TransREmigration: Rückkehr im Kontext von Transnationalität, persönlichen Netzwerken und Sozialer Arbeit 9783839439036

Claudia Olivier-Mensah presents the return as an area of social work. She shows how a trans-national perspective for rem

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German Pages 306 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Abstract
1. TransREmigration – eine konzeptionelle und analytische Rahmung
2. Transmigration(en) und Grenzarbeit in der Sozialen Arbeit
3. Soziale Entwicklung und Developmental Social Work
4. Zirkuläre Transfers, soziale Unterstützung und soziales Kapital in der Rückkehr
5. Transnationales Wissen und Handlungsstrategien in Remigrationsprozessen
6. Haptische und digitale Tools in der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse
7. Transnationalität und die soziale Netzwerkanalyse
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TransREmigration: Rückkehr im Kontext von Transnationalität, persönlichen Netzwerken und Sozialer Arbeit
 9783839439036

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Claudia Olivier-Mensah TransREmigration

Pädagogik

Für Irmi (1948-2010)

Claudia Olivier-Mensah (Dr. phil.) lehrt und forscht am Institut für Erziehungswissenschaft im Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Diplom-Pädagogin promovierte im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs »Transnationale Soziale Unterstützung« der Stiftungsuniversität Hildesheim und Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Migration, insb. Remigration, Heimat, Transnationalität, soziale Unterstützung und soziale Netzwerke in Sub-Sahara Afrika, Inter-/ Transnationale Soziale Arbeit und Methoden qualitativer Sozialforschung, insb. soziale Netzwerkanalyse.

Claudia Olivier-Mensah

TransREmigration Rückkehr im Kontext von Transnationalität, persönlichen Netzwerken und Sozialer Arbeit

Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs 1474 »Transnationale Soziale Unterstützung« für die finanzielle Unterstützung dieser Publikation.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Simone Carrier, Berlin Korrektorat: Ruth Merschky, Mainz Satz: Bernhard Mündel von W.B. Druckerei GmbH, Hochheim am Main Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3903-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3903-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort  | 9 Abstract  | 13 1. TransREmigration – eine konzeptionelle und analytische Rahmung 1.1 Neue Migrationserfahrungen und innovative Publikationsformate | 15 1.2 Übersicht der Beitragssammlung  |  20 1.3 Ein konzeptioneller Blick Sozialer Arbeit auf die (Re)Migrationsdebatte  |  23 1.4 TransREmigration als analytische Herausforderung für die Soziale Arbeit  |  54 1.5 Literatur | 73

2. Transmigration(en) und Grenzarbeit in der Sozialen Arbeit 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Transmigration und Soziale Arbeit  |  97 Transmigration als Ausgangspunkt  |  99 Wegweiser der Sozialen Arbeit  |  101 Von Transmigration zum Transmigrantischen  |  105 Forschungsbeispiele | 108 Literatur | 115

3.

Soziale Entwicklung und Developmental Social Work

3.1 Der Social Development-Ansatz in der Sozialen Arbeit  |  127 3.2 Historie und Konzeption von Social Development  |  129 3.3 Developmental Social Work  |  131

3.4 Developmental Social Work in Subsahara-Afrika  |  133 3.5 Developmental Social Work als Ebenen übergreifender Ansatz – Konzipierung und Herausforderungen  |  146 3.6 Literatur | 150

4. Zirkuläre Transfers, soziale Unterstützung und soziales Kapital in der Rückkehr 4.1 Der Migration-Development Nexus und Humankapital-Ansatz | 157 4.2 (Re)Migration, Transnationalisierung und Entwicklung  |  161 4.3 (Re)Migration von Deutschland nach Ghana  |  165 4.4 Auf bau und Methodik der Studie  |  167 4.5 Zirkuläre Transfers in persönlichen Netzwerken  |  169 4.6 Transfers von Remigranten  |  171 4.7 Soziale Transfers der Herkunftsmilieus  |  177 4.8 Zusammenfassung der Ergebnisse zu zirkulären Transfers  |  187 4.9 Dauerhafte und temporäre Rückkehr: Die Mobilitätskompetenz der ghanaischen Rückkehrer  |  188 4.10 Was heißt „erfolgreiche“ Rückkehr?: Eine Akteurszentrierte Sichtweise  |  191 4.11 Literatur | 195

5. Transnationales Wissen und Handlungsstrategien in Remigrationsprozessen 5.1 Migration, Rückkehr und persönlicher Wandel  |  205 5.2 Rückkehr-Migration und Wissen  |  208 5.3 Wissensformen und seine Bedeutungsebenen  |  211 5.4 Implizites transnationales Wissen in Remigrationsprozessen | 217 5.5 Zur Bedeutung von und dem Umgang mit implizitem transnationalem Wissen durch RemigrantInnen  |  228 5.6 Welches Wissen hat Nutzen für wen? Die Perspektive Sozialer Arbeit auf Rückkehrprozesse  |  233 5.7 Literatur | 236

6. Haptische und digitale Tools in der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse 6.1 Stand der qualitativen Netzwerkforschung  |  243 6.2 Die empirische Studie  |  246 6.3 Einsatz von haptischen und digitalen Tools im Forschungsprozess | 248 6.4 Fruchtbare Kopplung: Papier trotz Laptop!  |  261 6.5 Literatur | 262

7.

Transnationalität und die soziale Netzwerkanalyse

7.1 Netzwerkansätze in der Transnationalitätsforschung  |  267 7.2 Das Forschungsprogramm der SNA und deren Beitrag zur Transnationalitätsforschung | 270 7.3 Ego-zentrierte Netzwerkanalyse zur Erforschung transnationaler Beziehungskonstellationen: zwei Ansätze | 273 7.4 Modifikation bestehender Erhebungsverfahren  |  282 7.5 Visualisierung zur Erhebung und Analyse  |  288 7.6 Strukturelle Perspektive | 291 7.7 Mobilität in transnationalen Studien unter Verwendung der SNA | 294 7.8 Methodologische Reflexionen | 296 7.9 Literatur | 298

Vorwort

Bereits in der Vorbereitungs- und Bewerbungsphase des Dissertationsprozesses ist man sich bewusst darüber, dass die Phase des Promovierens ein sehr intensiver Lebensabschnitt werden wird und dass das Verfolgen dieses Vorhabens viel Zeit, die volle Konzentration, starken Ehrgeiz sowie Durchhaltevermögen erfordert. Vor allem, wenn man ein Stipendium für drei Jahre erhalten konnte, sollte man die zur Verfügung stehende Zeit nutzen und nicht der Gefahr erlegen, durch das Verfolgen von zu vielen anderen Projekten, Ablenkung zu erfahren. Somit hat man sehr bald verinnerlicht, dass dieses Projekt oberste Priorität haben wird. Was ist nun aber, wenn das Aufgreifen von weiteren Projekten während der Promotionszeit nicht der eigenen Wahlfreiheit unterliegt (wie z. B. Konferenzbesuche, Publikationen und Lehrerfahrungen), sondern man quasi gezwungenermaßen mitten in ein neues hineinkatapultiert wird? So ist es mir ergangen und ich möchte das Vorwort nutzen, um in Kürze darzustellen, welche Art von Projekt ich hier meine und wie es mir dabei erging. Das zweite, unüberschaubare Großprojekt begann im zweiten Jahr meiner Promotionsphase, genau genommen am 8. November 2010 mit dem Tod meiner Mutter. Ich hatte meine Datenerhebungsphase circa ein Jahr zuvor abgeschlossen und befand mich zu diesem Zeitpunkt in der Analyse- und ersten Schreibphase, als ich abrupt aus dieser herausgerissen wurde und mich auf einmal wieder mitten im empirischen Feld wiederfand. Ein Feld, das jedoch eine gänzlich andere Realität, als das meiner Ursprungsforschung aufwies und sich nicht mit Remigrationsprozessen und

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transnationalen Praktiken beschäftigte, auch wenn sich gleichsam etliche andere Formen von grenzüberschreitenden Erfahrungen vor allem auf emotionaler und mentaler Ebene nachzeichnen ließen. Ein Feld, das mich nicht nur als Forscherin, sondern vor allem als Teilnehmerin vereinnahmte und herausforderte. Da es generell äußerst schwer ist, zwei Forschungsprojekte mit diesem enormen Ausmaß parallel zu verfolgen, traf ich, wenn auch unbewusst, die Entscheidung, dass es wohl besser wäre, zunächst eines der beiden Projekte abzuschließen, um im Anschluss das andere erfolgreich beenden zu können. Die Prioritätensetzung war eindeutig. Das zweite Projekt hatte bereits seine Eigendynamik entfaltet. Die Realität gestaltete sich nicht nur durch aktive Handlungspraxis, indem ich im familiären Kontext soziale Unterstützung in praktischer, emotionaler und jeglicher anderen denkbaren Form leistete, sondern gleichsam entwickelte ich auf theoretischer Ebene komplexe Fragestellungen, die auf das Große Ganze, sozusagen die Fragen des Lebens fokussierten. Nach der Überwindung des ersten Schock-Zustandes, der Analyse des Ist-Zustandes und der permanenten Praxisinteraktion fingen eine intensive Recherchephase der Darstellung der Themen in den Medien sowie die Einarbeitung in die aktuelle Literatur an. Parallel erfolgten erste explorative Vorstudien, mit der Hoffnung, mehr über den praktischen Umgang und die Phasen der Überwindung von solchen Extremsituationen zu erfahren und um persönliche Bewältigungsmechanismen bezüglich der Verlusterfahrung entwickeln zu können. Herangezogen wurde eine Methodentriangulation bestehend aus etablierten Instrumentarien wie Gesprächen und Exkursionen sowie neueren Verfahren der Methodik des Reisens. Von kognitiven Reisen mittels der Erlernung von mentalen Meditationsübungen, die transmigrantische Elemente (siehe „Das Transmigrantische der Sozialen Arbeit“ in Kap. 2) beinhalteten bis hin zu physischen Reisen in die Natur und ins Kloster sowie in Form von wöchentlichen Heimatbesuchen (vgl. die Ausführungen zum Heimatkonzept in Kap. 1.3.2). Nach zwei Jahren kam ich zu der Einsicht, dass zwar schon etliche Erkenntnisse im neuen Projekt gewonnen wurden, dass dadurch

V orwort

aber auch das ursprüngliche Hauptprojekt, meine Dissertation zusehends unbewusst in den Hintergrund geraten war. Nach Phasen der Verdrängung der Problematik kam das permanente schlechte Gewissen und der soziale Druck des Vergleichs, dass ich es doch so wie meine KollegInnen hätte machen und einfach konsequent dranbleiben sollen. Es überkamen mich Gedanken, dass ich meine Dissertation wohl niemals abschließen würde sowie Wut, wieso ich bereits so viel Zeit vergeudet hatte. Ich fing an, standardisierte, leistungsorientierte Promotionsphasen kritisch zu reflektieren. Man sagt, dass es ganz normal ist, dass es immer kleinere und größere Krisen im Rahmen der Promotion gibt. Das Problem war nur, dass meine Krise nicht durch meine Dissertation, sondern durch das Leben ausgelöst wurde. Hinweise zum Umgang mit solch einer Lebenskrise des/der ForscherIn in der Phase der wissenschaftlichen Qualifikation, sind jedoch in keinem Methodenhandbuch der empirischen Sozialforschung nachzulesen. Ich erkannte, dass das neue Projekt wohl nicht so bald wie erhofft zu einem Abschluss kommen würde. Vielmehr würde es der Form einer Langzeitstudie bedürfen. Einer Langzeitstudie, die eine ganze Lebensspanne umfassen könnte. Aus diesem Grund musste ich meinen Untersuchungsplan ändern und versuchen, das LebensProjekt mit meinem ehemaligen Hauptprojekt, meiner Dissertation zu verbinden. Die Änderungen bestanden zunächst primär darin, dass ich lernen musste, meine Situation und meine Lebensumstände zu akzeptieren, meinen quantitativ-vergleichenden Blick auf meine Qualifikationsphase durch einen qualitativen zu ersetzen sowie meiner Dissertation einen neuen, wieder positiv konnotierten Rahmen zu geben. Dank der neuen Möglichkeit einer kumulativen Promotion im Bereich der Erziehungswissenschaften wurde dieser bald gefunden und somit zeichnete sich der nicht erloschene Publikationseifer der letzten Jahre aus, indem die veröffentlichten Artikel ins Zentrum der Dissertation rückten. Es ist paradox, dass empirische SozialforscherInnen, die sich mit individuellen Lebensverläufen und subjektiven Handlungsmustern ihrer Untersuchungspersonen beschäftigen, sich zunächst

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selbst zum Forschungsgegenstand erklären müssen, um ihre eigene Lebenssituation und ihre individuelle Biographie akzeptieren zu können. Dass die eigene Biographie nicht immer geradlinig verläuft und nicht nur berufs- und karrierefördernd ist, sondern durch Einschnitte und tragische Ereignisse geprägt sein kann, die Brüche verursachen, die zunächst einmal bewältigt werden müssen, sind erste zentrale Ergebnisse der genannten Studie. Der Subjektivität des/der ForscherIn Rechenschaft tragend, wird zugleich die These aufgestellt, dass gute Forschung und eine gute Dissertation, nur von einem/r ForscherIn durchgeführt werden kann, der/die gefestigt ist und nicht aktuell eigene Lebenskrisen zu bewältigen hat. Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass das Lebens-Projekt im Vergleich zum Promotionsprojekt für eine Zeit lang priorisiert werden kann. Dass die Autorin Zweiterem vor allem durch die soziale Unterstützung ihrer BetreuerInnnen und MentorInnen (Prof. Cornelia Schweppe, Prof. Wolfgang Schröer und Prof. Franz Hamburger) sowie durch zentrale Strong und Weak Ties (vgl. Granovetter 1985) des familiären (v. a. Silété Mensah, Brigitte und Klaus Schmidt, Rietje und Willem van Agtmael, Ingrid Berg, Hans und Andreas Olivier, Carina Gossen), des freundschaftlichen (v. a. Simone Carrier, Monica Faas, Ruth Merschky, Yasmin Seefeld, Kirsten Kreuder) sowie des beruflichen Netzwerkes (v. a. Andreas Herz, Pascal Ludwig, Yvonne Bach, Lena Huber, Kathrin Klein-Zimmer, Caroline Schmitt) einen neuen Stellenwert einräumen konnte, dafür spricht hoffentlich die vorliegende Publikation. Claudia Olivier-Mensah

Abstract

Bezieht man sich auf die etymologische Bedeutung des Wortes Rückkehr, drückt diese aus, dass eine Person sich erneut an einen Ort begibt, an dem diese bereits zuvor gewesen ist. Dieses wörtliche Verständnis von Rückkehr intendiert keine Definition eines Ortes als Ursprung, noch macht es Aussagen über den Zeitraum des zukünftigen Aufenthaltes an diesem. Dem entgegen wird in der politischen Migrations- und Entwicklungsdebatte seit den 1960er Jahren die Rückkehr in das Herkunftsland explizit dem moralisch-aufgeladenen Motiv der Heimkehr subsumiert und Rückkehr mit dem Endpunkt der Migration gleichgesetzt. Mit dieser Form erfolgreicher Rückkehr wird eine erneute Migration als Fall des Scheiterns deklariert. Das eindimensionale „Gehen- und Zurückkommen“-Verständnis, verliert in einer globalisierten und Welt immer mehr seiner empirischen Grundlage. Bei der Erschließung des Phänomens Rückkehr, welches durch hybride Remigrationsprozesse charakterisiert ist, sollten die klassisch verwendeten Migrations- und Integrationstheorien erweitert und Rückkehr als individueller Prozess aufgefasst werden. Der Sozialen Arbeit, deren zentrale Aufgabe es ist, Individuen und Gruppen in ihrer Lebensgestaltung und der Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu unterstützen, wird in dem Themenfeld der Rückkehr eine zentrale, wenn bislang nicht thematisierte, Rolle zuteil. Diese vermag unter einer transnationalen Perspektive Remigration nicht mehr mit einem Reintegrationsfokus in den nationalstaatlichen Herkunftskontext als erstrebtes Endziel, sondern als Teil eines

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zirkulären Systems sozialer Netzwerke und als Dimension von Transmigration zu fassen. In dem Konzept der TransREmigration werden die verschiedenen Bewegungsdynamiken zur Kenntnis genommen, und bislang verborgene transnationale Muster in Rückkehrprozessen sichtbar. Die vorliegende Beitragssammlung thematisiert den konzeptionellen und analytischen Zusammenhang von Rückkehr und Sozialer Arbeit. Im Fokus steht eine empirische Studie, die ghanaische TransREmigrantInnen aus Deutschland, deren soziale Transfers, persönliche Netzwerke sowie deren transnationale Handlungs-, Denk- und Wissensmuster beleuchtet. Die hierbei eingenommene transnationale Perspektive fungiert als Gegenentwurf zum neoliberalen Entwicklungsbegriff und konstituiert ein subjektives Entwicklungs- und Erfolgs-Verständnis welches die Bedürfnisse der AkteurInnen, ihre Alltagswelten sowie ihre Muster einer transnationalen Agency prononciert.

1. TransREmigration – eine konzeptionelle und analytische Rahmung

1.1 N eue M igr ationserfahrungen und innovative P ublik ationsformate „In 1945, after the ending of the wars with Germany and Japan, I was released from the army to return to Cambridge. University term had already begun, and many relationships and groups had been formed. It was in any case strange to travel from an artillery regiment on the Kiel Canal to a Cambridge college. I had been away for only four and a half years, but in the movements of war had lost touch with all my university friends. Then, after many strange days, I met a man I had worked with in the first year of the war, when the formations of the 1930s, though under pressure, were still active. He too had just come out of the Army. We talked eagerly, but not about the past. We were too much preoccupied with this new and strange world around us. Then we both said, in effect simultaneously: ‘the fact is, they just don’t speak the same language.’“ 

(Williams 1985, S. 11)

Die Redensart „nicht die gleiche Sprache sprechen“ ist eine weit verbreitete Ausdrucksweise, die oftmals in Konfliktsituationen Anwendung findet. Nur selten ist hier mit Sprache eine gesprochene lokale oder Landessprache gemeint, die zur Kommunikation zwischen Menschen dient und auf komplexen Zeichensystemen anhand von Regelbausteinen der Semiotik, Semantik und Syntaktik beruht. Diesbezüglich würde etwa der Ausdruck: „Sorry, I don’t

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speak your language“ viel eher darauf verweisen, dass man nicht dieselbe Sprache der 24 Sprachfamilien der Welt wie der/die KommunikationspartnerIn spricht. Die erst genannte Redensart verweist somit weniger auf eine fehlende Übereinstimmung in der verbalen Kommunikation, sondern vielmehr auf die interpersonale Diskrepanz mentaler und sozialer Prozesse sowie auf unterschiedliche Deutungshorizonte. „Nicht die gleiche Sprache zu sprechen“ impliziert unterschiedliche Meinungen, Einstellungen, Werte, Geschichten und Ansichten der Menschen, sowie unterschiedlich zugrunde liegende Erfahrungs- und Wissenswelten. Oder mit anderen Worten: Die Redensart bringt zum Ausdruck, „nicht den gleichen Horizont zu haben“ und „nicht auf einer Wellenlänge zu sein“. Dabei erschweren diese verschiedenen Horizonte des Denkens, Fühlens und Handelns nicht nur die Verständigung, sondern zudem ein Verstehen, das sich nicht nur auf eine einmalige Kommunikationssituation bezieht, sondern auf eine sinnhafte Selbstverortung, die zeitlich und räumlich gebundene Situationen überdauert. Das Verstehen der neuen, seltsamen „Welt“, die einen umgibt und zu der man zurückgekehrt ist, war nicht nur für Raymond Williams, Autor des Eingangs angeführten Zitates, Kriegsheimkehrer und walisischer Kulturtheoretiker, der als Begründer der Cultural Studies gilt, im Jahre 1945 herausfordernd. Ganz ähnliche Irritationen lassen sich bei Jack Straw1, einem Bildungsremigranten und ghanaischen Ingenieur im Jahre 2009 wiederfinden. „Totally even though not too long maybe three years or something, but or less than three years there […] it was a big difference […]. Coming back to Ghana…you realize that even though this is where you are from and you went away, but you realize that this is totally different. And you find it difficult to understand your own system. The system that you’ve been living in for twenty something years.“ (Jack Straw)

1 | Pseudonym des/der InterviewpartnerIn.

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eine konzeptionelle und analytische

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Trotz der verschiedenen Jahrzehnte (1985 vs. 2004), der unterschiedlichen Migrationsverläufe und nationalen Kontexte (Deutschland-Vereinigtes Königreich vs. Deutschland-Ghana), der differenten Migrations- wie auch Rückkehrmotive (Kriegseinsatz vs. Bildungsmigration) und der damit verbundenen äußerst unterschiedlichen Erlebnisse (z. B. Kampf und Verlust vs. Studium und Diskriminierung), erscheinen doch in beiden Passagen durch das Erleben von Fremdheit ganz ähnliche Beschreibungen von Differenzerfahrungen, die die gleichen Fragen aufwerfen: Kann eine drei bis fünf Jahre andauernde Abwesenheit aus dem Herkunftsland einen so großen Unterschied verursachen? Was verursacht diese, für die Menschen so deutlich erlebte und erzählbare, Diskrepanz? Was bzw. wer hat sich verändert? Sind es die Menschen vor Ort, die sozialen Beziehungen, die Umgebung, die Landschaft, das neue Gebäude, was irritiert oder ist es der/die Einzelne, der/die sich geändert hat? Warum fühlt es sich nicht mehr passend an, obwohl der Ort der Rückkehr doch einmal so vertraut war, die Heimat ist oder einmal war? Und was kann gegen dieses Erleben von Fremdheit getan werden? Möchte man bleiben? Wenn ja, wie kann man wieder lernen die gleiche Sprache zu sprechen? Wie kann ein Verstehen ermöglicht werden? Diese Fragen bilden den Horizont, um dem Phänomen Rückkehr in der hier vorliegenden Beitragssammlung aus Sicht der Sozialen Arbeit nachzugehen. Auf Basis der kumulativen Dissertationsschrift der Autorin bilden sechs Beiträge sowie die vorliegende Rahmung den Kern der Publikation. In diesem neuen Publikationsformat bettet die Rahmung die Schriften theoretisch in den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand ein. Dadurch erläutert diese den konzeptionellen und analytischen Zusammenhang von Rückkehr und Sozialer Arbeit unter einer transnationalen Sichtweise auf. Unter dem sozialpädagogischen 2 Konzept der TransREmigration 2 | Das Verständnis von Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit in der vorliegenden Publikation ist zurückzuführen auf die Definition von Otto und Thiersch (2011). „Wir verstehen Soziale Arbeit als integriertes Konzept von

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wird ein transnationales Verständnis entworfen, das Rückkehr als dynamischen, akteurszentrierten Prozess und Teil eines zirkulären Systems sozialer Netzwerke versteht. Der thematische Fokus der Rahmung orientiert sich an zentralen Themenfeldern der Beiträge, die im Zentrum dieser Arbeit stehen. Die Rahmung bündelt die zentralen Themen sowie den Fokus der Schriften in übergreifende Themenblöcke und ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird ein konzeptioneller Blick Sozialer Arbeit auf die (Re)Migrationsdebatte geworfen. Auf bauend auf die Forschungsperspektive der Transnationalität, wird die Aussicht auf Grenzgänge eröffnet, um den theoretischen Rahmen für ein transnational konzipiertes Remigrationsverständnis Sozialer Arbeit zu bilden. Im Weiteren werden die zentralen Thematiken der Rückkehr, Reintegration und Heimat, der Entwicklung und des Gain-Ansatzes sowie der sozialen Transfers mit dem Fokus auf Wissen und soziale Netzwerke eingeführt und aus der Perspektive der Sozialen Arbeit erweiternd beleuchtet. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, beinhaltet der konzeptionelle Blick Sozialer Arbeit auch immer eine Erweiterung der Debatte um eine transnationale Perspektive und schließt an das Verständnis einer Transnationalen Sozialen Arbeit an. Im zweiten Teil wird der Blickwinkel verändert und der Frage nachgegangen, welche analytischen Herausforderungen aus einem transnationalen Remigrationsverständnis für die Soziale Arbeit resultieren. Fokussiert wird zum einen die methodologische Ebene der Erforschung von Rückkehrprozessen, indem die qualitative Netzwerkanalyse als Methode einer transnationalen Remigrationsforschung eingeführt und weiter konzeptionalisiert wird. Zum anSozialpädagogik und Sozialarbeit in der Stabilisierung und Fortschreibung ihrer Traditionen, Erfahrungen und Erkenntnisse, als sozialwissenschaftlich orientiert, gesellschafts- und sozialpolitisch engagiert und interdisziplinär offen“ (S. V.). Soziale Arbeit umschließt theoretische Diskussionen, Forschung wie auch Praxis und reflektiert somit die disziplinäre wie auch professionelle Ebene.

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eine konzeptionelle und analytische

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Tabelle 1: Beiträge und zentrale Themen (Quelle: eigene Darstellung) Kapitel Beitrag 2 Transmigration(en) und Grenzarbeit in der Sozialen Arbeit 3 Soziale Entwicklung und Developmental Social Work 4

Zirkuläre Transfers, soziale Unterstützung und soziales Kapital in der Rückkehr

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Transnationales Wissen und Handlungsstrategien in Remigrationsprozessen

6

Haptische und digitale Tools der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse Transnationalität und soziale Netzwerkanalyse

7

Zentrale Themen Transnationalität/ Transmigration Soziale Arbeit Transnationalität Entwicklung Soziale Arbeit Transnationalität Rückkehr Entwicklung Mobilität Soziale Transfers Transnationalität Rückkehr Entwicklung Soziale Transfers/ Wissen Soziale Arbeit Soziale Netzwerke Methodik Transnationalität Soziale Netzwerke Methodik Methodologie

deren wird eine empirisch fundierte Typologie von TransREmigrantInnen für zukünftige akteurszentrierte Forschungen als Ausblick vorgestellt. Spezifische Thematiken, wie beispielsweise Reintegration, soziale Transfers und Methodik, stellen den zentralen Gegenstand einzelner Beiträge dar. Andere Themenbereiche hingegen, wie etwa Transnationalität oder Rückkehr, ziehen sich wie ein roter Faden

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durch die Mehrzahl der Beiträge und liegen quer zu den Schriften (siehe Tab. 1). Trotz dieser zum Teil bestehenden thematischen Überschneidungen, beleuchtet jeder Beitrag dabei Einzelaspekte und bestimmte Facetten der jeweiligen Thematik und verfolgt anhand einzelner Thesen eine spezifische Fragestellung und ein bestimmtes Anliegen in Bezug auf die Frage nach der Aufgabe Sozialer Arbeit im Kontext Remigration. Querverweise auf die Beiträge in der Rahmung und in den Beiträgen untereinander verdeutlichen die Stringenz der übergreifenden theoretischen Diskussion. Der innovative Auf bau der vorliegenden Beiragssammlung zeigt sich in der Kohärenz der einzelnen Beiträge sowie der einzelnen Literaturverzeichnisse. Diese Struktur setzt kein chronologisches Lesen der gesamten Publikation voraus, sondern ermöglicht das separate Erschliesen von einzelnen Beiträgen. Die Publikation eignet sich somit besonders zur Berabeitung in Seminaren oder Vorlesungen. Eine inhaltliche Übersicht der Beiträge folgt im nächsten Abschnitt.

1.2 Ü bersicht

der

B eitr agssammlung

Der erste Beitrag zum Thema „Transmigration(en) und Grenzarbeit in der Sozialen Arbeit“ (Kap. 2) rekonstruiert die Suchbewegung und Auseinandersetzung in theoretischen und empirischen Arbeiten der Sozialen Arbeit – mit und um – Phänomene(n) der Transmigration. Er eröffnet durch den Fokus auf Kommunikations-, Zugehörigkeits-, Mobilitäts- und Vernetzungspraktiken den Blick auf Alltagswelten der AkteurInnen. Die Abhandlung konkretisiert die Suche in dem Konzept des Transmigrantischen der Sozialen Arbeit, welches offenbart, dass Transmigration über die physische Mobilität von Personen hinausgeht und neben nationalen auch andere Grenzen überschritten werden. Damit regt der Aufsatz zur Auseinandersetzung einer disziplin- und professionseigenen Selbstverge-

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wisserung von Transmigration in der Sozialen Arbeit an und bildet zudem die theoretische Grundlage für das erweiterte Verständnis von Rückkehr-Migration und dem Konzept der TransREmigration der vorliegenden Publikation. Im zweiten Beitrag „Soziale Entwicklung und Developmental Social Work“ (Kap. 3) wird sich mit dem Entwicklungsansatz aus Sicht der Sozialen Arbeit auseinandergesetzt. Anhand von fünf Fallvignetten aus Praxis und Empirie im Kontext Subsahara-Afrikas wird der Developmental Social Work-Ansatz verdeutlicht. Es wird auf die Notwendigkeit einer sozialpädagogisch geprägten Konzeption von sozialer Entwicklung hingewiesen. Diese schließt neben ökonomischen auch soziale Transfers und eine informelle sowie transnationale Ebene, die Entwicklung von der physischen Anwesenheit der einzelnen AkteurInnen prinzipiell unabhängig macht, mit ein. Der Beitrag leistet unter der Betonung einer Agency-Perspektive somit eine sozialpädagogisch-kritische Reflexion des gegenwärtigen neoliberalen Entwicklungsverständnisses und reflektiert, welche Herausforderungen sich anhand des Mehrebenenansatzes für die Soziale Arbeit ergeben. Der dritte Beitrag mit dem Titel „Zirkuläre Transfers, soziale Unterstützung und soziales Kapital in der Rückkehr“ (Kap. 4) betrachtet den Zusammenhang von Transnationalisierung und Entwicklung. Es wird anhand eines Forschungsprojektes, das BildungsremigrantInnen in Ghana untersucht, eine transnationale Konzeption von Rückkehrprozessen entwickelt, die Rückkehr als Teil eines verwobenen Systems grenzüberschreitender Beziehungen ansieht. Fokussiert werden vor allem soziale Transfers, soziale Unterstützungsleistungen und soziales Kapital, die zwischen den RemigrantInnen und der Herkunftsgesellschaft fließen. Diese zirkulären sozialen Transfers werden dabei zur Voraussetzung einer erfolgreichen Rückkehr, so die Argumentation des Beitrages. Der Beitrag nimmt die Mobilitätskompetenz der RemigrantInnen, in einer kritischen Perspektive auf den vorherrschenden Reintegrationsansatz, in den Blick. Dabei wird nicht nur eine Schärfung der für den Gesamtzusammenhang wichtigen Definition von sozialen

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Transfers erreicht, sondern durch die Betonung von transnationalen Mobilitäten und Netzwerkbildungen wird zudem ein konzeptioneller Beitrag bezüglich der Rahmung einer transnationalen Rückkehrtheorie geleistet. Im Fokus der vierten Schrift „Transnationales Wissen und Handlungsstrategien in Remigrationsprozessen“ (Kap. 5) steht die Diskussion um Rückkehr-Migration und Wissen. Es wird gegen eine einseitige Darstellung von RemigrantInnen als „Lieferanten“ von „verwertbarem“ Wissen und die dominante Brain Gain-Perspektive für den Nationalstaat plädiert. Der Beitrag gründet auf den Analysen einer empirischen Studie, die ghanaische RemigrantInnen aus Deutschland betrachtet, und fokussiert unter dem Konzept des transnationalen Wissens auf implizite Wissensinhalte der AkteurInnen. Es werden drei Handlungsstrategien („Handschuh-Strategie“, „Umlegen des Gedankenschalters“, „Nischenbildung“) im Umgang mit dem sozialen Umfeld im Rückkehrprozess entwickelt. Reflektierend wird abschließend die Perspektive Sozialer Arbeit auf Rückkehrprozesse geworfen und die übergeordnete These des Beitrages aufgegriffen, dass sich der Brain Gain für den Nationalstaat oftmals als ein Brain Clash für die individuellen AkteurInnen entpuppt. Der Beitrag gewinnt Erkenntnisse über Kommunikations-, Handlungs- wie auch Wissensprozesse, die in transnationalen Settings vor besondere Herausforderungen gestellt sind. Die Thematik „Haptische und digitale Tools in der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse“ (Kap. 6) wird im fünften Beitrag behandelt und befasst sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von haptischen Instrumenten und Softwareprogrammen bei der Visualisierung sozialer Netzwerke. Am Beispiel einer Studie zu transnationalen Netzwerken und Migrationsbiographien von BildungsremigrantInnen in Ghana wird eine gekoppelte, sich wechselseitig ergänzende Anwendung von digitalen und haptischen visuellen Tools bei der Durchführung der qualitativen Netzwerkanalyse (QNA) anhand von sogenannten ego-zentrierten Netzwerkkarten dargestellt. Dabei wird der Einsatz von Papier und Laptop in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses

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diskutiert. Entgegen der allgemein vorherrschenden Tendenz vom Papier zum Laptop wird unter dem Motto „Papier trotz Laptop“ der adäquate Einsatz der Instrumente diskutiert. Somit wird anhand der Abhandlung nicht nur die qualitative Netzwerkanalyse als eine Methode zur Erfassung von Struktur und Agency vorgestellt, sondern außerdem ein beispielhafter Einblick in die Konzipierung von methodischen Forschungsdesigns in einer transnationalen Remigrationsforschung geboten. Der letzte Beitrag „Transnationalität und die soziale Netzwerkanalyse“ (Kap. 7) erörtert Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes der sozialen Netzwerkanalyse (SNA) in transnationalen Forschungkontexten. Die SNA erlaubt, Transnationalität über Beziehungen von AkteurInnen zu erfassen. Anhand von zwei empirischen egozentrierten Netzwerk-Studien, die einerseits mittels einer quantitativen Online-Befragung und andererseits in Form einer qualitativen Interview-Erhebung Daten erhoben haben, werden mit dem Fokus auf vier zentrale Thematiken (Modifikation von Erhebungsverfahren, Visualisierung zur Erhebung und Analyse, Strukturelle Perspektive, Bedeutung von geographischer Mobilität) Gemeinsamkeiten und Unterschiede im (transnationalen) Forschungsablauf verdeutlicht. Abschließend wird über den Ansatz einer transnationalen sozialen Netzwerkanalyse reflektiert. Der Aufsatz leistet somit einen relevanten Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Notwendigkeit von spezifischen methodischen Verfahren und methodologischen Ansätzen in der Transnationalitätsforschung.

1.3 E in

konzep tioneller B lick S ozialer auf die (R e)M igr ationsdebat te

A rbeit

Soziale Arbeit, die sich als wissenschaftliche Disziplin der Untersuchung der Stärkung von Eigenverantwortung sowie der Befähigung von Menschen am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben teilzunehmen versteht, legt ihren empirischen Erkenntnisfokus primär auf die Positionierungen, Sinnstrukturen und die Lebenspraxis von

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Einzelpersonen und Gruppen. Um auf theoretischer Ebene Erkenntnisse gewinnen und neue Ansätze inhaltlich schärfen zu können, bedarf es gleichsam konzeptioneller Arbeit. Der Beitrag der hier vorliegenden Dissertationsschrift liegt darin, unterschiedliche Themenfelder der (Re)Migrationsdebatte unter einem konzeptionellen Blick Sozialer Arbeit zu beleuchten. Im Folgenden werden für die sozialpädagogische Diskussion neue relevante Konzepte, wie TransReMigration (siehe Kap. 1.4.2), das Transmigrantische der Sozialen Arbeit (siehe Kap. 2), Brain Clash (siehe Kap. 5) und die transnationale soziale Netzwerkanalyse (siehe Kap. 7) in den einzelnen Publikationen entwickelt. Zudem werden auch bereits bestehende Konzepte, wie das einer Developmental Social Work (siehe Kap. 3) und jenes einer erfolgreichen Rückkehr (siehe Kap. 4), weiterentwickelt.

1.3.1 Transnationalität und andere Grenzgänge „It is assumed that the concept of Crossing Borders is not just limited to addressing geographical borders, but instead spans the distance across other potential dividers of humanity, i.e. psychological (xenophobia), gender, professional, social, economic, and generational barriers.“ (Crossing Borders 2015, S. 2) 3

Der Grenzbegriff mit seinen unterschiedlichen Akzentuierungen in den Bezeichnungen Grenzüberschreitung, Entgrenzung, Begrenzung, Grenzziehung, Grenzherstellung und Grenzbearbeitung erfreut sich nicht erst ab, aber vor allem seit Beginn des aktuellen Jahrzehnts großer Beliebtheit in den Transnational Studies. Bounda3 | Zitat aus dem Strategiepapier der Nichtregierungsorganisation „Crossing Borders. Creating Space for Dialogue“. Die NGO arbeitet in Europa, im Mittleren Osten, Afrika (u.a. Ghana) und Südamerika. Primär stellt sie durch unterschiedli-che Formen von Aktivitäten jungen Menschen sowie PädagogInnen Wissen über Diversität und Globalisierung so-wie Werkzeuge zur Verfügung, um einen Raum für Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und differenten Gesichtspunkten schaffen zu können.

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ries/Grenzen scheint derzeit nahezu überall theoretische Bedeutung beigemessen zu werden: Sei es als Grenzobjekt oder Grenzarbeit oder um es mit den oftmals gebrauchten englischen Pendants auszudrücken von (Un)Doing Boundaries, Boundary Making, Boundary Objects und Boundary Work. Vor allem seit Mau (2007) mit seinem Werk die „Transnationale Vergesellschaftung“ die Entgrenzung sozialer Lebenswelten betitelt hat, schießen Publikationen bezüglich der Grenz-Thematik wie Pilze aus dem Boden. Ethnic Boundary Making wird z. B. herangezogen, um die Verwobenheit von Institutionen, Macht und Netzwerken zu beschreiben (Wimmer 2013), Migration und Boundary Work werden gekoppelt, um Diskriminierungsprozesse und die Bedeutung des Ortes nachzuzeichnen (vgl. Mata 2009), der Grenzbegriff wird verwendet um Biographien, Identitäten und Praktiken von MigrantInnen zu beleuchten (vgl. Aits 2008; Joseph 2014) und Grenzziehungsprozesse werden herangezogen, um politische und gesetzliche Schließungsmechanismen gegenüber Ausländern, in denen Ethnizität, Religion und Kultur die wichtigsten Differenzmarker darstellen, nachzuzeichnen (vgl. Dahinden 2011), um nur einige wenige der neueren Studien im weiten Feld der soziologischen (Migrations-)Forschung zu nennen. Auch die transnationale sozialpädagogische Forschung sieht in dem Konzept einen neuen Hoffnungsträger. Ob nun im Bereich sozialer Dienste, in dem Agency als Grenzarbeit in transnationalen Alltagswelten bezeichnet wird (vgl. Schröer/Schweppe 2013a), im historischen Bereich, in dem nach Grenzobjekten zur Nachzeichnung von transnationalen Entstehungen sozialer Bewegungen in der Sozialen Arbeit gesucht wird (Köngeter 2013) oder zur Beschreibung der Produktion, Vermittlung und Transformation transnationalen Wissens (vgl. Bender et al. 2014; 2013). Augenscheinlich ist jedoch, dass diese Ansätze trotz der Bezugnahme auf Grenzen häufig Nationen-Grenzen fokussieren. Diese spielen sicherlich in einer gegenwärtigen reflektierten sozialpädagogischen Forschung eine wesentliche Rolle, doch besteht die Gefahr, dass der Blick für andere Grenzgänge und -ziehungen lediglich sekundär sozusagen im Schatten des großen NATIONA-

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LEN erfolgen. Dies induziert das Grunddilemma, welches alles das, was unter einem transnationalen Fokus erforscht wird, in erster Linie auch das Nationale als Motiv aufweist (vgl. Portes/Guarnizo/ Landholt 1999, S. 219). Zwar wird betont, dass durch Grenzarbeit in transnationalen Alltagswelten nicht nur territoriale Grenzen überschritten werden, sondern unterschiedliche soziale, rechtliche und biographische Zusammenhänge, die durch nationalstaatliche Grenzziehungen bedingt sind, bearbeitet werden (vgl. Schröer/ Schweppe 2012). Jedoch bleibt der Fokus auf den Nationalstaat dabei Voraussetzung, damit andere Grenzgänge ins Blickfeld geraten. Andere Forschungen im Bereich der Sozialen Arbeit verdeutlichen, dass Grenzarbeit zunächst auch unabhängig von (Trans) Nationalität betrachtet werden kann. So wird das Grenzobjekt verwendet, um Phänomene sozialer Welten und ihre Übergänge im Allgemeinen zu veranschaulichen (Hörster/Köngeter/Müller 2013), die alltägliche Grenzarbeit herangezogen, um die Rolle der Organisationspädagogik im disziplinären Feld der Sozialpädagogik herauszuarbeiten (vgl. Schröer/Truschkat 2013), die Aufgabe Sozialer Arbeit insgesamt als die einer Grenzbearbeiterin beschrieben (Kessl/Maurer 2010) und anhand von Grenzanalysen4 allgemein soziale Strukturen in Institutionen, Organisationen und Biographien analysiert. Ist das Schlagwort Grenze im Kontext Sozialer Arbeit somit als innovative Ablöseformel für den Transnationalitäts-Begriff zu verstehen? Vermag der Grenzansatz seinem Wortlaut zu folgen und auch die Theorie des Transnationalen zu entgrenzen? Oder ist die Weite der Betrachtung von verschiedenen Formen und Praktiken von Differenzierungen zu unpräzise, gegenstandslos und unterliegt somit der Gefahr im unbegrenzten Raum verloren zu gehen? 4 | Vgl. die Thematiken des 23. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) „Erziehungswissenschaftliche Grenzgänge“ (März 2012) und der Tagung „Grenzanalysen. Empirische Zugänge in der Erziehungswissenschaft“ (Juli 2014).

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Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen bedarf zunächst einer Reflexion der Perspektive der Transnationalität, um die zugrunde liegende Grenz-Perspektive erfassen zu können. Seit Beginn der frühen 1990er Jahre wurde Transnationalität als Alternative zu den klassischen Ansätzen der Assimilations- und Integrationstheorien (vgl. Esser 1980; Alba/Nee 2003) eröffnet, wobei Bewegungen von AkteurInnen und Phänomene, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten, in den Fokus rückten. „The term transnationalism or transnational processes emphasizes the ongoing interconnection or flow of people, ideas, objects, and capital across the borders of nation-states, in contexts in which the state shapes but does not contain such linkages and movements“ (Glick Schiller/Levitt 2006, S. 5). Das Konzept von Transnationalität fordert die Dichotomie national-territorialer Containermodelle heraus, wodurch aufgezeigt wird, dass MigrantInnen sich nicht ENTWEDER mit dem Ankunftsland ODER dem Herkunftsland verbunden fühlen, sondern dass sie unterschiedliche Zugehörigkeiten zu verschiedenen Orten, Communities und Gesellschaften gleichzeitig ausgestalten können (vgl. Vertovec 2001). Erweiternd wird der Ansatz nicht mehr nur auf die Gruppe der MigrantInnen bezogen, sondern von der Transnationalisierung breiter Teile der Gesellschaften gesprochen (vgl. Mau 2007). Transnationalität setzt somit geographische Mobilität nicht unbedingt voraus und ist nicht nur ein Phänomen mobiler Personen. Das Konzept betrachtet generell Kreisläufe von Menschen, Informationen und Gütern in sozialen Räumen (vgl. Pries 2008; Faist 2000) bzw. sozialen Feldern (vgl. Levitt/Glick Schiller 2004), die mehrere Nationalstaaten miteinander verbinden und grenzübergreifende Beziehungen, Netzwerke, Strukturen und Handlungen ausgestalten. Neben Verflechtungszusammenhängen und sozialstrukturellen wie auch politischen Bedingungen auf Meso- und Makroebene, etwa durch die Erforschung von globalen Phänomenen, rücken zudem nationale Grenzen überschreitende Praktiken, Zugehörigkeiten, Identitäten, Orientierungen, Positionierungen und Lebenswelten der AkteurInnen in den Mittelpunkt der Forschung (vgl. Smith/Guarnizo 1998; Schröer/Schweppe 2013a). Mit solch ei-

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nem akteurszentrierten Fokus auf den handelnden Einzelnen bzw. Kollektive, ihre Bedürfnisse, Alltagswelten und Handlungsmöglichkeiten, sind wir im Kern des Forschungsinteresses der Sozialen Arbeit angelangt. Denn dieses ist auf das Denken, Handeln und Fühlen der AkteurInnen sowie die strukturellen Gegebenheiten, ihre Handlungsmöglichkeiten und Verwirklichungschancen, demnach ihrer Agency ausgerichtet (vgl. Grasshoff 2013; Homfeldt/ Schröer/Schweppe 2008a). Mit dem Forschungsansatz der Transnationalität wird der Kritik des „methodologischen Nationalismus“ der Sozialwissenschaften Rechnung getragen, der darin besteht, dass durch den Bezug auf Nationalstaaten als Referenzrahmen in der Forschung das sogenannte Container-Verständnis einer Gesellschaft einhergeht, nach welchem eine Gesellschaft als räumlicher Behälter konzipiert ist und alle relevanten Beziehungen koexistent mit dem Staatsterritorium gedacht werden (vgl. Pries 2008; Wimmer/Glick Schiller 2002). Durch diese Naturalisierung werden die territorialen Grenzen zu natürlichen Grenzen und der Nationalstaat zu einer homogenen Einheit konstruiert. Doch verfällt die Transnationalitätsforschung nicht genau diesem „methodologischen Nationalismus“, wenn unter Crossing Borders, wie im Eingangszitat dargestellt, primär die Grenzüberschreitung von nationalen Grenzen betrachtet wird? Sollte nicht das Anliegen Sozialer Arbeit sein, dass auch andere Differenzmarker, wie etwa ethnische, generationale und Geschlechtergrenzen mit einem Fokus auf Agency primär Beachtung finden? Oder sollten in einer globalisierten Welt, die durch Migrationsprozesse gekennzeichnet ist, die als primäre Basis stets einer Grenzbearbeitung von nationalen Grenzen bedürfen, nur aus einer solchen Perspektive auch andere Grenzen nachgezeichnet werden? Werden oftmals nicht auch andere Konzepte, wie z. B. das der Transkulturalität (vgl. Berg/Ní Éigeartaigh 2010; Hoerder 2012) und der Transstaatlichkeit (vgl. Fox 2005) unter dem Nationalen subsumiert und somit

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Nation mit Kultur5 und Staat6 gleichgesetzt? Oder gibt es eventuell schon passende Konzepte, wie etwa Transitions, Transformationen (vgl. Vertovec 2004), Super-Diversity7 (Geldof 2016; Vertovec 2007) oder eben den Grenzgang, um genau das auszudrücken, was wir versuchen mit dem Hype des Transnationalen zu belegen? „Are we [really] all transnationals now?“, wie Dahinden (2009) fragen würde. So scheint z. B. in der Ehe- und Paarberatung von bi-nationalen PartnerInnen vielmehr die Dimensionen Kultur und Biographie zentral zu sein, anstatt der Nationalstaat (Kaufmann 2013). Sind für die Handlungen und Zugehörigkeiten von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte der zweiten Generation wirklich das Herkunftsland der Eltern und somit die transnationalen Bezüge primär, oder sind es nicht eher intergenerationale Aushandlungsprozesse in der Familie, die von Bedeutung sind? (vgl. Klein-Zimmer 2013; siehe auch Kap. 2.5). Und ist nicht die Lebensphase der Adoleszenz und Themen wie Ethnizität, Geschlecht und Kultur bei den Differenzkonstruktionen von jungen Erwachsenen im internationalen Freiwilligendienst im Ausland von gleicher oder vielleicht sogar größerer Wichtigkeit als 5 | Der Begriff der Kultur beschreibt einen Lebensstil, der an eine bestimmte Nationalität, Rasse oder auch soziale Gruppe gebunden ist. „A country’s culture is […] the glue that binds its inhabitants together and marks them as a distinct ethnic group“ (Berg/Ní Éigeartaigh 2010, S. 7; vgl. auch Bhabha 1994). 6 | Das Konzept der Transstaatlichkeit oder auch als Trans-State bezeichnet unterscheidet zwischen Staat und Nation. Der Staat bezieht sich auf die territoriale Einheit, die Nation auf die soziale Kollektivität (Waldinger/ Fitzgerald 2004; vgl. auch Levitt 2001). 7 | Das Konzept der Super-Diversity umfasst folgende drei Variablen: Herkunftsland (Ethnizität, Sprache, religiöse Traditionen, regionale und lokale Identitäten, kulturelle Werte und Praktiken), Migrationskanäle (bezogen auf soziale Netzwerke und Nischen im Arbeitsmarkt) und legaler Status. Diese wiederum sind verwoben mit Ko-Konditionen, wie Humankapital, Zugang zu Arbeit, Lokalität, sozialen Diensten und lokalen BewohnerInnen (Vertovec 2007).

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die Dimension des Nationalen? (Mangold 2013b; siehe auch Kap. 2.5). Werden Forschungsergebnisse nicht eventuell sogar verzerrt, wenn die transnationale Brille alles überwölbt? So findet Mau (2007) mit seiner Untersuchung der deutschen Bevölkerung heraus, dass 50 % der Deutschen mindestens eine Person im Ausland kennen und unterstützt dadurch seine weitreichende These der generellen Transnationalisierung der Lebenswelt. In einer anderen Analyse bezüglich der gleichen Untersuchungsgruppe wird jedoch ein sehr entgegengesetztes Ergebnis deutlich, nämlich, dass nur 2,9 % der deutschen Bevölkerung eine transnationale Beziehung haben, mit der sie „wichtige Dinge“ besprechen (Herz et al. 2014). Dies wirft die Frage auf, wie vorherrschend die breite Transnationalisierung der Massen tatsächlich ist und wie wir transnationale Beziehungen und auch Transnationalität insgesamt konzeptualisieren. Kann man somit überspitzt fragen: Ist die Grenze des Transnationalitätsansatzes erreicht? Im breiten Themenfeld der Transnationalität wird der Fokus im Folgenden auf den speziellen Bereich der Transmigration gelegt, um darin einen multiperspektivischen Ansatz für die Soziale Arbeit aufzuzeigen. Dieser nimmt in Form des Konzeptes des Transmigrantischen der Sozialen Arbeit auf einige der bisher aufgeworfenen Fragen Bezug, beantwortet manche und stellt gleichzeitig neue. Somit ist das Konzept als sensibilisierende Blickrichtung für die Soziale Arbeit aufzufassen. Es soll dabei ein umgekehrter Weg zu der bisherigen Forschungsentwicklung gegangen werden, indem nicht Transnationalität als öffnender Blick auf Transmigration geworfen wird, und somit unabhängig von Mobilität wird, sondern Transmigration soll als erweiternde Perspektive gewählt werden, um sich somit vorerst dem Nationalstaat entledigen zu können. Transmigration „weicht […] von dem idealtypischen Modell der Wanderung als eines einmaligen und in eine Richtung verlaufenden Ortswechsels ab. Es handelt sich um ein Kommen und Gehen, welches die Basis ist für einen Kreislauf von Menschen, Informationen und Gütern“ (Pries 1996, S. 459). Die klassischen Migrationsformen der Emigration/Immigration, der Remigrati-

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on und der Diaspora-Migration werden somit um den Typus der Transmigration erweitert (Pries 2010, S. 60)8 . Den Grundzügen des Modells der Transnationalität entsprechend, legt Transmigration den Schwerpunkt jedoch auf die Mobilität bei der Überschreitung von nationalen Grenzen und betrachtet Wanderungsformen als physische Zirkularität grenzüberschreitender Bewegungen. „Transnationalism invokes a travel plan that is continuous not finite“ (Ley/ Kobayashi 2005, S. 113). Gleichsam eröffnet das Konzept, anstatt das Phänomen zu beschreiben, den Blick auf die Prozessualität und fokussiert die transnationalen AkteurInnen als TransmigrantInnen. „Transmigrants develop and maintain multiple relations – familial, economic, social, organizational, religious, and political that span borders. Transmigrants take actions, make decisions, and feel concerns, and develop identities within social networks that connect them to two or more societies simultaneously.“ (Glick Schiller/Basch/SzantonBlanc 1992, S. 2)

Diese Perspektive kann auch für die Soziale Arbeit einen innovativen Ansatz eröffnen, die vor die Herausforderung gestellt ist, grenzüberschreitend organisierte Alltagswelten und Realitäten der AdressatInnen zu überdenken, wie es etwa in dem Ansatz einer Transnationalen Sozialen Arbeit gefordert wird (vgl. Bartley et al. 2012; Kammer-Rutten et. al. 2017; Negi/Furman 2010; Nowak 2012; Olivier-Mensah/Schröer/Schweppe 2017a). „Transnational social work research raises the question of how transnational phenomena and processes can be captured empirically. It requires a reflexive turn with regard to concepts, methodologies, and methods in 8 | Die hier vorliegende Arbeit geht jedoch von einer Ablösung der Idealtypen der Migration nach Pries (2010) aus, indem sie den zweiten Typus der Remigration mit dem vierten Typus der Transmigration in der Form des/ der TransREmigrantIn verbindet. Zur genaueren Erläuterung dieses Modells (siehe Kap. 1.4.2).

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order to overcome the established link between nation-state and social work and to pave the way for the description and analysis of social work realities beyond national borders.“ (Olivier-Mensah/Schröer/Schweppe 2017b, S. 3)

Somit sollte sich Soziale Arbeit mit dem empirischen Phänomen der Transmigration beschäftigen (vgl. Boccagni/Righard/Bolzman 2015; Lyons 2015; Schrooten et al. 2016) sowie das Verständnis von Transmigration aus der Perspektive Sozialer Arbeit reflektieren. Oder ist die Zeit gekommen, gleichfalls die TransnationalismusTheorie in Frage zu stellen, so wie Waldinger und Fitzgerald (2004) es proklamieren, und dabei nach den zugrunde liegenden Mustern der Grenzüberschreitungen zu fragen. „What different patterns characterize the many forms of cross-border involvement – whether occurring in political, economic or cultural spheres, or involving concerted action or everyday?“ (Waldinger 2013, S. 757)

Zumindest scheint der Ansatz eines Ethnic Boundary Making (Wimmer 2013), der Ethnizität an die mühsam frei geschaufelte Stelle des Nationalstaates setzt, ebenfalls keinen Königsweg zu offenbaren. Die jüngste Diskussion in einer Sonderausgabe der Zeitschrift „Ethnic and Racial Studies“, in welcher das Modell kritisch beleuchtet wird (vgl. Lamont 2014, Song 2014) verdeutlicht dies. Woraufhin eine Gegendarstellung erfolgt (vgl. Wimmer 2014) und zuletzt die Frage gestellt wird, ob es nicht an der Zeit ist „to move beyond boundary making?“ (Jenkins 2014). Vorgeschlagen wird hier ein Zwischenweg. Grenzarbeit und Grenzanalyse ja, aber nicht in einem grenzlosen Raum, denn sonst besteht die Gefahr, dass das Feld, welches mittels der Grenzperspektive entschlüsselt werden soll, alles und nichts zu sagen vermag und keine Interpretationsfolie mehr vorhanden ist. Es empfiehlt sich deshalb, unterschiedliche Faktoren und Dimensionen zu akzentuieren und nicht ausschließlich Transnationalität oder Ethnizität ins Zentrum zu setzen, sondern stets zu fragen, was das

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zugrunde liegende prägende System ist, um dadurch gleichsam andere Praktiken der Differenzierung in den Mittelpunkt der Forschung zu rücken. So etwa wie Faist, Fauser und Reisenauer (2014) nach dem Transnationalen in der Migration fragen, muss in diesem Sinne die Soziale Arbeit nach dem Kern ihrer Forschungsinteressen fragen. Bewusst überspitzt möchte an dieser Stellen kein neuer phänomenologischer Blick proklamiert, sondern eine sensibilisierende Frage nach dem Transmigrantischen der Sozialen Arbeit gestellt werden (siehe Kap. 2.4). Anlehnend an die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe „trans“9‚ als „über/hinüber/jenseits“ und „Migration“ von „migratio“ als „Wanderung/Bewegungen“, werden mit dem Transmigrantischen unterschiedliche Grenzen anhand deren Überschreitung zum Thema. Im Mittelpunkt steht der Prozess der Bewegung und somit die Überschreitung von Grenzen, die im Folgenden stets als Praktiken des Grenzgangs verstanden werden. Für die Soziale Arbeit ermöglicht der Begriff des Transmigrantischen somit nicht nur das „Trans-Nationalisieren“ von Grenzen zu reflektieren, sondern allgemein geschlossene Verständnisse von festen Einheiten zu öffnen. In solch einem Verständnis werden Kultur, Ethnizität, Religion, Geschlecht, Lebensalter oder Generation gleichsam wie Nation nicht als natürlich gegebene Einheiten betrachtet, sondern als soziale Konstrukte, deren Grenzen in deren Überschreitung in sozialen Praktiken hergestellt und sichtbar werden. So vermag die Soziale Arbeit neben dem „methodologischen Nationalismus“ beispielsweise auch für einen methodologischen Kulturalismus, Ethnizismus und Genderismus zu sensibilisieren (siehe Kap. 2).

9 | Knapp (2009) wirft einen Blick auf Konzepte, mit denen gegenwärtige Gesellschaftsanalyse betrieben wird. Auffallend ist die Beliebtheit von Komposita mit der Vorsilbe „trans“, die auf eine verstärkte Auseinandersetzung mit tradierten Formen der Grenzziehung hindeutet (vgl. auch Klein 2010; Mangold 2013a).

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1.3.2 Rückkehr, Heimat und Mobilität „One bright morning when the sun is shining I pack my package and come back home. I know you missed me, Mama you missed me, don’t cry no more Mama I’m coming home […]. Sweet home, sweet Africa someone’s got to carry me home. Sweet home, sweet Africa someone’s got to carry me home […]. I’ve been to many places and I’ve seen so many faces but there is no place like home [….]. Why can’t you safe your country? We still living in this mental slavery but the black man wants try to be wise and stay home […]. I’ll never spend no thousands of dollars to fly away home I’ll never spend no millions of cedis to fly away home I’ll never spend those thousands of pounds to fly away home Because I’ll stay home, stay home, stay home […].“ (4x4 2009)10

Das Eingangszitat verdeutlicht anschaulich, welche Muster und Botschaften über Remigration präsent sind. Rückkehr wird mit dem Zurückkommen zur Heimat, zur „Mama“ gleichgesetzt. Durch die 10 | Auszug aus dem Lied „Sweet Home“ der ghanaischen Hip-Hop-Band 4x4. Die Gruppe 4x4 spielt ghanaischen Rap, der sich durch seine Mischform aus unterschiedlichen musikalischen Einflüssen auszeichnet. Musikalisch angelehnt an den Crunk, ein Subgenre des Hip-Hops aus dem Süden der USA, wird vor allem in lokalen Sprachen und Dialekten Ghanas, wie Akuapem Twi, Ga und Ewe sowie in sogenanntem „Pidgin English“, welches an sich bereits eine Synthese aus Englisch und lokalen Sprachen im Zuge kolonialer Prozesse zur vereinfachten kommunikativen Verständigung darstellt, gesungen.

