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German Pages 250 Year 1981
ERNST E. HIRSCH
Türkisches Recht vor deutschen Gerichten
Schriften zum Internationalen Recht Band 22
Türkisches Recht vor deutschen Gerichten Gutachten und Abhandlungen zum türkischen Handels- und Zivilrecht
Von
Dr. iur. Dr. h.c. Ernst E. Hirsch em. ord. Professor
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Prlnted in Germany
© 1981 Duncker
ISBN 3 428 04828 8
Inhaltsverzeichnis Einführung .......................................................... Nr. 1 Verwahrungsvertrag -
7
Arrestpfändung ... . ...................
11
Aufrechnung ........................
16
Nr. 3 Handelsbücher - Bedeutung einer Rechnung - zulässige Beweismittel in Handelssachen - Konsignationsgeschäft - Geschäftsbesorgungsvertrag ......................................
20
Nr. 4 Gesetzliche Typen für gewerbsmäßige Vermittlungstätigkeit im Handelsverkehr - Unterschied zwischen Handelsmakler und Handelsvertreter (Vermittlungsagent) - "Kundenschutzvereinbarung" - Entstehung und Verjährung von Provisionsanspruchen des Maklers und des Vermittlungsagenten - handelsrechtliche "Verbotsvorschriften" - Zweigniederlassungen und Agenturbüros ausländischer Aktiengesellschaften - Ausschluß von "Vermittlern" bei Ausschreibungen - Stellvertreter und Bote"Wichtige Grunde" bei Dauerrechtsverhältnissen - Die Begriffe "Treu und Glauben" und "Verhalten eines umsichtigen Geschäftsmanns" - rechtliche Bedeutung von Bestätigungsschreiben ....
37
Nr. 5 Gesetzliche Zinsen -
Verspätungsschaden ....
63
Nr. 6 Handelsvertreter - Vermittlungsmonopol - bezahlte Karenz öffentliche Ausschreibung und freihändige Beschaffung - Formgebundenheit einer Kündigung ...............................
68
Nr. 7 Strukturunterschiede zwischen Aktiengesellschaft und GmbH ..
93
Nr. 2 Zuruckbehaltungsrecht -
Verzugszinsen -
Nr. 8 In Deutschland abgeschlossener Vertrag einer türkischen GmbH Vertrag der Grundergesellschafter über Organisation der Geschäftsführung als Beschluß - Typen und Grundungsstadien der GmbH - beschränkte Rechtsfähigkeit von Handelsgesellschaften - Konzession nach Gesetz Nr. 6224 über die Ermunterung ausländischer Investitionen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 110 Nr. 9 GmbH - Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht Erwerb der Rechtspersönlichkeit - Publizitätswirkung des Handelsregisters - Unterschied zwischen "Konfiskation" und "Sperre" des Vermögens ...............................................
144
Nr.l0 Reisebüro als Handelsvertreter - Gemischtwirtschaftliche Aktiengesellschaft als Kaufmann - Formvorschriften für Mahnung, Kündigung, Rücktrittserklärung bei Handelsgeschäften zwischen Kaufleuten - Änderungskündigung - einseitige Lossagung von einem Vertrag - Verhalten eines umsichtigen GeschäftsmannsGebot der Fairneß ............................................ 153
6
Inhaltsverzeichnis
Nr.ll Werkvertrag - einheitlicher oder gemischter Vertrag - Handelsgeschäft - Erschütterung der Geschäftsgrundlage - unwiderrufliches Devisen-Akkreditiv - Schuldnerverzug - Verzugsund Verspätungszinsen in Handelssachen - Gläubigerverzug positive Vertragsverletzung - Einrede des nicht erfüllten Vertrags .........................................................
172
Nr. 12 Kaufvertrag über eine in der Türkei belegene Etagenwohnung Grundstücksveräußerungsvertrag - ungerechtfertigte Bereicherung - culpa in contrahendo - richterliches Ermessen ........ 189 Nr. 13 Ehefähigkeit -
Geisteskrankheit ..............................
196
Nr. 14 über die Stellung und Haltung des Mannes gegenüber der Frau, insbesondere der Ehefrau in der Türkei ....................... , 202 Nr. 15 Eheliches Kindschaftsverhältnis eines nichtehelich geborenen Kindes ....................................................... 212 Nr. 16 Die Quellen des internationalen Privatrechts der Türkei . . . . . . .
226
Sachverzeichnis ......... . ............................................
238
Gesetzesverzeichnis ..................................................
245
Einführung In einem im Jahre 1978 in Istanbul erschienenen Sammelwerk! findet sich auf Seite 273 folgende Fußnote 7 in deutscher Sprache: "Der Text des türkischen Zivilgesetzbuchs ist auch deutschen Gerichten meist in übersetzungen zugänglich. Unbestrittene Auslegungen des schweizerischen ZGB durch die schweizerischen Gerichte und die schweizerische Literatur ... können ohne Bedenken auch für die Auslegung der gleichlautenden Bestimmungen des türkischen Zivilgesetzbuchs herangezogen werden. Im übrigen aber ist türkische Rechtsprechung und Literatur auch in Deutschland selbst für Spezialisten
der Rechtsvergleichung aus sprachlichen Gründen nicht erfaßbar" (Hervorhebungen von mir). Hierzu seien einige klarstellende Bemerkungen erlaubt:
1. Wenn Wilhelm Wengler, der Autor der Fußnote, keine türkischen Sprachkenntnisse besitzt, so schließt dies nicht aus, daß andere Spezialisten der Rechtsvergleichung in Deutschland die türkische Sprache in Wort und Schrift beherrschen und sich eingehend mit türkischer Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur befaßt haben und fortlaufend befassen. Verwiesen sei dieserhalb auf Abhandlungen und Gutachten zum türkischen Recht, die in deutschen Fachzeitschriften und Sammelwerken zu finden sind und z. T. aus den Instituten für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, Köln und München stammen. Ferner darf ich auf meine im Laufe der letzten 25 Jahre in deutscher Sprache veröffentlichten zahlreichen Bücher und Abhandlungen hinweisen, die sich ausgiebig mit der türkischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre befassen2 • 1 "Lozan'm 50. Yllma armagan" (Festschrift anläßlich des 50. Jahrestags des Friedensvertrags von Lausanne), herausgegeben vom Institut für internationales Recht und internationale Beziehungen der Rechtsfakultät der Universität Istanbul. 2 Berichte über die türkische Gesetzgebung der Jahre 1935 bis 1938 in deutscher Sprache mit übersetzung zahlreicher Gesetze in: Legislazione Internazionale Band IV (1935) S. 943 ff., Band VI (1938) S. 863 ff., Band VII (1939) S. 437 ff. Die Gesetzgebung der Türkei auf dem Gebiet des Privatrechts 1939 bis 1956 in: RabelsZ 23 (1958) S. 81 - 110. Die Verfassung der Türkischen Republik, Frankfurt (M) 1966. Verfassungsänderung in der Türkei, Frankfurt (M) 1973. Verfassungsänderung in der Türkei in: Verfassung und Recht in übersee, 1972 S. 195 - 216. Die Anderungen der türkischen Verfassung in: Jahrbuch für das öffentliche Recht der Gegenwart, Band 23 (1974) S. 336 - 401. Verfassungswidrige Verfas-
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Einführung
2. Vor den von Wengler empfohlenen Wegen über die Heranziehung von schweizerischem Recht kann nur gewarnt werden. Eine echte deutsche übersetzung des türkischen ZGB, die deutschen Gerichten zugänglich sei, ist mir nicht bekannt. Die deutsche Gerichtspraxis behilft sich vielmehr mit der amtlichen deutschen Fassung des schweizerischen ZGB und OR, ohne zu bedenken, daß man 1926 bei der übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in die türkische Sprache die amtliche französische Fassung zugrunde gelegt hat, die, wie man in jedem Kommentar zum schweizerischen ZGB nachlesen kann, an zahlreichen Stellen von der amtlichen deutschen Fassung mehr oder weniger abweicht. Hilmar KrügerS weist mit Recht ausdrücklich darauf hin, daß nicht hilfsweise auf schweizerische Quellen zurückgegriffen werden kann, wenn eine Rechtsfrage in der Türkei im ZGB oder in einem Nebengesetz anders geregelt ist als in der Schweiz. 3. Was ganz allgemein die Heranziehung der schweizerischen Rechtsprechung und Literatur zwecks Erhellung türkischer Rechtsprobleme angeht, so wird dieser Weg "in Deutschland häufig überstrapaziert"'. Ohne auf das schwierige Problem der Rezeption fremden Rechts näher einzugehen, sei als Warnung vor dem von Wengler empfohlenen Weg folgender Absatz aus der Einleitung zu dem türkischen Kommentar des türk. ZGB von Senat Olga~5 in deutscher Übersetzung wiedergegebene. sungsänderung in: AöR Band 18 (1973) S. 53 - 70; Laizismus als verfassungsrechtlicher Begriff in der türkischen Republik. In: Orient, Band 15 (1974) S. 106 - 112; Verfassungsgericht und öffentliche Gewalt in der Türkei, in: AöR Band 100 (1975) S. 52 - 79. Menschenrechte und Grundfreiheiten im Ausnahmezustand. Eine Fallstudie über die Türkei ... Berlin 1974. Die Quellen des internationalen Privatrechts in der Türkei; in: Festschrift für Hans Lewald, Basel 1953, S. 245 - 257. (Ergänzter Nachdruck unten S. 226 ff.) Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Prozeß. Die Einflüsse und Wirkungen ausländischen Rechts auf das türkische Recht. Das schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei (vorstehende drei Abhandlungen in meinem Buch: Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, Berlin 1966, S. 89 - 138). Vier Phasen im Ablauf eines zeitgenössischen Rezeptionsprozesses in: ZvglRW Band 69 (1968) S. 182 - 223. Vom schweizerischen Gesetz zum türkischen Recht in: ZSR Band 95 (1976) I, 223 - 248. Qualis est actio? (deutsche Übersetzung und Bearbeitung einer türkischen Prozeßschrift) in ZSR Band 95 (1976) I, S. 323 - 341. Das neue Urheberrechtsgesetz der Türkei, Baden-Baden 1957. (Auch in Möhring u. a. Quellen des Urheberrechts Band II, 1961.) Deutsche übersetzung und Kommentierung einer urheberrechtlichen Entscheidung des türk. Kassationshofs in UFITA Band 70 (1974) S. 360 - 380. Das neue türkische Handelsgesetzbuch in: ZHR 119 (1956) S.157 - 207. Das türkische Aktienrecht, Frankfurt (M) 1958. 3 In der Zeitschrift "Das Standesamt" 1980 S. 4. , So mit Recht Hilmar Krüger a. a. O. 5 Türk Medeni Kanunu ~erhi, 2. Aufl. 1969 S. XII. e Vgl. auch die von Krüger op-cit. S. 3/4 angezeigten Grenzen der Verwendung schweizerischen Rechts zur Auslegung türk. Rechts.
Einführung
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"Auch wenn das türkische ZGB aus der Schweiz geholt worden ist, so ist das türkische Zivilrecht nicht von der Schweiz übernommen worden. Denn was dem Gesetz, das nur als Rahmen um eine äußere Form besteht, Leben verleiht, sind einerseits die Entscheidungen der Gerichte, die das Gesetz tagtäglich anwenden und dabei mit seiner Auslegung befaßt sind; andererseits die Regelungen, welche die Anpassung dieses Gesetzes an die Bedürfnisse des Landes gewährleisten, die Art und Weise der Anwendung zeigen und sein Verständnis erleichtern. Unser ZGB hat gerade durch diese Einflüsse sein wirkliches Gesicht erhalten; das Innere seiner Form ist ausgefüllt worden; so ist es zu einem nationalen Werk geworden. Dieses Werk unterscheidet sich von dem schweizerischen. Denn während der schweizerische Richter das ZGB entsprechend seinem eigenen Verständnis angesichts der sozialen, wirtschaftlichen, geschichtlichen und überkommenen Umstände seines Landes anwendet, ist die Anwendung in der Türkei, die in vielen Dingen anders situiert ist, durch den türkischen Richter selbstverständlich anders. Der türkische Richter ist nicht verpflichtet, die aus der Schweiz übernommenen Bestimmungen wie der schweizerische Richter zu verstehen und anzuwenden. Seit der Annahme des ZGB ist eine Zeitspanne von mehr als 40 Jahren verstrichen. Während dieser Zeit ist ein nationales Zivilrecht entstanden." Dieses nationale türkische Zivilrecht weist in zahlreichen Fragen erhebliche Unterschiede zum schweizerischen Recht auf, die der deutsche Richter, der einen Rechtsfall nach türkischem Recht beurteilen soll, nicht übersehen oder übergehen dar:f. 4. Noch prekärer als auf dem Gebiet des türkischen Zivilrechts ist die Situation, sobald es sich um türkisches Handelsrecht handelt. Entweder beruft man sich ebenfalls auf das schweizerische Recht mit der Begründung, daß wesentliche Teile des türkischen Handelsgesetzbuchs (THGB) aus der Schweiz rezipiert seien, oder man verläßt sich auf unrichtige Angaben in fachfremden WerkenS und glaubt berechtigt zu sein, unmittelbar deutsches Recht anzuwenden. Genährt wird diese Methode durch die mißverstandene Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs, daß der türkische Richter befugt sei, bei seinen Entscheidungen auch den wissenschaftlichen Lehrmeinungen und der von diesen sanktionierten 7 Ob bei der Aufklärung der wirklichen Rechtslage amtliche Rechtsauskünfte nach Maßgabe des sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für die Türkei in Kraft befindlichen europäischen Übereinkommens vom 7.6.1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht behilflich sein können, sei ausdrücklich dahingestellt. Meine Erfahrungen sind nicht ermutigend. S In dem 1979 (I) erschienenen Buch von Fritz Neumark "Zuflucht am Bosporus" wird auf S. 66 ohne Angabe einer Belegstelle behauptet, "schon in den 20er Jahren (sei) das deutsche Handelsrecht ... en bloc rezipiert (worden)", was weder für das HGB von 1926 noch für das jetzt in Geltung stehende THGB von 1956 zutrifft.
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Einführung
ständigen - auch ausländischen - Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Dieser Grundsatz, der für Ausnahmefälle einen Weg zeigt, unklare oder fehlende Gesetzesbestimmungen des türkischen Rechts zu ersetzen, wird in den Prozeßschriften deutscher Rechtsanwälte in einer Weise "überstrapaziert", daß die Eigenheiten des türkischen Handelsrechts dabei völlig übersehen werden. Der türkische Richter entscheidet gemäß Art. 76 TZPG nach den türkischen Gesetzen und nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung seitens türkischer Gerichte. Der deutsche Richter, der türkisches Recht anwenden soll, kann nicht anders entscheiden. Ebenso wie der türkische Richter darf er nur in Zweifelsfällen, gestützt auf Art. 1 Abs. 2 TZGB, bewährte Lehre und die dadurch vermittelte Rechtsprechung auch nicht-türkischer Gerichte sich zunutze machen, soweit er innerhalb der Grenzen bleibt, die dem türkischen Richter gezogen sind. Auch für das Handelsrecht gilt der oben für das Zivilrecht zitierte Satz, daß sich im Laufe von Jahrzehnten, vor allem auch unter dem Einfluß des THGB von 1956, in der Türkei ein nationales Handelsrecht entwickelt hat, das zwar mit dem Handelsrecht der westeuropäischen Staaten Schritt zu halten sucht, aber in seinem Kern den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen des eigenen Landes Rechnung trägt. Das THGB war und ist keine enbloc-Rezeption, sondern ein "home-made" Werk, das durch die umfassende Begründung des Regierungsentwurfs von 1951 und den umfangreichen Bericht des Justizausschusses des Parlaments von 1956 die Besonderheiten des türkischen Handelsrechts im Verhältnis zu den handelsrechtlichen Bestimmungen der Schweiz, Deutschlands und anderer Staaten deutlich hervortreten läßt. 5. Angesichts dieser tatsächlichen Umstände dürfte es nicht unangebracht sein, anhand von einem Dutzend Gutachten, die ich als Sachverständiger deutschen Gerichten über türkisches Privatrecht, insbesondere Handelsrecht erstattet habe, den am türkischen Zivil- und Handelsrecht interessierten Kreisen auf diesem praktischen Wege einen Einblick in das geltende türkische Recht und seine Anwendungsweise zu ermöglichen. Ich habe bei dieser Gelegenheit auch zahlreiche Gesetzestexte übersetzt und zwei bereits anderwärts erschienene, aber schwer zugängliche Aufsätze beigefügt.
Nr.l V erwah rungsvertrag -
Arrestpfändung
TOG: Art. 77, 78, 87, 88, 466, 468, 470, 472. TZGB: Art. 901,903. Ges. Nr. 6183 vom 21. 7.1953 betr. das Einziehungsverfahren von öffentlich-rechtlichen Forderungen: Art. 13, 15, 73, 79. Das Landgericht Berlin 4. Zivilkammer hat in der Sache B. gegen D. (4010/67) um ein Gutachten zu einigen Fragen des türkischen Rechts über den Verwahrungsvertrag gebeten. Ich erstattete am 11.6.1969 das nachstehende Rechtsgutachten
I
Die Beantwortung der gestellten Einzelfragen hängt von der rechtlichen Qualifizierung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages ab. Nach der Behauptung der Klägerin hat sie der Beklagten u. a. 50 000 Türkpfund in bar zur Aufbewahrung übergeben, was durch die von der Beklagten unterzeichnete "Bestätigung" vom 8. 4. 1965 (BI. 6 d. A.) unter Beweis gestellt und von der Beklagten nicht bestritten wird. (BI. 40 d. A.). Demnach liegt, wovon auch das Gericht in seinem Beweisbeschluß ausgeht, ein in der Türkei abgeschlossener Vertrag vor, kraft dessen die Beklagte 50 000 Türkpfund für die Klägerin verwahren sollte. Der Verwahrungsvertrag ist in den Art. 463 - 482 des türkischen Obligationengesetzbuchs von 1926 (TOG) gesetzlich geregelt. Für die Verwahrung von Geld gilt die Sonderbestimmung des Art. 472, die in deutscher übersetzung lautet: "B. Unregelmäßige Verwahrung Art. 472: Ist ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden, daß der Verwahrer nicht verpflichtet ist, das deponierte Geld als solches, sondern vertretbare Stücke zurückzugeben, so trägt er Nutzen und Gefahr dieses Geldbetrages. Eine stillschweigende Vereinbarung in diesem Sinne wird vermutet, wenn der Geldbetrag unversiegelt und offen übergeben worden ist. Deponierte andere vertretbare Sachen oder Wertpapiere darf der Verwahrer nicht für sich verwenden, ohne dazu ausdrücklich ermächtigt worden zu sein."
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Nr.1
Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß bei der Verwahrung von Geld, welches dem Verwahrer unversiegelt und unverschlossen übergeben wird, mangels abweichender Vereinbarung die Vermutung eingreift, daß die Verpflichtung des Verwahrers sich nicht auf die zur Verwahrung übergebenen Geldscheine bezieht, sondern als Geldsummenschuld zu qualifizieren ist. Da mit der Hingabe zur Verwahrung Nutzen und Gefahr auf den Verwahrer übergehen, wird dieser bereits mit der Hingabe und Hinnahme Eigentümer der ihm übergebenen Geldscheine. Während bei der Verwahrung anderer Gegenstände die dingliche Rechtslage - abgesehen vom Besitz - nicht berührt wird, der Hinterleger also neben seinem schuldrechtlichen Anspruch aus Verwahrungsvertrag die ihm im Augenblick der Deponierung zustehenden dinglichen Rechte an der Sache behält, wird, vorbehaltlich der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung, mit der Hinterlegung von unverschlossenem Geld der Verwahrer Eigentümer der Geldscheine selbst dann, wenn diese dem Hinterleger nicht gehören und der Verwahrer gutgläubig ist (Art. 901 TZGB). Der Anspruch des Hinterlegers geht auf Zahlung derjenigen Summe Geldes, welche dem in Verwahrung gegebenen Geldbetrag entspricht1 • Diese, für das türkische Recht maßgebende und unbestrittene Rechtsauffassung entspricht den Kommentaren zu Art. 481 Schweiz. OR, des Vorbildes von Art. 472 TOG2 • 11
Nach dieser rechtlichen Klärung beantworte ich die einzelnen Fragen des Beweisbeschlusses wie folgt: 1. Nach welcher Vorschrift des türkischen Rechts kann in Verwahrung gegebenes Geld zurückverlangt werden? Nach Art. 466, Abs.l TOG kann, selbst wenn eine bestimmte Dauer für die Verwahrung vereinbart worden ist, der Hinterleger jederzeit die zur Verwahrung hingegebene Sache zurückverlangen. Demnach kann bei der unverschlossenen Hingabe von Geld zur Verwahrung der schuldrechtliche Anspruch auf Zahlung der dem deponierten Geldbetrag entsprechenden Geldsumme jederzeit geltend gemacht werdens. 1 Vgl. Esat Arsebük, Bor!;lar Hukuku 3. Auf!. Ankara 1950 S. 79/80 Note 21; S.747 Fußnote 25; Necip Bilge, Bor!;lar Hukuku, özel Bor!; Münasebetleri, Ankara 1962 S. 306; Türk Hukuk Lugati = Türk. Rechtslexikon, Ankara 1944, S. 149 unter "Usulsüz tevdi". 2 Siehe Becker, Obligationenrecht im Kommentar von Gmür Band VI, 2. Abt. Bern 1934 und Schönenberger in Oser/Schönenberger, Kommentar zum Obligationenrecht. 3. Teil, 2. Aufl. Zürich 1945 jeweils zu Art. 481, Schweiz OR). 3 Vgl. Arsebük op. cit. S.782 Fußnote 126; Bilge op. cit. S.301; Tunc;omag Bor!;lar Hukuku Dersleri, 2. Auf!. Istanbu11965 S. 385.
Nr.1
13
2. Von welchen Voraussetzungen ist das Rückgabeverlangen abhängig? Da der Hinterleger jederzeit Zahlung verlangen kann, bedarf es keiner besonderen Kündigung. Die Zahlung auf erstes Verlangen setzt allerdings bei einer Geldsumme von 50 000 Türkpfund voraus, daß der Gläubiger die für Ort und Zeit der Leistung gegebenen Vorschriften beachtet. Die Zahlungsschuld des Verwahrers ist eine sogenannte Holschuld: d. h. der Hinterleger hat die Zahlung am Wohnort und in der Wohnung des Verwahrers zu verlangen (Art. 468 TOG) und zwar zu der gewöhnlichen Geschäftszeit, an einem Tag, der weder ein Sonntag noch ein gesetzlicher Feiertag ist (Art. 77, 78 TOG). Der Verwahrer, der den entsprechenden Geldbetrag zahlt, hat Anspruch auf eine Quittung und auf Rückgabe des Schuldscheins (Art. 87 TOG). 3. Muß der Auftraggeber Eigentümer des Geldes sein, um es zurückverlangen zu können? Der regelmäßige Verwahrungsvertrag hat mit dem Eigentum an der Sache nichts zu tun. Erst recht ist es bei dem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag gleichgültig, ob die unverschlossen übergebenen Geldscheine im Augenblick der Hingabe zur Verwahrung dem Hinterleger zu Eigentum gehören oder nicht. Stehen sie in seinem Eigentum, so geht das Eigentum im Augenblick der Hingabe auf den Verwahrer über. Stehen sie im Eigentum eines Dritten, so geht auch dann das Eigentum auf den Verwahrer über, wenn dieser gutgläubig ist. Dies selbst dann, wenn die Geldscheine gestohlen worden oder verloren gegangen sind (Art. 903 TZGB). 4. Welche Partei muß gegebenenfalls nachweisen, daß sie Eigentümer oder Nichteigentümer ist? Selbst wenn eine echte Verwahrung vor läge und die verwahrte Sache einem Dritten gehörte, hätte der Hinterleger, vorbehaltlich einiger Ausnahmen, auf die noch in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein wird, einen schuldrechtlichen Anspruch aus dem Verwahrungsvertrag darauf, daß die Sache nur ihm und keinem anderen herausgegeben wird. Erst recht gilt dies hinsichtlich der Erfüllung des Geldzahlungsanspruchs bei der unechten Verwahrung. 5. Muß der Verwahrer die behauptete Rückgabe nachweisen? Nach Art. 88, letzter Satz TOG hat die Rückgabe des Schuldscheins an den Schuldner die Vermutung für sich, daß die Schuld getilgt ist. Solange der Schuldschein sich noch in der Hand des Gläubigers befindet, muß nach den allgemeinen Regeln des Beweisrechts der Schuldner, d. h. im konkreten Fall der Verwahrer beweisen, daß er
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Nr.1 seine Verpflichtung zur Rückgabe bzw. zur Zahlung von 50000 Türkpfund erfüllt hat.
