Transatlantische Brieffreunde: Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald um 1900 3515134565, 9783515134569

Wie wirkte sich der Erste Weltkrieg auf die Wissenschaft aus? Christoffer Leber erzählt erstmals die Geschichte einer be

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German Pages 156 [158] Year 2023

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
DANK
I. EINLEITUNG: EINE TRANSATLANTISCHE BRIEFFREUNDSCHAFT
1. JACQUES LOEB UND WILHELM OSTWALD
2. DER BRIEF ALS WISSENSCHAFTSHISTORISCHE QUELLE
2.1 Zum Begriff der Brieffreundschaft
2.2 Materialität, Frequenz und Ton der Briefe
3. ETAPPEN EINER BRIEFFREUNDSCHAFT
3.1 Zwischen Berkeley und Leipzig: Beginn einer Brieffreundschaft
3.2 Ostwald als Austauschprofessor in den USA
3.3 „Das Monistische Jahrhundert“: Ostwald, Loeb und der Monismus
3.4 Der Erste Weltkrieg als Zäsur
4. FAZIT
II. ZUR EDITION
III. VERZEICHNIS DER BRIEFE
IV. BRIEFWECHSEL UND KOMMENTAR
ANHANG
ABKÜRZUNGEN
ABBILDUNGEN
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
ARCHIVBESTÄNDE
GEDRUCKTE QUELLEN
LITERATUR
INTERNETQUELLEN
PERSONEN- UND SACHREGISTER
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Transatlantische Brieffreunde: Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald um 1900
 3515134565, 9783515134569

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Christoffer Leber

Transatlantische Brieffreunde Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald um 1900

Wissenschaftsgeschichte

Sudhoffs Archiv | Beiheft 62

Franz Steiner Verlag

62

Sudhoffs Archiv Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Klaus Bergdolt, Walter Bruchhausen, Dominik Gross, Ulf Hashagen, Klaus Hentschel, Jan Pieter Hogendijk und Kärin Nickelsen Beiheft 62

Transatlantische Brieffreunde Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald um 1900 Christoffer Leber

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie des Postdoc Support Fund des Historischen Seminars der LMU München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13456-9 (Print) ISBN 978-3-515-13457-6 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS DANK ............................................................................................................... 6 I. EINLEITUNG: EINE TRANSATLANTISCHE BRIEFFREUNDSCHAFT ....................... 7 1. Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald ...................................................... 13 2. Der Brief als wissenschaftshistorische Quelle ....................................... 25 2.1 Zum Begriff der Brieffreundschaft ......................................... 26 2.2 Materialität, Frequenz und Ton der Briefe .............................. 29 3. Etappen einer Brieffreundschaft ............................................................ 32 3.1 Zwischen Berkeley und Leipzig: Beginn einer Brieffreundschaft ............................................... 32 3.2 Ostwald als Austauschprofessor in den USA .......................... 37 3.3 „Das Monistische Jahrhundert“: Ostwald, Loeb und der Monismus .......................................... 44 3.4 Der Erste Weltkrieg als Zäsur ................................................. 54 4. Fazit ........................................................................................................ 64 II. ZUR EDITION........................................................................................... 66 III. VERZEICHNIS DER BRIEFE ................................................................ 70 IV. BRIEFWECHSEL UND KOMMENTAR ............................................... 72 ANHANG ..................................................................................................... 133 ABKÜRZUNGEN ........................................................................................ 140 ABBILDUNGEN.......................................................................................... 140 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS........................................ 141 Archivbestände......................................................................................... 141 Gedruckte Quellen ................................................................................... 141 Literatur .................................................................................................... 142 Internetquellen.......................................................................................... 149 PERSONEN- UND SACHREGISTER ........................................................ 150

DANK Viele Bücher verdanken ihre Entstehung einer zufälligen, unerwarteten Begegnung. Dies gilt auch für Transatlantische Brieffreunde: Als ich im Frühjahr 2015 in Berlin den Nachlass des Leipziger Chemikers und Nobelpreisträgers Wilhelm Ostwald für meine Doktorarbeit durchforstete, stieß ich auf die Briefe des deutsch-amerikanischen Biologen Jacques Loeb. Loebs Briefe an Ostwald zogen mich sofort in ihren Bann. Um die Briefe Ostwalds an Loeb auszuwerten, kontaktierte ich wenig später die Library of Congress in Washington D.C., wo die Jacques Loeb Papers aufbewahrt werden. Schon bald fügten sich die Briefe zu einer faszinierenden Geschichte zusammen, die von wissenschaftlichen Durchbrüchen und Schaffenskrisen, von Freundschaften und Feindschaften, von Annäherung und Entfremdung handelte. Die Edition hätte ich ohne die Unterstützung folgender Personen und Institutionen auf beiden Seiten des Atlantiks nicht realisieren können: Zunächst möchte ich mich bei den Mitarbeiter:innen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Library of Congress bedanken, die mir beide Teile des Briefwechsels zur Verfügung stellten. Ein besonderer Dank gilt Heiner Fangerau (Düsseldorf), einem ausgewiesenen Loeb-Experten, der mich zur Veröffentlichung des Briefwechsels ermutigte, hilfreiches Feedback gab und mich auf wichtige Quellen hinwies. Ebenso möchte ich meiner ehemaligen Doktormutter Kärin Nickelsen (München) und dem verantwortlichen Herausgeber von Sudhoffs Archiv, Dominik Groß (Aachen), dafür danken, dass sie die Aufnahme der Edition in die SudhoffReihe befürworteten. Wertvolle Anregungen zu meiner Einleitung erhielt ich im Rahmen einer Working Group am Historischen Seminar der LMU, die mein Kollege Johannes Schuckert dankenswerterweise organisierte. Meine studentische Hilfskraft Moritz Schlenker unterstützte mich bei der Erstellung des Registers und den letzten Korrekturläufen. Bei der Entzifferung einiger unleserlicher Begriffe aus Loebs Feder half mir mein geschätzter Freund und Kollege Claus Spenninger (Köln) – besten Dank auch dafür. Zuletzt sei all denen gedankt, die in den letzten Jahren immer wieder Privatvorträge über Ostwald, Loeb und die Monisten über sich ergehen lassen mussten, allen voran meiner Familie und meinen Freunden. Obwohl die Geschichtswissenschaft in Zeiten von Digital Humanities und diversen Turns einem steten Wandel unterliegt, bleibt die Quellenedition ein Kernelement des Fachs. Die Loeb-Ostwald-Korrespondenz zeigt, dass der alte Leitsatz der Humanisten immer noch Gültigkeit hat: ad fontes – zu den Quellen. München, im Dezember 2022

I. EINLEITUNG: EINE TRANSATLANTISCHE BRIEFFREUNDSCHAFT Am 9. April 1900 erreichte Wilhelm Ostwald (1853–1932), Ordinarius für physikalische Chemie an der Universität Leipzig, ein Brief aus Chicago: „Sie haben wohl aus meinen Arbeiten ersehen wie sehr ich durch Ihre Ideen und Entdeckungen beeinflusst worden bin, und ich brauche Ihnen kaum noch ausdrücklich zu sagen, wie dankbar ich Ihnen für Ihren Brief und Ihre wohlwollende Besprechung meiner ersten Ionenarbeit bin.“ 1 Mit diesen Worten bedankte sich Jacques Loeb (1859–1924), der 1891 nach Amerika emigriert und gerade zum Professor für Physiologie an der University of Chicago ernannt worden war, bei seinem Leipziger Kollegen. Es gab Spektakuläres zu berichten: Ein Jahr zuvor hatte Loeb die künstliche Jungfernzeugung (Parthenogenese) von Seeigeleiern durch die chemische Einwirkung von Ionen entdeckt. 2 Die Ionen hätten sich für die Embryologie „im buchstäblichen Sinne als befruchtend erwiesen“, schwärmte er. 3 Mit dieser Entdeckung sorgte Loeb für großes Aufsehen innerhalb der Fachcommunity und festigte seinen Ruf als „Frankenstein“ der modernen Biologie. 4 Schließlich herrschte um 1900 noch weitgehend Uneinigkeit darüber, welche Prozesse nach der Befruchtung der Eizelle zur Entwicklung des Embryos führten. 5 Bis heute gilt Loeb als Wegbereiter der experimentellen Biologie mit einer mechanistischen Auffassung von Lebensprozessen; Ostwald wiederum ging als Begründer der physikalischen Chemie im Deutschen Kaiserreich in die Geschichte ein. Im Vergleich zu Loeb, der 78-mal für den Nobelpreis nominiert wurde, allerdings erfolglos blieb, 6 erhielt Ostwald 1909 den Chemie-Nobelpreis für seine Forschung zur Katalyse, chemischen Gleichgewichtsverhältnissen und Reaktionsgeschwindigkeiten. 7 1 2

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Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Chicago, 09.04.1900 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Vgl. Loeb (1900), S. 612–614. Parthenogenese (auch Jungfernzeugung genannt) beschreibt die eigengeschlechtliche Fortpflanzung, die bei einigen Tier- und Pflanzenarten vorkommt. Dabei entstehen die Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen. Das Phänomen wurde im 18. Jahrhundert erstmals von Charles Bonnet (1720–1793) entdeckt und beschrieben. Loeb war es 1899 gelungen, unbefruchtete Seeigeleier allein durch die Veränderung der Elektrolytkonzentration des Wassers zur Teilung anzuregen und dabei Pluteus-Larven zu erzeugen. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 09.04.1900 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Ein Artikel im Scientific American von 1909 trug den bezeichnenden Titel: „Dynamics of Life: The Achievements of the Scientific Frankenstein.“ Exemplarisch kann man Wilhelm Rouxʼ (1850–1924) Programm der Entwicklungsmechanik und Hans Drieschs (1867–1941) neo-vitalistischen Ansatz zur Erklärung von Entwicklungsprozessen anführen, vgl. Allen (2005), S. 270–271. Zu Loebs Nobelpreis-Nominierungen, vgl. Fangerau/Halling/Hansson (2019), S. 97–121. Katalyse bezeichnet die Veränderung und Beschleunigung einer chemischen Reaktion durch die Zugabe eines bestimmten Stoffes (Katalysator).

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I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

Jener Brief vom April 1900 war der Auftakt einer fünfzehnjährigen, transatlantischen Brieffreundschaft – anfangs zwischen Leipzig und Chicago, später zwischen Großbothen und Berkeley bzw. New York. Was zunächst als fachlicher Austausch unter Kollegen begann, mündete bald in einem intimen Dialog über die amerikanische Gesellschaft und Politik, unterschiedliche Wissenschaftskulturen, die ideologische Rolle der Naturwissenschaften in der Moderne und das deutsch-amerikanische Verhältnis in Zeiten des Krieges. Besonders die frühen Briefe zwischen Loeb und Ostwald sind ein beredtes Zeugnis für den transatlantischen Ideen- und Wissensaustausch um 1900. 8 Sie zeigen, wie physikochemisches Wissen auf benachbarte Disziplinen wie die Biologie übergriff und dabei neue Fragestellungen, Theorien und Methoden anregte. So rezipierte Loeb die Ionentheorie Ostwalds, machte diese für seine embryologischen Versuchte nutzbar und integrierte experimentelle Praktiken in die biomedizinische Grundlagenforschung: „Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich Ihnen mittheile, dass meines Erachtens zu keiner Zeit ein Biologe sich so viel neuen physiologischen Thatsachen gegenüber gesehen hat, wie bei der Anwendung der neuen Thatsachen und Ideen der physikalischen Chemie“, teilte Loeb seinem Leipziger Kollegen am 9. April 1900 mit. 9 Über das fachliche Interesse hinaus teilten Loeb und Ostwald dieselben wissenschaftstheoretischen Überzeugungen: Sie strebten nach einer „hypothesenfreien“ Forschung, die sich ausschließlich auf empirische Befunde berief und jeglichen Bezug zu Metaphysik oder Spekulation aus der Wissenschaft verbannte. Die Erkenntnistheorie Ernst Machs (1838–1916), Vertreter eines radikalen Positivismus/Empirismus, wurde ihnen zum Vorbild. Daneben einte Loeb und Ostwald das Bestreben, Disziplingrenzen zu überwinden und ihre wissenschaftliche Tätigkeit mit politisch-ideologischen Positionen zu verknüpfen. Ihr positivistisches Wissenschaftsverständnis bildete das Fundament einer säkularen Weltanschauung, die (zumindest dem Anspruch nach) ohne Metaphysik auskam und christliche Grundannahmen von göttlicher Schöpfung, Seele und Jenseits durch naturwissenschaftliche Prinzipien ersetzte: der Monismus. 10 Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach, kam es zum Bruch zwischen Loeb und Ostwald: Der Weltkrieg führte, so die These, zu einem deutlichen Politisierungsschub beider Wissenschaftler und belastete ihren einstigen Konsens in politischen und ideologischen Fragen. Während sich Loeb zum Pazifismus bekannte, schlug Ostwald nationalistische Töne an, beharrte auf der wissenschaftlich-technischen Überlegenheit Deutschlands und sah den Krieg als Geburtshelfer eines Europas 8 Vgl. Isensee/Oberdorf/Töpper (2020). 9 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Chicago, 09.04.1900 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 10 Der Begriff Monismus steht für eine naturwissenschaftliche Einheitslehre, die sich im 19. Jahrhundert als Gegenbegriff zum Dualismus etablierte – jenen religiösen und philosophischen Systemen, die eine Sphärentrennung von Geist und Körper, Diesseits und Jenseits postulieren. Obwohl ‚Monismus‘ als philosophischer Schulbegriff bereits in der Frühen Neuzeit anzutreffen ist, wurde er erst im 19. Jahrhundert populär. Der Jenaer Zoologe und Darwinist Ernst Haeckel war maßgeblich für die Popularisierung des Monismusbegriffs in Deutschland verantwortlich (vgl. Kap. 3.3.). Zum Monismusbegriff in der Religionsgeschichte, Philosophie und Rechtswissenschaft, vgl. Mehlhausen/Dunkel (1994), S. 212–217.

I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

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unter „deutscher Führung“. 11 Loeb hingegen zog gegen den um sich greifenden Nationalismus und Militarismus publizistisch zu Felde und beklagte das Ende einer internationalen Wissenschaftsgemeinschaft. Als bekennender Pazifist appellierte Loeb an die Staatsmänner, sich von empirischen Befunden der Wissenschaft und nicht von pseudowissenschaftlichen Theorien wie den Sozialdarwinismus leiten zu lassen. 12 Obwohl beide Briefpartner ein ungetrübter Glaube an die empirischen Naturwissenschaften verband, knüpften sie im Laufe des Krieges unterschiedliche Ziele und Zukunftsvisionen an diesen Glauben: Loeb sah in der Wissenschaft das Potential, eine transnationale Gelehrtenrepublik 13 zu schaffen – frei von Fanatismus, Nationalismus und Rassismus –, wohingegen Ostwald von der Führungsrolle eines wissenschaftlich und technisch überlegenen Deutschlands träumte. Beeinflusst vom politischen Klima in Deutschland und den USA fällten Loeb und Ostwald ihr eigenes Urteil über die Ursachen, den Verlauf und die gesellschaftlichen Folgen des Krieges: In seinen Briefen machte Loeb keinen Hehl aus der antideutschen Stimmung in den USA nach dem Überfall der deutschen Truppen auf das neutrale Belgien im August 1914. Ostwald hingegen verteidigte das Vorgehen Deutschlands und der Mittelmächte: Bereits vor der Invasion der Deutschen habe Belgien gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, indem es sich mit Frankreich und England gegen das Deutsche Reich verschworen hätte, behauptete Ostwald. 14 Ostwalds nationalistische, prodeutsche Position rief bei seinem amerikanischen Kollegen Irritation und Befremden hervor. Mit großer Sorge beobachtete Loeb 1915 den Stimmungswandel in der amerikanischen Gesellschaft, der sich in einer zunehmenden Kriegsbegeisterung äußerte. Für ihn stand fest, dass die plötzliche Kriegseuphorie in den USA durch kapitalistische Interessen der Rüstungsindustrie, des Militärs und der Großfinanz geschürt wurde. 15 Im Juli 1915 brach der Briefkontakt zwischen beiden Wissenschaftlern abrupt ab. Ob Ostwald und Loeb danach noch weiter in Kontakt standen – darüber schweigen die Quellen.

11 Ostwald (1915a), S. 188–198. 12 Loeb (1917), S. 75–76. 13 Die Gelehrtenrepublik (res publica literaria) ist ein zentrales Konzept der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur. Seit dem 18. Jahrhundert steht sie sowohl für die Gemeinschaft aller Gelehrten (Professoren, Privatgelehrte, Archivare, Bibliothekare etc.) als auch für die Erzeugnisse der Gelehrsamkeit. In der Forschung wird die Gelehrtenrepublik als imaginierter Kommunikationsraum und zugleich als Utopie verstanden. Sie verkörpert das Ideal, dass es innerhalb der Wissenschaft keine Standesunterschiede, Glaubenskämpfe oder nationale Grenzen gibt. Bis in die Gegenwart findet die Gelehrtenrepublik als normatives Konzept der Selbstbeschreibung in der Wissenschaft Anwendung. Zum Konzept der Gelehrtenrepublik, vgl. Daston (1991); Füssel/Mulsow (2014); Grafton (2009). 14 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 06.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 15 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 31.07.1915 (LOC, Loeb Papers, Box 11).

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I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

Forschungsstand und Gliederung Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald erfuhr in der bisherigen Forschung nur am Rande Aufmerksamkeit. 16 Dabei sind die Briefe nicht nur ein relevantes Zeitzeugnis der Jahrhundertwende, sondern auch für biographische, wissenschafts- und politikgeschichtliche Fragestellungen anschlussfähig. Besonders für die Biographieforschung enthält die Edition reiches Quellenmaterial: So offenbaren die Briefe bislang vernachlässigte Aspekte im Leben beider Wissenschaftler, darunter Loebs Engagement für den Monistenbund und sein (letztlich gescheiterter) Versuch, eine Freidenkerbewegung in den USA aufzubauen. 17 Zugleich gewähren die Briefe authentische Einblicke in die Amerikareisen Ostwalds, die er nach 1900 wiederholt antrat – bei der Einweihung des Physiologischen Labors in Berkeley 1903, im Rahmen des Weltkongresses in St. Louis 1904 und als Austauschprofessor in Harvard 1905/6. Obwohl die Biographik unter Historikern lange als verstaubtes, altmodisches Genre galt, dem „Methoden- und Theorieresistenz“ vorgeworfen wurde, so erlebte sie in den letzten zwei Jahrzehnten eine neue Konjunktur. 18 Für die Wissenschaftsgeschichte birgt die Biographie das Potential, eine „integrated perspective on science“ zu ermöglichen, indem sie offenlegt, wie sich institutionelle Rahmenbedingungen der Wissenschaft, akademische Praktiken, gelehrte Arbeits- und Habitusformen, spezifische Karrierewege sowie wissenschaftliche Werte und Normen in die Biographie eines Akteurs einschrieben. 19 Während für Loeb bereits biographische Arbeiten von Philipp Pauly und Heiner Fangerau vorliegen, steht eine umfassende historisch-kritische Biografie für Ostwald noch aus. 20 Diese Tatsache mag dem Grund geschuldet sein, dass Ostwald aufgrund seiner interdisziplinären Verortung zwischen Naturwissenschaft, Philosophie, Sozialreform und Freidenkertum eine schwer fassbare Figur bleibt. Wie Bernadette Bensaude-Vincent treffend konstatiert, war Ostwald „too speculative and eccentric for historians of science and too scientific for cultural historians.” 21 Ostwalds Engagement für verschiedene Reformbewegungen (Schulreform, Monistenbund, Bodenreform) und „Weltprojekte“ um 1900 (Kunstsprache, Weltformat, Weltorganisation der Chemiker) stellen Biographen vor weitere Herausforderungen. 22 Zwar veröffentlichte Ostwald gegen Ende seines Lebens seine dreibändige Autobiographie Lebenslinien (1927); allerdings ist diese Quelle (wie die meisten Autobiographien) mit Vorsicht zu genießen, da Ostwald ein Meister der Selbst16 Heiner Fangerau zitiert in seinem wissenschaftshistorischen Standardwerk zu Jacques Loeb mehrfach aus der Loeb-Ostwald-Korrespondenz, vgl. Fangerau (2010). 17 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 02.10.1913 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 18 Szöllösi-Janze (2000), S. 20. 19 Kragh (1987), S. 168; Szöllösi-Janze (2000), S. 29–30. 20 Die bisherigen biographischen Arbeiten zu Ostwald beschränken sich auf Teilaspekte seines Schaffens. Insbesondere die Beiträge aus der ehemaligen DDR entsprechen nicht mehr dem neuesten Forschungsstand. Zu nennen sind u.a.: Braune (2009); Domschke (1982); Domschke/ Lewandrowski (1977); Görs/Psarros/Ziche (2005); Hakfoort (1992); Leber (2020). 21 Bensaude-Vincent (2005), S. 15. 22 Zu Ostwalds Weltprojekten, vgl. Krajewski (2006/2014).

I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

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inszenierung war und die Wendepunkte seiner Karriere gerne in mythische Erzählungen kleidete. 23 Wichtige Vorarbeiten für eine tiefergehende Ostwald-Biographik wurden von der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft geleistet, die in den letzten Jahren mehrere Briefwechsel und Dokumente aus dem Berliner Nachlass herausgab. 24 Darüber hinaus erschienen Editionen der wissenschaftlichen Korrespondenz Ostwalds von Hans-Günther Körber und Regine Zott. 25 Loebs Biographie wurde, wie eingangs erwähnt, bereits gut aufgearbeitet. Dennoch verspricht der Briefwechsel neue Aufschlüsse über den „Netzwerker“ Loeb, der über seine transnationalen Wissenschaftskontakte eine experimentelle biomedizinische Grundlagenforschung aufzubauen versuchte. 26 Eine Gesamtedition des Briefnachlasses von Loeb und Ostwald liegt bislang noch nicht vor; angesichts des Umfangs beider Nachlässe käme dies auch einem editorischen Langzeitprojekt gleich. Die vorliegende Edition leistet zudem einen Beitrag zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, zur Geschichte der transatlantischen Beziehungen um 1900 sowie zur Weltkriegsforschung: Man könnte Regale mit Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts füllen, besonders zu den damaligen Leitdisziplinen Physik, Chemie und Physiologie. Die Studien reichen von klassischen Institutionengeschichten, über Analysen wissenschaftlicher Praktiken bis zur Verflechtungsgeschichte von Wissenschaft, Politik und Militär im wilhelminischen Kaiserreich. 27 Im Zuge der Globalgeschichte haben sich Wissenschaftshistoriker vermehrt mit der transnationalen Zirkulation, Aneignung und Transformation von Wissensbeständen befasst, wofür gerade die frühen Briefe dieser Edition ein anschauliches Beispiel sind (vgl. Loebs Rezeption der Ostwald’schen Dissoziationstheorie für seine Experimente zur künstlichen Jungfernzeugung). 28 Ein ähnlicher Trend zur transnationalen Perspektive lässt sich auch in der Universitätsgeschichte beobachten: Verharrte diese lange in nationalen Bezügen, so haben jüngere Studien transatlantische Verflechtungen von Universitäten, Studenten und Akademikern in den Blick genommen – besonders unter den erschwerten Bedingungen des Ersten Weltkrieges. 29 23 Leber (2020a), S. 90. Zu Ostwalds „Imagepflege“ auch Szöllösi-Janze (2000), S. 22. 24 Zu nennen sind die Briefwechsel zwischen Wilhelm Ostwald und Svante Arrhenius, Ernst Beckmann, Max Bodenstein, Georg Bredig, Rudolf Goldscheid, Max Le Blanc, Robert Luther, Theodor Paul, William Ramsay und Carl Schmidt. 25 Körber (1961); Zott (1996/1997/2002). 26 Fangerau (2010). Auch der ehemalige Archivar der Library of Congress, Nathan Reingold, hat in der Vergangenheit auf die wissenschaftshistorische Bedeutung des Loeb-Nachlasses verwiesen. Vgl. Reingold (1962). 27 Vgl. Cahan (2018); Finkelstein (2013); Johnson (1990); Lenoir (1992); Nyhart (1995). 28 In diesem Zusammenhang seien auch die von den Postcolonial Studies informierten Arbeiten zu nennen, die die Bedeutung der kolonialen Peripherie für die Entstehung moderner Wissenschaften hervorheben. Vgl. Raj (2007); Butterwick/Davies/Sánchez-Espinosa (2008). In seinem viel diskutierten Aufsatz „Knowledge in Transit“ (2004) plädiert James A. Secord dafür, Wissenschaft als „form of communication“ zu begreifen, die transnational zirkuliert und deren Übergang zu anderen Wissensformen (Populärwissenschaft etc.) fließend ist. 29 Zum aktuellen Stand der Universitätsgeschichte unter dem Einfluss des ‚cultural turn‘, vgl. Füssel (2014); Paletschek (2011). Zur Genese und Erfolg der deutschen Forschungsuniversität,

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I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

Die Loeb-Ostwald-Korrespondenz demonstriert dabei eindrucksvoll, dass Universitäten vor dem Ersten Weltkrieg als Orte diplomatischer Beziehungen fungierten. Gastprofessuren, Universitätsjubiläen, Eröffnungsfeiern und akademische Austauschprogramme wurden bereits um 1900 als diplomatische Soft-Power-Strategien eingesetzt. Fokussierte sich die Geschichte der transatlantischen Beziehungen lange auf die Außenpolitik, so rückten die kultur- und wissenschaftspolitischen Beziehungen zwischen dem Kaiserreich und den USA stärker in den Blick. 30 Zu guter Letzt enthält die Loeb-Ostwald-Korrespondenz reiches Quellenmaterial für die aktuelle Weltkriegsforschung: Im Zuge des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs von 1914 ist die Frage nach dem Zäsurcharakter des Weltkriegs als erster hochtechnisierter Krieg, die Mobilisierung von Wissenschaftlern und kulturellen Eliten im propagandistischen Feldzug der verfeindeten Mächte, die Entstehung neuer Forschungsfelder unter dem Einfluss von Militär und Rüstungsindustrie sowie die Veränderung der internationalen Wissenschaftslandschaft nach 1918 diskutiert worden. 31 Die Edition leistet einen wertvollen Beitrag zu dieser Diskussion, da sie nicht nur die Politisierung von Wissenschaftlern unter dem Einfluss des Kriegs veranschaulicht, sondern auch den gesellschaftlichen Stimmungswandel vor Augen führt, der sich in Europa und den USA zwischen 1914 und 1918 ereignete. Die Einleitung zur Edition ist in drei Teile gegliedert: Das erste Kapitel gibt einen kursorischen Überblick über Jacques Loebs und Wilhelm Ostwalds Leben, wobei ein besonderer Fokus auf ihrem Werdegang als Wissenschaftler und Freidenker in den USA respektive dem Deutschen Reich liegt. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Brief als wissenschaftshistorische Quelle, setzt sich theoretisch mit dem Begriff der Brieffreundschaft auseinander und stellt die Loeb-OstwaldKorrespondenz kurz vor: Inwiefern lässt sich die Korrespondenz als eine Brieffreundschaft beschreiben? Wie viele Briefe wurden zwischen 1900 und 1915 verschickt und wann erreichte der Austausch seinen Höhepunkt? Welche Themen wurden verhandelt und wie änderte sich der Ton der Briefe im Laufe der Zeit? Das dritte Kapitel rekonstruiert unterschiedliche Etappen in der Brieffreundschaft Loebs und Ostwalds: Es widmet sich zunächst den Anfängen der Brieffreundschaft und Ostwalds erster Reise nach Kalifornien im Sommer 1903. Im Anschluss werden Ostwalds Erfahrungen als Austauschprofessor an der Harvard University im Wintersemester 1905/6 und das Engagement beider Wissenschaftler für den Monistenbund in den Blick genommen. Der Schlussteil wendet sich der Leitfrage zu, wie sich das Verhältnis zwischen Loeb und Ostwald unter dem Einfluss des Ersten Weltkrieges wandelte und schließlich zum Erliegen kam. vgl. Clark (2006). Zur transnationalen Universitätsgeschichte, vgl. Chagnon/ Irish (2017); Werner (2013). Zur transnationalen Vernetzung von Akademikerinnen nach dem Ersten Weltkrieg, vgl. von Oertzen (2012). 30 Erste diesbezügliche Studien wurden von Brocke (1981), Füssl (2004), Lerg (2017/2019) und Paulus (2010) vorgelegt. 31 Vgl. Chagnon/Irish (2018); Agar (2012); Katzir (2017); Schirrmacher (2016). Vgl. ebenso die älteren Sammelbände von Mommsen (1996) und Maurer (2006). Einen Fokus auf die Mobilisierung osteuropäischer Intellektueller und Wissenschaftler im europäischen „Krieg der Geister“ legt Górny (2019).

I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft

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1. JACQUES LOEB UND WILHELM OSTWALD Jacques Loeb Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald fanden auf völlig unterschiedlichen Karrierewegen dies- und jenseits des Atlantiks zueinander: Loeb wurde 1859 im rheinlandpfälzischen (damals preußischen) Mayen in eine deutsch-jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. 32 Obwohl Loeb zunächst eine Bankkaufmannlehre anstrebte, überredete ihn sein Onkel Harry Bresslau (1848–1926), einer der bedeutendsten Mediävisten des Kaiserreichs, zu einer akademischen Laufbahn. Beeinflusst von der Willensphilosophie Schopenhauers nahm Loeb nach seinem Abitur 1880 zunächst das Studium der Philosophie in Berlin auf, wechselte aber schon nach einem Semester zur Medizin. In Straßburg studierte er unter Friedrich Goltz (1834–1902), bei dem er 1884 über die Lokalisation von Sinnesfunktionen im Gehirn promoviert wurde. Im Jahr darauf schloss er sein Medizinstudium mit dem Staatsexamen ab. Nach einer kurzen Forschungsstation 1884/85 an der Königlich Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin bei Nathan Zuntz (1847–1920) wechselte Loeb als Assistent von Adolf Fick (1829–1901) nach Würzburg, wo er zwei Jahre verweilte (von 1886 bis 1888). Dort führte er unter anderem die Versuche von Julius Sachs (1832–1897) zu Reizbewegungen von Pflanzen durch Licht und andere Einflüsse fort, sogenannte Tropismen. 33 In den Folgejahren erforschte er Tropismen auch an Tieren. Daraufhin kehrte Loeb nach Straßburg zu Goltz zurück und absolvierte einen Forschungsaufenthalt an der Zoologischen Station in Neapel (1889/90), wo er Experimente zu Wachstum, Formbildung (Heteromorphose) und Regeneration an Meerestieren durchführte, sich mit Problemen der Neurophysiologie auseinandersetzte und mit Vertretern der noch jungen Entwicklungsmechanik in Berührung kam. 34 Im Vergleich zur beschreibenden Morphologie untersuchte die von Wilhelm Roux (1850–1924) begründete Entwicklungsmechanik kausale Mechanismen und Faktoren der embryonalen Entwicklung mithilfe von Experimenten und künstlichen Eingriffen. Das liberale Forschungsumfeld von Neapel bestärkte Loeb, seine Forschung zur Irritabilität, Regeneration und Entwicklung von Organismen interdisziplinär auszurichten. 35 Aufgrund des steigenden Antisemitismus im Deutschen Reich, mangelnder Karriereaussichten im Bereich der experimentellen Biologie und nicht zuletzt seiner Ehe mit der Amerikanerin Anne Leonard, entschloss sich Loeb 1891 für die Emigration in die USA. Seine Ehefrau hatte Loeb ein Jahr zuvor in Zürich während eines Besuchs beim Physiologen Justus Gaule (1849–1939) kennengelernt, der gerade seine Doktorarbeit verteidigt hatte. Nach Studien am Smith College und der

32 Zum Leben und Werk Jacques Loebs, vgl. Fangerau (2007/2010); Fangerau/Müller (2005); Osterhout (1930); Pauly (1987); Maienschein (2009); Rasmussen/Tilman (1998). 33 Vgl. Loeb (1888). 34 Vgl. Fangerau (2007b); Stahnisch (2019). 35 Stahnisch (2019).

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Universität Leipzig war Anne Leonard nach Zürich gezogen, um ihre Doktorarbeit in englischer Philologie anzutreten. 36 In den USA angekommen lehrte Loeb zunächst am Bryn Mawr College in Pennsylvania, das als erste amerikanische Hochschule Frauen zum Studium und zur Promotion zuließ. Dank der Vermittlung des Zoologen Charles Otis Whitman (1842–1910) nahm Loeb schon ein Jahr später, 1892, eine Stelle als Assistant (später Associate) Professor für Physiologie an der neu gegründeten University of Chicago an; ab 1899 lehrte und forschte er dort als Full Professor für Physiologie. Mithilfe einer umfangreichen Spende des Ölmagnaten John D. Rockefeller (1837– 1939) wurde die University of Chicago 1892 nach dem Vorbild der deutschen Forschungsuniversität geschaffen. In dieser Zeit gewann Chicago auch als wirtschaftlicher und kultureller Standort an Bedeutung, nicht zuletzt durch den rasanten Anstieg seiner Bevölkerung: Von 4.500 Einwohnern im Jahr 1840 wuchs die Einwohnerzahl auf 100.000 im Jahr 1860 an und erreichte 1880 eine halbe Million. In den 1890er Jahren überstieg die Einwohnerzahl bereits die Millionengrenze und machte Chicago zur zweitgrößten Stadt der USA. 37 Am Südwestufer des Lake Michigan gelegen mauserte sich Chicago zum Hauptumschlagplatz für Getreide und Vieh im Mittleren Westen und wurde zum weltweit größten Zentrum der fleischverarbeitenden Industrie („Hog Butcher for the World“). 38 Internationale Aufmerksamkeit erregte Chicago mit der Weltausstellung von 1893, auf der das erste „Parlament der Weltreligionen“ (Parliament of the World’s Religions) tagte, der größte interreligiösen Kongress seiner Zeit. 39 In den Sommermonaten trieb es Loeb an die Küste: Am Marine Biological Laboratory in Woods Hole (Massachusetts), wo Whitmann Gründungsdirektor war, gab Loeb Sommerkurse, führte seine Studien zur Physiologie der Entwicklung und Regenration fort und vernetzte sich mit führenden Biologen der USA. Zwischen 1897 und 1923 wirkte er zudem als Trustee der privaten Forschungseinrichtung, die nach dem Vorbild der Zoologischen Station in Neapel geplant wurde. 40 In Chicago widmete sich Loeb dem ambitionierten Vorhaben, ein physiologisches Institut aufzubauen, das von der Zoologie getrennt und ausschließlich auf die allgemeine und vergleichende Physiologie spezialisiert war – seinerzeit ein Novum in den USA. Am 3. Februar 1896 schrieb Loeb an seinen deutschen Kollegen Theodor Wilhelm Engelmann (1843–1909), der damals als Professor für Medizin an der Universität Utrecht lehrte: 36 Die Schweiz ließ schon seit den 1860er Jahren Frauen zum Studium zu. Daher zogen zahlreiche Frauen aus Deutschland, Amerika und Russland nach Zürich, um ihre Promotion anzutreten. Das Frauenstudium war ein Politikum im späten 19. Jahrhundert und wurde an den meisten deutschen Universitäten erst nach 1900 zugelassen: in Baden ab 1900, in Bayern ab 1903 und in Preußen ab 1908. Zur Geschichte des Frauenstudiums, vgl. Schlüter (1992); Piesker (2006). 37 Vester (2009), S. 136. Nach dem verheerenden Feuer von 1871 wurde Chicago in größeren Dimensionen neu aufgebaut, wobei auch die ersten Hochhäuser entstanden. 38 Dieser Ausdruck geht auf das berühmte Gedicht „Chicago“ (1914) von Carl Sandburg (1878– 1967) zurück. 39 Zur Geschichte des ersten Weltparlaments der Religionen, vgl. Lüddeckens (2002). 40 Maienschein (2009); Fangerau (2010), S. 25–26; Fangerau/Müller (2005), S. 210.

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Gegenwärtig ist meine Zeit mit der Ausarbeitung der Pläne zu einem physiologischen Institut hier stark in Anspruch genommen. Es mag Ihnen sonderbar vorkommen, aber es hat einen fast vierjährigen Kampf erfordert um es zu erreichen, dass ein von Zoologen unabhängiges physiologisches Laboratorium hier gebaut wird. Es ist auch beiläufig das erste amerikanische Laboratorium, das rein und ausschließlich der Physiologie gewidmet ist. 41

Im Sommer 1902 folgte Loeb einem Ruf als ordentlicher Professor für Physiologie nach Berkeley, wo er ebenfalls das physiologische Labor mit aufbaute. Die Professur war überaus attraktiv – mit üppiger Personalausstattung, einem geringen Lehrdeputat, einem relativ hohen Jahresgehalt von 5.000$ und einem eigenen Forschungslabor. 42 Berkeley wurde 1868 als erster Campus der staatlichen Universität in Kalifornien gegründet. Der langjährige Präsident Benjamin Ide Wheeler (1854– 1927) baute Berkeley zur führenden Universität der Vereinigten Staaten aus. Ihm gelang es, die Studentenzahlen zu vervielfachen und private Sponsoren zu gewinnen, die Lehrstühle und wichtige Campusbauten finanzierten. 43 Gegenüber der Millionenstadt Chicago war Berkeley mit rund 13.000 Einwohnern im Jahr 1900 allerdings noch ein Studentendorf. Die Frühjahr- und Sommermonate verbrachte Loeb im kalifornischen Pacific Grove, wo er seine meeresbiologischen Experimente an der Hopkins Marine Station (Stanford University) fortführte. Mit seinen gewagten Experimenten zur Bildung neuer Hybride aus Seeigeln und Seesternen traf Loeb bei seinen amerikanischen Kollegen zuweilen auf heftigen Widerstand: Seine „engeren Fachgenossen insbesondere die sterilsten und antiquiertesten“ würden keine Gelegenheit auslassen, ihm „ihre völlige Verachtung klar zu machen“, klagte Loeb 1904 in einem Brief an Ostwald. 44 Und auch ein Jahr später schrieb er an Ostwald, dass er in der amerikanischen Fachcommunity ein Außenseiter sei. Die Physiologen der Ostküste würden ihm zu verstehen geben, dass er „weit unter dem Niveau ihrer eigenen Mittelmässigkeit stehe“, und ergänzte: „Sie werden in den Lehrbüchern der Physiologie meinen Namen meist vergebens suchen.“ 45 Loebs Isolation innerhalb seiner Community hing auch mit der räumlichen Entfernung zwischen der Ost- und Westküste zusammen. Aufgrund seiner Aversion zu reisen nahm Loeb nur selten an Kongressen und Tagungen an der Ostküste teil, wie sich Winthrop J. V. Osterhout (1871–1964) in einem Nachruf erinnerte. 46 An seinen geschätzten Kollegen, den Physiker und Philosophen Ernst Mach, schrieb Loeb 1905: „Es ist schön hier, wenn auch einsam; aber ich glaube für einen Forscher der sich mit so komplizierten Dingen wie Lebenserscheinungen abgibt ist die Ruhe + Isolierung im ganzen von Nutzen.“ 47 Als Loeb den Sommer 1907 in Pacific Grove 41 Jacques Loeb an Wilhelm Engelmann, Chicago, 03.02.1896 (StBPK, Sammlung Darmstaedter, Lc/ 1871). 42 Fangerau (2010), S. 26. Das Labor wurde vom Mäzen Rudolph Spreckels (Bänker) finanziert. 43 Wheeler war von 1899 bis 1919 Präsident der UC Berkeley. Die Studentenzahlen in Berkeley stiegen in der Zeit von 2.300 (1899) auf 20.000 (1919). 44 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 22.02.1904 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 45 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 31.10.1905 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 46 Osterhout (1930), S. 324. 47 Jacques Loeb an Ernst Mach, Berkeley, 23.08.1905 (ADM, NL Mach, 174/1970).

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verbrachte, wählte er gegenüber Ostwald ähnliche Worte: „Hier ist es, wie immer, wunderschön und sehr einsam. Vielleicht zum Arbeiten gerade recht.“ 48 Angesichts seiner Isoliertheit in Kalifornien verwundert es kaum, dass Loeb 1910 sofort zusagte, als ihm das Rockefeller Institute for Medical Research in New York die Leitung der Abteilung für experimentelle Biologie anbot. Mit einem Jahresgehalt von 9.000$ war die neue Stelle an der Ostküste auch finanziell deutlich attraktiver. Das Rockefeller Institute schuf eine wichtige Grundlage zur Etablierung der experimentellen Medizin in den USA. Nachdem sein Enkel an Scharlach erkrankt und verstorben war, stellte John D. Rockefeller 1901 eine Summe von 200.000$ zur Gründung einer Forschungseinrichtung nach dem Vorbild des Pariser Institut Pasteur zur Verfügung. 49 Loebs Entscheidung, nach New York zu gehen, war auch dem Grund geschuldet, dass er mit den Forschungsbedingungen in Berkeley zunehmend unzufrieden war: „The present administrative system in the American university will generally lead to a deterioration of the University and the crowding out of research men, and I think this process is taking place in America“, schrieb er 1910 an Ostwald. 50 Am privat finanzierten Rockefeller Institute war Loeb von Lehrverpflichtungen befreit und konnte sich ausschließlich seiner biomedizinischen Grundlagenforschung zuwenden. In der letzten Phase seines Forscherdaseins widmete er sich verstärkt der physikochemischen Seite von Lebensprozessen, vor allem der Struktur und dem biochemischen Verhalten von Proteinen. In seiner Theorie des kolloidalen Verhaltens von Eiweißkörpern behauptete Loeb, dass sich Proteine als genuine Moleküle beschreiben und in stöchiometrischen Verbindungen ausdrücken lassen. 51 Nach dem Ersten Weltkrieg gründete Loeb das Journal of General Physiology (1918), das zum führenden Fachorgan auf seinem Gebiet aufstieg. In den USA etablierte sich Loeb als Hauptvertreter einer mechanistisch und experimentell ausgerichteten Lebenswissenschaft. In seinem Essayband The Mechanistic Conception of Life (1912) verglich er die Funktionsweise von Organismen mit Maschinen, die klar definierten Gesetzen folgten. Analog dazu führte Loeb das Verhalten des Menschen nicht auf eine höhere Moral zurück, sondern auf vererbte Instinkte und neurologische Prozesse im Organismus: „We eat, drink, and reproduce not because mankind has reached an agreement that this is desirable, but because, machine-like, we are compelled to do so. We are active, because we are compelled to be so by processes in our central nervous system“. 52 Daher habe der Biologe die Aufgabe – wie ein Ingenieur – nach der Kontrolle und kausalmechanischen Erklärung von Lebensvorgängen (Befruchtung, Entwicklung, Wachstum etc.) zu suchen. Besonders in den Anfangsjahren war Loebs wissenschaftstheoretische Position vom Ideal des „Engineering“ geprägt, bei dem es vorrangig um die Kontrolle und Manipulation von physiologischen Prozessen ging. 53 In späteren 48 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove, 10.07.1907 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 49 Fangerau (2010), S. 28 u. 192. 50 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 26.10.1910 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 51 Fangerau (2010), S. 28. 52 Loeb (1912a), S. 31. 53 Vgl. Pauly (1987). In Anknüpfung an Pauly auch Maienschein (2009), S. 216–222.

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Jahren entfernte er sich von seinem Engineering-Standpunkt und räumte ein, dass sich auch aus der Beschreibung von Mechanismen im Organismus valide Erklärungen ableiten ließen. Ostentativ grenzte sich Loeb vom Vitalismus und der morphologisch-beschreibenden Richtung innerhalb der Biologie ab, die er einer spezifisch deutschen Tradition zuschrieb. Loebs Einordnung der Morphologie in eine genuin deutsche Wissenschaftstradition entsprach eher Polemik als Realität, schließlich bekannten sich deutsche Physiologen wie Carl Ludwig (1816–1895) oder Emil DuBois-Reymond (1818–1896) zu mechanistischen Ansätzen und betrieben ihrem Selbstverständnis nach „organische Physik“. 54 Als Loeb 1924 an den Folgen eines Herzinfarkts starb, hatte er mehr als 400 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, war Ehrendoktor an verschiedenen Universitäten und hatte 78 Nobelpreis-Nominierungen erreicht. Wilhelm Ostwald Loebs Leipziger Kollege Wilhelm Ostwald war Baltendeutscher und wurde 1853 in Riga als Sohn eines Böttchermeisters geboren. 55 Nach seinem Abitur am Realgymnasium in Riga nahm Ostwald das Studium der Chemie an der Universität Dorpat (heutiges Tartu in Estland) auf, das er 1878 mit einer Kandidatenarbeit über „Volumchemische Studien über Affinität“ abschloss. Ein Jahr später wurde er dort mit einer Arbeit über „Volumchemische und optisch-chemische Studien“ bei Carl Schmidt (1822–1894) promoviert. In diese Zeit fiel auch seine Hochzeit mit der Baltendeutschen Helene von Reyher (1854–1946), Tochter eines Titularrats am Livländischen Hofgericht. Nach vier Jahren Lehrtätigkeit als Privatdozent an der Universität Dorpat folgte Ostwald 1882 einem Ruf als Ordinarius für Chemie an das Polytechnikum in Riga. Fünf Jahre später, 1887, wurde er schließlich an die Universität Leipzig als ordentlicher Professor für physikalische Chemie berufen. Entgegen Ostwalds Behauptung, er habe den ersten Lehrstuhl für physikalische Chemie im Deutschen Reich bekleidet, wurde bereits 1864 für Hermann Kopp (1817–1892) ein Lehrstuhl für physikalische Chemie in Heidelberg eingerichtet. Ebenso hatte Ostwalds Vorgänger Gustav Wiedemann (1826–1899) bereits 1871 in Leipzig ein physikalisch-chemisches Unterrichtslaboratorium geschaffen. Dennoch war es Ostwalds Verdienst, dass Leipzig im Bereich der physikalischen Chemie weltweite Berühmtheit erlangte. 56 Es verwundert daher kaum, dass die meisten historischen Übersichten das Jahr 1887 als Beginn der Institutionalisierung der physikalischen Chemie in Europa anführen. 57 Mit einer Mischung aus zielgerichteter Forschung, anspruchsvoller Lehre, 54 Zur Geschichte der Physiologie und speziell zur Gruppe der „organischen Physiker“, vgl. Finkelstein (2013); Leber/Nickelsen (2016); Lenoir (1992). 55 Zum Leben und Werk Wilhelm Ostwalds, vgl. Braune (2009); Domschke (1982); Hakfoort (1992); Leber (2020a/b); Neef (2012); Wegener (2009/2010); Ziche (2008); Zott (2004). 56 Szöllösi-Janze (1998), S. 72. Ziel der physikalischen Chemie ist es, chemische Prozesse unter Zuhilfenahme physikalischer Methoden (Thermodynamik; Kinetik) zu untersuchen. 57 Szöllösi-Janze (1998), S. 77–78.

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Organisationstalent und Machtbewusstsein baute Ostwald das noch junge Fach zur naturwissenschaftlichen Leitdisziplin im wilhelminischen Deutschland aus. 58 Gemeinsam mit seinem niederländischen Freund und Kollegen Jacobus Henricus van’t Hoff (1852–1911) gab Ostwald seit 1887 die Zeitschrift für physikalische Chemie heraus, die sich zum international führenden Fachorgan auf dem Gebiet etablierte und für dessen Sichtbarkeit sorgte. Im selben Jahr veröffentlichte er das Lehrbuch der allgemeinen Chemie, das mehrmals wiederaufgelegt wurde und zum Standardwerk der Chemie avancierte. Um klassische Werke der Naturwissenschaften einem breiten Publikum zugänglich zu machen, begründete Ostwald 1889 die Reihe Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften. Unter Ostwalds Ägide entwickelte sich die Universität Leipzig zum internationalen „Mekka“ der physikalischen Chemie und zog zahlreiche Studenten aus den USA und Russland an. 59 Selbst die späteren Nobelpreisträger Fritz Haber (1868– 1934) und Albert Einstein (1879–1955) versuchen in jungen Jahren in Ostwalds Mitarbeiterkreis aufgenommen zu werden. 60 Elf Jahre nach seiner Berufung nach Leipzig, 1898, eröffnete Ostwald das Physikalisch-Chemische Institut in der Leipziger Linnéstraße – das erste seiner Art im Deutschen Reich. Wie auch bei seinem Kollegen Svante Arrhenius (1859–1927) in Stockholm war an das Leipziger Institut die Dienstwohnung der Familie Ostwald angegliedert, wodurch eine räumliche Symbiose aus Forschungsalltag und Privatleben gewährleistet wurde. 61 Bereits vier Jahre zuvor war Ostwald Gründungsmitglied der Deutschen Elektrochemischen Gesellschaft (spätere Bunsen-Gesellschaft) gewesen und schuf damit ein zentrales Austausch- und Repräsentationsforum für seine Fachcommunity. Gemeinsam mit van’t Hoff und seinem schwedischen Kollegen und Freund Svante Arrhenius entwickelte Ostwald eine neue Ionentheorie, derzufolge Säuren und Basen in Wasser gelöst negativ und positiv geladene Ionen abgeben. Diese Theorie machte die drei Chemiker in Fachkreisen als Gruppe der „Ionier“ bekannt. 62 Arrhenius war es gelungen, die osmotische Lösungstheorie seines niederländischen Kollegen van’t Hoff mit seiner elektrolytischen Dissoziationstheorie zu verbinden und dadurch ein völlig neues Forschungsfeld zu erschließen. 63 Später entdeckte Ostwald die Beziehung von Dissoziationsgrad und Konzentration von Säurelösungen (Ostwald’sches Verdünnungsgesetz) und erforschte chemische Reaktionen unter energetischen Gesichtspunkten (Ostwald-Stufenregel; Ostwald-Reifung). 58 59 60 61

Ebenda, S. 79. Zott (2002), S. 46. Szöllösi-Janze (1998), S. 79. Am Beispiel des schwedischen Chemikers Svante Arrhenius und dessen Frau Maja analysiert Staffan Bergwik den „gendered lifestyle“ von Physikern und Chemikern um 1900, die in ihren Instituten (z.B. Arrhenius Nobel-Institut) eine Symbiose aus Forschung und Privatleben schufen. Bürgerliche Rollenerwartungen, Lebens- und Habitusformen waren dabei keine externen Faktoren, sondern integrale Bestandteile der Wissensproduktion: Geteilte bürgerliche Werte und Normen schufen Vertrauen unter Kollegen zu gemeinsamer Kollaboration und erleichterten den Zugang zu elitären Zirkeln. Vgl. Bergwik (2014), S. 265–291. 62 Görs (1999), S. 157; Szöllösi-Janze (1998), S. 81. 63 Szöllösi-Janze (1998), S. 79.

