) wie äußere Feinde (Muslime, Deutschland) wandte, ändert im Fall des Pariser Abkommens die Bezugsrichtung. Auch im Fall der Klimapolitik stimuliert die Angst vor einer Katastrophe die Planungen, nur dass Trumps Kostenrechnung sich nicht auf Umweltschäden, sondern auf wirtschaftliche Schäden, auf ›Amerikaschäden‹ bezieht. Was 2012 noch eine Option war – China für die Erderwärmung verantwortlich zu machen235 –, ist für den heutigen Präsidenten aber offenbar keine mehr. Stattdessen prangert er nun Chinas rücksichtsloses Umweltverhalten an, das jede amerikanische Anstrengung obsolet mache: »In fact, 14 days of carbon emissions from China alone would wipe out the gains from America – and this is an incredible statistic – would totally wipe out the gains from America’s expected reductions in the year 2030, after we have had to spend billions and billions of dollars, lost jobs, closed factories, and suffered much higher energy costs for our businesses and for our homes.« (Trump 2017b) Die Aufgabe, Amerikas Feinde und Umweltverschmutzung zusammenzubringen, überlässt er anderen – etwa Fox-Moderator Tucker Carlson, der den illegalen Einwanderern die Schuld an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zuweist.236 Wie in der einstigen UdSSR der ›Kontakt mit den werktätigen Massen‹ verwendet wurde, so verwendet ihn auch Trump im Falle der Umwelt: als Hebel. Das Abkommen sei unfair »to the United States, its businesses, its workers, its people, its taxpayers […]. [L]eaving American workers – who I love – and taxpayers to absorb the cost in terms of lost jobs, lower wages, shuttered factories, and vastly diminished economic production […]. No responsible leader can put the workers – and the people – of their country at this debilitating and tremendous disadvantage.« (Trump 2017b) Mit diesen Versuchen, Wissenschaft politisch zu kontrollieren, riskiert die Trump-Administration den nächsten Systemkonflikt. Dann geht es nicht mehr nur um die Richtigkeit einer Aussage. Sondern immer auch darum, ob der Aussagende ein ›falsches Bewusstsein‹ hat, also womöglich Amerika schaden möchte. Die Gegner der Gesundheitsreform? Gegner des amerikanischen Volkes. Die Gegner der Mauer? Befürworter der Destabilisierung Amerikas. Auch die Befürworter des Pariser Abkommens
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erscheinen aus dieser Sicht als Feinde der USA: »The rest of the world applauded when we signed the Paris Agreement – they went wild; they were so happy – for the simple reason that it put our country, the United States of America, which we all love, at a very, very big economic disadvantage.« (Trump 2017b) Doch während in Russland oder anderen totalitären Staaten alle Probleme erst den Ideologietest überstehen müssen, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, steht Trump diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Er kann deshalb immer nur im Nachhinein reagieren – und bekommt es dann mit den ›antiamerikanischen‹ Massenmedien zu tun, die aus dieser Perspektive tatsächlich als Feinde des Volkes erscheinen: »putting the people of their country at this debilitating and tremendous disadvantage« (Trump 2017b). Die Kritiker seiner Politik sind der Ansicht, dass Trumps Versuch, Amerika durch die Kündigung des Abkommens wieder groß zu machen, es weiter verkleinert – schlecht für den Planeten, schlecht für die Staatengemeinschaft, aber auch schlecht für die USA. Seine Wähler dagegen sind ihm dankbar.237
Risiken und Gefahren Dem Duo Merkel und Macron gelang es gut, die hohe Verantwortung der Politik gegenüber der Umwelt herauszustellen – eine Verantwortung, die der ›freie Forscher‹ nicht kennt. Sie waren aber vor allem äußerst geschickt darin, sich das Abkommen selbst als ein Symbol zunutze zu machen, das Gefühle engagieren und binden kann. Am deutlichsten ließ sich diese Nähe zur Politik Trumps noch in der Rede Macrons aufspüren, der zwar nicht von der Erstheit des Planeten sprach, was ja die Zweitheit Amerikas und somit eine mögliche Provokation bedeutet hätte, aber sich mit dem Hinweis auf die Wiederherstellung der verloren gegangenen planetarischen ›Greatness‹ bei der Rhetorik Trumps bediente. Auch die für ihre Nüchternheit bekannte Angela Merkel machte sich diese Funktion des Abkommens zunutze und konnte, indem sie – die eine Weile als ›Mutter der Deutschen‹ galt – die Wendung »Mutter Erde« benutzte, moralische Achtungserfolge erzielen: »To everyone for whom the future of our planet is important, I say let’s continue going down this path so we’re successful for our Mother Earth.« (Zitiert nach Bagchi 2017) Ein Symbol wie das Pariser Abkommen steht immer auch für etwas Unsichtbares, das nicht sichtbar werden kann, hier: die durch Umweltverschmutzung gefährdete Zukunft ›unserer‹ Erde. Sie verliert durch das Ab-
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kommen ein Stück weit ihren Schrecken. Wie wir gesehen haben, ist es der Zukunftsbezug der Normfunktion, der es ermöglicht, sich auf künftige Gegenwarten einzustellen. Für die Regierungen Europas ist es die Umweltschutznorm, die die unbekannte, durchaus bedrohliche Zukunft etwas weniger bedrohlich erscheinen lässt. Für die gegenwärtige amerikanische Regierung ist es die USA-Norm, die Zukunft bindet. Opfert Trump also die Interessen des Planeten denen der USA (die sich offenbar auf einem anderen befinden)? Ob der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen tatsächlich eine zusätzliche Erwärmung der Erde um 0,3 Grad zum Ende des Jahrhunderts bedeutet oder nicht, hängt davon ab, ob die Emissionen der USA in die Höhe gehen oder weiter sinken – und darüber kann niemand Auskunft geben. Ob eine Begrenzung auf 1,5 – 2 Grad ausreicht, um die globale Erwärmung zu stoppen, ist ebenfalls strittig, wie ich gezeigt habe. Dass diese Marke als idealer »Brennpunkt in einem Koordinationsspiel« (Jaeger and Jaeger 2018) Dutzenden von internationalen Akteuren ermöglicht, einen gemeinsamen politischen Nenner zu finden, wird damit nicht bestritten, hat aber mit ihrer Wahrheit nichts zu tun. Sie ist, genau wie das Abkommen selbst, vor allem ein Symbol – ein moralisches Symbol dafür, dass die Weltgemeinschaft die Verantwortung wahrnimmt, zukünftige Lebensbedingungen auf diesem Planeten durch bestimmte Entscheidungen zu verbessern und gravierende Schäden abzuwenden. Die im Abkommen beschlossenen Maßnahmen zu unterlassen, so die Position Europas, sei riskant. Sie könnten ja helfen. Sollte man nicht zumindest das Mögliche versuchen? Selbst dann, wenn die Binnenstrukturen der etwa 200 nationalstaatlichen politischen Systeme ein derart komplexes und heterarches Geflecht darstellen – inklusive der betroffenen Publikumsgruppen, der Wähler und der Lobbyisten –, dass sachangemessene und wirkungsvolle Entscheidungen eigentlich unmöglich sind? Selbst dann, wenn die nationalen wie die internationalen Rechtssysteme die auf der Ebene der Politik getroffenen Entscheidungen ja erst noch erfolgreich implementieren müssen, was keineswegs garantiert ist, wobei es gerade im Bereich des Rechts von Nation zu Nation allergrößte Unterschiede gibt? Selbst dann, wenn auch die Wissenschaft sich keineswegs über die richtige Klimastrategie im Klaren ist, von der Kontaminierung der Debatte durch den Fokus auf den Kohlendioxidausstoß ganz zu schweigen? (Vgl. Luhmann 2011: 165) Das Schema, das hier zum Einsatz kommt, ist das Schema von Risiko/ Gefahr, wobei das Risiko auf der Seite der Entscheider liegt – in diesem Fall der Politiker – und die Gefahr auf der Seite derer, die von diesen kollektiv bindenden Entscheidungen betroffen sind: der Bürger, mit Trump:
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der ›Kunden‹. Diese können ja nicht mitentscheiden, auch wenn die Politik sie das glauben machen möchte, etwa indem sie den Einzelnen zum umweltfreundlichen Handeln auffordert. Diese Vorstellung, Änderungen mithilfe individueller Motivation durchsetzen zu können, erhält in fragwürdigen wissenschaftlichen Theorien wie etwa dem sogenannten ›Informationsdefizit‹ zusätzlichen Auftrieb. Das Problem ist, dass diese Appelle, sich an eine Moral des Verhaltens zu binden, möglicherweise das Gewissen des Einzelnen beruhigen, aber kaum die Steigerungsdynamik der industriell verfertigten Industriedynamik stoppen können. Auch hier geht China mit gutem Beispiel voran, weil es über genau jene Hierarchien und Kontrollmöglichkeiten verfügt, die dem individualistisch und liberalistisch strukturierten Westen fehlen, um zu verbieten, was verboten werden muss. Es muss nicht erst mühsam die erforderliche Zustimmung für die nötigen Einschänkungen des Verhaltens organisieren. Die chinesische Weltherrschaft wäre in der Lage, die zersplitterte Gesellschaft in ein Kollektivorgan zu verwandeln, das dann mittels einer CEA – central environment agency – alles Erforderliche unternehmen könnte, um sie in Richtung Umweltfreundlichkeit nachzujustieren, also Einschränkungen des Verhaltens auf einer gesamtgesellschgaftlichen Ebene sowohl zu legitimieren wie auch durchzusetzen (vgl. Baecker 2008: 520). Risiken gehen wir alle mitunter ein, manche von uns sogar solche, die das eigene Leben bzw. die eigene Unversehrtheit betreffen. Wenn es darum geht, sich von Gefahren betreffen zu lassen, die durch die riskanten Entscheidungen anderer entstehen, sind wir nicht so enthusiastisch. Wir können uns das anhand unseres Fahrverhaltens deutlich machen: Wir sind sehr empfindlich, was das riskante Fahrverhalten anderer angeht, während wir die von uns eingegangenen Risiken beim Autofahren gern ignorieren. An der Kündigung des Pariser Abkommens wird die Wirksamkeit des Schemas deutlich, das den Entscheider Trump und das von ihm induzierte, in Kauf genommene Risiko der Umweltverschmutzung auf die eine Seite setzt, während der Rest der Welt, der davon betroffen ist, dieses Risiko als Gefahr erlebt. Nur: Wer soll denn sonst entscheiden, wenn nicht die Politik? Die Wissenschaft eher nicht, denn sie kann keine sicheren Lösungen anbieten. Trump scheut bekanntlich keine Risiken; er setzt die Notwendigkeit des machtgedeckten Entscheidens bedenkenlos für die Zwecke der Primärisierung Amerikas ein. Die Frage, ob es sich im Falle des Klima-Abkommens um eine angemessene Problembearbeitung der Umweltfrage handelt, stellt sich ihm gar nicht, da sich die Angemessenheit allein auf das Einlösen seiner Wahlversprechen bzw. die Erwirtschaftung von Gewinnen bezieht.
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Als Feind der Umwelt dazustehen, ist ein Risiko, das er in Kauf nehmen muss – genau wie seine Verharmlosung der Nazi-Gewalt –, da es ihm die Zustimmung seiner Anhänger sichert. Doch er ist schlau genug, seiner Kündigung das Gewicht einer Letztentscheidung zu nehmen: »Even if the Paris Agreement were implemented in full, with total compliance from all nations, it is estimated it would only produce a two-tenths of one degree – think of that; this much – Celsius reduction in global temperature by the year 2100. Tiny, tiny amount.« (Trump 2017b) Dass er damit implizit das Abkommen als unzureichend kritisiert, ist eine schöne Pointe. Außerdem würden die durch die Kündigung gewonnenen Gelder ja wiederum in den Umweltschutz gesteckt, wenn auch nur in den der US-amerikanischen – eine Strategie, die die Möglichkeit eines Umweltschutzprotektionismus behauptet, also Trumps Handelsideologie kurzerhand auf ökologische Fragen umlegt. Auch die Lockerung der Sicherheitsauflagen für Bohrfirmen stellt für Trump lediglich ein Risiko dar – die Gefahr befindet sich auf Seiten der Umwelt bzw. auf jener der Arbeiter. Eine mögliche Umweltverschmutzung wird auch hier riskiert, um die heimische Öl- und Gasindustrie zu stärken, wobei die Regierung betont, dass die Revision des Regelwerks zur Produktionssicherheit dem Ziel der Regierung diene, die Marktstellung auszubauen, und nicht etwa dem, die Sicherheit zu opfern. Das ließe sich kommunikativ auch kaum vermitteln: ›Wir nehmen den Tod von Menschenleben und Seevögeln zugunsten größerer Profite in Kauf.‹ Doch da die Revision unter anderem vorsieht, Bestimmungen zu lockern, die eine sofortige Datenübermittlung von Ölplattformen an Festlandsanlagen vorsehen, wo sie dann von den Aufsehern geprüft werden könnten, ist diese Behauptung wenig überzeugend. Der Präferenzwert ist auch hier nicht der Umweltschutz, sondern der ›Schutz‹ der amerikanischen Industrie: »Nach BSEE-Berechnungen bringen die geplanten Lockerungen der Industrie Einsparungen in Höhe von mindestens 228 Millionen Dollar [190 Millionen Euro] in den kommenden zehn Jahren.« (ntv 2017) Trump riskiert eine erneute Ölkatastrophe, riskiert die Verschmutzung des Meeres und der eigenen Küste, riskiert den Tod Hunderttausender Seevögel – und all das, weil er selbst kein Seevogel ist. Doch ob die Lockerung der Bestimmungen letztlich zu einer Katastrophe führen wird, ist völlig offen. Ob strengere Sicherheitsvorkehrungen sie verhindern könnten, ebenfalls. Das Gleiche gilt in Bezug auf die von Trump geförderte Fördertechnik Fracking, die vielen Counties in Südtexas (Life Oak, McMullen etc.) zu bemerkenswertem Reichtum verholfen hat, weshalb sich unter den dortigen Einwohnern eine ungewöhnliche hohe Anzahl von Trump-Anhängern
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findet. Auch hier gilt, dass die Entscheidung, zu ›fracken‹, die Möglichkeit nachteiliger Folgen in Form von Umweltschäden in Kauf nimmt, weil diese Folgen nur möglich sind. Sollte sich herausstellen, dass Fracking der Umwelt irreparable Schäden zufügt, werden Trump und die Konzerne sich verantworten müssen. Dann war seine Entscheidung eventuell der Auslöser für den Tod Tausender Kleinstlebewesen, vieler seltener Pflanzen usw. Die Kosten sind für Trump allerdings geringer, als für die Umwelt, er wird vor allem Reue zeigen müssen.238 Und auch in diesem Fall würde sie nicht ihn betreffen, der sie riskiert hat, denn: He won’t be there (vgl. Suebsaeng und Markay 2018). Aus eben diesem Grund ist sie ihm vermutlich leichtgefallen. Zwar ist der Entscheider Trump beim Klima in die Folgen seiner Entscheidung als Betroffener eingebunden, aber das scheint ihn nicht zu beunruhigen, da es in Klimafragen um lange Zeiträume geht. Im Gegensatz zur Politik, die in den USA in Vierjahresrhythmen operiert. Wir haben es mit zwei Moralen zu tun, die sich nicht zur Deckung bringen lassen, einer National-Moral und einer Umweltmoral, wobei die Umweltmoral sozial und moralisch begünstigt wird – sie trifft auf die besten Bedingungen dafür, sich zu Wort zu melden, was an Macrons und Merkels Statements deutlich wurde. Längst ist der Umweltschutz zu einem Wert aufgestiegen, finden sich reine Luft, reines Wasser, Bäume und Tiere auf einer Stufe mit »Freiheit, Gleichheit und Frauen« (Luhmann 2008a: 140). Umwelt verpflichtet, und zwar dazu, ›etwas zu tun‹, und sei es, ein Abkommen zu unterzeichnen. Dass auch die Entscheidung für das Pariser Abkommen riskant sein könnte, darf nicht in den Blick kommen – zumindest nicht für den, der an der Umweltbetroffenheit parasitieren will. Doch die gemeinsame Empörung der Trump-Gegner täuscht darüber hinweg, dass das Abkommen sehr viel ›weiche Sprache‹ enthält und sehr wenig harte Regeln darüber, wie gemessen, berichtet und überprüft wird, wie viel Kohlendioxid die Staaten ausstoßen. Nicht nur »Mr. Trump doesn’t get close enough to the dossiers« (Juncker, zitiert nach Rettman 2017, siehe auch NBC 2017). Die Massenmedien tun es genauso wenig. Der amerikanische Präsident hat mit der Kündigung des Pariser Abkommens einen weiteren Normbruch begangen, weil er sich damit gegen die Selbstverständlichkeit (den Wert) des Umweltschutzes aussprach; tatsächlich hat er nicht so sehr einem Abkommen, sondern vor allem einem weiteren Symbol der ›transatlantischen Wertegemeinschaft‹ seine Zustimmung verweigert. Und auch seine Kündigung war zunächst nicht mehr als ein Symbol. Juncker hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Abkommen gar nicht ohne Weiteres verlassen werden kann: »It would take three to four years
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after the agreement came into force in November 2016 to leave the agreement […]. So this notion, ›I am Trump, I am American, America First and I’m going to get out of it‹ – that won’t happen.« (Zitiert nach Sheth 2017) Er zitiert Daenerys Targaryen bzw. George R. R. Martin: »The law is the law and it must be obeyed.« (Zitiert nach Snopes 2017) Die Empörung in den Massenmedien hat Trump geholfen, von diesem Umstand abzulenken. Seine Kündigung erscheint als direct action: er hat gehandelt, was in den Augen der Wähler die Phantasmatik eines Subjekts, einer verantwortlichen Einheit, überhöht und sein Heldendasein bestätigt, als das Gegenteil eines ›all-talk-no-action-politicians‹. Auf der Seite seiner Gegner hat es eine moralische Qualifizierung des Ereignisses ›Kündigung des Abkommens‹ möglich gemacht. Doch wollte Trump diese Kündigung tatsächlich? Oder sollten wir von Handeln auf Erleben umstellen? Dann könnten wir formulieren, dass nicht Trump der Auslöser seines eigenen Verhaltens ist, sondern dass wir die Ursachen dieses Verhaltens woanders suchen müssen – in seiner Umwelt. Wenn wir auf die Bedingtheit der gesellschaftlichen Handlungsspielräume achten, die Trump zur Verfügung stehen, verbleicht das Bild des Alleinherrschers schnell. Dann erscheint auch sein eigenes Handeln als bedingt – und in diesem Sinne als Schicksal (vgl. Luhmann 2011: 7). Allerdings ist die Unterschätzung der Situation zugunsten des Handelnden nach wie vor die Regel, vor allem in den Massenmedien. Ein Verfahren, dass die Blickrichtung umkehrt, würde ihre Problembearbeitungskapazitäten erheblich übersteigen. Zudem macht es die für sie so wichtigen moralischen Verurteilungen unmöglich – und auch Trump selbst verlangt ja die Zurechnung auf ihn.239 Luhmann erklärt das hartnäckige Festhalten an der Fantasiewelt einer von eigenverantwortlich Handelnden bevölkerten Welt mit einem Bedarf für Komplexitätsreduktion (vgl. Luhmann 1984: 229; 1995a: 166). Es ist nicht zuletzt dieser Bedarf, der für den Erfolg Trumps verantwortlich zeichnet. Auch das, was wir Subjekt nennen, überführt unbestimmte in bestimmbare Kontingenz (vgl. Fuchs 2010). »I did it my way« ist eine solche liedgewordene Kontingenzreduktion: ›My way‹ lässt sich zwar negieren – ›Warum hast du denn nicht hier und dort einen anderen als deinen Weg gewählt, zum Beispiel unseren oder meinen?‹ –, aber in bestimmter Hinsicht eben nicht, weil dieses Festhalten an ›mein, mir, mich, ich‹ Kontingenz blockiert und das Selbstverhalten als Identifizierendes wiederum mit positiven Eigenschaften ausstattet (Treue, Loyalität zu sich selbst, Durchhaltevermögen etc.). Es ist kaum ein Zufall, dass Trump für den ersten Tanz in der Rolle des Präsidenten beim Inauguration Ball Sinatras bzw. Paul
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Ankas Song wählte, das er dann für alle Anwesenden hörbar mitsang: Seht her, ich bin der, der das geschafft hat – und nicht die Umstände! (Vgl. Giaritelli 2017. Dass er sich für diesen Titel entschied, lässt sich allerdings noch in ganz anderer Weise deuten. Glaubt man Paul Anka, war sein Text eine Reaktion auf Sinatras Absichten, sich aufgrund der Mafia-Vorwürfe aus dem Musikbuiness zurückzuziehen: »I’m quitting the business. I’m sick of it, I’m getting the hell out.« Ankas Reaktion: »I was floored by this – no more Frank, no more parties.« (Zitiert nach McCormick 2007) Sein in Songform gebrachter Rückblick auf Sinatras erfülltes Leben (»If Frank were writing this, what would he say?«) lässt dessen Verbindungen zum organisierten Verbrechen als Tugend erscheinen: als Treue zu sich selbst. Eine bessere Antwort als diese Überführung eines ›cosa nostra‹ in ein ›mia cosa‹ lässt sich auf die Vorwürfe kaum formulieren. Das Recht auf den eigenen, unbeugsamen Charakter erhält in My Way einen Rang, mit dem die Petitessen möglicher Rechtsverstöße nicht mithalten können. »Everyone thinks it’s their song«, fragt Anka, »but how many people really do it their own way?« Trumps Anhänger sind davon überzeugt, dass das auf ihren Präsidenten zutrifft. Er mag ein Gauner sein, aber er geht unbeirrbar, unbeeindruckt ›seinen‹ Weg. Dass die Umstände günstig für ihn waren, dass er sich eigentlich bei Hillary Clinton bedanken müsste, genauso wie bei Ted Cruz, Marco Rubio, Jeb Bush, vielleicht sogar bei Cambridge Analytica, Facebook, Wikileaks, Russland etc., all das darf bei einem naiven Blick auf das eigene authentische Selbst nicht in Blickweite kommen. Es ist diese immer noch ungemein populäre Idee eines aktiven Agenten, die sich Trump zunutze machen konnte – im Gegensatz zu dem als ›Spielball‹ verhöhnten Obama, der sich von den anderen Akteuren, so Trumps Karikatur, gängeln, an der Nase herumführen, ja lächerlich machen ließ. Diese Idee macht zuletzt sogar den merkwürdigen Gedanken plausibel, dass sich die Volkswirtschaft der USA steuern lässt, ja dass die Globalisierung von einem einzelnen Nationalstaat gehandhabt werden kann. Folgt man Slavoj Žižek, ist es genau diese von den USA hochgehaltene Idee der Individualität, die Cambridge Analytica zu einem derart wichtigen Mitspieler gemacht hat. Deren kaltherzige Ausnutzung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse, so Žižek, gelang gerade dadurch, dass man die Manipulierten in der irrationalen Annahme bestätigte, dass sie Subjekte sind – Gestalter ihres Lebens. »Individuen«, formuliert Žižek, »lassen sich viel besser steuern, wenn sie sich auch weiterhin als freie und autonome Gestalter ihres eigenen Lebens verstehen.« (2018) Was wiederum bedeuten würde, dass die Steuerung in totalitären Staaten – die wahrgenommene Steuerung mithin – viel mehr Freiraum lässt
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als in der Fiktion eines ›Westens‹, in dem die Illusion des Individuums das Denken vernebelt. Möglicherweise grassieren Verschwörungstheorien deshalb vor allem hier, weil man annimmt, nicht gesteuert bzw. reguliert zu werden; wann immer eine Ahnung davon aufblitzt, dass dem nicht so ist, macht man sich auf die Suche nach Verschwörungen, nach ›geheimen Drahtziehern‹. Aus der Sicht Žižeks stellt die Idee des freien, selbstbestimmten Individuums die Verschwörung dar, die aufgedeckt werden müsste. An dieser Stelle könnte man Trumps Vorwurf einer medialen Hexenjagd noch einmal aufgreifen. Als vom Teufel Besessener wäre er – ähnlich wie der Geisteskranke – für seine Handlungen nicht verantwortlich. Aus dieser Sicht handelt er nicht, sondern ›würde gehandelt‹ – weshalb man ihn befreien müsste, notfalls gegen seinen Willen. Wer hat ihn verhext? Sein Vater, die amerikanische Kultur, die Wähler, sein Narzissmus – viele Faktoren kommen infrage. Trump selbst hatte Folter als wirksames Mittel bezeichnet, das nun gegen ihn zum Einsatz kommen könnte. Wir könnten auch die Psychoanalyse bemühen, um auf eine unbeeinflussbare Inneninstanz Trumps hinzuweisen, der er gleichsam ›hörig‹ ist – sein Unbewusstes. Viel Spielraum hatte Trump im Hinblick auf seinen mit den Wählern geschlossenen Vertrag – den Pakt mit dem Teufel, wenn man so will – jedenfalls nicht. Der Leiter der amerikanischen Umweltschutzbehörde hat das im Anschluss an Trumps Rede deutlich gemacht: »Thank you, Mr. President. Your decision today to exit the Paris Accord reflects your unflinching commitment to put America first. And by exiting, you’re fulfilling yet one more campaign promise to the American people.« (Pruitt 2017) Was immer Trump dazu bewogen haben mag, das Abkommen zu kündigen – vielleicht ging es ihm nur darum, eine weitere Norm zu brechen? –, der Gerechtigkeit halber sei festgehalten, dass der Versuch des Abkommens, das Problem des Klimawandels mittels bestimmter Entscheidungen zu lösen, als unangemessen beobachtet werden kann. Über die Zukunft entscheiden nicht wir, so sehr die Wähler Trumps wie auch die Befürworter des Pariser Abkommens es sich wünschen mögen. Einzelentscheidungen können aufgrund der hochkomplexen Kausalverkettungen zahlreicher Faktoren und der Langfristigkeit der Trends die Wahrscheinlichkeiten nur anders verteilen. Das Pariser Abkommen kann genauso unwillkommene Folgen auslösen wie die Politik Trumps, die die USA womöglich eher kleiner als größer macht. So zumindest beurteilt es die Instanz, die als Streit über Wahrheit die Wahrheit vertritt. Wissenschaftliche Beobachter vermuten, dass der Wahlsieg Trumps den wirtschaftlichen Niedergang nicht
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etwa aufgehalten oder verlangsamt, sondern eher beschleunigt hat: »It is much more plausible that America will continue its relative decline, and will thus be obliged to surrender some of its global commitments and interests, creating imbalances in different places.« (Graziano 2018) Das letzte Wort hat in all diesen Fragen die gesellschaftliche Evolution, und die lässt sich nun einmal nicht steuern. Sie verwendet die Interventionen Trumps oder Merkels oder Macrons höchstens als Material, aber ohne selbst etwas Bestimmtes damit vorzuhaben (vgl. Luhmann 2008d: 64). Der Vorteil einer rationalen Risikoabwägung im Gegensatz zu einer intuitiven besteht vor allem darin, sich beim Eintreten des Unwillkommenen besser gegen Vorwürfe schützen zu können (vgl. Luhmann 1992b: 144). Eine intuitive Entscheidung ist nur dann eine gute, wenn man damit richtiglag; eine rationale Entscheidung ist es auch dann, wenn man ›falsch‹ entschieden hat – und sich die Maßnahmen zum Schutz des Klimas oder der Zustimmungswerte bestimmter Wählergruppen zuletzt als nicht ausreichend erweisen sollten.
Alternative Fakten Ich habe das Leitdual bzw- den Code der Wissenschaft bereits genannt: der Präferenzwert ist Wahrheit, Unwahrheit findet sich auf der Außenseite. Dass Wahrheit eine Konstruktion ist, diese Erkenntnis hat längst auch die Massenmedien erreicht, die den Konstruktivisten den Vorwurf machen, für das Phänomen der fake news verantwortlich zu sein: »By undermining science’s claim of objectivity,« so der Scientific American, »these postmodernists have unwittingly laid the philosophical foundation for the new rise of authoritarianism.« (Otto 2016) Der Washington Post gilt Trump als »the ironic, self-referential embodiment of the newer postmodern conception of truth« (Swaim 2016). Die New York Times halluziniert gar eine Art akademischer Streitmacht, einen Truppenkörper unter konstruktivistischem Oberkommando: »Armies of postmodern academics had prepared the way for Trump by arguing that truth is a construct of the power elite.« (Wooldridge 2018) Konstruktivismus als Büchse der Pandora, aus der fake news, alternative facts und Trumps Präsidentschaft in die Welt entwichen – all die Übel, von denen die Menschheit bis dato verschont geblieben war. Weshalb Barack Obama in seiner Funktion als Wahlkampfhelfer an das längst verabschiedete Ideal der ›objektiven Wahrheit‹ erinnert – und aus dem Glauben an Fakten erneut eine Norm macht: »You have to believe in
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facts. Without facts, there is no basis for cooperation. Unfortunately, too much of politics today seems to reject the very concept of objective truth. People just make stuff up.« (Obama 2018) Doch so bedauerlich es für die Gegner Donald Trumps auch sein mag: der Geist der Objektivität kann sie bei ihrem Kampf nicht unterstützen. Aus dem einfachen Grund, weil wir es immer mit Konstruktionen zu tun haben. Auch die Behauptung der Massenmedien, dass es sich nicht so verhält, ist ja eine Konstruktion. Gerade jene Versuche der Medien, ihren Berichten den Anschein »eines nicht mehr auflösbaren Faktenbezugs« (Luhmann 1996a: 140) zu geben, lassen ihre Konstruiertheit um so deutlicher hervortreten. Gewiss, man bemüht sich um Neutralität, doch faktische Neutralität würde jeden Bericht neutralisieren, nämlich aufheben: es gäbe ihn gar nicht. Die Übereinstimmung von Beobachtungen erlaubt keinen Rückschluß auf eine ›objektive Wahrheit‹, also die Realität von etwas – nur auf die Realität des Beobachtens bzw. Konstruierens von etwas als objektiv wahr oder real oder fake (vgl. Luhmann 1992b: 78). Dass bestimmte altbewährte Konstruktionen weniger konstruiert wirken als andere und deshalb eine Art Realitätsbonus genießen, ist dabei nachvollziehbar. (»Very solid and established constructs appear unconstructed altogether; they are mapped onto reality itself.« S. Fuchs 2004: 68 Sehr aufschlussreich in diesem Zusammenhang James Woods Gedanken zum Realismus, einem literarischen Stil, »dessen Künstlichkeiten wir nicht mehr wahrnehmen«. Wood: 191 ff.) Kausalattributionen – Konstruktivismus als Ursache der Wirkung fake news bzw. Trump – gehören dazu. Gerade Massenmedien können bei ihrer Realitätskonstruktion kaum auf sie und die damit einhergehenden Wertungen, Appelle und Proteste verzichten (vgl. Luhmann 1996a: 140). Wie aber verhält es sich mit der Konstruktion, dass sich der Grund für Trumps Erfolg auf den Einfluss einer wissenschaftlichen Schule zurückführen lässt, die das Misstrauen gegenüber Seinsbehauptungen kultiviert? Sie ist schon deshalb nicht besonders plausibel, weil Trump von einem privilegierten Zugang zur Welt ausgeht und eine richtige Weltwahrnehmung behauptet. Aber dass sich rechte Politik beim Konstruktivismus bedient, um die Öffentlichkeit zum Narren zu halten und ihn für ihre Zwecke eines »brownlash« einzusetzen, lässt sich kaum bestreiten (vgl. Latour 2004: 226, der sich hier auf eine Bezeichnung von Paul und Anne Ehrlich bezieht). Bruno Latour hat lange vor Trumps Präsidentschaft eine Teilschuld an den Vorkommnissen eingeräumt, und es mag durchaus sein, dass die Massenmedien an genau dieses Schuldeingeständnis anschließen: »I myself have spent some time in the past trying to show ›the lack of scientific
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certainty‹ inherent in the construction of facts. Was I wrong to participate in the invention of this field known as science studies?« (Latour 2004: 227) Auch Michiko Kakutani spürt die »roots of falsehood in the Trump era« im Dekontruktivismus Derridas auf – mit Latour: despite of all the deforma tions (vgl. Kakutani 2018). Latour hat sich mit dem Hinweis auf seine Motive verteidigt, und die können sich – wie es sich für Motive gehört – sehen lassen: »I intended to emancipate the public from prematurely naturalized objectified facts.« (2018: 227) Mit anderen Worten, es geht darum, auf eine Faktenkonzeption zu verzichten, die eine soziale Autorität des Wissens reklamiert – und nicht darum, auf Fakten zu verzichten: »The question was never to get away from facts but closer to them, not fighting empiricism but, on the contrary, renewing empiricsm.« (Latour 2004: 231) Fact kommt vom Lateinischen facere (machen, handeln) und insofern ist jedes Faktum buchstäblich eine Konstruktion – aber nicht notwendigerweise eine freischwebende, die Realität leugnende.240 Wer auf die Konstruiertheit von Fakten aufmerksam macht, weist nur darauf hin, dass sie nicht in der Welt herumliegen, sondern hergestellt werden. Eine unabhängig vom Beobachter gegebene ›objektive‹ Außenwelt macht nur Sinn für Beobachter, die sich selbst bestreiten möchten.241 Der Konstruktivismus zielt auf diese De-Ontologisierung der Realität, nicht darauf, sie zu bestreiten. Konstruktionen sind ja selbst real. Möglich wiederum ist das, was zu seiner Realisierung noch einer Selektion bedarf. Nur die Realität erlaubt uns, das Mögliche – Realisierbare – zu denken. Umgekehrt wird Realität erst zu dem, was sie ist, durch die Differenz zu fake news, also dem, was nicht real ist, sondern möglich: Pizzagate.242 Wer anerkennt, dass wir es nur mit Konstruktionen zu tun haben, der muss die Folgekosten auf sich nehmen – und die sind hoch. Anders als die Massenmedien annehmen, führt diese Überlegung aber nicht zu einer postfaktischen Gleichgültigkeit. Wir werden vielmehr in die Verantwortung genommen – auch bezüglich der Frage, welche News fake sind und welche nicht, und wie sich dies möglicherweise feststellen lässt.243 Wir sind mit einem Mal offiziell mitverantwortlich für diese Welt, diese Gesellschaft – sie wird, in den Worten Dirk Baeckers, »mehr die unsere, als uns lieb sein kann« (2008: 114). Wissenschaft und Forschung mögen frei bzw. nur sich selbst gegenüber verantwortlich sein. Aber diese Freiheit verpflichtet. Auch dazu, diese Verpflichtung nicht als moralische misszuverstehen. Stattdessen gilt es, die Konstruktion der Moral selbst genauer in den Blick zu nehmen, genauso wie die Stilisierung der eigenen Motive (hier: pflichtgemäßes Handeln). Der von Kelly-Ann Conway in die Debatte eingeführte Begriff der alter-
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native facts weist zunächst nur darauf hin, dass ein Beobachter die Faktizität eines als Faktum beobachteten Phänomens – etwa: eine kleine Menschenmenge bei Donald Trumps Amtseinsetzung – bestreiten kann, um stattdessen eine alternative Lesart (»another truth«, mit den Drehbuchautoren der dritten Fargo-Staffel zu sprechen) anzubieten. So weit, so gut. Nur ist Conway keine Wissenschaftlerin, genauso wenig wie Frank Luntz, dem sich diese Inbesitznahme der wissenschaftlichen Bereitschaft zur Erläuterung, zur Verteidigung, zum Streit, mit anderen Worten: zu einer ›erhöhten Konfliktbereitschaft‹ (vgl. Luhmann 1992b: 242) offenbar verdankt. Der republikanische Strategiker hatte seinen Parteikollegen bereits vor knapp zwei Jahrzehnten vorgeschlagen, die wissenschaftliche Kontroverse für die Politik nutzbar zu machen, damals noch für die von George W. Bush: »Should the public come to believe that the scientific issues are settled [und genau so verhält es sich etwa im Falle des Klimawandels, die Wissenschaftler sind sich einig, dass er stattfindet, M. H.], their views about global warming will change accordingly. Therefore, you need to continue to make the lack of scientific certainty a primary issue.« (Zitiert nach Burkeman 2003) Ein äußerst cleverer Vorschlag, weil diese »artificially maintained scientific controversy« die Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Anstatt die Fakten einfach zu bestreiten, wird auf das Problem bei ihrer Erhebung hingewiesen. Nicht zufällig hatte KellyAnn Conway im Hinblick auf die Größe der Menschenmenge bei der Amtseinführung von ›Quantifizierungsproblemen‹ gesprochen, also auf die mit jedem Messprozess verbundenen Unwägbarkeiten hingewiesen. Man ist versucht, Latour zuzustimmen: Bad guys can use any weapon at hand (vgl. Latour 2004: 227), auch die von guten Wissenschaftlern für ganz andere Zwecke gefertigten – würde der Konstruktivismus nicht wiederum die Dekonstruktion eines solchen Statements vorsehen bzw. die eigene Theorie auf sich selbst anzuwenden, mit Luhmann: sie zu partikularisieren. Das kann aber natürlich nicht heißen, nun auf die Bestimmung einer Meldung als wahr oder fake, also auf den Realitätsbezug zu verzichten. Welche Möglichkeiten stehen uns hier zur Verfügung? Das einzige objektive Kriterium, auf das wir bei der Beurteilung von Faktizität zurückgreifen können, ist Plausibilität. Man kann auch von ›Stimmigkeit‹ sprechen, also eine ästhetische Perspektive wählen: Es muss alles zueinander passen. Wem es gelingt, trotz großer Heterogenität und Verschiedenartigkeit der Phänomene Zusammenhänge aufzuzeigen – das, was ich mit der These der Interessen- bzw. Systemkonflikte in diesem Buch versuche –, der kann dies als Indikator für Wahrheit nehmen. (vgl. Luh-
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mann 1984: 90). Ein Einwand könnte lauten: Diese Zusammenhänge sind nur mir einsichtig, der ich sie beobachte (vgl. Luhmann 1984: 91). Aber der Umstand, dass ich sie aufzeigen konnte, ist zumindest ein Hinweis darauf, dass ich mir die These der Systemkonflikte nicht einfach ausgedacht habe, vielleicht sogar darauf: dass ich richtig liege. Nicht in dem Sinne, dass sie der Realität der Trump’schen Präsidentschaft entspricht, macht Luhmann den Unterschied klar: aber doch in der Hinsicht, dass sie wesentliche Aspekte dieser Realität zu fassen bekam (vgl. 1984: 91; Luhmanns Formulierung lautet, dass sich die Darstellung »als Ordnungsform im Verhältnis zu einer ebenfalls geordneten Realität bewährt«.). Dieser Zusammenhang lässt sich als Zusammenhang von Beobachtern auch im Kant’schen Pragmatismus beobachten, der Intersubjektivität als einzig mögliche Form von Objektivität vorsieht: Wenn mehrere Beobachter darin übereinstimmen, dass eine Menschenmenge klein ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich so verhält. Erst von Glasersfeld nennt diesen Zusammenhang von Kohärenz, Plausibilität und Intersubjektivität ›Viabilität‹ (vgl. Glasersfeld 1997: 43). Dabei ist die Voraussetzung, dass die Beobachter rational beobachten, also ihrer Vernunft, und nicht ihrer Intuition, ihrem Glauben oder dem Leitdual I like/I don’t like folgen. Um es mit den Worten Don Lemons zu sagen: »Don’t call something fake because you don’t agree with it.« Ist das der Fall, haben wir es mit einer »deutero truth« zu tun; ein Begriff von Gregory Bateson, der diese Form der Wahrheit als »function of belief« begriff und – wenig überraschend – vor allem in religiösen Zusammenhängen gegeben sah. »An increase in belief«, fasst Noel G. Charlton diese Funktion zusammen, »permits in very many situations an increase in validity.« (2008: 92) Auf die neurologischen Korrelate dieser Überzeugungen komme ich später noch zu sprechen, da sie uns wichtige Hinweise auf die erstaunliche Hartnäckigkeit liefern können, mit der wir alle – nicht nur Kelly-Anne Conway, die dazu gleichsam dienstlich verpflichtet ist – Fakten leugnen, die unseren Überzeugungen widersprechen.
I I I S c h l u s s
Readymade Trump Wo der »gemeine Haufe« die hässlichste Verwirrung sieht, bewundert der denkende Geist die höchste Ordnung; so bestimmt der deutsche Dichter bzw. denkende Geist Friedrich Schiller den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen. In diesem Sinne habe ich mich bemüht, den tragischen Gegenstand Trump wissenschaftlich genussfähig zu machen. Vielleicht erweist sich hier noch am Ehesten die Verwandtschaft der Wissenschaft mit der Tragödie: sie macht es möglich, den Schrecken zu er tragen. Da es keinen kompetenten Beobachter mehr gibt, der uns sagen könnte, was im Weißen Haus und um das Weiße Haus herum wirklich und wahrhaftig los ist, haben ich vor allem darauf geachtet, wie es los ist. Zu diesem Zweck habe ich eine erhöhte Beobachterposition eingenommen, die jede Gegebenheit in weite Ferne rückt, im Tandem mit einer abstrakten Begrifflichkeit, die von allen Konkreta, von der Spezifik der Situation absieht (bei Bob Woodward 2018 findet sich gleichsam das umgekehrte Verfahren). Anstatt an den Individuen und deren möglichen – lauteren wie unlauteren – Interessen und Motiven habe ich mich an den Funktions- und Strukturbedingtheiten orientiert. Mein interest galt nicht den beteiligten humans, sondern den ›Systeminteressen‹. Die Frage, die sich die Massenmedien immer wieder stellen (»Was will Trump?«) habe ich konsequent vernachlässigt, wenn auch nicht völlig ignoriert. Sicher, man kann Trump fragen. Aber alles, was man dann erhält, ist eine Antwort – Trump lässt uns wissen, was er möchte, dass wir annehmen: dass er Konflikte liebt. Oder sein Land. Oder seine Wähler. Abgesehen davon ist es unwahrscheinlich, dass Trump selbst weiß, was er tut – was im Übrigen für jeden von uns gilt, die wir tun, was wir tun, und hin und wieder – gleichsam post-faktisch – Gründe dafür anführen. Manche eignen sich besser für Motiverzählungen, andere weniger. Das wiederum hängt davon ab, wo und wann wir sie anführen. Die Antwort »Ich bin Präsident der Vereinigten Staaten geworden, um mich an der eigenen Machtfülle zu berauschen« würde in der Politik keinen Anschluss finden. Das hat der Outsider Trump sehr wohl verstanden, auch wenn es ihm in Helsinki partout nicht einfallen wollte. Machthunger, Bereicherung, Geltungssucht, womöglich sogar das Bedürfnis, geliebt und bewundert zu werden – all das mag eine Rolle spielen, ist aber erstens nicht objektivierbar und kann den Gang der Dinge zweitens nur geringfügig beeinflussen. Der hängt von anderen, in diesem Buch untersuchten Faktoren ab. Feststellen lässt sich, dass der gegenwärtige amerikanische Präsident © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_11
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Donald Trump eine massive Irritation der Gesellschaft darstellt – auf der im ersten Teil untersuchten gesamtgesellschaftlichen Ebene (also der Moral- und Werteebene) genauso wie für die Teilsysteme der Politik, des Rechts, der Wirtschaft, der Massenmedien und der Wissenschaft, denen der zweite Teil gewidmet ist. Das liegt daran, dass es sich bei ihm um eine Neuigkeit handelt. Trump weicht deutlich von der erwarteten Kontinuität in der Politik ab, er ist eine Ausnahme. Aus der Perspektive der Kunst ließe er sich als Kunstwerk beschreiben, auf das die Gesellschaft zunächst mit Verwunderung und Bewunderung reagiert (vgl. im Folgenden Luhmann 1997: 790, der sich hier auf den Begriff der admiratio bezieht). Doch dieser undifferenzierte Zustand hielt nicht lange vor. Die Gesellschaft ist im Hinblick auf ihn nicht mehr unentschieden. Die Unentschiedenheit hat einer harten binären Codierung Platz gemacht. Das hängt mit der Natur dieses Kunstwerks zusammen. Es ist provokativ, bricht mit Tabus. Es verursacht Skandale. Es ist im gleichen Moment komisch und beängstigend (sublim?). Es ist taktlos, grob, rücksichtslos, stößt vor den Kopf. Es sorgt für Buhrufe und tosenden Applaus. Selbst Kenner der Materie zeigen sich überrascht.244 Das ›Kunstwerk Trump‹ gleicht auf der strukturellen Ebene dem Urinoir Duchamps. (»Fun fact passend zu fake news«, notiert meine Zweitlektorin Britta Fietzke: »Die Idee des Urinals kam gar nicht von Duchamp, sondern von Elsa von Freytag- Loringhoven.«) Vielleicht hat dieser Gedanke das MOMA bewogen, dem Weißen Haus anstelle des angefragten Van Gogh-Gemäldes Maurizio Cattelans goldene Toilette mit dem Titel America anzubieten (vgl. Harwood 2018). Trump stellt die Politik politisch infrage, so wie Duchamp die Kunst mit seinem Readymade in vorübergehende Bedrängnis brachte. Wir haben es auch hier mit einer Selbstnegation des Systems zu tun, in diesem Fall dem Versuch, an die Grenze der Politik zu gehen, und Nichtpolitik in die Politik wiedereintreten zu lassen (vgl. Heidingsfelder 2012: 340 ff.). Das Besondere am ›Readymade Trump‹ wäre dann, dass auch dieser Nicht-Politiker, der mit bisheriger Politik zu brechen scheint, noch Politik ist.245 Das selbsternannte Genie (vgl. Baker und Haberman 2018) geht an die Grenzen dessen, was grundsätzlich noch als dazugehörig erwiesen werden kann. Wir können ihn schon deshalb getrost als genial bezeichnen, weil Trump keine Imititation oder Kopie anderer Politiker darstellt, sondern stattdessen die ›Regelpolitik‹ zurückweist, die eigene Individualität und Originalität betonend; vor allem aber, weil ihn eine gewisse, von ihm selbstbewusst in Anspruch genommene Naturbegabung auszeichnet – ein instinct for politics (vgl. Luhmann 1995b: 75). Und wie im Falle Duchamps
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wird der Testfall selbst zum Vollzug der Reproduktion von Politik.246 Um den Museumsdirektor und Kunsthistoriker Timothy Rub zu paraphrasieren: As politicians and journalists debate whether this was politics or a hoax, Trump changed the course of modern politics (vgl. Philadelphia Museum of Art 2017). Die Information, die ein Politiker und Präsident wie Trump vermittelt, liegt in der Differenz zu den Erwartungen, die an ihn als Politiker gerichtet werden und in dem, was er stattdessen bietet: Politik, die keine ist; einen Präsidenten, der keiner ist; Entscheidungen, die keine sind (Dekrete); Gipfel, die keine sind; Diplomatie, die keine ist. Ein Spiel mit Politikerwartungen, und damit auch ein Spiel mit dem Politiksystem, das ein bestimmtes Erwarten erwartet, eine Provokation des politischen Publikums, das Politik erwartet und eine Politik bekommt, die so klingt und aussieht wie das Gegenteil. Und wie in der Kunst geht es auch beim Readymade Trump nicht darum, das eigene Empfinden rational zu rechtfertigen. Man könnte an Kants ästhetisches Urteil und die Erfindung subjektiver Allgemeinheit erinnern (vgl. Kant 1974: 124 ff.). Wer »I like Trump« sagt, ist zwar nicht in der Lage, sein Urteil zu beweisen, aber beansprucht nichtdestotrotz, dass es allgemein zustimmungsfähig ist. In Kants Sprache: der Trump-Befürworter sinnt das Wohlgefallen an Trump jedermann an. Trump wäre in diesem Sinne ›schön‹: er gefällt ohne Begriff, er wird keinem Erkenntnisurteil unterworfen. Laut Kant kann er darauf allerdings keinen Anspruch erheben, höchstens auf eine andere Form des Wohlgefallens, denn das Interesse an ihm ist nicht interesselos. Anders gesagt, er gefällt nicht nur, sondern ein bestimmtes politisches Interesse »zwingt den Beifall ab« (Kant 1974: 123). Und auch die Buhrufe seiner Gegner verdanken sich bestimmten Interessen, die wiederum Bedürfnisse voraussetzen (oder hervorbringen). Der Bestimmungsgrund des Beifalls ist mithin nicht frei, sondern durch ›Privatbedingungen‹ kontaminiert, Trump folglich nicht schön, aber genauso wenig hässlich, und also: keine Kunst. Seine Marktorientierung tut das Übrige. Trump ist als Populist ›zu kommerziell‹, um Kunst sein zu können, er will gefallen, kommt den Erwartungen seiner Anhänger entgegen, hat gegen »verkaufsförderliche Inszenierungen« (Luhmann) nichts einzuwenden, im Gegenteil. Die Hoffnung, dass sich die Irritation Trump als einmaliges Ereignis erweisen würde, das von selbst verschwindet, hat sich längst erübrigt.247 Er ist gekommen, um zu bleiben (vgl. Kornelius 2018). Die durch ihn ausgelösten Strukturänderungen sind in vollem Gange, anders gesagt, die Gesellschaft lernt: sie hat die Ausgangsirritation Trump vermehrt und ist zurzeit damit beschäftigt, im Abgleichen mit vorhandenen Strukturen solange
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weitere Irritationen zu erzeugen, bis sie durch angepasste Strukturen konsumiert ist (vgl. Luhmann 1997: 791).248 In der Sprache der Evolutionstheorie würde man von einer ›Re-Stabilisierung‹ sprechen, die auf jede Neuerung folgt, und zwar völlig unabhängig davon, ob die mutierte Variante nun abgelehnt oder angenommen wird (vgl. Luhmann 1992b: 557 f.). Sein politisches Überleben wird davon abhängen, ob er auch weiterhin ›passt‹ – durchaus im Sinne Darwins: ob er sich auch weiterhin als fitter erweist als seine Konkurrenten. Doch selbst wenn die amerikanische Politik nach Trump versuchen sollte, zu dem zurückzukehren, was bisher alternativlos tradiert wurde, was sich also gegen ihn nicht absichern ließ, so hat er ihren Zustand doch für immer verändert. In der Regel funktionieren die sozialen Strukturen auf die immergleiche Weise geräuschlos vor sich hin. Das gelingt ihnen mithilfe von Erwartungsbildung: sie rechnen mit Redundanzen, also der Wiederholung desselben, wenn auch in immer anderen Situationen (vgl. Luhmann 1997: 791). Die Irritation Trump hat diese Erwartungen enttäuscht – anders gesagt, er hat die Gesellschaft überrascht.249 Viele Amerikaner haben diese Überraschung begrüßt und Trump deshalb ihre Stimme gegeben, dadurch einer momentanen Inkonsistenz Dauer verliehen – und derart demokratische Erwartungen gleichzeitig bestätigt (er wurde gewählt) und enttäuscht (er wurde gewählt). Die unklaren Konsequenzen haben sie in Kauf genommen, weil ihnen das Abweichen von der normalen, strukturell vorgezeichneten Operationsfolge der Politik wichtiger war: »I genuinely believed that as an independently wealthy, outsider candidate with no loyalties to the DC establishment, Trump was going to be the revolutionary hero who would finally free the people from the shackles of a corrupt, sclerotic and selfserving ruling elite.« (Delingpole 2017) Ihre Wahl kann deshalb als Protestwahl bezeichnet werden, als eine Abwahl der Politik selbst. Verdrängen ist seitdem keine Option mehr. Zwar hat seine fortwährende Inanspruchnahme des Widerspruchs zu gewissen strukturellen Unsicherheiten geführt, aber Trump führt im gleichen Moment vor, dass die Gesellschaft diese Widersprüche aushält – sie kennt in diesem Sinne keine ›Nulltoleranz‹, das wäre ihr Ende. Mögen einzelne Personen seine Normbrüche auch für nicht hinnehmbar halten; die Gesellschaft nimmt sie nicht nur hin, sie ist zuletzt auch verantwortlich dafür, dass es sie überhaupt gibt, dass sie produziert werden. Das ist ihrer enormen Komplexität geschuldet. Soll diese Komplexität gehalten werden, hat sie gar keine andere Wahl: sie muss ihre eigene Fortsetzung »gewissermaßen jenseits ihrer Strukturen« garantieren. (Luhmann 1984: 514). Dabei hilft ihr jemand, der kein Jemand ist: die Zeit. Sie lässt Widersprüche
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entstehen, multipliziert sie, löst sie aber auch wieder auf (vgl. Luhmann 1984: 515). In Luhmanns Worten: Zeit hat ein widersprüchliches Verhältnis zu Widersprüchen – genau wie die Gesellschaft, die das vermeintlich Unvereinbare mühelos in sich vereint. Wenn die gesellschaftlichen Anschlussroutinen gestört werden, lässt sich eine Art Knirschen der Strukturen vernehmen. Ich habe die Reaktion der Gesellschaft auf diese Geräusche – den Lärm, der sich vernehmen lässt; ein Wort das nicht zufällig auf ›Alarm‹ zurückgeht – eingangs als Immunantwort beschrieben, ihr also eine Funktion unterstellt. Auch die ständige Bezugnahme auf Moral gehört hierher. Die These war, dass sich die vielen Ablehnungen bzw. einzelnen Immunereignisse zu einer Art System verdichtet und sich dadurch wechselseitig verstärkt haben. Trump wird als Gefahr identifiziert – allen voran von den Massenmedien, die für die gesellschaftliche Selbstbeschreibung zuständig sind. Ich sollte mit Luhmann erneut einschränken: für das Dirigieren dieser Selbstbeschreibung, da auch sie keine Beobachtungskompetenz für sich beanspruchen können, sondern lediglich ein System unter vielen anderen darstellen (vgl. Luhmann 1996a: 173). Die Irritation Trump wurde – und wird – auf die unterschiedlichen Gesellschaftsbereiche verteilt, die auf je eigene Weise mit ihm umgehen. Anders gesagt, er wird nicht gesellschaftszentral verwaltet, mag das universelle Thema Moral auch einen anderen Eindruck erwecken. Hier das einzelne Ereignis – Trump tweetet etwas –, dort der gesellschaftliche Horizont als ein Nebeneinander unwahrscheinlicher Anschlussroutinen, die unterschiedlich an diesen Tweet anschließen. Eine gesamtgesellschaftliche Perspektive auf Trump gibt es nicht – nur als Simulation, etwa in Form dieses Buches: als Wissenschaft. Die Politik hat mit einer Abweichungsverstärkung reagiert und Trump erst zum Präsidentschaftskandidaten und schließlich zum ›Führer‹ der USA ernannt. Im Fall der Massenmedien dagegen kann man von negativem Feedback sprechen, weil sie an der Beseitigung der durch die Lernzumutung Trump entstandenen Differenz interessiert sind. Die »lesser media« (2019) sind zwar eifrig um Gegendarstellungen bemüht, können aufgrund ihrer Unterzahl aber den Gesamtklang des Orchesters nur geringfügig beeinflussen; aus Sicht der ›greater media‹ stellt Trump keine förderungswürdige Innovation, sondern ein Problem dar, sie können ihn sozusagen nicht auf sich beruhen lassen und sind deshalb fast schon verzweifelt bemüht, das Problembewusstsein zu erhalten, die Orientierung an der ›Unannehmlichkeit‹ Trump zu verstärken und der Politik, dem Recht, der Öffentlichkeit aufzudrängen. Sie scheinen zu befürchten, dass ansonsten eine Rückkehr zur alten Ordnung nicht möglich ist, denn: »Once you’ve ac-
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cepted an anomaly or something less than perfect, you know, you’ve given up your virginity. You can’t go back.« (NASA-Mitarbeiter Larry Wear – zitiert nach Weick and Sutcliffe 2007: 30 – dessen Äußerung sich ursprünglich auf das NASA-Challenger-Desaster bezog.) Aber warum sollte man? »We can’t go back« lautete deshalb der Wahlkampfslogan der Republikaner für die Zwischenwahlen, Motto: Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, mag es auch kein leichter sein. Hier ist die Wissenschaft mit der republikanischen Partei einer Meinung: Zeit ist irreversibel. Die Anomalie wurde in dem Moment akzeptiert, als Trump zum Präsidenten gewählt wurde. In einer Hinsicht müssen sich die Amerikaner aber keine Sorgen machen: im Gegensatz zu einer Raumfähre kann eine Nation nicht explodieren. Woher rührt die momentane Zufallsempfindlichkeit der Politik, warum hatte der Einzelmensch Trump hier besondere Effekte? Weder Russland noch die Massenmedien oder die »asozialen Medien« (Wilhelm Heit meyer) können als alleinige Erklärung für seinen Erfolg dienen. Vom Gesellschaftssystem her gesehen ist er Zufall, allem »I did it my way« zum Trotz. Das soll nicht heißen, dass die Variation Trump nicht als feingeregelter, determinierter Vorgang beschrieben werden kann. Sondern nur, dass diese Variation und der gesellschaftliche Zugriff auf sie nicht vorweg koordiniert waren (vgl. Luhmann 1992b: 559). Trump hat den amerikanischen Wählern lediglich einen Vorschlag gemacht – und die haben sich für ihn entschieden.250 Wie das möglich war, wovon es abhing, dass aus der Möglichkeit Trump ein ›alternatives Faktum‹ wurde, will ich in diesem Schlusskapitel untersuchen.