6. Welche Ansprüche bestehen und unter welchen Voraussetzungen können sie geltend gemacht werden, wenn der Verwahrer das Geld für sich verbraucht oder jedenfalls nicht mehr im Besitz hat, und zwar, wenn es a) dem Auftraggeber, b) einem Dritten gehörte? Wird Geld unverschlossen zur Verwahrung übergeben, so darf der Verwahrer es verbrauchen und gebrauchen, da nach der ausdrücklichen Bestimmung von Art. 472 TaG Nutzen und Gefahr mit der Hingabe auf den Verwahrer übergehen. Mit der Besitzübergabe der Geldscheine zur Verwahrung geht automatisch das Eigentum über. Die hierdurch entstehende Verpflichtung zur Zahlung einer Geldsummenschuld des Verwahrers ist die Folge des vom Gesetz vermuteten Eigentumsübergangs. 7. Wie wirkt es sich auf den Rückgabeanspruch des Auftraggebers aus, wenn der in Verwahrung gegebene Geldbetrag einem Dritten gehörte, dessen gesamtes Vermögen gemäß § 13 Abs.6 des türkischen Gesetzes Nr. 6183 beschlagnahmt/gepfändet wurde? Das Gesetz Nr.6183 vom 21. 7. 1953, verkündet im türkischen Amtsblatt Nr. 8469 vom 27. 7. 1953 betrifft das Einziehungsverfahren öffentlich-rechtlicher Forderungen. Der angezogene Art. 13 steht im 2. Abschnitt des Gesetzes über den Schutz öffentlich-rechtlicher Forderungen und hat laut Randtitel den dinglichen Arrest zum Inhalt. Nach Ziff. 6 ist der dingliche Arrest nach den Vorschriften über die Pfändung zu verhängen, "wenn wegen einer Handlung, die mit Geldstrafe bedroht ist, öffentliche Klage erhoben ist, ohne Rücksicht darauf, ob ein Urteil bereits ergangen ist oder nicht". Die Arrestpfändung ist ein gerichtlicher Akt, der die vorläufige Beschlagnahme des gepfändeten Gegenstands (Sache oder Forderung) zur Folge hat. In einem derartigen Fall ist der Verwahrer nach öffentlichem Recht (Art. 73 Abs.1 des Gesetzes Nr.6183) verpflichtet und nach Art. 470 Satz 1 TaG privatrechtlich berechtigt, die Herausgabe des verwahrten Gegenstands und demgemäß im Falle der unregelmäßigen Verwahrung die Zahlung der Geldsummenschuld an den Hinterleger zu verweigern, solange die Arrestpfändung nicht aufgehoben oder in eine endgültige Pfändung übergeleitet worden ist. Jedoch trifft den Verwahrer nach Art. 470 Satz 2 TaG die Verpflichtung, dem Hinterleger unverzüglich von der Arrestpfändung zu benachrichtigen. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß dem Hinterleger die Möglichkeit gegeben ist, gegen die Pfändung das nach Art. 15 bzw. Art. 79 Abs.2 des Gesetzes Nr. 6183 zulässige Rechtsmittel binnen einer Frist von jeweils nur sieben Tagen einzulegen. Bei Versäumung der Frist
Nr.l
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läuft der Hinterleger Gefahr, daß seine Forderung zwangsweise eingezogen wird, obwohl bei rechtzeitigem Einspruch die Arrestpfändung oder die endgültige Pfändung aus Rechtsgründen hätte aufgehoben werden müssen.
Nr.2 ZurückbehaZtungsrecht - Aufrechnung TOG: Art. 81, 82, 118, 122, 123, 472. TZGB: Art. 864,865,867. Das Landgericht Berlin 4. Zivilkammer hat in der Sache B. gegen D. (4010/67) um ein weiteres Gutachten zu den in der überschrift aufgeführten Rechtsinstituten nach türkischem Recht gebeten. Ich erstattete am 5. 2. 1970 das nachstehende
Rechtsgutachten I
Wie sein schweizerisches Vorbild enthält auch das türkische Obligationengesetzbuch (TOG) keine Bestimmung, welche den §§ 273 und 274 des deutschen BGB entsprichtl. Das türkische Recht kennt lediglich ein dingliches Retentionsrecht ("hapis hakkl"), das hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Rechtsfolgen etwa einem gesetzlichen Pfandrecht an beweglichen Sachen entspricht!. Die einschlägigen Bestimmungen der Art. 864, 865 und 867 des türkisch€n Zivilgesetzbuchs (TZGB) lauten in deutscher übersetzung: Art. 864: Der Gläubiger, der mit Willen des Schuldners dessen bewegliche Sachen oder Wertpapiere im Besitz hat, ist berechtigt, diese in seinem Gewahrsam bis zur Befriedigung seiner Forderung zurückzuhalten, wenn die Forderung fällig ist und mit den Sachen und Wertpapieren in einem natürlichen Zusammenhang steht. Bei Kaufleuten wird dieser Zusammenhang angenommen, wenn der Besitz und die Forderung aus den zwischen den Kaufleuten bestehenden gegenseitigen geschäftlichen Beziehungen herrühren. 1 Vgl. Esat Arsebük, Borc;;lar Hukuku, 3. AufI.. Ankara 1950 S.753; Erol Cansel, Türk Hususi Hukukunda Hapis Hakkl, Ankara 1961 S. 19.
2 Vgl. Entsch. des 4. Zivilsenats des Türkischen Kassationshofs vom 21. 1. 1958 Nr. 3278/323 in "Jurisdictio" Kazai Ic;;tihat, Yll 2, SaYl 13/1958 S. 11731 1174 in übereinstimmung mit der türkischen Rechtslehre; hierzu: SaymenElbir, Türk Eliya Hukuku (Ayni Haklar), Istanbul 1954 S.734; Zahit Imre, Hapis Hakkl üzerinde bir tetkik, Istanbul Hukuk Fakültesi Mecmuasl XVIII, 1952,744 ff. (746); Cansel op. cit. S. 19.
Nr.2
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Das Retentionsrecht erstreckt sich auch auf die dem Schuldner nicht gehörenden Sachen, falls diese vom Gläubiger gutgläubig in Gewahrsam genommen worden sind. Jedoch bleiben die Rechte dritter Personen aus früherem Besitz unberührt. Art. 865: Das Retentionsrecht kann an Sachen nicht ausgeübt werden, die ihrer Natur nach nicht in Geld umsetzbar sind. Das Retentionsrecht entsteht nicht, wenn es unvereinbar ist mit einer vom Gläubiger übernommenen Verpflichtung oder mit einer bei oder vor der übergabe erteilten Anordnung oder mit der öffentlichen Ordnung. Art. 867: Der Gläubiger, der keine Zahlung erlangt noch ausreichende Sicherheit erhalten hat, kann nach vorheriger Benachrichtigung des Schuldners verlangen, daß die zurückbehaltene Sache nach den Vorschriften des Faustpfandes verwertet wird. Sind die zurückbehaltenen Gegenstände Namenspapiere, so haben die Beamten der Vollstreckungsbehörde oder der Konkursmasse an Stelle des Schuldners die für die Verwertung erforderlichen Geschäfte zu erledigen. Dieses pfandähnliche Retentionsrecht kann nur an beweglichen Sachen und Wertpapieren entstehen, nicht aber an Geld, das unversiegelt und offen zur Verwahrung übergeben wird und deshalb entsprechend der Vorschrift von Art. 472 TOG in das Eigentum des Verwahrers übergeht, so daß für den Hinterleger lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zahlung derjenigen Geldsumme entsteht, welche dem in Verwahrung gegebenen Geldbetrag entspricht3 • An eigenen Sachen ist ein pfandrechtsähnliches, dingliches Retentionsrecht ausgeschlossen4 •
II Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem in den §§ 273, 274 BGB vorgesehenen schuldrechtlichen Zurückhalterecht an der eigenen Leistung weisen die Art. 81 und 82 TOG auf. Diese lauten in deutscher übersetzung: Art. 81: Derjenige, der bei einem Vertrag mit gegenseitigen Verpflichtungen
die Vertragserfüllung verlangt, muß, wenn er nach den Bedingungen oder der Natur des Vertrags kein Recht auf Aufschub hat, seine eigene Schuld erfüllt oder ihre Erfüllung angeboten haben. Art. 82: Wenn bei einem Vertrag mit gegenseitigen Verpflichtungen der eine der Vertragschließenden zahlungsunfähig geworden ist, namentlich wenn infolge des Konkurses oder der fruchtlosen Pfändung der Anspruch des anderen Teils gefährdet wird, so kann dieser sich weigern, die ihm obliegende Schuld zu erfüllen, bis die ihm geschuldete Leistung sichergestellt ist, und vom Vertrag zurücktreten, wenn auf sein Verlangen die Sicherheit nicht innerhalb einer angemessenen Frist geleistet wird. Die einhellige Auffassung geht in der Türkei ebenso wie in der Schweiz dahin, daß es sich hier um einen Anwendungsfall der Einrede Vgl. mein Gutachten vom 11. 6. 1969 oben Nr. 1. Vgl. die beiden Entscheidungen des 4. Zivilsenats des Türkischen Kassationshofs vom 30.6.1951 Nr. 1709/4307; 5112/3159 bei Olga~, Türk Medeni Kanunu ~erhi, Istanbul1967 Anm.5 zu Art. 864, S. 792; Saymen - Elbir, op. cit. S. 736, 737; Zahit Imre op. cit. S. 747; Erol Cansel op. cit. S. 32 Fußnote 114. 3
4
2 Hirsch
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Nr.2
des nichterfüllten Vertrags handelt, die nur bei vollkommen gegenseitigen Verträgen Platz greifen kann5 • Der Vertrag über die unregelmäßige Verwahrung ist nach einhelliger Ansicht kein vollkommen gegenseitiger Vertrag in diesem Sinn. Demnach kann Art. 81 bzw. 82 TOG beim unregelmäßigen Verwahrungsvertrag nicht zur Anwendung kommen.
Andreas von Tuhr hat in seinem Allgemeinen Teil des Schweizerischen ObligationenrechtsG versucht, das von ihm als Lücke empfundene Fehlen einer dem § 273 BGB entsprechenden Bestimmung mit Hilfe einer Billigkeitserwägung unter Hinweis auf die Stellung des Beauftragten zu schließen. Er hat vorgeschlagen, bei dem unvollkommen gegenseitigen Vertrag der entgeltlichen unregelmäßigen Verwahrung für die etwaigen Gegenansprüche des Verwahrers auf Vergütung und Kosten dem Verwahrer ein schuldrechtliches Zurückbehaltungsrecht nach deutschem Muster zu gewähren. Diesem Vorschlag ist in der türkischen Doktrin nur Esat Arsebük (op. cit. S. 732 bzw. 898) gefolgt. EroZ CanseZ referiert darüber (op. cit. S. 82 und 143) und meint, dies entspräche der Billigkeit. Diese Lehrmeinung ist aber vereinzelt geblieben. Abgesehen davon könnte sie im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, weil es sich bei den Gegenansprüchen nicht um Entgelt oder Kostenersatz aus dem Verwahrungsvertrag handelt.
III Das Rechtsinstitut der Aufrechnung, in der Schweiz Verrechnung genannt, ist auch dem Türkischen Recht bekannt. Die Voraussetzungen der Aufrechnung sind in Art. 118, die Rechtsfolgen in Art. 122 TOG geregelt. Diese Bestimmungen lauten in deutscher Übersetzung: Art. 118: Wenn zwei Personen gegenseitig sich einen Geldbetrag oder andere einander gleichartige Gegenstände schulden, so kann jeder der beiden Seiten seine Schuld mit seiner Forderung verrechnen, wenn beide Schulden fällig sind. Auch wenn eine der Forderungen streitig ist, kann die Verrechnung geltend gemacht werden. Auch eine verjährte Forderung kann zur Verrechnung gebracht werden, wenn sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie zur Verrechnung gestellt werden konnte, noch nicht verjährt war. ATt.122: Die Verrechnung tritt nur dadurch ein, daß der Schuldner seinen Willen, die Verrechnung geltend zu machen, dem Gläubiger mitteilt. 5 Für das türk. Recht vgl. ETOl Cansel op. cit. S. 32 Fußnote 114; für das schweizerische Recht SchönenbeTgeT in OseT-SchönenbeTgeT, Kommentar zum Obligationenrecht 3. Teil 2. Auf!. Zürich 1945, Randnr. 2 zu Art. 82 Schweiz.OR unter Hinweis auf die schweizerische Rechtsprechung. 8 Tübingen 1925 S. 468 unter VIII und Seite 601 unter V.
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In diesem Falle wird angenommen, daß beide Schulden in dem Zeitpunkt getilgt worden sind, in dem sie sich verrechenbar gegenüber standen, und zwar in Höhe der niedrigsten Schuld. Vorbehalten bleiben die besonderen übungen des kaufmännischen Kontokorrents. Die Aufrechnung (Verrechnung) ist jedoch nach Art. 123 TOG in drei Fällen ausgeschlossen, von denen hier Ziffer 1 der genannten Bestimmung eingreift. Danach ist die Aufrechnung ausgeschlossen bei Forderungen, die sich auf die Rückgabe oder den Ersatz einer hinterlegten, widerrechtlich entzogenen oder böswillig vorenthaltenen Sache beziehen. Diese Bestimmung ist nach feststehender Lehre auch anwendbar auf den Geldzahlungsanspruch des Hinterlegers gegen den Verwahrer aus unregelmäßigem Verwahrungsvertrag1 • Als Begründung wird allgemein hervorgehoben, der Gesetzgeber habe das Interesse des Hinterlegers auf Rückgabe für schutzwürdiger gehalten als den Schutz des Verwahrers wegen etwaiger Gegenansprüche, zumal eine abweichende Vereinbarung zulässig sei. IV Ich fasse zusammen: 1. Das türkische Recht kennt kein den §§ 273, 274 BGB entsprechendes schuldrechtliches Zurückbehaltungsrecht. 2. Das dem türkischen Recht bekannte dingliche Zurückbehaltungsrecht ist bei unregelmäßigem Verwahrungsvertrag nicht anwendbar. 3. Auch eine Einrede aus nichterfülltem Vertrag ist bei der unregelmäßigen Verwahrung nicht möglich.
4. Dies gilt auch hinsichtlich der Aufrechnung bei unregelmäßigem Verwahrungsvertrag.
7 Vgl. Necip Bilge, Bor!;lar Hukuku, Özel Bor!; Münasebetleri, Ankara 1962 S.307, Fußnote 11; Tuncomag, Bor!;lar Hukuku Dersleri, 2. Aufl. 1965 S.696 und die dort in Fußnote 36 zitierte Entscheidung des Großen Zivilsenats des Türkischen Kassationshofs vom 30.6.1954 Br.4-97/106; ebenso das Schweizerische Recht: SchönenbeTgeT op. cit. Rd. Nr. 2 (a) zu Art. 125 Schw.OR und RdNr. 16 zu Art. 481 Schw.OR.
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Nr.3 Handelsbücher - Bedeutung einer Rechnung - zulässige Beweismittel in Handelssachen - Konsignationsgeschäft - Geschäftsbesorgungsvertrag THGB: Art. 1, 4, 20, 21, 22, 23, 66, 69, 70, 71, 72, 82, 84, 85, 1465, 1474. TOG: Art. 18, 111, 113, 386, 430. TZGB: Art. 6. TZPG: Art. 240, 288, 289, 290,293. Verfassungsgesetz von 1961: Art. 107, 113. Verordnung des Handelsministeriums über Ausfuhr. Das Oberlandesgericht Hamm 19. Zivilsenat hat in der Sache Fa. H. B. gegen Fa. A. K. (19 U 15/74) um ein Gutachten zu den unten aufgeführten Punkten nach türkischem Recht gebeten. Ich erstatte am 22. März 1978 das nachstehende
Rechtsgutachten* Frage I Welche Beweiskraft haben Eintragungen in die Handelsbücher eines Kaufmanns nach türkischem Recht, wenn die Bücher seines Geschäftspartners (ebenfalls Kaufmann) a) keine Eintragungen b) gleichlautende Eintragungen c) widersprechende Eintragungen enthalten?
Antwort LI. Nach Art. 1 des seit dem 1.1. 1957 in Kraft stehenden Türkischen Handelsgesetzbuchs ist dieses ein untrennbarer Bestandteil des Türkischen Zivilgesetzbuchs. Nach dessen Art. 6 hat jede der Prozeßparteien ihre Behauptungen zu beweisen, falls das Gesetz nichts Gegenteiliges anordnet. Nach Art. 4 Abs.2 THGB unterliegen auch in Handelssachen die Beweise und ihre Beibringung den Vorschriften des Zivil-
* Nur mit dem Namen der Verfasser zitierte Literatur ist im Anhang alphabetisch nachgewiesen.
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prozeßgesetzes. Handelssachen im prozessualen Sinne sind nach Art. 4 Abs. 1 THGB alle Zivilprozesse aus Sachverhalten, die, falls die beiden Parteien die Kaufmannseigenschaft besitzen, gemäß Art. 21 Abs.1 THGB in den Bereich ihrer kaufmännischen Tätigkeit fallen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. 1.2. Hinsichtlich der Beweiskraft von Handelsbüchern ist zu unterscheiden, ob die Eintragungen zu Ungunsten oder zu Gunsten des Buchführungspflichtigen wirken: 1.2.1. Zu Ungunsten des Buchführungspflichtigen können Eintragungen in seinen Handelsbüchern Beweis erbringen ohne Rücksicht darauf, ob die Buchführung den formalen gesetzlichen Vorschriften über die Arten der obligatorisch zu führenden Bücher (Art. 66 und 1465 THGB), über die Beglaubigung durch den Notar und über die Mitteilung an das Handelsregister (Art. 69 THGB) sowie den Bestimmungen über die materielle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (Art. 82 Abs. 3 THGB) entspricht. Dies folgt aus Art. 84 THB:
"Der Inhalt der Handelsbücher, gleichgültig ob sie dem Gesetz entsprechend oder nicht entsprechend geführt sind, gilt als Beweis gegen den Inhaber und seine Erben; jedoch sind die Eintragungen in den gesetzentsprechend geführten Büchern zu Gunsten des Inhabers ebenso wirksam wie die zu seinen Ungunsten sprechenden Eintragungen und beide sind voneinander untrennbar." Die Vorschrift im ersten Halbsatzentspricht dem allgemeinen prozeßrechtlichen Satz, daß eine Urkunde nur gegen die Person, die sie ausgestellt hat, Beweis erbringen kann: "Es ist von dem Grundsatz auszugehen, daß die mündlichen und schriftlichen Erklärungen einer Person keinen Beweis zu ihren Gunsten erbringen. Dagegen ist es zulässig und einleuchtend, daß sie Beweis zu ihren Ungunsten bildenl ." 1.2.2. In Abweichung von dem eben erwähnten prozessualen Grundsatz können die Eintragungen in den Handelsbüchern auch zu Gunsten des Kaufmanns, der sie führt, Beweis erbringen, wenn die Bücher gesetzentsprechend geführt sind, die Eintragungen sich entsprechen und ausnahmslos aufeinander abgestimmt sind. (Art. 85 Satz 1 THGB). Die Ordnungsmäßigkeit verlangt die Erfüllung zahlreicher Formalitäten und die materielle Einheitlichkeit der gesamten Buchführung eines Kaufmanns. 1 Plenarentscheidung des Kassationshofs. zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung vom 15.3.1950 Nr.28/6; veröffentlicht in RG Nr.7546 vom 30.6. 1950. Ebenso Entscheidung des Handelssenats des Kassationshofs vom 29. 9. 1961, E 3292'K 2997 in Son I!;tihatlar Dergisi Heft 176 S.5918; aus dem Schrifttum Imregün S. 89, 92; Kuru S. 390/391; Ülgen S. 95.
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1.2.2.1. In formeller Hinsicht gelten als ordnungsmäßig geführt nur solche Handelsbücher, die in türkischer Sprache abgefaßt sind. Einzelkaufleute müssen mindestens ein Journal, ein Hauptbuch und ein Inventarbuch führen (Art. 66 in Verbindung mit Art. 70, 71 und 72 THGB), darüber hinaus aber noch diejenigen Handelsbücher, welche in Anbetracht der Art und Bedeutung des Unternehmens erforderlich sind, um den wirtschaftlichen und finanziellen Status des Unternehmens, die Schulden und Forderungen sowie den Jahresertrag feststellen zu können. Sind diese besonderen Bücher nicht geführt, obwohl sie nach der Art und Bedeutung des Unternehmens von einem umsichtigen Kaufmann (Art. 20 Abs. 1 und 2 THGB) hätten geführt werden müssen, und hat der Kaufmann nur die obligatorisch für jedes kaufmännische Unternehmen vorgeschriebenen Handelsbücher ordnungsmäßig geführt, so gilt die als Einheit aufgefaßte Buchführung als nicht ordnungsmäßig geführt mit der Folge, daß selbst die Eintragungen in den ordnungsmäßig geführten obligatorischen Handelsbücher nUT ZU Ungunsten des Kaufmanns verwendet werden dürfen. (Art. 1465 THGB). Ferner müssen die Eintragungen im Journal auf Grund von Belegen binnen 10 Tagen, vorbehaltlich einer Verzögerung aus wichtigem Grund, erfolgen. Andernfalls ergeben die Eintragungen keinen Beweis zu Gunsten des Kaufmanns, sondern nur zu seinen Ungunsten. Zur formellen Ordnungsmäßigkeit der Bücher gehört ferner, daß sie vor ihrer Benutzung in gebundenem Zustand dem örtlich zuständigen Notar vorgelegt werden, damit dieser die Seiten notariell numeriert und auf der ersten und letzten Seite die Seitenzahl notariell beurkundet. Danach hat der Notar dem zuständigen Handelsregister die Art und Anzahl der von ihm beglaubigten Handelsbücher von Amts wegen mitzuteilen (Art. 69 Abs. 1 THGB). Jeder Kaufmann ist ferner verpflichtet, in zweifacher Ausfertigung eine Liste aller Handelsbücher, die er kraft Gesetzes zu führen verpflichtet ist und die er daneben noch als Hilfsbücher führen will, nach ihrer Art, Natur und Seitenzahl vor dem Gebrauch dem örtlich zuständigen Handelsregister einzureichen. Ein vom Handelsregisterbeamten beglaubigtes Exemplar der Liste wird dem Kaufmann zurückgegeben, das andere Exemplar zu den Registerakten genommen. Wenn diese Vorschrift überhaupt nicht oder nicht gesetzentsprechend befolgt wird, können die Eintragungen in diesen Handelsbüchern keinen Beweis zu Gunsten des Kaufmanns erbringen (Art. 69 Abs. 2 THGB). 1.2.2.2. Materiell ist die Beweiskraft der von einem Kaufmann geführten Handelsbücher zu seinen Gunsten nur dann vorhanden, wenn sämtliche Handelsbücher ein einheitliches Ganzes bilden und alle Eintragungen ausnahmslos aufeinander abgestimmt sind und sich wechselseitig ergänzen und entsprechen. Diese Bestimmung von Art. 82 Abs. 3 THGB ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der für Handels-
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sachen zuständige Zivilsenat des türkischen Kassationshofs in ständiger Rechtsprechung verlangt, daß nicht das Gericht selbst die Ordnungsmäßigkeit der Handelsbücher nachprüfen könne. Es genügt somit nicht, wenn die Partei lediglich einen, wenn auch beglaubigten, Auszug aus ihren Büchern vorlegt. Vielmehr muß die gesamte Buchführung von einem Sachverständigen auf ihre Ordnungsmäßigkeit hin geprüft werden2 • 1.2.3. Kommt der vom Gericht bestellte Sachverständige zu dem Ergebnis, daß die Handelsbücher in jeder Beziehung ordnungsmäßig geführt sind, so bildet der konkrete Eintrag noch keinen vollen Beweis zu Gunsten desjenigen, welcher den Beweis angetreten hat. Vielmehr muß der Richter, falls er den Beweis durch Handelsbücher zu Gunsten des Beweisführers für glaubhaft betrachtet und Gegenbeweis weder angetreten noch erbracht worden ist, zur Bestärkung seiner richterlichen überzeugung von Amts wegen dem Buchführer zusätzlich einem Bestärkungseid auferlegen dahin gehend, daß der konkrete Eintrag richtig ist und daß der Anspruch des Klägers, den der Beklagte zu erfüllen hat, noch besteht. Wird der Eid geleistet, so hat die konkrete Eintragung in den Handelsbüchern des Beweisführers zu seinen Gunsten volle Beweiskraft. Die dem Richter gemäß Art. 240 TZPG zustehende Befugnis zur freien Beweiswürdigung ist, wie sich aus der gemäß Art. 1474 THGB zum Gesetzestext gehörenden überschrift des Art. 82 THGB ergibt, nämlich "kat'i delil" ("absoluter Beweis"), in diesem Falle ausgeschlossen3 • 1.2.4. Wird vor Auferlegung des richterlichen Eides Gegenbeweis durch Vorlegung von Handelsbüchern der Gegenseite angetreten, so ist zu unterscheiden: a) Enthalten die von der Gegenseite als Gegenbeweis angebotenen Handelsbücher, die von einem durch das Gericht bestellten Sachverständigen für ordnungsmäßig geführt erklärt werden (siehe oben Ziffer 1.2.2.2.) keinen entsprechenden Eintrag, so ist gemäß Art. 85 THGB der Gegenbeweis gelungen, weil die Handelsbücher bei der Parteien ordnungsmäßig geführt sind und ihre Beweiskraft sich gegenseitig aufhebt'. b) Enthalten die von der Gegenseite als Gegenbeweis angebotenen Handelsbücher, die von einem durch das Gericht bestellten Sachverstän! Vgl. Entscheidungen vom 12. 10. 1962, E 961/5150-K 62/3523 in Batider 1963 Bd. II Heft 2 S. 306; ebenso die Entscheidung vom 4.12.1958 E 1958/310K 1959/2938 und die Entscheidung vom 6.6. 1969 E 1969/69 -K 1969/2913 bei Doganay S. 329 Anm. 329 und 330. 3 Vgl. Entscheidungen des Handelssenats des türkischen Kassationshofs vom 16.4. 1959 E 1060 - K 1050 bei Doganay S. 204 und vom 8. 6. 1961 E 1564 - K 1858 in Batider Bd. I Heft 4 S.605; ferner aus der Literatur Doganay S. 325; Imregün S. 91/92; Karayalcin S. 359; Vlgen S. 100/103. , Vgl. Entscheidungen des Handelssenats des türkischen Kassationshofs vom 25. 10. 1960 E 1455 - K 2778 bei Doganay S.207 und vom 19. 9. 1961 E 3292 - K 2997 in Son Ictihatlar Dergisi Heft 176 S. 5918.