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Verwendung der Mutter-Metapher wird eine ursprüngliche, unkündbare und nahe Bindung zwischen der migrierten Person und der Heimat hergestellt sowie das Gewissen ermahnt, die begangene Tat des Verlassens durch die Heimkehr wieder gutzumachen und dadurch das eigene Land zu retten. Gleichzeitig greift die Vernunft, appelliert, dass der Migrationskreislauf, der viel Geld gekostet hat, unterbrochen werden soll und man in Zukunft zu Hause bleiben wird. Indem Heimat keinem nationalstaatlichen, sondern einem kontinentalen Kontext (Afrika) zugeordnet wird, wird den Aussagen eine Allgemeingültigkeit für alle AfrikanerInnen verliehen und Heimkehr rückt ins Zentrum eines „Migration for Development in Africa“11-Appells. Rückkehr unterliegt somit erstens einem Entwicklungsauftrag, wird zweitens dem Konzept der Heimat subsumiert sowie drittens mit dem Endpunkt der Migration gleichgesetzt. Die Diskussion um den sogenannten „Mythos der Rückkehr“ als Heimat und Endpunkt (vgl. Black/Koser 1999; Sinatti 2011) soll im Weiteren durch die Nachzeichnung der aktuellen wissenschaftlichen Debatte näher beleuchtet werden. Der Begriff Remigration drückt laut Currle (2006) aus, dass eine Person, die eine bestimmte Zeit nicht in ihrem Herkunftsland verbracht hat, in dieses zurückkehrt. Rückkehr-Migration kann verschiedene Formen annehmen. Unterschieden wird zwischen permanenter und temporärer Rückkehr, Besuchen, sogenannten Return Visits (vgl. Olivier-Mensah/Scholl-Schneider/Schweppe 2015; Oeppen 2013) und (Co-)Ethnic Returns, zu diesen die Rückkehr der zweiten und nachfolgenden Generationen zu den historischen „Wurzeln ihre Ahnen“ gezählt wird (vgl. King/Christou 2011; Scholl-Schneider 2017). Im Gegensatz zur Emigration, die durch den Weg in die Fremde mit Ungewissheit und Risiken verbunden wird, wird Rückkehr mit 11 | Migration for Development in Afrika (MIDA) ist der Name einer Initiative, die von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Jahre 2001 gegründet wurde, um die Potentiale von afrikanischen MigrantInnen für die Entwicklung Afrikas zu stärken und nutzbar zu machen.

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Wiedersehen und Altbekannten, welches keinerlei Gefahren beinhaltet und mit der Wiederaufnahme in den Kreis der Familie assoziiert (vgl. Dünnwald 2014; Olivier-Mensah/Scholl-Schneider 2016a; Salaff/Chang 2012). Remigration wird somit als eine bestimmte Form der Migration, bei der Ort und Richtung eine zentrale Rolle spielen, dargestellt. Der Ort wird zumeist dadurch charakterisiert, dass dieser nicht nur aus früheren Zeiten bekannt ist, sondern als Ursprung (als Geburtsort, Nationalität oder ethnischer Herkunft) betrachtet wird. Konstrukte, wie Ethnizität, Zugehörigkeit, Wurzeln und Heimat werden herangezogen, um dem Bekannten und der historischen Verbundenheit zu diesem Ort Ausdruck zu verleihen. Jedoch werden diese als natürlich interpretierte Verbindungen zwischen Menschen, Kulturen und Ländern zunehmend herausgefordert, da sich die Definition von Heimat im Wandel befindet. Wohingegen Heimat zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einen eindeutigen Bezug zu einem Ort aufwies als „the place where you are known and trusted […] a place where you belong and feel safe and secure“ (Storti 200, S. 3), hat sich das Heimatverständnis um eine transnationale Perspektive erweitert und ist unabhängig von Örtlichkeit und nationalen Grenzen geworden (vgl. Ralph/Staeheli 2011; Teo 2011; Yeoh/Charney/Kiong 2003). Konzepte wie zweiheimisch (Spohn 2006), Multiple Homes und Home in Transit verstehen Heimat nicht als geographisches Kontinuum, sondern als Identifikation und Interaktionen mit multiplen Orten (vgl. Oeppen 2013). TransmigrantInnen werden oftmals als „at home in the world“, um es mit Manuhs (2005) Worten auszudrücken, dargestellt. Es wird konstatiert, dass solch eine transnationale Verortung in gleichem Maße auch für RemigrantInnen, die in Ihre Herkunftsländer zurückkehren zutrifft. „[R]eturnees are also likely to construct a multilocal sense of home“ (De Bree/Davids/De Haas 2010, S. 491; vgl. auch Pedersen 2003). Remigration wird zudem nicht einfach nur als Wiederkehr zum Ursprung abgebildet, sondern Gefühle und Zugehörigkeiten müssen nach der Rückkehr neu ausgehandelt werden (vgl. Cassarino 2004; De Bree 2007).

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„[T]o illustrate […] how confusing these shifting perspectives can be to returned migrants, who find themselves living between two competing systems of cultural consciousness, awareness, representation and expectation.“ (Cheveresan 2010, S. 87)

Tsuda (2009) beschreibt, wie sich Benachteiligungsmechanismen in der Herkunftsgesellschaft, die durch soziokulturelle Unterschiede und eine andere nationalstaatliche Prägung bedingt sind, sogenannte diasporische HeimkehrerInnen zu einer Redefinierung der Bedeutung von Heimat und Heimatland zwingen. Weder das Herkunftsland, noch die RemigrantInnen sind dabei gleich geblieben, sondern das Land und die dort lebenden Menschen haben sich weiterentwickelt und zugleich hat die Zeit im Ausland die RückkehrerInnen geprägt (vgl. Ghanem 2003; Sussman 2007; Warner 1994; siehe auch Kap. 4.6.3 und Kap. 5). „New skills, knowledge, changed behaviors, values, norms, belongings, and identities have developed during migration. This challenges the actors to deal with their changes, learning processes, and ‘transnational knowledge’ after their return and to redefine the meaning of home and homeland.“ (Olivier-Mensah/Scholl Schneider 2016b, S. 3 f.)

Vorherige FreundInnen sind eventuell weggezogen, die alte Nachbarschaft ist nicht mehr die gleiche, der Arbeitskontext ist komplexer. „Their ideas and work ethics may be challenged by others and they may feel isolated and discouraged“ (Azimi 2001, zitiert nach Oeppen 2013, S. 270; vgl. auch Achebe 2002). Die Gefahr eines Reverse Culture Shocks besteht, wie mit den Worten von Schütz (1945) beschrieben werden kann, der bereits in den 1940er Jahren in einem Essay mit dem Titel „The Homecomer“ Folgendes verfasste: „The homecomer, however, expects to return to an environment of which he always had and – so he thinks − still has intimate knowledge and which he has just to take for granted in order to find his bearings within it. The approaching stranger has to anticipate in a more or less empty way what

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he will find; the homecomer has just to recur to the memories of his past. So he feels; and because he feels, so he will suffer the typical shock.“ (S. 369)

In der Erforschung von Rückkehrprozessen wurden lange Zeit klassisch ökonomische Theorieansätze verwendet, zu denen auch die neoliberale Entwicklungsperspektive gehört, die auf wirtschaftliche Einflüsse durch Rückwanderung aufmerksam machten und die, wie beispielsweise der Neoklassische Ansatz oder das Modell des New Economic of Labour Migration (NELM), die RemigrantInnen lediglich als Überbringer ausländischen ökonomischen Kapitals ansahen. RemigrantInnen werden dabei primär mit dem obersten Ziel der Rückkehr, der Reintegration konfrontiert, welches ebenso wie die klassischen Ansätze der Assimilations- und Integrationstheorien im Kontext der Aufnahmeländer ein geschlossenes hierarchisches System darstellt. „[T]he narrative of return can imply as much coherence and closure as the immigration-assimilation genre“ (Ley/ Kobayashi 2005, S. 117). Eine nachhaltige Reintegration, das heißt das Ausbleiben einer erneuten Migration, wird in dieser Sicht als erfolgreiche Rückkehr definiert. Unter Reintegration wird die Wiedereingliederung und Rückanpassung der RückkehrerInnen in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben des Herkunftslandes verstanden (vgl. Baraulina/ Kreienbrink 2013; Kilbride 2014; Kjertum 1998). Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass die Aufnahmegesellschaft in sich geschlossen und homogen ist. Die Vereinfachung birgt die Gefahr der Herstellung von Bipolarität zwischen „dem Eigenen“ und „dem Fremden“ (Simmel 1908) und der Erwartung, dass sich RückkehrerInnen lediglich wieder in ihre Herkunftsgesellschaft einfügen und anpassen müssen. Dabei wird das Verhältnis von RemigrantInnen und nicht Migrierten zumeist als spannungsreich beschrieben und festgestellt, dass unterschiedliche Prioritätensetzungen, Verhaltensweisen und Normen zu einem Clash führen können (siehe Kap. 5).

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„[T]he migrants’ agenda often clashes with those of the stay-at-homes, in part because the migrants no longer know the realities on the ground, in part, because migration has changed their wants and preferences.“ (Waldinger 2013, S. 769)

Es wird erläutert, dass die nicht migrierten Personen oftmals nicht das gleiche Wertesystem wie die RemigrantInnen vertreten und sie die neuen Ansichten und Impulse nicht als Bereicherung und Lernerfahrung, sondern vielmehr als einen Störfaktor wahrnehmen und als intentionalen Akt von Differenzmarkierung „anders“ bzw. „besser“ zu sein bewerten. „Hong Kong returnees are not regarded as bona-fide Hongkongers by local residents and they often regard themselves in the same way, as ‘non bona-fide’ – perhaps because of a self-fulfilling prophecy… They are a ‘sandwich group’ in Hong Kong society.“ (Kwok-bun/Wai-wan 2012, S. 93)

Hinsichtlich der gleichen ethnischen Abstammung und Nationalität, findet somit nicht automatisch eine Wiedereingliederung in die lokale Kultur und Gesellschaft statt, sondern die RückkehrerInnen sind vor die Herausforderung gestellt, öffentliche und gesellschaftliche Erwartungen und persönliche Vorlieben zu managen (vgl. Pedersen 2003). Denn „[k]ommt eine Verhaltenserwartung oder Klassifikation den wahrgenommenen eigenen Interessen nicht so entgegen, dass diese in Bezug darauf formulierbar wären, so wird sie zwar vielleicht routinemäßig befolgt, aber deshalb nicht als legitim und gültig erachtet“ (Wimmer 2004, S. 37). Somit bedarf es Neupositionierungen im Rückkehrprozess. „Return migration is thus best understood as a new phase in which belonging to a ‘place’ and ‘community’ has to be renegotiated.“ (De Bree/ Davids/De Haas 2010, S. 490)

Für diese komplexen Neuaushandlungen werden zunehmend andere Begrifflichkeiten, wie „Ein-“ oder auch „Rückbettung“ (Granovet-

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ter 1985) oder jener der Neuverortung gesucht. Auch die Erweiterung des Intergrationsverständnisses im Sinne der Einbettung in soziale Netzwerkstrukturen (siehe Kap. 4.10) oder im Sinne „seinen Platz zu finden“, wie dies z. B. De Bree, Davids und De Haas (2010) in ihren Analysen zu transnationalen Praktiken und Zugehörigkeiten nach der Rückkehr benennen, wird unternommen: „We thus approach integration from the viewpoint of individuals finding their place in society rather than adopting to its dominant norms“ (De Bree/Davids/De Haas 2010, S. 492 f.). „Finding their place“ beinhaltet Raum für unterschiedlichste Praktiken, Einstellungen und Zugehörigkeiten, die wiederum Ausdruck in Handlungsstrategien finden, die lokal wie auch transnational ausgerichtet sein können. Seinen Platz in der Gesellschaft zu finden kann dabei durchaus mit Anpassungsmechanismen, aber auch etwa mit „Nischenbildungen“ einhergehen und öffnet die Möglichkeit von bidirektionalen Lernprozessen und Differenzdestruktionen zwischen RückkehrerInnen und ihrem sozialen Umfeld in der Herkunftsgesellschaft (siehe Kap. 5.5). Neuere Studien versuchen außerdem den Integrations- mit dem Transnationalitätsansatz zu verbinden und unter der Anerkennung von transnationalen Mobilitäten, transnationalen sozialen Netzwerkstrukturen und weiteren transnationalen Mustern den Widerstreit der beiden Perspektiven zu schlichten und sie nicht mehr als Gegensätze zu interpretieren (vgl. De Haas/Fokkema 2011; Erdal/Oeppen 2013; Faist/Fauser/Reisenauer 2014, S. 100ff.; Nieswand 2008; Oeppen 2013). Transnationale Praktiken spielen eine essentielle Rolle in den Neuverhandlungen und -Verortungen in Rückkehrprozessen. „[T]he lives of migrants’ families and friends in the countries of origin are also likely to become ‘transnationalized’ and it would be unrealistic to assume that migrants would readily ‘give up’ their transnational activities and orientations after return.“ (De Bree/Davids/De Haas 2010, S. 490)

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Transnational orientiert und lokal reintegriert könnte auch hier ein neues Motto lauten. Unter einem Mobility Approach for Reintegration könnte zudem verdeutlicht werden, dass Rückkehr nicht das Ende des Migrationsprozesses bedeuten muss und die Perspektive gestärkt werden, dass verschiedene Orte verschiedene Bedürfnisse in verschiedenen Lebensabschnitten erfüllen (vgl. Ley/Kobayashi 2005). In den letzten Jahren sind etliche Studien im asiatischen Kontext zu Remigration unter solch einer transnationalen Perspektive entstanden (vgl. Kwok-bun 2012; Kwok-bun//Wai-wan 2012; Ngan 2012; Teo 2011; Xiang 2014; Xiang/Yeoh/Toyota 2013), die die Herausforderungen von Zugehörigkeiten, zirkulären Mobilitäten und Positionierungen von RemigrantInnen näher beleuchten. „Return migration … is far from a problem-free event, … preceded by multiple visits revisits and remittances and with returnee having to face up to the strains ad anxieties of readjustment or reverse culture shock once they are back home. Moreover, returning home may signify an initial way-station or a stop-over of a lengthy diasporic journey across different corners of the world.“ (Kwok-bun/Wai-wan 2012, S. 73 f.)

In der Literatur wird das Bedürfnis nach dem Ausleben von transnationalen Praktiken in Rückkehrprozessen beschrieben und konstatiert, dass wenn etwa die Möglichkeit zur Mobilität nicht gegeben ist, dies als große Einschränkung und Belastung wahrgenommen wird (De Bree/Davids/De Haas 2010, S. 498 f.) und anderweitige Fluchtmechanismen entwickelt werden. „[T]hey get going – some of them into hiding (including their creativity and innovativeness), taking refuge in self-isolation and turning themselves into hermits or alter egos. They ῾‘get out of the way’.“ (Kwok-bun/Wai-wan 2012, S. 95)

Da die eigenen Veränderungen und Einstellungen nach der Rückkehr nicht in der gleichen Form wie im Ausland ausgelebt werden

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können, wird der Akt des „Versteckens“ praktiziert. Dieser schließt im besonderen Maße an die beiden identifizierten Handlungsmuster der „Handschuh-Strategie“ und der „Nischenbildung“ der RemigrantInnen in einer der vorliegenden Beiträge an (siehe Kap. 5.5; vgl. auch „Zustand der inneren Emigration“ bei Kalscheuer 2007, S. 19). Die Summierung verschiedener fluider, komplexer, instabiler und gegenläufiger Migrationsströme unter der Figur der Rückkehr treibt und redefiniert dabei Nationalstaatlichkeit und Spannungen zwischen staatlicher Macht und transnationalen Subjekten werden deutlich. Xiang, Yeoh und Toyota (2013) pointieren diese Sichtweise im asiatischen Kontext, indem sie Rückkehr als eine Nationalisierung transnationaler Mobilität auffassen. „No return is only a return; it is a new migration, with all the losses, fears, and hopes that are inherent in it“ (Grinberg et al. 1989, S. 251). In der Zusammenschau der unterschiedlichen Diskussionen um Rückkehr (Mythos der Rückkehr, Heimat, neoliberale Entwicklung, Integration, Transnationalität und Integration sowie transnationale Praktiken) wird deutlich, dass Rückkehr als ein sozialer Prozess aufzufassen ist. Die Aufgabe Sozialer Arbeit im Themenfeld der Remigration besteht darin, durch eine transnationale Perspektive den defizitorientierten Ansatz einer erfolgreichen Rückkehr zu revidieren und diesem die individuelle Zufriedenheit der RückkehrerInnen als Erfolgsmaßstab zugrunde zu legen (siehe Kap. 4.10). Unter einer sozialpädagogischen Perspektive Sozialer Arbeit auf Rückkehr könnte den AkteurInnen somit ermöglicht werden, die Entscheidungen individuell zu Gunsten ihrer persönlichen Lebensvorstellungen fällen zu können und nicht etwa hinsichtlich gesellschaftlicher, meist verwertbarer Erwartungen. Zirkuläre Austausch- und Wissensprozesse zwischen den RemigrantInnen und der Herkunftsgesellschaft können so ins Zentrum der Betrachtung rücken (siehe Kap. 4). Nur Individuen, die mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind, werden den Prozess der Rückkehr als positiv bewerten. Gleichsam könnte der Integrationsansatz, der bislang als individuelle Anforderung an Individuen herangetragen wird, neu geprägt werden. Somit würde das Postulat Sozialer Arbeit, gesell-

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schaftliche Integration durch soziale Dienstleistungen zu fördern und Individuen bei ihrer Lebensbewältigung (Böhnisch 2010) zu unterstützen, in den Fokus rücken. Remigration ist durch physische Mobiltäten über nationale Grenzen hinweg und transnationale Praktiken, wie auch durch andere etwa kulturelle, ethnische und generationale Grenzgänge geprägt. So stellte schon Martin (2005) fest. „[I]hre Remigration erleben die Bildungsmigranten als einen neuerlichen Prozess räumlicher, sozialer und kultureller Grenzüberschreitungen“ (S. 299). Die Bezeichnung „transnationale Rückkehr“ (Olivier-Mensah/SchollSchneider 2016b) betont dabei jene Grenzgänge und Grenzarbeit in Remigrationsprozessen. Ein transmigrantischer Blick (siehe Kap. 2.4) und konzeptioneller Beitrag Sozialer Arbeit, der sich weder an nationalstaatlichen Heimatvorstellungen noch Anpassungsanforderungen orientiert, sondern für ein akteurszentriertes-transnationales Verständnis von Rückkehr plädiert, wäre jenes der TransREmigration (siehe Kap. 1.4.2).

1.3.3 Entwicklung und der Gain-Ansatz „It is in our common interest that Ghanaian citizens who have successfully studied in Germany return to their home country and reimport their brains with all the knowledge and skills and apply them for the benefit of Ghana’s economic and social development.“ (Boger 2006, S. 6)12

Der Zusammenhang von (Re)Migration und Entwicklung wird bereits seit den 1960er Jahren in der Entwicklungsdebatte im Rahmen der Entwicklungshilfe bzw. -zusammenarbeit um Armutsbekämpfung diskutiert und steht weiterhin oben auf der politischen Agenda (vgl. Ataç et al. 2014; Hilber/Baraulina 2012; Schuerkens 2014). 12 | Zitat aus einer Rede von Fred Blank, Vertreter der deutschen Botschaft, vom 11.11.2006.

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Durch das Potential von RückkehrerInnen soll ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Herkunftsländer geleistet werden. Solch ein Brain Gain soll entstehen, indem hoch qualifizierte RückkehrerInnen (vgl. Ette/Sauer 2013) Schlüsselpositionen im öffentlichen und privaten Sektor in ihren Herkunftsländern übernehmen und als sogenannte Broker13 signifikanten Einfluss auf das Geschehen im Land nehmen (vgl. Ammassari 2004). BildungsmigrantInnen sind, unter solch einer Perspektive, zwischen den Nationalstaaten transferierbares Humankapital und sollen die Aufgabe erfüllen den Brain Drain, die Abwanderung Hochqualifizierter, der durch ihre Migration entstanden ist, sozusagen wieder gutzumachen. Empirische Studien versuchen den Einfluss der RückkehrerInnen auf Prozesse der Nationenbildung und Demokratisierungsprozesse aufzuzeigen (vgl. Appleyard 1999). Doch kann der Effekt und Einfluss, den RemigrantInnnen auf die Entwicklung ihrer Herkunftsländer haben sollen, bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden (vgl. Portes 2007). Entwicklung im Feld der internationalen Migration kann nicht unabhängig von den Politiken der Weltbank, EU und den Nationalstaaten der jeweiligen Ankunfts- und Herkunftsländer diskutiert werden. Diese rahmen und regulieren durch ihre Gesetzgebung, Richtlinien und politischen Maßnahmen die Praktiken der (Re)MigrantInnen, die in einem sogenannten Triple-Win-Szenario (Gewinn für das Herkunftsland, das Ankunftsland und die MigrantInnen) entwicklungsfördernd wirken sollen (vgl. Sinatti 2015). Den politischen Rahmen der Herkunftsländer, den sogenannten Diaspora-Politiken (vgl. Manzenreiter 2014) bzw. Homeland Politics, wird dabei eine neue Bedeutung in den Beziehungen zwischen Staaten und ihren MigrantInnen zugesprochen, die in vielen Fällen in einer ethischen Lobbyarbeit und einem moralisierenden Plädoyer für die Heimat münden (Collet/Furuya 2007). In Migrationsstudien 13 | Die Bezeichnung Broker entstammt der Ökonomie und betitelt einen Wertpapierhändler/Makler, der für Rechnung seiner Kunden Käufe oder Verkäufe an der Wertpapierbörse vornimmt.

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wird dabei zwischen Thinking of Home und Engagement with Home, die sich in „behavioral and cognitive transnationalism“ äußern, unterschieden (Collet/Furuya 2007). Die verschiedenen Heimatbezüge haben dabei unterschiedliche politische Auswirkungen auf die Bewertung der Herkunftsregierung. So verfolgt die ghanaische Regierung seit den frühen 1990er Jahren gezielte Remigrationspolitiken, die in dem „Homecoming Summit“ im Jahre 2001, der das Potenzial und die Fähigkeiten der ghanaischen Diaspora für die Entwicklung des Landes anpries (Awumbila et al. 2008), pointiert wurden. Die moralisierende Entwicklungs-Verpflichtung für das Heimatland, wird dabei in der öffentlichen Debatte der Medien in den Herkunftsländern zumeist angekurbelt, wie folgendes Zitat aus einem Artikel einer der renommiertesten Tageszeitungen Ghanas, des Daily Graphics vom 19. 4. 2006 verdeutlicht: „Nobody can develop Ghana for us! Ghana can only be developed by Ghanaians and no other people“. Dieser moralisierende Appell wird zudem von vielen migrationswilligen AkteurInnen verinnerlicht und mit einer schicksalhaften Interpretation national-historischer Ereignisse verknüpft. „Many would-be migrants in Ghana remise their quest to travel on the fact that, the first President of Ghana, Dr. Kwame Nkrumah had to travel abroad before he could return to fight for the independence of Ghana. They sometimes argue that it is a divine mandate for them to also travel and come back to help their families and also contribute to the development of their country.“ (Nsodu 2007, S. 16 f.)

Jedoch üben gleichsam auch die Ankunftsländer durch ihre politischen Regulationen im Rahmen von Einbürgerungsbestimmungen, Aufenthaltsrechten, Gesetzen zur Arbeitserlaubnis, Einkommensgrenzen und Visum-Bestimmungen einen wesentlichen Einfluss aus, ob und wie MigrantInnen sich entwicklungspolitisch engagieren. So wurden in etlichen europäischen Ländern spezielle Förderungsprogramme initiiert, die die freiwillige wie auch gezwungene Rückkehr regeln, begleiten und unterstützen sollen (vgl.

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Dahinden 2006; Lietaert 2017; Vandevoordt 2016) und auch einen erweiternden Entwicklungsansatz vertreten. The Centre for International Migration and Development (CIM) ist diesbezüglich einer der Hauptinitiatoren. Im deutschen Kontext bestehen zurzeit fünf verschiedene Förderprogramme: Das Program Integrierte Fachkräfte (PIF), das Programm Rückkehrende Fachkräfte (PRF), das Programm Migranten als Unternehmer (PMU), das Programm zur Förderung des entwicklungspolitischen Engagements von Migrantenorganisationen (PMO) sowie ein Programm zur Migrationspolitikberatung (zur ausführlichen Darstellung und Diskussion der Programme siehe Olivier 2013, S. M-15 f.). Dabei fördern das PIF sowie das PRF eine Mobilität bzw. Remigration von ExpertInnen. Das PMU sowie PMO sollen hingegen einen Entwicklungsbeitrag für die Herkunftsländer von Deutschland aus leisten und schließen somit ein transnationales Entwicklungsengagement von Gruppen, aber auch EinzelakteurInnen mit ein (vgl. Abella/Ducanes 2007; Trauner 2014). Dadurch werden die Entwicklungen, die ab Mitte der 1990er Jahre stattfanden und den Blick von der Rückkehr auf den grenzüberschreitenden Austausch mit MigrantInnen und neuen AkteurInnen verschoben, verdeutlicht. Spätestens als im Jahr 2003 die Weltbank in dem globalen Weltentwicklungsbericht das erste Mal auf die Aufrechterhaltung von sozialen Verbindungen von MigrantInnen zu ihren Herkunftsländern einging, die Aufmerksamkeit auf den massiven Anstieg von Rücküberweisungen, sogenannten Remittances, legte und konstatierte, dass die Höhe und Wirkungsweise dieser Geldsendungen im Jahr 2002, mit der Summe von 80 Milliarden Dollar, die privaten Direktinvestitionen und öffentlichen Gelder der Entwicklungshilfe deutlich überstieg (Weltbank 2006), war eine neue Quelle für Entwicklung gefunden. Seither wurden transnationale AkteurInnen, MigrantInnen und transnationale Diaspora-Gemeinschaften (vgl. Faist/Fauser/Reisenauer 2014; Faist/ Sieveking 2011) als finanzielle Gain-Lieferanten fokussiert. Im wissenschaftlichen Kontext werden neben den positiven Effekten von Remittances auch deren Kehrseite, dadurch entstehende Abhän-

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gigkeitsmuster, die Förderung sozialer Ungleichheit, sowie durch eine Art Überweisungszwang prekäre finanzielle Situationen der MigrantInnen beleuchtet (vgl. Nieswand 2012; Schweppe 2011). Im Jahr 2009 wurde ein Versuch unternommen, den Hype zu relativieren, als in einem Bericht des UN Entwicklungsprogramms festgestellt wurde: „remittances alone cannot remove the structural constraints to economic growth“ (UNDP 2009, S. 79). Zunehmend geht es somit auch um die Auswirkungen „sozialer Überweisungen“ bzw. sozialer Transfers; mit der Absicht, neu gewonnene Einsichten und Praktiken im Herkunftsland implementieren zu wollen. Bei der Anerkennung der Verbindungen zwischen MigrantInnen, den Herkunftsländern und anderen Länderkontexten, hilft der Ansatz der Wissenszirkulation, Brain Circulation den bisherigen Brain Drain vs. Brain Gain-Ansatz aufzubrechen (vgl. Jöns 2009). Unter solch einer Fokussierung können die Dynamik von Migrationsbeziehungen erfasst, sowie Migrationskreisläufe (Remigration/ Re-Emigration/Transmigration) und -netzwerke sichtbar gemacht werden (siehe Kap. 4). Das transnationale Paradigma der Zirkulation nicht nur von Wissen, sondern auch von anderen Gütern, mit denen der/die AkteurIn unmittelbar verwoben ist, wie Erfahrungen, kulturelle Praktiken und soziale Werte, kann so dazu verhelfen, die geographisch-räumlichen Bezüge der sozialen Lebenswelt auszudifferenzieren (vgl. Pries 2008, 2106). Auffällig ist durch die politischen Zielsetzungen der bisher nachgezeichneten Ansätzen (Brain Gain, Broker, Homeland Politics, Förderungsprogramme, finanzielle Remittances, Brain Circulation), die eindeutige Nutzerperspektive auf Makroebene für die Nationalstaaten und die Verwendung eines defizitären Entwicklungsbegriffs, der an einem hierarchischen Stufendenken orientiert ist. In solch einer ungleichen und verzerrten Entwicklung wird eine einseitige Nutzbarmachung von Ressourcen für Nationen fokussiert (vgl. Midg­ley 1995). Wendet man den Blick jedoch hin zu der Mikroebene der AkteurInnen, kann ein anderes Entwicklungsverständnis konzipiert werden, welches die eigenen Vorstellungen von

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Entwicklung der RemigrantInnen und ihre Rolle als soziale AkteurInnen betont (vgl. Piper 2009; Raghuram 2009). So gibt es Ausführungen zur Entwicklung aus Ländern des Südens (vgl. Castles/Delgado Wise 2007) und speziell im afrikanischen/ghanaischen Kontext, in denen z. B. die Bedeutung des Familienmodels in Afrika einen wichtigen Stellenwert einnimmt und die Notwendigkeit eines alternativen Entwicklungsansatzes betont wird. „Alternative development is thus advocating for a form of social engineering which identifies potentialities and employs them for development. The African concept of re-examination and application of indigenous ideas in the search for solutions to contemporary problems […] is pertinent here.“ (Awedoba 2005, S. 18)

Diese Ausführungen knüpfen an ein Entwicklungsverständnis der Sozialen Arbeit an, welches in dem Ansatz einer Developmental Social Work Ausdruck findet (siehe Kap. 3). Eine entwicklungsorientierte Soziale Arbeit strebt eine Verknüpfung von sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen an und ist in ihrem Grundprinzip der Partnerschaftlichkeit und der Zielorientierung an sozialer Gerechtigkeit darauf ausgerichtet, dass lokale und gesellschaftliche Initiativen gleichermaßen in konkreten Maßnahmen berücksichtigt werden (vgl. Homfeldt/Reutlinger 2009). Der Ansatz überwindet dabei die Dichotomie von Agency und Struktur (vgl. Bakewell 2010), indem die Handlungsmächtigkeit von Gruppen und Individuen durch die strukturelle Schaffung sozioökonomischer Teilhabe gestärkt werden soll, damit Menschen autonom handeln und nach ihren Vorstellungen partizipativ an der Gesellschaft teilhaben können. Für einen wesentlichen Beitrag zur Erweiterung des gegenwärtigen Entwicklungsverständnisses bedarf das Modell jedoch noch einer Öffnung und Weiterentwicklung um eine transnationale, wie auch individuelle Ebene (siehe Kap. 3.5). Somit kann unter einem akteurszentrierten Entwicklungsbegriff Sozialer Arbeit ein Entwicklungsbeitrag und Gain-Prozess nicht mit Nutzen für den

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Nationalstaat, sondern auf individueller Ebene der AkteurInnen, sozusagen ein persönlicher Brain Gain, erfolgen (siehe Kap. 5.6; vgl. auch Olivier 2013, S. M-18).

1.3.4 Soziale Transfers: Wissen und persönliche Netzwerke „It’s like looking into a goldfish bowl. From the fish’s perspective, the bowl is the whole world and the fish can only judge things based on its knowledge and experience of what goes on in that bowl. So, imagine me entering that fish bowl, not being part of it, and at the same time being a part of it.“ (Sumprim 2006, S. xviii)14

Die Metapher des Goldfischglases soll hier das Zusammentreffen von RemigrantInnen und nicht migrierten Personen im nationalen Container des Herkunftslandes verdeutlichen. Es kommt dabei nicht nur eine hybride Positionierung im Rückkehrprozess zum Ausdruck, weil man GLEICHZEITIG Teil und auch nicht Teil dieses Feldes ist, sondern es wird zudem reflektiert, dass Wissen und Erfahrungen kontextabhängig entstehen und Mobilität bzw. Immobilität sowie der nationalstaatliche Rahmen diese prägen. Dieser Culture Clash bzw. Reverse Culture Shock bzw. Brain Clash muss jedoch bewältigt werden, damit soziale Transfers zirkulieren können. Unter sozialen Transfers werden in Abgrenzung zu ökonomischen Flüssen nicht-monetäre Übertragungen wie Wissen und Fähigkeiten verstanden (vgl. Laaser 2008, S. 7). Soziale Transfers beziehen sich einerseits auf die Einflussfaktoren von MigrantInnen auf die entsprechenden Milieus und soziale Gruppen im Herkunftsland, andererseits bestehen jedoch auch Einflüsse der Herkunftsgesellschaft auf die MigrantInnen. Somit bedarf es einer zirkulären Betrachtung der Transfer-Flüsse (siehe Kap. 4). Sozialen Transfers ist in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion bislang ge14 | Zitat aus dem Vorwort „Prelude to a Cultur Clash“ aus dem Roman „The Imported Ghanaian“.

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ringe Beachtung beigemessen worden. „Finally, migrants’ transfers are the assets or liabilities that migrants take with them when they move from one country to another“ (Carling 2007, S. 46). Soziale Transfers verdeutlichen, dass nicht nur Geld und Kapital die einzige Ressource von RemigrantInnen darstellen, sondern diese etliche weitere soziale Fertigkeiten auszeichnen, die entwicklungsfördernd sein können. RemigrantInnen bringen Fachwissen, interkulturelle Kompetenzen, Verhaltensänderungen, Werte- und Normenwandel mit sich. „[T]he transformation comes as a result of change of mind. Without the change of mind, there is no transformation. Transformation is a radical change – metamorphosis – in the paradigms and beliefs of a person.“ (Nsodu 2007, S. 219)

Unter einer Wissensperspektive können die sozialen Transfers in der Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen beleuchtet werden. Explizites Wissen beschreibt Wissen als Sachkenntnisse und Know-how. Erfahrungen, Intuitionen, Gefühle, Ahnungen, Gewohnheiten, Überzeugungen, Wertesysteme oder Leitbilder sind implizite Wissensinhalte. Im Ausland angeeignetes Wissen kann durch die physische Mobilität und das Überschreiten von nationalstaatlichen Grenzen als transnational angeeignetes Wissen bezeichnet werden. Transnationales Wissen hingegen beinhaltet das Prinzip von Entwicklung, Transformation und Neuentstehung. Die Inhalte an sich sind transnational und spannen sich über die Grenzen nationalstaatlicher Bezugsrahmen auf. Der nationalstaatliche Einfluss ist beim Erwerb und der Anwendung zwar das prägende Element, die Inhalte können jedoch losgelöst von einem spezifischen nationalstaatlichen Kontext eingesetzt werden (vgl. Bender et al. 2013, 2014; Köngeter 2013). Dabei ist eine zentrale bislang jedoch kaum beleuchtete Frage, wie mit dem Wissen, den Einstellungsänderungen und Bildungsprozessen von Seiten der AkteurInnen umgegangen wird, so dass soziale Transfers überhaupt transferiert werden können? (siehe Kap. 5.). Neben den Wissensformen der Remigran-

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tInnen stellt jedoch auch das Herkunftsmilieu soziale Transfers in Form von diversen Unterstützungsleistungen (praktisch-instrumentelle, informative, emotionale und interpretativ-kognitive Unterstützung) im Rückkehrprozess zur Verfügung (siehe Kap. 4.7). Der Fokus lag bisher jedoch primär auf den Ressourcen der RemigrantInnen. Transnationale persönliche Netzwerke dienen in diesem Kontext sozusagen als Überbringer. „Transnational social networks resemble the pipes through which cross-border resource flows can be understood“ (Herz/Olivier 2012a, S. 116.). Denn in sozialen Beziehungen kann Wissen vermittelt, können Normen geprägt und Aushandlungsprozesse stattfinden. Die Wahrnehmung und Erforschung von transnationalen sozialen Netzwerken hat mit dem Fokus auf die Aufenthaltsländer auffallend zugenommen (vgl. Allievi/Nielsen 2002; Aits 2008; Boccagni 2012b; Dahinden 2010; Hannerz 1996; Herz 2014; Ryan/Mulholland 2014; Schmiz 2011). Auch in Remigrationsprozessen wird diese Perspektive zunehmend eingenommen (vgl. Salaff/Chang 2012). Netzwerkstudien eröffnen beispielsweise die Perspektive für mögliche kontextabhängige Ressourcenspezifika und können Muster von Homogenität/Heterogenität analysieren. So zeigen Studien, dass homogene Netzwerkzusammensetzungen einerseits zwar mit starken Beziehungen (Strong Ties) einhergehen, jedoch kann eine geringe Zahl schwacher Beziehungen nach außen auch Redundanzen in den zur Verfügung stehenden Ressourcen implizieren (Burt 2004). Je vielfältiger die Strukturen dabei ausgestaltet sind (informell/formelle Kontakte, Größe, Strong/Weak Ties etc.), umso eingebetteter ist der/die AkteurIn demnach in soziale Netzwerke und desto besser kann er diese als Ressourcenquelle nutzen. Bezüglich des Fokus auf den Nationalstaat werden Return, Recuitment und Remittances als die „3 Rs der Entwicklung“, die die Herkunftsländer beeinflussen können, bezeichnet (vgl. Papademetriou/Martin 1991). Neben der Rückkehr kann Wissen- und Kapitaltransfer auch über Ländergrenzen hinweg, somit transnational in Form von Remittances erfolgen, die eine besondere Form sozialer

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Transfers darstellen. Im Pendant zu sozialen Transfers wurde dem dominierenden Fokus auf Geldüberweisungen, die insgesamt als Remittances bezeichnet werden (siehe z. B. die Verwendung bei Carling 2007), ein Gegenpol gesetzt und die Bezeichnung Social Remittances eingeführt (vgl. Boccagni/Decimo 2013; Levitt/LambaNieves 2011). Levitt (1998) definiert soziale Remittances wie folgt: „[T]he ideas, behaviors, identities, and social capital that flow from receiving- to sending-country communities“ (S. 927). Es wird konstatiert, dass diese Ressourcen einen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Herkunftsländer haben, wenn MigrantInnen durch transnationale soziale Netzwerkstrukturen (vgl. Bankston 2014; Herz/Olivier 2012b) in Geschäfte investieren, politische Bewegungen organisieren sowie Wissen und Werte, z. B. Respektierung der Demokratie und Toleranz, transferieren (vgl. Levitt 2001). Dabei sollen MigrantInnen als Brücken zwischen dem Ankunfts- und dem Herkunftsland fungieren: „providing access to markets, sources of investment, and expertise […] shape public debate, articulate reform plans and help implement reforms and new projects“ (Kuznetsov/Sabel 2006, S. 3). Im europäischen Kontext ist das Konzept der sozialen Remittances auf dem Vormarsch, wie z. B. die Konferenzankündigung „Social remittances in social theory and practice“ im September 2014 in Berlin verdeutlicht. Mit der erweiternden Perspektive der Reverse Remittances (vgl. Mazzucato 2010) wird gleichfalls auf die unidirektionale Betrachtung der Fließrichtung dieser transnationalen Ressourcen aufmerksam gemacht und verdeutlicht, dass auch die Herkunftsländer Remittances in diverser Weise senden. Augenscheinlich ist, dass in dem gegenwärtigen politischen Diskurs die transnationale Form sozialer Transfers und die Verbindungen zwischen MigrantInnen und nicht Nicht-MigrantInnen in den Herkunftsländern weiter oben auf der aktuellen Agenda stehen, als soziale Transfers in Rückkehrprozessen. Dies wird beispielhaft an der Konzipierung der staatlichen Förderungsprogramme deutlich, die im ersten Fall auf die transnationalen Lebenswelten der AkteurInnen und ihr Engagement in den Herkunftsländern

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eingehen, und im zweiten Fall die Rückkehrförderungsprogramme fast ausschließlich aus finanziellen Leistungen bestehen und transnationale Praktiken sowie der Umgang mit diesen dagegen nicht thematisiert werden. Dabei scheinen vor allem implizite Wissensformen, die nicht augenscheinlich einen unmittelbaren Entwicklungs-Output liefern, als negative Begleiterscheinung der Migration und als Reintegrations-Blocker angesehen zu werden (siehe Kap. 5.6). In diesem Kontext ist es Aufgabe Sozialer Arbeit, die Agency der RückkehrerInnen zu betonen, ihr Potenzial sichtbar zu machen und ihnen aufzuzeigen, wie diese durch Aushandlungsprozesse ihre transnationalen persönlichen Präferenzen mit lokalen sozialen Vorstellungen ihres sozialen Umfeldes abstimmen können. Diejenigen, denen es gelingt, öffentliche sozial lokale Erwartungen und private transnationale Bereiche in Einklang zu bringen, sind mit ihrer Rückkehr am zufriedensten (vgl. Pedersen 2003). Individuen wird grundsätzlich eine soziale Kompetenz zugesprochen, die eigene Situation kritisch zu hinterfragen und Strategien zu entwickeln, welche von den vorherrschenden kulturellen Mustern abweichen können und somit ein Aushandeln von normativen Ordnungen bedürfen (vgl. Wimmer 2004). „Cultural hybridity … is creativity at its best because what is done in one way can be done in another way. Yet new ideas acquired in the ‘West’ by the migrants is not always readily convertible or transferable as cultural capital in local contexts.“ (Kwok-bun 2012, S. 19 f.)

Somit bedarf es nicht nur einer Neupositionierung, die ebenfalls keine stabile Ordnung darstellt und situativ ausgehandelt wird, sondern auch einen Weg zu finden, die erworbenen Kenntnisse und Ideen im lokalen Kontext umzusetzen bzw. diese in Austauschbeziehungen zu kommunizieren. Zudem sollte die Perspektive dahin geschärft werden, in welcher Art und Weise Individuen bei diesen Aushandlungsprozessen unterstützt werden können. Faist, Fauser und Reisenauer (2014)

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betonen jüngst die Rolle von Vermittlern (Brockerage) in Rückkehrprozessen. „[I]n the broadest sense brockerage acts to reduce transaction costs, that is, the costs necessary to overcome boundaries. Such boundaries are met along the way through the various stages of migration… Yet brokerage is not only of importance in migration processes from A to B but also in processes of return migration, onward movement to yet other destinations, or circular mobility across borders.“ (S. 3)

Brockerage als Vermittler und Unterstützer in Remigrationsprozessen könnten Einzelpersonen des sozialen Umfeldes sein (vgl. die Bezeichnung „Vermittlungspersonen“ bei Mangold 2013, S. 253 ff.), wie auch etwa Rückkehrförderungsprogramme (siehe Kap. 5.6). Transnationale Förderangebote zur Begleitung der Rückkehr zwischen den Ankunfts- und Herkunftsländern würden in den Fokus rücken, die einer transnationalen Praxis Sozialer Arbeit bedürfen (Negi/Furman 2010). Auf diese Art und Weise würde man die bislang betitelten entwicklungsfördernden Broker (RemigrantInnen) durch Grenzen abbauende Broker unterstützten können oder um es mit einer anderen Worten auszudrücken, „transnationale Mediatoren“ kreieren (Olivier 2013, S. M-13).

1.4 Tr ans RE migr ation als analy tische H er ausforderung für die S oziale A rbeit Bislang wurde ein konzeptioneller Rahmen für die Soziale Arbeit entwickelt, der es erlaubt, Rückkehr als Prozess und Remittances als soziale Transfers multilokal zu verstehen. Eine sozialpädagogische Forschung kann aber nicht bei der Benennung ihrer Konzepte stehen bleiben, sondern muss sich auch methodisch und analytischrahmend auf Neuland begeben, wenn herkömmliche Verfahrensweisen alte blinde Flecken reproduzieren. Daher wird im Folgenden mit der transnationalen sozialen Netzwerkanalyse sowie einer Typo-

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logisierung ein Beispiel gegeben, „wie die Menschen in der Sozialen Arbeit analytisch zu fassen sind“ (Grasshoff 2013, S. 10) bzw. erfasst werden können.

1.4.1 Die soziale Netzwerkanalyse als Forschungsansatz einer transnationalen Remigrationsforschung? „[T]here is something mysterious about social networks. We live surrounded by them, but usually cannot see more than one step beyond the people we are directly connected to, if that. It is like being stuck in a traffic jam surrounded by cars and trucks. The traffic helicopter can see beyond our immediate surroundings and suggest routes that might extricate us. Network analysis is like that helicopter. It allows us to see beyond our immediate circle.“ (Kadushin 2012, S. 4)

Die zentrale Innovation des Forschungskonzeptes Transnationalisierung liegt in der Einnahme der Perspektive, welche auf nationalstaatliche Grenzen überschreitende Beziehungen, Netzwerke und Praktiken Bezug nimmt (vgl. Mau 2007). Um Verflechtungen zu untersuchen, die durch transnationale Transaktionen und Austauschprozesse entstehen, erscheint ein ausschließlich nationalstaatlicher Bezugsrahmen der Forschung als zu eng. Hierauf richtet sich die Kritik des „methodologischen Nationalismus“ der Sozialwissenschaften (vgl. Pries 2008). In der Diskussion wird bislang jedoch noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass auch die Ebene der wissenschaftlichen Beobachtung einer Veränderung unterliegt und nicht nur theoretische Neukonzeptionierungen notwendig sind. Die Transnationalitätsforschung benötigt Forschungszugänge, welche es ermöglichen, Praktiken und Prozesse nicht nur innerhalb nationalstaatlicher Einheiten, sondern auch quer zu diesen zu erforschen (vgl. Wimmer/GlickSchiller 2002). Die Suche nach den Grenzen des transnationalen Forschungsfeldes (vgl. Boccagni 2012a), die Operationalisierung von Transnationalität und der Einsatz von adäquaten Forschungsdesigns und -methoden, die transnationale Phänomene einfangen können, gewinnen seit

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einigen Jahren in der methodologischen Diskussion der Transnationalitätsforschung an hoher Relevanz (vgl. Amelina et al. 2012; Khagram/Levitt 2008). Die Soziale Arbeit hingegen befindet sich noch im Anfangsstadium dieser Entwicklung. „Although in recent years transnational research has developed in many ways with respect to methods and methodology, as a whole it is still in its beginning. This is especially true for social work.“ (Schweppe 2012, S. 3; vgl. auch Chambon/Köngeter 2012)

Dabei werden allmählich methodische und methodologische Herausforderungen bei der Erforschung transnationaler Prozesse in der Sozialen Arbeit thematisiert und ethnographische (vgl. Köngeter/Wolff 2012), biographische (vgl. Tuider 2012) wie auch netzwerkanalytische (siehe Kap. 7) Antworten gegeben. Vielfach wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Erhebung in transnationalen Kontexten der Forschungsansatz der Multi-Sited Ethnography (vgl. Marcus 1995) herangezogen, der unter dem Motto „following the people; the thing; the metaphor; the plot, the story or allegory; the life or biography; the conflict“ (Marcus 1995, S. 90 ff.), somit durch ein Nachfolgen die Dynamiken des transnationalen Feldes zu erfassen versucht. Im Themenfeld der Reverse Remittances werden Erhebungen gleichzeitig an verschiedenen geographischen Orten durchgeführt, um z. B. in transnationalen Familienkonstellationen die verschiedenen involvierten Seiten erkunden zu können (vgl. Mazzucato 2008). Bezüglich der Analyse wird häufig der Ansatz der Intersektionalität herangezogen, der dabei helfen soll, verschiedene Dimensionen von Grenzüberschreitungen bei der Auswertung zu reflektieren (vgl. Amelina 2011). Eine weitere Forschungsmethodologie, die die Phase der Erhebung wie auch der Auswertung gleichsam systematisch einbindet, ist die der sozialen Netzwerkanalyse (SNA). Dabei wurden zur Beschreibung und Analyse transnationaler Phänomene von Beginn an auch soziale Netzwerke herangezogen (vgl. Dahinden 2009, 2010). Netzwerkansätze erlauben, soziale Strukturbildungen, soziale Transfers,

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Wissensvermittlungsprozesse und soziale Unterstützungsfunktionen (vgl. Nestmann 2001) in den Blick zu nehmen, welche sich nationalstaatlichen Einteilungen entziehen. Die zentrale Annahme der netzwerkanalytischen Forschung besagt, dass die Einbettung des/der AkteurIn in soziale Beziehungen zur Erklärung individuellen Handelns heranzuziehen ist (vgl. Mitchell 1974). Die SNA stellt ein Forschungsprogramm zur Verfügung, das soziale Beziehungen und soziale Strukturen von Individuen, Gemeinschaften und Organisationen, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten, mittels qualitativer, quantitativer wie auch Mixed-Method-Designs zu erfassen vermag. Die Visualisierung sozialer Beziehung spielt dabei im Erhebungs- wie auch Auswertungsprozess eine zentrale Rolle (siehe Kap. 6.3 und Kap. 7.5). Herangehensweisen der ego-zentrierten Netzwerkanalyse, mit welcher Netzwerke aus Sicht einzelner AkteurInnen betrachtet werden sowie qualitative Ansätze, sind für eine akteurszentrierte Transnationalitäts- wie auch Remigrationsforschung dabei von besonderer Bedeutung. Ein breiter Pool an verschiedenen Instrumenten über Netzwerkbilder, Netzwerkkarten bis hin zu Steckverfahren und freien Zeichnung stehen dabei zur Verfügung. Die Entwicklung geeigneter Forschungsdesigns für den jeweiligen transnationalen Forschungskontext sowie die Weiterentwicklung der Forschungsmethoden der SNA um eine transnationale Perspektive stellen die Herausforderungen in diesem Feld dar. Dieses erfordert eine Modifikation von bestehenden Erhebungsverfahren (siehe Kap. 7.4) sowie die Reflexion über den adäquaten Einsatz von Erhebungsinstrumenten (siehe Kap. 6.3.2). Dies ist Voraussetzung, um den Ansatz einer transnationalen sozialen Netzwerkanalyse (siehe Kap. 7.8) methodisch angemessen umsetzen zu können. Zentral für die SNA ist außerdem, dass durch den relationalen Ansatz die Erfassung von Transnationalität potenziell unabhängig von der Mobilitätsnotwendigkeit des/der ForscherIn wird, wie dies beispielsweise bei der Anwendung der Multi-Sited Ethnography zentrales Kriterium bei der Erhebung ist (siehe Kap. 7.7). Dies ermöglicht den Transnationalitätsansatz zu reflektieren bzw. zu eruieren, wie

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Transnationalität durch eine Netzwerkperspektive geprägt werden kann (vgl. Waldinger/Fitzgerald 2004). Die strukturanalytische Betrachtungsweise der SNA eröffnet spezifische Aussagen über die Eingebettetheit (Embeddedness) von AkteurInnen treffen zu können (Granovetter 1985) und bietet daher nicht nur der Transnationalitäts- und Remigrationsforschung die Chance, detailliertere Erkenntnisse über die Wechselwirkung von Handlungen der Individuen und Struktur zu gewinnen (vgl. Raithelhuber 2011; Rehrl/Gruber 2006), sondern vor allem auch dem Bereich einer transnational forschenden Sozialen Arbeit. So können in Remigrationsstudien zentrale Erkenntnisse über den transnationalen Charakter der Remigration, die Struktur transnationaler Netzwerke, über die Bedeutung von Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen sowie über Mobilitätsmuster und Kettenmigrationseffekte gewonnen werden (vgl. Schönhuth 2008). Dies bedarf einer erweiternden Methodenkenntnis der visuellen Verfahren und einer Weiterentwicklung von qualitativen gekoppelten Auswertungsmethoden von Visualisierungen und Interviewmaterial in der Sozialen Arbeit (Herz/Peters/Truschkat 2015; siehe auch Kap. 6.3.2). Dadurch könnte dann ermöglicht werden, Fragen zu ergründen wie z. B. strukturelle Konstellationen von Netzwerken die Agency von Individuen begrenzen bzw. erweitern können (vgl. Bethmann et al. 2012). Dies kann wichtige Erkenntnisse bezüglich der Strukturierung von informellen und formellen Unterstützungsleistungen in Rückkehrprozessen liefern, die wiederum bei Evaluierungen und Neukonzeptionierungen von Rückkehrförderungsprogrammen in der Praxis dienlich sein könnten. Durch die Sichtbarmachung sozialer Netzwerke kommen darüber hinaus unterschiedliche Grenzen, Grenzgänge und Grenzziehungen in den Blick, die transnationaler, jedoch auch anderer Natur sein können und die weitere transnationale Muster in Remigrationsprozessen offenbaren können. Folglich könnte die soziale Netzwerkanalyse zum Forschungsansatz einer sozialpädagogischen TransREmigrationsforschung werden.

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1.4.2 TransREmigrantInnen – Eine Typologie als Ausblick Die vorliegende Publikation hat bislang die möglichen Facetten des Blicks der Sozialen Arbeit auf Rückkehrprozesse herausgearbeitet und aufgezeigt, dass eine zusammenhängende Betrachtung unter einer transnationalen Perspektive für beide Seiten fruchtbar sein kann. Hierzu wurden sowohl die Erkenntnisse eines sozialpädagogischen Remigrationsverständnisses durch eine konzeptionelle Rahmung der Sozialen Arbeit zur aktuellen Diskussion um Entwicklung, Reintegration, Heimat sowie soziale Transfers dargestellt, als auch die analytischen Herausforderungen eines transnationalen Remigrationsansatzes im Sinne einer methodologischen und methodischen Reflexion für die Forschung Sozialer Arbeit formuliert. Gemäß der analytisch reflektierenden Ebene ist die Soziale Arbeit jedoch nicht nur im Hinblick auf geeignete transnationale Forschungsansätze gefordert, sondern auch bezüglich analytischer Rahmungen und Strukturierungen um Forschungen zu akteurszentrierten Konzepten für zukünftige Analysen zu öffnen. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die analytische Seite der Sozialen Arbeit anhand der Entwicklung einer Typologie von TransREmigrantInnen zu stimulieren. Die entwickelte Typologie beruht auf den empirischen Daten einer Studie, die ghanaische BildungsremigrantInnen aus Deutschland untersucht und im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs 1474 „Transnationale Soziale Unterstützung“15 von 2008 bis 2011 durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die sozialen Netzwerke sowie die transnationalen Handlungs-, Denkund Wissensmuster und deren Bedeutung für die AkteurInnen. 15 | Das Graduiertenkolleg beschäftigte sich in der ersten Förderperiode (2008-2012) mit der empirischen Untersuchung transnationaler sozialer Unterstützung im Rahmen von Transmigration und transnationalen Organisationen. In der zweiten Förderperiode (2012-2017) weitete sich der Fokus auf Formen transnationaler sozialer Unterstützung und Dienstleistungen im Kontext des alltäglichen Lebens.

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Methodisch wurde eine Triangulation aus der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse in der Kombination mit ego-zentrierten Netzwerkkarten und erzählgenerierenden Interviews, teilnehmender Beobachtung sowie Experteninterviews zur Datenerhebung herangezogen. Insgesamt wurden 35 erzählgenerierende Interviews, 26 visuelle ego-zentrierte Netzwerkzeichnungen, ca. 20 teilnehmende Beobachtungsprotokolle und fünf Experteninterviews erhoben. Die hier vorgestellte Typologie gründet auf der verknüpften Analyse der strukturellen Einbettung der AkteurInnen in sozialen Netzwerken sowie deren Handlungen und Orientierungen. Durch die Kopplung der strukturanalytischen Ebene der Visualisierung mit der Analyse des Datenmaterials der Interviews konnten Handlungsmuster der Individuen mit Blick auf deren jeweilige Motivationen sowie ihren Kontextfaktoren analysiert und verschiedene transnationale Dimensionen im Rückkehrprozess identifiziert werden (siehe Kap. 6.3.3). Die Typologie ist somit Resultat der empirischen Analysen. Die konzeptionellen Bezeichnungen der Dimensionen und Typen wurden anhand von theoretischen Überlegungen entlang der Literatur erarbeitet. In der Transmigrationsforschung wurden bislang eine Reihe von verschiedenen Typenbildungen unternommen. Die neueren Entwicklungen eröffnen fast einstimmig folgende Perspektive: „Grenzüberschreitungen beziehen sich ,nicht mehr „nur“ auf die physische Mobilität von Personen, sondern es können auch soziale Beziehungen, Objekte, Kapital, Ideen, Imaginationen, Wissen, Erfahrungen, Orientierungen und Zugehörigkeiten „migrieren“‘“ (Zitat aus Kap. 2.4). So identifiziert Dahinden (2010) mit dem Fokus auf Netzwerktransnationalität vier verschiedene TransmigrantInnentypen: die lokal Etablierten, die etablierten transnationalen MigrantInnen, die transnationalen Outsider und die hochqualifizierten transnationalen Mobilen. Auch Laubenthal und Pries (2012) unterscheiden vier Typen: der/die mobile, mentale, instrumentelle und historische TransmigrantIn. Diese Kategorisierung wurde von Huber (2013) in einem sozialpädagogischen Verständnis von Transmigration reflektiert und durch die Formen der physischen,

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ökonomischen, medialen und mentalen Transmigration weiterentwickelt. Auch im Feld der Remigration gab es Kategorisierungsversuche, die jedoch den Fokus lediglich auf das Herkunftsland richteten und bezweckten, die Rückkehrmotive und die Zeitphasen der Reintegration abzubilden. Neuere Untersuchungen versuchen, die Sichtweisen und Deutungen der RemigrantInnen zu beleuchten. Sabar (2013) beispielsweise unterscheidet Personen, die content, readjusting oder lost sind, und beschreibt dadurch die subjektive Zufriedenheit im Rückkehrprozess. Neuerdings macht sich in den Kategorisierungen auch der allmählich durchdringende transnationale Blick auf Rückkehr sichtbar. So entwickelt Schmitz (2013) folgende drei Typen: der/ die mobile Bildungserfolgreiche, der/die transnationale HerkunftssucherIn und der/die transnationale AufsteigerIn. Auffallend in dieser Untersuchung ist die transnationale Perspektive auf Mobilitäten in der Rückkehr, einhergehend jedoch mit einer Verhaftung bzw. Reproduktion von anderen Differenzkonstruktionen. So werden unter dem Grad der Transnationalität lediglich Bewegungen zwischen Herkunfts- und Ankunftsland verstanden und das Identitäts- und Zugehörigkeitskonzept herangezogen, um zwischen „multiplen Identitäten“ und „keiner eindeutigen Verortung“ zu differenzieren. Kwok-bun und Wai-wan (2012) untersuchen transnationale sowie transkulturelle Praktiken im Rückkehrprozess. Sie entwickeln, aufbauend auf Merton’s kriminalsoziologischer Anomietheorie16, eine Typologie von Bewältigungsstrategien im Integrationsprozess. Ihre Ergebnisse bündeln sie in den folgenden vier Typen: KonformistIn, InnovateurIn, RitualistIn, RealistIn und RebellIn. In der vorliegenden Arbeit, die transnationale Handlungs-, Denk- und Wissensmuster analysiert, wurden anhand von vier transnationalen Dimensionen eine Typologie von TransREmigrantInnen16 | Merton’s kriminalsoziologische Anomietheorie analysiert, inwiefern sozialstrukturelle Gegebenheiten Personen einer Gesellschaft unter Druck setzen, sich abweichend anstatt konform zu verhalten.

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typen entwickelt. Die Studie identifizierte – im Anschluss an Levitt und Glick Schiller (2004) – auf Basis transnationaler Netzwerke und transnationaler physischer Mobilität, differente Ways of Being. Gleichzeitig sind subjektive Prozesse des Norm- und Wertewandels in Form von transnationalen Wissensprozessen sowie Verortungen und Positionierungen bezüglich des Herkunftslandes als Heimat über Ways of Belonging festgehalten. Die transnationalen Muster in Rückkehrprozessen ghanaischer BildungsremigrantInnen können sich folglich in vier Dimensionen kategorisieren lassen: Transnationale Mobilität, transnationale Netzwerke, transnationales Wissen und transnationales Heimatverständnis. Während die Begriffe der transnationalen Netzwerke und des transnationalen Wissens im Verlauf dieser Rahmung bereits erläutert wurden, wird an dieser Stelle nun die erste und vierte Dimension näher beleuchtet. „Transnationale Mobilität […] [kann] als Produkt der „Globalisierung“ angesehen werden und gleichzeitig sind transnational Mobile auch die Akteure einer Globalisierung“ (Faßmann 2003, S. 448). Basierend auf der Grundannahme der Entstehung transnationaler sozialer Räume, weicht das Konzept der transnationalen Mobilität die Differenzierung zwischen den Begriffen Migration und Mobilität auf (vgl. Pries 2016), da beide Begriffe höchst unterschiedlich in den gesellschaftlichen Diskursen gewertet werden. Dabei werden Mobile als Hochqualifizierte, Expatriates oder auch digitale Nomaden (vgl. Müller 2016) gerahmt, die flexibel, an eine globalisierte Welt angepasst, abenteuerlustig und gut ausgebildet sind. Im Vergleich zu dieser positiven Konnotierung werden MigrantInnen zumeist als problematisch dargestellt, mit niedrigem Bildungsstand sowie mit Armut und Flucht assoziiert. Sie verkörpern den Anderen, den Fremden, dessen Zuzug ordnungspolitisch kontrolliert werden muss (vgl. Breuer 2014). Dieses kategorisierende Denken soll durch das Konzept der transnationalen Mobilität aufgeweicht werden. Vorliegend wird transnationale Mobilität als geografische Mobilität definiert. Sie erfasst eine wiederholte und multidirektionale Bewegung zwischen Orten, die sich in verschiedenen nationalstaatlichen Kontexten befinden. Der Mobilitätsbegriff inkludiert jedoch nicht,

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ob die physischen Bewegungen temporär oder mit der Intention auf Dauerhaftigkeit erfolgen. Das Konzept des transnationalen Heimatverständnisses gründet auf dem Ansatz einer transnationalen Selbstpositionierung. Die Wortwahl Positionalität17 verweist zum einen auf das PositioniertWerden, folglich auf die dem Individuum von außen zugeschriebene Rolle – die soziale Position im strukturellen Sinne. Zum anderen deutet es auf die aktive Positionierung als individuelle Arbeit an dieser Zuordnung mit der Möglichkeit der Modifikation hin. Der Ansatz der transnationalen18 Selbstpositionierung hebt demnach die subjektive Leistung im Sinne eines Aushandlungsprozesses hervor. Die Handlung, das Doing und die individuelle Konstruktion stehen dabei im Mittelpunkt. Zudem wird die Arbeit an den Grenzlinien des Nationalen sowie die Aushandlung und Herstellung von Heimat (vgl. Boccagni 2016) sichtbar. Ein transnationales Heimatverständnis verweist somit auf den Akt der Positionierung und gründet darauf, sich nicht ausschließlich in einem nationalen Kontext zu verorten, sondern ein Ländergrenzen überspannendes Bild von Heimat aufzuweisen. Dabei scheint der Ansatz vor allem im Remigrationskontext geeignet zu sein, um Prozesse und Positionierungen bezüglich gesellschaftlich vorherrschender Normen und Richtlinien sowie die Definition von Heimat reflektieren zu können.