Neue harte Grenzen Was finden amerikanische Wähler an Trump? Warum gingen sie ein derartiges Risiko ein und wählten einen Außenseiter ins höchste Amt, das die USA zu vergeben haben? Allgemeiner gefragt: Warum ändert die Gesellschaft überhaupt ihre Strukturen, warum macht sie nicht einfach weiter wie bisher? Warum sagt sie ›ja‹ zu Trump? Möglicherweise spielt das Alter eine Rolle. Die funktional differenzierte Gesellschaft ist schließlich nicht mehr die jüngste, gewisse Verschleißerscheinungen sind unübersehbar. Wenn man mit polemischen Absichten auf das Erstarken des Rechtspopulismus und die Rückkehr überwunden geglaubter Unterscheidungen wie Rassismus und Fremdenhass blickt, könnte man durchaus von Alterssyndromen wie Intelligenzabbau spre-
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chen, vielleicht sogar von sogenannten altersassoziierten Krankheiten wie Arthrose, Demenz, Inkontinenz, grauem Star: »Das Altwerden eines Differenzierungstypus«, schreibt Luhmann, »erzeugt Unsicherheit – die Ordnungsleistung wird selbstverständlich, ihre Mängel und Dysfunktionen treten deutlicher hervor.« (1984: 515) Vom Mittelalter zur Neuzeit gelte es: »und möglicherweise wieder für unsere Tage, in denen die volle Last negativer Konsequenzen des Prinzips funktionaler Differenzierung anfällt« (Luhmann 1984: 516). Die Ursachen für das ›Symptom‹ Trump wären somit in den Folgeproblemen der funktionalen Diffenzierung zu suchen.251 Die moderne Gesellschaft reagiert auf jene Effekte, für die sie selbst verantwortlich zeichnet. Dazu gehören neben der Abnutzung der Strukturen durch fortwährende Beanspruchung vor allem Irritationsanlässe aus ihrer Umwelt, von der Umweltverschmutzung über die Bevölkerungszunahme und die Globalisierung bis hin zu den gewachsenen individuellen Glücksansprüchen der Individuen (vgl. Luhmann 1997: 795). Luhmann war wenig optimistisch, was die Chancen angeht, diese Irritationen oder Umweltimpulse in Erwartungsstrukturen zu überführen (vgl. Luhmann 1997: 801). Von dem Optimismus, der die Anfangsjahre der funktionalen Differenzierung kennzeichnete, sind wir heute jedenfalls weit entfernt. In diesem Sinne zeigt Trump uns die Grenzen der Möglichkeit auf, funktionale Differenzierung zu ›normalisieren‹. Die Kritik ist ein Stück weit berechtigt, das Gestell der Funktionsbedienung weist Defizite auf – auch wenn sich die Vorteile einer Gesellschaft, die ihre Einheit im Prinzip der Ersetzbarkeit aller Figuren hat, gerade im Zusammenhang mit dieser Kritik zeigt, einer Selbstkritik, die von der modernen Gesellschaft gleichsam protegiert wird (vgl. Luhmann 1984: 464). Man kann hier in Anlehnung an Myrdal (1944) von einem functional dilemma sprechen; ein Zusammenhang, den auch Luhmann herstellt, der von einem Teufelskreis spricht, weil die moderne Gesellschaft mehr und mehr auf selbsterzeugte Probleme reagieren muss, »ohne auf diesem Wege ein besseres Verhältnis zur Umwelt oder zu sich selbst erreichen zu können« (1984: 480). Es ist die Struktur der modernen Gesellschaft selbst, die moderne, ›gute‹ Gesellschaft, die Inklusionsgesellschaft, die in den jeweiligen gesellschaftlichen Teilbereichen für erhebliche Strukturprobleme sorgt und zuletzt paradoxerweise dazu führt, dass Exklusion propagiert wird (vgl. Luhmann 2011: 69). Peter Fuchs spricht von einer »seltsamen Überformung ihrer selbst« (1997: 134). Sie wird etwa anhand des sogenannten ›paradoxen Wandels‹ sichtbar, »wonach gerade zunehmende Erfüllung der Wünsche, Wohlstand und Erfolg die Unzufriedenheit überproportio-
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nal steigert« (Luhmann 1984: 773). Die moderne Gesellschaft hat die bisher erwartbare Motivlage der Menschen fundamental verändert. Für all die überschießenden Erwartungen, all die Hoffnungen und Forderungen derer, die nun enttäuscht reagieren, ist sie gleichsam selbst verantwortlich (vgl. Luhmann 2002a: 101). Die Menschen reagieren affektiv – mit der Neuentstehung harter Grenzen, wenn man so will: mit new old frontiers, Grenzen, die nicht mit den Grenzen der sozialen Großbereiche zusammenfallen. Gerade die emanzipatorischen Bestrebungen der Moderne führen offenbar in eine Epoche der härtesten Differenzen (vgl. Fuchs 1997: 162). Und weil diese neuen Grenzen zur Identitätsbildung beitragen, können sie nicht ohne Weiteres überschritten werden. Die Rede ist vor allem von der Wiederkehr längst überwunden geglaubter ethnischer Unterscheidungen. Ein anderes Resultat der funktionalen Differenzierung ist die mit ihr verbundene »Optionssteigerung« (Nassehi), wer es dramatischer möchte: die von ihr verursachte »wilde Kontingenz« (Fuchs 2016: 169, in Anlehnung an Aleida Assmanns Begriff der wilden Semiose). Diese gleichsam ungezähmte, ruhelose Kontingenz der modernen Gesellschaft, die Nicht-Notwendigkeit dessen, was ist, begünstigt den forcierten Einsatz der Themen Identität, Subjektivität, Individualität und das gegenwärtige Grassieren von Ismen. Da die Gesellschaft zunehmend auf kontingenten Entscheidungen beruht, kann immer auch anders entschieden werden – was Strukturen zugutekommt, die das Risiko ungehemmter Alternativität eindämmen und die Menschen mit Orientierungssicherheit versorgt. Einfach stoppen lässt sich Kontingenz zwar nicht, sie ist ja an die Form der modernen Gesellschaft geknüpft. Jeder Versuch, sie zu unterbinden und Übereinstimmung zu erreichen, produziert deshalb nur mehr davon.252 Gesellschaftsweit ist die Alternativität gehemmter Alternativität zwar keine Option, hier und da sperren kann man sie aber natürlich schon (vgl. Heidingsfelder 2012: 78 ff.). Wirklich überwunden hatte man die alten Unterscheidungen freilich nie: »Rather, they are more appropriately described as being hidden away – and just as there are forces that can keep negative thoughts and behaviors suppressed, there are other forces that can unleash them.« (Crandall und White 2017) »Better. Not perfect«, versucht Obama die Gemüter zu beruhigen: »The Civil Rights Act didn’t end racism, but it made things better. Social Security didn’t eliminate all poverty for seniors, but it made things better for millions of people.« (2018) Diese Möglichkeit einer besseren Ausnutzung von Möglichkeiten ist im Versprechen der Demokratie selbst angelegt. Für
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Luhmann oszillieren Demokratien deshalb zwischen ständiger Überforderung und der Rückführung auf das Machbare. Doch mit dem Machbaren gibt sich die Bevölkerung demokratischer Staaten längst nicht mehr zufrieden. ›Besser‹ mag ›gut‹ sein, wie Obama anmahnt, aber es ist offenbar nicht mehr gut genug.253 Und mit der Dankbarkeit und der politischen ›Loyalität‹ derer, die bisher in den Genuss der Wohlfahrt kamen, warnte Luhmann bereits in den 1980er Jahren, solle man besser nicht rechnen (vgl. 2011: 9). Der Effekt des paradoxen Wandels lässt sich auch empirisch belegen: »Bewohner autoritärer Staaten sind weniger unzufrieden mit ihrer Regierung als die von demokratischen.« (Buchsteiner 2018) Die in einer Diktatur lebende Bevölkerung hat weitaus geringere Erwartungen und ist deshalb im Durchschnitt mit der Arbeit der Regierung zufriedener. Die Bevölkerung der demokratischen Staaten reagiert normativ: sie ist nicht bereit, zu lernen und Demokratie auch als Versprechen zu begreifen. Alle demokratischen Staaten haben deshalb zurzeit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Der zivilisierte Staatsbürger, dem man zumuten konnte, zu warten, hat einem ungeduldigen ›Wutbürger‹ Platz gemacht, dem der Impulspolitiker Trump entspricht. Die Gesellschaft sucht sich einen neuen politischen Repräsentanten – eine Alternative, die die Lösbarkeit gesellschaftlicher Probleme suggeriert. Trump griff die richtigen Themen auf, nahm die Motive des Protests in seine Programmatik auf, und zwar – so die Unterstellung – wider besseres Wissen, um des bloßen Machtgewinns willen. Dass er die Konflikte weiter zugespitzt hat, weil es ihm nicht darum geht, Konsens-, sondern Dissenschancen wahrzunehmen, ist kein Gegenargument: ›Lösung‹ bezeichnet nicht etwas, das gut für die Menschen ist. Populismus erweist sich als Sonderfall politischer Repräsentation: als Punktfür-Punkt-Übertragung, etwa von Ausländerfeindlichkeit, in die Politik. Eine solche Definition erlaubt es uns, ihn von der in Demokratien üblichen Übertragung von Wählererwartungen, Interessen und Forderungen zu unterscheiden. Sie kann genau deshalb destabilisierende Folgen haben, da sie die Rollentrennung von Publikum und Politik ignoriert. Man könnte im Gegensatz zur Re-Präsentation von bloßer Präsentation sprechen (oder mit Nadia Urbinati von »direkter Repräsentation«, vgl. Felsch 2017). Das Problem liegt demnach in der direkten oder getreuen Repräsentation bestimmter Interessen und allgemeiner: im fehlenden Misstrauen gegenüber dem Volk.254 Ein wichtiger Teil der populistischen Strategie ist der Verzicht auf angemessene Erklärungen zugunsten von Erzählungen – man denke etwa an Trumps ›Mauer‹-Narrativ, das von der Bedeutung einer physischen Barrie-
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re für die Sicherheit der USA handelt. Die Wahrheit der Dinge interessiert den Populisten nicht, sondern allein die exakte Repräsentation bestimmter Interessen, also die genaue Korrelation zwischen gesellschaftlichen Interessenkonstellationen und politischen Kräftegruppierungen.255 Ansonsten hätte Trump seinen Wählern sagen müssen, dass viele der von ihnen bemängelten Probleme – etwa der Niedergang der heimischen Kohleund Stahlindustrie, oder die mit der Globalisierung verbundenen Kosten, oder ganz generell: der Niedergang der USA – auf der Sachebene gar nicht lösbar sind. Doch darum geht es dem Populisten nicht, sondern allein darum, ein bestimmtes Milieu zu repräsentieren. In diesem Sinne kann Populismus als Verzicht der Politik auf die Autonomie gegenüber gesellschaftlichen Konflikten begriffen werden. Trump hat zudem erkannt, dass Legitimität in der praktischen Politik einer Demokratie gleichbedeutend ist mit Popularität (vgl. Luhmann 2002a: 100). Sprich, die Verfassung kommt in diesem Fall erst an zweiter Stelle. Da der Präsident seinen Wählern in einem fort demonstriert, dass er bemüht ist, seine Wahlversprechen zu halten, das Wohl der Nation und damit auch ihr Wohl zu fördern, ist er bei ihnen äußerst beliebt. Mochte der Reisebann, zumindest in den ersten Versionen, auch der Verfassung widersprechen – das hat Trump nur bei einigen Verwaltungsbeamten und ›sogenannten Richtern‹ unpopulär gemacht. Hillary Clinton ist es im Gegensatz zu Trump nicht gelungen, eine ebenfalls überzeugende, tragfähige Erzählung vorzutragen, die notwendig mit erheblichen Verkürzungen einhergeht; die hatte der von ihr ausgeschaltete Konkurrent ›Bernie‹ Sanders im Gepäck – in Form eines »labourist, workerist populism« (Thomas Frank). Ich komme auf die Wichtigkeit eines überzeugenden Narrativs gleich zurück, will an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass die Person Trump selbst Teil dieses Narrativs ist: der erfolgreiche Geschäftsmann und Milliardär, der Außeneiter und Tabubrecher, der sich aufmacht, die Politik ›umzukrempeln‹. Warum ist Populismus gefährlich? Nicht so sehr aus moralischen Gründen: weil Politiker ›so tun als ob‹, dem Volk um des bloßen Machterwerbs bzw. Machterhalts willen nach dem Mund reden (also lügen). Luhmann sieht bereits in der politischen Mobilisierung des Publikums ein Problem, sofern ein entsprechendes Maß an Rollenvielfalt und Rollenspezifikation unterschritten wird (vgl. Luhmann 2010: 400). Doch sobald die politischen Rollen wichtiger werden als andere gesellschaftliche Rollen, kommt es zu einer »gefährlichen vertikalen Integration« (Luhmann 2010: 401) sozialer und politischer Rollen, einem Partikularismus, den ich mit dem Begriff der ›Versäulung‹ anschaulich gemacht hatte. Da es zwischen diesen Säulen in-
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tegrierter, aber gegeneinander gerichteter Lebensauffassungen und Interessen wenig Kontakt gibt (dafür stehen in der virtuellen Welt die Begriffe ›Echokammer‹ und ›Filterblase‹ ein), ist der Wechsel aus der einen oder anderen Gruppenordnung nicht mehr möglich oder zumindest erschwert. Wenn sich die der Politik zugewandten Rollen entsprechend firmieren, so Luhmann, »werden diese Gegensätze ins politische System übertragen und […] zugespitzt« (Luhmann 2010: 401). Eine Verschärfung, die mit dem Umstand zu tun hat, dass es nun um den Zugang zu legitimer Macht geht, also darum, welche Interessen in kollektiv bindende Entscheidungen verwandelt werden, was für weitere Spannungen sorgt. Populismus kann im Rahmen dieses Prozesses als eine Repräsentation einer bestimmten Konfliktfront gesehen werden, als eine – durch den politischen Kampf selbst ausgelöste – Akzentuierung und Verschärfung der sozialen Konflikte, der es nicht um eine politische Lösung geht. All das wird umso gefährlicher, je weniger Konfliktfronten und Parteien es gibt (vgl. Luhmann 2010: 401). Wir können vor allem in den USA eine solche, das Land in nahezu allen Fragen zerreißende Front beobachten; Integration und Konsensbildung ist nahezu unmöglich geworden.256 Kontrollierte Demokratie schützt die Gesellschaft vor der Herrschaft des Volkes, wenn man so will: der mob rule, die Lindsey Graham im Zusammenhang mit der Anhörung Kavanaughs so energisch zurückwies: »Do we really believe in the rule of law, or are we just so angry that mob rule will take over the rule of law?« (Zitiert nach Bluey 2018) Der Populist ist nicht daran interessiert, die Einwirkungen des Publikums einzuschränken, was gerade auf publikumssensitive politische Systeme dramatische Auswirkungen haben kann. In Trumps Fall können wir deshalb in der Tat von einer mob rule sprechen: einer rule of mobilization. Der Mob bzw. die ›reizbare Volksmenge‹ – die offenbar überwiegend, wie es der pejorativ verwendete Begriff vorsieht, aus Menschen mit niedrigem Bildungsniveau besteht257 – wird nicht etwa beruhigt, sondern im Hinblick auf ihre Reizbarkeit operationalisiert. Als gutmütige Menge ist sie für den Populisten nur von geringem Wert. Trump ist deshalb weder an der Lösung der Konflikte interessiert, die ihn an die Macht brachten – und ihm (noch) den Machterhalt sichern –, noch ist er bemüht, sie in tolerierbaren Grenzen zu halten. Genau das ist aber der Sinn des politischen Systems, genau deshalb hat es sich ausdifferenziert und derart die eigene Leistungsfähigkeit gesteigert. Politik soll Konflikte absorbieren, nicht emittieren, und das kann sie nur als autonomes, komplexes System. Will sie weiterhin ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachkommen, muss sie die Einwirkung diffuser Umweltfaktoren daher so
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weit wie möglich verhindern, Welche Auswirkungen es haben kann, wenn ein hochspezialisiertes System wie die Politik die Umwelt zur Mitwirkung einlädt, führen Trump und der Brexit der Gesellschaft gerade vor Augen (vgl. Luhmann 2017: 860). *** Das Aufleben totgeglaubter fundamentalistischer Bewegungen zeigt, dass es eine Illusion war, alle Konflikte politisch auf bloße Interessenkonflikte reduzieren zu können (vgl. Luhmann 2002a: 218 f.). Auch der Konflikt zwischen den Trump-Befürwortern und den Trump-Gegnern ist nicht nur ein Interessenkonflikt – anders gesagt, er ist nicht nur trivial. Es ist ein Konflikt über Werte, Normen und Überzeugungen, und wiegt deshalb so schwer. Es ist ein Kampf der Kulturen, ein Kampf zweier Versionen von ›Amerika‹ (vgl. Ball 2018). Beide Lager pflegen ihr eigenes politisches Weltund Menschenbild, »dessen kulturelles Profil letztlich darin besteht, welche Lebensformen im Umgang miteinander für lebenswert gehalten werden« (Baecker 2002: 220). Und wie schon im Falle des Konflikts zwischen al-Qaida und den USA geht es auch in diesem Fall darum, wie das Verhältnis von Mann und Frau geordnet werden soll, wie nicht zuletzt die Anhörung Kavanaughs gezeigt hat (vgl. Baecker 2002: 220). Diese Kämpfe innerhalb des ›westlichen Kulturkreises‹ hatte Huntington in The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order (1996) nicht vorhergesehen. Luhmann schon, dessen Prophezeihung vorsah, dass viele dieser nicht-trivialen Konflikte nur noch in der Form von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen lösbar sein würden (vgl. Luhmann 2002a: 219). Bisher ist dieser Bürgerkrieg in den USA nur ein ›kalter‹, ein cold civil war – doch auch kalte Kriege hinterlassen Spuren (aus der Sicht Heiner Mühlmanns ist etwa die Weltwirtschaftskrise ein Resultat des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR, vgl. Mühlmann 2009). Andere warnen davor, dass eine Amtsenthebung Trumps den kalten schnell in einen heißen Krieg verwandeln könnte (vor allem natürlich die TrumpAnhänger, vgl. C. Smith 2017; Lisi 2017). Es sind diese nicht-trivialen, ernsten Konflikte, vor allem jene über nicht verhandlungsfähige Werte, die schließlich zu den erfolgreichen Versuchen von Trump et al. führten, eigenständige Politikziele auf den Gebieten der Ethnizität, der Rasse und wenn man so will: der Religion (im Sinne der Zivilreligion) zu entwickeln. Dem Wiederaufleben der religiösen Fundamentalismen in den Ländern des Nahen Ostens, die Huntington als Hauptproblem ansah, entspricht der nationalistische Fundamentalismus, der in
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Trumps politischem Programm Form annahm, in dem nicht nur Gott, sondern auch Geld als Identifikationsangebot genutzt werden kann; der Figur des Terroristen entspricht der verbale Sprengsätze zündende amerikanische Präsident.258 Luhmanns dunkle Ahnung war: »Fundamentalismen und politische Radikalisierungen liegen im Trend. Wenn es politisch gelingt, eine Bevölkerung von der Wichtigkeit solcher Unterscheidungen zu überzeugen, kann damit ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Folgen Politik gemacht werden.« (Luhmann 2002a: 219) Genau das lässt sich zurzeit in den USA beobachten. Die hohen Kosten, die seine »America First«-Doktrin verursacht – und zwar nicht nur in den USA, sondern weltweit – nimmt Trump bekanntlich in Kauf.259 Sie betreffen keineswegs nur die Wirtschaft. Durch seinen Wahlsieg wurden die Ausdrucksformen dessen, was Manuel Castells ›Kulturnationalismus‹ nennt, im gesamten weltpolitischen System amplifiziert. »Der Zusammenhang, der im öffentlichen Bewusstsein zwischen Verbrechen, Gewalt, Terrorismus und ethnischen Minderheiten/ Ausländern/den Anderen hergestellt wird, führt just auf dem Höhepunkt des europäischen Universalismus zu einer dramatischen Welle europäischer Xenophobie.« (Castells 2003: 376) Dieser kulturelle Nationalismus steht nicht nur, wie Castells gezeigt hat, in historischer Kontinuität mit der einstigen Vereinigung des mittelalterlichen Europa durch das Christentum – die intolerante religiöse Grenze, die Ungläubige, Heiden und Häretiker ausschloss (vgl. Castells 2003: 376) –, sondern auch mit der Unterdrückung bzw. der Exklusion der Schwarzen in den USA. Der Rassismus, dem sich Gunnar Myrdal bereits in den 1940er Jahren mit dem Doppelvorschlag zuwandte, a) die Weißen von ihren Vorurteilen zu heilen sowie b) den Schwarzen Inklusionsgleichheit zu garantieren und ihnen Zugang vor allem zu den Systemen des Rechts und der Politik zu verschaffen (Myrdal 1944), um so dem »Teufelskreis« bzw. dem amerikanischen Dilemma (so der Buchtitel) zu entkommen, besteht bekanntlich bis heute, auch wenn die amerikanischen Geschichtsbücher vornehmlich von seiner Überwindung berichten. Wenn Trump nach dem Grund für den amerikanischen Bürgerkrieg fragt (vgl. Bromwich 2017), dann ist Colberts Antwort (»Slavery!«) aber nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich wurde das spät beglaubigte Postulat der Sklavenbefreiung zuletzt sogar noch abgekappt, »um den Krieg nicht durch eine sozialökonomische Revolution zu überbieten und um seinen Sieg zu bringen« (Koselleck 2010: 191). Übrig blieb ein Rest, der bis heute nicht eingelöst wurde. Der Emancipation Act führte nicht zum Akt der Gleichstellung der Sklaven, sondern im Gegenteil: zur Verfestigung der sozioökonomischen und politischen Ungleichheit (vgl. Koselleck 2010: 191)
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Ich hatte eingangs von den unterschiedlichen Zeiten der Systeme gesprochen, die uns hier erneut begegnet: Der Rechtsakt einer Gleichstellung ist eben kein politischer oder ökonomischer Akt – und schon gar nicht eine gesamtgesellschaftliche Garantie für Gleichstellung. Im Gegenteil, diese Postulate können sich sogar gegenseitig blockieren (vgl. Koselleck 2010: 197). Koselleck nennt einen solchen Rechtsakt eine notwendige, »aber niemals hinreichende Bedingung.« (Koselleck 2010: 193) Wie jeder weiß, der hin und wieder die Nachrichten verfolgt: Diese Ungleichheit ist bis heute eine oder größten Herausforderungen, wenn nicht die größte der amerikanischen Politik.260 Viele weiße Arbeiter weigerten sich, gegen die rebellierenden Südstaaten im Bürgerkrieg zu kämpfen. Ihre Angst: dass die ehemaligen Sklaven ihnen ihre Arbeitsplätze wegnehmen würden (vgl. Koselleck 2010: 192). Später wurden einmal anerkannte Rechte »durch halbegale Manipulationen« wieder aberkannt. Es überrascht nicht, dass Trump auf eine dieser Manipulationen im Zusammenhang mit seinem Vorläufer Obama zurückgriff – den ›Ahnentest‹. Auch die Technik des ›Konformitätstests der Verfassungstreue‹ macht er sich bekanntlich zunutze, wobei er diese Treue nicht gegenüber der Verfassung verlangt, gegen die er sich laut verschiedener Beobachter mit seinem Einwanderungstest versündigt hat (vgl. Gans 2018), sondern gegenüber der Religion. Trump hat den Myrdal’schen Knoten durchschlagen, den dieser einst mit seinem American Dilemma (1944) geknüpft hatte, indem er auf die Betonung dessen, was Myrdal den »American Creed« genannt hat – also die Ideale des Individualismus, der Bürgerrechte, der Chancengleichheit, die den amerikanischen melting pot laut Myrdal zusammenhalten –, verzichtet und das amerikanische Glaubensbekenntnis von der emphatischen Bejahung dieser Ideale befreit, gleichsam ein »American« ohne »Creed« realisierend. Übrig bleiben zwei Hälften, von denen eine als Standort für weiße Identitätsgewissheit fungiert. »Und weil es um Identität geht, geht es auch um Gewalt« (Luhmann 1997: 797) – dem ausdrucksstärksten Mittel des existenziellen Engagements. Das haben unter anderem Charlottesville, die Attentate auf die Synagoge in Pittsburgh und die an prominente TrumpGegner verschickten Paketbomben gezeigt. Trumps Leistung bestand darin, die harten Grenzen dieser Eigenbereiche mit den Grenzen der Politik abzustimmen – nicht zuletzt durch die dauernde Betonung eben dieser Grenzen, für die vor allem der Reisebann und die zu bauende Grenzmauer als Symbole einstehen. Trump kommuniziert diese Grenzen expressiv, genau wie die Bereitschaft zum Gewaltvollzug, der ihm von Rechts wegen zusteht: »Anybody throwing stones, rocks, like they did to Mexico and the Mexican military, Mexican police – where they badly hurt police and sol-
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diers of Mexico – we will consider that a firearm, because there is not much difference if you get hit in the face with a rock […]« (Trump, zitiert nach RT 2018; vgl. Luhmann 1997: 797). Die Religionskriege in Europa hatten die Kontingenz allen Wissens sichtbar gemacht – auch die andere Seite beanspruchte plötzlich die eine und einzige Wahrheit für sich. Erst mithilfe von Toleranz hat die Gesellschaft diese Gegensätze überwinden können; und nicht mehr, indem man den anderen buchstäblich auf Teufel komm raus umzustimmen versuchte. Sondern indem man ihm seine Meinung ließ. Protestanten und Katholiken lernten, sich zu tolerieren. Dieses Mittel steht gegenwärtig nicht zur Debatte. Toleranz ist zum Problem geworden – und Intoleranz oder zero tolerance erscheint als Lösung. Offenbar steht zu viel auf dem Spiel. Auf nahezu allen Ebenen wird Unirritierbarkeit demonstriert. Auch Trumps Insistieren auf dem unverzichtbaren Wert der Größe Amerikas gehört hierher. Dieselbe Unirritierbarkeit findet sich allerdings auch auf der Gegenseite – auf jener der Trump-Gegner, der Demokraten und der liberalen Medien, die die Umsetzung ihrer unirritierbaren Postulate (Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung) fordern, aber in der Frage der sozialen Realisation keineswegs Vollzug melden können. Vielleicht wäre ein Einparteiensystem, das Trump anzustreben scheint – also das Ende der amerikanischen Demokratie – daher gar keine so schlechte Lösung für die USA. Es wäre in der Lage, die Konflikte zu beenden oder zumindest »die Spitze des Problems abzustumpfen« (Luhmann 2010: 402). Wie effektiv es sein kann, die Mobilität bzw. die Wahlmöglichkeiten des Publikums einzudämmen, zeigt sich bei vielen Entwicklungsländern. Was die USA gern anderen Ländern vorwarfen, würde auf sie selbst zutreffen: Wir hätten es mit einem failed state zu tun, den nur die Autokratie vor sich selbst retten kann. *** Die oben beschriebenen gesellschaftsweiten Insulationsprozesse hatten zunächst keine Leistungen der großen Funktionsbereiche in Anspruch genommen, sie fanden in Form von sozialen Bewegungen in deren Umwelt statt: als spontane Effektaggregationen wie im Fall des Arab Spring oder des »Turkish Spring« (Ivan Krastev), als soziale Bewegungen wie Alt Right (in den USA) oder PEGIDA (in Deutschland), die als Moment einer selbstproduzierten Entzweiung begriffen werden können, die also sind, wogegen sie sind: das »System« (vgl. Luhmann 1996b: 76). Während die Aufstände in der Arabischen Welt und der Türkei überwie-
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gend auf der Außenseite der Politik verblieben, gelang es dem diese Außenseite verkörpernden Trump, eine außerparlamentarische Bewegung in eine parlamentarische zu verwandeln. Gerade Politik ist ein lernfähiges, weil mit hoher Irritabilität ausgestattetes System. In diesem Fall kam eine gewisse zeitbedingte ›Sensibilität‹ hinzu, die vor allem Systeme kurz vor einer Zustandsänderung zeigen. Dank Trump (und in Deutschland: der AfD) hielt der Protest gegen die Differenzierung in die Politik Einzug – als ein Nein zu jenem Prinzip, »auf das sich die besonderen Leistungen und problematischen Folgen der modernen Gesellschaft zurückführen lassen« (Luhmann 1996a: 76); jenem Prinzip, das einen Präsidenten Trump erst möglich gemacht hat. All jene, die sich benachteiligt, ja ausgeschlossen fühlten, konnten durch die Wahl Trumps ihrem Willen Ausdruck geben, wieder beteiligt zu werden.261 In diesem Sinne fungierte die GOP in der Tat als eine Art »Affektsammelstelle« (Sloterdijk), die mit den Einlagen der kleinen weißen Zornbesitzer wirtschaften konnte – ähnliches gelang der AfD in Deutschland und den Brexit-Politikern in England. Dieser Zorn ist, wie der Wahlsieg Trumps gezeigt hat, ernstzunehmen, denn er vermischt sich mit der Angst des Bedeutungsverlusts. Trump repräsentiert dieses Verlangen nach Bedeutung: »What Trumpism has done is channel that general sense of decline into particular images and streams that wind up fashioning white straight males as threatened from all sides […]«, so Julian Go (zitiert nach Hoffmann 2017). Die Trump-Anhänger und weißen Nationalisten wurden aus ihrer Sicht absolut ins Unrecht gesetzt – Trump gab ihnen eine Chance zur offenen Profilierung, die Möglichkeit, aus der entwürdigenden Asymmetrie auszubrechen. Anders als die Protestierenden der 1960er und 70er Jahre verfügen die Protestwähler der Gegenwart über keine Theorie, die ihrem Protest entspricht und ihn miterklärt (so sehr ein Steve Bannon sich auch darum bemühen mag) – und sie scheinen auch keiner zu bedürfen. Es reicht eine unmittelbare Verständlichkeit, Erklärungen würden den von Trump präsentierten Abkürzungen die Wirkung nehmen. Eben deshalb ist er auf Schemabildung angewiesen – auf ein Entweder-oder. Aus den zahllosen Konstellationen der Globalisierung griff er eine heraus (›Amerika verliert‹), die er plausibel machen konnte, zumindest seinen Wählern gegenüber. Indem er so vorging, bot er den Amerikanern ein Skript an, das es ihnen erlaubte, dazu passende eigene Erfahrungen zu aktivieren, also zeitliche Sukzessionen zu stereotypisieren: dass die bisherigen Entscheidungen pro Globalisierung die Lebensbedingungen der Amerikaner zu deren Nachteil verändert haben. Es ist ein kausales Skript, das viele Amerikaner beeindruckt und schließlich dazu geführt hat, dass ihm der Wert der Erst-
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heit Amerikas hinzugefügt werden konnte. Ich gehe also mit Salancik und Porac (1988) davon aus, dass es sich bei dieser Erstheit um eine »distilled ideology« handelt, um einen Wert mithin, der erst aus diesem Skript resultierte und ihm nicht etwa zuvorkam. Ein solches Schema wirkt befreiend, und genau darin liegt seine Wirkung begründet. Es befreit davon, sich mit der Komplexität des Sachzu sammenhangs befassen zu müssen, was wiederum jene Simplifizierung, die man Identität nennt, gefährden würde. Auch das Schema des Rassismus gehört hierher, das es erlaubt, aus Verwandtschaftsmerkmalen auf Eigenschaften von Menschen zu schließen. Der Rassist kann von den vielen Details absehen, die jede Situation aufweist, und ›versteht‹ doch alle. Aus psychologischer Sicht ist ein solches Schema die Antwort auf ein Gedächtnisproblem: die Notwendigkeit, in einem fort zwischen Vergessen und Erinnern zu diskriminieren, weil ständiges Erinnern die Kapazitäten für weitere Operationen blockieren würde (vgl. Luhmann 1996a: 192). Rassismus erlaubt es, zu vergessen – und im Gegensatz zu Arbeit macht Vergessen frei. (Vgl. Luhmann 1996a: 193) Wir alle sind ein Stück weit auf solche kognitiven Routinen angewiesen, auf Regeln für die Wiederholung konkreter Operationen, die uns im unaufhörlichen sozialen Immer-weiter Rekursionen ermöglichen, die Aktualisierung und Wiederholung von Rückgriffen auf Bekanntes. Im Fall der Globalisierung haben wir es mit einem Dingschema zu tun, doch auch standardisierte Rollenerwartungen oder Rangverhältnisse zwischen Personen gehören hierher. Für Trump ist das Globalisierungsschema die ideale Folie, an der er Gelegenheiten zum Handeln erkennen kann. Es nutzt ihm also auf zweierlei Weise: als Grundlage der »America First«-Ideologie – und als Bestätigung der eigenen Rolle des Verteidigers dieser Erstheit und des Vertragspartners seiner Wähler. Wie für Protestbewegungen typisch hat die gesellschaftliche Aufnahme des Protests Auswirkungen auf ihn selbst; vor allem, da er sich nun nicht mehr auf der Außenseite befindet (vgl. Luhmann 1996b: 208). Wir erleben sie vor allem als Verhärtung des ›inneren Kerns‹, der sogenannten TrumpBasis – eines Kerns, der nun umso mehr auf der Wiederherstellung amerikanischer Größe, auf brutaler Grenzsicherung und ›christlichen‹ (bzw. unchristlichen) Werten besteht, und dadurch an Gefolgschaft verliert. Was zwar für Stimmverluste gesorgt, aber bisher offenbar keine Umorientierung der republikanischen Strategie bewirkt hat: »The quandary, some Republicans acknowledge, is that the party’s leaders are constrained from fully grappling with the damage Mr. Trump inflicted with those voters, because he remains popular with the party’s core supporters and with the
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conservatives who will dominate the caucus even more in the next Congress.« (Martin 2018) Zwar ist es Trump gelungen, die Randerscheinungen Fanatismus und Fundamentalismus erfolgreich zu einem zentralen Thema seiner Agenda zu machen, aber am Ende kann es nur darum gehen, wie die Politik diese Irritationen in Entscheidungslasten verwandelt (vgl. Luhmann 1997: 800). Die harten Unterscheidungen, die der amerikanischen Identitätsbestimmung dienen, müssen ja in den politischen Raum überführt werden. Dabei stellt die Radikalität des Trump’schen Programms nicht nur ein politisches, sondern vor allem ein rechtliches Problem dar. Ein anderer Weg: Wahlen. Hier fiel die letzte Entscheidung erwartungsgemäß zwiespältig aus – in den Worten von Time: »Redder. Bluer. Trumpier. And Even More Divided.« (Ball 2018) Ein erneuter Hinweis darauf, dass Trump zwar zufällig, aber nicht aus Versehen Präsident geworden ist. Auch der Umstand, dass eine ungewöhnlich hohe Anzahl an weiblichen Abgeordneten die politische Bühne betreten hat, kann als Reaktion auf Trump begriffen werden, genau wie die hohe Wahlbeteiligung.
Nationalismus Die zu Festpunkten fixierten, normativ aufgeladenen Selbstverständlichkeiten, die wir Werte nennen, konnten im Laufe der gesellschaftlichen Evolution zwar kommunikativ weitgehend durchgesetzt werden, aber wie Trump demonstriert, kann man auch zu einem Wert Nein sagen. Es wird nur nicht erwartet (vgl. Luhmann 1997: 798). Der erste Teil des Buches diente dem Zweck, diese Funktion der Werte, die wie eine Art Abwehrsystem wirken, das die massive und nicht koordinierbare Dauerirritation der einzelnen gesellschaftlichen Umwelten schützen soll, am Beispiel Trump zu erläutern – und umgekehrt: Trump bzw. die Reaktion der Gesellschaft auf ihn am Beispiel der Werte verständlich zu machen (vgl. Luhmann 1997: 798). Elegant ist die Wertlösung vor allem deshalb, weil Wertbeziehungen multipliziert werden können, ohne dass man das Verhältnis der Werte zueinander festlegen muss. Auch Trump kann kaum sagen, dass Amerikas Nationalismus mehr wert ist als Zahlungsfähigkeit – nur situationsbezogen, »also opportunistisch«, nicht grundsätzlich (vgl. Luhmann 2008b: 182). Und da Werte sich wandeln, muss man auf dem Laufenden bleiben. Hier die bewährten Werte, dort der Wert der Aktualität der Werte. Man
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denke an den Wert der Höflichkeit, der in Dan Gilroys Roman J. Israel, Esq. (US 2017) dem Wert der Gleichberechtigung in die Quere kommt, weil sein Protagonist Roman J. Israel werttechnisch nicht auf der Höhe der Zeit ist. Roman J. Israel: I’m sorry, why are there sisters standing and the brothers sitting? Woman #1: That’s gendered and sexist. Roman J. Israel: And polite. Woman #2: And patronizing. Roman J. Israel: And polite.
Die Praxis der Unterstellungsunterstellung kann als ein fortwährendes Austesten des Wertebestands einer Gesellschaft, begriffen werden, mit der das Unterstellen geleistet werden kann. Oder eben: nicht mehr geleistet werden kann, weil der Widerspruch nun nicht mehr automatisch benachteiligt ist, was eine neue Kultur auf den Weg bringen könnte. Es ist genau das, was viele Beobachter im Hinblick auf Trump befürchten – im Hinblick auf Folter, Polizeigewalt, Gleichberechtigung, Demokratie etc. (vgl. Lee und Merica 2016). Sein Erfolg bestärkte die Neinsagebereitschaft seiner für Lokalisierung und Exklusion votierenden Wähler bzw. Vertragspartner. Denn wann ist man mutig genug, sich rassistisch zu äußern, oder ganz generell gegen Erwartungen bezüglich eines vorbildlichen Verhaltens – etwa die Etikette der politischen Korrektheit – zu verstoßen? Wenn man nicht mehr mutig sein muss, wenn das Nein zu Empathie, Inklusion, Globalisierung und das Ja zu Rassismus, Exklusion, Nationalismus gute Chancen hat, sich durchzuhalten – und zuletzt: wenn das Nein womöglich sogar Rechtsform annimmt. Vor allem der Umstand, dass Trump Präsident wurde, verkörpert die Durchhaltefähigkeit dieses Neins, lizensierte es im Nachhinein.262 Wenn der Präsident selbst sagt: ›Grabschen ist okay‹ – dann wird man doch wohl grabschen dürfen? (Vgl. North 2018) ›Konflikthammel‹ Trump hat die mit der Infragestellung verbundenen Kosten nicht gescheut. Den Schutz, den die ›Zivilität der Kultur‹ den Hütern der Werte bisher gewährt hat, hat er kurzerhand zur Seite gefegt, und auf selbstverständlich mitkommunizierte Wertbehauptungen mit Ablehnung reagiert. Er lässt, könnte man mit Luhmann sagen, der Gesellschaft viele Werte schlicht nicht durchgehen und stellt sie zur Diskussion, was den Werten ihren Wert nimmt. Dabei spielt der amerikanische Kontext und insbesondere die demokratische Tradition der USA eine besondere Rolle. In anderen Kontexten wäre sein Handeln kaum als derart ungewöhnlich oder gar anstößig empfunden
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worden. Gerade die bisherige Tradition der US-amerikanischen Konfliktorganisation könnte erklären, warum das Land von sich selbst so geschockt ist, war in den USA vor Trump der Unterschied zwischen den Parteien im Gegensatz zu Europa doch oft kaum wahrnehmbar.263 Die neue amerikanische Politik benötigt die Opposition, um sich intern zu definieren; Trump verdankt die Homogenität seiner Politik und die Homogenität seiner Person der Gegnerschaft. Dass seine Gegner sich nun rechtfertigen müssen für etwas bis dato Selbstverständliches, ist ein sensationeller Erfolg – denn genau dadurch ist es nicht mehr selbstverständlich. Trump hat in den »Werteballon« (Luhmann) hineingestochen – und die Massenmedien sind zur Zeit eifrig bemüht, ihn wieder aufzublasen.264 Dank ihm wurde eine selektive Praxis des modernen Westens sichtbar, die ihre eigene Selektivität verneint, denn was den meisten von uns als notwendig und unersetzbar gilt (Werte wie Demokratie, Toleranz, Menschenrechte, Gleichberechtigung, oder ganz allgemein: nicht zu lügen), markiert er als kontingent: auch anders möglich. Bis auf das Angebot der Angebote – die wiederherzustellende bzw. wiederhergestellte Größe Amerikas. Hier entspricht der ›Anders-Handelnde‹ Trump der Norm: »America First« ist das Angebot der Angebote, unnegierbar. Der Glaube an diese Erstheit kann als eine Art Konfession ohne Verantwortung und Schuld begriffen werden – als eine engere Semantik, die unverkraftbare Inkonsistenzen einfach ausschließt (vgl. Luhmann 1994b: 174). Der Trump-Wähler erkauft sich eine interne Beruhigung, und der Preis dafür ist die Abgrenzung Amerikas nach außen. Nun ist daran, dass gesellschaftliche ›Handlungsgemeinschaften‹ aus dem »Hüben und Drüben« – also dem Bekannten und Unbekannten, Eige nen und Fremden – ein Innen und Außen machen, noch nichts Ungewöhnliches. Dass die Bürger eines Landes sich selbst gegenüber Fremden bevorzugen, ist sozusagen business as usual (Koselleck 2010: 274). »Bedrohlich werden diese lebensnotwendigen Innen-Außen-Abgrenzungen erst«, so Koselleck, »wenn die Kontakte blockiert, Kompromisse verhindert werden, wenn die Konsensbildungen nur noch einseitig dazu dienen, Konflikte zu schüren, Bürgerkriege zu entfesseln, Kriege zu führen, den Massenmord freizugeben.« (2010: 274) Anders gesagt, wenn aus dem Innen und Außen eine »Politics of Us and Them« (Stanley 2018) wird. Zum Mittel des Massenmords hat Trump bisher noch nicht gegriffen, auch wenn seine Grenzpolitik – insbesondere die gewaltsame Trennung der Einwandererkinder von ihren Eltern – überaus gewaltsame Züge trägt.265 Während die TrumpAnhänger die rücksichtslose Politik des Präsidenten begrüßen, sieht das
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für Immunantworten und Normen zuständige Rechtssystem die Sache bisher nicht so positiv. Die UN geht noch weiter und spricht in Einzelfällen sogar von einer möglichen Nähe zu Folter (vgl. Levin und Holpuch 2018) Was rechtfertigt es, den Trump’schen Nationalismus als schweren Vertrauensbruch, als Illoyalität zu kennzeichnen? Geht er nicht in Wahrheit einfach einen Schritt weiter und führt den Patriotismus seiner eigentlichen Bestimmung zu, wenn er nur noch die Rechte der wahren Amerikaner im Herzen trägt? Der letzte Hinweis kann bei der Suche nach einer Kontingenzformel seiner Kampagne weiterhelfen.266 Globalisten, so Trump, gehe es um den ›Globus‹: »A globalist is a person that wants the globe to do well, frankly, not caring about our country so much. And you know what, we can’t have that.« (Zitiert nach Campoy 2018) Trump positioniert sich auf der Gegenseite, als ›Amerikanist‹, genauer gesagt als ›Nationalist‹, also als weißer Amerikaner, aber lassen wir diese von ihm als »rassistisch« bezeichnete Vermutung hier einmal außen vor (vgl. Fritze and Jackson 2018a), genau wie die anti-semitische Konnotation von ›Globalist‹ (mehr hierzu bei Campoy 2018). Nationalismus kann als um das Moment der Exklusion erweiterter Patriotismus definiert werden: »love of country combined with dislike of other countries, their peoples, or their cultures. Nationalism also extends to dislike of fellow citizens who are different […]« (Nowrasteh 2018). Da Trump den Globus – also Altruismus – notwendig verneint, lässt sich die Konstellation von darauf bezogenen Symbolen als ›Egoismus‹ begreifen, als Ich- bzw. USA-Sucht, Selbstsucht, Eigenliebe – und wenn man polemische Interessen hat, als Narzissmus.267 Der Nationalismus reagiert, genau wie Liberalismus und Sozialismus, auf den Umstand, dass die Gesellschaft seit der Umstellung auf funktionale Differenzierung Unzufriedenheiten und Proteste nicht mehr einfach als gegen die Ordnung gerichtet bekämpfen kann, weil Geburt (und damit Schichung) als Begründung für diese Ordnung nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. Luhmann 1997: 1054). Es handelt sich um elaborierte Formen, die es möglich machen, die Unzufriedenheit der Gesellschaft mit sich selbst auszudrücken und bessere Verhältnisse einzuklagen. Sie nahm von diesen Ideen Abschied, als sich herausstellte, dass ihre Realisierung – Gleichheit, Brüderlichkeit, mehr Geld für alle – eher zweifelhaft ist. »Ihr Scheitern«, notiert Luhmann, »wird in den Versuchen, sie zu realisieren, offenkundig.« (1997: 1054) Der Nationalismus Trumps (genau wie jener der Brexiteers) kehrt zu diesem Zukunftsoptimismus zurück, er stellt erneut bessere Verhältnisse in Aussicht, seine Wähler erwarten von ihm die Wiederherstellung amerikanischer Größe, die Gleichheit, Brüder-
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lichkeit, mehr Geld für alle nun allerdings nur mehr einer kleinen Gruppe zugesteht – den ›wahren‹ Amerikanern. Paradoxerweise kehrt dieser Nationalismus zur Schichtordnung und der durch Geburt vorherbestimmten Lebensschicksale zurück, weil er erneut a) Verwandtschaftsmerkmale (zum Beispiel Hautfarbe) in den Mittelpunkt stellt und b) nur den in den USA – rechtmäßig, also nicht nach illegalem Grenzübertritt – Geborenen die Teilnahme an diesen besseren Verhältnissen zugesteht. Es handelt sich bei diesem Anti-Globalismus also nicht um Nationalismus, sondern um den Versuch, die einst durch Schichtung garantierten Privilegien durch den Bezug auf eine Form zurückzuholen, die als Reaktion auf den Verlust dieser Privilegien entstand – schlichter: um dessen Pervertierung (im ursprünglichen Sinne von perversus: ›verdreht‹, ›verkehrt‹). Zwar hat Trumps Politik trotz all der rassistischen Untertöne bisher zu keinem ›ethnic cleansing‹ geführt, doch sie zwingt ihn zu etlichen politischen Entscheidungen, deren Folgen sich durch die Idee allein kaum rechtfertigen lassen. Das Handeln des patriotischen Nationalisten Trump hat uneingeschränkt – einzige Einschränkung: er selbst, aber das ist nicht kommunizierbar – den eigenen nationalen Vorteil zum Zweck. Er verzichtet darauf, diesen Vorteil als den Vorteil anderer zu begreifen, also auf eine ethische Legitimation – das würde seine Botschaft verkleinern. Es geht ihm, dem Normbrecher und Politkaskadeur, ja gerade darum, eine gewisse Rücksichtslosigkeit, ja Unanständigkeit zur Schau zu stellen, die er mit der jahrzehntelangen Benachteiligung Amerikas begründet, also dem Egoismus anderer. Auch diese Auffassung ist Teil des Arrangements, genau wie die Idee, dass Amerika sich Altruismus zurzeit einfach nicht leisten kann, weil es dem Land nicht gut geht, woran wiederum die Globalisten schuld sind. Dass die USA ein Teil dieser globalen Welt sind, gilt es zu invisibilisieren. Trump macht seine Anhänger glauben, dass die Globalisierung gestoppt werden könne: sie wird, genau wie der Klimaschutz, ein Problem der anderen und hört an der Grenze auf.268 Wer den Vorrang des einen über das andere behauptet, etwa den Vorrang der USA vor dem Rest der Welt, muss notwendig rücksichtslos sein – und die Person Trump führt diese Rücksichtslosigkeit auf, er performt sie in Worten und Taten, sie wird von seinen Anhängern erwartet. Nicht zuletzt passt sie zu seinen wirtschaftlichen Vorstellungen. In der Wirtschaft ist es üblich und sogar aus Sicht des Rechts akzeptabel, dass man anderen absichtlich Schaden zufügt – und es ist dieses ›Geschäftssprivileg‹, das Trump auch für seine an wirtschaftlichen Vorstellungen orientierte Politik in Anspruch nimmt. Hier könnte der Grund dafür liegen, dass Trump kaum einmal religiöse Motive und Themen heranzieht, denn für die re-
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ligiöse Semantik sind Gnade, Barmherzigkeit, Schonung wesentlich. Eine Schonung der Gegner Amerikas, etwa Chinas oder der illegalen Einwanderer, ist aber offenbar keine Alternative. Wie erwähnt war Jeff Sessions mit seinem Versuch, die Unbarmherzigkeit des Vorgehens der Regierung religiös zu begründen, wenig erfolgreich. Die religiöse Motivation des Terroristen imaginiert einen nahezu unschlagbaren Feind, während Trump von seiner eigenen Übermacht ausgeht. Doch in beiden Fällen greift der ›Feind‹ die Religion selbst an, und sei es die Zivilreligion eines weißen Amerika. Genau deshalb schließen Trump wie die Terroristen Möglichkeiten der Gnade aus, selbst wenn es um Kinder geht, also um Unschuldige. Auch die Terrorbekämpfung muss ja im Kampf auf Gnade verzichten: die bürgerlich-rechtliche Zivilgesellschaft intakt zu halten würde nur dem Feind in die Hände spielen (vgl. Fuchs 2004: 92 f.). In diesem Sinne kann sich auch der Kampf gegen den ›Globalismus‹ keine Rücksichtnahme leisten. Er lässt political correctness schlicht nicht zu – Ethik wird zu einem Zeitproblem: »I think the big problem this country has is being politically correct. I’ve been challenged by so many people and I don’t, frankly, have time for total political correctness. And to be honest with you, this country doesn’t have time, either.« (Trump, zitiert nach Malik 2018c) Die Person Trump kann als Verkörperung eines Verlusts begriffen werden. An ihr wird deutlich, dass die Einheit Moral und Manieren – dem, was wir ›gutes Benehmen‹ nennen – in Trümmern liegt. Es ist nachvollziehbar. Die neuen ethischen Anforderungen an die bürgerliche Moral sind hoch, sie überschreiten längst die Grenzen familialer, tribaler, lokaler Einheiten, die nur interne Moralbindungen kannten. Mehr und mehr müssen wir uns auf unbekannte andere einstellen, deren soziale Bindungen wir nicht kennen, und die als Flüchtlinge sogar das Recht in Anspruch nehmen, in unsere unmittelbare Nachbarschaft zu ziehen. So sehr die USA ihr Selbstverständnis aus der Idee einer Einwanderungsgemeinschaft beziehen, an dieser neuen globalen Wirklichkeit findet dieses Verständnis bei vielen ihrer Bürger seine Grenze – genau wie die ›gute Kinderstube‹: »White Christian males losing their place in the social order decided they’d do something to save themselves, and to heck with morality.« (Cohen 2018) Man kann hier ohne Bedenken von der Rückkehr der Barbarei sprechen, als deren Gegenseite sich die Zivilisiertheit begreift. Eine rücksichtsvolle Verhaltensweise, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen soll, scheint die Trump-Anhänger zu überfordern. Man setzt den Präferenzen klare soziale und territoriale Grenzen. Genau deshalb ist die Errichtung einer Mauer – jenseits der kommunikativ und auf der Gesetzes-
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ebene längst errichteten Befestigungsanlagen – für Trump von solcher Bedeutung, völlig unabhängig von der Frage der Effektivität. Effektiv ist die Mauer nicht im Hinblick auf eine mögliche Schutzfunktion vor Flüchtlingen, sondern gerade als Verkörperung von ›Inhumanität‹. Trumps Politik ist auch in dieser Hinsicht ein Widerhall vormoderner Zeiten (man denke an Indiens Kastensystem, das ebenfalls keine Moralansprüche über Kastenschranken hinweg kannte). Humanität hört an der Grenze auf: »Like it or not, these aren’t our kids.« (Brian Kilmeade, zitiert nach Hutzler 2018b)
Was tun? In dem eifrigen Bemühen der Massenmedien, die durch Trump sichtbar gewordene Kontingenz zurückzuweisen, liegt für den Beobachter durchaus etwas Panisches, Angsterfülltes, auch Hilfloses: »Sarah Sanders lügt […]. Das gehört sich nicht.« (Brian Krem, zitiert nach Holscher 2018)269 Es ist nicht nur die Erkenntnis ihrer Machtlosigkeit gegenüber denen, die ermächtigen bzw. Gesetze verabschieden. Es ist auch die Einsicht in die Machtlosigkeit des Arguments, wenn man so will: in die Grenzen der Aufklärung. Denn wer sich um das Überleben sorgt, und viele der TrumpWähler scheint diese Sorge umzutreiben, sei es das eigene Überleben angesichts von Arbeitslosigkeit, sei es das Überleben der großen amerikanischen Nation angesichts von Globalisierungsprozessen, der bringt kaum die Energie auf, die für das Ideal einer rationalen, der Wahrheit verpflichteten Debatte nötig ist. Die Aufklärer fordern unbeirrt, diese Debatte fortzusetzen, die Gegner argumentativ zu stellen, ›aufzustehen‹, sich tapfer zu widersetzen: »Wir müssen keine Helden sein, aber im Alltag muss man schon mutig werden.« (Heitmeyer, zitiert nach Gierke 2018a) Dieser Glaube an die kontingenzreduzierende Macht einer rationalen Debatte treibt zum Teil wunderbare Blüten. Wissenschaftler imaginieren einen in der Unterhaltung üblichen positiven Abschluss, entscheiden sich also gegen die ›künstlerische‹ Variante für den Erfolg der Hauptfiguren bzw. die Weltrettung: »Ich kann niemandem ein Happy End versprechen. Aber wenn wir couragiert für unsere Werte eintreten, dann können wir die Wahrscheinlichkeit eines Happy Ends stark erhöhen.« (Mounk, zitiert nach Gierke 2018b) Andere bemerken, während sie an das Stehvermögen appellieren, dass die Gesellschaft im Gegensatz zu einer Interaktion kein Außen hat: »It is important to learn to take a stand against them, to raise your voice and not be intimi-
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dated. And to leave when the relationship becomes too destructive. Which, unfortunately, we cannot do in this case.« (Wardetzki, zitiert nach TP 2018) Wie könnten wir, die Theoretiker, darauf reagieren? Anders. Anders als die Politik, anders als die Massenmedien. Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es nicht, Zuversicht zu spenden (vgl. Luhmann 2008d: 71). Oder ein bestimmtes Verhalten als unangemessen, ungehörig zurückzuweisen. Trump ist genau so wenig wegmoralisierbar wie Terror. Weder emotionale noch patriotische Betroffenheitsbekundungen können den ›Terroristen‹ Trump erreichen. Ein professioneller Umgang mit ihm ist geboten – genau wie ein moderner Arzt das Krebsgeschwulst im Körper seines Patienten nicht verfluchen, besprechen, einem Exorzismus unterziehen, kurzum: nicht ›in Moral machen‹ wird. Stattdessen gilt es, Zeithorizonte zu erweitern. Zu abstrahieren, also abzusehen. Auf Krebsmetaphern zu verzichten. Und bezogen auf Trump: Politik im Kontext ihrer gesellschaftlichen Realität zum Thema zu machen (vgl Luhmann 2011: 10). Jene Reflexionsleistungen mit Komplexität anzureichern, die sich in den gesellschaftlichen Systemen finden – sie in Luhmanns Worten ›aufzuladen‹. Etwa darauf hinzuweisen, dass es keinen Konsens braucht, um die Fortsetzung von Gesellschaft sicherzustellen. Dass dieses »Kulturprogramm« (Luhmann) im 21. Jahrhundert an seine Grenzen stößt. Dass Konsens ohnehin nur in der Form der Unterstellung operationalisierbar ist, weil die Köpfe ›außen zu‹ sind. Dass es sich deshalb empfiehlt, die Konsensfrage in der Schwebe zu lassen, und stattdessen pragmatisch zu agieren (vgl. Luhmann 2010: 441). Dass ein operativer Konsens in Form einer fiktiven Handlungsgrundlage, die vorsieht, dass man ihn besser nicht infrage stellt, völlig ausreicht.270 Dass die soziale Ordnung nicht auf einem Wertkonsens aufruht, auf einem Einverständnis über diese Ordnung, mögen Normen und Werte hier auch als »Sicherheitsspender fungieren (Luhmann 1984: 175). Dass man Verträge zwar halten kann, ihre Bindungswirkung sich aber keiner Norm verdankt, weil sie lediglich eine Rahmenbedingung für die Koordination von Selektionen darstellen, die sich selbst binden – etwas, das im Hinblick auf den vom Normbrecher Trump mit seinen Wählern geschlossenen Vertrag deutlich geworden sein dürfte. Er und seine Vertragspartner haben sich wechselseitig aufeinander eingelassen, einander benutzt, Alternativen verworfen – aber kaum auf die Norm pacta sunt servada bezogen, und das nicht nur, weil vermutlich weder Trump noch (ein Großteil) seine(r) Wähler des Lateinischen mächtig sind (vgl. Luhmann 1984: 176). Alles, was man benötigt, ist Zeit, ist der Anschluss an Selektionen, die als kontingent erfahren werden müsen, soll es weitergehen. Im Vertrag nimmt dieses ›Zusammen‹ Form an, andere Zusammenkünfte verfahren anders.