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digen für ordnungsmäßig geführt erklärt werden (siehe oben 1.2.2.2.), eine gleichlautende Eintragung, so ist der Gegenbeweis mißlungen. Der Richter hat von Amts wegen den Eid demjenigen zu gewähren, der den Anfang des Beweises erbracht hat (siehe oben 1.2.3.). c) Enthalten die von der Gegenseite als Gegenbeweis angebotenen Handelsbücher, die von einem durch das Gericht bestellten Sachverständigen für ordnungsmäßig geführt erklärt werden (siehe oben 1.2.2.2) widersprechende Eintragungen, so ist gemäß Art. 85 THGB der Gegenbeweis gelungen, weil die Handelsbücher beider Parteien ordnungsmäßig geführt sind und ihre Beweiskraft sich gegenseitig aufhebt (vgl. die unter lit. (a) zitierten Entscheidungen). Frage 11
Welche Bedeutung hat die widerspruchslose Annahme einer Rechnung durch einen Kaufmann nach türkisch~m Recht? Antwort
11. Art. 23 THGB trägt die Überschrift "Rechnung und Bestätigungsschreiben". Im ersten Absatz der Bestimmung wird klargestellt, in welchen Fällen ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung ("fatura ce) besteht. Die Absätze (2) und (3) lauten in deutscher übersetzung: "Wenn derjenige, der eine Rechnung erhält, innerhalb von 8 Tagen nach dem Empfang keine Einwände hinsichtlich ihres Inhalts erhebt, so gilt er als mit ihrem Inhalt einverstanden." (3) "Wenn derjenige, der ein Schreiben erhält, das den Inhalt von mündlich, telephonisch oder telegraphisch abgeschlossenen Verträgen oder abgegebenen Erklärungen bestätigt, innerhalb von 8 Tagen nach Empfang keine Einwände erhebt, so gilt er als damit einverstanden, daß das Bestätigungsschreiben dem abgeschlossenen Vertrag oder der abgegebenen Erklärung entspricht." II.1. Ich habe mich um eine möglichst wortgetreue übersetzung bemüht, weil der Justizausschuß des türkischen Parlaments, wie sich aus den Protokollen zu Art. 23 des Regierungsentwurfs eines Türkischen Handelsgesetzbuchs ergibt, bei der Beratung der diesbezüglichen Bestimmungen sich besondere Mühe mit der Formulierung gegeben hat, um klarzustellen, daß es sich um Rechtsvermutungen handelt, die durch Gegenbeweis nicht entkräftet werden können. Die Rechtsprechung hat diesem so deutlich ausgesprochenen Willen des Gesetzgebers entsprochen, auch wenn im Schrifttum stellenweise nur eine widerlegbare Vermutung angenommen wird5 (siehe unten II1.2.). 5 Vgl. die Entscheidungen des Handelssenats des Kassationshofs vom 3. 12. 1959, 4. 5. 1961, 9. 12. 1961, 2. 6. 1961 in Batider 1963 Bd. 11 Heft 1 S. 113; vom 19.3.1969 in Batider Bd. V Heft 2 S. 276; vom 13.2.1959 in Son Ictihatlar Dergisi Heft 142 S. 4148. (2)
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1I.2. Der Begriff Rechnung ("fatura") wird dahin umschrieben, daß es sich um eine kaufmännische Urkunde handelt, die der Verkäufer dem Käufer einer Sache oder der Kaufmann, der für einen Kunden Geschäfte erledigt hat, diesem Kunden aushändigt zu dem Zweck, Menge, Eigenschaften, Maße und Preise der verkauften Ware oder der geleisteten Arbeit aufzuzeigen6 • Nur dieser übliche Inhalt der Rechnung wird durch die Vermutung des Art. 23 Abs. 2 THGB gedeckt7 • Die tatsächlichen Angaben der Rechnung müssen mit dem Inhalt der Handelsbücher übereinstimmen8 • Da die Ausstellung und übersendung einer Rechnung nicht in die Abschlußphase, sondern in die Erfüllungsphase eines Vertrags fällt, kann sie nicht die Funktion eines Bestätigungsschreibens haben, das nach der klaren gesetzlichen Bestimmung dazu dienen soll, einen mündlich, telephonisch oder telegraphisch abgeschlossenen Vertrag nachträglich schriftlich zu bestätigen. Die an die widerspruchslose Entgegennahme einer Rechnung geknüpfte Vermutung soll nur verhindern, daß der Empfänger der Rechnung nach Ablauf der Frist von acht Tagen Beanstandungen hinsichtlich der in der Rechnung enthaltenen tatsächlichen Angaben erhebt. Daraus folgt, daß derjenige, der widerspruchslos eine Rechnung entgegengenommen hat, nicht gehindert ist, zu behaupten und mit jedem zulässigen Beweismittel zu beweisen, daß der Vertrag, auf den sich die Rechnung bezieht, dem Inhalt der Rechnung nicht entspricht oder aus diesen oder jenen Gründen nichtig oder anfechtbar ist und deshalb rechtzeitig angefochten worden ist9 •
FrageIII Sind Beweisvermutungen nach Ziffer I und II widerlegbar und sind für eine solche Widerlegung die Beweismittel (nur Urkunden, keine Zeugen?) begrenzt?
Antwort III. Zwischen den in Ziffer I und 11 behandelten Fällen besteht ein erheblicher Unterschied: 111.1. Wie oben (Ziffer 1.2.3.) dargelegt wurde, bildet der Eintrag in ein Handelsbuch, das innerhalb einer von einem Sachverständigen als 6 Vgl. Stichwort "fatura" in dem vom Türkischen Rechtsverein (Türk Hukuk Kurumu) herausgegebenen Türkischen Rechtswörterbuch (= "Türk Hukuk Lugati") S. 92; Doganay S.130. 7 Vgl. Doganay S. 130; Domani!; S. 662; Imregün S. 31. 8 Vgl. Großer Zivilsenat des türkischen Kassationshofs vom 17.8.1968 bei Doganay S.137 Anmerkung 87. 9 Vgl. dazu Domani!; S. 664.
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in jeder Hinsicht ordnungsmäßig geführten Buchhaltung eines kaufmännischen Unternehmens erklärt worden ist, zunächst noch keinen vollen Beweis zu Gunsten desjenigen, welcher den Beweis angetreten hat. Vielmehr bedarf es dazu noch eines richterlichen Eides, wenn ein Gegenbeweis weder angetreten noch erbracht worden ist. In diesen Fällen also ist ein Gegenbeweis vor der Vereidigung zulässig. Hinsichtlich der zulässigen Beweismittel ist wiederum zu unterscheiden: III.1.1. Der Gegenbeweis kann durch Vorlegung der eigenen Handelsbücher angetreten und geführt werden. Hierzu ist oben Ziffer 1.2.4. Näheres ausgeführt worden. III.1.2. Nach Art. 288 TZPG bedürfen Rechtsgeschäfte, durch die ein Recht zur Entstehung oder zum Erlöschen gebracht, übertragen, erneuert, prolongiert, anerkannt oder getilgt werden soll, des Beweises durch Urkunden, wenn sie zur Zeit ihrer Vornahme einen gesetzlich bestimmten Geldwert übersteigen. Dieser ursprünglich auf 50,- Türkpfund festgesetzte Betrag wurde durch das Gesetz Nr. 1711 vom 30. 4. 1973 (RG Nr. 14529 vom 8. 5. 1973) auf 500,- Türkpfund erhöht. Auch wenn der Betrag oder Wert dieser Rechtsgeschäfte aus irgendeinem Grund wie Zahlung oder Erlaß unter diese Grenze sinkt, ist nur der Beweis durch Urkunden zulässig. Nach Art. 289 TZPG dürfen in den Fällen, in denen der Urkundenbeweis gefordert wird, Zeugen nur dann gehört werden, wenn die Gegenpartei nach Belehrung damit einverstanden ist. Ferner ist nach Art. 293 Ziffer 4 TZPG der Zeugenbeweis zulässig, wenn es sich um Geschäfte und Vorgänge handelt, die nach den Gewohnheiten des Handelsverkehrs oder nach den Verhältnissen beider Prozeßparteien üblicherweise weder schriftlich festgelegt werden noch in die Handelsbücher einzutragen sind. Innerhalb dieses Rahmens kann die Beweiskraft der Einträge in ordnungsmäßig geführten Handelsbüchern auf dem Wege des Gegenbeweises durch Urkunden oder Zeugen erschüttert werden. Dies ist einheitliche Auffassung von Rechtsprechung und Lehre 10 • II1.2. Hinsichtlich des Inhalts der ohne rechtzeitigen Widerspruch entgegengenommenen Rechnung ist oben (Ziffer 11.1.) bereits darauf hingewiesen worden, daß es sich um eine praesumtio juris et de jure handelt, die einem Gegenbeweises nicht zugänglich ist. Sollte das Gericht 10 Vgl. E 2061 E 5437 tionshofs
Entscheidung des Handelssenats des Kassationshofs vom 19.4.1956 K 2411 in Son I9tihatlar Dergisi Heft 114 S.3255; vom 22.11.1956 K 6019 in Jurisdictio Heft 4 S.375; Großer Zivilsenat des Kassavom 16.4.1958 E 23/20 - K 19 bei Domanic/C;amoglu S.9 Nr.28; Imregün S. 88; 'Olgen S. 94, 99 und 102 sowie die dort angegebenen FundsteIlen.
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der vereinzelt im Schrifttum vertretenen Ansicht11 folgen, daß es sich um eine durch Gegenbeweis entkräftbareVermutung handelt, so ist darauf hinzuweisen, daß nach Art. 290 TZPG die als Einwendungen gegen Urkunden geltend gemachten Rechtsgeschäfte, welche geeignet sind, die Gültigkeit und Kraft der Urkunde aufzuheben oder zu mindern, nicht durch Zeugen sondern nur durch Urkunden bewiesen werden können. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß und ist einstimmig der Ansicht, daß Urkunden nur durch Urkunden in ihrer Beweiskraft erschüttert werden können12 • Frage IV
Was wird nach türkischem Recht unter einem Konsignationsgeschäft oder einer Konsignationsrechnung verstanden? Antwort
IV. Nach Art.l8 Abs.l TOG muß bei der Auslegung von Verträgen nach den wirklichen und gemeinsamen Zwecken der Parteien gesucht werden, ohne die von bei den Parteien bei der Bestimmung von Form und Vertragsbedingungen gebrauchten Ausdrücke und Bezeichnungen zu beachten, gleichgültig ob dies aus Versehen oder in der Absicht geschehen ist, ihre wirklichen Zwecke zu verbergen. Hinzu kommt, daß der Ausdruck "konsinyasyon" im türkischen Recht einen verschiedenen Sinn hat, je nach dem ob ein Rechtsgeschäft des Binnenhandels oder des Außenhandels vorliegt. IV.1. Im Binnenhandelsverkehr der Türkei spielt das Konsignationsgeschäft ebenso wie in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland bei dem Absatz von Zeitungen und Zeitschriften, aber auch bei dem Absatz anderer Waren durch Wandergewerbetreibende ("Hausierer", "Trödler") eine wichtige Rolle. Die Produzenten oder Großhändler setzen ihre Waren in der Weise ab, daß sie diese zu einem vereinbarten Preis den Abnehmern anvertrauen und diesen das Recht einräumen, die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Letztabnehmer weiterzuverkaufen oder den nicht abgesetzten Teil der ihnen anvertrauten Waren innerhalb einer vertraglich vereinbarten Zeitspanne zurückzugeben. Der wirtschaftliche Zweck dieser Geschäftsform liegt darin, daß für den Produzenten oder Großhändler ein räumlich sehr weit reichendes Absatzgebiet für die Waren gesichert ist, während der Abnehmer vor dem wirtschaftlichen Risiko bewahrt bleibt, bei Nichtabsatz der ihm zum Weiterverkauf anvertrauten Waren auf diesen "sitzen" 11
z. B. Imregün S. 32, Karayalcin S. 225.
Vgl. Doganay S.36 unter Hinweis auf die Plenarentscheidung zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung vom 12.4.1933 E 31 - K 7; 'Olgen S. 103. U
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zu bleiben. Dieser Vertragstyp wird im türkischen Zivilrechts-Schrifttum in der Regel als "überlassungsvertrag zum Zwecke des Verkaufs" (== "satI~ ic;;in tevdi [= blrakma] akdi") bezeichnet13, während Göktürk als türkische übersetzung des in der Schweiz üblichen deutschen Ausdrucks "Trödelvertrag" die Bezeichnung "koltukc;;u (= gezginci) sözle~ mesi" gewählt hat. Dieser im deutschen Recht heute als "Konditionsgeschäft" bezeichnete Vertragstyp ist in der Türkei ebenso wenig gesetzlich geregelt wie in der Schweiz. Die Darstellungen der oben genannten Autoren in den Lehrbüchern des Obligationenrechts sind im wesentlichen nichts weiter als eine kritische Zusammenfassung der Lehrmeinungen, die in der Schweiz zum "Trödelvertrag" = "contrat de consignation de marchandises" geäußert worden sind. Auch die dogmatische Einordnung dieses Vertragstyps spiegelt die darüber in der Schweiz verbreiteten Lehrmeinungen wider. Aus der türkischen Rechtsprechung ist mir nur eine einzige Entscheidung des Großen Zivilsenats des türkischen Kassationshofs14 bekannt, wonach ein Konsignationsverkauf aus einem zwischen dem Absender und dem Empfänger abgeschlossenen Kommissionsvertrag besteht. Im Schrifttum wird darin eine besondere Art des Kaufvertrags oder ein Vertrag sui generis gesehen. Es erübrigt sich, auf weitere Einzelheiten einzugehen, da im vorliegenden Fall der Sachverhalt ein völlig anderer ist als der von den oben genannten Autoren dargestellte Vertragstyp. IV.2. Das Außenwirtschaftsrecht der Türkei ist seit vielen Jahrzehnten dirigistisch geregelt. Auf der Rechtsgrundlage von Ermächtigungsgesetzen kann der Ministerrat nach Art. 107 der türkischen Verfassung von 1961 Rechtsverordnungen erlassen, die vom Präsidenten der Republik unterzeichnet und wie Gesetze verkündet werden. Nach Art. 113 der türkischen Verfassung können auch die einzelnen Ministerien zur Durchführung der in ihren Geschäftskreis fallenden Gesetze und Rechtsverordnungen Verwaltungsverordnungen erlassen, die im Amtsblatt zu verkünden sind. Auf dieser Rechtsgrundlage beruhen die im Laufe der Zeit erlassenen Rechtsverordnungen des Ministerrats zur Regelung der Ausfuhr, in denen unter anderem bestimmt ist, daß die Ausfuhr im Wege der Konsignation (= "konsinyasyon yoluile") im Rahmen der Grundsätze abzuwickeln ist, die vom Handelsministerium festzulegen und zu veröffentlichen sind. Das Handelsministerium hat demgemäß Verordnungen über die Ausfuhr (= "ihracat yönetmelii;W') erlassen, die im Laufe der Jahre jeweils entsprechend den Veränderungen der wirtschaftlichen Lage aufgehoben und durch neue ersetzt worden sind. Auch 13 14
So z. B. BUge S. 8; FeyziogZu S. 40; Tandogan S. 16; Tun!;omak S. 7.
vom 10.7.1968 E 1966 - T 502 - K 556 (in Resmi Kararlar Dergisi 1968,
Heft 9/10 S. 146 - 149.
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wenn diese zeitlich aufeinander folgenden Ausfuhrverordnungen mehr oder weniger bedeutsame Veränderungen in dirigistisch-wirtschaftlicher Hinsicht aufweisen, so sind die rechtlichen Mittel und Wege für diese dirigistischen Anordnungen im wesentlichen unverändert geblieben. IV.2.1. Im ersten Artikel dieser Verordnungen wird die Bedeutung einzelner Ausdrücke festgelegt, die in der Verordnung als termini technici gebraucht werden. Danach bedeutet "Ausfuhr auf Konsignationsbasis" eine Ausfuhr im Wege der Versendung von Waren als Konsignationsgut an ausländische Empfänger (das türkische Wort "allel" kann auch "Käufer", "Abnehmer" oder "Kunde" bedeuten), Kommissionäre sowie an die Adresse der im Ausland errichteten Zweigniederlassungen und Vertretungen, ohne daß ein definitiver Verkauf vorliegt (= "kesin satl:;;ta bulunulmadan"). Es dürfte sich erübrigen, sämtliche Bestimmungen der Verordnung wiederzugeben, die sich auf die Ausfuhr von Waren auf Konsignationsbasis beziehen. Ich hebe nur einige Bestimmungen hervor, die die rechtliche Qualifizierung dieses Geschäfts erlauben: Die Ausfuhr auf Konsignationsbasis unterliegt der Registrierungspflicht bei dem Handelsministerium oder den von ihm damit betrauten Behörden oder Fachverbänden. Sie ist nur zulässig gegen konvertible Devisen, zu denen die DMark gehört. Der in dem Registrierungsantrag angegebene Preis muß dem laufenden Ausfuhrpreis im Zeitpunkt der Antragstellung entsprechen: Dem Antrag ist eine Einverständniserklärung des Empfängers, der die Ware übernehmen soll, beizufügen. Bei einer Ausfuhr auf Konsignationsbasis ist Bedingung, daß die Ware innerhalb einer bestimmten Zeitspanne definitiv verkauft und der Gegenwert transferiert wird. Eine zeitlich begrenzte Verlängerung dieser Frist kann auf Antrag gewährt werden. Die zur Durchführung und überwachung der Ausfuhr auf Konsignationsbasis bestellten Stellen haben je ein Exemplar der Registrierungserklärung dem Handelsministerium und dem Handelsrat oder Attache der türkischen Botschaft im Empfängerland am gleichen Tag mit Luftpost zuzusenden. Auch der Exporteur muß in der gleichen Form die genannten türkischen Behörden über den Abgang des Transportmittels, mit dem die Ware befördert wird, verständigen. Wird der Verkauf definitiv wirksam, so haben die Exporteure diesen Umstand mit einem Exemplar der definitiven Verkaufsrechnung ("kesin satl:;; faturasl") den zuständigen Stellen mitzuteilen. IV.2.2. Wie sich aus den vorstehenden Angaben ersehen läßt, hat die Rechtsform der "Ausfuhr auf Konsignationsbasis" allein den Zweck, die öffentlichen Interessen der Türkei daran zu gewährleisten, daß der volle Gegenwert für bestimmte exportierte, aber noch nicht bezahlte Waren
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in freien ausländischen Devisen innerhalb einer bestimmten Frist der türkischen Volkswirtschaft wieder zufließt oder die nicht fest abgenommenen und nicht bezahlten Waren in die Türkei zurückgesandt werden. (VgI. hierzu auch die Auskunft des Handelsrats bei der türkischen Botschaft in Bonn vom 20.11.1973 BI. 21 d. A.). Auch wenn diese Gestaltung als Ausfuhr auf Konsignationsbasis bezeichnet wird, so wird lediglich die äußere Form des "Trödelvertrags" im Sinne des privaten Vertragsrechts verwendet, ohne daß dadurch die privatrechtlichen Beziehungen zwischen dem Exporteur und dem Empfänger der Ware rechtlich qualifiziert oder präjudiziert werden. Die in der Ausfuhr-Verordnung gegebene und oben (IV.2.1.) in deutscher Übersetzung wiedergegebene Begriffsbestimmung sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wer als Empfänger der vom Exporteur ausgeführten Waren in Frage kommen kann. Es ist z. B. von der Möglichkeit die Rede, daß ein türkisches Unternehmen an seine im Ausland befindliche Zweigniederlassung oder Vertretung Waren auf Konsignationsbasis versendet. Daß es sich in derartigen Fällen nicht um einen "Kaufvertrag" handeln kann, liegt auf der Hand. Wenn die Möglichkeit erwähnt wird, daß der Empfänger ein Kommissionär sein kann, so ist nicht ersichtlich, ob es sich um einen Verkaufskommissionär des Exporteurs oder um einen Einkaufskommissionär für ausländische Kommitenten handelt. Kurz gesagt: Wenn der Exporteur Waren im eigenen Namen an ausländische Empfänger versendet, so handelt er zwar im eigenen Namen. Aber damit ist nichts darüber gesagt, ob er auch für eigene oder für fremde Rechnung oder für Rechnung, wen es angeht, die Versendung vorgenommen hat. Auch aus dem Umstand, daß der Exporteur im eigenen Namen eine "Konsignationsrechnung" ausgestellt und dem Empfänger zugesandt hat, ergibt sich keinerlei Hinweis auf die Art der Rechtsbeziehung zwischen dem Exporteur als Absender und dem Empfänger. Der Ausdruck "Konsignationsrechnung" besagt lediglich, daß es sich bei dieser "Rechnung" noch nicht um die in der Ausfuhrverordnung vorgesehene "definitive Verkaufsrechnung" handelt, sondern lediglich um einen Lieferschein, der für die Zwecke der Ausfuhr- und Devisenkontrolle hergestellt wird, damit die zuständigen Behörden eine Unterlage dafür haben, ob der nach der Ausfuhrverordnung vorgeschriebene Marktpreis eingehalten worden ist, ob und in welcher Höhe der Gegenwert in konvertibler Währung zu entrichten ist, ob alle in der Registrierungserklärung angegebenen und in der Konsignationsrechnung aufgeführten Waren innerhalb der Frist von dem Empfänger der Waren abgenommen oder zurückgesandt worden sind, u. a. m. IV.2.3. Meine Antwort auf die Frage 4 kann somit nur lauten, daß nach türkischem Außenwirtschaftsrecht die Ausdrücke "Konsignationsgeschäft" und "Konsignationsrechnung" besondere Gestaltungsmöglich-
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keiten und Formalitäten für die Ausfuhr nicht bezahlter Waren auf Kredit in Länder mit konvertibler Währung darstellen, um zu gewährleisten, daß entweder der Gegenwert der exportierten Waren in Devisen in die Türkei transferiert wird oder die Waren selbst ganz oder teilweise in die Türkei zurückgesandt werden. Die fraglichen Ausdrücke sind termini technici für die Lenkung und Kontrolle der Ausfuhr durch staatliche Behörden, haben aber nichts mit dem privatrechtlichen Typ des Trödelvertrags und der "Rechnung" im Sinne von Art.23 Abs. 1 und 2 THGB zu tun.
Frage V (a) Besteht bei einer Konsignation nur ein Anspruch des zwischengeschalteten Beauftragten (Kläger), oder könnte der Beklagte sowohl an die einzelnen Hersteller als auch an den Kläger befreiend zahlen? (b) Würde auch nach türkischem Recht die Beklagte nach Zahlung an die Händler zumindest soweit nicht mehr zur erneuten Zahlung an den Kläger verpflichtet sein, soweit dieser von Zahlungsverpflichtungen frei wurde?