17 | Kalscheuer (2007) kritisiert mit dem Konzept der „transdifferenten Positionalität“ die Vorstellung von binären Differenzen, weil diese quer zu den gezogenen Grenzlinien verlaufen und die bisherigen Grenzziehungen in Schwingung versetzt, aber diese nicht aufgelöst, sondern aufrecht erhalten werden (vgl. auch Allolio-Näcke/Kalscheurer 2003; Lösch 2005). 18 | Anthias (2002) entwirft unter der Bezeichnung der „translocational positionality“, eine Zugehörigkeitskonzeption, die den Fokus auf einen lokalen Standort bzw. dessen Überschreitung legt, und somit die Verwobenheit von mehreren Orten in Zugehörigkeitskonstruktionen ermöglicht.

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Tabelle 2: Übersicht der TransREmigrantInnen-Typen (Quelle: eigene Darstellung) Dimensionen von Transnationalität

Typen Typus 1

Typus 2

Typus 3

Typus 4

Transnationale Mobilität

niedrig

hoch

mittel

hoch

Transnationale Netzwerke

niedrig

hoch

mittel

hoch

Transnationales Wissen

niedrig

niedrig

hoch

hoch

Transnationales Heimatverständnis

niedrig

niedrig

hoch

hoch

Der/die lokale TransREmigrantIn

Der/die strukturelle TransREmigrantIn

Der/die kognitive TransREmigrantIn

Der/die globale TransREmigrantIn

„Because belonging signifies constructing a sense of home, migrants […] reinterpret their definitions of person, culture, identity, home and place on return to their country of origin.“ (Collyer/de Haas 2012, S. 6)

Mit dieser Form der geleisteten Grenzarbeit kann eine Heimatpositionierung, basierend auf dem Verständnis von (Mehrfach-)Zugehörigkeiten (vgl. Mecheril 2003) und (hybrider) Identitäten19 (vgl. Friedman 2003; Foroutan/Schäfer 2009; Krüger 2008), entwickelt werden.

19  |  Multiple Zugehörigkeitskonzepte und neuere Identitätstheorien der „hybriden“, und „transnationalen“ Identitäten sowie des „doing identity“haben sich von der Homogenitätsannahme der einen Identität/ Zugehörigkeit als Essenz verabschiedet.

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Im Abschluss der vorliegenden Rahmung soll der Zusammenhang der transnationalen Dimensionen in Rückehr-Prozessen anhand der folgenden vier TransREmigrantInnentypen aufgezeigt werden: Der/die lokale, strukturelle, kognitive und globale TransREmigrantIn (siehe Tab. 2).

Typus 1: Der/die lokale TransREmigrantIn „Coming back home … was just picking your bag and coming and stay.“ (Zitat eines/r InterviewpartnerIn)

Der/die lokale TransREmigrantIn stellt den Typus dar, der am wenigsten transnationale Muster aufweist. Oftmals war die Bildungsmigration nach Deutschland die erste Migration und die Zukunftsvorstellungen sind von einem „Bleiben“ dominiert. Die Kontakte, die während der Zeit im Ausland geknüpft wurden, waren oftmals inner-ethnische Beziehungen zu anderen GhanaerInnen oder AfrikanerInnen anderer Nationalitäten. Dies begründet die geringe transnationale Netzwerkstruktur nach der Remigration, da viele der Netzwerkkontakte ebenfalls nach Ghana remigriert sind. Er/sie hat sich an die Normen und Gegebenheiten des Herkunftslandes wieder problemlos angepasst, was mit einer geringen Aneignung impliziter transnationaler Wissensinhalte einhergeht. Die vollzogenen Veränderungen werden mittels der „Handschuh-Strategie“ (siehe Kap. 5.5) getarnt. Es bestehen nur geringe Ambitionen, das soziale Umfeld zu verändern bzw. das im Ausland angeeignete Wissen aktiv auszuüben bzw. es weiterzuvermitteln. Er/sie erfährt eine punktuelle Transnationalisierung auf Zeit, die jedoch ihre – wenn auch geringen – Spuren hinterlassen hat. Der/die lokale TransREmigrantIn fühlt sich mit Ghana als Heimat stark verbunden, was das geringe transnationale Heimatverständnis und die starke lokale Verortung ausdrückt.

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Typus 2: Der/die strukturelle TransREmigrantIn „If you don’t understand if you don’t travel around, you wouldn’t see what life is all about…you don’t know life.“ (Zitat eines/r InterviewpartnerIn)

Der/die strukturelle TransREmigrantIn weist eine hohe transnationale physische Mobilität auf. Die Migration nach Deutschland war zumeist nicht die erste und wird auch nicht die letzte gewesen sein. Die Möglichkeit auf Grund eines guten Jobangebots erneut zu migrieren wird als sehr hoch eingeschätzt. Von großer Relevanz ist jedoch, dass nicht erneut eine räumliche Trennung von der Kernfamilie (Mann/Frau und Kindern) stattfindet. Durch Reisen und Arbeitseinsätze in anderen europäischen Ländern wie auch durch Besuche und Forschungsaufenthalte in Ghana, war er/sie auch während der Zeit in Deutschland äußerst mobil. Daher liegt ein sehr dichtes transnationales Netzwerk vor. Profitiert wird vor allem von vielen weltweiten weak ties, die Job-Möglichkeiten eröffnen können. Dadurch wird das persönliche Netzwerk bewusst durch eine aktive Vernetzungsstrategie gepflegt. VertreterInnen dieses Typus haben in Deutschland oftmals einen internationalen Studiengang besucht und dadurch mit vielen Personen anderer Nationalitäten Kontakte geknüpft. Diese werden auch nach der Rückkehr weiterhin aufrechterhalten. Er/sie hat sich durch die Zeit im Ausland sehr verändert und dies als große Bereicherung für sich empfunden. Neue Kontexte sieht er/sie als Möglichkeit der Inspiration an, um Lernerfahrungen sammeln zu können. Im Herkunftsland jedoch fällt nicht nur der Umgang mit den Verhaltensänderungen schwer, sondern darüber hinaus auch der Austausch mit Personen mit nicht äquivalenten Werte- und Normvorstellungen. Dafür spricht, dass der/die strukturelle TransREmigrantIn das Wissen nicht transnationalisieren und kontextspezifisch anwenden kann. Demnach wird zur Bewältigung des sehr stark entstandenen Brain Clashs die Strategie der „Nischenbildung“ (siehe Kap. 5.5) im nationalen Container Ghanas verfolgt. Er/sie positioniert sich als BildungsmigrantIn aus Deutschland und

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ist in der German Alumni-Gemeinschaft sehr aktiv. Dies ermöglicht die impliziten Wissensinhalte im Ausland generell ausleben und anreichern zu können, im nationalen Kontext Ghanas jedoch nur in einem bestimmten Rahmen. Er/sie hat ein ausgeprägtes nationales Heimatverständis und ist stolz, GhanaerIn zu sein, was angesichts des erfahrenen Clashs in ambivalenten Positionierungen mündet. Die Ambitionen und Verantwortung als AfrikanerIn zur Entwicklung des „eigenen Landes“ beizutragen, sind Haupt-Rückkehrmotiv. Der/die strukturelle TransREmigrantIn ist somit besonders mobil und vernetzt und zeigt auf der faktischen Strukturebene der Ways of Being ein hohes Maß an Transnationalität.

Typus 3: Der/die kognitive TransREmigrantIn „When we were coming back, we bought…a six months return ticket, because when we come and things don’t work we could go back.“ (Zitat eines/r InterviewpartnerIn)

Bezüglich der transnationalen physischen Mobilität kann der/die kognitive TransREmigrantIn zwischen Typus 1 und 2 angesiedelt werden: Obgleich zumeist die Migration nach Deutschland die erste Migration darstellte, weist dieser Typus eine etwas größere Ausprägung transnationaler physischer Mobilität als der/die lokale TransREmigrantIn auf, weil er/sie während der Studienjahre in Deutschland regelmäßige Heimatbesuche in Ghana unternommen hat. Das transnationale Netzwerk ist ausgeprägt und besteht vor allem aus Kontakten nach Deutschland. Häufig ist die Kirche und die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ein Vernetzungsort im Ausland, in dem viele strong ties zu Personen deutscher Nationalität entstanden sind. Diese transnationalen Netzwerkkontakte werden zwar nach der Rückkehr weiterhin gepflegt, der Fokus wird aber auf die lokale Vernetzung vor Ort in Ghana als Quelle sozialer Unterstützung gelegt. Die Zeit in Deutschland hat zu einem großen Werte- und Normwandel und zu der Aneignung transnationaler Wissensinhalte geführt, die ein hohes Maß an Erkenntnisgewinn

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ermöglichte. Diese werden in Ghana genutzt, um das konkrete soziale Umfeld nach den persönlichen Bedürfnissen zu arrangieren. Bestimmte Kontexte des Umfeldes, die am ehesten das Ausleben des eigenen impliziten Wissens ermöglichen, werden gezielt aufgesucht, genutzt oder eigenständig kreiert. Die passende Kommunikationsebene mit dem sozialen Umfeld scheint gefunden und somit weist er/sie mittels der Strategie des „Umlegens des Gedankenschalters“ (siehe Kap. 5.5) eine ausgeprägte transnationale Übersetzungsfähigkeit auf. Die Kompetenz der Wahrnehmung einer sozialen Situation und die Entwicklung des passenden Umgangs mit dieser, ist sehr hoch. Auf Grund der bewussten kognitiven und sozialen Veränderungen war die Rückkehr eine ambivalente Entscheidung. Da Ghana bessere Zukunftsoptionen eröffnete, entschied man sich letzten Endes für eine Rückkehr dorthin. Dies war eine rationale Entscheidung, die jedoch mit Zweifeln einherging. Das Rückflugticket nach Deutschland steht symbolisch für die Eröffnung eines selbst-kreierten Möglichkeitsraums im Rückkehrprozess, um Rückkehr nicht als Einbahnstraße und letzte Option zu empfinden. Die Remigration nach Ghana wird als neue Migration und nicht als Heimkehr beschrieben. Der/die kognitive TransREmigrantIn besitzt somit auf Grund des Wissens und des Heimatverständnisses auf subjektiver Ebene der Ways of Belonging ein hohes Maß an Transnationalität.

Typus 4: Der/die globale TransREmigrantIn „That was the first time I began to decode or change my perception and my friends were telling me Akwasi 20 you’ve changed.“ (Zitat eines/r InterviewpartnerIn)

Der/die globale TransREmigrantIn weist in allen vier Dimensionen das höchste Maß an Transnationalität auf. Dieser Typus ist bereits oft migriert, hat für unterschiedlich lange Zeit in verschiedenen Län20 | Pseudonym des/der InterviewpartnerIn.

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derkontexten gelebt und plant schon kurze Zeit nach der Rückkehr den nächsten Aufenthalt im Ausland. Für ihn/sie ist die Rückkehr oft nur eine Zwischenstation auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Durch die verschiedenen Auslandserfahrungen wurde ein sehr vielfältiges transnationales Netzwerk aufgebaut. Das Netzwerk ist lose gestrickt, da viele der transnationalen Kontakte nicht miteinander vernetzt sind. Trotz diverser Erfahrungen in verschiedenen nationalen Kontexten im Ausland, war die Zeit in Deutschland eine besonders prägende, oftmals auf Grund einer bikulturellen Partnerschaft zu einer deutschen Person. Durch diesen Gatekeeper stand er/sie rege im Kontakt zu anderen Deutschen und hat Einblicke in familiäre Settings und den kulturellen Kontext Deutschlands erhalten, was zu einer Einstellungsänderungen und zu dem Abbau von Vorurteilen gegenüber Deutschen führte. Er/sie begann die Wissensinhalte zu transnationalisieren und sich weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeit kann auch im ghanaischen Herkunftskontext nach der Rückkehr gezielt eingesetzt werden. Trotz Differenzen kommt er/sie – dank der Kreierung passender Übersetzungen der Wissensinhalte – mit dem sozialen Umfeld gut zurecht. Er/sie verfügt somit über eine hohe Bereitschaft das Wissen transnational passend anzuwenden und verspürt nicht das Bedürfnis, sich „unter Gleichen“ in Nischen zurückzuziehen. Anstatt sich über Dinge aufzuregen, die man nicht ändern kann, wird nach dem Motto gelebt: „don’t take things too serious“. Ein ausgeprägtes Heimatbewusstein bezüglich Ghana besteht nicht. Deutschland weist als Referenzrahmen eine ähnlich hohe Relevanz auf und so positioniert er/sie sich flexibel und situationsabhängig multi-lokal, an verschiedenen Orten und in sozialen Räumen. Durch die Migration wurde in allen Bereichen eine fortwährende und nachhaltige Transnationalisierung erfahren. Der/die globale TransREmigrantIn versteht sich selbst als KosmopolitIn und WeltenbürgerIn. Abschließend kann festgehalten werden: TransREmigrantInnen weisen verschiedene Bewegungsdynamiken, Netzwerkstrukturen sowie Handlungsstrategien im Umgang mit den eigenen Verhaltensänderungen im Werte- und Regel-System der Herkunftsge-

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sellschaft auf. Sie verfügen über einen unterschiedlichen Grad an transnationalem Wissen sowie transnationalem Heimatverständnis. Ein nationales Heimatgefühl kann mit transnationalen Mustern in Form von physischer Mobilität einhergehen (Typus 2); transnationale RemigrantInnen können sich durch den Umgang mit ihren Wissensinhalten und nicht nur durch den Grad der physischen und relationalen Transnationalität auszeichnen (Typus 3); und Rückkehr wird oftmals als eine neue Migrationsform verhandelt, welche durch stark hervortretende transnationale Muster geprägt ist (Typus 4). Zugleich ist ausdrücklich festzuhalten, dass alle der vier beschriebenen Typen einen gewissen Grad an Transnationalität im Rückkehrprozess aufweisen (auch Typus 1). Der/die unveränderte RückkehrerIn, der/die sich in den Herkunftskontext wieder eingliedert, als wäre nichts gewesen, scheint anhand dieser empirischen Analysen ein Mythos zu sein. Abschließend sollen anhand der dargestellten Typologie und der genaueren Erläuterung des Konzeptes der TransREmigration vier RE-Turns und somit Möglichkeiten für zukünftige Forschungen im Bereich der Rückkehrmigration formuliert werden: Das Konzept der TransREmigration bricht die kategorischen Unterscheidungen von Migrationsformen in Emigration, RückkehrMigration und Transmigration (vgl. Pries 2006)21 auf und verdeutlicht, dass es sich bei Remigrationen um dynamische Migrationsprozesse handelt, die durch transnationale Praktiken verschiedener nationaler Kontexte beeinflusst werden. Der Ansatz spannt ein zirkuläres System sozialer Beziehungen auf, welches nicht nur durch die Dimension der transnationalen Netzwerke verdeutlicht wird, sondern auch durch jene des transnationalen Wissens, welches das Individuum in Austauschbeziehungen mit Anderen anwendet. Das Konzept der TransRemigration REkonzeptualisiert somit erstens Rückkehr als eine Form der Transmigration, jedoch mit dem Unter21 | Pries unterscheidet insgesamt in seiner Studie vier Typen der Migration. Die Form der Diaspora-Migration ergänzt dabei die anderen drei Idealtypen (vgl. Pries 2006, S. 20).

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schied, dass die Rückwärtsbewegung oft größere Herausforderungen hervorbringt, als der Auswanderungsprozess. Die physische, emotionale und kognitive Bewegungsrichtung ist somit keine willkürliche. Sie ist vielmehr der Weg, der zu einem Ort, einem Land zurückführt, an welchem man bereits einmal zuvor gewesen ist. Es muss sich bei dem Land, in welches man transremigriert, weder um die Heimat noch um das Herkunftsland handeln. Das „RE“ drückt lediglich den Prozess der Rückkehr aus, ohne den Ort weder mit dem Start- noch Endpunkt gleichzusetzen. Das „RE“ thematisiert somit, dass es sich um eine Wiederbegegnung mit einem geografischen Ort, sozialen Kontext und einem Referenzsystem handelt, welches man in einer früheren anderen Form bereits gekannt hat. Das Konzept ermöglicht die angemessene Betonung der Wanderung als Rückkehr. Somit verdeutlicht TransRemigration zweitens, dass durch Erinnerungen an das „Ehemalige“ und „Bekannte“, transnationale Muster im besonderen Maße REkontextualisiert werden müssen. In einem Balanceakt vollzieht sich der Abgleich des persönlich Erlebten – der Erinnerungsräume (vgl. Assmann 2009) – mit der Realität. Das Konzept eröffnet jedoch nicht nur eine transnationale, sondern gleichsam eine subjektive Perspektive auf Rückkehr und ermöglicht somit die handelnden, fühlenden, denkenden und wissenden AkteurInnen in das Zentrum der Betrachtung zu rücken. Drittens REfokussiert TransRemigration somit die gesellschaftliche Perspektive auf den Nationalstaat der Makroebene durch die der AkteurInnen der Mikroebene. Dadurch wird in dem politischen TripleWin-Szenario der Fokus auf den Nutzen für die TransRemigrantInnen gelegt und nicht auf den des Ankunfts- oder Herkunftslandes. Dabei geht es um die Schaffung, Erweiterung und Förderung von Agency durch grenzüberschreitende Praktiken. In der Perspektive solch einer transnationalen Agency (vgl. Köngeter/Smith 2015), werden Menschen als AktantInnen und InitiatorInnen ihrer eigenen Handlungen betrachtet, die Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten fernab nationalstaatlicher Ordnungen erzeugen.

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Durch die Betonungen von TransREmigration als Konzept der Sozialen Arbeit wird viertens der wirtschaftspolitische Schwerpunkt durch die Betrachtung von transnationalen sozialen Unterstützungsleistungen (vgl. Chambon/Schröer/Schweppe 2012), sozialer Sicherung (vgl. Levitt et al. 2016) und Prozessen des Empowerments REstrukturiert. Der Ansatz einer Transnationalen Sozialen Arbeit (vgl. Olivier-Mensah/Schröer/Schweppe 2017a) sollte auf einem Mehrebenenmodell sozialer Unterstützung gründen, welches sowohl die informelle Ebene der persönlichen Netzwerkstrukturen der Individuen betrachtet, als auch die formelle Ebene der Institutionen, Organisationen und Communities (vgl. Olivier-Mensah 2017). Durch beispielsweise emotionale, interpretativ-kognitive, informative und praktisch-instrumentelle Unterstützung (vgl. Nestmann 2001) können TransRemigrantInnen in einem Direkteffekt unmittelbaren Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit erfahren. Zudem kann der Puffereffekt eine indirekte Wirkung auf die Bewältigung von Risiken und Belastungen haben (vgl. Cohen/ Wills 1985). Seitdem 2015 die Flüchtlingskrise auf Grund der ansteigenden Flucht-Bewegungen von Kriegsregionen wie Syrien, Afghanistan, Somalia und Eritrea nach Europa ausgerufen wurde, rückt die Soziale Arbeit durch das rasch expandierte Praxisfeld der Flüchtlingssozialarbeit zunehmend ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Die Spezialisierung und Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes fordert die Soziale Arbeit im besonderen Masse heraus, den eigenen methodologischen Nationalismus zu reflektieren, da Organisationen und deren Entwicklung im Kontext der Sozialen Arbeit nationalstaatliche Gebilde sind. „[They] have long overlooked the fact that transnational processes were becoming an everyday occurrence as they focused on their own institutional programs rather than looking at their clientele’s lifeworlds and agency.“ (Köngeter/Smith 2015b, S. 15).

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Da die deutsche Asyl- und Migrationssteuerungspolitik zudem verstärkt mit Abschottung und ansteigenden Investitionen in die (gezwungene und freiwillige) Rückkehr reagiert (vgl. Olivier-Mensah 2017b), ist, in der gegenwärtigen politischen Lage, die Erforschung von sozialen Unterstützungsprozessen, wie auch die Einnahme einer Mobilitäts- und Akteursperspektive in der Remigrationsforschung wichtiger als je zuvor. “[T]he normality of human mobility can be recognised and placed at the centre of refugee solutions” (Long 2009, S. 1).

Das Konzept einer transnationalen Remigration der Sozialen Arbeit (TransREmigration) gründet dabei auf dem Grundverständnis einer sozialpädagogischen Konzeption von Transmigration (Das Transmigrantische) (siehe Kap. 2). Beide Ansätze fokussieren die Konfrontation mit Offenheit in Bezug auf Fremdes bzw. vermeintlich Bekanntem und eröffnen einen Experimentierraum. „Praktiken des Transmigrantischen beschreiben einen Aushandlungsprozess. Hierin können verschiedene Umgangsformen der AkteurInnen entwickelt werden, die über anfängliche Irritationen und Spannungen …, über die Herstellung von Differenzen und Verfestigungen … bis zur Vermittlung und Übersetzungsprozessen … sowie Transformationen und Neukompositionen reichen können, um neue Ordnungsschemata zu erzeugen“ (Zitat aus Kap. 2.4).

TransREmigration exempliert somit das Transmigrantische der Sozialen Arbeit.

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2. Transmigration(en) und Grenzarbeit in der Sozialen Arbeit 1

2.1 Tr ansmigr ation

und

S oziale A rbeit

Marokkanische MigrantInnen, die unter Armutsbedingungen in Deutschland leben, nutzen Fernsehen und Skypegespräche, um sich ihr vermisstes „Heimatland“ ins Wohnzimmer zu holen; osteuropäische HaushaltsarbeiterInnen werden von Agenturen zur Pflege älterer Menschen nach Westeuropa vermittelt; eine Selbsthilfeorganisation in Deutschland leistet soziale Unterstützung an brasilianische MigrantInnen; junge Erwachsene absolvieren einen Freiwilligendienst oder einen Schüleraustausch im Ausland; bi-kulturellen Paaren wird in der Paarberatung ihre unterschiedliche Kultur als Deutungsfolie aufgezeigt und die „Armenhilfe“ der Sozialen Arbeit in Deutschland ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen Wissensbeständen verschiedener Nationalstaaten. Handelt es sich bei dieser Aufzählung um eine wahllose Aneinanderreihung oder stehen die beschriebenen Phänomene in einem 1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation, für die der Schneider Verlag über das ausschließliche Nutzungsrecht verfügt und die Wiederverwendung mit ausdrücklicher Genehmigung erfolgt: Herz, A./Olivier, C. (2013a): Das Transmigrantische der Sozialen Arbeit – thematischer Aufriss einer spannungsreichen Suchbewegung. In: Herz, A./Olivier, C. (Hrsg.): Transmigration und Soziale Arbeit – ein öffnender Blick auf Alltagswelten. Grundlagen der Sozialen Arbeit. Baltmannsweiler: Schneider, S. 1-18.

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Zusammenhang? Armut, Pflege, soziale Dienste, Auslandsprojekte und Beratung sind Themenfelder der Sozialen Arbeit; sie sind darüber hinaus auch Ausdruck dafür, dass sich die soziale Welt und damit auch Arrangements von sozialer Unterstützung grenzüberschreitend ausgestalten und organisieren. Grenzüberschreitend bezeichnet dabei unterschiedlichste Arten von Überquerungen, also etwa nationalstaatliche, kulturelle, ethnische, geschlechtliche sowie generationale Grenzgänge. Um nationalstaatliche Grenzen überschreitende Phänomene und Praktiken verstehen und beschreiben zu können, bedient sich die Soziale Arbeit in den vergangenen Jahren verstärkt des Konzeptes der Transmigration (vgl. z. B. Schröer/Schweppe 2010a). In einem ursprünglichen, der Migrationsforschung der 1990er Jahre entnommenen Verständnis, werden darunter Wanderungsformen von MigrantInnen verstanden, die nicht mehr nur als ein in einer Richtung verlaufender Ortswechsel von der Herkunfts- in die Ankunftsregion zu betrachten sind, sondern sich als physische Zirkularität grenzüberschreitender Bewegungen gestalten (vgl. Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1995). Während mit diesem Verständnis von Transmigration somit vorwiegend auf eine physische Bewegung von Personen über nationalstaatliche Grenzen hinweg Bezug genommen wird, werden in aktuellen empirischen Analysen an der Schnittselle von Sozialer Arbeit und Transmigrationsforschung auch Bewegungen und Überschreitungen von anderen Wissens-, Erfahrungs-, Generationen-, und Geschlechter-Grenzen sichtbar. Im Folgenden sollen die Diskussionen um Transmigration aufgegriffen werden, entlang derer nicht nur die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung um Migration, sondern auch um theoretische Überlegungen und Gegenstandsbestimmungen in der Sozialen Arbeit angeregt wurden. So sind Forschungsarbeiten entstanden, die in unterschiedlicher Art und Weise Konzepte von Transmigration aufgreifen, überdenken und verändern. In den vergangenen Jahren hat sich in der Sozialen Arbeit somit eine spannungsreiche Suche entwickelt, welche Formen der Grenzar-

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beit, Grenzziehungen, Grenzgänge und vor allem auch Grenzüberschreitungen in vielfältigen Kontexten offen legt.2 Diese Suche soll folgend skizziert und unter der Perspektive des Transmigrantischen gefasst werden. Dabei ist der Kern des Transmigrantischen, dass sich physische Bewegungen erstens nicht mehr nur auf (die Mobilität von) Personen, sondern auch auf Orientierungen, Zugehörigkeiten, Wissensbestände und auf Gegenstände beziehen können, und dass zweitens auch andere Grenzen als nationalstaatliche überschritten werden können.

2.2 Tr ansmigr ation

als

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Der Begriff der Transmigration wurde vor etwa 20 Jahren in die Migrationsforschung eingeführt, um die Konzeptualisierung von Migration als unidirektionale Bewegung (vom Herkunfts- in ein Ankunftsland) kritisch zu reflektieren (vgl. Glick Schiller/Basch/ Szanton Blanc 1992, 1995; Pries 2010; Wimmer/Glick Schiller 2002). Der Begriff erlaubt ein Verständnis von Migration jenseits des „methodologischen Nationalismus“, der den Bezug auf Nationalstaaten als unhinterfragten Referenzrahmen ansieht und mit dem ein sogenanntes Container-Verständnis einer Gesellschaft einhergeht, nach welchem eine Gesellschaft als räumlicher Behälter konzipiert ist und alle relevanten Beziehungen koexistent mit dem Staatsterritorium gedacht werden (vgl. Pries 2008; Sassen 2008). Im Kontext von nationalstaatliche Grenzen überschreitenden Wanderungsformen kommt es zunehmend zu transnationalen Verflechtungen, welche die Lebensrealitäten der AkteurInnen bilden und diese vor neue Herausforderungen stellen. TransmigrantInnen gelten dabei als Personen, „who develop and maintain multiple relati2 | Die Bedeutung der Grenz-Thematik im pädagogischen Bereich lässt sich etwa am Thema „Erziehungswissenschaftliche Grenzgänge“ des 23. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) (2012) ablesen.

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onships – familial, economic, social, organizational, religious, and political – that span borders“ (Basch/Glick Schiller/Blanc-Szanton 1994, S. 7). Unter einer Transmigrations-Perspektive geht man davon aus, dass MigrantInnen soziale Beziehungen (Ways of Being) und Orientierungen (Ways of Belonging) ausbilden, die Grenzen überschreiten und so unterschiedliche Nationalstaaten miteinander verbinden (vgl. Basch/Glick Schiller/Blanc-Szanton 1994). Ansätze der Migrationsforschung, die sich überwiegend mit Ursachen von Wanderungen sowie dem Grad der ökonomischen, sozialen und kulturellen Assimilation, Integration und Adaption im Aufnahmekontext beschäftigten, wurden somit erweitert. Neben breiteren Suchrichtungen und dem Versuch der Begriffsabgrenzungen von verschiedenen „Trans“-Formen, wie etwa Transkulturalität und Transnationalität (vgl. Hühn et al. 2010), rücken Pendelbewegungen von TransmigrantInnen (vgl. Pries 1998; Krumme 2004), transnationale Lebensverläufe und Biographien (vgl. Apitzsch/ Siouti 2008), die Herausbildung von multiplen Identitäten und hybriden (Mehrfach-)Zugehörigkeiten (vgl. Mecheril 2003; Fürstenau/ Niedrig 2007; Klein 2010), die Ausdehnung und Bedeutung von transnationalen sozialen Beziehungen (vgl. Mau 2007; Herz 2010, 2014; Olivier 2011b) sowie Netzwerken (vgl. Dahinden 2009; Herz/ Olivier 2012a, 2012b) und Communities (vgl. Portes 2000) in den Fokus der Forschung. Zur Fassung der Phänomene dienen zumeist die Konzepte der transnationalen sozialen Räume (vgl. Faist 2000; Faist/Özveren 2004; Pries 2001) sowie der transnationalen sozialen Felder (vgl. Levitt/Glick Schiller 2007; Nieswand 2005). Gleichsam werden verschiedene disziplinäre Rahmungen herangezogen, um die Phänomene theoretisch einbetten und dadurch weiterführende Erkenntnisse gewinnen zu können. Neben dem Fokus auf Gender (vgl. Parreñas 2001; Pessar/Mahler 2003) und soziale Ungleichheit (vgl. Weiß 2005; Berger/Weiß 2008; Beck 2008; Dahinden 2011) finden auch stärker sozialpädagogisch geprägte Betrachtungsweisen und Themen, wie Jugend (vgl. Fürstenau/Niedrig 2007; Mangold 2010), Alter (vgl. Laubenthal/Pries 2010; Schröer/Schweppe 2010b); Care (vgl. Scheiwe/Krawietz 2010; Wang et al. 2011), Agency

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(vgl. Köngeter/Smith 2015) und soziale Unterstützung3 (vgl. Chambon/Schröer/Schweppe 2012) Einzug in die Diskussion.

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Das Konzept der Transmigration bietet für die Soziale Arbeit einen Rahmen, in welchem sozialpädagogische Perspektiven in Disziplin und Profession herausgefordert und überdacht werden können. Vor dem Hintergrund der Ausdehnung grenzüberschreitend organisierter Lebensformen, Alltagswelten und Realitäten der AdressatInnen, hat die Disziplin Soziale Arbeit neben einer klientInnenorientierten Adressierung zudem die Aufgabe, gesellschaftliche und sozialpolitische Rahmenbedingungen und Konzeptionierungen zu reflektieren (vgl. Reutlinger/Baghdadi/Kniffki 2010). Dabei gilt für die sozialpädagogische Praxis, dass Hilfeleistungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen können und mit Transmigrationsbewegungen sowie der Transnationalisierung sozialer Lebenswelten auch veränderte Formen sozialer Unterstützung einhergehen (vgl. Homfeldt/Schweppe/Schröer 2007, 2008; Furman/Negi 2010; Schröer/Schweppe 2011; Olivier 2011a). Neben institutionalisierten Hilfeformen im Kontext von sozialen Diensten und Organisationen, können zudem alltägliche und informelle Arrangements in Form von persönlichen Beziehungen, Communities, Netzwerken, Vereinigungen und Selbstorganisationen, als Quellen sozialer Unterstützung dienen. Sowohl für formelle als auch für informelle Hilfestrukturen von und für TransmigrantInnen gilt, dass sie sich konzeptuellen Einteilungen entziehen, 3 | Der empirischen Erforschung und theoretischen Rahmung von transnationaler sozialer Unterstützung wurde von Juni 2008 bis Mai 2017 im DFG-Graduiertenkolleg 1474 „Transnationale Soziale Unterstützung“ sowie fortführend im Forschungszentrum TRANSSOS – Research Center for Transnational Social Support (beide Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Stiftung Universität Hildesheim) nachgegangen.

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die stark an nationalstaatlichen Rahmungen orientiert sind. Das Konzept der Transnationalität dient dazu, die u. a. durch Transmigration entstehenden sozialen Formationen beschreiben und in deren nationale Grenzen überschreitenden Verfasstheit analysieren zu können. Unter Transnationalität wird „the ongoing interconnection or flow of people, ideas, objects, and capital across the borders of nation-states, in contexts in which the state shapes but does not contain such linkages and movements“ (Glick Schiller/Levitt 2006, S. 5) verstanden. Dementsprechend konstatieren Homfeldt, Schröer und Schweppe (2007; 2008), dass auch die Soziale Arbeit mit der Aufgabe konfrontiert ist, auf transnationale Bewältigungs- und Unterstützungsprozesse zu reagieren und das bislang wenig an den Bedürfnissen und Lebenswirklichkeiten von TransmigrantInnen orientierte Selbstverständnis und die Praxis neu zu gestalten. Furman und Negi (2010) gehen in ihrem Sammelband auf die Herausforderung der Praxis Sozialer Arbeit im Kontext von Transmigration ein: „We do believe, … that the fact that more and more people are living transnational lives provides us with the ethical and moral imperative to help social work models and methods to respond to their needs“ (Furman/Negi/Salvador 2010, S. 4). Sie schlagen zur adäquaten Gestaltung die Entwicklung einer „transnationalen Praxis Sozialer Arbeit“ vor, die sich durch die Vernetzung und Verwobenheit von formellen sozialen Diensten und informellen Unterstützungsleistungen auf verschiedenen Ebenen und über nationalstaatliche Grenzen hinweg im sogenannten „WraparoundModell“ sozialer Dienstleistungen niederschlagen könnte (vgl. Furman et al. 2008). Homfeldt (2011) drückt diese Forderung nach der Ebenenverwobenheit durch die Rollenfunktion „Soziale Arbeit als Entwicklungszusammenarbeit“ aus und fordert, dass Mikro-, Mesound Makro-Ebenen umspannende, grenzüberschreitende Ansätze in der Sozialen Arbeit stäker Berücksichtigung finden sollten. Dies könnte etwa durch Maßnahmen des Social Developments (vgl. Homfeldt/Reutlinger 2009) und durch die Aufgabe Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession (vgl. Staub-Bernasconi 2003) umgesetzt werden. Eine somit geforderte „grenzüberschreitende Soziale

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Arbeit“ (Friesenhahn/Kniephoff-Knebel/Rickert 2009) beinhaltet dabei laut Salustowicz (2009) in Kooperationen der Internationalen Sozialen Arbeit (vgl. Cox/Pawar 2006; Graßhoff/Homfeldt/Schröer 2016) mehr als lediglich die Übertragung von Konzepten und Modellen von einem Länderkontext auf einen anderen, nämlich „die Überwindung der eigenen kulturellen, gesellschaftlichen [und] politischen Grenzen“ (Salustowicz 2009, S. 70). Neben der Forderung von praxisrelevanten nationalstaatlichen Grenzgängen wird gleichsam aufgezeigt, dass im Bereich der sozialpädagogisch-diskursiven Wissensgenerierung und im Ausbildungssektor Sozialer Arbeit (vgl. Friesenhahn/KniephoffKnebel/Rickert 2009; Kniffki 2010) transnationale Beziehungen und eine „transnationale Wissensproduktion“ (Köngeter 2013) fester Bestandteil in der Professionstradition Sozialer Arbeit sind, die jedoch theoretisch bislang fast gänzlich unreflektiert blieben. Zwischenzeitlich rücken daher auch Formen und Phänomene des „transnationalen Wissens“ in der Sozialen Arbeit in den Fokus der Betrachtung (vgl. Bender et al. 2013). Somit werden die Stimmen der Forderung nach einer theoretischen Perspektivenerweiterung in der Profession Sozialer Arbeit neben der Wandlung der Praxisgestaltung in den letzten Jahren immer deutlicher. „Transnationalisierung fordert […] eine kritische Betrachtung und Öffnung der nationalstaatlichen Ordnung der Sozialen Arbeit als Normalitätsfolie für die Beschreibung und Analyse der Lebensformen ihrer Adressatinnen und Adressaten sowie der auf sie gerichteten Maßnahmen und Angebote“ (Homfeldt/Schröer/ Schweppe 2008, S. 247). Dabei fällt der Blick auf den „methodologischen Nationalismus“ der Sozialen Arbeit und durch die Reflexion ihrer nationalstaatlichen Verfasstheit wird gefordert, die Sichtweise Sozialer Arbeit insgesamt mit dem Blick durch eine „transnationale Brille“ (Richter 2011) zu öffnen und Perspektiven einer „Transnationalen Sozialen Arbeit“ zu entwerfen (vgl. Kammer-Rutten et. al. 2017; Köngeter 2009; Homfeldt/Reutlinger 2009; Olivier-Mensah/ Schröer/Schweppe 2017; Schweppe 2010; Wallimann 2010; Raithelhuber 2011).

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In der Sozialen Arbeit wurden in der Auseinandersetzung mit dem Thema Transmigration somit bislang überwiegend Prozesse im Zusammenhang mit der physischen Überschreitung von nationalen Grenzen durch Personen, d. h. von MigrantInnen, gefasst. Das Konzept der Transmigration geht jedoch über ein Verständnis von grenzüberschreitender Mobilität von Personen hinaus, womit auch Prozesse der Grenzüberschreitung von Ideen, Objekten und Artefakten unter dieser Perspektive zu fassen sind (vgl. Laubenthal/ Pries 2010; Lauser 2005; Pries 2010). So konstatiert Marcus (1999) in seinem Forschungsprogramm der Multi-Sited Ethnography, dass neben Personen auch Dinge, Metaphern, Geschichten, Allegorien, Biographien und Konflikte mobil sein können. Die physische Bewegung von Personen über nationalstaatliche Grenzen hinweg wird somit nicht mehr als zwingende Voraussetzung für das Vorhandensein transnationaler Praktiken angesehen. Aspekte der Einbindung in von transnationalen Beziehungen geprägten Strukturen sowie grenzüberschreitende Orientierungs- und Handlungsmuster in Form der Ausgestaltung multipler Zugehörigkeiten und Identitäten können auch auf Personen zutreffen, die nicht transnational mobil sind bzw. welche im Extremfall noch nie eine nationalstaatliche Grenze physisch überschritten haben. So werfen Mau und Mewes (2007) unter der These der Transnationalisierung sozialer Beziehungen die Behauptung auf, dass es „nicht nur für Migranten und ökonomische Eliten zu einer Ausweitung sozialer Handlungsfelder gekommen ist, sondern mehr und mehr gesellschaftliche Gruppen in den Prozess der Transnationalisierung einbezogen sind“ (S. 204). Es sind also nicht nur hochmobile transnationale Personen (vgl. Kreutzer/Roth 2006; Sievers/Griese/Schulte 2010) oder ArbeitsmigrantInnen (vgl. Pries 1998; Lutz 2007), deren Beziehungsgeflechte sich über (nationalstaatliche) Grenzen aufspannen: Transnationalisierung in Form von grenzüberschreitenden sozialen Bezügen ist ein Phänomen, das auch auf sogenannte ortsfeste Personen und somit nicht nur für ein spezifisch „mobiles“ Klientel Sozialer Arbeit zutreffen kann.

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Diesbezüglich gibt es erste Ansätze in der Sozialen Arbeit, die das Verständnis von Transmigration ausweiten und die physische Mobilität von Personen nicht mehr als ausschließliche Bedingung für die Entstehung von grenzübergreifenden Verflechtungen betrachten. So konstatieren Schröer und Schweppe (2010a), dass Forschungen im Kontext von Transmigration und Sozialer Arbeit ermöglichen, den Blick auf „(neue) Formen und Inhalte von Selbstvergewisserungen und Weltsichten, kulturellen und sozialen Orientierungen, Arbeitsstrategien, Zugehörigkeiten und sozialen Positionierungen von Menschen“ (S. 92) zu werfen. Des Weiteren unternimmt Köngeter (2010) in seiner Definition von Transnationalismus den Versuch, die Bedeutung von transnationalen Praktiken für die Soziale Arbeit auch über die Mobilität von Personen hinaus, in drei Bereichen aufzuzeigen: in transnationalem Alltagsleben, transnationalen Organisationen und Politiken sowie in der transnationalen Wissensproduktion. Somit ist festzuhalten, dass Transmigration eine professionelle sowie theoretische Herausforderung der Sozialen Arbeit darstellt. Neben Hinweisen zur Praxisgestaltung und dem theoretischen Perspektivenwechsel durch die Beleuchtung von transnationalen Phänomenen fehlen jedoch bislang grundlegende konzeptionelle Überlegungen und Rahmungen von sozialpädagogisch geprägten Transmigrationsbegriffen, sowie öffnende empirische Analysen, was Transmigration im Kontext Sozialer Arbeit bedeuten kann.

2.4 V on Tr ansmigr ation zum Tr ansmigr antischen Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Transmigration – das werden die folgenden Beispiele zeigen – erzeugt in der Sozialen Arbeit eine spannungsreiche Suchbewegung, die häufig eine Konzeption von physischer Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen beinhaltet, jedoch auch deutlich darüber hinausgeht. Der Suche nach dem Transmigrantischen der Sozialen Arbeit wird an dieser Stelle

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kein einheitlicher Transmigrationsbegriff zugrunde gelegt. Die einzelnen Forschungsbeispiele, die aus dem Band „Transmigration und Soziale Arbeit – ein öffnender Blick auf Alltagswelten“ (Herz/ Olivier 2013b) stammen, rekurrieren auf unterschiedliche Konzeptionen von Transmigration bzw. entwickeln neue – teils empirische teils theoretische – Verständnisse und öffnen damit die Diskussion um das Transmigrantische in der Sozialen Arbeit. Die Auseinandersetzug mit Transmigration ist eng verwoben mit der Diskussion um Transnationalität. Während das Konzept der Trans-„Nationalität“ jedoch auf die Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen bezogen ist, kann Trans-„Migration“ die Überschreitung von unterschiedlichen Grenzen bedeuten, womit nicht nur „der Nationalstaat“ als zugrundliegende Einheit gedacht werden kann. So konstatiert Hamburger (2008) bezüglich des Terms der Transnationalität: „Prozesse selbst bleiben dabei bezogen auf […] Akteure, deren Handeln und Handlungsmustern nationale Begrenzungen überschreiten“ (S. 262). Während unter einer transnationalen Perspektive somit ein Verständnis besteht, welches den Nationalstaat als Referenzpunkt in dessen Auseinandersetzung mit Bewegungen voraussetzt, zielt Transmigration allgemein auf grenzüberschreitende Bewegungen, die sich nicht nur auf nationalstaatliche Rahmungen beziehen (müssen). Denn der nationalstaatliche stellt häufig lediglich einen unter vielen Bezugsrahmen dar, dessen Überschreitung andere Formen von Grenzen offen legt. Somit thematisieren die Forschungsbeispiele – wie es in Anlehnung an die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe „trans“‚ als „über/hinüber/ jenseits“ und „Migration“ von „migratio“ als „Wanderung/Bewegungen“, als das Transmigrantische bezeichnet wird – Bewegungen unterschiedlicher Einheiten über verschiedene Grenzen hinweg. Mit dem Transmigrantischen werden dann unterschiedliche Grenzen anhand deren Überschreitung zum Thema. Im Mittelpunkt steht der Prozess der Bewegung und somit die Überschreitung von Grenzen bzw. Praktiken des Grenzgangs. Für die Soziale Arbeit ermöglicht der Begriff des Transmigrantischen somit im Vergleich etwa zur „transnationalen Grenzarbeit“ (vgl. Schröer/Schweppe

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2012) nicht nur den „methodologischen Nationalismus“ sowie das „Trans-Nationalisieren“ von Grenzen zu reflektieren, sondern allgemein geschlossene Verständnisse von festen Einheiten zu öffnen. In solch einem Verständnis werden Kultur, Ethnizität, Religion, Geschlecht, Lebensalter oder Generation gleichsam wie Nation nicht als natürlich gegebene Einheiten betrachtet, sondern als soziale Konstrukte, deren Grenzen in deren Überschreitung in sozialen Praktiken hergestellt und sichtbar werden. Solch eine Perspektive ermöglicht neben der Überschreitung von nationalstaatlichen Grenzen somit die Betrachtung von überschreitenden Phänomenen und Deutungen sowie Grenzherstellungen unterschiedlicher Einheiten (z. B. Personen, Objekte, Artefakte), denen es zum Verständnis alltäglicher Praktiken zu folgen gilt und vermag somit neben dem methodologischen Nationalismus beispielsweise auch für einen methodologischen Kulturalismus, Ethnizismus und Genderismus zu sensibilisieren. Das Transmigrantische bezieht sich zudem nicht mehr „nur“ auf die physische Mobilität von Personen, sondern es können auch soziale Beziehungen, Objekte, Kapital, Ideen, Imaginationen, Wissen, Erfahrungen, Orientierungen und Zugehörigkeiten „migrieren“, wodurch das Transmigrantische Ausdruck in den Praktiken der Alltagswelten von Personen findet. Demgemäß verdeutlichen die nachstehenden Forschungsbeispiele, dass die theoretische und empirische Beschäftigung mit dem Transmigrantischen der Sozialen Arbeit die Wahrnehmung von unterschiedlichen mobilen Einheiten und von unterschiedlichen Grenzüberschreitungen sensibilisieren kann. Mit der Betrachtung von Bewegungen unterschiedlicher Einheiten unter dieser Perspektive des „Trans“ (vgl. Knapp 2009; Klein 2010; Klein-Zimmer 2013; Mangold 2013) kommt zudem zum Ausdruck, dass ein Experimentierraum und eine Konfrontation mit Offenheit, Neuem und Unbekanntem entsteht. Praktiken des Transmigrantischen beschreiben somit einen Aushandlungsprozess. Hierin können verschiedene Umgangsformen der AkteurInnen entwickelt werden, die über anfängliche Irritationen und Spannun-

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gen (vgl. Kaufmann 2013), über die Herstellung von Differenzen und Verfestigungen (vgl. Mangold 2013) bis zur Vermittlung und Übersetzungsprozessen (vgl. Köngeter 2013) sowie Transformationen und Neukompositionen reichen können, um neue Ordnungsschemata zu erzeugen. Die Grenzüberschreitungen schließen sich dabei jedoch nicht gegenseitig aus, sondern können Aspekte der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Grenzprozesse beinhalten. Somit setzt sich das Transmigrantische oftmals auch mit dem Transnationalen auseinander, wie die folgenden Einblicke in Forschungsarbeiten4 zeigen werden. Um die Grenzen jedoch spezifizieren zu können und Handlungsmuster von AkteurInnen nicht nur anhand von Nationalstaatlichkeit, sondern ebenso bezüglich deren verschiedenen Unterstützungs- und Bewältigungsanforderungen hin zu deuten, bedarf es der Weitung des Fokus auf das Transmigrantische.

2.5 F orschungsbeispiele Unter dem gewählten Spannungsbezug von Transmigration und Sozialer Arbeit beschreiben die folgenden Beispiele zum einen eine Suchbewegung nach Konzeptionen, um einer grenzüberschreitenden Verfasstheit von Alltagswelten Rechnung zu tragen, und liefern zum anderen empirische Hinweise für das Transmigrantische in Alltagswelten. Die ersten Beispiele stellen Überlegungen zur konzeptionellen Rahmung bezüglich des Verhältnisses von Transmigration und Sozialer Arbeit auf theoretischer Ebene an. Die weiteren Beiträge nähern sich dem Transmigrantischen anhand empirischer Analysen sozialer Praktiken in Alltagswelten. Die ersten fünf Beispiele stellen sich einer konzeptionellen Selbstvergewisserung der Sozialen Arbeit. Transmigration wird 4 | Ein Großteil der Forschungsbeispiele basiert auf Arbeiten der (ehemaligen) KollegiatInnen des DFG-Graduiertenkollegs 1474 „Transnationale Soziale Unterstützung“.

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damit nicht nur zum Gegenstand und Handlungsbereich von Sozialer Arbeit, sondern erkennt auch Prozesse des Transmigrantischen in der Gewordenheit ihrer Konzeptionen. So zeigt Köngeter (2013) in seiner Forschung die Entstehung und Transformation der Settlementbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts exemplarisch für eine transnationale Produktion von Wissen in der Sozialen Arbeit auf. Am Beispiel der Übersetzung verschiedener Settlement-Ansätze nach Kanada durch die Mitglieder der presbyterianischen Kirche wird insbesondere die Rolle der europäischen und transatlantischen Arbeitsmigration Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts diskutiert. Die Geschichte der Entstehung der Settlement-Bewegung zeigt, dass Wissen in der Sozialen Arbeit über nationalstaatliche Grenzen nicht gleichsam unverändert transferiert wird, sondern dass während dieses Prozesses komplexe Übersetzungen stattfinden, bei dem sowohl das Wissen über die Settlement-Idee als auch über die jeweiligen nationalstaatlichen Referenzrahmen (dies- und jenseits der Grenze) adaptiert und transformiert werden. Huber (2013) verdeutlicht eindrücklich, dass sich das Verständnis von Transmigration aus der Perspektive der Sozialen Arbeit reflektieren lässt. Sie überdenkt die Frage nach Möglichkeiten einer sozialpädagogischen Konzeption von Transmigration und deren Bedeutung für eine transnational geöffnete Soziale Arbeit. Um sich dieser Thematik anzunähern, stellt sie unterschiedliche Transmigrationsdefinitionen vor und fragt kritisch danach, inwiefern diese sich als geeignet erweisen, grenzüberschreitende Phänomene aus sozialpädagogischer Sicht zu erfassen. Ideen der Konzeption von Transmigration im Alter nach Laubenthal und Pries (2010) aufgreifend, werden ein von der Autorin entwickelter Analyserahmen zur Bestimmung verschiedener Transmigrationstypen in Bezug auf transnationale Bewältigungs- und Unterstützungsprozesse und soziale Ungleichheitsdimensionen dargestellt sowie verschiedene Arbeitsdefinitionen unterschiedlicher Transmigrationsformen entworfen. Wie sich Lebensformen im Kontext von Transmigrationserfahrungen modifizieren und welche neuen Formen und Gestaltungs-

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möglichkeiten sich dabei eröffnen, wird im internationalen und deutschsprachigen Raum auch unter einer Gender-Perspektive reflektiert. Vor dem Hintergrund einer Feminisierung von Migrationen standen im Fokus der bisherigen migrations- und gendertheoretischen Analysen die Phänomene der „transnationalen Familie“ (Bryceson/Vuorela 2002) und der „transnationalen Mutterschaft“ (Hondagneu-Sotelo/Avila 1997). Tuider (2013) diskutiert Auswirkungen, die Transmigrationsprozesse und -erfahrungen auf das Geschlechterverhältnis und die soziale Positionierung von Frauen haben. Dabei werden die sozialen (Alltags-)Praktiken, die transnationale Mütter und Familien entwickeln, um die migrationsbedingte Distanz zu überwinden, vorgestellt und das soziale Konstrukt der Familie sowie die Rolle der Frau zwischen „Befreiung“ und Refeminisierung kontrovers diskutiert. Homfeldt und Schmitt (2013) beschäftigen sich mit der Bedeutsamkeit von Communities für die Lebenswirklichkeiten von TransmigrantInnen. Die Frage nach der Signifikanz von Communities scheint angesichts einer sich erhöhenden Mobilität von AkteurInnen und der sich rapide weiterentwickelnden Kommunikationsformen eine neue Qualität zu erreichen. Welche Formen von Community finden sich im Kontext von Transmigration? Welche Spezifika weisen diese auf und welche Funktionen übernehmen (transnationale) soziale Netzwerke? Auf der Grundlage empirischer Analysen bilden sie eine Typologisierung verschiedener Formen von Communities in Bezug auf ihre sozialen Netzwerke. Zudem werden die Herausforderungen und Chancen einer communityorientierten und strukturgestaltenden Sozialen Arbeit reflektiert. Kaufmann (2013) entwickelt in ihrer Forschung eine Perspektive auf das Transmigrantische der Sozialen Arbeit anhand interkultureller Konzepte der Paarberatung. Sie zeigt, dass interkulturell ausgerichtete Konzepte der Beratung sowohl kulturelle Verschiedenheiten ratsuchender PartnerInnen als auch kulturelle Nähe und Distanz zwischen BeraterInnen und den jeweiligen PartnerInnen fokussieren. Sie beleuchtet die Notwendigkeit, entstehende Irritationen im Beratungsprozess zu reflektieren und diese nicht durch

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die Einordung in die gewohnten Kategorien von Kultur und Biografie aufzulösen. Somit wird auf die Notwendigkeit einer Reflexion interkultureller Paarberatungskonzepte aus einer transnationalen Perspektive aufmerksam gemacht. Die weiteren Forschungsbeispiele beschreiben die Gestaltung des Transmigrantischen in Alltagswelten und analysieren Formen der grenzüberschreitenden Kommunikations-, Zugehörigkeits-, Mobilitäts- und Vernetzungsgestaltung. Die Besonderheit der Beispiele dabei ist, dass alle aus empirischen Projekten hervorgehen und somit einen Einblick in den sozialpädagogischen Forschungsstand gewähren. Wrulich (2013) geht in ihrer Studie der Frage nach, welche Rolle Jugendliche in Prozessen der Transnationalisierung spielen. Ihre These ist, dass mobile junge Menschen aktiv an Prozessen der Transnationalisierung teilhaben und damit als AkteurInnen sozialen Wandels in Erscheinung treten. Hierzu beleuchtet sie das Themenfeld des Schüleraustauschs als Teil der Internationalen Jugendarbeit durch eine „transnationale Brille“ und beschreibt anhand eigener empirischer Analysen die Interaktions- und Kommunikationsprozesse von jungen Menschen, die an einem solchen teilgenommen haben. Diskutiert wird das Potential des Praxisfeldes des Internationalen Schüleraustauschs und ob dieser im Sinne eines Gelegenheiten schaffenden Angebots der Jugendhilfe zu einer „Transnationalisierung der sozialen Welt“ ihrer AdressatInnen beiträgt. Das Konzept der Transmigration fokussierend, setzen sich Bender, Hollstein, Huber und Schweppe (2013) mit pluri-lokalen und Ländergrenzen überschreitenden Praktiken von Menschen auseinander, die zur Transnationalisierung ihres Alltags führen und damit Ausdruck transnationalisierter Lebenswelten sind. Mit transnationalen Lebenswelten gehen sozialräumliche Grenzziehungen einher, die sich nationalstaatenübergreifend aufspannen und nicht an physische Mobilitätsformen gebunden sind. Anhand empirischer Daten zeigt der Beitrag die Möglichkeiten der Ausbildung medialer transnationaler sozialer Räume von MigrantInnen auf, die

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unter Armutsbedingungen in Deutschland leben. Welche Orientierungen der TransmigrantInnen sich in medialen Praktiken zeigen und welche Rolle diesen in einer lebensweltlichen Perspektive zukommt, stehen dabei ebenso im Mittelpunkt, wie die Bedeutung für die Soziale Arbeit. Klein-Zimmer (2013) befasst sich mit nationale Grenzen überschreitenden Alltagspraktiken der sogenannten „zweiten Generation“ Jugendlicher und junger Erwachsener. Sie konstatiert, dass die Imagination von Welten jenseits der sozialen Beschränkung durch nationale Grenzen, Kulturen und Identitäten nicht nur für eine erste Generation von TransmigrantInnen möglich ist, die bislang innerhalb der Transmigrationsforschung im Mittelpunkt der Untersuchungen stand. Auch junge Erwachsene, die über eine durch die Elterngeneration vermittelte Migrationserfahrung verfügen, entwickeln grenzüberschreitende biographische Orientierungen. Das Forschungsprojekt versteht Transmigration aus der Perspektive der Sozialen Arbeit somit als einen intergenerationalen Prozess und beleuchtet sowohl auf der Ebene der Handlungsmuster, als auch auf der Ebene von Zugehörigkeitskonstruktionen, wie junge Erwachsene in unterschiedlichen Lebensbereichen „Grenzarbeiten“ praktizieren. Auf Grundlage der Daten einer ethnographischen Untersuchung vom Alltag junger Erwachsener im Internationalen Freiwilligendienst in Uganda fragt Mangold (2013) nach Beziehungskonstellationen und Gesellungsformen der Freiwilligen. Es wird aufgezeigt, wie bestimmte Zugehörigkeitskriterien („Freiwillig-Sein“, „WeißSein“, „beide Welten kennen“) ausschlaggebend für Gruppenkonstruktionen und Gesellungsfromen sind und wie diese in der Unterstützung der Freiwilligen während ihres Freiwilligendienstes (und darüber hinaus) eine bedeutende Rolle spielen. Diskutiert werden Überlegungen, wie diese Erkentnisse für die sozialpädagogische Praxis in der Begleitung von jungen Erwachsenen im internationalen Freiwilligendienst genutzt werden können. TransmigrantInnen zeichnen so genannte transnationale soziale Räume, indem sie in ihrem Alltag verschiedene, sich in ganz

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unterschiedlichen nationalen und sozial-kulturellen Kontexten befindende Orte miteinander verbinden. Sie konstituieren dadurch neue pluri-lokal verortete Beziehungs- und Unterstützungsformen, die quer zu den bisherigen räumlichen Einheiten stehen. Reutlinger (2013) führt dies anhand transnationaler Geographien am Beispiel nachbarschaftlicher Unterstützung aus. Hierzu wird die gängige Vorstellung der doppelt-exklusiven Verschachtelung von räumlicher Nachbarschaft (Flächenraum) und sozialer Nachbarschaftsbeziehung (Sozialraum) kritisch in den Blick genommen und anhand des Konzepts der „transnationalen Geographien“ theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zu Nachbarschaft und Sozialraum angestellt. Beispielhaft illustriert werden diese anhand der Ergebnisse einer explorativen Studie zur Bedeutung von nachbarschaftlichen Unterstützungsformen in ethnisch stark segregierten Stadtteilen in Vancouver (Kanada). Krawietz und Strumpen (2013) werfen den Blick auf Grenzen überschreitende soziale Prozesse im Alter. Sie konstatieren, dass während in den Sozial- und Politikwissenschaften allgemein die Transnationalisierung von Vergesellschaftungsprozessen bereits seit 15 Jahren auf der Forschungsagenda steht, sich in der Sozialen Gerontologie erst seit jüngerer Zeit weiterführende Ansätze beobachten lassen. Sie eröffnen Perspektiven auf eine transnationale Verortung von Unterstützung im Alter und zeigen mögliche Verknüpfungen zwischen den Transnational Studies und der Sozialen Gerontologie anhand von zwei empirischen Settings auf: den Pflege- und Versorgungsvorstellungen von in Pendelmigration lebenden älteren Türkeistämmigen sowie den transnationalen Betreuungskonstellationen, in denen osteuropäische MigrantInnen die Versorgung von älteren westeuropäischen Pflegebedürftigen übernehmen. Gamper, Fenecia und Schönhuth (2013) nähern sich einer differenzierten Betrachtung von transnationalen Beziehungskonstellationen von MigrantInnen aus einer Netzwerkperspektive. Hierzu untersuchen die AutorInnen in einer triangulativen Studie die transnationalen Unterstützungsnetzwerke von (Spät-)Aussiedle-

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rInnen. Anhand von standardisiert-schriftlichen Befragungen und qualitativen Interviews mit digitalen Netzwerkkarten werden die sozialen Netzwerke der befragten (Spät-)AussiedlerInnen auf deren transnationale Ausdehnung sowie hinsichtlich deren Bedeutung für soziale Unterstützungprozesse analysiert. Im Zentrum stehen die Analyse der Bedeutung der grenzüberschreitenden Beziehungen für diese Personengruppe und die Identifikation von unterschiedlichen („idealtypischen“) Vernetzungsformationen. Nochmals verstärkt Bezug nehmend auf die Soziale Arbeit, untersucht Duscha (2013) die Selbsthilfeaktivitäten eines brasilianischen Migrantinnenvereins. Sie verdeutlicht anhand von Auszügen empirischen Datenmaterials, dass sich Transnationalität nicht nur in der physischen Mobilität der Mitglieder niederschlägt, sondern mit dem Begriff der „Netzwerkarbeit“ vom Verein ganz unterschiedliche Formen entworfen werden. Entlang von verschiedenen Phänomenen wird dargestellt, wie Transnationalität durch unterschiedliche Vernetzungsprozesse zum Charakteristikum der Unterstützungsaktivitäten des Vereins wird. Es wird reflektiert, welche Befunde für die aktuelle Diskussion der Sozialen Arbeit zur Zusammenarbeit mit MigrantInnenorganisationen gezogen werden können. Die rezipierten empirischen und theoretischen Forschungsbeispiele thematisieren mit konzeptionellem wie auch mit empirischem Fokus das Verhältnis und Zusammenspiel von Transmigration und Sozialer Arbeit. Die verschiedenen Formen des Transmigrantischen sind somit Ausdrucksformen von Grenzüberschreitungen, wobei die Auseinandersetzung mit physischen Grenzüberschreitungen auch andere Formen der Grenzarbeit offen legt und Transmigrationen sichtbar und bearbeitbar werden, die jenseits von Transnationalität – also der Überschreitung einer nationalstaatlichen Grenze – zu betrachten sind. So kommt es im Kontext von physischen, mentalen und kommunikativen Transmigrationen von Personen und Dingen bei der Überschreitung von Grenzen zu neuen Grenzherstellungen und -setzungen. Dieser Umstand erfordert umso mehr, sich den

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disziplin- und professionseigenen Verständnissen von Transmigration in der Sozialen Arbeit zu vergewissern.