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Und nicht zuletzt gilt es darauf aufmerksam machen, dass Zeit nicht im Hinblick auf ein Happy End organisiert ist, dass sie kurz gesagt nicht Teleologie ist. Das erweist sich schon an der von Kurt Tucholsky in Reimform überführten Konvention Hollywoods: »Es wird nach einem happy end / im Film jewöhnlich abjeblendt.« (Tucholsky 2017: 93) Doch was passiert nach dem guten Ende? »Denn kocht sie Milch. / Die Milch looft üba. / Denn macht er Krach. / Denn weent sie drüba. / Denn wolln sich beede jänzlich trenn […]. Na, un denn –?« (Tucholsky 2017: 93) So verständlich es ist, dass mancher Wissenschaftler dem Publikum einen Übersprung zur eigenen personalen Identität bzw. Courage ermöglichen möchte – und nicht zuletzt den Vergleich mit anderen, weniger mutigen Charakteren (vgl. Luhmann 1996a: 101) – im Fall der Wissenschaft besteht das Publikum aus anderen Wissenschaftlern, und bei denen könnte die Absicht, eine Auflösung der Spannung in Aussicht zu stellen, genau das Gegenteil bewirken. Nicht einmal die Möglichkeit, die Kaiser Joseph II. einst per executive order aktualisierte (nämlich die im Wiener Burgtheater aufgeführten Stücke mit einem sogenannten »Wiener Schluss« zu versehen) steht in demokratischen Ländern noch zur Verfügung.271 Ich frage deshalb nicht nach der Lösung für die in diesem Buch untersuchten Systemkonflikte, danach, welche Schritte ›wir‹ ergreifen müssen, um ›unsere Freiheit‹ zu retten (vgl. Mounk 2018) – und schon gar nicht nach einem guten Ende. Das kann ich mir schon deshalb leisten, weil ich kein politisches Programm verfolge (das ohne Frage sein eigenes Recht hat und auch das Recht auf wissenschaftliche Unterstützung, vgl. Luhmann 1984: 537). Ich interessiere mich für die Normalisierung des Unwahrscheinlichen, für die Ausweitung von Horizonten, und im Rahmen eines solchen Theoriekonzepts sind Lösungen nicht mehr als Nebenprodukte der Konfliktreproduktion. Die Funktion der Wissenschaft ist es, Wissen zu schaffen, ihre Leistung: es der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Gewisse freiwillige Serviceleistungen sind damit aber keineswegs ausgeschlossen. Peter Fuchs spricht in diesem Zusammenhang von der »Verbindlichkeit« der Theorie (2002: 236 f.). Man kann also durchaus die Frage stellen: Wie lässt sich dieses Wissen anwenden, wenn einem die Realität nicht gefällt? *** Eine solche wissenschaftliche Zusatzleistung versucht Armin Nassehi in seinem Buch Die Wiedergewinnung des Politischen (2016) zu erbringen. Ich habe auf Nassehis Bestimmung der gegenwärtigen Lage in diesem Buch
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mehrfach Bezug genommen, die von einer Kompetenzkrise der Politik ausgeht. Dabei war die Ausdifferenzierung der Politik als autonomes System ursprünglich die Antwort auf eine Krise, sie diente dem Zweck, die sich in der Neuzeit verschärfenden religiösen und sozialen Konflikte zwar nicht zu lösen, aber doch in »tolerierbaren Grenzen« zu halten (vgl. Luhmann 2010: 439). Genau dieser Aufgabe kann sie heute nicht mehr nachkommen – sie ist selbst zum Problem geworden. Brauchen wir ein zweites politisches System, das nun dem ersten zur Hilfe eilt? Einer von Nassehis Vorschlägen lautet, Experten ins Spiel zu bringen: »Die Rückgewinnung des Politischen in der Sachdimension wird also womöglich eine erneuerte Form der Expertise benötigen, die mit kybernetischen Konzepten wie Kontrolle ohne Kontrollmöglichkeiten umgehen lernen muss.« (Nassehi 2016: 108) Ich würde sofort zustimmen. Die Einbeziehung selbstreferenzieller Verhältnisse ist in der Tat dringend geboten, will man eine angemessene Beschreibung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse vorlegen; etwa die Einsicht in den Umstand, dass es gerade die Beteiligung der Politik an der Erzeugung der Wirklichkeit ist, die für sie dann zum Problem wird. Das Problem ist, dass der Rat dieser Experten zwar teuer sein mag, aber zuletzt wenig taugt. Und das nicht nur, weil er von den Grenzen der Steuerbarkeit handelt und das Lob der Beobachtung singt. Denn sobald Expertenwissen in der Politik (oder anderen Funktionsbereichen) verwendet wird, gibt es wichtige Momente seiner Wissenschaftlichkeit auf. Mit anderen Worten, es wird Politik – und damit wiederum Gegenstand von Theorie. Luhmann spricht von »Eintrübung«.272 Theorie tauche »[…] aus den reinen Höhen der Theorie in die trübe Atmosphäre der Realität ein, wird dadurch abgelenkt, ausgewertet, reifiziert […]« (2011: 11). Das Expertenwissen muss in der Politik ja zu Ergebnissen führen können, es muss sich in kollektiv bindende Entscheidungen überführen lassen, während es in der Wissenschaft das Ergebnis ist. Zeitdruck spielt hier genauso eine Rolle wie die Notwendigkeit, komplexe Zusammenhänge – analog zur Notwendigkeit der Erzählbarkeit – zu vereinfachen. Während ich etwa auf den prekären Status des vorliegenden Textes verweisen kann, kommt diese Strategie für politische Experten nicht infrage; sie können ihre eigenen Entscheidungen kaum mit dem Hinweis auf die Unsicherheit allen Wissens begründen. Genau das, was unsere Resultate als Wissenschaftler gegen Kritik absichert, würde hier zum Gegenteil führen. Man kann von zwei völlig unterschiedlichen Anspruchsniveaus sprechen. Ein Wissenschaftler, der eine politische Entscheidung mit zu verantworten hat, dessen Entscheidungen also politikrelevant werden, muss ungleich größeren Anforderungen gerecht werden als einer,
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der ›frei‹ forscht. Ich habe diesen Aspekt im letzten Abschnitt des zweiten Teils im Zusammenhang mit der Frage der Risiken diskutiert. Umgekehrt treffen Politiker, die wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag geben, ihre Entscheidungen in der Regel unabhängig von den dort erzielten Resultaten: »Sie sind zum Beispiel mehr an Daten interessiert als an Entscheidungsvorschlägen.« (Luhmann 1992b: 647) Das können wir untersuchen und wiederum den Politikern mitteilen, womit das ganze Spiel von vorn beginnt. Der Vorschlag des Experten Nassehi lautet, die Funktionsbestimmung der Politik zu erweitern, und nicht erst in der Herstellung von kollektiv bindenden Entscheidungen zu suchen, sondern darin, diese Kollektivität durch entsprechende Adressierung erst herzustellen (vgl. Nassehi 2016: 37). Diesem Auftrag kann und will die Regierung Trump nicht nachkommen, da ihre Entscheidungen nicht das Kollektiv USA adressieren, sondern nur die Wählerschaft der ›echten Amerikaner‹ – an der kollektiven Zustimmungsfähigkeit oder der kollektiven Akzeptanz ist er gerade nicht (bzw. nicht mehr) interessiert, was wiederum die Bindungswirkung seiner Entscheidungen minimiert. Das wird beispielsweise im Widerstand einzelner Staaten gegen viele seiner Entscheidungen sichtbar, was zu einer weiteren Spaltung des Landes führen könnte, diesmal allerdings auf der Gesetzgebungsebene (vgl. Tabuchi 2018; Kasler 2018).273 Die Idee der Erweiterung ist auch hilfreich im Hinblick auf das Narrativ von der wiederherzustellenden »Greatness« Amerikas, das Trump der imagined community der echten Amerikaner anbietet. Diese Gemeinschaft ist, obwohl imaginiert, deshalb noch lange keine bloße Fantasie – sie muss nur fortlaufend durch entsprechende Erzählungen erneuert werden. Teil dieser Erzählung ist das Establishment, was wie erwähnt Trumps bisherige Misserfolge legitimiert (Stichwort »Rache der Clintons«), oder die Feindseligkeit der anderen Staaten gegenüber den USA. Gerade hier zeigt sich, warum Trump trotz seiner minimalen politischen Kenntnisse so erfolgreich ist: weil es in der Politik immer auch um die Fähigkeit geht, Narrationen herzustellen, die Bindungswirkung entfalten und Loyalität garantieren. Die sachliche Plausibilität spielt eine Rolle, ist aber nicht allein ausschlaggebend, denn zuletzt geht es nicht um die sachliche – etwa wissenschaftliche – Bewährung, sondern um die politische. Nassehi spricht vom »semantischen Anspruch« der Politik, der höher sei als die faktische Sachkompetenz (vgl. 2016: 43). Die Erzählungen Trumps, obwohl sie von Amerika handeln, halten nicht das ›Kollektiv USA‹ zusammen. Seine Politik ist nicht in der Lage, die föderative amerikanische Republik – als eine Art Bund selbstbewuss-
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ter Staaten – zusammenführen und zu vereinen. Es ist Sezessionspolitik. Auch hier enttäuscht Trump Erwartungen, bricht mit der Tradition – und begründet womöglich eine neue. Denn genau das wurde bisher von amerikanischen Präsidenten erwartet: innere Pluralitäten und kulturelle Unterschiede – nicht zuletzt durch ein grand american narrative – zu überwinden: »They heal. They unite. They inspire. It’s not exactly rocket science.« (Beschloss, zitiert nach New York Times Editorial Board 2018c) In diesem Sinne könnte man – darin Nordkorea folgend – der gegenwärtigen amerikanischen Regierung die Reife absprechen, da ihr die Balance zwischen sachlicher und sozialer Qualität nicht gelingt, was gleichermaßen die hohen Zustimmungswerte im Lager der Republikaner wie die historisch tiefen Zustimmungswerte aller Amerikaner erklärt. Im Narrativ Trumps finden sich seine Wähler wieder, aber es vermag nicht als soziales Band zu fungieren, das alle Amerikaner umfasst. Trump hebt die Arbeisteiligkeit des Erzählens, die wir durch die unterschiedlichen Parteien realisiert finden, auf die Regierungsebene, macht das Milieu, die Erfahrungen und Interessen seiner Wähler zu seiner ›Regierungserzählung‹. Was bisher den Parteien vorbehalten war, die Politisierung des Meinungsmarkts, findet sich auf der Seite der Staatsorganisation wieder, wodurch die etablierte Ordnung erheblich belastet wird. Man kann von einem Re-entry bzw. der Wiedereinführung der eigentlich ausgeschlossenen Varietät auf der Seite der Redundanz sprechen (vgl. Luhmann 2002: 215). Eine andere Frage ist, ob Trump mit seiner Sezessionspolitik ›instinktiv‹ auf ein Problem reagiert: den Umstand, dass sich das Territorium der USA gar nicht für die Bildung eines großen Nationalstaats eignet. Henry Adams hielt das Land – ich hatte es eingangs erwähnt – aufgrund seiner schieren Größe für unregierbar (vgl. De Shong 2016). Luhmanns Frage war, ob das nicht für die meisten Länder dieser Erde gilt (sein Gegenbeispiel: Japan, vgl. 1997: 1054). Doch erst die durch Trump sichtbar gewordene Spaltung in eine jeweils ›rote‹ und ›blaue‹ Nation führt nachdrücklich vor Augen, dass eine rein quantitative, auf Wahlverfahren gestützte Repräsentation womöglich nicht mehr ausreicht, »um die bestehenden Gegensätze in einem Territorialstaat nationaler Prägung zu überbrücken« (Luhmann 1997: 1055). Ein Land wie China ist hier eindeutig im Vorteil, denn gerade in demokratischen Ländern erweist sich nationale Einheit als kaum mehr durchsetzbar; das könnte, jenseits einer persönlichen Präferenz für sogenannte ›strongmen‹, Trumps Liebäugeln mit autoritären Regimes erklären. Aus dieser Perspektive kämpfen die westlichen Nationen gerade um ihr Überleben; die von den diversen rechts- wie linkspopulistischen Bewegungen angestrebten ethnisch homogenen Staaten (und die
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Liste der Sezessionsbestrebungen ist lang, allein in Europa finden sich neben Katalonien und Galizien mit Korsika, Sardinien, Venetien, den FaröerInseln, Korsika und Schottland etliche Teilgebiete, die souverän werden möchten, von den sogenannten De-facto-Sezessionen ganz zu schweigen) würden jedenfalls unweigerlich zu ökonomisch kaum überlebensfähigen Kleinsteinheiten führen (vgl. Luhmann 1997: 1055). Doch was aus Sicht der Wissenschaft dem Begriff der nationalen Identität die Plausibilität nimmt, trifft offenbar nicht für die vielen Individuen zu, die diese ›Übergangsidee‹ noch nicht aufzugeben bereit sind. Dass sie (zusammen mit einem ganzen Bündel anderer Semantiken) mehr Schaden als Nutzen stiftet und dass Politiker wie Trump, die sie in Anspruch nehmen, damit die zur Zeit nötigen Einsichten blockieren, lässt sich aber ohne große Mühe beobachten (vgl. Luhmann 1997: 1055). Ein wichtiges Element des Trump’schen Narrativs ist die Kritik an den politischen Eliten. Tatsächlich sind diese Eliten ja viel eher in der Lage die Sachebene der Politik zu bewältigen als demokratisch (also durch das Volk) in Amt und Würden gebrachte Politiker. Die chinesischen Medien ließen es sich nicht nehmen, auf diesen Umstand im Zusammenhang mit der heimischen Variante von Pop Idol hinzuweisen, der Talentshow Super Girl. »How come an imitation of a democratic system ends up selecting the singer who has the least ability to carry a tune?« fragte etwa China’s Daily, die größte englischsprachige Tageszeitung des Landes, anläßlich des Sieges der Kandidatin Li Yuchun (zitiert nach Macartney 2005). Inwiefern das Verfahren der Wahlgleicheit Anspruch darauf erheben kann, die beste Option zur Auswahl von Popstars zu sein, sei dahingestellt (Oliver Jahraus beantwortet diese Frage mit einem klaren ›Nein‹: »Das Publikum wählt einen aus seinen Reihen zum Star. Ja, was will denn das für ein Star werden, der aus solchen Reihen kommt und nicht, wie Madonna, vom Himmel fällt.« Jahraus 2009); dass es im Hinblick auf die Nominierung politischer Führer Mängel aufweist, ist offenkundig. Siehe hierzu erneut Bell, der den liberalen Demokratien rät, von der Einparteiendiktatur Chinas zu lernen: »A society that does not have its best men at the head of its leading institutions is a sociological and moral absurdity.« (2015: 2) Trumps Kritik an den Eliten zielt auf dieses ›chinesische Modell‹ (und wie Armin Nassehi gezeigt hat, arbeiten auch die deutschen Rechtspopulisten mit ihm, 2016: 45) – und die Nominierung Hillary Clintons als Präsidentschaftskandidatin ließ diese Kritik überaus plausibel erscheinen. Sie ermöglichte ihm im gleichen Moment die Rechtfertigung seiner eigenen Kandidatur, als eines nicht zur politischen Elite gehörenden Außen-
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seiters. Dass er die Abkopplung des Staates vom Volk bzw. der demokratischen Willensbildung rückgängig machen werde, dafür stand sein Vertrag ein, als ein in vermeintlich rechtliche Form gegossenes und damit einklagbares Versprechen der Wiederherstellung des Machtkreislaufs zwischen Politik und Bevölkerung. Die Frage, wie man die Komplexität der Verhältnisse sichtbar machen kann, auf die Nassehi als Experte und Regierungsberater eine Antwort finden müsste, stellt den Forscher vor allergrößte Schwierigkeiten. Es ist ein weiter Weg für die Wissenschaft von den eigenen Anprüchen zur Schlagkraft eines »America First«. Diese Erzählung war gerade deshalb so erfolgreich, weil sie komplexe Zusammenhänge in einfachen Kategorien darzustellen vermochte. Fremde, Flüchtlinge, Muslime werden darin als Verantwortliche adressierbar, mehr noch, weisen mit einem Mal »eine Form von Sichtbarkeit« auf, so Armin Nassehi, »die der Gesellschaft sonst verlorengegangen ist.« (Vgl. 2016: 85) Die Komplexität der Welt wird auf illegitime Interessen reduziert, auch auf die unsichtbarer Gruppen (unfaire Länder, gierige Manager, korrupte Politiker, kriminelle Nutznießer von Sozialleistungen, »Lügenpresse« etc.). Mag die Flüchtlingskrise nüchtern betrachtet eher eine logistische Herausforderung darstellen, die Geschichte einer kulturellen Bedrohung ist ohne Frage spannender (vgl. Nassehi 2016: 87). Diesem einfachen Denken hat eine systemtheoretische Analyse wie diese mit ihrer »zugleich heuristisch-expansiven und zersetzenden Orientierungsmethode, die sehr rasch zu komplizierten, relationalen und unanschaulichen Vorstellungen führt« (Luhmann 1999: 383) wenig entgegenzusetzen. Interessanterweise stimmen die meisten wissenschaftlichen Beobachter darin überein, dass man sich an den Geschichtenerzählern ein Beispiel nehmen soll – und dass die Populisten im Geschichtenerzählen »bis jetzt am besten« sind.274 Mehr noch, viele fordern sogar, die von den Populisten verwendeten Schlagworte zu übernehmen: »Wir Liberalen dürfen Begriffe wie Heimat, Heimatliebe, Patriotismus nicht den Rechten und Populisten überlassen, wir müssen sie für uns besetzen.« (Garton Ash, zitiert nach Hoffmann 2018) Auch das »halbwilde Biest« (Sacha Mounk) des Nationalismus gelte es für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen: »Wir müssen uns stärker auf diese kollektive Identität besinnen – sie dabei aber auf offene Weise prägen. Wir müssen sagen: Ja, wir haben etwas gemeinsam als Deutsche. Aber nicht nur als Biodeutsche, sondern als Deutsche, egal ob sie aus der Türkei, Nigeria oder Korea stammen. Egal, ob sie christlich oder muslimisch oder jüdisch oder hinduistisch oder gar nicht religiös sind. Es gibt etwas, das uns vereint.« (Mounk, zitiert nach Gierke 2018b) Die-
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ser ›gute Nationalismus‹ erweist sich als anschlussfähige Differenz: »Wir brauchen einen Sinn der nationalen Identität, die zugleich liberal definiert ist.« (Fukuyama, zitiert nach Scheu 2018) Doch die Gesellschaft ist keine Organisation – und selbst Organisationen sind nur begrenzt steuerungsfähig. Beherzigen wir den Ratschlag des Organisationsexperten Karl E. Weick (1977): Es geht nicht nur darum, was man tun könnte und was überhaupt getan werden kann – sondern auch darum, was nicht getan werden kann. Und auf diese Überlegungen bezogen: um das, was ich in meiner Rolle als Wissenschaftler nicht tun kann. In meinem Privatleben kann ich dem Traum von einer gerechten Gesellschaft nachhängen; und es spricht auch nichts dagegen, als Wissenschaftler der Politik bei der Gestaltung bestimmter Programme behilflich zu sein – die Frage etwa, wie sich Gewalt verringern lässt, ohne dass darunter die politische Ordnungsleistung leidet, ist aller Ehren wert (vgl. Luhmann 1984: 537). Aber aus meiner Sicht gilt eher der von Nassehi in seinem Buch formulierte Schlusssatz: »Erzählbarkeit ist nicht die Lösung, sondern das Problem.« (2016: 101) Anstatt den Bedürfnissen nach Simplifikation nachzugeben und Gewissheiten zu vermitteln, sollten wir uns weiterhin der Aufgabe widmen, zu verunsichern, zu stören und vielleicht sogar zu zerstören (wenn auch im Sinne Derridas), und den Selbstsimplifikationen etwa der Politik mit Verfahren der Komplexitätssteigerung begegnen, die ihr selbst nicht zur Verfügung stehen, die auch ihrer Selbsterfahrung nicht gerecht werden – und schon gar nicht jener der beteiligten Politiker. Es gilt im Gegenteil gerade, intuitive Evidenzen zu sabotieren, vor allem aber den Selbstdarstellungen der Systeme nicht zu glauben, wenn man so will: gleichermaßen verbindlich wie taktlos zu agieren (vgl. Luhmann 1984: 88) und alle Lösungen dem Vergleich auszusetzen – von »America First« bis hin zu ›Verfassung‹ und ›Demokratie‹ und ›Heimat‹. Ohne Rücksicht darauf, ob die Politik selbst etwas damit anfangen kann. Damit ist Verständigung aber natürlich nicht ausgeschlossen. So lässt sich der Begriff der ›Heimat‹ durchaus in anderer Richtung nutzbar machen: nämlich als Aufforderung, der Gefühlskomponente des menschlichen Erlebens in den legalen Institutionen ein Zuhause zu schaffen (vgl. Luhmann 1999: 380). Bisher hat man sie dort abgewiesen, weshalb sie sich woanders umsehen musste – in jenen aus emotionalen Gegenstrukturen resultierenden Kleingruppen, die sich mitunter zu sozialen Bewegungen formen, die dann zwar »in sich selbst gefühlsmäßig stabilisiert sind, sich aber an den Forderungen der formalen Organisation […] ständig reiben und damit ihre negativen Gefühlskomponenten gegen die formale Ord-
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nung oder ihre sichtbaren Verrteter kehren« (Luhmann 1999: 380). Dass die Lösung Trumps – die Rückkehr zur Diffusität einer Interessengemeinschaft – keine, ist, habe ich zu zeigen versucht. Welche anderen Möglichkeiten der Kompensation stehen zur Verfü gung? Offenbar ist der Einzelmensch nicht in der Lage, auf die Systemautonomie der Politik mit eigener Autonomie zu reagieren. Bisher hat ihn »das Bukett sozialer Leistungen« (Luhmann 1999: 381) besänftigt, mögen sie ihm auch nicht jene Erlebnissicherheit gewährt haben, die er am Stammtisch, in seiner filter bubble oder in einer ›Bewegung‹ findet (in der jede Handbewegung »einen besonderen Sinn« hat, so zumindest Tocotronic in Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, vgl. Heidingsfelder 2012: 502). Luhmanns Vorschlag war, die affektiven Stabilisierungsleistungen der Gefühle durch »Elastizität und Indifferenz« zu ersetzen, und derart kontrollieren zu können, wo intensives Erleben am Platz ist – und wo nicht (vgl. Luhmann 1999: 381). Angesichts der Situation, der wir uns heute gegenübersehen, klingt dieser Vorschlag, der nicht zufällig die ›antiken Glückslehren‹ bemüht, fast ein wenig zynisch. Die im selben Abschnitt erwähnte Lösung von Chapples und Sayles ist ähnlich unrealistisch: den Frustrierten nahezulegen, doch die eigene Frustration zu kultivieren, um einen »more sophisticated state of frustration« zu erreichen (1961: 201). Abgesehen davon sind die Erfolgsaussichten derartiger Einzelmotivierungen wie schon mehrfach erwähnt recht bescheiden. Hilfreicher könnte ein erneuter Blick auf das Verhältnis von Politik und Wissenschaft sein. Schließlich haben politische Vorstellungen über Politik, Demokratie, den Rechtsstaat usw. allesamt ein theoretisches Fundament. Theorie war dabei behilflich, sie in Politik einzuführen (vgl. Luhmann 2011: 11). Luhmann weist auf die Entstehung des neuzeitlichen Staates in Europa hin. Auch die amerikanische Verfassung lässt sich als Resultat dieser Verarbeitungsprozesse deuten. Gerade weil unsere Institutionen in diesem Sinne Relikte solcher Prozesse darstellen, so Luhmann, bedürfen sie deshalb von Zeit zu Zeit politischer Re-Reflexion.275 Nicht zuletzt ist die durch Trump wieder aktuell gewordene Frage politischer Herrschaft ein Ergebnis solcher Prozesse. Erst die – politische – Reaktion auf die unterschiedlichen Herrschaftstheorien haben unsere moderne Wirklichkeit geformt, in der wir nicht mehr zwischen guten und schlechten (despotischen) Herrschern unterscheiden. Gewiss, die Massenmedien unterscheiden nach wie vor so, nämlich moralisch. Und auch die politische Rhetorik benutzt weiterhin moralische Unterscheidungen. Aber die Politik selbst löst das Problem der Herrschaft anders. Ob diese Lösungen in der Lage sind, einen Trump in Schach zu halten, hat mich in diesem Buch mehr-
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fach beschäftigt – und beschäftigt die amerikanische Öffentlichkeit, sofern Trump zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch im Amt sein sollte, nach wie vor. »An American President is not some tribal chief, ruling by personal charisma and brute force«, so etwa David Frum. »He (or sometimes she) works through systems …« (Frum 2018) Wenn sich amerikanische Politik selbst beschreibt, bezieht sie sich deshalb auf die Verfassung, nicht auf den Präsidenten, nicht auf die »Willkürkomponente« an der Spitze der USA (vgl. Luhmann 2011: 12). Dass es Trump hier und da gelungen ist, seine nostalgischen Vorstellungen von Herrschaft durchzusetzen, verdankt er den Defiziten der Verfassung, der wohl wichtigsten ›Schwachstelle‹, die Trump für seine Zwecke auszunutzen weiß, jenseits der anderen von David Frum angeführten weaknesses (vgl. Frum 2018). Denn: »Article II, Section I of the Constitution provides that ›(t)he executive power shall be vested in a President of the United States of America.‹ And that’s mostly it, as far as the Constitution goes.« (Cevallos 2018) Das heißt natürlich keineswegs, dass Trump tun kann, was er für richtig hält, wie er gewohnt provokant formuliert, sieht die Verfassung doch nicht nur externe Beschränkungen in Form von gewissen Grundrechten (Waffenbesitz, Geburtsrecht usw.), sondern auch interne Beschränkungen wie die Teilung der Gewalt vor. Die Idee ist, die Willkür des Herrschers mit Hilfe von Verfahrensregeln einzufangen. Herrschaft wird auf den Weg des Rechts gelenkt, ein Staatsorgan nimmt dem anderen Entscheidungen nur dann ab, wenn sie rechtmäßig sind. Doch wer überwacht diese in Rechtsform übertragene Verteilung der Entscheidungslasten, diese »Prätention« (Luhmann)? Allein die Justiz bzw. die Gerichte und die öffentliche Meinung sind dazu in der Lage (vgl. Luhmann 2002: 213, 390; 2011: 12). Aus Sicht der Massenmedien kommt noch ein anderes Moment hinzu, das man Tradition nennen könnte: »Even if the White House has a good faith belief that birthright citizenship is based on the public’s, and the Supreme Court’s, misinterpretation of the constitution, it’s pretty clear the rest of the country has operated for hundreds of years in reliance on birthright citizenship.« (2015) Man ist sich zwar einerseits weitgehend darüber einig, dass die Verfassung der USA einer Generalüberholung bedarf, weil die ihr zugrunde liegenden Theorien lang versunkenen Zeiten entstammen, mithin einer erneuten politischen Interpretation bedürfen (vgl. Luhmann 2011: 108); andererseits wird sie sowohl von den Demokraten wie den Republikanern als ›sakrosankt‹ oder in der Terminologie der Systemtheorie, als nicht-negierbar aufgefasst. Mit Monty Python: »Constitutional amendments are a dead parrot.« (Grier 2015) In diesem Sinne sind sind die »Möglichkeiten verfassungsrechtlicher Anpassungen an Ver-
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änderungen im politischen System und in der Gesellschaft eher […] gering« (Luhmann 2002: 356). Auch der wesentlich jüngeren deutsche Verfassung würde eine nochmalige, bestimmte Begriffe, Meinungen und Resultate der Theorie bzw. der Wissenschaft berücksichtigende Deutung (Stichwort Autopoiesis) gut tun. Nur ist der Revisionsbedarf der »republikanischen« amerikanischen Verfassung ungleich größer, nicht nur im Hinblick auf Fragen der Willkürkontrolle. »The constitution is not on our side«, so selbst der Befund der Late Night Shows. »Bush the 2nd and Trump both lost the popular vote. They shouldn’t be picking supreme court justices at all.« (Bill Maher, zitiert nach Hareetz 2018) Ich habe mich weiter oben nicht zufällig auf einen Begriff aus der Zeit der Römischen Republik bezogen. Allein der Umstand, dass amerikanische Minister mit ›Senator‹ angesprochen werden, nicht nur auf Bundesebene, ist eine Kuriosität, die zu denken gibt (wobei die Bezeichnung auf die GOP mehr oder weniger zutrifft, leitet sie sich doch von ›senex‹ her, was Greis, Greisin, alter Mann, alte Frau bedeutet und für Menschen reserviert war, die das sechzigste Jahr überschritten hatten). Nur Innovator-Imperator Trump schreckt bekanntlich nicht vor der Infragestellung der Verfassung zurück und demonstriert damit einmal mehr, dass er der deviant-in-chief ist. Dabei kommt ihm der Umstand zugute, dass die amerikanische Verfassung nicht nur aus geschriebenen, sondern auch aus ungeschriebenen Gesetzen besteht – jenen im ersten Teil dieses Buches behandelten Weisungen, die man Normen nennt. »The written provisions of our constitutional structure«, führt Daphna Renan in einem Text für Harvard Law Review aus, der als Antwort der Rechtswissenschaft auf Trumps fortwährende Normbrüche begriffen werden kann, »do not, by themselves, offer a sufficiently thick network of understandings to create a workable government. Rather, those understandings are supplied by norm-governed practices. Presidential power is both augmented and constrained by these unwritten rules. […] Norms, however, cannot be understood in contrast to a fixed constitutional structure. Rather, norms bring into view the provisional nature of our constitutional order itself.« (2018: 2188) Eine Verfassung versucht, Vorsorge zu treffen, und zwar ›für alle Fälle‹, was technisch gesehen unmöglich ist, weshalb man sie auch als provisorisches Provisorium bezeichnen könnte: als vorläufige Vorsorge. Wäre die amerikanische Verfassung ein Gebäude, es gliche weniger dem Weißen Haus als vielmehr einer Wellblechütte. Ihre wohl wichtigsten Bauteile: die Idee der (demokratischen) Wahl und die Zeitbefristung der Amtsausübung. Ganz unter Kontrolle bringen, vollständig rechtlich einfangen lässt sich
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das »Moment letzter, souveräner Willkür« (Luhmann) aber nicht – nur »unter das Gebot von Rücksichten im eigenen politischen Interesse« (Luhmann 2011: 12) bringen. In Zeiten der Rücksichtslosigkeit tritt der provisorische Charakter der Verfassung deutlich zutage: »Norms of judicial independence rest on expectations of iterative play among fundamentally legitimate political rivals – understandings that appear increasingly fragile. Meanwhile, the failure of Congress to reinforce norms of presidential governance puts added strain on longstanding norms of judicial deference.« (Renan 2018: 2281) Um Max Weber zu paraphrasieren: Und wie immer Grund und Art der Verbindlichkeit verfassungsrechtlicher Imperative gedeutet werden mag, sicher ist, dass aus ihnen, als aus Normen für das konkret bedingte Handeln des Politikers, keine Inhalte als gesollt eindeutig deduzierbar sind (1982: 30). Institutions are mortal – sie sind untergangsfähig, wie alles andere auch, und das Einzige, was diese Strukturen von relativer Haltbarkeit vor dem Untergang bewahrt, ist ihre fortwährende Erneuerung in der Gegenwart (darauf zielt Paul Valérys berühmt gewordene Desillusionierung, die er in La Crise de L’Esprit formulierte, vgl. Valéry 1956). Diese Einsicht in die Fragilität oder Instabilität der Institutionen wie der großen Zivilisationen, die sie hervorgebracht haben, kann man historisches Bewusstsein nennen. Es ist das Wissen darum, dass die Stabilität der großen sozialen Einheiten von der fortwährenden Erneuerung ihrer Elemente abhängt (vgl. Luhmann 1984: 79). Auch diese Produktion ist reflexiv; aber nicht, weil Menschen operativ daran beteiligt sind, auch wenn sie natürlich für das Fortbestehen von Politik, Recht usw. essenzielle Bedeutung haben, sondern weil sie sich als ›Produktion aus Produkten‹ auf sich selbst bezieht. (Ein Reproduk tionsverständnis, das laut Luhmann bereits lange vor Marx eingeführt wurde und insofern ebenfalls auf eine gewisse Tradition verweisen kann, vgl. Luhmann 1984: 94.) Kurzum, Politik oder Recht können sich per definitionem gar nicht unverändert erhalten, sie sind nicht statisch, sondern sie kombinieren Stabilität und Instabilität (vgl. Luhmann 1984: 80). Oder wie Luhmann unnachahmlich formuliert: »Aus ›Unveränderlichkeit‹ lassen sich keine Priviliegien ableiten.« (1984: 471). Das gilt für Diktaturen, Demokratien und unser Privatleben gleichermaßen. Diese Differenz, die für die dynamische Stabilität der Erwartungsordnung verantwortlich ist, lässt sich auch als Kombination von Geschichte und Moral, oder – weniger abstrakt – als Kombination von Bewährtem und Gesolltem begreifen (vgl. Luhmann 2008b: 29). Man kann sich einerseits an das halten, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, und andererseits an die erwähnten Werte; beide bieten Orientierungshilfe und gestatten es,
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trotz aller Unsicherheiten, die mit allem Erwarten verbundenen Risiken sozusagen aushaltbar zu machen. Chronologisch formuliert: erst kommt die soziale Übereinkunft, die Stabilisierung von Erwartungen, mit der eine enorme Steigerung adaptiver Fähigkeiten der Gesellschaft einhergeht; anschließend kann man sich gegen diese wenden, etwa gegen die Erwartung der Gleichberechtigung, der Demokratie usw., sie zu destabilisieren und in eine neue Erwartungsordnung zu überführen versuchen. Es mag ernüchternd klingen, aber die von den Beamten der amerikanischen Institutionen angestrebte Erneuerung des Rechts und der Politik angesichts der Bedrohung, die für sie vom neuen amerikanischen Präsidenten und seiner Regierung ausgeht, kann nur als Irritation auf die (automatische) Eigendynamik dieser Bereiche einwirken. Was sie trösten sollte: für die disruptive innovation Trump gilt das Gleiche (zum Begriff der ›disruptive innovation‹, siehe Christensen und Raynor 2003).
Irrationalität I: Gefühle Mit Theorie lässt sich also Politik machen. Allerdings geht die politische Verwendung der wissenschaftlichen Bemühungen doch weit über sie hinaus. Bleiben wir also bei unseren ›Leisten‹: bei dem, was die Wissenschaft zur Analyse der Gegenwart beitragen kann. Was Not tut, scheint eine Theorie der ›kommunikativen Irrationalität‹ zu sein, die also nicht mehr auf Konsenssuche als Prämisse abstellt, sondern sich dem widmet, was als deren Außenseite die Bildung einer unemotionalen, rationalen Logik der Entscheidungsbildung und Konfliktlösung gefördert hat.276 Die Negation der Irrationalität war die Voraussetzung für die Institutionalisierung der Rationalität in Form von Politik, Recht, Wissenschaft usw. – ein Prozess, den man als ›Zivilisierung‹ beschreiben kann. Doch unsere Selbsterzählungen von der sogenannten Aufklärung, von dem Versuch, Gesellschaft über Vernunft zu gestalten, lenken davon ab, dass wir die Gegenbegrifflichkeit der Rationalität nie wirklich hinter uns gelassen haben. Ist Trump die moderne Variante des Lügenbarons Münchhausen? Und welche Rolle spielt die Liebe seiner Anhänger zu ihm, auf die er immer wieder hinweist? Warum bezieht er sich auf eine Art Wahn – und nicht etwa auf Vernunft? Mit der kann die Liebe zwar kaum konkurrieren. Aber sie kann gleichsam eigene Vernuftgründe geltend machen, während es mit der Liebesfähigkeit der Vernunft nicht weit her ist (vgl. Luhmann 1994a:
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119 ff.). Hat die Gesellschaft die vernünftige Kontrolle über die Politik aufzugeben? Zumindest während seiner Rallies erreicht Trump das, was man ›totale Sinngebung‹ nennen könnte – hier sind jene Erfüllungen möglich, die nur die Liebe zu bieten hat. Gegen sie sieht jedes Argument alt aus. Noch die rhetorische Brillanz eines Obama erweist sich im Vergleich zu ihr als Ladenhüter. Ganz unabhängig von den durch Trump oder den Brexit sichtbar gewordenen Phänomenen hat die Soziologie der Reichweite des Arguments und der Konsenssuche bisher allzu viel Kraft zugebilligt. Dass es gar nicht so leicht ist, diesen freien Austausch hinzubekommen, ja dass es mit seiner Freiheit nicht weit her sein könnte, wurde zuletzt immer deutlicher. In der guten alten Zeit konnte man sich einfach auf die vorhandene Tugend des Staatsbürgers beziehen; diese Möglichkeit steht uns heute nicht mehr zur Verfügung, viele Bürger haben ihre Tugend aufgegeben. Auch die Alternative scheint auszufallen: sich den besseren Argumenten zu überlassen. Argumente können in dieser Lage offenbar kaum noch etwas ausrichten: »Für ihre Gründe verlangt die Liebe den Vorrang.« (Luhmann 1994a: 121) Und der wird nicht begründet, sondern schlicht behauptet. Was immer die Zustimmung des Partners findet, ist erlaubt, mag es anderen auch schaden. Hier zeigt sich die Bedeutung von Liebe als eines gegenstrukturell gebildeten Mediums: Sie bietet Schutz und Halt gegenüber den dominanten Merkmalen der modernen globalen, liberalen Gesellschaft, gegenüber den Zwängen der Gleichberechtigung, der politischen Korrektheit, der Forderung nach rationalen Debatten und der Idee, dass der Geltungsanspruch einer Aussage jederzeit und überall in einen Konsens soll überführt werden können (vgl. Luhmann 1997: 987). Die Hoffnung der Aufklärung war, dass die Gesellschaft immer vernünftiger wird: »demokratisch in der Politik, kooperativ in der Wirtschaft, aufgeklärt in der Religion, taktvoll in der Liebe, ästhetisch in der Kunst und rational in der Wissenschaft« (Baecker 2008: 608). In all diesen Bereichen hat sich zuletzt gezeigt, dass diese Hoffnung naiv war. Trump repräsentiert die Rückkehr der Realität, das Ende des Traums von einer Aufklärung, die Leute und Strukturen vernünftiger werden lässt. Erleben wir zurzeit die Wiederkehr des Verdrängten bzw. in andere Bereiche – Kunst, Liebe – Abgedrängten? Es scheint so, als verschafften sich irrationale psychische Funktionen auf fast schon brutale Weise Zugang zu den Systemen. Denn wer sich um das Überleben sorgt, und viele der Trump-Wähler scheint diese Sorge umzutreiben, sei es das eigene Überleben angesichts von Arbeitslosigkeit, sei es das Überleben der großen amerikanischen Nation angesichts von Globalisierungsprozessen, der bringt kaum die Energie auf, die
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für das Ideal einer rationalen, der Wahrheit verpflichteten Debatte nötig ist – der findet seine Sicherheit vor allem: im Gefühl. Es mag eine trügerische Sicherheit sein, aber sie fühlt sich nicht so an. Die Vernunft hat in der Moderne schlechte Karten, wenn es darum geht, Eindeutigkeit herzustellen. Ihr Gegenpart, als einer – mit Leibniz – ›konfusen Kognition‹, hat wesentlich größere Bindungskräfte (vgl. Leibniz 1996: 33 ff.). Das Gefühl scheint nicht unter dieses Verdikt einer Bestreitbarkeit zu fallen. Mit Paul Valéry lässt es sich fassen als »Vergessen von allem, was nicht es selbst ist« (Valéry 1990: 559). Und genau das ›ist‹ es: das Gefühl ist, und zwar das, was es ist, während alles andere nicht ist bzw. auch anders sein kann. Anstatt uns über die Wählbarkeit von zahlreichen Alternativen zu freuen, wenden viele von uns sich lieber der Gewissheit des Fühlens zu. Es ist die letzte Zuflucht, der einzige Garant von Weltsicherheit, der uns Heutigen geblieben ist. »Das Gefühl ist dann von ›Natur aus‹ echt, authentisch, vital, unbestreitbar. Es ist einfach wahr und wahrlich einfach und kann höchstens […] ironisch gebrochen werden und intellektueller Verheerung anheimfallen.« (Fuchs 2004: 21) In diesem Sinne können Gefühle als eine Art Immunsystem des Bewusstseins begriffen werden – und die Krise, auf die sie reagieren, ist die soziale Allkontingenz. Wer von Gefühlen spricht, spricht immer auch vom Körper, an dem sie sich zeigen.277 Ohne Referenz auf den Körper lassen sich Gefühle schließlich kaum thematisieren. Das war die These von William James, der das Gedankenexperiment vorschlug, sich jeden Bezug von Gefühlen auf Körper wegzudenken. Ergebnis: Es bleibt nichts von ihnen übrig, »a cold and neutral state of intellectual perception is all that remains.« (2012: 7) Der Körperbezug kann uns Auskunft über die eigenartige Hartnäckigkeit geben, mit der wir an liebgewonnenen Überzeugungen festhalten – auch auf die Gefahr hin, die Realität zugunsten dieser Überzeugungen zu verleugnen. Gerade im Fall der normativen Amplifikation von Erwartungen zu Ansprüchen spielt der Körper eine entscheidende Rolle. Die Abwehrmechanismen, die in Gang kommen, wenn wir mit unangenehmen, unsere Überzeugungen und unsere mühsam befestigte Identität bedrohenden Wahrheiten – sogenannte counter-evidence, man könnte auch von alternative facts sprechen – konfrontiert werden, gleichen offenbar denen, die im Fall von körperlichen, unser Leben bedrohenden Attacken wirksam werden (vgl. Kaplan et al. 2016). Aus dieser Perspektive erscheint für viele wertkonservative Amerikaner auch die – äußerst gefühlsbetonte – #metoo-Debatte als ernstzunehmende Bedrohung, weil sie die Kontingenz verstärkt, und ohnehin unsichere Verhältnisse noch unsicherer erscheinen lässt, während sie die andere Seite mit Identitätsfestigkeit und Gewissheit versorgt.
