Todeslandschaften der Seele: Psychopathologie, Psychodynamik und Psychotherapie der Schizophrenie [6 ed.] 3525456662, 9783525456668


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German Pages 326 [329] Year 2003

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
A. Psychopathologie der Schizophrenie
I. Geschichtliches
II. Zur Begriffsbestimmung
III. Die primären Symptome der Schizophrenie
A ) Die Spaltung
B) Der Autismus
C) Athymie (Tanzi; Lugaro; Cerletti)
IV. Die Austragung der primären Symptome in der gesamten Welt des Kranken
1. Der schizophrene Wahn
2. Halluzinationen
3. Entdifferenzierung (Searles)
4. Der Leib in der Schizophrenie
V. Schlußbetrachtungen: Psychopathologie der Schizophrenie im Spiegel unserer Reaktionen
B. Psychodynamik der Schizophrenie
I. Einführung
II. Schizophrenie als negative Existenz
1. Die negative Identität
2. Todeslandschaften
3. Die Leih-Existenz
4. Schizophrene »Objektivierung« und der Beeinflussungswahn
5. Der reifizierende Blick — oder die Sage von der Medusa
6. Der Selbsthaß als Folge der negativen Existenz
7. Die Welt und das Ich als gegenseitige Negation in der Psychose
8. Die schizophrene Regression
III. Depersonalisation und Derealisation
1. Depersonalisation
2. Raum und Zeit in der Schizophrenie
3. Die Derealisation
IV. Beteiligung des Ich und Überich am schizophrenen Prozeß
1. Das Problem der Desorganisierung im Lichte des psychoanalytischen Denkmodells der psychischen Instanzen
2. Differentielle Destrukturierung
V. Die Leiblichkeit
1. Phänomenologie des Körpererlebens bei schizophrenen und Borderline-Patienten
2. Metapsychologische Gesichtspunkte über die Deneutralisation der Triebe
3. Veränderungen im Bereich der koenästhetischen Empfindungen
VI. Verwandlungen der schizophrenen Welt
VII. Das Problem der Identität
1. Die Selbstidentität des schizophrenen Patienten
2. Identitätskonfusion im Übertragungsgeschehen
VIII. Die Symbolbildung in der Schizophrenie
1. Grenzverwischungen
2. Konkretisierungsphänomene
IX. Schizophrene Wahnbildungen
1. Der Verfolgungswahn
2. Die paranoide Allmacht
3. Der Liebeswahn
4. Der ekstatisch-religiöse Wahn und die negative Halluzination
5. Schizophrene Abwehrlosigkeit im Wahn
6. Der Wahn als ein Rekonstruktionsversuch von Realität
X. Ambivalenz und Negativismus
1. Die Ambivalenz
2. Der Negativismus
XI. Aggression und Suizid
1. Die Aggression
2. Die Suizidproblematik
XII. Grenzpsychotische Krankheitsbilder
1. Grenzpsychose und Schizophrenie
2. Erörterung der vorliegenden psychiatrischen Literatur über Borderline-Störungen
XIII. Die Psychogenese der Schizophrenie in der Sicht des heutigen Forschungsstandes
1. Das Problem der psychischen Kausalität in der Genese der Schizophrenie
2. Vorbehalte gegenüber dem psychogenetischen Konzept; die Rolle der Kausalität in der Psychotherapie
C. Psychotherapie der Schizophrenie
I. Die Dialektik zwischen objektivierendem Verständnis und Identifikation
1. Das Erleben zu Beginn der Therapie
2. Das Verständnis
3. Die Identifikation
II. Was ist »Realität« in der Psychotherapie der Schizophrenie?
III. Das Mit-dem-Patienten-Sein als therapeutische Antwort auf die negative Existenz
IV. Die Introjektion des Patienten durch den Therapeuten
V. Transitivismus und Appersonierung als Formen der Identifikation in der Psychotherapie
VI. Der Therapeut als Übergangsobjekt
VII. Der interpsychische Metabolismus
VIII. Die Identifikation des Therapeuten mit seinem Patienten
IX. Die Identifikation des Patienten mit seinem Partner
X. Die Osmose zwischen Patient und Therapeut
XI. Neuauflage der symbiotischen Beziehung in der positiven Übertragung
XII. Gegenübertragung und Gegenidentifikation
XIII. Der therapeutische Fortschritt im Gewand der Psychopathologie
1. »Konkretisierung« der Einsicht im Wahn
2. Umwandlung der Psychopathologie durch den Therapeuten
3. Umwandlungen des Unbewußten
XIV. Psychotherapie der Depersonalisation
XV. Der Beeinflussungswahn in der Psychotherapie
XVI. Die schizophrene Halluzination in der Psychotherapie
XVII. Die Wahnidee in der Psychotherapie
XVIII. Schizophrene Aggression im Bezugsrahmen der Psychotherapie
XIX. Selbst- und Fremdzerstörung
XX. Die symbolische Realisierung
XXI. Die dialektische Antwort auf die Aggressivität des Patienten
XXII. Psychotherapie der Schizophrenie als Grenzsituation menschlicher Begegnung
XXIII. Der Traum in der Psychotherapie der Schizophrenie
XXIV. Die therapeutische Wertung verdrängter positiver Inhalte: Das Anreichern der vom Kranken berichteten Erlebensweisen
XXV. Dialektik zwischen Analyse und Toleranz der Abwehr
XXVI. Der Innenraum der Schizophrenietherapie: die Dialektik zwischen Nähe und Distanz
XXVII. Psychotherapeutische Variationen über den depressiven Schizophrenen
XXVIII. Der postpsychotische Patient
XXIX. Die individuelle Therapie der Psychosen als psychiatrisches Problem
XXX. Schlußfolgerungen
1. Die therapeutische Beziehung
2. Die Struktur der Deutung und der Übertragung in der psychotherapeutischen Behandlung
3. Die Integration der therapeutischen Person in die Psychopathologie des Kranken
XXXI. Rück- und Ausblick
Literatur
Personenregister
Sachregister
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Todeslandschaften der Seele: Psychopathologie, Psychodynamik und Psychotherapie der Schizophrenie [6 ed.]
 3525456662, 9783525456668