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Aus seinen physikochemischen Beobachtungen entwickelte Ostwald in den 1890er Jahren die umfassende Theorie der Energetik. Den Auftakt dazu nahm er mit seinem Vortrag „Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus“ auf der Lübecker Naturforscherversammlung 1895. Dieser löste eine innerfachliche Kontroverse aus, an der sich Größen wie Ludwig Boltzmann (1844–1906) und Max Planck (1858–1947) beteiligten. 64 In seinem Vortrag verwarf Ostwald das mechanistische Weltbild und das ihm zugrundeliegende Atommodell als hypothetisches Gedankenkonstrukt und stellte als Gegenentwurf das energetische Naturverständnis vor, das auf dem ersten und zweiten thermodynamischen Hauptsatz fußte. Neben Zeit und Raum führte Ostwald die Energie als dritte allgemeine Konstante der Naturwissenschaften ein. Er behauptete, dass der Materiebegriff ein gedankliches Hilfskonstrukt sei, um das Bestehende im Wandel der Zeit zu beschreiben; in Wirklichkeit sei die Materie nichts Weiteres als der Ausdruck unterschiedlicher Energieformen. 65 Das energetische Naturverständnis barg gegenüber dem materialistischen den Vorteil, so Ostwald, dass es ohne das hypothetische Atommodell auskam (also hypothesenfrei war) und zugleich das Problem der Temporalität adressierte. Die zeitlichen Vorgänge, die in mechanischen Gleichungen beschrieben wurden, waren stets umkehrbar. Das Dissipationsgesetz der Energie hingegen bewies, dass Naturvorgänge irreversibel waren, denn mit dem Ansteigen der Entropie stieg auch das Maß an Irreversibilität des Energieaustauschs. 66 Aus dieser Tatsache folgerte Ostwald: „In einer rein mechanischen Welt gäbe es daher kein Früher oder Später im Sinne unserer Welt; es könnte der Baum wieder zum Reis und zum Samenkorn werden, der Schmetterling sich in die Raupe, der Greis in ein Kind verwandeln.“ 67 Loeb schien Ostwalds energetische Kritik am Atommodell zu begrüßen, als er im April 1900 schrieb: „Ihrem Kampf gegen die atomistische Auffassung stehe ich äusserst sympathisch gegenüber. Ich habe das Gefühl, dass Ihre Auffassung sich als äusserst fruchtbar erweisen wird.“ 68 Es wäre allerdings verkürzt, Ostwalds Energetik als eine Wende vom Atomismus zum Anti-Atomismus zu deklarieren: Seine Energetik durchlief verschiedene Phasen und diente dabei als explanatorisches Konzept unterschiedlicher physikalisch-chemischer Probleme – als Reaktion auf die Hypothese des physikalischen Atomismus, als Interpretationsmöglichkeit der Thermodynamik und schließlich als Alternative zur chemischen Atomtheorie. 69 In den Folgejahren beschäftige sich Ostwald verstärkt mit Fragen der Anwendung physikochemischer Forschung. 1901 entwickelte er mit seinem Schwiegersohn Eberhard Brauer (1875–1958) ein Verfahren zur Gewinnung von Salpetersäure durch die katalytische Oxidation von Ammoniak. Mit ihrem patentierten Ver64 Ostwald (1895). Zur Kontroverse um die Energetik, vgl. Deltete (1983/1999). 65 Ostwald (1895), S. 26–27. 66 Dissipation (lat. „Zerstreuung“) bezeichnet in der Physik einen Vorgang, bei dem z. B. durch Reibung Wärmeverluste entstehen. Bewegungsenergie, die theoretisch in andere Energieformen umwandelbar ist, geht dabei in thermische Energie (Wärme) über, die dann nur noch teilweise verwertbar ist. 67 Ostwald (1895), S. 21. 68 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Chicago, 09.04.1900 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 69 Leegwater (1986), S. 315.

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fahren legten die beiden Forscher den Grundstein zur industriellen Herstellung von Dünger, Chemiefasern sowie Kunst- und Sprengstoffen. Sein organisatorisches Talent stellte Ostwald bei der Planung und Gründung der Elektrochemischen Gesellschaft (1894), der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (1911), der Internationalen Assoziation der Chemischen Gesellschaften (1911) und schließlich im Rahmen des Monistenbundes und der Plansprachenbewegung unter Beweis. 70 Nach Jahren der physikochemischen Forschung wandte sich Ostwald um 1900 der Naturphilosophie zu. Seine 1901 in Leipzig gehaltenen Vorlesungen über Naturphilosophie, die ein Jahr später als Buch erschienen, waren ein unerwarteter Erfolg. In seinen Vorlesungen erörterte Ostwald grundlegende Begriffe der Philosophie (Zeit, Raum, Kraft, Wille etc.) aus einer energetisch-naturwissenschaftlichen Perspektive und versuchte so eine Synthese aus Philosophie und empirischer Naturwissenschaft herzustellen. Seine Naturphilosophie verstand er als „Grenzgebiet“ zwischen dem gründlich gepflügten Feld der Naturwissenschaften und dem angeblich undurchdringlichen Urwald der Philosophie. 71 Ostwalds Beschäftigung mit naturphilosophischen Fragen führten zu deutlichen Spannungen mit der Philosophischen Fakultät der Leipziger Universität, zu der damals auch die Naturwissenschaften gehörten. Als Ostwald 1905 einen Antrag an das sächsische Kultusministerium stellte, von der Hauptvorlesung in Chemie befreit zu werden, eskalierte der Streit mit seinen Kollegen. Angesichts dieser angespannten Lage kam ihm das Angebot aus Berlin sehr gelegen, ihm Rahmen des deutsch-amerikanischen Professorenaustauschs für ein Semester Harvard zu besuchen und dort Vorlesungen über Energetik zu halten. 72 Nach seiner USA-Reise reichte Ostwald den Antrag auf Frühpensionierung ein und zog sich auf seinen Landsitz „Energie“ in Großbothen zurück. Nicht nur gegenüber Loeb, sondern auch in seiner Autobiographie schwärmte Ostwald mehrmals davon, endlich ein „freier Mann“ zu sein. 73 Schon 1904 hatte er Loeb gestanden: „Sonst geht mein Leben ohne erhebliche Ereignisse dahin, ausser dass ich von Zeit zu Zeit den Gedanken erwäge, die Professur aufzugeben und Maler zu werden. Ich fühle mich beim Malen so glücklich.“ 74 Seit seiner Pensionierung wirkte Ostwald als freier Publizist, Maler und Farbforscher, schrieb populärwissenschaftliche Bücher und engagierte sich in Sozialreform- und Freidenkerkreisen. Als Präsident des Deutschen Monistenbundes (DMB) zwischen 1911 und 1915 baute Ostwald seine energetische Naturphilosophie zu einer monistischen Weltanschauung aus. Der Monistenbund war die führende Freidenkerorganisation im wilhelminischen Deutschland und versuchte den Dualismus des Christentums durch eine einheitliche, naturwissenschaftliche Weltanschauung zu ersetzen. 75 Gemäß dem energetischen Imperativ „Vergeude keine Energie, nutze sie!“ ging Ostwald davon aus, dass alle physischen, mentalen und gesellschaftlichen Prozesse auf Energieumwandlungen basierten. Ausgehend vom zweiten 70 71 72 73 74 75

Bartel (1999), S. 630. Ostwald (1902), S. 1–2. Vgl. Kap. 3.2. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 02.12.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 14.08.1904 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Vgl. Kap. 3.3.

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thermodynamischen Hauptsatz, dem Entropiesatz, forderte er eine zweck- und zielorientierte Handlungsethik, die das Verhältnis von verfügbarer und tatsächlich genutzter Energie optimierte. Seinen energetischen Imperativ ergänzte Ostwald um die sogenannte Glücksformel G = k (A – W) (A + W), derzufolge das Glück proportional zu willensmäßigen Handlugen und der Gesamtmenge der aufgebrachten Energie war. 76 Da dem Menschen im hohen Alter eine geringere Gesamtenergie zur Verfügung stand, war es umso wichtiger, die körperlichen und geistigen Widerstände (z.B. Stress und Arbeitsbelastung) zu reduzieren, um das subjektive Glücksgefühl zu maximieren. Ostwalds Glücksformel zeugte von dessen Bestreben, psychologische und philosophische Probleme nomothetisch zu erklären und in eine mathematsche Formelsprache zu überführen. 77 In seinen populären Veröffentlichungen zur Energetik und in seiner Autobiographie bewies Ostwald, dass er ein Meister der Selbstinszenierung war. 78 So verglich er den Moment, als ihm der Gedanke des energetischen Imperativs kam, mit dem christlichen Pfingsterlebnis. In Ostwalds Version war nicht Gott, sondern die Natur Quelle seiner Offenbarung. Der Legende nach war er Anfang der 1890er Jahre nach Berlin gereist, um mit einigen Fachkollegen seine Energetik zu diskutieren. Erschöpft von der Reise brach Ostwald spät abends zum Hotel auf und ging zu Bett. Gegen vier oder fünf Uhr morgens wachte er plötzlich auf, verließ den Gasthof und bewegte sich wie elektrisiert in Richtung Berliner Tiergarten. Dort angekommen habe er ein „wahres Pfingsten“, eine „Ausgießung des Geistes“ erlebt: Die Vögel zwitscherten und schmetterten von allen Zweigen, goldgrünes Laub glänzte gegen einen lichtblauen Himmel, Schmetterlinge sonnten sich auf den Blumen und ich selbst wanderte in wunderbar gehobener Stimmung durch diese frühlingshafte Natur. Alles sah mich mit neuen, ungewohnten Augen an und mir selbst war zumute, als wenn ich zum ersten Male alle diese Wonnen und Herrlichkeiten erlebte. […] Der Denkprozeß für die allseitige Gestaltung der energetischen Weltauffassung vollzog sich in meinem Gehirn ohne jegliche Anstrengung, ja mit positiven Wonnegefühlen, jedes Ding sah mich an, als wäre ich eben gemäß dem biblischen Bericht geschaffen und in das Paradies gesetzt worden und gäbe allem seinen wahren Namen. 79

Offenbar versuchte Ostwald hier einen Ursprungsmythos der Energetik zu schaffen: eine Pfingstszene nach biblischem Vorbild. In seiner Autobiographie schuf Ostwald eine andere Ursprungsszene der Energetik, die ebenso das Narrativ einer genialen, quasi-göttlichen Eingebung bediente. 80 76 77 78 79

Ostwald (1927), Bd. 3, S. 5. Leber (2020c), S. 209–227. Leber (2020a), S. 90. Ostwald (1912), S. 7. Dasselbe Zitat findet sich auch in Ostwalds Autobiographie (1927), Bd. 2, S. 160. 80 Ostwald behauptete in seiner Autobiographie, dass ihm der energetische Kerngedanke nach einer intensiven Diskussion mit seinen Studenten gekommen sei, damals noch im alten chemischen Labor in der Leipziger Brüderstraße. Vgl. Ostwald (1927), Bd. 2, S. 154–155: „Ich war nach einem solchen Rundgang endlich einmal den Schwarm auf kurze Zeit los geworden und begab mich durch den kleinen Bibliothekraum in mein Schreibzimmer, um einige amtliche

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In Ostwalds Energetik spiegelte sich einerseits die Faszination der wilhelminischen Ära für technischen Fortschritt, industrielle Moderne und die effiziente Nutzung natürlicher Ressourcen wider. Anderseits wurden die von der Industrialisierung angestoßenen Prozesse (Verstädterung, Modernisierung, Beschleunigung) in großen Teilen der wilhelminischen Gesellschaft als Belastung wahrgenommen und lösten eine schichtübergreifende Debatte um Nervenschwäche aus – unter Zeitgenossen als „Neurasthenie“ bekannt. 81 Joachim Radkau führt die Neurastheniewelle im Deutschen Reich auf die politischen Umbrüche und technischen Innovationen der Jahrhundertwende zurück, die das Zusammenwirken widersprüchlicher Impulse beförderten: Wünsche und Belastungen, Größenwahn und Dekadenzangst, Reizsuche und Überreizung. 82 Erschöpfung und Nervenschwäche waren auch in Ostwalds Biographie eine einschneidende Erfahrung und liefern eine mögliche Erklärung dafür, dass er unermüdlich für seinen energetischen Imperativ und die Glücksformel warb. 83 Wie Ostwald in seiner Autobiographie bemerkte, führten Überarbeitung, Stress und Überforderung 1895 zum nervlichen „Zusammenbruch“: Ich hatte seit dem Antritt meines Lehramts in Riga im Januar 1882 ununterbrochen aufbauende und schaffende Arbeit getan, deren Umfang und Mannigfaltigkeit beständig zugenommen hatte und mich bei den auftretenden Erschöpfungserscheinungen damit begnügt, mich gleichsam oberflächlich zu reparieren, bis die sichtbaren Zeichen des Verbrauchs zugedeckt waren. Nun aber waren die Reserven vollständig erschöpft und ich erlitt den unvermeidlichen Zusammenbruch. Schlaflose Nächte, niedergedrückte Stimmung, die sich nicht überwinden ließ, Unfähigkeit zur Arbeit, Gedankenflucht, kurz die wohlbekannten Erscheinungen der Überbeanspruchung des Gehirns traten Ende 1895 bei mir auf und machten mich sehr unglücklich. 84

Obwohl Ostwald spätestens seit seiner Pensionierung kaum mehr nennenswerte Beiträge auf dem Gebiet der physikalischen Chemie leistete, wurde er 1909 für seine Forschung zur chemischen Katalyse mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Das Nobelpreisgeld nutze er nun für seine außerwissenschaftlichen Projekte im Monistenbund, der Plansprachenbewegung und Wissenschaftsorganisation. „Bezüglich physikalischer Chemie werden Sie mich sehr verarmt finden; dieser Teil meines Gehirns hat aufgehört, produktiv zu sein“, schrieb er am 8. Juni 1909 an Jacques Loeb. 85 Ostwalds letzte Schaffensperiode war optisch-chemischen Farb-

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Geschäfte zu erledigen, zu denen ich mich immer erst etwas zu zwingen hatte. Auf einmal blieb ich unwillkürlich stehen. In meinem Kopf war die angeregte Gedankenarbeit unterbewußt weiter gegangen und hatte plötzlich zu einem neuen, bisher nicht betretenen Punkt geführt. Die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit des Dualismus und Parallelismus Materie-Energie hatten sich durch die vorangegangenen Gespräche in solchem Maße in meinem Kopfe gesteigert, daß ich sozusagen geistig nach Luft schnappte und unwillkürlich nach einer anderen Lösung griff. Wie wärʼs, wenn die Energie allein primäre Existenz hat und die Materie nur ein sekundäres Erzeugnis der Energie, ein durch bestimmte Ursachen zusammengehaltener Komplex verschiedener Energien ist?“ Zum Neurastheniediskurs im wilhelminischen Kaiserreich, vgl. Radkau (1998). Vgl. Radkau (1994), S. 214, 232, 240. Zur biographischen Deutung der Energetik, vgl. Wegener (2010), S. 59–78; Hakfoort (1992), S. 525–544. Ostwald (1927), Bd. 2, S. 214–215. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 08.06.1909 (Loeb Papers, Box 11).

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studien gewidmet, mit denen er seine wahre Leidenschaft, die Malerei, zum Gegenstand der Forschung machte. Im Auftrag des Deutschen Werkbundes begann Ostwald schon vor dem Ersten Weltkrieg mit einer umfassenden Systematisierung der Farben. Seine Arbeit mündete 1917 im Ostwald’schen Farbatlass und seiner Farbfibel, die von großem Nutzen für die Porzellan- und Textilindustrie waren. Ähnlich wie Loeb war Ostwald ein äußerst produktiver Wissenschaftler und Publizist. Als er 1932 starb und auf seinem Landsitz Energie beigesetzt wurde, hatte er eine beachtliche Zahl populärer und fachwissenschaftlicher Bücher veröffentlicht.

Abb. 1: Wilhelm Ostwald 1931 in seinem Privatlabor im Landhaus Energie, Großbothen.

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Abb. 2: Jacques Loeb 1920 in seinem Labor für experimentelle Biologie am Rockefeller Institute for Medical Research, New York City.

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2. DER BRIEF ALS WISSENSCHAFTSHISTORISCHE QUELLE Briefe gehören zum zentralen Quellenbestand der Wissenschafts- und Medizingeschichte. Seit der Frühmoderne waren Briefe das Kommunikationsmedium innerhalb der Gelehrtenrepublik. Ihre Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte spiegelt sich nicht zuletzt in editorischen Langzeitprojekten wider, zu denen die Edition der Briefe Charles Darwins, Albert Einsteins, Ernst Haeckels und Alexander von Humboldts zählen. 86 In der Gelehrtenrepublik der Frühen Neuzeit (und auch in späteren Epochen) hatte der Brief eine Mehrfachfunktion, die von der reinen Informationsbeschaffung und Kontaktpflege, über die Verbreitung von „Insiderwissen“, bis zum Austausch von Ideen, Artefakten und Realien reichte. 87 Dabei wurde der Brief auch zum Medium der Vergemeinschaftung, indem er die Vorstellung einer transnationalen Gelehrtengemeinschaft erfahrbar machte. Der Schweizer Naturforscher, Arzt und Universalgelehrte Albrecht von Haller (1708–1777) spannte über ganz Europa ein dichtes Korrespondenznetz, das nicht nur dem gelehrten Wissensaustausch diente, sondern auch sicherstellte, dass er kontinuierlich mit notwendiger Literatur versorgt wurde. 88 Auch wenn die Relevanz von Briefen als (wissenschafts-)historische Quelle unbestritten ist, stellt sich dennoch die Frage, wie diese als Quellengattung einzuordnen sind. In ihren klassischen Quellenkunden wiesen Johann Gustav Droysen (1808–1884) und Ernst Bernheim (1850–1942) Briefe der Quellengattung „Überrest“ zu, das heißt jenen Artefakten, die unbeabsichtigt Aufschluss über die Vergangenheit geben und somit einen nicht-intentionalen Charakter haben. Ihnen gegenüber steht die „Tradition“, die eigens zum Zweck der historischen Unterrichtung der Mit- und Nachwelt geschaffen wurde, etwa Denkmäler, Historiengemälde und Annalen. Bei genauer Sichtung sprengen Briefe allerdings die traditionelle Einteilung in Überrest und Tradition, da sie sowohl für den Privatgebrauch (als Kommunikations- und Informationsmedium) eingesetzt wurden als auch offizielle und publikumsorientierte Funktion erfüllten (z.B. offene Briefe, Leser- und Kunstbriefe). Eine klare Zuordnung wird auch dann problematisch, wenn Briefe mit dem Gedanken einer postumen Veröffentlichung verfasst wurden und somit zwischen Privatem und Offiziellem changieren. 89 Im Gegensatz zum Geschäftsbrief ordnete Ahasver von Brandt (1909–1977) den Privatbrief einem „dritten Geschlecht“ von Quellen zu, entstamme dieser doch der Privatsphäre und ist weder der Urkunde noch den Akten zuzuordnen. 90 86 Vgl. das am Caltech angesiedelte Einstein Papers Project, das Darwin Correspondence Project der Cambridge University Library, die von der Leopoldina geförderte Ernst Haeckel Online Briefedition oder die Edition Humboldt Digital der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 87 Mücke/Schnalke (2009); Schnalke (1997); Vellusig (2000). 88 Zu Korrespondenznetzen und Wissenstransfer in der frühneuzeitlichen Gelehrtenrepublik, vgl. Stuber/Hächler/Lienhard (2005); Dauser et al. (2008). Neben dem Brief übernahmen ab dem 17. /18. Jahrhundert Gelehrte Journale (Ephemeriden) die Funktion des Wissensaustauschs. 89 v. Brandt (2012), S. 60. 90 Ebenda, S. 118.

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Nähert man sich dem Brief als Quelle an, so ist eine innere und äußere Quellenkritik unabdingbar: Diese beinhaltet Fragen nach dem historischen Kontext, dem Überlieferungs- und Kommunikationszusammenhang des Briefwechsels, dem Verhältnis von Absender und Empfänger und deren sozial-politische Verortung; ebenso fragt die Quellenkritik nach den formal-stilistischen Konventionen der jeweiligen Epoche, dem Aufbau und der Materialität des Briefes und der Intention des Verfassers. 91 Briefe lassen sich dabei, wie Peter Bürgel in seiner Heuristik zur Briefanalyse darlegt, sowohl unter psychologisch-anthropologischen Gesichtspunkten (Intentionen, Bedürfnisse etc.) untersuchen als auch unter sprachlich-ästhetischen, historischen und soziologischen Aspekten (sozialer Status des Verfassers und Empfängers, Hierarchien, Abhängigkeiten, Patronage etc.). 92 In der Wissenschaftsgeschichte haben Briefe eine lange Tradition. Häufig bildeten sie den Materialkern für Biographien bekannter Wissenschaftler, denkt man etwa an die Life and Letters-Biographien von Charles Darwin und anderer Gentlemen Scientists des 19. Jahrhunderts. 93 Dabei ging man von der – durchaus problematischen – Annahme aus, dass sich das Leben ‚großer‘ Wissenschaftler in ihrem Werk manifestierte und man deren Biographie zu einem tieferen Werkverständnis kennen müsse. 94 Doch auch in der modernen Wissenschaftsgeschichte mit ihren verschiedenen Turns haben Briefe nichts von ihrer Bedeutung verloren: Sie können Aufschluss über transnationale Gelehrtennetzwerke, experimentelle Praktiken, die Zirkulation von Wissen, Ideen, Theorien sowie über Kontroversen und Fehden unter Wissenschaftlern geben. Meist erscheinen Gelehrtenbriefe als eine Mischform, in der persönliche Exkurse und Selbstoffenbarungen mit wissenschaftlichen Reflexionen und Erörterungen verflochten sind. 95 Wie die meisten Quellengattungen, so erfordert auch der Brief eine quellenkritische Einordnung: Ohne die Auswertung paralleler Briefwechsel, zeitgenössischer Publikationen, Akten und Ego-Dokumente sind tiefergehende historische Schlüsse nur begrenzt möglich. 96 2.1 Zum Begriff der Brieffreundschaft Was ist eine Brieffreundschaft und worin liegt ihre Besonderheit? Die meisten Wörterbücher definieren Brieffreundschaft als einen mehr oder weniger engen sozialen Kontakt zwischen mindestens zwei Personen, der über eine große räumliche Distanz hinweg vor allem auf dem Briefpapier gepflegt wird. Im Zuge der Internet-

91 Schmid (1996), S. 110. 92 Bürgel (1976), S. 296. 93 Darwin (1887). Der Ausdruck Gentleman Scientist steht für Naturforscher des 18./19. Jahrhunderts, die auf eigene Kosten forschten, ohne dabei an eine bestimmte Institution gebunden zu sein. 94 Szöllösi-Janze (2000), S. 18. 95 Krauße (2000), S. 13. 96 Ebenda.

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revolution trat verstärkt die E-Mail anstelle des Briefes. 97 Im Vergleich zum Geschäftsbrief weist die Brieffreundschaft einen informellen, vertrauten und persönlichen Charakter auf. Die meisten Brieffreundschaften haben gemein, dass sich Absender und Empfänger zunächst fremd sind und erst über den Briefkontakt zu Freunden werden. Wie alle Freundschaften beruht auch die Brieffreundschaft auf Sympathie, Vertrauen, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit, wobei im Falle von Loeb und Ostwald auch fachliche Interessen eine Rolle spielten. In ihrer Korrespondenz erfüllten Loeb und Ostwald die medialen und sozialen Kriterien einer Brieffreundschaft, die sie mal enger, mal lockerer pflegten, bis sie 1915 schließlich völlig zum Erliegen kam. Die mehr als 7.000 Kilometer Entfernung zwischen Leipzig und Chicago machten spontane Treffen oder Begegnungen vis-à-vis unmöglich – zwischen Leipzig und Berkeley waren es sogar über 9.000 Kilometer. Dass Loeb und Ostwald auf das Medium Brief zurückgriffen, darf angesichts des damaligen Stands der Technik kaum verwundern. Denn um 1900 war der Brief neben der Postkarte und Telegraphie das einzige Medium für die transatlantische Kommunikation. Die Telefonie steckte dagegen noch in den Kinderschuhen: Zwar wurde das erste Telefon in den 1870er Jahren entwickelt, doch sollte es noch einige Jahrzehnte dauern, bis Telefongespräche außerhalb örtlicher und nationaler Grenzen möglich waren. Die erste transatlantische Fernsprechverbindung wurde erst 1956 in Betrieb genommen. 98 Im Vergleich zur mündlichen oder Face-to-Face-Kommunikation beruht der Briefwechsel ausschließlich auf dem geschriebenen Wort und muss dabei auf Tonfall, Mimik und Gestik des Gegenübers verzichten. Darüber hinaus folgt der Brief einer monologischen, statt dialogischen Struktur, da der Adressat abwesend ist und auf das Gesagte nicht sofort reagieren kann. Treffend qualifiziert Luise Rinser den Brief als ein „Monolog, der ein Dialog sein will“. 99 Der Phasenverzug zwischen Absendung und Empfang eines Briefes schafft eine besondere Kommunikationssituation, die den Austausch taktet und dem Verfasser Zeit gibt, seine Antwort vorzubereiten, Argumente gezielt einzusetzen oder Informationen zu verschweigen. 100 Besonders die Briefe der Jahre 1914/15 zeugen davon, dass Loeb und Ostwald ihre politischen Argumente strategisch in Stellung brachten. 101 In einigen Briefen wurde der zeitliche Verzug selbst zum Thema, etwa dann, wenn arbeitsbedingter Zeitmangel oder Loebs rheumabedingte „Schreibfaulheit“ den Briefverkehr lahm legten. 102 Humorvoll die Katalyseforschung Ostwalds aufgreifend gestand Loeb am 30. Juli 1904, dass er seine „Briefpflichten“ vernachlässigt habe: „Sie wissen wie gering meine Reactionsgeschwindigkeit beim Abtragen von Briefpflichten ist und wenn dann noch Leute wie Arrhenius, de Vries und 97 Duden online definiert einen Brieffreund als „anfänglich persönlich nicht bekannter Briefpartner, mit dem jemand regelmäßig korrespondiert“. Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Brieffreund [aufgerufen am: 04.03.2022]. 98 Türschmann (2003), S. 118. 99 Rinser (1975), S. 108. 100 Nickisch (1991), S. 11. 101 Vgl. Brief vom 06.11.1914. 102 Vgl. Briefe vom 22.06.1905 und 03.09.1913.

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Ihr Sohn als negative Katalysatoren hinzukommen dann kommt die Messlinie völlig zum Stillstehen.“ 103 Der Krieg zwischen der Entente und den Mittelmächten führte dazu, dass einzelne Briefe überhaupt nicht ankamen oder sich die Zustellung erheblich verzögerte. 104 Am 10. Oktober 1914 eröffnete Loeb seinen Brief an Ostwald mit folgenden Worten: “I naturally thought very often of you during this war and the fact that I have not written to you was due to the general impression here that letters to Germany will not reach their destination. I have not received a single reply thus far to the letters I have sent to Germany.” Am 6. November 1914 erwiderte Ostwald: „Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 10. Oktober, den ich am 5. November erhielt, also etwa nach der doppelten normalen Zeit. […] Dass der Nachrichtenverkehr zwischen Amerika und Deutschland so langsam und unregelmässig ist, kommt natürlich von der Herrschaft über alle Meere, welche sich England immer noch anmasst und deren Beseitigung eine der Hauptaufgaben des gegenwärtigen Krieges sein wird.“ 105 Ostwalds Beschwerde lässt darauf schließen, dass die Zustellung von Briefen zwischen Deutschland und der amerikanischen Ostküste gewöhnlich rund zwei Wochen in Anspruch nahm, eine Zeitspanne, die sich durch den Weltkrieg auf fast einen Monat verdoppelte. Aus soziologischer Sicht ist ein Brief nicht nur ein kommunikativer Vorgang und Träger einer sozialen Beziehung zwischen Absender und Empfänger, sondern auch „Vehikel einer zielorientierten Sprechhandlung“. 106 Denn der Verfasser eines Briefs möchte in der Regel bestimmte Reaktionen, Handlungen, Verhaltensweisen oder Stimmungen beim Adressaten hervorrufen und verfolgt damit mehr oder weniger offene Intentionen. Diese Intentionen gehen mit bestimmten Rollenverständnissen von Absender und Empfänger einher, die sich auch in der Korrespondenz von Loeb und Ostwald gut dokumentieren lassen. Hierzu zählen Hierarchien, Abhängigkeitsverhältnisse, sozialer Status und Vertrautheitsgrad. Der anfänglich formelle Ton beider Wissenschaftler wurde im Laufe der Jahre kollegialer, ihre Themen persönlicher, ihre Ansprache und Grußformeln vertrauter. 107 Je nach Verwendung unterscheidet man primäre Briefe (Alltags- und Geschäftsbriefe) von sekundären (Kunstbriefe). Sekundäre Briefe verfolgen eine literarische Absicht, sind häufig fiktiver Natur und richten sich an ein Publikum. Analog zur direkten Kommunikation weisen Briefe informative (sachorientierte), appellative (adressatenorientierte) und selbstoffenbarende Elemente auf. Je nach Brief überlagern sich die Grundfunktionen von Informationsübermittlung, Appell und Selbstoffenbarung. 108 Ein Blick auf die Loeb-Ostwald-Korrespondenz zeigt, dass sachliche, appellative und selbstoffenbarende Bestandteile ineinandergriffen, wobei gerade der Selbstoffenbarungsaspekt mit zunehmender Vertrautheit mehr Raum einnahm. Im Laufe der Zeit erweiterten Loeb und Ostwald den reinen Informationsaustausch um persönliche Exkurse über die familiäre und berufliche Situation, 103 104 105 106 107 108

Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 30.07.1904 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Vgl. Briefe vom 09.04.1900, 03.09.1913, 10.10.1914 und 06.11.1914. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 06.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Nickisch (1991), S. 10. Hervorhebung im Original. Vgl. Kap. 2.2. Nickisch (1991), S. 13–19.

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den eigenen Gesundheitszustand und die politische Stimmung in Europa und den USA. Seit Ostwalds erstem Amerikabesuch erkundigte sich Loeb regelmäßig nach dessen Frau und Kindern, etwa im Oktober 1914, als Ostwalds Söhne in den Krieg eingezogen wurden. 109 2.2 Materialität, Frequenz und Ton der Briefe Was sagen Artefakte über Alltag, Werte, Normen, Praktiken, und Kulturtechniken vergangener Akteure aus? Diese Fragen kann man auch an Briefe herantragen: Wurden die Briefe handschriftlich oder per Schreibmaschine verfasst, welches Briefpapier wurde verwendet, an welche Adresse wurden sie verschickt, wie waren die Briefe aufgebaut, in welchem Ton verfasst, und: Welche Ausschläge nach oben und unten verzeichnet der Briefverkehr? Die Edition umfasst insgesamt 59 Briefe und 7 Postkarten, von denen 36 aus Loebs und 30 aus Ostwalds Feder stammten. 110 Während die Briefe in den ersten zehn Jahren meist handschriftlich auf Briefpapier oder Postkarten geschrieben wurden, präferierten Loeb und Ostwald nach 1911 die Schreibmaschine. Für die handschriftlichen Briefe verwendeten Loeb und Ostwald teils neutrales, teils vorgeprägtes Briefpapier für die geschäftliche Korrespondenz, das im Briefkopf Titel und Institutsadresse des Absenders enthielt; für die maschinengeschriebenen Briefe nutzen sie spezielles Schreibmaschinen- und Durchschlagpapier. Vermutlich griff Loeb in späteren Jahren zur Schreibmaschine, weil er immer wieder unter starkem Rheuma im Arm litt und ihm das Schreiben per Hand zusehends schwerfiel. 111 Ostwald schien aus energetischen und zeitökonomischen Gründen die Schreibmaschine zu bevorzugen. So ist überliefert, dass er seine Briefe und Beiträge zunächst mit einer Diktiermaschine (einem sogenannten Parlographen) aufzeichnete und diese im Anschluss von seinem Sekretär Walter Porstmann (1886–1959) abtippen ließ, den er im Herbst 1911 einstellte. 112 Mithilfe dieser Technik versuchte Ostwald mehr Text unter minimalem Zeit- und Kraftaufwand zu produzieren. Porstmann war es auch, der Ostwalds Idee eines Weltformats zur Vereinheitlichung der Papierformate übernahm, abwandelte und 1922 als DIN-Format einführte. 113 109 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 10.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 110 In den Jahren 1911/12 legt die Korrespondenz die Vermutung nahe, dass Briefe verschwunden oder nicht angekommen sind, etwa dann, wenn aufeinanderfolgende Briefe von einem Absender stammten. Bspw. die Briefe Ostwalds an Loeb vom 16.03.1911, 19.04.1911, 01.05.1911, 17.05.1911, 05.08.1911 und 14.10.1911. Ebenso deuten Loebs Briefe an Ostwald vom 09.04.1900 und 06.02.1912 auf eine lückenhafte Überlieferung hin. 111 Vgl. Brief vom 22.06.1905 und 03.09.1913. 112 Der „Parlograph“ wurde von dem schwedischen Fabrikanten Carl Lindström entwickelt und ab 1910 hergestellt. Er war eine Abwandlung des von Thomas Alva Edison zuvor entwickelten Phonographen. Die Aufnahme und Wiedergabe des Gesprochenen erfolgte über einen Schalltrichter und eine Wachswalze. Nach kurzer Unterbrechung im Ersten Weltkrieg wurde der Parlograph ab 1916 von der American Parlograph Corp. hergestellt. 113 Dazu vgl. Krajewski (2006), S. 120–130 und ders. (2014), S. 73–80. Walter Porstmann war zwischen 1912 und 1914 Ostwalds Sekretär, bis sich beide aufgrund der Weltformatidee

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Auch sprachlich vollzogen die Loeb-Ostwald-Briefe einen interessanten Wandel: Verfasste Loeb seine Briefe zunächst auf Deutsch, so bevorzugte er ab 1910 Englisch als Korrespondenzsprache. Dieser Umstand lag wohl darin begründet, dass Loeb vermehrt auf Englisch publizierte und ihm der Wechsel ins Deutsche nach zwanzig Jahren im amerikanischen Exil schwerer fiel. Nach 1914 weigerte sich Loeb aus politischen Gründen in seiner Muttersprache zu publizieren. 114 Blickt man auf die Frequenz der Briefe (Abb. 3), so lassen sich zwei Konjunkturen in den Jahren 1903–1905 und 1911–1913 erkennen: Der intensivste Austausch zwischen Loeb und Ostwald fiel mit 12 Briefen auf das Jahr 1903. In diesem Jahr wurde Ostwald zur Eröffnung des Physiologischen Labors nach Berkeley eingeladen, erkundete Kalifornien und gastierte im Hause Loeb. In den Folgejahren sorgte der Forschungsaufenthalt von Ostwalds Sohn Wolfgang in Berkeley und der deutsch-amerikanische Professorenaustausch für einen regelmäßigen und lebhaften Austausch. Loeb hoffte darauf, Ostwald, der im Wintersemester 1905/6 als Gastprofessor in Harvard verweilte, erneut in Kalifornien begrüßen zu dürfen. Der Internationale Monistenkongress in Hamburg 1911, auf dem Loeb eine Rede über die mechanistische Interpretation des physischen und mentalen Lebens hielt, löste eine zweite Briefkonjunktur aus. 115 Loeb berichtete Ostwald in den Folgejahren von seinen Plänen, eine Freidenkerbewegung in den USA aufzubauen, um der religiösen Verblendung und geistigen Reaktion in Amerika entgegenzuwirken. Ab 1914 verschob sich der Themenschwerpunkt auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den politischen Stimmungswechsel in Deutschland und den USA sowie den ansteigenden Nationalismus und Militarismus in beiden Ländern. Während des Weltkriegs kam erschwerend hinzu, dass Papier zur knappen Ressource wurde und sich die Zustellungszeiten der Briefe erheblich verzögerten. 116 In den ersten Briefen erschien Loeb als die treibende Kraft des Briefwechsels: Er bewunderte Ostwalds Leistungen als Physikochemiker, übertrug dessen Theorien auf seine eigene Forschung und bemühte sich darum, Ostwald in Berkeley als Gast zu haben. Nach Ostwalds erster Amerikareise im Sommer 1903 behandelten die Briefe zunehmend auch persönliche und familiäre Themen, die von gesundheitlichen Beschwerden, über temporäre Schaffenskrisen, bis zu familiärem Nachwuchs reichten. 117 So berichtete Loeb seinem Leipziger Kollegen im Februar 1904, dass seine Tochter zu einer „energischen kleinen Californierin“ herangewachsen sei, nachdem Ostwald explizit um familiäre Neuigkeiten gebeten hatte. 118

114 115 116 117 118

schließlich entzweiten. Porstmanns DIN-Format richtete sich nach dem Flächenmaß (nicht Längenmaß) des Papiers. Als Sekretär tippte Porstmann Ostwalds Texte ab, darunter auch seine Ideen zum Weltformat, das der Vereinheitlichung des wissenschaftlichen Publizierens diente. Fangerau (2010), S. 84–85. Den ersten englischen Brief an Ostwald verfasste Loeb am 1. August 1907 und dann vermehrt ab 1910. Vgl. Briefe vom 03.09.1913, 02.10.1913 und 14.10.1913. Ebenso Kap. 3.3. Dass Papier während des Weltkriegs im Hause Ostwald zur knappen Ressource wurde, schildert Grete Ostwald in der Biographie ihres Vaters. Vgl. Ostwald (1953), S. 137. Zu familiären und gesundheitlichen Problemen im Hause Loeb und Ostwald, vgl. Briefe vom 22.02.1904, 22.06.1905, 08.08.1906, 05.04.1913, 03.07.1915. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 22.02.1904 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828).

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Brieffrequenz Loeb-Ostwald 14 12

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Abb. 3: Frequenz der Briefe, 1900–1915.

Der Grad an Vertrautheit spiegelte sich auch in der gegenseitigen Ansprache wider: Wählte Loeb in den ersten Briefen formelle Begrüßungsformeln wie „Hochgeehrter Herr Prof. Ostwald“ bzw. „Hochgeehrter Herr Geheimrath“, so bevorzugte er ab Oktober 1903 die persönlichere Ansprache „Mein lieber Herr Professor Ostwald“, die in den Folgejahren zur festen Formel wurde. 119 Über ihre Zusammenarbeit auf dem Hamburger Monistenkongress 1911 näherten sich Loeb und Ostwald weiter an, vor allem auf politisch-weltanschaulicher Ebene. 120 Dies erkennt man beispielsweise daran, dass Ostwald von der Anrede „Mein lieber Kollege“ zu „Lieber und verehrter Freund!“ bzw. „Lieber Freund Loeb“ wechselte. 121 Loeb wahrte auch in späteren Briefen höfliche Distanz, indem er seinen Kollegen mit „My dear Professor Ostwald“ ansprach. 122 Die Asymmetrie in der Ansprache lässt sich sowohl auf den leichten Altersunterschied zwischen beiden Briefpartnern zurückführen – Ostwald war sechs Jahre älter als Loeb – als auch auf unterschiedliche Wissenschaftskulturen und Bekanntheitsgrade. Schließlich galt Ostwald schon zu Beginn der Korrespondenz als international anerkannter Chemiker und festigte sein Ansehen durch den Chemie-Nobelpreis von 1909 – schon damals die höchste Auszeichnung auf dem Gebiet der Natur- und Lebenswissenschaften. In seiner Autobiographie deutete Ostwald an, dass ihn Loeb für seine Karriere bewunderte und sich nach derselben Anerkennung sehnte. 123

119 120 121 122 123

Vgl. Briefe vom 27.12.1902, 19.03.1903, 28.10.1903, 15.01.1904, 22.02.1904 und 30.07.1904. Vgl. Kap. 3.3. Vgl. Briefe vom 08.06.1909, 19.04.1911 und 14.10.1911. Vgl. Briefe vom 04.02.1915 und 31.07.1915. Ostwald (1927), Bd. 2, S. 338.

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3. ETAPPEN EINER BRIEFFREUNDSCHAFT 3.1 Zwischen Berkeley und Leipzig: Beginn einer Brieffreundschaft Folgt man der brieflichen Überlieferung, so lässt sich eine erste Kontaktaufnahme von Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald auf das Jahr 1899 datieren. 124 Loeb wirkte zu diesem Zeitpunkt als Professor für Physiologie an der University of Chicago. Offenbar interessierte er sich für die von Ostwald und Svante Arrhenius begründete Dissoziationstheorie, derzufolge Säuren, Basen und Salze in Wasser gelöst in elektrisch entgegengesetzt geladene Ionen zerfallen. Die Dissoziationstheorie lieferte Loeb eine theoretische Grundlage zur Erforschung der eingeschlechtlichen Fortpflanzung (Parthenogenese) durch die chemische Einwirkung von Ionen. Diese und andere Versuche bestätigten Loebs These, dass Befruchtung, Entwicklung und Wachstum von Organismen durch biochemische Kettenreaktionen in Gang gesetzt wurden. Seine frühen Laborarbeiten standen ganz im Zeichen des schon erwähnten Engineering-Ansatzes, der die Kontrolle und Manipulation von physiologischen Prozessen im Organismus anstrebte. 125 Nachdem Ostwald die erste Ionenarbeit Loebs positiv besprochen hatte, 126 berichtete Loeb ihm begeistert von seinen Erfolgen bei der künstlichen Befruchtung von Seeigeleiern und hoffte auf eine Erneuerung der Biologie durch die Erkenntnisse und Methoden der physikalischen Chemie: „Die Anwendung der physikal. chem. Ideen auf die Biologie erweist sich von solcher Fruchtbarkeit“, schwärmte Loeb, „dass es fast unmöglich ist, sich auf die Ausarbeitung einiger weniger Probleme zu beschränken. Jeder neue Versuch bringt die unerwartetsten und überraschendsten Aufklärungen in Gebieten der Biologie, für welche der Versuch zuerst gar nicht beabsichtigt war.“ 127 Gegenüber dem Journalisten Carl Snyder (1869–1946) gerierte sich Loeb 1902 als ein Ingenieur der organischen Materie, als ihm endlich die künstliche Befruchtung von Seeigeln gelungen war: „I wanted to take life in my hands and play with it. […] I wanted to handle it in my laboratory as I would any other chemical reaction – to start it, stop it, vary it, study it under every condition, to direct it at my will!“128 Diese Form der Selbstinszenierung brachte ihm in populären Darstellungen den Ruf eines modernen Dr. Frankenstein ein. 129 Das Frankenstein-Image bediente Loeb auch in seinen Briefen an Ostwald. So berichtete er am 22. Februar 1904 über sein Experimentierfieber, das ihn erneut gepackt und zu Versuchen an Hybriden angeregt habe: „Viele derselben bringen es in ihrer Entwicklung nicht über die frühen Larvenstadien, aber ich hoffe doch noch ehe ich sterbe ein Thier zu produciren, das in der bisherigen Classification nicht unterzubringen ist. Ein Mittelding zwischen 124 Aus dem Brief vom 9. April 1900 geht hervor, dass Ostwald schon im Sommer 1899 Kontakt zu Loeb aufgenommen hatte. Dieser Brief liegt dem Herausgeber leider nicht vor. 125 Vgl. Kap. 1. Ausführlich dazu Pauly (1987); Fangerau (2010); Deichmann (2009), S. 324. 126 Vgl. Loeb (1898), S. 1–27. 127 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 09.04.1900 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 128 Snyder (1902), S. 386–396; Pauly (1987), S. 102. 129 Der Wissenschaftsjournalist Carl Snyder (1869–1946) schuf Loebs Image als moderner Dr. Faust, das Journalisten später zum Frankenstein-Mythos ausbauten. Vgl. Pauly (1987), S. 102.

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einem Wurm und einem Seeigel würde mir zusagen, aber ich fürchte ich werde mit weniger zufrieden sein müssen.“ Mit seinen Experimenten versuchte Loeb nicht nur neue „Hybridcreaturen“, sondern auch eine „Chemie des Keimplasmas“ zu schaffen. 130 Ostwald reagierte auf Loebs Neuigkeiten amüsiert: „Ihren Zwittern wünsche ich allerbestes Gedeihen; nur werden sie sich wundern, wenn sie wirklich da sind, was sie eigentlich von sich denken sollen.“ 131 Loeb hegte seit längerem den Wunsch, Ostwald in die USA einzuladen, und schlug ihn daher an der University of Chicago, wo er von 1892 bis 1902 lehrte, als Ehrendoktor (honorary doctor’s degree) vor. 132 Als Loeb 1902 nach Berkeley wechselte, ging sein Plan endlich auf: Im Frühjahr 1903 gelang es ihm, Ostwald mit der Bitte nach Berkeley zu locken, das neue Physiologische Labor mit einer Festrede zu eröffnen. Hierfür wurde Ostwald ein Honorar von 1.000$ in Aussicht gestellt. 133 Ein renommierter Chemiker wie Ostwald sollte nach außen hin demonstrieren, dass die Physiologie der Zukunft nicht mehr ohne die Methoden der physikalischen Chemie auskam. Begeistert teilte er Ostwald am 21. April 1903 mit: Was Liebig vor fünfzig Jahren der Physiologie gewesen ist, das sind Sie heute, nur dass das Gedankenmaterial und die Methoden der physikalischen Chemie viel tiefgreifender für die Biologie sind als das für die organische Chemie je der Fall gewesen ist. Dazu kommt Ihr Eintreten für hypothesenfreie Forschung, und gerade für die Biologie bedeutet das eine wesentliche Existenzbedingung. 134

In New York angekommen reiste Ostwald zunächst nach Buffalo zu den Niagarafällen, dann über Chicago und Colorado Springs nach San Francisco. 135 Die endlosen Weiten des Mittleren Westens hinterließen bei Ostwald, der mit der Bahn quer durchs Land reiste, einen tiefen Eindruck. Während seines mehrwöchigen Aufenthalts in Kalifornien kam Ostwald im Hause Loeb unter, lernte die akademische Kultur der USA kennen und erkundete die Sehenswürdigkeiten San Franciscos, Berkeleys, Palo Altos und anderer kalifornischer Orte. 136 Am 18. August 1903 eröffnete Ostwald das Physiologische Labor in Berkeley mit einer Rede über die 130 131 132 133

Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 22.02.1904 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 24.03.1904 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 19.03.1903 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Ebenda. Ostwald schrieb dazu in seinen Lebenserinnerungen: „Früh im Jahre 1903 erhielt ich einen Brief aus der kleinen Universitätsstadt Berkeley, Kalifornien, bei San Francisco, von dem dortigen Professor der Physiologie Jacques Loeb, der mich im Auftrage seiner Universität einlud, sein neues Laboratorium durch eine Rede einzuweihen. Mir war der Name zwar nicht unbekannt, doch hatte ich im Drange so vieler und mannigfaltiger Arbeiten keinen Anlaß gehabt, mich näher mit seinen Forschungen zu beschäftigen. Kollege Loeb schien dies vorausgesehen zu haben, denn er hatte gleichzeitig eine Anzahl Bücher und Abhandlungen auf den Weg gebracht, um mir ein genaueres Bild seiner Betätigungen und Bestrebungen zu geben. Er erwies sich als ein glühender Bewunderer der neuen physikalischen Chemie, der er den Hauptteil seiner Erfolge verdanken zu müssen erklärte, und wollte durch meine persönliche Anwesenheit bei seinem Einzugsfest das Dankverhältnis zum Ausdruck bringen, das er unserer Wissenschaft gegenüber empfand.“ Ostwald (1927), Bd. 2, S. 320. 134 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 21.04.1903 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 135 Ostwald (1927), Bd. 2, S. 328–338. 136 Ebenda, S. 344–354.

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Beziehung der Biologie zu ihren Nachbardisziplinen Physik und Chemie. 137 In seiner Autobiographie Lebenslinien (1927) rekonstruierte Ostwald die erste Begegnung mit Loeb wie folgt, wobei in dessen Darstellung auch antisemitische Stereotype (schwache Konstitution; spitze Nase; nervöser Charakter) durchschienen: Jacques Loeb erwies sich als ein magerer Mann unter Mittelgröße, mit dichtem schwarzem Haar, bläulichem Schein um Kinn und Backen, dunklen Augen und einem gleichsam spitzen Gesicht: spitze Nase, spitzes Schnurrbärtchen, spitzes Kinn. Sein Wesen war lebhaft, etwas nervös. Die Bewunderung, die er für mich äußerte, erschien mir bei aller offenkundigen Aufrichtigkeit ein wenig pathologisch. Sie war wohl wesentlich bedingt durch sein sehr starkes Gefühl für öffentliche wissenschaftliche Anerkennung. Diese war ihm für seine hervorragende Erstlingsarbeit […] nicht in dem Maße zuteil geworden, wie er es erwartet und verdient hatte, während er bei mir einen schnellen Aufstieg gewahrte, den er mir persönlich zugute schrieb, ohne die Reihe von günstigen Zufällen in Rechnung zu setzen, die meine Laufbahn erleichtert hatten. 138

Der Ton zwischen beiden Briefpartnern wurde nach Ostwalds Kalifornienreise im Sommer 1903 vertrauter. Ostwald fühlte sich in Berkeley überaus willkommen und war überwältig von der Landschaft Kaliforniens, die er in Skizzen, Pastellen und Aquarellen festhielt. 139 Die Reise blieb für ihn ein unvergessliches Erlebnis: „Nach Californien habe ich schon ein paarmal etwas wie wirkliche Sehnsucht verspürt“, gestand er Loeb im Februar 1904. 140 Da Loeb um Ostwalds Leidenschaft, die Landschaftsmalerei, wusste, lud er ihn wiederholt in sein neues Haus nach Kalifornien ein, dessen Bau im Frühjahr 1904 begann. „Die Aussicht von unserem neuen Heim ist wunderbar schön und nächstes Frühjahr von März bis Mai hoffen wir Sie bei uns zu haben um die Schönheit der Landschaft mit uns zu bewundern.“ 141 Zusätzlichen Aufwind erfuhr der Briefwechsel durch Ostwalds ältesten Sohn Wolfgang, der zwischen 1904 und 1906 als Research Assistant bei Loeb in Berkeley forschte. Loeb wusste über Ostwalds Sohn – bis auf das vorschnelle Aufstellen von Hypothesen – „nur Erfreuliches“ zu berichten: „Er ist fleissig beim Experimentieren und er ist zweifellos berufen einer der hervorragendsten Biologen der jüngeren Generation zu werden. Ich erwarte Grosses von ihm und glaube nicht dass ich mich darin täusche“, schwärmte Loeb. 142 In Berkeley befand sich Wolfgang Ostwald offenbar in einer „Sturm- & Drangperiode“ und wagte sich auf neues wissenschaftliches Terrain vor, von dem Loeb nur wenig Ahnung hatte. 143 Nach Deutschland zurückgekehrt stieg Wolfgang Ostwald zum Hauptvertreter der Kolloidchemie auf, von der sich Loeb später entschieden distanzierte. 144 137 138 139 140 141 142 143

Vgl. Ostwald (1903). Ostwald (1927), Bd. 2, S. 338. Zum künstlerischen Schaffen Ostwalds, das rund 4.000 Bilder umfasst, vgl. Hansel (2006). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 02.02.1904 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 01.05.1904 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 31.10.1905 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove, 22.06.1905 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 144 Vgl. Fangerau (2009), S. 243; Deichmann (2009), S. 330–331. Die Kolloidchemie ist ein Forschungszweig der physikalischen Chemie, der sich mit der Physik und Chemie (hoch-)disperser Systeme beschäftigt. Als Kolloide werden extrem fein verteilte Stoffe bezeichnet, die im

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Wilhelm Ostwald reiste zwischen 1904 und 1906 zwei weitere Male in die USA, allerdings nicht nach Kalifornien, sondern in den Mittleren Westen und an die Ostküste: Im September 1904 wurde Ostwald auf den International Congress of Arts and Science eingeladen, der im Rahmen der Weltausstellung in St. Louis veranstaltet wurde. Bei dieser Gelegenheit stellte er seine an Auguste Comte (1798– 1857) angelehnte Systematik der Wissenschaften vor, wobei er zwischen Ordnungs-, Energetischen und Lebenswissenschaften unterschied. 145 Loeb, der eigentlich nicht vorhatte am Weltkongress teilzunehmen, sagte letztlich zu, um Ostwald und andere Kollegen aus Europa zu treffen. 146 In St. Louis hielt Loeb einen Vortrag über die „neueren Entwicklungen der Biologie“, der später in Ostwalds Annalen der Naturphilosophie erschien. 147 Zudem konnte Loeb im selben Jahr den Chemiker Svante Arrhenius und Biologen Hugo de Vries (1848–1935) für einen Forschungsaufenthalt in Berkeley gewinnen. 148 Ein Jahr später trat Ostwald erneut die Reise in die USA an, doch dieses Mal an die Ostküste, wo er ihm Rahmen des deutsch-amerikanischen Professorenaustauschs Harvard besuchte und in zahlreichen Vorträgen seine Energetik popularisierte.