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Dass man eher nach evidence Ausschau hält, die die eigenen Erwartungen und Überzeugungen bestätigt, ist noch nichts Ungewöhnliches. Hier werden unsere individuellen Filtermechanismen wirksam, tritt eine Art persönlicher Algorithmus in Kraft.278 Doch deshalb jede counter-evidence zurückzuweisen: Das ist nicht normal, mit Barack Obama zu sprechen. Aber andererseits auch gerechtfertigt, denn: »These are extraordinary times. And they’re dangerous times.« (Zitiert nach Haltiwanger 2018) Gefährlich sind diese Zeiten deshalb, weil die Aktivierung von Gefühlen auf Kosten eines der wichtigsten Mechanismen der Konfliktorganisation geht. Denn »sobald der Streit aus dem Gegensatz der Gefühle oder der Wollungen oder der unbeweisbaren, nur gefühlsmäßig anerkennbaren Axiome in die theoretische Diskussion übergegangen ist, muß er prinzipiell beigelegt werden können« (Simmel 1989: 598). Doch dieser Übergang ist in den USA zurzeit blockiert. Die stereotype Negativbewertung des anderen Lagers – hier: Elite, dort: Idioten – erleichtert, entlastet, fixiert und verharmlost Gefühle und erfüllt in dieser Hinsicht eine positive Funktion. Während die Trump-Gegner sich immerhin bemühen, trotz ihrer Abneigung Argumente geltend zu machen (wie es ihr Selbstverständnis als rationale Akteure vorsieht, vgl. Heer 2016, Lerner 2016, Azarian 2017, Flowers 2017), können die TrumpAnhänger die Negativbilder und Stereotype offenbar nicht aufgeben. Sie bleiben deshalb so vage und verschwommen, wie es das Konzept der ›diffusen Kognition‹ vorsieht. Aus Fakten werden Feel Facts: »Which aren’t technically facts, but they just feel true.«279 Sie werden gerade nicht ins Nachprüfbare operationalisiert, weil dann ihre innere Widersprüchlichkeit offen zutage treten würde. »Das Bild stellt sich dem Test der Wirklichkeit nicht.« (Luhmann 2010: 387) Auf diese Weise wird es gegen Widerlegung durch Logik gesichert. Denn genau darum geht es: es darf sich diesem Test nicht stellen. Man kann Trump-Anhänger deshalb nicht mehr überzeugen. ›Mindfulness‹ ist für sie keine Option, weil sie Optionen steigert. Seine Wähler sind Trump gerade dankbar dafür, dass er ihnen hilft to misestimate, misunderstand, and misspecify the situation the USA are in – alles andere wäre zu schmerzhaft. Er hilft ihnen mit Vereinfachungen, die music to their ears sind – er lädt sie ein, der Vereinfachung nachzugeben. »Resistance to simplification« ist zu kostenintensiv. Auch der Rat an die Amerikaner, den Verlust ihrer Vormachtstellung mit Würde hinzunehmen, ja mit Haltung zu fallen, also eine Art savoir mourir an den Tag zu legen, dürfte wenig helfen. Es gehört zum amerikanischen Glauben, wieder aufstehen zu müssen – und sei es: als Zombie. Einen »Abstieg in Würde«, wie ihn Beobachter in Japan am Werk sehen, ist von den USA deshalb nicht zu erwarten (2018).
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Hier könnte der tiefere psychosoziale Grund für die Popularität des Genres liegen: das Wieder-Aufstehen um jeden Preis gebiert notwendig Untote. Da man sich den eigenen Tod nicht eingestehen kann und Verlieren keine Option darstellt, wählt man, um sich seinen Wert als Amerikaner beweisen zu können, eine geistlose Existenz, die einen aber immerhin mit einer Gruppe, jener der anderen geistlosen Wiedergänger, verbindet. Man könnte von einer amerikanischen – materialistischen – Variante des Stoizismus sprechen, von der Fatalität des amerikanischen Antifatalismus. Die Trump-Wähler begegnen Erwartungsenttäuschungen normativ: Es darf nicht sein, was nicht sein darf – sprich: was das Gefühl des Kontrollverlusts verschärfen könnte. Sie sind not in control, they don’t know what’s up, and they are not safe – ein Gefühl, das Trump verstärkt – und genau das macht ihnen Angst. Deshalb entscheiden sie sich nicht für ein vernünftiges Management: »they can’t afford to.« (Weick and Sutcliffe 2007: 30) Sondern für das Gegenteil. Die Trump-Gegner dagegen fordern Rationalität – und berufen sich damit letztlich auf Unverhandelbarkeit. Auch im Fall der Rationalität handelt es sich also um einen Wert, um einen ›selbstverständlich vorausgesetzten Gesichtspunkt‹ (Weber 1904: 59), möglicherweise um den wichtigsten, den die Moderne zu bieten hat (vgl. S. Fuchs 2004: 41). Doch nur weil jemand sagt: »Fremdenangst ist irrational!« wird sich kein Kommunikationsprozess den Bedingungen von Rationalität zuwenden. Diese Vorstellung ist naiv und wird auch den Nöten und Ängsten der Trump- und AfD-Wähler nicht gerecht. Auch eine Spinnenphobie lässt sich nicht mit Argumenten besiegen. Die fromme Hoffnung, die narrow-minded people für Argumente zu öffnen, ist deshalb genau das: fromm. Denn auch das Argument, dass dem nicht so ist, kann nur wenig gegen die Sicherheit des Gefühls ausrichten. Und auf die scheinen viele Menschen heute nicht mehr verzichten zu können. Deshalb kann man natürlich trotzdem so vorgehen und Rationalität behaupten oder gar anmahnen. Das führt aber nicht zu mehr Rationalität, sondern nur zu weiteren Auseinandersetzungen. Dabei ist die Suche nach einheitlichen Konsensgründen über richtiges, ethisch gebotenes, ja: vernünftiges (oder rationales) Denken selbst ein Symptom – genau wie das Gefühl soll es die Menschen mit Halt versorgen in einer von Haltlosigkeit geprägten, weil in unzählige Kontexturen zersplitterten Welt. Schon die – Vernunft einklagende – Aufklärung ist eine solche Reaktion: als der Versuch, ein verantwortliches, vertretbares Wissen zu befestigen, mithin als stabil zu konzipieren und derart gegen die drohende Verflüssigung zu imprägnieren. Doch auch die Vernunft entgeht der Verflüssigung bekanntlich nicht: »All that is solid melts into air« bringt Marshall Berman die ›Erfahrung der Modernität‹ mit einem Marx-Engels-
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Zitat auf den Punkt, die diese Auflösung ursprünglich als ein Verdampfen »alles Ständischen und Stehenden« gedacht, also vor allem im Hinblick auf Klassenverhältnisse interpretiert hatten (vgl. Berman 1988: 89). Doch die Radikalität einer Entwicklung, die keinerlei Verfestigung, ›Verknöcherung‹ mehr zulässt, war ihnen bereits bewusst (vgl. Berman 1988: 89). Die moderne Gesellschaft lässt sich nicht auf einheitliche Vernunftprinzipien festlegen. Wer es dennoch versucht, ergänzt die Viefalt der Beobachterperspektiven lediglich um eine weitere (vgl. Baecker 2008: 9). Und er provoziert die Antwort, die man Latenzvermutung nennt: die Idee, dass sich hinter der vermeintlich vernünftigen Sachrede etwas anderes verbergen könnte, zum Beispiel hinter der Berichterstattung der Massenmedien und den Google-Algorithmen Feinde Amerikas – die Clintons, George Soros, dessen Neffe usw. Oder Journalisten mit falschem Bewusstsein, das falsch ist, weil ihnen die Bewusstheit für die eigenen, unfairerweise gegen Trump gerichteten Ordnungsleistungen fehlt, in der marxistischen Terminologie: für das Moment der ›Verdinglichung‹. Wer nicht mehr an Vernunft glaubt, so Luhmann, glaubt dann wenigstens noch an Latenz (vgl 1984: 457). Die in jedem rationalen Argument aufscheinende Unverhandelbarkeit kann dabei zu noch heftigeren, trotzig-irrationalen Abwehrreaktionen führen – oder, wie im Fall Trumps, zu Spott: »I’m sorry, I watched it, but I fell asleep. […] I found he’s very good, very good for sleeping.« (Zitiert nach Rhodes und Pearson 2018) Rationalität ist langweilig – wenn auch nicht im Sinne einer Unterforderung. Denn wenn man sich die emotionalintuitive Informationsverarbeitung im Hinblick auf ihre Vorteile ansieht, fällt vor allem ihr hohes Tempo auf. Sie geht erheblich schneller vonstatten als die intellektuell-kognitive, und ist ihr schon deshalb überlegen.280 Dirk Baecker begreift Vernunft daher als »Verzögerungsfunktion« (vgl. Baecker 2008: 377). Gewiss, Emotionen lassen sich kognitiv kontrollieren, und zwar indem man unterscheidet (vgl. Baecker 2004: 5). Wer kognitiv reagiert, beschreibt sich selbst sowie die Situation, in der er steckt, und steht anschließend vor der Wahl, sich entweder der eigenen emotionalen Empfindlichkeit bzw. Unempfindlichkeit oder der Situation zuzuwenden. Nur: Wer sich hier nicht entscheiden kann, hat wiederum nur die Möglichkeit, emotional zu reagieren (vgl. Baecker 2004: 6). Gefühle haben also in jedem Fall gute Karten – sie ›übertrumpfen‹ die klare Kognition. Luhmanns Annahme war, dass bestimmte Negativbilder zwar die Ansichten prägen, aber nicht mit gleicher Schärfe auch das Verhalten (vgl. 2010: 387). Das hat sich offenbar geändert. Das Verhalten wird nicht mehr gegen diese Bilder ›immunisiert‹, als Handlungsgrundlage neutralisiert – stattdessen werden die ›nur gefühlsmäßig anerkannten Axiome‹
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Simmels zur Handlungsgrundlage. Einen ersten bemerkenswerten Versuch, angesichts dieser Lage eine Soziologie der Gefühle zu initiieren, hat Dirk Baecker unternommen (vgl. 2004). Luhmann hatte Gefühlen in seiner Theorie keinen prominenten Stellenwert zugestanden, sie lediglich als eine Art Krisenmechanismus gefasst – ein »zu rascher Theorieverzicht«, wie man mit Baecker formulieren könnte, so deutlich sich in der gegenwärtigen Lage auch die Fruchtbarkeit gerade des Krisenkonzepts zeigt. Talcott Parsons war dagegen noch davon ausgegangen, dass Gefühle Integrationsprobleme der Gesellschaft lösen können – und zwar durch Gleichheit (vgl. 1977). Alle Arten von Assoziationen, die auf egalitären Strukturen beruhen, sind demnach emotional attraktiv; sie basieren auf Solidarität und Wechselseitigkeit und werden mithilfe von Gefühlen stabilisiert. Dieses assoziative Strukturprinzip umfasst Cliquen, Teams, Professionen, soziale Bewegungen gleichermaßen, ist aber nicht mit ihnen identisch. Man kann es in Anspruch nehmen oder nicht, man kann es relativieren oder im Hinblick auf Amplifikation einsetzen. Dabei spielte für Parsons zunächst vor allem das Gefühl der Anerkennung eine entscheidende Rolle – jene Anerkennung, die Trump angeblich so wichtig ist, und die ihm die Medien verweigern; jene Anerkennung, die den Trump-Anhängern so wichtig ist, und die die Politik ihnen so lange verweigert hat. Bis sich Trump ihrer angenommen hat. Doch während Anerkennung spezifisch ist und die Zielsetzungen eines Trump, Comey oder Mueller binden, wirken Gefühle diffus und universell – sie können als ›soziale Medien‹ begriffen werden, während Anerkennung ein persönliches Medium darstellt. (Für Parsons waren soziale Medien keine digitale Plattformen, sondern kommunikative Einrichtungen, die für die Verwahrscheinlichung von Kommunikation sorgen. Für dieses Buch benötige ich das komplexe Konzept dieser sozialen Kommunikationsmedien wie bereits erwähnt nicht; auch im Folgenden werde ich es deshalb nur streifen.) Verkürzt gesagt: in allen Fällen, wo die alten Strukturen der Schichtung ausfallen, wo also Ungleichheiten nicht mehr orientieren können, gewinnen sie als Möglichkeiten, sich an Gleichheit zu orientieren, an Bedeutung. Diese Fähigkeit, Solidarität herzustellen, verdanken sie laut Parsons dem Rückgriff auf Moral. Gefühle sorgen für einen gewissen moralischen Druck, der die Anpassung an die Umwelt ermöglicht, allerdings unter einer Prämisse: die Integration der jeweiligen Gruppe darf nicht riskiert werden. Dirk Baeckers doppelte Schlussfolgerung: »Man hat den Eindruck, dass Affekte es schaffen, ihre Adressaten (inklusive der Absender) sowohl zu Handlungen und Kommunikationen zu motivieren, zu denen sie andernfalls nicht bereit wären, und ihr Selbstbild dem Umstand anzupassen, dass
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sie zu etwas bereit sind, wozu sie andernfalls nicht bereit wären.« (2004: 8) Diese Überlegungen lassen sich ohne große Mühe auf die Situation in den USA beziehen. Die Republikaner sind dazu bereit, Kinder von ihren Eltern zu trennen, die Demokraten zögern nicht, Republikaner aus Restaurants zu verjagen. Nicht zuletzt ist es Trump gelungen, viele Amerikaner dazu zu motivieren, einen Außenseiter wie ihn zum Präsidenten zu wählen – etwas, wozu sie ohne die von Trump amplifizierten Gefühle kaum bereit gewesen wären. Die von Baecker untersuchten Parallelen zwischen dem Medium der Gefühle und dem Medium der Macht sind auch im Zusammenhang mit Trump auffällig. Als Präsident kommuniziert er Handlungen, die vor allem auf eines aus sind: Gehorsam. Ich hatte gezeigt, dass es der Wunsch nach Vermeidung ist, der Macht so mächtig macht – denn warum sollte die EU seinen Wünschen Folge leisten, warum sollten deutsche Unternehmen von Geschäften mit dem Iran Abstand nehmen, wenn ihnen die von den USA angedrohten Alternativen gleichgültig sind? Gefühle scheinen auf etwas Ähnliches zu zielen. Die in diesem Medium kommunizierten Handlungen, etwa bestimmte Maßnahmen zur Kontrolle der amerikanisch-mexikanischen Grenze, sind auf Solidarität aus – und eine solidarische Handlung wäre aus Trumps Sicht, die geforderten Gelder für den Mauerbau zu bewilligen. Oder einen republikanischen Abgeordneten zu wählen: »Dana Rohrabacher has been a great Congressman for his District and for the people of Cal. He works hard and is respected by all – he produces! Dems are desperate to replace Dana by spending vast sums to elect a super liberal who is weak on Crime and bad for our Military & Vets!« (Trump 2018) Warum sollte man solidarisch handeln, was motiviert letztlich dazu, republikanisch zu wählen? Trumps Tweet macht das deutlich: moralischer Druck – die Alternative ist ›bad‹. Es geht darum, »to protect your jobs, defend your borders, and CONTINUE MAKING AMERICA GREAT AGAIN! Get out on Tuesday and VOTE for Marsha!« Es ist diese Nähe, die für das bisherige Misstrauen der Soziologie ge genüber Gefühlen verantwortlich sein könnte, mutmaßt Baecker (vgl. 2004: 8). Denn die kognitive Kontrolle darüber, was zu was motiviert, wird aus der Hand gegeben, wird an ein unbestimmtes Kollektiv weitergereicht, aus dem per definitionem ein ›Mob‹ wird, wenn es sich als erregbar erweist. Zudem hat die emotionale Motivation im Gegensatz zur ›mächtigen‹ eine diffuse, schwer zu fassende Wirkung, weshalb sich die Frage, welche Kommunikationen welche emotionalen Effekte haben, nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Aber dass sie genauso wirksam ist wie die Kommunikation von Macht, dürfte deutlich geworden sein.281
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Gefühle und Macht sind aus dieser Perspektive Konkurrenten – und zwar immer dann, wenn es darum geht, in entweder unterdeterminierten oder überdeterminierten Situationen Handlungsoptionen zu konstruieren, die nur ein Motiv haben: das der Handlung selbst. Dass das der modernen Gesellschaft und ihrer Soziologie eher fremd ist, dürfte klar sein, weil die Systeme bzw. Sozialbereiche Politik, Recht, Wirtschaft, Massenmedien, Wissenschaft zwar auf der politischen Vorgabe von Freiheit beruhen, aber deshalb noch lange kein beliebiges Handeln erlauben, wie Trump seit seiner Amtsübernahme am eigenen Leib bzw. der eigenen Person erfährt.
Irrationalität II: Angst Die wohl wichtigste Emotion für Trump wie für Rechtspopulisten weltweit ist neben der Wut: die Angst.282 »Angst widersteht jeder Kritik der reinen Vernunft«, so Luhmann. »Sie ist das moderne Apriori – nicht empirisch, sondern transzendental. Sie ist das Prinzip, das nicht versagt, wenn alle Prinzipien versagen.« (Luhmann 2008a: 158) Er hatte ihr deshalb eine große politische und moralische Zukunft vorausgesagt – und auch damit recht behalten: »We got elected on Drain the Swamp, Lock Her Up, Build a Wall […]. This was pure anger. Anger and fear is what gets people to the polls […]« (Bannon, zitiert nach Lewis 2018). Ein wichtiges Teilstück einer Theorie der ›Handlungsirrationalität‹ wäre deshalb eine genaue Untersuchung der Angstrhetorik. Die Frage, die sich fröhlichen Politikern stellt, ist: Wie könnten sie der Bevölkerung vermitteln, dass die Angst nur fingiert wird? Und ist das überhaupt durchführbar? Es ist jedenfalls nicht einfach, wie uns Luhmann mit dem Hinweis auf die moralische Existenz der Angst vor Augen führt; eine Existenz, die damit zusammenhängt, dass über Angst geredet wird – und weil über sie geredet wird, gibt es sie, ist sie ›da‹. Sie kann zumindest auf dieser Ebene kaum geleugnet werden. Vernachlässigt, wer sich keine Sorgen über ›Überfremdung‹ macht, wer die von criminal gangs, drug smugglers, human traffickers ausgehende Gefahr für minimal hält, möglicherweise seine Bürgerpflicht? Schließlich könnte erst die Zukunft zeigen, ob man sich zu unrecht Angst gemacht hat, aber die Zukunft gibt es leider immer nur in Form der Gegenwart, als Prognose, sie kann den Angstbürgern im Hier und Jetzt nicht weiterhelfen.283 Dass seine Kernwähler trotz all der Skandale und seiner politischen Unfähigkeit bisher weiter an Trump festhalten, hat nicht nur mit Trumps symbolisch-expressiven Fähigkeiten, seiner Rolle als Außen-
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seiter und der erwähnten Wagenburgmentalität zu tun – sondern vor allem mit der Angst vor der Angst. »Trump has figured out that fear is much more politically useful, and motivating, than festivity, especially among his base.« (Rampell 2018b) Luhmann hat auf die paradoxe Konstitution der Angst hingewiesen: »Wenn man der Angst abzuhelfen sucht, nimmt sie zu.« (2008a: 159) Es ist nicht zuletzt diese Paradoxie, die sich Trump zunutze macht. Würde es ihm gelingen, mittels Mauerbau und Reisebann die Angst abzuschaffen, wäre er seine Wähler los. Damit kreiert er ein zweites Paradox: Es ist die Angst, die der halluzinierten Wiederherstellung von Amerikas einstiger Größe zugrundeliegt – Angst vor dem Gesichtsverlust, der Schande (man macht sich über Amerika lustig), Angst davor, im globalen Wettbewerb nicht mithalten zu können, Angst davor, betrogen, über den Tisch gezogen zu werden, Angst vor »young strong men« (Trump), die mit Steinen werfen könnten. Trumps Great America ist ein Land der Angsthasen – seine Wähler bestehen, mit Marc Aurel, überwiegend aus schwachen Menschen, die verwundet sind und sich haben hinreißen lassen.284 Genau deshalb ist es wichtig, ihre Verwundung ernst zu nehmen, anstatt sie einfach abzutun. Trump ist es gelungen, sie sich zunutze zu machen – und vom Zorn und der Angst seiner Wähler zu profitieren. Damit Amerika great bleibt, müssen deren Einwohner also weiterhin Angst haben. Die Überschätzung von sehr unwahrscheinlichen Risiken (etwa dass aus dem Iran, Irak, Libyen etc. ein Terrorist einreist, der dann ein Attentat begeht, oder – noch unwahrscheinlicher – dass er von Mexiko aus illegal die Grenze zu den USA überquert) trägt dazu bei – stets im Tandem mit der Unterschätzung jener Risiken, auf die sich die Amerikaner jeden Tag selbst einlassen (Autofahren, fettiges Essen, Waffenbesitz usw.). Da ist es günstig, dass Kommunikation über Angst zu mehr Kommunikation über Angst führt: »Die einen sprechen von ›Hysterie‹, die anderen von ›Verharmlosung‹ – und vermutlich haben beide Seiten recht.« (Luhmann 2008a: 159) Trumps Angstrhetorik hat es sich zur Aufgabe gemacht – und darin stimmt er mit anderen Rechtspopulisten überein – Angst zunächst durchzusetzen (das ist ihm weitgehend gelungen) und zweitens, Angst auf Dauer zu stellen (daran arbeitet er noch). Aber natürlich nicht Angst vor allem – und schon gar nicht, »Angst vor der Angst anderer« (Luhmann 2008a: 160). Sein Problem ist, dass er nun, da er im Amt ist, nicht weiterhin die Entwicklung zum Schlimmeren betonen kann – er muss eigene Fortschritte erwähnen, er hat es ja geschafft, Amerika ist wieder great. Eigene Fortschritte aber bedeuten, dass es besser ist, dass man nicht mehr so viel
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Angst haben muss: »When Trump accepted his party’s presidential nomination in 2016, he declared that the system was broken, and darkly promised that he alone could fix it. If today he declares that he has already fixed everything, then what motive do his voters have to go to the polls?« (Rampell 2018a) Damit kratzt Trump auch an dem für seine Wähler so wichtigen Gefühl der Selbstbehauptung, der Vorstellung, dass sie gegenüber Ausländern, Mexikanern, Muslimen usw. moralisch im Recht sind, besonders, weil sie ja nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere aufrechte Amerikaner Angst haben (vgl. Rampell 2018a). Es wird sich zeigen, ob er in Zeiten der Globalisierung und einer im Wandel begriffenen politischen Weltordnung mit einer Neuauflage von Reagans »It’s morning again in America« – »Why would we want to ever return to where we were?« – wird punkten können. Sein neuer Slogan versucht, beide Momente zusammenzubringen: »Things are getting better. We can’t go back.« Ob die Wissenschaft sich deshalb bemühen sollte, Angst zum Kernstück einer Theorie des Liberalismus zu machen, die gesellschaftliche Integration nicht mehr nur über Nutzen, Kosten, Konkurrenz sicherzustellen sucht, sondern durch die Universalisierung der Angstnorm (als »fear of cruelty«), wie Judith Shklar (1989) vorschlägt?285 Aus meiner Sicht bedarf es keiner politischen Theorie, die Angst als eine Art Systemgenerator – als sozusagen guten Ratgeber – bemüht, auch wenn sie ohne Frage dabei behilflich sein könnte, die in den übertriebenen Formen des individuellen Liberalismus nach wie vor übliche Überschätzung der wirtschaftlichen Aspekte auszubalancieren (wobei Luhmann auf die positiven Aspekte dieser Überschätzung für das soziale Immunsystem hinweist, vgl. 1984: 524 f.). Warum nicht allgemeiner ansetzen und Fragen der Störempfindlichkeit ins Spiel bringen? Ich bin aber vor allem im Hinblick auf die von Shklar akzentuierte Fähigkeit, mithilfe der Angstnorm Missbrauch zu verhindern, eher skeptisch. Gewiss gilt es, die von ihr erwähnte, mit der Angst zusammenhängende Eigenschaft zu bedenken, unmittelbar überzeugen zu können (»Because the fear of systematic cruelty is so universal, moral claims based on its prohibition have an immediate appeal and can gain recognition without much argument.« 1989: 98). Und sei es davon, dass der Liberalismus regulativer werden bzw. sich selbst ein Stück weit schließen muss, wenn er sich gegen die von den Populisten propagierte antiliberale Schließung behaupten will. Doch die destruktiven Wirkungen dieser Unmittelbarkeit lassen sich zurzeit in den USA besichtigen, und ob sich diese zielsicher für die Zwecke eines ›guten‹ Liberalismus nutzbar machen lassen, ist aufgrund der diffusen Wirkung der Angst eher zweifelhaft. Überhaupt stellt sich die Fra-
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ge, ob nicht der Liberalismus und die mit ihm zusammenhängende Wertrangordnung selbst das Problem sein könnte (wozu nicht nur die Idee der individuellen Freiheit gehört, sondern auch der von Shklar akzentuierte Wechselbezug von öffentlicher Meinung bzw. Konsensbeschaffung und Politik, vgl. Luhmann 1984: 636). Der Umstand, dass sich ihr dreißig Jahre alter Vorschlag momentan wieder als anschlussfähig erweist, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir in spannungsgeladenen Zeiten leben. Sollte die Spannung eines Tages nachlassen, können die üblichen, zurzeit blockierten – rationalen, bewusstseinsmäßigen – Mechanismen der Konfliktorganisation wieder einrasten (zu denen im übrigen auch jenes ›blinde Denken‹ gehört, das man Intuition nennt; schon aus Sicht der Metaphysik ist vollkommene Erkenntnis nur dem möglich, der gleichermaßen »adaequat und intuitiv« vorgeht, so zumindest Leibniz 1996: 33). Gegenwärtig ist sie hoch – und genau das kann uns als Minimalerklärung dafür dienen, warum gegenwärtig allenthalben von Gefühlen die Rede ist, und so selten von Bewusstsein (vgl. Baecker 2004: 19).
N a c h w o rt
Das Subtraktionsideal, dem sich die Systemtheorie verschrieben hat, habe ich in diesem Buch ein Stück weit verletzt, weil ich mich öfter als üblich in die Niederungen der konkreten Geschehnisse begeben habe. Die Idee war, zwei unterschiedliche Verfahren zusammenzubringen, wenn man so will: Theorie und Trump, den gedachten – und insofern absurden und vermeintlichen – Trump zum wirklichen in Beziehung zu setzen, die übliche systemtheoretische Fernsicht mit der gern als empirisch identifizierten Nahsicht zu kombinieren, in der Hoffnung, dass die eine die andere nicht verdunkelt, dass sich das Allgemeine und das Konkrete, die Theorie und Trump gleichsam gegenseitig anerkennen. Ein vorzeigbares Motiv wäre: dass sich die Wissenschaft nicht davonstehlen sollte, wenn es um die Beobachtung aktueller gesellschaftlicher Ereignisse geht. Ein anderes: die Leistungsfähigkeit der Systemtheorie in Fragen der Wahrheitssuche zu beglaubigen. Angesichts eines derart wichtigen (lies: die Massenmedien dominierenden) Themas eigentlich eine Selbstverständlichkeit und in diesem Sinne selbst ein Wert. Die Massenmedien gelten zu Recht als der größte Konkurrent der Soziologie – beide sind damit befasst, die Gesellschaft mit einer Selbstbeschreibung zu versorgen. Dabei folgen sie nicht nur anderen Regeln. Vor allem gerät ihnen allzu leicht aus dem Blick, dass sie selbst (nur) ein Teil dieser Gesellschaft sind, der keinen Anspruch auf Kompetenz erheben kann. Die Realität der Massenmedien sollte nicht mit der Realität verwechselt werden, mag diese seit Trump auch verblüffende Ähnlichkeiten mit jener aufweisen (in den Worten Bill Mahers: »The reality show people are now the reality«). Nur sicherheitshalber: auch mit der Realität der Wissenschaft nicht, mag ihr Ruf auch besser sein.286 Etliche von Trumps Handlungen werden in den Massenmedien als demokratiegefährdend diskutiert. Ich habe versucht zu zeigen, dass hier in der Tat ein gewisser Zusammenhang besteht, weil sich die Demokratisierung der Politik und die Positivierung des Rechts gegenseitig ermöglicht © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1_12
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haben, wozu nicht zuletzt die vom Amateur Trump attackierte Professionalisierung ihren Teil beitrug, und zwar im Tandem mit Organisation. Das, was man ›Staat‹ nennt, bezeichnet diese Kopplung von Politik und Recht, die nicht mit einer Einheit verwechselt werden sollte – und was die Beobachtung der separaten, systeminternen, sich gegenseitig irritierenden Prozesse beider Bereiche und damit den Wechsel der Perspektiven erlaubt, ist die Verfassung (vgl. Luhmann 2002: 391). Anders als die Massenmedien gehe ich aber nicht von einer Entdifferenzierung dieser – und anderer gesellschaftlicher – Bereiche aus.287 Im Gegenteil, die Vielzahl der beobachteten Konflikte weist gerade darauf hin, dass zurzeit alles noch intakt ist und die Grenzen halten. Trumps Motive und Interessen – genau wie die seiner Anhänger – werden systemintern, politikintern gefiltert. Nicht alles ist politisch verwertbar. Das wird auch daran ersichtlich, dass es politische Entscheidungen waren, die diesen Ausgriff in die Umwelt nötig machten und ihm dann in der Politik einen Anschlusswert verliehen haben. Man könnte sagen: Politics grabbed Trump by the person. Vergessen wir nicht, dass er erst die erforderliche Anzahl an Stimmen für sich gewinnen musste, um offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner (Republican party’s nominee for president) ernannt zu werden. Ich würde deshalb die Behauptung einer Durchmischung der Systeme zurückweisen.288 Die wesentlichen Strukturen kontinuieren, auch wenn sich ohne Frage eine Radikalisierung der Moderne beobachten lässt. Ist Trump womöglich ihr ›Vollender‹?289 Für Luhmann waren die vermeintlichen Anzeichen von Entdifferenzierung Fälle von ›Interpenetration‹: die Politik etwa setzt voraus, dass die Umwelt Komplexität strukturiert und reduziert hat und benutzt dann das Resultat – zum Beispiel einen Donald Trump –, analysiert aber nicht, wie es zustandekam. Und wenn, dann allein unter politischen Gesichtspunkten (vgl. Luhmann 1995a: 90). Was sich indes beobachten lässt, sind gewisse in diesem Buch aufgezeigte Funktionsverluste. Wir müssen deshalb aber noch lange nicht selbst eine Mauer bauen – eine ›Mauer aus Fakten‹, die dann dafür Sorge trägt, dass die demokratiefeindlichen Kräfte draußen bleiben. Gewiss, »we must zealously protect independent media, and we have to guard against the tendency for social media to become purely a platform for spectacle, outrage, or disinformation« (Obama 2018) – aber es gilt auch, die Wissenschaft vor Schaden zu bewahren. Hinter den Konstruktivismus kann sie nicht zurück. Mit Trump: We can’t go back. Mit Reagan: Why would we ever want to return to ontology? Das ist – um in Trumps Schema zu bleiben – nicht zuletzt eine Kostenfrage: Richtige Realitätswahrnehmungen zu behaupten und durchzusetzen, ist nicht leicht. Die New York Times,
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die Washington Post und andere Medienorganisationen wenden zurzeit einen Großteil ihrer Energie dafür auf, fein säuberlich Trumps Lügen zu widerlegen, ja Hitlisten seiner größten ›Märchen‹ anzufertigen, also richtige Realität durchzusetzen und zu »sagen, was ist« – womit sie im Hinblick auf die Trump-Anhänger nur begrenzt erfolgreich sind und zudem für andere wichtige Aufgaben ausfallen.290 Kurzum, auch in diesem Fall ist eine Mauer wenig effektiv. Ich schließe mich damit den Überlegungen Nancy Pelosis an: »I can’t think of any reason why anyone would think it’s a good idea – unless this has something to do with something else.« (Zitiert nach Robb 2019) Obamas Einwand lautet: »Without facts, there is no basis for cooperation.« (2018). Aus meiner Sicht sind es nicht Fakten, sondern vor allem die in der Gesellschaft institutionalisierten Werte, die Zusammenarbeit ermöglichen, also das Gegenteil: Kontrafakten. Weil Trump nicht auf Zusammenarbeit, sondern auf Konfrontation aus ist, die Werte Frieden, Harmonie, Rationalität, Wahrheit, Recht, ja ›Politik‹ infrage stellt, ist der Lärm um ihn ja so groß. Es ist nicht nur Lärm um nichts – aber dass er große Mühen hat, seine Vorstellungen von politischer Herrschaft durchzusetzen, sollte deutlich geworden sein. Dieser Text bezieht seine Rechtfertigung aus dem Umstand, dass die Wissenschaft im Gegensatz zu den Massenmedien an der Wahrheit dieser Zusammenhänge interessiert ist. Das heißt natürlich nicht, dass diese nur fake news verbreiten. Hier und da kommt es, wie überall, zu Fehlern, die Trump dann zu typischen Normalfällen hochrechnet – er wird schon wissen, warum er von der Lügenpresse kein einziges Mal eine Richtigstellung bzw. Gegendarstellung verlangt hat, zu der die Medien ja rechtlich verpflichtet sind. Sie selbst widerlegen ihn durch ihren Fortbestand, ansonsten wäre der Programmbereich der News längst zusammengebrochen (vgl. Luhmann 1996a: 56). Doch diesen ›Dienst an der Gesellschaft‹ gibt es sozusagen nicht kostenlos, denn Wahrheit »interessiert die Massenmedien nur unter stark limitierenden Bedingungen, die sich von denen wissenschaftlicher Forschung deutlich unterscheiden.« (Luhmann 1996a: 56) Ich habe sie in Kapitel 5 zusammengefasst. Tatsächlich besitzt die Wissenschaft als einzige soziale Einheit der modernen Gesellschaft die Lizenz zur Wahrheit, zum ›Wahr-Sagen‹. Wissenschaft schafft Wissen, das ist ihre Funktion, und sie stellt dieses neue Wissen der Gesellschaft zur Verfügung, das ist ihre besondere gesellschaftliche Leistung. Dieser Leistung habe ich – als einfacher und demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn Luhmann – nachzukommen versucht. Die Überlegung war, die emotional geführten, aufgeheizten Debatten durch
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eine nüchterne, an Strukturen orientierte Betrachtungsweise zu ersetzen und derart für eine Art hydraulischen Abgleich zu sorgen – ganz ähnlich, wie man einen Heizkörper entlüftet. Der Vorteil ist: Eine solche Entlüftung ist völlig ungefährlich. Auch wenn sich letztlich herausstellen sollte, dass keine Luft im Heizkörper war, hat man durch das Entlüften nichts verloren. Auf die griffigen Beschreibungen, die die Massenmedien der Gesellschaft zur Verfügung stellen, haben ich trotz meiner Bemühungen um Verständlichkeit weitgehend verzichtet, auch wenn dieser Text durchaus ein Beispiel dafür ist, wie stimulierend es sein kann, den täglichen Verlautbarungen der ›Presse‹ zu folgen. Und dass die Medien mittlerweile über ein gewisses soziologisches Beobachtungsniveau verfügen, will ich gar nicht bestreiten. Mir ging es darum, zu zeigen, dass sich dieses Niveau überbieten lässt: durch ein Beobachten von Beobachtern, das im vermeintlichen ›Chaos‹ des Geschehens eine bestimmte, mit der Form der modernen Gesellschaft verbundene Ordnung nachzuweisen versucht. Die Struktur meiner Untersuchung gibt diese Bedingtheiten insofern wieder, als ich keine lineare Darstellungsform gewählt haben, die sich etwa an der Chronologie der Ereignisse im Weißen Haus orientiert. Die vielen Wiederholungen, die diesen Text kennzeichnen, ergeben sich aus der ›Sache‹ – einer hochkomplexen, funktional differenzierten Gesellschaft. Genau genommen geht es in diesem Buch also gar nicht um Trump, sondern um die Gesellschaft, vor deren Hintergrund sich seine Umrisse zur Zeit so scharf abzeichnen. Man könnte sagen, ich habe an ihm ›ein Exempel statuiert‹: nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, sich nur mit Trump zu befassen. Man muss die Gesellschaft mit in Rechnung stellen, die sich seiner bedient, so wie sie sich meiner bedient, der ich auf ihn reagiere. Das ist wohl eine ihrer faszinierendsten Fähigkeiten, wenn nicht die faszinierendste: sich in sich selbst noch einmal zu unterscheiden bzw. beobachten zu können (eine Funktion, die Gott bekanntlich out sourcen musste). Wenn das noch mit dem Wissen geschieht, dass es eine interne Beobachtung ist, dass wir nicht von außen auf sie draufschauen können, sondern immer schon ein Teil dessen sind, was wir beobachten, dann entlastet es uns auch ein Stück weit – natürlich nicht von der Pflicht, gewissenhaft zu beobachten. Auch nicht davon, Verantwortung zu übernehmen. Wohl aber davon, sich als kompetenter Beobachter, als Bescheidund Besserwisser aufspielen zu müssen. Es mag sein, dass ich mich in diesem Buch allzu stark von den aktuellen Geschehnissen habe irritieren lassen. Getriebenheit läuft jedem Räsonnement zuwider, unter Zeitdruck ist Wahrheitsfindung kaum möglich, die zeitlich formuliert mit einem Innehalten, räumlich formuliert mit Dis-
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tanzgewinnen verbunden ist. Vermutlich hat auch ein gewisser Neid auf die Fähigkeiten der Massenmedien, gesellschaftliche Ereignisse unverzüglich begleiten zu können, eine Rolle gespielt – die Fülle des hier zusammengetragenen Materials steht dafür ein. Die Medien sind schneller, ›näher dran‹ an den Phänomenen, informieren über gesellschaftliche Zustände deshalb besser als die Wissenschaft, die nicht nur schwerfälliger, sondern offenbar auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um auf gesellschaftliche Ereignisse zu reagieren.291 Dieser Text scheint den Massenmedien gegenüber also im Nachteil zu sein, weil die Ereignisse ihm davonzulaufen drohen. Oder wie eine befreundete Lektorin mich wissen ließ: »It’s always a risk publishing during a presidency, and probably even more so during this one.« Reagiere ich also womöglich selbst auf die ›TrumpKrise‹, im Sinne eines self-protective device: »We have not enough time […] for theory-building and reflection«? (Luhmann 2008e: 59) Ich hätte mich auch auf die in der soziologischen Forschung bewährte Konvention berufen können, abzuwarten – und zwar bis Trump gleichsam ›vorüber‹ ist, um ihn dann aus einem angemessenen historischen Abstand heraus zu beurteilen. Eine genaue Beobachtung der Gegenwart kann nicht genug Distanz aufbauen, weshalb viele Forscher, Luhmann eingeschlossen, vor allem aus der historischen Perspektive argumentieren. Von hier aus, so die Idee, lässt sich die Einheit der gesellschaftlichen Operationen besser modellieren. Steht der in diesem Buch vertretene Diagnoseanspruch also im Gegensatz zu der von mir benutzten Theorie? Was den Leser beruhigen sollte, ist zunächst der Umstand, dass zumindest die erste Phase der Präsidentschaft Trumps, mit der sich dieser Text befasst, abgeschlossen ist. Für Michael Wolff war der ›erste Akt‹ bereits mit dem Steve Bannons Weggang beendet.292 Ich hatte mir mit den Zwischenwahlen 2018 selbst eine Grenze gesetzt, die ich nicht überschreiten wollte – aus pragmatischen Gründen: um selbst zum Abschluss zu kommen. Zudem ist eine unriskante, ›sichere‹ Publikation zuletzt nichts als eine soziale Fiktion. Sie ist für Lektoren wichtig, denn wie soll man sonst die eingehenden Texte, deren Qualität sowie deren Marktchancen bewerten? Ob ein Text möglicherweiser profitabel ist? (Erfreulicherweise war meine Lektorin Katrin Emmerich der Ansicht, dass sich dieser entsprechend verwenden lässt.) Inwiefern eine abgeschlossene Präsidentschaft mehr Sicherheit bedeutet, ist nicht klar – weder in analytischen Fragen noch bezüglich der kommerziellen Verwertbarkeit. Zweitens interessiert sich dieser Text nicht so sehr für die Ereignisse, sondern blickt – in Form eines »mürrischen Strukturwissens« (Baecker) – auf die ihnen zugrundeliegenden Strukturen; Strukturen, die eine gewis-
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se ›Objektkonstanz‹ gewährleisten. Zwar sind auch diese Strukturen nicht fest, aber sie sind gleichsam ›fester‹ – jedenfalls fester als die zeitflüchtigen Ereignisse, die sie bedingen. Weshalb eine mögliche Inaktualität, etwa in Bezug auf die Sonderermittlung, die vielen Personalwechsel innerhalb des Weißen Hauses, aber auch ein mögliches Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten, die Brauchbarkeit der hier vorgetragenen Erkenntnisse nicht entscheidend mindern sollte. Anders gesagt: Wenn die hier gemachten Beobachtungen zutreffen, können ihnen die weiteren Ereignisse gar nicht davonlaufen. Deshalb kann ich noch lange nicht die Zukunft vorhersagen. Wer seiner gegenwärtigen Mitstreiter wird gehen müssen, welche Neubesetzungen seines Teams stehen uns bevor? Wird Trump durchregieren, gar wiedergewählt? Wird es ihm gelingen, seine Politik der geschlossenen Grenzen trotz ihrer verfassungsfeindlichen Elemente durchzusetzen? Welche Auswirkungen wird seine Präsidentschaft auf die internationalen Beziehungen, den Weltfrieden, die Wirtschaft haben? Ich bin selbst gespannt. Aber auch Allen Lichtmans Vorhersagen beweisen nicht viel mehr, als dass sie bisher zutrafen, was mich für ihn sehr freut, und die Massenmedien, die ihn als Orakel instrumentalisieren können, noch viel mehr. Die Praxis ist uns immer schon voraus, sie lässt sich von der Theorie nicht einholen – und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Lassen wir ihr den Vorsprung. Sobald wir sie analysiert haben, ist sie ja schon wieder weiter. Womöglich nimmt sie das von uns generierte Wissen in sich auf, macht aus Theorie Praxis, die dann wiederum Gegenstand neuer Theorien werden kann, oder sie lässt es links liegen – das muss uns nicht kümmern. Der vorliegende Versuch, Trump auf den Begriff und also die Theorie auf die Höhe der gesellschaftlichen Praxis zu bringen, ist ein Vorschlag, nicht mehr, er markiert sich zudem ausdrücklich als vorzeitig und vorläufig, als ein Startpunkt, von dem aus – mit einer schönen Formulierung von Peter Fuchs – Bewährungen entworfen werden können, und er legitimiert sich vor allem über ein Motiv: der Verantwortung gerecht zu werden, die wir als freie Wissenschaftler haben. Denn warum abwarten, wenn unsere Analyse schon jetzt hilfreich sein könnte? (Vgl. Baecker 2002: 202) Wir können Trump nicht aus der Welt schaffen. Aber wir müssen ihn auch nicht wehrlos hinnehmen, wir können ihm mit Deutungen begegnen. Wenn es diesem Buch gelungen ist, die eine oder andere Erkenntnisblockade aufzulösen, zu anderen Beobachtungen und Beschreibungen Trumps anzuleiten und Aspekte der Realität dieser Regierung sichtbar zu machen, die ansonsten hinter den konventionellen Beschreibungsschemata und Alltagsbegriffen unsichtbar geblieben wären, hat es seinen Auftrag schon erfüllt.293
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Dirk Baecker hatte vorgeschlagen, dass die Soziologen sich zukünftig weniger als Aufklärer mit einem Bauchladen voller Sondereinsichten, sondern eher als Hacker verstehen sollten – also als Experten darin, auf die Unwahrscheinlichkeit der sozialen Ordnung hinzuweisen. Und auch andere an der Faszination für diese Unwahrscheinlichkeit teilhaben zu lassen (vgl. Baecker 2008: 41). Genau das kann als ›Verdienst‹ von Donald Trump bezeichnet werden, mag es auch nicht seine Absicht gewesen sein. Die Frage, die er an uns – die Wissenschaft, die Demokratie, die westliche Gesellschaft usw. – gerichtet hat, lautet: Was machen wir eigentlich, wenn wir Demokratie, Werte, Politik und Recht und Wissenschaft und Massenme dien ›machen‹? Und vor allem: wie machen wir es? Die zielsicher erfolgten Immunreaktionen auf Trump – Idiot, Narziss, Diktator, Rassist, Sexist – sind ein Teil dieser ›Mache‹. Aber sie bieten eine trügerische Gewissheit, wohingegen wir uns eher als Instanz verstehen wollen, die – wenn man so will – auf die Gewissheit des Trugs hinweist: dass die Dinge nicht notwendig so sind, wie sie sind. Während der Arbeit an diesem Buch habe ich mitunter gedacht, dass Systemtheorie auf ein Phänomen wie Trump nur gewartet hat. Weil eine Theorie, die Nein sagt zu allen Versuchen, Handeln aus absoluten Werten abzuleiten, die nicht von Werten oder ersten Ursachen ausgeht, »die in sich selbst gesichert sind, um dann anderes daran anzuhängen« (Luhmann 1999: 396), sondern alle Invarianz als problematisch begreift, für diesen Präsidenten wie gemacht scheint. Nur weil die Gesellschaft nach wie vor ein auf der ontologischen Tradition beruhendes Denken favorisiert, konnte Trump sie so ›kalt erwischen’ – wenn auch nicht auf dem ›falschen Fuß‹, weil das einen richtigen voraussetzen würde. Doch absolute Werte, die jeden Bereich der Gesellschaft verpflichten, gibt es nicht mehr. Wohl aber relative, die die gesellschaftlichen Einzelbereiche ordnen; Ordnungen, die auf bestimmten strukturellen Vorentscheidungen aufruhen, die also nicht notwendig so sind, wie sie sind, sondern nur möglich, und deshalb änderbar. Wer sich gegen Trump auf letzte Prinzpien beruft, auf bestimmte ewige Wertvorstellungen und ›richtige‹ Verhaltensnormen, hat schon verloren. Dieser Einbau der eigenen Beliebigkeit ist das wohl wichtigste Moment vorliegender Untersuchung. Man kann Trump auch anders beobachten, zu anderen Resultaten kommen. Moderne Wissenschaft muss diese Ungewissheit aushalten. Genau deshalb sollte sie auch vorsichtig mit Ratschlägen an die Gesellschaft sein. Zuletzt ist jede wissenschaftliche Wahrheit nicht mehr als ein Angebot, eine Kommunikationsofferte. Die Wissenschaft selbst wird im Anschluss an die Veröffentlichung dieses Textes dar-
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über entscheiden, ob sich mit den hier versammelten Überlegungen etwas anfangen lässt, und das heißt, ob er sich womöglich als anschlussfähig erweist, völlig unabhängig davon, was ich mit ihm im Sinn hatte. Sein Trost liegt darin, dass auch die Widerlegung einen solchen Anschluss darstellt. Und vielleicht trägt er zuletzt sogar dazu bei, dass er die in ihm beschriebenen Verhältnisse, mithin seinen Gegenstand, verändert, und folglich bald nicht mehr zutrifft. Dagegen spricht dass Wissenschaft, zumal die sogenannte ›weiche‹, keinen besonders wichtigen politischen Faktor darstellt. Fast hätte ich hinzugefügt: zum Glück.