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V&R

Für Hanni Benedetti

Gaetano Benedetti

Todeslandschaften der Seele Psychopathologie, Psyehodynamik und Psychotherapie der Schizophrenie

Sechste Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Aus dem Italienischen übersetzt von Paul Rychner

Titel der italienischen Originalausgabe: Alienazione e personazione nella psicoterapia della malattia mentale.

Bibliografische Informationen Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-45666-2

6. Auflage 2003 © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1983 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Satz: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Das vorliegende Buch faßt meine mehr als dreißigjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychotherapie der Schizophrenie zusammen. Darunter verstehe ich sowohl meine eigenen Erfahrungen wie auch die­ jenigen, die ich durch die Supervisionen bei Dutzenden von Kollegen und Hunderten von Fällen gewonnen habe. Diesen allen namentlich zu danken ist mir nicht möglich; sie seien hier in dieser Form meiner Dankbarkeit versichert. In besonderer Weise möchte ich Herrn Paul Rychner danken, der weder Zeit noch Mühe gescheut hat, um den italienischen Text zu übersetzen. Von einer katamnestischen Verwertung meiner Fälle habe ich bewußt abgesehen. Ich weiß aber, daß mindestens drei Viertel der behandelten Kranken, darunter viele chronische, geheilt oder doch stark gebessert sind. Auch haben sich Heilungen und Besserungen auf lange Sicht dauerhafter erwiesen als spontane oder somatisch induzierte Resultate. Ich bin der Meinung, daß eine ausführliche katamnestische Arbeit weniger bedeuten würde als die vorliegende Darstellung der fundamentalen Richtlinien und Ansichten. Bleibt doch die Psychotherapie ohnehin wegen des zeitlichen Aufwandes, den jeder Patient beansprucht, eine in Zahlen weniger ergie­ bige Arbeit; ergiebig ist vielmehr das Aufzeigen menschlicher Horizonte innerhalb der Geisteskrankheit. Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Während der dritte Teil sich mit der eigentlichen Psychotherapie befaßt und der zweite Teil sich mit den sich aus dieser Psychotherapie ergebenden psychodynamischen Überle­ gungen beschäftigt, ist dèr erste Teil der Psychopathologie der Schizophre­ nie gewidmet. Diesen Teil, der in der italienischen Ausgabe nicht vorhan­ den ist, habe ich neu verfaßt; dafür ist der Text der beiden anderen Kapitel etwas gekürzt. Dem Leser wird es auffallen, daß der psychopathologische Teil sowohl in der Anzahl der Seiten wie in seinen Formulierungen knapp gehalten ist. Definitionen und Schemata überwiegen im Vergleich zu den ins Detail gehenden Schilderungen der beiden anderen Teile. Der Kontrast ergibt sich aus der Sache selbst: Psychopathologie ist Schau des Kranken aus der Beobachtung, Psychotherapie indessen aus der Identi­ fikation mit ihm. Und doch gehen dieselben Begriffe von einem Teil zum anderen über. Besonders im Abschnitt über die kommunikative Psychopathologie wird gezeigt, wie sehr diese aus dem Geist der Psychotherapie hervorgeht. Diese Ansicht vom Wesen der Psychopathologie habe ich vor allem in der Zusammenarbeit mit meinem Lehrer Manfred Bleuler gewonnen, der mir mit seiner Liebe zu den Kranken Vorbild war. In vielen Gesprächen mit Freunden wie Martti Siirala, Allan Johansson, Christian Scharfetter und Mario Isotti habe ich sie bestätigt gefunden und weiter entwickelt. 5

Mir scheint, daß die Darstellung der Psychopathologie und Psychothe­ rapie in einem Buch beweist, daß es heute möglich ist, im selben Geiste bei­ des zu erfassen, das Abnorme, wie auch das Unsrige in ihm. Dies war mir in dem vorliegenden Buch ein zentrales Anliegen. Die »To­ deslandschaften der Seele« sind im Grunde genommen im Ansatz auch die unseren, und die eigene Bewältigung der Existenz ist unsere Hoffnung für den Geisteskranken.