Antwort V. Auch nach türkischem Recht gilt der Satz: "da mihi factum dabo tibi jus". Die Frage "qualis est actio?" im übertragenen Sinn als Frage nach dem Rechtsverhältnis, aus dem der vom Kläger geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird, gilt ebenfalls im türkischen Recht für die rechtliche Beurteilung15 • V.1. Der Ausdruck "Konsignation" besagt, wie unter Ziffer IV erläutert wurde, im vorliegenden Fall für das privatrechtliche Verhältnis zwischen den Parteien gar nichts. Es kommt vielmehr auf den wirklichen und gemeinsamen Zweck an, den die Parteien erstrebt haben. Dieser Zweck war die Ausfuhr von Waren aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland unter Beachtung der diesbezüglichen türkischen Rechtsvorschriften. V.1.1. Die Klägerin bezeichnet sich selbst als "Exporteur" für orientalische Teppichwaren (Klageschrift S. 2) und behauptet unter Vorlage von Frachtbriefdoppel und Konsignationsrechnungen, ,,17 Ballen Teppiche gleich 387 Stück im Gesamtwert von 76 698,62 DM an die Beklagte geliefert" zu haben. Dies wird von dertBeklagten nicht bestritten. 11 Vgl. als Beispiel den von mir übersetzten, bearbeiteten und kommentierten sowie unter dem Titel "Qualis est actio?" in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht N. F. 95 (1976) I, S. 323 - 341 erschienenen Schriftsatz eines türkischen Rechtsanwalts zur Begründung seines Antrags auf die Kassation eines Urteils eines Handelsgerichts.
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Der Ausdruck "Exporteur" besagt als solcher nicht mehr, als daß die Klägerin sich mit Ausfuhrgeschäften gewerbsmäßig beschäftigt, d. h. ein entsprechendes kaufmännisches Unternehmen im eigenen Namen betreibt und deshalb Kaufmann ist. Auf S. 3 der Klageschrift hat die Klägerin vortragen lassen: "Bei den zwischen den Parteien zugrunde liegenden Kaufverträgen handelt es sich um solche auf Konsignationsbasis" . Dieser sprachlich sehr merkwürdige Satz kann nur in dem Sinne verstanden werden, daß dem Rechtsverhältnis der Parteien zwar Kaufverträge zugrunde liegen, das Rechtsverhältnis selbst aber kein Kaufvertrag ist, bei dem die Klägerin, sei es als Eigenhändler, sei es als Verkaufskommissionär im eigenen Namen aber für Rechnung von Kommittenten gehandelt und entsprechende Willenserklärungen abgegeben hat. V.l.2. Daß die Klägerin nicht die rechtliche Stellung eines Verkäufers gegenüber der Beklagten als Käufer gehabt hat, ergibt sich vor allem daraus, daß sie die von der Beklagten unstreitig erhaltenen Zahlungen nach den in türkischer Sprache und deutscher übersetzung in Blatt 142 bis 150 d. A vorliegenden Weisungen der Beklagten pro rata an die von der Beklagten genannten Personen weitergeleitet hat. In diesem Zusammenhang ist der zweitletzte Absatz des Schreibens der Klägerin an die Beklagte vom 9.4.1972 (türkisches Original BI. 141 d. A, deutsche übersetzung Bl.139/140 d. A) von Bedeutung. Da die deutsche übersetzung nur sinngemäß richtig ist, halte ich eine wortgetreue übersetzung für erforderlich: "Den Gegenwert der von Ihnen gesandten DM 5 000,- in Höhe von 21 722 Türkpfund habe ich am 3. April 1972 von der Türkischen Zentralbank abgehoben und auf Ihre Weisungen hin an D. 1., V. U. und Z. D. gezahlt. Diese haben sich bedankt und mich gebeten, schriftlich an Sie ihre Bitten weiterzuleiten, daß Sie möglichst bald ihre anderen Forderungen überweisen. Da es sich ganz und gar um ihre (seil. der namentlich genannten Personen) Bitten handelt, sehe ich mich in die Notwendigkeit versetzt, Ihnen den Sachverhalt mitzuteilen." V.l.3. Diese Erklärung muß die Klägerin als Kaufmann gegen sich gelten lassen; denn nach Art. 20 Abs.2 THGB muß sich jeder Kaufmann in seiner gesamten kaufmännischen Tätigkeit wie ein umsichtiger (= basiretli) Geschäftsmann verhalten. Diese Bestimmung geht erheblich weiter als die Vorschrift des § 347 des deutschen HGB. Sie erweitert nicht nur eine sich aus Vertrag oder Gesetz ergebende Sorgfaltspflicht, "sondern stellt ein selbständiges generelles Verhaltensgebot für Kaufleute bei allen mit ihrem kaufmännischen Unternehmen zusammenhängenden Tätigkeiten dar. Dieses Verhaltensgebot ist eine selbständige Pflichtgrundlage, die je nach den Verhältnissen des Einzelfalles für den Kaufmann bestimmte Pflichten begründet, welche als solche zu dem Verhalten eines ordentlichen Geschäftsmanns in Anbe-
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tracht der Verkehrssitte, der Handelsbräuche oder nach Lage der Dinge als zugehörig angenommen werden16 ." Ein umsichtiger Geschäftsmann, der im eigenen Namen und für eigene Rechnung oder als Verkaufskommissionär im Rechtssinn als Verkäufer qualifiziert werden will, mahnt seinen angeblichen Käufer nicht in dieser Weise an die Begleichung seiner restlichen Schulden. Daran ändert auch die Formulierung unter Ziffer 3 des Briefes der Klägerin an die Beklagte vom 13. 3. 1972 (BI. 107 d. A.) nichts. Dieser Brief liegt nur in deutscher übersetzung vor, deren Genauigkeit ich nicht nachprüfen kann. Aber selbst wenn die übersetzung richtig ist, kann sich die Klägerin nach türkischem Beweisrecht nicht darauf berufen, weil Urkunden nur zu Ungunsten dessen, der sie verfaßt und unterschrieben hat, nicht aber zu dessen Gunsten einen Beweiswert haben (vgl. oben Ziffer 1.2.1. am Ende). Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien kann somit nicht als Kaufvertrag, auch nicht als Konsignationsgeschäft im Sinne des türkischen Privatrechts qualifiziert werden. V.2. Die Klägerin ist für die Beklagte in doppelter Weise tätig gewesen, indem sie die Exportformalitäten nach Maßgabe der türkischen Ausfuhrbestimmungen erledigt und die ihr von der Beklagten überwiesenen Devisenbeträge nach ihrer Umwechslung in türkische Währung nach den Weisungen der Beklagten pro rata an die als "Zulieferer" bezeichneten Personen verteilt hat. Da im Verhältnis zwischen Kaufleuten die gesetzliche Vermutung dafür spricht, daß die zwischen ihnen bestehende Verbindung unternehmensbezogen ist (Art. 21 Abs.1 THGB), ist aus der Gesamtheit der von der Klägerin im Interesse der Beklagten entfalteten Tätigkeit der Schluß gerechtfertigt, daß zwischen den Parteien ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag (= entgeltlicher Auftrag) im Sinne von Art. 386 ff. TOG abgeschlossen worden ist. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines gesetzlich geregelten Sondertyps der Geschäftsbesorgung (z. B. Makler, Agent, Spedition, Kommission) liegen m. E. nicht vor. Man könnte nur an einen sog. unechten Kommissionsvertrag gemäß Art. 430 Abs. 2 TOG denken, eine Bestimmung, die inhaltlich dem § 406 Abs. 1 des deutschen HGB entspricht. Ob aber die Klägerin als "Exporteur" das Kommissionsgeschäft bei Einkauf und Verkauf von Waren als Haupttätigkeit betreibt, ist zweifelhaft, da sie im Kopf der Konsignationsrechnung (BI. 18 und 19 d. A.) als Gegenstand ihres Unternehmens "Import - Export" angibt. Dies aber umfaßt alle Tätigkeiten und Rechtsgeschäfte, die sich auf die Einfuhr und Ausfuhr von Waren beziehen. Ich möchte deshalb in übereinstimmung mit der Formulierung des Beweisbeschlusses die Klägerin als "zwischengeschaltete Beauftragte" qualifizieren. 16 So wörtlich Yildirim S. 108 unter Hinweis auf die einschlägige türkische Literatur und Rechtsprechung; ebenso Imregün S. 29.
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V.3. Nach der Begriffsbestimmung in Art. 386 TOG ist "Auftrag" ein Vertrag, mit dem sich der Beauftragte verpflichtet, im Rahmen des Vertrags die ihm auferlegte Tätigkeit auszuüben oder die von ihm übernommenen Dienste zu leisten. Der Beauftragte hat Anspruch auf ein Entgelt, sofern es vertraglich vereinbart oder üblich ist. Beide Voraussetzungen liegen vor. Auch wenn nichts vereinbart worden wäre, hätte die Klägerin gemäß Art. 22 THGB einen gesetzlichen Anspruch auf ein angemessenes Entgelt und auf Ersatz ihrer Auslagen und Vorschüsse einschließlich der üblichen Zinsen. Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung vom 9. 11. 1973 (BI. 10 d. A.) behauptet, sie habe der Klägerin 4 OOO,-DM zuzüglich Ersatz der Kosten gezahlt. Die Klägerin hat diesem Vorbringen nicht ausdrücklich widersprochen..Selbst wenn diese Zahlung nicht erfolgt sein sollte, ergibt sich die Verpflichtung dazu, wie gezeigt, aus dem Gesetz. V.4. Auf Grund dieser Qualifizierung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien lautet meine Antwort auf die Fragen 5 (a) und (b) des Beweisbeschlusses wie folgt: V.4.l. Die Klägerin hat zwar der Beklagten gegenüber die Verpflichtung übernommen, überweisungen der Beklagten an die von dieser bezeichneten "Zulieferer" weiterzuleiten. Daraus aber kann die Klägerin nicht den Anspruch herleiten, daß alle Zahlungen ausschließlich durch ihre Hände an die Zulieferer, d. h. die wirklichen Gläubiger der Beklagten gehen. Die Klägerin hat nicht behauptet, daß die Zulieferer ihre Forderungen gegen die Beklagte aus den Kaufverträgen an sie abgetreten haben. Die Klägerin hat noch nicht einmal behauptet, der Beklagten eine "definitive Verkaufsrechnung" (vgI. oben Ziffer IV.2.) zugesandt und sie durch formwirksame Erklärung mit Nachfristsetzung gemäß Art. 20 Abs. 3 THGB in Verzug gesetzt zu haben. V.4.2. Dagegen hat die Beklagte außer den durch Vermittlung der Klägerin geleisteten überweisungen durch Vorlage der Photokopie einer Urkunde, nämlich durch den als "Döviz Ahm Bordrosu" bezeichneten Devisenankaufschein der Akbank AG in Istanbul, Zweigniederlassung Galata, Serie F Nr. 129 764, laufende Nummer 1363 (BI. 12 d. A.) nachgewiesen, daß der Inhaber der Beklagten am 8. 8. 1972, d. h. noch innerhalb der laut Ausfuhrverordnung bestimmten Fünf-Monats-Frist, DM 50299,62, d. h. US$ 15 608,88 zum Kurs von 434,44 verkauft und dafür 218521,67 Türkpfund erhalten hat. Als Rechtsgrund für den Verkauf der Devisen an die Akbank ist in der erwähnten Urkunde ausdrücklich in türkischer Sprache angegeben: "H. B. tarafmdan I. Y. yapllan ihracaat" d. h. "Die von H. B. an I. Y. durchgeführten Ausfuhren". Dies entspricht auch der Erklärung der Deutschen Bank AG Filiale Paderborn gegenüber der Akbank vom 9. 8. 1972 (BI. 13 d. A.). Diese schriftlichen und unterzeichneten Erklärungen der beiden Banken sind
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Urkunden, deren Beweiskraft nach türkischem Recht, wie oben Ziffer III.2. dargetan, nur durch Urkunden erschüttert werden könnte. Mit dem Verkauf des DMarkbetrags unter Angabe des Rechtsgrundes war der Zweck der öffentlich-rechtlichen Vorschrift, daß der Gegenwert der auf Konsignationsbasis ausgeführten Waren in vollwertigen Devisen der türkischen Devisenzentrale zufloß, erreicht, so daß die Klägerin aus diesem Grunde weder strafrechtlich verfolgt noch durch Entziehung ihrer Ausfuhrlizenz geschädigt werden konnte. Wäre etwas derartiges erfolgt, so hätte die Klägerin dies doch wohl im Laufe der Jahre seit der Erhebung der Klage vorgebracht. Die durch Urkunden nachgewiesene pünktliche Erfüllung der Devisenablieferungspflicht ist auch eine hinlängliche Erklärung dafür, warum die Klägerin der Beklagten keine "definitive Verkaufsrechnung" zugesandt, noch sie formgerecht in Verzug gesetzt hat: Die Beklagte hatte ihre öffentlich-rechtliche Pflicht zur Transferierung des Gegenwerts der an sie durch Vermittlung der Klägerin ausgeführten Waren erfüllt, so daß nicht nur die Beklagte, sondern auch vor allem die Klägerin selbst gegenüber den türkischen Behörden entlastet war. V.4.3. Meine Antwort auf Frage 5 lautet: zu (a): Bei einer Konsignation im Sinne der Bestimmungen der türkischen Ausfuhrverordnungen besteht kein Anspruch des zwischengeschalteten Beauftragten (Klägers), weder nach Privatrecht noch nach öffentlichem Recht. Die Beklagte war lediglich verpflichtet, den Gegenwert der an sie ausgeführten Güter in konvertiblen Devisen binnen fünf Monaten in die Türkei zu transferieren, sei es unmittelbar durch Verkauf der Devisen an eine türkische, zum Ankauf von Devisen ermächtigte Bank, sei es durch überweisungen an den Exporteur, dessen sie sich bei der Ausfuhr bedient hat. Darauf allein kommt es an, nicht dagegen auf das Verhältnis der Beklagten zu den sog. Zulieferern, welche die Gläubiger der Beklagten sind, aber ihre Restkaufpreisforderungen weder unmittelbar noch mittelbar durch die Klägerin geltend gemacht haben. zu (b): Die Klägerin hatte gegenüber den Zulieferern keinerlei Zahlungsverpflichtungen, da der Auftragsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin kein Vertrag zu Gunsten Dritter war derart, daß die Zulieferer einen Zahlungs anspruch unmittelbar gegenüber der Klägerin hätten erwerben können (vgl. Art. lU TOG). Selbst wenn ein derartiger Anspruch unterstellt wird, wäre er durch Zahlung seitens der Beklagten an die Zulieferer erloschen (vgl. Art. 113 TOG).
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Anhang
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Nr.4 Gesetzliche Typen für gewerbsmäßige Vermittlungs tätigkeit im Handelsverkehr - Unterschied zwischen Handelsmakler und Handelsvertreter (Vermittlungs agent) - "Kundenschutzvereinbarung" Entstehung und Verjährung von Provisionsansprüchen des Maklers und des Vermittlungsagenten - handelsrechtliche "Verbotsvorschriften" - Zweigniederlassungen und Agenturbüros ausländischer Aktiengesellschaften - Ausschluß von "Vermittlern" bei Ausschreibungen - Stellvertreter und Bote - "Wichtige Gründe" bei Dauerrechtsverhältnissen - Die Begriffe "Treu und Glauben" und "Verhalten eines umsichtigen Geschäftsmanns" - rechtliche Bedeutung von Bestätigungsschreiben. THGB: Art. 1, 2, 12, 14, 20, 23, 100, 106, 107, 116, 117, 118, 120, 121, 123, 124, 127, 133, 134, 1466. TOG: Art. 11, 18, 19, 28, 32, 76, 126, 128, 130, 133, 135, 386, 404, 416. TZGB: Art. 4, 6. Vorläufiges Gesetz über ausländische Aktien- und Kapitalanteilsgesellschaften sowie ausländische Versicherungsgesellschaften. Das Landgericht München I, 8. Kammer für Handelssachen hat in Sachen Fa. Ta ... gegen Fa. Te ... GmbH (8 HKO 6019/76) um ein Gutachten zu Fragen des Handesvertreterrechts nach türkischem Recht gebeten. Ich erstattete am 7. März 1978 das nachstehende
Rechtsgutachten· I
Die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien Bevor zu den in den Beweisbeschlüssen gestellten Fragen Stellung genommen werden kann, ist eine Klärung der zwischen den Parteien bestehenden Beziehungen erforderlich, soweit dies an Hand der zu den Gerichtsakten überreichten Schriftstücke möglich ist. • Nur mit dem Namen der Verfasser zitierte Literatur ist im Anhang alphabetisch nachgewiesen.
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1. Aus dem Schreiben der Beklagten an die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern vom 12.2.1974 (BI. 126 d. A) ist ersichtlich, daß die Klägerin seit dem 17. Mai 1972 die Beklagte beim Vertrieb ihrer Nachrichtengeräte auf dem türkischen Markt vertreten hat und die Zusammenarbeit für die kommenden Jahre gleichfalls vorgesehen war. Das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 11.12. 1974 (BI. 23 d. A) über die Lösung der bestehenden Geschäftsverbindung enthält als Betreff die Angabe: "Akquisition für TMC Geräte in der Türkei". Im Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 24.4. 1975 (BI. 36 d. A) sieht sich die Beklagte gezwungen, den mit der Klägerin bestehenden Vertretungsvertrag fristlos zu kündigen. Aus diesen Angaben folgt:
A Das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien war auf Dauer berechnet und hat rund drei Jahre lang bestanden. Es ist somit als Dauerrechtsverhältnis zu qualifizieren. B. Gegenstand dieses Rechtsverhältnisses war die "Vertretung" der Beklagten bei dem Vertrieb ihrer Nachrichtengeräte auf dem türkischen Markt. "Vertretung" kann in diesem Zusammenhang nicht im juristischtechnischen Sinne als "Stellvertretung" nach §§ 164 ff. BGB bzw. Art. 32 ff. TOG verstanden werden, sondern bedeutet die wirtschaftliche Interessenwahrung eines deutschen Unternehmens zwecks Absatzes seiner Produkte auf dem türkischen Markt durch ein türkisches Unternehmen.
C. Beide Parteien besitzen bzw. besaßen die Kaufmannseigenschaft, und zwar die Beklagte gemäß § 6 HGB in Verbindung mit § 13 Abs.3 GmbHG, die Klägerin als einzelkaufmännisches Unternehmen gemäß Art. 14 in Verbindung mit Art. 12 Ziffer 12 THGB lt. Bescheinigungen der Handelskammern Ankara und Istanbul vom 10. bzw. 9. Februar 1978 (Anlagen zum Schriftsatz der Klägerin vom 23. 2. 1978). 2. In Art. 12 Ziffer 12 THGB werden als besondere Typen der gewerbsmäßigen Vermittlungstätigkeit die Berufe des Agenten, des Maklers und des Kommissionärs (acentelik, tellähk, komisyonculuk) nebeneinander gestellt. Die von den aufgeführten drei Berufstypen gewerbsmäßig abgeschlossenen Verträge sind nur besondere Ausgestaltungen eines Grundtyps, der als entgeltlicher Auftragsvertrag (= "Vekälet") oder Geschäftsbesorgungsvertrag (= "I~ görme") in den Art. 386 - 398 TOG geregelt ist. Aber jeder der drei genannten Spezialtypen hat eine ihm eigentümliche gesetzliche Regelung gefunden: Der Agenturvertrag in Art. 116 -134 THGB, der Handelsmaklervertrag in den Art. 100 -115 THGB, der Zivilmaklervertrag in den Art. 404 - 409 TOG und der Kommissionsvertrag in den Art. 416 - 430 TOG. Nur soweit die für den Spezialtyp bestimmten gesetzlichen Vorschriften Lücken aufweisen, kom-
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men die allgemeinen Bestimmungen über den Auftragsvertrag zur Anwendung. Zu prüfen ist somit, ob das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unter einen der drei aufgeführten Vertragstypen fällt: A. Der Typ des Kommissionsvertrags scheidet aus, da der vermittelte Kaufvertrag unmittelbar zwischen der Beklagten und der türkischen Heeresverwaltung abgeschlossen worden ist. Dies ist unstreitig. B. Nach der auf keinerlei rechtliche Begründung gestützten "Annahme" in der Rechtsauskunft des türkischen Justizministeriums (BI. 114/115 d. A.) soll das Rechtsverhältnis der Parteien ein Maklervertrag sein. Die zu den Akten gegebene deutsche Fassung von Art. 100 THGB ist in einem wesentlichen Punkte unvollständig, wobei ich nicht beurteilen kann, ob es sich um ein Versehen des türkischen Beamten im Justizministerium oder des übersetzers handelt. Die korrekte deutsche übersetzung von Art. 100 Abs. 1 THGB lautet: A) Begriffsbestimmung 100. - Makler ist, wer bei dem Zustandekommen von Verträgen, die sich auf Handelssachen beziehen, die Vermittlung zwischen den Parteien gewerbsmäßig gegen Entgelt ausübt, ohne in der Stellung eines Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten, Ladenverkäufers, Angestellten oder Agenten an eine der Parteien ständig gebunden zu sein.
Wie oben unter Ziffer I - 1 - A bereits festgestellt wurde, war das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ein Dauerrechtsverhältnis, durch das die Klägerin gegenüber der Beklagten zur Tätigkeit in deren Interesse vertraglich verpflichtet war. Die Klägerin war somit an die Beklagte für die Dauer des Vertrags gebunden, während zwischen der Klägerin und der türkischen Heeresverwaltung keinerlei vertragliche Beziehungen bestanden. Für die rechtliche Qualifizierung als Makler ist aber entscheidend, daß dieser mit keiner der Parteien in einem ständigen Vertragsverhältnis steht, das ihn gegenüber einer der Vertragschließenden rechtlich bindet. Der Ausdruck "ständig" (= "daimi bir surette") bedeutet, daß das Rechtsverhältnis nach dem Willen der Parteien auf Dauer angelegt ist1 • Die Besonderheit des Maklergeschäfts besteht gerade darin, daß der Makler stets nur bei einzelnen Geschäften in Tätigkeit tritt, so daß für ihn ein Dauerrechtsverhältnis, das ihn an eine der Parteien binden würde, nicht in Betracht kommt. Dies ist die übereinstimmende und dem Gesetz entsprechende Meinung!. Tekinalp, Acenta Sözle~mesi S. 23 Fußnote 32. Vgl. Hirsch (Lehrbuch) Nr.743 c II S.730; Nr. 7431 I S.744; Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf eines neuen Handelsgesetzbuchs unter Ziffer I - 21 - B - a; Akyazan S. 460; Doganay S. 394,395,404,405; Imregün S.104; Karayalcin S. 503, 516; Sungur S.617; Tekinalp (Acenta sözle~ mesi) S. 43 Ziffer 2. 1
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Schließlich scheidet die Möglichkeit, die Klägerin als Handelsmakler zu qualifizieren, schon deshalb aus, weil, wie unten zu zeigen sein wird, die Klägerin "Agent" im Sinne von Art. 116 ff. THGB ist und nach dem klaren, wenn auch in der Rechtsauskunft des türkischen Justizministeriums verstümmelten Wortlaut von Art. 100 THGB ein "Agent" nicht Makler sein kann. C. Art. 116 Abs.l THGB definiert den Agenten so: Agent heißt derjenige, der, ohne in der abhängigen Stellung eines Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten, Ladenverkäufers oder Angestellten zu sein, gewerbsmäßig auf vertraglicher Grundlage innerhalb eines bestimmten Ortes oder Bezirks ständig die Vermittlung von Verträgen, die ein kaufmännisches Unternehmen betreffen, oder deren Abschluß im Namen dieses Unternehmens übernimmt. Demnach sind wesentliche Voraussetzungen für den gesetzlichen Begriff "Agent" (= "acenta") die Selbständigkeit, die Gewerbsmäßigkeit in der Vermittlung von Verträgen für ein kaufmännisches Unternehmen oder in dem Abschluß derartiger Verträge im Namen dieses Unternehmens innerhalb eines bestimmten Ortes oder Bezirks auf Grund eines auf Dauer abgeschlossenen Vertrag53 • Die "Selbständigkeit" ist im rechtlichen Sinne zu verstehen, daß der Agent, auch wenn er auf Zeit zur Leistung von Diensten und zur Besorgung von Geschäften für ein kaufmännisches Unternehmen verpflichtet ist, dies nicht als von einem Arbeitgeber abhängiger Arbeitnehmer auf Grund eines Dienst- oder Arbeitsvertrags tut, sondern selbst Unternehmer im Rechtssinne ist, der seine Geschäftsunkosten selbst tragen muß und Eratz von Aufwendungen nur in außergewöhnlichen Fällen verlangen kann (vgl. Art. 127 THGB). Als Gegenleistung für seine Tätigkeit kann er nicht ein nach Zeitabschnitten berechnetes festes Gehalt sondern Provision nach anderen vertraglich oder gesetzlich bestimmten Kriterien verlangen4 • Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle gegeben, da, wie oben unter Ziffer I - 1 B betont wurde, die Klägerin als selbständiger Kaufmann im Handelsregister und in den Registern der örtlich zuständigen Handelskammern eingetragen war, und die Voraussetzungen, Bedingungen und die Höhe der Provision vertraglich vereinbart worden sind. Ferner sind gegeben die Gewerbsmäßigkeit der Klägerin, die räumliche Begrenzung des Tätigkeitsbezirks (die ganze Türkei) und ein Dauerrechtsverhältnis mit der Beklagten als Unternehmer. 3 Ebenso Tekinalp (Acenta Sözlel?mesi) S. 20/21 und die dort in den Fußnoten 12 - 21 angegebenen Belegstellen von zehn anderen türkischen Autoren; siehe auch Hirsch ZHR 119 (1956) S.183. 4 Tekinalp (Acenta sözlei;lmesi) S. 31; Imregün S. 10.