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A n m e r ku n g e n
1 Der Titel ist eine doppelte Hommage, er würdigt gleichermaßen Heinz von Foersters Klassiker Observing Systems und die Variante meines Mentors Peter Fuchs, Luhmann – beobachtet, eine spielerische Einführung in die Systemtheorie. 2 Wobei dieser Text zwar ebenfalls Beobachtungen verkettet, aber selbst wiederum nur eine Einzelbeobachtung im Bereich der Wissenschaft darstellt. Sollte er sich als nicht anschlussfähig bzw. verkettungsfähig erweisen, kann sein Autor zwar empörte Tweets verschicken, die mit dem wissenschaftlichen Establishment abrechnen, aber das wird kaum seine wissenschaftliche Verkettungsfähigkeit erhöhen. 3 Auf einer noch höheren Ebene der Abstraktion fallen die Systeme wiederum aus den Operationsmustern heraus und man erhält die Formtheorie. 4 Mancher Beobachter macht allerdings gern die Unglaubwürdigkeit des Geschehens geltend, die sie für jedes Drehbuch disqualifiziere: »No audience is going to buy the current version. In one five-minute scene you’ve got the president’s big campaign guy getting convicted of a jillion different financial crimes, while at the same time the president’s old lawyer-fixer is admitting that the leader of the free world told him to use hush money to pay off former sex partners. We love scandals, but this is just too, too over the top.« (Collins 2018) Die Lösung, die Michael Lewis für sein Trump-Buch gewählt hat, kann als journalistisches Pendant des vorliegenden Ansatzes gelten: in Erhöhtes Risiko (2019) spielen gleichsam die Strukturen die Hauptrolle, die hier ebenfalls nicht so sehr als Einschränkungen, sondern vor allem als Ermöglichungsbedingungen in Erscheinung treten. Die Heroisierung des US -Beamtentums ist offenbar der Preis, den der Autor für sein Experiment zahlen muss. Der nächste Schritt könnte sein, eine Person wie John MacWilliams selbst als Struktur vorzuführen und so die mit jeder Personalisierung einhergehenden Eindeutigkeiten und semantischen Reduktionen wieder aufzulösen. Das allerdings würde nicht nur der Intention der Parteinahme zuwiderlaufen, es könnte auch zulasten des ›Lesevergnügens‹ gehen. Ein Held, der nicht mehr darstellt als eine Erwartungswahrscheinlichkeit, taugt kaum zum Helden.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Heidingsfelder, Trump – beobachtet, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24762-1
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Anmerkungen
5 Ich greife damit einige der von Knorr-Cetina genannten Kriterien auf, die sie im Hinblick auf die Unreinheit der wissenschaftlichen Praxis bzw. die »Unterkomplexität der Differenzierungstheorie« formuliert hat (vgl. Knorr-Cetina 1992; siehe auch Nassehi 2004 und Fußnote Nr. 272 in diesem Buch). 6 In der Variante der Huffington Post: »Everything the president touches seems to turn to evidence« (vgl. McDonald 2018). In der von Stephen Colbert: »I am beginning to think Donald Trump destroys everyone he touches. He’s like the King Midas of crap.« (Colbert 2018, https://www.youtube.com/watch?v=l6rZE c2FL cw) Das Urban Dictionary führt Trump als Negativversion von Midas: »Trump touch: Someone who only produces bad things, or someone who turns everything s/he touches into shit. The opposite of Midas touch, where everything King Midas touches turns into gold.« (Urban Dictionary 2018) Zum Wasserglas: »Im Twitter-Account namens AynRandPaulRyan wurde ein Video mit dem US -Staatschef Donald Trump veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie Trump bei einer Rede zur neuen Sicherheitsstrategie mit beiden Händen ein kleines Wasserglas greift, um daraus einen Schluck zu nehmen. Das am 18. Dezember veröffentlichte Video mit der Aufschrift ›Kann jemand bitte erklären, warum Trump zwei Hände braucht, um aus dem Wasserglas zu trinken?‹ hat derzeit über 3000 Likes und mehr als 1000 Kommentare.« (Sputnik News 2018) 7 Trump hatte in einem seiner Tweets China eines »unpresidented act« beschuldigt. Man mag über die vielen Rechtschreibfehler Trumps oder den fehlerhaften Gebrauch von Anführungszeichen – ›tapes‹, ›great‹, ›extremely credible source‹ – schmunzeln, doch sie dienen vor allem einem Zweck: Authentizität zu kommunizieren, sein Handeln als ›echt‹ auszuweisen. Die Tweets erscheinen als »this kind of window into what he’s thinking« (so Caitlin Owens auf Fox News 2018, https:// twitter.com/foxnews/status/965682317430845440). Sein Team ist deshalb bemüht, beim Schreiben der präsidialen Tweets die für ihn typischen Stilelemente einzubauen: »The staffers are believed to deliberately adopt symbols of Mr Trump’s tweeting – such as words which are capitalised for emphasis and fragmented sentences.« (Oppenheim 2018) Rechtschreibfehler sind, soweit man weiß, bisher von dieser ›nachahmenden Rede‹ – Mimesis im strengen Sinne – ausgenommen. Vgl. auch Milbank 2018, der aus den ›Trump typos‹ ein fiktives Bewerbungsschreiben komponierte, die Arroganz bzw. den Bildungsgrad der Trump-Gegner vorführend. 8 Trump hat in einem Interview mit Time darauf hingewiesen, dass es etwa die Late Show von Stephen Colbert ohne ihn vermutlich nicht mehr gäbe: »The guy was dying. By the way, they were going to take him off television, then he started attacking me and he started doing better.« (Trump, zitiert nach Pallotta 2017) Die Statistik bestätigt die Einschätzung des Präsidenten: »As for Colbert, the firstquarter ratings news continues a trend that began right around the time of Donald Trump’s inauguration. The Late Show’s relentless focus on the perpetual crisis at the White House, combined with Colbert settling into a big network gig after a decade-plus on half-hour cable shows, has paid off in a major way: The last time
Anmerkungen
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CBS passed 4 million viewers in late-night during a first-quarter ratings period
was all the way back in 2007.« (Adalion 2018)
9 Nicht alle Medienorganisationen profitieren im gleichen Maße von der Aufre gung: »Most big news organizations like The New York Times, CNN or NBC News are thriving in this environment by many accounts. The deeper Trump digs, the better they do. But in the south many rural publications likely can’t say the same. It’s the voter in those areas that connects with Trump, hearing his message loud and clear that media is the enemy. They don’t read the New York Times, not before and certainly not now.« (Magee 2018) Eine angenehme Ausnahme vom Wirbel um Trump stellen die englischen Boulevardblätter wie The Sun oder Daily Mirror dar, deren Welt aus sport, celebrities and gossip vom amtierenden Präsidenten der USA offenbar kaum tangiert wird. 10 Allerdings komme ich im Abschnitt über die Massenmedien kurz auf den Dämon Trump zu sprechen. Wie wir noch sehen werden, ist Semantik als Beschreibung gesellschaftlicher Strukturen nicht nur in der Lage, diese zu antizipieren und zu rekonstruieren, sie ist mitunter auch für deren Konstitution verantwortlich (siehe hierzu insbesondere Luhmann 1993a und b). 11 Tatsächlich halte ich Trump zwar für enorm ungebildet, aber keineswegs für dumm. Hier mag ein Vorschlag Simmels weiterhelfen, der zwischen Klugheit und Schlauheit unterschieden hatte. Schlau, sagt Simmel, sei »die Lösung der Klugheit von jeder Festgelegtheit durch die Normen der Sache […] und [meint] ihre vorbehaltlose Dienstbarkeit für das jeweilige persönliche Interesse« (Simmel 1989: 597). In diesem Sinne ist Trump, der sich von Normen nicht beeindrucken lässt, äußerst schlau. Es ist diese vorbehaltlose Klugheit, die ihm das Fangen der ›Bauern‹ – der Stahlarbeiter usw. – erheblich erleichtert: »Look, did he go to Harvard Kennedy School? Does he speak in the vernacular of the elites in this world? No, but he is incredibly smart«, verteidigt der von ihm geschasste Steve Bannon ihn gegenüber Showmaster Bill Maher in einer 2018 ausgestrahlten Folge von Real Time. »He was a guy that got it right away, that had these populist tendencies, understood economic nationalism, cut through the Bush apparatus, cut through the entire Republican field and then took on the Clintons.« Madeleine Albright sieht es ebenso: »Trump is, I think he’s actually really smart – evil smart, is what I think.« (Zitiert nach Rawnsley 2018) Diese Schlauheit lässt sich auch in Bezug auf manche seiner Entscheidungen nachweisen: »So I would treat Arpaio’s pardoning as a political and in particular a signaling move on Trump’s part – and a smart one.« (Sherri Berman, zitiert nach Erickson 2017) Oder in Bezug darauf, »how Trump helped shift momentum in favor of Kavanaugh« (Rucker et al. 2018) – was ihm nicht zuletzt gelang, weil er sich gegen den ausdrücklichen Rat seiner – klugen? – Berater dafür entschied, die Anklägerin Dr. Ford persönlich zu attackieren: »But Trump’s 36-second off-script jeremiad proved a key turning point toward victory for the polarizing nominee, White House officials and Kavanaugh allies said, turbocharging momentum behind Kavanaugh just as his fate appeared most in doubt.« (Rucker et al. 2018) Oder ganz generell in Bezug
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auf seine Fähigkeit, symbolisch-expressives Handeln gegen tatsächliche Politik auszuspielen. 12 Ich verzichte in diesem Buch darauf, Trumps Twittermeldungen bibliografisch nachzuweisen, im Gegensatz zu allen anderen hier angeführten Zitaten. Während ich große Mühe darauf verwandt habe, die Arbeit der einzelnen Journalisten durch namentliche Nennung zu würdigen, ist das in seinem Fall überflüssig – und das schon deshalb, weil dieses Buch aus gesellschaftlicher Sicht selbst eine einzige Trump-Fußnote darstellt. Zudem lassen sich alle hier zitierten Tweets mühelos mit Hilfe von Google überprüfen. 13 Wer in den letzten Jahren in die USA gereist ist, weiss, dass das nicht nur Propaganda ist. Der deutsche Manager Martin Richenhagen, bis März 2018 Mitglied von Trumps Beraterstab, spricht angesichts der maroden US -amerikanischen Infrastruktur, den kaputten Straßen, Strom- und Schienenwegen, vom »reichsten Entwicklungsland der Welt« (Richenhagen, zitiert nach Karbach 2015). Paul Theroux hat in Deep South (2015) eine eindringliche Beschreibung des amerikanischen Elends vorgelegt, das – gerade weil es sich in Amerika befindet – elender sei als das der sogenannten Dritten Welt: »These poor folk are poorer in their way […] and less able to manage and more hopeless than many people I had traveled among in distressed parts of Africa and Asia.« (Theroux 2015: 24) Seine Bestimmung amerikanischer ›Greatness‹ bietet eine bemerkenswerte Alternative zu der Trumps, sie umfasst auch »the rest of the world in its failures« (Theroux 2015: 440). Es könnte sich lohnen, die faktische Größe der USA im Hinblick auf das Phänomen Trump noch einmal in den Blick zu nehmen. Henry Adams hielt ein derart großes Land bekanntlich für unregierbar: »There are grave doubts at the hugeness of the land [whether] one government can comprehend the whole.« (Zitiert nach De Shong 2016) Für Trump ist allerdings nicht die geografische Größe der USA , sondern die Größe des heutigen Regierungsapparats das Problem, der zu Adams Zeiten nur schwach ausgebildet war. 14 »Since the 2016 election, President Trump has held 24 rallies across the country. While it is not uncommon for sitting presidents to hold rallies leading up to their re-election, many are surprised as to why the president has held so many so early into his tenure.« (Tylt 2018) 15 Für Zeit-Autor Bernd Ulrich ist Merkels Methode »vor allem eines: weiblich« (Ulrich 2013). Ihre Besonnenheit und Ruhe, die sich bisher auch im Umgang mit Trump bewährt hat, wird von den tapferen männlichen Medienvertretern zur Krisenerscheinung hochstilisiert. »Eine Einbestellung des US -Botschafters und formaler Protest können da nur erste Schritte sein. Die Beziehungen zu dieser US Regierung sollten auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Es ist auch nicht mehr nötig, weiterhin einen freundlichen Umgang vorzutäuschen. Deutschland und die Europäische Union sollten jegliche höfliche Selbstbeschränkung in der öffentlichen Bewertung dieser US -Regierung aufgeben.« (Kuzmany 2018b)
Anmerkungen
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16 »Some of you may think I am exaggerating when I say these November elections are more important than any in our lifetime […]. But a glance at recent headlines should tell you this moment really is different.« (Obama, zitiert nach Clift 2018) Auch Madeleine Albright ruft zu den Waffen: »In the book I write that there are people who say this is alarmist. It is. That’s the purpose. I’m concerned about complacency about it. This is a very deliberate warning.« (Albright, zitiert nach Rawnsley 2018) 17 Wer mag, kann diesen Umstand für Zwecke der Erleuchtung nutzen (vgl. Suzuki 1957: 238 ff.). Die wissenschaftliche Variante präsentiert Niklas Luhmann. Sein Werk ist theoriegewordenes Staunen darüber, dass die Dinge sind, wie sie sind. 18 Für marxistische Beobachter ist das Weiter-so der gesellschaftlichen Reproduktion die wahre Katastrophe. Mit Blumfeld: »Alles macht weiter« – die herrschende Klasse, der Hass auf die Frauen, die Zwiebeln im Kühlschrank. Mit Benjamin: Wo wir eine Kette von Begebenheiten sehen, sieht der Engel der Geschichte »eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. […] Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.« (1980: 697 f.) 19 Kosellecks semantische Modelle versuchen, dieser Ungenauigkeit ein Stück weit abzuhelfen. Sie unterscheiden Krise als a) Prozessbegriff – Weltgeschichte als Weltgericht –, b) als Periodenbegriff – die Krise geht vorüber – und c) als Zukunftsbegriff, der auf eine ›Letztentscheidung‹ zielt. Idealtypische Zuspitzungen, die uns in dieser reinen Form in der Debatte allerdings kaum je begegnen (vgl. Koselleck 2010: 208) 20 Folgt man Julian Go, müsste man den Slogan »America First« eigentlich in ein »Masculinist, Hypernationalist Right-Wing Extremists First« umwandeln (vgl. Go 2017). Da mit seiner Wahl genau diese Kräfte an die Macht gekommen sind, hat Trump nicht ganz unrecht, wenn er behauptet, Amerika sei nun wieder great: es ist zwar nach wie vor im Abstieg begriffen, doch mit dem Unterschied, dass die rechten, weißen Nationalisten nun zuerst kommen. Zur Faktizität des us-amerikanischen Niedergangs, vgl. Chosmky (2011), Lachmann (2011) und Kummerfeld (2015). Siehe auch Mühlmann (2009), der gar vom »Aussterben des amerikanischen imperium« spricht (kursiv im Original, M. H.). 21 Selbst ein Timothy Snyder, von Berufs wegen eigentlich Soziologe, vermag sich den Versuchungen der Krisenrhetorik nicht zu entziehen, wie seine Kapitelüberschriften in The Road to Unfreedom (2018) demonstrieren, in denen der Individualismus gegen den Totalitarismus antritt, die Integration gegen das Empire, Gleichheit gegen Oligarchie, Wahrheit gegen Lügen. Dass es ihm mit dieser Ent-
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gegensetzung von Helden und Schurken gelungen sein mag, seine als Individuen imaginierten Leser zu fesseln, sie in die Verantwortung zu nehmen, offenbar in der übermütigen Annahme, eine solche Individualmotivation spiele am Ende für das Schicksal der Individualität, der Gleichheit, der Wahrheit eine Rolle, will ich gar nicht bestreiten. Aber der Preis einer Neuauflage längst überkommener Gewissheiten – MOGA : Make Ontology Great Again – scheint mir allzu hoch zu sein. »If we see history as it is«, heißt es im Schlusswort, »we see our places in it, what we might change, and how we might do better.« (Snyder 2018: 279) Ganz so, als gehe es weiterhin um Fragen des Fortschritts – und nicht darum, möglichst genau zu beobachten: sei es die Geschichte, sei es unsere Rolle als Konstrukteure der Vergangenheit. 22 Vielleicht muss man auch diesen Text dazuzählen. Karl W. Deutsch, der 1963 als einer der ersten Soziologen eine systemtheoretische Konzeptualisierung der Politik vorlegte, verstand seinen Text ausdrücklich als Reaktion auf eine kommende Orientierungslosigkeit, eine herannahende »philosophische Krise« gar – vor allem aber als Reaktion auf eine Krise der herkömmlichen Theoriebildung. Auch Schlesingers Buch Imperial Presidency, das sich mit der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft befasst, rechtfertigt seine Existenz damit, dass »the privotal institution of the American government, the US Presidency, has got out of control and badly needs new definition and restraint« (1973: x). Mehr noch: sie bedarf laut Schlesinger der Wissenschaft, um wieder zurück auf ihren Pfad zu finden, nicht zuletzt durch die Zurückweisung von »inordinate theories«. Der Hinweis auf eine Krise eignet sich auch in meinem Fall hervorragend als vorzeigbarer Grund für das eigene Handeln, auch wenn ich meine Chancen der Einflussnahme geringer einschätze. Vor allem Sozialforscher und Kommunikationstheoretiker fragen sich offenbar im Vorfeld immer schon, was man denen erwidern könnte, die ihre Veröffentlichungen zum Problem machen. Ich hebe meine Versuche, mich der Motivsemantik zu bedienen, für den Schlussteil des Buches auf. 23 Aus Sicht Joshua Greens verdankt sich Trumps Präsidentschaft einer anderen Krise – der Finanzkrise von 2008: »The lesson that stands out all these years later is the same one Geithner was just coming to appreciate: Ignoring popular sentiment always has political consequences, and they’re often ones we can’t possibly imagine.« (Green 2018; zu den möglichen Gründen für die Finanzkrise, siehe erneut Mühlmann 2009), dessen Thesen es gestatten, den Kausalzusammenhang ›Kalter Krieg-Trumps Wahlsieg‹ herzustellen. Auch für Steve Bannon ist Trump keine Krisenerscheinung, sondern die Reaktion auf eine Krise: »This is the fourth great crisis in American history […]. We had the revolution, we had the Civil War, we had the Great Depression and World War II . This is the great Fourth Turning in American history.« (Bannon, zitiert nach Guilford and Sonnad 2017) Ich komme auf diese Überlegung zurück. 24 Ein alter Topos sagt: Das Volk ist aufgrund seiner mangelhaften Kenntnisse gar nicht in der Lage, die Besten zu rekrutieren. Trumps Wahl zum Präsidenten mag als empirischer Beleg dieser These dienen. Es dürfte sich lohnen, die Frage der
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Überlegenheit des demokratischen Modells, das sich durch die Instablität ständig wechselnder Regierungen auszeichnet, im Hinblick auf eine vergleichweise stabile meritokratische Elitenzirkulation, wie wir sie etwa in China vorfinden, einer erneuten Prüfung zu unterziehen – nicht zuletzt angesichts des chinesischen Aufstiegs. Daniel Bell (2015) hat hierzu erste entscheidende Hinweise geliefert. 25 Auf Michiko Kakutanis Deutung dieser Rechtschreibfehler komme ich später noch zu sprechen. Um es vorwegzunehmen: Kakutani begreift diese Nachlässigkeiten als essenziellen Bestandteil einer post-faktischen Strategie, der es um die politische Nutzbarmachung konstruktivistischer Erkenntnisse geht (vgl. 2018). Mit anderen Worten, es wären keine Fehler, sondern gewissenhaft platzierte Regelverstöße. Das würde ins Bild des Normbrechers passen. Auch für diese Verstöße kann Trump nicht belangt werden; auch hier kann er damit rechnen, dass die Elite der rechtschaffenen Rechtschreiber sich über ihn und damit über alle weniger Gebildeten mokieren wird, die offenbar einen großen Anteil der Trump-Anhänger stellen (vgl. Horton 2015), und im gleichen Moment seine Botschaft weiter verbreiten: »these tweets seem designed to get the media talking about the glaring error in the tweet – while also amplifying Trump’s message« (Lange 2018). Aus meiner Sicht geht es daher weniger um den Mißbrauch konstruktivistischer Einsichten als vielmehr um eine Variante des Protestspiels ›Wir gegen die Elite‹. Mich erinnert das Vorgehen durchaus an das der Popband Slade, die in den 70er Jahren mit ihren Songtiteln die Erwartungen an korrekte Rechtschreibung enttäuschte bzw. sorgfältig darauf bedacht war, ihre Fans nicht mit korrekter zu enttäuschen (»Coz I Luv You«, »Look Wot You Dun«, »Mama Weer All Crazee Now«, »Cum On Feel The Noize«, »Skweeze Me Pleeze Me«). Es wäre ein Leichtes, aus Trumps ›greatest typos‹ eine Liste möglicher Bandnamen oder Pop-Titel anzufertigen (Bands: Honered Seperation, Phoneix Councel, Marine Core, National Emergy, Smocking Guns; Titel: What a Waist, The Roll of My Life, Tapp Amoung …). Trump ist aus guten Gründen weniger offensiv: »his misspellings clearly add a sheen of authenticity« (Manjoo 2017). Dass sie ihm hin und wieder tatsächlich unterlaufen, will ich damit gar nicht ausschließen; vor allem jene von ihm nachträglich korrigierten Tweets geben hier entsprechende Hinweise. Aber das gilt längst nicht für alle: »Others linger long past a reasonable correction window, like neon signs proudly declaring the president’s anti-elitist adherence to his own set of language rules.« (Lange 2018) Inwiefern Rechtschreibfehler in der ›Twitter-Ära‹ überhaupt noch eine Rolle spielen, ist eine andere Frage. Beobachter Manjoo (2017) ist der Ansicht: keine besonders große. »So Trump Makes Spelling Errors. In the Twitter Age, Whoo Doesn’t?« 26 Moderator Chris Cuomo konstatiert: »Trump took a risk here. They call it unorthodox, but it was a gamble.« (Cuomo 2017) Die anderen Medien pflichten bei: »Behind Trump’s Termination of Iran Deal Is a Risky Bet.« (Sanger and Kirkpatrick 2018) Time spricht 2017 von »The Riskiest Show on Earth«. 27 »Und hier liegt einer der Schlüssel zum Verständnis von Trumps Handelspolitik: Im Verhältnis zu anderen Staaten sind die USA – fast – immer übermächtig groß.« (Piper 2018)
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Anmerkungen
28 Luhmann unterscheidet zwischen organisatorischer und entscheidungspsychologischer Robustheit (1988: 122). Mit letzterer werde ich mich später im Zusammenhang mit der Frage der Ideologie noch beschäftigen, durchaus im Sinne fehlender Sensitivität, als einem »I can’t hear you«, das man der Person Trump immer wieder unterstellt (siehe stellvertretend hierzu Belam 2018). Dass er diese Sensitivität im Falle der Haushaltssperre an den Tag legte und zuletzt zugunsten der unbezahlten Staatsdiener ›einknickte‹, wird ihm von vielen Anhängern denn auch als Schwäche ausgelegt. Aus Sicht der Massenmedien hatte der ›Zocker‹ Trump sein Blatt diesmal überreizt (vgl. Nelles 2019). 29 Dieser Vertrag ist auch eine propagandistische Referenz auf den großen anglo-amerikanischen Mythos des Vertrags ›auf Augenhöhe‹, der also nur symbolischen Wert hat, aber keinerlei rechtlich Konsequenzen – und damit ein erneuter Hinweis auf Trumps Schlauheit. »Es ist natürlich smart von Trump«, schreibt mir Rechtsprofessor Klaus Ziegert von der Universität Sydney auf eine entsprechende Anfrage, »seine Versprechen in dieser Form von den üblichen – und nur als solche möglichen – Versprechen anderer Politiker abzusetzen, die wie immer erst dann rechtlich bindend sind, wenn sie Gesetz werden. Der hohe Symbolwert des Konzepts ›Vertrag‹ im anglo-amerikanischen Politikbetrieb liegt meines Erachtens (anders als im europäischen) auch an der andersartigen Struktur des common law als Parteienrecht – jeder hat eine Chance, aber noch besser: einen guten Anwalt – und ist damit lawyers’ law, während in Europa unter Führung der Rechtswissenschaft das Recht zum Staatsrecht verkommen ist. Insofern spielen in der europäischen Politik ›demokratische‹ Vertragsfantasien keine so große Rolle wie in den USA . Die Erklärung warum das so ist, gibt […] wieder einmal Luhmann, denn der rechtliche Mechanismus des Vertrags ist überall auf der Welt der gleiche, weil die (ausdifferenzierte) Funktionsmechanik des Rechts überall die gleiche ist: ›Verträge stabilisieren auf Zeit eine spezifische Differenz unter Indifferenz gegen alles andere, inklusive der Betroffenheit von am Vertrag nicht beteiligten Personen und Geschäften.‹ Mit dieser Stabilität kann sich dann jeder am Recht bedienen, besonders das Wirtschaftssystem, das durch die Rechtssicherheit – Stabilität – exponenzielle Wertsteigerungen betreiben kann. Es ist also das Outsourcing des Rechts an die Wirtschaft, aber natürlich nicht des Rechtssystems – beide Systeme können sich weiter ihrer eigenen Autopoese erfreuen, wenn ein Vertrag geschlossen wird, denn es gilt Vertragsfreiheit, d. h., jeder kann mit jedem über alles einen Vertrag schließen, so lange es nicht über Illegales geht und der andere zustimmt. Das Recht kann dann ›unter Indifferenz‹ seine Hände in Unschuld waschen bis es möglicherweise zum Streit unter den Vertragspartnern kommt.« (E-Mail vom 5. 9. 2018) Ziegerts Hinweis macht deutlich, warum sowohl Trump als auch Luhmann den Vertrag so schätzen: der eine, weil er glaubt, seine Vertragspartner bilateral über den Tisch ziehen zu können; der andere, weil der Vertrag das ungeheure normative Potenzial des Rechtssystems deutlich machen kann. Das entsprechende Zitat findet sich bei Luhmann 1995a: 459. 30 Von Dirk Baecker (2016) schon. Ich komme auf seine Einschätzung gleich zurück.
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31 Sollte er unlautere Absichten gehabt haben, hat sich die Übernahme des Amtes für ihn bisher offenbar nicht ausgezahlt: »Donald Trump is not getting richer off the presidency. Just the opposite. His net worth, by our calculation, has dropped from $4.5 billion in 2015 to $3.1 billion the last two years, knocking the president 138 spots lower on the Forbes 400.« (Alexander and Peterson-Withorn 2018) Trump pflichtet den Autoren bei: »This is not the money. This is one of the great losers of all time. You know, fortunately, I don’t need money. This is one of the great losers of all time.« (Zitiert nach Benen 2019) Kwong (2018a) macht immerhin bei den Familienmitgliedern finanzielle Zugewinne aus: »President Donald Trump’s family appears to have grown richer since he entered the White House. The wealth is coming in because Trump, unlike past presidents, handed control of his businesses over to his children instead of fully divesting from them.« Zuverlässige Antworten die Profitabilität des Amtes betreffend könnte nur seine Steuer erklärung liefern. Aber natürlich geht es in der Politik nicht um Geld-, sondern um Machtgewinne. In diesem Sinne hat Trump vollkommen recht: This is not the money – this is the power. 32 Wenn ich in diesem Text versuche, einige der hier angerissenen Fragen so gut wie möglich, und das heißt: überwiegend mit systemtheoretischen Mitteln zu beantworten – was in vielen Fällen nicht viel mehr heißt, als andere Fragen an ihre Stelle zu setzen – dann gehe ich damit ebenfalls ein gewisses Risiko ein: Ich traue der Systemtheorie und der durch sie angegebenen Forschungsrichtung. 33 Tatsächlich sind es keine Menschen, die diese Beobachtungsleistung erbringen, da zum Beispiel weder deren Füße noch deren Nieren daran beteiligt sind – genau genommen nicht einmal deren Gehirne. Ich will diese etwas ungenaue Bezeichnung aber im Rahmen dieses Buches gelten lassen, hier lediglich darauf verweisen, dass sie sich bei anders gelagerten Forschungsinteressen durch die Unterscheidung von Körper und Psyche präzisieren lässt. Vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Peter Fuchs, insbesondere 2003 und 2005. 34 Eine Paraphrase, die ich mir von Peter Fuchs ausgeborgt habe. Die Phrase findet sich in »Archaïscher Torso Apollos« (vgl. Rilke 1955: 557). 35 Dass die Drehbuchautoren von Trumps Wahlsieg offenbar genauso überrascht wurden wie alle anderen, lässt sich anhand der sechsten Staffel von Homeland ersehen: die Produktion von fake news spielt eine Rolle, doch der neue Präsident ist eine Frau. Auch Trump-Buchautor Michael Wolff hat diese Präsidentschaft nicht kommen sehen: »Mit Blick auf die Wahl dachte ich, der gewinnt eh nicht, und ich kann in den Urlaub fahren. Aber er gewann, und ich dachte: Mist, ich muss wohl wieder an die Arbeit.« (Zitiert nach Richter 2018) 36 Siehe hierzu erneut Wolff 2018. Mit der Erwartung einer Niederlage hat er zuletzt die möglicherweise illegalen, weil in den Wahlkampf hineinreichenden Geschäftsbemühungen in Richtung Russland verteidigt: »There was a good chance that I wouldn’t have won, in which case I would have gone back into the business and why should I lose lots of opportunities.« (Trump, zitiert nach Wolffe 2018b)
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37 »Our Constitution was not created to deal with someone with Donald Trump’s character […]. This is the greatest challenge to constraining him with the law or the Constitution or controlling his behavior.« (Jason Johnson, zitiert nach Burleigh 2018) Mehr zur Frage, inwiefern die amerikanische Verfassung selbst das Problem sein könnte, im Schlusskapitel. 38 Wie bereits erwähnt, versucht Michael Lewis in Erhöhtes Risiko ein positives Gegenbild zu entwerfen, um die »fantastischen Erfolgsgeschichten« heldenhafter Staatsdiener zu erzählen (vgl. Lewis 2019: 18). Von einem dieser Helden – einer Heldin, um genau zu sein – handelt auch dieser Text, vgl. S. 209 ff. 39 Mancher Beobachter berichtet, dass die Bemühungen seiner Mitarbeiter Tillerson, Mattis und Cohn, die sich offenbar eine Zeit lang erfolgreich um die ›Eindämmung seiner Instinkte‹ bemüht haben, hohe Kosten verursacht hätten: »Trump railed against his Cabinet secretaries and staff.« (Vgl. Bennett 2018: 25) 40 So arbeiten republikanische Kongressmitglieder etwa gegenwärtig an einem Gesetz, das die Befugnisse des Präsidenten in Handelsfragen stark einschränken würde (vgl. Brössler und Hulverscheidt 2018). 41 Allerdings hat er – laut der Aussage seines Arztes auch auf den öffentlichen Druck hin – ein physical examen anfertigen lassen, das nicht zuletzt seine kognitiven Fähigkeiten unter die Lupe nahm. Das Ergebnis: »All clinical data indicates that the President is currently very healthy and that he will remain so for the duration of his presidency.« (So sein ehemaliger Hausarzt Ronny Jackson, zitiert nach Ducharme 2018a) Der Grund für Trumps ausgezeichnete Werte, trotz ständigem Cola- und Hamburgerkonsum: die Gene (vgl. dpa 2018). 42 »Und ein Mensch, der mit vielen Spitzen schreibt, ist oft sehr beharrlich. Er gibt nicht gleich auf, holt sich keine Hilfe. Der macht’s […]. Trump schreibt mit einer enormen Energie […]. Trump […] glaubt zu wissen, was gut und richtig ist. Er braucht niemanden. Schlimmer noch: Wahrscheinlich nimmt er Einflüsse von außen in vielen Fällen überhaupt nicht wahr. Wenn ich mich noch etwas weiter aus dem Fenster lehne, würde ich sogar sagen: Seine Unterschrift weist auf einen fast manischen Durchsetzungswillen hin.« (Katarina Rehm, zitiert nach Biazza 2017) 43 Frances listet diese horrid personality features in seinem Text für die Huffington Post auf – paradoxerweise zu Trumps Gunsten: »He must be by far the least suitable person ever to run for high office in the US – completely disqualified by habitual dishonesty, bullying bravado, bloviating ignorance, blustery braggadocio, angry vengefulness, petty pique, impulsive unpredictability, tyrannical temper, fiscal irresponsibility, imperial ambitions, constitutional indifference, racism, sexism, minority hatred, divisiveness etc. We could go on a lot longer, but you get the idea.« (Frances 2017)
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44 Es hat etwa dazu geführt, dass die Komiker Rassismus mit Präsidialität identifizieren: »Bill Maher called Roseanne Barr’s racist tweets ›abhorrent, bordering on presidential‹ during his opening monologue on Friday night.« (Perez 2018) 45 So, warnt Obama, funktioniere die amerikanische Demokratie aber nun einmal nicht: »And, by the way, the claim that everything will turn out okay because there are people inside the White House who secretly aren’t following the President’s orders, that is not a check – I’m being serious here – that’s not how our democracy is supposed to work.« (Zitiert nach Abramson 2018) 46 »Trump didn’t suffer a single hair out of place from countless scandals that include hush money to lovers, his boast about groping women, and interference with an inquiry into possible election-campaign-related collusion with Russia. Wasn’t Ronald Reagan supposed to be the ultimate Teflon president? Trump has not only snatched that crown away, he wears it with a gloat. Scandals slide off him without a serious dent in his approval ratings. It defies logic.« (Chugani 2018) Logik ist in diesem Fall allerdings auch gar nicht zuständig. Ich habe diese unerschütterliche Trump-Treue weiter oben mit den das normative Erwarten stabilisierenden Gefühlen erklärt. Ich komme auf die grundsätzliche Bedeutung von Gefühlen – als einem ›unvernünftigen Schlussfolgern‹ – im Schlussteil zurück. Zur Frage, ob das Verhältnis seiner Wähler zu Trump als Liebe begriffen werden kann, vgl. S. 149 ff. 47 Zur hier aufblitzenden Verwandtschaft der Trump’schen Strategie mit zentralen Überlegungen der Frankfurter Schule später mehr. 48 »That’s their new sound bite. All over. I turn the television on […]. And what happens is every network has ›manufactured crisis. This is a manufactured crisis.‹ Every one of them. It’s like they, you know, send out to everybody, ›Let’s use this sound bite today.‹« (Trump, zitiert nach Graham 2019, der diese Unterstellung zwar zurückweist: »Trump is wrong about the coordination«, aber sie durchaus zum Anlass nimmt, über die eigene Faktenherstellung – das medieneigene manufacturing – nachzudenken.) 49 Die Massenmedien haben mit einer eigenen Verschwörungstheorie reagiert: der Behauptung, dass Trump und Derrida bzw. der Konstruktivismus unter einer Decke stecken. Ich komme im Abschnitt über die Massenmedien darauf zurück. 50 Nicht so sehr deshalb, weil Mueller sich offenbar trotz aller hier und da sichtbar gewordenen Kreativität pflichtbewusst an die Verfahrensregeln hält und äußerst bestrebt scheint, die ihm zugewiesene Verantwortung »nach bestem Wissen und Gewissen« wahrzunehmen (vgl. Schäuble 2018). Sondern weil Kommunikation sich zwar raumgestützt vollzieht, aber selbst keinen räumlichen Zusammenhang darstellt (vgl. Luhmann 1984: 507). Wobei eine gewisse Ironie darin steckt, dass der die Immunreaktion auslösende Erreger Trump für sich selbst Immunität reklamiert, also jene – in diesem Fall rechtlich garantierte – Unempfindlichkeit, die die Gesellschaft in Bezug auf ihn vermissen lässt.
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Anmerkungen
51 »The Trump presidency that we fought for, and won, is over […]. It’ll be something else. And there’ll be all kinds of fights, and there’ll be good days and bad days, but that presidency is over.« (zitiert nach Boyer 2017) Unwichtige Scharmützel also – aber eben nicht jener große Befreiungskampf, den Bannon sich vorgestellt hatte. 52 Luhmanns Idee war, dass die Konservativen den selbsternannten Progressiven gegenüber die Chance einer höheren Reflexionskultur haben, schließlich bleibe die Gesellschaft in all ihren Veränderungen dieselbe. (Vgl. Luhmann 1997: 1078). 53 Um nicht selbst zur Krankheit zu werden, wie Luhmann es für die Soziologie befürchtete, werde ich im Folgenden sehr sorgfältig darauf achten, weder Trump noch Widersprüche und Konflikte als etwas ›Schlechtes‹ und Demokratie und/ oder funktionale Differenzierung als etwas ›Gutes‹, Erhaltenswürdiges zu begreifen (vgl. Luhmann 1984: 505 f.). In diesem Sinne ist auch die eingangs erwähnte Trump-Zustimmung zu verstehen. 54 »Ich habe eben nicht an das Politische dabei gedacht, sondern daran, was für eine unglaubliche Story das ist: Trump ist ja fast schon der klassische Fall eines Fisches an Land, ein Mann ist da, wo er nicht hingehört.« (Michael Wolff, zitiert nach Richter 2018) 55 Interessanterweise scheinen Tumorzellen parasitäre Eigenschaften aufzuweisen, weil sie die zelleigene Maschinerie umprogrammieren, was sie unangreifbar für das Abwehrsystem macht: »Gerade für ihre Ausbreitung machen sich Tumore die von ihnen ausgelösten Entzündungen zunutze […]« (Danckwardt, zitiert nach Grabar 2011). Honi soit qui mal y pense? 56 Luhmann spricht von der »geradezu neurotischen Obsession mit PC «, die allzu deutlich anzeige, dass Heuchelei zur politischen Forderung avanciert sei (vgl. Luhmann 2008b: 179). 57 »Since his election, legal scholars, former prosecutors and other critics have argued that the president’s flagrant disregard for unwritten norms is degrading American democracy. Their list of examples is long: Trump broke with 40 years of presidential tradition by not releasing his tax returns. He has made a multitude of false statements and attacked journalists for doing their jobs, weakening the public’s ability to agree on facts. He has also ignored the appearance of conflicts of interest, retaining ownership of various properties, where foreign and domestic lobbyists fork over big money for the chance to meet him. Trump’s done all of this while facing a variety of legal challenges – including one from New York Attorney General Eric Schneiderman, who’s investigating his charity after it admitted violating IRS rules when it used foundation funds to benefit Trump or his family.« (Burleigh 2018)
Anmerkungen
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58 Anders die First Lady, die gedankenlos abzuweichen scheint. Nicht nur im Hinblick auf ihre ›Mir egal‹-Jacke, die sie beim Besuch eines Heims für Flüchtlingskinder in Mexiko trug, sondern auch in Anbetracht ihres Tropenhelm-Oufits, das sie für ihre erste Auslandsreise nach Afrika wählte. »It’s like showing up to a meeting of African-American cotton farmers in a Confederate uniform.« (Matthew Carotenuto, zitiert nach Papenfuss 2018a) 59 »The symbolic beginning of this era of attack on dignity is probably Donald Trump’s Inaugural Address, as remarkable for its simplistic and hateful content as for its ugly treatment of the English language – a stark departure from the aspiration for beauty that we would expect from the occasion. That Trump said that he liked his aggressive tone (›Judge Kavanaugh showed America exactly why I nominated him,‹ the President tweeted) underscores how deliberate this behavior is. It communicates disdain for process, appearances, and expected modes of speech. In being so undignified, Kavanaugh – and Trump – are saying that power is raw, never shared, and never contingent.« (Gessen 2018) 60 Inwiefern seine Lieblingsmahlzeit Steak mit Ketchup Teil seiner Außenseiterrolle ist, darüber kann man nur Mutmaßungen anstellen. Es mag sein, dass es sich um eine Kommunikation handelt und er mit dieser Vorliebe etwas mitteilen will; es könnte aber auch sein, dass Trump diese Kombination einfach nur schmeckt. Und über Geschmack lässt sich zwar streiten, aber Gründe für eine bestimmte – mit Kant: »private« – Vorliebe zu fordern, ist ein simpler Kategorienfehler. (Erneut mit Kant: Trump würde anderen wohl kaum dasselbe ›Wohlgefallen‹ zumuten – er urteilt hier nur für sich; vgl. Kant 1974: 125 ff.) Doch eines ist ein Steak mit Ketchup gewiss nicht: Esskultur. Es lässt sich ohne Weiteres im Sinne einer einfachen Lebensart interpretieren und als Symbol für Trumps vermeintliche Volksnähe einsetzen. Eine andere Deutung geht von seiner Verbundenheit mit der Heinz-Ketchup-Dynastie aus, also gleichermaßen seinem Geschäfts- wie seinem Familiensinn. In jedem Fall hat auch diese Vorliebe Trumps das Interesse der Massenmedien geweckt, die daraufhin sogar eine Umfrage in Auftrag geben ließen mit dem Ergebnis, dass – laut Forbes – selbst die meisten Trump-Wähler von dieser Kombination nicht überzeugt sind (vgl. Durkheimer 2017). Dass der Essgewohnheit eines Prominenten derart viel Aufmerksamkeit widerfährt, ist heutzutage nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist genauso wenig, dass es sich bei diesem Prominenten um den Präsidenten der USA handelt, man denke an Arnold Schwarzeneggers Beispiel. Fest steht aber, dass auch das Steak mit Ketchup seine Rolle des Außenseiters ein Stück weit stabilisiert. 61 »I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose any voters.« (Trump, zitiert nach Reuters 2016) 62 »Pirro’s defense of Trump«, so Brett Edkins, »is essentially that he doesn’t have the skills and experience to be president or push a legislative agenda.« (Edkins 2017) In den Worten von John Podhoretz: »He does not know how Washington works. He does not know how the executive branch works. He does not know the
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Anmerkungen
political system works. He does not understand the difference between the rules that govern a privately held family company and the astoundingly complicated set of rules that have been put in place to restrain American politicians from just doing whatever they want.« (2017) Das sehen, wie erwähnt, mittlerweile auch einstige Trump-Anhänger wie Fox-Moderator Tucker Carlson so: »Carlson said it was ›mostly‹ Trump’s fault that he hadn’t been able to deliver on his pledges, because ›you really have to understand how‹ the legislative process works and ›be very focused on getting it done.‹« (Zitiert nach Moran 2018b) 63 »Treat the word ›impossible‹ as nothing more than motivation. Relish the opportunity to be an outsider. Embrace that label. Being an outsider is fine, embrace the label, because it’s the outsiders who change the world and who make a real and lasting difference. The more that a broken system tells you that you’re wrong, the more certain you should be that you must keep pushing ahead, you must keep pushing forward. And always have the courage to be yourself. Most importantly, you have to do what you love. You have to do what you love. I’ve seen so many people, they’re forced through lots of reasons, sometimes including family, to go down a path that they don’t want to go down, to go down a path that leads them to something that they don’t love, that they don’t enjoy. You have to do what you love or you most likely won’t be very successful at it. So do what you love.« (Trump 2017) Und auch hier traf Trump einen Nerv. Zum einen stellt sich seit geraumer Zeit die Frage, wie das Erziehungssystem mit den Auflösungstendenzen fachwissenschaftlicher Bezüge umzugehen gedenkt. Dass die Universitäten sich dagegen wehren, ist nachvollziehbar, schließlich sind sie in Fakultäten und entsprechenden Lehrstuhlzuordnungen organisiert. Und auch die Studierenden möchten mit eindeutigen Berufsbildern aus dem Studium entlassen werden. Zum anderen zählt das Renommee der besuchten Universitäten kaum noch, zumindest aus der Sicht Karen Duves. Ausschlaggebend seien stattdessen Trump’sche Eigenschaften: die persönliche Einstellung des Bewerbers, »Einsatzwille bis zur Selbstaufgabe, Risikobereitschaft, unerschütterliches Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen«. Duve: »Was uns da seit jeher als klassische Unternehmertugend gepriesen wird, würde sich bei genauerer Betrachtung aber auch für eine Verbrecherlaufbahn eignen und ist in Wirklichkeit ein Problem.« (Duve 2016: 15) Nebenbei gesagt: Auch mit der selbstaffirmativen Übernahme der Bezeichnung des Außenseiters bewies Trump Intelligenz – denn sie »makes his rise to power seem like a victorious overcoming by a weak but deserving perseverer«, so Wildhood (2017), die sie aus genau diesem Grund ablehnt. 64 Ich bin aus persönlichen Gründen geneigt, ihm hier ein Stück weit zuzustimmen, der ich als Außenseiter – als Journalist und Filmemacher – relativ spät im Leben auf die Innenseite der Wissenschaft gewechselt bin, offenbar ein für Systemtheoretiker und Konstruktivisten nicht unüblicher Weg, den auch Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Niklas Luhmann und Peter Fuchs gegangen sind. 65 Ich bemühe hier den ursprünglichen Wortsinn, der in der Polis den public minded citizen gegen das selbstsüchtige Privatexemplar ausspielte: »When a per-
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son’s behavior became idiotic – concerned myopically with private things and unmindful of common things – then the person was believed to be like a rudderless ship, without consequence save for the danger it posed to others.« (Parker 2005: 344) Als Idiot wird man geboren, zum Staatsbürger wird man erzogen. Dass Trump ausgerechnet an einer Universität diese Einzelnen oder besser Vereinzelten preist, ist also möglicherweise kein Zufall – es wäre ein erneuter Hinweis auf seine terroristischen Gaben. Sollte es sich um einen der üblichen Unfälle handeln, hätte der Präsident gleichsam im Vorbeigehen den Wunsch des Gemeinschaftsadvo katen Walter C. Parker invertiert: »I would like to see a national campaign against idiocy, and I believe schools are ideal sites for it.« (Parker 2005: 351) Allerdings kommen ihm hier eine ganze Reihe anderer Motive zugute, die allesamt dem Arsenal des Individualismus entstammen: »Born Originals«, schreibt Edward Young, »how comes it to pass that we die Copies?« (2009: 20, kursiv im Original; vgl. auch Luhmann 1984: 366) Im Sinne Trumps: Born idiots, how comes it to pass we die as public minded citizens? Aus dieser Perspektive ist nicht der Einzelne krank, sondern die Gesellschaft, die beliebiges Handeln verbietet. Ergänzen wir sie um die Einsicht, dass die Gesellschaft selbst diesen Protest gegen sie vorsieht – als Ausnahme. 66 Vergessen wir aber nicht, dass es nicht nur diese zwei Lager gibt: von 250 Millionen Amerikanern haben ca. 63 Millionen Trump und 73,5 Millionen Clinton gewählt – doch knapp die Hälfte der Bevölkerung hat gar nicht gewählt (vgl. Chalabi 2017). Indifferenz spielt nicht nur in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle, sie wird auch im Hinblick auf politische Entscheidungsprozesse unterschätzt. 67 Fluchexperten begreifen diesen als »eine Art ›geistigen Auftrag‹ […], der nur am Leben erhalten werden kann, wenn man ihn mit Energie nährt. Hat man genug Erfahrung mit geistiger Arbeit, so ist das Lösen eines Fluches durchaus möglich. Ist man jedoch unerfahren, und nährt einen Fluch mit Angst oder Wut, weil man damit nicht klar kommt, dass man verflucht wurde, so kann dieser Fluch an Kraft gewinnen. Möchte man selber einen Fluch an sich lösen, muss man vor allem mit viel Liebe und Akzeptanz dem Fluch entgegen treten. Eine gewisse Distanz zum eigenen Problem ist dabei von großem Vorteil. Selbst wenn man ungefähr meint zu wissen, wer der Verantwortliche für diesen Fluch ist, sollte man versuchen Abstand zu nehmen und dem Absender verzeihen. Es ist oft von Vorteil, nicht darüber nachzudenken, wer für den Fluch verantwortlich ist. Zudem kann es natürlich sein, dass man selber zu geschwächt ist, um den Fluch selber zu lösen. In diesen Fällen rate ich dazu, sich beraten oder helfen zu lassen.« (Zeithaml 2015) An diese Ratschläge hat Trump sich bekanntlich nicht gehalten – und in der Tat scheint der ›Fluch‹ durch seine Bemühungen nur an Kraft gewonnen zu haben. 68 Nur weil es sich um Meinungswissen handelt, lässt sich die vorherige, von Ideen über allgemeine Menschenrechte informierte Doktrin ja auswechseln; würde es sich um strenges Wissen handeln, wäre das schlechterdings nicht möglich (vgl. Luhmann 2002a: 274 f.).
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69 »The country, said Kennedy, made ›a vast array of strategic commitments‹ when the nation’s political, economic, and military capacity, as well as its ability to influence world affairs, was more assured than it was in 1987. The United States thus faced what Kennedy called ›imperial overstretch,‹ with its obligations and interests adding up to more than its capacity. That’s a characteristic of relative decline.« (Graziano 2018) 70 »We stand today on the edge of a New Frontier – the frontier of the 1960s, the frontier of unknown opportunities and perils, the frontier of unfilled hopes and unfilled threats. […] Beyond that frontier are uncharted areas of science and space, unsolved problems of peace and war, unconquered problems of ignorance and prejudice, unanswered questions of poverty and surplus.« (Kennedy 1960) 71 Es war bereits die dritte Auflage des Gesetzes, die erste erfolgte unter Hoover, die zweite unter Reagan (vgl. Graw 2017). 72 »A matrix of isolationism and petit-bourgeois anti-capitalism has always been found in Jeffersonian democracy, passing through Andrew Jackson, the 19th-century populist movement, and the Catholic critics of the far right and far left during the time of Franklin D. Roosevelt. Trump’s isolationism predates Trump. It’s a product of the end of the Cold War, when many Americans believed the time had come to finally ›return to normalcy‹ and retreat to their island to enjoy the dividends of victory.« (Graziano 2018) Im Mittelpunkt dieser Meinungsschule stehen Wirtschaftsinteressen, steht die Unterordnung der Außenpolitik gegenüber der Innenpolitik, die Betonung nationaler Interessen, sowie ein starkes Misstrauen gegenüber multilateralen Organisationen. Dass auf der Negativseite ein Verzicht auf die Rolle des ›Weltpolizisten‹ dazugehört, liegt auf der Hand. In den Worten Pat Buchanans, der in vielerlei Hinsicht zentrale Punkte des Trump’schen Programms vorwegnahm: »Was wir brauchen, ist ein neuer Nationalismus. Ein neuer Patriotismus, eine neue Außenpolitik, die Amerika nicht nur an erste, sondern auch an zweite und dritte Stelle setzt.« (Buchanan 1991: 23) Der »widerborstige Nationalismus« (Hacke), den Trump an den Tag legt, ist also nichts Neues. Auch das Anti-Intellektualistische ist ein Teil dieses Programms, genau wie die rechtsextremen und rassistischen Untertöne. Am anderen Ende der neo-isolationistischen Differenz finden sich die Fans der Gründerväter. Zwar propagierte auch Clinton eine insulare Außenpolitik, hielt es aber dennoch für erforderlich, die demokratischen Werte im eigenen Land hochzuhalten. So unterschiedlich beide sind, was Wertvorstellungen und Interessen angeht, sie treffen sich in der Auffassung, »dass Allianzen und kollektive Sicherheitssysteme den nationalen Interessen abträglich sind« (Hacke 2002: 611). Mit den globalen Unilateralisten hat Trump ebenfalls manche Auffassung gemeinsam, auch wenn er deren Abneigung gegenüber Diktatoren nicht mehr teilt. Nur mit den multilateralen Globalisten verbindet ihn nichts, denn deren Forderung, dass die USA sich an die veränderten internationalen Bedingungen anpassen sollen, ist ihm bekanntlich fremd. Stattdessen fordert er, dass die restliche Welt sich an die USA anpasst; nur dass es nun auch die eigenen Partner sind, die eine Gefahr für die amerikanischen Interessen darstellen –
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die Demokraten, die NATO , die EU . Die von den sogenannten Falken propagierte unilaterale Politik der Stärke, die auf bestehende Verträge oder Einwände von Alliierten keine Rücksicht nahm, findet in seinem Vorgehen einen Widerhall: Man stellt Ultimaten, ist nicht mehr großmütig, und verzichtet weitgehend auf Pragmatismus. Dazu gehören nicht zuletzt die Entscheidungen der Trump’schen Nahostpolitik (Jerusalem, Iran). Das unentschiedene Schwanken Bushs zwischen den Polen Powell und Rumsfeld hat bei Trump einer Entschiedenheit Platz gemacht, die seine Wählerbasis offenbar beeindruckt: seine Politik ist gleichsam ›aus einem Guss‹, und auch deshalb so leicht vermittelbar. 73 »The Trump I got to know had no deep ideological beliefs, nor any passionate feeling about anything but his immediate self-interest.« (T. Schwartz 2018) 74 Im engeren Sinne könnte man mit Gustav Ermecke Konkurrenzideologien, Rechtfertigungsideologien, Propagandaideologien und Verschleierungs- oder Verbergungsideologien unterscheiden (vgl. Ermecke 1969). Ermecke sieht vor allem Berührungspunkte zwischen der Verschleierungsideologie und der Rechtfertigungsideologie. Auf Trump bezogen, begegnet einerseits die Rechtfertigung des eigenen Verhaltens gegenüber dem Verhalten des Vorgängers sowie anderen – als wirtschaftlichen Konkurrenten wahrgenommenen – Ländern gegenüber; andererseits versucht er, dem eigenen Handeln eine über nationale Motive – innere Sicherheit – gewonnene Berechtigung zu geben, es derart zu ›verschleiern‹. Inwiefern die wertmäßige Höherstellung das eigene, auf »geringere Wertinteressen« (Ermecke) ausgerichtete Verhalten – geliebt zu werden? Bereicherung? – »in seinem wahren geringerwertigen Kern verschleiern oder verbergen« (Ermecke) soll, darüber lässt sich nur spekulieren. Dass es Trump jedenfalls nicht darum geht, eine imperialistische Machtpolitik zu maskieren, haben wir gesehen – weder will er Mexiko ›heim ins Reich‹ holen noch hat er irgendwelche sonstigen Eroberungsgelüste: »The worst mistake ever made in the history of our country: entering the Middle East under the orders of the President […]« (Trump, zitiert nach Notícias 2018). Reste der Verschleierungsideologie haben in seinem Verhältnis zum Iran überlebt; sie werden von ihm aber nicht so sehr mithilfe hoher Werte wie Freiheit und Demokratie begründet – diese Aufgabe hat zeitweise John Bolton übernommen –, sondern vor allem mit sicherheitspolitischen Bedenken. 75 »Last week, Congress finally managed to pass appropriations legislation for the current fiscal year – six months after the budget year began […]. In the past four years, China has succeeded in cutting concentrations of one pollutant – fine particulates – by 32 percent, roughly what it took the United States 12 years to achieve after passage of the Clean Air Act in 1970.« (Rattner 2018) 76 Parsons sprach von der »normative orientation of action« – dem Wissen darum, dass das Abweichen von den Normen eines shared symbolic system Konse quenzen hat, und zwar aus seiner Sicht vor allem unangenehme. Für Parsons ist ein solches, Orientierung ermöglichendes System gar »the most elementary form of culture« (Parsons 1962: 16, Luhmann 1984: 174). Denn es ist die Kultur, die uns
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die Standards – Parsons: value-orientation – vorgibt. Auch für Deutsch kommt Gesellschaft als eine Solidaritätsgemeinschaft nur zustande, wenn aus kommunikativen Beziehungen positive Kovarianzen resultieren. Sie sind für Deutsch – anders als für Trump, vgl. S. 70 f. – gerade nicht das Resultat einer territorialen Abgrenzung nach außen (vgl. Deutsch 1963). 77 »Sad to see the history and culture of our great country being ripped apart with the removal of our beautiful statues and monuments […]. You can’t change history, but you can learn from it. Robert E. Lee, Stonewall Jackson – who’s next, Washington, Jefferson? So foolish! Also the beauty that is being taken out of our cities, towns and parks will be greatly missed and never able to be comparably replaced!« (Trump, zitiert nach Zorthian 2018) 78 Was Cillizza zurückweist, durchaus im Sinne einer ›gesunden‹ Immunreaktion: das Trump-Syndrom sei »a function of increased polarization – not to mention our national self-sorting – at work in the country today.« (Cillizza 2018b) Dem politischen Gegner eine solche Gleichzeitigkeit verschiedener Symptome zu unterstellen, wenn er anderer Ansicht ist, scheint gute republikanische Tradition zu sein; vgl. Tribe 2002: 571, dem Nelson Lund ein »acquired conviction syndrome« bescheinigte. 79 Armin Meiwes, den die deutschen Massenmedien auf den »Kannibalen von Rotenburg« tauften, war laut eigener Aussage durchaus klar, dass Menschenschlachten und -essen ein Tabu darstellen. Nur dass es strafbar sein könnte, das sei ihm nicht klar gewesen, er habe in den von ihm studierten Gesetzbüchern keine entsprechende Regelung gefunden. In der Tat ist Töten in Deutschland verboten, einen toten Menschen zu essen dagegen nicht. Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger: »Das Essen von Menschenfleisch ist kein Tatbestand nach dem deutschen Strafrecht.« (Zitiert nach Hamburger Abendblatt 2018) Meiwes wurde denn auch nicht für das Essen des von ihm getöteten Menschen bestraft. 80 Sie wird auf der technologischen Ebene momentan vor allem im Zusammenhang mit Trumps Handhabung von Twitter diskutiert und hier manchmal mit der These einer Entdifferenzierung gekoppelt. Aus meiner Sicht ist der Twitter-Verleger Trump ein deutlicher Hinweis auf Veränderungen, die das Verhältnis von Politik und Publikum betreffen, es aber nicht grundsätzlich infrage stellen. 81 »No matter how they cast their ballots, all Americans can be proud of the history that was made yesterday. Across the country, citizens voted in large numbers. They showed a watching world the vitality of America’s democracy, and the strides we have made toward a more perfect union. They chose a President whose journey represents a triumph of the American story – a testament to hard work, optimism, and faith in the enduring promise of our nation.« (Bush 2008) 82 Der New York Times vom 7. Dezember 1987 gilt Donald Trump als Musterbeispiel dieser Erzählung: »Mr. Trump makes one believe for a moment in the American
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dream again. It’s like a fairy tale.« (Lehmann-Haupt 1987) Die Zeitung widmete seinem Buch »The Art of the Deal« gleich zwei Besprechungen, auf die erste von Lehmann-Haupt folgte am 20. Dezember eine ebenso positive, wenngleich etwas lakonischere von Ted Morgan, der sich auch Gedanken über eine mögliche politische Karriere des Autors machte: »But if Mr. Trump does have political ambitions, I would start him out as Parks Commissioner, to replace the lackluster Henry Stern, whom Mr. Trump faults for lack of leadership […]. Maybe Mr. Trump could accomplish what Governor Cuomo could not and get the Wicks Law changed. Maybe he can run a city department with half the efficiency of his own company. But of course he won’t, because an entrepreneur like Mr. Trump would go nuts working for the city.« (Morgan 1987) 83 Aus dem Munde eines Differenzprofiteurs: »We all knew we would attend college. And we knew we would have opportunities afforded to us because of our economic status and proximity to Washington, D. C., because of the connections our parents had and because of our education.« (Bowen 2018) Und aus dem eines anderen namens Trump: »You know, being the son of somebody, it could have been competition to me. This way, I got Manhattan all to myself.« (Zitiert nach Mullaney 2018) 84 Der Spiegel hatte ebenfalls ein Dekapitationsmotiv gewählt und Trump auf einem Cover mit dem abgeschnittenen Kopf der Freiheitsstatue präsentiert. Zwar wurde auch diese Darstellung als Normbruch beobachtet (vgl. Haller 2017), sie war aber offenbar durch die größere künstlerische Stilisierung von Edel Rodriguez gedeckt – und durch den Umstand, dass Statuen nicht sterben können. 85 Im Falle Griffins ging es vor allem um die Benachteiligung eines Symbols terroristischer Gewalt – keine der in Hollywood so populären Erschießungen kann mit der Ausdrucksstärke einer Enthauptung mithalten. Hätte sie das Gewaltmonopol des Staates ordnungsgemäß mit einer Feuerwaffe in Frage gestellt, die Komikerin wäre kaum als Gegendrohmacht wahrgenommen bzw. mit einer Terroristin verwechselt worden: »I … was under federal investigation for conspiracy to assassinate the President of the United States of America.« (Griffin, zitiert nach Bernstein 2017) Ihre Satire hat mit dem Terror aber noch etwas anderes gemein: sie kommt aus einer Position der Ohnmacht, die sich gegen Trump nicht anders als mit dessen imaginärer Vernichtung zu helfen weiß. Die einzige Pointe: Destruktion. Und genau wie dem Terror gelang es ihr, mit dieser Vernichtungsgeste unkontrollierbare Kommunikationen auszulösen. Im Gegensatz zum Terrorismus schlug Griffin aber nicht »blindwütig« daneben (vgl. Fuchs 2002: 236): ihre Mitteilung in der Form symbolischer Gewalt traf maßvoll den, der gemeint war. 86 Es gibt in der modernen Gesellschaft keine Zentralinstanz, die grundlegende Normen oder Direktiven festlegt, die dann von der Politik, der Wirtschaft, dem Recht usw. zu beachten seien mit der einzigen Alternative abweichenden Verhaltens. Auch hier kann es also zu Interessenkonflikten kommen, und zwar dann, wenn die Normen eines bestimmten Teilbereichs umstandslos in einem anderen
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geltend gemacht werden – die locker room rule etwa im Kongress wird, oder, noch fataler: die Unantastbarkeit der menschlichen Würde im locker room. 87 Umgekehrt erlaubt es die von Trump vorgenommene Infragestellung anderen Provokateuren, daran anzuschließen: »Voting every four years to elect a head of state – is that democracy? […] Ever since I was twelve years old, I’ve watched the range of opinions permissible in the press steadily shrinking […]« (Houllebecq 2018). Auch Houellebecs Protagonisten sind skeptisch: »Seltsamerweise war der Westen stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs, nicht selten kam es sogar zu einem Krieg, um dieses System anderen Ländern aufzuzwingen, die diesbezüglich weniger enthusiastisch waren.« (Houellebecq 2015: 43) Dass Demokratie zu einem Kampfbegriff verkommen ist, wie Luhmann mutmaßt, der vor allem zur Diffamierung der Gegenseite – eines ›undemokratischen‹ Handelns – verwendet wird, lässt sich gut anhand der Reaktionen auf Trump demonstrieren (vgl. Luhmann 2002a: 357). Auch die Wissenschaft macht hier keine Ausnahm. 88 »Democracy is not the easiest form of government. It does require attention and participation and carrying out the social contract. And it doesn’t deliver immediately. What we have to learn is how to get democracy to deliver because people want to vote and eat. But it just took me 10 minutes to explain it and that’s the problem.« (Albright, zitiert nach Rawnsley 2018) 89 In der deutschen Bevölkerung erfuhr das Verhalten von Frankfurts Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner großen Zuspruch, der sich dazu hinreißen ließ, dem Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler »Schmerzen« anzudrohen. Die Reaktion des Entführers bestätigt Trumps Einschätzung: Folter – in diesem Fall: die Androhung von Folter – funktioniert. Der einst in Vietnam gefolterte John McCain hält dagegen, wenn auch nicht so sehr, weil sie nicht funktioniere, sondern weil sie dem eigenen Werteverständnis widerspricht: »Most of all, I know the use of torture compromises that which most distinguished us from our enemies.« (Zitiert nach Cox 2014) Auch CIA -Chefin Gina Haspel bringt vor allem moralische Einwände gegen eine mögliche Folteranweisung des Präsidenten vor: »I would not allow CIA to undertake activity that I thought was immoral, even if it was technically legal […]. I would absolutely not permit it.« (Cox 2014) 90 Eine ähnliche Taktik wendet er im Hinblick auf die Wirtschaft bzw. die Institution der US -Notenbank an, deren Zinserhöhungen er einerseits scharf kritisiert, deren Autonomie er andererseits aber nicht ernsthaft infrage stellt: »And it’s independent, so I don’t speak to him [Fed-Chef Jerome Powell, M. H.].« (Trump, zitiert nach Sheetz 2018) Es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der vermeintliche ›Autokrat‹ Trump zwar bellt, aber nicht beißt – anders als Erdogan, der im September 2018 die komplette Führung des türkischen Staatsfonds abgesetzt hatte, um – gemeinsam mit seinem Schwiegersohn – fortan selbst über dessen Besitztümer zu bestimmen.