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Gegensatz zu molekular-dispersen Lösungen nicht diffundieren oder sich auflösen. Loeb war in eine zeitgenössische Fachdebatte involviert, die der Frage nachging, ob Struktur, Eigenschaften und Prozesse von Zellen auf kolloidaler oder makromolekular-chemischer Ebene zu untersuchen seien. Loeb hielt die Annahme einer Eigengesetzlichkeit und spezifischen Reaktionsweise von Kolloiden in organischer Materie für falsch und behauptete, dass organische Materie konstant physikalisch-chemischen Gesetzen folgte. Vgl. Deichmann (2007). Vgl. Ziche (2007); Neef (2012). Loeb an Ostwald, Berkeley, 30.7.1904: „Der Gedanke, St. Louis zu besuchen, behagt mir gar nicht recht, und ich würde sicher nicht hingehen, wenn ich nicht Sie und einige andere europäische Gelehrte dort zu treffen hoffte. Man hört so wenig von der Ausstellung, dass ich fürchte, dass sie hinter der von Chicago zurücksteht und auch finanziell scheint es schlecht zu gehen.“ Vgl. Loeb (1905). Vgl. Briefe vom 22.02.1904; 24.03.1904; 01.05.1904, 30.06.1904.

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Abb. 4: Wilhelm Ostwald 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis anlässlich des International Congress of Arts and Science. Neben ihm steht der amerikanische Psychologe James McKeen Cattell (1860–1944).

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3.2 Ostwald als Austauschprofessor in den USA Deutsch-amerikanische Wissenschaftsbeziehungen um 1900 Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts waren deutsche Universitäten, darunter Göttingen, Halle, Heidelberg, Leipzig und Berlin, äußerst beliebt bei amerikanischen Studenten, die mit dem Bildungssystem in ihrer Heimat unzufrieden waren. Zum einen standen viele amerikanische Colleges unter dem starken Einfluss von Religionsgemeinschaften (Methodisten, Baptisten, Presbyterianer etc.) und sahen ihren primären Auftrag in Lehre und religiöser Erziehung. 149 Zum anderen blieb die Doktorandenausbildung in den USA bis in die späten 1860er Jahre ein Randphänomen. 150 Schätzungen gehen davon aus, dass sich zwischen 1810 und 1920 etwa 9.000 bis 10.000 amerikanische Studenten an deutschen Universitäten immatrikulierten, wobei der Großteil nach 1871 den Atlantik überquerte. 151 Angesichts der damaligen Mobilität zwischen den USA und Europa ist diese Zahl durchaus bemerkenswert. Nicht nur in der (Alt-)Philologie und Geschichtswissenschaft, sondern auch in den Natur- und Lebenswissenschaften genossen deutsche Universitäten aufgrund ihrer Einheit von Forschung und Lehre einen exzellenten Ruf im Ausland. Die 1734 gegründete Universität Göttingen (Georgia Augusta) entwickelte sich wegen ihrer ausgezeichneten materiellen und personellen Ausstattung zum beliebten Standort englischer und später amerikanischer Studenten, die sich auf die philologisch-historischen Fächer spezialisiert hatten. 152 Forschungseinrichtungen wie die Physiologische Anstalt von Carl Ludwig in Leipzig stiegen zum regelrechten „Mekka“ amerikanischer und russischer Medizinstudenten auf; einen ähnlich guten Ruf unter amerikanischen und russischen Studenten erlangte Wilhelm Ostwalds Institut für Physikalische Chemie in Leipzig, das 1898 seine Pforten öffnete. 153 Wie eingangs angedeutet, stieg der Zustrom amerikanischer Studenten nach der Reichsgründung von 1871 rasant an, da ein Studienaufenthalt in Deutschland für viele Amerikaner als Garant einer akademischen Karriere in den USA galt. In ihre Heimat zurückgekehrt wurden sie zu „Missionaren der deutschen Wissenschaft“ und sorgten dafür, dass Lehr- und Forschungsmethoden deutscher Universitäten Eingang in die amerikanische Higher Education fanden. 154 An der Leipziger Universität erreichte der Anteil amerikanischer Studenten seinen Höhepunkt zwischen 1877 und 1900 (mit Ausschlägen nach oben in den Jahren 1877, 1886, 1891). 155 Erst nach der Jahrhundertwende nahm der Zustrom amerikanischer Studenten allmählich ab, da auch die amerikanischen Universitäten ihre Qualität in Forschung

149 Paulus (2010), S. 37. 150 Zu amerikanischen Studenten an deutschen Universitäten um 1900, vgl. Werner (2013); Paulus (2010), S. 35–44. 151 Paulus (2010), S. 36. 152 Ebenda, S. 38. 153 Vgl. Lenoir (1992/1997); Johnson (1990); Zimmer (1997). 154 Münsterberg (1909), S. 30. 155 Werner (2013), S. 269.

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und Lehre verbesserten und sich verstärkt am deutschen Seminar- und Vorlesungsmodell orientierten. 156 Durch die Entwicklung der Eisenbahn, Dampfschifffahrt und Telegraphie intensivierte sich auch der transatlantische Austausch unter Wissenschaftlern: Allein zwischen 1880 und 1900 erhöhte sich die Anzahl von rund zwanzig internationalen Wissenschaftskongressen pro Jahr auf über einhundert; bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verdoppelte sich die Zahl auf zweihundert. 157 Besonders die 1913 gegründete Rockefeller Foundation weitete ihr überseeisches Engagement im Zeichen der Philanthropie stetig aus und wurde zusammen mit der Ford Foundation zu einem wichtigen Förderer naturwissenschaftlicher, biomedizinischer und sozialwissenschaftlicher Forschung in Westeuropa. 158 Darüber hinaus gerieten die USA als aufstrebende Großmacht ins Visier der europäischen Großmächte. Gegenüber seinen alten Rivalen Großbritannien und Frankreich versuchte das Kaiserreich über den Weg der Kulturpolitik seine außenpolitischen Beziehungen zu den USA zu verbessern, die um 1900 durch die SamoaFrage im Pazifikraum, politische Interessenkonflikte in China und die berüchtigte „Hunnenrede“ Wilhelms II. angespannt waren. 159 Die Staatsoberhäupter auf beiden Seiten des Atlantiks – Wilhelm II. und Präsident Theodore Roosevelt – gerierten sich trotz ihrer Begeisterung für Militär, Flotte und Technik gerne als Förderer von Wissenschaft, Kunst und Kultur. Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch, der 1905 als kulturpolitisches Prestigeprojekt vom preußischen Kultusministerium ins Leben gerufen wurde, war daher ein willkommener Weg, diplomatische Beziehungen im Namen von Kunst und Wissenschaft zu pflegen. 160 Treffend erklärt Charlotte A. Lerg den Professorenaustausch zum Inbegriff einer sich etablierenden „Universitätsdiplomatie“ um 1900, in der Hochschulen zu zentralen Akteuren und Trägern außenpolitischer Beziehungen wurden. 161 Die Idee eines deutsch-amerikanischen Professorenaustauschs entstand im Rahmen eines Bauprojekts, das von mehreren deutschstämmigen Harvard-Professoren initiiert wurde: Nach dem Vorbild des 1852 gegründeten Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg sollte an der Harvard University ein „Museum für deutsche Kunst und Kultur“ entstehen. Dem deutschen Botschafter in Washington, 156 157 158 159

Paulus (2010), S. 57–58. Vgl. die 1876 gegründete Johns Hopkins University in Baltimore. Lerg (2017), S. 107; Fuchs (2002), S. 205–244. Rausch (2007), S. 73–98. Paulus (2010), S. 68. Seit längerem herrschte ein Konflikt zwischen Deutschland, Großbritannien und USA um die Samoa-Inseln. Im sogenannten Samoa-Vertrag von 1899 wurde beschlossen, die Inselgruppe zwischen dem Deutschen Reich im Westen und den Vereinigten Staaten im Osten aufzuteilen, wobei Großbritannien mit anderen Inseln im Pazifik entschädigt wurde. Kurz vor der Entsendung des deutschen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstands in China hielt Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven seine berüchtigte „Hunnenrede“, die wegen ihrer aggressiven Rhetorik von den anderen Mächten als Drohgebärde wahrgenommen wurde. Auf die Hunnen zurückgreifend appellierte der Kaiser an die deutschen Truppen gegenüber den chinesischen Boxern keine Gnade walten zu lassen. 160 Zum Professorenaustausch, vgl. vom Brocke (1981); Fiebig-von Hase (1998); Lerg (2019); Paulus (2010), S. 66–78. 161 Lerg (2019), S. 257–296.

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Theodor von Holleben (1838–1913), sowie Kuno Francke (1855–1930), seit 1889 Professor für Deutsche Literaturgeschichte in Harvard, gelang es, den anfänglich noch zögerlichen Wilhelm II. von dem Museumsprojekt zu überzeugen – letztlich auch, um das angeschlagene Deutschlandbild in den USA aufzupolieren. 162 Gemeinsam mit seinem Kollegen Hugo Münsterberg (1863–1916), seit 1892 Professor für Psychologie und Philosophie in Harvard und später Präsident der American Psychological Association, entwickelte Kuno Francke die Idee eines Professorenaustauschs. Auf deutscher Seite waren der einflussreiche preußische Ministerialdirektor für Unterrichtswesen Friedrich Althoff (1839–1908) sowie Wilhelm Waldeyer (1836–1921), seines Zeichens Anatomieprofessor und zeitweiliger Rektor der Berliner Universität, federführend am Aufbau des Austauschprogramms beteiligt. Althoff arbeitete 1904 konkrete Pläne zu einem Professorenaustausch mit Harvard aus. Münsterberg fungierte dabei als Vermittler zwischen Berlin und Cambridge (MA) und stellte dem Präsidenten der Harvard University, Charles W. Eliot (1834–1926), Althoffs Pläne vor. 163 Eliot war es nicht nur zu verdanken, dass Münsterberg und Francke nach Harvard berufen wurden; unter seiner Ägide mauserte sich das älteste College der USA zur führenden Universität des Landes. 164 Seit 1905 bestanden zwei Austauschprogramme – einerseits zwischen der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und der Harvard University, andererseits zwischen der Berliner Universität und der Columbia in New York. Während in Deutschland das Kultusministerium mit Unterstützung der KoppelStiftung 165 den Austausch finanzierte, basierte die Finanzierung in den USA auf privaten Spenden, u.a. aus dem Kaiser Wilhelm Fund. 166 Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch gehörte zu jenen Soft-Power-Strategien, mit denen nicht nur diplomatische bzw. kulturpolitische Ziele, sondern auch institutionelle Interessen verbunden waren. Denn besonders amerikanische Universitäten erhofften sich von dem Programm eine Steigerung ihrer Reputation und internationalen Sichtbarkeit, indem sie etwa groß angekündigte Abendvorträge und aufwendige Dinnerparties veranstalteten. 167 Der Präsident der Columbia University, Nicholas M. Butler (1862–1947), trieb unter Vermittlung Münsterbergs den Aufbau des Austauschprogramms zwischen der Berliner Universität und der Columbia im Sommer 1905 voran. Bei beiden Programmen schlug die deutsche bzw. amerikanische Seite einen Kandidaten vor, der für ein Semester an der ausländischen Universität lehren und forschen durfte. Was das Harvard-Programm betraf, so konnten Professoren von allen preußischen Universitäten und später des gesamten Deutschen Reiches vorgeschlagen werden; auf 162 163 164 165

Francke (1930), S. 42–43; Paulus (2010), S. 68–69. Vgl. vom Brocke (1981); Fiebig-von Hase (1998). Paulus (2010), S. 67. Die Koppel-Stiftung ging auf den deutsch-jüdischen Unternehmer Leopold Koppel (1854– 1933) zurück, der ein wichtiger Mäzen und Förderer der Wissenschaften und Künste um 1900 war. Anlässlich der Silberhochzeit Wilhelms II. gründete er 1905 die Koppel-Stiftung zur Förderung der geistigen Beziehungen Deutschlands zum Ausland. 166 Lerg (2017), S. 116–117. 167 Ebenda, S. 121.

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amerikanischer Seite waren ausschließlich Harvard-Professoren vorgesehen. 168 Ziel des Harvard-Austauschs war es, sowohl Einblicke in das deutsche bzw. amerikanische Wissenschaftssystem zu vermitteln als auch in die Fachdisziplin des Gastprofessors. Im Vergleich zum Harvard-Programm war der Professorenaustausch mit der Columbia dezidiert politischer Natur. Die Austauschprofessoren in Berlin respektive New York sollten sich relevanten Themen aus Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft widmen und einmal pro Woche in der Sprache ihres Gastlandes einen öffentlichen Vortrag halten. Die kulturpolitische Agenda des Columbia-Programms spiegelte sich auch in der Benennung der Professuren wider, nämlich „Theodore Roosevelt Professorschip of American History and Institutions“ und „Kaiser Wilhelm Professur für Deutsche Geschichte und deutsche Einrichtungen“. 169 Hugo Münsterberg unterstrich 1908 die politische Mission des Professorenaustauschs, gehe es doch in erster Linie darum, „daß in unserer verheißungsvoll bewegten Zeit Universitäten nicht wieder abseits stehen dürfen von den großen Kulturaufgaben, sondern an ihrem Teil mitwirken müssen an der Stärkung des Bewusstseins nationaler Wechselbeziehungen.“ 170 Ostwald als Gastprofessor in den USA Im Wintersemester 1905/6 wurde Wilhelm Ostwald als erster Austauschprofessor für das Harvard-Programm vom preußischen Kultusministerium auserkoren. Auf amerikanischer Seite wurde der Harvard-Theologe und Philosoph Francis G. Peabody (1847–1936), der ein Experte auf dem Gebiet der Sozialethik war, an die Berliner Universität entsandt. 171 Ostwald hatte nicht damit gerechnet, dass die Wahl zum Austauschprofessor gerade auf ihn fiel, wie er in einem Brief an Loeb offen gestand. 172 In seiner Autobiographie führte Ostwald den Grund seiner Wahl auf den Einfluss amerikanischer Chemieprofessoren zurück, die bei ihm in Leipzig ausgebildet wurden. Zudem vermutete er, dass der Philosoph und Psychologe William James (1842–1910), der ein großer Befürworter seiner Naturphilosophie war, ein gutes Wort für Ostwald eingelegt hatte. 173 Dass mit dem Austausch auch diplomatische Ziele verknüpft waren, wurde Ostwald schnell bewusst: Der Austausch werde als eine „Reichsangelegenheit“ behandelt, wie er gegenüber Loeb bemerkte, und vorab müsse er mit dem Kaiser in Verhandlungen treten. Selbstbewusst stellte er allerdings klar, dass er sich nicht zum „Fürstenknecht“ machen lasse, denn dafür sei sein „baltisches Blut“ ungeeignet. 174 Aufgrund seiner Herkunft als Baltendeutscher machte er keinen Hehl aus seinem ambivalenten Verhältnis zum Deutschen Reich und Kaiser. Für Ostwald selbst kam der Professorenaustausch sehr gelegen, 168 169 170 171 172 173 174

Ebenda, S. 115. Ebenda, S. 114–115. Münsterberg (1909), S. 22. Eine Liste aller Austauschprofessoren aus Deutschland und den USA befindet sich im Anhang. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 13.05.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Ostwald (1927), Bd. 3, S. 30. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 13.05.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11).

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hatte er sich doch mit der Philosophischen Fakultät in Leipzig wegen seines Antrags auf ein reduziertes Lehrdeputat überworfen. 175 Während seiner Gastprofessur im Wintersemester 1905/6 bot Ostwald eine Einführungsveranstaltung auf Deutsch und zwei Seminare für fortgeschrittene Studenten auf Englisch an, wobei ihn ein Fremdsprachenassistent unterstützte. 176 Mit rund fünfzig Zuhörern waren seine englischen Seminare deutlich besser besucht als seine Einführungsveranstaltung auf Deutsch, die gerade einmal dreizehn Studenten im Durchschnitt zählte. 177 Neben seiner Lehrverpflichtung an der Harvard University hielt Ostwald öffentliche Vorträge über Energetik in New York und an der Columbia University, wo er eine einwöchige Vorlesungsreihe zu „The Relations of Energy to Life and Thought“ anbot (Abb. 5). „Meine hiesigen philosophischen Vorlesungen haben eine ziemlich starke Reaction bei Münsterberg ausgelöst, während ich bei den Studenten viel Sympathie für die Energetik finde“, teilte Ostwald Loeb am 2. Dezember 1905 mit. 178 Ostwald provozierte das amerikanische Publikum insbesondere mit seiner Ingersoll Lecture, die er im Dezember 1905 in Harvard hielt.179 Hierin versuchte er den christlichen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele aus naturwissenschaftlicher Sicht zu widerlegen. Der Mensch könne sich nur durch seine Taten und wissenschaftlichen Leistungen unsterblich machen, so dessen Fazit. In einem Brief vom 24. November 1905 ließ sich Loeb über die Feigheit und Bigotterie der Amerikaner aus und lobte Ostwald für seinen Mut: Ich bin froh dass Sie die Vorlesung über Unsterblichkeit halten; die Americaner haben meist nicht den Muth einzugestehen, dass sie nicht an eine Fortdauer der Seele glauben, und Sie werden der Sache der geistigen Freiheit in diesem Lande einen Dienst leisten, wenn Sie mit deutscher Ehrlichkeit und Offenheit (im Gegensatz zur englischen Zweideutigkeit, die hier üblich ist) das Thema behandeln. Es ist soweit hier gekommen, dass ein Universitätsprofessor hier kaum mehr seinen Unglauben offen auszusprechen wagt, und das ist doch ein sehr trauriger Zustand. 180

175 Ostwald (1927), Bd. 2, S. 440. Aufgrund von Überarbeitung beantragte Ostwald im Wintersemester 1904/5 beim sächsischen Kultusministerium die Befreiung von der Hauptvorlesung in Chemie, was zu Spannungen mit der Philosophischen Fakultät in Leipzig führte. 176 Vgl. Ostwalds Brief vom 05.11.1905; Lerg (2019), S. 276–277; Ostwald (1927), Bd. 3, S. 37. 177 Lerg (2019), S. 277. 178 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Cambridge, 05.12.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Ostwald referierte an der Columbia acht Stunden über Philosophie und sechs über Chemie. 179 Die Ingersoll Lecture on Human Immortality wurde von Caroline Haskell Ingersoll begründet, die vor ihrem Tod 1893 der Harvard University 5.000$ für eine jährliche Vorlesung spendete, die in Erinnerung an ihren Vater George G. Ingersoll gehalten werden sollte. Die Ingersoll Lectures sollten aus verschiedenen Fachrichtungen die Frage der Unsterblichkeit des Menschen erörtern. Initiiert wurde die Reihe 1896 vom damaligen Harvard-Präsidenten Charles W. Eliot (1834–1926). Ostwald hielt eine Vorlesung zum Thema „Individuality and Immortality“, die beim Verlag Houghton Mifflin Company (Boston/New York) erschien. 180 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 24.11.1905 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828).

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Abb. 5: Ankündigung von Ostwalds Vorlesungsreihe zur Energetik an der Columbia University im Wintersemester 1905/6. Ostwald notierte sich am Rand handschriftlich die Wochentage seiner Vorlesungen.

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Ostwald versicherte Loeb selbstbewusst, dass er sich trotz der „fromme[n] Umgebung“ in den USA nicht zum „Renegaten“ machen lasse und von seiner Kritik am christlichen Unsterblichkeitsglauben keineswegs abrücken werde. Obwohl Ostwald den Harvard-Präsidenten vorwarnte, dass es ein Wagnis sei, gerade ihm die Ingersoll Lecture anzubieten, habe sich Letzterer nicht davon abbringen lassen. 181 Nach seiner Lecture bekam Ostwald die Ablehnung seiner Kollegen in Harvard deutlich zu spüren, wie er sich in seiner Autobiographie erinnerte: „Die mir etwas ferner stehenden Kollegen rückten um einen kleinen aber deutlich erkennbaren Schritt von mir ab. Ein öffentlich ausgesprochener Gegensatz zur Kirche wurde dort ähnlich wie in England nicht nur als ein moralischer, sondern noch mehr als ein gesellschaftlicher Verstoß angesehen: eine Einstellung, die als besonders wirksam von der Geistlichkeit mit Eifer und Erfolg gepflegt wird. Nicht nur ich bekam dies zu spüren, sondern auch meine Frau und Töchter.“ 182 Die wiederholten Amerikareisen Ostwalds hinterließen auch Spuren in der Freundschaft beider Wissenschaftler. Als Zeichen seiner Dankbarkeit und Bewunderung widmete Loeb seine Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen (1906) seinem Leipziger Kollegen: „Sie haben der Biologie gegenüber und namentlich der von mir vertretenen Richtung stets eine so wohlwollende Stellung eingenommen […], dass ich Ihnen auch ein äusseres Zeichen meiner Verehrung und dankbaren Gesinnung geben wollte.“ 183 Diese Geste schmeichelte Ostwald sehr, der daraufhin schrieb, dass er stolz sei, mit Loebs Namen dauerhaft in Verbindung zu stehen. 184 Loeb, der vor seiner Emigration in Deutschland studiert hatte, nutzte den Briefkontakt zu Ostwald auch, um Kritik am amerikanischen Universitätssystem zu äußern. So sah er die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in den USA durch reiche Philanthropen gefährdet, die mit ihren Spenden und privaten Stiftungen einen erheblichen Teil der Forschungsförderung abdeckten: „Unsere sogenannte ‚prosperity‘ hat allen Idealismus im Sande unterdrückt und die Professoren zu Bettlern gemacht. Sie hatten ganz Recht als Sie das von Rockefeller & Carnegie den Universitäten gegebene Geld als eine Art Bestechung bezeichneten. Es handelt sich wohl in der That um ein Aufkaufen der öffentlichen Meinung.“ 185 Eine ähnlich skeptische Haltung hatte Loeb später auch gegenüber den deutsch-amerikanischen Gastprofessuren, was ein Brief vom 14. April 1913 bezeugt. Ihm zufolge seien für das Austauschprogramm Kandidaten bevorzugt worden, die konservative bis reaktionäre Positionen vertraten, Materialismus und Monismus attackierten und sogar der 181 182 183 184 185

Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Cambridge, 05.11.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Ostwald (1927), Bd. 3, S. 78. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 24.11.1905 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 02.12.1905 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove, 10.07.1907 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Zu den bekanntesten Philanthropen in den USA gehörten der Industriemagnat Andrew Carnegie (1835–1919) und der Ölmagnat John D. Rockefeller (1839–1937). Bis zu seinem Tod stiftete Carnegie 300 Millionen Dollar für seine privaten Stiftungen, während Rockefeller seine nach ihm benannte Rockefeller Foundation mit 183 Millionen Dollar ausstattete. Zudem spendete Rockefeller insgesamt 35 Millionen Dollar zum Aufbau der University of Chicago.

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Kirche nahestanden. Seine Kritik richtete sich dabei besonders gegen den Jenaer Philosophen und Literatur-Nobelpreisträger Rudolf Eucken (1846–1926) und den Hauptvertreter der Lebensphilosophie in Frankreich, Henri Bergson (1859–1941). Letzteren lehnte er wegen seiner neo-vitalistischen Ideen in L‘évolution créatrice (1907) und seiner angeblichen Verbindung zu den französischen Jesuiten ab: Harvard introduced, as exchange professor, Eucken, and he has been hailed with delight by the orthodox circles; on the other hand, Butler has “presented to the public” Monsieur Bergson, who as you may know is being pushed by French Jesuits, since he furnishes the arguments for the restoration of orthodox belief which the Jesuits themselves are not able to furnish. Our own exchange professor, Minot from Harvard, eulogizes Eucken in a series of lectures which he gave at Jena, and brings in a slap at the mediaeval fanaticism of certain monists. I do not think it was difficult for the people in Jena to guess which monist was meant. 186

Ostwalds Antrag auf Frühpensionierung wurde nach seinem Gastsemester in den USA genehmigt, so dass er sich 1906 auf seinen Landsitz „Energie“ in Großbothen zurückzog. Dort wirkte er bis zu seinem Tod als freischaffender Publizist, Freidenker, Maler und Farbforscher. 187 Für Ostwald war die Pensionierung ein Befreiungsschlag. Ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Universitätsbetrieb zog er Bilanz: „Dieser Tage ist es gerade ein Jahr, dass ich meine letzte Vorlesung als Professor gehalten habe und Privatmann geworden bin. Ich finde es einfach glorios, so als freier Mann zu leben und bedaure einzig, dass ich nicht früher so gescheit gewesen bin.“ 188 Im Monistenbund fand Ostwald ein neues Betätigungsfeld, in dem er seine Energetik zu einem ethischen und politischen Programm ausbaute. 3.3 „Das Monistische Jahrhundert“: Ostwald, Loeb und der Monismus Monismus, Positivismus und der Einfluss Ernst Machs Loebs und Ostwalds weltanschauliche Positionen waren untrennbar mit ihrer wissenschaftstheoretischen Programmatik verknüpft. Jenseits ihrer gemeinsamen Forschungsinteressen verband sie ein ideologisches Ziel: Beide traten für die Popularisierung einer monistischen Weltanschauung ein, die sich gegen Schöpfungsglauben, Metaphysik und kirchliche Orthodoxie richtete. „Mir macht die schöne Elimination alles metaphysischen Unsinns ganz besondere Freude“, teilte Loeb seinem Kollegen Ostwald am 28. Oktober 1903 mit, nachdem Letzterer ihm Die Schule der Chemie (1903) geschickt hatte. 189 Ostwald trug diesem Ziel durch seine Tätigkeit als Vorsitzender des Deutschen Monistenbundes (DMB) Rechnung, der führenden bürgerlichen Freidenkerorganisation im wilhelminischen Deutschland. Im Januar 1906 gründete der Zoologe und Darwinist Ernst Haeckel (1834‒1919) in Jena den Deutschen Monistenbund gemeinsam mit anderen Naturwissenschaftlern, Philo186 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 16.04.1913 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 187 Vgl. Braune (2009); Hakfoort (1992); Neef (2012); Görs, Psarros und Ziche (2005); Leber (2020a). Loebs Reaktion auf Ostwalds Rückzug ins Private, vgl. Brief vom 28.10.1903. 188 Wilhelm Ostwald and Jacques Loeb, Großbothen, 29.07.1907 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 189 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 28.10.1903 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828).

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sophen, Schriftstellern und Künstlern. Beeinflusst von Darwins Evolutionstheorie, Goethes Pantheismus und der romantischen Naturphilosophie postulierte Haeckel die Einheit von Geist und Materie sowie von belebter und unbelebter Natur. 190 Als naturwissenschaftliche Einheitslehre sollte der Monismus den Dualismus des Christentums – die Unterscheidung von Leib und Seele, von Diesseits und Jenseits – überwinden. Der Monistenbund trug maßgeblich zur Popularisierung des Darwinismus im Kaiserreich bei, forderte die Trennung von Staat und Kirche und zog gegen ultramontane Kräfte zu Felde. 191 Seine größte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr der Monistenbund während der Präsidentschaft Wilhelm Ostwalds zwischen 1911 und 1915. Als Vorsitzender des DMB formulierte Ostwald seine eigene Spielform des Monismus, die Energetik: Sein energetischer Monismus basierte auf den thermodynamischen Prinzipien von Energieerhaltung und Entropie und führte alle Prozesse der Welt auf Energieumwandlungen zurück. 192 Zur Erinnerung: Schon auf der Lübecker Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1895 hatte Ostwald das mechanistische Weltbild als hypothetisches „Gedankenkonstrukt“ zurückgewiesen und allein der Energie einen Realgehalt attestiert. 193 Neben Zeit und Raum erkor Ostwald die Energie zur dritten allgemeinen Konstante in der Naturwissenschaft: „Wir fragen nicht mehr nach den Kräften, die wir nicht nachweisen können, zwischen den Atomen, die wir nicht beobachten können, sondern wir fragen, wenn wir einen Vorgang beurtheilen wollen, nach der Art und Menge der aus- und eintretenden Energien“. 194 Sein energetisches Reformprogramm baute Ostwald als Präsident des DMB zu einer monistischen Weltanschauung aus, in deren Zentrum der energetische Imperativ „Vergeude keine Energie, nutze sie!“ stand. Ausgehend vom zweiten thermodynamischen Hauptsatz (Entropiesatz) forderte sein Imperativ, alle verfügbaren Energieressourcen möglichst sinnvoll, effektiv und nachhaltig zu nutzen, da jede Energieumwandlung irreversibel war. 195 Ostwald und Loeb verband ein positivistisches Wissenschaftsverständnis, das sich an die Epistemologie Ernst Machs anlehnte. Ähnlich wie Mach forderten Ostwald und Loeb eine „hypothesenfreie“ Forschung, die sich an direkten Sinneswahrnehmungen und empirischen Beobachtungen orientierte. 196 Mach bezweifelte, dass Theorien oder Gesetze die natürliche Realität wirklich wiedergaben; stattdessen waren sie ein bequemes Werkzeug, um die Gedanken und Erfahrungen ökonomisch 190 Zu Haeckels Monismus, vgl. Di Gregorio (2005); Holt (1971); Jacobsen (2005); Kleeberg (2005/2007); Leber (2020a); Richards (2008). 191 Zur Geschichte des Monistenbundes, vgl. Breidbach (1998); Nöthlich et al. (2006); Hübinger (1997); Leber (2020a); Neef (2012); Simon-Ritz (1997); Weir (2012). Zur Geschichte des Freidenkertums in Deutschland, England und Europa, vgl. Dittrich (2014); Groschopp (1997); Rectenwald (2016); Schwartz (2013); Simon-Ritz (1997); Weir (2014). 192 Zu Ostwalds Energetik, vgl. Braune (2009); Hakfoort (1992); Leegwater (1986); Leber (2020a/b); Wegener (2009/2010); Ziche (2008). 193 Ostwald (1895). 194 Ebenda, S. 32. 195 Entropie ist eine thermodynamische Größe, welche die Verlaufsrichtung von irreversiblen Energieumwandlungen anzeigt. 196 Zur Korrespondenz zwischen Loeb und Mach, vgl. Fangerau/Müller (2005).

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zu organisieren. 197 Als Gütekriterium für wissenschaftliches Arbeiten formulierte Mach eine Denkökonomie, die eine möglichst einfache, klare, sparsame Erklärung anstrebte und dabei alle metaphysischen Begriffe eliminierte. Wissenschaft könne, so Mach, „als eine Minimumaufgabe angesehen werden, welche darin besteht, möglichst vollständig die Tatsachen mit dem geringsten Gedankenaufwand darzustellen“. 198 Dass man molare Größen wie Druck und Temperatur in der kinetischen Gastheorie auf die Bewegung hypothetischer Atome zurückführte, verwarf Mach als metaphysischen Fehlschluss. 199 In seiner Analyse der Empfindungen (1886) entwarf Mach den Empiriokritizismus, der die Sinnesempfindungen zur alleinigen Voraussetzung der Erkenntnis und Wissensproduktion erklärte. Die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, von Erscheinung und ‚Ding an sich‘ löste Mach auf, indem er beides auf Empfindungskomplexe zurückführte, die je unterschiedlich miteinander verknüpft sind. „Das Ich ist unrettbar“ lautete seine provokante, viel zitierte Schlussfolgerung. 200 Die Frage nach der Existenz einer objektiven, vom Bewusstsein unabhängigen Realität verbannte Mach in den Bereich der Metaphysik. 201 In den frühen Arbeiten Loebs bildeten Machs Antimetaphysik und Positivismus die epistemologische Grundlage. 202 Ähnlich wie Mach betrachtete Loeb die Wissenschaft nicht als „Spiegel der Natur“, sondern als ein Instrument, mit dem man die natürliche Umgebung wie eine Maschine kontrollieren, manipulieren und deren Verhalten antizipieren konnte. Der Wissenschaftler entsprach damit einem Ingenieur, der Theorien nach ihrem Grad an Kontrolle und Manipulation natürlicher Phänomene bewertete. 203 In seinem 1912 veröffentlichten Band The Mechanistic Conception of Life definierte Loeb die moderne Biologie als rein experimentelle Wissenschaft, deren Ergebnisse auf zwei Weisen generiert werden: Entweder indem man organische Phänomene in dem Maße kontrolliert, dass sie jederzeit reproduzierbar sind (etwa die Kontraktion eines herausgeschnittenen Muskels) oder indem man das numerische Verhältnis zwischen den Bedingungen und dem Ergebnis eines Experiments bestimmt. Hier führte Loeb die Mendelʼschen Vererbungsregeln als Paradebeispiel an. Solange sich die Biologie an diese zwei Prinzipien halte, sei ihr kontinuierliches Fortschreiten gesichert, konstatierte er selbstbewusst. 204 Kaum ein anderer Biologe seiner Zeit bekannte sich so explizit zum Mechanismus wie Loeb – ein Begriff, der in der Biologiegeschichte in doppelter und meist verschränkter Weise verwendet wurde: In explanatorischer Hinsicht steht Mechanismus für die Beschreibung der Komponenten eines biologischen Systems und deren Aktivität, die zu einem bestimmten Ergebnis führen; in wissenschaftsphilosophischer Hinsicht (und das ist für Loeb zentral) steht der Begriff für eine spezifische 197 Fangerau/Müller (2005), S. 211. 198 Mach (1883), 464–465. Hervorhebung im Original. Zum Einfluss sozio-ökonomischen Denkens auf Ernst Machs Erkenntnistheorie, vgl. Wulz (2015), S. 59–76; Rheinberger (2007), 20. 199 Pauly (1987), S. 43. 200 Mach (1886), S. 18, Anm. 12. 201 Allgemein zu Machs Leben, Werk und Wirkung, vgl. Stadler (2019). 202 Fangerau/Müller (2005), S. 211. 203 Pauly (1987), S. 43 u. 47. 204 Loeb (1912a), S. 3–4.

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Auffassung von Organismen als materielle Entitäten, die wie Maschinen funktionieren. Wie Garland E. Allen gezeigt hat, verwendete eine neue Generation von Biologen um 1900 Mechanismus als normativen Kampfbegriff, um eine moderne Biologie zu begründen, die sich an den ‚harten‘ Methoden der Physik und Chemie orientierte und sich von holistisch-vitalistischen Ansätzen distanzierte. 205 Loebs Mechanistic Conception of Life stand ganz im Zeichen jener Versuche, die Biologie zu professionalisieren und vom alten Erbe der Naturgeschichte und des Vitalismus zu befreien. 206 Integraler Bestandteil von Loebs Mechanismusʼ war eine reduktionistische Auffassung von Lebensprozessen, die auf die elementarste Ebene zurückgeführt wurden: auf die physikochemischen Reaktionen von Molekülen. 207 Gegenüber William James bemerkte Loeb 1888: Whatever appear to us as innervations, sensations, psychic phenomena, as they are called, I seek to conceive through reducing them – in the sense of modern physics – to the molecular or atomic structure of the protoplasm, which acts in a way that is similar to (for example) the molecular structure of the parts of an optically active crystal. 208

Ein Brief vom 20. November 1904 deutet darauf hin, dass Machs Epistemologie ein wichtiges Bindeglied zwischen Loeb, Ostwald und dessen Sohn Wolfgang darstellte. Begeistert schrieb Loeb an Mach: „Ich freue mich, dass Ihre Weltanschauung stetig neue Anhänger gewinnt und die Forschung endgültig zu beherrschen beginnt. Ich habe jetzt einen begeisterten jungen Anhänger von Ihnen hier, den Dr. Ostwald (Sohn des Leipziger Chemikers). Wir gedenken Ihrer oft hier.“ 209 In anderen Briefen beklagte sich Loeb gegenüber Mach über die angeblich mangelnde humanistische Bildung der Amerikaner und deren Furcht vor abweichenden Meinungen, wobei er Letzteres auf das „Blühen der Kirchen“ in den USA zurückführte. 210 Dennoch zeigte er sich Mach gegenüber optimistisch: „Ich denke aber, dass das Bewusstsein, drüben noch etwas für die Cultur thun zu können und der günstige Umstand, dass man keine humanistisch oder scholastisch verbildeten Menschen vor sich hat, reichlich Entschädigung bietet“, hieß es in einem Brief von 1891. 211 Als sich Loeb nach 1910 immer exponierter zum Mechanismus-Reduktionismus in der Biologie bekannte, entfernte er sich zunehmend von Machs positivistischer Position und dessen Kritik an kausal-mechanistischen Erklärungen, wie sie etwa in der Atomtheorie vertreten wurden. 212

205 Allen (2005), S. 261–283. Der Mechanismusbegriff entstand im philosophischen Diskurs des 17. Jahrhundert und steht mit Namen wie René Descartes, Thomas Hobbes, Pierre Gassendi und Robert Boyle in enger Verbindung. Mechanismus kann als eine Spielart des Materialismus begriffen werden und umfasst verwandte Konzepte wie Atomismus oder bewegte Materie. 206 Allen (2005), S. 263. 207 Ebenda, S. 274. 208 Jacques Loeb an William James, 10.06.1888. Zit. n. Pauly (1987), S. 38. 209 Jacques Loeb an Ernst Mach, Berkeley, 20.11.1904 (ADM, NL Mach, Nr. 174/1969). 210 Jacques Loeb an Ernst Mach, Zürichbergstrasse 25, Zürich, 06.06.1891 (ADM, NL Mach, 174/1954). Eine Transkription des Briefes befindet sich im Anhang. 211 Ebenda; vgl. auch Fangerau/Müller (2005), S. 211–216. 212 Fangerau/Müller (2005), S. 212; Deichmann (2009), S. 324.

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Der Hamburger Monistenkongress 1911 Schon in Europa zeigte Loeb großes Interesse an freidenkerischen und sozialreformerischen Bestrebungen. Während seines kurzen Intermezzos in Zürich 1890 schloss er sich einem Kreis von Freidenkern um die Physiologen Justus Gaule (1849–1939) und Gustav von Bunge (1844–1920) an und schwärmte von den sozialreformerischen Ideen Josef Popper-Lynkeus (1838–1921). 213 Nach seiner Ankunft in Amerika hielt sich Loeb zunächst von politischen, weltanschaulichen und freidenkerischen Vereinen wie der Ethical Society fern, die für die Verbreitung einer säkularen, humanistischen Ethik und Erziehung eintrat. Loeb hatte einen „Horror vor Organisationen“, wie er Mach 1894 gestand, da sie trotz guter Absichten häufig „nur dem persönlichen Ehrgeiz der Führer“ dienten. 214 Einen Zugang zu Freidenker- und Reformkreisen in den USA erhielt Loeb durch Paul Carus (1852– 1919), dem Herausgeber von The Open Court und The Monist. Über Ernst Mach lernte Loeb den deutsch-amerikanischen Publizisten Carus kennen, der in seinen Zeitschriften monistische Inhalte verbreitete und für eine säkulare, naturwissenschaftlich begründete Religion warb. Loebs erster Eindruck von Carus war alles andere als positiv: Er hielt Carus für einen arroganten Hochstapler, der nichts von Naturwissenschaften verstand, warf ihm „unbändigen Dünkel“ und eine „pfäffische Natur“ vor und betonte gegenüber Mach, dass Carus einen schlechten Ruf unter amerikanischen Freidenkern habe. Loeb befürchtete, dass das Freidenkertum von „Pfaffen“ unterwandert werde, sobald es „aus dem Rahmen exacter Wissenschaft“ heraustrete und populär werde. „Wirkliches Freidenkerthum“ sei nur möglich, so Loeb, wenn eine „gewisse Summe naturwissenschaftlicher Kenntnisse“ vorhanden sei. Die Resultate der Forschung müssten von Naturwissenschaftlern selbst und nicht von Laien popularisiert werden. Weiter schrieb er an Mach: „Eine neue Generation muss ohne Religion aufwachsen; die mit religiösen Aberglauben Erzogenen zu bekehren ist eine physiologisch unmögliche Aufgabe. Vielleicht wird dieser Gedanke einer religionslosen Erziehung später einmal in America möglich werden; einstweilen sieht es noch schlimm hier aus.“ 215 Obwohl Loeb Carus zunächst für einen Hochstapler hielt, änderte er später seine Meinung und tauschte sich regelmäßig mit ihm über philosophische Fragen aus. 216 Als säkularer Jude, der sich zu sozialistischen, materialistischen und monistischen Positionen bekannte, avancierte Loeb zum beliebten Gewährsmann europäischer Freidenker und Sozialreformer – und gleichzeitig zum Feindbild für Konservative. 217 Als Ostwald 1911 den Vorsitz im Monistenbund übernahm, zeigte Loeb 213 Fangerau (2010), S. 92; Jacques Loeb an Ernst Mach, Airolo, 17.08.1890 (ADM, NL Mach, 174/1952). Popper-Lynkeus forderte in seinen Schriften eine Gesellschaftsordnung, die für jeden Bürger ein Existenz-Minimum sicherstellte und für ausreichend Nahrung sorgte. 214 Jacques Loeb an Ernst Mach, Chicago, 30.04.1894 (ADM, NL Mach, Nr. 174/1958). 215 Jacques Loeb an Ernst Mach, Chicago, 20.01.1894 (ADM, NL Mach, Nr. 174/1957). 216 Jacques Loeb an Ernst Mach, Chicago, 30.04.1894 und 17.11.1896 (ADM, NL Mach, Nr. 174/1958 und 1961): „Dr. Carus sehe ich jetzt recht oft und ich habe ihn sehr lieb gewonnen. Ihr Urtheil über ihn ist vollkommen zutreffend.“ 217 Fangerau (2009), S. 236.

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sogleich Interesse für die Ziele der Organisation. Seinem ehemaligen Lehrer Nathan Zuntz teilte er am 11. April 1911 mit: „Die Monisten interessieren mich sehr + ich glaube, es würde ganz lustig sein als Apostel am Monistenbunde theilzunehmen, namentlich im Verein mit Arrhenius und Ostwald.“ 218 Wenig später trat Loeb auch der Gesellschaft für positivistische Philosophie – dem Berliner Pendant zum Wiener Kreis – bei. 219 Die von Ernst Mach und Joseph Petzoldt (1862–1929) initiierte Gesellschaft strebte den Austausch zwischen den Disziplinen an, mit dem Ziel, zu einer positivistischen, antimetaphysischen Deutung der Welt zu gelangen. 220 Aufgrund seiner Reputation als Naturwissenschaftler und bekennender Freidenker wurde Loeb im September 1911 von Ostwald auf den Ersten Internationalen Monistenkongress in Hamburg eingeladen. Dort gehörte er neben dem schwedischen Chemiker Svante Arrhenius zu den Hauptrednern und referierte über eine mechanistische Interpretation des seelisch-moralischen Lebens. Ostwald sicherte Loeb ein (für deutsche Verhältnisse) hohes Vortragshonorar von 500 Mark zu und betonte im Voraus, dass auf dem Kongress „keine Haeckel-Orthodoxie“ herrsche: „Mir persönlich wäre erwünscht, wenn Sie am Schlusse Ihres Vortrages auf die Bedeutung der modernen Biologie, insbesondere Ihrer Entdeckungen, für die allgemeine Auffassung des Lebens und Daseins recht energisch hinweisen würden.“ 221 In seinem Hamburger Vortrag stellte Loeb die christliche Vorstellung einer menschlichen Seele bzw. eines freien Willens infrage und argumentierte, dass der Ursprung unserer Ethik nicht in der Religion oder tradierten Werten, sondern in vererbten Instinkten zu finden ist: „Wenn unsere Existenz auf dem Spiel blinder Kräfte beruht und nur ein Werk des Zufalls ist, wenn wir selbst nur chemische Mechanismen sind – wie kann es für uns eine Ethik geben? Darauf lautet die Antwort, daß unsere Instinkte die Wurzel unserer Ethik bilden, und daß die Instinkte ebenso erblich sind wie die Formbestandteile unseres Körpers.“ 222 Diese Aussagen provozierten sowohl orthodoxe Christen und Konservative als auch Neo-Vitalisten wie Hans Driesch (1867–1941) und Henri Bergson. 223 Letztere glaubten an die Existenz einer immateriellen Vitalkraft, die außerhalb der Materie auf den Organismus wirkte. Unter dem Titel „Aphorismen zur Vererbungslehre“ veröffentlichte Loeb 1912 einen Aufsatz im Monistischen Jahrhundert, mit dem er konservative Leser weiter provozierte. Hierin widerlegte er populäre Vorstellungen über Vererbung (u.a. in Bezug auf Alkoholismus) und stellte die damals provokante These auf, dass die künstliche Befruchtung der Eizelle keinerlei schädlichen Einfluss auf die Qualität des Erbguts habe. 224

218 Jacques Loeb an Nathan Zuntz, New York, 11.04.1911 (StBPK, Sammlung Darmstaedter, Lc/1871). Zit. n. Fangerau (2010), S. 93. 219 Hecht/Hoffmann (1991); Fangerau (2009), S. 237. 220 Fangerau (2010), S. 94. 221 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 19.04.1911 und 17.05.1911 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 222 Loeb (1912b), S. 92. 223 Fangerau (2009), S. 238. 224 Loeb (1912c), S. 6–12.

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Abb. 6: Der Erste Internationale Monistenkongress 1911: Gruppenfoto am Hamburger Hauptbahnhof. Im Zentrum ist Wilhelm Ostwald zu sehen. Über ihm wird die Fahne des Monistenbundes geschwenkt.

Loeb nahm die zeitaufwändige Reise über den Atlantik gerne in Kauf, da ihm die Arbeit des Monistenbundes sehr am Herzen lag. An Ostwalds Sohn Wolfgang schrieb er 1911: „I dread the loss of time terribly, but the pleasure of fighting for the Monisten Bund, and fighting together with your father and Arrhenius would give me infinite satisfaction.“ 225 Loeb nahm ebenso in Kauf, dass sein Ruf als Wissenschaftler durch seinen Auftritt in Hamburg gefährdet wurde. Denn gerade bei konservativen Kollegen und Kritikern verstärkte sein Engagement für den Monistenbund den Eindruck, dass er ein radikaler Verfechter des Materialismus, Sozialismus und Freidenkertums sei. Als Ostwald Loeb 1913 ein Honorar für die Abfassung einer Autobiographie anbot, die im monistischen Unesma-Verlag erscheinen sollte, lehnte dieser dankend ab: „Eine Autobiographie wird aussondern, auch sehr radical ausfallen und ich habe das Gefühl, dass ich ohnehin anrüchig genug bin. Man erzählt mir, dass als jemand meinen Namen in Verbindung mit dem Kaiser Wilhelm Institut erwähnte, eine Autorität sofort erklärte ‚Der hat ja in Hamburg die Religion angegriffen‘. Das mag Klatsch sein, entspricht aber der Stimmung.“ 226 Der Kongress in der Hansestadt war ein unerwarteter Erfolg und sollte in die Annalen des Monistenbundes eingehen. 227 Zum Ende des Kongresses rief Ostwald das „Monistische Jahrhundert“ aus, das zum Namensgeber der DMB-Zeitschrift werden sollte. Eine Aufnahme aus dem Ostwald-Nachlass zeigt einige Teilnehmer des Monistenkongresses am Hamburger Hauptbahnhof (Abb. 6). Sie deutet auf ein 225 Jacques Loeb an Wolfgang Ostwald, New York, 20.04.1911 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 226 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 03.09.1913 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 227 Vgl. Bloßfeldt (1912).

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männliches, bürgerlich geprägtes Milieu hin, das sich für den Anlass in feine Robe warf und entsprechende Kopfbedeckungen (Hut, Zylinder, Schiebermütze) trug. Bis auf wenige Frauen dominieren Männer mittleren und hohen Alters die Szenerie, die vor einem Zug – dem Symbol des technisch-industriellen Fortschritts – posieren. Im Vordergrund ist Ostwald zu erkennen, der sich mit anderen Monisten und Freidenkern eingehakt hat, um solidarische Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Hintergrund wird die Fahne des Monistenbundes geschwenkt, auf der die charakteristische Flamme der Erkenntnis abgebildet ist. Für Loeb blieben Monismus und Freidenkertum auch nach dem Hamburger Kongress ein bestimmendes Thema. Wie er in einem Brief an Ostwald im Oktober 1913 betonte, dachte er in seinen „Mussestunden“ darüber nach, in den USA eine eigene Freidenkerbewegung aufzubauen und dafür „ernst gesinnte und ernst zu nehmende Leute“ zu gewinnen. 228 Seinen Essayband The Mechanistic Conception of Life betrachtete Loeb als ein Stück „campaign literature“, um der geistig-moralischen Reaktion in den USA entgegenzuwirken, und spielte mit dem Gedanken, eine deutsche Übersetzung beim Unesma-Verlag zu veröffentlichen. 229 Für den langfristigen Erfolg der Monismusbewegung hielt er den Anschluss des DMB an die Sozialdemokratie für unverzichtbar, da der Monismus noch „zu sehr Angelegenheit der besitzenden Klassen“ sei. Die pazifistischen Bestrebungen des amerikanischen Industriemagnaten und Philanthropen Andrew Carnegie (1835–1919) hätten gezeigt, dass die „aristokratische Klasse […] keine Ideale durchsetzen“ kann. 230 Loeb, der sich selbst als „ausgesprochener Sozialdemokrat“ verstand, versuchte das monistische Projekt mit einer linken Agenda zu verbinden. 231 Ostwald zeigte sich gegenüber Loebs Plänen aufgeschlossen und plädierte für die Gründung eines internationalen Monistenbundes. 232 Ebenso begrüßte Ostwald eine Kooperation zwischen dem Monistenbund und der Sozialdemokratie, die bereits durch den Reichstagsabgeordneten und Monisten Heinrich Pëus (1862–1937) angebahnt wurde. Ihm zufolge sollte der Monismus der Sozialdemokratie jene neuen Inhalte liefern, die sie „nach der Abnutzung des Marxismus für ihre Organisation“ notwendig brauche. 233 Ostwald spielte sogar mit dem Gedanken, analog zu seiner 1912 in Thüringen gegründeten monistischen Siedlung „Unesma“ ein monistisches Dorf in den USA aufzubauen. Zur Finanzierung des Unesma-Projekts nutze Ostwald sein Nobelpreisgeld von 1909, von dem er die alte Amtsschreibermühle im Eisenberger Mühltal kaufte. Loeb hielt von solchen Experimenten wenig, seien diese doch in der Vergangenheit häufig gescheitert, wie er in einem Brief an den Sozialdemokraten und Monisten Max Hermann Baege (1875–1939) betonte. 234 Tatsächlich endete Ost228 229 230 231 232 233 234

Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 02.10.1913 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 16.04.1913 (LOC, Loeb Papers, Box 11). Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 03.09.1913 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Jacques Loeb an Ernst Mach, Berkely, New York, 23.08.1905 (ADM, NL Mach, Nr. 174). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14.10.1913(a) (LOC, Loeb Papers, Box 11). Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14.10.1913(b) (LOC, Loeb Papers, Box 11). Vgl. Jacques Loeb an Max Hermann Baege, 03.10.1912 (LOC, Loeb Papers). Zit. n. Fangerau (2010), S. 93: „You know that I am greatly interested in you and your doings. I am a little doubtful about the new experiment concerning the monistic village or settlement. Such

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walds Siedlungsexperiment im Mühltal in einem Fiasko: Schon nach anderthalb Jahren scheiterte es aufgrund finanzieller Misswirtschaft und mangelnder landwirtschaftlicher Kenntnisse der Siedler. 235 Ostwalds und Loebs Engagement für freidenkerisch-monistische Ziele leitet zu einem wichtigen Punkt über, der beide Briefpartner miteinander verband: ihre Außenseiterposition. Loeb war Jude, Ostwald Baltendeutscher. Auf je eigene Weise erlebten sie Ausgrenzung im Deutschen Reich. Obwohl sich Ostwald in akademisch-aufgeklärten Kreisen bewegte, gelang ihm die Integration ins Leipziger Bürgertum nur mittelmäßig. In seiner Autobiographie erinnerte er sich über seinen Umzug von Riga nach Leipzig 1887: „So waren wir in vielen Beziehungen Fremdlinge, als wir in Leipzig einzogen und sind es auch einigermaßen während der neunzehn Jahre geblieben, die wir dort zugebracht haben.“ 236 Loebs Auswanderung in die USA 1891 war (neben besseren Karriereaussichten) auch dem steigenden Antisemitismus im Kaiserreich geschuldet; später entschloss er sich aus politischen Gründen gegen eine Rückkehr nach Europa. 237 Die antisemitischen Äußerungen des Berliner Historikers Heinrich von Treitschke 1879 – später auch als „Berliner Antisemitismusstreit“ bekannt – hatten gezeigt, dass antisemitische Positionen unter kulturellen Eliten des Kaiserreichs salonfähig geworden waren. 238 Und auch Loeb konnte es kaum entgangen sein, dass der Antisemitismus seit den 1880er Jahren verstärkt um sich griff und zum „kulturellen Code“ kaiserzeitlicher Eliten geworden war. 239 Seinem Onkel Harry Bresslau, ein führender Mediävist im Kaiserreich, blieb eine Professur in Berlin verwehrt, nachdem er 1880 eine Erwiderung auf seinen Kollegen Treitschke verfasst hatte. Im Gegensatz zu Treitschke glaubte Bresslau – nationalliberal gesinnt – an die Assimilation der Juden im Zeichen der deutschen Nationalidee. Zehn Jahre später, 1890, folgte er schließlich einem Ruf für Mediävistik an die Universität Straßburg. 240 Trotz beachtlicher wissenschaftlicher Erfolge schreckten Loeb und Ostwald nicht davor zurück, ihre Fachkollegen zu provozieren, indem sie sich weder an geltende Disziplingrenzen noch an die bürgerlichen Rollenerwartungen eines Professors hielten. Ostwald erntete mit seinen Vorlesungen über Naturphilosophie (1901) bei Philosophen und Naturwissenschaftlern gleichermaßen Kritik, kehrte der physikalischen Chemie nach 1900 zunehmend den Rücken, widmete sich der Popularisierung seiner Energetik und engagierte sich offen in sozialreformerischen

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experiments have repeatedly been tried in America and have proved unsuccessful. I am not so certain that the monks in the monasteries are all very happy; but still, I as an experimenter should certainly not advise against trying social experiments.” Zum Siedlungsprojekt „Unesma“, vgl. Leber (2020a), S. 297 und Neef (2014), S. 249–284. Ostwald (1927), Bd. 2, S. 80. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 26.01.1910 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). Zum Berliner Antisemitismusstreit, vgl. Boehlich (1965); Krieger (2004). In einem Aufsatz für die Preußischen Jahrbücher formulierte Treitschke 1879 den folgenden kontroversen Satz: „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!“ Vgl. Volkov (2000). Pauly (1987), S. 41.