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3. Soziale Entwicklung und Developmental Social Work 1 „Poverty is not God-given. Poverty can be removed by collective action. The strategy must involve all sectors and levels of society – including state, market and civil society.“ (Ela Bhatt, Trägerin des alternativen Nobelpreises, Indien)

3.1 D er S ocial D e velopment-A nsatz in der S ozialen A rbeit Armut und Entwicklung sind zu einem unzertrennlichen ParoleDuo im Bereich der Armutsbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit herangereift. Sie beeinflussen sich nicht nur, sondern bedingen sich gegenseitig. So hat sich im entwicklungspolitischen Diskurs die Einsicht durchgesetzt, dass eine nachhaltige und gerechte Entwicklung nur möglich ist, wenn extreme Armut reduziert werden kann. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Entwicklungsansätze eingesetzt, um die weltweite Armut zu mindern. 1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation, für die der Beltz Juventa Verlag über das ausschließliche Nutzungsrecht verfügt und die Wiederverwendung mit ausdrücklicher Genehmigung erfolgt: Olivier, C./ Schmitt, C. (2013): Developmental Social Work in der Subsahara-Region – ein Mehrebenenansatz für die Soziale Arbeit. In: Bähr, C./Homfeldt, H.G./ Schröder, C./Schröer, W./Schweppe, C. (Hrsg.): Weltatlas Soziale Arbeit. Jenseits aller Vermessungen. Weinheim/Basel: Juventa, S. 80-101.

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Einer dieser Ansätze ist der sozial-ökonomisch geprägte Social Development-Ansatz, der im Bereich der Sozialen Arbeit unter der Bezeichnung Developmental Social Work (DSW) diskutiert wird. Die Wortzusammensetzung Developmental Social Work wirft bereits Fragen auf und die Auseinandersetzung mit der zu Grunde liegende Konzeptionierung des Ansatzes eröffnet noch weitere: Was wird unter einer entwicklungsorientierten Sozialen Arbeit verstanden? Wie können die Ebenen des Wirtschaftlichen und des Sozialen in einem sozialpädagogisch geprägten Konzept von sozialer Entwicklung zusammengedacht werden? Wie können die Umsetzung in der Praxis und die Erforschung auf disziplinärer Ebene erfolgen? Und welche Herausforderungen ergeben sich für den Ansatz, damit sich dieser als zeitgemäßes Konzept in der Sozialen Arbeit etablieren kann? Diese Fragen werden im Folgenden näher beleuchtet. Im ersten Teil des Beitrages wird sich zunächst der Historie und Konzeption von Social Development angenähert. Im zweiten Teil wird aufgezeigt, in welcher Weise eine Developmental Social Work von Leitlinien des Social Development-Ansatzes inspiriert ist. Darüber hinaus wird erläutert, welche sozialarbeiterischen Ansätze in eine Developmental Social Work eingebracht werden können. Im dritten Teil wird ein Überblick über die Rezeption von Developmental Social Work in Subsahara-Afrika in der Wissenschaft gegeben. Daran anschließend wird anhand von verschiedenen Fallvignetten im vierten Teil aufgezeigt, dass die Ebenen von Staat, Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Gruppen und EinzelakteurInnen in einem Developmental Social Work-Ansatz von Bedeutung sind und ineinandergreifen. Der Beitrag schließt mit einer kritischen Reflexion der Herausforderungen des Konzepts für die Profession und Disziplin Sozialer Arbeit und beleuchtet die Erweiterung seiner Ausrichtung um eine transnationale und informelle Ebene.

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3.2 H istorie und K onzep tion von S ocial D e velopment In der Vergangenheit wurden zahlreiche Konzeptionen von Entwicklung generiert, die vornehmlich das Fortschreiten von einem als ungenügend charakterisierten zu einem vermeintlich höheren Entwicklungsstadium vorsehen. Entwicklung wird in solchen Ansätzen als ein Phasenmodell aufgefasst: „Like having to climb the rungs of a ladder, one moves up and up in order to become more and more developed“ (Homfeldt/Reutlinger 2008, S. 383). Der Social Development-Ansatz nimmt eine andere Perspektive ein: Statt eine „gute Entwicklung“ für alle zu definieren und dieses Ziel zu forcieren, fokussiert er auf die Befähigung von AkteurInnen und strukturverändernde Maßnahmen, damit Menschen autonom handeln und nach ihren Vorstellungen partizipativ an der Gesellschaft teilhaben können (vgl. Homfeldt/Reutlinger 2008). Eine von der Sozialen Arbeit in den 1980er Jahren eingeführte Definition beschreibt Social Development als einen Prozess, der die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen, eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, und Maßnahmen zur Überwindung der Marginalität ausgeschlossener Gruppen und Communities und deren Inkorporation in den Mainstream vorsieht (vgl. Pandey 1981). Midgley (1995) betont in seinem Band zu „Social Development. The Developmental Perspective in Social Welfare“, dass vor allem gesellschaftliche Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheiten und Armut nicht allein durch ökonomische Investitionen gelöst werden können. Stattdessen sei eine Verknüpfung von sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen mit lokaler Ausrichtung notwendig, um eine ungleiche und verzerrte Entwicklung („Distorted Development“; Midgley 1995, S. 2) zu überwinden. Eine verzerrte Entwicklung zeichnet sich dadurch aus, dass an gesellschaftlich erzeugten Gütern und Wohlstand nur ein geringer Teil von Gesellschaftsmitgliedern partizipieren kann. Entgegen dieser soziale Ungleichheiten fördernden Entwicklung formuliert Midgley das Ziel der Förderung des Wohlergehens der Bevölkerung als Gan-

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zes. Dabei überwindet der Ansatz insgesamt die Dichotomien von Social Structures und Human Agency. Es wird die Verbindung beider Elemente gedacht, so dass letztlich die Agency von Gruppen und Individuen durch die strukturelle Schaffung sozioökonomischer Teilhabe gestärkt werden soll. Diesem Gedanken ist inhärent, dass lokale und gesellschaftliche Initiativen gleichermaßen in konkreten Maßnahmen berücksichtigt werden müssen. Midgley gründet seinen Ansatz daher auf einer pluralen Struktur, die den Staat in der Rolle des Schaffers von Ermöglichungsräumen – einer organisationalen Gesamtstruktur − sieht, die dann von CBOs, NGOs und anderen Teilen der Zivilgesellschaft genutzt werden kann, um ihre Initiativen individuell an die lokalen Bedingungen angepasst umzusetzen. Dabei ist bedeutsam, dass der Staat keine alleinige zentrale Steuerungsgewalt innehaben sollte, sondern verschiedene AkteurInnen in Fragen der Kooperation, Koordination und Ausgestaltung von Leitlinien zu involvieren sind. Der Social Development-Ansatz erfuhr als Konzept vor allem in den 1950er Jahren eine größere Bedeutung: „Der Begriff [wurde] von britischen kolonialen Wohlfahrtsbeamten in Westafrika benutzt, viele von ihnen SozialarbeiterInnen, um soziale Versorgungs- und gemeindebasierte Programme zu beschreiben, in denen es um die Unterstützung wirtschaftlichen Wachstums ging“ (Midgley 2009, S. 157). Während der Ansatz von den 1950er bis 1970er Jahren Unterstützung durch die Vereinten Nationen erfuhr und konkrete Maßnahmen zumeist auf staatlich initiierten Projekten basierten, verlor diese Perspektive mit den 1980er Jahren im Zuge neoliberaler Ideologien und wirtschaftlicher Krisen zu Gunsten struktureller Anpassungsprogramme (SAPs) an Bedeutung. Mit dem Scheitern von ausschließlich auf schnelles wirtschaftliches Wachstum basierten Maßnahmen (vgl. Hamm 1996) betont das United Nations Development Programme (UNDP) im ersten Weltentwicklungsbericht im Jahr 1990 erneut die Bedeutsamkeit der Verknüpfung sozialer und wirtschaftlicher Bestrebungen. Verschiedene Zusammenkünfte und Deklarationen wie der Weltgipfel für Soziale Entwicklung im Jahr 1995 (vgl. Klingebiel 1996) sowie der Millenniums-Gipfel

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der Vereinten Nationen im Jahr 2000 mit der Verabschiedung der Milleniumsentwicklungsziele (vgl. UN 2000) und der „Poverty Reduction Strategies“ (PRS) folgten (vgl. Eberlei 2001; Agbahey 2004). Der Fokus im Sektor der Armutsbekämpfung richtete sich im Zuge dieser international gefassten Beschlüsse immer mehr auf das Selbstaktivierungspotential der südlichen Länder und auf die Verminderung von Abhängigkeitsstrukturen eines Geber-Nehmerverhältnisses. Diese international diskutierten und entworfenen Armuts- und Entwicklungskonzeptionen sowie politische Bestimmungen bilden den Rahmen für Bestrebungen auf nationaler und lokaler Ebene und sind damit als eigenständige Aktanten von Social Development zu begreifen. Trotz seines langjährigen Bestehens fehlt es dem Ansatz an einer allgemein akzeptierten Konzipierung, was zu Verwirrungen und Unstimmigkeiten sowie primär zu einer unscharfen Verwendung des Begriffs geführt hat: Während mit Social Development in der Soziologie sozialer Wandel bezeichnet wird, verwenden ihn die Developmental Studies häufig zur Charakterisierung Community basierter Projekte. In den Wirtschaftswissenschaften wird er vor allem im Zusammenhang mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Steigerung von Einkommensverhältnissen assoziiert. Nichtsdestotrotz weisen, so Midgley (2012), Professionelle und WissenschaftlerInnen im Feld Sozialer Arbeit unermüdlich auf die Notwendigkeit der Umsetzung und Konzipierung eines Verständnisses von Social Development hin, das ökonomische und soziale Handlungsfelder zusammenbringt und hiervon ausgehend einen einheitlichen Ansatz schärft.

3.3 D e velopmental S ocial W ork In Anlehnung an den Social Development-Ansatz wird in der Sozialen Arbeit in zunehmender Weise von Developmental Social Work (DSW) gesprochen (vgl. Homfeldt/Schneider 2008; Schneider/ Homfeldt 2008,). Eine Developmental Social Work richtet sich an

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den Prämissen des Social Development-Ansatzes aus. Demnach ist es nicht alleinig die Aufgabe Sozialer Arbeit, auf das einzelne Individuum zu fokussieren, sondern auch auf Gruppen und Communities als Ganzes. Hiermit ist eine Abkehr von remedialen Betrachtungsweisen Sozialer Arbeit auf Individuen verbunden (vgl. Homfeldt/ Reutlinger 2008). Stattdessen werden Ressourcen und Fähigkeiten von AkteurInnen im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Strukturen in den Vordergrund gerückt (vgl. Midgley 2010). Die Rolle Sozialer Arbeit als Developmental Social Work besteht dann darin, ihre Erfahrungen im Bereich von Community Development, Empowerment und der Schaffung von Partizipationsräumen (vgl. z. B. Cox/ Pawar 2006; Hepworth et al. 2010) einzubringen sowie in ihrer Rolle als Menschenrechtsprofession zu agieren (vgl. Staub-Bernasconi 2003; Großmaß 2010). Dabei gründet der auf Entwicklung und Wohlergehen basierende Ansatz auf einer interventionistischen sowie vor allem partizipatorischen und inkludierenden Vorgehensweise und besteht aus einem umfassenden Strategienkonglomerat auf verschiedenen Ebenen. Ziel ist es, AkteurInnen in ihren Handlungsmächtigkeiten durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen zu stärken, so dass Partizipation und Selbstverwirklichung möglich werden. Dieses Verständnis einer Developmental Social Work geht einher mit den Überlegungen relationaler Agency konzeptionen, die die Handlungsmächtigkeit von Individuen nicht als per se existent und wesenhaft fassen, sondern stattdessen soziale Strukturen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rücken. Jene Strukturen sind von Menschen geschaffen und können Agency eher ermöglichen oder verschließen: „Aufgabe der Sozialwissenschaft ist es demnach, jene Mechanismen zu beobachten und zu verstehen, durch welche Menschen sich als quasi autonome Agency-Einheiten hervorbringen“ (Raithelhuber 2012, S. 137). Soziale Arbeit muss geschaffene Strukturen kritisch analysieren und danach fragen, unter welchen Bedingungen Teilhabe möglich ist. Solche Strukturen sind entsprechend zu stärken und auszuweiten. Soziale Arbeit muss sich folglich auch an politischen und ökonomischen Diskussionen beteiligen und deren Wissensbestände in ihre Disziplin und Profession

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integrieren, da erst ein umfassender Blick die Förderung Agency ermöglichender Strukturen umsetzbar macht.

3.4 D e velopmental S ocial W ork in S ubsahar a -A frik a Vor allem in Subsahara-Afrika und insbesondere in Südafrika findet der Ansatz einer Developmental Social Work vielfältig Anwendung. Subsahara-Afrika zeichnet sich durch eine kulturelle und sprachliche Vielfalt und differente staatliche Systeme aus. Dennoch weisen alle Länder eine Vergangenheit kolonialer Hegemonie auf. Die meisten Staaten sind seit Erreichen der Unabhängigkeit von der Abnahme von Exportgütern abhängig, während sie selbst über eine eher fragile wirtschaftliche Autonomie verfügen (vgl. Noyoo 2000). In das weltwirtschaftliche System sind sie in besonderem Maße als sogenannte „Empfängerländer“ von Armutsbekämpfungsmaßnahmen involviert. Zunehmend versuchen InitiatorInnen von Maßnahmen jedoch, lokale Initiativen in ihre Projekte zu integrieren. Zudem haben sich in vielen afrikanischen Ländern CBOs und NGOs sowie informellere Unterstützungssysteme gegründet, die aktiv an der Verbesserung lokaler Lebensbedingungen arbeiten. Obwohl es etliche Praxisprojekte und Initiativen in Subsahara-Afrika gibt, die nach den Paradigmen einer Developmental Social Work arbeiten, wurden bisher nur wenige empirisch und analytisch erfasst, um die wissenschaftliche Diskussion sowie die professionelle Praxis konzeptionell weiterzuentwickeln. Einige wenige aus dem südafrikanischen Kontext können an dieser Stelle jedoch vorgestellt werden: Gray und Bernstein (1994) analysieren in ihrer Studie die gegenseitigen Hilfe- und Unterstützungsleistungen von Frauen in informellen Slumsiedlungen in Durban. Die Autoren stellen die Frage, was Soziale Arbeit aus der gesellschaftlichen Realität lernen kann. Gray und Simpson (1998) beschäftigen sich damit, wie Praktiken einer entwicklungsfördernden Sozialen Arbeit im Studium vermittelt werden können. Mupedziswa (2001) befasst sich mit der

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Praxisgestaltung und entwirft in ihrem Aufsatz ein konzeptuelles Modell von Developmental Social Work für den Ausbildungsbereich. Sie beschreibt, wie die Strategien einer Developmental Social Work im afrikanischen Kontext von südlichen Institutionen in ihren Programmatiken aufgenommen und umgesetzt werden können und stellt eine Art Checkliste für solche Einrichtungen zusammen. Nieman (2006) beleuchtet den Entwicklungsbeitrag der Kirchen und zeigt beispielhaft anhand internationaler und südafrikanischer Initiativen theologisch inspirierte Ansätze von Developmental Social Work auf. Bak (2004) und Patel (2009) erläutern die Implementierung und die damit verbundenen Herausforderungen eines politisch-strukturellen Developmental Social Works-Ansatzes und veranschaulichen das Zusammenspiel und die Herausforderungen der Erneuerung des staatlichen südafrikanischen Wohlfahrtssystems und der Profession Sozialer Arbeit. Bak (2004) hebt dabei kritisch die zum Teil stattfindende Separierung beider Bereiche in den neuen politischen Regulierungen hervor, die konstatieren: „the country needs social development rather than social work to deal with the paramount problem of poverty“ (S. 84). Auffallend ist in allen genannten Studien ein anwendungsorientiertes Verständnis Sozialer Arbeit, das an der Schnittstelle von Theorie und Praxis angesiedelt ist. In diesem Praxiskontext wird Developmental Social Work definiert als „the practical and appropriate application of knowledge, skills and values to enhance the wellbeing of individuals, families, groups, organizations and communities in their social context“ (Patel 2005, S. 206 f.). Soziale Arbeit soll demnach die theoretischen Ansätze einer Developmental Social Work in Zusammenarbeit mit Communities und Individuen in ihrer alltäglichen Arbeit auf der Mikroebene implementieren. Dabei wird jedoch ausschließlich auf eine Ebene von Developmental Social Work und die Rolle Sozialer Arbeit als professionelle Form von sozialer Hilfe rekurriert. Die Verwendung des Konzepts verhaftet dabei in traditionellen Vorstellungen Sozialer Arbeit. Soziale Arbeit umschließt in ihrem Aufgabenbereich durch ihre gesellschaftliche Funktion jedoch weitaus mehr. Sie hat durch ihre Positionierung

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Einfluss auf eine gesamtgesellschaftliche Beurteilung sozialer Probleme und auf gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionsprozesse. Basierend auf dem Grundsatz, die Verwirklichungschancen für Individuen, Gruppen und Communities und deren Partizipation und Mitgestaltung an gesellschaftlichen Strukturen ermöglichen zu wollen, umspannen die Formen des sozial-ökonomischen Engagements weitaus mehr als organisierte Hilfe (vgl. Bommes/Scherr 1969). Um die Breite des Ansatzes und die Aufgaben einer Developmental Social Work als Disziplin und Profession näher zu erfassen, werden im Folgenden anhand von vier Fallvignetten ausgewählte in Developmental Social Work involvierte AkteurInnen aufgezeigt. Developmental Social Work wird dabei jeweils auf unterschiedlichen Ebenen initiiert: von Staaten, Unternehmen, der Zivilgesellschaft und EinzelakteurInnen. Dabei ist zu erwähnen, dass es zwischen den verschiedenen Handlungsebenen notwendige Interdependenzen und Überlappungen gibt, was den universalistischen Ansatz des Konzepts zur Geltung bringt. Die im Folgenden vorgestellten InitiatorInnen von Development Social Work sind daher keineswegs als alleinstehend zu denken. Stattdessen sind sie idealerweise in ein dynamisches Kooperationsnetzwerk von AkteurInnen eingebunden.

3.4.1 D  as staatliche „White Paper for Social Welfare“ in Südafrika Initiativen auf der staatlich organisationalen Ebene sollen länderund regionsspezifische Konzepte entwerfen, um Armut in Ländern des Südens durch die verschränkte Förderung sozialer und ökonomischer Entwicklung zu senken. 1977 wurde von der Mandelaregierung in Südafrika durch die Verabschiedung des sogenannten „White Paper for Social Welfare“ (vgl. Department of Welfare 1997) eine solche an Developmental Social Work ausgerichtete nationale Strategie implementiert. In Folge dessen wurden u. a. vermehrt Dienstleistungen im Bereich von HIV/AIDS-Prävention etabliert

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sowie in die Arbeit von Community-Initiativen investiert. Die Reduzierung von Armut wurde im Zusammenhang mit Investitionen in die soziale Sicherheit und in wohlfahrtsstaatliche Dienstleistungen zu erreichen versucht (vgl. Bak 2004; Patel 2009). Das zugrundeliegende Verständnis basiert darauf, dass wirtschaftliches Wachstum mit sozialen Investitionen einhergehen muss. In diesen sozioökonomischen Umbau des Landes wurde die Zivilgesellschaft aktiv involviert (Schmidt 2005)2. Über das strukturschaffende Engagement von Einzelstaaten im Bereich von DSW hinaus sind zunehmend internationale und transnationale Kooperationen zu verzeichnen, was zum Beispiel im Zusammenschluss von vierzehn südlichen afrikanischen Ländern zur Southern African Development Community (SADC)3 erkenntlich wird. Ziel dieses Zusammenschlusses ist die Schaffung institutioneller Rahmungen, die die wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliederstaaten stärken sollen (vgl. Noyoo 2007)4.

Abbildung 1: Initiativen auf staatlicher Ebene (Quelle: SADC)5

2 | KritikerInnen führen jedoch an, dass die Zivilgesellschaft zu „Implementierungsagenturen für Programme und Projekte der Sozialpolitik“ wurden (Schmidt 2005, S. 163). 3 | Für weitere Informationen siehe: http://www.sadc.int (14.04.2017). 4 | Kritische Stimmen werfen SADC das Fehlen des systematischen Einbezugs der Zivilgesellschaft vor, was als notwendig erachtet wird, damit soziale und wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden kann (vgl. Noyoo 2007). 5 | Ein Dank gilt SADC, OID und Muungano wa Wanavijiji für die Zurverfügungstellung des Bildmaterials.

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Neben solchen staatlichen Initiativen, die vor allem einen politisch prägenden und strukturellen Ansatz von Developmental Social Work vertreten sind auch Unternehmen in zunehmender Weise in sozioökonomische Entwicklungsbestreben involviert, wie das nächste Beispiel zeigt.

3.4.2 D ie Unternehmensstiftung „Opportunity International Deutschland“ in Subsahara-Afrika Die Stiftung „Opportunity International Deutschland“ (OID)6 wurde 1996 von einer Gruppe von Unternehmen in Deutschland gegründet und unterhält Projekte in Asien, Lateinamerika und Afrika, insbesondere in Ghana, Malawi, Mosambik, Ruanda und Uganda. Einen Teil der Arbeit der Stiftung stellt die Bereitstellung von Mikrofinanzierungsprojekten dar. Der Mikrofinanzierungs-, oder auch Kleinkreditansatz genannt, der gleichermaßen Staat, Markt und Zivilgesellschaft zu umfassen versucht, beruht auf dem Prinzip der Ermöglichung der Vergabe von finanziellen Basisleistungen wie Krediten, Sparbüchern oder Versicherungen an Menschen, die auf Grund ihrer Armut von herkömmlichen Banken nicht bedient werden (Steinhöfel 2014). Trotz der lokalen Erfolge der Projekte haben, nach Angaben auf der Homepage von OID, weniger als zehn Prozent der AkteurInnen in Subsahara-Afrika Zugang zu einem Mikrokredit, weshalb die Organisation am Auf bau von erreichbaren, niedrigschwelligen Banken vor Ort arbeitet. Die konkrete Arbeit von OID ist entlang von Trustbanks organisiert. Trustbanks stellen Teams aus etwa 15 bis 25 Personen dar, die von einem/einer KreditbetreuerIn unterstützt werden. Neben der Rückzahlung der Geldbeträge kümmern sich die KreditbetreuerInnen darum, dass AkteurInnen die Möglichkeit erhalten, an Schulungen zum Erwerb von Unternehmerkompetenzen teilzunehmen. Gleichzeitig werden auch soziale Belange in der Gruppe besprochen. Das Agieren in der Gruppe führt zur Herausbildung sozialer Unterstützungsarrange6 | Für weitere Informationen siehe: http://www.oid.org (14.04.2017).

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ments, die sich über die Gruppe hinaus positiv auf ganze Communities auswirken können. Auf der Homepage von OID wird betont, dass Trustbanks oftmals Ausgangspunkt für ein weiteres Engagement sind; so wurden in der Vergangenheit zum Beispiel die sanitären Anlagen eines Gemeinwesens gemeinsam verbessert oder AkteurInnen einer Trustbank artikulierten als Gruppe Forderungen gegenüber staatlichen Behörden. OID ist dabei als eine von Unternehmen gegründete Initiative dem Sektor des Marktes zuzuordnen und gestaltet vor allem die strukturelle Konzeptionierung der Maßnahmen einer Developmental Social Work. Neben staatlichen und unternehmerischen Projekten gibt es gleichsam Ansätze auf lokal-zivilgesellschaftlicher Ebene im südlichen Afrika, die vor allem durch CBOS, NGOs und Interessencommunities im Sektor der Armutsbekämpfung gestaltet werden.

Abbildung 2: Initiativen auf unternehmerischer Ebene (Quelle: OID)

3.4.3 D  ie zivilgesellschaftliche Interessensgruppe „Muungano wa Wanavijiji“ in Kenia „Muungano wa Wanavijiji“7 ist eine Interessensgruppe, die sich aktiv gegen gewaltsame Slumvertreibungen von staatlicher Seite in Kenia einsetzt. Durch Maßnahmen im Bereich der Ausbildung von städtischen Sozial- und GemeinwesensarbeiterInnen und im Bereich von Rechtshilfe und Rechtsschutz entstanden Ende der

7 | Für weitere Informationen siehe: http://www.homeless-international. org /our-work/overseas-par tners/kenya-pamoja-trusthttp://muunganosupporttrust.wordpress.com (14.04.2017).

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1990er Jahre die ersten Aktivitäten und Organisationsprozesse der städtischen Armen und Wohnungslosen in der Hauptstadt Nairobi. Aus dieser Bewegung heraus wurde 1996 „Muungano wa Wanavijiji“ ins Leben gerufen, um durch das Konzept von Spargruppen8 die Bewegungen der städtischen Armen zu unterstützen und zu mobilisieren. „Muungano wa Wanavijiji“ besteht aus über 400 informellen Spargruppen und 60.000 Haushalten, die in städtischen Zentren über das ganze Land verteilt sind (vgl. Weru 2004). Dabei handelt es sich um autonome, auf lokalen Communities basierenden Zusammenschlüssen, in denen von jedem Mitglied ein Spareinsatz erbracht wird, der dann im Rotationssystem vollständig an eine Person aus der Gruppe ausgehändigt wird. Über das System werden so abwechselnd alle Gruppenmitglieder in die Lage versetzt, über höhere Beträge zu verfügen und diese zu (re)investieren. Das Prinzip der Spargruppen wird als entwicklungsfördernder Alternativansatz zur Mikro-Finanzierung angesehen, indem Communities geholfen wird, sich selbst zu organisieren und ihre Ressourcen aus eigenen Mitteln, ohne externen Zuschuss, zu vergrößern.9 Das Ziel der Interessencommunity „Muungano wa Wanavijiji“ wird auf der Website wie folgt formuliert: „The Federation aims to demonstrate its own community-led solutions to urban poverty and to share its experiences, successes, challenges and learning through a programme of regular community-to-community exchanges at local, national and international levels.“ Durch communitybasierte Lösungsansätze bezüglich des Problems der Armut und gegenseitige Austausch8 | Spargruppen sind auch unter dem Begriff der „Rotating Savings and Credit Associations“ (ROSCAs) bekannt. 9 | Anzumerken ist, dass die Art der Entwicklungsförderung durch Spargruppen nur für diejenigen Menschen eine Möglichkeit darstellt, die bereits über ein Einkommen verfügen, das sie zum regelmäßigen Abtreten eines Teils desselben befähigt. Somit stellt die Zielgruppe der Spargruppe nicht die Ärmsten der Armen dar, die keinerlei materielle Ressourcen aufweisen können, sondern richtetet sich an diejenigen, dessen alltägliches Überleben bereits gesichert ist.

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prozesse auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene trägt die Interessencommunity nicht nur zu einer Verbesserung der finanziellen Situation ihrer Mitglieder bei, sondern vertritt durch ihre anwaltschaftliche Rolle auch die Interessen und Bedürfnisse der städtischen Armen auf einer politischen Landesebene. Ziel ist die Verbesserung des wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Wohlergehens der involvierten AkteurInnen. Damit wird eine allumfassende Community-orientierte bottum-up-Strategie eines Developmental Social Work-Ansatzes verfolgt. Aus „Muungano wa Wanavijiji“ entstand drei Jahre nach dem Entstehen der zivilgesellschaftlichen Initiative im Jahr 1999 die Nichtregierungsorganisation „Pamoja Trust“. Neben dem kollektiven Engagement von Gruppen existieren zudem individuelle Bestrebungen einzelner AkteurInnen, soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Einklang zu bringen.

Abbildung 3: Initiativen auf zivilgesellschaftlicher Ebene (Quelle: Muungano wa Wanavijiji, privat)

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3.4.4 D  as entwicklungspolitische Engagement einer Afrohairstylistin in Deutschland und eines Rückkehrers in Ghana Ein solches entwicklungsförderndes Engagement lässt sich im Zuge individuellen Handelns einer Afrohairstylistin10 und eines Rückkehrers11 identifizieren. Die aus einem westafrikanischen Land stammende Afrohairstylistin Sophie Assogba entwickelt im Zuge des Auf baus ihres Afro-Hair-Salons12 in Deutschland den Plan, zur Entwicklung ihres Herkunftslandes beitragen zu wollen. Im Rahmen ihres Salons möchte Frau Assogba das Produkt SHEA BUTTER13 kommerzialisieren und zum Verkauf anbieten. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass der Verkauf des Produkts nicht ausschließlich aus eigenökonomischem Interesse erfolgt, sondern es ihr ein Anliegen ist, eine positive Entwicklung in der Herkunftsregion des Produktes in ihrem Herkunftsland anzustoßen. Dies wird insbesondere an der Tatsache deutlich, dass prinzipiell die Möglichkeit besteht, shea butter in der vergleichsweise einfacher zu erreichenden Hauptstadt ihres Herkunftslandes zu erwerben und in Deutschland weiterzuverkaufen. 10 | Das empirische Beispiel basiert auf der Forschungsarbeit von Caroline Schmitt, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit gesellschaftlichen Inkorporation von Afro-Hair-Salons in Deutschland und (transnationalen) Strategien von BetreiberInnen zur Implementierung ihrer Betriebe beschäftigte. 11 | Das empirische Beispiel entstammt aus dem Dissertationsprojekt der Autorin, die sich in ihrer Forschung mit der transnationalen Lebensführung und sozialen Netzwerken von ghanaischen BildungsmigrantInnen im Rückkehrprozess beschäftigte. 12 | Alle Namen, Orte und Hinweise, die zur Identifizierung der Personen führen könnten, wurden anonymisiert. 13 | Die sogenannte shea butter ist eine kosmetische Creme, die aus den Nüssen des im tropischen Afrika vorkommenden Karitébaums hergestellt wird und eine pflegende Wirkung für Haut und Haare hat.

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Stattdessen intendiert die Hairstylistin einen Wareneinkauf direkt bei den ErzeugerInnen in einem Dorf im Norden des Landes. Das Vorhaben beschreibt Frau Assogba als ein „humanity project“: „I don’t want to buy it in the in the capital because […] people who sell it in capital eh sell [it] themselves in the village. And I want to […] give work to these people. […] I can bestellen it directly in this village; for them it’s a lot of money you know? So we 14 have behind our project we want […] to have a humanity project and buy products to one village and eh to to develop you know? So it’s not only passion, money but I think it’s necessary […] to help to give something to to others.“

Frau Assogba stellt eine Einzelperson dar, die durch ihr transnationales Händlertum und durch ihren ökonomischen Gewinn in Deutschland gleichzeitig einen Gewinn ihrer NetzwerkpartnerInnen intendiert. Sie strebt einen ökonomischen und sozialen Profit von in der Händlerkette involvierten AkteurInnen an; somit wird ihr Projekt des Auf baus eines Afro-Hair-Salons in Deutschland im Idealfall zu einem transnationalen Entwicklungsprojekt, das soziale und wirtschaftliche Facetten miteinander verbindet, indem ökonomischer Profit in Deutschland zugleich einen ökonomischen Profit der Produktverkäufer in einem Dorf in ihrem Herkunftsland impliziert. Diese können von ihrem Gewinn wiederum auch sozial profitieren, indem sie diesen zur Realisierung eigener Ziele einsetzen können. Das Vorgehen von Frau Assogba stellt keinesfalls eine Ausnahme dar. Ähnliche Muster wurden in einem anderen Afro-HairSalon beobachtet, in dem in Deutschland gesammelte Güter wie Kleidung und Spielzeug gelagert und anschließend in Containern zur Verteilung an soziale Projekte in das Herkunftsland der Betreibenden geschickt wurden. Finanziert wurde die Spendenaktion von 14 | Frau Assogba intendierte, ihren Afro-Hair-Salon gemeinsam mit Freundinnen zu eröffnen. Im Interview wird daher stellenweise auf diese hingewiesen. Tatsächlich realisierte sie ihren Salon im Verlauf der Forschung alleine.

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den Salonbetreibenden, die ihren ökonomischen Gewinn auch AkteurInnen in ihrem Herkunftsland zu Gute kommen lassen möchten. Beiden Beispielen ist inhärent, dass ökonomischer Gewinn zum Wohle einer größeren Gruppe reinvestiert wird. Hier zeigt sich ein transnationales Verantwortungsbewusstsein gegenüber AkteurInnen im Herkunftsland. Dem liegt ein nicht-hierarchisches Verständnis von Entwicklung, ein Gegenbeispiel zu einer von Midgley (1995) als „Distorted Development“ (S. 2 ff.) beschriebenen einseitigen Nutzbarmachung von Ressourcen zu Grunde. In diesem Sinne können die Unternehmen auch als Sozialunternehmen mit transnationaler Ausrichtung betrachtet werden. Gleichsam individuelle Bestrebungen eines/einer EinzelakteurIn, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung seines Herkunftslandes anzukurbeln, sind bei Jack Straw, einem ghanaischen Rückkehrer aus Deutschland15, zu beobachten. Jack Straw hat 2,5 Jahre in Deutschland gelebt, um seinen Masterabschluss in Umwelt- und Ressourcenmanagement an einer deutschen Hochschule zu absolvieren. Nach der Beendigung seines Studiums kehrte er in sein Herkunftsland Ghana16 zurück. Er erläutert seine Rückkehrmotivation wie folgt: 15 | In Ghana kann seit Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Tradition der Bildungsmigration gesprochen werden. Bevorzugte Studienländer der ghanaischen Bildungsmigranten sind England und die USA (vgl. Twum-Baah 2005). Trotz Sprachbarrieren und fehlender historisch-kolonialer Verbindungen ist auch Deutschland für GhanaerInnen ein bevorzugtes Studienland (siehe Kap. 4.3 in diesem Band). 16 | Die ghanaische Regierung verfolgt seit den frühen 1990er Jahren unterschiedliche Remigrationspolitiken, denen die Strategie zu Grunde liegt, hochqualifizierte ghanaische Staatsangehörige aus dem Ausland anzuziehen. Im Jahr 2001 wurde unter der Kufuor-Regierung ein „Homecoming Summit“ organisiert, der das Potenzial und die Fähigkeiten der ghanaischen Diaspora für die Entwicklung des Landes proklamierte (vgl. Awumbila et al. 2008). Rechtliche und institutionelle Neuerungen, die auf die internationale Mobilität der ghanaischen Bevölkerung eingehen, sind

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„[Y]ou have to come back you can’t live there. If, me I believe that the blackman is the answer to his own problems … so if I have I had an education in the western world and I know how things are done there and I can, if, however difficult, it is very difficult since we came back to try to implement or to change things around here …, but still it doesn’t have to stop us from coming back to our own country to try to help so […] I never intended to stay.“

Jack Straw begründet seine Rückkehr nicht mit persönlichen und individuellen Umständen seiner Lebenslage, sondern zieht eine gesellschaftliche Relevanzebene seines Handelns und einen politischen Kontext als Argumentation heran. Durch das im Ausland angereicherte Wissen möchte er seinem Herkunftsland helfen. Dabei ist er von der Ansicht überzeugt, dass der „schwarze Mann“ die Antwort auf die eigenen Probleme ist und diese durch Eigenaktivität zu lösen sind. Somit spricht er sich gegen ein top-down gestaltetes Entwicklungsprinzip im Bereich der Armutsbekämpfung aus und stellt einen sozioökonomischen, gesellschaftlichen Entwicklungsbeitrag vor seine persönlichen Bedürfnisse im Rückkehrprozess. Jacks Straws Handeln basiert auf dem Konzept Entwicklung durch Wissen17 und ist von einem Developmental Social Work-Denken modie bereits 1999 von der Regierung eingeführte doppelte Staatsbürgerschaft und das 2006 realisierte Auslandswahlrecht (vgl. Schmelz 2009; siehe Kap. 4.3 in diesem Band). 17 | So gründet der seit den 1960er Jahren diskutierte Migration-Development Nexus (siehe Kap. 4.1 in diesem Band), der die Anreicherung von Wissen durch Migrationsbewegungen als Motor von sozialer und ökonomischer Entwicklung betrachtet, auf der Erkenntnis, dass die Zivilgesellschaften der Länder selbst der Kern ökonomischer und sozialer Entwicklungsprozesse sein sollen. Auch die Weltbank greift in ihrem Weltentwicklungsbericht von 1998/99, der unter dem Motto „Knowledge for Development“ stand, verstärkt auf die Entwicklungsressource des Wissens zurück und fördert gezielt den Aufbau von sogenannten „Knowledge Economies“ (vgl. Weltbank 2007).

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tiviert. Neben einem Beitrag zur sozialen Entwicklung durch sein Bildungs- und Humankapital in Form seines erworbenen Fachwissens als auch seines Erfahrungswissens (vgl. Olivier 2013) leistet er durch finanzielles Kapital in Form von Ersparnissen und Einkommen zudem einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Ghanas (vgl. Tiemoko 2004). Der Geldtransfer intendiert in dieser Hinsicht jedoch primär die Verbesserung der eigenen und der Lebenssituationen seiner erweiterten Familienmitglieder. Jack Straw konstatiert: „I am the bredwinner. I care for a lot of people“. Er strebt in Zukunft eine weitere Bildungsmigration und eine erneute Rückkehr nach Ghana an: „[T]o pursue PhD and come back to lecture […] and ehh, be a consultant in my field“. Auf bauend auf dem Grundsatz des Brain Circulation (Ackers 2005, S. 100) muss sich eine erneute Migration nicht entwicklungshemmend auf Ghana auswirken. RemigrantInnen können auch einen entwicklungsfördernden Beitrag für ihre Herkunftsländer leisten, wenn sie nicht permanent bzw. auf Zeit zurückkehren und für ihre persönliche Weiterentwicklung eine mobile Lebensweise führen (vgl. Anarfi/Jägare 2008; Olivier 2011). Dabei kann der Wissens- und Kapitaltransfer über Ländergrenzen hinweg demnach transnational stattfinden. Es ist zu konstatieren, dass im Unterscheid zu den bislang anvisierten sozialen Entwicklungsansätzen eines Social Development-Ansatzes die soziale Entwicklung nicht auf einer wirtschaftlichen auf baut und somit eine ökonomische Investition nicht als primärer Startpunkt von Entwicklungsprozessen betrachtet wird. Im Gegenteil wird vielmehr die soziale Komponente, hierbei die Ressource des Wissens, als Initiator gesehen, um wirtschaftlichen Wohlstand zu erreichen. Zusammenfassend ist für beide Fallbeispiele zu konstatieren, dass auch EinzelakteurInnen gleichsam einen sozioökonomischen Entwicklungsbeitrag leisten können und das Engagement ganz unterschiedlicher Natur sein kann. Sei es durch ökonomische Transfers in Form von Investitionen und Remittances18 oder durch 18 | Die Weltbank richtete im Jahr 2003 in dem globalen Weltentwicklungsbericht ihre Aufmerksamkeit auf den massiven Anstieg der Remittan-

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soziale Transfers (siehe Kap. 4.2 in diesem Band) in Form von Arbeitsplatzsicherung, Ausbildung, Wissen und Vernetzung. Dabei sind in beiden Fällen transnationale Entwicklungsbeiträge mit einzuschließen, die eine sozioökonomische Entwicklung von der physischen Anwesenheit der einzelnen AkteurInnen unabhängig macht.

Abbildung 4: Initiativen auf Ebene der EinzelakteurInnen (Quelle: Muungano wa Wanavijiji, privat)

3.5 D e velopmental S ocial W ork als E benen übergreifender A nsatz – K onzipierung und H er ausforderungen Die vier Fallvignetten haben die vielfältigen in Developmental Social Work involvierten entwicklungsleistenden AkteurInnen und Ebenen sichtbar gemacht. Neben internationalen Politiken wie den Millennium Development Goals und den Armutsbekämpfungsstrategien sind einzelne Staaten, Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen sowie individuelle AkteurInnen in sozioökonomische Aktivitäten eingebunden, die Politiken, Strukturen und Aktivitäten entwickeln und gestalten. Eine nachhaltige soziale Entwicklung im Bereich der Profession Sozialer Arbeit kann aber nur dann erreicht werden, wenn jene AkteurInnen auf allen Ebenen kooperieren. ces von MigrantInnen und konstatierte, dass die Höhe und Wirkungsweise dieser Geldsendungen im Jahr 2002 mit der Summe von 80 Milliarden Dollar die privaten Direktinvestitionen und öffentlichen Gelder der Entwicklungshilfe deutlich überstieg (vgl. GCIM 2005).

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Abbildung 5: Developmental Social Work als Ebenen übergreifender Ansatz (Quelle: eigene Darstellung) Dies impliziert zunächst eine Sichtbarkeit von AkteurInnen, die nicht in allen Fällen automatisch gegeben ist. Sophie Assogbas und Jack Straws Engagement ist formell in keine andere Ebene eingebunden. Auch lokale Sparvereine sind aufgrund ihrer Informalität häufig nicht über ihre eigenen Communities hinaus sichtbar. Diese Sichtbarkeit stellt allerdings die Voraussetzung für eine die Ebenen übergreifende Zusammenarbeit dar, die nicht nach einem einseitigen Top-Down-Prozess organisiert ist. So muss es Aufgabe politischer Systeme sein, entsprechende Initiativen durch die Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen zu unterstützen und ggfs. Angebote zu einer Ebenen übergreifenden Vernetzung zu erschließen, in denen sich Kollektive und EinzelakteurInnen entfalten und kooperieren können. In den aufgezeigten Beispielen wird deutlich, dass jeweils unterschiedliche AkteurInnen für bestimmte AkteurInnen sichtbar sind, es jedoch schwer fällt, auf allen Ebenen Involvierte zu identifizieren, was auf die Herausforderung der anspruchsvollen Aufgaben im Sinne von Developmental Social Work aufmerksam macht. Soziale Arbeit hat in diesem Kontext auf mehreren Ebenen aktiv zu sein:

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Erstens, muss sich Soziale Arbeit auf einer Leitlinien generierenden Ebene in lokale, nationale, internationale und globale Politiken integrieren und an der gemeinsamen Festigung des Ansatzes einer Developmental Social Work mitwirken. Es geht um die Etablierung einer auf die Förderung menschlicher Ressourcen unter Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen zielenden Policy. Staatliche und marktorientierte Initiativen spielen dabei, wie die Beispiele von „White Paper for Social Welfare“ und „Opportunity International Deutschland“ zeigen, ebenso wie internationale Politiken eine zentrale Rolle. Zweitens, muss es Aufgabe Sozialer Arbeit sein, auf einer Communityebene AkteurInnen sichtbar zu machen, für diese eine Advocacyfunktion zu übernehmen sowie Agency ermöglichende Strukturen zu schaffen. Dies wurde besonders am Beispiel der Interessencommunity „Muungano wa Wanavijiji“ deutlich. Drittens ist Soziale Arbeit angehalten, auf einer Ebene von EinzelakteurInnen, diese zu empowern und in der Nutzung ihrer Ressourcen zu unterstützen. Bedeutsam ist, dass EinzelakteurInnen nicht lediglich als Empfänger von Maßnahmen und als entwicklungsbedürftig betrachtet werden, sondern dass EinzelakteurInnen gleichsam in ihrem Potential und als EntwicklungsinitiatorInnen anerkannt werden. Hier muss insbesondere auf informell agierende AkteurInnen fokussiert werden, da diese oftmals wenig sichtbar, aber dennoch stark aktiv sind, wie die Beispiele von Sophie Assogba und Jack Straw gezeigt haben. Viertens und letztens, sollte sich Developmental Social Work zudem einer transnationalen Ebene gegenüber öffnen. Dadurch könnten grenzüberschreitende Praktiken von einzelnen AkteurInnen, Communities und Unternehmen zur Kenntnis genommen und in das Konzept integriert werden. Somit versteht sich dieser Aspekt als ein auf allen sozialräumlichen Ebenen (Einzelakteur, Community, Unternehmen, Staat) relevanter Hinweis, wobei Raum nicht territorial fixiert gedacht wird (vgl. Homfeldt/Reutlinger 2008; 2009b). Obwohl dabei der Umstand anerkennt wird, dass Entwicklungsstrategien in eine nationalstaatliche Struktur eingebunden und in dieser fixiert werden müssen, ist der Ansatz transnational ausgerichtet und begreift die wirtschaftlichen und politischen Re-

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alitäten von Nationalstaaten als in eine sich transformierende und transnationalisierende Welt eingebunden. Somit enden die strukturschaffenden Verantwortlichkeiten nicht an nationalstaatlichen Grenzen; stattdessen muss die Wissensbasis einer Developmental Social Work im Sinne einer produktiven Vernetzungsarbeit und einer Transnationalisierung Sozialer Arbeit grenzüberschreitend ausgerichtet sein. Soziale Arbeit als Profession kann diesem professionellen Auftrag nur gerecht werden, wenn auf einer disziplinären Ebene erforscht wird, wie soziale und wirtschaftliche Entwicklung zum Wohle von AkteurInnen zusammengebracht werden kann. Soziale Arbeit als Disziplin hat entsprechend die Frage nach den Verwirklichungschancen von AkteurInnen in entsprechenden strukturellen Rahmungen zu stellen, positive und schädliche Rahmungen zu identifizieren und an deren (Um-)Gestaltung zu arbeiten (vgl. Homfeldt/Schröer/Schweppe 2008). Auch auf disziplinärer Ebene muss es um eine Sichtbarmachung insbesondere informell und transnational agierender AkteurInnen gehen, die in ihrem Engagement als Entwicklungsgeber häufig nicht wahrgenommen werden, aber wertvolle PartnerInnen für eine gemeinsame Arbeit an den Zielen einer Developmental Social Work darstellen (vgl. Homfeldt/ Reutlinger 2009a). Basis für eine solche stellt ein auf Anerkennung basierender Umgang mit unterschiedlichen lokalen Wissensbeständen, Ressourcen, Netzwerken und Beziehungen dar, die disziplinär zunächst identifiziert und dann auf einer professionellen Ebene genutzt werden müssen (vgl. Ferguson 2005). So betont u. a. Reddy (2009), dass es unabdingbar sei, die Stimmen und Perspektiven von Marginalisierten zu hören und ernst zu nehmen. Dieser Gedanke fordert ein gleichberechtigtes Entwicklungsverständnis, das sich gegen eine wie in der Vergangenheit proklamierte Implementierung westlicher Ideen und Programmatiken in Ländern des Südens ausspricht (vgl. Rehklau/Lutz 2007): Ein solcher Entwicklungsbegriff ist orientiert an einem Stufendenken. So wird eine vermeintliche Normalität konstruiert, von deren Paradigma aus Devianz und defizitäre Entwicklung definiert werden (vgl. Homfeldt/Reutlinger

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2009a). Stattdessen ist eine entwicklungsorientierte Developmental Social Work vom Gedanken der Partnerschaftlichkeit, der Orientierung an sozialer Gerechtigkeit und konkreten, spezifischen Bedürfnissen geleitet (vgl. Estes 1998). Im Vordergrund stehen „die Handlungsmächtigkeiten und die Eigenständigkeit von Akteurinnen und Akteuren, aber auch die strukturellen Hemmnisse in der Gestaltung von Lebenspraxis im Sinne eines Sich-Entwickeln-Lernens“ (Homfeldt/Reutlinger 2009a, S. 2). Damit geht eine kritische Reflexion des konventionellen, rein an ökonomischem Wachstum orientierten Entwicklungsverständnisses als Aufgabe einer Developmental Social Work einher. In Anlehnung an Amartya Sens (1999) akteurszentrierten Entwicklungsbegriff, der unter Entwicklung die Freiheit des Menschen versteht (siehe Kap. 4.2 in diesem Band), könnte das Wohl und das Entwicklungsverständnis von Individuen ein Gegenbild zu einer neoliberalen kapitalistischen Perspektive darstellen und das soziale Element des Social Development-Ansatzes der Sozialen Arbeit nicht nur in seiner Wortwahl, sondern auch in den Kern der Konzeption und Praxis rücken.

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4. Zirkuläre Transfers, soziale Unterstützung und soziales Kapital in der Rückkehr1

4.1 D er M igr ation -D e velopment N e xus und H umank apital-A nsatz Migration stellt ein globales und politisch, wirtschaftlich und sozial relevantes Phänomen dar. Oftmals wurde die Motivation zur Migration durch das Bedürfnis erklärt, eine Verbesserung der Lebenssituation und der Lebensumstände erreichen zu wollen (vgl. Schuerkens 2005). Insbesondere Migrationsbewegungen von den sogenannten Ländern des Südens2 in die Länder des Nordens3

1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation, für die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über das ausschließliche Nutzungsrecht verfügt und die Wiederverwendung mit ausdrücklicher Genehmigung erfolgt: Olivier, C. (2011): Transnationalisierung und Entwicklung: Zirkuläre soziale Transfers als Voraussetzung „erfolgreicher“ Rückkehr“. In: Baraulina, T./Kreienbrink, A./Riester, A. (Hrsg.): Potenziale der Migration zwischen afrikanischen Ländern und Deutschland. Beiträge zu Migration und Integration Band 2. Nürnberg: BAMF, S. 314-349. 2 | Oftmals als Entwicklungs- oder „Dritte Welt“-Länder bezeichnet. 3 | Oftmals als westliche, entwickelte oder „Erste Welt“-Länder bezeichnet.

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wurden in der Vergangenheit mit dem Push-/Pull-Modell4 der klassischen Migrationsforschung erklärt. Im Rahmen dieses Modells wurden je nach Migrationsform und -motivation unterschiedliche Erklärungen der Migrationsprozesse angeboten. Dabei wurde zumeist zwischen Bildungs-, Flucht-, Arbeits- und Heiratsmigration unterschieden. Angesichts gegenwärtiger globaler Entwicklungen kam man dagegen in den letzten Jahren zur Ansicht, dass Migrationsströme komplexe soziale Prozesse darstellen und weniger ein einfaches Produkt von Push- und Pull-Faktoren sind. Daher bedürfen sie einer anderen Analyseheuristik. Pendelmigrationen, zirkuläre Migrationsprozesse und bestehende Verbindungen zwischen den Herkunfts- und Einwanderungsländern treten zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung. Remigrationsprozesse wurden bislang jedoch kaum aus der Perspektive dieser neuen Konzepte betrachtet. Vielfach diskutiert wird hingegen bereits seit den 1960er Jahren der Zusammenhang von (Re)Migration und Entwicklung. Heute ist der sogenannte Migration-Development Nexus regelrecht zu einem Entwicklungsmantra und einer Art „Entwicklungseuphorie“ herangereift (vgl. Kapur 2004). Zu den klassischen Erklärungsansätzen der Relation von (Re)Migration und Entwicklung gehört vor allem die Brain Drain- vs. Brain Gain-Debatte. Im Rahmen dieses Ansatzes wird besonders die Rückkehr von Fachkräften, sogenannter BildungsmigrantInnen5, 4 | Die sogenannte Push-/Pull-Theorie geht davon aus, dass es wirtschaftliche, soziale, demografische und politische Problemlagen gibt, die Menschen aus ihrem Ursprungskontext wegdrängen, während sie von anderen Gebieten, die stärkere Anreize in diesen Bereichen aufweisen, angezogen werden. Dabei fokussiert sie fast ausschließlich auf ökonomische Beweggründe. 5 | BildungsmigrantInnen sind Personen, die aus ihrem Herkunftsland emigrieren, um sich eine höhere Qualifikation im Ausland anzueignen. Unter BildungsmigrantInnen werden hier Personen verstanden, die eine akademische Hochschulqualifikation (an einer Universität, Fachhochschule oder Berufsakademie) erzielt haben, sowie jene, die sich beruflich im

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als Beitrag zur Entwicklung angesehen. Der zentrale Ansatz dabei ist, dass rückkehrende Fachkräfte und HochschulabsolventInnen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Herkunftsländer durch das im Ausland angeeignete Wissen6 antreiben können. Aufgrund dessen wird versucht, den Prozess der Abwanderung besonders gut ausgebildeter Menschen (Brain Drain) in einen Gewinn durch die Rückwanderung von Fachkräften und HochschulabsolventInnen (Brain Gain) umwandeln zu können. Rückkehr wird unter solch einer Perspektive zu einem strategischen Ansatz der Armutsbekämpfung. Im bisherigen Verlauf der Diskussion um (Re)Migration und Entwicklung wurde jedoch vornehmlich das Wissen der Rückkehrer und deren ökonomische und wirtschaftliche Bedeutung für das langfristige Wachstum einer Gesellschaft fokussiert. Der vorliegende Beitrag verfolgt dagegen das Ziel, die in Vergessenheit geratene Quelle des Humankapitals, nämlich den Menschen selbst, in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Somit zielen die Ausführungen darauf ab, den Menschen in seiner Gesamtheit und nicht Ausland weitergebildet haben (Ausbildung, Lehre oder Weiterbildungsprogramme). An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass auch andere Migrationsformen, wie etwa Arbeitsmigration, Bildungsmigrationen darstellen können. 6 | Um eine nähere Definition von Wissen geben zu können, ist die von Polanyi (1966) eingeführte Differenzierung in explizites und implizites Wissen hilfreich. Explizites Wissen ist demnach bewusst und verfügbar und kann somit ausgesprochen, formuliert und dokumentiert werden kann, wie etwa Fachwissen bzw. Fachkenntnisse. Als implizit gelten Wissensinhalte, wenn sie als schwer formalisier- und kommunizierbar gelten, da es sich um einverleibtes Wissen handelt, wie etwa Erfahrungen, Intuitionen und Gefühle (siehe Kap. 5.3 in diesem Band). Im Folgenden werden in diesem Beitrag mit dem übergeordneten Begriff Wissen, in Anlehnung an das allgemein verbreitete gesellschaftliche Verständnis, gleichsam lediglich explizite Wissensinhalte bezeichnet, um eine detailliertere Differenzierung und Explikation im weiteren Verlauf vornehmen zu können.

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lediglich die Ressource Wissen isoliert zu betrachten. Die zentrale These des Beitrags lautet, dass eine „erfolgreiche“ Rückkehr nicht nur das Einbringen des erworbenen Humankapitals7 der RückkehrerInnen als Entwicklungsquelle bedeutet, sondern dass zugleich die subjektive Zufriedenheit der AkteurInnen mit der eigenen Lebenssituation gewährleistet werden muss. Die Ausführungen des Beitrages basieren auf den empirischen Daten eines Forschungsprojektes, welches im Rahmen des DFGGraduiertenkollegs „Transnationale Soziale Unterstützung“8 ghanaische BildungsremigrantInnen aus Deutschland untersucht. Die Daten wurden von August bis Dezember 2009 in Ghana erhoben. Zu Beginn wird zunächst der Zusammenhang von (Re)Migration, Transnationalisierung und Entwicklung aufgezeigt und innerhalb dieser Debatte auf die Bedeutung von sozialen Netzwerken und sozialen Transfers in (Re)Migrationsprozessen fokussiert. Im nächsten Abschnitt werden die Kontextfaktoren des Forschungsprojektes von Deutschland nach Ghana erläutert und anschließend die Rückkehrmotive der ghanaischen BildungsmigrantInnen herausgearbeitet, bevor in einem weiteren Schritt die zirkulären sozialen Transfers und sozialen Unterstützungsleistungen in persönlichen Netzwerken zwischen den RemigrantInnen und der ghanaischen 7 | Unter menschlichem Kapital bzw. Humankapital wird in diesem Beitrag in Anlehnung an Bourdieus Kapitaltheorie nicht nur Wissen, sondern auch ökonomisches, kulturelles, symbolisches sowie soziales Kapital verstanden. Kapital bezeichnet nach diesem Verständnis allgemein die Ressourcen, die den Menschen für die Durchsetzung ihrer Ziele zur Verfügung stehen (vgl. Bourdieu 1985). Für eine detaillierte Erläuterung der verschiedenen Kapitalformen vgl. Bourdieu (1985). 8 | Das Graduiertenkolleg war von Juni 2008 bis Mai 2017 auf die empirische Untersuchung transnationaler sozialer Unterstützung ausgerichtet. Der Forschungsfokus richtete sich auf Unterstützungsprozesse im Kontext von Transmigration sowie auf die Rahmung und Initiierung von sozialer Unterstützung durch transnationale Organisationen. Für weitere Informationen siehe: transsos.com/phd-program.html (13.04.2017).

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Herkunftsgesellschaft veranschaulicht werden. Anschließend wird die Bezeichnung einer „erfolgreichen“ Rückkehr aus der Perspektive und Wahrnehmung von ghanaischen RückkehrerInnen beschrieben. Abschließend wird die Frage gestellt, ob Rückkehr immer eine gewisse Dauerhaftigkeit beinhalten muss, indem aufgezeigt wird, wie temporäre Remigrationsprozesse für Entwicklung nutzbar gemacht werden können.