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3. Somit ist zunächst nur zu klären, ob zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Vertrag zustande gekommen ist, auf Grund dessen die Klägerin verpflichtet war, für die Beklagte Verträge zu vermitteln oder im Namen der Beklagten abzuschließen. A. Der Agenturvertrag bedarf keiner Form. Er kann mündlich oder durch Schriftwechsel, auch durch konkludentes Handeln abgeschlossen werdenS. Nur in einigen besonderen Fällen bedarf es einer schriftlich erteilten Befugnis (z. B. Art. 120, 121 THGB) oder einer schriftlichen Vereinbarung (z.B. Art. 118 THGB)8. Die gesetzlichen Bestimmungen über den Inhalt des Agenturvertrags in den Art. 118 - 134 THGB, die das Innenverhältnis zwischen dem Agenten und dem Unternehmen regeln7, kommen vorbehaltlich einzelner Ausnahmen nur dann zur Anwendung, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Es gilt also der Grundsatz der Vertragsfreiheit gemäß Art. 19 TOG. Für die Auslegung von Willenserklärungen ist außer Art. 18 TOG, wonach ohne Rücksicht auf die gebrauchten Ausdrücke und Bezeichnungen der wirkliche gemeinsame Vertragszweck zu erforschen ist, auch Art. 2 Abs. 1 Satz 2 THGB von Wichtigkeit, wonach bei der Auslegung von Willenserklärungen auch Handelsbräuche zu beachten sind. B. Was als "streitgegenständliche Vereinbarung" im Sinne der Beweisbeschlüsse anzusehen ist, bedarf der Klärung: a) Wie sich aus der Aktennotiz von A. C. R., Generalbevollmächtigter der Beklagten, vom 8.1. 1974 (BI. 18 d. A.) ergibt, ist bis zu diesem Zeitpunkt ein sog. "TMC-Standard Vertretungsvertrag" nicht abgeschlossen worden, obwohl der Abschluß eines "Vertretervertrags" in der zwischen den Parteien am 17. Mai 1972 in München schriftlich abgeschlossenen "Kundenschutzvereinbarung" (Anl.1 zur Klage) "in Aussicht gestellt" und der Abschluß eines Alleinvertretungsvertrags mit der Klägerin in der englisch formulierten Vereinbarung (Agreement) vom 26. März 1973 (BI. 138, 139 d. A.) festgelegt worden ist. Auf die an die Parteien gerichtete Frage, ob dieser Vereinbarung entsprochen worden ist, erhielt ich trotz der Auflage des Gerichts vom 24. 1. 1978 keine Antwort. 5 Ebenso Doganay S.404; Imregün S. 104; Karayal~in S. 517; Tekinalp (Acenta sözle~mesi) S. 26. Nach Art. 117 Ziffer 3 THGB finden die Vorschriften über den Agenturvertrag auch Anwendung auf diejenigen, die im Namen und für Rechnung eines ausländischen kaufmännischen Unternehmens, das in der Türkei keine Niederlassung hat, geschäftlich tätig sind. 8 Ebenso Karayal~in S. 517 und Doganay S. 404 in übereinstimmung mit der Entscheidung des Handelssenats des türk. Kassationshofs vom 29. 3. 1972, E 72/1257 - K 72/1590 in Batider 1972 Band VI Heft 3 S. 616, während Imregün S. 104 in diesen Fällen schriftliche Form für den gesamten Vertrag für erforderlich hält. 7 Vgl. Tekinalp, Acenta sözle~mesi S. 83.
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b) Auch wenn dieser beabsichtigte förmliche Alleinvertretungsvertrag nicht zum Abschluß gekommen ist, reichen die beiderseitigen Willenserklärungen aus, um aus ihnen einen teils schriftlich vereinbarten, teils durch die gesetzlichen Bestimmungen ergänzten Agenturvertrag nach türkischem Recht abzuleiten. Die oben erwähnte Aktennotiz qualifiziert die Kundenschutzvereinbarung vom 17. Mai 1972 als "leistungsabhängige Vereinbarung", die "zu provisionieren (ist) für die ,Projekt notwendigen Operationen' wie Unterstützung bei Vertrags abschluß und Durchführung der notwendigen Projektabwicklungsaufgaben". Da in der rund einen Monat nach dem Datum dieser Aktennotiz gegenüber der Industrie- und Handelskammer abgegebenen Erklärung der Beklagten ausdrücklich gesagt wird, daß die Klägerin seit dem 17. Mai 1972 (d. h. seit dem Datum der "Kundenschutzvereinbarung"!) die Beklagte
beim Vertrieb ihrer Nachrichtengeräte auf dem türkischen Markt vertrete, kann davon ausgegangen werden, daß - wohl nach mancherlei Vorbesprechungen und Vorverhandlungen - der Umfang der Interessenwahrungspflicht der Klägerin zunächst allein durch das Projekt bestimmt war, für das der Klägerin der exklusive Kundenschutz auf bestimmte Zeit eingeräumt wurde. Die Klägerin sollte also noch nicht Alleinvertreterin der Beklagten auf dem türkischen Markt sein, sondern lediglich bei den Bemühungen, das genannte sich anbahnende Projekt zur Vertragsreife zu bringen, dagegen geschützt sein, daß die Beklagte auch noch andere Personen zwecks Vermittlung des Vertragsabschlusses mit der türkischen Heeresverwaltung betraute. Daß dies der Sinn der "Kundenschutzvereinbarung" allein für das darin bezeichnete Projekt gewesen ist, ergibt sich mit voller Deutlichkeit aus dem "Agreement" vom 26. 3. 1973 (BI. 139 d. A.), wonach bis zum Abschluß des vorgesehenen Generalvertretungsvertrags es bei den "derzeit geltenden Vereinbarungen über Alleinvertretungsrechte für a) Radio Set ANIPRC - 6T vom 17. 5. 1972 b) Vehicular Radio Set Com - 80 vom 12.1.1973" bleiben solle. Hieraus ist zugleich zu ersehen, daß neben dem Projekt, das Gegenstand dieses Prozesses ist, noch ein weiteres Projekt vom 12.1.1973 der Klägerin zur Vermittlung anvertraut war und schließlich noch ein drittes Projekt, wie sich aus dem Fernschreiben der Klägerin an die Beklagte vom 5. 12. 1974 (BI. 20 bzw. 43 d. A) ergibt. Diese Auslegung der Kundenschutzvereinbarung, in der außer dem befristeten Ausschließlichkeitsrecht der Klägerin auch die in diesem Augenblick der Höhe nach noch unbestimmbare Provision nur in ihrer Höchst- und Mindestgrenze (zwischen höchstens 10 010 und mindestens 5 °/0 der Kaufpreissumme) festgelegt wurde, dürfte wohl nach dem gemeinsamen Parteiwillen der gesetzlichen Bestimmung von Art. 118 THGB am nächsten kommen. Dieser Artikel besagt:
Nr.4
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Wenn nicht schriftlich das Gegenteil vereinbart worden ist, darf der Geschäftsherr zur gleichen Zeit und im gleichen Ort oder Bezirk für denselben Handelszweig nicht mehr als einen Agenten bestellen, ebenso wie auch der Agent im gleichen Ort oder Bezirk keine Vermittlungstätigkeit fÜr Rechnung mehrerer kaufmännischer Unternehmen entfalten darf, die miteinander in Wettbewerb stehen. Dies besagt, daß für alle Agenturverträge für beide Teile das Prinzip der Ausschließlichkeit gilt, das dem Grundsatz von Art. 1749 des italienischen Zivilgesetzbuchs von 1942 nachgebildet ist: Das Unternehmen darf während der Dauer des Vertrags in dem Tätigkeitsbezirk des Agenten für den gleichen Handelszweig keinen weiteren Agenten bestellen, während der Agent für kein Konkurrenzunternehmen tätig werden darfB. Verstöße gegen diese nur durch schriftliche Vereinbarung abänderbare gesetzliche Bestimmung wären als positive Vertragsverletzung zu qualifizierenD. Bei dieser Rechtslage dürfte die schriftlich getroffene Kundenschutzvereinbarung vom 17. Mai 1972 dahin auszulegen sein, daß das gesetzliche Ausschließlichkeitsrecht der Klägerin auf das konkrete Projekt und die vereinbarte Zeitdauer eingeschränkt wurde, während die Beklagte außerhalb dieser sachlichen und zeitlichen Grenzen auch noch andere Agenten bestellen durfte. Nur diese Auslegung dürfte dem gemeinsamen Zweck der Parteien vor Abschluß des von ihnen vorgesehenen Generalvertretungsvertrags entsprechen. c) Aus dem Umstand, daß die Dauer des exklusiven Kundenschutzes zu Lasten der Klägerin und die Höhe und Konditionen der dieser zu gewährenden Provisionen für jedes einzelne Projekt gesondert vereinbart wurden, könnte der Schluß gezogen werden, daß zwischen den Prozeßparteien kein einheitliches Rechtsverhältnis vorliegt, sondern mehrere voneinander unabhängige Verträge abgeschlossen worden sind. Dieser Schluß dürfte aber den tatsächlichen Verhältnissen Gewalt antun; denn sowohl die Klägerin als auch die Beklagte hatten von Anfang an ein einheitliches Vertragsverhältnis im Auge und betrachteten das zeitlich erste Projekt als Beginn einer dauernden Geschäftsverbindung und als Probe, bei deren günstigem Bestehen ein Alleinvertretungsvertrag schriftlich abgeschlossen werden sollte. Auch wenn es dazu nicht gekommen ist, haben beide Parteien ihre geschäftlichen Beziehungen als einheitliches Rechtsverhältnis aufgefaßt und dies deutlich gemacht: Dies 8 Hirsch, Lehrbuch Nr. 7431 I und ZHR S. 183; Doganay S. 411, Karayalcin S. 516/517; Tekinalp, Acenta sözleiilmesi S.15. Siehe auch "Rechtsprobleme im deutsch-türkischen Geschäftsverkehr" in: Mitteilungen der Bundesstelle für Außenhandelsinformationen, Dezember 1977, 27. Jahrgang Nr. BM 321 Seite 4. 9 Ebenso der Handelssenat des türk. Kassationshofs in einer Entscheidung vom 13. 6. 1968 E 66/3917 - K 68/3689 in Batider 1969 Bd. V S. 284.
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ergibt sich hinsichtlich der Klägerin aus ihrem Brief an die Beklagte vom 6.12.1974 (BI. 22 bzw. 45 d. A.), hinsichtlich der Beklagten aus ihrem Brief an die Klägerin vom 11.12.1974 über die Lösung der "bestehenden Geschäftsbeziehung" . Dies hindert nicht dar an, die einzelnen Projekte rechtlich gesondert zu betrachten, soweit für die Dauer des "Kundenschutzes", die Höhe und Zahlungsvoraussetzungen der Provision und dergleichen jeweils besondere Vereinbarungen getroffen worden sind. Streitigkeiten, die sich insofern bei einem Projekt ergeben, brauchen somit weder die anderen Projekte zu berühren noch die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen für nicht vertraglich geregelte Umstände auszuschließen. Es liegt mit anderen Worten ein Agenturvertrag als Rahmenvertrag vor, kraft dessen die Beklagte mit der Klägerin übereingekommen ist, daß diese als Vermittlungsagent um den Absatz von Waren der Beklagten in der Türkei bemüht sein soll, ohne daß die Klägerin darauf ein Ausschließlichkeitsrecht hat, es sei denn, daß dieses für jedes einzelne Projekt ebenso wie die mit der Provision zusammenhängenden Fragen jeweils vereinbart werden. Soweit Vereinbarungen nicht getroffen sind, gelten die gesetzlichen Bestimmungen über den Agenturvertrag. Dies bedeutet, daß, solange der Rahmenvertrag lief, die Klägerin die ihr als Agent gesetzlich obliegenden Pflichten gemäß Art. 123 und 124 THGB zu erfüllen hatte, ohne einen Provisionsanspruch zu haben. Einen solchen hatte sie erst dann, wenn ein Projekt durch ihre Vermittlung tatsächlich zum Vertragsabschluß geführt hatte. Die Voraussetzungen für die Entstehung, Höhe und Fälligkeit der Provisionsansprüche konnten gesondert für jedes einzelne Projekt vereinbart werden. Für das streitgegenständliche Projekt ist dies geschehen (vgI. außer der Kundenschutzvereinbarung vom 17. Mai 1972 die Ergänzungsvereinbarung vom 5. Juli 1972). Aus diesen Schriftstücken ist zu entnehmen, daß mit dem Zustandekommen des Kaufvertrags zwischen der Beklagten und der türkischen Heeresverwaltung der Provisionsanspruch mit der aufschiebenden Bedingung entstanden ist, daß die Kaufpreiszahlungen bei der Beklagten eingehen. Sobald diese Bedingung eintrat, wurden die Provisionsansprüche pro rata der eingegangenen Zahlungen binnen eines Monats nach Eingang fällig. d) Für die Verjährung einer Provisionsforderung aus einem Agenturvertrag besteht die Sondervorschrift von Art. 126 Abs. 4 TOG. Sie ist durch Art. 41 lit. 11 c des Einführungsgesetzes zum THGB mit Wirkung vom 1. Januar 1957 dem TOG eingefügt worden und besagt, daß für alle Klagen, die aus einem Agenturvertrag entstehen, eine Verjährungsfrist von nur fünf Jahren besteht. Angesichts dieser ausdrücklichen Vorschrift ist für die Verweisungsnorm in Art. 116 Abs.2 THGB auf die Vorschriften über den Makler um so weniger Raum, als entgegen der auch in diesem Punkt fehlerhaften Rechtsauskunft des türkischen Ju-
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stizministeriums (BI. 114/115 d. A.) eine Maklerschlußnote nicht ausgestellt worden ist und nicht werden konnte, weil die Klägerin in keiner rechtlichen Beziehung zur türkischen Heeresverwaltung stand. Die Ausstellung einer Schlußnote seitens des Maklers ist aber Voraussetzung für den Anspruch auf die Maklerprovision, falls beide Parteien nicht auf die Ausstellung verzichten10 • Die fünf jährige Verjährungsfrist konnte frühestens am Tag der Fälligkeit der letzten Provisionsforderung zu laufen beginnen (Art. 128 Satz 1,130 in Verbindung mit Art. 76 Ziffer 3 TOG). Sie ist durch Klageerhebung im April 1976 unterbrochen worden (Art. 133 Ziffer 2 TOG). Von der Unterbrechung an lief eine neue zehnjährige Verjährungsfrist (Art. 135 Abs. 1 TOG). 4. Ich komme somit zu dem vorläufigen Ergebnis, daß zwischen den Parteien ein Agenturvertrag als Dauerrechtsverhältnis zustande gekommen ist, das, falls nicht schon früher Abreden getroffen worden sind, mit der "Kündigungsschutzvereinbarung" vom 17.5.1972 begann und, falls die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund rechtmäßig war, mit dem Kündigungsschreiben vom 24.4.1975 aufgelöst worden ist. Dieser Agenturvertrag gewährte der Klägerin ein Ausschließlichkeitsrecht nur für die Vermittlung von Projekten, die sie im Einvernehmen mit der Beklagten zu fördern und zum Abschluß zu bringen hatte, und Provisionsansprüche lediglich unter den für jedes einzelne Projekt vereinbarten Bedingungen. Im übrigen galten die gesetzlichen Bestimmungen. Die streitgegenständliche Vereinbarung über das zeitlich erste Projekt ist deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der gesamten Geschäftsbeziehung, d. h. des Rahmenvertrags zu beurteilen. II
Zu den Fragen der Beweisbeschlüsse 1. Die Fragen in den Beweisbeschlüssen vom 16.11. und 13.12.1977 sind anläßlich der Darstellung der zwischen den Prozeßparteien bestehenden rechtlichen Beziehungen bereits beantwortet und zwar a) über den Unterschied zwischen einem Handelsvertreter (Vermittlungsagent) und einem Handelsmakler und die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen unter Ziffer 1 - 2; b) über den Provisionsanspruch des Maklers und des Vermittlungsagenten und dessen Verjährung unter Ziffer I - 3 - B - c, d. 2. Zu beantworten sind demnach noch die Fragen des Beweisbeschlusses vom 1.12.1976 (BI. 90/91 d. A.) in Verbindung mit dem Beweisbeschluß vom 24. 1. 1978 (BI. 151/152 d. A.). 10 Ebenso Imregün S. 124; Karayalcin S. 507.
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Nr.4 A. Frage
Bedurfte der streitgegenständliche Vertrag bei Anwendung türkischen Rechts zu seiner Rechtswirksamkeit behördlicher Genehmigung und ist er in Ermanglung einer solchen als unwirksam anzusehen? Antwort
a) In der Rechtsauskunft des türkischen Justizministeriums wird ausgeführt, im türkischen Obligationenrecht gelte für Verträge der Grundsatz der Formfreiheit, es sei denn, daß gesetzlich die Einhaltung einer Form als Gültigkeitsvoraussetzung vorgesehen sei. Diese Bestimmung des Art. 11 Abs.1 TOG wird ergänzt durch Art. 1466 THGB, wonach vorbehaltlich von Sonderbestimmungen Geschäfte oder Klauseln, die durch "handelsrechtliche Vorschriften" verboten sind, nichtig sind. Handeisrechtliche Vorschriften sind gemäß Art. 1 THGB außer den Bestimmungen des THGB selbst, das einen untrennbaren Bestandteil des TZGB bildet, die in anderen Gesetzen gegebenen Sondervorschriften für Geschäfte, Handlungen und Angelegenheiten, welche ein Handels-, Fabrikations- oder ein anderes in kaufmännischer Art geführtes Unternehmen betreffen. b) Zu diesen Sondervorschriften gehört auch das von der Beklagten erwähnte vorläufige Gesetz vom 30. November 1330 (alte Zeitrechnung) über ausländische Aktien- und Kapitalanteilgesellschaften sowie ausländische Versicherungsgesellschaften (= Ecnebi anonim ve sermayesi eshama münkasem ~irketlerle ecnebi sigorta ~irketleri hakkmda kanunu muvakkat; veröffentlicht in der amtlichen Gesetzessammlung Düstur, Reihe H, Band 7, S. 142 ff.). Im türkischen Schrifttum ist die bisher höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage umstritten, ob das Gesetz noch in Geltung steht. Die herrschende Meinung bejaht diesl l • Eine Stellungnahme zu dieser Streitfrage erübrigt sich, da dieses Gesetz im vorliegenden Falle aus zwei Gründen nicht anwendbar ist: Einmal enthält das Gesetz keine einzige handelsrechtliche Vorschrift, welche ein Geschäft oder eine Vertragsklausel verbietet; lediglich bestimmten Behörden ist die Befugnis erteilt, bei Nichterfüllung der verwaltungsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes die Strafverfolgung einzuleiten oder vorläufig den Abschluß von Geschäften zu verbieten. Noch nicht einmal dafür liegen Anhaltspunkte vor. Zum andern ist das Gesetz im vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar, weil die Klägerin als selbständiger Kaufmann im Sinne des THGB nicht als eine zum Unternehmen der Beklagten gehörige "Zweigniederlassung oder Agen11 z. B. Domanicl9amoglu S.1043 Fußnote; Karayalcin S.294 Fußnote 32; PoroylTekinalpl9amoglu Bd. I S. 332; Tekinalp (Acenta sözle~mesi) S. 125 fußnote 1.
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turbüro" qualifiziert werden kann. Das im Gesetz gebrauchte Wort "aeentahane" bedeutet eine nicht als Zweigniederlassung qualifizierbare kleinere Betriebsstätte, die wie Agenturen von Schiffahrtsunternehmen, Büros von Fluggesellschaften oder Depositenkassen von Banken unselbständige Abteilungen des Unternehmens sind, von dem aus sie geleitet werdenl2 • Derartige Zweigniederlassungen und Agenturbüros ausländischer Gesellschaften besitzen, da sie zum Vermögen der ausländischen Gesellschaft gehören, nach Art. 11 des genannten Gesetzes die Staatsangehörigkeit der ausländischen Gesellschaft (= ~ube veya aeentahaneler aS11 ~irketin tabiyetini haiz olaeaklardlr), ein Umstand, der auf das Unternehmen der Klägerin nicht zutrifft. e) Die Klägerin ist als Vermittlungsagent und nicht als Abschlußagent tätig geworden. Sie ist lediglich als Mittlerin im Interesse der Beklagten, nicht aber als deren bevollmächtigte Vertreterin gegenüber dritten Personen, insbesondere gegenüber den zuständigen Stellen der türkischen Heeresverwaltung aufgetreten. Dies ergibt sich mit hinlänglicher Deutlichkeit aus den zu den Akten überreichten beiden Schreiben der türkischen Heeresverwaltungsstellen (BI. 28/29 und BI. 34/35 d. A.). In beiden Schreiben wird herausgestellt, daß der Vertragspartner der türkischen Heeresverwaltung unmittelbar die Beklagte geworden ist, während die Klägerin "lediglich den auf diesen Vertrag bezüglichen wechselseitigen Informationsaustausch vermittelt hat" (= "konu mukavelenin yalmz kar~lhkh muhaberatma tavassut ettigi"), wie es im Schreiben vom 8.4. 1975 ausgedrückt wird, mit dem Zusatz: "der Umstand, daß ihr (seil. der Klägerin) die Aufgabe übertragen worden ist, die mit dem Vertrag zusammenhängenden Angelegenheiten in der Türkei zu erledigen, ist bei uns offiziell nicht vermerkt". Genau dies entspricht der schon wiederholt erwähnten Aktennotiz des Generalbevollmächtigten der Beklagten vom 8.1.1974, wonach die Klägerin bisher den TMCStandard Vertretungsvertrag nicht abgeschlossen hat. Hätte die Beklagte die Klägerin zu ihrem bevollmächtigten Vertreter machen wollen, so hätten die diesbezüglichen Vollmachtsurkunden zum Handelsregister in Ankara und Istanbul eingereicht, registriert und bekanntgemacht werden müssen (Art. 121 Satz 2 THGB); denn ohne besondere schriftliche Einwilligung ist der Handelsvertreter nicht ermächtigt, im Namen des Geschäftsherrn Verträge abzuschließen (Art. 121 Satz 1 THGB). In dem bereits erwähnten Schreiben der Kommandantur vom 5.2. 1975 (BI. 29 d. A.) werden die aufgetretenen Schwierigkeiten gerade auf die "unmittelbaren Beziehungen" und den Umstand zurückgeführt, 12
Vgl. Entscheidungen des Handelssenats des türk. Kassationshofs vom
25. 11. 1961 und 14. 10. 1971 in Batider Bd. I, Heft 4, S. 598 und Bd. V, Heft 3, S.617.