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Kreisen. Mit seiner Präsidentschaft im kirchen- und religionskritischen Monistenbund brach er deutlich mit einem bürgerlichen Wertekanon, der im Kaiserreich liberal-protestantisch geprägt war. „Da die bürgerliche Gesellschaft seit etwa hundert Jahren als das eigentliche Kennzeichen der Roten den Atheismus betrachtet, bedeutet schon der Eintritt in den Monistenbund den Austritt aus der bürgerlichen Gesellschaft“, schrieb der Leipziger Monist Robert Riemann (1877–1962) in seiner Autobiographie. 241 Obwohl sich Ostwald als Großordinarius und Nobelpreisträger auf sein gesellschaftliches Ansehen und kulturelles Kapital berufen konnte, nahm er als DMB-Präsident in Kauf, mit sozialistischen Positionen in Verbindung gebracht zu werden. Als Ostwald im Rahmen von Kirchenaustrittskampagnen im Herbst 1913 zusammen mit Karl Liebknecht als Redner auftrat, bürgerte sich für ihn der Spitzname „roter Geheimrat“ ein. 242 Loeb wiederum emanzipierte sich mit seinem unorthodoxen Engineering-Ansatz, seinem Bekenntnis zum Mechanismus und seiner interdisziplinären Arbeitsweise von gängigen Methoden der Biologie. Im kalifonischen Berkeley fristete er ein Dasein in Einsamkeit und war von der etablierten Fachcommunity an der Ostküste isoliert. 243 Trotz zahlreicher Nominierungen blieb ihm der Nobelpreis Zeit seines Lebens verwehrt – nicht nur wegen seiner schwierigen disziplinären Verortung, sondern auch weil er sich Feinde in eigenen Reihen machte: Gerne inszenierte er sich als archetypischer Mechanist, polemisierte gegen die deutsche Morphologieschule und stand als Reduktionist der Großtheorie Darwins skeptisch gegenüber, da sie die physikochemische Basis des Lebens vernachlässigte. 244 Sein Kollege Winthrop Osterhout zeichnete Loeb in einem Nachruf als Wissenschaftler, für den der Mechanismus zum Glaubensbekenntnis geworden war: Jacques Loeb „sought in vain for the solution of his problems in the current philosophies of the day: then came his conversion to mechanism. Faith in mechanism became the religion to which he devoted his life, and it was a religion which his love of truth forced him to test by the most rigorous scientific standards.” 245 In der Freidenkerbewegung fanden Ostwald und Loeb einen Resonanzraum, der es ihnen ermöglichte, eine wissenschaftliche Weltanschauung zu verkünden und gegen Metaphysik, Schöpfungsglauben und Kirche zu polemisieren. Loeb scheute nicht davor zurück, mit seiner Teilnahme am Monistenkongress gerade in den USA in den Verruf eines Atheisten oder Sozialisten zu kommen. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, kam es – wie wir nun sehen werden – zum Bruch zwischen den einstigen Brieffreunden.

241 Riemann (2015), S. 8. 242 Gerade in der Ostwald-Forschung der DDR wurde dieser Beiname häufig zitiert, vgl. Herneck (1960), S. 31. Es ist denkbar, dass der Redakteur und SPD-Politiker Walter Oehme den Beinamen „Roter Geheimrat“ prägte, der über die Kirchenaustrittskampagnen berichtete. 243 Maienschein (2009), 221: “Loeb never quite found a completely comfortable fit either in academic settings or in the independent research environment of the Rockefeller Foundation”. 244 Fangerau/Halling/Hansson (2015), S. 116–117. Loeb war der Meinung, dass man Darwins Evolutionstheorie experimentell verifizieren müsse, indem man z.B. Mutationen auf physikalisch-chemische Weise hervorbringt. 245 Osterhout (1930), S. 320.

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3.4 Der Erste Weltkrieg als Zäsur Gegenseitige Entfremdung Der Erste Weltkrieg ging als eine umfassende Zäsur, als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) in die Geschichte ein: Er war der erste hochtechnisierte Krieg, veränderte das politische Machtverhältnis in Europa und erschütterte den Glauben an wissenschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritt. 246 Wie nie zuvor führte der Weltkrieg die Ambivalenz der Wissenschaft in der Moderne vor Augen, die einerseits technische Errungenschaften hervorbrachte, andererseits für Massenvernichtung und kollektives Leid verantwortlich war. Das Jahr 1914 hatte auch katastrophale Folgen für Loeb, der sich gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere befand. Der Weltkrieg veränderte nicht nur Loebs Verhältnis zur deutschen Heimat; er trug auch zur Politisierung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bei: Er verstärkte Loebs Einsatz für den Pazifismus und sein Bekenntnis zu einer modernen, experimentellen Biologie, die sich von vitalistischen und metaphysischen Ideen emanzipierte. Stärker als zuvor kritisierte Loeb die Morphologie als genuin deutschen Wissenschaftsstil, der durch Metaphysik, Irrationalität und romantischen Idealismus kontaminiert sei und den Nährboden für eine gefährliche Rassenideologie bereitete. 247 Loeb verstand sich als Repräsentant eines modernen „American biological enterprise“, weshalb er sich trotz verschiedener Angebote gegen eine Rückkehr nach Europa entschied. 248 Als ihm 1910 eine Professur in Budapest angeboten wurde, schlug er das Angebot aus, wohlwissend, dass (neben sprachlichen Hürden) der um sich greifende Antisemitismus der Nationalisten und des Klerus ein ernsthaftes Problem darstelle: „The combination of linguistic helplessness and opposition of the ‚patriots‘ and clericals is more than I would consider compatible with my peace of mind in a new position“, teilte Loeb am 26. Januar 1910 Ostwald mit. 249 Auch sprachlich distanzierte sich Loeb zunehmend von seiner deutschen Heimat: Während Loeb in den USA zunächst zweisprachig publizierte, um den Anschluss an die kontinentaleuropäische Wissenschaft nicht zu verlieren, lehnte er nach 1914 aus politischen Gründen Publikationen in seiner Muttersprache ab. 250 246 Der Ausdruck „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ geht auf den US-amerikanischen Historiker und Diplomaten George F. Kennan (1904–2005) zurück, der den Ersten Weltkrieg in seinem Buch The Decline of Bismarck‘s European Order (1979) als „the great seminal catastrophe of this century“ bezeichnete. 247 Fangerau (2009), S. 242–243. Zur Morphologietradition in der deutschen Biologie, vgl. Nyhart (1995). In einem Aufsatz für das Yale Review von 1915 stellte Loeb „mechanistic science“ polemisch einer „metaphysical romance“ gegenüber. Erstere setze sich zum Ziel, so Loeb, physikochemische Mechanismen der Natur auf der molekularen Ebene zu erklären. Letztere hingegen entbehre jeglicher Empirie und beruhe ausschließlich auf Spekulation, Intuition und Gefühl. Genau deshalb sei diese imstande, die Massen mit ihren pseudowissenschaftlichen Theorien zu verführen. Vgl. Loeb (1915); ebenso Loeb (1912a). 248 Maienschein (1991), S. 161; Fangerau (2009), S. 237. 249 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 26.01.1910 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 250 Fangerau/Müller (2005), S. 217–218; Fangerau (2010), S. 84.

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Doch welche Spuren hinterließ der Krieg im Verhältnis zwischen Loeb und Ostwald? Der Kriegsausbruch 1914 führte zu deutlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Briefpartnern, die sich zunehmend entfremdeten. Loeb war darum bemüht, seinem Leipziger Kollegen die amerikanische Sicht auf Deutschland und die Mittelmächte zu vermitteln. In einem Brief vom 10. Oktober 1914 führte Loeb mehrere Gründe dafür an, warum ein Großteil der Amerikaner die Mittelmächte kritisierte und sich auf die Seite der Alliierten schlug. Zunächst empfanden viele Amerikaner die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien als barbarisch, da man mitnichten alle Serben zu Mördern erklären könne. Seiner Meinung nach war die Serbienfrage nach dem Attentat von Sarajewo ein klarer Fall für das internationale Schiedsgericht in Den Haag, allerdings kein Rechtfertigungsgrund für einen Krieg. Als zweiten Grund für das schlechte Ansehen Deutschlands in den USA führte Loeb die Neutralitätsverletzung Belgiens durch den Einmarsch der deutschen Truppen und deren Verbrechen gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung an: „The devastation of Belgium is a nightmare. There are very few people here who are willing to agree that the resistance of the Belgians to the demand for passage of the German army was unreasonable.” Als dritten Grund für die deutschlandkritische Stimmung in den USA nannte Loeb die nationalistischen Reden Wilhelms II. und dessen fanatischen Militarismus. Bezogen auf die Wissenschaft räumte er ein: „While the Americans sympathize with the German scientists and the German people, they do not sympathize with the military caste in Germany, and they have a strong desire that militarism disappear at the end of this war.” In einem Punkt stimmte Loeb mit Ostwald überein: Im Gegensatz zu den meisten Amerikanern glaubte Loeb an einen möglichen Sieg Deutschlands, allerdings nicht so glorreich wie im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. 251 Ostwald, der vor 1914 entschieden für den Pazifismus und Internationalismus eingetreten war, bekannte sich nach dem Kriegsausbruch offen zu nationalistischchauvinistischen Positionen. Vor 1914 hatte Ostwald den Chauvinismus noch als „verderbliche Gesinnung“ und Ausdruck eines rückständigen Kulturzustandes verurteilt. 252 Zivilisierte Länder wie Deutschland würden ihre kollektiven Energien nicht in Krieg, sondern in die Organisation ihrer Kultur, Wissenschaft und Technik investieren. Gegenüber dem Soziologen Rudolf Broda (1880–1932), Herausgeber der Dokumente des Fortschritts, begründete Ostwald noch 1913 seinen Austritt aus der Ligue internationale pour la défense du droit des peuples mit folgenden Worten: „Die Liga beschäftigt sich mit der Verteidigung nationaler und nationalistischer Aspirationen. Ich dagegen finde je länger je mehr in dem Begriff des Nationalismus das grösste Hindernis der europäischen Kulturentwicklung“. 253 Nach dem Kriegsausbruch 1914 schien sich Ostwalds Haltung zum Nationalismus um hundertachtzig Grad zu drehen: Gemeinsam mit 93 deutschen Wissenschaftlern unterschrieb Ostwald im September 1914 den Aufruf „An die Kultur251 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 10.10.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 252 Ostwald (1913), S. 272. 253 Wilhelm Ostwald an Rudolf Broda, Großbothen, 08.12.1913 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 4154). Ostwald bezog sich in seiner Kritik des Nationalismus auf den Zweiten Balkankrieg.

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welt!“, der sich gegen die Vorwürfe der Alliierten bezüglich der deutschen Angriffe auf die belgische Zivilbevölkerung und Kulturschätze wehrte und Kaiser Wilhelm II. als „Schirmherr des Weltfriedens“ verteidigte. 254 Während er in den Vorkriegsjahren für die internationale Plansprache Ido und den transnationalen Wissenschaftsaustausch warb, plädierte er 1915 in einer Monistischen Sonntagspredigt für die Einführung von „Weltdeutsch“ in den von Deutschland besetzten östlichen Gebieten. 255 Ostwald mutierte, wie Markus Krajewski betont, vom „Paulus“ zum „Saulus“ der Weltsprachenidee. 256 Sein Bekenntnis zum Nationalismus führte auch dazu, dass er sich von den pazifistischen Kreisen im Monistenbund entfremdete, zu denen u.a. sein Kollege und Mitherausgeber der Annalen der Natur- und Kulturphilosophie, Rudolf Goldscheid (1870–1931), zählte. Am 23. Februar 1915 schrieb Ostwald an Ernst Haeckel: Während ich dem einen nicht patriotisch genug bin, gibt es grosse Gruppen sowie einzelne im Bunde, welche finden, dass wir uns bereits nicht mehr von einem gewöhnlichen Kriegerverein unterscheiden. Namentlich die zahlreichen jüdischen Mitglieder, bei denen ja internationale Tendenzen im Vordergrunde stehen und denen es stets bei Aufflammen nationaler Stimmungen ungemütlich wird, beschweren sich über allzu starken Patriotismus. 257

Müde von den Grabenkämpfen zwischen Kriegsbefürwortern und -gegnern im Monistenbund, trat Ostwald im Mai 1915 als Präsident des DMB zurück. Obwohl Ostwalds Hinwendung zum Nationalismus in der Forschung häufig als „germanophiler Gesinnungswandel“ eingestuft wird, waren auch seine früheren Plädoyers für den Internationalismus getragen vom Bewusstsein deutscher Überlegenheit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik. 258 Ostwalds Internationalismus kann im Sinne Geert Somsens als „olympic internationalism“ bezeichnet werden. Hinter dieser Form des Internationalismus stand nicht allein der freie Informationsaustausch, die Friedenswahrung oder der globale Zusammenhalt aller Wissenschaftler; ein wesentliches Motiv bestand im olympischen Wettbewerb zwischen den Nationen. Obwohl internationale Organisationen und Konferenzen neue Kooperationen unter Wissenschaftlern um 1900 ermöglichten, waren sie zugleich Foren der Zurschaustellung und Bewertung nationaler Errungenschaften in Wissenschaft und Technik. 259 In einem Brief vom 6. November 1914 reagierte Ostwald ausführlich auf Loebs Darlegung der antideutschen Stimmung in den USA und verteidigte die Mittelmächte gegenüber seinem amerikanischen Kollegen. Das negative Image Deutschlands auf der anderen Seite des Atlantiks führte Ostwald auf die einseitige und oft falsche Berichterstattung der Nachrichtenagentur Reuters zurück. Den eingeschränkten Nachrichtenverkehr zwischen Deutschland und den USA lastete er in-

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Zum Aufruf an die Kulturwelt, vgl. Ungern-Sternberg (1996). Ostwald (1915b). Krajewski (2017), S. 194. Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Großbothen, 23.02.1915. In: Nöthlich et al. (2006), S. 122. Leber (2020b). Somsen (2008), S. 365.

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dessen der britischen „Herrschaft über alle Meere“ an. 260 Punkt für Punkt legte Ostwald seine Sicht der Dinge dar: Die Kriegserklärung Russlands an Österreich-Ungarn hielt er für unbegründet, da in der Serbienkrise keinerlei russische Interessen angetastet wurden und der Krieg zwischen Österreich und Serbien lokal begrenzt war. Ebenso verteidigte er sich gegen den Vorwurf der Neutralitätsverletzung Belgiens durch den Einmarsch deutscher Truppen: Belgien habe seine Neutralität bereits vorher verletzt, behauptete Ostwald, denn laut Archivakten hätten die Belgier ein geheimes Kriegsbündnis mit Frankreich und England gegen Deutschland geschlossen. Deutschland habe sich gegenüber Belgien wie der „Kaufmann“ verhalten, „der einen falschen Wechsel nicht akzeptiert, sondern seinerseits Schritte tut, um den Fälscher unschädlich zu machen.“ Dass Ostwalds Worte dem Tenor der deutschen Kriegspropaganda entsprachen, musste Loeb sogleich aufgefallen sein. Der tatsächliche Grund für den deutschen Überfall auf Belgien war der sogenannte „Schlieffen-Plan“, benannt nach dem preußischen Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen (1833–1913): Dieser sah vor, einen schnellen Sieg im Westen durch die Mobilisierung des deutschen Heeres gegen Frankreich herbeizuführen, um im Anschluss die gesamte militärische Stärke gen Osten zu richten. Schon wenige Wochen später zeigte sich, dass der Schlieffen-Plan nicht aufging: An der Westfront erstarrte der Krieg zum Stellungskrieg. Eine Materialschlacht von historischem Ausmaß war die Folge. Die Auflehnung der Belgier und Franzosen gegen die deutschen Truppen geißelte Ostwald als einen niederträchtigen und nutzlosen „Franktireurkrieg“. 261 Für die zerstörten Kunst- und Kulturschätze in Belgien und Frankreich – allen voran die Kathedrale von Reims – hatte Ostwald nur Hohn und Spott übrig: „Der Jammer über die zerstörten Kunstwerke ist zum allergrössten Teil Heuchelei.“ 262 Gegenüber Loebs Kritik am Militarismus Wilhelms II. würdigte Ostwald das deutsche Militär als Ausdruck kultureller Höhe und Überlegenheit: „Ich persönlich sehe im deutschen Militärwesen einen Typus der Organisation, also einer höheren Kulturstufe, der, solange das Militär nicht für den Krieg verwendet wird, von ausgeprägten Nutzen für die Nation ist.“ 263 Dennoch hoffte er wie Loeb darauf, dass nach dem Krieg die fortschrittlichen Kräfte in Deutschland wieder an Auftrieb gewinnen und eine reaktionäre Welle vermeiden würden. Loeb überzeugte Ostwalds Plädoyer für die deutsche Seite nicht, im Gegenteil: Der Brief bestärkte seinen Verdacht, dass Ostwald zum Opfer der deutschen Kriegspropaganda geworden war. Besorgt und enttäuscht berichtete Loeb seinem schwedischen Kollegen Svante Arrhenius von Ostwalds politischer Verblendung. Wie die meisten Deutschen sei er verrückt (lunatic) geworden:

260 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 06.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 261 Als „Franc-tireurs“ wurden im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 französische Freikorps genannt, die sich außerhalb der Armee organisierten und in den Krieg zogen. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg bürgerte sich dieser Begriff für französische und belgische Partisanen ein. 262 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 06.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 263 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 06.11.1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11).

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I. Einleitung: Eine transatlantische Brieffreundschaft I had a long letter from Ostwald, very optimistic in character, in which he tries to convince me that the violation of Belgium’s neutrality was amply justified. I am very fond of Ostwald but I do not know any more what to say to him because his judgement, as that of most Germans, is completely obscure. They literally seem to be lunatics. The whole trouble comes from their identifying themselves with their governments and their diplomatists. I think, in all seriousness, that as soon as this war is over we shall have to begin a campaign against the racial conceit which has been fostered systematically in Germany, Russia, and possibly in other countries, by irresponsible agitators who were tolerated if not supported by their governments. 264

Die späteren Briefe zeugen von der Kriegsmüdigkeit beider Briefpartner. Hatte Loeb im Januar 1915 noch auf ein absehbares Ende des Krieges gehofft, so lassen die Briefe vom Sommer desselben Jahres nur noch wenig Hoffnung auf Frieden erkennen. Auch sein Wunsch, die „gemeinsamen monistischen Bestrebungen“ wieder aufzunehmen, war in weite Ferne gerückt. Stattdessen klagte er: „Leider ist die Situation schlimmer als je, so schlimm, dass ich es aufgegeben habe die Zeitungen zu lesen.“ 265 Während Loeb die um sich greifende „Hetzte zum Morden“ in der Öffentlichkeit beklagte, bedauerte Ostwald den „Kriegswahnsinn, der über das alte Europa ausgebrochen ist“. Doch im Vergleich zu Loeb, der sich nichts als Frieden, Freiheit und das Verschwinden aller Nationalismen wünschte, sah Ostwald im Krieg die „Geburtswehen einer neuen Zeit“ kommen, in der „dem Deutschen Organisationsgedanken eine entscheidende Rolle zugewiesen sein wird.“ 266 In seiner Korrespondenz mit anderen Wissenschaftlern machte Loeb keinen Hehl aus seiner deutschlandkritischen Haltung. Wie er in einem Brief an Svante Arrhenius gestand, hielt er Deutschland für den Hauptverantwortlichen des Krieges. Den Kriegswahn der Deutschen (war-madness) führte er einerseits auf die Gier der „big business men“ zurück, die vom Krieg profitierten; andererseits auf die nationalistische Berichterstattung der deutschen Presse, befeuert von Gelehrten wie Heinrich von Treitschke (1834–1896) und Houston Steward Chamberlain (1855– 1927). 267 Da die amerikanische Wirtschaft enorm von der Produktion und Bereitstellung von Waffen für die Alliierten profitierte, diagnostizierte er 1915 einen Stimmungswandel in der amerikanischen Öffentlichkeit: „They no longer talk of peace; they no longer discuss means of preventing war.“ 268 Mit großer Sorge beobachtete Loeb, dass Politiker wie Theodore Roosevelt (1858–1919), Militärs und Vertreter der Rüstungsindustrie aus kapitalistischen Interessen heraus eine fanatische Kriegsbegeisterung (war spirit) und übersteigerten Militarismus (rampant militarism) in der amerikanischen Bevölkerung schürten. „It has never been so clearly demonstrated that wars are made for profits as it is in America just now”, klagte dieser in einem Brief vom 31. Juli 1915. 269 264 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 14.12.1914. Zit. n. Reingold/Reingold (1981), S. 231. 265 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, o.A. 1915 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 266 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 03.07.1915 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828). 267 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 09.07.1917. Zit. n. Reingold/Reingold (1981), S. 260. 268 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York, 31.07.1915 (LOC, Loeb Papers, Box 11). 269 Ebenda.

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Loebs Kritik an einer profitgierigen, gewissenlosen Großfinanz zog sich wie ein roter Faden durch seine Briefe. 270 Er befürchtete sogar, dass sich die USA auf Drängen von Militär, Flotte und Rüstungsindustrie hin für den Kriegseintritt entscheiden würden. Seine Befürchtungen sollten sich bald bewahrheiten: Am 8. April 1917 trat die USA als Reaktion auf die Wiederaufnahme des uneingeschränkten UBoot-Kriegs mit in den Krieg ein. Loeb als Pazifist Pazifismus und das Ideal einer internationalen Gelehrtenrepublik prägten Loebs Selbstverständnis als Wissenschaftler. Wenige Monate vor dem Kriegseintritt der USA, am 26. Januar 1917, meldete sich Loeb mit dem Artikel „Biology and War“ in dem renommierten Fachjournal Science zu Wort. In seinem Artikel widersprach Loeb den biologistischen Argumenten einiger Kriegsbefürworter, dass der Krieg notwendig für das Überleben einer Nation sei, da er Tugenden wie Mut, Tapferkeit und Männlichkeit stärke. 271 Die lamarckistische Annahme, dass bestimmte organische Eigenschaften und Fähigkeiten durch Nicht-Gebrauch verkümmerten, waren Loeb zufolge empirisch unhaltbar. 272 Weiterhin wies Loeb die sozialdarwinistische Vorstellung eines „natürlichen Überlebenskampfes“ zwischen den Nationen zurück, die konservative Politiker immer wieder flankierten. Das angebliche Gesetz des „survival of the fittest“ war ihm zufolge lediglich eine schlecht gewählte Metapher für die Evolution und Ausdifferenzierung der Arten, allerdings kein Naturgesetz. Außerdem spiegelte es das Verhalten der meisten Organismen in der Natur unangemessen wider, da sie in Wirklichkeit friedlich koexistierten. Nicht die Natur, sondern die Staatsmänner und Kriegsenthusiasten mit ihrer Mordlust (homicidial mania) entsprachen dem Bild des brutalen Überlebenskampfes. 273 Dass Loeb damit vor allem die Deutschen meinte, dürfte dem Leser wohl kaum entgangen sein. Für die biologistischen Argumente der Kriegsenthusiasten machte Loeb die Rassebiologie verantwortlich, die für ihn das Gegenteil von exakter Wissenschaft war. Denn gemäß der Rassebiologie war es ein Naturgesetz, dass „überlegene Rassen“ (superior races) das Recht hätten, „unterlegene Rassen“ (inferior races) zu beherrschen und ihnen ihre Kultur aufzuzwingen. 274 Für die Zukunft hoffte Loeb auf einen neuen Typus von Staatsmännern, die ihr politisches Handeln nach den Erkenntnissen der exakten Wissenschaften ausrichteten und dieses Wissen zur geistigen, moralischen und ökonomischen Hebung der Menschheit nutzten. Sein Appell an die politischen und kulturellen Eliten lautete daher, die breite Bevölkerung vor pseudo270 Vgl. Briefe Jacques Loebs an Svante Arrhenius vom 14.12.1914, 09.07.1917 und 23.01.1919. 271 Loeb (1917), S. 73–74. 272 Ebenda, S. 74. Der Lamarckismus (benannt nach Jean-Baptiste de Lamarck) vertrat die Theorie, dass Organismen ihre Eigenschaften, die sie im Laufe ihres Lebens durch Adaption an die Umwelt erworben haben, an ihre Nachkommen weitervererben. Alle Organismen entwickeln sich nach Lamarck linear zu höherer Komplexität hin. 273 Ebenda, S. 75. 274 Ebenda, S. 75.

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biologischen Vorstellungen zu schützen, die den Nährboden für Fanatismus, Nationalismus und Rassismus bereiteten. 275 Wie auch andere amerikanische Biologen seiner Zeit stellte Loeb eine ideologische Verbindung aus einem falsch verstanden Darwinismus, der den Überlebenskampf überbetonte, und einem fanatischen Militarismus her, der über Deutschland und die Mittelmächte hineingebrochen war. 276 Auch nach dem Krieg lastete Loeb die Hauptschuld für den geistigen Verfall Deutschlands antisemitischen Autoren an, die mit ihrer Rassenideologie das Denken der Menschen vergiftet hätten. Am 31. Dezember 1919 schrieb er an seinen ehemaligen Lehrer Nathan Zuntz: On the whole, I think it is a blessing for Germany to have rid itself of its militarism and I hope that Germany will realize that a return to the rule of the Pan-Germans would lead to its complete downfall since the world is determined not to have that gang in control again. I also hope that the antisemitic charlatans of the type of Chamberlain and Eugen Düring will gradually lose their influence. If the German biologists had developed in the direction of experimental biology as they should have, and if they had done their duty, men like Houston Chamberlain could ever have poisoned the minds in Germany as they had succeeded in doing. 277

Um den Frieden wieder herzustellen und langfristig zu sichern, plädierte Loeb für die militärische Intervention der Alliierten. Als Gegengewicht zum Nationalismus in Europa warb Loeb während des Krieges unermüdlich für die internationale Kooperation der Wissenschaftler – trotz verhärteter politischer Fronten. 278 Loebs Artikel „Biology and War“ kann als ein Gegenentwurf zu Ostwalds Idee der „Organisation deutscher Wissenschaft“ angesehen werden, die er in mehreren Briefen an Loeb, seinen Monistischen Sonntagspredigten und seinen Beitrag „Deutsche Organisation und die Wissenschaft“ (1915) kolportierte. 279 In seinem Beitrag für die Umschau prophezeite Ostwald den Übergang von einem lateinischen zu einem spezifisch germanischen, organisatorischen „Kulturgedanken“. Ostwalds Beitrag war eine Erwiderung auf den Pariser Biologen Pierre Achalme (1866–1936), der zuvor einen kritischen Aufsatz über deutsche Wissenschaft veröffentlicht hatte. 280 Am Beispiel Liebigs und anderer Größen der Chemie versuchte Ostwald 275 Ebenda, S. 76. 276 Vgl. Fangerau (2007a), S. 414–415. Die Idee, dass der Militarismus der Deutschen auf einen falsch verstandenen Darwinismus zurückgeht, wurde seinerzeit von Vernon L. Kellogg (1867– 1937) in seinem Bestseller Headquarters Nights (1917) verbreitet. 277 Jacques Loeb an Nathan Zuntz, New York, 31.12.1919 (StBPK, Sammlung Darmstaedter, Lc/1871). Houston Steward Chamberlain (1855–1927) und Eugen Dühring (1833–1921) gehörten zu den populärsten antisemitischen Autoren ihrer Zeit und waren zentrale Ideengeber des politischen Antisemitismus um 1900. Chamberlains Buch Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899) sowie Dührings Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (1881) stiegen zu antisemitischen Standardwerken in Deutschland auf. 278 Vgl. Fangerau (2009). 279 Der Brief vom 06.11.1914 deutet an, dass Ostwald eine seiner monistischen Kriegspredigten an Loeb schickte, in der er die deutsche Wissenschaft und Militärwesen als Ausdruck einer höheren Kulturstufe lobte. Ich danke Heiner Fangerau für den Quellenhinweis. 280 Pierre Achalme veröffentlichte seinen Aufsatz in der französischen Zeitschrift La Revue, der wenig später in deutscher Übersetzung in der Umschau erschien, vgl. Achalme (1915), S. 761– 763 und 784–786.

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nachzuweisen, dass es vor allem deutschen Wissenschaftlern gelungen war, bahnbrechende Entdeckungen durch die Gründung neuer Forschungslabore, Fachzeitschriften und Fachgesellschaften anzuregen und weiterzuentwickeln: „Wir haben das Entdecken zu organisieren gewußt, und wenn Deutschland im letzten Menschenalter die Universität der ganzen Welt geworden war, so lag es daran, daß man in deutschen Lehranstalten das Entdecken lernen konnte, wozu in der übrigen Welt nur ausnahmsweise Gelegenheit war.“ 281 In der Höhe deutscher Wissenschaft sah Ostwald ein Indiz dafür, dass Deutschland das kulturelle Stadium der Organisation erreicht habe und damit England und Frankreich weit überlegen sei. In Anlehnung an die positivistische Soziologie Auguste Comtes und Franz Müller-Lyers (1857–1916), dem späteren Vorsitzenden des Monistenbundes, ging Ostwald davon aus, dass jede Zivilisation drei kulturelle Stufen – Herdentum, Individualismus und Organisation – durchläuft. 282 In seiner programmatischen Schrift Religion und Monismus (1914), die vermutlich noch vor Kriegsausbruch erschien, legte Ostwald sein Dreistufenmodell ausführlich dar und maß dabei dem politischen Internationalismus eine große Bedeutung zu: Auf der Stufe des Herdentums, die er analog zur Biologie auch als „Gregarismus“ bezeichnete, sah sich der Mensch als reines Herdenwesen, als Glied eines Kollektivs. Jede Abweichung von der Gruppennorm wurde hier als Strafe geahndet und sanktioniert. 283 Emblematisch für diese Kulturstufe war das europäische Mittealter mit seiner Doppelherrschaft aus Papst und Kaiser. In der Phase des Individualismus dominierte das „Recht der Persönlichkeit gegenüber der rücksichtslosen Gleichmacherei des Herdentums“. 284 Während in der Geistesgeschichte eine Emanzipation des Verstandes gegenüber dem Glauben stattfand, äußerte sich auf politischem Gebiet der Geltungsanspruch des Individuums gegenüber monarchischer und klerikaler Repression. Dieser geistesgeschichtliche Wandel zeigte sich bspw. in der Französischen Revolution. Die dritte und höchste Kulturstufe war ihm zufolge die (noch im Werden begriffene) Epoche der Organisation, eine Synthese der vorherigen Stufen. 285 Ostwald entwarf hier eine Utopie, in der das Individuum seine Fähigkeiten in den Dienst der Kulturentwicklung stellte und damit deren Gesamtleistung erhöhte. Interessanterweise hob Ostwald 1914 das Prinzip des wissenschaftlichen Internationalismus als Garant des Friedens hervor, gepaart mit den Prinzipien der Meritokratie und Technokratie. In seiner Gesellschaftsutopie sollte der Einzelne seine soziale Stellung nicht durch 281 Ostwald (1915), S. 766. Hervorhebung im Original. 282 Der Mediziner und Soziologe Franz Müller-Lyer (1857–1916) unterschied in seiner Soziologie zwischen einer sozialistischen, individualistischen und sozialindividualistischen Epoche. 283 Ostwald (1914), S. 46. In der Biologie bezeichnet Gregarismus den gruppenartigen Zusammenschluss von Organismen zum Zweck des Überlebens. Als gregäres Verhalten wird zudem die Vereinigung (Aggregation) von alleinlebenden Organismen aufgrund von Anziehungsfaktoren wie Nahrung oder Wasser bezeichnet. Dies lässt sich bspw. bei Aasfressern beobachten. 284 Ebenda, S. 48. Hervorhebung im Original. 285 Mit dem Begriff „Organisation“ drückte Ostwald sein evolutionäres, organismisches Kulturverständnis aus: „Der Name Organisation soll ausdrücken, daß in der künftigen gesamten Menschheit jeder einzelne etwa dieselbe Rolle spielen wird, wie sie gegenwärtig eine Körperzelle im Organismus des einzelnen Menschen spielt.“ Vgl. Ostwald (1914), S. 53.

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Standeszugehörigkeit, Abstammung oder vererbten Reichtum, sondern allein durch seine Leistung erreichen. Für die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Staaten hielt er die Einführung einer internationalen Hilfssprache, die Verbesserung des transnationalen Verkehrs und die Aufhebung der Zölle für notwendig. Diese Maßnahmen sollten zudem die Gefahr eines Krieges abwenden, der durch den Nationalismus in Europa befeuert wurde. 286 Schon wenige Monate später, wie wir gesehen haben, wich Ostwalds Affinität für die internationale Kooperation aller Staaten der nationalen Überhöhung deutscher Wissenschaft und Organisationsfähigkeit. In einem Brief an Svante Arrhenius vom 11. März 1918 äußerte sich Loeb zynisch über Ostwalds Lobpreisung deutscher Organisation als Inbegriff des zivilisatorischen Fortschritts: “The Germans are worse than the worst we have them credited with. Invading a defenseless country after having concluded peace is, of course, what you would expect of brigands who trust in the ‘sword and God.’ I read today that they now threaten even Scandinavia. I suppose that Wilhelm Ostwald will explain it all as the necessary progress of organization and Kultur.” 287 Infolgedessen plädiere Loeb dafür, dass Schweden sein Nobelpreisgeld nutzen solle, um die Ausstattung seiner Forschungseinrichtungen zu verbessern und Deutschland wissenschaftlich zu isolieren. Diesem Beispiel sollten auch andere liberale Staaten wie England, USA, Frankreich und die Niederlande folgen. Nur so könnte die Welt vor Deutschlands „philosophy of organization, brutality, anti-Semitism, and the lord knows what else“ bewahrt werden. 288 Ganz ähnliche Worte wählte er am 11. März 1918 gegenüber dem britischen Physiker Lord Rutherford (1871–1937) und rief zum Boykott deutscher Wissenschaft auf. Englische und amerikanische Wissenschaftler sollten sich von Deutschland durch die Herausgabe ihrer eigenen Zeitschriften und Handbücher emanzipieren: I naturally do not believe in a boycott, but I think it will be necessary to save the coming generation from the influence of the subtle German philosophy of might and brutality, and in order to accomplish this I think we must no longer support the German literary organization of science. It would be necessary for England as well as America to stand scientifically on its own feet, and publish all those reviews and Handbücher, etc., which the Germans were in the habit of providing for the whole world, with the result that the German mode of thinking gradually conquered the world. 289

Im Laufe des Krieges erklärte Loeb auch andere deutsche Wissenschaftler zur Persona non grata, unter anderem Ostwalds Sohn Wolfgang, der zwischen 1904 und 1906 als Assistent bei Loeb in Berkeley geforscht hatte. 290 Loeb ging mit Wolfgang Ostwald als dem Begründer der Kolloidchemie – der Chemie hochdisperser Stoffe – hart ins Gericht und bezeichnete diesen in einem Brief als „incompetent and silly“. 291 Loebs vernichtendes Urteil überrascht, bedenkt man, dass dieser Wolf286 Ostwald (1914), S. 51. 287 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 11.03.1918. Zit. n. Reingold/Reingold (1981); Fangerau (2009), S. 242. Ich danke Heiner Fangerau für den Quellenhinweis. 288 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 11.03.1918. 289 Jacques Loeb an Lord Rutherford, New York, 11.03.1918. Vgl. Reingold (1962), S. 128. 290 Reingold (1962), S. 127. 291 Jacques Loeb an Otto von Meyerhof, 03.10.1923. Zit. n. Fangerau (2010), S. 39.

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gang Ostwald während seines Gastaufenthalts in Berkeley noch überschwänglich gelobt hatte. 292 Die Annahme, dass Proteine und zelluläres Protoplasma aus Kolloiden bestanden, die ihren eigenen Gesetzen folgten und nicht nach den Kriterien der physikalischen Chemie untersuchbar waren, hielt Loeb für reine Scharlatanerie. Loeb sah in der Kolloidchemie ein weiteres Indiz für die vitalistisch-metaphysische Verblendung der deutschen Wissenschaft. 293 Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass sich Proteine als klar definierte Moleküle beschreiben ließen, deren chemisches Verhalten stöchiometrisch erklärt werden konnte. Hinzu kamen politisch-ideologische Differenzen, die das Verhältnis zwischen Loeb, Ostwald und dessen Sohn endgültig zum Erliegen brachten. Als bekennender Pazifist hatte Loeb mit den meisten deutschen Kollegen gebrochen. 294 Kriegsende Als der Erste Weltkrieg im November 1918 endete, wurde das Deutsche Reich von revolutionären Wellen erfasst. Die Ausrufung der Deutschen Republik am 9. November 1918 in Berlin erfolgte gleich zweimal: sowohl als demokratisch-parlamentarische als auch sozialistische Ordnung. Loeb beobachtete diese Entwicklungen vom fernen Amerika aus, wobei er ein düsteres Bild von der Zukunft zeichnete: „The worst is, I have the feeling that our whole civilization is in danger“, gestand er Svante Arrhenius am 23. Januar 1919. Denn in Europa trugen Massensterben, Arbeitslosigkeit, Inflation und steigende Preise zu einer Radikalisierung und Polarisierung des politischen Klimas bei – nicht zuletzt befeuert vom Bolschewismus, den Loeb (trotz seiner Sympathie für die Sozialdemokratie) als große Gefahr sah. Wie schon im Krieg machte Loeb Finanzwirtschaft, Industrie und Militär für das Übel verantwortlich: Die Unternehmer (business men) hätten es versäumt, die Loyalität der Arbeiterschaft an sich zu binden und dadurch den Revolutionshunger der Arbeiterklasse geschürt. 295 Loeb hielt trotz der politischen Unruhen am Ideal einer internationalen Wissenschaft fest. Obwohl Deutschland von den Alliierten besiegt worden war, glaubte er immer noch, dass Militarismus und deutsches Hegemoniestreben eine ernsthafte Bedrohung für die internationale Wissenschaftscommunity darstellten. Daher verfolgte Loeb eine Doppelstrategie, um dem ideologischen und politischen Einfluss Deutschlands auf das Wissenschaftssystem entgegenzuwirken: Einerseits versuchte er sein inhaltliches und wissenschaftspolitisches Programm durch die Gründung einer eigenen Zeitschrift, dem vom Rockefeller Institute finanzierten Journal of 292 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley, 30.7.1904: „Er [Wolfgang Ostwald, C.L.] ist zweifellos der begabteste und originellste jüngere Forscher mit dem ich je in Berührung gekommen bin und er wird zweifellos einer der grossen Forscher werden.“ 293 Fangerau (2010), S. 38; Deichmann (2007), S. 109–113. Protoplasma ist eine alte Bezeichnung für die flüssige Substanz im Zellinneren. 294 Reingold (1962), S. 127. 295 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 23.01.1919. Zit. n. Reingold/Reingold (1981), S. 281. Zu Loebs Warnungen vor dem Bolschewismus, vgl. Rasmussen (1998), S. 48f.

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General Physiology, zu verbreiten. Andererseits bemühte er sich um finanzielle Mittel für bedürftige Wissenschaftler aus Europa, die so unabhängig von deutschen For- schungseinrichtungen werden sollten. Sein philanthropisches Engagement zahlte sich aus: Nach anfänglichem Zögern etablierte die Rockefeller Foundation in den 1920er Jahren ein Fellowship-Programm, um ausgewählte Wissenschaftler – und nicht deren Institutionen – in ihren Heimatländern zu unterstützen. 296 Seit dem Krieg hegte Loeb Misstrauen gegenüber seinen deutschen Kollegen. Er war erschüttert, dass sich angesehene Chemiker wie Ostwald, Walter Nernst und Emil Fischer den Interessen von Militär und Industrie andienten, ethische Standards missachteten und ihren guten Namen für sinnlose Patente hergaben, wie er 1918 an Lord Rutherford schrieb. 297 Es verwundert also kaum, dass Loeb in seinen Briefen immer wieder Seitenhiebe gegen Ostwald und andere deutsche Wissenschaftler austeilte. Spöttisch fragte er Arrhenius im Januar 1919: „Have you heard from Ostwald? I wonder what he is now thinking about his idea of the Germans as the chosen people and the destiny of the Hohenzollern to rule Europe.” 298 1922, vier Jahre nach Kriegsende, lehnte Loeb die Einladung zu einer Konferenz in Deutschland ab, auf deren Programm Ostwald und Nernst standen, letztlich auch, um seine Freunde aus Belgien und Frankreich nicht zu verprellen. 299 Loebs Absage war nicht nur einer persönlichen Fehde geschuldet – sie war auch ein politisches Statement. 4. FAZIT Wer sich mit der Wissenschaftsgeschichte des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts beschäftigt, kommt an der Quellengattung Brief nicht vorbei. Über Jahrhunderte war der Brief für Wissenschaftler und Gelehrte das Medium des informellen Wissens- und Informationsaustauschs. Auch Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald waren in ihrer Kommunikation zwischen Berkeley und Leipzig, zwischen New York und Großbothen auf das Medium Brief angewiesen. Sie beide verband eine bewegte Brieffreundschaft, die zunächst als rein fachlicher Austausch begann und sich bald zu einem lebhaften Dialog über Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ausweitete. Über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren dokumentiert die Loeb-Ostwald-Korrespondenz Durchbrüche und Schaffenskrisen beider Wissenschaftler, unterschiedliche Wissenschaftskulturen in Deutschland und Amerika sowie politische Umbrüche des frühen 20. Jahrhunderts. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs brach der Kontakt abrupt ab – die politischen Differenzen beider Wissenschaftler wurden unüberbrückbar. Loeb und Ostwald verband nicht nur der Glaube an die empirischen Naturwissenschaften und mit ihm die Kritik an Metaphysik und christlichem Schöpfungsglauben; beide leiteten aus ihren epistemischen Überzeugungen ethische, philo296 Fangerau (2007a), S. 418. 297 Jacques Loeb an Lord Rutherford, New York, 11.03.1918. Zit. n. Reingold (1962), S. 128. 298 Jacques Loeb an Svante Arrhenius, New York, 23.01.1919. Zit. n. Reingold/Reingold (1981), S. 281. 299 Reingold (1962), S. 128.

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sophische und ideologische Positionen ab, die sie zu zentralen Figuren der Freidenkerbewegung machten. Bezeichnenderweise begründete Ostwald seine Glücksformel mit der Überzeugung, „daß es nichts zwischen Himmel und Erde gibt, was nicht durch wissenschaftliche Behandlung Klärung und nötigenfalls Besserung erfahren kann“. 300 Mit dem Ausdruck „wissenschaftlich“ meinte er selbstverständlich die empirischen, experimentellen Naturwissenschaften. Ostwald nahm mit seinem sichtbaren Engagement für den Monistenbund den Bruch mit bürgerlichen Normen und Werten in Kauf. Aus dem gefeierten Nobelpreisträger von 1909 wurde bald der „rote Geheimrat“. Auch Loeb machte sich mit seiner Kritik an Metaphysik, Religion und Kirche in konservativen Kreisen unbeliebt. Darüber hinaus teilten beide Wissenschaftler die Erfahrung der Ausgrenzung innerhalb ihrer eigenen Fachcommunity. Da Ostwald und Loeb nicht davor zurückschreckten, Disziplingrenzen zu überschreiten und neues wissenschaftliches Terrain zu betreten, machten sie sich Feinde in eigenen Reihen: Ostwald durch seine Hinwendung zur Naturphilosophie und seine Zurückweisung des Atomismus; Loeb wiederum durch seine Polemik gegen die „deutsche“ Morphologie, den Vitalismus und sein klares Bekenntnis zur mechanistischen Deutung von Lebensprozessen. Unter Zeitgenossen galt Loeb als „archetypischer Mechanist“ – eine Figur, der Sinclair Lewis (1885–1951) in seinem preisgekrönten Roman Arrowsmith (1925) ein literarisches Denkmal setzte. 301 Der Erste Weltkrieg markierte nicht nur politisch, sondern auch in der Brieffreundschaft beider Wissenschaftler eine tiefe Zäsur: Er führte, so die These, zu einem deutlichen Politisierungsschub beider Wissenschaftler, belastete ihren einstigen Konsens in politisch-ideologischen Fragen und gipfelte letztlich im Kontaktabbruch. Zwar glaubten Loeb und Ostwald nach wie vor an die epistemische Überlegenheit der exakten Wissenschaften, doch knüpften sie nun völlig konträre Zukunftsvisionen und Hoffnungen an diese: Für Ostwald stand die Wissenschaft im Dienst nationalistischer Ziele, für Loeb im Dienst des Pazifismus und internationalen Austauschs. Während Ostwald die Entente-Mächte für den Krieg verantwortlich machte und die militärisch-technische Überlegenheit Deutschlands beschwor, positionierte sich Loeb deutlich gegen militaristisches, nationalistisches und rassistisches Denken. Während Ostwald die Wissenschaft und Technik seines Landes als Geburtshelfer eines Europas „unter deutscher Führung“ feierte, verteidigte Loeb die internationale Gelehrtenrepublik und warnte vor der politischen Vereinnahmung wissenschaftlicher Theorien. Die politischen Fronten beider Briefpartner verhärteten sich; ihr Kontakt brach nach dem 31. Juli 1915 abrupt ab. Die Loeb-Ostwald-Korrespondenz dokumentiert eindrucksvoll, wie die Welt zwischen 1914 und 1918 aus den Fugen geriet – in politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht. Die Briefe fügen sich nicht zu einer harmonischen Geschichte zusammen, ganz im Gegenteil: Sie zeugen von den Brüchen, die das 20. Jahrhundert durchzogen und es zum „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm) machten. 300 Ostwald (1927), Bd. 3, S. 1. 301 Fangerau (2010), S. 46, 181, 200–204. Sinclair Lewis schuf in Arrowsmith die Figur des deutsch-jüdischen Bakteriologen Max Gottlieb, die an Loeb angelehnt war.

II. ZUR EDITION Die Korrespondenz zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald erstreckt sich auf fünfzehn Jahre (1900 bis 1915). Die Briefe Loebs an seinen Leipziger Kollegen befinden sich im Nachlass Wilhelm Ostwalds, der im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufbewahrt wird. Der Ostwald-Nachlass gehört zu den umfangreichsten der Berliner Wissenschaftsakademie und umfasst geschätzt 60.000 Schriftstücke. 1 Schon zu Lebzeiten bewahrte Ostwald seine Korrespondenz gewissenhaft auf. Neben hunderten von Briefen umfasst der OstwaldNachlass Tagebücher, Manuskripte, Notizbücher, Sonderdrucke, Zeugnisse, Fotografien, Plakate und weitere Ego-Dokumente. Ostwalds Privatbibliothek sowie dessen Laborgeräte, Medaillen, Bilder und Materialien zur Farblehre werden in dessen ehemaligem Wohnsitz in Großbothen, dem „Landhaus Energie“, aufbewahrt (heute: Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte). Ostwalds Tochter Grete erkannte schon früh den wissenschaftlichen Wert des Nachlasses ihres Vaters und richtete im Landhaus Energie das „Wilhelm-Ostwald-Archiv“ ein, dessen Dokumente sie nach einem eigenen System ordnete. Zum hundertjährigen Jubiläum Ostwalds 1953 entschlossen sich dessen Kinder und Erben (Grete Ostwald, Elisabeth Ostwald, Carl Otto Ostwald) den schriftlichen Nachlass und die Privatbibliothek des Chemikers der Akademie der Wissenschaften in Berlin (DDR) zu übereignen. Aus konservatorischen Gründen siedelte der schriftliche Nachlass 1970 ins zentrale AkademieArchiv nach Ost-Berlin um, wo er sich noch heute befindet. 2 Der schriftliche Nachlass von Jacques Loeb befindet sich in der Library of Congress, Washington D.C., wo auch die Briefe Ostwalds an Loeb aufbewahrt werden. Die Library of Congress erwarb den Nachlass 1960/61 von Loebs Kindern Leonard B. Loeb, Robert F. Loeb, und Anne L. Osborne, darunter knapp 10.000 Briefe an Familie, Freunde und Kollegen. 3 Ferner umfassen die Loeb Papers Notizbücher, Reden, Manuskripte, Fotografien, Urkunden und andere Ego-Dokumente. Von besonderem wissenschaftshistorischem Wert sind seine Buchmanuskripte sowie Laborbücher mit den Tier- und Pflanzenexperimenten, die zu seiner Tropismenlehre beitrugen. Zu seinen Korrespondenzpartnern zählen neben Ostwald Svante Arrhenius, Ludwig Boltzmann, Paul Henry De Kruif, Paul Ehrlich, Albert Einstein, Sigmund Freud, Fritz Haber, Ernst Haeckel, Julian Huxley, Ernst Mach, Ivan Petrovich Pavlov, Wilhelm Roux und Otto Warburg. 4 1 2 3 4

Krause (2005), S. 8. Diese Informationen sind dem Findbuch zum Ostwald-Nachlass entnommen, das sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften befindet. Reingold (1962), S. 119. Vgl. Loeb Papers auf der Website der LOC: https://www.loc.gov/item/mm73030429/ [aufgerufen am: 15.07.2022].