4.2 (R e)M igr ation , Tr ansnationalisierung und E nt wicklung Im Zuge der Diskussion um den Zusammenhang von (Re)Migration und Entwicklung hat sich die Ansicht etabliert, dass durch das Potenzial von RückkehrerInnen ein Beitrag zur Entwicklung der Herkunftsgesellschaft geleistet werden kann (Appleyard 1999; Olesen 2002; De Haas 2007; Laaser 2008). Es wird angenommen, dass durch qualifizierte RückkehrerInnen, welche Schlüsselpositionen im öffentlichen und privaten Sektor in ihren Herkunftsländern übernehmen und als sogenannte Wissensvermittler (Broker) signifikanten Einfluss auf die Entwicklungsprozesse nehmen, ein Gewinn an Know-How und Wissen ermöglicht wird (Ammassari 2004). Studien konstatieren, dass hochqualifizierte RückkehrerInnen häufig besonders erfolgreich auf dem lokalen Arbeitsmarkt sind und einen hohen Prozentsatz an Existenzgründungen realisieren, die Arbeitsplätze schaffen und die Privatwirtschaft anregen (Black, King/Tiemoko 2003; Commander, Kangasniemi/Winters 2003). Durch das Handeln der RückkehrerInnen können positive Langzeiteffekte für das Herkunftsland entstehen. Seitdem die Weltbank im Jahr 2003 in dem globalen Weltentwicklungsbericht die Aufmerksamkeit auf den massiven Anstieg der Remittances von Migranten richtete sowie konstatierte, dass die Höhe und Wirkungsweise dieser Geldsendungen die privaten Direktinvestitionen und öffentlichen Gelder der Entwicklungshilfe deutlich überstieg, wurde das Interesse in Bezug auf die Bedeutung

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von RemigrantInnen und Diaspora-Gemeinschaften maßgeblich auf jene ökonomischen Transfers gerichtet (Black/King 2004; Tiemoko 2004; Quartey 2006; Beine/Docquier/Rapoport 2008; siehe Kap. 3.2 in diesem Band). In der Erforschung von Rückkehrprozessen dominieren von da an ökonomische, soziologische und politikwissenschaftliche Theorieansätze, die auf wirtschaftliche Einflüsse durch Rückwanderung aufmerksam machen und die, wie beispielsweise der Neoklassische Ansatz oder der Ansatz des New Economic of Labour Migration (NELM), die RemigrantInnen lediglich als Überbringer ausländischen ökonomischen Kapitals ansehen. Im Gegensatz zu dieser Forschungstradition geht der hier vorliegende Beitrag davon aus, dass Remigration neben ökonomischen Aspekten der Transfers ebenfalls eine soziale Dimension beinhaltet. Denn ein Beitrag der Rückwanderer zur Entwicklung findet nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene statt. Empirische Studien, wie etwa im ghanaischen Kontext, konstatieren sowohl den Einfluss der RückkehrerInnen auf politische Prozesse der Nationenbildung und Demokratisierung (Appleyard 1999; Sjenitzer/Tiemoko 2003) als auch auf Verhaltensänderungen sowie Werte- und Normenwandlungen. Einflüsse auf soziale Entwicklungen werden hier im Weiteren in Abgrenzung zu ökonomischen Strömen als soziale Transfers bezeichnet. „Nicht-monetäre“ Übertragungen, wie Wissen, kulturelle Praktiken, Ideen und Fähigkeiten, stellen verschiedene Arten sozialer Transfers dar (vgl. Laaser 2008). Soziale Transfers beschreiben Einflüsse von MigrantInnen auf die entsprechenden Milieus und sozialen Gruppen im Herkunftsland und unterscheiden sich in ihrer Art und Ausgestaltung von ökonomischen Remittances. Zusätzlich bestehen jedoch auch Einflüsse von den Herkunftsmilieus auf die MigrantInnen. Dieser Art von Transfers ist in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion bislang kaum Beachtung geschenkt worden9. Der Fokus lag lediglich auf Leistungen der MigrantInnen. 9 | Mazzucato (2007) sowie Sieveking, Fauser und Faist (2008) bezeichnen diese Transfers als Reverse Remittances. Da es bisher kaum For-

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und soziales

K apital

Soziale Unterstützung seitens der Herkunftsmilieus kann potenziell soziale Ressourcen für RemigrantInnen darstellen (Ryan et al. 2008). Weiterhin kann diese aber auch als eine Form des sozialen Kapitals beschrieben werden, das, angelehnt an das Verständnis von Bourdieu, die aktuellen und potenziellen Ressourcen, die durch soziale Beziehungen verfügbar sind, umfasst (vgl. Bourdieu 1985). Eine netzwerktheoretische Perspektive auf menschliche Beziehungen ermöglicht, soziale Netzwerke als Quelle sozialer Unterstützung zu betrachten. Denn soziale Netzwerke können soziale Ressourcen, wie etwa Informationen, Zugehörigkeiten und Anerkennungen für AkteurInnen, bereitstellen (vgl. Lairaiter 1993). Im Kontext der heutigen Debatten um Globalisierung und Hybridisierung von Lebensformen sollte jedoch ein Perspektivenwechsel stattfinden, der die Bedeutung von soziokulturellen Faktoren in Remigrationsprozessen hervorhebt. Eine transnationale Perspektive auf Rückwanderungen bietet diesbezüglich die Möglichkeit, das ganzheitliche Potenzial von RückkehrerInnen wahrnehmen zu können. Demnach „immigrants forge and sustain multi-stranded social relations that link together their societies of origin and settlement“ (Basch/Glick Schiller/Szanton Blanc 1994, S. 7). Für RemigrantInnen können soziale Beziehungen, die sie zu ihren Herkunftsländern aufrechthalten, nicht nur als Geldüberweisungskanäle fungieren, sondern zugleich als Unterstützungsnetzwerke. Der Blick auf Netzwerkstrukturen ermöglicht deren Ressourcenpotenzial wahrzunehmen sowie zirkuläre Wanderungsbewegungen der MigrantInnen zu beleuchten (vgl. Teferra 2005). Das transnationale Paradigma der Zirkulation, nicht nur von Wissen, sondern auch von schung in diesem Themenbereich gibt, sollte die Akzentuierung zukünftiger empirischer Untersuchungen darauf liegen, die soziale Komponente von Remittances, die der Herkunftskontext leistet, näher zu beleuchten. Dabei sollte zudem eine kritische Auseinandersetzung mit der Bezeichnung Reverse Remittances erfolgen, indem beleuchtet wird, ob Leistungen, die MigrantInnen empfangen, nicht vielmehr eine soziale Voraussetzung des Migrationsprozesses als eine Reaktion auf selbigen darstellen.

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anderen Gütern, wie bspw. Erfahrungen, kulturellen Praktiken und sozialen Werten, kann so die geografisch-räumlichen Bezüge der sozialen Lebenswelt verändern (vgl. Pries 2008). Durch die Anerkennung der komplexen Verbindungen zwischen MigrantInnen, den Herkunftsländern und anderen Länderkontexten hilft der Ansatz der Wissenszirkulation (Brain Circulation), den bisherigen Gegensatz zwischen Brain Drain und Brain Gain aufzulösen (vgl. Jöns 2009). Unter solch einer Perspektive kann das Mobilitätspotenzial von Rückkehrern erkannt sowie die Dynamik von Migrationsbeziehungen erfasst werden. Zugleich können Migrationskreisläufe und -netzwerke sichtbar gemacht werden. Wendet man den Blick von der ökonomischen Makroebene hin zu der Mikroebene der AkteurInnen, können soziale Beziehungen von RemigrantInnen grundlegende Unterstützung leisten und für sie persönlich eine Entwicklungsquelle darstellen. Entwicklung wird auf dieser Stufe, angelehnt an das Konzept des Entwicklungsökonomen und Philosophen Sen, als eine Zunahme an Wahlmöglichkeiten der betroffenen Personen verstanden (Sen 1999). Indem sich die Menschen als Urheber ihrer Handlungen wahrnehmen, entsteht die Möglichkeit, dass diese zu Prozessen der Ermächtigung (Empowerment) und Handlungsmächtigkeit (Agency) angeregt werden (vgl. Emirbayer/Mische 1998; Holland et al. 1998; Homfeldt/ Schröer/Schweppe 2008). Ein Entwicklungsbeitrag kann sich somit nicht nur auf sozialstruktureller Ebene der Herkunftsländer, sondern gleichsam auf individueller Ebene der AkteurInnen vollziehen.

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4.3 (R e)M igr ation nach G hana

von

und soziales

K apital

D eutschl and

Die Bevölkerung von Westafrika weist seit jeher ein großes Maß an Mobilität auf (Anarfi 2003). Ghana ist diesbezüglich das Land mit der höchsten Emigrationsrate aus Sub-Sahara-Afrika nach Westeuropa. Zwischen zwei und vier Millionen Menschen der Gesamtbevölkerung Ghanas, die ca. 20 Millionen beträgt, leben derzeit im Ausland. Somit leben 10 bis 20 % der Bevölkerung Ghanas außerhalb des Landes (Owusu-Ankomah 2006). In Ghana kann seit Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Tradition der Bildungsmigration gesprochen werden. Bevorzugte Studienländer der ghanaischen BildungsmigrantInnen sind England und die USA (vgl. Twum-Baah 2005). Trotz Sprachbarrieren und fehlender historisch-kolonialer Verbindungen ist auch Deutschland für GhanaerInnen ein bevorzugtes Studienland und steht mittlerweile an dritter Stelle der Beliebtheitsskala.10 Im Vergleich zur Anzahl anderer ausländischer Studierender aus Sub-Sahara-Afrika in Deutschland stand Ghana im Wintersemester 2008/2009 mit 245 Studierenden11 jedoch lediglich an sechster Stelle.12

10 | Im Jahr 2007 waren 3.026 ghanaische Studierende in den USA, 2.675 in England und 294 in Deutschland immatrikuliert. Daten nach Angaben von UNESCO-Datenbank, Statistisches Institut, Tabelle 18, 2009. 11 | Davon waren 189 Personen männlich und 56 weiblich. Gemessen an der Gesamtzahl aller ausländischer Studierender im WS 2008/2009 (insgesamt: 21.736, männlich: 16.543, weiblich: 5.193) weisen die Zahlen eine fast identische Frauenquote von durchschnittlich 23,4 % auf. Daten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 11, Reihe 4.1, 2009. 12 | Kamerunische Studierende bilden mit 2.975 Studierenden in Deutschland die größte Gruppe. Es folgen Nigeria (412), Äthiopien (360) und Kenia (328). Daten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 11, Reihe 4.1, 2009.

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Trotz der relativ geringen Quote ghanaischer BildungsmigrantInnen in Deutschland ist eine hohe Anzahl an rückkehrenden Hochqualifizierten13 von Deutschland nach Ghana zu beobachten, die staatliche Rückkehrförderung in Anspruch nehmen.14 Ein Grund für diese tendenziell hohen Rückkehrraten könnte sein, dass Ghana in den letzten Jahrzehnten einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat, ein politisch stabiles System aufweist, gute Arbeitsplatzchancen bietet und demnach gute Voraussetzungen zur Rückkehr vorhanden sind. Diese Annahme unterstützt auch die allgemeine Erkenntnis, dass die Rückkehrentscheidung der MigrantInnen stark von wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern abhängte (vgl. Baraulina/Borchers/Schmid 2008). Die ghanaische Regierung verfolgt seit den frühen 1990er Jahren unterschiedliche Remigrationspolitiken, denen die Strategie zu Grunde liegt, hochqualifizierte ghanaische Staatsangehörige aus dem Ausland anzuziehen. Im Jahr 2001 wurde unter der KufuorRegierung ein Homecoming Summit organisiert, der das Potenzial und die Fähigkeiten der ghanaischen Diaspora für die Entwicklung des Landes proklamierte (vgl. Awumbila et al. 2008). Rechtliche und 13 | Es wird darauf hingewiesen, dass es kaum statistisch erfasste Datenlagen zu afrikanischen RemigrantInnen gibt. Der Wegzug von MigrantInnen kann zwar mit Hilfe des Melderegisters festgestellt werden, jedoch geben die Statistiken keine Auskunft über das Zielland. Somit ist nicht zu erschließen, ob die MigrantInnen in ihren Herkunftskontext remigrieren oder in ein drittes Land übersiedeln. 14 | Im Jahr 2007 kehrten 265 Personen mit Hilfe des Programms rückkehrende Fachkräfte (PrF), welches vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Auftrag gegeben wurde und vom Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM), der Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte (AGEF) und dem World University Service (WUS) umgesetzt wird, in ihre Herkunftsländer zurück. Ghana war mit 60 Personen im Jahr 2007 das Land mit der höchsten Rate (vgl. CIM 2008).

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institutionelle Neuerungen, die auf die internationale Mobilität der ghanaischen Bevölkerung eingehen, sind die bereits im Jahr 1999 von der Regierung eingeführte doppelte Staatsbürgerschaft und das im Jahr 2006 realisierte Auslandswahlrecht (vgl. Schmelz 2009).

4.4 A ufbau

und

M e thodik

der

S tudie

In der hier thematisierten Studie bilden zurückgekehrte hochqualifizierte GhanaerInnen aus Deutschland den Untersuchungsgegenstand. Methodologisch wurde zum Einfangen der subjektiven Akteurssicht ein qualitativ empirischer Forschungsansatz verfolgt. Die qualitative ego-zentrierte Netzwerkanalyse wurde zur methodischen Umsetzung dieses Ansatzes herangezogen. Die qualitative Analyse persönlicher Netzwerke ist ein partizipativer Forschungsansatz, welcher sich in dieser Studie durch das visuelle Erhebungsinstrument der ego-zentrierten Netzwerkkarte in Kombination mit einem erzählgenerierenden Interview auszeichnet (vgl. Hollstein/ Straus 2006; siehe Kap. 6 in diesem Band). Zusätzlich wurde die teilnehmende Beobachtung als Methode genutzt, um Hintergrundinformationen und Kenntnisse über die Lebenssituation der AkteurInnen gewinnen zu können. Sie wurde vor allem bei weiteren informellen Verabredungen mit den InterviewpartnerInnen sowie bei Seminaren und Alumni-Treffen15 angewendet. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden im Jahr 2009 insgesamt 32 erzählgenerierende Interviews und 26 visuelle egozentrierte Netzwerkzeichnungen erhoben.16 Da Rückkehr kein 15 | Unter der allgemeinen Bezeichnung Alumnae/Alumni werden in diesem Beitrag GhanaerInnen bezeichnet, die in Deutschland ausgebildet wurden. Es sind somit ghanaische AbsolventInnen einer Hochschule oder einer anderen Bildungseinrichtung aus Deutschland gemeint. 16 | Durch den Forschungsansatz der qualitativen ego-zentrierten Netzwerkanalyse und das Erhebungsinstrument der ego-zentrierten Netzwerk-

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Abbildung 1: Aufenthaltsdauer in Deutschland (n: 32; Quelle: Eigene Berechnung)

Abbildung 2: Disziplinen (n: 32; Quelle: Eigene Berechnung) einmaliges Ereignis darstellt, sondern ein Prozess ist, der nicht nur im Herkunftskontext andauert, sondern auch bereits im Einwanderungskontext anbricht, wurden vier der 32 Interviews mit Ghanaekarte wurden die persönlichen Netzwerke der Remigranten partizipativ erhoben. Für eine detaillierte Erläuterung der qualitativen Netzwerkanalyse vgl. Hollstein/Straus (2006) und der Netzwerkkarten vgl. Kahn/Antonucci (1980).

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rInnen durchgeführt, die in Deutschland leben und eine Rückkehr planen. Die Zeitspanne, die die befragten GhanaerInnen in Deutschland verbrachten, bewegt sich zwischen einem und 28 Jahren. Im Durchschnitt betrug die Dauer des Aufenthaltes bis zur Rückkehr 5,7 Jahre (siehe Abb. 1). 78 % der interviewten Personen sind männlich und 22 % weiblich. Die Hälfte des Sampels, also 16 Personen, hat einen Masterabschluss in Deutschland. Die zweitgrößte Einheit mit zehn Personen stellt die Gruppe dar, die in Deutschland ihre Promotion abschloss. Die deutliche Minderheit bilden Studierende, die ein Diplom, einen Bachelor oder eine berufliche Weiterbildung über die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWent) erworben haben. Der höchste Prozentsatz der ghanaischen BildungsmigrantInnen der Studie verortet sich durch seine Qualifikation im Bereich der Naturwissenschaften (50 %), gefolgt von Geistes- und Sozialwissenschaften (28 %), den Strukturwissenschaften (19 %) und den Wirtschaftswissenschaften (3 %) (siehe Abb. 2).

4.5 Z irkul äre Tr ansfers N e tz werken

in persönlichen

In diesem Abschnitt soll auf soziale Transfers in persönlichen Netzwerken der ghanaischen Bildungsremigranten eingegangen werden. Die Beziehungen zwischen (Re)Migranten und der Herkunftsgesellschaft lassen sich durch den Blick auf die innerethnischen ghanaischen Netzwerke der RemigrantInnen erfassen.17 Zirkuläre Transfers beinhalten multidirektionale Flüsse zwischen 17 | Im Rahmen der Untersuchung wurden lokale, regionale, nationale und transnationale sowie inner- und multiethnische Netzwerkformen erfasst. Die sozialen Transfers, die die Herkunftsgesellschaft den RückkehrerInnen bereitstellt, lassen sich dabei durch die lokalen, regionalen und nationalen innerethnischen ghanaischen Netzwerke erschließen.

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Rückkehrern und der ghanaischen Gesellschaft. Soziale Netzwerke stellen hierbei die Ströme dar, über welche soziale Transfers transportiert und soziale Unterstützungsprozesse gewährleistet werden. Netzwerke ermöglichen flexibles und schnelles Reagieren, können Ressourcen unbürokratisch bündeln und weisen eine dezentrierte Struktur auf (vgl. Straus 2002).18 Die Zirkularität von Transfers basiert dabei auf dem Grundprinzip der Reziprozität sozialer Netzwerke. Bei reziproken Beziehungen wird der Empfänger von Transfers mit der Erwartung und Verpflichtung konfrontiert, durch das Annehmen von Leistungsangeboten, eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Empfänger von sozialen, aber auch finanziellen Transfers müssen über kurz oder lang ebenso zu Sendern von Leistungen werden. Die Wechselseitigkeit wird oftmals nicht unmittelbar erfüllt und nicht direkt eingefordert, sondern vollzieht sich zeitlich versetzt. Soziale Unterstützung von zurückgebliebenen Familienmitgliedern der RemigrantInnen während der Rückkehr sind oftmals solche zeitlich versetzten Gegenleistungen für von den MigrantInnen erbrachte Geldtransfers und anderen Unterstützungsleistungen. Ein flexibler Rollenwechsel vom Rezipienten zum Geber muss möglich sein, wenn das soziale Netzwerk eine gewisse Stabilität aufweisen soll. Entsteht eine zu große Einseitigkeit der Leistungen, sind die gebenden Mitglieder nicht mehr bereit, einseitige soziale Unterstützung zu leisten, und Netzwerkstrukturen können dünn und instabil werden (vgl. Olivier-Mensah 2016). Im Weiteren werden die Transfers von RemigrantInnen und anschließend die sozialen Unterstützungsleistungen des Herkunfts-

18 | Soziale Beziehungen können neben positiven auch belastende Aspekte wie Konflikte, Abwertung, Abhängigkeit, Exklusion, Ungleichheit und Isolation beinhalten. Die dezentrierte Struktur sozialer Netzwerke kann einerseits eine geringe Hierarchie herstellen und andererseits durch die nicht einfache Beherrschbarkeit einseitige Machtverhältnisse fördern (vgl. Laireitter/Lettner 1993).

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und soziales

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kontextes erläutert, die in persönlichen Netzwerken der RückkehrerInnen ausgetauscht werden.

4.6 Tr ansfers

von

R emigr ant I nnen

Die Leistungen, die RemigrantInnen dem ghanaischen Herkunftskontext bereitstellen, erstrecken sich von ökonomischem Kapital über Fachwissen, Fähigkeiten und interkulturelle Kompetenzen bis hin zu Verhaltensänderungen, Werte- und Normenwandel.

4.6.1  Ökonomisches Kapital Der ökonomische Einfluss der MigrantInnen wird durch finanzielle Remittances während der Zeit im Ausland und durch Ersparnisse und ökonomische Investitionen, wie etwa in den Hausbau, nach der Rückkehr deutlich. Hinzu kommt häufig die finanzielle Unterstützung von Familienangehörigen nach der Rückkehr. Neben der Pflege und Fürsorge der Eltern und jüngeren Geschwister wird oftmals auch die akademische Ausbildung entfernterer Verwandter finanziert. RückkehrerInnen übernehmen aber nicht nur regelmäßige und konstante finanzielle Leistungen, sondern auch die einmaligen Kosten bei Ereignissen, die überraschend und ungeplant auftreten, wie etwa die Beerdigungskosten im Todesfall.

4.6.2 Fachwissen, Fähigkeiten und interkulturelle Kompetenzen Durch die weiterführende Qualifikation im Rahmen des Studiums oder einer beruflichen Weiterbildung wurde Fachwissen und Expertise erworben. Diese Kompetenzen können in beruflicher Hinsicht zur Entwicklung des Herkunftskontextes beitragen. Dabei sind die positiven Effekte nicht nur in entwicklungsfördernden Institutionen und Führungspositionen wirksam. Auch Unternehmen und Organisationen in anderen Arbeitsfeldern profitieren durch die

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Kenntnisse von zurückgekehrten Fachkräften (vgl. Schraven/Eguavoen/Manske 2011). Mit 32 % ist der größte Anteil der befragten ghanaischen BildungsremigrantInnen an Universitäten und Forschungsein% in Banken, richtungen im akademischen Bereich tätig, 21  Wirtschaftsunternehmen und Beratungsagenturen, gefolgt von 18 %, die in Ministerien, Behörden oder im sonstigen Verwaltungsbereich beschäftigt sind. 14 % des Sampels hingegen arbeitet in internationalen Organisationen und dabei größtenteils im Bereich der deutsch-ghanaischen Entwicklungszusammenarbeit. GhanaerInnen, die in Deutschland ausgebildet wurden, werden aufgrund ihres Vertrautseins mit dem deutschen sowie dem ghanaischen Kontext häufig als Vermittlungsinstanz zwischen deutschen Organisationen und ghanaischen Partnerunternehmen angesehen. „Es gibt bestimmte deutsche Firmen, die ghanaische Fachkräfte suchen. Sie brauchen Ghanaer, die die Sprache können, die Mentalität, die Kultur verstehen, so dass sie eine Brücke bauen können.“ (Adjetey Sowah)

Der Erwerb von interkulturellen Kompetenzen ist somit ein weiterer Aspekt, der durch die Ausbildung in Deutschland oftmals angeeignet wurde. „If you are sitting with a German and the German tells you: ʻthat doesn’t make sense!ʼ for example, a Ghanaian would be offended … but I wouldn’t bothered, because I know what he wants to tell me.“ (Jay Cee)

Weiterhin sind sieben Prozent der ghanaischen RückkehrerInnen der Studie im Gesundheitssektor in Krankenhäusern angestellt und vier Prozent in Nichtregierungsorganisationen. Insgesamt sind 96 Prozent der befragten Personen berufstätig, vier Prozent haben bislang keine Beschäftigung gefunden (siehe Abb. 3). Insgesamt haben sieben Prozent eine unternehmerische Selbstständigkeit realisieren können, bei der sie zumeist Kontakte, die sie

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Abbildung 3: Beschäftigungsfelder in Ghana (n: 28; Quelle: Eigene Berechnung)

während ihrer Zeit im Ausland geschlossen haben, gewinnbringend eingesetzt haben (vgl. Müller 2007). Hochqualifizierte MigrantInnen haben Fähigkeiten wie Managementkompetenzen, unternehmerisches Denken und Führungsqualitäten sowie oftmals Fremdsprachenkenntnisse erworben, die im Beruf von Vorteil sein können (vgl. Schaland 2008). So können etwa in etablierten Unternehmen Innovationen aufgrund des im Ausland erworbenen unternehmerischen Denkens eingeführt werden.

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„When I came to Ghana… my company, they liked me […]. When I am in the office, I work. I don’t waste time on things […]. So I am here to work … that is something I cultivated from Germany.“ (Rob Boateng)

Manche Arbeitgeber wissen die entwickelten Kompetenzen der RückkehrerInnen jedoch nicht zu schätzen und sehen sie sogar als einen Störfaktor an. Besonders viele der befragten RückkehrerInnen verweisen auf die defizitäre Situation im staatlichen Sektor, in dem 4 % der Erwerbstätigen beschäftigt sind. Neben einer zu geringen Bezahlung kritisieren sie die Stagnation der Betriebe. Aus der Arbeitsplatzsituation resultiert oftmals eine persönliche Unzufriedenheit und das Gefühl der Machtlosigkeit. „This is the problem with those of us, who have studied outside, especially in Germany, where we learned to be sufficient, we learned how to change things, things shouldn’t be static, they should be dynamic, continually improvement, these are all systems we learned in Germany…, but here people resist and we get frustrated. […] You are coming from the Western World, you want to introduce new ideas, you are the devil […]. You are working, you are receiving salary, but you are not happy.“ (Jack Straw)

Demzufolge ist der Wissenstransfer zwar zumeist beabsichtigt, aber nicht immer erfolgreich, da die RückkehrerInnen oftmals, vor allem im beruflichen Sektor, auf soziale Widerstände stoßen. Neben der Kritik am öffentlichen Sektor verweisen die RückkehrerInnen auf die Problematik, dass sie nicht in dem Themenfeld arbeiten, in dem sie eine Ausbildung erworben haben. Einen erheblich belastenden Umstand stellt die problematische Lebenssituation dar, wenn die RückkehrerInnen in der Anfangsphase in Ghana keine Beschäftigung gefunden haben. „It took me about six months before I was able to get a first job.“ (Kwabena Asiedu)

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Bei einer Tätigkeit in einem inadäquaten Arbeitsfeld, und vor allem im Falle der Erwerbslosigkeit, finden das erworbene berufliche Wissen und die Fachkenntnisse nicht den erwünschten Einsatz. Das Wissen der RückkehrerInnen bleibt ungenutzt.

4.6.3  Verhaltensänderungen, Werte- und Normenwandel Die in Deutschland verbrachte Zeit und die gemachten Erfahrungen prägen die Individuen. Änderungen vollziehen sich auf unterschiedlichster Ebene, die nicht nur im beruflichen Lebensbereich von Bedeutung sein können. Durch die neue Lebenssituation und die neue Umgebung wurden die GhanaerInnen in Deutschland mit vielem Ungewohntem und Neuem konfrontiert. „It really broadened my horizon. When I went to Germany and I came back, I have learnt a lot.“ (Maame Asante)

Diese Horizonterweiterung ist mit Erfahrungen in Deutschland verbunden und führte in vielen Fällen sowohl zu Verhaltensänderungen als auch zu Werte- und Normwandlungen (z. B. bezüglich Hygiene und Gesundheit, des Geschlechterverhältnisses oder im politischen Bereich) siehe Kap. 5.1 in diesem Band). Die Lernerfahrungen der RückkehrerInnen drücken sich oftmals in einem stärkeren Selbstbewusstsein der Individuen aus. „I have become more confident, I couldn’t express myself very well before, I was a bit shy before.“ (Maame Asante)

Zudem bedingen die Erfahrungen nicht nur Verhaltens- und Einstellungsänderungen, sondern können auch zu einem höheren sich-selbst-zugeschriebenen sozialen Status und einer anderen, wertvolleren Selbstwahrnehmung führen. „And one thing I realised after he came … if he wants the job, he just briefs the manager director and goes straight to him. He doesn’t care who you

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are. […] He just thinks, he is a human being like me. Let me go to talk to him.“ (Ehefrau von Rob Boateng)

Die Migrationserfahrung wird nicht nur durch das Erleben einer anderen Kultur in Deutschland geprägt. Einfluss hat vielmehr auch das Zusammentreffen im Rahmen von intentionalen Studiengängen mit anderen ausländischen Studierenden aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen. „This international education and actually with meeting 30 people from 19 countries, it changed a lot about me.“ (Maame Asante)

Viele schätzen die durchlebten Veränderungen in Deutschland und den Einfluss der Migration auf ihre Persönlichkeit als wertvoll ein. „You learn something new […] you are different, as if you only know Ghana.“ (Ayeley Mensah) „That is something that came into me … that changed me and when I came to Ghana that really helped.“ (Rob Boateng)

Jedoch führt die Veränderung auch oftmals die Schwierigkeit mit sich, gewisse Einstellungen, Mentalitäten und Gewohnheiten im Herkunftskontext, die eventuell im Widerspruch zu den eigenen moralischen Grundsätzen stehen, akzeptieren zu müssen. Dies kann ein Gefühl der kulturellen Entfremdung als Folge haben. „You really don’t know where you will fit.“ (Danny Kingsly)

Grundlegend beim Umgang mit den Veränderungen ist, ob die Betreffenden trotz des Identitätswandels fähig sind, sich an die fremd gewordenen Verhaltensweisen und Normen in Ghana wieder anzupassen (siehe Kap. 5 in diesem Band).

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„I always tell my husband,…he is always complaining this should be this, this should be this and I am like, (.) when you are in Ghana you just tune your mind.“ (Abena Ameyaw)

Das angemessene Agieren in verschiedenen kulturellen Kontexten deutet auf die Herausbildung einer transnationalen Identität hin, die eine Kombination aus der im Herkunftsland erworbenen und der im Aufnahmeland dazugewonnenen Identität darstellt (vgl. Nawrath 2001; Guarnizo/Portes/Haller 2003). Zumeist hat der Wandel von Einstellungen des Individuums wiederum Einfluss auf seine unmittelbare Umgebung. Die RückkehrerInnen vermitteln kulturelles Wissen, das sie sich in Deutschland angeeignet haben, an ihr unmittelbares Umfeld, teils bewusst, teils unbewusst weiter. „He will go for an interview they have no longer called him, he will be calling them: ‘What has happened, I want to find out’, all these things, but that is not normal among Ghanaians […]. I am even learning from him.“ (Ehefrau von Rob Boateng)

Direkte Familienangehörige, wie z.B. die Ehefrau, können so neue Einstellungen und Verhaltensweisen annehmen. Ein Werte- und Normwandel auf gesellschaftlicher Ebene wird meist nur im direkten Umfeld, durch soziale Transfers der RemigrantInnen, angestoßen. Solche Praktiken, wie ein gewandeltes Umweltbewusstsein, veränderte Sicherheitswahrnehmungen und ein anderer Umgang mit der Zeit, können dagegen einen Einfluss sowohl auf das private, als auch auf das berufliche Umfeld der RückkehrerInnen haben.

4.7 S oziale Tr ansfers

der

H erkunf tsmilieus

Im Folgenden werden RückkehrerInnen als Empfänger sozialer Unterstützung fokussiert. Die soziale Unterstützungsforschung

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analysiert seit etlichen Jahren sowohl den direkten Einfluss sozialer Unterstützung auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen (Direkteffekt) als auch die indirekte Wirkung auf die Bewältigung von Risiken, Belastungen und Stressoren (Puffereffekt) (vgl. Caplan 1974; Cobb 1976; Badura 1981). Im Weiteren werden die sozialen Unterstützungsleistungen des Herkunftskontextes in Anlehnung an die Kategorisierung von Diewald (1991) in informative, praktisch-instrumentelle, emotionale und interpretativ-kognitive Unterstützung unterteilt und entsprechend analysiert. Zudem werden die Netzwerkkontakte und deren Leistungen in informelle und formelle untergliedert. Die formelle Ebene steht dabei für staatliche Rückkehrförderprogramme, deren Auftrag es ist, RemigrantInnen beim Rückkehrprozess zu unterstützen. Die informelle Ebene beschreibt die Nutzung von persönlichen Kontakten als Quelle sozialer Unterstützung. Die wesentlichen Analyseschwerpunkte der informellen verwandtschaftlichen, freundschaftlichen und professionellen Netzwerke, die sich während der Analyse herauskristallisiert haben, sind: (1) Familie: Kernfamilie und erweiterte Familie19 (2) FreundInnen ehemalige KlassenkameradeInnen, AlumniFreundInnen, kirchliche FreundInnen (3) ArbeitskollegInnen und Vorgesetzte (4) wissenschaftliche BetreuerInnen. Zu erwähnen ist, dass sich die Kategorisierungen der Beziehungen überlagern und eine Person oftmals mehreren Kategorien gleichzeitig angehören kann. Im Folgenden soll aufgeschlüsselt werden, welche Formen sozialer Unterstützung von welchen sozialen Kontakten abhängig sind. 19 | Da in Ghana Polygamie traditionell als Eheform für Männer in der Gesellschaft anerkannt ist, gibt es durch das System der Großfamilie das sogenannte erweiterte Familiensystem.

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4.7.1  Praktisch-instrumentelle Unterstützung Unter praktisch-instrumenteller Unterstützung werden materielle Unterstützungsleistungen verstanden. Sie können in Form von Geld- oder Sachleistungen bewerkstelligt werden. Auf informeller Ebene ist die Familie des/der RückkehrerIn, vor allem in der Anfangsphase in Ghana, als erster Anlaufpunkt von zentraler Bedeutung. Das Elternhaus dient in vielen Fällen als erster Wohnort, bis eine geeignete Unterkunft gefunden wurde. Sieben der Interviewten wohnten zum Zeitpunkt des Interviews, oftmals mit ihrer eigenen Familie, im Elternhaus der Frau. Somit werden die RückkehrerInnen auch finanziell entlastet. Finanzielle Unterstützung wurde, wenn bereits eine eigene Familie gegründet war, vor allem von dem/der EhepartnerIn geleistet. Im Falle von prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen und erst recht, wenn noch keine berufliche Anstellung gefunden wurde, ist die ökonomische Unterstützung der Kernfamilie von zentraler Bedeutung. Sofern die RückkehrerInnen alleinstehend oder noch nicht verheiratet waren, leisteten oftmals auch Angehörige des erweiterten Familienkreises ökonomische Hilfe. Es handelt sich dabei um Familienmitglieder, die finanziell gut situiert sind, zumeist selbst ihre Ausbildung im Ausland absolviert oder dort gearbeitet haben und die der ghanaischen Mittel- bis Oberschicht angehören. Oftmals haben diese Personen die Migration, wenn sie durch die Familie unterstützt wurde, bereits mitfinanziert. Somit haben manche RückkehrerInnen schon finanzielle Unterstützung von der Familie empfangen, um überhaupt migrieren zu können. „All the money I made after school… I didn’t have much to start or pay for plane ticket and all that. So … my plane ticket was paid by an aunty who lives in U.S. … and when I was there… I had some money with me, because my father gave me some… Well I couldn’t do that all by myself.“ (Kwaku Mbroh)

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Die matrifokale Familie, und hierbei die leibliche Mutter der weiblichen Rückkehrerin, ist besonders bei der Kinderbetreuung und -erziehung von großer Bedeutung. Die Großmutter lebte in den meisten Fällen nach der Rückkehr der Tochter permanent im selben Haushalt, um dieser die Berufstätigkeit zu ermöglichen. Wenn die Frau alleinerziehend war, übernahm sie zudem oftmals während der Abwesenheit der Tochter in Deutschland, die vollständige Verantwortung und Pflege für die Enkelkinder in Ghana. „I have two young boys […]. My mum was taking care of them, when I was in Germany. They are not with their father. My parents are more supportive.“ (Ayeley Mensah)

Im Bereich des Arbeitsplatzes werden die Beziehungen zu den Chefs als wichtig für die Arbeitsplatzsicherung angesehen. Durch die study leave-Vereinbarungen mit dem Vorgesetzten werden RückkehrerInnen nicht der Belastung ausgesetzt, nach der Rückkehr eine adäquate Arbeitsstelle finden zu müssen, sondern sie können ihren vorherigen Job wieder aufnehmen. „Before I finished, my job I was waiting for me.“ (Jay Cee)

Somit kann diese Vereinbarung als eine direkte finanzielle Unterstützungsleistung angesehen werden. Durch die Arbeitsplatzabsicherung werden die Risiken des Migrationsprozesses minimiert. Die RemigrantInnen sind nicht unmittelbar auf anderweitige finanzielle Unterstützung ihres Netzwerkes angewiesen. Auf formeller Ebene bilden zudem offizielle Rückkehrförderprogramme eine zentrale finanzielle Stütze im Rückkehrprozess. Im deutsch-ghanaischen Kontext stellt das Programm rückkehrende Fachkräfte (PrF), welches von der deutschen Bundesregierung durchgeführt wird, eines der am meisten in Anspruch genommenen Maßnahmen dar. Es gewährt Zuschüsse oder die vollständige Übernahme von Reise- und Transportkosten, finanzielle einmalige Starthilfen bis hin zu Gehaltszuschüssen und Zuschüsse für die

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Ausstattung des Arbeitsplatzes. Das PrF wurde als sehr bedeutend für finanzielle Unterstützungsleistungen bei der Rückkehr eingeschätzt, jedoch sind dies Ressourcen, die der deutsche und nicht der ghanaische Kontext zur Verfügung stellt und die somit als transnationale soziale Unterstützungsleistungen und nicht als jene der Herkunftsgesellschaft fungieren. In Ghana ist der Programmpartner – das German Ghanaian Alumni Network (GGAN)20 – wichtig. Das GGAN ist jedoch nicht in ökonomischer Hinsicht von Bedeutung, sondern spielt bezüglich informativer und emotionaler Unterstützung eine entscheidende Rolle. Praktisch-instrumentelle Unterstützung stellt im Prozess der Rückkehr auf informeller Ebene vor allem die Kernfamilie und der erweiterte Familienkreis während der Übergangszeit und im Falle der Arbeitslosigkeit zur Verfügung. RückkehrerInnen, die sich auf die Unterstützung der Familie verlassen können, sind in der Lage, die oftmals schwierige Anfangsphase zu bewältigen und Belastungen standzuhalten. Die Familie erbringt zumeist eine wichtige Betreuungsleistung, welche vor allem die Berufstätigkeit von weiblichen Rückkehrerinnen ermöglicht. Die Unterstützung des Vorgesetzten durch study leave-Vereinbarungen vereinfacht die Rückkehrsituation – vor allem finanziell – enorm. Auf formeller Ebene stellt die finanzielle Unterstützung durch staatliche Rückkehrförderprogramme eine stabile und verlässliche Stütze für RückkehrerInnen dar. Jedoch sind dies Dienste, die das ehemalige Einwanderungsland und nicht der Herkunftskontext leistet.

4.7.2  Informative Unterstützung Informationen, Beratung und Ratschläge bilden die Kategorie der informativen Unterstützung. FreundInnen werden als wichtigste Gruppe bezüglich der Informationsweitergabe bei der Arbeitsplatzvermittlung genannt. 20 | Ehemals bekannt unter der Bezeichnung Rückkehrerbüro Ghana.

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Unter der Kategorie der ehemaligen KlassenkameradInnen werden KommilitonInnen des Gymnasiums oder des ersten universitären Bachelorstudiums in Ghana bezeichnet. Oftmals waren viele Personen dieser Gruppe selbst für längere Zeit zu Studien- oder Arbeitszwecken im Ausland. Diejenigen, die in Ghana geblieben sind, wie auch Alumni-FreundInnen aus Deutschland, die bereits vor der eigenen Rückkehr remigriert sind, und Kontakte zu FreundInnen, die man im kirchlichen Kontext in Deutschland geknüpft hat, helfen bei der Findung eines Arbeitsplatzes. „I didn’t apply, they just called me. That was how we used to recruit in this company. If the boss needs somebody, he asks ‘Have you friends, who work as well as you?’ That’s how I got it [the job].“ (Jack Straw)

Da viele Arbeitsplätze in Ghana durch private Kontakte vermittelt werden, wird das Fehlen von professionellen Kontakten als wesentliches Problem bei der Arbeitsplatzsuche im Rückkehrprozess wahrgenommen. Deshalb hat die Kontaktpflege im Herkunftskontext einen hohen Stellenwert und wird bereits bei der Migrationsplanung berücksichtigt. Eine Strategie, um den Auf bau lokaler Netzwerke zu KommilitonInnen, ProfessorInnen und Institutionen zu etablieren und zugleich eine Migration realisieren zu können, besteht darin, den ersten universitären Abschluss des Bachelors in Ghana zu machen, um diese Zeit zur Netzwerkbildung zu nutzen, und erst danach die weiterführenden Qualifikationen im Ausland zu erwerben. „This is what I am going to do to my son: Take your first degree in Ghana take the second degree abroad.“ (Jay Cee)

Informelle Kontakte zu FreundInnen und deren informative soziale Unterstützung können auch bei wenigen professionellen Beziehungen als Zugänge zum Arbeitsmarkt fungieren, bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes behilflich sein und zudem auch beim Karriereaufstieg unterstützend wirken.

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„They know that I am always looking for a better job. Maybe somebody is reading the daily newspaper, and then he calls you and saying ‘Have a look at … this position here’ […]. If they get to know about something, they will call you.“ (Kwabena Asiedu)

Das German Ghanaian Alumni Network bietet auf formeller Ebene informative Unterstützung in Form von Seminaren, Weiterbildungsveranstaltungen, Informationen über Investitionsmöglichkeiten und Arbeitsplatzvermittlungen. Auffallend ist, dass das GGAN aus unterschiedlichen Beweggründen genutzt wird. Manche Personen, die an Treffen und Veranstaltungen der Rückkehrergemeinschaft teilnehmen, bekamen durch das Programm rückkehrende Fachkräfte finanzielle Rückkehrförderung. Andere sind aktiv eingebunden und nutzen das Netzwerk, um informative Unterstützung zu erhalten, obwohl sie nicht finanziell gefördert wurden. Die informative Unterstützung, die von den befragten Personen als fruchtbar bewertet wurde, bezog sich zumeist auf Weiterbildungsseminare und Informationen über Investitionsmöglichkeiten. Die Aussicht, über das Netzwerk einen Arbeitsplatz vermittelt zu bekommen, wurde hingegen als kritisch bewertet. „Wie kann ich mir sicher sein, dass er [Leiter des GGAN] sich auch für mich einsetzen wird. Ich muss ein Freund von ihm sein … dann kann ich mir sicher sein, aber dass man sich nur registriert hat, und dass … er mich anruft und sagt ,Wir haben einen Job für Dich‘, das kann ich niemals glauben. Du musst ihn persönlich kennen. Das hat nichts mit ihm zu tun.“ (Adjetey Sowah)

Eine weitere wichtige Quelle informativer Unterstützung, in Form von Beratung und Ratschlägen, stellen ehemalige wissenschaftliche BetreuerInnen dar. Durch gemeinsame Publikationen und Korrekturen von Exposés für Bewerbungen nehmen sie vor allem eine beratende Funktion ein. Jedoch geben sie auch Informationen über Promotionsprogramme, Fördermöglichkeiten und Stellenangebote weiter. Sie sind wesentlich am Auf bau und der Weiterentwick-

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lung der wissenschaftlichen Karriere der RückkehrerInnen beteiligt. Der Kontakt zu ihnen in Ghana wurde zumeist während des kompletten Aufenthaltes in Deutschland aufrechterhalten. Oftmals waren sie bereits beim Finden des Studienplatzes in Deutschland behilflich. „There is one of our lecturers that we work with a lot, he’s called Professor Gordon, he actually helped. […] He thought me during the Environmental Science Programme, he was my supervisor and he also help me when I was looking for somewhere to do a Phd. He used to give me a lot of recommendation letters.“ (Abena Ameyaw)

Insgesamt spielen FreundInnen eine wesentliche Rolle bezüglich der Arbeitsplatzvermittlung und Karriereplanung in Form von informativen Unterstützungsleistungen und können dabei als Bindungsglied für die Etablierung von beruflichen Kontakten fungieren. Ehemalige wissenschaftliche BetreuerInnen leisten vor allem in Form von Beratung informative Unterstützung und begleiten die berufliche Etablierung der RückkehrerInnen im wissenschaftlichen Bereich. Das German Ghanaian Alumni Network leistet Unterstützung durch Weiterbildungsseminare und Informationen über Investitionsmöglichkeiten. Die Möglichkeit, über das Programm einen Arbeitsplatz zu bekommen wird bislang als wenig erfolgversprechend bewertet und stellt für die RückkehrerInnen keine verlässliche Stütze dar. Um als stabil und hilfreich wahrgenommen zu werden, müssen formelle Kontakte soweit ausgebaut sein, dass sie als persönliche Freundschaften verstanden werden.

4.7.3  Emotionale Unterstützung Unter emotionaler Unterstützung wird die Vermittlung von Geborgenheit, Liebe und Zuneigung sowie motivationale Unterstützung verstanden. Die Familie wird als wichtigste Personengruppe in Bezug auf die Vermittlung von Zuneigung und Geborgenheit genannt. Wenn vorhanden, steht dabei zunächst die eigene Familie

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im Vordergrund. Kinder, Frau/Mann verkörpern oftmals wichtige Vertrauenspersonen mit größter emotionaler Nähe, die auch motivationale Unterstützung leisten können und zumeist als wichtige BeraterInnen und GesprächspartnerInnen gelten. „As for my future career, I consult my wife and … my daughter. I consult her a lot.“ (J. B. Mohammed)

Zudem stehen die Mutter und einige der oftmals vielen Geschwister den RückkehrerInnen emotional sehr nahe und stellen AnsprechpartnerInnen bei Entscheidungen und kritischen Lebensereignissen dar. Auffällig ist, dass hier zwischen den Geschwistern kategorisch-bewertende Unterschiede gemacht werden. Diejenigen, die von derselben Mutter abstammen, also keine Halbgeschwister sind, nehmen eine wichtige Stellung ein. Jedoch werden neben der Familie auch FreundInnen und dabei oftmals ehemalige KlassenkameradInnen aus Ghana als emotional nahe stehend bezeichnet. „I am only close with one person, because I studied with him at the University here. He was my mate when we were doing our first degree.“ (Kwabena Asiedu)

Vor allem Alumni-FreundInnen aus Deutschland werden häufig als emotional unterstützend wahrgenommen. Es besteht ein gemeinsamer Austausch über die in Deutschland verbrachte Zeit und über Herausforderungen in Ghana. Durch Deutschland als gemeinsamer Referenzrahmen ist eine große Verbundenheit festzustellen. Wenn einer dieser FreundInnen bereits vor der eigenen Remigration nach Ghana zurückgekehrt ist, besteht ein reger Austausch über die Eindrücke und Erfahrungen, die oft auch die eigene Rückkehrentscheidung prägen. FreundInnen werden insgesamt bei Problemlagen hinzugezogen, die nicht im Kreise der Familie besprochen werden können.

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„And sometimes I don’t always want my family to get involved.“ (Kwasi Anto)

Die Kernfamilie steht den befragten Personen am nächsten und leistet demzufolge am meisten emotionale Unterstützung. Dies erfolgt nicht nur in Form von Zuneigung, sondern dient auch als Motivationsstütze. Aber auch andere FamilienmitgliederInnen und FreundInnen werden als emotional unterstützend wahrgenommen. Zudem stehen Alumni-FreundInnen den RückkehrerInnen persönlich sehr nahe und sind vor allem bei Schwierigkeiten, die mit dem Ortswechsel von Deutschland nach Ghana verbunden sind, erste AnsprechpartnerInnen.

4.7.4 Interpretativ-kognitive Unterstützung Interpretativ-kognitive Unterstützungsleistungen stellen neben der Vermittlung von Anerkennung und der Fundierung eines Zugehörigkeitsgefühls eine Quelle der persönlichen Wertschätzung dar. Für diese Art der Unterstützung wird oftmals die Kategorie FreundInnen herangezogen. Vor allem Alumni-FreundInnen aus Deutschland und dabei besonders die Rückkehrgemeinschaft vermitteln als Gruppe das Gefühl der Zugehörigkeit und übermitteln Wertschätzung. Indirekt ist an dieser Art der Unterstützungsleistung das GGAN beteiligt, das durch regelmäßige Treffen und Veranstaltungen die Gruppe der RückkehrerInnen in einem institutionalisierten Rahmen organisiert. Durch dieses Angebot können Alumni-Freundschaften gepflegt und aufrechterhalten werden. Vor allem ermöglichen die gemeinsamen Treffen von Zeit zu Zeit einen persönlichen Austausch. Somit wird die Möglichkeit geboten, die persönlichen Netzwerkkontakte zu pflegen. Ehemalige KlassenkameradInnen werden hingegen oftmals als unmittelbarer Vergleichsmaßstab bezüglich Einkommen, Job und Karriere wahrgenommen. Sie stellen eine Orientierungsgröße dar, an der sich das eingangs gesetzte Migrationsziel – eine Verbesserung des Bildungs- und Lebensstandards – bewerten lässt. An

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stetigen Vergleichen der Statusunterschiede zu den KlassenkameradInnen, ghanaischen KommilitonInnen und KollegInnen wird gemessen, wie gut sich die Einzelperson in Ghana wieder etabliert hat und wie erfolgreich sie ist. Wenn die Qualifikation im gleichen Sektor erfolgte, können diese Vergleichsgruppen auch eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt darstellen. „Some people stayed here throughout and they are far, far better than you, you travelled. Because of that sometimes you think that you’ve lost some chances.“ (Kwabena Asiedu)

Für interpretativ-kognitive soziale Unterstützung werden vor allem StudienfreundInnen aus Deutschland und ehemalige KlassenkameradInnen genutzt. Alumni-FreundInnen bilden diesbezüglich durch das Studium im Ausland den gemeinsamen Referenzrahmen und ehemalige KlassenkameradInnen aus Ghana, die nicht migriert sind, den gegensätzlichen Bezugspunkt, der eine wesentliche Rolle bei der Selbsteinschätzung und der persönlichen Zufriedenheit mit der Rückkehrsituation spielt.

4.8 Z usammenfassung der E rgebnisse zu zirkul ären Tr ansfers Herkunftsmilieus stellen RückkehrerInnen somit ein Spektrum an verschiedenen Unterstützungsleistungen zur Verfügung, von denen sie profitieren können. Je vielfältiger die Netzwerkstrukturen ausgestaltet sind, umso mehr können sie als Ressourcenquelle genutzt werden. Mit anderen Worten: Umso angereicherter das Sozialkapital der RückkehrerInnen ist, umso mehr sind soziale Unterstützungsleistungen für den/die AkteurIn zugänglich. Persönliche Kontakte auf informeller Ebene werden im Vergleich mit formalen Netzwerkkontakten, und obwohl sie nicht einklagbar sind, als verlässlichere Größe wahrgenommen. Vor allem stellen sie ein weitaus größeres Unterstützungsrepertoire als die hauptsäch-

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lich informativen und finanziellen Leistungen auf formeller Ebene dar. Basierend auf dem Grundsatz der Reziprozität bedingen sich die Transfers der RückkehrerInnen und jene des Herkunftskontextes gegenseitig. Soziale Unterstützungsprozesse seitens der Herkunftsmilieus und das Einbringen des erworbenen Humankapitals von Rückkehrern stehen in Wechselbezeihung zueinander. Dass Unterstützungsnetzwerke eine zentrale Voraussetzung der erfolgreichen Rückkehr sind, ist nicht nur in der Bedeutung von verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Netzwerkstrukturen, sondern auch auf der professionellen Ebene zu beobachten. Erfahren RückkehrerInnen zum Beispiel am Arbeitsplatz durch ihre Vorgesetzten keine interpretativ-kognitive Unterstützung in Form von Wertschätzung und Anerkennung, werden ihr Fachwissen und ihre Fähigkeiten auf Grund von Frustrationserfahrungen und meist auch wegen Resignation nicht den erwünschten Effekt erzielen.

4.9 D auerhaf te und tempor äre R ückkehr : D ie M obilitätskompe tenz der ghanaischen R ückkehrer I nnen Eine „erfolgreiche“ Rückkehr bedeutete für die befragten GhanaerInnen nicht zwangsläufig: zu remigrieren und zu bleiben. Der Begriff Remigration drückt zunächst lediglich aus, dass „Personen in ihr Herkunftsland zurückkehrten, nachdem sie eine signifikante Zeit nicht im Land verbracht haben“ (Currle 2006, S. 7). Remigration kann zwar mit der Absicht verbunden sein, sich dauerhaft im Herkunftsland niederzulassen (vgl. Gmelch 1980), beinhaltet jedoch nicht zwinglich die Gleichsetzung mit einem endgültigen Zustand. Die meisten der interviewten Personen verfolgen die Absicht in Zukunft, in Ghana zu bleiben und sich dort längerfristig zu etablieren. Auf die Frage nach ihren Zukunftsperspektiven und wie lange

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sie vorhaben, in Ghana zu bleiben, antworteten die meisten mit einem spontanen: „Forever“. Darin kommt zum Ausdruck, Ghana zukünftig als Lebensmittelpunkt anzusehen. „I enjoy working here. I travel once in a while to places, to know what is happening, but to go to leave and stay there, I don’t think so. I would like to go and come, to go and come.“ (Jay Cee)

Trotzdem besteht der Wunsch, in unterschiedliche Länderkontexte eingebunden zu sein und eine flexible und mobile Lebensweise zu führen. Die Migrationserfahrung in Deutschland wird dabei als wesentlich prägende Größe genannt. „Because of Germany, I am used now to move around. To go here and there.“ (Rob Boateng)

Zudem können sich RemigrantInnen zum Zwecke der Karriereplanung oder einer weiterführenden Qualifikation in Form einer Promotion vorstellen, eine erneute Migration auf Zeit zu realisieren. 13 der InterviewpartnerInnen planen bzw. können sich vorstellen, in Zukunft erneut auszuwandern. Bei neun der interviewten GhanaerInnen stellt die jetzige Rückkehr nicht die erste Remigration dar. Sie sind bereits zuvor nach Ghana zurückgekehrt, erneut emigriert und nun wieder zurückgekommen. Zumeist wird Deutschland, durch die bereits bestehenden Kenntnisse über den Länderkontext, als erstes präferiertes Migrationsland anvisiert. Jedoch kommen auch andere Staaten für eine Migration in Frage. Die Mobilität der ghanaischen RemigrantInnen lässt sich somit nicht mehr lediglich auf die Achse zwischen Ghana und Deutschland reduzieren. Wesentliches Kriterium ist jedoch in allen Fällen, dass keine Trennung für längere oder unbestimmte Zeit von der Kernfamilie stattfindet. Es ist aber festzustellen, dass dieses Bedürfnis häufig kein absolutes Hindernis darstellt, wiederholt berufliche oder bildungsbezogene Ziele im Ausland zu verfolgen. Dies soll anhand

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der Zukunftspläne einer weiteren Interviewpartnerin verdeutlicht werden: Kosh Abi ist 30 Jahre alt. Sie ist mit Amot Abi, 34 Jahre, verheiratet. Zusammen haben sie zwei Kinder. Der ältere Sohn kam während ihrer gemeinsamen Ausbildungszeit in Deutschland auf die Welt und ist vier Jahre alt. Kosh absolvierte während dieser Zeit ihren Master in Ressourcen-Management und Amot promovierte im Bereich Transportwesen. Seit zweieinhalb Jahren lebt die Familie wieder gemeinsam in Ghana, wo das zweite Kind zur Welt kam. Beide sind im akademischen Bereich, an angesehenen Lehrinstitutionen in Accra, beruflich tätig. Die Familie steht gerade kurz vor dem Einzug in ihr eigenes Haus, das sie seit ihrer Rückkehr nach Ghana gebaut haben. Ein typisches Beispiel für eine Lebenskonstellation, bei der man auf die Frage nach der Zukunftsplanung wohl mit großer Wahrscheinlichkeit von beiden in Deutschland ausgebildeten EhepartnerInnen mit der Antwort: „Für immer in Ghana zu bleiben“ rechnen würde. Seit August 2010 bezieht Kosh jedoch ein DAAD-Stipendium, um in einem dreijährigen Aufenthalt in Deutschland ihr Vorhaben der Promotion zu verwirklichen. Pläne, diese Unternehmung trotz der familiären Verpflichtungen in Ghana zu realisieren, bestehen bereits. Kosh wird den jüngeren Sohn mit nach Deutschland nehmen, da ihr dort die Möglichkeit der Kinderbetreuung in einer Tageskrippe Zeit für ihr Studium verschafft. Der ältere Sohn, der während der Abwesenheit der Mutter das schulpflichtige Alter erreichen wird und ins ghanaische Schulsystem einsteigen soll, bleibt bei ihrem Ehemann. Regelmäßige gegenseitige Besuche sind geplant. Obwohl die Familie durch die Berufstätigkeit beider EhepartnerInnen finanziell gut situiert ist und gerade ein Eigenheim fertiggestellt hat, wird dem weiteren Bildungswunsch der Frau Priorität eingeräumt und es besteht die Bereitschaft, dessen Realisierung auch unter Bedingungen einer sozialräumlichen Trennung zu ermöglichen. Das oben erläuterte Beispiel verdeutlicht, dass eine wiederholte Migration nach der Remigration, eine sogenannte Re-Emigration,

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durchaus denkbar ist, ebenso wie Pendelwanderungen der ehemaligen RückkehrerInnen zwischen verschiedenen Länderkontexten. Eine Erfüllung der Lebensziele kann somit auch eine temporäre Rückkehr, aber auch eine plurilokale Verortung von Individuen in mehreren Kontexten bedeuten. Unter einem transnationalen Ansatz betrachtet, ist Rückkehr somit nicht mehr der Endpunkt der Migration, sondern ein fortlaufender Prozess und Teil eines zirkulären Systems sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen: „Return does not constitute the end of a migration circle […] the migration story continues“ (Cassarino 2004, S. 262). In der Befragung wurde deutlich, dass der Großteil der ghanaischen Hochqualifizierten das Bedürfnis hat, in Zukunft nicht permanent im Ausland zu leben. Die Platzierung im Statussystem des Herkunftslandes hat Priorität. Eine erneute temporäre ReEmigration wird oftmals zum Zwecke der Bildungsaneignung oder des Karriereaufstiegs verfolgt. Die Migrationserfahrungen der RückkehrerInnen tragen zur Entwicklung der benötigten Fähigkeiten bei, um eine erneute Emigration realisieren zu können. Denn ohne die Aneignung von Mobilitätskompetenz wäre dies nicht möglich. Die Mobilitätskompetenz kann somit, wie Wissen, interkulturelle Kompetenzen und der Wandel des Wertesystems, als eine durch die Migration angeeignete Ressource betrachtet werden.