Zu dem Umschlagbild »Der Wahnsinn« (gemalt von einer schizophrenen Patientin): »Sie sehen ihn, diesen Wahnsinn, wie die Patientin ihn gemalt und mit den Worten kommen­ tiert hat: >Man braucht ihm nur ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, daß er von den letzten Dingen kündet.< Er schreitet in einer Feuerlandschaft, über glühende Steine, am armen, sich am Boden wälzenden Ich der Kranken vorbei. Doch - die blaue Träne, in welcher die weiße Kranke gefangen erscheint, verwandelt das schwarze Kleid des Wahnes in ein blaues; der Todesengel vertritt somit in seiner progressivem Körperhälfte dieselbe unschuldige weiße Farbe wie die Kranke, die Steine der Zukunft werden vor seinem Fuße bunt. Diese Kranke spürt, wie sie durch ihren Wahnsinn in eine >Grenzsituation< der Existenz kommt, welche früher, vor der Erkrankung, für sie eine bloße Anpassung an eine >Pseudonormalität< gewesen war. Nun trägt der Wahnsinn in ihren Augen eine Fackel der Wahrheit in der Hand, deren Widerschein den schwarzen Flügel golden werden läßt, wobei sie meint, daß erst die menschlichen Worte des Psychotherapeuten diese Fackel angezündet hätten.« (Aus der Rede G. B enedetiis anläßlich der Verleihung des J acob B urckhardt-P reises durch die Universität Basel am 13. Juni 1981, abgedruckt in einer Veröffentlichung der JohannWolfgang von Goethe-Stiftung zu Basel)

6

Inhalt A . P s y c h o p a th o lo g ie d e r S c h iz o p h re n ie .............................

11

I. Geschichtliches ...................................................................

13

II. Zur Begriffsbestimmung.....................................................

14

III. Die primären Symptome der Schizophrenie ........................

16

A) Die Spaltung................................................................................................. B) Der Autismus .............................................................................................. 1. Eigenweltlichkeit .......................................................................................... 2. Ausdrucksunfähigkeit ................................................................................. 3. Selbstverborgenheit ..................................................................................... C) Athym ie.......................................................................................................... 1. Passivierung................................................................................................... 2. Devitalisierung.............................................................................................. 3. Negativismus .................................................................................................

17 22 24 25 26 28 28 29 30

IV. Die Austragung der primären Symptome in der gesamten Welt des K ranken.................................................................. 31 1. Der schizophrene Wahn ............................................................................... 2. Halluzinationen ............................................................................................ 3. Entdifferenzierung ........................................................................................ 4. Der Leib in der Schizophrenie......................................................................

31 36 37 38

V. Schlußbetrachtungen: Die Psychopathologie der Schizo­ phrenie im Spiegel unserer Reaktionen ............................... 40

B . PSYC H O DY NA M IK DER SCHIZOPH RENIE

................................................

43

I. Einführung .......................................................................... 45 II. Schizophrenie als negative Existenz .................................. 48 1. Die negative Identität ................................................................................. 2. Todeslandschaften........................................................................................ 3. Die Leih-Existenz ........................................................................................ 4. Schizophrene »Objektivierung« und der Beeinflussungswahn................ 5. Der reifizierende Blick-oder die Sage von der Medusa ....................... 6. Der Selbsthaß als Folge der negativen Existenz ...................................... 7. Die Welt und das ich als gegenseitige Negation in der Psychose .............. 8. Die schizophrene Regression ...............................

48 51 52 55 59 60 64 66

III. Depersonalisation und Derealisation ................................

67

1. Depersonalisation ........................................................................................ 2. Raumund Zeit in der Schizophrenie..........................................................

67 70

7

3. Die Derealisation ...................................................................................... 4. Die Fragmentierung der Objekte ............................................................... IV .

71 73

B e te ilig u n g d e s Ich u n d U b e r ic h am sc h iz o p h r e n e n P r o z e ß .

75

1. Das Problem der Desorganisierung im Lichte des psychoanalytischen Denkmodells der psychischen Instanzen ................................................... 2. Differentielle Destrukturierung .................................................................

75 81

D ie L e i b l i c h k e i t .......................................................................................

84

V.