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Die Edition richtet sich an ein allgemein- und wissenschaftshistorisch interessiertes Publikum und soll durch ihre Kommentierung einen leichteren Zugang zu den Quellen ermöglichen. Die Briefe wurden chronologisch geordnet, fortlaufend nummeriert und kommentiert. Die Blattseiten im Original wurden durch fortlaufende Nummern in eckigen Klammern kenntlich gemacht; Absätze im Originaltext wurden durch einen Einzug markiert. Bis auf wenige Briefe, die vermutlich verschwunden sind, umfasst die Edition die gesamte Korrespondenz von Ostwald und Loeb zwischen 1900 und 1915. Neben handschriftlichen Briefen gehören hierzu auch Postkarten und maschinengeschriebene Briefe (Typoskripte). Loebs und Ostwalds Briefe wurden unter Beibehaltung der originalen Orthografie und Interpunktion transkribiert und vollständig wiedergegeben. Beibehalten wurden spezifische Groß-, Klein-, Gentrennt- und Zusammenschreibungen, unterschiedliche Schreibweisen von s-Lauten, Unterstreichungen und andere Formen der Texthervorhebung. Nur in Einzelfällen wurden Satzzeichen in eckigen Klammern hinzugefügt und offensichtliche Grammatik- und Rechtschreibfehler ausgebessert, um eine gute Lesbarkeit zu gewährleisten und Sinnenstellungen zu vermeiden. So verzichtete Loeb in seinen Briefen gerne auf Kommata vor Konjunktional- und Adverbialsätzen (dass-/wenn-Sätze), die im Einzelfall ergänzt wurden. Der Geminationsstrich (im Falle von n und m) wurde durch eine Doppelschreibung (nn und mm) aufgelöst. Nicht wiedergegeben wurden Zeichnungen, Illustrationen oder Abbildungen auf Postkarten, ebenso wie der Wechsel von Kurrent- zu lateinischer Handschrift im Brieftext. Die edierten Briefe erscheinen in der Grundschrift recte. Der Transkription liegt folgendes textkritisches Klammersystem zugrunde: • • • •

< > unsichere Lesart; unleserliches Wort [ ] Zusätze durch den Bearbeiter […] Auslassung durch den Bearbeiter [Blattnummer] Seitenumbruch im Original

Jedem Brief ist ein Dokumentkopf (Editortext) vorangestellt, der die Briefnummer, Angaben zu Verfasser und Adressat, Datierung, Adresse des Verfassers sowie den archivalischen Fundort enthält. Die Anmerkungen in den Fußnoten enthalten Kurzviten von genannten Personen, Angaben zu Institutionen, Orten und historischen Ereignissen sowie Erläuterungen von Fachbegriffen bzw. Anspielungen, die für das Verständnis der Briefe relevant sind. Die Anmerkungen ermöglichen eine historische Einordnung der Briefe und erleichtern deren Zugang.

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II. Zur Edition

Abb. 7: Brief von Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb vom 5. August 1911 über den Internationalen Monistenkongress in Hamburg Anfang September 1911.

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Abb. 8: Brief von Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald vom 10. Oktober 1914 über die antideutsche Stimmung in den USA.

III. VERZEICHNIS DER BRIEFE 1. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Chicago (IL), 9. April 1900 2. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, San Francisco (CA), 27. Dezember 1902 [Postkarte] 3. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 14. Januar 1903 [Postkarte] 4. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 19. März 1903 5. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 3. April 1903 6. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 21. April 1903 7. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 14. Juni 1903 8. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 26. Juni 1903 9. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 10. Juli 1903 10. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 13. Juli 1903 11. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 27. Juli 1903 [Postkarte] 12. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Norddeutscher Lloyd, 9. September 1903 13. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 6. Oktober 1903 14. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 28. Oktober 1903 15. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 15. Januar 1904 16. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 2. Februar 1904 17. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 22. Februar 1904 18. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 24. März 1904 19. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 1. Mai 1904 20. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 30. Juli 1904 21. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 14. August 1904 22. Jacques Loeb and Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 28. April 1905 23. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 13. Mai 1905 24. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 22. Juni 1905 25. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 31. Oktober 1905 26. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Cambridge (MA), 5. November 1905 27. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 24. November 1905 28. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Cambridge (MA), 2. Dezember 1905 29. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 24. Februar 1906 30. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 7. Juli 1906 31. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 8. August 1906 32. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 25. August 1906 33. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 10. Juli 1907 34. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 29. Juli 1907 35. Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 1. August 1907 36. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 12. September 1908 37. Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 8. Juni 1909

III. Verzeichnis der Briefe

38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66.

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Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Weston Lodge (NW), 11. Juni 1909 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 26. Januar 1910 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 20. Mai 1910 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 16. März 1911 [Postkarte] Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 19. April 1911 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 1. Mai 1911 [Postkarte] Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 17. Mai 1911 [Postkarte] Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 5. August 1911 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14. Oktober 1911 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 6. Februar 1912 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 14. Februar 1912 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 15. Februar 1912 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 2. Mai 1912 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 8. Oktober 1912 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 5. April 1913 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 16. April 1913 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14. Mai 1913 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 3. September 1913 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 2. Oktober 1913 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14. Oktober 1913(a) Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14. Oktober 1913(b) Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 17. Dezember 1913 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 10. Oktober 1914 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 6. November 1914 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 8. Januar 1915 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 4. Februar 1915 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), o.A. (ca. 1915) Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 3. Juli 1915 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 31. Juli 1915

IV. BRIEFWECHSEL UND KOMMENTAR Nr.1 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of Chicago, Chicago (IL), 9. April 1900 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Professor; Ich muss Sie aufrichtig um Verzeihung bitten, dass ich Ihren freundlichen Brief vom vorigen Sommer noch nicht beantwortet habe. Sie haben wohl aus meinen Arbeiten ersehen wie sehr ich durch Ihre Ideen und Entdeckungen beeinflusst worden bin, und ich brauche Ihnen kaum noch ausdrücklich zu sagen, wie dankbar ich Ihnen für Ihren Brief und Ihre wohlwollende [2] Besprechung meiner ersten Ionenarbeit bin. 1 Als Ihr Brief ankam war ich gerade bei einer Untersuchung, bei der ich Ihrer oft gedachte. Es war mir gelungen, das Ei des Seeigels, das zur Entwicklung der Befruchtung durch ein Spermatozoon bedarf, dadurch unbefruchtet zur normalen und vollen Entwicklung zu bringen, dass ich dasselbe für 2 Stunden in eine Lösung von gleichen Theilen Seewasser und einer 20/8n MgCl2 Lösung brachte. 2 [3] Ich dachte danach daran Ihnen mitzutheilen, dass die Ionen sich in der Biologie im buchstäblichen Sinne als befruchtend erwiesen haben. Allein weitere Versuche – die ich neuerdings in Californien ausgeführt habe – zeigen dass die Erhöhung des osmotischen Druckes des Seewassers eine wichtige Rolle dabei spielt. Soviel ist aber sicher, dass das Problem der Befruchtung durch diese Versuche aus dem Bereich der Biologie in den der physikal. Chemie verwiesen werden muss. [4] Die Anwendung der physikal. chem. Ideen auf die Biologie erweist sich von solcher Fruchtbarkeit, dass es fast unmöglich ist, sich auf die Ausarbeitung einiger weniger Probleme zu beschränken. Jeder neue Versuch bringt die unerwartetsten und überraschendsten Aufklärungen in Gebieten der Biologie, für welche der Versuch zuerst gar nicht beabsichtigt war. Ich theile Ihnen das mit, weil ich fast fürchten muss, dass sonst Ihnen meine Arbeiten planlos erscheinen könnten. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich Ihnen mittheile, dass meines Erachtens [5] zu keiner Zeit ein Biologe sich so viel neuen physiologischen Thatsachen gegenüber gesehen hat, wie bei der Anwendung der neuen Thatsachen und Ideen der physikalischen Chemie. 1 2

Vgl. Loeb (1898), S. 1–27. Jacques Loeb verweist hier auf seine Versuche zur künstlichen Jungfernzeugung von Seeigeleiern; MgCl2 steht für Magnesiumchloridlösung. Zu den Versuchen, vgl. Loeb (1899/1900).

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Ihrem Kampf gegen die atomistische Auffassung stehe ich äusserst sympathisch gegenüber. Ich habe das Gefühl, dass Ihre Auffassung sich als äusserst fruchtbar erweisen wird. Ich verbleibe in aufrichtiger Verehrung Ihr ergebenster Jacques Loeb. Nr. 2 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, San Francisco (CA), 27. Dezember 1902 [Postkarte] ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Prof. Ostwald; Herr Dr. Young 3 schlägt vor, dass ich die Grüsse einer kleinen Gruppe von Chemikern und Biologen die zu einem Diner 4 hier in San Francisco zusammengetroffen sind, an Sie richten soll. Ich kann nur den Wunsch hinzufügen, dass Sie selbst einmal hierher kommen um das schönste Land der Erde, Californien, aus eigener Anschauung kennen zu lernen. In Verehrung & Hochachtung Jacques Loeb [Unterschriften verschiedener Chemiker und Biologen] Nr. 3 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 14. Januar 1903 [Postkarte] LOC, Loeb Papers, Box 11 Sehr geehrter Herr College! Für die freundlichen Grüße sage ich Ihnen allen meinen besten Dank. Ich bin eben im Begriffe, meine Existenz freier zu gestalten, und habe also Hoffnung, demnächst auch Ihre Einladung ernstlich erwägen zu können. Ihr ganz ergebener W Ostwald 3

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Stewart Woodford Young (1869–1931): US-amerikanischer Chemiker und ehemaliger Schüler Wilhelm Ostwalds in Leipzig; Studium an der Cornell University, das er 1890 mit dem Bachelor of Science abschloss; ab 1894 Assistant und ab 1901 Associate Professor für Chemie an der Stanford University; 1906–1931 Full Professor für physikalische Chemie an der Stanford University; 1899–1901 Gastforscher am Institut für physikalische Chemie der Universität Leipzig, wo er mit Ostwald zusammenarbeitete. Diner: Festessen bestehend aus mehreren Gängen.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 4 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Berkeley (CA), 19. März 1903 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Geheimrath; Wie ich Ihnen früher schon schrieb, hege ich seit langer Zeit den Wunsch, dass wir Sie einmal in America begrüssen mögen. Kurz vor meinem Weggang von Chicago habe ich Sie dort für den honorary doctor’s degree 5 (den im Jahre vorher van’t Hoff erhielt) 6 vorgeschlagen. Ob in meiner Abwesenheit mein Vorschlag durchgeht, weiss ich nicht. Es bietet sich nun hier eine neue Möglichkeit meinen Wunsch verwirklicht zu sehen. [2] Man baut mir hier ein neues physiol. Laboratorium, das hauptsächlich für Forschung bestimmt ist – mein Lehrauftrag hier ist ebenfalls bloss für research – und ich brauche Ihnen kaum zu sagen, dass die Anwendung der neuen Auffassungen + Methoden, welche die physikalische Chemie geschaffen hat auf biologische Probleme, den Arbeitsplan des neuen Instituts bilden wird. Wir gedenken das Institut offiziell zu Beginn des nächsten Semesters zu datieren, etwa im August oder September. Würden Sie bereit sein, der Universität [3] und mir die Ehre zu erweisen, die offizielle Rede bei der Eröffnung zu halten? Dass ich mich für diesen Zweck an einen physikalischen Chemiker und gerade an Sie wende hat seinen Grund darin, dass ich glaube dass besonders Ihre Werke, Arbeiten und Anregungen von grösserer Tragweite für die Physiologie sind und für eine Reihe von Jahren bleiben werden, als die Leistungen irgendeines Fachphysiologen. Ich halte es für richtig für die Physiologie, dass dieses Verhältnis auch äusserlich erkennbar gemacht wird und die Eröffnung eines physiologischen Laboratoriums durch Sie würde diesem [4] Zwecke dienen. Dass Ihr Besuch hier der Forschung an der Pacifischen Küste und an amerikanischen Universitäten im Allgemeinen eine kräftige Anregung gewähren wird, brauche ich Ihnen kaum zu sagen. Andererseits bin ich überzeugt, dass America vieles Interessantes bietet und dass Sie, bei der Liebenswürdigkeit der Americaner das Beste und die Besten im Lande kennen lernen werden. Ich glaube dass die Universität Ihnen für die Reise Tausend Dollars anbieten kann. (Fünfhundert Dollars würden für die Kosten der Reise ausreichen). Da die Einladung offiziell durch den Präsidenten der Universität, Mr. B. 5 6

Englische Bezeichnung für Ehrendoktorwürde (lat. honoris causa). Diese wird von Universitäten bzw. Fakultäten an Personen verliehen, die sich durch besondere wissenschaftliche, gesellschaftliche oder politische Verdienste hervorgetan haben. Jacobus Henricus van’t Hoff (1852–1911): Niederländischer Chemiker und Mitbegründer der physikalischen Chemie; 1901 erster Nobelpreisträger für Chemie für seine Forschungen zum osmotischen Druck; 1874 Promotion in Chemie an der Universität Utrecht; 1878–1896 Professor für Chemie, Mineralogie und Geologie an der Universität Amsterdam; 1896–1911 Ruf an die Preußische Akademie der Wissenschaften und Universität Berlin (als Honorarprofessor); seit 1887 Mitherausgeber der renommierten Zeitschrift für physikalische Chemie; zusammen mit Ostwald und Arrhenius Entwicklung der Ionentheorie von wässrigen Lösungen.

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I. Wheeler 7 – der nebenbei gesagt in [5] Deutschland studiert hat und fast völlig Deutscher ist – erfolgen wird, so bitte ich Sie mir mitzutheilen ob mein Vorschlag Ihnen annehmbar erscheint. Sollte das, wie ich hoffe der Fall sein, so würde ich Präsident Wheeler in Kenntnis setzen, der die weiteren Details mit Ihnen vereinbaren wird. Sie wissen, dass hier an der Küste ewiger Frühling herrscht und dass Sie hier nicht die Hitze finden, welche bei van’t Hoffs Besuch in Chicago herrschte. Es ist wunderbar schön hier und Sie werden hier Eindrücke empfangen, die die alte Welt und der americanische Osten Ihnen nicht bieten kann. Dass [6] man Sie in America mit offenen Armen empfangen wird ist sicher. Zwei Ihrer jüngeren Schüler, Cottrell 8 und Young[,] 9 sind an der Küste. Ich hege auch den Gedanken, dass wenn Sie erst einmal Californien kennen gelernt haben, Sie ihren Sohn, den ich Sie zu grüssen bitte, ermuthigen werden, mein Laboratorium einmal zu besuchen. Ich verbleibe in vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Jacques Loeb. [P.S.] Entschuldigen Sie bitte mein mangelhaftes Deutsch, ich ertappe mich fortwährend auf Irrthümern Nr. 5 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 3. April 1903 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 4375 Hochgeehrter Herr College! Vielen und herzlichen Dank für die grosse Ehre und Auszeichnung, welche Sie mir zugedacht haben. Ich bin bereit, Ihren Vorschlag anzunehmen und die Rede zu halten; auch die Zeit ist mir sehr recht. Nur einen Punkt möchte ich nicht im Zweifel lassen. Ich beherrsche die englische Sprache soweit, dass ich sie ohne Mühe lesen kann, habe aber sehr wenig Uebung im Sprechen. Da ich den lebhaften Wunsch habe, Ihnen eine so gute Rede zu halten, als ich irgend kann, so muss ich sie nothwendig deutsch halten. Wenn dies zugestanden wird, ist alles in Ordnung. 7

8 9

Benjamin Ide Wheeler (1854–1927): US-amerikanischer klassischer Philologe; Studium in Deutschland; 1885 Promotion in klassischer Philologie an der Universität Heidelberg; 1886– 1899 Professor für klassische und vergleichende Philologie an der Cornell University; 1899– 1919 Präsident der University of California (Berkeley), die er zu einer der führenden Universität in den USA ausbaute; 1908/9 als Roosevelt-Professor zu Gast an der Berliner Universität. Frederick Gardner Cottrell (1877–1948): US-amerikanischer Chemiker; Studium in Berlin und Leipzig, u.a. bei Wilhelm Ostwald; 1906–1911 Assistant Professor für Chemie an der University of California (Berkeley). Stewart Woodford Young (s.o.).

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Als Thema habe ich mir etwas wie „Biologie des Naturforschers“ 10 mit praktischen Ausblicken auf die Probleme der Forschung und des Unterrichts gedacht. Doch will ich darüber noch weiter nachdenken, was ich Ihnen bringen könnte. [2] Schliesslich möchte ich nicht unterlassen, meiner Freude über Ihren Gedanken, die physikalische Chemie bei Ihrer Anstalt Pathe stehen zu lassen, Ausdruck zu geben, auch abgesehen von der auf meine Person gerichteten Wendung. Ein derartiger Erfolg der Gedanken, in deren Dienst ich den grössten Theil meiner freien Energie gestellt habe, hat etwas unpersönlich-wohlthuendes, was ich sehr lebhaft empfinde. Ihr ganz ergebener W Ostwald P.S. Meinem Sohn werde ich Ihren freundlichen Gruss erst nach einiger Zeit bestellen können; er ist eben in die Kaserne übergesiedelt, um sein Militärjahr abzudienen. Nr. 6 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 21. April 1903 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Geheimrath, Sie können sich sicher denken, welche Freude Ihr freundlicher Brief hier hervorgerufen hat. Es ist selbstverständlich, dass Sie Ihre Rede auf Deutsch halten sollen, President Wheeler hatte von vornherein mir gegenüber den Wunsch ausgesprochen, dass Sie eine deutsche Rede halten mögen. Was Liebig vor fünfzig Jahren der Physiologie gewesen ist, das sind Sie heute, nur dass das Gedankenmaterial und die Methoden [2] der physikalischen Chemie viel tiefgreifender für die Biologie sind als das für die organische Chemie je der Fall gewesen ist. Dazu kommt Ihr Eintreten für hypothesenfreie Forschung, und gerade für die Biologie bedeutet das eine wesentliche Existenzbedingung. Ich bin überzeugt, dass das was Sie uns hier zu sagen haben als ein Programm für die Biologie lange bestehen wird. Sie wissen ja recht wohl, dass die Physiologen, namentlich die in Amt und Würde befindlichen[,] noch nicht alle begriffen haben dass mit Ihnen, Hoff & Arrhenius 11 eine neue Epoche der Naturforschung begonnen hat.[3] Das Datum der Eröffnung des Laboratoriums haben wir vorläufig, mit Rücksicht auf Ihre Bequemlichkeit auf den 20ten oder 25ten August festgestellt. Später als den 25ten würde President Wheeler es nicht gern haben, wenn das ohne 10 Ostwald veröffentlichte seine Überlegungen später in seinem Buch Grosse Männer (1909). 11 Gemeint ist die Gruppe der „Ionier“ bestehend aus Wilhelm Ostwald, Hugo van’t Hoff und Svante Arrhenius, die durch ihre Ionentheorie in Fachkreisen bekannt wurde. Ostwald führte diesen Namen als Gruppenbezeichnung neu ein, vgl. Szöllösi-Janze (1998), S. 81.

IV. Briefwechsel und Kommentar

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Unbequemlichkeit für Sie möglich ist. Aber wir wollen vor allem, dass Sie Ihre Reise so sorgenfrei wie möglich machen und so viel als möglich geniessen und so bitten wir Sie, sich nicht zu scheuen Ihre Wünsche offen auszusprechen. Als Mediziner, und aus Furcht, dass ich in einem späteren Brief deren vergessen könnte, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, hier im Lande kein Brunnenwasser und keine ungekochte Milch zu [4] trinken. Eine Reihe von Städten, New York, Chicago, Philadelphia und andere sind arge Typhusnester und auf der Skala ist das Wasser und die Milch als verdächtig angesehen. 12 Sie bekommen überall Mineralwasser auf der Reise und in Privatfamilien wird in den verseuchten Städten meist destilliertes Wasser getrunken. Was den allgemeinen Plan Ihrer Reise betrifft, so möchte ich für die Hinreise hierhin durch den Continent die Canadian Pacific R. R. in Vorschlag bringen. 13 Diese Route gewährt den Vortheil dass sie durch kühlere Regionen geht und landschaftlich sehr schön sein soll; die Reise ist allerdings 24 Stunden länger als die auf anderen continentalen Bahnen. Ich verbleibe mit hochachtungsvollem Grusse und in vorzüglicher Verehrung, Ihr ergebenster Jacques Loeb. Nr. 7 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 14. Juni 1903 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Geheimrath, Ich bin von einer kurzen Reise zurückgekehrt und finde eine Notiz von President Wheeler vor, wonach Sie seine Einladung angenommen haben. Sie dürfen sicher sein, dass nie ein Gast hier mehr willkommen war, als Sie es sind. Meine Frau bittet mich Sie und Ihre Frau Gemahlin, falls dieselbe Sie hierhin begleitet, einzuladen bei uns während Ihres Aufenthalts in Berkeley zu wohnen. Sie dürfen sicher sein, dass wir alles thun werden, das dazu beitragen kann dass Sie sich hier [2] heimisch fühlen.

12 Typhus ist eine durch Bakterien (Salmonellen) übertragene Infektionskrankheit, die zu schwerem Fieber und Diarrhö führt und im schlimmsten Fall tödlich endet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in New York zu mehreren Typhusausbrüchen. Die irische Köchin Mary Mallon (später als „Typhoid Mary“ bekannt) war die erste nachgewiesene Überträgerin von Typhus, die keine Symptome zeigte, und zwischen 1900 und 1907 mehrere wohlhabende New Yorker Familien ansteckte. Als bekannt wurde, dass Mallon die Quelle des Ausbruchs war, verurteilte sie das Gesundheitsamt zu mehreren Jahren Zwangsquarantäne. 13 Die kanadische Eisenbahngesellschaft Canadian Pacific Railway baute zwischen 1881 und 1900 ihr Schienennetz zur transkontinentalen Verbindung zwischen Montreal im Osten und Vancouver im Westen aus.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Da Californien landschaftlich so schön ist und da es hier nicht heiss ist so möchte ich mir den Vorschlag erlauben, dass Sie diese Zeit für Ihren Besuch hier nicht zu kurz bemessen. Mr. C. Wheeler, einer der Trustees der Universität bittet Sie, ihn wenigstens für eine Woche auf seinem prachtvollen Landgut in den Sierras (Mount Shasta gegenüber) 14 zu besuchen. Ich würde Ihnen dringend empfehlen die Einladung anzunehmen, landschaftlich und in Bezug auf californische Gastfreundschaft [3] wird der Besuch von Wheeler’s country seat Ihnen vieles schönes bieten. Wenn Sie August und den Anfang von September in Californien verbringen und dann auf Ihrer Rückreise die americanischen Universitäten im Centrum und Osten Americas besuchen so haben Sie den doppelten Vortheil, dass Sie der Hitze entgehen und zugleich die Collegen zu Hause vorfinden. Die meisten Universitäten beginnen ihre Arbeit Ende September. – Ihr früherer Schüler, Dr. S.W. Young von Stanford University ist im Osten. Ich will mich mit ihm in Verbindung setzen und ihn [4] vom Datum ihrer Ankunft in New York in Kenntnis setzen, sobald Sie mir dasselbe (wie ihren Dampfer) mittheilen. Er wird Sie in New York am Dampfer erwarten & wohl die Rückreise hierhin mit Ihnen antreten, falls das Ihnen nicht unerwünscht ist. Auch Dr. Lengfeld 15 hat sich erboten von Chicago bis Berkeley als Ihr Reisebegleiter zu fungieren. Es wird manches für Sie erleichtern, wenn einer der beiden Herren auf der Reise zu Ihrer Verfügung steht. Sie können uns allen, d.h. den „Californiern“ keine grössere Freude bereiten als wenn Sie uns Gelegenheit geben, alles für Sie zu thun, was dazu beitragen kann, Ihre Reise hierhin so angenehm und schön wie möglich zu gestalten. Ich verbleibe in treuer Verehrung Ihr ergebenster J. Loeb. [P.S.] Bitte grüssen Sie Ihren Herrn Sohn bestens von mir.

14 Mount Shasta: Vulkan im Norden Kaliforniens. 15 Felix Lengfeld (geb. 1863): US-amerikanischer Chemiker jüdischer Herkunft; Studium am San Francisco College of Pharmacy, der University of California, der Johns Hopkins University sowie in Zürich, Liége, München und Paris; 1890−1891 Professor für Chemie an der South Dakota School of Mines; 1891−1892 Instructor für Chemie an der University of California; 1892−1901 Assistant Professor für Chemie an der University of Chicago; Autor des Manual of Inorganic Chemical Preparations. In Chicago freundete sich Jacques Loeb mit einer Gruppe von Wissenschaftlern an, die wie er in die USA immigriert waren. Darunter zählten auch jüdische Immigranten der zweiten Generation wie Felix Lengfeld und sein Kollege Julius Stieglitz (Bruder des Fotografen Alfred Stieglitz).

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Nr. 8 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 26. Juni 1903 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr College! Nun habe ich hier alles für die Reise vorbereitet, und fahre am 1. Aug. mit dem Dampfer Bremen des Norddeutschen Lloyd 16 nach New York. Ich habe inzwischen gelesen, dass auch die Canad. Pac. Line einen Schnelldienst eingerichtet hat, so dass ich die kühlere Fahrt ohne wesentlichen Zeitverlust machen kann. Sehr willkommen wäre es mir, wenn mir die ersten Schritte auf amerikanischem Boden durch einen Bekannten erleichtert würden. Ist nicht Dr. Morris Loeb 17 Ihr Bruder, und in New York ansässig? Wenn nicht, ermitteln Sie vielleicht einen anderen Samariter. Ich bin kein sehr geschickter Reisender und habe auch mit der Sprache grosse Mühe. Meine Rede habe ich in den Hauptgedanken festgelegt; die Ausarbeitung gedenke ich unterwegs auf dem Schiff zu machen, in der Hoffnung [2] dass etwas von der frischen Seeluft auch in den Text gelangt. Ihr Bild habe ich soeben in einem (übrigens scheusslichen) Buche von Snyder 18 gefunden, so dass ich Aussicht habe, Sie bei meiner Ankunft in Berkeley zu erkennen. Mit den besten Grüssen Ihr ergebener W Ostwald

16 Der Norddeutsche Llyod war eine 1857 in Bremen gegründete Reederei, die neben der Hamburger HAPAG zum wichtigsten Schifffahrtsunternehmen in Deutschland gehörte. 17 Morris Loeb (1863–1912): US-amerikanischer physikalischer Chemiker und Philanthrop, geboren in Cincinnati (Ohio); ab 1891 Professor für Chemie an der New York University; forschte u.a. zu osmotischem Druck und zur Elektrolyse; seit 1910 verstärkt philanthropisches und öffentliches Engagement. 18 Carl Snyder (1869–1946): US-amerikanischer Journalist, Ökonom und Statistiker. Synder schrieb populärwissenschaftliche Artikel für die Washington Post, Fortnightly Review und McClure’s, u.a. über Jacques Loebs Experimente zur künstlichen Befruchtung; Präsident der American Statistical Association; Mitglied der American Association for the Advancement of Science.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 9 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 10. Juli 1903 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr College! Vor einigen Tagen schrieb ich Ihnen in aller Eile eine Karte, da ich eben nach Empfang Ihres Briefes verreisen musste. Lassen Sie mich meinem Dank an Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin für die gütigst angebotene Gastfreundschaft wiederholen, die ich für meine Person mit Freuden annehme. Meiner Frau wage ich die lange und anstrengende Reise nicht zuzumuthen; auch würde sie sich nicht entschliessen, unsere 5 Kinder so lange ganz ohne elterliche Behandlung zu lassen, wenn auch 4 von ihnen so gut wie erwachsen sind. – Auch die freundliche Einladung von Hrn. Wheeler nehme ich dankend an, wenn es wohl auch nicht eine ganze Woche geben wird. Es wäre mir nämlich erwünscht, gegen den 20. Sept. wieder zu Hause zu sein, da ich auf unserer Naturforscherversammlung eine nicht unwichtige Sache (Biologie auf der Schule) unterstützen möchte. 19 Da ich eben auch mich bereit erklärt habe, 1904 nach St. Louis 20 zu kommen, brauche ich es mit dem Betrachten der Merkwürdigkeiten Amerikas im Osten diesmal nicht so genau zu nehmen. [2] Von Dr. Young habe ich inzwischen gleichfalls Nachricht gehabt, und bin sehr erfreut, die Reise in so angenehmer und hilfreicher Gesellschaft machen zu können; auch habe ich ihm schon geschrieben, dass ich am 1. August von hier mit dem Dampfer „Bremen“ vom Norddeutschen Lloyd abreise. In Erwartung der landschaftlichen Schönheiten Californiens werde ich nicht unterlassen, meinen Malkasten mitzunehmen und ich hoffe so auch noch anschauliche Erinnerungen einzuheimsen. Mit der Bitte, mich und meine Frau Ihrer verehrten Gattin wärmstens zu empfehlen, bin ich mit den besten Grüßen Ihr ganz ergebener W Ostwald

19 Die 75. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel, 20.–26. September 1903. 20 Weltausstellung in St. Louis (Louisiana Purchase Exposition), 30. April–1. Dezember 1904.

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Nr. 10 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 13. Juli 1903 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Hochgeehrter Herr Geheimrath! Ich hoffe dass dieser Brief Sie noch vor der Abreise erreicht. Ich habe an Young geschrieben & ihn mit dem Datum Ihrer Abreise und dem Namen Ihres Dampfers bekannt gemacht. Er wird Sie jedenfalls am Dampfer in New York erwarten und als Ihr Courier auf americanischem Boden fungieren. Wenn er unerwarteter Weise verhindert sein sollte so wird ein anderer Ihrer americanischen Freunde seine Stelle füllen. [2] Morris Loeb ist kein Verwandter von mir und ich kenne ihn nicht persönlich, aber er soll sehr liebenswürdig sein & wenn er nicht in Europa ist so wird er es sich wohl nicht nehmen lassen Sie in New York zu begrüssen. Ich werde ihm sofort schreiben. Meinen letzten Brief werden Sie wohl inzwischen erhalten haben. Wenn nicht, so wiederhole ich meine Einladung, dass Sie während Ihrer Anwesenheit in Berkeley bei mir wohnen mögen. Eine Reihe von Diners sind Ihnen zu Ehren hier geplant, ich hoffe Sie werden einige derselben [3] annehmen. Wir alle wünschen dass Sie Ihren Aufenthalt in America so viel als möglich geniessen mögen & wir bitten Sie nie zu vergessen, dass wir alles thun was zu dessen Ende beitragen kann. Ich verbleibe in treuer Verehrung Ihr ergebenster Jacques Loeb. Nr. 11 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Leipzig, 27. Juli 1903 [Postkarte] LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr College! Eben schreibt mir Hr. Burr, Chairman der Cal. Sect. der Chem. Soc., 21 dass die Section mich zu einem Festessen einladet. Ich habe dankend angenommen und ihn gebeten, sich wegen Tag und Stunde mit Ihnen zu verständigen. Ich bitte Sie, über meine Zeit unmittelbar zu verfügen. Ihr ganz ergebener W Ostwald 21 Gemeint ist die California Section der American Chemical Society (ACS). Die Chemical Society ist eine Fachgesellschaft zur Förderung der chemischen Forschung mit Sitz in Washington D.C., die 1876 von einer Reihe amerikanischer Chemiker in New York gegründet wurde. Ihr erster Präsident war John William Draper (1811–1882).

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 12 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Norddeutscher Lloyd Bremen, Dampfer „Kronprinz Wilhelm“, 9. September 1903 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund! Meine Abreise ist etwas schneller nothwendig geworden, als ich erwartete, da das nächste schnelle Schiff zu spät geht. So sage ich Ihnen von Bord des Dampfers nochmals herzlich Lebewohl und bitte Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin von neuem den Ausdruck meines warmen Dankes für die [2] Gastfreundschaft, die Sie mir in so herzlicher Weise erwiesen haben. Auf Wiedersehen! Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 13 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 6. Oktober 1903 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund! Nachdem ich den Berg von Arbeiten, welcher sich während meiner Abwesenheit hier angehäuft hatte, halbwegs abgetragen habe, darf ich daran denken, auch meinen ausserhalb der Tagesarbeit liegenden Interessen Rechnung zu tragen, und das Meinige für die Pflege der Beziehungen zu thun, welche sich während des unvergesslichen Aufenthalts bei Ihnen und im Kreise der californischen Freund- und Fachgenossen so schnell und herzlich entwickelt haben. Sie erkennen in diesem langen und wohlconstruirten Satze noch die Nachwirkung meiner eben verlassenen Schreiberei für den Druck, es soll aber gleich besser werden. Die Reise nach dem Osten legte ich programmässig und gut zurück, hatte einige gute und interessante Tage in Chicago und Boston, eine schnelle Fahrt nach Hause, und dort die Freude, die Meinigen alle gesund und heiter anzutreffen. Nur meine Frau hatte inzwischen ein nervöses Magenleiden durchzumachen gehabt, von dem sie aber grösstentheils schon genesen war; jetzt ist alles gut. Mein Sohn Wolfgang 22

22 Wolfgang Ostwald (1883–1943): Sohn Wilhelm Ostwalds und Hauptvertreter der Kolloidchemie in Deutschland; Studium der Biologie und Chemie in Leipzig; 1904 Promotion bei Carl Chun; 1904–1906 Research Assistant bei Jacques Loeb am Physiologischen Institut in Berkeley; 1908 Habilitation am Zoologischen Institut in Leipzig; seit 1907 Herausgeber der Kolloid-Zeitschrift. Das anfänglich gute Verhältnis zwischen Wolfgang Ostwald und Jacques Loeb erkaltete sich im Laufe des Krieges, da Ersterer politisch und wissenschaftlich eine diametrale Richtung einschlug.

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hatte eben die nicht ungefährlichen Strapazen des Kaisermanövers 23 hinter sich, ohne Schaden gelitten zu haben, womit mir eine grosse Sorge verschwunden war. Mir persönlich ist die ganze Reise ausgezeichnet gut bekommen; ich habe hernach die Strapazen der Casseler Naturforscherversammlung gut überstanden und die [2] vorgefundenen Arbeiten gut erledigen können. Auch fand ich hier bei meinen jungen Mitarbeitern solche Fortschritte, dass ich mich wiederholt davon überzeugen konnte, dass sie am weitesten kommen, wenn ich sie nach dem „starting“ sich selbst überlasse. Dies bestärkt mich weiter in meiner Absicht, im nächsten Herbst an der Universität meinen Abschied zu nehmen und ein freier Mann zu werden. Ueber die allgemeinen Fragen, die wir so vielfach besprochen haben, habe ich inzwischen nicht weiter arbeiten können, da die Pflichten des Tages mich aufgebraucht haben. Hoffentlich komme ich bald dazu. Einen vor meiner Abreise gehaltenen Vortrag lege ich bei, obwohl er für Sie kein besonderes Interesse haben wird; eher hoffe ich es von dem gleichzeitig abgehenden Buch. Von letzterem wird bald eine englische Ausgabe erscheinen, die W. Ramsay 24 besorgen wird. Vielleicht bearbeiten Sie in ähnlicher Gestalt die Physiologie für Schulen. Ihrer verehrten Gattin bitte ich meine besten Grüsse und Empfehlungen zu sagen. Gleiches bitte ich allen denen zu sagen, die sich mir so freundlich erwiesen haben, wie Mr. und Mrs. Wheeler, Mrs. Hearst, 25 Mr. u. Mrs. Taylor, 26 Osterhout27

23 Im Deutschen Reich war das alljährliche Kaisermanöver die wichtigste militärische Großübung in Gegenwart des Kaisers, bestehend aus Kaiserparaden der Landstreitkräfte (Armeekorps), einer Flottenparade und einem mehrtägigen Armeemanöver. Solche zeremoniellen Manöver zu Ehren des Monarchen waren auch in anderen Ländern üblich. 24 William Ramsay (1852–1916): Schottischer Chemiker; 1904 Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung der Edelgas-Elemente und deren Einordnung ins Periodensystem; Studium der Chemie in Glasgow, Heidelberg und Tübingen, wo er bei Rudolph Fittig promoviert wurde; seit 1872 Assistent in Chemie am Anderson College in Glasgow; 1880–1887 Professor für Chemie am University College Bristol; 1887–1913 Professor für anorganische Chemie am University College London. 25 Phoebe Hearst, geb. Apperson (1842–1919): US-amerikanische Philanthropin und Feministin; Mäzenin der University of California (Berkeley); Mutter des berühmten Zeitungsunternehmers und Verlegers William Randolph Hearst (1863–1951). 26 Alonzo Englebert Taylor (1871–1949): US-amerikanischer Pathologe und Physiologe; Professor für Pathologie und Physiologische Chemie in Berkeley, seit 1910 an der University of Pennsylvania; 1921–1936 Direktor des Food Research Institute an der Stanford University; 1936– 1940 Director of Research bei General Mills, Minneapolis (Minnesota). 27 Winthrop John Van Leuven Osterhout (1871–1964): US-amerikanischer Botaniker; 1901– 1908 Associate Professor für Botanik in Berkeley; ab 1909 Assistant Professor, später Full Professor für Botanik in Harvard; 1919–1964 Herausgeber des Journal of General Physiology (zusammen mit Jacques Loeb).

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(die Box ist hier richtig angekommen) McCallum, 28 Ritter, 29 Christy, 30 Fischer31 etc., etc.; ich kann sie wirklich nicht alle zusammenzählen. Dr. Eisen 32 und Dr. Herzstein 33 nicht zu vergessen, auch Ihre Buben! Auf Wiedersehen! Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 14 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 28. Oktober 1903 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Meine Frau sowohl wie ich selbst wissen kaum wie wir unseren Dank für die freundliche Gesinnung ausdrücken können, die aus Ihren Briefen wie aus denen Ihrer Frau Gemahlin und Ihres Sohnes spricht. Ihren Besuch hier betrachte ich als ein Opfer Ihrerseits, für das ich Ihnen stets zu Dank verpflichtet bleiben muss, und es ist mir wenigstens eine Beruhigung, dass die Reise ohne zu grosse Beschwerden für Sie abgelaufen ist. Wir freuen uns unendlich auf das Kommen Ihres Sohnes und es soll nicht an Mangel an gutem Willen bei uns liegen, wenn er sich [2] hier nicht heimisch fühlt und wenn sein Arbeiten hier nicht unter günstigen Bedingungen erfolgt. Für Ihr Buch, das ich erhalten habe, vielen Dank! Ich lese es (mit dem grössten Vergnügen für alle) meinem Jungen abends vor und es würde Sie freuen, wenn Sie sehen könnten wie Leonard seinen Inhalt förmlich verschlingt. Mir macht die 28 J. B. McCallum: Assistant Professor für Physiologie in Berkeley; zeitweiliger Assistent von Jacques Loeb. 29 William Emmerson Ritter (1856–1944): US-amerikanischer Biologe; Studium und Promotion in Zoologie an der Harvard University; seit 1893 Professor für Biologie in Berkeley; Aufbau eines Labors für Meeresbiologie in San Diego; 1899 Expedition zur Erkundung Alaskas; bekannt für den von ihm geprägten Begriff „organicism“. 30 Samuel Benedict Christy (1853–1914): Professor für Bergbau und Metallurgie in Berkeley; später Dekan des dortigen College of Mines. 31 Martin Henry Fischer (1879–1962): Deutsch-amerikanischer Physiologe; zunächst Assistenzprofessor bei Jacques Loeb in Berkeley, später Professor für Physiologie in Cincinnati; Forschung v.a. im Bereich der Kolloidchemie und deren Verhältnis zur Physiologie, wodurch eine enge Zusammenarbeit mit Wolfgang Ostwald entstand (gemeinsame Publikationen zur physikalischen Chemie der Befruchtung). 32 Gustaf Eisen (1847–1940): Schwedischer Botaniker, Naturforscher und Sammler; Experte auf dem Gebiet der Regenwurmforschung; früher Vertreter des Darwinismus in Skandinavien; Auswanderung in die USA in den 1870er Jahren; Pionier des Wein- und Gartenbaus in Kalifornien; Mitinitiator des Sequoia National Park; zeitweiliger Leiter der botanischen Abteilung der California Academy of Sciences. 33 Morris Herzstein (1869–1928): Biologe, Arzt und Immobilienspekulant aus San Francisco; Mäzen der University of California (Berkeley), der u.a. ein Labor für Jacques Loeb in Monterey Bay finanzierte. Dort hatte Loeb Zugang zu reinem Meerwasser, um seine Versuche zur künstlichen Befruchtung von Seeigeln fortzuführen.

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schöne Elimination alles metaphysischen Unsinns ganz besondere Freude. Wie unnöthig und ausschliesslich europäisch, wenn nicht deutsch, das „Ding an sich“ 34 ist bemerke ich an Leonard, für den mit den Eigenschaften natürlicherweise der Stoff erledigt ist und dem ich mit dem besten Willen die Einwände Ihres Schülers nicht habe begreiflich machen können. [3] Dass Ramsay das Buch übersetzen wird ist ausgezeichnet. Die schöne Rezension in Nature rührt wohl von ihm her. Wie ich höre werden wir ihn im nächsten Sommer hier sehen. Ich habe President Wheeler vorgeschlagen auch an Van’t Hoff und Arrhenius 35 eine Einladung zu schreiben, ich weiss aber nicht ob ich damit Recht gethan habe. Sie werden von nun an selbstverständlich als Californier angesehen und alle freuen sich darauf Sie für einen längeren Aufenthalt hier wiederzusehen. Ich habe seit Ihrer Abreise die „Vorlesungen über die Dynamik und Energetik der Lebenserscheinungen“ 36 von denen ich […] sprach angefangen auf Deutsch niederzuschreiben und habe beinahe die Hälfte erledigt. Das Experimentieren interessiert mich mehr als das Schreiben und so mache ich nur langsame Fortschritte. Ich glaube ich bin den [4] Ursachen der morphologischen Polarität 37 der Thiere auf der Spur, d.h. ich habe eine einfache Methode zu deren Beseitigung gefunden, es handelt sich daher um etwas dynamisches. Das könnte auch eines Tages für die Theorie der Raumempfindungen von Interesse werden. In Bezug auf Ihren Entschluss Ihre Professur auch formell aufzugeben habe ich ein mögliches Bedenken, das Sie wohl vielleicht schon berücksichtigt haben, das ich aber doch aussprechen möchte. Sie haben auf die Entwicklung der Chemie oder richtiger der gesamten Naturwissenschaften einen Einfluss ausgeübt wie vielleicht vor Ihnen keine einzelne Persönlichkeit und Ihr Einfluss ist noch im Wachsen. Auf der anderen Seite ist es wünschenswerth, dass derselbe durch keinen Lebensumstand in seinem Umfang gehemmt werde. Für Viele würden Sie [5] eine gewisse Autorität besitzen wenn Sie (wenn auch nur nominell) der Inhaber der Professur 34 Das „Ding an sich“ ist ein zentrales Konzept in der Erkenntnistheorie Immanuel Kants. Es steht für die Wirklichkeit außerhalb des menschlichen Verstands und seiner sinnlichen Anschauung, dem “Ding für sich“. Nach Kant hat der Mensch nur im Rahmen seiner Verstandeskategorien (etwa Raum- und Zeitkategorien) Zugriff auf die Wirklichkeit. 35 Svante Arrhenius (1859–1927): Schwedischer Chemiker und Nobelpreisträger für Chemie (1903); bekannt für seine Theorie der elektrolytischen Dissoziation; 1884 Promotion in Chemie an der Universität Uppsala; 1886–1890 Forschungsstationen in Riga, Würzburg, Graz, Amsterdam und Leipzig bei Wilhelm Ostwald, finanziert durch ein Reisestipendium der Royal Swedish Academy of Sciences; seit 1895 Professor für Chemie an der Universität Stockholm, später am Nobel-Institut in Stockholm; 1901–1927 Mitglied des Nobel-Komitees, wo er erheblichen Einfluss auf die Verleihung des Nobelpreises in Physik und Chemie hatte. 36 Vgl. Loeb (1906). 37 Mit morphologischer Polarität meinte Loeb, „dass ein aus dem Organismus [Seeanemone, C.L.] geschnittenes Stück an demjenigen Ende, welches im unversehrten Tier dem oralen Pol zugekehrt war, wieder einen oralen Pol bildet, während am entgegengesetzten Schnittende ein aboraler Pol gebildet wird.“ Loeb konnte anhand von Versuchen an Hydroidpolypen nachweisen, dass ihre morphologische Polarität nicht durch Zellpolarität bedingt ist, sondern durch dynamische Vorgänge im Polypstamm. Vgl. Loeb (1904), S. 152–162.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

und der Director des Physik.-Chemischen Instituts bleiben, als wenn Sie sich ins Privatleben zurückziehen. Ob es der Mühe werth ist auf diese Elemente, die vom Titel abhängen, Werth zu legen ist eine andere Frage. Da ich aber so rückhaltlos Ihrem Vorhaben zustimme so hielt ich es doch für Recht dieses Bedenken auszusprechen. Das Leben, das Darwin geführt hat, erschien mir immer als die idealste Form der Existenz, aber was in England natürlich erscheint, mag in Deutschland vielleicht Anstoss erregen. Ich möchte gern später einmal die Physiologie oder Biologie in populärer Weise behandeln, einstweilen weiss ich nicht genug um mich an eine so schwierige Aufgabe zu wagen. [6] Die raining season hat begonnen, d.h. wir hatten 2 Regentage im October gehabt, den Rest des Monats klaren Himmel und viel klarere Luft als im August. Mit dem Malen habe ich noch nicht angefangen, ich benutze aber das Schreiben meines Buches zum Ansammeln von Energie, es ruht mich sehr schön aus. Flechsig 38 würde daraus wohl schliessen dass ich mit der rechten Hemisphäre schreibe.39 Dagegen spricht nur, dass das Buch überall Anklänge an Ihren Besuch und an Ihre Ideen zeigt. – Ihre Rede ist endlich hier fertig gedruckt und ich werde Ihnen eine Reihe von Abdrucken zuschicken. Das deutsche Manuskript ist auch in den Händen des manager. [7] Ich habe es zurückgefordert und werde es Ihnen zusenden. Sie haben wirklich das grossartigste und treffendste Programm für die Biologie aufgestellt, das ich bis jetzt gesehen habe. Jeder angehende Biologe sollte dasselbe lesen. Vielleicht sammeln Sie einmal Ihre Reden und dann sollte Ihre Berkeley „Address“ gewiss nicht fehlen. Wir gedenken Ihrer oft und werden nie Ihren Besuch bei uns vergessen. Ihrer verehrten Frau Gemahlin bitte ich die ergebensten Grüsse von meiner Frau und mir zu überbringen, und auch Ihnen und Ihrem Sohne senden wir die herzlichsten Grüsse. In treuer Verehrung, Ihr ergebenster Jacques Loeb.

38 Paul Flechsig (1847–1929): Deutscher Hirnforscher, Psychiater und Begründer der Neuroanatomie; 1865–1870 Studium der Medizin in Leipzig, wo er 1870 über luetische Meningitis promoviert wurde; 1875 Habilitation am Physiologischen Institut in Leipzig mit einer Arbeit über Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen; 1882–1921 ordentlicher Professor für Psychiatrie an der Universität Leipzig. Bekanntheit erlangte Flechsig durch seine Forschung zur Myelogenese, der embryonalen Rückenmarksbildung. Als Anhänger des psychophysischen Parallelismus Fechners erachtete er Seele und Bewusstsein als Begleiterscheinungen neurobiologischer Vorgänge. 39 Nach dem Hemisphären-Modell von Flechsig ist die linke Gehirnhälfte für rationale, analytische, logische und sprachliche Funktionen zuständig, die rechte Hälfte für die Verarbeitung von kreativen, emotionalen, intuitiven und visuellen Vorgängen.

IV. Briefwechsel und Kommentar

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Nr. 15 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 15. Januar 1904 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich muss diesen Brief mit zwei Entschuldigungen beginnen. Erstens habe ich Ihnen zu Ihrem Jubiläum nur telegraphisch und nicht brieflich gratuliert. Allein ich hörte erst so kurz vor der Feier von derselben dass ein Brief Sie nicht rechtzeitig erreicht haben würde. Dass Niemand mit grösser[er] Theilnahme allem was Sie betrifft folgt als ich dessen dürfen Sie sicher sein. Die zweite Entschuldigung betrifft den Druck Ihrer Abhandlung. Der junge Mann, in dessen Hand das Veröffentlichungswesen der Universität liegt hatte Ihre [2] Rede einfach in seinem Pult liegen lassen bis mir die Geduld riss und ich zu Wheeler ging mit dessen Hilfe die Sache dann beschleunigt wurde. Da die Setzer kaum im Englischen ausreichen um jeder weiteren Bummelei vorzubeugen liess ich die Rede auf Englisch statt auf Deutsch drucken. Selbst unter diesen Umständen war der Prozess sehr langsam. Nun sehe ich jetzt ein, dass ich Sie erst hätte um Rath fragen sollen ehe ich in dieser Sache vorging; allein wenn man ungefähr einen viertel […] Erdkreis von Europa entfernt und unheilbar schreibfaul ist so kommt man leicht dazu eigenmächtig vorzugehen. [3] Sie haben ein Recht mir böse zu sein, allein wenn Sie mir verzeihen wollen, so werde ich Ihnen dafür sehr dankbar sein. Ob unter diesen Umständen die Rede besser hier im Lande auf Deutsch veröffentlicht wird oder drüben überlasse ich Ihrer Bestimmung. Ich glaube Ihre Gedanken werden einen gewissen Kreis von Interessenten erreichen wenn die deutsche Publication drüben erfolgt. Ich will es aber diesmal Ihrer Entscheidung überlassen ob ich Ihnen das deutsche Manuskript gleich oder nach der Drucklegung absenden soll. Der Winter scheint in der That vom aesthetischen Standpunkt die schönere Zeit hier zu sein. Die Luft ist klarer und das leuchtende Grün vieler Bäume ist prachtvoll. Sie müssen Ihren Gedanken, einen Winter hier zu verbringen, wirklich zur Ausführung bringen. [4] Von Ihrem Sohne habe ich mehrfach gehört. Derselbe wird zweifellos bedeutendes in der Biologie leisten und es ist mir eine wirkliche Freude dass ich zu seiner Entwicklung beitragen kann. Er scheint das Gefühl zu haben, dass ich zu hohe Dinge von ihm erwarte und dass er hinter meinen Erwartungen zurückbleiben werde. Das Gefühl sollte er nicht haben. Auch wenn er nichts thut, als die neuen Eindrücke die er hier haben kann in sich aufzunehmen so ist das genug: die Wirkung wird schon nicht ausbleiben. Aber vielleicht könnten Sie ihm sagen dass er mir die grösste Freude bereitet mit solchen Forschern in persönliche Berührung zu kommen, bei denen ich auf eine Art psychischer oder gemüthlicher Resonanz rechnen darf. Mit der Bitte mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen, verbleibe ich mit den herzlichsten Grüssen von uns allen.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb. [P.S.] Ihren Sohn bitte ich herzlichst von mir zu grüssen. Ich habe jüngst in Mitscherlichʼs 40 gesammelten Abhandlungen auch Ihre Rede bei der Enthüllung seines Denkmals gelesen. Eine solche Rede hätte dann doch kein Philologe halten können. Nr. 16 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 2. Februar 1904 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund und College! Herzlichen Dank für den vervollständigsten Glückwunsch; von der Uebereinstimmung unserer Wege und Ziele habe ich mich ja allseitig überzeugen können. – Mit der Ausgabe meiner Rede in englischer Sprache bin ich ganz einverstanden; ich will den deutschen Text dann in den „Annalen“ 41 abdrucken, wo ich ihn gerade gut brauchen kann, und ich bitte daher, mir das deutsche Manuscript umgehend, und zwar „eingeschrieben“ zu schicken. Ein Verlust unterwegs wäre mir recht unbequem, da ich es nicht leicht nach der Uebersetzung mit der ursprünglichen Farbe reconstruieren könnte. Ausserdem soll die Rede in einem Buche abgedruckt werden, in welchem ich meine früheren populären Aufsätze und Vorträge sammele. – Nach Californien habe ich schon ein paarmal etwas wie wirkliche Sehnsucht verspürt. Da ich meine Absichten, wenn auch oft erst nach längerer Zeit, alle auszuführen pflege, so werden Sie mich zweifellos in absehbarer [2] Zeit mit meinem Malkasten wiedersehen, zumal sich jetzt auch meine persönlichen Verhältnisse an der Universität in freiheitlichem Sinne zu ordnen beginnen. In ihrem Briefe vermisse ich Nachrichten über Ihre Familie. Wie befindet sich Ihre Frau Gemahlin, was macht Baby; 42 verkaufen Ihre Jungen schon, wie sie wollten, Zeitungen? Bauen Sie schon ihr neues Haus, welchen Bauplatz haben Sie endgültig gewählt? Wie geht es an der Universität, was macht College Taylor?