4.10 W as heisst „ erfolgreiche “ R ückkehr ?: E ine A k teurszentrierte S icht weise „Erfolgreiche“ Rückkehr ist eine der primären Voraussetzungen dafür, dass RückkehrerInnen einen Entwicklungsbeitrag in den Herkunftsländern leisten. Im gegenwärtigen migrationspolitischen Diskurs wird unter einer „erfolgreichen“ Rückkehr eine nachhaltige individuelle Reintegration verstanden (vgl. Cassarino 2008). Unter Reintegration wiederum wird die Wiedereingliederung und Rückanpassung der RückkehrerInnen in das wirtschaftliche, beruf-

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liche und soziale Leben des Herkunftslandes verstanden (vgl. WUS 2006). Reintegrationskriterien von Organisationen, die Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramme durchführen, konzentrieren sich nahezu ausschließlich auf die wirtschaftliche und berufliche Wiedereingliederung der RemigrantInnen. Gezielte Maßnahmen zur Integration in den lokalen Arbeitsmarkt finden durch Stellenvermittlungen und durch Zuschüsse oder Kredite für Existenzgründungen statt. In einigen Programmen werden weitere finanzielle Hilfen angeboten (vgl. Entenmann 2002). Es fehlt bislang aber an einem ganzheitlichen Reintegrationsansatz, der auch soziale Kontakte der RückkehrerInnen einbezieht. Der Reintegrationsansatz, den mit der Durchführung von staatlichen Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogrammen befassten Organisationen zu Grunde legen, konzentriert sich dabei vorrangig auf die materiellen Umstände der RückkehrerInnen. Seine Effektivität wird theoretisch an drei Faktoren gemessen: (1) ob die RückkehrerInnen einen Arbeitsplatz gefunden haben, (2) ob sie in angemessenen Wohnverhältnissen leben und (3) ob sie persönliche Beziehungen auf bauen konnten (vgl. Koser 2001). Ein weiteres Effektivitätskriterum ist das Ausbleiben einer erneuten Migration (vgl. Pape 2007; Gent/Black 2005). Obwohl persönliche Beziehungen zu Indikatoren der erfolgreichen Rückkehr gehören, existieren in der Praxis fast ausschließlich Reintegrationsmaßnahmen, die finanzielle Beihilfen, Stellenvermittlungen und Zuschüsse bei Existenzgründungen beinhalten (vgl. Entenmann 2002). Instrumente zur Förderung sozialer Reintegration von RückkehrerInnen fehlen weitgehend. Insbesondere in Bezug auf die (Re)Migration von Hochqualifizierten ist es zudem zu bezweifeln, dass das Kriterium einer dauerhaften Niederlassung im Herkunftsland die Effektivität der Reintegrationsmaßnahmen wiedergibt. Denn berufliche Mobilität, oft verbunden mit räumlicher

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Mobilität, stellt für die hochqualifizierten ArbeitnehmerInnen eine zentrale Voraussetzung des Erfolgs dar. Remigration hat auch dann einen Nutzen für den Herkunftskontext, wenn RückkehrerInnen eine mobile Lebensweise führen (vgl. Anarfi/Jägare 2008). Zur Betrachtung der (Re)Migrationsprozesse von hochqualifizierten MigrantInnen sollte daher nicht der Reintegrationsansatz, sondern der Ansatz der Zirkulation des Wissens (Brain Circulation) genutzt werden. Dieser ermöglicht „to distinguish the issue of knowledge transfer from the physical presence of the individual migrant“ (Ackers 2005, S. 100). Soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle sowie religiöse grenzüberschreitende Netzwerke können auch nach einer erneuten Re-Emigration diverse Unterstützungsleistungen bereitstellen. Die Mobilitätskompetenz der RückkehrerInnen kann anderen potenziellen MigrantInnen Zugang zu Ressourcen sowie Informationen verschaffen. RemigrantInnen können somit auch dann einen entwicklungsfördernden Beitrag leisten, wenn sie nicht auf Dauer, sondern nur für eine gewisse Zeit in ihre Herkunftsländer zurückkehren und später erneut migrieren. Angesichts der Ergebnisse dieser Studie erscheint es notwendig, den Reintegrationsbegriff zu kritisieren. Rückkehrprozesse sind nicht nur mit Prozessen der individuellen Anpassung an die Lebensbedingungen in den Herkunftskontexten gleichzusetzen. Des Weiteren bedeutet Rückkehr nicht unbedingt, dass die AkteurInnen unweigerlich mit Problemen in ihrer Herkunftsgesellschaft konfrontiert sind, die bewältigt werden müssen. Das Konzept der Reintegration stellt den/die AkteurIn als passiv dar. Der/die AkteurIn wird von einem Länderkontext in einen anderen „zurückverpflanzt“. Das Ziel ist es, ihn „passend“ zu machen. Der Wandel der Verhaltensweisen und die Ausbildung transnationaler Identitäten müssen jedoch nicht als Defizit und Problem angesehen werden, sondern sollten als Potenziale wahrgenommen werden. Im Gegensatz zum Reintegrationsansatz verabschiedet sich das Konzept der transnationalen sozialen Unterstützung von dieser defizitorientierten Sichtweise. Dieser Ansatz unterstellt nicht, dass RückkehrerInnen sich in einer Lebenskrise befinden und sich an-

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passen müssen. RückkehrerInnen nutzen eigenständig und aktiv das soziale Beziehungsgeflecht, dass sie sowohl in Zuwanderungsland als auch im Herkunftsland aufgebaut und gepflegt haben, wirken auf diese Beziehungen und werden selbst davon beeinflusst. Erst mithilfe dieser sozialen Transfers kann das Humankapital, das gerade durch die Veränderungen im Ausland gebildet und angereichert wurde, für den Herkunftskontext genutzt werden. Geschieht dies nicht, erfolgt die so oft proklamierte und befürchtete Vergeudung des Potenzials der RückkehrerInnen (Brain Waste), indem das Wissen, die Fähigkeiten, Ideen, Werte und Einstellungen ungenutzt bleiben (siehe Kap. 5 in diesem Band). Der Prozess der Rückkehr umfasst neben der Eingliederung in das wirtschaftliche und berufliche Leben, sowie in die Kultur des Herkunftslandes weitere Dimensionen. Ein grundlegender Aspekt bezieht sich auf die eigene Wahrnehmung der MigrantInnen (vgl. Gmelch 1980). Eine wichtige Rolle in der Bewertung des Erfolgs spielt die Frage, inwieweit das Leben im Herkunftsland selbstdefinierte Bedürfnisse erfüllt und zum persönlichen Wohlbefinden beiträgt (vgl. Taylor 1976). Sind Personen mit ihrer Lebenssituation zufrieden, können sie Veränderungen in ihrem Leben akzeptieren und einleiten und haben somit Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung des eigenen Lebens (vgl. Veenhoven 1991). Unzufriedenheit mit der eigenen Rückkehrsituation ist dagegen mit dem Mangel an Entwicklungspotenzial, ungenügenden Wahlmöglichkeiten und Handlungseinschränkungen eng verbunden. Subjektive Zufriedenheit kann von den gesellschaftlichen Leitvorstellungen von Erfolg abweichen. Die Relevanz einer bestimmten Lebenssphäre für die eigene Lebenssituation z. B. des Erfolgs im Beruf kann subjektiv unterschiedlich sein. In einigen Fällen werten soziale und private Lebensumstände, wie etwa die Familienzusammenführung nach jahrelanger räumlicher Trennung, das persönliche Wohlbefinden und die Zufriedenheit des/der AkteurIn in solch einem Masse auf, dass andere Problemlagen bezüglich der klassischen Reintegrationskriterien auf ökonomischer und beruflicher Ebene als weniger bedeutend wahrgenommen werden.

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Die individuelle Zufriedenheit der RückkehrerInnen und der Einfluss von Unterstützungsprozessen sozialer Netzwerke auf diese (vgl. Schilling/Wahl 2002; Deindl 2005) sollten somit bei der Betrachtung und Bewertung von Rückkehrprozessen nicht in Vergessenheit geraten. Eine „erfolgreiche“ Rückkehr bedeutet daher, um die anfängliche Thesen aufzugreifen, nicht nur das Einbringen des erworbenen Humankapitals der RückkehrerInnen als Entwicklungsquelle, sondern zugleich die subjektive Zufriedenheit der AkteurInnen mit der eigenen Lebenssituation. Erst wenn beide Seiten profitieren, hätte die Verwendung der Bezeichnung „erfolgreich“ eine wirkliche Berechtigung. Unter solch einem akteurszentrierten Fokus wird eine erneute Migrationsabsicht nach der Rückkehr nicht mehr als Scheitern des Reintegrationsvorgangs angesehen, sondern als eine individuelle Lebensplanung in einer immer mobiler werdenden Welt. Unter einer transnationalen Perspektive sollte der Fokus weniger auf die Reintegration im Herkunftsland gelegt werden, sondern vielmehr auf die Integration, die Einbettung der Individuen in soziale Netzwerkstrukturen und auf ihren Einfluss auf zirkuläre Migrationsprozesse (vgl. Frey 2004).

4.11 L iter atur Ackers, L. (2005): Moving people and knowledge: Scientific mobility in the European Union. In: International Migration 43 (5), S. 99131. https://doi.org/10.1111/j.1468-2435.2005.00343.x Ammassari, S. (2004): From nation-building to entrepreneurship: The impact of elite return migrants in Côte d’Ivoie and Ghana. In: Population, Space and Place 10 (2), S. 133-154. https://doi.org/ 10.1002/psp.319 Anarfi, J. K./Jägare, S. (2008): Toward the sustainable return of West African transnational migrants. What are the options? In: Moser,

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5. Transnationales Wissen und Handlungsstrategien in Remigrationsprozessen1

„Coming back to Ghana … you realize that even though this is where you are from and you went away, but you realize that this is totally different. And you find it difficult to understand your own system. The system that you’ve been living in for twenty something years.“ (Jack Straw) 2

5.1 M igr ation , R ückehr und persönlicher W andel Wanderungsbewegungen von Menschen, und somit das Leben in neuen, bislang unbekannten nationalen Kontexten prägen Individuen, deren Einstellungen und Handlungen. Besonders präsent 1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation, für die der Beltz Juventa Verlag über das ausschließliche Nutzungsrecht verfügt und die Wiederverwendung mit ausdrücklicher Genehmigung erfolgt: Olivier, C. (2013a): Brain Gain oder Brain Clash? Implizites transnationales Wissen im Kontext von Rückkehr-Migration. In: Bender, D./Duscha, A./Huber, L./ Klein-Zimmer, K. (Hrsg.): Transnationales Wissen und Soziale Arbeit. Weinheim/München: Juventa. S. 181-205. 2 | Pseudonym des Interviewpartners. Zur Wahrung der Anonymität wurden sämtliche Namen verändert.

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werden der Wandel und die Veränderung, wenn Personen mit sozialen Kontexten konfrontiert werden, die vor diesen prägenden Ereignissen, nicht nur als bereits bekannt, sondern als vertraut und eigen wahrgenommen wurden. Rückkehr-Migrationsbewegungen, bei denen eine Person, zum Anfangspunkt ihrer Migration wiederkehrt, forcieren deren Konfrontation mit ihrem sozialen Umfeld 3 besonders. Migration beinhaltet die Möglichkeit zur Veränderung. Rückkehr macht diese, wenn vollzogen, sichtbar. Jacks Wahrnehmung seines Herkunftskontextes in Ghana und die Beschreibung, dass für ihn das ursprünglich „Eigene“ nur noch schwer verständlich ist, verdeutlichen die Einstellungsänderungen Jacks, die durch im Ausland stattgefundene Wissensaneignungsund Bildungsprozesse entstanden sind. Verwunderlich ist folglich, dass obwohl Migrationsprozesse und auch die Situation der Rückkehr höchst individuell erlebte Ereignisse im biographischen Verlauf darstellen, in der bisherigen Diskussion um Rückkehr-Migration und Wissen dieses nur einseitig visiert wurde: Als Fachkenntnisse und deren ökonomische sowie wirtschaftliche Relevanz für das langfristige Wachstum einer nationalstaatlichen Gesellschaft. Dabei bleiben implizite Wissensinhalte und der Umgang mit diesen von Seiten der AkteurInnen, sowie die Bedeutung von Entwicklung auf individueller Ebene bislang fast gänzlich unbeachtet, da diese für die politische Migrations- und Entwicklungsdebatte als unmaßgeblich angesehen werden bzw. diese problematisieren würden. 3 | Unter sozialem Umfeld werden vorliegend Personen und Personengruppen in der näheren sozialräumlichen Umgebung eines/einer AkteurIn verstanden. Das soziale Umfeld unterscheidet sich vom sozialen Netzwerk einer Person insofern, als dass es sich auf die territorial gebundenen, lokalen Konstellationen und somit auf einen Teilbereich des gesamten sozialen Netzwerkes eines/einer AkteurIn bezieht. Das soziale Umfeld umfasst somit eine räumliche und eine soziale Dimension. Die Bedingungen und Ausgestaltungen des sozialen Umfeldes können Einfluss auf Einstellungen, Wertorientierungen und Lebensstile der AkteurInnen haben (vgl. Bourdieu 1979).

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Mit der vorliegenden Abhandlung wird diese Forschungslücke nun aufgegriffen und aus Sicht einer akteurszentrierten Sozialen Arbeit ein Beitrag zum Arbeits- und Forschungsfeld der Rückkehrmigration geleistet, indem eine ganzheitliche Perspektive auf das Wissen von RemigrantInnen eingenommen wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Beziehung des Wissens der AkteurInnen zum jeweiligen sozialen Umfeld. Die These des Beitrages lautet, dass vor einem eventuellen Brain Gain und Entwicklungsbeitrag für den Nationalstaat zunächst ein Brain Clash für die AkteurInnen entsteht, den es aufzulösen gilt, damit die Individuen einen persönlichen Entwicklungsprozess erfahren können. Insofern zielen die Ausführungen darauf ab, den Menschen nicht nur als „Ressource“ und „Lieferanten“ von „verwertbarem“ Wissen zu betrachten, sondern die AkteurInnen in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen und nach ihrem Umgang mit und der subjektiven Bedeutung von Wissen zu fragen. In einem ersten Teil wird dazu der bislang bereits vielfach diskutierte Zusammenhang von Rückkehr-Migration und Wissen erläutert und die dominante Perspektive auf den Nationalstaat aus einem ökonomisch forcierten Anliegen von ArmutsbekämpfungsPolitiken heraus begründet. Es wird eine transnationale Perspektive auf Rückkehrprozesse als alternative Betrachtungsweise vorgeschlagen, die es ermöglicht, implizite Wissensinhalte sowie ein akteurszentriertes Entwicklungsmodell ins Zentrum zu rücken. Im Weiteren werden verschiedene Wissensformen und deren Bedeutungsebenen vorgestellt. Dabei werden die Begrifflichkeiten des expliziten und impliziten Wissens sowie des transnational angeeigneten und transnationalen Wissens erläutert und auf die individuelle und gesellschaftliche Bedeutungsebene bezogen. Im darauf folgenden Teil wird anhand empirischer Daten aus einem Forschungsprojekt der Autorin aufgezeigt, welche Wissensformen und Umgangsmuster mit diesen RemigrantInnen entsprechend ihres sozialen Umfeldes hervorbringen. Im Anschluss wird sich auf einer analytisch-reflexiven Ebene mit dem Wissen von RemigrantInnen auseinandergesetzt, indem das Verhältnis von explizitem

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und implizitem Wissen, die Weitergabe impliziten Wissens, sowie zwei zentrale Handlungsstrategien zum Umgang mit dem Brain Clash herausgearbeitet werden. Im Ausblick wird der übergeordneten Frage – welches Wissen hat Nutzen für wen? – nachgegangen und dabei die Perspektive der Sozialen Arbeit auf Rückkehrprozesse eingenommen.

5.2 R ückkehr -M igr ation

und

W issen

Die Verwobenheit von Wissen und Migration wird mit dem Fokus auf Entwicklung im politischen Bereich der Armutsbekämpfung und Entwicklungshilfe weltweit bereits seit den 1960er Jahren unter dem sogenannten Migration-Development Nexus diskutiert (vgl. Nyberg-Sørensen/Van Hear/Engberg-Pedersen 2002; Manuh 2005; Faist/Fauser/Kivisto von Palgrave 2011; siehe auch Kap. 4.1 in diesem Band). Im Zentrum der Diskussion um Migration und Entwicklung stehen von Anfang an vor allem wirtschaftliche und finanzielle Faktoren, die armutssenkend wirken sollen (vgl. Tiemoko 2004; Ballard 2005). Finanzielle Remittances der Diaspora in die Herkunftsländer werden als eine Art Entwicklungsmantra (vgl. Kapur 2004) gepriesen. Die Rückkehr von MigrantInnen ins Herkunftsland wird als einer der effektivsten Entwicklungsansätze angesehen (vgl. Ammassari/Black 2001; Black/King 2004). Strategische Ansätze promoten die Rückkehr von MigrantInnen aus Ländern des Nordens4 in die des Südens5, da die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Herkunftskontexte durch das im Ausland angeeignete Wissen angetrieben werden könne (vgl. Weltbank 1999). Die Migrations-Entwicklungsdebatte gründet dabei wesentlich auf den Modellen des Brain Drain vs. des Brain Gain (vgl. z. B. Hunger 2003). Dem Ansatz des Brain Drain, der Abwanderung von Wissen, wird dabei die Argumentation des Brain Gain, des Zugewinns von Wissen durch die 4 | Oftmals als westliche, entwickelte oder Erste-Welt-Länder bezeichnet. 5 | Oftmals als Entwicklungs- oder Dritte Welt-Länder bezeichnet.

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Rückkehr von MigrantInnen, entgegengesetzt. Beim Wettstreit um die „Köpfe“ der MigrantInnen wird dabei im Kern auf Wissen als Ressource und die Frage, welche Nation von dieser profitieren kann, fokussiert. Qualifikation und Bildung stellen in der vorherrschenden Diskussion die Schlüsselkompetenzen bei der nationalstaatlich geprägten „Jagd um das Wissen“ der MigrantInnen dar. Aus diesem Grund werden vor allem die Migrationsbewegungen von Fachkräften und BildungsmigrantInnen beleuchtet. Ausgehend von dieser makrotheoretischen6 entwicklungsfokussierten Betrachtung von Rückkehr wurden bislang auch auf mikrostruktureller Ebene vorwiegend ökonomisch geprägte Theorieansätze zur Begründung und Analyse von Rückkehrprozessen herangezogen. Neben den in den 1960er Jahren vorherrschenden ökonomisch-rationalen Erklärungsmodellen7 für Migration, entstanden in den 1970er und 1980er Jahren strukturelle Ansätze, die verstärkt das Augenmerk auf soziale Komponenten richteten und individuelle Rückkehrmotive, sowie die verschiedenen Phasen der Rückkehr betrachteten (vgl. u.a. Gmelch 1980), sich jedoch ebenfalls an der ökonomischen Dimension auf gesellschaftlicher Ebene als zentralen Bezugspunkt orientierten. 6 | In der Literatur wird zumeist zwischen mikro- und makrotheoretischen Ansätzen zur Erklärung von Migrationsbewegungen unterschieden. Mikrotheoretische Ansätze erklären Migration als individuelle Handlungsentscheidungen von Individuen, wohingegen makrotheoretische Ansätzen das Ausmaß und die Struktur von Wanderungsbewegungen auf der Basis ganzer Populationen erklären und versuchen Determinanten zu bestimmen, welche dafür ausschlaggebend sind (vgl. Haug/Sauer 2006). 7 | Der Neoklassische Ansatz vertritt dabei die These, dass Rückkehr als Resultat des Scheiterns des Migrationsvorhabens, die eigene finanzielle Situation verbessern zu können, angesehen wird (vgl. u.a. Borjas 1989). Der Ansatz des New Economic of Labour Migration (NELM) beurteilt im Gegensatz dazu, Rückkehr als Ergebnis einer erfolgreichen Migration, bei der ausreichend ökonomische Ressourcen angesammelt wurden (vgl. Stark/ Bloom 1985).

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„[D]iscussions about the relationship between migration, incorporation, and development […] focus too much on the economic at the expense of the socio-cultural. It’s as if we just get the money right, all else will follow.“ (Levitt 2011, S. 139)

Über eine verstärkte vor allem im deutschsprachigen Raum stattfindende Fokussierung der Situation nach der Rückkehr im Herkunftsland traten sogenannte „Reintegrationsprobleme“ der RückkehrerInnen in die Herkunftsgesellschaft in den Fokus, die bis heute überwiegend zur gesellschaftspolitischen Deutung von Rückkehr herangezogen werden (vgl. Winkler 1987; Meyer 1987; WUS 2006). In der weiteren Entwicklung widmen sich Forschungsansätze gezielt der Sicht der AkteurInnen auf Rückkehrprozesse und versuchen die individuellen Lebenssituationen und die gesellschaftliche Lage in der Entwicklungsdiskussion in ihrer Interdependenz zu analysieren (vgl. Martin 2005). Erst neuere empirische Studien distanzieren sich von einem entwicklungsgeprägten Blick und versuchen durch die Modelle der Transnationalität (vgl. Ley/Kobayashi 2005; Teo 2011; King/Christou 2011; Kwok-bun 2012) und der sozialen Netzwerktheorie (vgl. Salaff/Greve 2009; Ngan 2012) theoretische Neurahmungen des Phänomens der Rückkehr, um die Komplexität von Rückkehrprozessen jenseits von Eindeutigkeiten erfassen zu können. Das Konzept der Transnationalität geht dabei davon aus, dass MigrantInnen nachhaltige soziale Beziehungen auf bauen, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten und die Herkunfts- und Ankunftsregion miteinander verbinden (vgl. Basch/ Glick Schiller/Szanton Blanc 1994; Levitt/Glick Schiller 2004; Pries 2010). Die soziale Netzwerktheorie sieht das Individuum und seine Einzelbeziehungen in einen sozialen Strukturzusammenhang eingebettet, der Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Beide Ansätze, die komplementär, anstatt konträr zu betrachten sind, deuten Rückkehr nicht mehr als Ende, sondern als eine Phase im Migrationsprozess sowie als Teil eines zirkulären Systems sozialer Beziehungen (vgl. Cassarino 2004; Anarfi/Jägare 2008). Grenzüberschreitende Lebensweisen können sich somit

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in objektiver Form in der Gestalt von transnationalen Mobilitäten, Netzwerkstrukturen und Verhaltensweisen, oder mit den Worten von Levitt und Glick Schiller (2004) in Ways of Being ausdrücken. Sowie gleichsam in subjektiver Art und Weise in der Ausgestaltung von multiplen Orientierungen, Zugehörigkeiten und transnationalen Identitäten sichtbar werden – Ways of Belonging. Das Leben von MigrantInnen und auch RemigrantInnen, welches sich physisch, wie auch imaginiert, zwischen zwei oder mehreren Nationalstaaten aufspannt, prägt das Handeln, Denken und Fühlen der AkteurInnen. Die verschiedenen Wissensformen von RemigrantInnen sind unmittelbar mit diesen Ausdrucksformen verwoben. Ein Blick auf transnationale Wissensformen und eine individuelle Betrachtung von Entwicklungskonzepten in Remigrationsprozessen wurde bislang noch nicht eingenommen. Der vorliegende Beitrag möchte daher an diese Forschungslücke anknüpfen und die impliziten Wissensformen und Umgangsmuster von RemigrantInnen aus einer transnationalen Perspektive aufschlüsseln.

5.3 W issensformen und B edeutungsebenen

seine

5.3.1 Explizites und implizites Wissen Die Definition von Wissen als „Kenntnis von etwas haben“ ist die am weitesten verbreitete und die das alltägliche Verständnis prägende. Die Auffassung von Wissen als Kenntnisse, Sachkenntnisse und Know-how wird durch die Form des expliziten Wissens wiedergespiegelt. Michael Polanyi führte 1966 die im Folgenden aufgegriffene Differenzierung in explizites und implizites Wissen8 ein (vgl. Polanyi 1966). 8 | Neben impliziten und expliziten Wissen gibt es weitere mögliche Differenzierungen von Wissensformen, wie wissenschaftliches und Alltagswis-

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Explizites Wissen ist bewusst, kommunizierbar, hinterfragbar, diskutierbar, korrigierbar sowie transportierbar (vgl. Schelten 2000). Explizites Wissen ist Wissen über Sachverhalte und wird auch als Faktenwissen bezeichnet. Durch seine formalisierte Form kann es durch verfügbare Informationen erworben sowie in Lernprozessen unmittelbar vermittelt und angeeignet werden. Im Gegensatz dazu bezieht sich implizites Wissen auf inbegriffenes, mit enthaltenes, sozusagen inkorporiertes Wissen (vgl. Schelten 2000). Erfahrungen, Intuitionen, Gefühle, Ahnungen, Gewohnheiten, Überzeugungen, Wertesysteme oder Leitbilder sind implizite Wissensinhalte. Implizites Wissen ist eine „ich-nahe“ Wissensform und wird auch als „stilles Wissen“ bezeichnet, da es sich um nicht formalisierte Wissensinhalte handelt, die oft nur schwer kommunizierbar sind. Implizite Wissensinhalte lassen sich zudem nicht deckungsgleich an andere Menschen vermitteln.9 Aus diesem Grund besteht die generelle Gefahr, dass die Wissensinhalte leicht sen, individuelles und organisationales Wissen, deklaratives und prozedurales Wissen, oder Sachwissen und Handlungswissen. Ergänzend kann hier zudem der Verweis zur Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1980) gegeben werden. In dieser unterscheidet Mannheim zwischen kommunikativem und konjunktivem Wissen. Kommunikative Sinngehalte bezeichnet Wissen, welches eine abstrakte Beziehung zu den Inhalten aufbaut und somit reflexiv und erzählbar wird (vgl. explizites Wissen). Konjunktives Wissen lässt die Inhalte als selbstverständlich erscheinen, leitet Handlungen weitgehend unbemerkt und beruht auf Erfahrungen (vgl. implizites Wissen). 9 | Obwohl implizites Wissen nicht eins zu eins übertragen werden kann, ist es durchaus möglich, dass andere Menschen die eigenen persönlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen vermittelt bekommen und diese aufnehmen. Dies kann bewusst, wie auch unbewusst geschehen. Dabei müssen sich beide Seiten, die des Vermittlers und des Aneigners, nicht bedingt auf der gleichen Reflexionsebene befinden. So kann z. B. bei Handlungsabläufen von einer beobachteten Person prozedurales Wissen angeeignet werden, obwohl sich die Person, die die Handlung ausführt

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verloren gehen und nicht weiter genutzt werden können. „Stilles Wissen“ wird durch Prozesse des Wahrnehmens, Beurteilens, Erwartens, Denkens, Entscheidens und Handelns deutlich (vgl. Neuweg 2005) und ist insofern sowohl das Ergebnis von LearningBy-Doing als auch die Verinnerlichung von Idealen und Werten in einem Individuum (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997). Es ist anzumerken, dass oftmals ausgeprägte Interdependenzen zwischen beiden Wissensformen des expliziten und impliziten Wissens bestehen und diese nicht unabhängig voneinander existieren. Beide Formen sind etwa in Prozessen des Wissenstransfers und der Entstehung von neuem Wissen von hoher Relevanz. So besteht die Ansicht, dass neues Wissens nur durch das Zusammenwirken von implizitem und explizitem Wissen entstehen kann (vgl. Nonaka/ Takeuchi 1997).10 Das Augenmerk wird zudem auch auf die Transformation von einer Wissensform in eine andere gelegt.11

5.3.2 Transnational angeeignetes und transnationales Wissen Die Konfrontation mit anderen nationalen Referenzrahmen kann einen Einfluss auf die Ausgestaltung von Wissensinhalten und deren Aneignungskontexte haben. Für die spätere Analyse des nicht bewusst ist, dass sie in diesem Zeitpunkt als Wissensvermittler fungiert (wie es z. B. beim Nachahmungslernen von Kindern der Fall ist). 10 | Nonaka und Takeuch (1997) beschreiben vier unterschiedliche Wissensprozesse: Die Sozialisation, die Externalisierung, die Kombination und die Internalisierung und beziehen diese im „Modell der Wissensspirale“ aufeinander. 11 | Durch den Prozess der Externalisierung soll implizites in explizites Wissen umgewandelt werden, da das implizite Wissen von einzelnen MitarbeiterInnen auch anderen MitarbeiterInnen zugänglich gemacht werden soll. Der Prozess der Internalisierung beschreibt hingegen, dass explizite Wissensinhalte in implizite transformiert werden, um das Wissen der MitarbeiterInnen zu automatisieren (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997).

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empirischen Materials wird daher an dieser Stelle die analytische Unterscheidung in transnational angeeignetes und transnationales Wissen eingeführt. Im Ausland angeeignetes Wissen kann durch die physische Mobilität und das Überschreiten von nationalstaatlichen Grenzen als transnational angeeignetes Wissen bezeichnet werden. Die Aneignung des Wissens ist insofern transnational, als die Wissensinhalte in einem anderen Länderkontext erworben wurden, in welchem sie nach der Rückkehr angewendet bzw. gelebt werden. Dies gilt für explizite, wie auch für implizite Wissensformen. Über die Wissensinhalte und deren Ausgestaltung werden dabei keine Aussagen getroffen. Diesbezüglich wird vorgeschlagen, die Bezeichnung des transnationalen Wissens zu verwenden. Transnationales Wissen beschreibt im vorliegenden Verständnis Wissen, bei dem einerseits bei der Wissensaneignung und der Formung der Wissensinhalte ein nationalstaatlicher Referenzrahmen und dessen Spezifizität eine prägende Rolle spielen, andererseits jedoch, da eine Transformation der Wissensinhalte stattfindet, die Anwendung des Wissens und dessen Ausdrucksformen flexibel in verschiedenen nationalstaatlichen Kontexten und an die spezifischen Ausprägungen angepasst, angewendet werden kann. Transnationales Wissen beinhaltet das Prinzip von Entwicklung, Transformation und Neuentstehung. Die Wissensinhalte sind fluide, flexibel einsetzbar und modifizierbar. Die Inhalte an sich sind transnational und spannen sich über die Grenzen nationalstaatlicher Bezugsrahmen auf. Der nationalstaatliche Einfluss ist beim Erwerb und der Anwendung zwar das prägende Element, die Inhalte können jedoch losgelöst von einem spezifischen nationalstaatlichen Kontext eingesetzt werden. Transnationales Wissen kann durch die Weitergabe des Wissens von einem Individuum an andere Personen entstehen und so zu einer „transnationalen Wissensproduktion“ (vgl. Köngeter 2012) führen. Gleichsam ist eine Transnationalisierung von Wissensinhalten auch innerhalb eines biographischen Verlaufes im Rahmen der eigenen Handlungen möglich. Transnationales Wissen kann gleichsam, wie transnational angeeignetes Wissen, explizite und

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implizite Wissensinhalte beschreiben. Explizites transnationales Wissen − und demnach Fachkenntnisse − haben eine von einem anderen nationalen Kontext angeregte Modifikation erfahren. So muss z. B. das im Ausland durch das Studium angereicherte Wissen bei seiner Anwendung im Herkunftskontext oftmals an lokale Gegebenheiten angepasst werden. Solche Transnationalisierungsprozesse des Fachwissens sind Ausdruck eines kontextbezogenen Wissenseinsatzes. Implizites transnationales Wissen hingegen verweist auf das Phänomen, dass Erfahrungen und Werte einer Person durch verschiedene nationale Referenzrahmen eine Veränderung vollziehen. So entsteht durch den Akt der Migration und durch das Leben und die Erfahrungen in einem neuen nationalen Lernkontext oftmals eine Verhaltens- und Einstellungsänderung des vorhandenen Wertesystems, wodurch implizites transnationales Wissen entstehen kann. Transnationales Wissen beschreibt jedoch nicht zwangsweise Wissensinhalte, die in einem anderen Länderkontext erworben wurden, in welchem sie später Anwendung finden. Demnach kann transnationales Wissen zwar transnational angeeignetes Wissen sein, hat dies jedoch nicht zur Voraussetzung. So können transnationale Wissensinhalte auch bei nicht vorhandener Migration und dem Verweilen in einem Länderkontext, etwa durch den Einfluss anderer Personen, generiert werden.

5.3.3 Bedeutungsebenen des Wissens Neben der Unterscheidung verschiedener Wissensformen, kann die Bedeutung des Wissens auf zwei Ebenen beleuchtet werden. Wissen kann erstens individuell, sowie zweitens in seiner gesellschaftlichen Relevanz Beachtung finden (vgl. Kron 2009). Die individuelle Ebene bezieht sich auf die Tatsache, dass jedes Wissen an eine Person gekoppelt ist und vor diesem Hintergrund dem einzelnen Menschen zugesprochen wird. Neben dieser persönlichen Bedeutung kann das Wissen zudem auf einer gesellschaftlichen Ebene betrachtet werden. In dieser Perspektive, die durch den Ausdruck der „Wissensgesellschaft“ etabliert wurde, wird Wissen „als gedach-

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tes kulturelles Potenzial angesehen, das der Gesellschaft Nutzen bringt“ (Kron 2009, S. 270). Diese Bedeutung von Wissen bettet das Individuum in einen mesostrukturellen Kontext ein und fragt nach dessen Nützlichkeit für die Gesellschaft. Dem Ansatz liegt ein Akteursmodell zugrunde, welches das Handeln nutzenmaximierender AkteurInnen anvisiert. Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Ausführungen über die Wissensformen sowie über die Bedeutungsebenen von Wissen nun für die Thematik der Rückkehr-Migration ziehen? Die Explikationen erläutern die bereits zu Beginn des Beitrages angeführte These, dass im bisherigen Verlauf der Diskussion um Wissen und Rückkehr lediglich eine Wissensform, und zwar die des expliziten Wissens mit Blick auf den Nutzen des Wissens für den Nationalstaat der Herkunftsländer auf gesellschaftlicher Ebene, betrachtet wurde. Die einseitige Nutzerperspektive drückt sich exemplarisch in dem berühmten Zitat von John F. Kennedy aus: „Ask not what your country can do for you − ask what you can do for your country.“ Doch im vorliegenden Zusammenhang wird der viel gepriesene Slogan nunmehr in einem anderen Licht beleuchtet. Wer fragt danach, wie sich RemigrantInnen weiterentwickeln können? Neben dem fokussierten wirtschaftlichen Nutzen von Wissen für das langfristige Wachstum einer Gesellschaft sollte die individuelle Bedeutung von Wissen für die Entwicklung der AkteurInnen nicht in Vergessenheit geraten (vgl. Olivier 2011). In Anlehnung an Amartya Sen (1999) kann Entwicklung weitaus Anderes als kapitalistisches Wachstum und Gewinn bedeuten, nämlich die Freiheit des Menschen. Entwicklung als Freiheit beschreibt „the assessment of the alternatives between which the person can choose“ (Sen 1993, S. 34) und umfasst insofern die Möglichkeit von Verwirklichungschancen und die Entfaltung persönlicher Fähigkeiten. Zudem spiegelt explizites Wissen nur einen Teilbereich des Wissens wieder. Für eine ganzheitliche Betrachtung müssen gleichsam implizite Inhalte sowie deren transnationale Ausprägungen zur Kenntnis genommen werden.

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5.4 I mplizites tr ansnationales W issen in R emigr ationsprozessen Im Folgenden werden die impliziten Wissensformen und transnationalen Dimensionen in Rückkehr-Prozessen aus Sicht der AkteurInnen anhand empirischen Materials beleuchtet. Die empirischen Daten wurden im Rahmen des Dissertationsprojektes12 der Autorin, welches die Lebensführung sowie die transnationale soziale Einbettung von ghanaischen BildungsremigrantInnen13 aus Deutschland untersucht, von August bis Dezember 2009 in Ghana erfasst. Zur methodischen Erhebung wurden die qualitative ego-zentrierte soziale Netzwerkanalyse (SNA)14, erzählgenerierende Leitfadeninterviews sowie teilnehmende Beobachtungen herangezogen. Zusätzlich wurden ExpertInneninterviews mit zentralen VertreterInnen im Sektor der Migrations- und Remigrationspolitik in Ghana geführt.15 12 | Das Forschungsprojekt wurde im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Transnationale Soziale Unterstützung“ durchgeführt. 13 | Die Zeitspanne, die die befragten GhanaerInnen in Deutschland verbrachten, bewegt sich zwischen einem Monat und 28 Jahren. Im Durchschnitt betrug die Dauer des Aufenthaltes bis zur Rückkehr 5,7 Jahre. 78 % der interviewten Personen sind männlich und 22 % weiblich. 14 | Durch den Forschungsansatz der qualitativen ego-zentrierten SNA und des Erhebungsinstruments der ego-zentrierten Netzwerkkarte wurden die persönlichen Netzwerke der RemigrantInnen partizipativ erhoben. Zur detaillierteren Beschreibung des gekoppelten Einsatzes von haptischen und visuellen Instrumenten bei der Durchführung der SNA in der Studie siehe Olivier (2013b) (siehe auch Kap. 6 in diesem Band). Für eine allgemeine Erläuterung der qualitativen Netzwerkanalyse vgl. Hollstein (2006) und der Netzwerkkarten vgl. Kahn/Antonucci (1980). 15 | Insgesamt wurden 32 erzählgenerierende Interviews geführt, 26 visuelle ego-zentrierte Netzwerkzeichnungen angefertigt, 32 Kurzfragebögen ausgefüllt, zahlreiche teilnehmende Beobachtungen erhoben sowie fünf ExpertInneninterviews geführt. Die Auswertung erfolgte gekoppelt mit

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Deutschland stellte nicht nur in Bezug auf das Studium und die Aneignung von expliziten Fachkenntnissen, einen bedeutenden Kontext dar, sondern für viele der befragten ghanaischen RückkehrerInnen verkörpert der Aufenthalt eine prägende Zeit, in der ganz unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und mentale Veränderungen vollzogen wurden. Alle im Laufe der Analyse beschriebenen impliziten Wissensformen können demnach als transnational angeeignetes Wissen aufgefasst werden. Inwieweit der Umgang mit diesem transnational angeeigneten Wissen transnationales Wissen generieren kann, wird nachstehend anhand verschiedener Einzelfälle dargestellt. Maame Asante, die für einen dualen Masterstudiengang in Entwicklungs-Planung und Management für ein Jahr in Deutschland studiert hat, erzählt, dass die neuen Erfahrungen in Deutschland Lernprozesse angeregt und zu einer Horizont- wie auch Persönlichkeitsentwicklung geführt haben. „It was an opportunity to have other experiences. I’ve been in Ghana for a long time … Yeah, it was good […] it really broadened my horizon. When I went to Germany and I came back, I’ve learnt a lot, I have become more confident I, … I was a bit shy, because I used to be a little bit timid, I wasn’t outspoken … but with this international education and actually with meeting 30 people from 19 countries, it changed a lot about me. […] the interaction with all the people with different backgrounds was a good experience … I had different perspectives of how they think, how we relate and it was good.“ (Maame Asante)

Maame erläutert, dass der Aufenthalt in einem anderen Land für sie zunächst eine „Möglichkeit“ geboten hat, neue Erfahrungen zu machen und zu lernen. Der neue Lernkontext wird von MaaHilfe des Forschungsansatzes der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 1998) und der visuellen strukturanalytischen Auswertung der Netzwerkkarten mit Hilfe des computerunterstützenden Tools VennMaker. Für weitere Informationen siehe: http://www.vennmaker.com (18.04.2017).

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me durch die Interaktion mit Menschen aus unterschiedlichsten, ihr unbekannten Ländern begründet. Die Diversität von Perspektiven bezüglich Einstellungen und Verhaltensweisen ermöglichte ihr andere Sicht- und Denkweisen kennen zu lernen und dadurch die eigenen zu reflektieren. Durch die Anregungen von außen und den Vergleich mit dem Eigenen fanden Lern- bzw. Bildungsprozesse16 und eine damit einhergehende Horizonterweiterung statt. Die Aneignung von implizitem Wissen führte zu einer Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Aus der früheren Schüchternheit hat sich Selbstsicherheit entfaltet. Die von Maame durch den Austausch mit Personen aus anderen Nationen beschriebene Transformation zeigt ihre im Ausland durchlebte Persönlichkeitsweiterentwicklung als einen Bildungsprozess. Implizites Wissen kann dabei in Form von Erfahrungen, Überzeugungen, Wertesystemen oder Leitbildern als Gegenstand eines Bildungsprozesses angesehen werden. Der Aufenthalt in Deutschland stellt den individuellen Möglichkeitsraum17 für diesen Bildungsprozess dar. Neben dieser engen Verwobenheit von Möglichkeitsräumen, Lernerfahrungen, Bildung und implizitem Wissen, ist zudem auf die Relevanz von implizitem Wissen im Herkunftskontext in Ghana hinzuweisen. Die Weitergabe impliziten Wissens etwa spiegelt sich in bestimmten Arbeitskontexten als konkrete Aufgabe wieder. So arbeitet Kwaku Mbroh, der in einem 2,5-jährigen Studium in 16 | Das zugrundeliegende Bildungsverständnis ist angelehnt an den Bildungsbegriff Wilhelm von Humboldts. Er definiert 1792 in seiner „Theorie der Bildung“ Bildung als „die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt […] entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen“ (zitiert nach Henting 1996, S. 140). Durch die Konfrontation mit der Welt, „dem Fremden“ und dem Anderen soll der Mensch eine neue Ansicht der Welt erhalten. 17 | Unter Möglichkeitsraum wird in Anlehnung an Bourdieu (1979) die Konstellation von gesellschaftlichen Positionierungen und bestimmten Ressourcenausstattungen verstanden (S. 277).

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Deutschland einen Masterabschluss in Umwelt- und Ressourcenmanagement erworben hat, bei einer Niederlassung eines deutschen Stipendiengebers in Ghana. Dort berät er BewerberInnen, die in Deutschland studieren möchten, zu Studienmöglichkeiten und Stipendienvergabe. „I’m doing it because of the experience I had in Germany and how I can help Ghanaians who want to go and study there because I will be in a better position to do that.“ (Kwaku Mbroh)

Kwaku Mbroh vermittelt in seiner Beratertätigkeit seine Erfahrungen an GhanaerInnen, die genauso wie er in Deutschland ein Studium absolvieren möchten. „I will be in a better position“ beschreibt die Tatsache, dass sein implizites Wissen eine Ressource für die Arbeitsstelle darstellt, die nicht durch andere Personen, ohne diese Erfahrungen und Kenntnisse oder durch einen höheren Grad an explizitem Wissen kompensiert werden könnte. Dadurch ist Kwaku aufgrund seiner persönlichen Betroffenheit und seines impliziten Erfahrungswissens für die Tätigkeit qualifiziert und nicht aufgrund seines expliziten Wissens, welches er in seinem Studium des Umwelt- und Ressourcenmanagements erworben hat. Neben der Relevanz von impliziten Wissensinhalten sind vor allem die Bewertung und der persönliche Umgang der Individuen mit diesem bezüglich des sozialen Umfeldes in Ghana, von Bedeutung. So stellt die implizite Wissensweitergabe im privaten Bereich, wie das folgende Beispiel anhand von Kindererziehung zeigt, einen einflussreichen Faktor dar. Abena Ameyaw hat ihre Promotion ebenfalls in Umwelt- und Ressourcenmanagement in einem 4-jährigen Aufenthalt in Deutschland absolviert. Sie erlebte die Zeit dort gemeinsam mit ihrem ghanaischen Ehemann, der ein Fernstudium in England absolvierte, und brachte in dieser Zeit zwei Kinder zur Welt. Abena beschreibt nach ihrer Rückkehr nach Ghana den Wunsch, ihrer Tochter deutsche Sprachkenntnisse zu vermitteln.

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„My elder daughter she’s two years eight months (.) and … she was picking the language when we came […]. I really wish I could continue with her but my German now is so bad because I don’t want her to lose it … so I try to buy the DVDs in German for her and to try to get her some books in German.“ (Abena Ameyaw)

Abena möchte, dass die bereits vorhandenen Deutschkenntnisse ihrer älteren Tochter in Ghana nicht verloren gehen. Sie hegt den Wunsch, dass ihre Tochter mehrsprachig aufwächst und von dieser Ressource profitieren kann. Die Norm der Wichtigkeit der deutschen Sprache hat Abena durch ihren Aufenthalt in Deutschland erlangt. Somit hat sie sich implizites Wissen bezüglich der Bedeutung der deutschen Sprache angeeignet. Für Abena zeichnet sich der nationale Referenzrahmen hier durch die Sprache ab. Da Abena persönlich jedoch nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt, versucht sie diese durch mediale Hilfsmittel (DVD, Bücher) bei ihrer Tochter zu fördern. Abena entwickelt durch ihr implizites Wissen Handlungsstrategien, um bei ihrer Tochter das explizite Wissen der Sprache, trotz zu weniger eigener, expliziter Wissensinhalte, zu fördern und generiert dadurch transnationales Wissen bezüglich des für sie national konnotierten Spracherwerbs. Genauso, wie die Bedeutung der deutschen Sprache, beschreibt Abena ihre Vorstellung und Wichtigkeit einer bestimmten institutionellen Form der Kindererziehung und Bildung. „When I came here I was looking for a school for my daughter … because there [Germany] the way they teach is different, it’s more like teaching through playing, but here [Ghana] is different. I go to a school, nursery one or kindergarten and they are all sitting by a table and A:hh, so eventually we have to look for a Montessori school and it is very expensive.“ (Abena Ameyaw)

Abena lehnt die in Ghana vorherrschende Form, dass die Kinder bereits in frühen Jahren diszipliniert werden − „they are all sitting by a table“ −, ab und bevorzugt das Modell der Montessori-Pädago-

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gik18, welche die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt stellt, indem die Förderung der Willensbildung und die Entdeckung von eigenen Lernbedürfnisse im Zentrum stehen. Abenas Blick, der durch den Aufenthalt in Deutschland geprägt ist, zeigt nicht nur ihre Bewertung bezüglich der Unterschiede der pädagogischen Standards zwischen Deutschland und Ghana auf, sondern verdeutlicht auf Grund der hohen finanziellen Investition in eine Montessori-Ausbildung der Tochter auch ihre starke Prioritätssetzung. Der nationale Referenzrahmen wird von Abena über das vorschulische Bildungssystem definiert. Da das gängige soziale Umfeld im institutionellen Bildungsbereich der frühkindlichen Erziehung in Ghana Abena nicht die Möglichkeit bietet, ihr Bildungsideal an ihre Kinder zu vermitteln, sucht sie nach einem speziellen Umfeld, das dies trotzdem ermöglicht und findet ein solches in einem Montessori-Kindergarten. Abena entwickelt eine Strategie, um ihrer Tochter in Ghana die Möglichkeit zu eröffnen weiterhin eine ähnliche Form von Bildung zu erfahren, wie sie bereits während der Migration in Deutschland in einer dortigen Kindertagesstätte erhalten hat. Folglich versucht Abena ihr Bildungsverständnis durch das Arrangieren des sozialen Umfeldes und die Schaffung eines „Erfahrungs-Möglichkeitsraumes“19 an ihre Tochter zu vermitteln. 18 |Für weitere Informationen siehe: www.montessori.de (18.04.2017). 19 | Der Begriff des „Erfahrungs-Möglichkeitsraumes“ wurde hier in Anlehnung an die Begrifflichkeit des „Möglichkeitsraumes“ nach Bourdieu (1979) entworfen. Der Begriff der Erfahrung beschreibt dabei eine spezifische Form der Ressourcenanreicherung. Der „Erfahrungs-Möglichkeitsraum“ umfasst somit den Raum, in welchem für das Individuum die Opportunität besteht, sich durch das Machen von Erfahrungen implizites Wissen anzueignen. Durch die gezielte Schaffung einer sozialen Situation zum Zwecke des Sammelns von Erfahrungen bezeichnet der Begriff somit in Abgrenzung zu den alltäglichen und in jedem Augenblick stattfindenden Erfahrungen, eine spezifische soziale Konstellation der impliziten Wissensaneignung. Zu erwähnen ist jedoch, das auch wenn der „ErfahrungsMöglichkeitsraum“ gezielt zu einem bestimmten Zwecke initiiert wird, die

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Ihr Umgangsmuster geht dabei mit einer Transnationalisierung der bisherigen Wissensbestände einher. Ähnlich wie Abena versucht Jack Straw, der 2,5 Jahre in Deutschland verbracht hat, sein implizites Wissen bezüglich seiner Bildungsvorstellung an andere Familienmitglieder weiterzugeben. „These are the different worlds you know. Yeah but this makes ehh the world an interesting place … but you have to live in the two worlds to know how life is. Yeah if you don’t understand if you don’t travel around, you wouldn’t see what life is all about … If you just know only Germany … You don’t have life, quality of life and if you know only Africa and the way things are done in Africa you don’t know life. Now I’mplanning of getting money. My mother is 68. When she is 70 years, I am planning of sponsoring my mother to go and spend one month with my brother in the US. So she would have the opportunity to see the other world before she dies.“ (Jack Straw)

Neben Jacks persönlichem Verständnis von Bildung, dass das Reisen die Vielfalt des Lebens vermittelt und man beide Welten − Afrika und Deutschland/Europa/USA − kennen muss, damit man das Leben kennt und Lebensqualität erfährt, wird zudem deutlich, dass er seiner Mutter die Möglichkeit bieten möchte „die andere Welt“ zu erfahren, indem sie einen einmonatigen Aufenthalt bei seinem Bruder in den USA verbringt. Jack versucht, ähnlich wie Abena, zwar nicht bezüglich der Kinder-, sondern bezüglich seiner eigenen Eltern-Generation, einen Möglichkeitsraum zu schaffen, wie er ihn selbst durch seine Migration nach Deutschland erlebt hat. Im Gegensatz zu Abena kreiert er diesen jedoch nicht im nationalen Kontext Ghanas, sondern durch einen Aufenthalt in einem anderen Länderkontext. Die Schaffung eines „Erfahrungs-Möglichkeitsraumes“ stellt infolgedessen eine konkrete Umgangsform der imLern- und Bildungsprozesse bei Anreicherung impliziten Wissens individuell verschieden verlaufen und somit die spezifischen impliziten Wissensinhalte nicht gezielt erzeugt werden können.

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pliziten Wissensweitergabe in beiden Fällen im familiären Kontext dar. Ein entgegengesetztes Bild offenbart hingegen die Arbeitssituation von Jack, der in einem staatlichen Industrieunternehmen in Ghana beschäftigt ist. Diese verdeutlicht, welche Auswirkungen eine Verhinderung der Weitergabe impliziten Wissens, auf Grund des Widerstandes des sozialen Umfeldes, für die AkteurInnen haben kann. „This is the problem with those of us, who have studied outside, especially in Germany, where we learned to be sufficient, we learned how to change things, things shouldn’t be static, they should be dynamic, continually improvement, these are all systems we learned in Germany …, but here people resist and we get frustrated. […] You are coming from the Western World, you want to introduce new ideas, you are the devil. This is how we have been doing it all this thirty years or twenty years … so even they don’t want, sometimes they don’t want you ... You are working, you are receiving salary, but you are not happy.“ (Jack Straw)

Jack Straw beschreibt zunächst das implizite Wissen, welches er durch seinen Aufenthalt in Deutschland erlangt hat. Dort hat er die Denk- und Handlungsmuster, genügsam zu sein, Dinge zu verändern, Dinge als dynamisch und nicht als statisch zu betrachten und dass eine kontinuierliche Verbesserung möglich ist, erlernt. Mit diesen Einstellungsänderungen und vor allem deren Implementierung stößt er jedoch im sozialen Umfeld seines Arbeitsplatzes in Ghana auf Gegenwehr. Die RückkehrerInnen werden als Problem wahrgenommen, denn sie wollen neue Ideen aus der „Western World“ einführen und stehen demnach für Veränderungen und Wandel. Im Gegensatz dazu werden die bislang vorherrschenden Abläufe vom Personal bevorzugt. Jack beschreibt, dass die Gruppe der BildungsremigrantInnen demnach als „Teufel“ angesehen werden. Den Konflikt zwischen neuen Ideen, die er einbringen möchte, und den verhärteten Strukturen in seinem Arbeitsumfeld im staatlichen Sektor in Ghana muss Jack aushalten. Der Widerstand des sozialen Um-

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feldes führt zur Frustration, die die finanzielle Entlohnung nicht ausgleichen kann. Seine Arbeitsrealität macht Jack nicht glücklich. Er zeigt zwar Unverständnis bezüglich der Reaktion seines Arbeitsumfelds auf sein erworbenes explizites und implizites Wissen, versucht dieses jedoch nicht aktiv zu verändern. Vielmehr steuert Jack seine Bemühungen dahingehend, ein anderes soziales Umfeld zu kreieren, um das Spannungsverhältnis zwischen seinem impliziten Wissen und dem konkreten Arbeitskontext aufzulösen. „To find a job or to pursue PhD and come back to lecture. […] I won’t be in any industry and ehh be a consultant in my field. Then I will be on my own. Lecture and be on my own, I don’t need anybody to employ me.“ (Jack Straw)

Als präferierte Zukunftsoption visiert Jack den Erwerb eines Doktortitels im Ausland und eine erneute Rückkehr nach Ghana an. Ihm ist bewusst, dass eine weitere Bildungsmigration das vorhandene Spannungsverhältnis nach der Rückkehr nicht auflösen wird. Daher strebt er eine Berater- und Dozententätigkeit in Ghana an. Als selbstständiger Berater und Dozent an der Universität wäre er nicht mehr auf die strukturellen Gegebenheiten des staatlichen Wirtschaftssektors in Ghana angewiesen. Dabei beinhalten beide angestrebten beruflichen Tätigkeiten im Kern den Grundgedanken der Wissensvermittlung (Beratung und Lehre). Jack möchte sich in Ghana einen eigenen Raum schaffen, wo er sein erworbenes explizites und implizites Wissen einsetzen kann und wo er von dem für ihn als problematisch erscheinenden sozialen Umfeld nicht direkt betroffen ist − „I will be on my own“. Wie auch Abena, die auf der Suche nach einer institutionellen Erziehungseinrichtung in Ghana ist, die ihrem Ideal entspricht, sucht Jack nach einem Arbeitsumfeld in Ghana, welches ihm ermöglicht, seine als nationalstaatlich angesehene Bildungsvorstellungen zu bewahren, umzusetzen und weiterzuentwickeln.

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Dabei werden in beiden Fällen „Nischen“ im nationalen Container Ghana gesucht und bewusst geschaffen, die die Erfüllung individualistischer Bedürfnisse, die vom Kollektivismus nicht ausreichend geleistet werden, ermöglichen und die Verhaltensänderungen sowie den Werte- und Normenwandel „lebbar“ machen. Durch dieses Umgangsmuster mit dem erworbenen Wissen wird transnationales Wissen hergestellt. Insofern verkörpern die „Nischen“ eine eigene Gestaltung des konkreten sozialen Umfeldes und können für die ghanaischen RückkehrerInnen eine Rückzugsmöglichkeit innerhalb der etablierten Strukturen in Ghana darstellen. Ein anderes Umgangsmuster mit impliziten Wissensinhalten, das sich durch die generelle Akzeptanz des sozialen Umfeldes in Ghana auszeichnet und an dessen Anpassung orientiert, beschreibt Kwame Asare, der 6,5 Jahre in Deutschland gelebt hat und als Forscher in einer Nichtregierungsorganisation in Ghana tätig ist. „To reintegrate, you’ve come back, you’ve been out there, everything changed, the way you speak, the way you talk and the way you do everything, so it was getting back your Ghanaian gloves on.“ (Kwame Asare)

Kwame benutzt den Begriff der „Reintegration“, um den Umgang mit den Veränderungen seiner Person, die Sprache, die Art zu reden, die Art Dinge zu machen, in Ghana zu beschreiben. Dabei besteht seine Aushandlung darin, dass Kwame „seine ghanaischen Handschuhe“ wieder anzieht. Mit den Handschuhen sollen seine Veränderungen, sein implizites Wissen, verdeckt werden, da das Rückgängigmachen von Normänderungen und Wertsystemen in einem Bildungsprozess nicht einfach möglich ist. Sie bestehen unter der Oberfläche weiterhin, aber das „Ghanaische“ soll diese verschleiern. Da die Handschuhe die gleiche Gestalt wie das soziale Umfeld Ghanas aufweisen, dienen sie als eine Art „Tarnkappe“. Neben dieser Funktion erfüllen Handschuhe zudem die Funktion des Schutzes, wie z. B. vor Kälte oder Schmutz. Folglich schützen die

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Handschuhe das darunter Verborgene vor der Umwelt – vor Widerständen, Diskrepanzen und Auseinandersetzungen. Dabei sind es nicht irgendwelche Handschuhe, sondern „seine“ persönlichen, die Kwame auch schon vor der Migration nach Deutschland in Ghana getragen hat. Folglich bedarf der Prozess der Reintegration Kwames Ansicht nach, dass man – nach außen hin – wieder den persönlichen Zustand herstellt, der vor der Migration bestanden hat. Dies bedeutet, dass die impliziten Wissensinhalte, die Erfahrungen, Verhaltensänderungen und Überzeugungen, die durch die Migration erworben wurden, getarnt werden sollen, damit sie für das soziale Umfeld unerkannt bleiben und mit diesem nicht kollidieren können. Abena Ameyaw benutzt zur Beschreibung des Wissensanpassungsprozesses an das soziale Umfeld in Ghana eine andere Metapher. „My husband is always complaining that there [Ghana] is no water, electricity is not efficient […] he is always complaining this should be this, this should be this […] and I just tell him this is Ghana just switch your mind, you have to get used to things.“ (Abena Ameyaw)

Abenas Ehemann beklagt sich nach seiner Rückkehr nach Ghana über die lokalen Umstände der Strom- und Wasserversorgung, weil er in Deutschland andere Standards kennenlernte und gewohnt war. Sein implizites Wissen führt zu einer Kritik und Ablehnung der lokalen Gegebenheiten in Ghana. Da ihr Ehemann auf die äußeren strukturellen Umstände jedoch nicht einwirken kann, ist Abenas Problemlösung die Akzeptanz, Anpassung und Gewöhnung an das soziale Umfeld in Ghana. „Just switch your mind“ empfiehlt sie ihm und beschreibt damit den Vorgang, einfach den Schalter der Gedanken bzw. des Wissens umzulegen und zu akzeptieren, dass man sich in Ghana und nicht in Deutschland unter anderen Gegebenheiten befindet. Dabei muss das Wissen angepasst werden, indem durch das Umschalten die alten Wissensinhalte, die vor der Migration bestanden und sich auf den Kontext Ghana beziehen, hervorgerufen, sozusagen reaktiviert werden. Die Metapher des Schalters

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verdeutlicht auch in diesem Fall, dass das neu erworbene implizite Wissen nicht abgelegt wird, sondern dass es auf der anderen Seite des Schalters weiterhin besteht, verfügbar und nur nicht aktiv ist. Die beschriebenen Umgangsformen bezüglich der Anpassung von implizitem Wissen an das soziale Umfeld in Ghana verfolgen einerseits durch die „Handschuh-Strategie“ die Tarnung des in Deutschland erworbenen impliziten Wissens und andererseits durch das „Umlegen des Gedankenschalters“ die Aktivierung von alten impliziten Wissensinhalten aus Ghana. Beide Umgangsformen bringen demnach transnationale Wissensinhalte hervor.

5.5 Z ur B edeutung

von und dem U mgang mit implizitem tr ansnationalem W issen durch R emigr ant I nnen

Zusammenfassend kann über die Bedeutung von implizitem transnationalem Wissen, wie Überzeugungen, Verhaltensänderungen sowie Norm- und Wertewandel, festgehalten werden, dass Deutschland den Möglichkeitsraum zu Aneignung dieses Wissens bildete. Dabei werden die Erfahrungen in einem neuen Umfeld oftmals als Lernprozess, Horizonterweiterung, Persönlichkeitsentwicklung und Bildungsprozess von den AkteurInnen beschrieben. Die Bedeutung des impliziten Wissens wurde anhand der empirischen Beispiele von Maame Asante, Kwaku Mbroh, Abena Ameyaw, Jack Straw und Kwame Asare beschrieben. Im Folgenden sollen die zentralen Erkenntnisse gebündelt festgehalten werden. (1) Das Verhältnis von implizitem und explizitem Wissen. Die Elaboration des Verhältnisses von implizitem und explizitem Wissen hat im Falle Kwakus gezeigt, dass sein implizites anstatt seines expliziten Wissens bei seiner Beratungstätigkeit für einen Stipendiengeber relevant ist. So kann auch implizites Wissen, welches durch die Migration erworben wurde, als Qualifikationskriterium und Ressource im Arbeitssektor fungieren und RückkehrerInnen können

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als eine Art WissensvermittlerInnen, sogenannte Broker, auftreten. Implizites Wissen, welches dem Akteur/der Akteurin bewusst-reflexiv verfügbar ist, kann zudem zu strategischen Umgangsformen bezüglich des Ausgleichs von eigenen nicht vorhandenen expliziten Wissensformen führen. So ermöglicht Abenas implizites Wissen über die Wichtigkeit der Sprache ihr, auf Grund eigener nicht ausreichender expliziter Kenntnisse, mediale Hilfsmittel zum expliziten Wissenserwerb der Tochter heranzuziehen. Obwohl die Differenzierung in explizite und implizite Wissensinhalte auf analytischer Erkenntnisebene zunächst sinnvoll ist, wurde deutlich, dass die Formen in der Empirie nicht immer klar abgrenzbar sind und die Trennlinien unscharf verlaufen. So stößt im Falle Jacks sein gesamtes Wissen, also implizite sowie explizite Wissensinhalte, auf Widerstand seines derzeitigen Arbeitskontextes und auch seine präferierte berufliche Tätigkeit als Dozent und Berater in Ghana wird aufgrund der Möglichkeit der generellen Anwendbarkeit seines Wissens von ihm angestrebt. Im Weiteren sind etwa Wertesysteme und Überzeugungen, die dem Bereich des impliziten Wissens zuzuordnen sind, zwar einverleibt, können jedoch auch dem Individuum bewusst und gleichsam, wie das explizite Wissen kommuniziert, hinterfragt, diskutiert, korrigiert und vermittelt werden, wie der folgende Abschnitt zeigt. (2) Weitergabe impliziten Wissens. Wenngleich implizite Wissensinhalte nicht in vorhandener Form gezielt und deckungsgleich übertragen werden können, entwickeln die RemigrantInnen Strategien, um die Wissensweitergabe dieser zu ermöglichen. Die Schaffung eines „Erfahrungs-Möglichkeitsraumes“ ist dabei für die generationenübergreifende Vermittlung von Erfahrungen und Bildungsvorstellungen von entscheidender Bedeutung. So möchte Abena finanziell in den Montessori-Kindergarten für ihre Tochter in Ghana investieren, um ihr ein entsprechendes Bildungsideal zu vermitteln und Jack möchte seiner Mutter einen einmonatigen Auslandsaufenthalt bei seinem Bruder in den USA finanzieren. Beides sind mitunter Beispiele für eine transnationale Wissensgenerierung.