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91 Nebenbei erwähnt ist Amerika bekanntlich der Name eines Doppelkontinents, der etwa 980 Millionen Menschen beherbergt. Die USA sind hier neben Kanada, Brasilien, Argentinien, Mexiko usw. nur ein Staat unter anderen. So great bzw. groß er auch sein mag: Kanada ist flächenmäßig größer. Schon Frank Lloyd Wright wunderte sich: »But why this term ›America‹ has become representative as the name of these United States at home and abroad is past recall.« (1941: 100) Es mag zuletzt pragmatische Gründe haben, schließlich sagt es sich leichter und ohne größere Zeitverluste. Es könnte aber auch mit dem ›Wesen‹ der Amerikaner zusammenhängen, das sich in die Worte eines amerikanischen Blogautors hineinbeobachten lässt: »We’re not going to stop using ›America.‹ We should not stop. Get over it.« (Kirk 2013) 92 Die Inklusion geht den Trump-Anhängern gleichsam zu weit, wendet sich in ihren Augen gegen sie, schließt sie durch den Einschluss der anderen – überwiegend als nicht-weiß imaginierten Bevölkerungsanteilen – aus: »These people may think, ›all of these groups have big advantages over me. The system is giving them, not me, special treatment, because I am white‹. From this line of reasoning, they conclude that it is they who are the minority that have been oppressed and discriminated against.« (Fukuyama, zitiert nach Koulinka 2017) 93 Die Zivilreligion wurde laut Ziegert (2013) von den Amerikanern nach Deutschland importiert und treibt hier seitdem als ›Staatsreligion‹ ihr Unwesen. 94 »An old man shook off the scars of battle one last time and arose a new man to pilot one last flight up and up and up, busting clouds left and right, straight on through to the kingdom of heaven. And he slipped the earthly bonds, put out his hand, and touched the face of God.« (McCain, zitiert nach NBC News 2018) 95 Hier findet sich die zweite semantische Option des Krisenbegriffs: Krisen gehen bekanntlich vorüber (vgl. Luhmann 1997: 1116). In den Worten Franklin D. Roosevelts: »Out of every crisis mankind rises with some greater share of knowledge, higher decency, purer purpose.« (Zitiert nach Besson 1955: 20) Aus der Perspektive der Trump-Kritiker kann es nach diesem Präsidenten nur besser werden: »A history of loss is thus a proposal for restoration.« (Snyder 2018: 277) 96 So auch Garrison: »Donald Trump is not a Christian, but he knows what the religious right needs to hear.« (2018) Dass er wenig Wert darauf zu legen scheint, diesen Wertbezug in Anspruch zu nehmen, dürfte mit seinem unchristlichen Lebenswandel zusammenhängen: »Trump is twice divorced, and his attorney claimed to have paid adult film star Stormy Daniels to keep quiet about having an affair with Trump. He’s been caught on tape speaking in foul-mouthed terms about women. His character flaws could have derailed almost any other politician trying to court the religious right.« (Garrison 2018) Auf sein Privatleben kommt es für seine Wähler aber offenbar nicht an. Sondern darauf, welche – christlichen – Entscheidungen er trifft: »Issues matter more than a person’s personal life […]. The two issues that come up are pro-life – appointment of judges (who oppose
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abortion), and support for Israel.« (Garrison 2018) Anders sein ehemaliger Berater Steve Bannon, für den der Bezug auf christliche Werte bei der Wiederherstellung amerikanischer Größe eine wichtige Größe darstellt: »To restore the health of America’s economy and patch its shredded social fabric, Bannon wants capitalism to be re-anchored by the Judeo-Christian values he believes made the country great throughout its history. This shared morality ensures that businesses invest not just for their own benefit, but also for the good of native workers and future generations.« (Guilford und Sonnad 2017) Auch die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem nimmt nicht explizit auf Religion Bezug. Sie ist auf der pragmatischen Ebene zunächst einmal die Einlösung eines Wahlversprechens. Zudem setzt Trump ›nur‹ einen Kongressbeschluss – den Jerusalem Embassy Relocation Act – aus dem Jahr 1995 um. Aber natürlich wird die symbolische wie völkerrechtliche Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels von den Evangelikalen begrüßt, weil sich hier erneut etwas manifestiert, das in meist kommunikationslatenter Form – als eine Art ›Hintergrundstrahlung‹ – das Trump’sche Programm informiert: die erwähnten christlichen, zivilreligiösen Werte. Mit dieser Geste in Richtung der konservativen republikanischen Wählerschaft sichert sich Trump deren Unterstützung, nicht zuletzt die der jüdischen Wähler und Lobbygruppen. Ein weiterer Grund liegt in Trumps Präferenz für Abweichungen, in diesem Fall von einer vorsichtigen, diplomatischen Politik zugunsten einer riskanten, entscheidungsfreudigen und konfrontativen. Man könnte von einer Ausweitung des ›Muslim-Banns‹ sprechen, der nun auf dem Territorium Israels Form annimmt – der Tempelberg, das Edle Heiligtum der Muslime (al-Haram al-Sharif), wird umstandslos eingemeindet bzw. enteignet. Es war an Jeff Sessions, den religiösen Bezug des Trump’schen Programms mit einem Bibelzitat explizit zu machen, das gerade in diesem Zusammenhang hoch relevant ist, weil sich auch hier ein Konflikt bzw. die für die Trump-Regierung typische Zurückweisung funktionaler Differenzierung offenbart. Indem Sessions die Einwanderungspolitik der Regierung, und hier insbesondere die Praxis, Kinder von ihren Eltern zu trennen, mit einem Verweis auf Apostel Paulus verteidigt, »wonach die Gesetze der Regierung befolgt werden müssen, weil Gott die Regierung zu seinen Zwecken eingesetzt hat« – »I would cite you to the Apostle Paul and his clear and wise command in Romans 13, to obey the laws of the government because God has ordained them for the purpose of order […]. Orderly and lawful processes are good in themselves and protect the weak and lawful.« (zitiert nach McFarlan, Miller und Shimron 2018) –, ignoriert er die historisch gewachsene Unabhängkeit, ja Indifferenz der Religion gegenüber gesellschaftlichen Anforderungen und nimmt den Funktionsverlust der Politik, den sie im Zuge der Ausdifferenzierung der Religion erlitten hatte, zumindest auf der symbolischen Ebene zurück; ganz so, als sei die Gesellschaft vom Politischen und vom Religiösen aus weiterhin – oder: wieder – einheitlich interpretierbar. Kurz gesagt: Sessions verwechselt das Reich Gottes mit dem Reich Trumps. Rachel Laser, die Präsidentin von Americans United, weist dieses Ansinnen zurück: »The separation of church and state means that we don’t base public policy on the Bible or any religious book.« (zitiert nach Jacoby 2018) Was Trump zugute kommt, würde es doch in letzter Konsequenz bedeuten, dass Hurrican Michael oder Hurricane Maria als Anlass für seine Tötung genommen werden
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könnten (vgl. Luhmann 1982: 150). Aus der Perspektive des republikanischen Abgeordneten Dave Johnson: »Hell on Earth, brought to you by the Liberals in Cali fornia!« (Zitiert nach Touchberry 2018c) Auf Achtung im Diesseits darf man mit einer solchen Äußerung heutzutage allerdings kaum hoffen, im Gegenteil, sie qualifiziert für die Buße der Abbitte: »Johnson owes the victims, their families, and the heroes who fought the fire and participated in rescue efforts an apology,« David Betras said in a post on the party’s Facebook page. »In addition, I think his demented comments disqualify him from holding positions of public trust.« (Zitiert nach Eustachewich 2018) Wie in der Moderne üblich, wird Trump einerseits als »opposite of christianity« (Lux 2017) stigmatisiert und Jesus von Nazareth gegenübergestellt (»Is there a clearer antithesis to what Jesus preached in the gospels?«), während die TrumpAnhänger es genau umgekehrt sehen: es ist ebenjener ›Lord Jesus‹, dem sie Trump verdanken (vgl. Heer 2016). 97 Autor et al. identifizieren die ›Superstar Firms‹ und die zunehmende Marktkonzentration als wesentliche Kausalfaktoren (vgl. 2017). 98 Ruesch und Bateson haben auf die Konsequenzen für Kunst und Politik hingewiesen: »Thinking as well as artistic expression is only tolerated along conventional lines. Original and new contributions are either floured or totally ignored.« (1951: 104) Ob diese in den restaurativen 1950er Jahren der USA vorgenommene Einschätzung auch heute noch zutrifft, sei dahingestellt. 99 Dass mit Trump eine ›Nicht-Gruppen-Person‹ einer Gruppe beigetreten ist, nämlich der GOP , dürfte der Grund für viele der partei-internen Konflikte sein. Genau in diesem Sinne kann er in der Tat als ›Idiot‹ begriffen werden – wenn auch im ursprünglichen Sinne: als ein Einzelner (idiótes). Die alten ethischen Vorstellungen sahen vor, dass der Mensch nur in der Gemeinschaft zur Perfektion gelangen könne (vgl. Luhmann 2002a: 10). Tatsächlich erfordert Politik nicht mehr als ein geschicktes Verhalten, und das legt Trump an den Tag. Dass er dabei stets am Abgrund balanciert, der ihn zu verschlingen droht, weshalb es mehr Sinn macht, den ›Trampel‹ Trump als Akrobaten zu begreifen, habe ich zu zeigen versucht. Wenn im Zusammenhang mit seiner Person die alte Anforderung an ein der Politik immanentes Ethos wiederauflebt, kann das als Teil der gesellschaftlichen Immunreaktion begriffen werden, als Antwort auf seine offensive, schamlose Zurückweisung moralischen Verhaltens – und wenn man so will: als Anachronismus. 100 »Trump was investigated by a U. S. Senate committee for wartime profiteering (1954), and by the U. S. Justice Department’s Civil Rights Division for civil rights violations (1973) […]. He made Donald the president of Trump Management Company in 1971, and they were sued by the U. S. Justice Department’s Civil Rights Division for violating the Fair Housing Act in 1973 […]« (vgl. Wikipedia 2018).
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101 Der Erfolg von Trumps Kampagne liegt in dieser Verdichtung begründet. Sie wird aus sozialpsychologischer Sicht dadurch begünstigt, dass im »Einstellungsobjekt« (Heider) der amerikanischen Erstheit Einheitsrelation und Werterelation zusammenkommen (vgl. Heider 1958). 102 Diese »nicht ganz lupenreine« zweifache Negation macht laut Peter Fuchs den Begriff der Kontingenz aus (vgl. Fuchs 2004: 89). 103 »This was not a display of ›America first,‹ but rather a very disturbing performance by a man who put himself and Russia above American interests and American values.« (So die Hexenjäger Miller and Sokolsky 2018b, die dieses Resultat in USA Today übrigens vorhergesehen hatten: »It’ll be Donald Trump First, not America First, at Helsinki summit with Vladimir Putin.« Miller and Sokolsky 2018a) – »Never has a president engendered such a wave of discussion about whether his real loyalty was to a foreign power over his own country.« (Baker 2018) – »In the entire history of our country, Americans have never seen a president of the United States support an American adversary the way President Trump has supported President Putin […]. For the president of the United States to side with President Putin against American law enforcement, American defense officials, and American intelligence agencies is thoughtless, dangerous and weak. The president is putting himself over our country.« (Chuck Schumer, zitiert nach Gambino 2018) – »Sadly President Trump did not defend America to the Russian president, and for the world to see. Instead, what I saw today was not ›America First,‹ it was simply a sad diminishment of our great nation, Republican Senator Lisa Murkowski of Alaska said.« (Leblanc 2018) – »No negotiation is worth throwing your own people and country under the bus.« (Abby Huntsman, zitiert nach Zurcher 2018b) – »There is no question that Russia interfered in our election and continues attempts to undermine democracy here and around the world […]. The president must appreciate that Russia is not our ally. There is no moral equivalence between the United States and Russia.« (Paul Ryan, zitiert nach Page 2018) 104 Allen Lichtman geht wie bereits erwähnt davon aus, dass Trumps Person die Wahl nicht entscheidend beeinflusst hat. Das mag so sein, und seine korrekte Vorhersage des Wahlausgangs scheint diese Annahme zusätzlich zu beglaubigen. Nur haben wir keinerlei Möglichkeit, sie zu überprüfen, also etwa in der Zeit zurückzugehen und Trump versuchsweise gegen einen anderen republikanischen Kan didaten auszutauschen (vgl. Lichtman 2017). 105 »The U. S. economy is looking very good, in my opinion, even better than anticipated. Companies are pouring back into our country, reversing the long term trend of leaving. The unemployment numbers are looking great, and Regulations & Taxes have been massively Cut! JOBS , JOBS , JOBS « (18:29 – 19. Feb. 2018) – »The economy of the United States is stronger than ever before!« (7:39 – 17. Juli 2018) – »Great financial numbers being announced on an almost daily basis. Economy has never been better, jobs at best point in history. Fixing our terrible Trade Deals is a priority – and going very well. Immigration on Merit Based System to take care of
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the companies coming back to U.S.A.« (7:52 – 6. Aug. 2018) – »The GDP Rate (4.2 %) is higher than the Unemployment Rate (3.9 %) for the first time in over 100 years!« (16:03 – 10. Sep. 2018) 106 »Inconsistent government action and uncertainty undermines economic growth and American competitiveness and creates anxiety for employees who follow the law. In many cases, these employees studied here and received degrees from U. S. universities, often in critical STEM fields.« (Cook, zitiert nach Cao 2018) 107 »Is he the brilliant and super-industrious star of conservative legal circles who was, in President Donald Trump’s words, ›born for the U. S. Supreme Court?‹ Or is he the brazenly partisan apparatchik, a Bill Clinton accuser and George W. Bush acolyte who one Democratic senator called the ›Forrest Gump of Republican politics?‹ Is he a hero to female law clerks who he’s mentored and promoted, a devoted husband and dad of daughters who lovingly coaches girls’ basketball teams? Or is he the grown-up version of a high school and college frat boy who spent too many nights drinking too many beers, then drunkenly mistreated girls and young women?« (Wolf 2018) 108 In der Vermittlung dieser Illusion liegt eine der Stärken des Populisten Trump, der den Kontakt zum Publikum – seinen treuen Anhängern – nie abbrechen lässt: »Trump revels in reviving his base. He never gives the passion time to die down. He stokes grievances where he knows he can find them, in the Rust Belt and Sun Belt and a rural America besieged by opioids.« (Lawrence 2018) Twitter macht es ihm möglich, diese Funktion auch ohne die Notwendigkeit physischer Ko-Präsenz zu bedienen. 109 Dieses Phänomen lässt sich auch im Zusammenhang mit der AfD und der außerparlamentarischen PEGIDA -Bewegung beobachten, die vom damaligen deutschen Außenminister Sigmar Gabriel als »Pack« beschimpft wurde und diese Kennzeichnung in einem Akt der Affirmation für sich übernahm. Krastev hat in einem Spiegel-Interview deshalb davor gewarnt, die AfD-Anhänger und Rechtspopulisten mit einer Identität auszustatten, die sie gar nicht haben – es könnte sein, dass sie sich zuletzt zum Nazitum bekennen (vgl. Gorris 2018). 110 Um das Maß vollzumachen: genauso, wie sie die persistence in living systems garantiert (vgl. Glassmann 1973). 111 »Die Unterschrift der meisten Menschen endet abrupt oder schwingt nach außen. Das steht, könnte man interpretieren, für Diplomatie, für Verbindlichkeit. Man öffnet sich zu Anderen hin. Wie eine ausgestreckte Hand. Das ›P‹ am Ende von Trump bildet dazu einen scharfen Kontrast. Erst kommt dieser erstaunliche Bogen nach oben, der eigentlich keinerlei Sinn hat. Und statt auszugleiten, macht der Strich eine deutliche Rückwärtsbewegung. Alles führt auf ihn zurück.« – »Ein Unterschrift gewordenes ›America first‹?« – »Ein Unterschrift ge
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wordenes ›Trump first‹. Die ganze Unterschrift schreit förmlich: ›Ich zuerst! Alles zu mir!‹« (Biazza 2017) 112 »The White House makes numerous decisions that are going to impact the profitability of Trump’s businesses around the world, and although he might not be running them anymore, he knows in broad terms what policies would impact them and generate profit for them. Nonetheless, he refused to fully divest himself of his business interests before taking office. I understand that doing so might be complicated, and that he might take a financial hit in doing so, but no one forced him to run for president. He holds the most powerful position in the world, and if he has to make sacrifices to hold that position honorably, so be it.« (Lichtman 2017) 113 Im Gegenteil, die Häufung von Posten und Loyalitäten in Verbänden, Parteien und Verwaltungen erfüllt eine wichtige integrative Funktion, auch wenn solche Häufungen in einer funktional-differenzierten Gesellschaft latent bleiben müssen und mitunter gar zur Illegalität verurteilt sind. Wer sich auf sie beruft, muss deshalb entsprechend vorsichtig sein. Eine gewisse Nähe, ein gewisses Vertrauen sind unabdingbar. Vor allem aber sind sie vermittelbar, so Luhmann (2002a: 218), der vor anderen, nichttrivialen Konflikten warnt – genau jenen, mit denen wir gegenwärtig zu tun haben: ethnischen, religiösen, Identitätskonflikten, Konflikten über nicht verhandlungsfähige Werte, Normen, Überzeugungen, die durch Kompromisse – anders als Interessenkonflikte – nicht gelöst werden können. Luhmanns Annahme war, dass diese durch fundamentalistische Bewegungen befeuerten Konflikte zu ganz neuen politischen Strategien führen. Trump hat diese Wette Luhmanns eingelöst. Aber warum teile ich die Abneigung der Gesellschaft gegenüber personalen Rollenkombinationen nicht, die deren Inhaber zur – buchstäblich – stillschweigenden Rücksicht auf seine anderen Rollen in anderen Systemen veranlasst? Was ist denn gut daran? Derartige Rollenkombinationen sind deshalb ›gut‹, weil der Ausdifferenzierung der politischen Prozesse Schranken gesetzt sind. Anders gesagt benötigt Politik mehr Konsens, als sie durch Verhandlungen (Ausdrücklichkeit) beschaffen kann. Sie ist schlicht und einfach auf diese Möglichkeit »kommunikationsloser Selektion« (Luhmann) angewiesen. Nur in diesem Sinne plädiere ich dafür, funktionale Differenzierung zu unterlaufen. 114 Luhmann spricht zwar durchaus selbst von »widerstreitenden Systemin teressen« (Luhmann 1999: 312), tut dies aber in einem seiner ersten Texte, in Luhmanns eigenen Worten: »auf dem damaligen Wissensstand« (1999: 405). Das Konzept der Autopoiesis stand ihm damals noch nicht zur Verfügung, auch wenn er bereits von der Autonomie des Systems ausgeht, das »die alte, diffuse Interessengemeinschaft« aufkündigt (1999: 380). Ich habe mich aus Gründen der Verständlichkeit für die Metapher entschieden, will an dieser Stelle aber doch kurz auf die damit zusammenhängenden Probleme eingehen. Erstens stellt ›Interesse‹ im Gegensatz zu Funktion keinen Begriff dar; zweitens kann die Politik ohne Eigenrepräsentanz keinerlei Interessen verfolgen, weil es im System keinen gibt,
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der sie hat. Im Gegensatz zu den »Verhandlungssystemen« in ihrer Umwelt, »die in der Form von regulären Interaktionen Organisationen zusammenführen, die ihrerseits Interessen aus verschiedenen Funktionssystemen vertreten« (Luhmann 1997: 788). In diesem Sinne könnte ein vorsichtigeres Theoriedesign Interessen auf die operative Kopplung zwischen autonomen Systemen beziehen und derart ›verbegrifflichen‹. Mögliche Anwendungsgebiete wären Gewerkschaften oder soziale Bewegungen, wo Interessen als Kernzellen von Systemen erscheinen können. Das würde auch eine genauere Bestimmung des sogenannten ›öffentlichen Interesses‹ gestatten. Ich komme auf die Frage, inwiefern Öffenlichkeit überhaupt als handlungsfähige Einheit gedacht werden kann, später zurück. 115 Bemerkenswert das englische ›Goodbye‹, das das Beenden kurzerhand für gut erklärt. Im Gegensatz zum ›Badbye‹, etwa einem: »Sie werden dann von meinem Anwalt hören.« Oder einem, das den guten Abschied ironisiert und gleichzeitig dessen Endgültigkeit markiert: »Schönes Leben noch.« Wobei die meisten dieser ›Badbyes‹ ohne Sprache auskommen – man denke an das Wortlos-aus-demZimmer-Stürmen und/oder Heftig-die-Türen-Zuschlagen. Albert und Jones (1977) haben das Beenden von Interaktion am Beispiel von Gutenachtgeschichten untersucht. Ihre These: Sie machen Kindern den Übergang zum Alleinsein leichter. Was auf Industrieländer zutreffen mag, aber kaum auf bevölkerungsreiche Länder der Dritten Welt, in denen Alleinsein auch nachts keine Option darstellt. 116 »There is now a tendency, even among many of my Never Trump friends, to shrug their shoulders at his latest shenanigans. It is simply too difficult to stay outraged nonstop for 100 days, much less for 1,461 days – the length of one presidential term. Trump continues to say and do things that are, by any reasonable standard, egregious, but we notice his offenses less and less because they are such a frequent occurrence.« (Boot 2018) Hier schlägt erneut die Stunde der Populärpsychologen, die den Mythos des bei lebendigem Leibe gekochten Frosches nutzen, um vor den Gefahren der Gewohnheitsbildung (›Habitualisierung‹) zu warnen (so Ph.D Feldman 2017). Tatsächlich gewöhnt sich der Frosch nicht an die Hitze – was ihn im Kochtopf hält, ist der Mechanismus der Wärmestarre; möglicherweise die bessere Metapher, um etwa die ›Trumpmüdigkeit‹ großer Bevölkerungsteile zu erklären. 117 Der Genauigkeit halber: Es handelt sich wie erwähnt (noch) nicht um einen Begriff, sondern zunächst nur um eine Metapher. Die Wortherkunft von Interesse, das sich aus inter und esse zusammensetzt, also eine Art ›Dazwischen-Sein‹ bezeichnet, gibt hierüber Auskunft. Im Fall der Systemreproduktion haben wir es gleichsam mit einem esse ohne inter zu tun, denn da ist niemand, keine Zwischeninstanz, die auf etwas aus wäre. Auch die einzelne Zelle ist nicht an ihrer Selbstteilung ›interessiert‹, die sie begeistert in die Tat umzusetzen sucht, genauso wenig wie die Politik oder die Wirtschaft nach dem nächsten Anschluss Ausschau halten. Diese Reproduktion geschieht von selbst, sie bedarf keines Täters. Sie nimmt lediglich bestimme Strukturen in Anspruch, mit deren Hilfe diese Selbstverfertigung geschieht – in Form einer fortwährenden Erneuerung, die sich einer-
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seits kontinuierlich vollzieht und die andererseits diskontinuierlich abläuft, als Kombination von reiner Reproduktion und Strukturänderung. Man könnte mit Nassehi von einer »Interessensdomestizierung« (2004: 103) sprechen, die Umweltinteressen in ›Systeminteressen‹ übersetzt. Sprich: die Strukturen, die das System als Existenzgrundlage benutzt (die es nicht aufgeben kann, ›will‹ es fortbestehen), sind zwar lernfähig. Aber sie limitieren im gleichen Moment auch, was sich lernen lässt. Nur in diesem Sinne spreche ich von Systeminteresse: dem Interesse des Systems an der Fortsetzung seiner selbst, einer spezifischen Operativität, die bestimmte Strukturen in Anspruch nimmt. Da es dieses Interesse im strengen Sinne nicht gibt, kann das System sich auch nicht dagegen entscheiden. Zellen bringen sich nicht selbst um, weil sie die eigene Fortsetzung als sinnlos ansehen. Auch die Politik kann sich nicht selbst beenden. Sie ist der eigenen Selbstreproduktion gleichsam hilflos ausgeliefert. 118 Wie viele dieser Einheiten man unterscheidet, hängt wiederum von den Interessen des Beobachters ab. Manche halten es für vertretbar, einfach zu experimentieren, und darauf zu hoffen, dass die Ergebnisse das Experiment rechtfertigen, wie der Autor des vorliegenden Textes; andere plädieren für eine Beschränkung (vgl. etwa Roth and Schütz 2015). 119 Aus der Sicht Steve Bannons: »There’s a time and season for everything, and right now it’s a season of war against a GOP establishment.« (Zitiert nach Gambino 2017) 120 Für Luhmann waren zunächst Rollen – und nicht Kommunikationen – das Substrat der Politik. 121 So wurde der von der russischen Avantgarde vollzogene stilistische Paradig menwechsel durch die von Stalin 1932 erwirkte Auflösung sämtlicher Künstlervereinigungen und die Unterstellung der Kunstpolitik unter die Maximen der Partei zugunsten eines »revolutionären Romantizismus« korrigiert, die Darstellung von Figur und Gegenstand wieder zum Hauptanliegen gemacht. Andererseits kann Propaganda unter Umständen durchaus Kunstrang erreichen, wenn sie Kunstinteressen vertritt, wie beispielsweise im Falle des »Nostalgic Socialist Realism« von Vitaly Komar und Alexander Melamid. Ob und wann das geschieht, ist eine Frage der Beobachtung. Dass die Ansprüche ans Beobachtenkönnen gerade in der modernen Kunst ungleich höher sind als in anderen Teilbereichen der Gesellschaft, ist wohl unbestritten, Marcel Duchamp sei Dank. Zur Frage, wie sich Trump zu Duchamp verhält, siehe den Schlussteil dieses Buches. 122 Aus dieser Perspektive wird die Bezeichnung Trumps als ›Antichrist‹ zuletzt plausibel, weil Geld als »technical substitute for God« (Burke 1962: 111) fungiert – es negiert ihn nicht einfach, es setzt sich an seine Stelle, als unitary substance in which all human diversity of motives is grounded. Wer der Versuchung, die vom Geld ausgeht, widerstehen will, hat im Grunde nur zwei Möglichkeiten: er steigert seine religiösen Anstrengungen – oder er wird skrupulös (vgl. Luhmann 1994b: 242). Da
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beides im Falle Trumps nicht zutrifft, kann das ›teuflische Geld‹ ungehindert zum Zug kommen. Siehe hierzu auch den Abschnitt über den Mord Jamal Khashoggi im ersten Teil. 123 Es ist nachvollziehbar, dass die Gesellschaft die Bestimmung eines Interessenkonflikts zunächst vor allem im Hinblick auf medizinische Fragen für notwendig hielt, schließlich können sekundäre Interessen der Ärzte eine unmittelbare Gefahr für ›Leib und Leben‹ darstellen. 124 Sie werden in den Massenmedien in der Regel als Verstöße gegen die Demokratie gewertet und entsprechend moralisch diffundiert, was mit dem Umstand zu tun hat, dass der Demokratiebegriff zunehmend mit Sinnmomenten aus dem Bereich der Menschenrechte aufgeladen wurde. Trumps Geringschätzung der Demokratie könnte zuletzt mehr mit diesem Umstand zu tun haben als mit seiner Präferenz für hierarchische Herrschaftsverhältnisse: er nutzt die günstige Ge legenheit, Erwartungen zu durchkreuzen und den politischen Gegner, der die Demokratie im Namen trägt, zu provozieren. 125 Gegen die Verwendung leistungssteigernder Substanzen im militärischen Bereich haben die USA keine Einwände, obwohl diese ja ebenfalls für eine ungleiche Chancenverteilung sorgen (vgl. Bucher 2012). 126 Tatsächlich könnte wohl nur die Alleinherrschaft der Politik die Selbstzerstörung unseres Planeten verhindern. 127 Tim O’Brian hatte den Präsidenten folgerichtig für ein Time-Titelbild als Monarchen inszeniert: »This portrait of Trump gazing into a mirror and seeing a king gets to the heart of how he and his legal team have approached this past week and the past 500 days, actually […]« (Time Staff 2018). »›King Me,‹ declares the cover line, but the good stuff is announced in the headlines below: ›Visions of Absolute Power,‹ ›Trump vs the Constitution‹ and ›Why Mueller Won’t Indict.‹ In these pieces, Molly Ball, Tessa Berenson, Neal Katyal and Jack Goldsmith define the style and practices of a man who leads in the brutal and imperious fashion of a cartoon monarch. The roots of this ignoble attitude run all the way back to the President’s childhood as the scion of one of America’s wealthiest men in a family where he was groomed to royal ways.« (D’Antonio 2018) 128 Sein Beispiel hat längst Schule gemacht. Auch Jair Bolsonaro ist es gelungen, sich als Outsider zu empfehlen: »Das ist schon deswegen interessant, weil er seit Anfang der 1990er Jahre im brasilianischen Parlament sitzt und damit durchaus zu den Etablierten gehört.« (Peters 2018) 129 »Trump is actually a businessman, however, the way that he says things is pretty much blunt and he’s pretty assertive. But I believe that, in order to be a businessperson, sometimes you have to be shrewd. He kinda turns off a lot of the public because of the things that he says, but I think it’s time for somebody different,
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as far as in this political process. And I like the fact that he’s a businessman and not a politician.« (Ray Glenn, zitiert nach Garcia et al. 2016) 130 Dass es sich bei ihm nicht um einen Diktator handelt, dürfte aber einleuchten, mögen die Massenmedien hier auch anderer Ansicht sein (vgl. etwa Sharman 2018; Bunch 2018). Eisen (2018) nennt ihn einen »entry-level dictator«, was wir getrost mit ›Möchtegern‹ übersetzen können. Ein faktischer Diktator müsste weder einen Sonderermittler fürchten noch ungünstige Gerichtsurteile oder die nächste Wahl. Dass sich Trumps Willkürpolitik notwendig in Richtung Despotie bzw. Entscheidungsenge bewegt, völlig unabhängig von seiner Bewunderung für despotische Herrscher, hatten wir erwähnt. Es hängt direkt mit der Zwecksetzung seiner Politik zusammen. Was an Trump ›diktatorisch‹ wirkt, ist vor allem jene von ihm zur Schau gestellte Durchsetzungsfähigkeit, die auf Idealisierungen keine Rücksicht nimmt, wenn man so will: die ungehemmte Präsenz des Besonderen. 131 Wie bereits erwähnt, haben die Amerikaner laut Allan Lichtman nicht Trump, sondern die Republikaner gewählt, also eine handlungsfähige Partei. Nur aufgrund der Orientierung an der Partei sei es ihm gelungen, den Ausgang des Wahlkampfes richtig vorherzusagen: »The basic thesis is that you have to keep your eye on the big picture of the strength of the incumbent president’s party. This time, the Democrats had many vulnerabilities irrespective of who their candidate was, or anything that either side did during the campaign. The party took a pasting in the 2014 midterms; the sitting president couldn’t run again; they endured a contentious primary fight; they didn’t follow up the Affordable Care Act with a big policy initiative during President Obama’s second term; and so on. A presidential election is, at its core, a referendum on whether the party in power should get four more years in office.« (Lichtman, zitiert nach Jay Willis 2017) Richtig an seinen Überlegungen ist, dass 63 Millionen Amerikaner – 27 % der Wahlberechtigten – für Trump gestimmt haben. Aus Sicht Lichtmans: Nicht so sehr, weil der Kandidat Trump war, sondern weil Trump Kandidat der Republikaner war. Dafür könnte sprechen, dass ihn in den Vorwahlen nur 14 Mio Wähler favorisierten (vgl. Drutman 2018). Sprich: Wenn seine Handlungsfähigkeit nicht mehr gegeben wäre, könnten sich viele Wähler umentscheiden – völlig unabhängig von seiner Person. 132 Eine Übersicht findet sich bei K. Liptak 2017, der im vertraglich genannten Zeitrahmen von hundert Tagen die stolze Zahl von neun – mehr oder weniger – eingelösten Versprechen zählt. Seine Gegner halten dagegen: »No wall. No better health care. The trade deficit bigger. North Korea building bombs again«, so Bill Maher in seiner Show (2018). Trumps Vorgänger Obama vermisst die Trockenlegung des Sumpfes: »They promised they were going to take on corruption in Washington. Instead, they’ve racked up enough indictments to field a football team.« (Obama, zitiert nach K. Sullivan 2018) Selbst einstige Verbündete wie Fox-Moderator Tucker Carlson äußern mittlerweile offen Kritik: »His chief promises were that he would build the wall, de-fund Planned Parenthood and repeal Obamacare, and he hasn’t done any of those things. I don’t think he’s capable […].
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I don’t think he’s capable of sustained focus. I don’t think he understands the system. I don’t think the Congress is on his side. I don’t think his own agencies support him. He’s not going to do that.« (Zitiert nach Moran 2018b) Inwiefern das Vorgehen Trumps ein Problem darstellt, wäre eine eigene Untersuchung wert. Für Luhmann ist die Nichteinlösung von Wahlversprechen strukturell vorgesehen – »allein deshalb schon, weil die Situation vor der Wahl eine andere ist als die nach der Wahl« (2002a: 143). Siehe hierzu auch den Abschnitt über das Verhältnis von Opportunismus und Programmierung. 133 Bis auf – laut den Machern der Fernsehshow Zondag met Lubach – die Niederlande, die dann aber wenigstens an zweiter Stelle kommen möchten (vgl. Epstein 2017). 134 Eine im gleichen Zeitraum von mir durchgeführte Google-Suche, die mit den Worten »Obama threatens« beginnt, zeitigte nicht nur sehr viel weniger Treffer, sie förderte interessanterweise vor allem Drohungen gegenüber Donald Trump zutage. 135 Das würde ihn als Wert qualifizieren, wie wir noch sehen werden. Zwar befindet sich Donald Trump mit seiner Wertschätzung des Konflikts allein auf weiter Flur. Dass er ihn selbstverständlich in Anspruch nimmt – als eine »Höchstrelevanz mit normativem Gehalt« (Luhmann) – lässt sich aber beobachten. Dabei ist der wohl größte Vorteil dieser Inanspruchnahme, dass Trump sich nicht an einer Realanalyse der unterschiedlichen Situationen, mit denen er konfrontiert ist, orientieren muss. Der Konfliktwert ›gilt‹, sprich: er wird von ihm einfach unterstellt. 136 Einige Beobachter vermuten, dass Barack Obamas Demütigung beim White House Correspondents’ Association Dinner im April 2011 letztlich ausschlaggebend dafür war, dass Trump sein Glück als Präsidentschaftskandidat versuchte: »That evening of public abasement, rather than sending Mr. Trump away, accelerated his ferocious efforts to gain stature within the political world. And it captured the degree to which Mr. Trump’s campaign is driven by a deep yearning sometimes obscured by his bluster and bragging: a desire to be taken seriously.« (Haberman und Burns 2016) Trump selbst stimmt dieser Deutung teilweise zu (»I realized that unless I actually ran, I wouldn’t be taken seriously.«), verneint aber, dass Obamas Schmähung für seine Kandidatur ausschlaggebend war: »I loved that dinner […]. I can handle criticism.« (Zitiert nach Haberman und Burns 2016) Da niemand in Trumps Kopf hineinsehen kann, bleiben jene Intentionen, die sich nicht in seinem Handeln äußern und erfragt werden müssen, allerdings »Stückwerk« (vgl. Luhman 2017: 124). Deshalb kann man sich natürlich trotzdem als Spurenleser betätigen und nach Beweisanzeichen für bestimmte Interessen und Motive der Beteiligten suchen. Wie spannend diese Jagd sein kann, zeigt die von Jack Bryan in der Dokumentation »Active Measures« (US 2018) präsentierte Indizienkette. Ob die Suche nach einem Einzeltäter, der dann als Ursache für bestimmte Wirkungen wie Trumps Wahlsieg oder die Spaltung der USA haftbar gemacht wird, angesichts der Komplexität der Gesellschaft großen Erklärungswert hat, ist eine andere
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Frage. Wie dieses Buch zu zeigen versucht, lassen sich die einzelnen gesellschaftlichen Teilbereiche nicht steuern – sie steuern sich selbst. 137 Auch Trumps Misstrauen hat strukturelle Gründe, da er sich nicht am Rollenideal orientiert, sondern die Rolle gegen die Person ausspielt. Ich komme ausführlich darauf zurück. 138 »It is a great deal for all three countries, solves the many deficiencies and mistakes in NAFTA , greatly opens markets to Farmers and Manufacturers, reduces Trade barriers to the U. S. and will bring all three Great Nations together in competition with the rest of the world« (Trump, zitiert nach Wallace 2018) 139 »But there is little in the new accord to close the substantial U. S. deficit with Mexico, which reached $71 billion in 2017 and which had Trump promised to reduce.« (Wallace 2018) Die ehemalige US -Botschafterin in Mexiko äußert sich erleichtert: »But even the skeptics are relieved that the heart of the 25-year-old trade pact remains intact« (R. S. Jacobson 2018). 140 Dass gerade die hohe Autonomie und Spezialisierung der Politik, des Rechts und der Wirtschaft gegenwärtig für Probleme sorgt, wird damit nicht bestritten. Es ist gut möglich, dass es die wechselseitigen Belastungen der Funktionssysteme sind, die – in der Form der Krise erscheinend – den Boden für Trumps Erfolg bereitet haben. »Die Massenmedien ringen um Aufmerksamkeit, die Parteien um Wähler, die Regierung um eine nationale Unterstützung für einen globalen Einfluss (und umgekehrt) und die Verwaltung (a) um Kompetenz und Ressourcen und (b) um hinreichendes Gehör. In diesem Spiel gibt es offenbar mehr Störgrößen als Vermittlungsmechanismen.« (Baecker, zitiert nach Nutt 2017) 141 Diese Linien können sich natürlich auch in ihm selber kreuzen. Trump reagiert dann nicht mehr auf die eine oder andere Möglichkeit, sondern auf das Ausschließungsverhältnis selbst – eben: den Widerspruch. Soll er in einem Tweet zur Sonderermittlung Stellung nehmen – oder sich lieber zurückhalten? Soll er die Gewalt rechtsextremer Demonstranten verurteilen – oder soll er es nicht? Soll er sich über das vermeintliche Missbrauchsopfer Dr. Blasey Ford lustig machen – oder sie lieber würdigen? Soll er seiner wirtschaftlichen oder seiner politischen Agenda den Vorzug geben? 142 »Watching Trump in action, it’s hard to escape the impression that he knows very well that he’s inflicting punishment on his own base. But he’s a man who likes to humiliate others, in ways great and small. And my guess is that he actually takes pleasure in watching his supporters follow him even as be betrays them.« (Krugman 2018a) 143 Sein Anwalt Alan Garten begründet dies damit, dass das Verklagen anderer in den USA »a natural part of doing business« sei (vgl. Mullins und Obermann 2016).