40 Eilhard Mitscherlich (1794–1863): Deutscher Chemiker und Mineraloge; bekannt u.a. für die Entdeckung des Isomorphismus (Kristallstrukturen) von Salzen; Studium der Philologie, Geschichte und Orientalistik in Heidelberg und Paris, später der Medizin und Chemie in Göttingen; 1818 Promotion in Göttingen in Orientalistik; Fortführung seiner chemischen und botanischen Studien in Berlin, gefördert vom Chemiker Heinrich Friedrich Link; 1822 Ruf als außerordentlicher Professor für Chemie an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (auf Vermittlung von Jöns Jakob Berzelius); 1825 Ordinarius für Chemie; 1822 Wahl zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften; Autor des zweibändigen Lehrbuch der Chemie. 41 Gemeint sind die Annalen der Naturphilosophie, deren Herausgeber Ostwald war. 42 Gemeint ist Jacques Loebs Tochter Anne Loeb (später Osborne).

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Als ich Campbells 43 Auszeichnung durch die Pariser Akademie las, freute ich mich, dass ich den Mann persönlich kannte. Grüssen Sie alle, insbesondere auch Pres. Wheeler. Von Young erfahre ich soeben das schreckliche Unglück, das über den armen Stillman44 hereingebrochen ist. Da ich selbst zwei erwachsene Töchter besitze, an denen ich meine Freude habe, kann ich einigermassen mit ihm fühlen. Mit den herzlichsten Grüssen von Haus zu Haus Ihr ergebener W Ostwald Nr. 17 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 22. Februar 1904 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Vielen u. herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief. Uns allen geht es ziemlich gut, nur dass meine Frau stark an Kopfschmerzen leidet. Vielleicht wird der Augenarzt das Uebel heilen können. Das Baby ist zu einer energischen kleinen Californierin mit vollen dicken Backen ausgewachsen und unsere Ängstlichkeit in Bezug auf ihr Gedeihen ist beseitigt. Die Jungen haben sich höheren Idealen zugewendet und zum Zeitungsverkauf ist es nicht gekommen. Sie würden sich freuen zu sehen wie Leonard 45 Ihre Schule der Chemie 46 würdigt. Ich könnte Ihnen aber auch Erwachsene nennen welche aus dem Buch Gewinn ziehen. Es war in der That freundlich von Ihnen sich um den Verlag meines Buches zu bemühen. Credner 47 hat mir 2000 Mark angeboten, was ja für meine Verhältnisse eine sehr hohe Summe ist. Ich werde [2] ihm zweifellos den Verlag unter diesen 43 William Wallace Campbell (1862–1938): US-amerikanischer Astronom; Experte für Sternspektroskopie; 1901–1923 Direktor des Lick-Observatoriums an der University of California; 1923–1930 Präsident der University of California; 1903 Auszeichnung mit dem Lalande-Preis der Pariser Akademie der Wissenschaften für seine astronomischen Arbeiten. 44 John Maxson Stillman (1852–1923): US-amerikanischer Chemiker und Wissenschaftshistoriker; ab 1874 Studium der Chemie in Berkeley, Straßburg und Würzburg; 1882–1891 Position als Chemiker an der American Sugar Refining Company; 1891–1917 Professor für Chemie an der Stanford University, geschäftsführender Leiter des dortigen Chemie Department und zeitweiliger Vizepräsident der Universität. Stillmans Tochter Cara kam 1903 beim Brand des Iroquois Theater in Chicago ums Leben, der insgesamt 602 Menschleben forderte. 45 Leonard Loeb (1891–1978): Deutsch-amerikanischer Physiker und Sohn von Jacques Loeb; Autor einiger populärer Bücher und Beiträge zur Physik, u.a. Atomic Structure (1938). 46 Wilhelm Ostwald, Die Schule der Chemie. Erste Einführung in die Chemie für Jedermann. Braunschweig 1903. 47 Hermann Credner (1842–1924): Verleger des Leipziger Verlags Veit & Comp. zwischen 1876 und 1911. Unter seiner Leitung wurde Veit & Comp. zum führenden medizinisch-naturwissenschaftlichen Fachverlag in Deutschland. Bei Veit & Comp. erschienen zahlreiche medizinische Fachzeitschriften und der Pschyrembel, das renommierte medizinische Fachwörterbuch.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Bedingungen überlassen, möchte aber noch keinen Contrakt unterschreiben bis ich das Buch fertig habe und weiss, dass es in Ordnung ist. Das Experimentierfieber hat mich nämlich wieder gepackt und ich mache allerlei Hybride. Viele derselben bringen es in ihrer Entwicklung nicht über die frühen Larvenstadien, aber ich hoffe doch noch ehe ich sterbe ein Thier zu produciren, das in der bisherigen Classification nicht unterzubringen ist. Ein Mittelding zwischen einem Wurm und einem Seeigel würde mir zusagen, aber ich fürchte ich werde mit weniger zufrieden sein müssen. Seestern, Seeigel und Holothurien 48 mischen sich dagegen sehr lustig und ich amüsiere mich damit die Bedingungen dieser Hybridcreaturen genauer festzustellen. Das ist auch eine Art Chemie des Keimplasmas. 49 Eine kurze Notiz über diesen Sport [3] werde ich Ihnen nächstens zuschicken. Das Gelingen & Versagen dieser Versuche scheint hauptsächlich von ein paar Hydroxydionen 50 abzuhängen. In Ihrem Briefe vermisse ich die bestimmte Zusage, dass Sie und Ihre Frau Gemahlin uns diesen Sommer mit Ihrem Besuche beehren. Wir werden uns darauf einrichten und ich hoffe, bis der Sommer kommt Sie sich entschliessen auch Californien in Ihre americanische Reise einzubeziehen. Nach St. Luis werde ich nun doch wohl gehen müssen. Muensterberg 51 hat mich gebeten einen der beiden Hauptvorträge für die Gesamtgruppe Biologie zu übernehmen und ich bilde mir ein, damit für die Einlenkung der Biologie in die richtige Bahn etwas beitragen zu können. Woher ich zu diesem beispiellosen Optimismus gelange weiss ich zwar nicht, meine engeren Fachgenossen insbesondere die sterilsten und antiquiertesten lassen keine Gelegenheit vorübergehen [4] mir ihre völlige Verachtung klar zu machen. Wir freuen uns alle überaus auf das Kommen von Arrhenius, de Vries 52 & Ramsay, nur dürfen Sie nicht fehlen! Ramsay wird der Gast von Rising 53 sein – 48 Holothurien: Zoologischer Fachterminus für Seegurken. 49 Keimplasma: Historische Bezeichnung für die Vererbungssubstanz. 50 Als Hydroxydionen bezeichnet man negativ geladene Ionen, die durch die Reaktion von Basen mit Wasser entstehen. 51 Hugo Münsterberg (1863–1916): Deutsch-amerikanischer Psychologe, Philosoph und Begründer der Arbeits- und Organisationspsychologie; 1882 Studium der Medizin in Genf und Leipzig; 1885 Promotion in Philosophie und 1887 in Medizin an der Universität Heidelberg; 1887 Habilitation in Philosophie an der Universität Freiburg; 1892–1894 Gastprofessur in Harvard unter Vermittlung von William James; seit 1897 Professor für experimentelle Psychologie in Harvard, wo er ein psychologisches Laboratorium nach dem Vorbild des Leipziger Instituts von Wilhelm Wundt aufbaute; 1904 Organisation des Wissenschaftskongresses anlässlich der Weltausstellung in St. Louis; 1910/11 Leitung des Amerika-Instituts in Berlin; im Ersten Weltkrieg vermittelte Münsterberg zwischen USA und Deutschland und trat für den Pazifismus ein. 52 Hugo de Vries (1848–1935): Niederländischer Evolutionsbiologe, Pflanzenphysiologe und Wiederentdecker der Mendelschen Regeln; 1866–1870 Studium der Botanik an der Universität Leiden; 1870 Promotion in Botanik; danach Aufbaustudium in Chemie und Physik bei Wilhelm Hofmeister in Heidelberg und Julius Sachs in Würzburg; 1875 Habilitation in Pflanzenphysiologie in Würzburg; 1878 Berufung zum außerordentlichen, 1881 zum ordentlicher Professor für Pflanzenphysiologie an die Universität Amsterdam; 1885–1891 Direktor des Botanischen Gartens in Amsterdam. 53 Willard B. Rising (1839–1910): US-amerikanischer Chemiker; 1871 Promotion in Chemie an der Universität Heidelberg; 1872 Professor für Chemie an der University of California (Berkeley); 1896–1910 Dekan des dortigen College of Chemistry.

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leider! von meinem Standpunkt aus – aber Arrhenius wird frei sein & ich hoffe wir werden seinen Aufenthalt in Berkeley so einrichten können dass er sich wohl fühlt. Wenn Sie mir mittheilen wollten, was ihm etwa besonders willkommen sein würde so würde ich sehr dankbar sein. Uebrigens zweifle ich nicht daran, dass Rising alles aufbieten wird um Ramsay zu einem enthusiastischen Californier zu machen. Ich habe in der letzten Zeit 54 gelesen und mich ordentlich in ihn verliebt. Schade, dass wir ihn nicht mehr in Berkeley haben können. Mit der Bitte mich den Ihrigen ergebenst zu empfehlen verbleibe ich in treuer Verehrung Ihr Jacques Loeb. [P.S.] Meine Frau lässt herzlichst Grüssen Nr. 18 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 24. März 1904 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber College! Die Nachrichten über Ihre Familie habe ich mit Dank und Interesse gelesen; ich hoffe, Sie lassen sie in Ihren künftigen Briefen nicht wieder aus. – Ihren Zwittern wünsche ich allerbestes Gedeihen; nur werden sie sich wundern, wenn sie wirklich da sind, was sie eigentlich von sich denken sollen. Nach Californien kann ich im Herbst sicher nicht kommen, da ich im Osten so viele Besuche zu machen habe, dass mir für die weite Reise keine Zeit bleibt. Mein nächster Besuch bei Ihnen muss ohnedies auf den Winter gelegt werden, damit ich das Land im grünen Kleide sehe; ich hoffe, ich kann ihn recht bald ermöglichen. Ist es bis April noch grün? Dann kann man an 1905 denken, wo ich zwischen März und Mai Zeit hätte. Hoffentlich werden wir uns in St. Louis sehen und aussprechen können. Ihren Optimismus fasse ich als eine Folge inzwischen erworbener Energievorräte auf und hoffe, dass ich Recht habe. – Arrhenius ist ein persönlich äusserst anspruchsloser, sehr heiterer Mann, der mit allem zufrieden ist. Alkohol darf er gar nicht mehr trinken, einer vor Kurzem überstandenen Nierenerkrankung wegen; fröhliche Gesellschaft liebt er trotzdem sehr. Er ist ziemlich dick und daher kein Freund grosser körperlicher Anstrengungen; soviel wie mir dürfen Sie ihm indessen wohl zumuthen. 54 Johann Lukas Schönlein (1793–1864): Deutscher Mediziner, Internist, Pathologe und Mitbegründer der klinisch-naturwissenschaftlichen Methode in der Medizin; 1811–1816 Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Landshut und Würzburg; 1816 Promotion an der Universität Würzburg in vergleichender Anatomie bei Ignaz Döllinger; 1817 Habilitation in Medizin an der Universität Würzburg und ab 1824 Direktor des Juliusspitals; Flucht ins Ausland aufgrund demokratischer Überzeugungen; ab 1833 Professor für klinische Medizin in Zürich; 1839 Ruf an die Berliner Charité, zugleich Leibarzt von Friedrich Wilhelm IV.

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[2] Mir selbst geht es sicher sehr gut; ich habe eben einen grossen Fisch gefangen, nämlich die lange gesuchte hypothesenfreie Ableitung der chemischen Grundgesetze (Verbindungsgewicht etc.) aus dem Begriff des chemischen Individuums etc. und habe ihn mit englischer Sauce für die Faraday-Lecture 55 der Chemical Society am 19. Apr. in London hergerichtet. Es macht mir ein besonderes Vergnügen, die Sache im Vaterlande des Atomismus, der hierdurch eine seiner festesten Burgen verliert, vorzutragen, und das hat mich auch mit der Bedingung ausgesöhnt, englisch reden zu müssen. 56 Hernach werde ich in Cambridge zum Ehrendoktor gemacht, was mich nicht wenig wundert. Ausserdem habe ich hier in Leipzig (und jetzt in Dresden) eine Collection meiner Bilder ausgestellt, um ein von mir erfundenes neues Malverfahren in Pastell zu illustrieren, was wieder meine Collegen sehr gewundert hat. Mein Ehrgeiz als Maler zu glänzen, ist zur Zeit viel grösser, als mein wissenschaftlicher Ehrgeiz. Doch habe ich vorläufig meine Professur noch behalten, da sie fast vollständig nach meinen Wünschen umgestaltet und auf den Standpunkt einer „research“-Professur gebracht ist. Mit den besten Grüssen von Haus zu Haus Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 19 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 1. Mai 1904 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Sie sind wohl längst von Ihrer Reise nach London zurückgekehrt, und ich werde wohl in der nächsten Nummer von „Nature“ oder „Science“ Ihre Faraday Rede lesen. Ich bin sehr gespannt auf dieselbe und gratuliere einstweilen zum wissenschaftlichen Erfolg und den Ihnen zu Theil gewordenen Ehren. Um nicht wieder meine Familie zu vergessen, fange ich mit dem Bericht über dieselbe an. Alle sind wohl, das Baby gedeiht aufs trefflichste und wir rüsten uns eben auf eine kleine Ferienreise nach Pacific Grove wo [2] wir alle vom 20 Mai bis Mitte Juni sein werden. Dann werden wir zurückkommen um alles für den Empfang von Arrhenius bereit zu haben, den ich in unser Haus eingeladen habe, da er sich vielleicht bei uns behaglicher fühlen wird als im boarding house. Wir überlegen, ob wir Leonard, unseren Ältesten, auf ein Jahr in eine Schule in den Sierras 57 schicken wollen, namentlich um ihm genügendes out of door life zu 55 In Erinnerung an Michael Faraday (1791–1867) wurde seit 1869 der Faraday Lectureship Prize von der britischen Royal Society of Chemistry für besondere Leistungen im Bereich der physikalischen und theoretischen Chemie verliehen. Im Jahr 1904 erhielt Ostwald den Preis. 56 Ostwald verweist hier auf die klassische Mechanik Isaac Newtons (1643–1727). 57 Sierras: Sierra Nevada, Hochgebirge im Westen der USA.

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geben und ihn etwas unabhängiger werden zu lassen, oder ob nicht das Heim besser ist. Was denken Sie? Der Bau unseres Hauses ist begonnen. Ich habe einen anderen Bauplatz [3] gewählt, nämlich in der Gegend auf dem Hügel wo Sie den gelben Boden gegen den blauen Himmel gemalt haben, die prächtige Farbenskizze die Sie mir zur Erinnerung überlassen haben. Die Aussicht von unserem neuen Heim ist wunderbar schön und nächstes Frühjahr von März bis Mai hoffen wir Sie bei uns zu haben um die Schönheit der Landschaft mit uns zu bewundern. Damit komme ich auf Ihre Anfrage in Bezug auf das Aussehen der Hügel im April. April gilt als der schönste Monat in Berkeley, die Hügel sind prachtvoll grün, und der Blumenschmuck erreicht das Maximum. Die Luft ist staubfrei und Sie werden Californien in anderen Farben [4] und schärferen Conturen sehen wie bei Ihrem letzten Besuch. Ende März und April würden sich gerade für malerische Werke ausgezeichnet für Ihren nächsten Besuch eignen. Ihr Sohn hat inzwischen wohl das Examen bestanden und ich bitte Sie, ihm meine besten Glückwünsche zu überreichen. Ich freue mich überaus auf sein Kommen, und auch besonders deshalb, weil, wie es scheint, die äusseren Mittel für die biologische Forschung hier glänzend zu werden versprechen. Ein Freund von Dr. Herzstein, Dr. Tevis, 58 beabsichtigt ein schönes Aquarium mit wissenschaftlichem [5] Laboratorium am Ozean in San Francisco zu erbauen und mit einem so wohlhabenden Freund wie Herzstein dürfen wir sicher sein, dass es uns nie an den Mitteln zur Forschung fehlen wird. Ich denke mir dass es Ihren Sohn freuen wird diese Jahre des wissenschaftlichen Aufbaus & der damit verbundenen Begeisterung mitzuerleben. Eisen habe ich dabei eine Stelle als Curator verschafft, was mir eine grosse Genugthuung ist. Er wird uebermorgen nach Europa abreisen und Sie und Ratzel 59 wahrscheinlich in Leipzig besuchen. Zweck seiner Reise [6] ist alle europäischen Marine-Stationen kennen zu lernen. Auch Herzstein wird Sie wohl diesen Sommer besuchen. Ich hoffe er wird bei Zeiten zurück sein, um Arrhenius & Ramsay das übliche Californische dinner zu geben, ohne das dieselben die Küste nicht verlassen dürfen. – Wir haben heute einen wunderbaren Tag gehabt und ich wünschte mir dass Sie denselben mit uns hätten verbringen können… Ihr Sohn wird sich wohl bald auf seine Reise hierhin rüsten. Wird [7] er mit Arrhenius kommen oder schon früher? Es wäre mir lieb wenn ich den Termin seiner Ankunft etwas vorher wüsste, da ich gerne alles für ihn bereit haben möchte. Darf ich Sie bitten ihn dringend vor amerikanischem Trinkwasser, Milch und unge58 Harry Tevis war Sohn des Bergbau- und Bankenmillionärs Lloyd Tevis (Präsident von Wells Fargo & Company). Tevis plante 1904 ein Aquarium in San Francisco zu Ehren seines Vaters in Höhe von 3–4 Millionen Dollar. Der Plan wurde jedoch nie realisiert. 59 Friedrich Wilhelm Ratzel (1844–1904): Deutscher Zoologe, Geograph und Begründer der Anthropogeographie; 1868 Promotion in Zoologie an der Universität Heidelberg; 1875 Habilitation in Geographie an der Technischen Hochschule München; 1886–1904 Professor für Geographie an der Universität Leipzig; Mitglied des Leipziger Positivistenkreises, eine Gelehrtenrunde, die positivistische Ansätze in den Geistes- und Naturwissenschaften diskutierte.

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kochten Austern zu warnen wegen der Typhusgefahr? (Sie sehen, ich habe mich immer noch nicht gebessert). Mit vielen herzlichen Grüssen von uns allen an Sie und die Ihrigen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb. Nr. 20 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 30. Juli 1904 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald! Sie wissen wie gering meine Reactionsgeschwindigkeit beim Abtragen von Briefpflichten ist und wenn dann noch Leute wie Arrhenius, de Vries und Ihr Sohn als negative Katalysatoren hinzukommen dann kommt die Messlinie völlig zum Stillstehen. Zunächst vielen herzlichen Dank für Ihr liebenswürdiges Geschenk! Der Chronometer 60 bewährt sich trefflich und ich fühle, dass ich nunmehr ein Recht habe mich als Zeitgenosse zu betrachten, was mit der alten Uhr doch nicht immer möglich war. Ich werde [2] aber demnächst ein paar Versuche über rhythmische Contractionen in Angriff nehmen, bei denen die Uhr in der That als Präzisionsinstrument benutzt werden soll. Dass die letzten Wochen ungemein lebhaft und anstrengend für uns gewesen sind, brauche ich Ihnen kaum zu sagen. Wir haben Arrhenius und Ihren Sohn so lieb gewonnen, dass wir bereits bedauern, dass Arrhenius so bald schon wieder zurückkehrt und dass wir uns mit dem Wunsche tragen, alles so einzurichten, dass Ihr Sohn dauernd hier bleibt. Er ist zweifellos der begabteste und originellste jüngere Forscher mit dem ich je in Berührung gekommen [3] bin und er wird zweifellos einer der grossen Forscher werden. Ich werde mich bemühen, ihm die Bedingungen zu seinen Arbeiten so günstig zu gestalten wie es mir möglich ist. Es scheint ihm einstweilen hier zu gefallen und er hat schon bereits eine Anzahl von Freunden erworben. Er steckt tief in der Arbeit und Sie werden wohl bald die ersten Resultate von ihm erhalten. Nach einer Reihe von kleineren Erkrankungen der Kinder ist im Augenblick alles wohl. Unser neues Haus ist fast fertig und im September hoffen wir einzuziehen. Werden wir Sie in St. Louis und dann hier sehen? Der Gedanke, St. Louis zu besuchen, behagt mir gar nicht recht, [4] und ich würde sicher nicht hingehen, wenn ich nicht Sie und einige andere europäische Gelehrte dort zu treffen hoffte. Man hört so wenig von der Ausstellung, dass ich fürchte, dass sie hinter der von Chicago zurücksteht und auch finanziell scheint es schlecht zu gehen. 61 Die Reisekosten werden sie aber doch immerhin den Congressmitgliedern bezahlen. – 60 Chronometer: Eine mechanische Uhr, die sich durch besondere Präzision auszeichnet. 61 Gemeint sind die Weltausstellungen in Chicago (1893) und St. Louis (1904).

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Ich habe mein Buch und einige andere literarische Verpflichtungen zu Ende gebracht und hoffe jetzt wieder ernstlich ans Experimentieren zu gehen. Würden sie so freundlich sein Ihrem Sohn oder mir mithzuteilen ob Sie nach St. Louis gehen und wann sie dort eintreffen werden? Ich verbleibe mit den herzlichsten Grüssen von uns allen Ihr Sie treu verehrender Jacques Loeb. [P.S.] Darf ich Sie bitten Ihrer Frau Gemahlin meine ergebensten Empfehlungen auszusprechen? Nr. 21 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 14. August 1904 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber und verehrter Herr College! Besten Dank für Ihren Brief, dessen Inhalt, namentlich der auf Wolfgang bezügliche, mir grosse Freude gemacht hat. Nach St. Louis werde ich reisen, und ich freue mich sehr, Sie dort zu sehen, doch nach Berkeley werde ich nicht gehen können, da die Zeit dazu nicht ausreicht. Mit der Rede, die ich in St. L. zu halten habe, hapert es aber noch sehr; ich habe bisher dreimal angefangen, und bin immer wieder auf den Sand gerathen. Das ist das Alter! Die Zukunftsaussichten, die Sie meinem Sohne machen, erregen natürlich etwas wechselnde Gefühle bei mir, da ich ihn nicht gern für Deutschland verloren geben möchte; doch das sind Dinge, die man bei so günstiger Gegenwart gern der Zukunft überlässt. Ich habe wegen einer nicht unbedenklichen Erkrankung meiner Frau allerlei häusliche [2] Sorge und keine Ferienruhe gehabt, doch geht es jetzt sichtlich besser, so dass ich ohne Sorge werde reisen können. Meine Kinder sind wohlauf, und von meinem zweiten Sohn habe ich gleichfalls schon die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass er auch „wird“. Natürlich wird er aber auch fortgehen, sowie er was geworden ist. Sonst geht mein Leben ohne erhebliche Ereignisse dahin, ausser dass ich von Zeit zu Zeit den Gedanken erwäge, die Professur aufzugeben und Maler zu werden. Ich fühle mich beim Malen so glücklich. Mit den besten Grüssen von Haus zu Haus Ihr ganz ergebener W Ostwald

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Nr. 22 Jacques Loeb and Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 28. April 1905 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich brauche kaum in besonderen Worten meiner Freude über Ihr Kommen Ausdruck zu geben und da Sie so bald hier sein werden so will ich alle Mittheilungen auf die mündliche Aussprache verschieben. Mein Arm plagt mich immer noch so sehr dass ich in Bezug aufs Schreiben zur äussersten Sparsamkeit gezwungen bin. Diese Zeilen sollen Ihnen eine Einladung von meinem Freunde Professor Christian Herter 62 in New York überbringen, der Sie entweder auf der Hinreise oder auf der Rückreise bei sich zu Gast haben möchte. Herter ist der Sohn eines Malers, 63 der als decorator der sonderlichsten & sonstiger Häuser in New York Millionär wurde und der Bruder des Malers Albert Herter 64 in Paris. C. Herter ist Professor der Pharmacologie in Columbia University und besitzt ein wunderschönes Landhaus auf einer der Inseln an der Küste von Maine. Sein Privatassistent Wakeman 65 ist ein früherer Schüler von Ihnen. Ich dachte, dass Sie auf seiner [2] Insel wunderschöne Motive zum Malen finden werden und dass Sie ausserdem in Herter und seiner Frau treffliche Wirthe und überaus liebenswürdige und interessante Leute kennenlernen werden. Sie halten offenes Haus & Sie werden sich völlig frei dort fühlen. Herter’s Adresse ist 819 Madison Avenue, New York City, N.Y. Er bat mich an Sie zu schreiben. Ich glaube wenn Sie es einrichten können auf der Hinreise dorthin zu gehen so wird das vielleicht für Sie bequemer sein, aber Herter ist es gleich wie Sie es einrichten wollen. Sie wissen wohl dass die Inseln an der Küste von Maine mit zu den grossen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten Americas gehören. Mit herzlichsten Grüssen und auf frohes Wiedersehen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb.

62 Christian Archibald Herter (1865–1910): US-amerikanischer Arzt und Pathologe; bekannt für seine Forschungen zum gastrointestinalen Trakt; Mitbegründer des Journal of Biological Chemistry; Professor für Pathologie und Chemie am University and Bellevue Hospital Medical College in New York; ab 1903 Professor für Pharmakologie an der New York University. 63 Christian Herter (1839–1883): Deutsch-amerikanischer Maler und Innendesigner; Ausbildung in Stuttgart und Paris; Mitinhaber der Firma Herter Brothers. 64 Albert Herter (1871–1950): US-amerikanischer Maler und Illustrator; bekannt durch seine Porträts und großflächigen Wandgemälde, u.a. im Pariser Ostbahnhof; Ausbildung an der Art Students League of New York und der Académie Julian Paris; Dozent am Chicago Institute of Art; Auszeichnung für sein künstlerisches Schaffen mit der Bronzemedaille auf der Pariser Weltausstellung 1900. 65 Alfred J. Wakeman: US-amerikanischer Biochemiker; Fellow am Rockefeller Institute for Medical Research; ehemaliger Schüler Wilhelm Ostwalds.

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Nr. 23 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 13. Mai 1905 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 4375 Lieber Freund! Inzwischen werden Sie wohl die Nachricht bekommen haben, dass es mir nicht möglich ist, in diesem Sommer nach Californien zu kommen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schwer mir die Nothwendigkeit gefallen ist, auf diese Tage, welche Festtage für mich gewesen wären, zu verzichten, aber wenn ich hier nicht meine ganze Zukunft, insbesondere die pekuniäre Sicherheit meiner Familie (Pension u. dergl.) auf das Spiel setzen wollte, blieb mir nichts anderes übrig. Denn ich konnte nicht Urlaub für den Sommer bekommen, und auch wenn ich mein Abschiedsgesuch einreichte, müsste ich die halbjährige Kündigunsfrist bis zum Ende des Sommersemesters (Mitte August) einhalten. So gab es in der That kein Mittel. Dazu kam, dass ich vor Pres. Wheelers Anfrage, im Januar d. J. mich bereit erklärt hatte, eventuell im Herbst nach Harvard zu gehen; aber ich hatte nicht im geringsten erwartet, dass die Wahl auf mich fallen würde, war aber gebunden. Nun wird hier die Sache als eine wichtige Reichsangelegenheit behandelt; ich habe schon mit allerlei Leuten darüber reden müssen und soll demnächst mit dem Kaiser verhandeln. Auch dieser [2] Umstand machte es mir praktisch unmöglich, auf diese Sache zu verzichten, denn wenn ich in Deutschland etwas für die Sache der Schule thun will, so muss es diesen persönlichen Weg gehen. Übrigens brauchen Sie nicht zu fürchten, dass ich bei dieser Gelegenheit „Fürstenknecht“ werde; dazu ist mein baltisches Blut nicht zu brauchen. Ueber meine sonstigen Angelegenheiten hier wird Wolfgang Sie wohl unterrichtet haben, denn wenn er auch sehr wenig herschreibt (so weiß ich z.B. nicht, was Ihnen mit Ihrem Arm passiert ist), so erhält er doch reichliche Nachricht von hier. Die letzte Phase ist, dass das Ministerium sich als besondere Gunst ausgebeten hat, dass ich mein Abschiedsgesuch vorläufig zurückziehe, da es sonst einen schweren Stand im Landtage hätte; darauf habe ich (für ein Jahr) eingewilligt. Mit herzlichen Grüssen, auch an die Ihrigen Ihr ergebener W Ostwald [P.S.] Herrn Herter will ich gewiss aufsuchen, wenn ich demnächst hinüber komme; besten Dank.

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Nr. 24 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 22. Juni 1905 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich habe eine Art Neuritis oder Rheumatismus in meinem rechten Arm, der mir das Schreiben unbequem macht. Es ist nichts Ernstes aber gerade genug um auf meine natürliche Schreibfaulheit superponiert 66 meine Correspondenz fast ganz zu unterdrücken. Sie haben in Ihrer Entscheidung recht gehandelt und wir nehmen Ihnen hier selbstverständlich die Sache nicht übel. Berkeley steht hoch in Ihrer Schuld und Sie dürfen nicht vergessen, dass wir in erster Linie Ihre Freunde sind und nicht in zweiter Linie Ansprüche an Sie erheben. Ich hätte Ihnen längst über Ihren Sohn schreiben sollen. Er ist tüchtig und trefflich, intellektuell und moralisch. Augenscheinlich ist er in der Sturm- & Drangperiode und so treibt er physikalische Chemie bei mir und wird wohl Biologie bei Ihnen treiben. Aber das ist vielleicht ganz gut und bei seinem Fleiss, Ernst und seiner Begabung ist mir um ihn nicht bange, wenn ich auch nicht glaube, dass die physik. Chemie der Colloide wegen meiner Unwissenheit das passendste Arbeitsgebiet in Berkeley ist. Ich lasse ihn ganz seinen eigenen Weg gehen, weil ich überzeugt bin, dass er so sich am besten entwickeln wird. Die Stelle im Reichsgesundheitsamt halte ich nicht für gut, die Leute werden zu früh in dem Dienst schablonenhaft + verlieren die Freude am frischen freien Entdecken, das [2] ja doch immer der schönste wissenschaftliche Sport bleibt. Harvard wird Ihnen gefallen, der Winter von Dezember an wird aber nicht schön dort sein. Sie müssen, wenn Sie in Harvard fertig sind nach Berkeley kommen um sich zu erholen. Ich habe mit Ihrem Sohn die Sache besprochen & er hat Ihnen wohl ausführlich darüber geschrieben. Wir haben hier einen kleinen Bungalow dicht am Ozean gebaut + ich wollte Sie könnten jetzt die Aussicht von meinem Schreibtisch auf die Brandung sehen. Herzstein beabsichtigt ein kleines Laboratorium für uns in der Nähe des Bungalow’s herzustellen und wenn das zu Stande kommt so ist äusserlich alles ideal. Sie werden nächsten Winter natürlich hierhin kommen und den Bungalow und die Aussicht bewundern und zweifellos malen müssen. Jordan 67 sagte mir voriges Jahr dass er Sie gerne für Palo Alto gewinnen möchte. Ich bin nicht so ganz enthusiastisch über das Project. Er ist in Europa & wenn er bei Ihnen die Sache vorbringt so sollten Sie sich nicht auf zu lange Zeit binden und nichts in Europa für den Zweck aufgeben. 66 superponieren: überlagern; überwuchern. 67 David Starr Jordan (1851–1931): US-amerikanischer Zoologe, Botaniker, aktiver Pazifist; 1866–1872 Studium an der Cornell University; 1875 Promotion in Medizin am Indiana Medical College; 1878 PhD an der Butler University; 1878 Professor für Zoologie an der Indiana University Bloomington; 1885–1891 Präsident der Indiana University; 1891–1913 Präsident der Stanford University; 1913–1916 dortiger Universitätskanzler.

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Nun plagt mich der Arm und ich kann nur noch meine herzlichsten Grüsse und die meiner Familie an Sie und die Ihrigen schicken. In treuer Verehrung Ihr ergebenster Jacques Loeb. Nr. 25 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Berkeley (CA), 31. Oktober 1905 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich möchte Ihnen – etwas verspätet – meinen herzlichen Willkommensgruss in America zusenden und meinen herzlichen Dank für die überaus freundliche Besprechung meiner gesammelten Abhandlungen. Ich bin Ihnen dafür um so dankbarer, als meine Collegen hier – besonders die Physiologen im Osten – keine Gelegenheit versäumen, mir zu verstehen zu geben, dass ich weit unter dem Niveau ihrer eigenen Mittelmässigkeit stehe. Sie werden in den Lehrbüchern der Physiologie meinen Namen meist vergebens suchen. Wir haben hier in unserer Familie eine Epidemie von Krankheiten [2] durchgemacht von der sich alle erholt haben, die aber meine Frau ungemein ermüdet haben so dass sie einstweilen jeden gesellschaftlichen Verkehr hat aufgeben müssen. Ich hoffe dass sie sich bei völliger Ruhe, wenn auch langsam, wieder erholt. – Von Ihrem Sohn kann ich Ihnen nur Erfreuliches berichten. Er ist fleissig beim Experimentieren und er ist zweifellos berufen einer der hervorragendsten Biologen der jüngeren Generation zu werden. Ich erwarte Grosses von ihm und glaube nicht dass ich mich darin täusche. Seine Klippe ist einstweilen die Tendenz Hypothesen zu veröffentlichen [3] ohne dieselben erst genügend zu prüfen. Ich glaube aber, dass er, wenn er älter wird, darüber hinaus kommen wird. Ich bin froh, dass er Ihnen seine letzte Abhandlung vor dem Druck zugeschickt hat. Jedenfalls haben wir nicht viele Biologen die den Wunsch des Wissens und die geistige Kraft haben die Fundamente der Naturwissenschaften heben zu helfen und deshalb habe ich so nicht versucht ihn in seinen universellen Bestrebungen zu hemmen, obwohl ich seine letzte Arbeit nicht zu beurtheilen verstehe. Werden Sie Berkeley nicht besuchen ehe Sie nach Europa zurückkehren? Ich hoffe, dass wir in ein paar Monaten die Nachwirkungen unserer Hospitalepisode [4] überwunden haben und wieder unsere Freunde in unserem Hause empfangen können. Jedenfalls sollte Ihre Frau Gemahlin America nicht verlassen ohne Californien gesehen zu haben. Ich habe ein kleines Buch über die Dynamik der Lebenserscheinungen im Druck, das ich hoffe Ihnen demnächst zuschicken zu können. Ich verbleibe mit den herzlichsten Grüssen in treuer Verehrung Ihr Jacques Loeb.

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[P.S.] Darf ich Sie bitten mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Ihren Frl. Töchtern bestens zu empfehlen? Nr. 26 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Everett Street 6, Cambridge (MA), 5. November 1905 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Kollege! Herzlichen Dank für Ihren Brief und Gruss, der mir in Erinnerung brachte, dass ich seit 4 Wochen beabsichtigt hatte, Ihnen zu schreiben, ohne dazu zu kommen. Ich glaube, Sie werden mich freundlich entschuldigen, wenn Sie sich erinnern, dass ich 5 Stunden Kolleg zu lesen habe, und 4 davon englisch. Ueber die ersten Schwierigkeiten der fremden Sprache bin ich hinweg, aber eine ordentliche Strapaze ist es doch gewesen. Dazu eine Unsumme von Geselligkeit, gelegentlichen Vorträgen, Clubs etc.; es ist beinahe wie damals in Berkeley! In der That ist es auch beinahe so, was die Freundlichkeit und das allseitige Entgegenkommen der hiesigen Kollegen an[be]langt. Nach den Dingen, die ich eben vorher in Leipzig erfahren hatte, wirkt dieser Gegensatz besonders angenehm auf mich ein. Da ausserdem die Zahl meiner Hörer statt abzunehmen, wie das normal wäre, langsam zunimmt, so darf ich vermuten, dass der Zweck meines Hierseins erreicht wird; auch das trägt erheblich zu meinem Behagen bei. Mit lebhafter Anteilnahme haben meine Frau und ich die Nachricht von Ihren Familiensorgen begleitet und wir freuen uns, dass das Schlimmste vorüber ist. Ihrer Frau Gemahlin bitten wir unsere herzlichsten Wünsche zu baldiger Besserung zu sagen. – Meiner Frau geht es nach Umständen recht gut; sie kommt im allgemeinen vorwärts, wenn auch leider gelegentlich Rückschläge nicht ausbleiben. So wie sie sich etwas wohler fühlt, tut sie leicht zu viel in Geselligkeit u. dergl. und muss dann wieder dafür büssen. [2] Mir selbst geht es vortrefflich. Von Zeit zu Zeit, wenn ich mich verbraucht fühle, mache ich mich für den ganzen Tag (nach der Vorlesung) unsichtbar, und bringe mich dadurch leicht wieder auf den Normalzustand. Das Wetter ist hier noch immer sehr gut; heute konnten wir den ganzen Tag im freien zubringen und ich habe drei recht gute Bilder gemalt. Meine älteste Tochter malt mit, und unser einziger Kummer ist, dass die Sonne schon bald nach vier Uhr untergeht. Ich bearbeite eben meine Vorlesungen über Naturphilosophie nach dem Stenogramm meiner Vorträge für eine englische Ausgabe, und mache dabei für mich selbst allerlei Fortschritte. Ausserdem habe ich für dies Jahr auf Einladung des Präsidenten Eliot 68 die Ingersoll-Lecture über Unsterblichkeit 69 übernommen. Fürch68 Charles William Eliot (1834–1926): US-amerikanischer Chemiker; 1849–1853 Studium an der Harvard University; 1865 Professor für Chemie am MIT; Präsident und Reformer der Harvard University. 69 Ingersoll Lecture (s.o.).

IV. Briefwechsel und Kommentar

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ten Sie nicht, dass ich mich durch die fromme Umgebung hier zum Renegaten 70 machen lasse; ich habe dem Präsidenten gesagt, dass es ein bedenkliches Unternehmen ist, mir diese Vorlesung zu übertragen; er hat aber sich nicht abschrecken lassen. Was Sie mir über Wolf 71 schreiben, hat mich sehr gefreut. Die Abhandlung über Oberflächenenergie ist in ihrer jetzigen Form nicht druckreif, doch ist der Grundgedanke darin meines Erachtens richtig und auch brauchbar. Nach Berkeley werde ich diesmal wohl nicht kommen können, da zahllose aufgeschobene Angelegenheiten meine unmittelbare Rückkehr im Febr. nötig machen; vom Herbst ab aber hoffe ich ein freier Mann zu sein. Herzliche Grüsse von Haus zu Haus Ihr ganz ergebener W. Ostwald Nr. 27 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 24. November 1905 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich vergas Ihnen in meinem letzten Briefe mitzutheilen, dass ich mir die Freiheit genommen habe, Ihnen mein neues Buch über die Dynamik der Lebenserscheinungen zu widmen. Sie haben der Biologie gegenüber und namentlich der von mir vertretenen Richtung stets eine so wohlwollende Stellung eingenommen und haben mich immer in meinen Arbeiten durch Ihre Schriften so gefördert, dass ich Ihnen auch ein äusseres Zeichen meiner Verehrung und dankbaren Gesinnung geben wollte. Das Buch allerdings könnte viel besser ausgefallen sein & Sie werden viel daran auszusetzen haben. Seit ich Ihnen zuletzt schrieb, hat auch meine Frau sich einer [2] Operation wegen Appendicitis 72 unterziehen müssen und die Aerzte glauben, dass eine drastische Entzündung dieses höchst überflüssigen Organs die Ursache ihres Leidens sei. Ich hoffe nur dass diese Ansicht sich als begründet herausstellen wird. Ich bin froh dass Sie die Vorlesung über Unsterblichkeit halten; die Americaner haben meist nicht den Muth einzugestehen, dass sie nicht an eine Fortdauer der Seele glauben, und Sie werden der Sache der geistigen Freiheit in diesem Lande einen Dienst leisten, wenn Sie mit deutscher Ehrlichkeit und Offenheit (im Gegensatz zur englischen Zweideutigkeit, die hier üblich ist) das Thema behandeln. Es ist soweit hier gekommen, dass ein Universitätsprofessor hier kaum mehr seinen Unglauben offen auszusprechen wagt, und das ist doch ein sehr trauriger Zustand. 70 Renegat (lat. re-negare „wieder verneinen“): Abtrünniger eines Glaubens- oder Wertesystems. 71 Gemeint ist Wolfgang Ostwald (s.o.). 72 Appendizitis: Blinddarmentzündung.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

[3] Mein Schreibkampf quält mich immer [noch] und so bitte ich Sie die unleserliche Schrift und die Kürze des Briefs zu entschuldigen. Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und die Ihrigen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb. [P.S.] Es scheint dass die Verleger in London & New York den Druck & Verlag von Arrheniusʼ Vorlesungen (in Berkeley) abgelehnt haben. Ist das nicht erbärmlich? Die Vorlesungen werden in Deutschland erscheinen. Nr. 28 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Harvard University, Cambridge (MA), 2. Dezember 1905 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr College! Herzlichen Dank für den erneuten Beweis Ihrer freundschaftlichen Gesinnung; ich werde stolz darauf sein, meinen Namen auf solche Weise dauernd mit dem Ihrigen verbunden zu sehen. Dass Ihre häuslichen Sorgen noch andauern, hat uns alle mit lebhafter Teilnahme erfüllt. Hoffentlich hat die Operation, von der ich höre, dass sie hierlands mit grosser Sicherheit ausgeführt wird, den guten Einfluss auf den späteren Gesundheitszustand Ihrer Frau Gemahlin, der allgemein beobachtet worden ist. Unsere Wünsche begleiten in herzlichster und wärmster Weise ihre Genesung. Ich persönlich denke oft dankbar an die Tage zurück, die ich unter ihrer unermüdlichen freundlichen Pflege verbringen durfte, und ich bitte daher, meine Wünsche zur Genesung besonders warm zum Ausdruck zu bringen. Ein Besuch in Californien ist diesmal für mich nicht ausführbar, weil ich nach Cambridge noch [2] Vorlesungen in New York an der Columbia-Universität übernommen habe; 8 Stunden über Philosophie und 6 über Chemie. Inzwischen ist in Deutschland allerlei Unwillkommenes mit meinen dortigen Angelegenheiten geschehen, so dass ich sobald als möglich dort nach dem Rechten werde sehen müssen. Aber es liegen einige Beziehungen vor, welche eine vierte Reise nach America für mich wahrscheinlich machen, so dass ich vielleicht schon nach einem Jahre werde daran denken können. Bitte sagen Sie gelegentlich dem Präsidenten, dass ich nicht vor dem Herbst 1906 ein freier Mann sein werde, dem aber so gut wie sicher. Sonst ist es uns hier recht gut gegangen, nur augenblicklich ist meine Frau durch einen (glücklicherweise nicht starken) Rückfall ihres früheren Leidens zu grosser Vorsicht genötigt, und ich bin von einer Reise nach Washington mit einem hübschen Bronchialkatarrh 73 zurückgekommen. Nach einigen Tagen wird beides 73 Bronchialkatarrh (auch Bronchitis genannt): Eine akute Entzündung der Schleimhäute in den Bronchien.

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vorüber sein. Meine hiesigen philosophischen Vorlesungen haben eine ziemlich starke Reaction bei Münsterberg ausgelöst, während ich bei den Studenten viel Sympathie für die Energetik finde. Beste Grüsse von Haus zu Haus Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 29 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Physikalisch-Chemisches Institut, Linnéstraße 2, Leipzig, 24. Februar 1906 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Kollege! Eben erhielt ich von Ihrer Verlagsbuchhandlung ein Exemplar Ihrer „Dynamik“ und danke Ihnen von Herzen dafür, dass Sie mir dies schöne und wertvolle Werk gewidmet haben. Ich bin stolz darauf, meinen Namen damit in Verbindung gebracht zu sehen und hoffe, dass die Biologen sich mehr und mehr von dem Wert der unmittelbaren und hypothesenfreien Arbeit überzeugen werden, für welche Ihr Werk ein so glänzendes Beispiel liefert. Wir sind seit 10 Tagen zu Hause, nachdem wir eine recht stürmische Heimfahrt gehabt haben und meine Frau, die schon in New York krank geworden war, recht schlimm darnieder gelegen hat. Jetzt ist es wieder viel besser und sie macht täglich Fortschritte. Ich selbst habe auf der Fahrt nicht die Erfrischung gefunden, auf die ich gehofft hatte, und finde bei der massenhaften Arbeit, die mich hier erwartet hat, wenig Erholung; auch ist das Wetter ziemlich trübselig. Sonst hätte ich eigentlich Grund, zufrieden zu sein, [2] denn die Angelegenheit der chemischen Reichsanstalt, 74 die ich vor meiner Abreise angeregt hatte, ist inzwischen sehr gut vorwärts gegangen und wird voraussichtlich ziemlich bald realisiert werden. Auch meine anderen Angelegenheiten stehen befriedigend, und der Gedanke, dass ich im Herbst ganz frei sein werde (auch von der Reichsanstalt würde ich mich gegebenenfalls nicht binden lassen) ist mir eine konstante Erfrischung. Mein Sohn bat mich um ein „testimonial“ für Robertson, 75 welches ich beilege. Ich erhielt den Brief nicht mehr in New York und weiss deshalb nicht, ob es noch rechtzeitig kommt. 74 In Anlehnung an die 1887 gegründete Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR), die zur führenden Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Metrologie (Wissenschaft vom präzisen Messen) wurde, regte Ostwald 1906 die Gründung einer Chemischen Reichsanstalt an. Ähnlich wie die PTR sollte die Chemische Reichsanstalt Grundlagenforschung mit industrienaher, anwendungsorientierter Forschung verbinden. Für seinen Plan konnte Ostwald u.a. Walther Nernst (1864–1941) und Emil Fischer (1852–1919) gewinnen. 75 Thorburn Brailsford Robertson (1884–1930): Australischer Biochemiker und Physiologe; Student und Assistent von Jacques Loeb in Berkeley; ab 1910 Assistant Professor für Biochemie

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Mit den besten Grüssen an Sie, die Ihrigen und alle Freunde bin ich Ihr ergebener W Ostwald Nr. 30 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 7. Juli 1906 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich habe eben an Ihren Sohn geschrieben und will – trotz meinem ermüdeten Arm – wenigstens einen Gruss und ein paar Worte des Dankes an Sie beifügen. Sie sind zweifellos der Urheber der überaus freundlichen Einladung welche Professor Chun 76 zur Naturforschervers. 77 an mich geschickt hat, und ich fürchte, dass bei all der Opposition gegen mich, es Ihnen nicht leicht geworden ist die Einladung durchzusetzen. Ich weiss auch nicht ob Ihre Betheiligung nicht noch weiter geht – jedenfalls seien Sie versichert, dass ich Ihnen tiefen, herzlichen Dank für Ihre freundliche Gesinnung weiss. Ihr Sohn übermittelte mir Ihre freundliche Einladung Sie zu besuchen, aber ich fürchte das wird nicht gut gehen. Ich möchte nicht zu viel vom Semester versäumen – die Universität ist sehr liberal gegen mich & ich darf das nicht missbrauchen – und dann plagt mich stets das Heimweh wenn ich von den Meinigen fort bin. Namentlich auch im Hinblick auf die Erdbeben – die langsam abklingen, aber noch nicht aufgehört haben – möchte ich nicht zu lange fortbleiben, meine Frau und mein zweiter Junge Bobbie 78 wird etwas nervös. Ich habe aus den Zeitungsnachrichten ersehen, dass Sie Ihre Freiheit von der Universität erwirkt haben. Darf ich hoffen, dass das uns einen Besuch im Winter von Ihnen & Ihrer verehrten Frau Gemahlin in Aussicht stellt? Sie wissen, dass wir Sie in Berkeley als zu uns gehörig betrachten. De Vries ist wieder bei uns und das wird Ihnen zeigen, dass wir unseren Freunden anhänglich bleiben. Es ist dieses Jahr wunderbar schön hier, und ich finde Californien mit jedem Jahr bezaubernder. Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und der Bitte mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin gehorsamst zu empfehlen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb. und Pharmakologie am Rockefeller Institute for Medical Research in New York; ab 1920 Professor für Biochemie und Physiologie in Adelaide (Australien), später in Zoologie. 76 Carl Friedrich Chun (1852–1914): Deutscher Zoologe und Tiefseeforscher; seit 1898 Professor für Zoologie an der Universität Leipzig; 1898/99 Leiter der ozeanologischen Valdivia-Expedition; 1906 Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. 77 Die 78. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Stuttgart, 16.–22. September 1906. 78 Die Rede ist von Loebs zweitem Sohn Robert Frederick Loeb (1895–1973).

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Nr. 31 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 8. August 1906 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Meinem früheren Brief, in dem ich Ihnen meine Freude darüber ausrichtete dass ich nach Stuttgart 79 kommen würde, muss ich rasch einen neuen Brief nachschieben, um Ihnen mitzutheilen, dass ich meine Reise habe aufgeben müssen. Meine Frau leidet wieder an den früheren Symptomen, die zur Operation führten, und es scheint dass ich es nicht wagen kann sie auf 6 Wochen allein zurück zu lassen. Ich habe mich so, schweren Herzens – nach Berathung mit Taylor, President Wheeler und anderen – entschlossen, die Reise nach Deutschland aufzugeben. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, wie peinlich es mir [2] ist, auf diese Weise Professor Chun in Verlegenheit zu bringen; ich habe ihm gestern telegraphiert und hoffe dass er das Telegramm erhalten hat und dass es ihm gelingt einen Ersatz zu finden. Es ist ein schlechter Dank, den ich für all die Freundlichkeit abstatte – aber es ist ausgeschlossen, dass ich die Reise nach Deutschland unter den obwaltenden Bedingungen unternehmen kann. Ich verbleibe mit den herzlichsten Grüssen und vielen Dank Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb. P.S. Ich hoffe dass mein Telegramm und mein Brief Herrn Professor Chun erreicht haben. Nr. 32 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 25. August 1906 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 4376 Lieber Kollege! Es tut mir sehr leid, daß wir Sie nicht in Deutschland sehen werden, und umso mehr, als der Anlaß dazu von so beunruhigender Natur ist. Hoffentlich erweisen sich Ihre Sorgen als unnötig, denn ich glaube wirklich, daß Sie die Zukunft viel mehr nach der unerfreulichen Seite antizipieren, als berechtigt und notwendig ist. Indessen, dies sind organische Eigentümlichkeiten, an denen sich auch beim besten Willen nicht viel ändern läßt. Bitte sagen Sie Ihrer verehrten Gattin unsere besten Wünsche und Grüsse; ich hoffe zuversichtlich, daß Ihre Beunruhigungen inzwischen schon

79 Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Stuttgart, 16.–22. September 1906 (s.o.).