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(3) Handlungsstrategien zur Auflösung des Brain Clashs. Die empirischen Beispiele verdeutlichen einen oftmals spannungsvollen Aspekt zwischen den im Ausland transnational angeeigneten Wissensformen der AkteurInnen und dem sozialräumlichen Umfeld in Ghana. Da die Personen des sozialen Umfeldes in Ghana oftmals nicht das gleiche Wertesystem wie die RemigrantInnen vertreten, nehmen sie die neuen Ansichten und Impulse nicht als Bereicherung und Lernerfahrung, sondern vielmehr als einen Störfaktor wahr. Das implizite Wissen, die Verhaltensänderungen sowie der Werte- und Normenwandel der RückkehrerInnen, die durch die Migration in Deutschland erworben und angeregt wurden, können im sozialen Umfeld in Ghana nicht in derselben Form wie in Deutschland angewendet und vermittelt werden. Ein Brain Clash für die AkteurInnen entsteht. Dabei können resümierend zwei zentrale Handlungsstrategien im Umgang mit implizitem Wissen und dem sozialem Umfeld identifiziert werden: Anpassung an das soziale Umfeld durch Tarnung/Deaktivierung des •  Wissens. Die RückkehrerInnen passen in ihren Umgang das im Ausland erworbene Wissen an das strukturelle soziale Umfeld im Herkunftsland an. Dabei werden die neuen angeeigneten Wissensinhalte aus dem Ausland getarnt und/oder deaktiviert, wobei Inhalte des alten Herkunfts-Referenzrahmens aktiviert werden, die mit dem sozialen Umfeld konform gehen. Dabei wird das transnational angeeignete Wissen nicht ausgeübt und weitervermittelt. Kwame versucht durch die „HandschuhStrategie“ seine impliziten Wissensinhalte in Ghana zu tarnen und Abena empfiehlt ihrem Mann das „Umlegen des Gedankenschalters“ zur Deaktivierung. Durch die Tarnung/Deaktivierung des impliziten Wissens werden die Inhalte jedoch nicht gelöscht, sondern sie werden sozusagen konserviert und sind in gewissen Situationen (z. B. beim Zusammentreffen mit anderen ghanaischen RemigrantInnen aus Deutschland) verfüg- sowie abruf bar. Neben der Deaktivierung von implizitem Wissen führt jedoch gerade die Entwicklung dieser Handlungsstrate-

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gie zu einem aktiven Einsatz von diesem und zu einer Generierung von transnationalem Wissen. Denn die Erkenntnis, dass es in unterschiedlichen nationalen Kontexten unterschiedliche Handschuhe bedarf und unterschiedliche Schalter aktiviert werden müssen, wurde durch die Migrationserfahrung gewonnen.  nwendung des impliziten Wissens durch Gestaltung des sozialen • A Umfeldes. Bezüglich des Wissenseinsatzes in Ghana wird zudem das Modell der „Nischenbildung“ im nationalen Container verfolgt, um die eigenen Interessen und Ideale verfolgen zu können und die Kollision von implizitem Wissen und dem sozialen Umfeld zu verhindern. Das soziale Umfeld wird in der vorherrschenden Weise zwar akzeptiert und es werden keine Erwartungen bezüglich gesamtgesellschaftlicher Veränderungen gestellt, jedoch wird versucht, das konkrete soziale Umfeld nach den persönlichen Bedürfnissen zu arrangieren. Bestimmte Kontexte des Umfeldes, die am ehesten das Ausleben des eigenen impliziten Wissens ermöglichen, werden gezielt aufgesucht, genutzt oder eigenständig kreiert. So kann Abena ihr implizites Wissen und ihre Bildungsvorstellung durch die Form des Montessori-Kindergartens an ihre Tochter weitergeben, obwohl das in Ghana gängige frühkindliche Betreuungssystem ihr dieses nicht ermöglicht. Jack strebt durch seine Selbstständigkeit und die Arbeit an einer Universität an, sich den für ihn nicht akzeptierbaren Strukturen des staatlichen Wirtschaftssektors Ghanas entziehen zu können und sich seinen Wunsch, seine expliziten, wie auch impliziten Wissensbestände anwenden und vermitteln zu können, dadurch zu realisieren. Demnach wird die Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld durch die Schaffung von „Nischen“ und Möglichkeitsräumen zum eigenen Vorteil arrangiert und dadurch wird transnationales Wissen produziert. Dies ermöglicht nicht nur den aktiven Einsatz und die Auslebung der impliziten Wissensinhalte, sondern gleichsam eine Fortführung des im Ausland angeregten individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozesses.

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Unter einer Akteursperspektive ist durch die beschriebenen Handlungsstrategien der Anpassung an und Gestaltung des sozialen Umfeldes nach der Rückkehr in Ghana ein passives und aktives Beibehalten von bewussten 20 impliziten Wissensinhalten möglich. Beide beschriebenen Handlungsstrategien laufen oftmals gleichzeitig, in verschiedenen Lebensbereichen einer Person ab und stellen zentrale Ressourcen bezüglich der Lebensgestaltung dar. So können Prozesse der Anpassung an das soziale Umfeld durch Tarnung spezifischer Einstellungen parallel zur Umgehung einer Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld durch die Schaffung von alternativen Möglichkeitsräumen stattfinden. Es kommt zur Generierung von transnationalem Wissen, welches sich dadurch auszeichnet, dass unterschiedliche Handlungsstrategien greifen, um in einem bestimmten sozialen Umfeld interagieren, kommunizieren und insgesamt handeln zu können.

20 | Auch, wenn das bewusst-reflexive Wissen, wie etwa Werte und Normen eher unverändert bleiben, finden stetig durch Erfahrungen, Erlebnisse und Handlungen auf alltäglicher Ebene im nationalen Kontext Ghanas vielfältige implizite Wissensaneignungsprozesse statt und transnationalisieren das im Ausland angeeignete implizite Wissen. Diese Änderungen, die auf latenter Weise stattfinden, entziehen sich jedoch der konkreten Einflussnahme der RückkehrerInnen. Die Veränderung alter Inhalte zeigt sich dabei etwa in der Herstellung von Handlungswissen und alltäglichen, kontextbezogenen Umgangsformen mit diesem. Diese automatisch auf individuelle Weise ablaufenden Prozesse sind jedoch nicht als strategische Umgangsmuster der AkteurInnen zur Auflösung des Brain Clashs zu verstehen. Jedoch kann das Ausmaß der automatisch stattfindenden Wissenstransnationalisierung die Empfindung des Brain Clashs beeinflussen.

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5.6 W elches W issen hat N utzen für D ie P erspek tive S ozialer A rbeit auf R ückkehrprozesse

wen ?

Vor dem Hintergrund der hier diskutierten Ergebnisse möchte ich den Beitrag mit einem Blick Sozialer Arbeit auf Rückkehrprozesse abschließen. Die Förderung der Rückkehr ist bereits seit Anfang der 1980er Jahre durch das so genannte Rückkehrhilfegesetz ein allgemeines Ziel der staatlichen Ausländerpolitiken der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Organisation und Konzeptualisierung von bestimmten Programmen, sogenannten „Rückkehrförderungsprogrammen“, soll der Prozess der Rückkehr gerahmt und unterstützt werden. Obwohl die Rückkehr-Programme durch die Gestaltung von Hilfsangeboten in einer prekären Lebenssituation die Lebensgestaltung von AkteurInnen zu stärken, wiederherzustellen und zu sichern versuchen und dies dem Grundprinzip einer institutionellen Sozialen Arbeit entspricht, ist das Feld bislang kaum von der Praxis Sozialer Arbeit als sozialarbeiterisches Tätigkeitsfeld wahrgenommen worden. Im wissenschaftlichen Kontext gibt es zwar Evaluierungen und Studien bezüglich der Effektivität der bestehenden Programme, doch auch hier fehlt bislang eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in der Disziplin Sozialer Arbeit. Daher möchte ich im Folgenden abschließend einen sozialpädagogischen Blick auf den Rückkehrprozess werfen und die Disziplin sowie Profession Sozialer Arbeit für dieses Forschungs- und Tätigkeitsfeld öffnen. Meine Anregungen sind dabei, als Konsequenz meiner Ergebnisse, als erste Schritte zur Beleuchtung von Rückkehr unter der Perspektive Sozialer Arbeit zu verstehen. Bislang wurden das Wissen und dessen Formationen in Rückkehr-Bewegungen hauptsächlich aus der Nutzungsperspektive für den Nationalstaat betrachtet und aufgrund der profitablen ökonomischen Verwertbarkeit der Blick fast ausschließlich auf explizite Wissensformen gelenkt. Neben der Brain Drain/GainDebatte, die durch ihre starke Popularität regelrecht zu einer Art Development Mantra herangereift ist (vgl. Kapur 2004), beschreibt

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die Bezeichnung des Brain Waste (vgl. Hardy 2010) bereits genau dieses Spannungsverhältnis zwischen äußeren Gegebenheiten des Nationalstaates und inneren Prozessen der Individuen. Nämlich die Vergeudung des Potenzials der RückkehrerInnen, indem das Wissen und die Fähigkeiten ungenutzt für die wirtschaftliche Entwicklung des Herkunftslandes bleiben. Der viel proklamierte Brain Waste für den Nationalstaat entpuppt sich bei der Einnahme einer Individuumsperspektive Sozialer Arbeit zunächst zu einem bislang unterbeleuchteten Brain Clash für die AkteurInnen. „Returnees may be faced with social pressures or feel marginalised by their own origin society, while at the same time trying to negotiate their places in society without denying their own specificities“ (Cassarino 2004, S. 264). Ihre individuelle Eigentümlichkeit in Form ihres vielfältigen Wissensspektrums versuchen die RückkehrerInnen zu bewahren und die impliziten Formen, die ihnen reflexiv-bewusst sind nicht abzulegen, sondern mit diesen umzugehen. Durch die eigene Wissensaneignung und den vollzogenen Bildungsprozess in Deutschland möchten die RückkehrerInnen auch in Ghana weiterhin eine Wissensanreicherung sowie die Weitergabe ihres Wissens erreichen, um einen persönlichen Entwicklungsprozess erfahren zu können (vgl. Sen 1993). Die Entwicklung des Wissens ist somit nie abgeschlossen und es werden auch die im Ausland erworbenen Inhalte nicht lediglich konserviert, sondern der innere Maßstab, der im Ausland der adäquate war, bedarf im Herkunftsland einer neuen Ausrichtung und eines „sich entwickeln Lernens“ (vgl. Novy 2007). Transnationales Wissen entsteht. Eine Entwicklung kann sich somit nicht nur auf sozialstruktureller Ebene der Herkunftsländer, sondern gleichsam auf individueller Ebene der AkteurInnen vollziehen. Der kapitalistische Entwicklungs-Fokus und die Propagierung des Brain Gain-Ansatzes für den Nationalstaat greifen demnach unter einer sozialpädagogischen Perspektive für die Bedürfnisse der RückkehrerInnen zu kurz. Politische Rahmungen und soziale Unterstützungsprozesse von Rückkehrförderungsprogrammen

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sollten sich unter der Einnahme einer Akteursperspektive an den Bedürfnissen von RemigrantInnen orientieren, anstatt eine nationalstaatliche Ausrichtung zu forcieren. Entsprechend dieser Perspektive ist Wissen ein nicht veräußerlichtes Gut an Sich und der Mensch wird nicht auf seine Funktion als Wissensträger reduziert. Eine akteursfokussierende Perspektive Sozialer Arbeit könnte zum Einen das ganzheitliche Potential der RückkehrerInnen erfassen und eine stärkere Anerkennung dieses forcieren und zum Anderen für Schwierigkeiten und Herausforderungen in Rückkehrprozessen sensibilisieren. Es bedarf somit einer ganzheitlichen Betrachtung von Rückkehr-Migrationsprozessen und eines sozialpädagogisch geprägten Perspektivenwechsels, der den Nutzen und die Entwicklung der AkteurInnen und nicht lediglich die von Nationalstaaten fokussiert. Bestandteil davon wäre, dass implizites Wissen – individuell inkorporiertes Wissen − der AkteurInnen verstärkt Beachtung findet, da dieses, wie die empirischen Daten gezeigt haben, einen wesentlichen Einfluss auf das Individuum und seine Orientierungen hat. Durch den bisherigen entwicklungspolitischen Fokus auf explizites Wissen und den anvisierten Lösungsansatz der „Reintegration“ (siehe Kap. 4.10 in diesem Band) von RückkehrerInnen soll der Brain Clash durch Einordnung und Assimilation bezüglich des Herkunftskontextes aufgelöst werden. Dieser Ansatz wird als Schlüssel betrachtet, damit das explizite Wissenspotential – Fachwissen − von BildungsremigrantInnen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Nationalstaates beitragen kann. Ein Teil des erworbenen Wissens, das implizite Wissen, wird dabei als unangenehme Begleiterscheinung betrachtet, die es zu entwerten und rückgängig zu machen gilt. Explizites Wissen soll demnach durch das Auslöschen von implizitem Wissen wirksam werden. Jedoch sind Wissensformen weder einfach löschbar, noch gegeneinander ausspielbar, denn sie sind wesentliche Bestandteile des Individuums. Auch muss implizites Wissen keineswegs anpassungshemmend wirken: „The process of adaptation does not entail the abandonment of the identities they acquire abroad“ (Cassarino 2004, S. 262; vgl. auch Nawrath 2001).

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Implizite Wissensinhalte, die Erhaltung von transnationalen Identitäten sowie Zugehörigkeiten und die Anpassung an sowie die aktive Gestaltung des sozialen Umfeldes in Rückkehrprozessen sind somit keine Gegensätze. Der kombinierte und flexible Umgang mit diesen in Form von strategischen De-/Reaktivierungsprozessen von impliziten Wissensinhalten zum Umgang mit dem sozialem Umfeld im Herkunftskontext ist vielmehr Ausdruck einer transnationalen Wissensgenerierung der RückkehrerInnen. Im Sinne des Ansatzes „Krise als Chance“ kann aus dem spannungsgeladenen Brain Clash demnach ein in erster Linie für die AkteurInnen gewinnbringender Brain Gain entstehen.

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6. Haptische und digitale Tools in der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse1

6.1 S tand der qualitativen N e tz werkforschung Die soziale Netzwerkanalyse hat sich innerhalb der empirischen Sozialforschung in den letzten Jahren merklich weiterentwickelt. Dominierten bisher formale Formen der Netzwerkanalyse, die auf quantitativen Analysen und Berechnungen der Netzwerkstrukturen beruhen, so ist im letzten halben Jahrzehnt die Zahl der qualitativen Studien enorm angestiegen (vgl. Hollstein/Straus 2006). Fokussiert wurde im Bereich der qualitativen Netzwerkanalyse (QNA) bislang vor allem auf die Ebene der Datenerhebung, für die verschiedene Instrumente und Vorgehensweisen angeboten werden. Dabei finden Verfahren Anwendung, die sich in Beratungskontexten im psychologischen und sozialen Bereich oder auch in Feldern der Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Venn Diagramm; Kronenwett/Schönhuth 2014) bewährt haben. Gemeinsam ist den 1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation: Olivier, C. (2013): Papier trotz Laptop? Zur wechselseitigen Ergänzung von digitalen und haptischen Tools bei der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse. In: Schönhuth, M./Gamper, M./Kronenwett, M./Stark, M. (Hrsg.): Visuelle Netzwerkforschung – Quantitative, qualitative und partizipative Zugänge. Bielefeld: transcript, S. 99-119.

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Verfahren, dass sie in der Regel eine Kopplung von qualitativen Interviews und Netzwerkvisualisierung anbieten, wobei eine große Spannbreite von offenen bis hin zu standardisierten Tools vorhanden ist. Neben strukturierten Netzwerkkarten (NWK), die zumeist die interpersonale Umgebung eines/einer AkteurIn erfassen, also ego-zentriert aufgebaut sind (vgl. Boissevain 1979), und die mittels Papier und Stift oder auch mit Reißzwecken umgesetzt werden, gibt es offenere Verfahren, die entweder mit freien Zeichnungen von Hand auf Papier, als Legeverfahren mit Karten oder auch als Steckverfahren mit Figuren (vgl. Net Map; Schiffer 2007) arbeiten (vgl. Straus 2002; Hollstein/Pfeffer 2010; Schönhuth 2013). Bei der Durchführung der qualitativen Netzwerkanalyse bezieht sich die zentrale Frage vor allem darauf, wie der partizipative Gedanke in der Erhebungssituation umgesetzt und dabei die akteursspezifische Wahrnehmung und Bewertung adäquat eingefangen werden kann. Neben der Fokussierung auf die Erhebung von Netzwerken ist die systematische Auswertung der Netzwerkdaten ein weiterer Bestandteil des Ansatzes der QNA. Die Betrachtung der Auswertungsmethodiken ist jedoch bislang ein kaum thematisierter Gegenstandsbereich, was sich vor allem an der fehlenden Entwicklung eines für die Zwecke der QNA geeigneten Verfahrens zeigt. Es werden bislang klassische qualitative, sozialwissenschaftliche Auswertungsstrategien, wie z. B. die Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2000), die objektive Hermeneutik (vgl. Oevermann et al. 1979), die Auswertung nach dem Forschungsansatz der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996; Glaser/Strauss 1998) oder die biographischinduktive Analyse (vgl. Schütze 1983) herangezogen, um die Narrationsteile der QNA zu analysieren. Für eine Auswertung der Visualisierung, die neben Einzelbeziehungen den Fokus zudem auf die strukturelle Dimension legt, werden quantitative Verfahren verwendet, die mit Hilfe von netzwerkbezogenen Maßzahlen z. FB. die Zentralität, die Netzwerkdichte, die Multiplexität und den Kohäsionsgrad berechnen sowie Sub-Gruppen, Cliquen und Cluster wie auch Brücken und Hubs identifizieren (vgl. Jansen 2000). Durch die Datentriangulation von mathematischen Methoden

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der formalen Netzwerkanalyse und interpretativen Verfahren der qualitativen Sozialforschung (vgl. Engler 1997) entstehen jedoch sogenannte Mixed Methods Designs (vgl. Hollstein/Straus 2006). Es ist somit neben der numerischen und objektiven Bewertung der Netzwerkvisualisierungen ein deutliches Defizit bei qualitativ-beschreibenden Verfahren von Netzwerkformationen zu registrieren. Die Entwicklung eines eigenen sukzessiven Analyseverfahrens der QNA, welches das Spannungsverhältnis von Narration (Interview) und Struktur (Visualisierung) aufzulösen vermag, ist bis dato nur wenigen geglückt (vgl. Herz/Peters/Truschkat 2015), was mitunter dem Mangel an geeigneten technischen Arbeitsmitteln geschuldet sein kann . Die technische Entwicklung wurde in den letzten Jahren jedoch verstärkt vorangetrieben. Es wurde an der Etablierung geeigneter computergestützter Tools für die Erhebung, die Darstellung wie auch die Analyse von Netzwerken gearbeitet. Die Tools VennMaker2 und EgoNet.QF3 sind zurzeit die dafür auf dem deutschen Markt existierenden Programme. Damit stellen sie im deutschsprachigen Raum die ersten technischen Hilfsmittel dar, die als Erhebungsinstrumente in der Netzwerkforschung und nicht nur wie bisher als mathematische Analyse- und zumeist Visualisierungstools genutzt werden können (vgl. UCINET; Borgatti/Everett/Freeman 2002). Die Instrumente ermöglichen neben den Errungenschaften auf der Erhebungsebene auch eine detailliertere Betrachtung der erhobenen Daten in der Auswertung. Somit könnten die digitalen Tools gleichsam dazu dienen, in der triangulativen und qualitativen Datenauswertung neue Wege zu beschreiten. Trotz der Innovationen bestehen jedoch auch weiterhin gute Gründe für die Entscheidung 2 | VennMaker wurde von einer Forschungsgruppe der Universität Trier und Mainz entwickelt. Für weitere Informationen siehe: http://www.vennmaker.com (18.04.2017). 3 | Das Tool EgoNet.QF wurde in einem Methodenprojekt zwischen den Universitäten Wien, München und Hamburg konzipiert. Für weitere Informationen siehe: http://www.pfeffer.at/egonet (18.04.2017).

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traditionelle haptische Methoden bei der Erhebung wie auch der Analyse qualitativer Netzwerkdaten heranzuziehen. Der vorliegende Beitrag demonstriert am Beispiel einer Studie zur transnationalen Netzwerken und „Migrationsbiographien“4 von BildungsremigrantInnen eine gekoppelte, sich wechselseitig ergänzende Anwendung von digitalen und haptischen visuellen Elementen zu unterschiedlichen Zeiten des Forschungsprozesses und diskutiert die jeweiligen methodischen Möglichkeiten und Grenzen für die qualitative soziale Netzwerkanalyse.

6.2 D ie

empirische

S tudie

Die Ausführungen des vorliegenden Beitrages basieren auf den methodischen Erfahrungen, die im Rahmen eines Forschungsprojektes gesammelt wurden, das ghanaische RemigrantInnen aus Deutschland untersucht. Die empirischen Daten der Untersuchung, die im Kontext eines Dissertationsprojektes am DFG-Graduiertenkolleg „Transnationale Soziale Unterstützung“5 angesiedelt war, wurden von August bis Dezember 2009 in Ghana erhoben. 4 | Der Begriff der „Migrationsbiographie“ wird umfassend für die Beschreibung der Migrationsgeschichte verwendet. Dieses zugrundeliegende Verständnis und die methodische Umsetzung unterscheiden sich dabei prinzipiell von dem Ansatz der rekonstruktiven Biographieforschung und der narrativ-biographischen Analyse. Die „Migrationsbiographie“ fokussiert dabei lediglich den Ausschnitt der Gesamtbiographie, der durch Migrationsprozesse gekennzeichnet ist und richtet sich dabei nicht nur auf die Vergangenheit und dem bis dahin zurückgelegten Migrationsverlauf, sondern gleichsam auf die Gegenwart (aktuelle Lebenssituation) und die Zukunft (Zukunftsperspektive). 5 | Das Graduiertenkolleg war Juni 2008 bis Mai 2017 auf die empirische Untersuchung transnationaler sozialer Unterstützung ausgerichtet. Der Forschungsfokus lag auf Unterstützungsprozessen im Kontext von Transmigration sowie auf der Rahmung und Initiierung von sozialer Unter-

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Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Forschungsfrage: Welche transnationalen Muster können in „Migrationsbiographien“ und persönlichen Netzwerken von ghanaischen RemigrantInnen beschrieben werden, welche Bedeutung haben diese für die AkteurInnen und welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen den „Migrationsbiographien“ und den sozialen Netzwerkstrukturen? Dabei wurde die Lebensführung sowie die transnationale soziale Einbettung der RemigrantInnen fokussiert. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurde methodisch in einem ersten Erhebungsschritt ein erzählgenerierendes, offenes Leitfadeninterview geführt. Mittels einer offenen Erzählaufforderung6 wurde eine verlaufsbezogene Erzählung generiert und im Anschluss auf einzelne Themenbereiche fokussiert. Erst in einem zweiten Schritt kam die qualitative ego-zentrierte Netzwerkanalyse (QNA) zum Einsatz, die in der Studie aus der Kopplung von drei Elementen bestand: Erstens einem semi-strukturiertem Interview, zweitens einer ego-zentrierten Netzwerkkarte und drittens einem Kurzfragebogen. Insgesamt wurden 32 erzählgenerierende Interviews geführt, 26 visuelle egozentrierte Netzwerkzeichnungen angefertigt und 32 Kurzfragebogen ausgefüllt. Neben der QNA und dem offenen Leitfadeninterview wurde die teilnehmende Beobachtung als Methode genutzt, um Hintergrundinformationen und Kenntnisse über die Lebenssituation der AkteurInnen gewinnen zu können. Die teilnehmende Beobachtung wurde vor allem bei weiteren informellen Treffen mit den InterviewpartnerInnen, sowie bei Seminaren und Alumni-Treffen der Rückkehr-Community in Ghana durchgeführt. Die Feldbeobachtungen erfolgten offen, nicht standardisiert und variierten dabei zwischen stützung durch transnationale Organisationen. Für weitere Informationen siehe: http://transsos.com/phd-program.html (18.04.2017). 6 | „Ich würde zunächst gerne etwas über Sie und Ihr Leben erfahren. Könnten Sie damit beginnen, wie der Plan entstanden ist nach Deutschland zu gehen und die Zeit bis heute beschreiben? Mich interessiert alles, was Sie erzählen möchten und was für Sie wichtig ist.“

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einer aktiven und einer eher passiven Rolle im Feld – z. B. bei Vorträgen (vgl. Lüders 2001; Hauser-Schäublin 2003). Zusätzlich wurden nach der Erhebung der akteurszentrierten Daten Experteninterviews (vgl. Gläser/Laudel 2004) mit zentralen VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) geführt, die sich im Sektor der Migrations- und Remigrationspolitik in Ghana engagieren, um erste Ergebnisse zurückspiegeln und die empirischen Daten mit spezifischen Informationen über aktuelle Entwicklungen und Aktivitäten im migrationspolitischen Bereich in Ghana rückkoppeln zu können. Schwerpunkt des vorliegenden Beitrages bilden jedoch die Forschungserfahrungen bei der Erhebung und Analyse qualitativer Netzwerkdaten in diesem Forschungsprojekt.

6.3 E insatz von hap tischen und digitalen Tools im F orschungsprozess Bei der Durchführung der Netzwerkanalyse war neben dem Datenformat des gesprochenen Wortes in Form von offenen Leitfadeninterviews die visuelle Darstellung des persönlichen Netzwerkes von zentraler Bedeutung. Es kamen zu verschiedenen Zeitpunkten im Forschungsprozess divergente Visualisierungsinstrumente zum Einsatz. Neben der Anwendung von klassischen Netzwerkkarten in Papierform wurde das digitale Tool VennMaker zur Darstellung herangezogen. Bei den Anwendungen der Instrumente im Forschungsverlauf wird im Folgenden zwischen drei Zeitabschnitten unterschieden: 1) Phase der Vorbereitung, 2) Phase der Erhebung, 3) Phase der Analyse. Das elektronische Instrument VennMaker wurde in der Vorbereitungsphase und die Papierform in der Erhebungssituation eingesetzt. In der Analysephase wurden VennMaker und die Papier-

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Variante in gleichem Maße herangezogen. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen sowie der Einsatz und der Umgang mit den jeweiligen Tools genauer beleuchtet.

6.3.1 Einsatz von VennMaker bei der Vorbereitung In Phase 1 der Vorbereitung der Forschung wurde VennMaker genutzt, um die ego-zentrierte Netzwerkkarte nach dem Social Convoy-Modell (vgl. Kahn/Antonucci 1980) zu entwerfen. Die Karte, die auch als Modell der konzentrischen Kreise (vgl. Hollstein/Straus 2006) bekannt ist, wurde jedoch in einer von der ursprünglichen Karte abgewandelten Form verwendet. Die Kreise wurden nicht, wie im Convoy-Modell üblich, mit dem Element Wichtigkeit und die Sektoren nicht mit Personengruppen (Alteri) belegt, um deren soziale

Abbildung 1: Modifizierte ego-zentrierte Netzwerkkarte (Quelle: Eigene Darstellung mit VennMaker)

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Nähe zum/zur AkteurIn (Ego) und die zusammenhängende Wahrnehmung der Alteri von Ego zu erfassen. Der Fokus wurde stattdessen auf die geografische Distanz und die Nationalität gerichtet, um dadurch transnationale und transkulturelle Muster des jeweiligen Ego-Netzwerkes einfangen zu können. Dabei wurde die Karte mit der Variablen Nationalität belegt und in drei gleichgroße Sektoren unterteilt: GhanaerInnen, Deutsche und andere Nationalitäten (zur Modifikation der Netzwerkkarte siehe Kap. 7.4 in diesem Band). Die vier konzentrischen Kreise wurden mit der Dimension räumliche Distanz besetzt, wobei der innerste Kreis für lokal, der zweite für regional, der dritte für national und der äußerste für Ausland steht (siehe Abb. 1). VennMaker wurde in der Phase der Vorbereitung somit als eine Art Zeichentool verwendet, um das vordefinierte, ego-zentrierte Netzwerkgerüst zu konstruieren.

6.3.2 Einsatz von Papier bei der Erhebung Statt des Laptops wurde in der Erhebungsphase ein Ausdruck der mit VennMaker entworfenen Karte verwendet. Die ProbandInnen trugen ihre Netzwerkkontakte darin mit farbigen Stiften ein. Nachfolgend werden zunächst Auf bau und Ablauf der QNA bei der Erfassung der Daten erörtert. Anschließend wird anhand der Argumentation über den adäquaten Einsatz von Erhebungsinstrumenten erläutert, warum sich in der Studie gegen eine Erhebung mit Hilfe des Laptops und für die klassische Papier-Version entschieden wurde.

Durchführung der qualitativen Netzwerkerhebung Um den Übergang des offenen Leitfadeninterviews zur QNA zu gestalten, wurde zunächst ein Themenwechsel von der Fokussierung der „Migrationsbiographie“ hin zu einer Thematisierung sozialer Beziehungen vorgenommen. Zu Beginn dieses wurde die mit VennMaker erstellte und ausgedruckte Karte eingeführt und die Funktionen der Kreise und Sektoren sowie die Karte in ihrer Ge-

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samtheit dem/der Probanden/Probandin erläutert7. Anschließend wurde der/die InterviewpartnerIn nach der eigenen Kategorisierung der Personen gefragt, die er/sie momentan zu seinem/ihrem Netzwerk zählt (z. B. eigene Familie, erweiterte Familie, SchulfreundInnen, Alumni-FreundInnen, ArbeitskollegInnen etc.). Die Gruppierungen wurden farblich unterschieden und die Informationen auf einem Blatt festgehalten (z. B. eigene Familie: rot; erweiterte Familie: orange; SchulfreundInnen: braun, Alumni-FreundInnen: blau etc.). Erst im nächsten Schritt folgte ein Namensgenerator8, der auf die Personen des aktuellen persönlichen Netzwerkes fokussierte. Die genannten Personen wurden nacheinander farblich markiert eingetragen. Der Ablauf des Einzeichnens der Netzwerkkontakte und die weitere Gesprächsführung orientierten sich, obwohl jedes Interview individuell unterschiedlich verlief, an folgendem Ablauf: 1. Nennung und Einzeichnen der Alteri: Zumeist übernahm die Interviewerin am Anfang das Einzeichnen der Alteri, um die Verbindung zum Papier aufzubauen und beispielhaft den Ablauf zu demonstrieren. 2. Erfassung des Namens und der Attribute: Während des Einzeichnens einer Person wurden der Name und die Attribute (Nationalität, Wohnort, Geschlecht) genannt. Die ProbandInnen übernahmen zumeist das Schreiben der Namen der Alteri auf der Karte. Somit war es ein gemeinsamer und verbindender Arbeitsprozess. Auffallend war, dass im Laufe des 7 | „Im Zentrum steht das Ich, also Sie. Die Kreise auf der Karte stehen für die räumliche Distanz (lokal, regional, national, Ausland). Die Karte ist in drei Bereiche unterteilt: in GhanaerInnen, Deutsche und andere Nationalitäten. Die Personen werden anhand dieser beiden Merkmale in die Karte eingetragen. Mich interessieren zudem auch weitere Informationen über die Personen und über die Art der Beziehung, die Sie zu den Personen haben. Das bedeutet, dass ich die Karte nun für den Rest unserer Unterhaltung nutzen möchte und wir mit dieser arbeiten können.“ 8 | „Mit welchen Personen stehen Sie zurzeit in Kontakt?“

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Interviews zumeist die Aktivität des/der ProbandIn an der Karte deutlich zunahm. Die Karte wurde nicht nur angenommen, sondern sozusagen übernommen. Die Interviewerin stellte dann ihre Zeichenaktivität ein und partizipierte nur noch in verbaler Form. 3. Generierung von Erzählungen: Im Anschluss wurden durch spezifisches Nachfragen weitere Erzählungen zu den Personen sowie der Art und Hintergrund der Beziehungen generiert (z. B. Seit wann kennen Sie sich? Wie haben Sie sich kennengelernt? Welche Geschichte fällt Ihnen ein, die Sie mit der Person verbindet? etc.). Nacheinander wurden so alle für den/die AkteurIn relevanten Personen im Netzwerk aufgenommen. 4. Kontakte zu Organisationen: Im Weiteren wurden nach den Beziehungen zu den Individuen auch Kontakte zu Organisationen erfasst. 5. Einzeichnen der Alter-Alter-Beziehungen: Im fortschreitenden Verlauf des Netzwerkinterviews wurden  die Beziehungen der AkteurInnen im Netzwerk untereinander,

Abbildung 2: Von Hand eingezeichnetes Netzwerk auf vorkonstruierter Karte (Quelle: eigene Erhebung)

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die sogenannten Alter-Alter-Relationen, eingetragen, um die Netzwerkstruktur zu erfassen und Aussagen über den Zusammenhang von Netzwerkstrukturen, Gelegenheitsstrukturen und Handlungsstrategien (Agency) machen zu können (vgl. Diaz-Bone 2007) (siehe Abb. 2). 6. Stellen der Namensinterpretatoren: Es wurden weitere Nachfragen zu sozialen Unterstützungsleistungen, zur Wichtigkeit und Nähe der Personen gestellt, sowie konflikthafte Beziehungen identifiziert und soziale Belastungen thematisiert (z. B. Wer unterstützt Sie in Ihrer momentanen Lebenssituation? Wer sind für Sie die emotional wichtigsten Personen im Netzwerk? Gibt es jemanden, der Ihre Hilfe benötigt? etc.) 7. Reflexion über die Karte: Die Arbeit mit der Karte mündete in eine gemeinsame Reflexion mit der interviewten Person über das eingezeichnete Netzwerk und dessen Konstellationen, was zumeist einen erweiterten Erkenntnisprozess auf beiden Seiten beförderte (z. B. Wie bewerten Sie Ihr eigenes Netzwerk? Möchten Sie in Zukunft etwas in Bezug auf Ihre sozialen Kontakte ändern? etc.) Nach Abschluss der Visualisierung des Netzwerkes folgten Abschlussfragen bezüglich der Bedeutung der Rückkehr und den Zukunftsvorstellungen der AkteurInnen. Die Erhebung endete mit dem Ausfüllen eines Kurzfragebogens, der die sozio-demografischen Daten und die transnationalen Bewegungen des/der InterviewpartnerIn beinhaltete.

Adäquater Einsatz von Erhebungsinstrumenten Die Wahl des Erhebungsverfahrens, von Hand oder per Computer, ist von diversen Forschungsfaktoren abhängig. Die Bedingungen des Forschungsfeldes und die zielgruppenspezifischen Merkmale stellen diesbezüglich eine relevante allgemeinere Dimension dar, die im Vorfeld Hinweise geben kann, welches Erhebungsverfahren angemessen ist und herangezogen werden sollte (vgl. Müller et al.

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2017a, 2017b). Zudem gibt es die individuelle Dimension der Interviewsituation, die sich von Interview zu Interview unterscheidet und es im Vorhinein nicht beurteilbar ist, ob die Anwendung des Erhebungsinstrumentes für die Erhebungssituation adäquat sein wird oder nicht.

Forschungsfeld und Zielgruppe Als soziodemografische Merkmale der Zielgruppe sind in der vorliegenden Studie Bildungsstand, Geschlecht, Sprachkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien zu nennen. Als BildungsmigrantInnen, die in Deutschland ihre Ausbildung absolviert haben und anschließend nach Ghana zurückgekehrt sind, ist die Zielgruppe durch ein hohes Bildungsniveau gekennzeichnet. Die Hälfte des Samples (16 von 32 Personen), hat einen Masterabschluss in Deutschland erworben. Mit zehn Personen stellen die in Deutschland Promovierten die zweitgrößte Gruppe dar. Studierende, die ein Diplom, einen Bachelor oder eine berufliche Weiterbildung erworben haben, bilden mit sechs Personen die Minderheit im Sample. Vier Fünftel der interviewten Personen sind männlich, ein Fünftel weiblich. Aufgrund der zumeist in internationalen englischsprachigen Studiengängen erworbenen Abschlüsse, waren die Englischkenntnisse durchweg gut bis sehr gut, Deutschkenntnisse jedoch nur oftmals geringfügig vorhanden, weshalb der überwiegende Teil der Interviews auf Englisch geführt wurde. Auf Grund der Absolvierung des Studiums in Deutschland konnten grundlegende Erfahrungen im Umgang mit Computern in der Regel erwartet werden. Neben der Zielgruppe prägt das Forschungsfeld, demnach der Länder- und lokale Kontext mit dem Grad der infrastrukturellen und technischen Entwicklung die anzuwendenden Instrumente. Ghana gehört mit zu den wenigen afrikanischen Staaten südlich des Äquators, die eine relativ gut ausgebildete Infrastruktur aufweisen. In den größeren Metropolen des Landes, wie Accra, Kumasi, Cape Coast und Takoradi, die die hauptsächlichen Wohnsitze der RückkehrerInnen waren, sind ein Straßennetz, Wasser- und Strom-

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versorgung sowie Telekommunikationsmöglichkeiten in Form von öffentlichen Telefon- und Mobilfunknetzen, bisweilen auch Internetzugängen vorhanden. Ein Problem stellte jedoch dar, dass zum Erreichen der Treffpunkte mit den InterviepartnerInnen von der Forscherin öffentliche Verkehrsmittel, Taxis oder sogenannte Tro-Tros (Minibustaxis) verwendet wurden. Die Mitnahme eines Laptops hätte dabei potentielle Gefährdungssituationen herauf beschwören können (Übergriffe, Diebstahl) und auch die notwendige Bewegungsfreiheit und Flexibilität der Forscherin im Feld eingeschränkt. Ein weiteres Problem war eher technischer Art: Die in regelmäßigen Abständen ausfallende Stromversorgung und die begrenzte Akkukapazität hätten den Laptopeinsatz zu einer riskanten Unternehmung werden lassen. Trotz der relativ guten Voraussetzungen bei der Befragungsgruppe bezüglich technischer Affinität, die für eine Anwendung von VennMaker gesprochen hätten, wurde deshalb letztlich gegen dessen Einsatz optiert.

Die Inter viewsituation Die Interviewsituation hat essentiellen Einfluss auf die Durchführung der QNA. Anlass, Zeitpunkt, Dauer/die zeitliche Kapazität des/der InterviewpartnerIn, weitere Anwesende, die verwendeten Medien, die Rollen und die Art der Beziehung prägen die soziale Situation und können zu unerwünschten Effekten führen (vgl. Friedrichs 1980). Die Intervieworte in Ghana fanden auf Grund der hohen Qualifikation der ProbandInnen zumeist in einem formellen Rahmen statt. Als Treffpunkte fungierte oft der jeweilige Arbeitsplatz, in der Mehrzahl ein Büroraum. Neben diesen formellen Orten gab es aber auch einige informelle Erhebungssituationen. So luden manche InterviewpartnerInnen die Interviewerin zu sich nach Hause ein, wo der/die EhepartnerIn und die Kinder anwesend waren und z. B. gemeinsam gekocht und gegessen wurde, und die Erhebung in diesen informellen Rahmen integriert werden musste. Einige

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Interviews fanden in lokalen Schnellimbissrestaurants oder bei Ausflügen zusammen mit FreundInnen statt. Auffallend war, wie schnell und überraschend sich formelle Settings zu informellen wandelten, indem das Interview etwa für einige Zeit unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort unter anderen Gegebenheiten, wie z. B. im Auto fortgeführt wurde. Diese notwendige Flexibilität und Mobilität während einiger Interviewsituationen hätte das Befördern eines Laptops erschwert und dessen Einsatz völlig verunmöglicht. Da die Interviews gelegentlich in Anwesenheit mehrerer Personen durchgeführt wurden (EhepartnerInnen, Familienmitglieder, FreundInnen etc.) entstanden Anwesenheitseffekte, die die ego-zentrierte, visuelle Erhebung im Generellen zwar erschwerten (vgl. Reuband 1987), sie jedoch zumeist nicht verhinderten. Obwohl die Netzwerkkarte an sich ein Element darstellt, welches lediglich auf eine Interviewperson fokussiert, konnten mittels des Papiers, welches waagerecht und für alle gut einsehbar auf dem Tisch lag, andere, schon während des Leitfadeninterviews anwesende Personen, weiterhin mit einbezogen werden. Mitunter förderten die haptischen Erhebungsmaterialien sogar die Teilnahme anderer Beteiligter. Beispielsweise nahm ein Kind eines Interviewpartners während des Interviews die Stifte und malte bzw. schrieb mit diesen auf das Blatt, auf dem die Kategorisierung der Personengruppen stand. Im Gegensatz dazu hätte der Laptop durch seine senkrechte Bildschirmposition die Beteiligung anderer Personen nicht in gleichem Maße ermöglicht. Durch die Anwesenheit und Interaktion von Kindern hätte es bei einer Erhebung mittels Laptops zudem zu erheblichen technischen Problemen kommen können. Exkludierende Gegebenheiten beeinflussen Interaktionen sowie die Erhebungssituation und hätten zu Spannungen und Konflikten zwischen den beteiligten Personen führen können. Im Weiteren prägen die Medien, die zur Aufzeichnung der Daten genutzt werden (Tonband, Papier, Laptop), die Echtheit der Situation und können das Verhalten der ProbandInnen beeinflussen (vgl. Friedrichs 1980). Eine auffallende Verhaltensweise war

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das oftmals zögerliche Einlassen auf die visuelle Darstellung des persönlichen Netzwerkes. Dabei lösten das Blatt und die Stifte oft eine Art Blockade aus, die zunächst überwunden werden musste. Einige Personen zeigten zudem Desinteresse oder Unvermögen sich bei der gemeinsamen Arbeit an der Karte zu beteiligen (vgl. Esser 1973). Der Prozess des sich Einlassens auf das Medium der Karte und die Übernahme des Einzeichnens der einzelnen Netzwerkpersonen wurde somit nicht von allen InterviewpartnerInnen vollzogen. Ein Laptop anstelle von Papier und Stiften hätte zumeist noch eine größere Hürde und Störung darstellen können, vor allem wenn kaum oder nur wenig Übung im Umgang mit Computern vorhanden gewesen wäre. Gegenteilig stellten die Stifte im Verlauf des Interviews ein Instrumentarium dar, welches nicht nur von anderen anwesenden Personen selbstbestimmt eingesetzt wurde (z. B. von Kindern), sondern oftmals auch von dem/der ProbandIn selbst genutzt wurde, um verbal vermittelte Informationen schriftlich für die InterviewerIn zu veranschaulichen (siehe Abb. 2: schriftliche Notiz in der rechten oberen Ecke der Karte). Auch Intervieweffekte wären durch den Einsatz eines PCs nicht auszuschließen, da die Verwendung von technischem Equipment persönliche Befangenheiten bei dem/der ForscherIn erzeugen könnte. Dies wiederum könnte sein/ihr Verhalten (Nervosität und Anspannung anstatt Ruhe und Offenheit), die InterviewerIn-Interviewte-Beziehung und die gesamte Interviewsituation stark lenken (vgl. Friedrichs 1980). Aus diesen nicht im Vorfeld der Forschung abschätzbaren Faktoren ergibt sich für die zu Grunde liegende Studie, dass das Papier ein geeigneteres Erhebungs-Medium darstellte, um angemessen und flexibel auf die Breite der verschiedenen Forschungssituationen reagieren zu können.

6.3.3 Einsatz von Papier und VennMaker bei der Analyse Für die Analyse der Netzwerke wurden VennMaker und die PapierVersion kombiniert. Dazu wurde die von Hand erhobene Netzwerk-

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karte (siehe Abb. 3) mit VennMaker digitalisiert. Als Grundlage diente das bereits in der ersten Phase digital konstruierte Netzwerkgerüst, in welches die Netzwerkkontakte aus den Papier-Karten mittels des Computerprogramms eingetragen wurden.

Abbildung 3: Von Hand eingezeichnetes Netzwerk (Quelle: eigene Erhebung)

Abbildung 4: Digitalisiertes Netzwerk (Quelle: eigene Darstellung mit VennMaker)

Obwohl das Digitalisieren der Netzwerkkarte lediglich die Absicht verfolgte, die Papier-Vorlage zu übertragen, entstand keine deckungsgleiche Abbildung. Beim Abzeichnen veränderte sich die Originalkarte und somit die im Netzwerk vorhandenen Informationen (siehe Abb. 4). Es findet bei der Umwandlung von einem in ein anderes Datenformat ein Übersetzungsprozess statt. Durch den Wechsel des Darstellungsmediums kommen beim Schritt der Digitalisierung einerseits Informationen visueller Art in Form von Geschlechtssymbolen (weiblich , männlich ), Beziehungsinformationen (Ego-Alter-Verbindungen) und Strukturdaten (durch die komplette Verbindung aller Alteri, die miteinander in Kontakt stehen, anstatt lediglich der Kennzeichnung anhand eines Kreises) hinzu, andererseits gehen gleichzeitig Inhalte, wie die Handschrift, Markierungen (wie der Kreis) und Notizen (wie „Zeugen Jehovas“) verloren.

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Manche Informationen sind auf der digitalen Karte besser zu erkennen, wie die Rollenzugehörigkeit und damit insbesondere die Erkennbarkeit multiplexer Rollen (durch farbliche Kennzeichnung um die Alteri). Andere Daten sind wiederum digital auf Grund des begrenzten Darstellungsraumes vor allem im innersten Kreis nur schwer ermittelbar, wie die in den Kanten dargestellten Beziehungsinformationen. Im inneren Kreis ist in Abbildung 4 zum Beispiel kaum ersichtlich, welche Alteri-Beziehungen zueinander haben und welche Beziehungsausprägung vorherrscht. Paarbeziehungen, die in der Papierkarte durch ein Plus-Zeichen an der Linie gekennzeichnet sind, sind dort eindeutig wahrzunehmen, während in der digitalisierten Karte die blau-gestrichelte Linie, die dasselbe Merkmal abbildet, nur mühsam auszumachen ist. Durch die Digitalisierung der Netzwerkkontakte entsteht somit neben einem Informationszugewinn auch ein Informationsverlust. Um der Unübersichtlichkeit durch zu viele Informationen und einer damit verbundenen Fehlerhaftigkeit entgegenzuwirken, ist es demnach sinnvoll, beide Karten zur Analyse heranzuziehen und im Weiteren die Möglichkeiten, die das digitale Tool zur Verfügung stellt, zu nutzen. Durch eine spezielle Filterfunktion können weitere digitale Karten des gleichen Netzwerkes erzeugt werden, die jeweils andere, ausgewählte und füreinander relevante Informationen beinhalten. Dieses Feature verhilft die visuelle Datenfülle zu minimieren und dadurch Komplexität zu reduzieren, indem gezielt AkteurInnen und Beziehungen in verschiedenen Karten ein- oder ausgeblendet werden können. Dadurch wird es etwa möglich, die Ego-Alter-Beziehungen, die in einem ego-zentrierten Netzwerk stets vorhanden sind, herauszunehmen oder nur diese Relationen anzeigen zu lassen, bei denen eine besondere Beziehungsausprägung, wie Konflikthaftigkeit oder Paarkonstellationen vorliegen (siehe Abb. 5). Filter-Optionen ermöglichen im Weiteren die Entwicklung von qualitativ-beschreibenden Analyseverfahren, die nicht nur die Analyse von Einzelbeziehungen, sondern auch die Auswertung der Strukturebene beleuchten. In der vorliegenden Studie wurde

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Abbildung 5: Filtern der EgoAlter-Beziehungen (Quelle: Eigene Darstellung mit VennMaker)

Abbildung 6: Filtern zur Identifikation der transnationalen AkteurInnen (Quelle: Eigene Darstellung mit VennMaker)

zur Identifikation der transnationalen Muster in den persönlichen Netzwerken der RemigrantInnen die Aufmerksamkeit unter anderem auf transnationale AkteurInnen im Netzwerk gelegt (vgl. Herz/ Olivier 2012; siehe Kap. 7 in diesem Band). Da die transnationalen AkteurInnen jedoch nicht notwendigerweise die Personen sind, die sich im Ausland befinden, also im äußersten Kreis eingezeichnet sind, sondern diejenigen, die am meisten grenzüberschreitende Beziehungen aufweisen, müssen diese erst durch die Analyse identifiziert werden. Dabei wurden immer mehr Personen aus dem Netzwerk gelöscht, die für diese Position nicht in Frage kommen, indem die Verbindungslinien gezählt wurden, die den dritten und vierten Kreis überschreiten. Durch die Selektion und das Herauslösen können so die transnationalen vernetzten AkteurInnen, ohne mathematische Berechnungsverfahren, bestimmt werden (siehe Abb. 6). Durch die strukturelle Analyse der Netzwerkkarten anhand der Identifikation von transnationalen AkteurInnen wie auch von SubClustern können so nicht nur Aussagen über die Transnationalität von Netzwerken getroffen, sondern zudem Strukturhypothesen, die an das Interviewmaterial gerichtet sind, entwickelt werden. Sie dienten im Weiteren einer Fokussierung der Analyse der Narrati-

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onsteile der QNA, die mittels der Grounded Theory ausgewertet wurden. Somit wurde die Visualisierung mittels VennMaker in der Studie genutzt, um ein qualitativ-beschreibendes Analyseverfahren, welches eine gekoppelte Auswertung von Visualisierungen und Narrationen ermöglicht, zu entwickeln. Die Filteroption und die Erstellung von selektiven Karten mit je unterschiedlichem Informationsgehalt können somit einen Bewusstwerdungs- und Erkenntnisprozess bei der Analyse sozialer Netzwerke generieren. Wichtig ist jedoch, dass die Komplexität der digitalisierten Karten sukzessive reduziert wird, um den Blick fokussieren zu können. Geschieht dies nicht, bleibt nicht nur der angestrebte Erkenntnisgewinn aus, sondern kann diesen sogar verhindern, indem zu viele Informationen Chaos statt Klarheit und Struktur induzieren. Mehrere digital entworfene Karten stellen dabei jedoch keinen Ersatz für das auf Papier erhobene Originalnetzwerk dar, denn dieses beinhaltet Informationen über den/die AkteurIn und dessen Wahrnehmung auf sein Netzwerk, die ansonsten verloren gehen würden. Deshalb sollten beide Kartenformate bei der Analyse herangezogen werden.

6.4 F ruchtbare K opplung : Papier trotz L ap top! Die methodischen Forschungserfahrungen bezüglich der Anwendung von digitalen und haptischen Tools haben veranschaulicht, dass auch in Zeiten in denen die Netzwerkforschung immer mehr dem Trend der Digitalisierung folgt, mithilfe von Stift auf Papier erhobene Netzwerkvisualisierungen ein sinnvolles Verfahren darstellen. Dies nicht nur mit Blick auf die Datenerhebung, sondern auch bezüglich der nachfolgenden Analyse. In Forschungskontexten, in denen die Bedingungen des Forschungsfeldes und der Zielgruppe eine computergestützte Anwendung erschweren, ist ein Einsatz der klassischen Instrumente in der Erhebungsphase unter Umständen nicht nur adäquater, sondern

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sogar alternativlos. Jedoch gibt es auch unter optimalen Feld- und Zielgruppenkonditionen, die für den Einsatz digitaler Erhebungsverfahren sprechen, wesentliche Gründe, die Papierform nicht außer Acht zu lassen. Erstens weil diese eine größere Offenheit und Flexibilität als der Laptop bei den differenten Interviewsituationen ermöglicht und zweitens weil die Papier-Form einen nicht unbeträchtlichen Mehrwert als akteursrelevante Informationsquelle für die Analyse darstellt. Andererseits bietet auch das digitale Tool als ergänzendes Instrumentarium wesentliche Vorteile bei der Durchführung der QNA. Bei der Vorbereitung der Erhebung stellt das Computerprogramm etwa eine präzise, zeiteffiziente und vervielfältigbare Lösung bei der Erstellung ego-zentrierter Netzwerkkarten dar. In der Phase der Auswertung kann die ergebnisorientierte Vorgehensweise die Analyse vereinfachen und einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn nicht nur auf der Ebene der empirischen Daten, sondern zugleich auf einer allgemeineren methodischen und methodologischen Ebene generieren. Indem die Entwicklung von innovativen, beschreibenden Auswertungsstrategien in der QNA möglich wird, können qualitative Netzwerkstudien dadurch einen eigenständigen Weg zur Analyse der Visualisierungen weisen, ohne notwendigerweise auf quantitative Verfahren zurückgreifen zu müssen und sich dadurch zu Mixed Methods Designs zu wandeln. Der Beitrag versuchte zu zeigen, wie eine fruchtbare Kopplung von digitalen und haptischen Instrumenten in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses gestaltet werden kann. Er verdeutlichte, dass weder der Weg vom Papier zum Laptop noch der umgekehrte Weg Papier anstatt Laptop als eine sich wechselseitig ausschließende Alternative anzusehen ist. Die Empfehlung lautet daher: Papier trotz Laptop.

6.5 L iter atur Boissevain, J. (1979): Network analysis: A reappraisal. In: Current Anthropology 20 (2), S. 392-394. https://doi.org/10.1086/202277

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7. Transnationalität und die soziale Netzwerkanalyse1

7.1 N e tz werk ansätze in der Tr ansnationalitätsforschung Die sich seit den 1990er Jahren etablierende Transnationalitätsforschung rückt Bewegungen von AkteurInnen und Phänomene, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten, in den Fokus ihrer Arbeiten (vgl. Wimmer/Glick Schiller 2002). Somit liegt die zentrale Innovation des Forschungskonzeptes Transnationalisierung in der Einnahme der Perspektive, welche auf grenzüberschreitende Beziehungen, Netzwerke und Praktiken Bezug nimmt (vgl. Mau 2007). Um Verflechtungen zu untersuchen, die durch transnationale Transaktionen und Austausche entstehen, erscheint ein ausschließlich nationalstaatlicher Bezugsrahmen der Forschung als zu eng. Hierauf richtet sich die Kritik des „methodologischen Nationalismus“ der Sozialwissenschaften. Nach Pries (2008) geht mit dem Bezug auf Nationalstaaten als Referenzrahmen der Forschung das sogenannte Container-Verständnis einer Gesellschaft einher, nach welchem eine Gesellschaft als räumlicher Behälter konzipiert ist, 1 | Der Beitrag basiert auf folgender Originalpublikation, für die der Routledge Verlag über das ausschließliche Nutzungsrecht verfügt und die Wiederverwendung mit ausdrücklicher Genehmigung erfolgt: Herz, A./Olivier, C. (2012): Transnationale Soziale Netzwerkanalyse. In: Transnational Social Review – A Social Work Journal 2 [1], S. O7-O27.

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und alle relevanten Beziehungen koexistent mit dem Staatsterritorium gedacht werden. Giddens (1987) prägt diesbezüglich das Bild des Web of Social Life, welches innerhalb der Container von Nationalgesellschaften aufgespannt ist, von welchem jedoch alles, was über deren Grenzen hinausgeht, analytisch abgeschnitten wird. Durch diese Naturalisierung werden die territorialen Grenzen zu natürlichen Grenzen und der Nationalstaat zu einer homogenen Einheit konstruiert. In der Diskussion wird bislang jedoch noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass auch die Ebene der wissenschaftlichen Beobachtung einer Veränderung unterliegt und nicht nur theoretische Neukonzeptionierungen von Nöten sind. Die Transnationalitätsforschung benötigt somit Forschungszugänge, welche es ermöglichen, Praktiken und Prozesse nicht nur innerhalb nationalstaatlicher Einheiten, sondern auch quer zu diesen zu erforschen. Zur Beschreibung und Analyse transnationaler Phänomene wurden neben den Konzepten der sozialen Felder (vgl. Levitt/ Glick Schiller 2004) und der sozialen Räume (vgl. Pries 2008) von Beginn an auch jenes der sozialen Netzwerke herangezogen (vgl. Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1995; Vertovec 2009). Netzwerkansätze erlauben es dabei, soziale Strukturbildungen in den Blick zu nehmen, welche sich nationalstaatlichen Einteilungen entziehen. Aus Perspektive der sozialen Netzwerkanalyse blieb die Verwendung von Netzwerkansätzen jedoch nicht nur in der Transnationalitätsforschung oftmals metaphorisch (vgl. Hollstein 2006), was sich beispielsweise durch einen synonymen Gebrauch der Begriffe „Beziehung“ und „Netzwerk“, wenig systematischer Erhebung von Beziehungsdaten und Verzicht auf Verwendung von Visualisierungen von Beziehungsmustern äußert. Dieser Umstand verwundert, da gerade das Forschungsprogramm der sozialen Netzwerkanalyse (SNA) die Beschreibung und Analyse transnationaler sozialer Formationen (vgl. Vertovec 2009) zu bereichern vermag. Der vorliegende Beitrag präsentiert anhand von zwei empirischen Beispielen den Einsatz der sozialen Netzwerkanalyse als

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und soziale

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einen Ansatz zur Erforschung transnationaler sozialer Gebilde. Es wird aufgezeigt, wie durch den Einsatz der SNA Transnationalität anhand von Beziehungen beforscht werden kann und wie über die Analyse relationaler Zusammenhänge Aussagen auf beziehungsstruktureller Ebene möglich sind, die bislang in der Transnationalitätsforschung nur vereinzelt fokussiert wurden (vgl. Dahinden 2005, 2009; Mau/Mewes 2007). Der Beitrag verfolgt dabei die Frage, wie verschiedene Ansätze der sozialen Netzwerkanalyse zur Erforschung von transnationalen Strukturbildungen im Forschungsprozess umgesetzt werden können. Grundlage der folgenden Erläuterungen bilden die Forschungserfahrungen aus zwei empirischen Studien, welche jeweils persönliche Netzwerke von (Trans-)MigrantInnen untersuchen. Beide Projekte verwenden dabei netzwerkanalytische Verfahrensweisen, um soziale Strukturbildungen in den Blick zu nehmen, welche sich national-staatlichen Einteilungen entziehen. Dabei werden unterschiedliche methodische Herangehensweisen der ego-zentrierten Netzwerkanalyse zur Beschreibung und Analyse transnationaler Strukturen aufgezeigt. Der Beitrag betrachtet zu diesem Zweck ein standardisiertes Design einer quantitativen ego-zentrierten Netzwerkanalyse, welche in einer Online-Befragung umgesetzt wurde, sowie eine qualitative egozentrierte Netzwerkstudie, die persönliche Beziehungen anhand von qualitativen Netzwerkkarten und offenen Leitfadeninterviews erhebt. Hierzu wird die Bedeutung der sozialen Netzwerkanalyse für die Erforschung transnationaler Phänomene zunächst allgemein und anschließend anhand der beiden Projekte diskutiert, indem die methodischen Vorgehensweisen der beiden Ansätze einzeln erläutert werden. Im Weiteren wird anhand beider Projekte auf Erfahrungen und Spezifika bei der Anwendung der SNA in transnationalen Forschungskontexten eingegangen. Die Modifikation bestehender Netzwerkinstrumente, der Stellenwert von strukturellen Beschreibungen und deren Visualisierung, sowie die Rolle der Mobilität im grenzübergreifenden Forschungsablauf stellen dabei übergreifende Thematiken dar. Dabei werden vor allem notwendige methodische Modifikationen für den Einsatz der ego-zentrierten

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Netzwerkanalyse in der Transnationalitätsforschung anhand deren Umsetzung in den Projekten diskutiert. Abschließend werden Möglichkeiten sowie Grenzen der SNA zur Beschreibung und Analyse transnationaler Phänomene diskutiert. Ziel des Beitrages ist es, den metaphorischen Gebrauch von Netzwerkansätzen methodisch zu konkretisieren und empirischbeispielhaft Methoden und Vorgehensweisen der SNA darzulegen, die sich zur Beschreibung von transnationalen Phänomenen eignen. Da in diesem Beitrag die methodischen Zugangsweisen im Vordergrund stehen, werden inhaltliche Ergebnisse nur nachrangig thematisiert. Beide Forschungen sind als Dissertationsprojekte im Rahmen von Stipendien des DFG-Graduiertenkollegs „Transnationale Soziale Unterstützung“2 entstanden.