1. Phänomenologie des Körpererlebens bei Schizophrenen und Borderline-Patienten ............................................................................................... 2. Metapsychologische Gesichtspunkte über die Deneutralisation der T rieb e.............................................................................................................. 3. Veränderungen im Bereich der koenästhetischen Empfindungen .........

89 90

V e r w a n d lu n g e n d er sc h iz o p h r e n e n W e lt ...................................

91

D a s P r o b le m d e r Id e n titä t

.................................................................

95

1. Die Selbstidentität des schizophrenen Patienten ...................................... 2. Identitätskonfusion im Ubertragungsgeschehen ......................................

95 100

D ie S y m b o lb ild u n g in d er S c h iz o p h r e n ie ...................................

102

V I. V II.

V III.

84

1. Grenzverwischungen .................................................................................... 103 2. Konkretisierungsphänomene ...................................................................... 105 IX .

S c h iz o p h r e n e W a h n b ild u n g e n 1. 2. 3. 4. 5. 6.

X.

........................................................ 106

Der Verfolgungswahn ................................................................................. Die paranoide Allmacht ............................................................................. Der Liebeswahn ........................................................................................ Der ekstatisch-religiöse Wahn und die negative Halluzination .............. Schizophrene Abwehrlosigkeit im Wahn .................................................. Der Wahn als ein Rekonstruktionsversuch vonRealität .......................... A m b iv a le n z u n d N e g a tiv ism u s

109 110 112 114 116 118

........................................................ 121

1. Die Ambivalenz ............................................................................................. 121 2. Der Negativismus .......................................................................................... 127 X I.

A g g r e s s io n u n d S u izid

.......................................................................... 128

1. Die Aggression ............................................................................................... 128 2. Die Suizidproblematik ................................................................................. 130 X II.

G r e n z p s y c h o tis c h e K r a n k h e itsb ild e r

..........................................

133

1. Grenzpsychose und Schizophrenie ............................................................. 133 2. Erörterung der vorliegenden psychiatrischen Literatur über Borderline-Störungen ............................................................................................. 136 X III.

D ie P s y c h o g e n e s e d er S c h iz o p h r e n ie in d er S ic h t d e s h e u tig e n F o r sc h u n g ss ta n d e s ................................................................ 140 1. Das Problem der psychischen Kausalität in der Genese der Schizo­ phrenie.............................................................................................................. 141 2. Vorbehalte gegenüber dem psychogenetischen Konzept; die Rolle der Kausalität in der Psychotherapie .................................................................. 148

8

C . P sy c h o t h er a pie

d er

S c h iz o p h r e n ie

I. Die Dialektik zwischen objektivierendem Verständnis und Identifikation ........................................................................... 1. Das Erleben zu Beginn der Therapie ............................................... 2. Das Verständnis ......................................................................... 3. Die Identifikation........................................................................

157

159 159 166 172

II. Was ist »Realität« in der Psychotherapie der Schizophrenie? ........................................................................ 178 III. Das Mit-dem-Patienten-Sein als therapeutische Antwort auf die negative E x istenz......................................................... 188 IV. Die Introjektion des Patienten durch den T herapeuten....... 192 V. Transitivismus und Appersonierung als Formen der Identi­ fikation in der Psychotherapie ................................................ 194 VI. Der Therapeut als Ubergangsobjekt ................................... 196 VII.

Der interpsychische Metabolismus ..................................... 198

VIII.

Die Identifikation des Therapeuten mit seinem Patienten .. 199

IX. Die Identifikation des Patienten mit seinem Partner ...........202 X. Die Osmose zwischen Patient und T h e ra p e u t....................... 204 XI. Neuauflage der symbiotischen Beziehung in der positiven Übertragung ............................................................................... 206 XII. Gegenübertragung und Gegenidentifikation ....................... 209 XIII. Der therapeutische Fortschritt im Gewand der Psycho­ pathologie ...................................................................................211 1. »Konkretisierung« der Einsicht im Wahn ..........................................211 2. Umwandlung der Psychopathologie durch den Therapeuten..................215 3. Umwandlungen des Unbewußten .................................................... 220 XIV. Psychotherapie der Depersonalisation .................................... 223 XV. Der Beeinflussungswahn in der Psychotherapie ..................226 XVI. Die schizophrene Halluzination in der Psychotherapie . . . . . 227 XVII. Die Wahnidee in der Psychotherapie ....................................229 XVIII.

Schizophrene Aggression im Bezugsrahmen der Psychotherapie ..........................................................................240 9

XIX. Selbst- und Frem dzerstörung................................................. 242 XX. Die symbolische Realisierung ................................................245 XXI.

Die dialektische Antwort auf die Aggressivität des Patienten .................................................................................... 246

XXII.

Psychotherapie der Schizophrenie als Grenzsituation menschlicher Begegnung ......................................................... 247

XXIII. Der Traum in der Psychotherapie der Schizophrenie ............. 249 XXIV. Die therapeutische Wertung verdrängter positiver Inhalte: Das Anreichern der vom Kranken berichteten Erlebens­ weisen ..........................................................................................254 XXV. Dialektik zwischen Analyse und Toleranz der A b w e h r.....263 XXVI.