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144 ›Parteilose‹ wie Macron bilden die Ausnahme, denn ohne die Unterstützung einer Partei gewählt zu werden, ist eher unwahrscheinlich, es setzt finanzielle Unabhängigkeit und eine große Bekanntheit des Kandidaten unter den Wählern voraus. In der politischen Landschaft Deutschlands ist die Parteimitgliedschaft – anders als in den USA oder Frankreich – die wichtigste Voraussetzung für eine politische Karriere. 145 Es ist im Hinblick auf diese Erwartungen bezeichnend, dass der Begriff der Person dem Kontext des antiken Theaters entstammt. Das ›per-sonare‹, also das Durchtönen, Durch-etwas-Hindurchtönen, bezieht sich auf die Maske des Schauspielers, durch die er spricht (vgl. Fuchs 2010: 163). 146 Für meine Zwecke reicht es, zwischen Rolle und Person zu unterscheiden und die individuelle Rollenausführung als Personalisierung oder Personifikation zu fassen. Der klassische Rollenbegriff ist die Einheit der Differenz von I und Me; Me als die soziale Seite generalisierter Erwartungen, I als Ausdruck für individuelle Abweichungsschancen. Man sieht, wie nahe Luhmanns Personbegriff an dieser Vorstellung angesiedelt ist. Ist er also überhaupt notwendig? Die Antwort ist, verkürzt gesagt, dass es bei der Person um die Attribution individueller Merkmale geht, die dann zur ›Unperson‹ führen, die ich mit Peter Fuchs als interne Abwehr gegen solche Zumutungen begreife. Dazu gleich mehr. Zur Frage der Person im Verhältnis zum Selbst, siehe Fuchs 2010: 163 ff. Ich halte insbesondere die dort präsentierte Unterscheidung von harter und weicher Individualität für anschlussfähig (288 ff.). 147 Der Eintrag lautete: »It is a great honor to be here with all of my friends – so amazing and will never forget!« Er wurde in den Massenmedien und sozialen Netzwerken mit dem sorgfältig komponierten Eintrag Obamas verglichen, der das Spiel ›Eintrag ins Holocaust-Gästebuch‹ mit der für ihn typischen rhetorischen Eleganz absolviert hatte. Wie es sich für die moderne Gesellschaft gehört, wurde auch Obama für seinen Eintrag kritisiert, da er von einer gewissen Glätte bzw. Oberflächlichkeit gekennzeichnet sei (vgl. FAZ 2017). 148 »Mr. Trump has bragged about his non-consensual touching of women. He has bragged about intruding in beauty pageant contestants in their dressing rooms. He acquiesced to a radio host’s request to discuss Mr. Trump’s own daughter as a ›piece of ass‹. Multiple women not mentioned in our article have publicly come forward to report on Mr. Trump’s unwanted advances. Nothing in our article has had the slightest effect on the reputation that Mr. Trump, through his own words and actions, has already created for himself.« So formuliert es David McGraw, Anwalt der New York Times, in seinem Antwortschreiben an Trumps Anwalt Marc Kasowitz, der der Zeitung mit einer Klage wegen Rufmord bzw. ›libel per se‹ gedroht hatte (vgl. Rappeport 2016). 149 Auch wenn dieser früh als Möglichkeit am Horizont erscheint, da die TrumpFamilie eben doch ein Teil des Washingtoner ›Sumpfes‹ ist: »Former Trump cam-
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paign chairman Paul Manafort, Trump’s daughter Ivanka and his son-in-law, Jared Kushner, are all clients of WilmerHale, the firm Mueller is leaving to assume the position of special prosecutor overseeing the high-profile Russia election probe. One prominent expert on government ethics rules said Wednesday that lawyers entering federal service would normally be required to recuse themselves from decisions regarding individuals who were represented by the new official’s former firm. ›It’s a possible wrinkle in all off this,‹ said Richard Painter, a University of Minnesota law professor and former White House ethics lawyer under President George W. Bush. ›Usually, there would be a one-year cooling off period.‹ Mueller’s law firm’s clients could cause ›wrinkle‹ in appointment – Other Wilmer Hale lawyers represent Paul Manafort, Ivanka Trump and Jared Kushner.« (Gerstein 2017) Trumps Parteigenosse Newt Gingrich war zunächst angetan von der Wahl Muellers und pries ihn als »superb choice«, darauf verweisend, dass »his reputation is impeccable for honesty and integrity.« (Gingrich, zitiert nach Shane and Savage 2017) Nachdem Mueller mehrere Anwälte in sein Team aufgenommen hatte, die der Demokratischen Partei nahestehen, war es für Gingrich mit dessen impeccabality aber schnell vorbei. Schon wenig später bezeichnete er ihn als »tip of the ›deep state spear‹ trying to bring down Trump« (Gingrich, zitiert nach Quinn 2017). In diesem Sinne entsprach wiederum Gingrich den Erwartungen an seine individuelle Rollenausführung, die vor allem seine ›skills as a combative back-bencher‹ hervorheben. Ein professioneller Meinungsinhaber bzw. ›opinion contributor‹ von USA Today pflichtet ihm bei: Mueller sei »too close to Comey« (Otis 2017). Diesen Umstand hat sich Trump bekanntlich zunutze gemacht: »Bob Mueller is totally conflicted, and his 17 Angry Democrats that are doing his dirty work are a disgrace to USA !« 150 So kündigte Trump vor den Zwischenwahlen kurzerhand eine zweite Steuer reform an: »Speaking with reporters in Nevada on Saturday, Trump said he was working on a »›very major tax cut for middle-income people.‹ He said the White House and congressional leaders are ›studying very deeply, round the clock‹ to create another tax cut ›not for business at all‹ that will be announced on November 1 or sooner. Axios was first to flag the remarks. Trump continued the line on Monday, telling reporters he would lower middle-class taxes by 10 percent before the election. Many observers noted that what he’s promising is basically impossible: Congress isn’t in session and won’t be until after voters head to the polls on November 6.« (Stewart 2018) 151 Das ändert nichts daran, dass einige dieser Dekrete durchaus Wirkung entfalten. Wohnungsbauminister Ben Carson baut die Programme zugunsten Obdachloser um, und Scott Pruitt, der ehemalige Chef der Umweltbehörde EPA , perforiert Klimaschutzregeln, hob beispielsweise den Schutz kleiner Gewässer auf und strich Ölbohrverbote. Vor allem aber trägt Trumps ›Dekret-Impulsivität‹ mit zur Dysfunktionalität des Weißen Hauses bei: »That adds an extra layer of instability and stress to an organization that is already under a lot of stress.« (Zitiert nach Morgan 2018)
Anmerkungen
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152 Mit dem Rücktritt von John Kelly erzielte Trump einen neuen Rekord: »That brings turnover of senior staff at the White House – excluding cabinet-level positions – to 62 percent, which is higher than the past six presidents at the same point in their administrations, according to the Brookings Institution. In addition, no fewer than nine secretaries out of 24 have vacated their cabinet positions.« (Stern 2018) Nach John Kelly gab es weitere Rücktritte, etwa von Verteidigungsminister John Mattis. 153 »Presidents have a high-profile role in lawmaking and foreign policy, but a third function, executive administration, is arguably the most important. The job of carrying out the law provides the executive branch with incredible amounts of discretion. But the executive branch is not subject to the president’s dictatorial control. Presidents compete with numerous actors – Congress, the courts, interest groups, political appointees in the departments and agencies, and career civil servants – for influence. Effective management of the White House is a precondition for presidential power and influence in the executive branch. Richard Neustadt, author of the seminal 1960 book Presidential Power, described it as ›the power to persuade.‹ The president must rely on his informal ability to convince other political actors it is in their interest to go along with him, or at least not stand in his way.« (Glassman 2018) Genau dazu sei Trump nicht in der Lage: »Carlson said it was ›mostly‹ Trump’s fault that he hadn’t been able to deliver on his pledges, because ›you really have to understand how‹ the legislative process works and ›be very focused on getting it done.‹« (Moran 2018b) 154 Indem er sich 2017 mit den Demokraten traf, um einen ›DACA -Deal‹ zu vereinbaren, gelangen ihm zwei Dinge: er bestätigte die Erwartungen hinsichtlich seiner Person, denn er wich ab; und er demonstrierte im selben Moment seine (politische) Macht – wenn auch der eigenen Partei gegenüber. »Aides said his newfound embrace of Democrats – even if fleeting – was the President’s warning to his party that he is willing to find new friends.« (Miller 2017) Es liegt nahe, hier vor allem persönliche und nicht so sehr politische Motive zu unterstellen. Trump war verärgert über die Unfähigkeit der GOP , seine Agenda umzusetzen, und er rächte sich dafür mit einem ›Abkommen‹: »Trump, who was deeply disappointed by Republicans’ failure to pass a health care overhaul, infuriated many in his party when he reached a three-month deal with Schumer and Pelosi to raise the debt ceiling, keep the government running and speed relief to states affected by recent hurricanes.« (Associated Press 2017) Doch die zweite Funktion war ebenfalls im Spiel. Trump hatte dem Kongress gedroht und sich damit als machtlos gezeigt: »U. S. President Donald Trump threatened on Saturday to end government payments to health insurers if Congress does not pass a new healthcare bill and goaded them to not abandon their seven-year quest to replace the Obamacare law.« (Schectman 2017) Mit dem Abkommen hätte er das im Rahmen seiner begrenzten Machtmittel Mögliche getan: eine Entscheidung getroffen, nur eben eine andere. Er riskierte für diese Symbolisierung seiner Macht sogar den Konflikt mit seiner Basis: »Citing conversations with people it called ›immigration patriots,‹ Breitbart said any immigration deal that included ›amnesty‹ would be an ›outrageous sel-
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ling out of the base.‹« (Logan 2017) Doch wie so oft: hat Trump auch in diesem Fall nur gedroht. 155 »I don’t understand why people are that shocked. This president ran a very unconventional campaign. I was there for a big part of it at the beginning alongside, being one of his competitors. That’s what the American people voted for. And, in essence, this White House is not much different from the campaign. People got what they voted for.« (Marco Rubio, zitiert nach Lemongello 2017) 156 »If I ever got impeached, I think the market would crash […]. Because without this thinking, you would see numbers that you wouldn’t believe in reverse […]. I got rid of regulations. The tax cut was a tremendous thing.« (Trump, zitiert nach Melloy 2018) 157 »But I cannot condone the partisanship – which was raw, undisguised, naked, and conspiratorial – from someone who asks for public faith as a dispassionate and impartial judicial actor. His performance was wholly inconsistent with the conduct we should expect from a member of the judiciary.« (Wittes 2018) 158 Die amerikanischen Kollegen pflichten ihr bei: »Instead of trying to sort out with reason and care the allegations that were raised, Judge Kavanaugh responded in an intemperate, inflammatory, and partial manner, as he interrupted and, at times, was discourteous to questioners […]. We have differing views about the other qualifications of Judge Kavanaugh […]. But we are united, as professors of law and scholars of judicial institutions, in believing that Judge Kavanaugh did not display the impartiality and judicial temperament requisite to sit on the highest court of our land.« (Zitiert nach Ferner 2018) 159 »›I think it’s a great thing that happened, an amazing vote, very historic. We’re very happy.‹ Asked why people voted for Brexit, he said: ›People are angry. All over the world they’re angry.‹ He praised David Cameron, describing him as ›a good man‹ who ›didn’t get the mood of his country right.‹« (Foreign Staff 2016) 160 Der Unterschied zwischen Politik und Verwaltung lässt sich gut an diesem öffentlichen Schlagabtausch – a »public face-off« – zwischen Trump und seinem Justizminister verdeutlichen. So warf Trump Sessions am 28. 2. 2018 in einem Tweet vor: »Why is A. G. Jeff Sessions asking the Inspector General to investigate potentially massive FISA abuse. Will take forever, has no prosecutional power and already late with reports on Comey etc. Isn’t the I. G. an Obama guy?« (Trump 2018) Sessions, der sich lange zurückgehalten hatte, wies den Vorwurf zurück, indem er auf die soziale Distanz zwischen seiner Rolle und seiner Person aufmerksam machte, also auf einen von Trump infrage gestellten, selbstverständlichen Wert: »We have initiated the appropriate process that will ensure complaints against this department will be fully and fairly acted upon if necessary. As long as I am the attorney general, I will continue to discharge my duties with honor, and this department will continue to do its work in a fair and impartial manner according to the
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law and the Constitution.« (Sessions, zitiert nach Baker and Benner 2018) Sessions’ Antwort – ›polite, but pointed‹ – demonstriert den Unterschied. Er wird keineswegs persönlich, sondern wahrt die Form. »While I am attorney general, the actions of the Department of Justice will not be improperly influenced by political considerations […]. I demand the highest standards, and when they are not met, I take action.« Auch Trump hat high standards, es sind lediglich andere, die sich nicht am Rollenideal ausrichten, sondern an der persönlichen Loyalität – and when they are not met, he takes action. Er kurierte den Konflikt durch eine Personalmaßnahme: indem er Sessions entließ und durch einen Loyalisten ersetzte. Der Zwiespalt wird auch anhand der Kommentare zu Trumps Tweet deutlich. Die Trump-Anhänger, wie LORBO @LORBO 3, werden persönlich, was sich in der von ihnen benutzten, respektlosen Sprache widerspiegelt (und nicht zuletzt in der Kopie von Trumps Manierismus, Versalien zu verwenden, also gleichsam ›laut‹ zu werden): »Come On Sessions…DO YOUR JOB , or get out. What position is too important. Let somebody in there that knows what the hell they’re doing.« Die Anhänger der Demokratie wie marsh_monster@the_salty_marsh dagegen mahnen die soziale Distanz an: »Its called going through the proper procedures. Its not your personal law enforcement to order them to do your vindictive bidding.« (Trump 2018) Ein von Trump im Jahre 2017 persönlich attackierter Richter, Judge Curiel, den er als »very hostile«, »a very bad judge« und»hater of Donald Trump« bezeichnet hatte (»[he] happens to be, we believe, Mexican«), führte dem Präsidenten ein Jahr später vor, was soziale Distanz und adäquates Rollenhandeln bedeutet, indem er pro Trump entschied – und schon war derselbe Richter ein guter Mann, weil auf ›Trumps Seite‹: »U. S. judge sided with the Trump Administration and rejected the attempt to stop the government from building a great Border Wall on the Southern Border. Now this important project can go forward!« Curiel konnte sich eine Nachhilfelektion an die Adresse des Präsidenten nicht verkneifen, in der er – mittels eines Zitats von Chief Justice John Roberts Jr. – gleichermaßen auf die Autonomie des Rechts wie auf die der Politik hinwies: »Courts are vested with the authority to interpret the law; we possess neither the expertise nor the prerogative to make policy judgments. Those decisions are entrusted to our nation’s elected leaders, who can be thrown out of office if the people disagree with them. It is not our job to protect the people from the consequences of their political choices.« (Curiel, zitiert nach New York Times Editorial Board 2018d) Der User Archer dagegen sah in Trumps Verhalten kein Problem: »Oh, everybody is like that. A good fair honest judge is a judge you agree with. A bad biased corrupt judge is a judge you don’t agree with….« (New York Times Editorial Board 2018d) Es ist dieses alltägliche Rechtsverständnis, das Trump in die Karten spielt. 161 »President Donald Trump’s family members – his wife Melania Trump, daughter Ivanka Trump and son-in-law Jared Kushner – appear to have great power over who he fires and hires. Their influence seems to have already played out.« (Kwong 2018b)
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162 Auf die Nähe von Autonomie und Professionalisierung hat Francis Fukuyama mehrfach hingewiesen. Für Fukuyama bedeutet Autonomie »[…] the ability to train, hire, promote, and discipline members of the bar and judiciary free from political interference.« (Fukuyama 2011) Ihn im Hinblick auf Trump bzw. Yates paraphrasierend könnte man sagen: An organization like the Department of Justice or the FBI that is allowed to control its own internal promotions will tend to do better than one in which attorney generals are appointed – or fired – on political grounds. Nur dann kann von einer »smooth running machine« gesprochen werden. Aber was heißt smooth bzw. besser? Aus unserer Sicht nur: rechtmäßiger, also autonomer. Auch für Luhmann ist es die »Doppelspitze« bzw. Kombination von Organisation und Professionalisierung, die die Unabhängigkeit (Autonomie) des Systems garantiert (vgl. Luhmann 1995a: 328 ff.). Aber anders als für Fukuyama ist es für ihn nicht der Zugang zu organisierten Verfahren und zu »professionellem, im System wirksamen Rat« (Luhmann 1995a: 329), der dafür einsteht, sondern die damit verbundene Beschränkung des Entscheidungsspielraums. Gerade im Hinblick auf diese Beschränkung sieht Luhmann beide als funktional äquivalent an. Für Trump scheint diese Beschränkung einen Nachteil darzustellen. Eine Professionalisierung ist von vornherein nicht vorgesehen, denn sie würde die mit der Außenseiterposition verbundene Überlegenheit minimieren, den gleichsam ›frischen Blick‹ auf die verkrusteten Strukturen eintrüben, und zudem auf Kosten der ›Trump-Treue‹ gehen. 163 Eine Möglichkeit, diese Grauzone der Erwartungen zu bestimmen, bildet die Ethik. Allerdings hat der Präsident die Möglichkeit, in bestimmten Bereichen die offiziellen Ethikrichtlinien des Weißen Hauses zu ändern, und diese hat Trump konsequenterweise auch wahrgenommen. Eine der von ihm erlassenen Ausnahmeregelungen erlaubt es Angestellten, an »Kommunikation und an Treffen mit Nachrichtenorganisationen« teilzunehmen, selbst wenn sie vorher bei ebenjenen Organisationen angestellt waren. Was Trump mittels dieser Ausnahmeregelung nicht ändern kann, ist das Ethikempfinden bzw. die Ethikrichtlinien der Öffentlichkeit und vor allem der hochmoralischen Massenmedien, von denen weite Teile diese Änderung selbst als unethisch empfanden. Die rhetorische Frage Sheelah Kolhatkars für den New Yorker lautet: »What Do White House Ethics Rules Mean If They Can Be Circumvented?« Die Antwort ist erneut, dass niemand einen derart aggressiven, wenn man so will: unethischen Präsidenten erwartet hatte: »Congress probably never imagined that a President would so aggressively push the limits.« (Kolhatkar 2017) In diesem Sinne ist Trump keineswegs der Verfassungsfeind, als den die Medien ihn porträtieren – er nimmt lediglich die für amerikanische Präsidenten in der Verfassung vorgesehenen Rechte in Anspruch. 164 Deutsch, der die Politik in der Rolle einer ›internen Intelligenzfunktion‹ sah, bestimmte Lernunwilligkeit als ein Kennzeichen politischer Macht: als »ability to afford not to learn« (Deutsch 1963: 111). Trump kann es sich leisten, faul zu sein – er muss nicht ›nah genug an die Dossiers herankommen‹, wie Juncker forderte, der anschließend die Dossiers zu ihm brachte: mithilfe bunter Farbtafeln aufbereitet,
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um dem Faulen das Lernen zu erleichtern (vgl. Sampathkumar 2018). Für Deutsch rechtfertigt sich diese Faulheit durch die Notwendigkeit der Politik, von ihr als gesellschaftlich bestimmte Ziele durchzusetzen; Alternativen (etwa: keine Grenzmauer, keine Zölle) können so ausgeschaltet werden werden. Erneut erweist sich Trump als schlau, folgt man Deutsch: sogar als intelligent. Nicht der eifrige Leser, den sich die Medien wünschen, ist aus dieser Perspektive ein guter Politiker, sondern der faule, auf eine »decisive instrumentality« setzende Trump. 165 Stand 12. April 2017: »Die 554 Positionen, die die gemeinnützige Organisation Partnership for Public Service auflistet, sind nur die wichtigsten. Von jenen 554 waren bis Donnerstag nur 22 – also nicht einmal vier Prozent – besetzt. Steven Mnuchin zum Beispiel, der Finanzminister. Der Ex-Banker wurde am 13. Februar vereidigt. Damals saß er allein in der Chefetage seines Ministeriums. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Von den 28 Spitzenposten in der ›Treasury‹ ist nach wie vor nur einer besetzt: der des Ministers selbst.« (Vgl. Dams und Gersemann 2017) 166 Wie im Fall des wissenschaftlichen Beraters: »The absence of a science adviser concerns those who have held the position. They say leaving the office vacant makes the nation more vulnerable. The position can be a quiet post for months, or even years, only to be hurled into a national crisis in an instant, said Neal Lane, who served as science adviser under President Clinton and is now a senior fellow at Rice University’s Baker Institute for Public Policy.« (Waldman 2018) Trump hat dem Druck Ende 2018 schließlich nachgegeben und Kelvin Droegemeier nominiert. 167 »The Fakes always like talking Chaos, there is NONE . In fact, there’s almost nobody in the W. H. but me …« (Zitiert nach Murdock 2019). Der Tweet ist aufschlußreich nicht nur im Hinblick auf seine politischen Vorstellungen. Erst der Aufbau einer großen, permanenten Bürokratie war der Grund dafür, dass es der Politik in der europäischen Neuzeit schließlich gelang, sich als autonomes System auszudifferenzieren. Dass diese in den USA der willkürlichen Personalpolitik des Herrschers Grenzen setzt, ist exakt Trumps Problem. Vor allem aber scheint er davon auszugehen, dass er stets mit sich ›im Reinen‹ ist, er also keine inneren Konflikte zu bewältigen hat. Vieles spricht dafür, dass diese Illusion eines homogenen Ich, das keine Selbstzweifel kennt, sein Handeln leitet. 168 Trump liegt mit seiner Pro-familia-Politik durchaus im Trend; der Unterschied ist, dass wir es mit einer ›richtigen‹ Familie zu tun haben, nicht mit einer Fake-Familie, wie sie viele Betriebe um der höheren Produktivität willen halluzinieren und die etwa in den sogenannten mission statements (in der deutschen Variante: Leitbildern) Form annimmt. Es handelt sich bei diesen Communio-Konzepten um nicht mehr und nicht weniger als die Verpflichtung auf nichtbezahlte Mehrleistungen. Einer der ersten, der sich diesen Überlegungen widmete, war Ferdinand Tönnies (vgl. 1963). Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Peter Fuchs, der in diesen Konzepten – äußerst verkürzt gesagt – eine Reaktion der Or-
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ganisationen auf bestimmte, Rolle und Person betreffende Entwicklungen sieht: den Versuch, eine identitäre Ansprechbarkeit herzustellen. Der Rekurs auf die Familialsemantik macht Sinn, denn auf ganz ähnliche Weise wie in der Familie, in der eigentlich nicht erzwingbare Leistungen durch Referenz auf Liebe erzwungen werden, nehmen auch die Communio-Konzepte die Mitglieder der Organisation in die Pflicht (vgl. Fuchs 2010: 285). Da Trump vor allem Familienmitgliedern Verantwortung überträgt, kommt ein eher unfreiwilliger Nebeneffekt des CommunioKonzepts hier nicht zum Tragen: Hierarchie zu verflüssigen. 169 Dass die Orientierung an Personen statt an der Sache in der Politik zwar nicht die Regel, aber durchaus üblich ist, lässt sich gut am Regierungsstil Helmut Kohls festmachen, der den Begriff der ›Seilschaft‹ im Hinblick auf seine Herkunft aus dem Bergsteigermilieu positiv interpretierte. Und auch sein langjähriger Weggefährte Norbert Blüm gab in einem Fernsehinterview stolz zum Besten: Im Konfliktfall würde er sich stets gegen die Sach- und für die Personenloyalität entscheiden – genau wie es das Konzept der Clique vorsieht, siehe hierzu den Abschnitt über ›Cliquenpolitik‹ auf den nächsten Seiten. Eine nicht unproblematische Einstellung, die sich im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre auch in Kohls Weigerung spiegelte, die Namen der Spender zu nennen, da er diesen Anonymität versprochen hatte; der ehemalige Bundeskanzler stellte die Loyalität diesen Spendern gegenüber also über das Gesetz. Der Unterschied zu Trump: Kohl setzte auf den ›Sumpf‹, auf politische Profis, nicht auf Außenseiter. 170 »Ever since Trump became President, the White House has leaked like a sieve. ›The leaks come in all shapes and sizes: small leaks, real-time leaks, weaponized leaks, historical leaks,‹ Jonathan Swan, Axios’s White House correspondent, wrote this week. ›Sensitive Oval Office conversations have leaked, and so have talks in cabinet meetings and the Situation Room. You name it, they leak it.‹ Mike Allen, Swan’s colleague at Axios, says, ›we learn more about what’s going on inside the Trump White House in a week than we did in a year of the George W. Bush presidency.‹« (Cassidy 2018) 171 Ich bin dem Erfolg dieser Strategie nicht eigens nachgegangen, empfinde sie aber als durchaus bemerkenswert, weil sie das Weiße Haus auf der Beobachtungsebene mit Hyperkomplexität versorgt: ein Beobachter (Leaker), der weiß, dass sein Verhalten beobachtet wird, wird diese Beobachtung in sein Verhalten mit hineinnehmen, und der Beobachter des Beobachters wiederum prüft das Verhalten des Beobachters auf genau dieses Moment einer Beobachtungsbeobachtung hin. All das ist kaum hilfreich, um die Disziplin im Hinblick auf eine geschlossene Außendarstellung zu erhöhen. Stattdessen erhöht es die für eine unschuldige (kollegiale, Trump-treue) Darstellung nötige schauspielerische Disziplin im Team und zieht so wichtige Ressourcen ab. 172 Luhmanns Beispiel: Frauen (vgl. 1999: 318). Man könnte diesen Vorwurf auch der Trump-Regierung machen: »In Trump’s cabinet, there are only five women. Furthermore, 80 % of nominations for top jobs in the Trump administration have
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been awarded to men – paving the way for the most male-dominated federal government in nearly a quarter-century.« (Siddiqui 2017) 173 Luhmann nennt es »ein stärkeres Motiv als Pflicht oder Patriotismus« (Luhmann 1999: 320). 174 Gerade deshalb ist es wahrscheinlich, dass er etwa seine shithole-Äußerung mit der Absicht getätigt hat, sie nach außen gelangen zu lassen, als habe er es kaum erwarten können, dass die demokratischen Senatoren diese Information formal missbrauchen würden: »Several White House reporters noted that Trump aides actually thought the comment would play well with the president’s supporters – and on Thursday night, some Fox News personalities argued that either the news about Trump’s comment was fake or, if it was real, ›this is how the forgotten men and women in America talk at the bar.‹« (Scott 2018) 175 Es sei aber darauf hingewiesen, dass Demokratiefeindlichkeit keineswegs das Privileg von Diktatoren oder von autoritärer Herrschaft faszinierten Politikern ist. Luhmann begreift die durch die Verfassung vorgeschriebene Demokratie gar als Parasiten, der sich »in das System hineinfrisst und sich schließlich selbst zum herrenlosen Herrn erklärt« (Luhmann 2002a: 357). Friedrich Schlegels in »Signatur des Zeitalters« beglaubigte Abkehr von demokratischen Vorstellungen hat viel mit der seit der Französischen Revolution sichtbar gewordenen Fanatisierung des Absoluten zu tun, mit der sich die Gesellschaft auch heute wieder herumschlägt: dem Absoluten als Parteistandpunkt, der Auflösung jeder Einheitsvorstellung in Ideologien, der »politischen Idealflut« (Schlegel 1988, vgl. auch Luhmann 1992b: 134 f.). Für Schlegel war das Problem der Verlust des Ewigen; nur durch die positive Kraft des Glaubens sei der durch »Parteigewalt«, also Parteilichkeit, ideologische Unbedingtheit und Nationalismus wirkende »Ultrageist« aus der Welt zu schaffen. Nicht das moderne republikanische Amerika, so Schlegel, könne deshalb das Vorbild sein – er spricht gar in Bezug auf die Idee der Volksrepräsentation von der »englischen Krankheit« –, sondern nur das Christentum, genauer: das moralisch geordnete und christlich befestigte Privatleben, in anderen Worten: das Heiligtum der Ehe und der Familie. Genau hier lässt sich die Verbindung zu Steve Bannons Weltsicht herstellen (vgl. Guilford and Sonnad 2017) – und ein Stück weit auch zu Trump, für den die Familie ebenfalls, wenn auch jenseits der von Schlegel bemühten Heiligkeit der Ehe, Vorrang vor dem Staat und wohl auch vor der nationalistischen Unbedingtheit genießt, die er so politikwirksam vor sich herträgt. 176 »President Donald Trump has seen staff turnover in excess of 37 percent over the calendar year ending June 30, an AP analysis of White House filings shows […]. Trump’s White House is setting records for attrition, said the White House Transition Project’s Martha Joynt Kumar. Some 61 percent of Trump’s senior-most aides have left the White House. Only Bill Clinton’s 42 percent comes close for the last five administrations.« (Miller and Bridis 2018) Siehe auch Fußnote 152.
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177 Dass Mueller zu diesem ›billigen‹ Mittel greift, hat Trump denn auch empört: »It has nothing to do with Russian collusion. This started as Russian collusion. This has absolutely nothing to do […]. This is a disgrace […]. This has nothing to do with what they started out […] looking for Russians involved in our campaign […]« (zitiert nach Oprysko 2018) – »›Justice‹ took a 12 year old tax case, among other things […]« (Trump 2018). 178 In diesem Zusammenhang wird nicht zuletzt die Bedeutung von Organisation sichtbar. Sie filtert Auswirkungen von Entscheidungen auf Einkommen und Stellung des Richters – er kann eine solche Twitterkampagne des Präsidenten ohne Positionsverlust und ohne finanziellen Schaden überstehen. 179 »Mr. Trump accused his own Justice Department of perpetrating a ›witch hunt‹ and asserted that the F. B. I. ›broke into‹ Mr. Cohen’s office. The president, who spoke at the White House before meeting with senior military commanders about a potential missile strike on Syria, called the F. B. I. raid a ›disgraceful situation‹ and an ›attack on our country in a true sense.‹« (Apuzzo 2018) 180 Europa könnte gegen die Vereinigten Staaten natürlich auch Krieg führen, um seine Klimaschutzinteressen durchzusetzen, also auf eine unfriedliche Lösung setzen – was nicht allein aufgrund der militärischen Unterlegenheit wenig ratsam wäre, sondern auch aufgrund der durch einen solchen Krieg verursachten Umweltschäden, die einer nachhaltigen Klimapolitik eher zuwiderliefen. 181 »The poll found strong support for special counsel Robert Mueller’s investigation into Russian election meddling. Overall, 63 percent support the investigation, with 52 percent saying they ›strongly‹ support it, and only 29 percent oppose. Thirty-two percent of Republicans said they support Mueller’s work.« (Cummings 2018a) 182 »Trump has publicly derided Attorney General Jeff Sessions for allowing the investigation to continue, but 64 percent opposed firing Sessions and only 19 percent said they supported such a move.« (Cummings 2018a) 183 »Im Bereich des Militärs beispielsweise kommt ein Untergebener normalerweise gar nicht auf den Gedanken, dass die Selektion der Durchführung eines Befehls ihm selbst zugerechnet werden würde, und die Informationslast, in allen Befehlssituationen zu prüfen, ob dies ausnahmsweise doch der Fall ist, dürfte so hoch sein, daß eine entsprechende Verantwortungsverschiebung wenig Erfolg verspricht.« (Luhmann 1975: 127, Kursivierung im Original) Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass sich Trump eine Zeitlang mit Generälen umgab. Ein anderer: der Umstand, dass sie gewohnt sind, unter hohen Stressbedingungen zu operieren. »›They bring the capacity to operate under stress, and in so many cases, this stress has been tempered in the hot flame of war. And you just can’t pay enough for that kind of experience,‹ Allen said. That may be one of the qualities that ap-
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peal to Trump, whose administration has been plagued by leaks, aborted policy initiatives and high-level staff defections.« (Zarroli 2017) 184 »In our investigation, we found that CBP was caught by surprise when the President issued the EO on January 27, 2017. DHS had little opportunity to prepare for and respond to basic questions about which categories of travelers were affected by the EO .« (Kelly 2018) – »The Department of Homeland Security was not prepared to enforce the first version of President Trump’s travel ban when it was announced a year ago and was largely unaware of its reach before it was signed, according to a long-delayed report that was released on Friday. The report also found that some customs agents who were stationed at foreign airports initially continued to tell airlines not to let some passengers board flights to the United States – despite court rulings halting the travel ban that had initially sought to stop foreigners from predominantly Muslim countries from entering. The draft order was never sent to Customs and Border Protection, the agency that had to enforce the ban at airports. The inspector general’s office found that Kevin K. McAleenan, the acting commissioner of the customs agency, received the most details about the order’s contents from congressional staffers who ›were better informed.‹ The report also concluded that although the Justice Department’s Office of Legal Counsel reviewed the draft executive order, it failed to analyze the rights of legal permanent residents, who were left in limbo while customs officials scrambled to determine if they could re-enter the United States.« (Nixon 2018) 185 »What this is about is what are going to be the ground rules while we litigate this case. And what we’ve seen in the last week is that people have been thrown into chaos, their lives have been upended.« (Matthew Segal, zitiert nach Martin 2018) – »President Donald Trump’s immigration order sowed more chaos and outrage across the country Sunday, with travelers detained at airports, panicked families searching for relatives and protesters registering opposition to the sweeping measure that was blocked by several federal courts.« (Hindu 2018) 186 »At present, I am not convinced that the defense of the executive order is consistent with these responsibilities of the Department of Justice, nor am I convinced that the executive order is lawful […]« (Yates, zitiert nach Cooper 2017). 187 »Can anyone seriously entertain the notion that a reasonable Democrat, or a reasonable liberal of any kind, would after that performance consider him a fair arbiter in, say, a case about partisan gerrymandering, voter identification, or anything else with a strong partisan valence?« (Wittes 2018) 188 Das ist heutzutage sogar den Mitgliedern fiktiver Königsfamilien klar. Daenerys Targaruyen weist in Game of Thrones ihre Untertanen (!) nachdrücklich darauf hin, dass deren Loyalität nicht ihr, sondern nur dem Recht gelten kann: »The law is the law.« (US 2014)
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189 Es ist diese Machtfülle des amerikanischen Präsidenten, die David Frum in seiner Dystopie als größte Schwachstelle der amerikanischen Demokratie begreift: »a British prime minister can lose power in minutes if he or she forfeits the confidence of the majority in parliament. The president of the United States, on the other hand, is restrained first and foremost by his own ethics and public spirit« (Frum 2017). Hacke geht noch einen Schritt weiter: »Prinzipiell kann er machen, was er will, er ist der Präsident der Vereinigten Staaten.« (Zitiert nach Rothenberg 2017) 190 Luhmann unterschied innerhalb des Rechtssystems formale und substanzielle Argumente. Letztere finden auch außerhalb des Systems Anerkennung. Eine Behauptung wie »People are sending terrorists to the US « ist substanzieller Natur – in der Sprache der Systemtheorie: sie weist auf »Katalysatoren der Selbstorganisation von Umweltrelevanzen« (Luhmann 1995a: 394) hin, Relevanzen also, die sich außerhalb des Rechts befinden, aber für die Politik wichtig sind. Im Gegensatz dazu stellen die formalen Argumente sicher, dass man innerhalb des Rechts zu einer Entscheidung kommt, indem derlei ›Weltsachverhalte‹ ausgeblendet werden. Sind die Argumente formal mangelhaft, wie im Falle des ersten Reisebanns, kann man immer noch nachbessern. In jedem Fall müssen sie in der Lage sein, begründbare Entscheidungen – auch und gerade in Konfliktfällen – zu garantieren. Dass der Reisebann zuletzt durch den Supreme Court gerichtlich bestätigt wurde, könnte als Sieg des substanziellen über das formale Argument verstanden werden, wenn auch nicht so sehr im Sinne einer ausländerfeindlichen Substanz, sondern eher im Sinne einer Art Vertrauenssubstanz, die hier zum Einsatz kam: das Vertrauen in das Präsidentenamt (nicht in Trump!). Tatsächlich war zuletzt ein formales Argument entscheidend. 191 Verfassungsexperten sind sich hier nicht einig. Die Norm lautet, der Amtsinhaber ist zwar nicht immun, wird strafrechtlich aber nicht verfolgt – eine gängige Praxis oder auch amerikanische ›Tradition‹, mit der zu brechen sich das Department of Justice bisher schwertut. Trump kann während seiner Amtszeit für einfache Vergehen nicht verfolgt werden. Anders sieht es bei so genannten »high crimes and misdemeanors« aus; dass schwere Straftaten wie etwa Landesverrat zu einem Amtsenthebungsverfahren führen können, haben die Demokraten der Welt nachdrücklich vor Augen geführt. Die Republikaner wiederum haben die Chance genutzt, um ihr deutlich zu machen, dass es sich nicht um ein Strafverfahren handelte. ›Trump-Judge‹ Brett Kavanaugh hatte als Mitglied des Ermittlungsteams gegen Bill Clinton argumentiert, eine strafrechtliche Verfolgung sei nicht der richtige Weg, auf Vergehen eines amtierenden Präsidenten zu reagieren. Sein Argument: »Even the lesser burdens of a criminal investigation – including preparing for questioning by criminal investigators – are time-consuming and distracting […] adding that a president concerned about an ongoing criminal investigation ›is almost inevitably going to do a worse job as president.‹« (Zitiert nach Jalonick 2018) »Clinton, for example, ›could have focused on Osama bin Laden without being distracted by the Paula Jones sexual harassment case and its criminal investigation offshoots‹, Kavanaugh wrote in the 2009 Minnesota Law Review article.« (Jalonick
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2018) Kavanaugh und Trump bedienten sich im Hinblick die Sonderermittlung also beide eines Arguments, das eine Strafverfolgung des Präsidenten als destabilisierend zurückweist. An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass Trump in Bundesstrafangelegenheiten nicht nur befugt ist, ein Gnadenurteil zu sprechen – und zwar sogar vor einer Verurteilung –, sondern dass er als Chef der Exekutive in der Tat das Recht gehabt hätte, den Sonderermittler zu feuern. Das wäre zwar laut Neal Katyal, der für diese Regeln mitverantwortlich zeichnet, eine »extravagante« Lösung gewesen, aber bisher hat Trump vor extravaganten – bewusst abweichenden – Lösungen keine Angst gezeigt (vgl. Katyal 2017). 192 »White House cyber security adviser Rudy Giuliani said on Fox News that President Trump came to him for guidance over the order. He said that Trump called him about a ›Muslim ban‹ and asked him to form a committee to show him ›the right way to do it legally.‹ The committee, which included former U. S. Attorney General and Chief Judge of the Southern District of New York Michael Mukasey and Reps. Mike McCaul and Peter T. King, decided to drop the religious basis and instead focus on regions where, as Giuliani put it, there is ›substantial evidence that people are sending terrorists‹ to the United States.« (Wang 2017, siehe auch Sen 2017) 193 Karl A. Racine und Brian Frosh werfen dem Präsidenten vor, gegen eine Reihe von Antikorruptionsvorschriften der Verfassung verstoßen zu haben. Dass Trump einerseits als Präsident die Geschicke des Landes bestimmt und andererseits noch maßgeblich an dem Immobilienunternehmen seiner Familie beteiligt sein soll, werten sie als Interessenkonflikt: dem Präsidenten sei die strikte Trennung zwischen öffentlichem Amt und privaten Geschäftsinteressen nicht gelungen, was etwa Zahlungen von ausländischen Regierungen in Millionenhöhe belegten (vgl. Zeit 2017). 194 »It held that because the ban ›has a legitimate grounding in national security concerns, quite apart from any religious hostility, [the Court] must accept that independent justification‹ without inquiring whether that grounding or illicit discrimination actually motivated the president’s actions.« (Super 2018) 195 Die Trump-Befürworter beziehen sich offenbar auf die methodische Position von Antonin Scalia, den Vorgänger Neil Gorsuchs, der ein Anhänger des Textualismus war. Scalia hat den textualistischen Standpunkt wie folgt auf den Punkt gebracht: »It is the law that governs, not the intent of the lawgiver.« (Scalia 1997: 17, kursiv im Original) Der Idee einer ›living Constitution‹ setzt er die einer ›toten Verfassung‹ entgegen, um den Text der Verfassung – und die darin vermeintlich enthaltenen ursprünglichen Absichten (»original intent«) ihrer Verfasser, also doch der intent of the lawgiver, nur eben der mittlerweile verstorbenen – gegen die sekundären Absichten derer zu schützen, die ihn zeitgemäß interpretieren. Mit anderen Worten, die ein Gesetz begleitenden Intentionen (seien es die der Gründerväter, seien es die Trumps) zählen nicht: es geht um das, was es verbietet bzw. erlaubt. Wendet man Scalias Logik auf ihn selbst an, sollte nicht der original in-
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tent seiner Argumentation interessieren, sondern allein der Wortlaut: »Spekuliert nichts in mein Argument hinein, was nicht drinsteht.« Nur steht in einem Text gar nichts drin, wenn ihn niemand liest, also auslegt, und das ist immer nur vom Hier und Jetzt aus möglich, ganz gleich wie rückwärts- oder vorwärtsgewandt der Leser sein mag. Auch die ursprünglichen Absichten der Gründerväter werden immer wieder neu (re)konstruiert. Genauso wenig können wir an Scalias original intent herankommen. Er selbst sagt, es gehe ihm um den Erhalt der Demokratie: »Every time you insert into the Constitution – by speculation – new rights that aren’t really there you are impoverishing democracy.« (Scalia, zitiert nach Marks 2001) Aber was waren die ursprünglichen Absichten der Gründerväter?Anders gefragt: Wozu benötigten die USA seinerzeit überhaupt eine Verfassung, über die England bis heute nicht verfügt? »Das Normmaterial war vorhanden, der Naturrechtsbezug wurde als gegeben unterstellt.« (Luhmann 1995a: 471) Die Bezeichnung ›Gründerväter‹ gibt den Hinweis: um sie allererst gründen zu können, um souveräne Staaten auf zunächst einzelstaatlicher, dann nationaler Ebene schaffen zu können, was unter dem Rückgriff auf zivilreligiöse Vorstellungen geschah. Wozu benötigt Scalia eine Regel, die den offenen Horizont der Interpretation schließt? Antwort Koppelman: um sich besser darstellen zu können, »as the champion of judicial restraint, against all those liberal oligarchs. If you buy the story of Virtuous Scalia, that empowers Judicial Activist Scalia.« (Koppelman 2014) Aus systemtheoretischer Sicht benötigt er die Regel, weil ihr wirklicher Sinn – wie der jeder Regel – davon abhängt, »ob sich jemand auf sie beruft, wer, in welchen Situationen und mit welchen Folgen« (Luhmann 1999: 308). Denn nicht die innere Logik dieser Regel allein war ausschlaggebend dafür, bestimmte Entscheidungen an ihr zu orientieren. Gewiss, Scalia hatte sie erlassen, um sich auf sie berufen zu können – aber ob er sie zitierte oder faktisch abweichendes Verhalten tolerierte, musste er je nach Situation neu entscheiden, und er war in dieser Entscheidung alles andere als frei, denn Situationen sind immer schon strukturiert. Im Falle Bush v. Gore die Regel heranzuzitieren, hielt er offenbar für zu gefährlich: »From the perspective of judicial restraint, Mr. Bush’s attempt to circumvent the counting of votes should have presented an easy case. The Constitution provides a detailed procedure for selecting the President. That procedure does not authorize the Supreme Court to pick the President it likes.« (Koppelman 2016, siehe auch Tribe 2002. Wobei das von der üblichen Praxis des Supreme Court abweichende Verhalten, diese Entscheidung ohne die Namen der Verfasser zu veröffentlichen, die Frage nach dem original intent dieser Entscheidung aufkommen lässt.) Um ein texanisches Gesetz gegen Homosexualität für verfassungskonform zu erklären, erwies sie sich als nützlich. 196 »Trump setzt nicht auf militärische, sondern auf wirtschaftliche Macht. In dieser Hinsicht ist er neidisch auf Deutschland. Wir exerzieren ihm etwas vor, was er gerne für die USA hätte. Deutschland ist eine Weltwirtschaftsmacht und hat eine Fähigkeit, Produkte in die Welt zu exportieren, von der die Amerikaner nur träumen können. Die Infrastruktur liegt darnieder. Auf den neuen US -Präsidenten wartet viel Arbeit, Deutschland dagegen steht als Exporteur glänzend da. Deswegen droht Trump ja mit Zöllen. Als Firma ist Deutschland für ihn Vorbild. Wenn
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man ihn irgendwo packen kann, dann auf diesem Gebiet.« (Hacke, zitiert nach Rothenberg 2017) 197 Einen anderen Grund für seine Zurückweisung Amerikas als einer Wertegemeinschaft habe ich im Abschnitt über Ideologie behandelt, vgl. S. 70 f. 198 Dirk Baecker weist darauf hin, dass es Adam Smith war, der Wirtschaft in diesem radikal sozialen Sinne interpretiert hat (vgl. 2008: 19). Roosevelt hatte diese Interpretation auf den gesamten Globus übertragen. Trump versucht, sie auf die USA einzuschränken. Bei einer solchen Betrachtungsweise bleibe, so Dirk Baecker, ein merkwürdiger Nachgeschmack auf der Zunge zurück, gerade wenn man an die Symbolwelt der Wirtschaft denke, die sich offenbar von der Realwelt abgekoppelt hat: hier das Geld, das Kapital, der Kredit, dort die Güter und Dienstleistungen (vgl. 2008: 19). Sein Verdacht ist, dass sich Parasiten in die Wirtschaft eingeschlichen haben könnten, die in ihr zu ihren eigenen Gunsten schmarotzen. 199 Auch deshalb lehnt Trump multilaterale Vereinbarungen ab, die zu viel Gleichberechtigung und zu viel Kooperation vorsehen, und ein sorgfältiges, konstantes Abwägen der unterschiedlichen Interessen verlangen. Stattdessen setzt er lieber auf die ihm bekannte Form der Vereinbarung zwischen zwei Geschäftspartnern – in politischer Terminologie: den Bilateralismus. Er gewährleistet überschaubare Verhältnisse in einer komplex gewordenen, undurchschaubaren, von Schmetterlingseffekten gekennzeichneten Welt der Globalisierung, und reduziert Beziehungen zu One-on-One-Verhandlungen: »It’s leader versus leader. Man versus man. Me versus Kim.« (Zitiert nach Perper 2018) Faktisch werden die Verträge dadurch allerdings deutlich komplexer, nimmt die Unübersichtlichkeit, der man entgehen wollte, zu. 200 Ob die Auffassung Roosevelts in den damaligen politischen Theorien ihren Widerhall fand oder ob diese Theorien die Politik beeinflussten, müsste man genauer untersuchen; vermutlich ist es aber wie so oft sinnvoller, von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen. Die Gemeinsamkeiten jedenfalls lassen sich recht schnell aufspüren, etwa in den Überlegungen von Deutsch, der Politik »less as a problem of power and somewhat more as a problem of steering« begriff (1963: XXVII ). Diese Einsicht in den nichtlinearen Charakter internationaler und globaler Politikprozesse scheint der gegenwärtigen Regierung abhanden gekommen zu sein. 201 Selbst die »Failing New York Times« (Trump) gestand ihm einen ›TrumpBoom‹ zu. Dass er »not the architect of American growth« ist, weiß er vermutlich selbst. Den Titel beansprucht sein Vorgänger: »By the time I left office, household income was near its all-time high, and the uninsured rate had hit an all-time low and wages were rising […]. I mention all this so when you hear how great the economy is doing right now, let’s just remember when this recovery started. I’m glad it’s continued, but when you hear about this economic miracle that’s been going
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on […] I have to kind of remind them, actually those job numbers are kind of the same as they were in 2015 and 2016.« (Obama, zitiert nach Goldstein 2018) The Economist spricht von einer »long running economic expansion«, die Trump zugute komme: »In fact, he was lucky in his inheritance. The market has risen by 25 % since his election, but is up by 195 % since 2009. The unemployment rate fell from a peak of 10 % to 4.7 % under Barack Obama and then to 4.1 % on Mr Trump’s watch.« (Economist 2018b) Andere Beobachter weisen seine Behauptung, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Lage der USA hervorragend sei, zurück: »In fact, the economy and jobs are nowhere close to historic bests based on several measures. Economists have also warned that U. S. growth is largely fueled by government borrowing, as the federal deficit rises because of his tax cuts, and is thus unlikely to be sustainable after a few quarters.« (Rugaber 2018) Kurzum: »He’s exaggerating.« Ja, die Wirtschaft sei »strong, but much slower than post-war boom« (Smialek 2018). 202 »Fields also pointed out that the company could do well with a more positive U. S. manufacturing business environment under Trump. ›We see the pro-growth policies that he’s proposing. So, this is a vote of confidence in what we think the president-elect is going to pursue and it’s right for our business,‹ he said.« (Lovelace 2017, siehe auch Long und Harlow 2017) 203 Davon geht die Mehrzahl der Experten aus: »A survey from the National Association for Business Economics found that nearly 76 % of economists thought that President Donald Trump’s trade policies would be a negative for the US economy.« (Bryan 2018) – »Aber Trumps Politik des ökonomischen Nationalismus hinterlässt auch in einem anderen wichtigen Bereich Spuren: Die eingehenden Nettoinvestitionen von multilateralen Unternehmen aus In- und Ausland sind auf nahezu Null gesunken. Dieser Trend wird Amerikas langfristiges Wachstum schmälern, die Zahl der gut bezahlten Jobs reduzieren und globales Geschäft von den USA lenken. Trumps aggressives bilaterales Mobbing und die Preisgabe der regelbasierten internationalen wirtschaftlichen Ordnung wird potenziell zum Aufstieg einer post-amerikanischen Weltwirtschaft führen.« (Posen 2018) – Wie für die Moderne typisch lassen sich auch hier Gegenstimmen anführen, mögen sie auch in der Unterzahl sein: »Es ist ein Fall denkbar, in dem der Effekt der niedrigeren Preise zusammen mit den Staatseinnahmen aus dem Zoll selbst so hoch ausfällt, dass die USA von der Maßnahme netto profitieren. Gelingt dies, dann haben die Strategen im Weißen Haus den ›Optimalzoll‹ gefunden.« (Piper 2018) 204 »Criticism from Republicans of the much-needed funding ranged from calling it ›gold crutches‹ to ›welfare for farmers‹ to taking America back to ›1929 again.‹ Even some farmers called the bailout a ›pacifier‹ they would ›rather not have.‹« (Touchberry 2018b) – »We started a trade war with China that hurt farmers and now we’re going to pay off the farmers with money we’ll borrow from China. Let’s get right to the point. With his proposed $12 billion bailout of America’s farmers, Donald Trump is doing to them what he did to porn star ›Stormy Daniels.‹
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The only difference: A lot more people are being paid off and it is being done with our tax dollars.« (Brandus 2018) 205 Es verwundert nicht, dass diese als ›typisch französisch‹ identifizierte Phrase in Wahrheit chinesischen Ursprungs ist. De Gournays Lehrer, François Quesnay hatte sie benutzt, um das Konzept des ›Nichtstuns‹, wu wei, das gleichermaßen in der Philosophie des Taoismus wie in der chinesischen Staatskunst eine wichtige Rolle spielt, ins Französische zu übersetzen. Wei Wu Wei spricht von der Doktrin des ›negativen Wegs‹ – nur dieser, das Verneinen des Handelns führe zur Erleuchtung: »enlightenment or satori can only be the consequence of non-action« (Wei Wu Wei 2009: 14). China – obwohl von Trump zum Handeln gezwungen – greift auf genau diese Weisheit des Nicht-Handelns und der Zurückhaltung zurück, ›Erleuchtung‹ gegen ungestümen Tatendrang ausspielend: »However, China’s reaction indicates its comprehensive understanding of the trade war, which enables it to handle with calmness […]. It will calmly face this obstacle on the course of its rising and accept this test that a major country has to encounter on the path of development. Provoked by the US , China will fight back with wisdom and courage, stay restrained and adopt a long-term prospective.« (Xiudong 2018) Trump führt die USA nicht, wie man kleine Fischlein brät (vgl. Lao-tse 2012: 72). Illustriert er die These Laotses, dass Aktionismus ein Land leicht an die Schwelle des Ruins führen kann? (Interessanterweise stimmen die chinesische wie die amerikanische Philosophie aber in ihrer Handlungsorientiertheit überein, im Gegensatz zur europäischen, die erkenntnisorientiert verfährt. Der ›chinesische Pragmatismus‹ ist lediglich komplexer, wenn er das Nicht-Handeln propagiert. Denn auch das Nicht-Tun oder ›Ohne-Tun‹ muss natürlich getan werden.) 206 Die Leser der konservativen Washington Times sind zu 84 Prozent davon überzeugt, dass Trump das Opfer einer ›media witch hunt‹ ist – nur 25 Prozent sind anderer Ansicht (vgl. Washington Times 2017). 207 Wie es der Zufall will, hat sich Fatal Attraction-Darstellerin Glenn Close zu Trump geäußert: »He doesn’t stand for anything I believe in […]. But I don’t believe in just fighting against something […]. We have that all the time. So I went out and I bought copies of the Constitution and the Bill of Rights and all the amendments for every member of my family. I’m sending it to them. And then I thought, well, no one who hasn’t learned how to read a Constitution can really understand it, including me. So I’m thinking, okay, we’ll find a professor of constitutional law and have them come and talk to us. It’s the beginning of learning what our democracy is based on. I think this is an opportunity for us to really evaluate why we love this country and what has made it endure with the freedoms that we have.« (Close, zitiert nach Cox 2017) Die Verfassung wird zu einem inviolate level, das sich nicht negieren lässt – sie ist der letzte Halt angesichts der durch Trump ins Rutschen gebrachten Verhältnisse. Dass es die amerikanische Verfassung selbst sein könnte, die ihn begünstigt, kommt nicht in den Blick. Und noch viel weniger, dass es Trump selbst ist, der diese Rückbesinnung veranlasst hat und nun die Solidari-
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tät unter den Normanhängern und Demokratiefans stärkt. Ich hatte auf diese positive Funktion des Normbruchs im ersten Teil aufmerksam gemacht. 208 Das gesamte Wissen! Auch das, was ich über die Funktion und Funktionsweise der Massenmedien weiß. 209 »We can’t buy the scene where the president goes to a rally right after all these stories break and he’s got the crowd yelling, ›Drain the swamp!‹ This is the same time you’ve got his first two congressional supporters hit by corruption indictments. I know it’s supposed to be irony, but it’s teetering on insanity.« (Collins 2018) 210 Um an den im Vorwort erläuterten Beobachtungsmodus zweiter Ordnung zu erinnern: Es geht um eine durchaus willkürliche, kontingente Operation. Ich treffe einen Unterschied, weil ich glaube, dass die Massenmedien ihn treffen, und hoffe, dass ich damit deren »Mitte« (Maren Lehmann) treffe. Das Resultat ist eine Art Doppelbelichtung oder Überlagerung: ich sehe nicht nur das, was die Massenmedien für mich sind, sondern bekomme im gleichen Moment immer auch die Massenmedien meiner Unterscheidung in den Blick. Das gilt im gleichen Maße für die in diesem Text vorgenommenen Re-Konstruktionen der Politik, des Rechts, der Wirtschaft und der Wissenschaft. 211 Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon hat erkannt, dass sich der Code für die eigenen Zwecke nutzen lässt, indem man auf die negative Berichterstattung der Medien mit einem Herabschütten immer neuer Konternachrichten in raschem Wechsel reagiert: »The Democrats don’t matter […]. The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit.« (Zitiert nach Lewis 2018; vgl. Remnick 2018) Zum Beispiel, um von den Ergebnissen der Zwischenwahlen abzulenken: »Trump wants to make the story him vs the media not him getting his ass kicked in the House. This press conference is playing right into that narrative, former Obama aide Tommy Vietor tweeted.« (Stelter 2018) Mancher Beobachter vermutet, dass dieser ›shit‹ die Öffentlichkeit nicht nur von Negativmeldungen, sondern vor allem von seiner Politik ablenken soll: »Trump schießt nicht nur gegen ausländische Regierungen scharf. In der Innenpolitik findet der Präsident noch schärfere Töne und zieht ununterbrochen alle Aufmerksamkeit auf sich. Währenddessen setzen Trumps Minister grundlegende Wahlversprechen um. Die Öffentlichkeit fokussiert sich auf inhaltsleere covfeve-Tweets des Präsidenten und das Versagen der Republikaner bei Reformen wie im Gesundheitswesen. Derweil treibt die Administration ökonomische und ökologische Deregulierungen sowie die Entbürokratisierung auf leisen Sohlen voran.« (Hülss 2017) Die Massenmedien wenden die Thesen der Frankfurter Schule über den »Verblendungszusammenhang« namens Kulturindustrie also kurzerhand auf Trump an, wenn auch in einer gleichsam säkularisierten Variante: die Wähler werden mit trivialen Nichtigkeiten vom ›Eigentlichen‹ abgelenkt, aber der Journalist durchschaut diese Täuschung, er lässt sich keinen Tweet für eine Deregulierung vormachen. Ein erneutes Studium von Adornos und Horkheimers Thesen könnte hier nützlich sein: Trump