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IV. Briefwechsel und Kommentar

wieder einer heiteren Auffassung Platz gemacht haben. Kollege Chun hat Ihren Brief erhalten; nach dem Telegramm habe ich vergessen zu fragen. Ich bin mit den Meinen seit bald 4 Wochen auf der „Energie“ und wir finden das Leben hier, [2] trotzdem es fast nur aus Auspacken, Aufstellen und Umstellen bestanden hat, wundervoll. Das Wetter war sehr gut und jetzt sind wir so weit, daß die Zimmer ungefähr ihr endgültiges Aussehen anzunehmen beginnen. Ich habe eine große Bibliothek und ein Laboratorium, in welchem ich schon ein wenig zu experimentieren begonnen habe. Wolfgang wird Privatassistent bei Chun und fährt nächster Tage nach Rußland, um zu heiraten. 80 Von meinen wissenschaftlichen Arbeiten ist wenig zu sagen, da meine ganze Zeit mit Einrichten und Ordnen ausgefüllt ist. Doch soll der ruhige Winter gründlich ausgenutzt werden; ob am Schreibtisch oder im Laboratorium, weiß ich noch nicht, wahrscheinlich periodisch zwischen beiden wechselnd. Herzliche Grüße von Haus zu Haus Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 33 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Pacific Grove (CA), 10. Juli 1907 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ich werde es als eine grosse Ehre betrachten dem Arrhenius Festausschuss beizutreten und für den Jubelband einen Beitrag zu liefern – vielen Dank, dass Sie mich zur Theilnahme aufgefordert haben! Wie gerne möchte ich Sie einmal wiedersehen. Wenn nicht San-Francisco in Asche 81 und damit unsere Universität gehemmt wäre so würde Ihnen wohl schon eine Einladung unsere Universität wieder zu besuchen zugegangen [2] sein. Ich hoffe dass wir allmählich wieder in ruhiges Fahrwasser gelangen, gegenwärtig herrschen geradezu grauenhafte Zustände. Was für eine Caricatur Münsterberg 82 von den americanischen Zuständen geliefert hat! Unsere sogenannte „prosperity“ hat allen Idealismus im Sande unterdrückt und die Professoren zu Bettlern gemacht. Sie hatten ganz Recht als Sie das von Rockefeller & 80 Im Jahr 1904 wurde Wolfgang Ostwald bei dem Zoologen Carl Chun mit der Arbeit „Experimentelle Untersuchungen über den Saisonpolymorphismus bei Daphnien“ promoviert. Nach seinem Forschungsaufenthalt in den USA bei Jacques Loeb fand er 1906 bei seinem Doktorvater Chun eine Stelle als Volontärassistent. Im selben Jahr heiratete er Pia Müller. Die Familie Ostwald hatte aufgrund ihres baltendeutschen Hintergrunds enge Verbindungen zu Russland. 81 Gemeint ist das große Erdbeben in San Francisco vom 18. April 1906, bei dem geschätzt mehr als 3.000 Menschen ums Leben kamen. Das Beben zerstörte Gasleitungen, Öfen, Kamine und löste dadurch heftige Brände in der gesamten Stadt aus, die 490 Häuserblocks, 80 Kirchen, 30 Schulen und 250.000 Wohnungen in Schutt und Asche legten. Bis heute gilt das Erdbeben von 1906 als eine der heftigsten Naturkatastrophen der USA. 82 Hugo Münsterberg (s.o.).

IV. Briefwechsel und Kommentar

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Carnegie 83 den Universitäten gegebene Geld als eine Art Bestechung bezeichneten. Es handelt sich wohl in der That um ein Aufkaufen der öffentlichen Meinung. [3] Hier ist es, wie immer, wunderschön und sehr einsam. Vielleicht zum Arbeiten gerade recht. Von Arrhenius hörte ich über Ihren Besuch in Stockholm und dass es Ihnen sehr gut geht. Von Wolfgang höre ich gelegentlich und es freut mich dass er zum Experimentiertisch zurückgekehrt ist. In den verwickelten biologischen Erscheinungen ist leider das Aufsuchen der Variablen eine so unerlässliche Arbeit dass wir darüber selten bis an die mathematische Darstellung der Function gelangen; und einem jungen Biologen kann man daher nur wünschen, dass er sich von dieser Sachlage überzeugt. [4] Wolfgang ist so begabt, dass er zweifellos hervorragendes leisten wird. Wir alle vermissen ihn hier. Wie schön wäre es, wenn Sie einmal wieder hier hinkommen könnten! Mit den herzlichsten Grüssen von uns allen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb Nr. 34 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 29. Juli 1907 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 4377 Lieber Herr College! Besten Dank für Ihre freundliche Zusage betr. Arrhenius und die Nachrichten von Ihnen und Berkeley, für die ich Ihnen immer besonders dankbar bin in Erinnerung an die schönen Tage bei Ihnen. Dass jetzt keine Einladung von dort kommt, ist mir willkommen, da ich erstmal wieder sesshaft werden möchte, bevor ich von neuem reise. Dieser Tage ist es gerade ein Jahr, dass ich meine letzte Vorlesung als Professor gehalten habe und Privatmann geworden bin. Ich finde es einfach glorios, so als freier Mann zu leben und bedaure einzig, dass ich nicht früher so gescheit gewesen bin. Mein Leben geht mit Arbeit aller Art, vorwiegend für die internationale Hilfssprache[,] angenehm und tätig dahin; ich habe anscheinend jetzt schon weniger Zeit als früher und von einem rechten Ferien-Bummel-Gefühl habe ich noch nichts verspürt. Das ist eine durch etwa 30-jährige Lehrschinderei erworbene Unart, die ich vielleicht nicht mehr ablegen kann. Das letzte Jahr ist reich an persönlichen Ereignissen aller Art gewesen. Wolfgang und eine meiner Töchter [2] haben geheiratet, mein zweiter Sohn hat sich verlobt. Dazu kamen mancherlei Reisen, nach England, Oesterreich u.s.w. und die Neugestaltung meines äusseren Lebens. 83 Gemeint sind der Großindustrielle Andrew Carnegie und Ölmagnat John D. Rockefeller. Beide Akteure zeichneten sich durch ihr umfangreiches philanthropisches Engagement aus.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Von meiner wissenschaftlichen Arbeit kann ich nichts melden, wenn Sie nicht meine Bücherschreiberei dazu rechnen wollen. Eben habe ich ein neues Buch: Prinzipien der Chemie 84 abgeschlossen, das eine systematische Darstellung der chemischen Grundsätze in ihrer allgemeinsten Fassung, eine Chemie ohne Stoffe, ist. Es war eine sehr schwere Arbeit und wird mir voraussichtlich wenig Dank bringen. Dann habe ich ein neues Buch angefangen, mit dem ich Ihnen ins Fach pfusche: Biologie der Forscher oder ähnlich wird es heissen. 85 Es wird eine Naturgeschichte dieser Spezies mit praktischen Nutzanwendungen, bei denen unsere Schul- und Universitätseinrichtungen scharf kritisiert werden. Im Laboratorium habe ich im Interesse meiner Arbeiten über Maltechnik mikroskopische Analyse zu treiben begonnen, habe es aber nicht sehr weit gebracht. Diese Ader ist vertrocknet. Mit den besten Grüssen, und Empfehlungen an Ihre verehrte Gattin Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 35 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 1. August 1907 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 My dear Professor Ostwald: – I hope you will pardon my dictating a letter to you, but my arm has become too rebellious, and on the other hand I wanted to let you know at once how grateful I am to you for your kind review of my book. I read it blushingly, but on the other hand I feel that it compensates for the process of being “silenced to death” on the part of Verworn 86 and his clique. I was very much pleased that you mention the sentence concerning the conservative tendency of universities in suppressing progressive ideas. I have felt all along that if only I could have kept away from universities, my work would have been more productive of results. In a university one has always to consider that one might hurt the feelings of the respectable community. I am sure that in mentioning this I shall strike a sympathetic chord in you, and that in your present condition you thoroughly appreciate freedom from this kind of inhibition. 84 Wilhelm Ostwald, Prinzipien der Chemie. Eine Einleitung in alle chemischen Lehrbücher. Leipzig 1907. 85 Wilhelm Ostwald, Große Männer. Studien zur Biologie des Genies. Leipzig 1909. 86 Max Verworn (1863–1921): Deutscher Physiologe, Zoologe und Philosoph; 1883 Studium der Zoologie und Medizin in Berlin, u.a. bei Emil DuBois-Reymond und Rudolf Virchow; 1891 Habilitation in Physiologie in Jena; ab 1901 Professor für Physiologie in Göttingen, ab 1910 in Bonn; 1902 Gründung der Zeitschrift für Allgemeine Physiologie. Verworn versuchte die Physiologie mit seiner zellularphysiologischen Ausrichtung zu vereinheitlichen. Mit seiner Theorie des Protoplasmas, derzufolge die lebendige Substanz im Protoplasma aus proteinartigen Makromolekülen bestehe, geriet er mit Loeb in Konflikt.

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I hope you have received my letter in reply to your kind invitation to contribute towards the Festschrift for Arrhenius. I remain, with kind regards from all of us. Yours most sincerely, Jacques Loeb. Nr. 36 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 12. September 1908 LOC, Loeb Papers, Box 11 Postkarte mit Linoleumdruck des Landhauses Energie; Untertitel „Energie“; Unterschriften von Svante Arrhenius und der Familie Ostwald Energie. Herzliche Grüße senden W Ostwald, Helene Ostwald, Svante Arrhenius. [Unterschriften am Rand im Uhrzeigersinn] Walter Ostwald. Dora Ostwald. Wolfgang Ostwald. Pia Ostwald. Grete Ostwald. Otto Ostwald. Nr. 37 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 8. Juni 1909 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr Kollege: Zunächst herzlichen Willkommensgruss auf dieser alten Seite der Erde. Ich freue mich ausserordentlich, Sie wiederzusehen, womöglich mehrmals. Ich gehe Anfang Juli nach Genf, um an der dortigen Universitätsfeier 87 teil zu nehmen, von dort nach Bern zum internationalen Sociologenkongress 88 und bin Ende Juli wieder in Leipzig, bzw. Gross-Bothen für die Leipziger 500-Jahresfeier. 89 Ich nehme an, dass Sie diese mitmachen werden, da Sie wohl eine besondere Einladung dafür erhalten werden; nach den anstrengenden Festtagen werden dann einige Tage behaglichen Landaufenthaltes auf der Energie Ihnen wohltun. Natürlich steht sie Ihnen auch zu jeder anderen Zeit offen. Anfang August feiern wir Arrhenius in Stockholm, was Sie sich eigentlich auch nicht entgehen lassen sollten. 87 Die Feier zum 500-jährigen Jubiläum der Universität Genf fand vom 8. bis 10. Juli 1909 in Genf statt. 88 Das 1893 in Paris gegründete Institut Internationale de Sociologie (ILS) veranstaltete alle drei Jahre einen internationalen Kongress, das zum „Drehkreuz“ der europäischen Soziologenszene wurde. Auf dem internationalen Soziologiekongress in Bern 1909 sprach Ostwald über „Énergétique et solidarité“. Im selben Jahr wurde in Berlin die Deutsche Gesellschaft für Soziologie gegründet. Vgl. Neef (2012), S. 165–168. 89 Die Feier zum 500-jährigen Jubiläum der Universität Leipzig fand vom 28. bis 31. Juli 1909 in Leipzig statt.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Ihrem Brief kann ich nicht entnehmen, ob Sie Ihre Familie bei sich haben, doch vermute ich, dass es der Fall sein wird. Alsdann bitte ich, mich Ihrer verehrten Gattin wärmstens zu empfehlen; die Jungen werden [2] sich meiner wohl kaum mehr erinnern und Baby war damals noch nicht so weit, dass es Erinnerungen sammeln konnte. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit wissen, wo Sie sind; vielleicht führt uns der Zufall so nahe, dass ich Sie aufsuchen kann. Allerdings habe ich ausser den angegebenen Reisen andere nicht in Aussicht. Bezüglich physikalischer Chemie werden Sie mich sehr verarmt finden; dieser Teil meines Gehirns hat aufgehört, produktiv zu sein. Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, was ich jetzt treibe, schicke ich Ihnen unter Kreuzband mein jüngstes Buch. 90 Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 38 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, Weston Lodge, 32 Grove End Road, Northwest (NW), 11. Juni 1909 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald; Ihr freundlicher Brief und Ihr wunderbares Buch haben mich gestern schon erreicht – ich konnte kaum glauben, dass beide in Antwort auf meinen Brief kamen. Ihr Buch lese ich mit wahrer Begeisterung, ich freue mich, wie die Universalität Ihres Wissens und Denkens immer wieder von neuem in fruchtbarer Weise zum Ausdruck kommt. [2] Wir werden uns vielleicht schon in Genf treffen; ich erhielt wirklich unerwarteter Weise vor 2 Monaten eine Einladung hin zu kommen & werde wohl gehen. Mit vielem Dank, auf baldiges Wiedersehen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb.

90 Sendung unter Kreuzband: Postversand von Drucksachen zu ermäßigter Gebühr.

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Nr. 39 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 26. Januar 1910 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 My dear Professor Ostwald: I have learned from Professor Korányi 91 that you were good enough to write a letter to Professor Liebermann 92 endorsing me for a call to Budapesth. The debt of gratitude which I owe to you is already so large that I hardly know how I will ever pay it off, but you may certainly be sure that I appreciate your incessant kindness. You may, in the meantime, have learned that I have asked them in Budapesth not to take any further steps in this matter since I feel that I can only accept such a position, – especially in a country the language of which is unknown to me, – if I am sure that I am welcome. The combination of linguistic helplessness and opposition of the “patriots” and clericals is more than I would consider compatible with my peace of mind in a new position. You may also have heard that I have accepted a position at the Rockefeller Institute for Medical Research in New York. I think this step will find your approval, since, if I remember correctly, you once told me that it was fitting to conclude one’s life in a research position. My position here was nominally a research position; in fact, however, I was expected to do some teaching, and I was considered a kind of burden on the state for not doing more teaching. President Wheeler has no other interests than political gossip, and political self-promotion. He wants to make himself the political boss of the State of California, and the University is only a tool for him to reach that end. It is hardly necessary to explain that under these circumstances the few scientific men here are leaving, and that the so-called University is rapidly turning into a Gymnasium of the poorer type. It is a great pity, since the State needs a University, and the chances for the building of a University are excellent, but to build a University a man is required who is willing to work for this result even [2] at the expense of the unpopularity which the attempt would bring upon him who undertook it, – on account of the crude state of civilization in California. The present administrative system in the American university will generally lead to 91 Alexander (Sándor) Korányi (1866–1944): Ungarisch-jüdischer Mediziner, Pathologe und Physiologe, der den Begriff der Niereninsuffizienz prägte; Studium der Anatomie und Physiologie in Budapest; 1888/89 Assistenz bei Friedrich Leopold Goltz und Ernst F. Hoppe-Seyler an der Universität Straßburg, wo er mit Jacques Loeb zusammenarbeite; 1893 Habilitation in experimenteller Pathologie und Therapie des Nervensystems; 1909 ordentlicher Professor für Innere Medizin und Direktor der III. Medizinischen Klinik an der Péter-Pázmány-Universität Budapest. 92 Léo Liebermann (1852–1926): Österreichisch-ungarischer Mediziner und Hygieniker; 1869– 1874 Studium der Medizin und Chemie an der Universität Wien; 1874 Promotion in Medizin an der Universität Wien; 1875 Assistent für medizinische Chemie an der Universität Innsbruck; 1887 Habilitation in forensischer Medizin in Budapest; 1879 Professor für Physiologie und Pathologie an der Tierärztlichen Hochschule in Budapest; 1902–1926 Professor für öffentliche Hygiene an der Universität Budapest.

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a deterioration of the University and the crowding out of research men, and I think this process is taking place in America. It is most fortunate that there are a few research institutes such as the Carnegie, Rockefeller and Wistar 93 which will take care of the few scientific investigators in America. I hope that when I am in New York it will be possible for me to see more of Europe, and I should like one day to have a chance to discuss quietly with you the various problems in which we have a common interest. With kindest regards to yourself and Mrs. Ostwald, 94 I remain, Yours most sincerely, Jacques Loeb Nr. 40 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, University of California, Department of Physiology, Berkeley (CA), 20. Mai 1910 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 My dear Professor Ostwald: The bearer of this letter, Dr. E. E. Slosson, 95 who has graduated from the department of Chemistry in the University of Chicago, is undertaking the task of writing a series of articles on the German Universities. He has already published a similar series about American Universities. I know him personally and I can assure you that any suggestions you may give to him, will fall on fertile soil. He is very anxious to meet you and I am anxious that he should have the chance, because a conversation with you can do more good for the common cause than anything else I could suggest to him. Hoping that you will pardon me for troubling you, I remain, with kindest regards, Yours very sincerely, Jacques Loeb P.S. We shall leave beautiful Berkeley about June fourth. From then on my address will be, Rockefeller Institute, New York City. (66th Street & Avenue A)

93 Gemeint sind die Carnegie Institution of Washington, das Rockefeller Institute for Medical Research und Wistar Institute of Anatomy and Biology. Die drei um 1900 gegründeten Institute waren private Forschungseinrichtungen, die sich auf biomedizinische Grundlagenforschung spezialisierten. 94 Wilhelm Ostwald heiratete 1880 Helene (Nelly) von Reyher (1854–1946). 95 Edwin Emery Slosson (1865–1929): US-amerikanischer Chemiker, Journalist und Sachbuchautor; 1892 Master of Science an der University of Kansas; 1891–1903 Dozent für Chemie an der University of Wyoming; Studium der organischen Chemie unter Julius Stieglitz an der University of Chicago; 1902 PhD an der University of Chicago; später Autor für den Independent.

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Nr. 41 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 16. März 1911 [Postkarte] LOC, Loeb Papers, Box 11 v[erehrter] K[ollege]: Ich habe versäumt (d.h. vergessen) Sie um den Titel Ihres Hamburger Vortrages zu befragen. Da die Sache jetzt eilt, habe ich den Hamburgern geschrieben, sie möchten folgende Titel setzen: Arrhenius: Das Weltall Loeb: Das Leben Ostwald: Die Wissenschaft Ich hoffe, es ist Ihnen so recht, da Sie unter „Leben“ sagen können, was Sie wollen. Viele Grüsse Ihr ergebener W Ostwald [P.S.] Zuntz 96 lässt grüssen! Nr. 42 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 19. April 1911 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber und verehrter Freund! Von Arrhenius erfahre ich soeben, dass man sich von Hamburg aus nicht genügend klar über die Bedingungen ausgesprochen hat, unter denen wir Sie im Herbst dort zu sehen erwarten. Natürlich werden Ihnen alle Reisekosten ersetzt, Sie sind in Hamburg unser Ehrengast und wir werden uns erlauben, Ihnen ein Vortragshonorar von 500 M. anzubieten. Das ist zwar wenig für amerikanische Verhältnisse, aber ungewöhnlich für deutsche. Ich möchte um keinen Preis darauf verzichten, Sie im Herbst in Hamburg zu sehen; sollten also noch Bedenken bestehen, so bitte ich in jeder Beziehung über mich zu verfügen, da ich alles tun werde, um jede Schwierigkeit zu beseitigen. Viele Grüsse an Sie und die Ihrigen Ihr ganz ergebener W Ostwald

96 Nathan Zuntz (1847–1920): Deutsch-jüdischer Physiologe; 1864–1868 Studium der Medizin in Bonn; 1868 Promotion in Physiologie bei Eduard Pflüger in Bonn; 1871–1881 Privatdozent für Physiologie an der Universität Bonn; ab 1881 ordentlicher Professor für Tierphysiologie an der Königlich Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin; zeitweiliger akademischer Lehrer von Jacques Loeb.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 43 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 1. Mai 1911 [Postkarte] LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund: Sie müssen jedenfalls kommen! Mit der Entschädigung bleibt es wie angegeben. Wenn Sie nicht freiwillig kommen, so hole ich Sie persönlich ab oder schicke meinen Sohn. Auch für den Erfolg Ihres nächsten Buches wird Ihr Vortrag von Bedeutung sein. Und ich habe Ihnen soviel von der Weltorganisation der Chemiker zu erzählen, die ich eben fertig gebracht habe. Also auf Wiedersehen! Ihr ergebener W Ostwald Nr. 44 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, o.A., 17. Mai 1911 [Postkarte] LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Herr Kollege: Besten Dank für Ihre Zusage, die uns allen von grösstem Wert ist. Vor Haeckel-Orthodoxie brauchen Sie sich nicht zu fürchten, die besteht bei uns nicht. Mir persönlich wäre erwünscht, wenn Sie am Schlusse Ihres Vortrages auf die Bedeutung der modernen Biologie insbesondere Ihrer Entdeckungen, für die allgemeine Auffassung des Lebens und Daseins recht energisch hinweisen würden. Viele Grüsse an die Ihrigen; ich freue mich ganz besonders darauf Ihre verehrte Gattin in Hamburg wieder zu sehen. Ihr ergebener W Ostwald Nr. 45 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 5. August 1911 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund und Kollege: Ihr Vortrag wird jedenfalls ausgezeichnet sein, wie er ist, und je mehr Sie Ihren eigenen Direktiven folgen, umso besser wird er sein. Bitte, reservieren Sie das Verlagsrecht für den Monisten-Verlag, damit wir einen stattlichen Band der Hamburger Verhandlungen herausgeben können. Ich werde in meinem Vortrage hauptsächlich darlegen, dass alle Eigenschaft[en], welche man einem hypothetischen Gott zuzuschreiben pflegte (Allwissenheit, Allgegenwart, Hilfsbereitschaft, Kenntnis der Zukunft usw.) der Wissenschaft zukommen, die somit den Platz der Gottheit einzunehmen das Recht hat. Ich sehe den Hamburger Tagen mit grösster Freude entgegen. Wolfgang, der sich bestens empfehlen lässt, wird auch da sein. Er gedenkt im nächsten Jahr zum

IV. Briefwechsel und Kommentar

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Kongress f. angew. Chemie nach Washington zu gehen, möchte aber gern einige Vorträge haben, um auf seine Kosten zu kommen. Viele Grüsse, auch an die Ihrigen Ihr ergebener W Ostwald Nr. 46 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 14. Oktober 1911 LOC, Loeb Papers, Box 11 Lieber Freund Loeb: Kröner 97 war so eilig mit der Ausgabe der Schriften, dass ich die Korrektur Ihres Vortrages gelesen habe; inzwischen ist er schon ausgegeben. Ich hoffe sorgfältig gewesen zu sein. Inzwischen werden Sie wohl auch schon das Honorar erhalten haben; ich hoffe, nach einiger Zeit kommt mehr. Ich denke, Ihre Hamburger Rede soll nur der Anfang Ihrer Mitarbeit im Monistenbunde sein; vergessen Sie nicht, dass Sie mir für unsere Zeitschrift Aufsätze versprochen haben. Alles, was Sie schicken, wird von Herzen willkommen sein und sehr zur Hebung unseres Organs beitragen. Und Sie haben unbeschränkt Gelegenheit, sich vom Herzen zu schreiben, was Sie beschäftigt. Ihre fluchtartige Abreise kann ich Ihnen noch nicht recht verzeihen; die grossartige Hygiene-Ausstellung in Dresden 98 hätte Sie lebhaft interessiert. Herzliche Grüße an die Ihrigen Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 47 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, The Rockefeller Institute for Medical Research, 66th Street and Avenue A, New York City (NY), 6. Februar 1912 LOC, Loeb Papers, Box 11 und ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 My dear Professor Ostwald:– I have just received your letter of January 25th. Needless to say that it will give me great pleasure to send you a short article. I shall write it immediately. Please include me among the number of subscribers of the new periodical.

97 Alfred Kröner Verlag, gegründet 1904 in Stuttgart. 98 Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden, 6. Mai–31. Oktober 1911.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Is there any other periodical which gives information concerning the monistic movement in Germany? I [w]ould like to keep in touch with it. 99 The American journal, THE TRUTH SEEKER, 100 is too provincial and too antiquated in its contents; it does little more than mere scolding, which does not attract cultivated people. Mr. Morton, 101 I find after all is not taken very seriously in New York. He is known as an outspoken advocate of free love and similar cranky ideas, and this impairs somewhat his usefulness. It is a pity that American monism can not get on its feet. With kind regards, Yours most sincerely [Jacques Loeb] Nr. 48 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 14. Februar 1912 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: – I send you a short article for “Das monistische Jahrhundert” with the title “Aphorismen zur Vererbungslehre”. 102 I intend to send you a second part of the paper provided that you do not consider this one too “burschikos”. I am a very slow writer and I do not know whether I shall be able to send you the second part in a week, or later. With kindest regards, Yours very sincerely, [Jacques Loeb]

99 Im Original: „I should like to keep in touch with it.” 100 The Truth Seeker war ein von Thaddeus Burr Wakeman (1834–1913) herausgegebenes Journal für Freidenkertum und Sozialreform in den USA. 101 James Ferdinand Morton Jr. (1870–1941): US-amerikanischer Publizist, politischer Aktivist, Anarchist und Sozialreformer; Einsatz für Anarchismus, Freidenkertum, Feminismus, soziale Gerechtigkeit (single tax), freie Liebe und gegen Rassismus. 102 Jacques Loeb, Aphorismen zur Vererbungslehre, in: Das Monistische Jahrhundert 1 (1912), S. 6–12. In diesem Aufsatz korrigierte Loeb einige populäre Vorstellungen über die menschliche Vererbung und stellte Überlegungen zur künstlichen Parthenogenese, In-Vitro-Fertilisation und Vererbung von Alkoholismus beim Menschen an. So widersprach er der Vorstellung, dass ein menschliches Embryo, das durch künstliche Befruchtung im Reagenzglas entstand, körperlich, mental und moralisch einem gewöhnlichen Embryo unterlegen sei.

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Nr. 49 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, The Rockefeller Institute for Medical Research, 66th Street and Avenue A, New York City (NY), 15. Februar 1912 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Dr. Ostwald; Es wäre vielleicht wünschenswerth in meinen „Aphorismen“ den faulen Witz über „die halbvergessene Menschenklasse, die Logiker“ zu streichen. Der Satz findet sich am Ende des vierten Abschnittes. Da die Zeitschrift Freunde gewinnen will, so sollte alles vermieden werden, das andere vor den Kopf stösst, auch wenn es bloss im Scherz geschieht. Wie denken Sie darüber? Ich überlasse es Ihrem Ermessen, ob Sie den Satz über die Logiker streichen wollen; Es wäre wahrscheinlich am besten wenn das geschähe. Mit herzlichsten Grüssen Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb [P.S.] Das Manuskript ging gestern ab; möglicherweise dürfte dieser Brief Sie vor dem M.S. [Manuskript] erreichen. Nr. 50 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 2. Mai 1912 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: – I have just received the second Heft of “Das Monistische Jahrhundert”. Since I did not get the first number, which probably was lost on the “Titanic” 103 may I trouble you with the request that it be sent to me. I am just recovering from an operation for appendicitis and have lot of leisure. The operation, as you know is reduced to a kind of surgical formality, but it was absolutely necessary in my case. In about a week or so I hope to be able to get back to my work. With kindest regards, I remain, Yours very sincerely [Jacques Loeb]

103 Die RMS Titanic war seinerzeit das größte Passagierschiff der Welt, das auf seiner Jungfernfahrt am 14. April 1912 mit einem Eisberg bei Neufundland kollidierte und in der Folge versank. Bei dem Unglück kamen 1.514 der mehr als 2.200 Passagiere ums Leben.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 51 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 8. Oktober 1912 c/o President Lovett, The Rice Institute, Houston, Texas LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: – I have sent you a letter to Grossbothen asking you to be our guest during your stay in New York. Since I am afraid that that letter was a little too late. I write the second letter to Houston 104 renewing my invitation. I hardly need to tell you that there are a number of things I want to talk over with you. Please let me know when we may expect you. I remain with kindest regards from all of us, Yours very sincerely, [Jacques Loeb] Nr. 52 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 5. April 1913 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Lieber Freund Loeb, Ich sehe eben Ihren letzten Band „The mechanistic conception of life“ durch und möchte sehr gerne, dass das Buch auch in deutscher Sprache herausgegeben wird. Ich frage deshalb an, ob Sie schon wegen einer deutschen Ausgabe verhandelt haben, und wenn nicht, ob Sie nicht der eben gegründeten Verlagsgesellschaft „Unesma“, 105 die für den Deutschen Monistenbund gegründet worden ist und welcher ich gesellschaftlich nahe stehe, die deutsche Übersetzung anvertrauen wollen. Sind Sie grundsätzlich einverstanden, so wird sich das Geschäftliche leicht ordnen lassen. Hier gehen die Angelegenheiten des Deutschen Monistenbundes [2] mit einer erfreulichen Energie vorwärts. Eben haben wir unsere Zeitschrift in eine Wochenschrift verwandelt und dürfen auf baldige und grosse Erfolge rechnen. Mir persönlich geht es auch recht gut, nachdem ich über ein halbes Jahr in ziemlicher Depression und fast vollständiger Unfruchtbarkeit zugebracht habe. Der eben eingetretene Frühling scheint auch bei mir ein neues Saftsteigen zu bewirken,

104 Edgar Odell Lovett (1871–1957): US-amerikanischer Mathematiker; 1900–1908 Professor für Mathematik in Princeton; 1912–1946 Präsident des Rice Institute in Houston, Texas. 105 Wilhelm Ostwald gründete 1913 den Unesma-Verlag in Leipzig, in dem monistische Schriften, die Zeitschrift des Monistenbundes sowie seine Monistischen Sonntagspredigten verlegt wurden. Das Adjektiv „unesma“ geht auf die Kunstsprache Ido zurück und bedeutet „erste/r“.

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und ich kann bereits eine Menge Arbeit ohne Anstrengung erledigen, an die ich mich noch vor vier Wochen überhaupt nicht getraut hätte. Von Ihnen hoffe ich das Gleiche und würde Ihnen über eine Nachricht über Ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand aufrichtig dankbar sein. Mit den herzlichsten Grüssen Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 53 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 16. April 1913 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: – I was very glad to have heard from you after such a long interval, and I was doubly pleased to learn that you are feeling well. I cannot quite understand how you can keep on working as hard as you did in your younger days. I am a subscriber to the “Monistische Jahrhundert” and hence I am quite informed of your activities. As far as the collection of essays, “The Mechanistic Conception of Life,” is concerned I wish to say that it is a piece of campaign literature. We are living here in a world of intellectual reaction, and I am sorry to say that part of this reaction can be traced back to the influence of the German Emperor and to the exchange professorships. I may only need to mention the following facts: Harvard introduced, as exchange professor, Eucken, 106 and he has been hailed with delight by the orthodox circles; on the other hand, Butler has “presented to the public” Monsieur Bergson, 107 who as you may know is being pushed by French Jesuits, since he furnishes the arguments for the restoration of orthodox belief which the Jesuits themselves are not able to furnish. 108 Our own exchange professor, Minot from Harvard, 109 106 Rudolf Eucken (1846–1926): Professor für Philosophie in Jena und zentraler Vertreter der Lebensphilosophie und des Neuidealismus in Deutschland; 1908 Nobelpreis für Literatur. Eucken setzte sich in seiner Schrift Geistige Strömungen der Gegenwart (1909) kritisch mit dem Monismus des Jenaer Zoologen Ernst Haeckel auseinander. Aufgrund ihrer konträren philosophischen Ausrichtung wurden Eucken und Haeckel in der zeitgenössischen Öffentlichkeit als Kontrahenten wahrgenommen. 107 Henri Bergson (1859–1941): Französischer Philosoph und Hauptvertreter der Lebensphilosophie in Frankreich; seit 1900 Professor für Griechische Philosophie am Collège de France in Paris; 1927 Nobelpreis für Literatur. Zentraler Begriff seiner Lebensphilosophie war élan vital (Lebenskraft), mit dem er den schöpferischen Willen des Lebendigen zur Entwicklung und Formbildung beschrieb. 108 Loeb spielt hier auf Bergsons lebensphilosophisches Werk L’évolution créatrice (1907) und seinen berühmten Brief an den französischen Jesuiten Joseph de Tonquédec (1868–1962) vom 20. Februar 1912 an, in dem er die Idee eines Schöpfergottes gegenüber monistisch-pantheistischen Lehren verteidigte. 109 Charles Sedgwick Minot (1852–1914): US-amerikanischer Anatom, Histologe und Embryologe; ab 1892 ordentlicher Professor für Histologie und Embryologie an der Harvard Medical

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eulogizes Eucken in a series of lectures which he gave at Jena, and brings in a slap at the mediaeval fanaticism of certain monists. I do not think it was difficult for the people in Jena to guess which monist was meant. 110 Regarding the translation of the “Mechanistic Conception of Life”, it is very kind of you that you think it is worthy of such a task, and I hardly need to tell you that nothing could give me more satisfaction than to have it appear in the “Unesma” Verlag. There are, however, two difficulties which I hope can be removed. In February, a young man, Dr. Uhlenhuth, 111 who works in Przibram’s Biologische Versuchsanstalt in Vienna, 112 asked permission to translate the book. I granted it to him, [2] but I told him that before translating the book he would have to get the permission of my former publishers, Barth, Springer and Kröner, 113 since each of these had published in pamphlet form one of the essays contained in the book, and hence possessed the German copyright. Dr. Uhlenhuth then asked me to give him a letter to these three publishers, requesting them to abandon their copyrights, which I did not care to do in that case, since I do not know Uhlenhuth. I have not heard from him since, and I suppose that the thing has fallen through. I hardly need to tell you that if a German translation is feasible, under the circumstances, I rather have the book appear as a monist publication, since it really belongs there. Possibly Dr. Uhlenhuth will be willing to let “Unesma” publish the book if he hears that the book can appear as monist publication. 114 If you think it is worth while, I will leave it to you to put the matter before Dr. Uhlenhuth, and see what can be done. It may be that a letter from him is on the way and as soon as I receive it I shall let you know at once. I remain with kindest regards, Yours very sincerely, [Jacques Loeb]

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School; in Deutschland war Minot u.a. Schüler des angesehenen Leipziger Physiologen Carl Ludwig; 1912/13 Austauschprofessor in Berlin im Rahmen des deutsch-amerikanischen Professorenaustauschs. Die Stelle verweist auf den Jenaer Zoologen und Darwinisten Ernst Haeckel (s.o.), der in seinen Büchern den Monismus popularisierte und 1906 den Deutschen Monistenbund gründete. Eduard Uhlenhuth (1885–1961): Österreichischer Anatom und Forscher am Wiener Prater Vivarium. Gemeint ist das Prater Vivarium, eine private biologische Versuchsanstalt in Wien, die 1903 von Hans Leo Przibram (1874–1944) gegründet wurde. Gemeint sind die Verlage Barth, Kröner und Springer. Folgender Satz wurde an dieser Stelle durchgestrichen: “I should gladly write to Dr. Uhlenhuth and put the matter before him, and I think if he has not already dropped the idea, he may do so if he hears of a chance that the book can appear as monist publication.”

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Nr. 54 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Großbothen, 14. Mai 1913 LOC, Loeb Papers, Box 11 Brief mit Prospekt zur Reihe „Förderer der Menschheit in Selbstdarstellungen“ Lieber Freund Löb, ich bitte Sie zunächst den umstehenden Prospekt durchzulesen und sich danach alsbald zu entschliessen, einen Beitrag zu dieser Sammlung zu liefern, indem Sie etwa auf fünfzig Druckseiten Ihre Lebensschicksale, namentlich die mit Ihrem ersten Aufstieg verknüpfen, schildern. 115 Es handelt sich nicht um eine Darstellung für Fachgenossen, sondern um eine Anregung für weite Kreise, sodass Sie auch nicht unterlassen dürfen, die späteren wichtigsten Entdeckungen, die Sie gemacht haben, wenigstens kurz ihrem Inhalt und ihrer Wirkung nach zu erwähnen. Gleichzeitig bemerke ich, dass als Honorar für den Druckbogen der ersten Auflage von 300 Exemplaren M 100.- angesetzt worden ist. Ich hoffe sicher von Ihnen nicht nur eine bejahende Antwort, sondern nach kurzer Zeit das fertige Manuskript zu erhalten. Mit vielen herzlichen Grüssen Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 55 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, The Rockefeller Institute for Medical Research, 66th Street and Avenue A, New York City (NY), 3. September 1913 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald: Hoffentlich haben Sie mich trotz meines langen Schweigens noch nicht zu den Toten geworfen. Ich war stark in einem Arbeitsfieber begriffen und hatte auch eine Anwandlung von Schreibfaulheit die chronisch wurde. Es war sehr freundlich von Ihnen bei der Abfassung der Autobiographie an mich zu denken, aber ich fürchte dass meine Persönlichkeit zu wenige Leute interessiert. Eine Autobiographie wird aussondern, auch sehr radical ausfallen und ich habe das Gefühl, dass ich ohnehin anrüchig genug bin. Man erzählt mir dass als jemand meinen Namen in Verbindung mit dem Kaiser Wilhelm Institut erwähnte, eine Autorität sofort erklärte: „Der hat ja in Hamburg die Religion angegriffen“. 116 115 Gemeint ist die von Ostwald geplante Schriftenreihe „Förderer der Menschheit in Selbstdarstellungen“, die beim Unesma-Verlag erscheinen sollte. Es handelte sich um eine Sammlung kurzer Autobiographien von Personen, die sich in Bildung und Wissenschaft verdient gemacht haben. Die Reihe wurde nicht realisiert, weil Ostwald keinen seiner Kollegen zur Teilnahme überzeugen konnte. Allein Ernst Mach reichte einen Text ein, der post mortem ediert wurde. 116 Gemeint ist der Internationale Monistenkongress in Hamburg, 8.–11. September 1911.

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Das mag Klatsch sein, entspricht aber der Stimmung. Ich will aber die Idee einer Autobiographie im Sinne behalten und dieselbe wenn ich lange genug lebe auch eines Tages ausführen. Jedenfalls bin ich Ihnen für die freundliche Gesinnung und persönliche Achtung zu unendlichem Dank verpflichtet. Hier leben wir in einer Orgie der schlimmsten Reaction, die hauptsächlich von den Universitätsverwaltungen ausgeht. Ich beabsichtige mich mit einigen tüchtigen Leuten zusammenzuthun, um eine Art Freidenkergesellschaft zu gründen. Ich fürchte der Monismus ist zu sehr Angelegenheit der besitzenden Klassen. Wir müssen die Sozialdemokraten gewinnen, d.h. der Sozialdemokratie offiziell beitreten. Die aristocratische Klasse kann keine Ideale durchsetzen, wie das Beispiel der Carnegieschen Friedenbestrebungen zeigt. 117 – Vielleicht komme ich bald einmal wieder nach Deutschland oder Sie nach America. Das Schreiben fällt mir immer schwerer. Mit herzlichen Grüssen, Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb Nr. 56 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, The Rockefeller Institute for Medical Research, 66th Street and Avenue A, New York City (NY), 2. Oktober 1913 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald: Ich kann es mir nicht verzeihen, dass ich Ihren 60. Geburtstag übersehen konnte. Nachträglich noch meine herzlichsten Glückwünsche. Der Gedanke an eine freidenkerische Bewegung in America interessiert mich in meinen Mussestunden immer mehr & ich hoffe doch noch Gelegenheit zur Instandsetzung 118 zu finden. und 119 sind leicht zu finden, ich möchte aber gerne ernst gesinnte und ernst zu nehmende Leute gewinnen. Vielleicht geht es noch diesen Winter. Ich strecke Fühler aus und es wird allmählich etwas zu Stande kommen. Wenn die ersten Keime gut gewählt sind wird die Aussaat eine gute Ernte geben.

117 Gemeint ist der schottisch-amerikanische Großindustrielle und Philanthrop Andrew Carnegie (1835–1919), der ein leidenschaftlicher Gegner des Krieges war und sich in der Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg engagierte, etwa durch die Gründung der Non-Profit-Organisation Carnegie Endowment for International Peace (1910). Carnegie gehöre zu den reichsten Männern seiner Zeit und erlangte durch sein philanthropisches Engagement Berühmtheit. 118 Im Original: „Inden-Standsetzung“. 119 Cranks (engl.): Abwertender Ausdruck für Menschen, die einen abweichenden Glauben oder eine Überzeugung vertreten, die die meisten Zeitgenossen ablehnen; Cows (engl.): Vermutlich pejorativer Ausdruck für ungebildete Menschen.

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Mit den herzlichsten Grüssen von den Meinigen an Sie und Ihre Familie Ihr Ihnen treu ergebener Jacques Loeb Nr. 57 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 14. Oktober 1913(a) LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Lieber Freund Loeb Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Glückwunsch, den ich in einigen Jahren meinerseits erwidern zu können hoffe. Ihre Idee, die Führung einer amerikanischen Freidenkerbewegung zu übernehmen, ist ausgezeichnet. Ich möchte Ihnen aber nicht nur im diesseitigen Interesse nahelegen, Ihre Vereinigung so nahe als möglich dem Deutschen Monistenbunde anzuschliessen, damit wir hernach einen internationalen Monistenbund über die ganze Welt entwickeln. Wir haben ja seit Hamburg im Deutschen Monistenbunde eine internationale Abteilung unter Leitung von Herrn C. Riess, 120 und ich veranlasse diesen gleichzeitig, Ihnen einiges Werbematerial in solchem Sinne, namentlich die englische Ausgabe eines Vortrages von mir über den „Monismus als Kulturziel“ zu schicken. Unsere bisherigen amerikanischen Korrespondenten haben diese Arbeit als zu gelehrt und philosophisch beanstandet, sie wird also gerade den Charakter haben, [2] der Ihnen erwünscht erscheint, nur auf ernste und an kräftiges Denken gewöhnte Leute Eindruck zu machen. Was nun die Selbstbiographie betrifft, so lasse ich Sie ebensowenig los, wie der Teufel eine arme Seele, und erkläre Ihnen, dass Sie keine Ruhe haben werden, bis Sie das Büchlein für uns geschrieben haben. Ich meine, die Notwendigkeit, Ihre eigenen Erlebnisse zusammenzufassen und in Ihrer gegenseitigen funktionellen Beziehung zu betrachten, wird Ihnen ein Stück innerer Ruhe und Klarheit verschaffen, wie keine andere Tätigkeit und wird Ihnen helfen, diese vertrakte Zeitperiode, in der wir uns eben befinden, erfolgreich zu überwinden. Also, da Sie ja doch Herr Ihrer Zeit sind, setzen Sie sich gleich hin und fangen an, die Sache zu diktieren. Mit den herzlichen Grüssen, Ihr ganz ergebener W Ostwald

120 Carl Riess (1875–1929): Kaufmann aus Hamburg und zeitweiliger Vorsitzender der Hamburger Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes.

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Nr. 58 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 14. Oktober 1913(b) LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Lieber Freund Loeb Mir fällt nachträglich ein, dass Sie die Frage des Anschlusses des von Ihnen beabsichtigten Bundes an die Sozialdemokratie erörtert haben. Bei uns liegt die Sache so, dass wir gegenwärtig einen führenden Sozialdemokraten, den Reichstagsabgeordneten Peus, 121 im Vorstand des Deutschen Monistenbundes haben und dass sich eine Art von Kooperation zwischen uns und den Sozialdemokraten, zunächst in ganz unverbindlichen Formen angebahnt hat des Inhaltes, dass wir ihnen die theoretischen Überlegungen für den neuen Inhalt liefern, den sie nach der Abnutzung des Marxismus für ihre Organisation sehr notwendig brauchen. Ich glaube also, dass auch nach dieser Richtung Ihren Wünschen und Absichten durch den Anschluss an den Deutschen Monistenbund am ehesten Genüge getan wird. Soviel ich übrigens weiss, ist die sozialdemokratische Partei in Amerika nur verhältnismässig gering entwickelt. Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 59 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 17. Dezember 1913 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: – My assistant, Dr. Beutner, 122 has sent a very interesting article on “Weitere Untersuchungen ueber das elektrodenähnliche Verhalten wasserunmischbarer Substanzen“ 123 to Dr. Drucker, 124 for the Zeitschrift für Physikalische Chemie. Since Dr. 121 Heinrich Pëus (1862–1937): Sozialdemokrat, Monist und Förderer der internationalen Hilfssprache Ido; 1928–1930 Reichstagsabgeordneter. 122 Reinhard Beutner (1885–1964): Physiologe und Chemiker; Schüler von Jacques Loeb, der Zeit seines Lebens zum bioelektrischen Potential der Nerven forschte. Nach einer Station am Rockefeller Institute for Medical Research verbrachte Beutner den Großteil seiner Karriere am Pennsylvania College of Pharmacy. 123 Reinhard Beutner, Weitere Untersuchungen über das elektrodenähnliche Verhalten wasserunmischbarer organischer Substanzen, in: Zeitschrift für Physikalische Chemie 87 (1914), 1, S. 385–408. 124 Carl Drucker (1876–1959): Deutscher Physikochemiker; Studium der Chemie in Leipzig, Gießen und Göttingen; 1900 Promotion in Chemie an der Universität Leipzig; nach Zwischenstation in Breslau wissenschaftlicher Mitarbeiter in Leipzig bei Wilhelm Ostwald; 1905 Habilitation in Chemie an der Universität Leipzig; 1911–1933 ordentlicher Professor für physikalische

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Beutner is a young man and perhaps not known to Dr. Drucker, I beg leave to assure you that the work of Dr. Beutner is of the highest grade possible and that I consider his contribution of very great importance for the biology and also for the explanation of potential difference at the boundary of two phases. Hoping that all is well with you, I remain with kindest regards, Yours very sincerely, [Jacques Loeb] Nr. 60 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 10. Oktober 1914 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Dr. Ostwald: ‒ I naturally thought very often of you during this war and the fact that I have not written to you was due to the general impression here that letters to Germany will not reach their destination. I have not received a single reply thus far to the letters I have sent to Germany. I hardly need to tell you that I am relieved that the war thus far has been essentially outside of the boundaries of Germany, and if it is to continue, which seems almost certain, I hope that Germany will be spared the horror in its own territory. You know that the sympathies of the Americans are to a large extent with the French, especially the Belgians. The more cultivated people here feel that first of all it was barbarous on the part of Austria to declare war on the whole people of Servia, who are surely not all murderers. There is a strong feeling here that the case of Servia called for the Hague Tribunal, but not for war. 125 The second reason that has hurt the cause of Germany is the violation of the neutrality of Belgium. I have heard people say that there are cases in which it is more moral to perish than [to] preserve yourself; but I give you only what you hear expressed. The devastation of Belgium is a nightmare. There are very few people here who are willing to agree that the resistance of the Belgians to the demand for passage of the German army was unreasonable. The third cause which animates the Americans against the Germans lies perhaps in the former speeches of the Emperor William when he glorified the army on every suitable and unsuitable occasion. While the Americans sympathize with the German scientists and the German people, they do not sympathize with the military caste in Germany, and they have a strong desire that militarism disappear at the end of this war. The general feeling also here is that in the long run Germany cannot win. Chemie an der Universität Leipzig; 1913–1922 neben Ostwald geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Physikalische Chemie, Stöchiometrie und Verwandtschaftslehre. 125 Gemeint ist der Ständige Schiedshof (Permanent Court of Arbitration) in Den Haag, gegründet 1899 auf der Haager Friedenskonferenz zur friedlichen Beilegung internationaler Konflikte.

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[2] In the last point they are surely mistaken, because I am just as convinced that Germany is going to win, though the victory may perhaps not be as striking as in the war of 1870. As far as the results are concerned, of course, nobody can predict, but I vividly recollect the article you wrote about Russia some time ago, before the war. You pointed out that each war led to a strengthening of the reactionary elements, and I am pessimistic enough to expect it of this war too. The Russian government has given great promises of future freedom which nobody expects to see kept. – England seems to be the only country in which people dare to protest against war. I do not know whether you have time or are in the mood for writing any letters, but if you could let me know in a few words how you and your family are I should be greatly obliged to you. I am afraid that your sons have gone to the front, but I hope they are well. I remain with kindest regards, Yours most sincerely [Jacques Loeb] Nr. 61 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 6. November 1914 LOC, Loeb Papers, Box 11; ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Lieber Freud Loeb Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 10. Oktober, den ich am 5. November erhielt, also etwa nach der doppelten normalen Zeit. Andere Briefe aus Amerika sind mir bedeutend schneller zugegangen. Dass der Nachrichtenverkehr zwischen Amerika und Deutschland so langsam und unregelmässig ist, kommt natürlich von der Herrschaft über alle Meere, welche sich England immer noch anmasst und deren Beseitigung eine der Hauptaufgaben des gegenwärtigen Krieges sein wird. Ich danke Ihnen sehr für Ihre ausführlichen Nachrichten bezüglich der amerikanischen Gefühle. Da die Bildung der öffentlichen Meinung dort während des grössten Teiles der Zeit hauptsächlich [durch] die nicht nur einseitigen sondern auch oft vollkommen erlogenen Nachrichten des Reuter-Büros stattgefunden [2] hat, so kann es mich nicht wundernehmen, dass sie so schief und ungerecht geworden ist. Ich will Ihre Punkte im einzelnen erörtern, nicht, weil ich glaube, dass ich Sie persönlich überzeugen muss, sondern damit Sie unsern amerikanischen Freunden den deutschen Standpunkt klar legen. 1. Bei der Kriegserklärung Österreichs an Serbien war das Territorium garantiert, und es wäre späterhin immer noch Zeit genug gewesen, einzugreifen, falls die ursprünglichen Versprechungen nicht gehalten worden wären. Vor allen Dingen lag aber darin für Russland zu einer Kriegserklärung gegen Österreich kein genügender Anlass vor, da Österreich keinerlei russische Rechte angetastet hatte.