7.2 D as F orschungsprogr amm der SNA und deren B eitr ag zur Tr ansnationalitätsforschung Warum netzwerkanalytische Verfahren als angemessen für die Erforschung transnationaler Phänomene betrachtet werden können, liegt in der basalen Annahme des relationalen Forschungsprogramms: Sowohl individualistische als auch kollektivistische Erklärungsmodelle werden in dieser Forschungstradition zurückgewiesen, wodurch weder das Individuum noch die Gesellschaft, sondern 2 | Das Graduiertenkolleg 1474 „Transnationale Soziale Unterstützung“ war auf die empirische Untersuchung von Unterstützungsprozessen im Kontext von Transmigration sowie auf die Rahmung und Initiierung von sozialer Unterstützung durch transnationale Organisationen ausgerichtet. Es war von Juni 2008 bis Mai 2017 standortübergreifend am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Stiftung Universität Hildesheim und am Institut für Erziehungswissenschaften der Johannes GutenbergUniversität Mainz angesiedelt. Für weitere Informationen siehe: http:// transsos.com/phd-program.html (18.04.2017).

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vielmehr die vermittelnde Ebene sozialer Netzwerke als Erklärungsansatz für gesellschaftliche Tatsachen und individuelles Handeln herangezogen werden (vgl. Holzer 2010; Granovetter 1985). Ein soziales Netzwerk wird definiert als „a specific set of linkages among a defined set of actors with the additional property that the characteristics of these linkages may be used to interpret the social behavior of the actors involved“ (Mitchell 1969, S. 2). Zentral für diese Position ist ein „antikategorialer Imperativ“, wonach Relationen – und eben nicht individuelle Attribute oder soziale Kategorien – im Zentrum der Betrachtung stehen (Emirbayer/ Goodwin 1994, S. 1414). Der Untersuchungsfokus liegt bei diesem Ansatz zuallererst auf der Ebene sozialer Beziehungen. So sind relationale Ansätze primär offen für die transnationale Ausdehnung von Beziehungsgeflechten. Dementsprechend sieht Hannerz (1980) schon in den 1980er Jahren die SNA als „the most extensive and widely applicable framework we have for the study of social relations“ (S. 181). Vertovec (2009) vertritt ebenfalls die Ansicht, dass netzwerkanalytische Konzepte und Methoden zur Erfassung, Beschreibung und Analyse von transnationalen sozialen Formationen angemessen sind. Er weist auf die Möglichkeit der „CrossFertilization“, der gegenseitigen Fruchtbarmachung und Anregung von Netzwerkkonzepten und transnationalen Studien hin (Vertovec 2009, S. 32). Weiterhin zeichnet sich das Forschungsprogramm der SNA durch Spezifika aus, die in diesem Beitrag beispielhaft für die Erforschung transnationaler Phänomene verdeutlicht werden sollen. So charakterisiert Freeman (2004) in seiner Studie zur historischen Entwicklung der sozialen Netzwerkanalyse diese anhand von vier wesentlichen Eigenschaften: Neben dem erstens bereits erwähnten primären Fokus auf Beziehungen zwischen AkteurInnen und weniger auf deren Attribute, basiert die SNA zweitens auf einer systematischen Erhebung und Analyse von Beziehungsdaten. Drittens werden graphische Darstellungen zur Offenlegung und Abbildung von Strukturierungen von Beziehungen verwendet und viertens im überwiegend quantitativ-geprägten Feld der SNA rechenbetonte

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Modelle zur Beschreibung und Erklärung von Strukturmustern angewendet. Qualitativ-orientierte netzwerkanalytische Arbeiten, die ebenfalls mit einem relationalen Fokus und visualisierenden Verfahrensweisen mittlerweile verstärkt zur Analyse von sozialen Strukturbildungen herangezogen werden (vgl. Hollstein 2006), spart Freeman (2004) in seiner Systematisierung größtenteils aus. Im vorliegenden Beitrag wird erläutert, wie die ersten drei Aspekte nach Freeman sowohl in einem quantitativen als auch in einem qualitativen Design in der Erforschung transnationaler Phänomene Anwendung und Bedeutung finden. In der Herangehensweise zur Erforschung sozialer Phänomene sind grundlegend zwei Arten der sozialen Netzwerkanalyse zu unterscheiden. Einerseits die Analyse von Gesamtnetzwerken (Complete Networks), bei der Netzwerke aus der Sicht aller beteiligten AkteurInnen betrachtet werden. In dieser Vorgehensweise sind die Untersuchungseinheiten durch einen eindeutigen Systemzusammenhang abgegrenzt. Klassische Beispiele sind Freundschaftsnetzwerke zwischen SchülerInnen einer Schulklasse oder Kommunikationsnetzwerke von Mitgliedern einer Organisation. Andererseits können Beziehungen und Netzwerke aus der Perspektive eines/einer einzelnen AkteurIn untersucht werden. Diese methodische Herangehensweise der ego-zentrierten Netzwerkanalyse, welche auch in den im Folgenden diskutierten Projekten verfolgt wird, fokussiert die interpersonale Umgebung einzelner Personen, der sogenannten Egos, aus deren Sicht: „An ego-centered, or local, network consists of a focal person or respondent (ego), a set of alters who have ties to ego, and measurements on the ties from ego to alters and on the ties between alters“ (Wasserman/Faust 1994, S. 53). Gerade diese Herangehensweise erlaubt es, soziale Formationen aus der Perspektive einzelner AkteurInnen zu erfassen und darüber Aussagen über die Einbettung von ihnen in Beziehungsgeflechte treffen zu können. Analyseeinheiten von ego-zentrierten Netzwerkstudien können also neben Beziehungen zwischen Ego und dessen Referenzpersonen (z. B. Intensität, Dauer), die Struktur der Netzwerke (z. B. Größe, Dichte, transnationale Ausdehnung) als

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auch individuelle Eigenschaften der Egos (Biographien, Migrationsverläufe, Orientierungen etc.) sein.

7.3 E go -zentrierte N e tz werk analyse zur E rforschung tr ansnationaler B eziehungskonstell ationen : z wei A nsätze Bei ego-zentrierten Netzwerkanalysen werden die direkten Beziehungen von einem/einer AkteurIn zu anderen AkteurInnen in dessen sozialen Umfeld sowie die Beziehungen zwischen diesen untereinander untersucht. Die einzelnen Beziehungen, die Zusammensetzung und die Struktur des Netzwerks werden jeweils aus der Sicht einzelner befragter Egos analysiert (vgl. Jansen 2006). Hierbei bestehen grundlegend zwei Verfahrensweisen: Erstens sind dies quantitative Verfahren, mit welchen unter Rückgriff auf konventionelle Auswahl- und Befragungsverfahren Netzwerke für große Samples mit statistischen Kennwerten beschrieben werden können. Und Zweitens sind dies qualitative Vorgehensweisen der visuellen Netzwerkerhebung durch Netzwerkzeichnungen (vgl. Scheibelhofer 2005) oder Netzwerkkarten (vgl. Hollstein/Pfeffer 2010), welche es erlauben, offen und mit geringen Vorannahmen auf die Befragten zuzugehen. Zugleich kann die Beschreibung der sozialen Umwelt zu einem Großteil über Begrifflichkeiten der Befragten und der Netzwerkvisualisierung vorgenommen werden (vgl. McCarty et al. 2007). Die Erhebungsinstrumente der ego-zentrierten Netzwerkanalyse wurden in Untersuchungen der sogenannten Community Studies und der sozialen Unterstützungsforschung entwickelt (vgl. Bott 1957; Fischer 1982; Laumann 1973; Wellman 1979). Ziel dieser Forschungsrichtungen ist es beispielsweise, den Einfluss von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen auf die Gestalt der Einbettung von AkteurInnen in soziale Beziehungen sowie die gesundheitsförderlichen Aspekte sozialen Rückhalts und alltäglicher Hilfe zu untersuchen (vgl. Nestmann 2001).

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Beziehungskonstellationen, die nationalstaatliche Grenzen überschreiten, wurden in dieser Forschungstradition nicht (explizit) betrachtet. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass spezifische Forschungsinteressen verfolgt wurden, bei denen Beziehungen ausgedehnter räumlicher Reichweite kaum Bedeutung zugemessen wurde. Zum Anderen orientierten sich Netzwerkstudien lange Zeit an traditionellen Konzeptionen von Community, welche Beziehungsstrukturen primär in nahräumlichen Verwandtschaftsund Nachbarschaftsverhältnissen untersuchte, wodurch Beziehungen zwischen weit voneinander entfernt lebenden Individuen keine Beachtung fanden (vgl. Bott 1957). Da der Betrachtungsfokus auf einer durch kopräsente Lokalität bedingten Sozialität lag, und Communities als abgrenzbare Einheiten räumlich-umrissener Nachbarschaften angenommen wurden, entfielen eine große Anzahl an Beziehungen zu Freunden oder Verwandten, die gerade nicht lokal organisiert sind, der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Diese unnötige Beschränkung kritisierte Wellman schon 1979: „They have thus assumed, a priori, that a significant portion of an urbanite’s primary ties are organized by locality“ (S. 1203). Wellman (1979) sieht jedoch die Vorteile der sozialen Netzwerkanalyse gerade in der Erforschung von Sozialstrukturen, die auch raumübergreifend organisiert sein können: „Instead, social network analysis is principally concerned with delineating structures of relationships and flows of activities“ (S. 1203). Im Zuge der konzeptuellen Ausrichtung sind soziale Verflechtungen nicht mehr ausschließlich als abgegrenzte soziale Einheiten zu verstehen und die räumliche Ausdehnung von Interaktionszusammenhängen a priori nicht festzulegen. Dies eröffnet Erkenntnisse für soziale Integration abseits von nahräumlichen Sozialstrukturen. Im Folgenden werden zwei empirische Forschungsprojekte, die sich jeweils der ego-zentrierten Netzwerkanalyse zur Erforschung von grenzübergreifenden Beziehungskonstellationen bedienen, beispielhaft vorgestellt. Die Ausführungen ermöglichen einen Einblick in die empirische Umsetzung des theoretisch diskutierten Ansatzes der SNA zur Erforschung von (raumübergreifenden) Beziehungen

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und eine methodische Reflexion des Einsatzes der Netzwerkanalyse in der Transnationalitätsforschung.

7.3.1 Ego-zentrierte Netzwerkanalyse als quantitative Online-Befragung Im ersten Projekt 3 wurden standardisierte Verfahren ego-zentrierter Netzwerkerhebung für die Erforschung transnationaler Unterstützungsnetzwerke von deutschen MigrantInnen in Großbritannien weiterentwickelt. Zentrale Forschungsfragen dieses Projektes waren dabei, welche unterschiedlichen Typen von (mehr oder weniger transnationalen) Personal Communities im Kontext einer innereuropäischen Migration zu beobachten sind, welche Formen von sozialer Unterstützung sich transnational zeigen und wie Beziehungs- und Netzwerkmerkmale soziale Unterstützung im transnationalen Kontext beeinflussen. Während die konventionelle Survey-Forschung Individuen nach individuellen Merkmalen, wie Alter, Geschlecht oder Status in Gruppen ordnet und damit blind für soziale Beziehungen und Strukturen wird, in welche Individuen eingebunden sind (vgl. Coleman 1958), erlaubt die Verwendung von netzwerkanalytischen Verfahren die Fokussierung dieser Beziehungsmuster. Dabei stellt die ego-zentrierte Netzwerkanalyse ein geeignetes Verfahren zur Beschreibung der persönlichen Einbettung einer hohen Anzahl von Befragten dar, da es gut in standardisierte Befragungen integrierbar ist (vgl. Wolf 2010). In dem Forschungsprojekt war die Erhebung der ego-zentrierten Netzwerke in einen standardisierten Online-Fragebogen eingebunden, der auch Fragen zum Migrationszeitpunkt, zur Migrationsmotivation und geographischen Mobilität, zur Zufriedenheit, Orientierung und Verortung, sowie zu sozialstatistischen Informationen der Befragten enthielt. Die ego-zentrierten Netzwerke wurden hierzu in drei Schritten erhoben (vgl. Matzat/Snijders 2007; McCarty et al. 3 | Bei dem ersten Projekt handelt es sich um die Forschungsarbeit von Andreas Herz.

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2007). Im ersten Schritt wurden die Befragten (Ego) über ein Set aus sieben Namensgenerator-Items aufgefordert, Referenzpersonen (Alteri) zu drei Dimensionen sozialer Unterstützung (emotional, instrumental und Geselligkeitsunterstützung) (vgl. McCallister/ Fischer 1978; Petermann 2005; van der Poel 1993) und sozialer Belastung (vgl. Lettner/Sölva/Baumann 1996) aufzulisten. Da im Projekt das Hauptaugenmerkt auf den Unterstützungsnetzwerken der Befragten lag, wurden die befragten Personen gebeten, die Namen/Kürzel von Alteri anzugeben, von welchen sie in einer der in den Namensgeneratoren operationalisierten Art und Weise im vergangenen Jahr unterstützt wurden4. Nachdem der Befragte die Angabe der Netzwerkpersonen abgeschlossen hatte, wurden diese Personen als Mitglieder des persönlichen Netzwerks des Befragten betrachtet. Im zweiten Schritt wurden Informationen zu den Beziehungen zwischen Ego und den Alteri sowie zu Eigenschaften 4 | Die einzelnen Namensgenerator-Items lauteten: „Um sich im Leben besser zurechtzufinden, verlässt man sich manchmal auf Ratschläge und Meinungen von anderen Menschen. Von welchen Personen nahmen Sie in den letzten 12 Monaten Ratschläge an, wenn es um wichtige Entscheidungen zum Beispiel über die Familie oder die Arbeit ging?“ (emotional), „Welche Personen haben Ihnen in den letzten 12 Monaten kleinere Erledigungen und Besorgungen abgenommen oder Ihnen bei Arbeiten wie dem Ausfüllen von Formularen oder einem Umzug geholfen?“ (instrumental), „Welchen Personen haben Sie sich im vergangenen Jahr zugewandt, wenn Sie sich niedergeschlagen fühlten und mit jemandem darüber reden wollten?“ (emotional), „Von welchen Personen haben Sie sich in den letzten 12 Monaten Geld geliehen?“ (instrumental), „Mit welchen Personen haben Sie im letzten Jahr gemeinsam Ihre Freizeit verbracht oder sind einem gemeinsamen Hobby nachgegangen?“ (Geselligkeitsunterstützung), „Mit welchen Personen hatten Sie im vergangenen Jahr Auseinandersetzungen oder Streitereien (z. B. über alltägliche Angelegenheiten, über Geld oder Besitz)?“ (Belastung) und „Welche Personen haben Ihnen vermittelt, dass Sie sich auf sie/ihn verlassen können (z. B. dass sie/er immer für Sie da sein wird, wann immer Sie Hilfe brauchen)?“ (emotional).

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der Alteri über sogenannte Namensinterpretatoren erhoben. Zu den Referenzpersonen wurden die Beziehungsdauer, Beziehungsintensität und Kontakthäufigkeit zu Ego sowie Angaben zum Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Wohnort der Alteri erfragt. Um Aussagen über die Struktur der Netzwerke treffen zu können, wurden im dritten Schritt anhand einer sogenannten Inter-AlterMatrix Daten über die Beziehungen zwischen den Alteri im egozentrierten Netzwerk erhoben. Hierbei wird der Befragte gebeten jeweils für die Beziehung zwischen zwei Alteri anzugeben, ob und wie gut sich beide Personen kennen. Insgesamt nahmen n = 234 Personen an der Befragung teil. Der Fragebogen wurde im Sommer 2009 als Paper-und-Pencil-Version entwickelt und im Herbst 2009 einer Reihe von Pretets unterzogen. Anschließend wurde die Online-Fassung des Fragebogens programmiert (vgl. Herz 2014; Herz/Gamper 2012). Die Befragung fand zwischen Mitte März und Anfang Mai 2010 statt. Da es sich bei der Zielgruppe – deutsche MigrantInnen in Großbritannien – um eine schwer erreichbare Zielpopulation handelt, die über traditionelle Methoden der Stichprobenziehung nur schwer und unzulänglich erreichbar ist, wurden mit Internetrecherchen und im Rahmen eines zweiwöchigen Forschungsaufenthaltes in London und Umgebung im November 2009 ungefähr 80 persönliche E-Mail-Adressen und zahlreiche Adressen von E-Mail-Verteilern, Online-Groups, Organisationen und Institutionen gesammelt, die später als Initialstichprobe eines Snowballsamplings (vgl. Gabler 1992; Salentin 1999) dienten (z. B. Online-Plattform „Deutsche in London“5, Goethe-Institut London, German YMCA London, Deutsche Schule London, DAAD). Neben dem Anbahnen und Erschließen von Zugangsmöglichkeiten zur Zielgruppe wurde dieser Feldaufenthalt im Weiteren zur Umsetzung von Pretests mit vorab kontaktierten Angehörigen der Zielgruppe genutzt. Gerade diese Phase der Kopräsenz wurde für das Anbahnen von Kontakten als besonders wichtig erachtet, da häufig 5 | Das Online-Forum „Deutsche in London“. Für weitere Informationen siehe: http://www.deutsche-in-london.net (18.05.2017).

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erst im persönlichen Gespräch deutlich wurde, wo weitere Zugänge zur Zielgruppe möglich waren.

7.3.2 Ego-zentrierte Netzwerkanalyse als qualitative Interview-Erhebung Im zweiten Projekt6 wurden anhand von Elementen der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse transnationale Netzwerke von ghanaischen RemigrantInnen aus Deutschland untersucht. Dieser akteursorientierte Forschungsansatz ermöglicht, persönliche Netzwerke visuell, sowie die subjektive Wahrnehmung und Einschätzung der Netzwerke durch die AkteurInnen narrativ zu erheben. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Forschungsfrage: Welche transnationalen Muster können in „Migrationsbiographien“7 und persönlichen Netzwerken von ghanaischen RemigrantInnen beschrieben werden, welche Bedeutung haben diese für die AkteurInnen und welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen den Migrationsbiographien und den sozialen Netzwerkstrukturen? Dabei wurden die Lebensführung sowie die transnationale soziale Einbettung der RemigrantInnen fokussiert. Zur Beantwortung dieser Forschungsfoki wurde in einem ersten Erhebungsschritt ein erzählgenerierendes, offenes Leitfadeninterview geführt, das den Migrationsverlauf, die aktuelle Lebenssituation und die Zukunftsperspektive der Akteu6 | Bei dem zweiten Projekt handelt es sich um die Forschungsarbeit der Autorin. 7 | Dieses zugrundeliegende Verständnis von Biographie und die methodische Erhebung unterscheiden sich dabei prinzipiell von dem Ansatz der „rekonstruktiven Biographieforschung“ und der „narrativ-biographischen Analyse“. Die „Migrationsbiographie“ fokussiert vorliegend lediglich den Ausschnitt der Gesamtbiographie, der durch Migrationsprozesse gekennzeichnet ist und richtet sich dabei nicht nur auf die Vergangenheit und dem bis dahin zurückgelegten Migrationsverlauf, sondern gleichsam auf die Gegenwart (aktuelle Lebenssituation) und die Zukunft (Zukunftsperspektive) der AkteurInnen.

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rInnen thematisierte. Mittels einer offenen Erzählaufforderung8 wurde eine verlaufsbezogene Erzählung generiert und im Anschluss einzelne Themenbereiche fokussiert. In einem zweiten Schritt kam die qualitative ego-zentrierte Netzwerkanalyse (QNA), die in der Studie aus der Kopplung von einem semi-strukturiertem Interview, einer ego-zentrierte Netzwerkkarte (vgl. Straus 2006) und einem Kurzfragebogen bestand, zum Einsatz. Um den Übergang des offenen Leitfadeninterviews zur QNA zu gestalten musste zunächst ein Themenwechsel von der Fokussierung der „Migrationsbiographie“ hin zu einer Thematisierung sozialer Beziehungen vollzogen werden. Dabei stellt die QNA sowohl einen akteursorientierten, als auch partizipativen Forschungsansatz dar, indem die visuelle Karte gemeinsam von InterviewerIn und InterviewteM erstellt wird. Die Netzwerkkarte fungiert somit als „gemeinsames Drittes“, als eine Art Erzählgenerator. Sie kann jedoch nicht nur als ein dialogisch-reflexives Element in der Erhebungssituation, sondern auch als ein analytisches Instrument in der Auswertung genutzt werden. Obwohl jedes Interview und die Netzwerkerhebung individuell unterschiedlich verlief, orientierte sich die Erhebung an einem Ablauf (siehe Kap. 6.3.2 in diesem Band). Nach der Einführung und Erläuterung der Netzwerkkarte, die ihren Fokus auf die geographische Distanz und Nationalität legt, wurde der/die InterviewpartnerIn nach der eigenen Kategorisierung der Personen gefragt, die er/sie momentan zu seinem/ihrem Netzwerk zählt (z. B. eigene Familie, erweiterte Familie, Schulfreunde, Alumni-Freunde, Arbeitskollegen etc.). Die Gruppierungen wurden farblich unterschieden und die Informationen auf einem Blatt festgehalten (z. B. eigene Familie: rot; erweiterte Familie: orange; Schulfreunde: braun, Alumni-Freunde: 8 | Die Erzählaufforderung lautete: „Ich würde zunächst gerne etwas über Sie und Ihr Leben erfahren. Könnten Sie damit beginnen, wie der Plan entstanden ist nach Deutschland zu gehen und die Zeit bis heute beschreiben? Mich interessiert alles, was Sie erzählen möchten und was für Sie wichtig ist.“

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blau etc.). Im nächsten Schritt folgte ein Namensgenerator9, der auf die Personen des aktuellen persönlichen Netzwerkes fokussierte. Die Alteri wurden nacheinander genannt und gemeinsam mit der passenden Farbe für die Personengruppe in die Netzwerkkarte eingetragen, wobei mehrdimensionale Rollenzuteilungen möglich waren. Dabei wurden jeweils zunächst der Name und die Attribute (Nationalität, Wohnort, Geschlecht) erfasst. Die Art und die Inhalte der Beziehungen, sowie detailliertere Informationen und Geschichte zu den Alteri wurden dabei in weiteren Erzählungen generiert (z. B. Seit wann kennen Sie sich? Wie haben Sie sich kennengelernt? Welche Geschichte verbinden Sie mit der Person, wenn Sie an sie denken? etc.). Nacheinander wurden so alle für den/die AkteurIn relevanten Personen im Netzwerk aufgenommen. Nach den Beziehungen zu den Individuen wurden auch Kontakte zu Organisationen erhoben. Im fortschreitenden Verlauf des Netzwerkinterviews wurden die Beziehungen der AkteurInnen im Netzwerk untereinander, die sogenannten Alter-Alter-Relationen, eingetragen. Erst nach der Erfassung des persönlichen Egonetzwerkes und dessen Struktur wurden konkrete Namensinterpretatoren zu sozialen Unterstützungsleistungen, zur Wichtigkeit und emotionalen Nähe der Personen, sowie zu konflikthafte Beziehungen und sozialen Belastungen gestellt.10 Oftmals führte diese Thematisierung dazu, dass weitere Personen, die zuvor nicht genannt worden waren, ins Netzwerk eingezeichnet wurden. Die Arbeit mit der Karte mündete in einer gemeinsamen Reflexion mit der interviewten Person über das gezeichnete Netzwerk und dessen Konstellation. Am Ende

 9 | Der Namensgenerator lautete: „Mit welchen Personen stehen Sie zurzeit in Kontakt?“ 10 | Einige Nameninterpretatoren lauteten etwa: „Wer unterstützt Sie in Ihrer momentanen Lebenssituation?“, „Wer sind für Sie die emotional wichtigsten Personen in Ihrem Umfeld?“, „Gibt es jemanden, der Ihre Hilfe benötigt?“

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des Interviews wurden zudem die Zukunftsvorstellungen11 der AkteurInnen thematisiert. Das Interview erfüllte beim Ablauf der qualitativen QNA primär die Aufgabe die Art und den Hintergrund der Beziehungen sowie die Wahrnehmungen der AkteurInnen zu erfassen, wohingegen die Visualisierung die Darstellung der Netzwerkstrukturen und somit die Sichtbarmachung der Struktur der Beziehungen ermöglichte. Die Kopplung von Visualisierung und Interview gestattete insgesamt die wahrgenommenen Netzwerkbeziehungen aus Akteurssicht interaktiv erheben zu können (vgl. Straus 2002). Das Interview endete mit der Ausfüllung eines Kurzfragebogens, der die sozio-demografischen Daten und die transnationalen Bewegungen des/der InterviewpartnerIn erfasste. Insgesamt wurden im Rahmen eines von August bis Dezember 2009 stattfindenden Forschungsaufenthaltes an verschiedenen Orten in Ghana 35 erzählgenerierende, offene Leitfadeninterviews geführt, 26 visuelle ego-zentrierte Netzwerkzeichnungen gekoppelt mit semi-strukturiertem Interviews angefertigt und 35 Kurzfragebogen ausgefüllt.12

11 | Fragen wie:„Wie bewerten Sie Ihr eigenes Netzwerk?“, „Möchten Sie in Zukunft etwas in Bezug auf Ihre sozialen Kontakte ändern?“, „Was sind Ihre Zukunftsvorstellungen?“, „Gibt es jemandem in Ihrem Netzwerk, der Ihnen bei der Realisierung Ihrer Zukunftspläne behilfreich sein kann?“ wurden gestellt. 12 | Zusätzlich wurde die teilnehmende Beobachtung (vgl. HauserSchäublin 2003; Lüders 2001) als Methode genutzt, um Hintergrundinformationen über die Lebenssituation der AkteurInnen gewinnen und deren weiteren sozialen Kontext erfassen zu können. Im Weiteren wurden nach der Erhebung der akteurszentrierten Daten Experteninterviews (vgl. Gläser/Laudel 2004) mit zentralen VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) geführt, um die empirischen Daten an das migrationspolitischen Geschehen in Ghana rückkoppeln zu können. Die vorliegenden Ausführungen konzentrieren sich jedoch lediglich auf den Ansatz der QNA und deren methodische Umsetzung in der Studie.

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Im Folgenden werden zunächst vorgenommene Modifikationen für beide Erhebungsverfahren erläutert, welche für die spezifische, transnationale Situation von Nöten waren. Weiterhin werden der Einsatz und die Rolle von Visualisierungen, sowie die strukturelle Betrachtungsweise, welche für eine netzwerkanalytische Herangehensweise als elementar erachtet wird (vgl. Freeman 2004), für beide Projekte thematisiert und näher beleuchtet.

7.4 M odifik ation bestehender E rhebungsverfahren Will man transnationale soziale Formationen erfassen, so sind methodische Zugänge notwendig, welche deren Erhebung und Analyse erlauben. So erhielt in beiden Projekten die Operationalisierung der transnationalen Ausdehnung der ego-zentrierten Netzwerke eine besondere Aufmerksamkeit. Die Operationalisierung von Beziehungen ist dabei immer an Setzungen der Forschenden gebunden und erforderte eine Modifikation bestehender Erhebungsverfahren der SNA, da Forschungsinstrumente an das zu erforschende Feld angepasst werden sollen und nicht umgekehrt (vgl. Bernardi/Keim/ von der Lippe 2006). So wurde im quantitativen Projekt Transnationalität von Beziehungen danach definiert, ob diese eine nationalstaatliche Grenze überschreiten. Voraussetzung zur Bestimmung dieser Transnationalität ist die Erhebung des Wohn- und Lebensortes von Ego und den Alteri. Die geographisch-räumliche Ausdehnung von ego-zentrierten Netzwerken war bislang zwar immer wieder Teil von Netzwerkstudien, jedoch wurden transnationale Beziehungen häufig nicht als eigene Kategorie in Erhebungsverfahren berücksichtigt. Zur Erfassung der Entfernung in einer quantitativen Befragung bestehen unterschiedliche Möglichkeiten: So können Entfernungen zwischen Ego und den Alteri metrisch über die Angabe von Distanz in Kilometern gemessen werden. Dabei kann über diese Messung jedoch nicht eindeutig festgestellt werden, ob eine Beziehung trans-

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national ist, da transnationale Beziehungen zum Teil auch sehr kurze Distanzen überbrücken können. Die Zuverlässigkeit der metrischen Einschätzung hängt weiterhin sehr vom Einschätzungsvermögen der befragten Egos ab. Eine weitere Herangehensweise stellt die Zuordnung der Entfernung zwischen Ego und Alter in vorgegebenen Kategorien, wie etwa „im selben Haushalt“, „im selben Haus“, „in der Nachbarschaft“, „im gleichen Stadtteil“, „im gleichen Ort“, „in einem anderen Ort“, „wohnt weiter entfernt, über eine Stunde“ dar (Hennig 2006, S. 173). Transnationale Beziehungen können bei dieser Operationalisierung jedoch nicht separat analysiert werden, da unklar ist, in welche Entfernungskategorie sie von den Befragten gezählt werden. Eine weitere Möglichkeit der Operationalisierung besteht darin, die Adressen der Alteri abzufragen, was jedoch mit einem beträchtlichen Ausmaß an fehlenden Werten verbunden sein kann, zumal befragte Egos die genaue Adressanschrift der Alteri nicht wissen oder nicht preisgeben wollen, da es sich um vertrauliche Informationen handelt (vgl. Kowald et al. 2010). In neueren Transnationalitätsstudien wurden grenzüberschreitende Beziehungen daher zumeist direkt erhoben. So verwendet Dahinden (2009) einen mehrdimensionalen Namensgenerator, mit welchem sie neben unterstützenden Beziehungen die befragten Egos anhand eines Items dazu auffordert, Personen anzugeben, die außerhalb des Erhebungslandes wohnen und welche für die Befragten bedeutend sind. In ähnlicher Weise erheben auch Mau und Mewes (2008) im „Survey Transnationalisierung 2006“ transnationale Beziehungen einer Stichprobe der deutschen Wohnbevölkerung, indem sie konkret nach Personen fragen, die im Ausland leben. Beiden Studien ist also gemein, dass transnationale Beziehungen direkt erfragt wurden, d. h. dass auf den Stimulus eines Namensgeneratoritems direkt der Name einer Person angegeben werden konnte. Die Verwendung dieser direkten Methode kann deutliche Unterschiede in der Struktur der Netzwerke erzeugen. Werden Beziehungen direkt über Namensgeneratoren erfasst, so besteht die Gefahr des oversamplings dieser spezifisch abgefragten Beziehungen. McPherson, Smith-Lovin und Cook (2001) weisen am Beispiel

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der Erhebung von interethnischen Beziehungen darauf hin, dass Fragen, mit denen Befragte dazu aufgefordert werden interethnische Kontakte anzugeben, sie dazu veranlasst, stärker interethnische Beziehungen in der Befragung anzugeben. Das bedeutet, dass Beziehungen zu Personen einer anderen Ethnie im Vergleich zu Beziehungen zu Personen der eigenen Ethnie überrepräsentiert werden. Um diese methodischen Schwierigkeiten zu umgehen, wurde in der hier vorgestellten quantitativen Studie ein indirektes Vorgehen der Erhebung von transnationalen Beziehungen angewandt. Die Befragten wurden anhand der oben genannten NamensgeneratorItems gebeten Alteri anzugeben. Dabei wurde nicht von Anfang an auf jene Personen fokussiert, die im Ausland leben, sondern zunächst alle Beziehungen erfasst, die als in unterschiedlicher Weise unterstützend oder belastend wahrgenommen wurden. Die Anzahl der Alteri war für alle Items im Namensgenerator weder vorgegeben, noch zahlenmäßig begrenzt. Nach Fertigstellung der Liste an Alteri, wurde für alle genannten Beziehungen ermittelt, ob die Beziehung zwischen Ego und Alter transnational ist. Hierzu wurde über folgendes Namensinterpretator-Item erfragt, ob die genannten Alteri in Großbritannien oder außerhalb leben: „Welche der Personen, die Sie genannt haben, wohnen derzeit in Großbritannien?“. Weiterhin wurde für eine Auswahl an maximal acht Beziehungen je Befragten, welche zufällig aus den angegebenen Alteri gezogenen wurden, die Distanz zwischen Ego und Alter über das Kriterium des Wohnorts der Alteri spezifiziert: „Wo wohnt diese Person, wie weit entfernt?“: „im selben Haushalt“, „im gleichen Ortsteil/Stadtteil“, „im gleichen Ort/hier in der Stadt“, „in einem anderen Ort in GB (in bis zu 2 Stunden erreichbar)“, „in einem anderen Ort in GB (mehr als 2 Stunden entfernt)“, „in Deutschland“ oder „in einem anderen Land“. Wenn die Befragten die letzte Kategorie ankreuzten, dann wurden sie aufgefordert, das genaue Land einzutragen. Dies erlaubte zu ermitteln, ob es sich um transnationale Beziehungen, oder etwa lediglich um weit voneinander entfernte Beziehungen handel-

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te, ohne im Weiteren eine Überrepräsentation der transnationalen Beziehungen zu erzeugen. Auch in der qualitativen Studie wurden bestehende Methoden der qualitativen Netzwerkanalyse an das Forschungsinteresse angepasst. „Eine offene Herangehensweise und die Bereitschaft zur methodischen Reflexion sind […] in der qualitativen Netzwerkforschung unverzichtbare Grundhaltungen“ (Bernardi/Keim/von der Lippe 2006, S. 388). Ein offener Zugang, die methodische Modifikation sowie das Betreten von Neuland sind dabei zudem nicht nur bereits Grundelemente der qualitativen Sozialforschung, sondern besonders in transnationalen Forschungskontexten von Nöten. Die erste Modifikation bestand in dem Verhältnis von der Analyse des sozialen Netzwerkes und weiteren Aspekten, die im Interview erhoben wurden. Dabei wurde der Fokus nicht nur auf die Wahrnehmung sozialer Beziehungen gelegt, sondern der „Migrationsbiographie“ wurde eine gleichsam große Gewichtung zugesprochen. In der Studie wurde daher neben der Struktur der Netzwerke auch die Lebensgeschichte der Individuen erfasst. Somit wurde anstatt von Beginn des Interviews an lediglich auf die sozialen Kontakte der Befragten zu fokussieren, ein erzählgenerierendes, offenes Leitfadeninterview geführt, in welchem zwar oftmals bereits soziale Beziehungen thematisiert und somit schon Hintergrundinformationen zu später genannten Alteri geliefert wurden, jedoch auch Migrationsverläufe, Handlungsmuster, Relevanzsetzungen, Orientierungen und Zugehörigkeiten der AkteurInnen Raum fanden. Die aus dem erzählgenerierenden Interview gewonnenen Informationen wurden zur Kontextualisierung der Beziehungen von Ego verwendet und stellten mittels der Grounded Theory einen relevanten Bestandteil der gekoppelten Analyse dar, denn „die Stärke eines Erhebungsinstrumentes, das den Anspruch zurecht erhebt, narrativ und strukturiert zugleich zu sein, muss sich in der Verschränkung beider Ebenen in der Auswertung des empirischen Materials wiederfinden“ (Straus 2006, S. 493). Die Erfassung der „Migrationsbiographie“ vermag somit den Zusammenhang dieser mit den sozialen Netzwerken zu analysieren und die bisherige Lü-

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cke der SNA, die Jansen (2006) „im noch zu wenig reflektierten Verhältnis zwischen konkreten Netzwerken und Interaktionen und subjektiven Bedeutungszuschreibungen, Normen und Institutionen, Kulturen und Symbolwelten“ (S. 278) bezeichnet, weiter zu schließen. Dies ist insofern hilfreich, da eine Fokussierung auf Individuen und soziale Netzwerke die Analyse des Zusammenhangs von sozialen Netzwerkstrukturen, Möglichkeitsräumen, individuellen Handlungen und Agency der AkteurInnen ermöglicht (vgl. Diaz-Bone 2007). Die ego-zentriete NA ermöglichte somit neben der Analyse von Relationen auch biographische Themen in den Kern der Forschung zu stellen. Dies ist besonders in transnationalen ego-zentrierten Netzwerkforschungskontexten von Bedeutung, da die aktuelle Lebensführung von Ego, demnach seine momentanen Gesinnungen, seine Lebenssituation und seine Zukunftsvorstellungen nicht nur in Bezug auf sein jetziges soziales Netzwerk erklärt werden kann, sondern die „biographische“ Sichtweise notwendig ist, um Migrationsverläufe, Mobilitätspraktiken, die persönliche Sicht auf Nationalstaatlichkeit, sowie Einstellungen- und Verhaltensänderungen aufschlüsseln zu können, die neben sozialen Netzwerkstrukturen eine weitere Erklärungsgröße für die momentanen mehr oder weniger transnational ausgeprägten Orientierungen und Handlungsmuster von Ego sind. Des Weiteren ermöglichen der biographische Fokus und die Akteursperspektive, Transnationalität nicht nur eindeutig als nationalstaatliche Grenze überschreitende Beziehungen vorzudefinieren, sondern die Perspektive für weitere Formen von Transnationalität zu öffnen. Neben der relationalen Transnationalität anhand der Karte wurden drei weitere transnationale Muster induktiv aus dem Interviewmaterial gewonnen: Physikalische Transnationalität, transnationale Identitäten und transnationale Selbst-Positionierungen. Eine wesentliche Veränderung bezog sich auf die Anpassung der Instrumentarien der visuellen Erfassung der sozialen Netzwerke, welche im zweiten Projekt für die Netzwerkinterviews herangezogen wurden. Die in der Studie verwendeten ego-zentrierten Netz-

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werkkarten, die anhand von konzentrischen Kreisen strukturiert waren, wurden zur Erhebung in einer abgewandelten Form verwendet. Northway (1940) arbeitete erstmals mit dem konzentrischen Kreis-Modell um Akzeptanzgrade von Gruppenmitgliedern abbilden zu können. Daraus entwickelten Kahn und Antonucci (1980) eine Methode zur Darstellung von Unterstützungsnetzwerken, welche heute als Social Convoy Model bekannt ist. Um auch transnationale Beziehungskonstellationen visuell erfassen zu können, wurden die Kreise des auch als „Methode der konzentrischen Kreise“ (vgl. Hollstein/Pfeffer 2010) bekannt geworden Instruments nicht, wie üblich, mit dem Element Wichtigkeit und die Sektoren mit Personengruppen (Alteri) belegt. Der Fokus wurde stattdessen auf die geografische Distanz und Nationalität der Alteri gelegt. Dabei wurde die Karte in drei gleich große Sektoren für unterschiedliche Nationalitäten unterteilt, je ein Sektor für GhanaerInnen, Deutsche

Abbildung 1: Modifizierte ego-zentrierte Netzwerkkarte (Quelle: Eigene Darstellung mit VennMaker)

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und andere Nationalitäten. Im Weiteren wurden vier konzentrische Kreise konstruiert, die mit der Dimension räumliche Distanz besetzt wurde, wobei der innerste Kreis für lokal, der zweite für regional, der dritte für national und der äußerste für Ausland steht (siehe Abb. 1). Die Schwerpunktsetzung auf die geografische Distanz und Nationalität erfolgte von der Forscherin, um dadurch transnationale und transkulturelle Muster des jeweiligen Ego-Netzwerkes einfangen zu können. Somit konnten die transnationalen Beziehungsstrukturen und die relationale Transnationalität der AkteurInnen visuell erfasst werden. Die Ausrichtung der Netzwerkerhebung diente somit der Beantwortung der Forschungsfrage und war dabei unabhängig von den Inhalten, die im offenen Leitfadeninterview im Vorfeld thematisiert wurden. Die Karte wurde den InterviewpartnerInnen im Verlauf der Erhebung präsentiert und gemeinsam ausgefüllt. Letztlich wurde, wie im quantitativen Design, ein indirektes Vorgehen gewählt, indem zunächst die Beziehungen des persönlichen Netzwerks in ihrer Gesamtheit erfasst wurden, um eine erhöhte Relevanzsetzung für transnationale Beziehungen zu Personen, die im Ausland leben, zu vermeiden. Die Karten wurden mit dem digitalen Tool VennMaker konstruiert und zu Erhebung ausgedruckt, so dass die Interviewten ihre sozialen Kontakte mit farbigen Stiften in die auf Papier ausgedruckten Karten eintragen konnten (vgl. Olivier 2013; siehe Kap. 6 in diesem Band).

7.5 V isualisierung

zur

E rhebung

und

A nalyse

Neben der Modifikation bestehender Erhebungsverfahren, war für beide Studien die Visualisierung der sozialen Beziehungen von Bedeutung. Die Visualisierung (transnationaler) Beziehungsstrukturen war dabei zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten des Forschungsablaufs von Relevanz. So diente die Visualisierung der ego-zentrierten Netzwerke über Graphen im quantitativen Design zur Analyse, also zur Verdeutli-

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Abbildung 2: Darstellung des ego-zentrierten Netzwerkes als Graph (Quelle: Eigene Darstellung mit visone) chung der beobachteten Beziehungsformationen und Präsentation der Ergebnisse. Abbildung 2 zeigt das durchschnittlich-berichtete Netzwerk der befragten deutschen StaatsbürgerInnen in Großbritannien. Dieses Durchschnittsnetzwerk umfasst etwa sechs Referenzpersonen, von denen unterschiedliche Arten sozialer Unterstützung ausgehen. Im Durchschnitt weisen die Netzwerke eine Dichte von .49 auf, d. h. etwa die Hälfte der genannten Alteri haben auch untereinander Kontakt. Dieses Netzwerk zeigt aber auch die Bedeutung von transnationalen Beziehungen im Kontext einer innereuropäischen Migration, da im Schnitt 2,5 grenzüberschreitende Beziehungen berichtet wurden (graue Knoten). Auch wird ersichtlich, dass transnationale Beziehungen zwischen Alteri bestehen (z. B. zwischen Alter 5 und Alter 6). Bei der qualitativ-partizipativen Methode wurden die Visualisierungen der Netzwerkkarten in verschiedenen Forschungsstadien genutzt. Bei der Erhebung der Netzwerkdaten war neben dem Datenformat des gesprochenen Wortes gleichsam die visuelle Darstellung der persönlichen Netzwerke von zentraler Bedeutung. Zur

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Archivierung der Visualisierung und Auswertung der Daten wurden die von Hand auf Papier und Buntstiften in der Erhebung eingezeichneten Netzwerkkontakte (siehe Abb. 3/1) zunächst mit dem Softwaretool VennMaker digitalisiert (siehe Abb. 3/2). Anschließend dienten die digitalisierten Visualisierungen der Identifikation von transnationalen AkteurInnen. Diejenigen Alteri werden als transnational bedeutende AkteurInnen angesehen, die im Vergleich zu anderen im Netzwerk am meisten grenzüberschreitende Beziehungen aufweisen. Dies sind nicht unmittelbar die Personen, die sich im letzten Kreis, im Ausland, befinden und zu denen transnationale Beziehungen bestehen. Dabei werden immer mehr Personen aus dem Netzwerk gelöscht, die für die transnationale Rolle nicht in Frage kommen, indem die Verbindungslinien gezählt werden, die den dritten und vierten Kreis der Karte überschreiten. Durch die Selektion und das Herauslösen können so die transnational vernetzten AkteurInnen bestimmt werden. Somit wurde die Visualisierung in der Studie genutzt, um ein qualitativ-beschreibendes Analyseverfahren zu entwickeln, welches nicht nur die Analyse von Einzelbeziehungen, sondern auch die Auswertung der Strukturebene ermöglicht (vgl. Herz/Peters/Truschkat 2015, siehe auch Kap. 6 in diesem Band). Das Verfahren ermöglichte in der Analyse somit die Verknüpfung von Struktur- und Akteursebene und letzten Endes somit die soziale Netzwerkanalyse als Instrumentarium zu nutzen, um die Dynamik von Migrationskreisläufen und -netzwerken sichtbar zu machen. Schließlich wurden die digitalen Netzwerkkarten auch im qualitativen Design zur Präsentation der Ergebnisse herangezogen, um die transnationalen AkteurInnen hervorzuheben, indem diese visuell durch einen Kreis um die Alteri gekennzeichnet wurden, wie Abbildung 3/2 zeigt. Die Visualisierungen fungierten bei dem qualitativen Ansatz somit als dialogisch-reflexives Instrument in der Erhebungssituation, als analytisches Instrument bei der Auswertung sowie als repräsentatives Element in der Ergebnisdarstellung.

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Abbildung 3: Visuelle Erhebung und Auswertung der qualitativen ego-zentrierten Netzwerkkarte (Quelle: eigene Erhebung und Darstellung)

Somit ist zu konstatieren, dass in beiden Ansätze der SNA die Visualisierungen der sozialen Netzwerke – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – eine Rolle spielte. Dabei bezweckten die Visualisierungen insgesamt eine Verdeutlichung der (transnationalen) sozialen Strukturen.

7.6 S truk turelle P erspek tive Im Weiteren fanden bei beiden Projekten neben Informationen zu den Beziehungen der Befragten zu den genannten Referenzpersonen im persönlichen Umfeld auch die Beziehungen der Referenzpersonen untereinander Berücksichtigung (Alter-Alter-Relationen), um somit Aussagen über die Struktur der Netzwerke machen zu können. So ermöglicht die strukturanalytische Betrachtung, Aussagen über die Ebene einzelner Beziehungen bzw. der Ego-AlterBeziehungen hinaus auch für die Einbettung von Ego zu treffen, die für die netzwerkanalytische Tradition als wichtig erachtet wird (vgl. Freeman 2004). Während die strukturelle Perspektive in quantita-

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tiven Studien weit verbreitet ist, stellt sie in qualitativen Zugängen über Netzwerkzeichnungen bislang eher die Ausnahme dar (vgl. Diaz-Bone 2007). Im quantitativen Projekt wurden die befragten Egos in einer Inter-Alter-Matrix gebeten, die Alter-Alter-Relationen für maximal acht Alteri, die zuvor zufällig aus der Menge der genannten Alteri ausgewählt wurden anhand des folgenden Items zu qualifizieren: „Nun würden wir gerne von Ihnen wissen, wie gut sich die Personen in Ihrem Umfeld untereinander kennen. Wählen Sie bitte im jeweiligen Feld „gut“, „weniger gut“, „flüchtig“, „gar nicht“ oder „weiß nicht“ aus“. Die erhobenen Daten erlauben beispielsweise die Berechnung der Dichte (Anzahl der vorhandenen Beziehungen gewichtet an der Anzahl der möglichen Alter-Alter-Beziehungen) und die transnationale Verbundenheit (Verhältnis der vorhandenen grenzüberschreitenden Beziehungen zur Zahl der möglichen grenzüberschreitenden Beziehungen) der Netzwerke. Gerade über diese Beschreibungsmaße sind Aussagen darüber möglich, wie stark die Alteri im Netzwerk untereinander (auch transnational) verbunden sind und ob transnationale Subnetzwerke zu beobachten sind. Im qualitativen Projekt wurden die Strukturinformationen einerseits zur Feststellung von Clustern, also der Analyse von Subnetzwerken von untereinander stärker verbundenen AkteurInnen, verwendet. Und andererseits erlaubte die Analyse der Alter-AlterRelationen die Identifikation von sogenannten transnationalen Referenzakteuren, das heißt von Personen, die auch unabhängig von Ego ein hohes Ausmaß transnationaler Beziehungen aufweisen. Die gesonderte Betrachtung dieser AkteurInnen empfiehlt sich mit Blick auf die für Ego entstehenden Gelegenheitsstrukturen und Ressourcenquellen. Da die Einbettung der AkteurInnen in soziale Beziehungen das individuelle Handeln prägen (vgl. Mitchell 1969) und somit zur Erklärung von Verhalten die Verortung dieser in sozialen Strukturen herangezogen werden sollte, wurden die Möglichkeiten und Erkenntnisse, die eine strukturelle Analyse durch die Identifikation der transnationalen AkteurInnen

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bietet, im Auswertungsprozess genutzt. Bei der Betrachtung der momentanen Lebenssituation und den Zukunftsvorstellungen der AkteurInnen sind Handlungen von Ego nur ganzheitlich in Bezug auf die Eingebundenheit in dessen soziales Netzwerk zu verstehen. So bestimmen die Netzwerkkontakte und die Opportunitäten, die diese schaffen, zumeist nicht die prinzipiellen Orientierungen, das heißt, ob ein/e AkteurIn z. B. für eine weitere berufliche Qualifikation erneut ins Ausland migrieren möchte oder nicht. Aber die transnationalen AkteurInnen und auch die transnationalen Beziehungen zu Personen im Ausland werden oftmals zur Realisierung dieser Absichten genutzt. Demnach wurde bei einem erneuten Migrationswunsch bei den Personen, die ein dichtes Netzwerk aufweisen und strategisch-aktives Networking betreiben, der Zielort der Migration anhand der sozialen Kontakte und den daraus entstehenden Möglichkeitsstrukturen des Netzwerkes gewählt. Das heißt die Motivation und Zielorientierung von Ego bestimmen, welche sozialen Kontakte von Relevanz sind und diese bestimmen wiederum, auf welche Art und Weise das Erreichen des Ziels „Migration“ umgesetzt wird. Somit spielen individuelle und objektive Aspekte, oder wenn man es in Giddens (1976) Worten ausdrücken will „social structures und human agency“ S. 121) eine wechselseitige Rolle bei der Regulierung von Handlungen. Durch die Kopplung der strukturellen Analyseebene der Visualisierung mit der Analyse des Datenmaterials der Interviews können so Handlungsmuster der Individuen mit Blick auf individuelle Motivationen und strukturelle Kontextfaktoren analysiert werden. Die strukturanalytische Betrachtungsweise ermöglicht somit für beide Studien Aussagen über die Einbettung von Ego treffen zu können.

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7.7 M obilität in tr ansnationalen S tudien unter V erwendung der SNA Wie unter Kapitel 7.2 erörtert, folgt die sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse in ihrer Vorgehensweise primär sozialen Beziehungen und ermöglicht dadurch die Erfassung von „cross-cutting“, also übergreifenden Beziehungskonstellationen (Vertovec 2009, S. 32). Über den relationalen Fokus werden soziale Netzwerke unter Betrachtung genommen, die zwei oder mehrere Orte miteinander verbinden, also pluri-lokal organisiert sind bzw. sein können, ohne dass gleichzeitig mehrere Orte beforscht werden, wie dies beispielsweise auch unter Verwendung der Multi Sited Ethnography vorgeschlagen wird (vgl. Köngeter/Wolff 2012; Marcus 1995). Gleichsam ist die sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse für die Beschreibung und Analyse von Phänomenen angemessen, für welche angenommen wird, dass das Zusammenfallen von sozialen und lokalen Grenzen unrealistisch ist. Wie aber gestaltet sich die persönliche geographische Mobilität der Forschenden unter Verwendung von netzwerkanalytischen Methoden? Bei der quantitativen Studie wurde die ego-zentrierte Netzwerkerhebung über eine Online-Befragung umgesetzt (vgl. Herz 2014; Herz/Gamper 2012). Aufgrund der prinzipiellen Ortsungebundenheit der selbstadministrierten Befragungssituation muss der/die ForscherIn für die Erhebung von Daten zu transnationalen sozialen Phänomenen daher nicht zwingend selbst eine (nationalstaatliche) Grenze überschreiten. Diese Art der Umsetzung einer ego-zentrierten Netzwerkerhebung ist als besondere Vorgehensweise zu betrachten, welche unter verhältnismäßig geringen Aufwand und Kosten eine Fragebogenerhebung im translokalen Forschungszusammenhang erlaubt. In traditionell standardisierten Befragungen ist vor allem bei großer geographischer Distanz zwischen ForscherIn und BefragungsteilnehmerInnen sowie zwischen den BefragungsteilnehmerInnen mit großem logistischem und zeitlichem Aufwand zu rechnen. Web-basierte Befragungen können die erforderlichen Daten sehr viel schneller und vor allem kostengünstiger liefern (vgl.

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Weber/Brake 2005). Für standardisierte Forschungen in transnationalen Kontexten reduzieren Befragungsformen über Web-Surveys, die keine Kopräsenz von InterviewerIn und InterviewteN erfordern, die Kosten. So können Personen sehr einfach an unterschiedlichen geographischen Standorten über eine Befragung erreicht werden, ohne dass der/die ForscherIn selbst mobil wird. Einzige Voraussetzung stellt ein funktionierendes Internet und die Ausstattung der Befragten mit Laptops oder PCs dar. Gerade die Weiterentwicklung moderner Kommunikationstechnologien sowie deren weite Verfügbarkeit erlauben diese Form von Internet-Befragungen zur Datenerhebung einzusetzen. Dabei ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass bei der geschilderten Form einer standardisierten Untersuchung zwar die Umsetzung der Hauptbefragung im Online-Modus ohne Mobilität des/der Forschenden realisiert wurde, dass andere Bestandteile des Forschungsablaufs (kopräsente Anbahnung von Kontakten zur Zielgruppe, Umsetzung von Pretests) die transnationale Mobilität zur Voraussetzung hatten. Bei der qualitativen Studie setzt die Erhebung der Netzwerkkarten, welche in der Erhebungssituation in offene Leitfadeninterviews integriert waren, die physische Kopräsenz der/des ForscherIn am Erhebungsort, somit deren transnationale Mobilität (von Deutschland nach Ghana) und translokale Mobilität (innerhalb Ghanas), voraus. Jedoch ist auch hier die Erhebung des transnationalen Phänomens h. die Erfassung der transnationalen mobilitätsunabhängig, d.  Beziehungen konnte an einem Ort erfolgen. Zwar ist es gleichermaßen möglich web-basierte Interviews, etwa mit Hilfe von Skype durchzuführen, jedoch gibt es bislang noch keine Online-Lösungen, mit Hilfe derer Netzwerkkarten durch digitale Tools von ProbandIn und ForscherIn an zwei getrennten PCs gemeinsam erstellt werden können. Im Weiteren nehmen Online-Erhebungsformen wesentlichen Einfluss auf die Erhebungssituation, die Atmosphäre, die Vertrautheit zwischen InterviewerIn und Interviewte/n und den Gesprächsverlauf im Interview, die für qualitative Interviewmethoden von zentraler Bedeutung sind.

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Obwohl bei beiden Ansätzen Mobilität eine unterschiedliche Rolle im Forschungsverlauf spielte, ist zu konstatieren, dass in den Studien die (Im-)Mobilität der ForscherIn an die Interviewsituation (gemeinsames Erstellen einer Netzwerkkarte vs. OnlineBefragung), jedoch nicht an die Erfassung der transnationalen Strukturformationen gebunden ist. Unter Verwendung der sozialen Netzwerkanalyse können so transnationale Beziehungsgeflechte von MigrantInnen an einem Ort untersucht werden, ohne dass damit der „methodologische Nationalismus“ (Wimmer/Glick Schiller 2002) reproduziert wird. Gleichzeitig können Methoden der sozialen Netzwerkanalyse auch komplementär zum Einsatz von MultiSited-Ansätzen verwendet werden (vgl. Mazzucato 2008).

7.8 M e thodologische R efle xionen Die Transnationalitätsforschung erhält ihre Bedeutung durch die Einnahme einer Perspektive, welche auf die durch grenzüberschreitende Transaktionen und Austausche entstehenden Beziehungen, Netzwerke und Praktiken Bezug nimmt (vgl. Mau 2007). Durch die veränderte Perspektive auf soziale Praktiken unterliegt auch die Ebene der wissenschaftlichen Beobachtung und damit der sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden einer Veränderung. Im Beitrag wurden zentrale Charakteristika der sozialen Netzwerkanalyse (SNA) für die Transnationalitätsforschung anhand von zwei empirischen Projekten diskutiert. Es wurde verdeutlicht, wie der Einsatz von netzwerkanalytischen Verfahrensweisen über einen metaphorischen Gebrauch des Konzeptes „soziales Netzwerk“ hinaus in der Erforschung grenzübergreifender Strukturbildungen Anwendung findet und Bedeutung erhalten kann. Bestehende Instrumentarien der sozialen Netzwerkerhebung müssen hierzu auf den transnationalen Forschungskontext angepasst und modifiziert werden. Der Beitrag hat sowohl für quantitative als auch für qualitative Ansätze der ego-zentrierten Netzwerkanalyse aufgezeigt, welche Anpassungsleistungen möglich und nötig sind. Netzwerk-

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analysen können dabei in unterschiedler Weise in Interviewsituationen eingebettet sein (kopräsente Erstellung von Netzwerkkarten vs. Online-Befragung auf Distanz), was in verschiedener Weise die Mobilität von Forschenden erfordert. Die Erhebung von Netzwerkinformationen in Interviews erlaubt dabei Aufschluss über transnationale Strukturbildungen, ohne dass die/der ForscherIn dazu selbst notwendigerweise transnational mobil wird und mehrere Orte besucht. Strukturelle Betrachtungen, die über die Perspektive von Ego-Alter-Beziehungen hinausgehen, erlauben stärker verbundene (transnationale) Subnetzwerke zu identifizieren (quantitatives Projekt: transnationale Sub-Cluster). Weiterhin erlauben Visualisierungen der Strukturformationen als Teil des Analyseprozesses Beziehungen und AkteurInnen zu ermitteln (qualitatives Projekt: transnationale AkteurInnen), die indirekt mit transnationalen Biographien der Befragten in Zusammenhang stehen und erlauben so biographische Analysen hinsichtlich des sozialen Kontextes zu konzeptualisieren. Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Transnationalitätsforschung von dem Forschungsansatz und den unterschiedlichen methodischen Zugangsweisen der sozialen Netzwerkanalyse insbesondere der ego-zentrierten NA gerade deshalb profitieren kann, da über das netzwerkanalytische Programm die Möglichkeit geboten ist grenzüberschreitende Strukturmuster analysieren zu können, dessen Erfassung unabhängig von der Mobilitätsnotwendigkeit des/der ForscherIn ist. Die strukturanalytische Betrachtungsweise der SNA ermöglicht dabei insbesondere spezifische Aussagen über die Eingebettetheit von Ego treffen zu können und bietet daher der Transnationalitätsforschung die Möglichkeit detailliertere Erkenntnisse über die Wechselwirkung von Individuum und Struktur gewinnen zu können. Neben den Vorteilen, welche die SNA für die Transnationalitätsforschung eröffnet, ist zudem auf deren Grenzen hinzuweisen. Die Fokussierung auf soziale Beziehungen lässt lediglich Aussagen über bestimmte strukturelle Formen von Transnationalität zu, die auf soziale Beziehungen fokussiert sind. Die Definition transnationaler Beziehungen und somit die Gestalt von

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Transnationalität hängt immer von Setzungen des/der ForscherIn ab. Jedoch ist zu konstatieren, dass der Fokus der netzwerkanalytischen Forschungstradition auf soziale Beziehungen eine detaillierte und differenzierte Beschreibung der Beziehungskontexte und transnationalen Unterstützungsstrukturen erlaubt. Damit eine „Transnationale Soziale Netzwerkanalyse“ jedoch verbreitet als Ansatz in der Transnationalitätsforschung genutzt werden kann, sind weitere methodenfokussierende Forschungsarbeiten, welche die soziale Netzwerkanalyse in transnationalen Forschungskontexten anwenden, von Nöten. Für zukünftige Forschungen mögen daher etwa Mixed Methods Designs (Kombination aus quantitativen und qualitativen Elementen), weitere methodische Verfahren der sozialen Netzwerkforschung, wie die Betrachtung von Gesamtnetzwerken sowie auch die Kombination der SNA mit anderen Forschungszugängen, wie mit der Multi-Sited Ethnography, zur Erforschung transnationaler Phänomene Einsatz finden.

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Pädagogik

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