Der Innenraum der Schizophrenietherapie: die Dialektik zwischen Nähe und Distanz ......................................................267

XXVII.

Psychotherapeutische Variationen über den depressiven Schizophrenen ........................................................................... 272

XXVIII.

Der postpsychotische P a tie n t..................................................284

XXIX.

Die individuelle Therapie der Psychosen als psychiatrisches Problem ...................................................................................... 287

XXX. Schlußfolgerungen ..................................................................291 1. Die therapeutische Beziehung........................................................................291 2. Die Struktur der Deutung und der Übertragung in der psychothera­ peutischen Behandlung ................................................................................... 293 3. Die Integration der therapeutischen Person in die Psychopathologie des Kranken ..................................................................................................... 297

XXXI.

Rück-und Ausblick ................................................................ 301

L ite ratu r........................................................................................................ 312 Personenregister .......................................................................................... 320 Sachregister ............................................................................................... 322

Umschlagbild: »Der Wahnsinn« (gemalt von einer schizophrenen Patientin)

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A. Psychopathologie der Schizophrenie

I. Geschichtliches »Die Gruppe der Schizophrenien« (nach der Terminologie E. B l e u l e r s ) war noch im letzten Jahrhundert gänzlich unerkannt: Krankheitsbilder wie die Katatonie (nach K a h l b a u m ), die Hebephrenie (nach H e c k e r ) und die akute Paranoia schienen nichts Gemeinsames zu haben. Unter dem Begriff Dementia praecox faßte sie K r a e p e l in 1896 zu einer Krankheitseinheit zu­ sammen. Nicht nur die Möglichkeit des Abwechselns katatoner, paranoider und hebephrener Syndrome beim gleichen Patienten, sondern vor allem der bis in die Jugend zurückreichende Beginn der Krankheit und ihr infauster Verlauf rechtfertigten die Annahme K r a e p e l in s , daß ein und dieselbe stoffwechselpathologische Störung der alternierenden Symptomatologie zugrunde liegen müsse. Seit der Beobachtung K r a e pe l in s ist nahezu ein Jahrhundert verflossen, ohne daß eine weiterführende Dokumentation der Krankheit gelungen wäre. Aber selbst die grundlegenden klinischen Kriterien von K r a e pe l in erwiesen sich im Laufe der Jahre bald als fraglich: Die Krankheit trat zwar sehr häufig, aber doch nicht immer in der frühen Jugend auf. Manchmal kam sie viel später zum Ausbruch, womöglich erst nach dem 40. Lebens­ jahr (Spätschizophrenie). Sie hatte zwar grundsätzlich eine ernste Progno­ se, heilte aber gelegentlich aus; schließlich behielt sie bei einzelnen Kran­ ken nicht selten gleichbleibende symptomatologische Züge, wie die des Paranoids oder auch der Hebephrenie, ohne jegliche Demenz. Doch hatte K r a epe lin trotz der begrifflichen Unzulänglichkeit eine psychopathologische Achse des Leidens erfaßt, um die sich heute noch einst unzusammenhängende Symptome gruppieren. Erst einige Jahre später ge­ lang es E. B l e u l e r , auf der Ebene der psychopathologischen Struktur ein Bindeglied zu erkennen. Wenn auch seine mittlerweile berühmt gewordene Unterscheidung zwischen den primären Symptomen der vermuteten Grundstörung und den sekundären (psychologischen) Reaktionen der Psy­ che auf das Erleben der Krankheit fraglich geworden ist, dokumentiert doch die heute allgemein anerkannte Krankheitsbezeichnung Schizophre­ nie (oxiÇu) = spalten, cppriY = Seele) oder Spaltungsirresein das Fortbeste­ hen des am Begriff Wesentlichen: Der Strukturzusammenhang der Persön­ lichkeit geht in der Krankheit verloren. Denken, Affekt und Erleben sind sowohl voneinander wie auch im Zusammenhang ihrer Komponenten ge­ spalten. Ein zweites Verdienst E. B l e u l e r s war die Einführung der psychodyna­ mischen Denkweise in die Psychopathologie: Er war der Meinung - und diese Annahme erscheint heute noch als die richtigste-, die psychodynami­ sche Betrachtungsweise finde ihre Rechtfertigung darin, daß der Kranke in­ folge gewisser primärer, funktioneller Insuffizienzen nicht imstande sei, mit seiner Welt zurechtzukommen. 13

Des weiteren entdeckte E. B l e u l e r , daß Schizophrenie sich oft auf der Grundlage einer in die gleiche Richtung weisenden, »schizoiden« Persön­ lichkeitsentwicklung manifestiert. Heute wissen wir freilich, daß neben der schizoiden auch andere Charakterarten in eine Schizophrenie einmünden können (M. B l e u l e r ). Geblieben ist aber doch die wesentliche Einsicht, daß die Krankheit oft aus einer Persönlichkeitsentwicklung hervorgeht wie das später insbesondere auch K retschm er betont hat. Freilich ist die psychotische Phase dieser Entwicklung denkformal so neuartig, daß K. S c h n e id e r , J a sper s und andere keine fließenden Übergänge zwischen der Schizophrenie und der präpsychotischen Lebensentwicklung zu sehen ver­ mochten.