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daß die Beklagte in der Türkei nicht wirksam "vertreten" ist. Hier wird das türkische Wort "temsil" gebraucht, das juristisch die auf Vollmacht beruhende rechtsgeschäftlich erteilte Stellvertretung bedeutet13 • Dieser Umstand fällt aber nicht der Klägerin zur Last, da die Beklagte in ihrer bereits erwähnten Mitteilung an die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern vom 12.2. 1974, also rund 21 Monate nach dem Datum der ersten Kundenschutzvereinbarung, lediglich bestätigt, daß die Klägerin die Beklagte beim Vertrieb ihrer Nachrichtengeräte auf dem türkischen Markt mit Erfolg vertritt. Da der von der Klägerin vermittelte Vertrag Ende des Jahres 1973 unmittelbar zwischen der Beklagten und der zuständigen Stelle der türkischen Heeresverwaltung abgeschlossen worden ist, ist nicht erkennbar, inwieweit die Klägerin die Beklagte arglistig dadurch getäuscht haben soll, daß nach den türkischen gesetzlichen Vorschriften über Ausschreibungen bei öffentlichen Aufträgen "Vermittler" nicht zugelassen sind. Dies ist auch bei zahlreichen Ausschreibungen für öffentliche Aufträge im Bereich der Bundesrepublik Deutschland nicht anders, da der Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung für den Bereich der Beschaffungen des Staates die Behörden dazu anhalten soll, Verträge nicht mit Zwischenhändlern, sondern nur unmittelbar mit solchen Unternehmen abzuschließen, die selbst für ihre Leistungsverpflichtungen einstehen. Der Ausschluß von "Vermittlern" als Vertragspartner ist aber kein Hindernisgrund dafür, daß ein Unternehmen, das auf solche Ausschreibungen hin den öffentlichen Auftrag für sich zu erlangen sucht, sich dabei jeder Hilfsperson bedienen darf, gleichgültig, ob diese als Angestellter in das Unternehmen durch Dienst- oder Arbeitsvertrag eingegliedert ist oder durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag zu diesem Zweck engagiert wird. Es ist keine türkische Rechtsvorschrift ersichtlich, welche den unmittelbaren Abschluß von Warenlieferungsverträgen zwischen einer GmbH mit Sitz in München und den zuständigen Beschaffungsstellen der türkischen Heeresverwaltung verbietet, auch wenn Vorbesprechungen, Fragen und Rückfragen persönlich durch einen nicht abschlußberechtigten und als Empfangs- oder Erklärungsbote rechtlich zu qualifizierenden Mittelsmann geführt werden und der Schriftwechsel durch dessen Hände geht. Gerade diese Aufgaben liegen einem Vermittlungsagenten ob, der als türkischer Kaufmann die Produkte eines deutschen Unternehmens im Rahmen einer Ausschreibung der türkischen Militärbehörde absetzen solp4. 13 über das Problem des HandeIns im Namen eines anderen auf Grund einer entsprechenden Vollmacht siehe Tekinalp (Acenta sözle~mesi) S. 132, 133 und (Temsil Yetkisi S. 14, 15). 14 über den Unterschied zwischen Stellvertreter und Bote = "muhbir" oder "elci" oder "haberci" siehe Tekinalp, Temsil yetkisi S. 18/19; Tuncomak
S.239.
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d) Ich komme somit zu dem vorläufigen Ergebnis, daß der streitgegenständliche Vertrag bei Anwendung türkischen Rechts zu seiner Rechtswirksamkeit keiner behördlichen Genehmigung bedurfte. Der Vertrag verstößt nicht gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung der Türkei und ist demgemäß nach Art. 19 TOG rechtswirksam zustande gekommen. B. Frage
Unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen konnte bei Anwendung türkischen Rechts die streitgegenständliche Vereinbarung für die Beklagte fristlos kündbar sein bzw. eine Anfechtung rechtfertigen? Antwort
a) Da der Agenturvertrag, wie oben Ziffer I - 2 C gezeigt wurde, ein handelsrechtliches Institut ist, bedarf der Prüfung, ob für die Auflösung eines derartigen Vertrags handelsrechtliche Sondervorschriften gegeben sind, die als lex specialis den Vorrang vor den in der Rechtsauskunft des Türkischen Justizministeriums aufgeführten allgemeinen Vorschriften des TOG haben. Art. 133 THGB bestimmt unter der Überschrift "Beendigung des Agenturvertrags" folgendes: "Einen nicht auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Agenturvertrag kann jede der Parteien mit einer Frist von drei Monaten zur Auflösung kündigen; auch wenn vertraglich eine Zeit bestimmt ist, kann der Vertrag aus wichtigen Gründen jederzeit aufgelöst werden." (Absatz 2 ist hier gegenstandslos). In bei den Fällen ist die Formvorschrift von Art. 20 THGB zu beachten. Nach Absatz 3 dieser Bestimmung ist zwischen Kaufleuten zur Wirksamkeit von Erklärungen und Androhungen in der Absicht, den anderen Teil in Verzug zu setzen, den Vertrag zu kündigen oder von ihm zurückzutreten, Bedingung, daß die Erklärung durch Vermittlung eines Notars, durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein oder durch Telegramm erfolgt. Es handelt sich nicht um eine Beweisvorschrift, sondern, wie in Lehre und Rechtsprechung unbestritten ist, um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Erklärungl5 • Deshalb konnte der Brief der Beklagten an die Klägerin vom 11.12. 1974 (BI. 23 d. A.) mit der Erklärung, "die bestehende Geschäftsbeziehung zu lösen", mangels Einhaltung der gesetzlichen Formvorschrift die gewollte Rechtswirkung nicht entfalten. Aus demselben Grund 15
Arslanli S. 67/6B; Doganay S. 121; Karayal!;in S. 226; Yildirim S.110 und
die dortigen Nachweise. 4 Hirsch
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konnte er noch nicht einmal die Klägerin in Verzug setzen bzw. dazu dienen, einer in Verzug geratenen Partei bei einem gegenseitigen Vertrag wirksam die gemäß Art. 81 und 106 TOG erforderliche Nachfristsetzung zu ermöglichen16 • Die bestehende Geschäftsbeziehung lief also weiter. Somit kann erst der formgerechte Brief der Beklagten an die Klägerin vom 24.4.1975 (BI. 36 d. A.) als Erklärung der Kündigung und der Anfechtung wegen Täuschung angesehen werden. Allerdings ist unklar, ob die Beklagte die gesamte "bestehende Geschäftsbeziehung" wie im oben erwähnten Brief vom 11. 12. 1974 im Auge gehabt hat oder lediglich das erste innerhalb dieser Geschäftsbeziehung geförderte Projekt. Für das letztere spricht der Vermerk am Kopf des Briefes: "Betr. Projekt AN/PRC-6T, Contract Code Nr. 6044 Ted 6". Andererseits spricht die im ersten Absatz des Briefes gewählte Formulierung: "den mit Ihnen bestehenden Vertretungsvertrag fristlos zu kündigen", mehr für die Auffassung, daß die Beklagte ganz allgemein von der Klägerin loskommen wollte. Die Entscheidung darüber steht mir nicht zu. Ich mache nur deshalb auf diese Unklarheit aufmerksam, weil ebenso wie bei anderen Rahmenverträgen die Rechtsunwirksamkeit eines in den Rahmen fallenden Geschäfts nicht notwendig die Rechtsunwirksamkeit des gesamten Rahmenvertrags und der anderen in ihn fallenden Geschäfte zur Folge haben muß. Da lediglich das zeitlich erste Projekt den Streitgegenstand bildet, betrachte ich diese Beziehung unter den beiden Gesichtspunkten der Kündigung und der Anfechtung. b) Die streitgegenständliche Vereinbarung war nicht auf eine kalendermäßig bestimmte Frist beschränkt. Den Grund für die zeitliche Befristung der Kundenschutzvereinbarung bildete ebenso wie ihre sachliche Beschränkung auf ein bestimmtes Projekt der Umstand, daß die Klägerin zunächst nicht die Stellung eines Alleinvertreters der Beklagten für die Türkei erhalten sollte, hatte aber mit der Laufzeit des Agenturvertrags nichts zu tun. Dies ergibt sich vor allem daraus, daß die Schreiben der Beklagten über ihre Provisionszahlungsverpflichtung gegenüber der Klägerin vom 8., 9. UiD.d 10. Januar 1974 davon ausgehen, daß der kürzlich erfolgte Vertragsabschluß zwar den Provisionsanspruch der Klägerin hat entstehen lassen, daß aber damit allein der Agenturvertrag nicht sein Ende gefunden hat. Dies ist bereits der Ergänzungsvereinbarung vom 5.7.1972 zu entnehmen, wonach die Provisionszahlungen abhängig gemacht werden von dem Eingang der Zahlungen auf den Kaufpreis, diese ihrerseits aber nach den Angaben der Klägerin von der Verschiffung der Waren abhängen. Da nach der Behauptung 16 Vgl. Entscheidung des Handelssenats des türk. Kassationshofs vom 17.9. 1959 E 2034 - K 2195 bei Domanic/C;amoglu S. 53 Nr. 108.
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der Klägerin (Schriftsatz vom 15.12.1977 BI. 146/147 d. A.) die letzte Teillieferung erst am 2.7.1975 verschifft worden sein soll, konnte die aufschiebende Bedingung für die Fälligkeit der letzten Provisionsrate erst nach dem genannten Zeitpunkt eintreten. Da der Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung ungewiß war, liegt ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossener Agenturvertrag vor, der nach Art. 133 THGB mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten auflösbar war, ohne daß ein bestimmter Kündigungsgrund vorliegen muß. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 14.4.1975 ergibt sich aber, daß sie den Vertretungsvertrag "fristlos" kündigen wollte. Eine derartige Kündigung löst den Vertrag sofort auf und zwar, da es sich um ein Dauerrechtsverhältnis handelt, mit Wirkung für die Zukunft, ohne Rückwirkung auf die Vergangenheit17• Die fristlose Kündigung ist aber nur wirksam, wenn "wichtige Gründe" (= "muhik sebepler") vorliegen. Ob dies der Fall ist, hat das Gericht zu entscheiden. Als Sachverständiger kann ich nur aufzuzeigen versuchen, was nach türkischer Lehre und Rechtsprechung unter den genannten Begriff fällt. In dem von hervorragenden türkischen Juristen verfaßten und vom Türkischen Rechtsverein (Türk Hukuk Kurumu) herausgegebenen Türkischen Rechtswörterbuch (Türk Hukuk Lugati, Ankara 1944) heißt es auf S. 245: Muhik sebepler (deutsch: wichtige Gründe; berechtigter Weise - franz. justes motifs; - engl. cogent grounds): Berechtigte oder wichtige Gründe bedeuten Gründe, die den Gebrauch des Ermessensrechts des Richters notwendig machen. Liegen derartige Gründe vor, so ist der Richter verpflichtet, selbst die Umstände und Verhältnisse pro und contra abzuwägen, objektive Werturteile zu fällen und seine Entscheidung auf diese Urteile zu stützen. Die zeitlich jüngste Zusammenfassung der türkischen Lehre und Rechtsprechung zu der Bedeutung des Begriffs "wichtige Gründe" als Mittel zur Beendigung aller Dauerschuldverhältnisse ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist findet man in der Monographie von Ersin (;amoglu. Gestützt auf zahlreiche Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum stellt der Autor fest, daß es sich um einen relativen Begriff handle, der nach den Besonderheiten eines jeden Rechtsverhältnisses und eines jeden konkreten Sachverhalts verschieden sei. Deswegen verzichteten die Gesetzgeber auf den Versuch, eine allgemeine Begriffsbestimmung zu geben, und überließen diese Aufgabe in weitem Umfang dem Ermessen des Richters. In dieser Beziehung ist Art. 4 TZGB von Wichtigkeit: Danach hat der Richter in allen Fällen, für die ihm das Gesetz das Ermessensrecht ein17
Tandogan S. 42; Tuncomak § 74 c; Serozan S. 172, 175.
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geräumt hat oder ihn dazu verpflichtet hat, nach Maßgabe wichtiger Gründe (= "Muhik sebeplere nazaran") zu entscheiden, sein Urteil nach Recht und Billigkeit (= "Rak ve nisfetle") zu fällen. Nach Recht und Billigkeit zu urteilen bedeutet, unter Heranziehung der Rechtswissenschaft dasjenige Maß von Recht und Gerechtigkeit zu finden, das die tatsächlichen Verhältnisse der Parteien innerhalb der sozialen, wirtschaftlichen und moralischen Struktur des türkischen Volkes fordern 18 •
(:amoglu op. cit. gibt für alle Dauerschuldverhältnisse, bei denen ein wichtiger Grund das Recht zur fristlosen Kündigung gewährt, folgende Begriffsbestimmung: "Wichtiger (berechtigter) Grund ist eine rechtserhebliche Tatsache, die die Fortdauer einer rechtlichen Beziehung unerträglich macht und es als gerecht erscheinen läßt (im Original hervorgehoben), von der Befugnis Gebrauch zu machen, durch eine auflösende gestaltungsrechtliche Erklärung oder im Klageweg die rechtliche Beziehung enden zu lassen oder zu verändern."
(:amoglu zitiert op. cit. S. 25 auch wörtlich die entsprechende Begriffsbestimmung von Oguzman: "Ein wichtiger Grund ist ein rechtlich erhebliches Ereignis, das die Fortführung des Vertrags nach den Erfordernissen von Treu und Glauben zu einem unzumutbaren Verlangen macht." Mit anderen Worten: der Bewertungsmaßstab ist der Grundsatz von Treu und Glauben. c) Der Grundsatz von Treu und Glauben hat in Handelssachen zwei gesetzliche Grundlagen: aa) Nach Art. 2 Satz 1 TZGB ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seiner Rechte und bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen die Regeln von Treu und Glauben zu beachten. Das von mir mit "Treu und Glauben" übersetzte türkische Wort "hüsnüniyet" wird als (arabisches) Fremdwort empfunden. Man verwendet statt dessen die Ausdrücke "dürüstlük" (= Loyalität, Korrektheit, Anständigkeit, Fairneß) oder "dogruluk" (= "Rechtschaffenheit, korrektes Verhalten). In den Lehrbüchern und Gerichtsentscheidungen begegnet man auch der Ausdrucksweise "afaki iyiniyet", womit man als Gegensatz zum subjektiven "guten Glauben" das objektive Gebot des Randelns nach Treu und Glauben meint. Der Große Zivilsenat des türkischen Kassationshofs hat in einer Entscheidung vom 1. 7.1966 deutlich gemacht, daß die Verpflichtung zu einem Verhalten, das den objektiven Regeln des Anstands und der Sitte entspricht, für alle Gebiete des Rechts gilt. 18 So die Entscheidung des Handelssenats des türk. Kassationshofs vom 27. 11. 1964 E 63/5920 - K 64/668 in Batider 1964 Bd. IV S. 119.
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bb) Nach Art. 20 Abs. 2 THGB muß sich jeder Kaufmann in seiner gesamten kaufmännischen Tätigkeit wie ein umsichtiger (= "basiretli") Geschäftsmann verhalten. Diese Bestimmung geht erheblich weiter als die Vorschrift des § 347 des deutschen HGB, weil hier nur für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns derjenige einzustehen hat, der aus einem Geschäft, das für ihn ein Handelsgeschäft ist, einem anderen zur Sorgfalt verpflichtet ist. Die zitierte türkische Bestimmung gibt nicht nur eine graduelle Erweiterung der sich aus Vertrag und Gesetz ergebenden Sorgfaltspflicht, "sondern stellt ein selbständiges generelles Verhaltensgebot für Kaufleute bei allen mit ihrem kaufmännischen Unternehmen zusammenhängenden Tätigkeiten dar. Dieses Verhaltensgebot ist eine selbständige Pflichtgrundlage, die je nach den Verhältnissen des Einzelfalles für den Kaufmann bestimmte Pflichten begründet, welche als solche zu dem Verhalten eines ordentlichen Geschäftsmannes in Anbetracht der Verkehrssitte, der Handelsbräuche oder nach Lage der Dinge als zugehörig angenommen werden" (so wörtlich Ylldlrrm S.108). Unter Hinweis auf die einschlägige türkische Literatur und Rechtsprechung führt Imregün S.29 aus: (übersetzung) "Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet ist ein Verhalten wie ein umsichtiger Geschäftsmann nicht nur ein Maß der Sorgfalt; sondern zu den vertraglich und gesetzlich vorgesehenen Verbindlichkeiten gesellen sich diejenigen Verpflichtungen, welche das Verhalten wie ein umsichtiger Kaufmann eigens für sich selbst mit sich bringen". Das geforderte Verhalten bestimmt sich nicht nach subjektiven Kriterien, sondern nach objektiven Gesichtspunktenl9 • In seinem Kommentar zum THGB führt Doganay, Mitglied des für Handelssachen zuständigen Senats des türk. Kassationshofs, auf S.120 aus (in deutscher Übersetzung): "Das Merkmal ,Verhalten wie ein umsichtiger Geschäftsmann' hat vor allem bei der Feststellung und Bestimmung der Frage, ob ein wichtiger Grund oder ein nicht voraussehbares Ereignis vorliegt, eine große Bedeutung. Denn die Möglichkeit, daß ein Kaufmann von der rechtlichen Verpflichtung aus einem von ihm abgeschlossenen Vertrag befreit wird, hängt allein von dem Vorhandensein eines wichtigen Grundes oder eines nicht vorhersehbaren Umstandes ab. Um mit der Behauptung gehört zu werden, daß ein solcher Vertrag aus wichtigem Grund oder wegen eines nicht voraussehbaren Umstandes nicht erfüllt werden könne, ist es erforderlich, daß ein im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unvorhersehbarer - nicht zu erwartender, nicht zu ahnender oder nicht voraussehbarer - Umstand nachträglich eingetreten ist." ce) Die vorstehenden Ausführungen betreffen das Verhalten bei der Prozeßparteien, da sie, wie oben festgestellt wurde, die Kaufmannseigenschaft besitzten. Dies ist vor allem deshalb von Belang, weil die 19
Vgl. ArslanH S. 66; Imregün S. 30.
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Beklagte im zweiten Absatz ihres Kündigungsschreibens vom 24. 4. 1975 als wichtigen Grund den Umstand bezeichnet, daß die Klägerin "entgegen den türkischen Anforderungen sich offiziell nicht hat registrieren lassen". Da die Beklagte die Klägerin nicht zu ihrem Abschlußagenten bestellt und schriftlich die Vollmacht erteilt hatte, im Namen der Beklagten auf dem türkischen Markt Geschäfte abzuschließen, sondern sie lediglich mit der Anbahnung und Vermittlung von Verträgen beauftragte, besteht weder ein öffentlich-rechtlicher noch ein privatrechtlicher gesetzlicher Zwang zu einer offiziellen Registrierung als Agent. Dies um so weniger, als die zuständigen Stellen der Heeresverwaltung die Klägerin lediglich als Bote und nicht als Stellvertreter der Beklagten angesehen und behandelt haben (vgI. oben Ziffer I - 1 - Bund II - 2 - A - c). Im Brief der Heeresverwaltung an die Beklagte vom 18.3.1975 (BI. 27 bzw. 48 d. A.) unter Ziffer 3 und 4 wird die Beklagte lediglich darauf hingewiesen, daß die Bestellung eines Vertreters, der alle staatlichen Vorschriften und Lieferungsverfahren kennt und auch angemessene technische Vorkenntnisse hinsichtlich dieses Projekts besitzt, für die rechtzeitige und brauchbare Durchführung des Projekts zweckmäßig sei, und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß ein derartiger Vertreter rasch gefunden werde. Von irgendeiner rechtlichen Verpflichtung, einen derartigen Vertreter zu bestellen, ist hier ebenso wenig die Rede wie in dem zeitlich folgenden Brief vom 8.4.1975 (BI. 35 bzw. 54 d. A.). Erkundigungen darüber einzuziehen, ob die Klägerin geeignet war, als Vermittlungs agent für die Beklagte tätig zu sein, dazu hatte die Beklagte als umsichtiger Kaufmann vor, bei und nach dem Abschluß der Kundenschutzvereinbarung vom 17.5.1972 hinreichtmd Zeit und Gelegenheit. Darüber ob der Umstand, daß die Beklagte erst durch die von ihr veranlaßten Schreiben der Heeresverwaltung auf die angeblich mangelnde Geeignetheit der Klägerin aufmerksam gemacht worden ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Agenturvertrags bildet, hat das Gericht unter Beachtung von Art. 20 Abs. 2 THGB zu entscheiden. dd) Ein wichtiger Grund zur Kündigung wäre ferner dann anzunehmen, wenn die Klägerin ihre Verpflichtung als Vermittlungsagent fortgesetzt offensichtlich nicht erfüllt hat20 • Allerdings wäre Voraussetzung dafür, daß die Beklagte die Klägerin form gerecht verwarnt und eine Nachfrist gesetzt hätte, was, wie oben (Ziffer II - 2 - B - b) bereits erwähnt wurde, mit dem Schreiben vom 11.12.1974 nicht geschehen ist. Davon abgesehen müßte zunächst einmal Klarheit darüber herrschen, welche Pflichten die Klägerin nach Abschluß des Vertrags zwischen der Beklagten und der türk. Heeresverwaltung zu erfüllen hatte. Der Hauptstreitpunkt der Parteien betrifft die Frage, ob die Klägerin 20
Karayal!;in S. 533.
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bei dem zeitlich ersten Projekt vertraglich zu mehr verpflichtet war, als den Abschluß des Vertrags anzubahnen und zu vermitteln. Da ich auf diese Frage in anderem Zusammenhang unter C. einzugehen habe, will ich hier nur prüfen, ob die Klägerin aus dem Rahmenvertrag, innerhalb dessen die Vereinbarungen über das erste Projekt zu beurteilen sind (siehe oben Ziffer I - 3 - B - c), gesetzlich gemäß Art. 123 und 124 THGB zu mehr verpflichtet war, als sie tatsächlich nach dem Zustandekommen des von ihr vermittelten Geschäfts getan hat. Nach Art. 123 Abs.1 THGB ist der Agent verpflichtet, innerhalb des ihm überlassenen Bezirks und Handelszweigs die Angelegenheiten seines Auftraggebers zu erledigen und dessen Interessen zu wahren. Nach Art. 124 Abs.1 THGB ist der Agent verpflichtet, die Mitteilungen dritter Personen, soweit er zu deren Entgegennahme befugt ist, sowie die Marktlage und Marktbedingungen in seinem Bezirk, die finanzielle Lage der Kunden und etwaige Veränderungen der genannten Punkte und alle sonstigen Umstände, die in Anbetracht der abgeschlossenen Geschäfte seinen Auftraggeber berühren, diesem rechtzeitig mitzuteilen. Aus dem Schreiben der Heeresverwaltung an die Beklagte vom 8. 4. 1975 (BI. 35 türk. Original, BI. 34 englische übersetzung, BI. 54 deutsche übersetzung) ergibt sich, daß die Klägerin als übermittlerin des wechselseitigen Informations- und Schriftwechsels, d. h. als Empfangs- und Erklärungsbote bis Ende des Monats November 1974 tätig gewesen ist. Dies ist die exakte übersetzung des türkischen Textes "Tayfun firmasinin Kasim 1974 sonundan bugüne kadar ... muhaberat i:;üerini de yürütmedigi ... ". Sowohl die englische Fassung "Tayfun did not provide handling between the end of October 1974" als auch die deutsche übersetzung "leistete die Firma Tayfun von Ende Oktober 1974 bis heute ... keine Abwicklungsarbeiten" übersetzen den türkischen Monatsnamen Kaslm = November mit Oktober und geben dem türkischen Text einen falschen Sinn. Die Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte muß aber über diesen Zeitpunkt hinaus fortgedauert haben; denn aus dem Brief der Klägerin an die Beklagte vom 6.12.1974 (deutsche übersetzung BI. 45/46 Ziffer 6 d. A.) ergibt sich, daß zu diesem Zeitpunkt die Klägerin die Beklagte darauf hinwies, daß der Schlußtermin für die Einreichung von Angeboten auf die Ausschreibung für ein neues Projekt der türkischen Armee am 16.12.1974 ablief und die Beklagte Sorge dafür tragen müsse, daß das Angebot ordnungsgemäß ausgearbeitet und über die Firma der Klägerin rechtzeitig vorgelegt werden könne. Die Antwort auf dieses Schreiben der Klägerin vom 6.12.1974 war das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 11.12.1974 über die Lösung der bestehenden Geschäftsverbindung. Wie das Fernschreiben der Klägerin an die Beklagte vom 20. 2.1975 (BI. 62 bzw. 77 d. A.) deutlich macht, scheint die Klägerin
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sogar noch bis zu diesem Zeitpunkt versucht zu haben, für die Beklagte tätig zu sein, was ihr anscheinend durch die Beklagte unmöglich gemacht wurde. Ob unter diesen Umständen die Klägerin die ihr als Vermittlungsagent gesetzlich obliegenden Pflichten verletzt hat und ob gegebenenfalls diese Verletzung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bildet, wird das Gericht zu entscheiden haben. d) Die Anfechtung eines Vertrags mit der Folge der Nichtigkeit ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässig. Die Beklagte beruft sich auf Täuschung, weil die Klägerin ihr bei Vertragsabschluß wesentliche Umstände verschwiegen habe. Eine Anfechtung wegen Täuschung ist nach Art. 28 TaG zulässig, wenn die getäuschte Partei innerhalb eines Jahres, nachdem sie von der Täuschung Kenntnis erlangt hat, der anderen Partei in der Form des Art. 20 Abs. 3 THGB die Anfechtungserklärung abgibt. Die Form ist gewahrt, weil das form gerechte Kündigungsschreiben vom 24. 4. 1975 zugleich die Erklärung der Anfechtung wegen Täuschung durch Verschweigen von Umständen enthält. Auch die einjährige Frist scheint gewahrt zu sein, da sich die Beklagte auf die schriftlichen Mitteilungen der Militärverwaltung beruft, die nur wenige Wochen vor der Anfechtungserklärung liegen. Ob jedoch in dem Verhalten der Klägerin ein Verschweigen wesentlicher Umstände zu sehen ist, die die Klägerin der Beklagten vor oder bei Vertragsabschluß nach Treu und Glauben hätte mitteilen müssen, und ob in dieser Nichtmitteilung eine Täuschung liegt, hat das Gericht zu entscheiden. Zum Zwecke der Entscheidungshilfe verweise ich auf meine oben Ziffer II - 2 - A - c gemachten Ausführungen und beschränke mich im übrigen auf die übersetzung des Begriffs "hile" nach Maßgabe des Türkischen Rechtswörterbuchs auf S. 128. "Hile" 1 - (Privatrecht) - (deutsch: arglistige Täuschung, rechtswidrige Absicht - franz. dol - engl. fraud, wilful fraud, wilful misrepresentation - lat. dolus malus, fraus). Hile ist die vorsätzliche Verursachung für die Entstehung, Bestätigung oder Aufrechterhaltung einer falschen Vorstellung durch die Art und Weise des Verhaltens einer Person, um eine andere Person zur Abgabe einer Willenserklärung oder zum Abschluß eines Vertrags zu veranlassen. Demnach ist "hile" eine vor dem Vertragsschluß liegende Täuschung, in deren Folge die andere Partei den Vertrag zustimmt." Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß, selbst wenn die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung begründet ist, die Anfechtungserklärung keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses hat, sondern das Vertragsverhältnis nur für die Zukunft vernichten kann, da sie sich auf ein Dauerrechtsverhältnis bezieht, das schon rund drei Jahre bestanden hat21 • 21
Vgl. Serozan S. 172,175; Tandogan S. 42.