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et al. sind aus Sicht der Kritischen Theorie keine Bösewichte oder Heimlichtuer, Akteure einer Verschwörung – diesen Platz nimmt vielmehr der Kapitalismus ein, der sie in Dienst nimmt (vgl. Adorno und Horkheimer 2010). In diesem Sinne könnte man die Frage stellen, wer die Journalisten in Dienst nimmt, die wider besseren Wissens über fast jeden von Trumps Tweets berichten? 212 Michael Wolff hält die Selbstbeschränkung der Medien auf eine rationale Berichterstattung im Hinblick auf Trump für einen Fehler, da sie das Phänomen durch Distanz neutralisiere – ein Defizit, das er mit Fire & Fury (2018) kompensieren wollte. Die Massenmedien waren über diese Alternativversion nicht erfreut. Bloomberg – in der Person von Joe Nocera – warf ihm nicht so sehr vor, fehlerhaft berichtet, sondern die Berufsethik verletzt zu haben: »›I wonder how many [White House] staff told Wolff things off the record that he then used on the record,‹ Bloomberg View columnist Joe Nocera tweeted Thursday. ›He’s never much cared about burning sources. Can’t imagine that many of those quotes were meant for publication.‹« (Zitiert nach Calderone 2018) Andere machten andere formale Unterschiede geltend, um seinen Ausschluss zu rechtfertigen: »[L]et’s remember that Wolff is an unprincipled writer of fiction.« (Steve Rattner, zitiert nach Calderone 2018) Auf diesen Vorwurf einer allzu freien, ja: prinzipienlosen Konstruktion – playing loose with facts – konnten sich die meisten Kritiker einigen. Mehr noch: ausnahmsweise einmal waren sich die Massenmedien und das Weiße Haus in der Beurteilung dessen, was Fakt und was Fiktion ist, einig. Es verwundert nicht, dass die Late Show Comedians mit ihrer humorvoll aufbereiteten Nachberichterstattung in dieser Lage zuletzt Anerkennung als public intellectuals fanden (vgl. Garber 2017). Fast scheint es, als seien nur sie fähig, Trump gerecht zu werden. Das, was die News-Sendungen abstreiten und abstreiten müssen, weil es ihrer Selbstbeschreibung widerspricht – nämlich »to intentionally deceive someome« (Don Lemon) – ist nicht ihr Problem. Auch in Sachen Vulgärsprache können sie mühelos mit dem Präsidenten gleichziehen und derart – anders als der klassische Intellektuelle, den sie beerben – auf Trumps Normverstöße mit Normverstößen reagieren, anstatt mit verdächtigen Wertangeboten bzw. Gesinnungen zu handeln. Mit anderen Worten, sie sind keine Clowns mehr, sie gleichen eher Hackern, weil ihre Witze die Codes knacken (vgl. Baecker 2008: 79). In diesem Sinne sind ein John Oliver und Stephen Colbert beides: Spieler und Krieger. Trump fürchtet sie nicht ohne Grund. 213 »Trump has received unsparing coverage for most weeks of his presidency, without a single major topic where Trump’s coverage, on balance, was more positive than negative, setting a new standard for unfavorable press coverage of a president. Fox was the only news outlet in the study that came close to giving Trump positive coverage overall, however, there was variation in the tone of Fox’s coverage depending on the topic […] Of news reports with a clear tone, negative reports outpaced positive ones by 80 percent to 20 percent.« (Patterson 2017) – »CNN claims it’s right down the middle, somewhere between the left-wing MSNBC and the more conservative-friendly Fox News Channel. But an MRC study of an entire day of CNN ’s coverage shows the network spent almost all of its time covering
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the Trump presidency, with a heavily skewed roster of anti-Trump guests and onair commentators.« (Noyes 2017) – »Donald J Trump was not popular with America’s newspapers. Of the 100 top circulation print newspapers, two endorsed him. More than 200 newspapers supported Clinton, while Trump received the backing of fewer than 20.« (Sillito 2016) – »Trump has received unsparing coverage for most weeks of his presidency, without a single major topic where Trump’s coverage, on balance, was more positive than negative, setting a new standard for un favorable press coverage of a president.« (Patterson 2017) – »The president may have been referring to a study released last year by the conservative Media Research Center, which said 91 % of mainstream coverage of Trump was negative. In a study of Trump’s first 100 days in office, the Shorenstein Center, at Harvard University, reached a similar conclusion.« (Wemple 2018a) Das Gleiche gilt für das Format der Karikatur bzw. der Cartoons, so Magee: »When we went searching for pro-Trump cartoons from syndicates, cartoons that spoke more to the views of those who support Trump, we could not find them.« (Magee 2018) 214 »[D]uring the year 2015, major news outlets covered Donald Trump in a way that was unusual given his low initial polling numbers – a high volume of media coverage preceded Trump’s rise in the polls. Trump’s coverage was positive in tone – he received far more ›good press‹ than ›bad press‹. The volume and tone of the coverage helped propel Trump to the top of Republican polls.« (Patterson 2016) 215 »Our short-term campaign memory is bad, and our long-term campaign memory is even worse, so it’s hard to remember that for a few weeks in the summer of 2015, Trump seemed more ridiculous than ominous […]. His digressive, endlessly self-referential rhetoric would soon become shtick, but at the time it still felt mesmerizing and novel: media criticism as political performance. Trump didn’t seem like a real threat – not yet – so his vileness was relative […]. That Trump systematically destroyed decades’ worth of right-wing mantra was appealing, as was his seemingly genuine loathing of Jeb Bush, Ted Cruz, and Marco Rubio – three of the most loathsome candidates in recent history.« (Krotov 2017) Auch Sillito verweist auf die zunächst positive Berichterstattung: »The Washington Times declared Trump imperfect and acknowledged his ›vulgarity and coarseness‹. What they did like was the fact that he had ›all the right enemies‹: the pundits, the ›social scientists‹, the Beltway insiders, the academics and the righteous mongers of failed policies.« (Sillito 2016) 216 Die Fortsetzung des Satzes trifft heute eindeutig nicht mehr zu: »[…] and New Yorkers will forgive anything if you have flair.« (Morgan 1987) 217 In der Zusammenfassung von Matt Taibbi: »We replaced a million hours of Trump with a million hours of ›Trump is bad‹ […]. We took a lot of heat during 2016 for giving him billions [of dollars worth] of free coverage and we had this fork in the road, like, are we going to cover him less, or are we going to cover in the same amount but in a different way? And then we chose Door No. 2.« (Zitiert nach Johnson 2018)
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218 Die Hillary Clinton während des Wahlkampfs auf der Gegenseite platzierten: »Wir haben in Deutschland eine gewisse Idealisierung der letzten Wochen und Monate von Hillary Clinton gehabt und eine Dämonisierung von Donald Trump, und das ist das einzige, wo ich ein bisschen gegenvotieren würde.« (Hacke, zitiert nach Müller 2016) 219 ›Echte‹ Hexen sind angeblich alles andere als glücklich über Trumps ständigen Rekurs auf ihre Disziplin. Sie werfen dem Präsidenten Diskriminierung vor (»In some ways it’s like the N-word«), haben bisher aber keine Rechtsmittel eingelegt, sondern stattdessen – wie es sich für Hexen gehört – auf magische Verfahren zurückgegriffen: »A story on the Daily Beast website recently said some witches have cast spells on Trump, while one group tried to hex Supreme Court Justice Brett Kavanaugh.« (Gerth 2018) 220 Für das auf Amazon angebotene »Anti-Trump Lock Him Up Fat Nixon Political Poster Shirt« liegen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch keine Reviews vor. 221 »›Send the interns‹ means our major news organizations don’t have to cooperate with this. They don’t have to lend talent or prestige to it. They don’t have to be props. They need not televise the spectacle live (CNN didn’t carry Spicer’s rant) and they don’t have to send their top people. They can ›switch‹ systems: from insideout, where access to the White House starts the story engines, to outside-in, where the action begins on the rim, in the agencies, around the committees, with the people who are supposed to obey Trump but have doubts […]. The press has to become less predictable. It has to stop functioning as a hate object. This means giving something up.« (Rosen 2018) 222 »Something has to be done, including the possibility of the United States starting our own Worldwide Network to show the World the way we really are, GREAT !« (Zitiert nach Vick 2018) 223 »The whole thing reminded me of a scene directly from the boardroom of The Apprentice. A group of supplicants all desperately trying to hold on to their spots on the show by effusively praising Trump – each one trying to take it a step further than the last. And Trump in the middle of it all, totally and completely pleased with himself. (Reminder: Around that Cabinet table are hugely accomplished generals, billionaires and political people with long track records of success.)« (Cillizza 2017) 224 Ein beliebiges Beispiel: am 28. Januar 2019 twittert Trump »How does Da Nang Dick [Blumenthal] serve on the Senate Judiciary Committee when he defrauded the American people about his so called War Hero status in Vietnam, only to later admit, with tears pouring down his face, that he was never in Vietnam. An embarrassment to our Country!« Der erste Kommentar von Ed Krassenstein lautet: »At least when he says something untrue, he apologizes for it. You have told us 8000 lies and you just keep doing it.« Der zweite, ebenfalls von Krassenstein:
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»Have you seen the indictments against your campaign? If anyone defrauded the American people it was your own campaign.« Der dritte, noch einmal Krassenstein: »You have no room to talk. Your father literally bribed a doctor to lie and say you had bone spurs so that you wouldn’t have to serve your country.« Trumpy Trumpy schließt an: »People are saying they were the best bone spurs, the biggest bone spurs – believe me, believe me!« Worauf wiederum Krassenstein reagiert: »They were the best FAKE bone spurs ever!« W8liftinglady ergänzt: »I heard they were the hardest … they just wouldn’t stay up.« Paul: »And Donald, I’m sure, is an expert on bone spurs ›believe me‹.« Es dauert eine Weile, bis sich mit Jacob Wohl schließlich ein Trump-Anhänger zu Wort meldet: »Who’s worse? Da Nang Dick or Robert ›Dirty John‹ Menendez?« Doch schon kurz darauf übernehmen wieder die Gegner as Kommando: »Or Comrade Trumpski?« (Glen Griffith) – »Trumpsky! -ski is Polish« (The Artful Roger. Diamond of Many Facets) – »Trumpov« (altheboss) – »God trump is an embarrassment. This isn’t the tweet of a President or a leader of any kind. This is the tweet of a pathetic little man who only knows how to tear down others to make himself feel bigger. That’s the weakest kind of man there« (Forever Logical) usw. usf. 225 Emily Ekins unterscheidet in ihrem Overview of Trump Voter Groups fünf Kategorien: Staunch Conservatives (31 Prozent), Free Marketeers (25 Prozent), American Preservationists (20 Prozent), Anti-Elites (19 Prozent) und zuletzt The Disengaged (5 Prozent). Die Trump-Kernwählerschaft bestehe aus den American Preservationists: »They take the most restrictionist approach to immigration – staunchly opposing not just illegal but legal immigration as well, and intensely supporting a temporary Muslim travel ban. They feel the greatest amount of angst over race relations: they believe that anti-white discrimination is as pervasive as other forms of discrimination, and they have cooler feelings (as measured on a feeling thermometer scale) toward minorities […]. They agree in overwhelming numbers that real Americans need to have been born in America or have lived here most of their lives and be Christian.« (Ekins 2017) Diese Trump-Kernwähler zeigen laut Ekins die geringste Loyalität gegenüber der republikanischen Partei, für sie kommt es offenbar vor allem auf Trump bzw. die Person an: »[…] American Preservationists are less loyal Republicans than other Trump voter groups, and nearly half had positive views of Clinton in 2012 […]« (Ekins 2017). Doch so wichtig Gruppen nach wie vor für ein grundsätzliches Verständnis sozialer Strukturen sein mögen, ihr Nachteil ist, dass sie der Komplexität der modernen Gesellschaft nicht gerecht werden. Erstens findet sich jene relative Homogenität, die gleichsam das ›Versprechen der Gruppe‹ bildet, heute kaum noch, wie Ekins’ Studie selbst demonstriert: »American Preservationists are trade skeptics and look more like Democrats on domestic economic issues, particularly on the nation’s wealth distribution, concern over old-age entitlement programs, and animus toward Wall Street […]. They also share liberals’ views on the environment, believing that global warming is a serious threat and human activity is primarily to blame.« (Ekins 2017) Zudem konstituiert sich Gesellschaft nicht mehr über persönliche Beziehungen, an ihre Stelle sind die in diesem Buch thematisierten Systeme oder primären Sozialeinheiten getreten, organisatorisch gestützt durch bestimmte Institutionen (Parteien, Fern-
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sehsender oder Zeitungsverlage, Gerichte, Schulen usw.), auf deren Außenseite sich die sogenannten sozialen Bewegungen befinden. Hinzu kommt, dass wir es sowohl bei Trump als auch bei der AfD mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun haben, das alle erdenklichen ›Schichten‹ vereint und genau deshalb eine Untersuchung wert ist. Die AfD-Wählerschaft etwa umfasst Rentner genauso wie junge Wähler, Arbeitslose und Gutverdiener, Gebildete und weniger Gebildete (vgl. Amann 2017). Die Leistung Trumps wie der AfD war es, einer Kultur des Protests, die sich durch Erfolglosigkeit auszeichnet, zum Erfolg verholfen zu haben. Inwiefern diese Absorption bestimmter Themen auf die Protestkulturen zurückwirken wird, ist noch nicht abzusehen. Luhmann nennt den Verlust attraktiver Themen und eine gewisse Verhärtung (vgl. Luhmann 1996b: 208). Ich komme weiter unten im Text im Zusammenhang mit der Trump-Basis darauf zurück. An dieser Stelle nur der Hinweis, dass diese Perspektive nicht zuletzt helfen könnte, ein weniger aufgeregtes, von Nüchternheit geprägtes Verhältnis zu PEGIDA et al. zu gewinnen. Womöglich ist sogar Mitleid angebracht: »Erfolg und Erfolglosigkeit sind gleichermaßen fatal.« (Luhmann 1996b: 208) 226 »An analysis of the President’s first 30,000 words uttered in office found Mr Trump speaks at a third- to seventh-grade reading level – lower than any other President since 1929. Mr Trump’s vocabulary and grammatical structure is ›significantly more simple, and less diverse‹ than any President since Herbert Hoover, the analysis found.« (Shugerman 2018) 227 »The crisp, unpredictable tweets from the start of his presidency have largely become rambling and verbose. His account is weirdly turgid, loaded with ponderous attacks on his perceived enemies and obscure multipart arguments about his legal situation. At other times, it veers as close as Trump has ever sounded to Washingtonesque.« (J. Weiss 2018) 228 »The bias against science finds reinforcement in Mr. Trump’s budget and the people he has chosen for important scientific jobs. Mr. Trump’s 2018 federal budget proposal would cut nondefense research and development money across the government. The president has proposed cutting nearly $6 billion from the National Institutes of Health, the nation’s single largest funder of biomedical research. The National Science Foundation, a government agency that funds a variety of scientific and engineering research projects, would be trimmed by about 11 percent. Plant and animal-related science at the Agriculture Department, data analysis at the Census Bureau and earth science at the National Aeronautics and Space Administration would all suffer. It is amazing but true, given the present circumstances, that the Trump budget would eliminate $250 million for NOAA ’s coastal research programs that prepare communities for rising seas and worsening storms. The E. P. A.’s Global Change program would be likewise eliminated. This makes the budget director, Mick Mulvaney, delirious with joy. He complains of ›crazy things‹ the Obama administration did to study climate, and boasts: ›Do a lot of the E. P. A. reductions aim at reducing the focus on climate science? Yes.‹« (New York Times Editorial Board 2017)
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229 »Wer wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse ablehnt, ohne sie wissenschaftlich widerlegen zu können, scheidet aus der Gemeinschaft der vernünftigen Menschen aus und verliert damit das Recht, kollektiv bindende Entscheidungen beeinflussen zu können.« (Luhmann 2010: 346) Man sollte aber nicht den Fehler machen, diese Stelle mit einer Tatsachenbeschreibung oder gar einer normativ gemeinten Aussage zu verwechseln; Luhmann ironisiert lediglich, dass man so denken kann, beobachtet also eine geläufige Vorstellung. 230 »Last week, Mr. Trump nominated David Zatezalo, a former coal company chief executive who has repeatedly clashed with federal mine safety regulators, as assistant secretary of labor for the federal Mine Safety and Health Administration. He nominated Jim Bridenstine, a Republican congressman from Oklahoma with no science or space background, as NASA administrator. Sam Clovis, Mr. Trump’s nomination to be the Agriculture Department’s chief scientist, is not a scientist: He’s a former talk-radio host and incendiary blogger who has labeled climate research ›junk science.‹« (New York Times Editorial Board 2017) Und auch Peter Navarro – »the only economist with a Ph. D. of the bunch« (Sheldon 2018b) –, der als Direktor für Handel und Industriepolitik den neu geschaffenen Nationalen Handelsrat der USA leitet, gilt als Außenseiter: »But when I scanned Navarro’s scholarship it surprised me to find that he has not published on this topic in a leading academic economics journal. One sign that he’s outside the mainstream on trade: The Economist magazine dismissed him as a ›China-bashing eccentric.‹« (Sheldon 2018b) 231 Man könnte hier von einem gewissen Nachteil des demokratischen Systems gegenüber Einparteiensystemen sprechen. In diesem Sinne sind auch Demokratien Diktaturen: sie werden von einer Zeitstruktur beherrscht, die kurzfristige Rhythmen zur Bestellung repräsentativer Personen gegenüber langfristigen Verhältnissen bevorzugt. Auf den Unterschied zwischen einer regulären politischen Interessenvertretung und der populistischen Strategie komme ich im Schlussteil zurück. 232 »The White House website stripped out any mention of climate change or the effort to fight it, and word went out that the Environmental Protection Agency might be forced to do the same – though at the moment, the page remains live. The EPA was also ordered to freeze the grants and contracts it regularly issues to study environmental issues and conduct remediation work like handling hazardous waste. Any EPA studies that were conducted, the administration also announced, would have to be seen and cleared by White House officials before they could be released. That too was later walked back by a spokesman, but none of this bodes well for either science or public health. The Trump team did not stop with the EPA . Employees at the U. S. Department of Agriculture were forbidden to release any ›public-facing documents,‹ according to a leaked internal email. That category included but was ›not limited to news releases, photos, fact sheets, news feeds and social media content.‹ The Interior Department was similarly muzzled and ordered to suspend its Twitter account for Tweeting out pictures comparing
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President Obama’s 2009 Inauguration crowd to President Trump’s much smaller turnout. The department also got in hot water for another tweet that reported the scrubbing of climate change and LGBTQ issues from the White House site. That didn’t stop someone in the social media shop at Badlands National Park in South Dakota from going rogue, sending out a series of tweets about climate change. They were pulled down, though the Interior Department’s account, like the EPA climate change page, currently continues to function. One of the unintended but very real risks of this kind of denial is that it can lead to a drain brain out of government and into the private sector.« (Kluger 2017) – »Even the official vocabulary of global warming has changed, as if the problem can be made to evaporate by describing it in more benign terms. At the Department of Agriculture, staff members are encouraged to use words like ›weather extremes‹ in lieu of ›climate change,‹ and ›build soil organic matter, increase nutrient use efficiency‹ instead of ›reduce greenhouse gases.‹ The Department of Energy has scrubbed the words ›clean energy‹ and ›new energy‹ from its websites, and has cut links to clean or renewable energy initiatives and programs, according to the Environmental Data & Governance Initiative, which monitors federal websites. At the E. P. A., a former Trump campaign assistant named John Konkus aims to eliminate the ›double C-word,‹ meaning ›climate change,‹ from the agency’s research grant solicitations, and he views every application for research money through a similar lens. The E. P. A. is even considering editing out climate change-related exhibits in a museum depicting the agency’s history.« (New York Times Editorial Board 2017) – »The Trump administration has ordered researchers to stop work on an independent evaluation of potential health effects from mountaintop removal coal mining […]. ›Everyone knows there are major health risks living near mountaintop removal coal mining sites, but communities living with daily health threats were counting on finally getting the full story from the professionals at the National Academies of Science. To take that away without warning or adequate reason is beyond heartless.‹« (Whitman 2017) 233 »Compliance with the terms of the Paris Accord and the onerous energy restrictions it has placed on the United States could cost America as much as 2.7 million lost jobs by 2025 according to the National Economic Research Associates. This includes 440,000 fewer manufacturing jobs. According to this same study, by 2040, compliance with the commitments put into place by the previous administration would cut production for the following sectors: paper down 12 percent; cement down 23 percent; iron and steel down 38 percent; coal – and I happen to love the coal miners – down 86 percent; natural gas down 31 percent. The cost to the economy at this time would be close to $3 trillion in lost GDP and 6.5 million industrial jobs, while households would have $7,000 less income and, in many cases, much worse than that.« (Trump 2017b) 234 »From the beginning, Mr. Trump, Mr. Pruitt, Mr. Zinke and Mr. Perry – to name the Big Four on environmental and energy issues – have been promising a new day to just about anyone discomfited by a half-century of bipartisan environmental law, whether it be the developers and farmers who feel threatened by ef-
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forts to enforce the Clean Water Act, oil and gas drillers seeking leases they do not need on federal land, chemical companies seeking relaxation from rules governing dangerous pesticides, automakers asked to improve fuel efficiency or utilities required to make further investments in technology to reduce ground-level pollutants.« (New York Times Editorial Board 2017) – »Even allowing for justifiable budgetary reasons, in nearly every case the principal motive seemed the same: to serve commercial interests whose profitability could be affected by health and safety rules.« (Whitman 2017) 235 »The concept of global warming was created by and for the Chinese in order to make U. S. manufacturing non-competitive.« (Tweet vom 6. Nov. 2012, 11:15) 236 »Take a trip to our southwestern deserts, if you don’t believe it. Thanks to illegal immigration, huge swaths of the region are covered with garbage and waste that degrade the soil and kill wildlife. The Arizona Department of Environment Quality estimates that each illegal border crosser leaves six to eight pounds of trash during the journey into our country. If you’re interested in more detail, look at the website they’ve created, it’s called Arizona Border Trash. It’s dedicated to highlighting and cleaning up the thousands of tons of garbage strewn across Arizona by immigrants every year.« (Carlson 2018) Diese Bestimmung hat sich als äußerst anschlussfähig erwiesen. Sie hat zwar hauptsächlich Ablehnung provoziert und Widerstand ermöglicht, aber auch Anschlussakte der Zustimmung: »Progressives dodging the issue doesn’t mean Carlson is wrong, of course, but in my view he’s not going quite far enough. Illegal immigration does affect the environment negatively, but so does all mass immigration.« (Borges-Silva 2018) 237 So etwa ein Wicked Lester im CNN -Live-Chat vom 2. 6. 2017: »thanks trump! im glad you didnt make me pay for the so called climate change.« 238 Für die Konzerne dagegen geht es um ›handfeste‹ Kosten. Der Unfall und die daraus resultierende Ölkatastrophe auf der Deepwater Horizon kostete BP nach neuen Angaben bislang etwa 65 Milliarden Dollar an Strafzahlungen und Schadenersatz (vgl. Handelsblatt 2018). 239 Auch die Wissenschaft ist von diesen Zuschreibungen nicht ganz frei, wie Snyder in The Road to Unfreedom (2018) demonstriert, das sich einer Schematisierung namens ›Böser Putin‹ bedient, was wiederum den Massenmedien mannig fache Anschlüsse ermöglicht hat. Ironischerweise charakterisiert genau das, was der Autor als Kennzeichen einer Politics of Eternity ausmacht – »You’re thinking: who’s the enemy? Whose fault is this?« (Synder, zitiert nach McGowan 2018) – auch seinen eigenen Ansatz. Und wann stellt man sich solche Fragen? Snyder: »When you get a shock, when you feel like you’re disabled […]« (zitiert nach McGowan 2018). In einer Krisensituation mithin, die gleichermaßen eine Politics of Eternity wie eine History of Eternity rechtfertigt. Die Süddeutsche Zeitung demonstriert das mitunter hohe Reflexionsniveau der Medien und weist den Wissenschaftsliteraten in die Schranken: »Es mag naheliegen, eine Linie von Putin bis Trump
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zu ziehen und Ereignisse wie den Brexit, den Wahlsieg von Kaczynskis PiS in Polen oder die Erfolge des Front National als Schritte auf dem ›Weg in die Unfreiheit‹ einzuordnen. Man gewinnt so ein bedrohliches Szenario und verliert an analy tischer Klarheit. Die Voraussetzungen für die Krisen der demokratischen Institutionen waren und sind in jedem dieser Fälle verschieden gewesen. Sie genau zu beschreiben, würde mehr helfen, als den Blick starr auf den bösen Arzt zu richten.« (Bisky 2018) 240 Luhmann hat darauf hingewiesen: Wenn man die Realität leugnet, bleibt zuletzt nichts übrig, was man beobachten und nichts, was man mit Unterscheidungen greifen kann. »Bestritten wird nur die erkenntnistheoretische Relevanz einer ontologischen Darstellung der Realität. Wenn ein erkennendes System keinerlei Zugang zu seiner Außenwelt gewinnen kann, können wir deren Existenz bestreiten, aber ebensogut und mit mehr Plausibilität daran festhalten, daß die Außenwelt so ist, wie sie ist. Beide Varianten sind unbeweisbar. Zwischen ihnen kann nicht entschieden werden.« (Luhmann 1990: 37) Weshalb ich mich für die letztere entschieden habe. 241 Ob etwas, das nicht beobachtet wird, möglicherweise nicht existiert, hatte sich bereits Einstein gefragt: »We often discussed his notions on objective reality«, so Abraham Pais. »I recall that during one walk Einstein suddenly stopped, turned to me and asked whether I really believed that the moon exists only when I look at it.« (1979: 907) Dass die Dinge verschwinden, wenn man sie aus den Augen lässt, widerspricht zumindest unserer Dingerfahrung der Objektkonstanz. Mit Luhmann: Wir würden kaum riskieren, wegzusehen (vgl. Luhmann 1997: 48 f.). 242 Dass es Spaß macht, ›mitzuklatschen‹, wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Dirk Baecker weist darauf hin, dass es dabei nicht nur darum geht, was man sich erzählt. Sondern auch darum, ob es funktioniert – also darum, die Leichtgläubigkeit der anderen zu überprüfen: wird die Möglichkeit als Wirklichkeit genommen? Nicht zuletzt kann man zeigen, wie gut man vernetzt ist (vgl. Baecker 2008). Aus der Trumps Sicht sehnen sich die Menschen geradezu danach, Übertreibungen Glauben zu schenken. Dafür steht bei ihm der Begriff der »truthful hyperbole« ein, der seine Lügen mit einer Art moralischer Legitimation ausstattet: Trump gibt den Menschen nur das, wonach sie verlangen (vgl. Mayer 2016; Page 2018). 243 Das legendäre Spiegel-Motto »Sagen, was ist« spricht den Redakteur von dieser Verantwortung frei – ganz so, als gäbe es eine Sprache der Fakten, als müsse man nur genau genug hinhören, um vom ›Ist‹ über die Verhältnisse informiert zu werden, als sei man an der Erzeugung der Realität nicht beteiligt. »Konstruieren, was ist« wäre hilfreicher, nicht zuletzt im Hinblick auf den Fall Claas Relotius: die Redakteure könnten nüchtern die unterschiedlichen Konstruktionsweisen in den Blick nehmen, ohne der ›schön geschriebenen Reportage‹ mindere Seinsqualitäten unterstellen zu müssen. Aber der Satz sollte nicht als Schreibdirektive missverstanden werden. Er richtet sich an die Leser und macht aus der möglichen Annah me der Spiegel-Texte gleichsam eine Notwendigkeit.
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244 »No one […] could have imagined that the 21st-century catastrophe to befall the USA , the most debasing of disasters, would appear not, say, in the terrifying guise of an Orwellian Big Brother but in the ominously ridiculous commedia dell’arte figure of the boastful buffoon.« (Roth, zitiert nach McGrath 2018) 245 Der Begriff des Readymade eignet sich auch deshalb, weil Trump ja in der Tat ›already made‹ war, und die Gesellschaft den derart Vorgefertigten der Politik zur Verfügung stellte (vgl. Luhmann 1984: 289 ff.). Luhmann diskutiert diese Vorverarbeitungsprozesse unter dem etwas unglücklichen Titel der ›Interpenetration‹ (vgl. Luhmann 1984: 289 ff.). 246 »One hundred years ago, Duchamp’s Fountain turned the art world upside down. As artists and critics debated whether this was art or a hoax, the artist’s designation of the porcelain urinal as a readymade changed the course of modern art.« (Timothy Rub, zitiert nach Philadelphia Museum of Art 2017) 247 Nach den Zwischenwahlen war die Enttäuschung unter den Trump-Gegnern zunächst groß: »Democrats had hoped the country would deliver a decisive verdict to President Trump and the Republicans, but it did not.« (Ball 2018) Die deutschen Massenmedien gaben sich nach den Zwischenwahlen fast empört: »Trump wurde nicht als historische Dummheit weggespült. Vielmehr hat er den Wahltest zur Hälfte bestanden.« (Kornelius 2018) Die Tendenz, ihn als Fehler oder Unfall zu begreifen, dominiert weite Teile der medialen Berichterstattung bis heute – beinahe so, als müsse man nur Trump loswerden, und die Gesellschaft könne in ihren Ursprungszustand, den der Harmonie und des Friedens, zurückkehren. Er stellt in genau diesem Sinne einen »Scheinriesen« (Michael Ende) dar, der größer erscheint, als er faktisch ist, wozu die Medien mit ihrer Vorliebe für Personen und Skandalisierungen entscheidend beitragen. Trump hat den Wahltest längst bestanden, er ist nicht aus Versehen Präsident der Vereinigten Staaten geworden, mag ›Russland‹ hier auch nachgeholfen haben. Es mag für die Medien Sinn ergeben, ihn als Fehlentwicklung zu begreifen und moralisch zu verurteilen; es ist aus der Perspektive der Wissenschaft aber wenig fruchtbar. Der Fundamentalismus wird auch ohne ihn weiterhin Anhaltspunkte finden und Personal rekrutieren können. 248 Sie macht bei der Konsumtion oder Assimilitation nach einigen Startschwierigkeiten mittlerweile rasche Fortschritte. Vor allem im Bereich der Unterhaltung: »I saw that last night Trump held a rally in Florida where he attacked immigrants, democrats, and the media. Even the biggest Trump supporters in the crowd were like: ›Play some new stuff!‹« (Jimmy Fallon, zitiert nach 2018b) Aber auch im Bereich der internationalen Politik: »Nearly two years into a world reordered by Trump, the globe has readjusted. Leaders of other major economic powers have learned – and accepted – they will not succeed in shifting Trump’s views either by logical argument or by charm. So their goal is to agree to disagree, to avoid taking offense even when Trump is offensive. In other words, the best way to protect the multilateral system is to let the Big Guy go his own way, even as they keep him at
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the table.« (Herzenshorn et al. 2018) Nicht alle begrüßen den Gewöhnungseffekt: »A stunning feature of the drama Trump has inflicted on the country is that we have become inured to daily dishonesty of an unprecedented sweep and magnitude. We acquiesce, or at least cease to push back against, the argument that lying to the media and public is no crime.« (Litman 2018) Doch genauso verhält es sich, andernfalls säße Trump längst im Gefängnis. Seine Rechtsberater wissen darum: »Giuliani is, in essence, arguing that Trump’s lies don’t matter because he didn’t say them under oath.« (Cillizza 2018c) Offensichtlich spielen sie aber eine Rolle, zum Beispiel für die Massenmedien – die hier auf entsprechende Rollenanforderungen verweisen: »Uh, what? This is the President of the United States we are talking about.« 249 Und sich selbst, glaubt man Wolff (2018) – nicht unähnlich dem Künstler, der vom Gelungensein des eigenen Kunstwerks überrascht ist (vgl. Luhmann 1995b: 236). Aber anders als seine Umwelt ist er an einer Nachkonstruktion der Umstände, die das ermöglicht haben, offenbar nicht interessiert. Er schreibt sie seinem Genie zu. 250 Zur Frage, was die Annahme dieser Kommunikationsofferte verwahrscheinlicht hat, siehe das Schlusskapitel. 251 »It did not start with Donald Trump. He is a symptom, not the cause.« (Obama, zitiert nach Reins 2018) 252 »The drive to synthesis is the major cause of endless bifurcations. Each attempt to convergence and synthesis leads to new splits and divisions […]« (Baumann 1990: 436). 253 »And let me tell you something, particularly young people here. Better is good. I used to have to tell my young staff this all the time in the White House. Better is good.« (Obama 2018) 254 Deutschland ist hier den anderen Nationen gegenüber aus historischen Gründen im Vorteil, weil die deutsche Demokratie gebaut ist »auf einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber einem Volk, das, wenn man es sozusagen bei seinem Willen ernst nehmen würde, auf Ideen käme, die man lieber nicht erleben möchte«, so Dirk Baecker (zitiert nach Köhler 2017). 255 Dass Populisten wie Trump mit diesen Offerten Erfolg haben, geht laut Montaigne auf die »Dummheit und Verführbarkeit« zurück, die sich »im großen Volkshaufen findet und die ihn sich so willfährig von der Ohrenbläserei dieser süßen Klänge betören und einfangen läßt, ohne daß er dazu käme, die Wahrheit der Dinge nach der Stärke ihrer Vernunftgründe zu erwägen« (vgl. Montaigne 1953: 294). Was mit der Bedeutung zu tun haben könnte, die Gefühlsgründe für solche ›Haufen‹ haben. Hierzu mehr im Abschnitt über Gefühle im letzten Kapitel.
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256 Matthew Gentzkow hat diesen Trend einer verschärften politischen Polarisierung in den USA bereits 2016 empirisch belegt. Seine Studien zeigen, dass die Anhänger beider Parteien in ihren politischen Standpunkten immer weiter auseinandergerückt sind und dass die Meinung über die jeweils andere Seite immer negativer geworden ist. In Zahlen: 1960 hielten nur gut 20 % die Anhänger der jeweiligen Gegenseite für selbstsüchtig, 2008 waren es fast 50 %. 1960 hatte offenbar kaum jemand ein Problem damit, falls das eigene Kind einen Anhänger der anderen Partei heiraten sollte, 2008 würden sich 19 % der Demokraten und 26 % der Republikaner darüber aufregen (vgl. Gentzkow 2016). 257 »In the 2016 election, a wide gap in presidential preferences emerged between those with and without a college degree. College graduates backed Clinton by a 9-point margin (52 % – 43 %), while those without a college degree backed Trump 52 % – 44 %. This is by far the widest gap in support among college graduates and non-college graduates in exit polls dating back to 1980.« (Tyson and Maniam 2016; Silver 2016; Cohn 2018) 258 Dass der Trump verehrende Paketbomber nicht erfolgreich war, hängt laut Trump-Gegner Aaron Jackson direkt mit dieser Verehrung zusammen: »He was a failure as a human AND a bomb maker. Typical Trump supporter.« 259 Neben den negativen Folgen, die Trumps Stahl- und Aluzölle für die amerikanische Autoindustrie haben, könnte man die hohen Kosten seiner Grenzpolitik nennen, die ein US -Bezirksrichter bei seiner Zurückweisung eines Trump’schen Dekrets geltend machte: »Chen cited a brief filed by 17 states that estimated they would lose $132 billion in gross domestic product, $5.2 billion in Social Security and Medicare contributions, and $733 million in employer turnover costs if TPS recipients are sent home.« (Gomez 2018a) 260 Allein der hohe Anteil inhaftierter Schwarzer in den USA ist ein deutlicher Hinweis. Michelle Alexander geht deshalb so weit, vom Rassismus des amerikanischen Justizsystems zu sprechen: »Quite belatedly, I came to see that mass incarceration in the United States had, in fact emerged as a stunningly comprehensive and well-disguised system of racialized social control that functions in a manner strikingly similar to Jim Crow.« (Alexander 2012: 4) Becker weist auf ein oft übersehenes Detail im Bereich der Folgekosten hin: »It is well known that a Negro believed to have attacked a white woman is much more likely to be punished than a white man who commits the same offense; it is only slightly less well known that a Negro who murders another Negro is much less likely to be punished than a white man who commits murder.« (1963: 10) 261 In einer etwas anders gelagerten Terminologie: »Die ökonomisch stärksten zehn Prozent der Gesellschaft sind auf Sozialsysteme und andere staatliche Strukturen praktisch nicht mehr angewiesen. Sie können sich diese auf dem Markt kaufen, von der Gesundheitsversorgung über die Alterssicherung bis hin zu Eliteschulen im In- und Ausland. Das untere Drittel hingegen ist stark auf diese Trans-
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fersysteme angewiesen, wird abgehängt und ist politisch kaum zu erreichen. Und dann gibt es die dazwischen: Diese Mittelschichten sind in der demokratischen Politik deutlich überrepräsentiert. Sie gehen überproportional oft zur Wahl, nehmen an Referenden teil, engagieren sich in Parteien, Parlamenten und Regierungen, aber auch in NGO s […]. Die unteren Schichten brechen weg. Von Politikern wurden sie als Klientel zum Teil aufgegeben, da sie sich schwer mobilisieren lassen. Rechtspopulisten versuchen hier zunehmend zu rekrutieren.« (Wolfgang Merkel, zitiert nach Lindner 2018) Auch Luhmann weist darauf hin, dass sich nur »wenige von vielen« aktiv mit Kritik und Protest befassen (2002a: 357). Kritik sei ein Job für die Elite. Resultat: »Das Volk steigt aus.« (Luhmann 2002a: 357) Das lässt sich auch anhand der weiter oben im Text erwähnten Kolonisierung von Trumps Twitter-Konto belegen. 262 Leonardo Bursztyn et al. konstatieren: »Trump’s unexpected victory made people more willing to express anti-immigration views publicly than they were before Election Day.« (Zitiert nach Willick 2017) 263 So jedenfalls Simon: »An die Stelle des Konfliktes zwischen den sich jeweils ambivalenzfrei zeigenden politischen Einheiten [wie er für Europa typisch ist, M. H.] tritt der Konflikt innerhalb der jeweiligen Einheiten.« (2005: 42) 264 Gehen sie tatsächlich davon aus, dass sie Trump überzeugen können? Der Besuch des New York Times-Chefredakteurs Sulzbergers bei Trump kann als Hinweis darauf gelesen werden, zeigt aber auch die Mischung aus Naivität und Selbstgerechtigkeit, die den Massenmedien als selbsternannten Hütern der Werte eigen ist (vgl. David 2018). 265 »These allegations sufficiently describe government conduct that arbitrarily tears at the sacred bond between parent and child,« so US -Bezirksrichterin Dana Sabraw, »is brutal, offensive, and fails to comport with traditional notions of fair play and decency.« (Zitiert nach Larson 2018) Zwei Todesfälle gibt es bereits zu beklagen (vgl. Valecia and Bayette 2018; M. Jordan 2018). Weshalb Komikerin Michelle Wolff die Praxis der US -amerikanischen Einwanderungsbehörde ICE mit der Brutalität von ISIS vergleicht: »ICE is terrorizing the invaders […] ICE is attacking when they least suspect. ICE is blowing up the status quo.« (Zitiert nach Bruney 2019). 266 Der Begriff bezeichnet ein Symbol oder eine Symbolgruppe, die in Systemen das Abdriften ins Beliebige verhindert. Das gelingt dadurch, dass er festlegt, was nicht im System kommuniziert werden kann – obwohl es theoretisch natürlich sehr wohl kommuniziert werden kann, wie Helsinki gezeigt hat (vgl. Luhmann 1982: 201, 1997: 470). 267 Es könnte interessant sein, dem von Freud angeregten Zusammenhang von Ich-Ideal (dem jene Selbstliebe gilt, »welche in der Kindheit das wirkliche Ich genoß«, Freud 1925: 178, das also den Verlust des infantilen Größenwahns zu kom-
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pensieren sucht) und Massenpsychologie genauer nachzugehen, also dem »sozialen Anteil« dieses Ideals, hier: dem Ideal der amerikanischen Nation – gerade im Hinblick auf den ›massenpsychologisch‹ so überaus erfolgreichen Trump. Laut Freud setzt die »Unbefriedigung durch Nichterfüllung dieses Ideals« Kräfte frei (ich lasse seine Vermutung im Hinblick auf Homosexualität hier einmal außen vor), die sich in »Schuldbewußtsein (soziale Angst)« verwandeln (vgl. Freud 1925: 186). Auf diese Weise ließe sich nicht nur der Erfolg Trumps psychoanalytisch erklären, der als Zurückweisung dieses Schuldbewusstseins erscheint, sondern auch die unter anderem in Form von Verschwörungstheorien grassierende ›Paranoia‹, die sowohl ihn als auch seine Anhänger umtreibt. Nur: Ob es sich bei Trump überhaupt um einen Fall von Narzissmus handelt, ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Feststellen lässt sich lediglich, dass er ihn überzeugend verkörpert: »He’s a prime example of narcissism.« (Wardetzki, zitiert nach Vergin 2018) Wardetzkis Gründe: »Criticism is met with anger as it is associated with shame and humiliation. People with this disorder are manipulative. Relationships with others are exploited for personal gain. Another factor is overblown self-esteem. The person feels unique and great. Those who have a personality disorder constantly fantasize about infinite success, power, beauty, brilliance and idealized love. They make great demands on themselves and others. They constantly expect attention and admiration. Furthermore, narcissists lack empathy […]. Last but not least, people with a narcissistic personality disorder are extremely envious of others.« (Wardetzki, zitiert nach Vergin 2018) All diese Kriterien scheinen auf Trump zuzutreffen. Um John Cook zu paraphrasieren: Er mag kein Narzisst sein. But he sure acts like one. 268 »You look at our air and our water, and it’s right now at a record clean. But when you look at China and you look at parts of Asia and when you look at South America, and when you look at many other places in this world, including Russia, including – just many other places – the air is incredibly dirty.« (Trump, zitiert nach Embury-Dennis 2018) 269 Es gilt laut der Massenmedien auch für die Wissenschaft: »Elsewhere, Kakutani’s sociological mantras and indignant anathemata are repeated helplessly or even desperately, in an unwitting case of the ›confirmation bias‹ that she officially deplores. Liberal guerrillas will have to do better than this if they hope to salvage American democracy.« (Conrad 2018) 270 Hierin bin ich mir mit Bill Maher einig: »Let’s stop talking politics to each other. Everyone these days says that the way to bridge our frightful partisan divide is to talk to the other side so we can hear each other’s point of view. No, that’s exactly what you shouldn’t do – it never works, no one ever flips to your side […]. We used to have no idea how much we really hated each other, and it worked.« (Maher 2018) Wir müssen erneut lernen, mit Verständigungen zu arbeiten, die nicht als Durchgriff auf wirkliche Meinungen konzipiert sind. Wie in der Zeit des mühsamen Lernens religiöser Toleranz. (Vgl. Luhmann 2004: 310) Es könnte daher hilfreich sein, an die im Übergang von der hierarchischen zur funktionalen Ord-
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nung genutzte Technik der Kommunikationssperren zu erinnern. So findet sich die Theorie der Salonkonversation »durchsetzt mit Kommunikationsverboten und Schweigepflichten, die benötigt werden, um Geselligkeit in Gang zu halten« (Luhmann 1984: 466). Die Aristokraten wussten, was wir vergessen haben: dass Interaktion kein hartes Nein verträgt. Im 18. Jahrhundert grenzte man deshalb Themen aus, die zu gegensätzlichen Standpunkten und zum Widersprechen provozieren könnten, vor allem solche der Religion. In den USA der Gegenwart könnte der Verzicht auf das Thema Politik hilfreich sein. »My sister, she’s a Trump supporter. It got to the point where we don’t talk to each other no more. I mean, you can’t have a conversation.« (Zitiert nach Eggers 2019) Wie es gehen könnte, führen George und Kellyanne Conway vor, »the marriage that bridges the divide« (McKelvey 2019) – ein hohes Maß an Diskrepanz bei funktionierender Verständigung. Mit Luhmann: »Das Nein bleibt als Wahrscheinlichkeit vorhanden, aber man verständigt sich, wir machen es mal so, mal so.« (2004: 309) Pragmatik statt Rhetorik. Die Aufgabe, mittels einer Ja-Nein-Schematisierung Ergebnisse zu erzielen, sollten wir getrost den einzelnen, entsprechend codierten Funktionsbereichen überlassen. 271 Man könnte die unwahrscheinliche Entstehung sozialer Ordnung als ›Happy Beginning‹ bezeichnen – aber die entsteht ohnehin, zwangsläufig, sie bedarf keiner Helden und keiner Courage. Nicht Übereinstimmung, sondern Nichtübereinstimmung – und die Identität dieser Erfahrung auf beiden Seiten – ist für die Herausbildung gesellschaftlicher Strukturen verantwortlich. Konsens kann nur heißen: »Wir stimmen darin überein, dass wir die Situation bestimmen müssen.« Mehr Konvergenz der Perspektiven ist weder möglich noch nötig (vgl. Luhmann 1984: 172 ff.). 272 Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass man Systemtheorie eine realitätsferne Sicht auf die Dinge vorwirft, weil derlei ›Eintrübungen‹ bzw. Unreinheiten nun einmal Teil der sozialen Praxis seien. Weshalb wir aufhören sollten, uns als große ›Bereiniger‹ aufzuführen, um uns stattdessen den »Unsauberkeiten und Vielschichtigkeiten« der politischen, wirtschaftlichen usw. Realitäten zu widmen (vgl. Knorr-Cetina 1992: 413; Nassehi 2004). Nur geht es der Systemtheorie nicht ums Saubermachen, sondern um Abstraktion. Genau deshalb muss der Flug über den Wolken stattfinden, ansonsten bekommt man keine Funktionen in den Blick – und nur in diesem Sinne ist die systemtheoretische Karte ›besser‹ als das Gebiet (vgl. Hoel 2018). Was immer in der Politik in Anschlüsse überführt wird, also in kollektiv bindende Entscheidungen, muss sich dem politischen Code fügen, allen Eintrübungen, allen Tweets und aller Korruption zum Trotz. 273 »The clash between California and Washington threatens to throw the United States auto market into disarray. Because California has the authority under the Clean Air Act to set its own air pollution rules, and because a dozen other states follow its lead, the dispute could effectively split the nation’s market into two, one side adhering to stringent emissions rules set in Sacramento and the other to weaker federal standards.« (Vgl. Tabuchi 2018)
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274 So etwa Garton Ash: »Daran sieht man, wie unglaublich wichtig das Narrativ ist, die Geschichte, die man erzählt. Das machen die Populisten bis jetzt am besten.« (Zitiert nach Hoffmann 2018) 275 Das Problem ist, dass man dort vor lauter Patriotismus – der immer und notwendig vor allem Verfassungspatriotismus ist (vgl. Koselleck 2010: 223), weshalb Trumps Abstandnahme mithilfe des Nationalismusbegriffs Sinn ergibt – gar nicht auf den Gedanken kommt, dass die Verfassung Teil des Problems sein könnte. 276 Vgl. Simon 2004: 111. Die Notwendigkeit einer stärkeren Inaugenscheinnahme dieser Außenseite belegt auch die ins Kraut schießende Literatur zum Thema. Greco und Stenner (2008) sprechen gar von einem affective turn. Was die Innenseite angeht, sind hier natürlich vor allem die zwei unter dem Titel Theorie des kommunikativen Handelns veröffentlichten Bände von Jürgen Habermas einschlägig, für den sich offenbar nicht Irrationalität, sondern die ›funktionalistische Vernunft‹ auf der Gegenseite befindet (vgl. Habermas 2011). 277 Vgl. Fuchs 2004. Auf die äußerst komplexe Geschichte dieser Beziehung kann ich hier nicht näher eingehen. Nur mit Peter Fuchs festhalten, dass schon eine alte frühgriechische Tradition beide zusammendachte. Das mithilfe des Begriffs der Seele durchgeführte Auseinanderdividieren von Gefühl und Körper, das sich über Jahrhunderte hinweg hinzog und ganz unterschiedliche Stadien durchlief, mündete in der Neuzeit erneut in ein Konzept, das Gefühle an den Körper bindet. Auch ich verfahre so, nehme aber einen Umweg, indem ich sie als »sozial konditionierte Registratur von Körperzuständen« (Fuchs) entwerfe, als Bezeichnungsleistung. Anders gesagt: Wir wüssten gar nicht, dass wir Gefühle haben, wäre die Gesellschaft nicht so beschäftigt damit, uns in einem fort darüber zu informieren. 278 »Presumably, if you hold these expectations, you look for evidence that confirms them rather than evidence that disconfirms them. If you find confirming evidence, this ›proves‹ that your hunches about the world are accurate, that you are in control, that you know what’s up, and that you are safe.« (Weick und Sutcliffe 2007: 29) 279 Wie beispielsweise: »Latinos can have a baby every three months. Santa is Jesus’s dad. Blackface is a compliment.« (Saturday Night Live 2018; vgl. auch Willis 2018) 280 Daniel Kahnemanns großes Thema, der die beiden Verarbeitungsprozesse mit zwei ›Gehirnsystemen‹ identifiziert (vgl. Kahnemann 2011). 281 Genauer: Durch »ihren Bezug von Handlung auf Handlung in der Konstitution und Adressierung von Willkür auf beiden Seiten« haben Emotionen »dieselbe Wirkung wie die Macht, die […] sowohl auf Seiten des Machthabers wie auf Seiten des Machtunterworfenen vor die Qual der Wahl stellt und in dieser Struktur ver-
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mutlich ausschlaggebend für die Konstitution von Willkür überhaupt ist.« (Baecker 2004: 9) 282 Die Rhetorik der Angst, die sich sowohl Trump als auch die AfD et al. zunutze machen – Melanie Amman hat ihr Buch über die AfD klug Angst für Deutschland (2017) genannt – ist kein neues Phänomen. Hitler-Vergleiche verbieten sich von selbst, aber ein Hinweis auf Göring sei gestattet: »Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. […] das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.« (Zitiert nach Gilbert 1962: 270) Die Rhetorik der Angst bezieht ihre Effektivität auch daraus, dass sie in zweierlei Richtungen genutzt werden kann, gegen innere – Dems, Fake News Media – wie gegen äußere Feinde: China, die EU , Nordkorea. 283 Kierkegaards Differenz lautet Furcht/Angst. Verkürzt gesagt: Furcht ist konkret, Angst ist abstrakt (vgl. Kierkegaard 1992). Deshalb ist Angst entscheidend im Vorteil, wenn es darum geht, Wählerstimmen zu gewinnen. 284 »Und wie der Kummer die Reaktion eines Schwachen ist, so auch der Zorn. Denn beide (die von Kummer befallenen wie die erzürnten Menschen) sind verwundet und haben sich hinreißen lassen.« (Aurel 1998: 291) 285 An den etwa Garton Ash (vgl. Hoffmann 2018) anzuschließen vorschlägt. Für Shklar findet der Liberalismus in dieser Überzeugung »its deepest grounding« (vgl. 1989: 23). 286 Die Massenmedien bemühen sich deshalb zurzeit redlich, ihn zu beschädigen, Stichwort: unseriöse Raubverlage bzw. Fake Science. Immerhin: sie lassen auch die Wissenschaft zu Wort kommen (vgl. Beschorner 2018). 287 »Überall das gleiche Bild: Politische Strukturen brechen auf, verflüssigen sich. Personen werden wichtiger als Parteien. Posen scheinen relevanter als Programme. Der Typus des traditionellen Politikers, der sich in jahrelanger Gremienarbeit nach oben gedient hat, wird verdrängt von Figuren mit Star attributen – umjubelt von Bürgern, die sich plötzlich wie Fans gebärden.« (Müller 2017) 288 Allerdings sind evolutionäre Errungenschaften diffusionsfähig (vgl. Luhmann 1997: 514). Sie können ›ausfließen‹, eine Durchmischung unterschied licher Problemlösungen ist möglich. Der Diffusionserfolg der politischen Inkorrektheit, des Fremdenhasses, des Nationalismus in den USA ist offenkundig. In
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diesem Sinne ist Diffusion geradezu eine Voraussetzung von Evolution, sollte also nicht gegen sie ausgespielt werden. Erst durch Diffusion erhielten viele ihrer Errungenschaften ihre endgültige Form. Luhmann begreift den Prozess der Diffusion als eine Art Testlauf. Ein solches Ausprobieren, Modifizieren, Generalisieren, das wir zurzeit beobachten, ging auch der evolutionären Errungenschaft der Demokratie voraus. Luhmann verweist auf die Vorstellungen der Griechen, die sich im Zuge der Koloniebildungen (Luhmann: »also im Copieren von Stadtmustern«, 1997: 514) gebildet haben. 289 Das Konzept der radikalisierten Moderne geht meines Wissens auf Giddens zurück, das er als Alternative zum Konzept der Postmoderne ins Spiel brachte (1990: 149 f.). Ähnlich Esposito, die von »Hypermoderne« spricht (2002: 290) und darauf verweist, dass viele Momente des Internet nur bestehende Kommunika tionsformen amplifizieren. 290 »All week long, news organizations chased down one Trump tall tale after another. PolitiFact, a website devoted to checking the veracity of claims by public officials, published 12 ›of the most misleading claims‹ Mr. Trump made during his first White House interview. The Chicago Tribune found that Mr. Trump was incorrect when he claimed two people were shot and killed in Chicago the very hour President Barack Obama was there delivering his farewell address. (There were no shootings, police records showed.) The Philadelphia Inquirer found that Mr. Trump was incorrect when he said the city’s murder rate was ›terribly increasing.‹ (The murder rate has steadily declined over the last decade.) The indefatigable fact checkers at The Washington Post cataloged 24 false or misleading statements made by the president during his first seven days in office.« (Barstow 2017) 291 Luhmanns Vermutung war, dass wir es auch hier mit einer Krise zu tun haben könnten. Vor allem die Geistes- und Sozialwissenschaften scheinen sie anders als in Form einer ständigen Rückbesinnung nicht bewältigen zu können. Motto: Ich bin, was ich bin, weil ich es war. 292 »Als Bannon ging, habe ich mir gesagt: du musst das als Akt begreifen. Das war der erste, jetzt kam der Vorhang runter, jetzt kann ich schreiben gehen.« (Wolff, zitiert nach Richter 2018) 293 Selbst ein Marxist wie Castells ist skeptisch, was Handlungsempfehlungen im Sinne von Karl Marx betrifft: »[…] I have seen so much misled sacrifice, so many dead ends induced by ideology, and such horrors provoked by artificial paradises of dogmatic politics that I want to convey a salutary reaction against trying to frame political practice in accordance with social theory, or, for that matter, with ideology […]. The most fundamental political liberation is for people to free themselves from uncritical adherence to theoretical or ideological schemes, to construct their practice on the basis of their experience, while using whatever information or analysis is available to them, from a variety of sources. In the twentieth century, philosophers tried to change the world. In the twentyfirst century, it is time for them to interpret it differently.« (Castells 2010: 395)