II. Zur Begriffsbestimmung Wir sind mit M. B l e u l er (1972) der Auffassung, daß psychische Störun­ gen, die sich schon im frühesten Kindesalter nachweisen lassen, nicht zu den eigentlichen Schizophrenien gehören*, weil diese erst im späteren Lebens­ verlauf beginnen. Psychosen, die sich in erkennbar engem Zusammenhang mit körperlichen Krankheiten entwickeln, sind nicht den Schizophrenien zuzurechnen, ebensowenig wie die Psychosen mit einem amnestischen Psy­ chosyndrom und solche, die mit Verarmung und Entdifferenzierung des in­ tellektuellen Lebens einhergehen. Schizophrenien sind Auseinanderset­ zungen mit dem Leben, die nie in Zuständen enden, die mit hirnorganischer Demenz vergleichbar wären, weil sie »durch das erstaunliche Nebeneinan­ der von grob psychotischem und gesundem psychischen Leben, die dop­ pelte Buchführung, gekennzeichnet sind« (M. B l e u l e r ). Schizophrenien lassen sich als einheitliche Gruppe (E. B l e u l e r , 1911) auffassen und zeich­ nen sich durch charakteristische Grundzüge der Psychopathologie aus. Der Suche nach »primären Symptomen« in der schizophrenen Psychopatholo­ gie lag die Vorstellung zugrunde, daß es direkte Anzeichen des vermuteten Prozesses geben könnte, welche sich von den psychopathologischen Reak­ tionen des Patienten auf sein Leiden, also von den psychologisch verstehba­ ren, »sekundären« Symptomen genetisch unterscheiden würden. Wie M. B le u l er mit Recht hervorhebt, hat sich diese erstmals von E. B le u l e r ver­ suchte Unterscheidung zwischen primären und sekundären Symptomen bewährt: Weite Gebiete der schizophrenen Psychopathologie, die E. B le u l e r zum größten Teil als sekundärer, d.h. psychoreaktiver Natur be* Nach den jüngeren Forschungen von L utz (1970) kann man annehmen, daß Schizophre­ nien vor der Pubertät selten auftreten und typische Schizophrenien in diesem Alter nicht Vor­ kommen. »Zur Entstehung einer Schizophrenie bildet ein entwickeltes geistiges Leben eine Voraussetzung« (M. B leuler). Freilich lassen sich Leidensschicksale von schizophrenen Er­ krankungen bis in die Kindheit zurück verfolgen.

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trachtete, sind zu Kanälen unseres Bemühens geworden, schizophrene Kranke zu verstehen. Ihre Symptome werden also nach Möglichkeit als Folge von psychologischen Vorgängen verstanden, die, wie alles Psycholo­ gische, nicht faßbar wären ohne unseren Nachvollzug, ohne unsere Teil-Identifizierung mit dem Erleben der Patienten, ohne eine Humanisier rung des Leidens. In theoretischer Hinsicht ist aber der Begriff der primä­ ren Symptome fragwürdig geworden. Die Hoffnung, daß sich von seiten der Neurophysiologie oder der Biochemie neue Gesichtspunkte ergeben könn­ ten, hat sich bis heute nicht erfüllt. Der Stand der Forschung hat sich also seit 1911 nicht wesentlich verändert. Da es bisher nicht gelungen ist, die oft vermutete biologische Grundlage der primären Symtome zu bestätigen, ist in der Schizophrenieforschung immer wieder der Versuch unternommen worden, das Wesen der schizo­ phrenen Grundstörung psychopathologisch zu erfassen (Hypotonie des Be­ wußtseins, B e r ze 1914; intrapsychische Ataxie, S t r a n sk y , Störung im Ak­ tivitätshaushalt, G r u h l e 1932; geschwächte Spannweite des intentionalen Bogens, B e h r in g e r ; Reduktion des energetischen Potentials, H u b e r 1961; Symptome ersten Ranges, K. S c h n e id e r 1957; Symptomverbände, C. S c h n e id e r 1942; Knick in der Vitalitätskurve, R e ic h a r d t ; Störung der Ich-Aktivität, -Vitalität, -Konsistenz, -Identität, S charfetter 1976). Andere Forscher haben versucht, das spezifisch Schizophrene weniger in grundlegenden psychopathologischen Vorgängen als vielmehr in Merkma­ len zu erfassen, die sich auf verschiedenen Ebenen und in allen Wesensäu­ ßerungen der Kranken manifestieren. (Ich verweise auf Begriffe wie »Ver­ lust der Ordnung« von K isk e r ; »Standeseinbuße« von K u l e n k a m p f f ; »Entgrenzung«, »Entbehrung«, »Verlust der praeindividuellen Verbun­ denheit« von Z u t t ; »Mißglücktes Dasein« von B in s w a n g e r 1957). Ange­ sichts so vieler Modelle, die dann noch in die Verlegenheit kommen, die atypischen Formen, die Grenzfälle und die pseudoneurotischen Schizo­ phrenien irgendwo einzureihen, ist die Frage nach der Krankheitseinheit immer wieder diskutiert worden: Man hat sie in den unifizierenden Zügen der Psychopathologie gesucht. C onrad hat z. B. mit Hilfe der Gestaltanalyse von K. L ewin die Krankheitsein­ heit im einheitlichen Gestaltswandel des schizophrenen Erlebens gesehen. Der Kernpunkt schizophrenen Erlebens liegt seines Erachtens im abnormen Bedeu­ tungsbewußtsein. Der Beziehungswahn erscheint dann als »Anastrophe«, d.h. als das ständige Erleben des Kranken, alles drehe sich um ihn und er stehe im Mittel­ punkt der Welt. Dieses Erleben verbindet sich wiederum mit der schizophrenen Un­ fähigkeit, das eigene Bezugssystem zu ändern und sich den wechselnden Situationen anzupassen (»Überstieg«).