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c.
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Frage
Unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen stehen dem Kläger bei Anwendung türkischen Rechts in Anbetracht der getroffenen Vereinbarungen (unter Berücksichtigung einer ev. Formnichtigkeit des schriftlichen Vertrags mangels etwa erforderlicher Genehmigung) für die nach dem Sachvortrag der Parteien effektiv geleistete (Abschluß-)Tätigkeit des Klägers Provisionsansprüche (in welcher Höhe?) zu?
Antwort 1. Da, wie oben (I - 3 - A) dargelegt wurde, eine Formnichtigkeit des Vertrags nicht vorliegt, kann für die Beantwortung der Frage von den diesbezüglichen vertraglichen Vereinbarungen ausgegangen werden.
Die Beklagte hat in ihrem Brief vom 8.1.1974 (AnI. 5 d. Klage) der Klägerin bestätigt, ihr 1 lJ/o Provision "in Übereinstimmung mit der getroffenen Vereinbarung vom 5. Juli 1972" zu zahlen. Nach dieser Vereinbarung hat die Provisions zahlung für abgeschlossene Geschäfte innerhalb eines Monats nach Eingang des Geldes zu erfolgen, wobei für Vorauszahlungen bzw. Teilzahlungen durch den Käufer der anfallende Provisionsanteil ebenfalls innerhalb eines Monats nach Eingang des Geldes gezahlt wird. Die Provisionszahlung ist also dem Grunde nach abhängig gemacht von dem Zustandekommen des von der Klägerin vermittelten Vertrags, aber aufschiebend bedingt von dem Eingang der vom Käufer geschuldeten Kaufpreiszahlungen. Mit Brief vom 9.1.1974 (AnI. 6 z. Klage) bestätigt die Beklagte, daß sie eine weitere Provisions zahlung in Höhe von 4 % zahlen werde "in Übereinstimmung mit den oben erwähnten Abkommen", d. h. der Vereinbarung vom 17.5.1972 und vom 5. 7. 1972. Diese 1 % + 4 % = 5 % Provision im Betrag von DM 202364,50 abzüglich eines unstrittigen Betrags von DM 10000,-, also DM 192364,50 sind gezahlt worden. Mit Brief vom 10.1.1974 (An!. 7 z. Klage) bestätigt die Beklagte der Klägerin schließlich, daß sie eine zusätzliche Provision in Höhe von 5 Ofo zahlen werde in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen vom 17. Mai 1972 und der Ergänzungsvereinbarung vom 5. Juli 1972. Der Gegenwert dieser 5 % ist bisher nicht gezahlt worden und bildet den Gegenstand der Klage. Diese Provision steht ganz oder pro rata der Klägerin unter der aufschiebenden Bedingung zu, daß der Käufer den Restkaufpreis ganz oder in Teilbeträgen bezahlt hat. Innerhalb eines Monats nach Zahlungseingang war die Provision an die Klägerin zu zahlen. Wenn, wie die Klägerin behauptet (BI. 146/147 d. A.), der letzte Teil der Waren am 2.7. 1975 verschifft worden ist und mit der Verschiffung der Restkaufpreis
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fällig wurde, ist unter der Voraussetzung, daß die Behauptung der Klägerin richtig ist, innerhalb eines Monats nach Eingang des Restkaufpreises bei der Beklagten auch die aufschiebende Bedingung für die Zahlung der restlichen Provision von 5 Ofo in Höhe des Klagebegehrens eingetreten. 2. Die Beklagte wendet in ihrem Schriftsatz vom 10. 5. 1976 (BI. 16 d. A.) ein, die Klägerin hätte nicht nur den Geschäftsabschluß zu vermitteln gehabt, sondern auch die Vertragsabwicklung in der Türkei zu betreiben gehabt. In demselben Schriftsatz (BI. 11 d. A.) wird behauptet, bei Besprechungen sei ausdrücklich festgelegt worden, daß die Klägerin außer der zum Abschluß eines Vertrags führenden Vermittlung "außerdem Projektsabwicklungsaufgaben in der Türkei zu übernehmen habe". Als Beweis für diese angeblich mündlich getroffenen Absprachen beruft sich die Beklagte auf die Aktennotiz ihres Generalbevollmächtigten R. vom 8.1. 1974 (BI. 18 d. A.) und benennt diesen als Zeugen für die Richtigkeit des Inhalts der Aktennotiz. Da die Klägerin diese Einwendung der Beklagten bestreitet (BI. 57/58 d. A.), müßte Beweis darüber erhoben werden, daß die in den oben erwähnten drei Schreiben vom 8., 9. und 10. Januar 1974 ausdrücklich als Grundlage der Zahlungsverpflichtung in Bezug genommene Ergänzungsvereinbarung vom 5. Juli 1972 (AnI. 3 z. Klage), wonach "die Provisionszahlung für abgeschlossene Geschäfte" erfolgt, unvollständig ist und auf Grund mündlicher Vereinbarung der Parteien im Sinne der Aktennotiz vom 8.1.1974 ergänzt worden ist. Die Beweislast dafür trägt die Beklagte nach Art. 6 TZGB, wonach jede der Parteien ihre Behauptungen zu beweisen hat, soweit das Gesetz nichts Gegenteiliges bestimmt. 3. Es fragt sich aber, ob es auf diese Beweiserhebung überhaupt ankommt, was das Gericht unter Berücksichtigung von Art. 23 THGB zu entscheiden hat. a) Diese Gesetzesbestimmung trägt die Überschrift "Warenrechnung und Bestätigungsschreiben". Im ersten Absatz wird klargestellt, in welchen Fällen ein Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung ("fatura") besteht. Die Absätze (2) und (3) lauten in deutscher übersetzung: (2) "Wenn derjenige, der eine Rechnung erhält, innerhalb von acht Tagen nach dem Empfang keine Einwände hinsichtlich ihres Inhalts erhebt, so gilt er als mit ihrem Inhalt einverstanden." (3) "Wenn derjenige, der ein Schreiben erhält, das den Inhalt von mündlich, telephonisch oder telegraphisch abgeschlossenen Verträgen oder abgegebenen Erklärungen bestätigt, innerhalb von acht Tagen nach dem Empfang keinen Einwand erhebt, so gilt er als damit einverstanden, daß das Bestätigungsschreiben dem abgeschlossenen Vertrag oder der abgegebenen Erklärung entspricht." Ich habe mich um eine möglichst wortgetreue Übersetzung bemüht, weil der Justizausschuß des türkischen Parlaments, wie sich aus den
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Protokollen zu Art. 23 des Entwurfs eines THGB ergibt, bei der Beratung der diesbezüglichen Bestimmung des Regierungsentwurfs sich besondere Mühe mit der Formulierung gegeben hat, um klar zu stellen, daß es sich um Rechtsvermutungen handelt, die durch Gegenbeweis nicht entkräftet werden können (Praesumtiones juris et de jure). Die Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs hat diesem so deutlich ausgesprochenen Willen des Gesetzgebers entsprochen22 • b) Daß die drei Schreiben vom 8.,9. und 10. Januar 1974 Bestätigungsschreiben sind, welche den Zweck hatten, zeitlich vorausgehende mündliche Vereinbarungen der Parteien über die Modalitäten der Provisionszahlungen schriftlich zu "bestätigen" ergibt sich sowohl aus der von der Beklagten selbst zu den Akten (BI. 21) gegebenen Photokopie eines Schreibens des Generalbevollmächtigten R. an "Herrn H." vom 4. 2.1974 als auch aus dem Wortlaut der Schreiben selbst ("bestätigt" bzw. im englischen Text "confirmed"). Gemäß Art. 23 Abs. 3 THGB gilt ihr Inhalt unwiderleglich als vollständige und richtige Wiedergabe dessen, was zwischen den Parteien mündlich vereinbart worden ist, und zwar gegenüber der Klägerin, da diese unstreitig nicht widersprochen hat. Erst recht muß derjenige, der das Bestätigungsschreiben verfaßt und dem anderen Teil als Bestätigung einer zustande gekommenen Willenseinigung zugesandt hat, sich an dieser Erklärung festhalten lassen, d. h. ebenso wie der Empfänger, der nicht fristgerecht widersprochen hat, den Inhalt des Schreibens als sachlich richtige und vollständige Wiedergabe der mündlich getroffenen Vereinbarung gegen sich gelten lassen. Beide Teile sind, falls kein Widerspruch erfolgt, an den Inhalt des Bestätigungsschreibens gebunden (Doganay, S. 140). Dies folgt auch aus der oben (II - 2 - B - c - bb) eingehend dargelegten gesetzlichen Verpflichtung eines jeden Kaufmanns, in Geschäftsangelegenheiten als umsichtiger Geschäftsmann zu handeln (Art. 20 Abs. 2 THGB), und dem für alle am Rechtsverkehr beteiligten Personen geltenden Gebot des Art. 2 TZGB über die Verpflichtung zur Fairneß. In dem für den Streitgegenstand allein wichtigen Bestätigungsschreiben vom 10.1.1974 (Anlage 7 z. Klage) lautet der letzte Satz: "The commission will be paid in accordance with above agreement ref. 2". Gemeint damit ist "Addendum to mutual agreement dated 5 July 1972". Im Text wird außerdem noch ausdrücklich betont, daß diese zusätzliche Provision von 5 % gezahlt wird "in accordance with our following agreements", womit gemeint sind: 1. die Vereinbarung über Kunden2! Vgl. die Entscheidungen des Handelssenats vom 3.12.1959; 4.5.1961; 9.12.1961; 2.6.1961 in Batider 1963 Bd.1I Heft 1 S. 113; 19.3.1969 in Batider Bd. V Heft 2 S.276. Ebenso Aker S.403; Domanic S.664; Somumcuoglu S.36. A. A. Imregün S. 31/32 und Karayalcin S. 225, die der Meinung sind, ein Be-
stätigungsschreiben sei ein schriftliches Beweismittel, das allerdings nur durch schriftlichen Gegenbeweis entkräftet werden könne.
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schutz vom 7.5.1972 und 2. die Ergänzungsvereinbarung vom 5. Juli 1972. 4. Sieht das Gericht in Art. 23 THGB keine unwiderlegbare Rechtsvermutung, sondern gesteht es der Beklagten die Befugnis zu, Beweis über die Lückenhaftigkeit sowohl der Zusatzvereinbarung vom 5. Juli 1972 als auch des Bestätigungsschreibens vom 10.1. 1974 anzutreten, so muß die Beklagte Beweis dafür erbringen, daß die Provisionszahlung von 5 6 / 0 des Gesamtwerts nicht nur als Gegenleistung für die Anbahnung, Vermittlung und sonstige Unterstützung beim Vertragsabschluß, sondern auch für die Mitwirkung der Klägerin bei der Durchführung der notwendigen Projektabwicklungsarbeiten vereinbart worden ist; und daß ferner die Absprache getroffen worden ist, daß dieser Teil der Provision erst nach vollständiger Projektabwicklung zu zahlen ist. Ferner müßte die Beklagte in substantiierter Weise klarstellen und beweisen, was unter den in der Aktennotiz gebrauchten Formulierungen "Projektnotwendige Operationen" und "Projektabwicklungsaufgaben" zu verstehen ist. Besteht über die Bedeutung dieser Formulierungen zwischen den Parteien keine Einigkeit, so müßte ein Gutachten der Handelskammern von Istanbul oder (und) Ankara darüber eingeholt werden, ob ein Handelsbrauch hinsichtlich des Inhalts der fraglichen Formulierungen besteht, da nach Art. 2 Satz 2 THGB bei der Auslegung von Willenserklärungen auch Handelsbräuche zu beachten sind. 5. Die fristlose Kündigung vom 24. 4. 1975, die laut Schriftsatz der Beklagten vom 27. 7. 1976 Ziffer 4 (BI. 70 d. A.) die Lösung der Beklagten von ihrer Zahlungszusage vom 10.1.1974 beinhalten soll, kann diese Rechtswirkung nicht haben, da auch nach türkischem Recht eine Kündigung nicht zurückwirkt, sondern nur Folgen für die Zukunft haben kann. Hinzukommt, daß nach Art. 134 Abs. 1 THGB die Partei, die ohne wichtigen Grund und ohne Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist den Agenturvertrag zur Auflösung bringt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der der anderen Partei aus dem Nicht-zu-Ende-Führen der begonnenen Geschäfte erwächst. 6. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die von der Beklagten vorgebrachten Gründe weder eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung noch eine fristlose Kündigung des Vertrags rechtfertigen, und kommt es ferner zu der Auffassung, daß die fristlose Kündigung als ordentliche Kündigung mit Dreimonatsfrist umzudeuten ist, so hätte der Vertrag am 24. Juli 1975 sein Erde gefunden, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem laut Behauptung der Klägerin die letzte Partie der an die türkische Heeresverwaltung verkauften Waren bereits verschifft war, so daß nicht nur der Restkaufpreis, sondern nach Eingang der Zah-
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lung bei der Beklagten auch der Provisionsanspruch der Klägerin fällig geworden waren. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Anfechtung oder die Kündigung aus wichtigem Grunde durchgreift, dann ist, da in beiden Fällen eine Rückwirkung nicht in Betracht kommt, der Klägerin derjenige Teil der Provision zuzusprechen, der sich aus ihren Bemühungen für die Beklagte pro rata temporis bis zum 24. Mai 1975 im Verhältnis zu den Bemühungen ergibt, welche der Klägerin bis zum 24. Juli (bei fristgemäßer Kündigung) zugestanden hätten. Bei der Bestimmung des Umfangs der Bemühungen kommt es darauf an, ob das Gericht den Gegenbeweis gegen die Vermutung der Vollständigkeit des Bestätigungsschreibens vom 10.1. 1974 zuläßt und dieser Beweis gelingt. Andernfalls hat die Klägerin nur für diejenigen Aufgaben einzustehen, die ihr gesetzlich nach den Art. 123 und 124 THGB obliegen, soweit die Beklagte die Klägerin nicht in der Erfüllung dieser ihr gesetzlich obliegenden Verpflichtungen gehindert hat. Im letztgenannten Fall ist die Klägerin berechtigt, ihren etwaigen Schaden aus positiver Vertragsverletzung geltend zu machen (Art. 134 Abs. 1 THGB). Literaturverzeichnis Aker, Sahir Talat: Faturadan dogan sorumluluk (Haftung aus der Warenrechnung) Batider 1971, VI Heft 2 S. 401 ff. Akipek, Jale G.: Türk Medeni Hukuku (Türkisches Zivilrecht) Band 1, Heft 1:
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Nr.5 Gesetzliche Zinsen - Verzugszinsen - Verspätungsschaden THGB: Art. 3, 9, 20, 1461. TOG: Art. 42, 43, 72, 73, 76, 96, 98, 101, 103. TZGB: Art. 4. Das Landgericht München I, 8. Kammer für Handelssachen hat in der Sache Fa. Ta. gegen Fa. Te. GmbH (8 HKO 6019/76) um ein Gutachten zu den nachstehenden beiden Fragen gebeten, das am 9. Mai 1978 von mir erstattet wurde.
Rechtsgutachten* Frage 1 In welcher Höhe und nach welcher Vorschrift des türkischen Rechts kann der Kläger Zinsen verlangen?
Antwort A. Das im Hauptgutachten vom 7. März 1978 1 als Agenturvertrag rechtlich qualifizierte Verhältnis zwischen den Parteien ist eine "Handelssache" nach Art. 3 THGB. In Handelssachen gilt nach Art. 9 Abs. 1 THGB für die Höhe der gesetzlichen Zinsen Art. 72 TOG, d. h. 5 Ofo pro Jahr. Wenn jedoch bei Beginn des Zinsenlaufs am Zahlungsort für ähnliche Geschäfte ein höherer Zins gezahlt wird, so gilt dieser als gesetzlicher Zinssatz.
E. In Handelssachen beträgt der Verzugszins, der ebenfalls als gesetzlicher Zins gilt (Art. 1461 Abs.1 THGB), 10010 pro Jahr (Art. 9 Abs.2 THGB). Ist am Zahlungsort der Bankdiskont höher, so kann der Verzugszins nach der Höhe des Diskontsatzes gefordert werden (Art. 1461 Abs.2 THGB). '" Für die Literaturangaben vgl. die Angaben im Gutachten Nr. 4. Hinzu kommen: Tandogan, Haluk: Türk Mesuliyet Hukuku (Türkisches Haftungsrecht) Ankara 1961. ünsalan, Ayhan: Das Zinsproblem im türkischen Recht (Dissertation Berlin 1959). 1
Vgl. das vorausgehende Gutachten Nr. 4 S. 37 - 62.
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c. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs sind Fälligkeit der Forderung und Mahnung durch den Gläubiger, nicht dagegen Verschulden des Schuldners2 • (a) Für die Fälligkeit der geltend gemachten Forderung besteht zwischen den Parteien die Vereinbarung, daß die Provision innerhalb eines Monats nach Zahlungseingang des Restkaufpreises bei der Beklagten zu zahlen ist. (VgL Gutachten Nr. 4 oben S. 57). Nach Art. 76 letzter Absatz letzter Satz TOG ist der Schuldner bei einer derartigen Vereinbarung zur Zahlung vor Ablauf der Frist verpflichtet. (b) Zwischen Kaufleuten bedarf die Mahnung zu ihrer Rechtswirksamkeit der Einhaltung der Formvorschrift von Art. 20 Abs.3 THGB. (Siehe Gutachten Nr.4 oben S.49 Ziffer II Ba), es sei denn, daß der Gläubiger Klage auf Zahlung seiner fälligen Forderung erhoben hat; denn die Klage ist die stärkste Form der Mahnung 3 • (c) Der Zinsenlauf beginnt mit der Mahnung (Art. 10 THGB), spätestens mit der Erhebung der Klage 4 • (d) Hinsichtlich der Möglichkeit, die auf 1(} % gesetzlich festgelegte Höhe des Verzugszinssatzes dann zu überschreiten, wenn am Zahlungsort zu Beginn des Zinsenlaufs der Bankdiskont mehr als 10 Ofo beträgt, ist klarzustellen, was unter "Bankdiskont" (= banka iskontosu) zu verstehen ist. Die diesbezügliche Bestimmung von Art. 1461 THGB ist vom Justizausschuß des Parlaments dem Regierungsentwurf eingefügt worden. Laut Protokoll des Justizausschusses zu dieser Bestimmung ist man von dem deutschen Wortlaut des Art. 104 Abs.3 des Schweizerischen Obligationenrechts (= Art. 103 Abs. 3 TOG) ausgegangen und hat zur Klarstellung statt "iskonto" die beiden Worte "banka iskontosu" gewählt. In der Schweiz versteht man unter "Bankdiskont" denjenigen Diskontsatz, der von den Geschäftsbanken am Zahlungsort bei Hereinnahme und Diskontierung von Kundenwechseln einschließlich Provision und Kosten von der Wechselsumme abgezogen wird. Dies gilt auch für das türkische Rechts. Die Beweislast dafür, daß dieser örtliche Bankdiskontsatz über der Höhe der gesetzlich bestimmten Verzugszinsen von 10 Ofo liegt, trägt der Kläger8 • 2 Art. 101 Abs.l TOG und hierzu Tandogan (Haftungsrecht) S.480; Tun!;omak § 63 II 4. 3 Vgl. Tandogan S. 487; Tun!;omak § 63 II 1; Vnsalan S. 63. 4 Entscheidung des Handelssenats des Kassationshofs vom 3. 2. 1966 E 1964/ 946 - K 1964/438 bei Doganay S.80 Fußnote 173; Entscheidung des Großen Zivilsenats des Kassationshofs vom 12. 2. 1969 ET 26 - K 105 bei Doganay S.80 Fußnote 172. Ferner Doganay S.80; Tandogan (Haftungsrecht) S.484; Tun!;omak § 64 II 1 a. 5 Vgl. Karayal!;in S. 566.
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Wenn über den Zahlungsort von den Parteien nichts vereinbart worden ist, wäre nach Art. 73 Ziffer 1 TOG der Wohnort des Gläubigers, bei einem kaufmännischen Unternehmen der Ort der Hauptniederlassung maßgebend.
D. Ergebnis: Die Klägerin kann kraft Gesetzes vom Zeitpunkt der Klageerhebung ab Verzugszinsen in Höhe von mindestens 10 % und, wenn die Geschäftsbanken am Zahlungs ort im Zeitpunkt der Klageerhebung (= Beginn des Zinsenlaufs) bei der Diskontierung von Wechseln einen höheren Satz verlangen, diesen Satz bei Berechnung ihrer Forderung auf Verzugszinsen verlangen.
Frage 2 Kann der Kläger etwa über einen gesetzlichen Zinssatz hinaus einen höheren Zinsbetrag dann verlangen, falls ihm ein entsprechender Schaden in Form von Zinsverlust oder umgekehrt von Zinsaufwendungen entstanden ist?
Antwort Die gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von mindestens 10 % beruht nicht nur auf der Erwägung, einen etwaigen Schaden des Gläubigers auszugleichen. Vielmehr handelt es sich um ein Mittel zur Hebung der Schuldnermoral im Wirtschaftsleben7 • A. Deshalb kann der Gläubiger auch Ersatz des über den Betrag der Verzugszinsen hinausgehenden Schadens verlangen, der ihm dadurch entstanden ist, daß der Schuldner schuldhaft seine Leistung nicht bei Fälligkeit der Forderung erbracht hat (Art. 105 TOG)8.
Die Beweislast für die Höhe dieses sog. "Verspätungsschadens" und für den Kausalzusammenhang zwischen der nicht rechtzeitigen Zahlung und dem Verspätungsschaden trägt der Kläger. Dagegen hat nach türkischem ebenso wie nach schweizerischem Recht der Gläubiger bei nicht rechtzeitiger Erfüllung der Leistung durch den Schuldner dessen Verschulden nicht zu beweisen. Dieses wird vermutet. Dem Schuldner steht 8 Vgl. Doganay unter Hinweis auf die Entscheidung des Handelssenats des Kassationshofs vom 17. 12. 1968 E 2646 - K 6848. 7 Vgl. amtliche Begründung zum Entwurf eines türkischen HGB III 12 - C - c und Protokoll des Justizausschusses des Parlaments zu Art. 9 des Regierungsentwurfs. 8 Vgl. Entscheidung des Handelssenats des Kassationshofs vom 5. 3. 1965 E 1964/1115 - K 1965/752 bei Doganay S.79/80 Fußnote 170; ferner Doganay S. 78; Tandogan S. 480, 482, 489; Tun~omak § 64 II 2; ünsalan S.59 mit weiteren Nachweisen.