IV. Briefwechsel und Kommentar

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2. Belgien. Gegenwärtig liegen durch die Eroberungen Brüssels und die Durchsicht der dortigen Archive vollkommen eindeutige Beweise dafür vor, dass zwischen Belgien, Frankreich und England eingehende Vorverhandlungen wegen gemeinsamer kriegerischer Operationen stattgefunden haben. Französische Artillerieoffiziere kannten ganz genau die belgischen Festungen, während sie den Deutschen gegenüber [3] sorgfältig geheimgehalten wurden. In den nordfranzösischen Festungen sind Pakete gefunden worden, welche auf dem Umschlag die Anweisung trugen „Nur im Mobilmachungsfalle zu öffnen“ und welche belgische und holländische Karten enthielten. Der Bruch der Neutralität ist also nicht durch uns, sondern längst vorher durch Belgien mit den beiden andern Ländern zusammen vollzogen worden, und wir haben uns verhalten wie der Kaufmann, der einen falschen Wechsel nicht akzeptiert, sondern seinerseits Schritte tut, um den Fälscher unschädlich zu machen. Luxemburg, welches ganz in demselben Fall gewesen ist wie Belgien, hat sich nicht widersetzt, weil es sich eben wirklich neutral verhalten hatte. Und die Einwohner dort haben sich über nichts zu beklagen. Genau so wäre es in Belgien trotz des vorangegangenen Neutralitätsbruches gewesen, wenn die Belgier nicht eben im Vertrauen auf englische und französische Hilfe sich mit den Waffen widersetzt hätten, und zwar nicht nur das Militär, sondern auch die Bevölkerung. Dass der Franktireurkrieg 126 ebenso niederträchtig wie nutzlos ist, hatten zwar die Ereignisse von 1870/71 schon bewiesen, aber die Unfähigkeit, aus der Geschichte [4] etwas zu lernen, ist eine besondere Eigentümlichkeit der französischen und verwandten Nationen. Der Jammer über die zerstörten Kunstwerke ist zum allergrössten Teil Heuchelei. Wieviel Menschen gibt es überhaupt in der Welt, welche die Kathedrale von Reims gesehen haben, und auf wieviele von ihnen hat sie irgendeinen tieferen Eindruck gemacht? Ausserdem haben die Deutschen Reims vorher eine ganze Woche in Besitz gehabt, ohne auch nur einen Stein anzurühren, erst die französische Benutzung der Kathedrale zu Kriegszwecken hat über sie die Folgen der Kriegstätigkeit herbeigeführt. Der Wunsch, dass mit dem Ende dieses Krieges die ganze Militärtätigkeit verschwinden möge, wird von mir auch geteilt, aber ich halte ihn nicht für realisierbar, so lange noch der barbarische Staat Russland besteht. Ich persönlich sehe im deutschen Militärwesen einen Typus der Organisation, also einer höheren Kulturstufe, der, solange das Militär nicht für den Krieg verwendet wird, von ausgeprägtem Nutzen für die Nation ist. Um Ihnen meine Ansicht hierüber und manche naheliegende[n] Punkte klarer zu machen, schicke ich Ihnen gleichzeitig einige Sonntagspredigten, 127[5] die ich in diesen Kriegstagen geschrieben habe. 126 Franktireurkrieg: Als „Franc-tireurs“ (franz. Freischützen; Einzelkämpfer) wurden im DeutschFranzösischen Krieg 1870/71 die französischen Freikorps genannt, die sich außerhalb der Armee organisierten und in den Krieg zogen. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg bürgerte sich dieser Begriff auch für französische und belgische Partisanen ein (siehe Einleitung). 127 Gemeint sind Wilhelm Ostwalds Monistische Sonntagspredigten, die von 1911 bis 1915 im Leipziger Unesma-Verlag erschienen. In seinen Sonntagspredigten erörterte Ostwald religiöse, philosophische, kulturelle und tagespolitische Themen aus monistischer Perspektive. Der Länge und dem Aufbau nach orientierten sich die Texte am christlichen Genre der Predigt; sie dienten der Popularisierung, Vereinheitlichung und Verinnerlichung monistischer Ideen.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Ich habe in letzter Zeit Gelegenheit gehabt, mit führenden Persönlichkeiten im Auswärtigen Amt zu verkehren. Und was ich dort gesehen und erfahren habe, lässt mich hoffen, dass die reaktionäre Welle nach dem Kriege diesmal bei uns nicht so schlimm sein wird. Vor allen Dingen hat die neue Stellung der Regierung gegenüber der Sozialdemokratie, welche als vollkommen gleichberechtigte bürgerliche Partei anerkannt worden ist, eines der schwersten Hindernisse gesunder politischer Entwicklung in Deutschland beseitigt. 128 Und es wird an uns, den fortschrittlich Denkenden[,] liegen, dass dieser Gewinn auch nach dem Kriege erhalten bleibt. Wie Sie sehen, bin ich also im grossen und ganzen optimistisch gestimmt, obwohl mir auch die persönlichen Sorgen nicht fern sind. Von meinen drei Söhnen ist der älteste und jüngste im Kriege, doch beide glücklicherweise nicht unmittelbar [a]n der Front. [6] Insbesondere von Wolfgang habe ich häufig Nachrichten. Er schreibt im grossen und ganzen zufrieden, da er sich mit Erfolg bemüht, auch die Künste des Friedens im Felde nicht schlafen zu lassen. So hat er sich beispielsweise aktiv an der Herausgabe einer Zeitung beteiligt, die von seinen Kameraden, unter denen sich eine Anzahl Buchdrucker befanden[,] mit dem Material einer verlassenen Buchdruckerei in Nordfrankreich ins Leben gerufen [worden] ist. Wissenschaftlich kann er sich allerdings ganz und gar nicht beschäftigen. Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und die Ihrigen Ihr ganz ergebener W Ostwald Nr. 62 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 8. Januar 1915 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: It was very good of you to take the time to write me so full a letter. I have shown your letter to several of my friends here who were deeply interested in its contents. Here we all have only one feeling, that the war might come to an end; since we have abandoned hope that any good for the cause of freedom and humanity can come from its continuation. We only hope that our friends may be spared direct suffering. I am sending you a copy of an article I have written and published in the NEW REVIEW on “Freedom of Will and War”. 129 In times of peace I think you might 128 Ostwald verweist hier auf den politischen „Burgfrieden“ aller Parteien nach dem Kriegsausbruch 1914. Die Reichsregierung einigte sich mit allen Parteien, insbesondere der Sozialdemokratie, darauf, während des Krieges innenpolitische Kämpfe auszusetzen und nationale Geschlossenheit zu demonstrieren. Bei seiner Balkonrede am 31. Juli 1914 anlässlich der russischen Generalmobilmachung sprach Wilhelm II. die viel zitierten Worte: „Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder.“ 129 Vgl. Loeb (1914).

IV. Briefwechsel und Kommentar

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have liked it, but I am afraid it will not please you now. However, it may interest you to see what kind of sentiments the war has aroused among the pacifists 130 in the countries which are not engaged in the war. I feel that racial fanatism, which has been introduced by mediaeval historians and literateurs, when they saw that the national sentiments were giving way before internationalism, is a worse curse to humanity than war itself, and I am afraid it will in the long run involve America in war too. It is all so unnecessary since modern biological work has shown the absurdity of all those ideas concerning race which seem to dominate the literary and political world today. But, if the little article should reach you, it will show you in a few words more clearly what I mean than a long discussion would do. With best wishes and kind regards, Yours most sincerely, [Jacques Loeb] Nr. 63 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 4. Februar 1915 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: I take the pleasure in recommending to you Mr. Walter E. Weyl, 131 one of our best known political economists and socialists, a personal friend of mine, who is going to Germany to study economic and social conditions there during the war. He is the author of a very well-known book “The New Democracy” and one of the editors of our best weekly, “The New Republic.” You may have absolute confidence in Mr. Weyl. I remain with kindest regards and best wishes, Yours very cordially, [Jacques Loeb]

130 Im Original: „passivists“. 131 Walter Edward Weyl (1873–1919): Ökonom, Publizist und Vertreter des Progressive Movement in den USA, das für Sozialreform zugunsten eines starken Staates eintrat; 1914–1916 Mitherausgeber des einflussreichen Magazins The New Republic; im Ersten Weltkrieg bereiste Weyl u.a. Deutschland und schrieb über die Folgen des Krieges für die amerikanische Gesellschaft und Kultur.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

Nr. 64 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), o.A. (ca. 1915) ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Mein lieber Herr Professor Ostwald: Ich hatte bei meinem letzten Briefe geglaubt dass der Krieg bald zu Ende sein würde und dass wir unsere gemeinsamen monistischen Bestrebungen wieder aufnehmen könnten. Leider ist die Situation schlimmer als je, so schlimm, dass ich es aufgegeben habe die Zeitungen zu lesen. Logik, Gerechtigkeitsgefühl, Klarheit, alles hat aufgehört und wir haben eine tolle Hetze zum Morden. Das letzte Jahr war wohl das Traurigste meines Lebens und ich vermuthe dass es für die Deutschen in Amerika noch schwerer ist als für Sie. Ich sehe aus den Sonntagspredigten dass es Ihnen gut geht, d.h. dass Sie wie immer thätig sind und ich hoffe dass Ihre Söhne gesund geblieben sind. Wenn Sie mir eine Karte schicken wollten sowie meine Hoffnung bestätigt wird so wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich kann nicht viel schreiben, da ich zu deprimiert bin. Mit den herzlichsten Grüssen Ihr ergebener Jacques Loeb Nr. 65 Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, Landhaus Energie, Großbothen, 3. Juli 1915 ABBAW, NL Ostwald, Nr. 1828 Lieber Freund Loeb! Herzlichen Dank für das Lebenszeichen, dass ich vor kurzem von Ihrer Hand empfing. Auch ich beklage mit Ihnen auf das Tiefste den Kriegswahnsinn, der über das alte Europa ausgebrochen ist, halte mich aber durch den Gedanken aufrecht, dass es sich um Geburtswehen einer neuen Zeit handelt, in welcher dem Deutschen Organisationsgedanken eine entscheidende Rolle zugewiesen sein wird. Mir persönlich geht es nicht besonders gut, ich habe im Winter üble Rheumatismen und Gallenleiden überstehen müssen, habe mich dann durch den Gebrauch von Karlsbad 132 wieder etwas auf die Beine gebracht, merke aber überall meine bald 62 Jahre und die etwas allzu rücksichtslose Abnutzung meines psychologischen Apparates in der früheren Zeit.

132 Karlsbad in Böhmen gehörte zu den bekanntesten Kurorten des 19. Jahrhunderts und war insbesondere für das Bürgertum in Europa ein wichtiger Erholungsort.

IV. Briefwechsel und Kommentar

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So bleibt mir nichts anderes übrig als die Hoffnung, [2] dass wir nach Jahr und Tag endlich wieder Frieden haben werden und dass dann eine ungeheure Arbeitslust auf dem Gebiete der kulturellen Tätigkeit über alle besseren Köpfe der Kulturwelt kommen wird. Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und Ihre verehrte Gattin, Ihr ganz ergebener W Ostwald [Notiz am Rand: Umschreiben!] Nr. 66 Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, New York City (NY), 31. Juli 1915 LOC, Loeb Papers, Box 11 My dear Professor Ostwald: I received your letter today and needless to say I was very happy to hear from you again. I believe the intellectual isolation which the war has brought to us in America is worse than that in Europe since we do not hear much even from the neural countries. I write to you now mainly to give you an idea of the situation in this country just now, since I do not know whether in a few weeks hence letters will reach you from here. The country is now growing rich on the profits from furnishing war supplies to the Allies. With this fact, a complete change in the attitude of the American people has taken place. They no longer talk of peace; they no longer discuss means of preventing war. Our capitalistic papers, like the NEW YORK TIMES, work directly towards a continuation of the present situation and it is almost cynically admitted, though not openly, that, if it is necessary for the maintenance of our profits from war supplies, this country should go to war. Of course, the open statements are of a different character; it is said that “our dignity is at stake”, and so on, the same response that accompanied the outbreak of the war in Europe. The worst feature of it all is that with the manufacturing of war material as the dominant industry, this country is getting under the influence of a rampant militarism, not because anybody believes in it specially, but because the armament mongers and the political adventurers, like Roosevelt, 133 also preach militarism. Instead of being able to look forward towards an improved situation after the war, I am afraid we shall have to face, at least in America, a retrogression towards militarism and towards a war spirit which we should never have thought possible, all on account of the profits which the war industries bring to large groups of the [2] country. It has never been so clearly demonstrated that wars are made for profits as it is in America just now. The 133 Theodore Roosevelt (1858–1919): Republikanischer Politiker und 26. Präsident der Vereinigten Staaten (1901–1909). Nach 1914 plädierte Roosevelt für die militärische Intervention der USA in Europa und kritisierte Präsident Wilson für seine Politik der Neutralität.

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IV. Briefwechsel und Kommentar

people on the whole are very quiet and they don’t discuss the war, but politicians of the Roosevelt type and the naval and army castes are extremely active, and with the lack of organization among the majority of rational people I think they will manage to run us into a war or at least an armed camp. The English are determined to keep up the war as long as the French, Italians, Russians, and other dupes are willing to pull the chestnuts out of the fire for them. When all the rest are ruined the English will have an easy time of it. I am working hard because it is the only way to forget and to keep up courage. I am extremely sorry to hear that you have not been well. I wish you would, if that is possible for you, take a rest and a vacation. I am working in the garden every day and that helps me a little. As far as gall-stones are concerned, they are very frequent with people of our age and I should not worry too much about them unless they give you serious trouble. Are you sure that it is not your appendix 134 which is the real culprit? You know that I had my appendix taken out three years ago and the operation has relieved me of a good deal of pain I had suffered for years. You have not written me in your letter how your sons are. I take it for granted that all is well with them. I have given a letter of introduction to an old friend of Mrs. Loeb 135 and myself, Mrs. Charlotte Teller Hirsch, 136 whom we have known since she was a student in the University of Chicago. She is a very well known and very brilliant authoress, and one of the most splendid characters we have ever met. She is a very enthusiastic supporter of the German cause and this will be an additional reason to help her in every way in Germany. You may have absolute confidence in her honesty and intelligence. – It may interest you to know that the only class of people in America who are not antagonistic to the Germans are the Socialists. I remain with kindest regards from all of us to yourself, Mrs. Ostwald, and your children, Yours very sincerely, [Jacques Loeb]

134 Appendix: Medizinischer Ausdruck für kleine Ausstülpungen eines Organs, hier für Wurmfortsatz des Blinddarms (appendix vermiformis). 135 Jacques Loeb heiratete 1890 die Amerikanerin Anne Leonard, die im selben Jahr ihre Promotion in englischer Philologie an der Universität Zürich abschloss. Anne Leonard stammte aus Easthampton (MA) und war Tochter von Granville Hall Leonard, Oberinspektor der Nashawannuck Manufacturing Company, dem führenden Hersteller von Hosenträgern und Strumpfhaltern in den USA. Nach ihrem Studium am Smith College (1879–1882) folgte sie ihrer Schwester 1887 nach Leipzig, wo sie Vorlesungen in mittelenglischer Philologie besuchte. Danach wechselte sie nach Zürich, um ihre Promotion in Philologie zu beginnen, die sie 1890 abschloss. 136 Charlotte Teller Hirsch (1876–1953): New Yorker Schriftstellerin und aktive Sozialistin; im Jahr 1899 absolvierte sie ihr Studium u.a. bei Jacques Loeb an der University of Chicago.

ANHANG Jacques Loeb (1859−1924) 7. April 1859 1870–1880 1880 1881–1884 1884 1884/85 1886–1888 1889/90 1890 1891 1891 1892 1892 ff. 1899 1900 1902 1905 1906 1910 1910 1912 1914 1916 1918 11. Februar 1924

Geburt Jacques Loebs in Mayen (Rheinland-Pfalz, damals Preußen) als Sohn eines deutsch-jüdischen Kaufmanns Besuch des Askanischen Gymnasiums in Berlin Studium der Philosophie an der Friedrich-WilhelmsUniversität Berlin Studium der Medizin in Berlin, München und Straßburg unter Friedrich Leopold Goltz Promotion an der Universität Straßburg über die Lokalisation bestimmter Sinnesfunktionen im Gehirn Neurophysiologische Studien bei Nathan Zuntz in Berlin Assistent bei Adolf Fick in Würzburg Aufenthalt an der Zoologischen Station Neapel (Stazione Zoologica di Napoli) Heirat mit der Amerikanerin Anne Leonard, die Loeb in Zürich kennenlernte Emigration in die USA Anstellung als Dozent am Bryn Mawr College (PA) Assistant Professor für Physiologie und experimentelle Biologie an der University of Chicago Sommerkurse am Marine Biological Laboratory in Woods Hole Entdeckung der künstlichen Parthenogenese Full Professor für Physiologie an der University of Chicago Professor für Physiologie in Berkeley Erscheinen von Studies in General Physiology (2 Bände) Erscheinen von Vorlesungen über Dynamik der Lebenserscheinungen Ruf ans Rockefeller Institute for Medical Research in New York Aufnahme in die National Academy of Sciences Erscheinen von The Mechanistic Conception of Life Aufnahme in die American Academy of Arts and Sciences sowie Académie des Sciences in Paris Erscheinen von The Organism as a Whole Gründung des Journal of General Physiology Loeb stirbt in Hamilton auf den Bermuda Islands

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Anhang

Wilhelm Ostwald (1853–1932) 2. September 1853 1864–1871 1872–1875 1875 1877 1878 1880 1882 1887 1887 1889 1894 1898 1901 1904 1905–6 ab 1906 1909 1910–1915 1911

1913 1914 1926 3. April 1932

Geburt Ostwalds in Riga als Sohn eines Böttchermeisters Besuch des Realgymnasiums in Riga Studium der Chemie an der Universität Dorpat (heute Tartu) Kandidatenarbeit Magisterarbeit zu „Volumchemische Studien über Affinität“ Promotion über „Volumchemische und optisch-chemische Studien“ Heirat mit Helene von Reyher Ordentlicher Professor für Chemie am Rigaer Polytechnikum Gründung der Zeitschrift für Physikalische Chemie, Stöchiometrie und Verwandtschaftslehre (mit Jacobus van’t Hoff) Ordentlicher Professor für Physikalische Chemie an der Universität Leipzig Erscheinungsjahr des Lehrbuchs Grundriß der allgemeinen Chemie; Buchreihe Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Mitgründer der Elektrochemischen Gesellschaft (ab 1902: Deutsche Bunsen-Gesellschaft für physikalische Chemie) Eröffnung des Physikalisch-chemischen Instituts in Leipzig Ostwald hält Vorlesungen über Naturphilosophie Leitung eines Panels auf dem Weltkongress der Künste und Wissenschaften in St. Louis (USA) Erster Austauschprofessor im Rahmen des deutsch-amerikanischen Professorenaustauschs Freier Forscher und Publizist auf dem Landsitz „Energie“ in Großbothen (bei Leipzig) Nobelpreis für Chemie für Forschung zur Katalyse Präsident des Deutschen Monistenbundes (DMB) Präsident der Internationalen Assoziation der chemischen Gesellschaften und des Weltsprachenbundes; Gründung der Brücke – Internationales Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit Gründung des monistischen Unesma-Verlags Beginn der Forschung zur Farbenlehre (im Auftrag des Werkbundes) Erscheinen der dreibändigen Autobiographie Lebenslinien Ostwald stirbt in Leipzig; Besetzung auf seinem Landsitz Energie in Großbothen

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Anhang

Teilnehmer am Professorenaustausch 1905–1935 Professorenaustausch Harvard-Berlin 1 Winter- Harvard semester 1905/06 Francis G. Peabody Theologie, Sozialethik 1906/07 Theodore W. Richards (Sommer 1907), Chemie 1907/08 William H. Schofield Vergleichende Literaturwissenschaft 1908/09 William M. Davis Geographie, Geologie 1909/10 George F. Moore Theologie, Religionsgeschichte 1910/11 Hugo Münsterberg (nur ein Jahr) Psychologie 1911/12 Theobald Smith (nur Jan/Feb 1912), Biologie 1912/13 Charles S. Minot Medizin, Anatomie 1913/14 Archibald C. Coolidge Geschichte, Bibliothekar 1914/15 Albert B. Hart (abgesagt am 21. Oktober 1914), Geschichte und Staatswissenschaft 1915/16 1927/32

1

Berlin Wilhelm Ostwald (Leipzig) Physikalische Chemie Eugen Kühnemann (Breslau) Philosophie, Deutsche Literatur Paul Clemen (Bonn) Kunstgeschichte Eugen Kühnemann (für ein Jahr) Eduard Meyer (Berlin) Alte Geschichte Max Friedländer (Berlin) Musikgeschichte Willy Kükenthal (Berlin) Zoologie Rudolf Eucken (Jena) Philosophie Ernst von Dobschütz (Breslau) Theologie, Neues Testament Woldemar Voigt (Göttingen, abgesagt am 24. August 1914), Physik Kuno Meyer (Berlin, zurückgezogen am 24. April 1915), Keltische Philologie Adolph Goldschmidt (Berlin) Kunstgeschichte

Daten entnommen aus: vom Brocke (1981), S. 142.

136

Anhang

Professorenaustausch Columbia-Berlin 2 Akad. Jahr 1906/07 1907/08 1908/09 1909/10 1910/11 1911/12 1912/13 1913/14

Kaiser-Wilhelm-Professur

John W. Burgess (NY) Staatswissenschaften, Verfassungsgeschichte Arthur T. Hadley (Pres. Yale) Staatswissenschaft, Sozialpolitik der USA Felix Adler (NY) Philosophie, Politische und Soziale Ethik Benjamin I. Wheeler (Pres. Univ. of California, Berkeley) Kunstgeschichte der USA Charles A. Smith (Virginia) Amerikanische Literatur Paul S. Reinsch (Madison, Wisconsin) Staats- und Völkerrecht William M. Sloane (NY) Geschichte Paul Shorey (Chicago) Griechisch

Hermann Schumacher (Bonn) Nationalökonomie

1914/15

Henry M. Farman (Yale) Politische Ökonomie (abgesagt am 21. September 1914)

1915/16

Thomas C. Hall (NY) Theologie, Ethik (vorgeschlagen) Rush Rhees (Pres. Univ. of Rochester) Theologie, Neues Testament (vorgeschlagen)

1916/17

1931 1931/32

2

Theodore-Roosevelt-Professur

Frederick J. E. Woodbridge (N.Y.) Philosophie

Rudolf Leonhard (Breslau) Rechtswissenschaft Albrecht F. K. Penck (Berlin) Geographie Carl Runge (Göttingen) Mathematik Ernst Daenell (Kiel) Geschichte Josef Schick (München) Englische Philologie Felix Krüger (Halle) Psychologie Karl F. Th. Rathgen (Hamburg) Nationalökonomie Theodor Niemeyer (Kiel) Internationales Recht (abgesagt am 14. Juli 1914)

Gastprofessoren Paul Merker (Breslau) Deutsche und skand. Literatur Carl Viëtor (Gießen) Deutsche Literatur

Daten entnommen aus: vom Brocke (1981), S. 145–146.

137

Anhang

1932/33 1933/34

1934/35

George Norlin (Pres. Univ. of Colorado) Altgriechisch David P. Barrows (Univ. of California) General und Professor für Politikwissenschaft James W. Angell (N.Y.) Politische Ökonomie (zurückgezogen am 15. Mai 1933)

Arthur Hübner (Berlin) Deutsche Philologie (eingeladen)

138

Anhang

Brief von Jacques Loeb an Ernst Mach, Zürich, 6. Juni 1891 Quelle: Archiv des Deutschen Museums, Nachlass Ernst Mach, NL 174/1954 Hochgeehrter Herr Professor! Das Suchen und Einrichten einer Wohnung, die Beschäftigung mit der praktischen Medizin, Erledigung sonstiger Arbeiten, nahmen meine Zeit so in Anspruch, dass ich Ihnen nicht in Ruhe schreiben konnte. Zunächst habe ich noch nachzuholen, was ich in meiner Karte in der Eile zu erwähnen vergessen hatte, dass ich in Neapel nicht mehr dazu gekommen war, den Versuch in Gang zu bringen; der Induktionsapparat war erst unmittelbar vor unserer Abreise frei geworden, und so konnte ich nur alles so weit herrichten, dass Herter den Versuch nach Ihren Anweisungen beginnen konnte. Ich würde meine Abreise aufgeschoben haben um den Versuch und seine ersten Resultate selbst abzuwarten, [2] aber meine Frau, der das Clima in Neapel überhaupt nicht gut bekam, fühlte sich zuletzt sehr angespannt und so entschloss ich mich zur Abreise. Es mag vielleicht in einer kurzen Karte und ohne jede Erläuterung etwas schroff geklungen haben, wenn ich von Schattenseiten des americanischen Lebens sprach. Ich hatte folgendes im Sinne. Die Americaner besitzen im Allgemeinen nicht die Bildung – oder noch nicht – die Bildung welche die deutsche Gesellschaft durchschnittlich besitzt. Wer daher hier in Europa an den Verkehr mit Gelehrten gewöhnt ist, wird in dieser Hinsicht für den Anfang drüben vieles vermissen. Ich denke aber, dass das Bewusstsein, drüben [3] noch etwas für die Cultur thun zu können und der günstige Umstand, dass man keine humanistisch oder scholastisch verbildeten Menschen vor sich hat, reichlich Entschädigung bietet. Der zweite erwähnenswerthe Umstand betrifft vielleicht ein Vorurtheil, mit dem ich nach America ging & das Andere ebenfalls möglicherweise haben: ich bildete mir ein, die Americaner seien voller Verständnis für neue, vom Hergebrachten abweichende Bestrebungen. Das ist nun allerdings nicht der Fall und in dem amerikanischen Gelehrtentum werden die Einzelnen noch strenger unter die Schablone gepresst, als vielleicht in Deutschland. Auch sonst in der Gesellschaft in Amerika herrscht eine bemerkenswerthe Furcht davor eine [4] scharf markierte Individualität an den Tag zu lagen. Diesem Umstand verdankt man das Blühen der Kirchen in Amerika (und in England). Auch der Ungläubigste geht in die Kirche, weil er sich scheut, eine Sonderstellung einzunehmen, von den Uebrigen sich durch irgendetwas zu unterscheiden. Allein auch das lässt sich ertragen, weil man die volle Freiheit geniesst, dem entgegenarbeiten zu können. Es handelt sich hier mehr um eine gewisse Feigheit und Unentwickeltheit der Americaner (auch um die Scheu andere vielleicht zu verletzen & die Harmonie zu stören) als um kirchlichen Fanatismus, oder um Gelehrtenhochmuth und Kastengeist. Aber wenn auch das kirchliche Leben irgendwo verdrängt werden kann so ist es in America. [5] In den europäischen Monarchien kann jeden Tag eine hundertjährige Culturarbeit über den Haufen geworfen werden, wenn der jeweilige Caesar in religiösen oder kirchlichen Wahnsinn verfällt. In den Militärrepubliken, wie Frankreich, wo die „Gloire“ und der Heldenwahnsinn jedem anerzogen wird, wird natürlich

Anhang

139

alles übrige moralische Empfinden mit Leichtigkeit dem nationalen Irrsinn geopfert: Die Technik wird keine wirkliche Culturmacht, weil der scholastische Schwindel durch die Academien in Blüthe gehalten wird & weil man ein gebildeter Mensch immer nur in humanistischen Dingen sein kein. Das ist in America anders. Weil die Tradition fehlte konnte der natürliche Geschmack an der Wirklichkeit mehr durchdringen und ich weiss, dass der Laie drüben nicht „klassische“ [6] griech. oder römische Autoren sondern lieber ein Physikbuch zur Hand nimmt. So meine ich, wenn man sein Schaffen so einrichtet, dass sein Erfolg nicht bloss mit dem momentanen Behagen abschliesst, sondern wenn man dabei durch den Gedanken einer Besserung der Existenz für die kommenden Generationen sich glücklicher fühlt, so ist es entschieden angenehmer in America zu wirken als in Europa. Allein ich glaube bei dem Reichthum des Landes & seiner geringeren Bevölkerung – die aus diesem Grunde auch sicher etwas viel nobleres in ihrem Charakter hat als die verarmte europäische Bevölkerung – ich glaube auch der sonstige Erfolg der Arbeit ist in Amerika reicher als in Europa. Aber je jünger man ist bei der Einwanderung, umso besser und leichter geht es. – [7] Ich treibe jetzt den Vormittag Augenheilkunde, den Nachmittag habe ich für meine wissenschaftlichen Liebhabereien frei. Es ist recht schwer dieselben abzuschütteln, wenn man einmal ihr Sklave geworden ist. Die kleine Arbeit über die Abhängigkeit der nach Gehirnverletzung auftretenden Zwangsbewegung etc. vom Hörnerv habe ich geschrieben und an Pflüger abgeschickt. Es ist mir etwas unbegreiflich, wie noch immer behauptet werden kann, die Durchschneidung des Hörnerven sei möglich ohne Störung der compensatorischen Bewegungen etc. Beim Haifisch ist das ganz gewiss nicht der Fall; an anderen Thieren habe ich es noch nicht versucht. Wenn Ihr Herr Sohn entschlossen ist nach America zu gehen und ich ihm irgendwie durch Rath, Auskunft oder Empfehlungen behilflich sein [8] kann, so würde mich es aufrichtig freuen, wenn Sie nur über mich verfügen wollten. Ich verbleibe in tiefster Verehrung Ihr ergebenster J Loeb.

ABKÜRZUNGEN ABBAW ADM LOC NL StBPK TRE

Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin Archiv des Deutschen Museums, München Library of Congress, Washington D.C. Nachlass Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Berlin Theologische Realenzyklopädie

ABBILDUNGEN Abb. 1: Wilhelm Ostwald 1931 in seinem Privatlabor im Landhaus Energie, Großbothen (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 5292/1). © Deutscher Fotodienst Berlin. Abb. 2: Jacques Loeb 1920 in seinem Labor am Rockefeller Institute for Medical Research, New York. © Rockefeller Archive Center. Abb. 3: Frequenz der Briefe zwischen Jacques Loeb und Wilhelm Ostwald, 1900– 1915 (eigene Grafik). Abb. 4: Wilhelm Ostwald und James McKeen Cattell auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. Fotografie von Jessie Tarbox Beals (LOC, Prints and Photographs Division). © Science Photo Library. Abb. 5: Ankündigung von Ostwalds Vorlesung zur Energetik an der Columbia University im Wintersemester 1905/6 (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 5200). © ABBAW. Abb. 6: Der Erste Internationale Monistenkongress in Hamburg vom 8. bis 11. September 1911: Gruppenfoto am Hamburger Hauptbahnhof (ABBAW, NL Ostwald, Nr. 5293). © ABBAW. Abb. 7: Brief von Wilhelm Ostwald an Jacques Loeb, 5. August 1911 (LOC, Loeb Papers, Box 11). © LOC. Abb. 8: Brief von Jacques Loeb an Wilhelm Ostwald, 10. Oktober 1914 (LOC, Loeb Papers, Box 11). © LOC.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ARCHIVBESTÄNDE Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW), Nachlass Wilhelm Ostwald, Nr. 1828, Nr. 4375, Nr. 4376 und Nr. 4377. Archiv des Deutschen Museums (ADM), Nachlass Ernst Mach, NL 174/1948–1974. Library of Congress (LOC), Manuscript Division, Jacques Loeb Papers, Box 11. Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz (StBPK), Sammlung Darmstaedter, Lc/1871 (12): Jacques Loeb.

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PERSONEN- UND SACHREGISTER Achalme, Pierre 60 Adler, Felix 136 Alliierte (Erster Weltkrieg) 55f., 58, 60, 63 Althoff, Friedrich 39 American Chemical Society 92 American Psychological Association 39 Analyse der Empfindungen 46 Angell, James W. 137 Annalen 25, 50, 88, 141f. Annalen der Naturphilosophie 35, 56, 141 Ansprache 28, 31 Antimetaphysik 46 Antisemitismus 13, 34, 52, 54, 60, 65, 148 Aphorismen 117 Appendizitis 101 Arrhenius, Svante 11, 18, 27, 32, 49, 50, 62, 66, 74, 76, 85, 90–94, 102, 106, 107, 109, 113, 143, 148 Arrowsmith (Roman) 65 Assimilation 52 Atlantik 13, 38 Atomismus/Atomtheorie 19, 65, 92 Attentat von Sarajewo 55 Aufruf an die Kulturwelt 56, 148 Austauschprofessor 12, 37, 40, 44, 119, 134 Auswanderung (siehe Emigration) 52 Autobiographie 20, 34, 43, 50, 121, 123, 134, 142 Baltendeutsche 17, 40 Barrows, David P. 137 Befruchtung 7, 16, 32, 49, 72, 79, 84, 116 Belgien 57, 64, 125, 127 Bergson, Henri 44, 49, 119 Berkeley 7–10, 15, 28, 30–32, 41–43, 47, 52–54, 62, 64, 70f., 74–79, 81–86, 89– 95, 98–102, 104–107, 111f., 136 Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 25, 66 Beschleunigung 7, 22 Beutner, Reinhard 124 Bewusstsein 46, 47, 56, 86, 138

Biologie 7f., 13, 16, 32f., 43, 46, 49, 53f., 61, 72, 76, 80, 82, 84, 86, 87, 90, 93, 98, 101, 108, 114, 133, 135 Biologiegeschichte 46 Bolschewismus 63 Boltzmann, Ludwig 66 Bonnet, Charles 7 Boston 41, 82, 145, 146 Boxeraufstand 38 Boyle, Robert 47 Brandt, Ahasver v. 25 Brauer, Eberhard 19 Brieffrequenz 29, 30 Brieffreundschaft 7f., 12, 26, 32, 64 Briefkonjunktur 30 Briefpapier 29 Briefwechsel 11, 26f., 34, 64, 72, 145f. Bryn Mawr College 14, 133 Budapest 54, 111 Buffalo 33 Bunge, Gustav von 48 Bunsen-Gesellschaft 18 Bürgertum 52 Burgess, John W. 136 Burgfriede (siehe Erster Weltkrieg) 128 Butler, Nicholas M. 39 Cambridge 25, 39, 41, 43, 70, 92, 100, 102, 144f. Campbell, William Wallace 89 Carnegie Endowment for International Peace 122 Carnegie Institution of Washington 112 Carnegie, Andrew 43, 51, 107, 112, 122 Carus, Paul 48 Chauvinismus 55 Chamberlain, Houston Steward 58 Chemie 7, 17f., 22, 33f., 44, 52, 60, 62, 73– 79, 82–85, 88–90, 92, 96, 98, 100, 102, 108, 112, 115, 134f., 143f. Chemie, physikalische 7f., 17f., 32–34, 37, 63, 72–74, 76, 98, 110, 134 Chemische Reichsanstalt 103

Personen- und Sachregister Chicago 7f., 14f., 19, 27, 32f., 35, 48, 70, 72, 74f., 77f., 82, 89, 94, 112, 136, 146f. Christentum 20, 45 Christy, Samuel Benedict 84 Chun, Carl Friedrich 82, 104, 105f. Clemen, Paul 135 College 39, 73, 75, 78–81, 83, 84, 88, 91, 95f., 98, 102, 107, 124 Colorado Springs 33 Columbia University 39–41, 96, 102, 136 Comte, Auguste 35, 61 Congress of Arts and Science (1904) 35, 36 Coolidge, Archibald C. 135 Cottrell, Frederick Gardner 75 Credner, Hermann 89 Daenell, Ernst 136 Dampfschifffahrt 38 Darwin Correspondence Project 25 Darwin, Charles 25, 26, 44, 86 Darwinismus 9, 45 Sozialdarwinismus 59 Das Monistische Jahrhundert 44, 50, 117, 119 Davis, William M. 135 Dekadenzangst 22 De Kruif, Paul 66 Denkmal 25 Denkökonomie 46 Depression 118 Descartes, René 47 Deutsche Elektrochemische Gesellschaft (siehe Bunsen-Gesellschaft) 18f., 134 Deutsche Gesellschaft für Soziologie 109 Deutsches Reich (siehe Kaiserreich) 12f., 17f., 22, 38, 41, 52, 83 Diktiermaschine 29 DIN-Format 29, 30 Ding an sich (siehe Immanuel Kant) 46, 85 Dissoziationstheorie 11, 18, 32 Dobschütz, Ernst von 135 Doktorandenausbildung 37 Dokumente des Fortschritts 55 Driesch, Hans 7, 49 Drucker, Carl 124 Dualismus 20, 45 DuBois-Reymond, Emil 17 Edition 10, 11, 12, 25 Ego-Dokument 26, 66 Ehrendoktor 33, 74, 92

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Ehrlich, Paul 66 Einstein Papers Project 25 Einstein, Albert 18, 25, 66 Eisen, Gustaf 84 Eisenbahn 38 Eizelle 7, 49 Eliot, Chrales William 39, 41, 100 Embryo 7 Embryologie 7, 119 Emigration 13, 43, 133 Empfindungskomplex 46 Empiriokritizismus (siehe Ernst Mach) 46 Energetik 18–22, 29, 41, 45, 52, 76, 85, 103, 146 Energetischer Imperativ (siehe Wilhelm Ostwald) 20, 21, 45, 142 Engelmann, Wilhelm 14, 15 Engineering 16, 32, 53, 143, 146 England 28, 43, 45, 62, 86, 107, 126, 127, 138, 147 Entente (siehe Erster Weltkrieg) 28, 65 Entfremdung 6, 54 Entropie/Entropiesatz 19, 20, 45 Entwicklungsmechanik 13 Erkenntnis 46, 51 Erschöpfung 22 Erster Weltkrieg 8, 12, 16, 22, 27, 28, 30, 38, 53, 54, 64, 65, 90, 125, 129f., 143, 146, 148 Ethical Society 48 Ethik 16, 48, 49, 136 Eucken, Rudolf 44, 119, 120, 135 Evolution/Evolutionstheorie 45 Exil 30 Experiment 15, 79 Face-to-Face-Kommunikation 27 Faraday Lecture 92 Farbenlehre 23 Farman, Henry M. 136 Fehde 26 Feminismus 83, 116 Fernsprechverbindung 27 Festrede 33 Fick, Adolf 13, 133 Fischer, Emil 64 Fischer, Martin Henry 84 Flotte 38, 59 Ford Foundation 38 Fortschritt 54, 143 Francke, Kuno 39 Frankenstein 7, 32

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Personen- und Sachregister

Frankreich 38, 44, 62, 125, 127, 143, 147 Franktireurkrieg 57, 127 Französische Revolution 61 Frauenstudium 14 Freidenkertum/Freidenkerbewegung 10, 12, 30, 43, 45, 48, 50–53, 65, 116, 123 Freud, Sigmund 66 Gassendi, Pierre 47 Gastprofessur 12, 41, 43, 90 Gaule, Justus 13, 48 Gelehrtenbrief 26 Gelehrtennetzwerk 26 Gelehrtenrepublik (res publica literaria) 9, 25, 59, 65, 144 Generalfeldmarschall 57 Genf 90, 109, 110 Gentleman Scientist 26 Germanisches Nationalmuseum 38 Geschäftsbrief 25, 27 Geschichtswissenschaft 37, 148 Gesellschaft für positivistische Philosophie 49 Globalgeschichte 11 Glücksformel (siehe Wilhelm Ostwald) 21, 22, 65 Goldscheid, Rudolf 11, 56 Goldschmidt, Adolph 135 Goltz, Friedrich 13 Göttingen 37, 88, 135, 136, 143, 145, 146 Gregarismus 61 Großbothen 8, 20, 22, 28, 44, 49, 51, 55–58, 64, 66, 70f., 105, 107, 109, 113–115, 118, 121–126, 130, 140 Großbritannien 38, 147 Größenwahn 22 Großfinanz 9 Großmacht 38 Grundlagenforschung 8, 11, 144 Haager Friedenskonferenz 125 Haber, Fritz 18, 66, 148 Hadley, Arthur T. 136 Haeckel, Ernst 8, 25, 44f., 49, 56, 66, 114, 120, 143–146, 147, 149 Hall, Thomas C. 136 Halle 37, 136 Haller, Albrecht von 25 Hamburg 31, 48f. 51, 64, 79, 113–115, 121, 123, 136, 140–142 Handlungsethik 20 Hart, Albert B. 135

Harvard University 38–44, 83f., 90, 97f., 100, 102, 119, 135 Hearst, Phoebe 83 Hearst, William Randolph 83 Heidelberg 37, 75, 83, 88, 90, 93, 148 Heimat 54 Herter, Christian Archibald 96f., 138 Herzstein, Morris 84, 93 Higher Education 37, 148 Historiengemälde 25 Hobbes, Thomas 47 Holleben, Theodor von 39 Hopkins Marine Station 15 Hübner, Arthur 137 Humbold, Alexander von 25 Hunnenrede 38 Huxley, Julian 66 Hypothesenfreiheit 19, 33, 76, 103 Idealismus 54 Ingenieur 16, 32, 46 Ingersoll Lecture 41, 43, 100 Ingersoll, Caroline Haskell 41 Ingersoll, George G. 41 Institut für Physikalische Chemie 37 Institut Internationale de Sociologie 109 Institut Pasteur 16 Institutionengeschichte 11 Integration 52, 145 Internationale Hygiene-Ausstellung 1911 115 Internationalismus 55, 142 Ionentheorie 8, 18, 74 James, William 40, 47 Jordan, David Starr 98 Journal of General Physiology 16, 83, 133, 142 Jungfernzeugung, künstliche (siehe Parthenogenese) 7 Kaiser Wilhelm Fund 39 Kaiserreich (siehe Deutsches Reich) 7, 11, 12f., 22, 38, 45, 52f., 145f. Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 19, 50, 121 Kalifornien 12, 16, 33f., 72–75, 78, 84, 88, 90–94, 97, 99, 101f., 104f., 108, 111f., 137 Kant, Immanuel 85 Karlsbad (Kurort) 130 Katalyse 27 Keimplasma 33, 90

Personen- und Sachregister Kellogg, Vernon L. 60 Kennan, George F. 54 Kirche 43, 45, 138 Kolloidchemie 62, 82, 84 Kommunikation, transatlantisch 27, 28 Kopp, Hermann 17 Koppel-Stiftung 39 Korányi, Alexander (Sándor) 111 Korrespondenz 6, 10–12, 27, 28f., 31, 45, 55, 58, 64, 65–67, 146–148 Kriegsausbruch 54f., 59 Kriegsbegeisterung 9, 58, 131 Kriegserklärung 55, 126 Kriegsmüdigkeit 58 Kriegspropaganda 57, 148 Kröner, Alfred 115, 120 Kühnemann, Eugen 135 Kükenthal, Willy 135 Kulturtechnik 29 Kulturwelt 56, 130 Kultusministerium 20, 38, 40 Kunstbrief/literarischer Brief 25 Kunsttheorie 10 L‘évolution créatrice 44 Lamarckismus 59 Landhaus Energie 23, 106, 109, 134 Lebenslinien 10, 34, 134, 142 Lebensphilosophie 44, 119 Lebenswissenschaften 16, 31, 35, 37 Leipzig 7f., 17f., 20, 27, 32, 37, 40, 52, 64, 70, 73, 75, 79–82, 85f., 88, 90–95, 97, 100, 103f., 108f., 132–135, 141–144, 146, 148 Leonard, Anne 13, 133 Leonhard, Rudolf 136 Lewis, Sinclair 65 Library of Congress 6, 11, 66, 140 Liebermann, Léo 111 Life and Letters-Biographie 26 Ligue internationale pour la défense du droit des peuples 55 Loeb, Anne (spätere Osborne) 88 Loeb, Jacques 6–147 Loeb, Leonard 89, 92 Loeb, Morris 79, 81 Loeb, Robert Frederick 104 London 14, 83, 92, 102, 141–146 Lovett, Edgar Odell 118 Ludwig, Carl 17, 37, 146, 148 Luxemburg 127

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Mach, Ernst 8, 15, 44–51, 66, 138, 141, 144 Marine Biological Laboratory 14 Maschine 16, 47 Materialismus 18, 19, 43, 47, 50, 142 Materialität 26, 29 Materialschlacht (siehe Erster Weltkrieg) 57 Mechanismus 16, 46f., 49, 53 Mekka 18, 37 Mendelʼsche Vererbungsregeln 46 Merker, Paul 136 Metaphysik 44, 54 Methoden 8, 10, 32, 33, 47, 74, 76 Meyer, Kuno 135 Militär 11, 12, 38, 57, 59, 63f., 127 Militarismus 9, 30, 55, 57f., 60, 125, 131 Minot, Charles S. 119 Mittelmächte 55 Mobilmachung 127 Moderne 8, 22, 51, 54, 144 Modernisierung 22 Monismus 44, 45, 51, 116, 122, 123, 143, 148 Monistenbund (DMB) 10, 12, 20, 22, 44f., 48f., 51, 53, 56, 65, 115, 118, 123f., 134, 146 Monistenkongress (Hamburg) 30f., 48f., 51, 53, 64, 121, 140 Monistische Sonntagspredigten (siehe Wilhelm Ostwald) 60, 118, 127, 130, 142 Morphologie 13, 17, 54, 65, 85 Morton, James Ferdinand 116 Müller-Lyer, Franz 61 Münsterberg, Hugo 37, 39–41, 90, 103, 106, 135, 142 Nachrichtenverkehr 57, 126 National Academy of Sciences 133, 142 Nationalismus 9, 30, 56, 60 Naturgeschichte 47, 108 Naturphilosophie 20, 40, 45, 52, 65, 142 Naturwissenschaften 8, 19, 20, 85, 98f., 144 Naturwissenschaftler 49, 148 Neo-Vitalismus 49 Nernst, Walter 64 Nervenschwäche/Neurasthenie 22 Neurophysiologie 13 Neutralitätsverletzung 55, 125, 127 New York 10, 16, 33, 39–41, 44, 50f., 55, 58, 60, 62, 71, 77–81, 96, 102f., 111f., 115–117, 119, 121f., 125, 128–133, 140, 144–148

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Personen- und Sachregister

Newton, Isaac 92 Niagarafälle 33 Niemeyer, Theodor 136 Nobel-Institut für Physikalische Chemie 18, 85 Nobelpreis 7, 17, 22, 31, 51, 53, 62, 83, 119, 134 Norlin, George 137 Offenbarung 21 Olympic internationalism 56 organische Physik 17 Organismus 16, 32, 49, 61, 85 Osterhout, Winthrop J. V. 13, 15, 53, 83, 142 Österreich 107 Ostwald, Helene 109 Ostwald, Otto 109 Ostwald, Walter 109 Ostwald, Wilhelm 6–148 Ostwald, Wolfgang 34, 50, 62, 78, 82, 84, 87, 93–95, 97, 99, 104, 106f., 114, 128, 146 Pantheismus 45 Parlament der Weltreligionen (Parliament of World's Religions) 15 Parlograph 29 Parthenogenese (siehe Jungfernzeugung) 7, 11, 32, 72, 133 Pavlov, Ivan P. 66 Pazifismus 55 Peabody, Francis G. 40, 135 Penck, Albrecht F. K. 136 Pensionierung 20, 22, 44, 107 Petzoldt, Joseph 49 Permanent Court of Arbitration (Ständiger Schiedshof) Den Haag 55, 125 Pfingsterlebnis 21 Philanthropie 38, 43, 51, 64, 179, 83, 107, 122, 147 Philosophie 10, 13, 20, 39, 75, 90, 102, 119, 133–136, 142, 144, 145, 148 Physik 11, 34, 89, 90, 135 Physikalisch-Technische Reichsanstalt 103 Physiologie 7, 11, 14–17, 32f., 74, 76, 83– 86, 99, 111, 113, 133 Plansprache/Kunstsprache/Hilfssprache 56, 62, 118 Plansprachenbewegung 10, 20, 22, 62, 107, 118, 124 Polemik 17, 65

Politisierung 12, 54 Popper-Lynkeus, Josef 48 Popularisierung 8, 44, 52, 128 Positivismus 8, 44, 46, 145 Postcolonial Studies 11 Postkarten 29, 67 Praktiken 8, 10, 11, 26, 29, 53 Präsidentschaft 45, 53 Professorenaustausch 38–40, 41, 100, 119, 134–136, 143f. Professur 15, 20, 40, 52, 54, 85, 92, 95, 136 Quelle 10, 12, 21, 25f., 77, 138, 145, 147 Quellenkritik 26 Radikalisierung 63 Rassenideologie 54 Rassismus 60, 128 Rathgen, Karl F. Th. 136 Ratzel, Friedrich Wilhelm 93 Realität 17, 45 Reduktionismus 47 Reichsgesundheitsamt 98 Reichsgründung 37 Reinsch, Paul S. 136 Reizsuche 22 Religion 48, 50, 61, 121, 142, 144f., 147f. Religionsgemeinschaften 37 Renegat 43, 101 Reyher, Helene von 17, 134 Rhees, Rush 136 Rheumatismus 96, 98, 102, 108, 130 Rice Institute 118 Richards, Theodore W. 135 Riga 17, 22, 52, 85, 134 Ritter, William Emmerson 84 Rising, Willard B. 91 Rockefeller Foundation 38, 53, 64 Rockefeller Institute for Medical Research 16, 111f., 115, 117, 121f., 133, 140 Rockefeller, John D. 14, 16, 43, 107 Roosevelt, Theodore 38, 40, 131 Roux, Wilhelm 7, 13, 66 Royal Society of Chemistry 92 Runge, Carl 136 Russland 14, 18, 106, 126f., 147 Rüstungsindustrie 9, 12, 58 Rutherford, Ernest 62, 64 Sachs, Julius 13 Samoa-Frage 38 Sandburg, Carl 14

Personen- und Sachregister San Francisco 33, 70, 73, 78, 84, 93, 106 Erdbeben 1906 106 Schick, Josef 136 Schlieffen, Alfred Graf von 57 Schlieffen-Plan 57 Schmidt, Carl 11, 17 Schofield, William H. 135 Schopenhauer, Arthur 13 Schöpfungsglaube 44, 53 Schreibmaschine 29 Schumacher, Hermann 136 Selbstoffenbarung 26 Serbienfrage 55 Shorey, Paul 136 Sierra Nevada 78, 93 Sloane, William M. 136 Slosson, Edwin Emery 112 Smith College 13, 132 Smith, Charles A. 136 Smith, Theobald 135 Snyder, Carl 32, 79, 142 Soft-Power-Strategie 39 Sozialdemokratie 51, 122, 124, 128 Sozialismus 50 Soziologiekongress 109 St. Louis 35, 80, 90f., 94f., 134 Stanford University 15, 73, 78, 83, 89, 98 Stellungskrieg (siehe Erster Weltkrieg) 57 Stieglitz, Alfred 78 Stieglitz, Julius 78 Stillman, John Maxson 89 Subdisziplin 34 Subjekt 46 Taylor, Alonzo Englebert 83 Technik 27, 29, 38, 55, 56, 65, 139 Telefonie 27 Telegraphie 27, 38 Teller Hirsch, Charlotte 132 The Mechanistic Conception of Life (siehe Jacques Loeb) 16, 46f., 51, 133 The Monist 48 The Open Court 48 Thermodynamik 19 The Truth Seeker 116 Titanic 117 Tonquédec, Joseph de 119 Tradition 17, 25, 26, 139, 146 Treitschke, Heinrich von 52, 58 Tropismen 13 Typhus 77, 93 Typoskript 67

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Überreizung 22 Überrest 25 Uhlenhuth, Eduard 120 Unesma (monistischer Verlag) 51f., 118, 120f., 127, 134 Universalgelehrter 25 Universität Berlin 39, 40, 75 Universität Dorpat 17, 134 Universität Göttingen 37 Universität Leipzig 14, 20, 37, 86 Universität Utrecht 14 Universitätsgeschichte 11, 144, 146 University of Chicago 14, 33, 72, 78, 112, 132f. Unsterblichkeit 41, 100f. Urkatastrophe 54, 146 Urkunde 25 Ursprungsmythos 21 USA 7, 9–16, 18, 20, 28, 30, 33, 35–40, 43, 48, 51–59, 62, 74f., 81, 90, 99, 102, 106, 112, 116, 122, 124, 126, 129, 130– 134, 136, 138–141, 144–147 van’t Hoff, Jacobus Henricus 17f., 74, 85 Vererbung/Vererbungslehre 49, 116, 142 Verflechtungsgeschichte 11 Vergemeinschaftung 25 Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 45, 80, 142 Verstädterung 22 Verworn, Max 108 Viëtor, Carl 136 Vitalismus 54 Voigt, Woldemar 135 Vorlesungen über Naturphilosophie (siehe Wilhelm Ostwald) 20, 100, 134 Vries, Hugo de 27, 35, 90, 94 Wakeman, Alfred J. 96 Wakeman, Thaddeus Burr 116 Waldeyer, Wilhelm 39 Warburg, Otto 66 Washington D.C. 6, 38, 66, 79, 102, 115, 140 Weltanschauung 8, 20, 44f., 47, 53, 143, 147f. Weltausstellung 14, 35, 80, 94 Weltdeutsch 56, 142 Weltkongress 10, 134 Weltkriegsforschung 11, 12 Weltorganisation der Chemiker 10, 114 Wertekanon, bürgerlicher 53

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Personen- und Sachregister

Weyl, Walter Edward 129 Wheeler, Benjamin Ide 15, 75, 76–78, 80, 83, 85, 87, 89, 105, 111, 136 Whitman, Charles Oris 14 Wiedemann, Gustav 17 Wiener Kreis 49 Wilhelm II. 38f., 56, 125 Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft 11 Willensphilosophie 13 Wissensproduktion 18, 46 Wistar Institute 112 Wolff, Ludwig 101

Woodbridge, Frederick J. E. 136 Würzburg 13, 85, 89f., 133, 141 Young, Stewart Woodford 78, 80f., 89 Zäsur 54, 65 Zivilbevölkerung 55f. Zivilisation 54 Zoologische Station Neapel (Stazione Zoologica di Napoli) 13f., 133, 147 Zuntz, Nathan 13, 60, 113, 133

Wie wirkte sich der Erste Weltkrieg auf die Wissenschaft aus? Christoffer Leber erzählt erstmals die Geschichte einer bewegten Brieffreundschaft zweier Wissenschaftler, die im Ersten Weltkrieg zum Erliegen kam. Der deutsch-jüdische Biologe Jacques Loeb (1859–1924) und der Leipziger Chemiker Wilhelm Ostwald (1853–1932) pflegten um 1900 eine intensive Brieffreundschaft – zwischen Berkeley und Leipzig, zwischen New York und Großbothen. In ihren Briefen berichteten Loeb und Ostwald über Durchbrüche und Schaffenskrisen, über kultu-

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relle Unterschiede dies- und jenseits des Atlantiks, über ihren Kampf für eine wissenschaftliche Weltanschauung und den politischen Stimmungswandel nach 1914. Der Erste Weltkrieg führte schließlich zum Bruch zwischen beiden Briefpartnern: Die politischen Gräben wurden unüberbrückbar. Wer sich mit der Geschichte der Lebenswissenschaften, den transatlantischen Beziehungen um 1900 und der Geschichte des Ersten Weltkriegs auseinandersetzt, findet in dieser Edition reiches Quellenmaterial.

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