M. B l e u l er (1972) definiert das Wesen der Krankheitseinheit so: Die primären Symptome wie Spaltung und Autismus sind als zwei Seiten ein und desselben Vorganges anzusehen. Eine weitere Auseinandersetzung innerhalb der Psychopathologie 15

drehte sich um das Problem, welcher Platz der Persönlichkeit, ja der Inner­ lichkeit des Kranken einzuräumen sei. Die Diskussion begann schon im Be­ reich der Konstitutionsforschung: Entwickelt sich die Schizophrenie aus der Schizothymie, wie es uns E. K retschm er nahelegte, oder bricht sie aus einem außerhalb des Charakters liegenden Grund ins Bewußtsein ein, wie dies K. S c h n e id e r meinte? Während für Autoren wie S c h n e id e r oder C o n r a d die individuelle Lebensgeschichte vor dem unpersönlichen Ge­ schehen zurücktritt, versuchen die phänomenologisch-anthropologisch ausgerichteten Autoren die schizophrene Innerlichkeit als innere Historie zu erfassen, also in der Vorgeschichte der Patienten alle Formen spezifisch schizophrener Weltzuwendung und Lebensmodi nachzuweisen, z.B. die »Entschränkung der Weltoffenheit« ( Z ut t ) oder die schizophrene Wehrlo­ sigkeit als ein abnormes Offensein für kommunikative Erlebnisse. D iese Betrachtungsweise rückt freilich in eine gew isse N ähe der psychoanalyti­ schen Auffassung; mit dem U nterschied jedoch, daß letztere in der Vorgeschichte der Kranken nicht etwa Daseinsstrukturen sieht, sondern psychodynam ische U rsa­ chen des Leidens vermutet (z.B . die »Ichschwäche«; die »Pseudomutualität« [W ynne ], usw .).

Wenn die Gefahr der formal-deskriptiven Psychopathologen immer wie­ der die gewesen ist, die Innerlichkeit des Kranken über der Annahme eines Krankheitsprozesses zu vernachlässigen, so läuft die phänomenologische und psychoanalytische Psychopathologie Gefahr, einzelne Gesichtspunkte in der Begegnung mit dem Kranken hervorzuheben, und sie dann zu einer Theorie zusammenzufassen. Unabhängig von solchen Versuchen zum psychopathologischen Wesen der Krankheit vorzustoßen, bestehen auch Bestrebungen, die statistische Errechenbarkeit der einzelnen Symptome in einem Ordnungsschema un­ terzubringen. In der »International Classification of Disease« der WorldHealth-Organisation werden schizophrene Symptome in einer standardi­ sierten Weise erhoben (»present state examination scale«, »Catego Pro­ gramm«, W in g ; »International Pilot Study for Schizophrenia«). Die in der vorliegenden Arbeit dargestellte Psychopathologie der Schi­ zophrenie beruht auf der langjährigen klinischen Erfahrung des Autors im Kontext der Tradition der Zürcher Schule und unter Berücksichtigung der fundamentalen Literatur.