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aber der Gegenbeweis offen, daß ihn keinerlei Verschulden trifft (Art. 96 und 105 TOG)9. (a) Nach der Entscheidung des Großen Zivilsenats des Kassationshofs vom 15. 11. 1961 ET 36 - K 38 (bei Domanir;-l,;amoglu S. 17 Nr.60) ist Zins, der als Ersatz für Verspätungsschaden verlangt wird, etwas anderes als der gesetzliche Verzugszins. Der Ersatz für Verspätungsschaden soll den Schaden decken, der über den Verzugszins hinausgeht; denn dem Geschädigten müsse der ihm im Zeitpunkt des Schadenseintritts entstandene Schaden voll ersetzt werden. Wenn der Schadensersatz verspätet gezahlt werde, so müsse auch der durch diese Verspätung eingetretene Schaden völlig gedeckt werden. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Schadensersatz-Zins wegen Verspätung und dem Verzugszins bestehe darin, daß die Verpflichtung zur Leistung von Verzugszinsen erst mit dem Eintritt des Verzugs entstehe, während die Verpflichtung zur Leistung von Zinsen als Ersatz des Verspätungsschadens bereits im Augenblick des schädigenden Ereignisses entstehe, der Zinsenlauf also nicht erst mit der Klageerhebung, sondern im Augenblick der Vertragsverletzung beginne10 • Ferner ist zu beachten, daß die Verpflichtung zur Zahlung der gesetzlichen Verzugszinsen weder einen Nachweis des Schadens noch ein Verschulden des Schuldners voraussetzt, während bei dem Ersatzzins wegen Verspätungsschadens die Höhe des Schadens und der Kausalzusammenhang zwischen Schaden und nicht rechtzeitiger Erbringung der Leistung vom Kläger bewiesen werden müssen. (b) Beispiele für die Verpflichtung zur Zahlung von SchadensersatzZinsen wegen Verspätungsschaden über den Betrag der gesetzlichen Verzugszinsen hinaus sind Tatbestände, bei denen infolge des Ausbleibens der Leistung der Gläubiger eine höher verzinsliche Schuld nicht zahlen konnte oder zu höherem Zinssatz Bankkredit aufnehmen mußte oder gegenüber dritten Personen in Zahlungsverzug geriet und deshalb selbst höhere Verzugszinsen hat zahlen müssen11 •
(c) Als Verspätungsschaden werden auch alle sonstigen Aufwendungen angesehen, die der Gläubiger infolge der Verspätung der Erfüllung hat machen müssen, z. B. Provision und Umsatzsteuer bei Aufnahme von Krediten; ferner nachweislich entgangener Gewinn, weil der Gläubiger Vgl. Tandogan (Haftungsrecht) S. 482; Tuncomak § 64 II 2. Vgl. auch Entscheidungen des Handelssenats des Kassationshofs vom 23. 12. 1963 E 4727 - K 4821 in Batider Bd. II Heft 4 S.703 und vom 3. 6. 1969 E 68/1050 - K 69/2825 in Batider Bd. V Heft 4 S. 824. 11 Vgl. Doganay S.78; Tandogan (Haftungsrecht) S.489; Tuncomak § 64 II 2). Entscheidungen des Handelssenats des Kassationshofs vom 1. 4. 1954 E 2751 - K 1953/1567 und vom 20. 5. 1954 E 6132 - K 1954/5713. g
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die Gelegenheit zu einem vorteilhaften Geschäft mangels flüssiger Mittel nicht wahrnehmen konnte 12 • B. Besteht der Verspätungsschaden in der Aufwendung höherer Zinsen, so bereitet die Berechnung des Schadens keine Schwierigkeit. Wenn jedoch der Kläger andere Aufwendungen oder entgangenen Gewinn als "Verspätungsschaden" in der Form eines Zinszuschlags zu dem gesetzlichen Verzugszins erst vom Tag der Rechtshängigkeit ab (und nicht vom früher gelegenen Zeitpunkt der tatsächlichen Nichterfüllung der Leistung durch den Beklagten) geltend macht, so ist eine derartige Berechnungsart des Verspätungsschadens und des Ersatzes dafür unter Berücksichtigung der folgenden gesetzlichen Bestimmungen möglich:
Nach Art. 98 Abs.2 TaG sind die Vorschriften über die Haftung aus unerlaubter Handlung auf Vertragsverletzungen, zu denen auch die nicht rechtzeitige Zahlung einer Geldschuld gehört, entsprechend anzuwenden. Der Kläger hat zwar, wie oben ausgeführt, die Schadenshöhe zu beweisen. Ist aber der Beweis der tatsächlichen Schadenshöhe unmöglich, so hat der Richter gemäß Art. 42 TaG unter Berücksichtigung des üblichen Verlaufs der Dinge und der von dem Geschädigten getroffenen Maßnahmen die Schadenshöhe nach Recht und Billigkeit zu bestimmen. Ferner hat der Richter gemäß Art. 43 TaG die Höhe des Ersatzes und die Art und Weise der Ersatzleistung nach Lage des Falles und der Schwere des Verschuldens auf der Grundlage von Recht und Billigkeit gemäß Art. 4 TZGB festzusetzen.
C. Ergebnis: Die Klägerin kann über den gesetzlichen Verzugs zins hinaus einen höheren Zinsbetrag dann verlangen, falls ihr ein entsprechender Schaden in Form von Zinsverlust oder umgekehrt von Zinsaufwendungen oder in anderer Weise entstanden ist, soweit die oben dargestellten Voraussetzungen gegeben sind.
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Vgl. Doganay S. 78; Tun!;omak § 64 II 2.
Nr.6 Handelsvertreter - Vermittlungsmonopol - bezahlte Karenz öffentliche Ausschreibung und freihändige Beschaffung - Formgebundenheit einer Kündigung THGB: Art. 12, 20, 100 -115, 116, 117, 118, 123, 124, 128, 129, 131, 1466. TOG: Art. 19, 20, 386 - 398, 404 - 409, 415 - 430. TZGB: Art. 2. Gesetz Nr. 2490 über öffentliche Ausschreibungen und staatliches Rechnungswesen: Art. 73. Ergänzungsgesetz Nr. 6246 zu vorstehendem Gesetz vom 10.2.1959. Ministerratsbeschluß Nr. 7/4284 vom 13.4.1972 zum Gesetz Nr.6246. Das Landgericht München I 8. Kammer für Handelssachen hat in der Sache Ta. gegen Te. GmbH (8 HK 0 8054/79) um die Beantwortung einiger Fragen zum türkischen Vertragsrecht gebeten. Ich erstattete unter dem 20.11. 1979 das nachstehende
Rechtsgutachten* Sachverhalt Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien hat im Jahre 1972 begonnen und ist frühestens am 11. 12. 1974 durch fristlose Kündigung aus wichtigem Grund oder Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aufgelöst worden. Während dieser Zeitspanne war der Kläger Einzelkaufmann als Inhaber eines im türkischen Handelsregister eingetragenen kaufmännischen Unternehmens gemäß Art. 14 in Verbindung mit Art. 12 Ziffer 12 THGB. Die Beklagte besitzt die Kaufmannseigenschaft als Handelsgesellschaft gemäß § 6 HGB in Verbindung mit § 13 Abs. 3 GMBHG. Der Kläger hat seit 1972 die Beklagte beim Vertrieb ihrer Nachrichtengeräte auf dem türkischen Markt vertreten. Für das streitgegenständliche Rechtsverhältnis liegen mehrere, zeitlich aufeinander fol... Abkürzungen: THGB = Türkisches Handelsgesetzbuch von 1956. TOG Türkisches Obligationengesetzbuch von 1926. TZGB = Türkisches Zivilgesetzbuch von 1926.
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gende und rechtlich noch zu prüfende schriftliche Vereinbarungen über die Vermittlung des Klägers bei Geschäften der Beklagten mit Beschaffungsstellen der türkischen Heeresverwaltung vor. Ein erstes Geschäft ist zum Abschluß gekommen und erfüllt. Provisionsansprüche des Klägers daraus waren Gegenstand eines Prozesses vor dem Landgericht München I (Akt. Z. 8 HK 0 6019/76). Dieser Prozeß ist durch das rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts München I vom 12.6.1978 erledigt1 • In dem genannten Urteil ist die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien als ein Agenturverhältnis qualifiziert worden, kraft dessen der Kläger als Vermittlungs agent im Sinne des türkischen Rechts sich um den Absatz von Geräten der Beklagten in der Türkei bemühen sollte. Der gegenständliche Rechtsstreit hat die Provisionsforderung des Klägers aus einem zweiten Geschäft zum Gegenstand. Wie sich aus den Beweisbeschlüssen vom 20. 8. 1979 ergibt, geht das Gericht auch in dem vorliegenden Prozeß davon aus, daß das Rechtsverhältnis ein nach türkischem Recht zu beurteilendes handelsrechtliches Agenturverhältnis ist. Diese Qualifizierung entspricht den Rechtsausführungen, die ich in meinem Gutachten zu dem ersten Prozeß gemacht habe und auf der Grundlage der mir vorliegenden Akten dieses zweiten Prozesses bestätige. Auf dieser rechtlichen Grundlage nehme ich zu den einzelnen Fragen der Beweisbeschlüsse und der im Informationsschreiben des Herrn Vorsitzenden Richters vom 16.10.1979 aufgeführten Ergänzungsfragen Stellung. Rechtsfragen Frage I
Kann nach türkischem Recht vereinbart werden, daß ein Handelsvertreter Kundenschutz hat und demnach für sämtliche Geschäfte Provision auch dann bekommt, wenn im Einzelfall dieses Geschäft nicht vom Handelsvertreter vermittelt wurde? Gilt dies auch dann, wenn wegen der Besonderheit der entsprechenden Geräte ein einziger Abnehmer im Bereich des Handelsvertreters, hier also das türkische Militär in Frage kommt? Antwort I
1. Das türkische Vertragsrecht beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit sowohl hinsichtlich des Gegenstands als auch hinsichtlich der Form und des Inhalts des Vertrags unter Vorbehalt der gesetzlich gezogenen Schranken (Art. 19 Abs. 1 TOG). 1
Siehe dazu die vorstehenden Gutachten Nr. 4 und Nr. 5.
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a) Nach Art. 19 Abs.2 TOG sind Verträge wirksam, soweit sie nicht gegen gesetzlich zwingende Rechtsregeln verstoßen oder nicht gesetzoder sittenwidrig sind oder die öffentliche Ordnung oder die Rechte der Persönlichkeit verletzen. Ergänzend bestimmt Art. 1466 THGB, daß Geschäfte und Klauseln, die durch handelsrechtliche Vorschriften verboten sind, nichtig sind, soweit das Gegenteil nicht in einer besonderen Vorschrift ausgesprochen ist. Demnach können die Parteien ihre vertraglichen Beziehungen nach ihrem Gutdünken rechtsverbindlich regeln, soweit keine zwingende handelsrechtliche Verbotsvorschrift vorliegt und die oben erwähnten Grenzen der Vertragsfreiheit nicht verletzt sind. b) Der Grundsatz der Vertragsfreiheit bedeutet ferner, das die zur Ordnung der einzelnen Vertragstypen aufgestellten gesetzlichen Bestimmungen, soweit sie nicht kraft Gesetzes als zwingendes Recht zu qualifizieren sind, erst dann zur Anwendung kommen, wenn die Vertragsparteien wirksam nichts anderes vereinbart haben. Dies bedeutet, daß man bei der rechtlichen Qualifizierung von konkreten Verträgen zwar die auf einen bestimmten Vertragstyp zugeschnittenen Vorschriften bei der Qualifizierung einer Vereinbarung als Leitbilder verwenden kann, aber in der Praxis auch mit abweichenden atypischen Absprachen rechnen muß. Dies zumal dann, wenn die vertraglichen Abmachungen in einer anderen Sprache getroffen sind als in der Sprache des anzuwendenden Rechts, wie es hier der Fall ist. Die Terminologie des türkischen Rechts stimmt mit der Terminologie des englischen oder deutschen Rechts nicht genau überein. Im streitgegenständlichen Fall sind die vertraglichen Abmachungen sowie ein Teil des Schriftwechsels bald in englischer, bald in deutscher Sprache formuliert. Wer diese drei Sprachen, insbesondere ihre im Wirtschafts- und Rechtsverkehr übliche Terminologie beherrscht, wird zugeben müssen, daß die genaue und zutreffende Wiedergabe des Wortinhalts und der Wortbedeutung eines englischen Ausdrucks durch einen entsprechenden deutschen oder türkischen Ausdrucks und vice versa nur aus dem Zusammenhang gewonnen werden kann, in dem der Ausdruck gebraucht wird. Das englische Wort "representation" kann zwar deutsch mit "Vertretung", türkisch mit "vekälet" übersetzt werden. Aber es kommt darauf an, welche Bedeutung von "representation" bzw. "Vertretung" im konkreten Fall gemeint ist. "Representation" bzw. "Vertretung" im Sinne von Handelsvertretung heißt im türkischen Recht "ac;entahk", in der Bedeutung von direkter Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB "temsil". Auch der für die Urteilsfindung im vorliegenden Rechtsstreit wesentliche türkische Ausdruck "mutavassIt" ist ebenso vieldeutig wie seine deutsche Übersetzung mit dem Wort "Vermittler". Dieses Wort ist ein sehr umfassender Ausdruck für alle diejenigen, die als Mittler zwischen zwei Parteien mit widerstreitenden Interessen treten und sich bemühen,
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einen Ausgleich oder eine Einigung herbeizuführen. So ist jeder Makler, jeder Handelsvertreter, jeder Schlichter im Arbeitsrecht, jeder Staat, der "seine guten Dienste" bei Streitigkeiten zwischen Staaten anbietet, ein Mittler oder Vermittler. Aber auch jeder Kommissionär oder Zwischenhändler ist wirtschaftlich gesehen, als Zwischenstufe in der Beziehung zwischen Produzent und Endabnehmer ein "Vermittler". Was mit diesem Ausdruck im Einzelfall gemeint ist, läßt sich lediglich dem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang entnehmen, in dem dieses Wort gebraucht wird. Eine sinnentsprechende und sachgemäße Wiedergabe kann zu ganz anderen rechtlichen Folgerungen führen als eine Fehldeutung und falsche übersetzung. 2. Wie oben im Sachverhalt bereits betont wurde, liegen mehrere zeitlich aufeinander folgende Vereinbarungen vor, die sich auf eine und dieselbe streitgegenständliche Lieferung an das türkische Militär beziehen, nämlich auf den Posten Vehicular Radio Set System Com 80 (im folgenden mit "Com-80" .abgekürzt). a) Die zeitlich erste, in deutscher Sprache schriftlich abgefaßte "Vereinbarung über Kundenschutz" (Anl. K 1 zur Klageschrift, Blatt 9110 d. A.) trägt das Datum des 12. Januar 1973. Sie bezieht sich nicht nur auf die Lieferung Com-80, sondern zugleich auch auf den exklusiven Kundenschutz, den die Beklagte dem Kläger bereits unter dem 17. Mai 1972 für die Lieferung von Radio Set AN/PRC-6T Apparaten gewährt hat. Ob auch diese frühere Vereinbarung sich bereits auf die Lieferung von Com-80 bezogen hat, ist zweifelhaft. Jedenfalls ist im Text von Com-80 nicht die Rede. Auffallend ist aber, daß in der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung vom 12. Januar 1973 sich der Satz findet, daß alle dieser Vereinbarung vorhergegangenen Vereinbarungen (Plural!) "vorgenanntes Objekt betreffend" ungültig sind. Zu dem "vorgenannten Objekt" zählen, jedenfalls nach dem Wortlaut des zweitletzten Absatzes der Abmachung, die beiden Angebote AN/PRC-6T und Com-80 und die daraus resultierenden Aufträge. Es ist also wahrscheinlich·, daß auch über die hier im Streit befangene Lieferung von Com-80 im Wege von mündlichen Besprechungen in München oder Ankara und durch Korrespondenzen, auf die ausdrücklich in Absatz 2 Satz 1 der Vereinbarung vom 12. Januar 1973 verwiesen wird, bereits eine vor diesem Datum liegende Absprache zwischen den Parteien zustande gekommen ist, die durch die schriftliche Vereinbarung vom 12. Januar 1973 abgeändert worden ist. Dies folgt auch aus dem englisch abgefaßten Begleitbrief der Beklagten an den Kläger vom 12. Januar 1973, wo ausdrücklich gesagt ist: (in deutscher übersetzung) "In der Anlage übersenden wir Ihnen die geänderte Fassung ("modified version") der Com-80 Vereinbarung". Ferner ergibt sich aus Absatz 3 dieses Begleitbriefs, daß der Kläger bereits schon früher, also vor dem 12. Januar 1973 mit seiner Vermitt-
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lertätigkeit begonnen haben muß. Hier heißt es (in deutscher Übersetzung): "Wir sind der Ansicht, daß Ihre enormen Bemühungen und Ihre beispielhafte Aktivität in der Provisionshöhe Ausdruck finden muß". c) Rund 21/2 Monate später, am 26. 3. 1973, ist zwischen den Parteien eine neue Vereinbarung geschlossen worden, und zwar in englischer Sprache. Danach wird die Beklagte dem Kläger eine Erklärung übersenden, wonach der Kläger ihr ausschließlicher Vertreter für die Türkei (our exclusiv agent for Turkey) ist. Jedoch ist ausdrücklich der Vorbehalt gemacht, daß diese Erklärung über die Eigenschaft des Klägers als ausschließlicher Vertreter nur in Verbindung mit einem noch abzuschließenden Handelsvertretervertrag (contract of agency) wirksam ist, bzw. nur in Verbindung mit der Vereinbarung über ausschließliche Rechte, welche zur Zeit wirksam sind für a) Radio Set AN/PRC-6T vom 17. 5.1972 b) Vehicular Radio Set Com-80 vom 12.1.1973. d) Am 8. 10. 1974 ist in englischer Sprache ein weiterer Vertrag abgeschlossen worden. Ob diese als "Project Agreement" bezeichnete Vereinbarung hinsichtlich der "Einführung neuer elektronischer Militär-Nachrichten-Ausrüstung für das türkische Verteidigungsministerium" (AnI. 2 zur Klageschrift BI. 11 d. A. und deutsche Übersetzung BI. 21 d. A.) der oben erwähnte Handelsvertretervertrag (contract of agency) ist, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls bestätigt die Beklagte, daß sie dem Kläger für das genannte Projekt, das sich aus zahlreichen, näher bezeichneten Einzelposten zusammensetzt, ausschließlich die Vertretung in der Türkei (exclusively the representation in Turkey) gewährt. Unter Ziffer 3 der Aufzählung steht der im vorliegenden Rechtsstreit umstrittene Posten VHF Vehicular Radio Com-80/GY. Dies bedeutet im Klartext, daß die dem Kläger von der Beklagten gewährte ausschließliche Vertretung für die Türkei bzw. in der Türkei sich nur auf ein aus zahlreichen Posten bestehendes Großprojekt in der Türkei bezieht, bei dem der einzige Kunde das türkische Verteidigungsministerium ist. Außerhalb dieses sachlich und persönlich abgesteckten Ausschließlichkeitsbereichs hat der Kläger keineswegs die ausschließliche Vertretung der Beklagten für die Türkei oder in der Türkei, sondern müßte es hinnehmen, wenn die Beklagte für andere Projekte an denselben Bezieher oder an andere Bezieher (z. B. Flotte oder Luftwaffe) andere Handelsvertreter engagiert oder Direktgeschäfte abschließt. Dies bedeutet aber, daß auch dieser Vertrag nur ein exklusiver Kundenschutzvertrag hinsichtlich des genau abgegrenzten Projekts ist mit der Rechtsfolge, daß der Kläger zwar dagegen geschützt ist, daß die Beklagte ihm insoweit weder unmittelbar noch durch andere Personen
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bei der Vermittlungstätigkeit Schwierigkeiten macht, aber auch seinerseits der Beklagten garantiert, daß er keinen ihrer Konkurrenten hinsichtlich dieses Projektes begünstigt. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Schlußerklärung der Projekt-Vereinbarung. Hier heißt es: "Im Anschluß an obige ausschließliche Vertretung (exclusive representation) versteht es sich von selbst und wird bestätigt, daß die Firma Tayfun (d. h. der Kläger) sich mit keiner Vertretung und Verkaufsförderung von Konkurrenten der Firma Telemit (d. h. der Beklagten) für die obigen Ausrüstungen im Rahmen dieses Projektes befassen wird." e) In den vorstehend unter litt. a - d aufgezählten Vereinbarungen, die sich auf die Lieferung von Com-80 beziehen, wechseln die gebrauchten Ausdrücke. In der Vereinbarung vom 12.1.1973 ist vom "exklusivem Kundenschutz" die Rede, den die Beklagte gewährt (lit. a); in der Vereinbarung vom 26.3.1973 (oben lit. c) verspricht die Beklagte, bei Eintritt einer bestimmten Bedingung den Kläger zu ihrem "ausschließlichen Handelsvertreter für die Türkei" (exclusive agent for Turkey) zu machen; in der unter dem 8.10.1974 in englischer Sprache abgefaßten Projekt-Vereinbarung bestätigt die Beklagte, sie habe dem Kläger für ein aus mehreren Posten zusammengesetztes Projekt "ausschließlich die Vertretung in der Türkei" (exclusively the representation in Turkey) gewährt; am Schluß dieser Vereinbarung ist erneut von ausschließlicher Vertretung (exclusive representation) die Rede. Wesentliches Merkmal dieser verschiedenen Ausdrucksweisen ist die Ausschließlichkeit des "Kundenschutzes" , der dem Kläger hinsichtlich eines einzigen Kunden der Beklagten im sachlich beschränkten Rahmen eines Projekts gewährt wird. Der Sinn dieser Absprachen, die anscheinend dem Kläger nur ein persönlich und sachlich eng begrenztes Vermittlungsmonopol gewähren, läßt sich nur unter Berücksichtigung von Art. 118 THGB bestimmen. Diese Vorschrift lautet in deutscher übersetzung: III - Monopol Artikel 118 - Wenn schriftlich nichts gegenteiliges vereinbart worden ist, darf der Geschäftsherr zur gleichen Zeit und im gleichen Ort oder Bezirk für denselben Handelszweig nicht mehr als einen Agenten bestellen, ebenso wie auch der Agent im gleichen Ort oder Bezirk keine Vermittlungstätigkeit für Rechnung mehrerer kaufmännischer Unternehmen entfalten darf, die miteinander in Wettbewerb stehen. Daraus folgt: aa) Die vorstehende Bestimmung gilt stets dann, wenn die Parteien nichts anderes schriftlich vereinbart haben. Jede Klausel, die den gesetzlich umrissenen Tätigkeitsbereich des Agenten erweitert oder einengt, muß schriftlich vereinbart werden2 • 2 Vgl. Ismail Doganay: Türk Ticaret Kanunu :;>erhi (Kommentar zum Türkischen Handelsgesetzbuch) Band I, Ankara 1974, S. 410.
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bb) Im vorliegenden Fall haben die Parteien den gesetzlich umrissenen Tätigkeitsbereich des Handelsvertreters und den gesetzlichen Schutzbereich des Geschäftsherrn durch eine schriftliche Vereinbarung ersetzt, welche die wechselseitige Bezogenheit vom Tätigkeitsbereich des Handelsvertreters zum Schutzbereich des Geschäftsherrn beachtet hat. Nach türkischem Recht darf der Geschäftsherr außer einem Handelsvertreter für ein und denselben Tätigkeitsbereich keinen zweiten oder dritten Handelsvertreter bestellen, während umgekehrt der Handelsvertreter seinem Geschäftsherrn nicht dadurch Schwierigkeiten bereiten darf, daß er für ein und denselben Bereich die Vermittlung von Geschäften für einen zweiten oder dritten Wettbewerber seines Geschäftsherrn übernehmen darf3• ce) Nur bei Beachtung dieser wechselseitigen Abhängigkeit und Bezogenheit zwischen dem zu Gunsten des Handelsvertreters vereinbarten Ausschließlichkeitsrecht und dem Schutz seines Geschäftsherrn gegen Wettbewerb wird verständlich, warum für Abweichungen der gesetzlichen Regel in Art. 118 THGB die Einhaltung der Schriftform vorgeschrieben ist: Wenn wie im vorliegenden Fall in der schriftlichen Vereinbarung vom 8. 10. 1974 (oben Lit. d) ausdrücklich betont wird, es verstehe sich von selbst und werde noch einmal bestätigt, daß der Kläger sich mit keiner Vertretung und Verkaufsförderung zu Gunsten von Wettbewerbern der Beklagten für die Ausrüstungen im Rahmen des konkreten Projekts befassen dürfe, so ist damit die gesetzliche Regelung des Art. 118 THGB allein zu Gunsten der Beklagten abgeändert worden: der Beklagten ist freigestellt, für andere Projekte auf dem türkischen Markt andere Handelsvertreter zu bestellen, während dem Kläger jede Vertretung oder Verkaufsförderung zu Gunsten von Konkurrenten der Beklagten untersagt ist, soweit es sich um Ausrüstungsgegenstände des konkreten Projekts Com-80 handelt. dd) Bei der Anwendung und Auslegung von Art. 123 THGB über die Pflichten des Handelsvertreters zur Geschäftsführung und Interessenwahrung zu Gunsten seines Geschäftsherrn im Rahmen des vereinbarten Geschäfts muß auch seine Verpflichtung zur Unterlassung von Wettbewerbshandlungen zum Schaden seines Geschäftsherrn berücksichtigt werden. Es ist deshalb gleichgültig, daß nur ein einziger Abnehmer, 3 Vgl. E. Hirsch: Ticaret Hukuku Dersleri (Lehrbuch des Handelsrechts) 3. Auflage, Ankara 1948 Nr. 7431 - I; derselbe; Das neue türkische Handelsgesetzbuch, in: ZHR Band 119, S. 183; Ismail Doganay op. cit. S. 411; Ya~ar Karayalerhi (Kommentar z. THGB) Bd. 1, 1974. Domanic/