III. Die primären Symptome der Schizophrenie Die primären Schizophreniesymptome stammen aus einem intrapsychi­ schen Geschehen, dessen Ursache ohne Umwelt nicht denkbar wäre, wobei eine besondere Verarbeitung dieser Umwelt in Zusammenhang mit der Person des Kranken steht. 16

Wir verstehen diese Primärsymptome nicht als etwas, das, unabhängig von psychologischen Reaktionen, d.h. etwa biologisch, bedingt wäre; viel­ mehr gehen sie, wie alle übrigen psychopathologischen Erscheinungsfor­ men der Krankheit auch, aus einer Verschmelzung von Intrapsychischem und Psychoreaktivem hervor. Sowohl durch ihr gehäuftes Auftreten, wie auch durch ihre Eignung, die gesamte Veränderung der Person wiederzu­ geben, erlangen sie indessen eine fundamentale diagnostische Wertigkeit. Im Vergleich zu den akzessorischen erfassen die primären Symptome in gleichem Maße Trieb, Ich und Uberich, Ideation, Affektivität und Verhal­ ten des Kranken. A ) Die Spaltung [Synonyme und Definitionen: »Inkohärenz« ( Z ie h e n 1894); »Sejunktion« (W ernicke 1900*); »Widersprüche und starre Alternativen der Erfah­ rung«, bis zur »Zerrissenheit der Welt« ( B in sw a n g e r 1958)] Spaltung ist »auf psychischem Gebiet das primärste eigentlich schizo­ phrene Symptom«, »eine elementare Schwäche in der Zusammenarbeit der Funktionen, sowohl in der Integration der Gefühle und der Triebe, wie in den Assoziationen im engeren Sinne« (E. B le u l e r 1930). Hier werden spätere Begriffe wie »Ichschwäche«, von amerikanischen und psychoanaly­ tischen Autoren verwendet, um fünfzig Jahre vorausgenommen. Schizo­ phrene Spaltung erscheint uns in den drei Varianten dev gespaltenen Iden­ tität, des Kohärenzverlustes der Person und der Ichentgrenzung. Diese drei Aspekte sind Facetten ein und desselben Vorgangs, der je nach dem Ge­ sichtspunkt des Beobachters ganz verschieden akzentuiert sein kann. 1. Gespaltene Identitätsbildung. Der Kranke erlebt sich entzweit oder so­ gar fragmentiert; er spürt in seinem Innern verschiedene Personen (»Stim­ men«, »außersinnliche Mächte«, »innere Automaten« usw.), die über ihn verhandeln, Todesurteile über ihn fällen, ihn gräßlich auslachen. Der Kranke weiß mit einer furchtbaren inneren Evidenz sofort, daß er diesen Teilpersonen (die ihm wegen der gleichzeitigen Ichentgrenzung oft als ob­ jektive Weltaspekte erscheinen) völlig ausgeliefert ist, da er ihnen kein Selbst gegenüberstellen kann. Dieses lebt »aus gestohlener Energie«. Der Kranke erkennt im Spiegel nicht das eigene Gesicht, sondern sieht irgend­ ein Ungeheuer, einen Totenschädel oder überhaupt nichts (»negative Hai- ( luzination«). Der fehlende »Ichvollzug« (J a s p e r s ) führt zum Erleben, daß ihm die eigenen Gedanken entzogen werden, daß er wie ein Spielball von der Umwelt beeinflußt, beobachtet, gemacht werde, daß die eigene Person * Mit einem die ganze zukünftige Lehre vorausnehmendem Satz sagte W ernicke: »Der Pa­ tient besteht gewissermaßen gleichzeitig aus einer Anzahl verschiedener Persönlichkeiten, wir könnten seinen Zustand dreist >Zerfall der Persönlichkeit bezeichnen.«

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sich in den Wänden des Zimmers fortsetzt, daß er jemand anderer sei usw. (»negative Existenz«, B en ed ett i 1976). 2. Kohärenzverlust der Person (»Konsistenzverlust«, S charfetter 1976, intrapsychische Ataxie, S t r a n sk y ). Im Leiblichen ereignet sich der Kohä­ renzverlust, indem der Kranke sich nicht als innere Ordnung erlebt; die Körperorgane werden verschoben, Löcher und Hügel entstehen im Innern, die Geschlechtszugehörigkeit wird gewechselt. Die fortschreitende Desin­ tegration setzt sich im Erleben des Körperzerfalles fort. Auch in seinem Selbst fühlt sich der Kranke aufgelöst. Die Vergangenheit sei für ihn über­ haupt nicht gewesen, behauptet er etwa; er dürfe nicht sprechen und sich nicht bewegen, weil alles, was von ihm kommt, ein unmöglicher Anspruch auf Existenz sei; nur in der Bewegungslosigkeit komme er sich vielleicht näher. »Zuviel räumliche D inge, wirkliche Zustände nebeneinander in dem räumlichen Sein der G egenw art, so daß ich sterbe. W elt wird ungeheuer kompliziert durch das Sein, A ngst vor den D ingen, die aus dem A lten in M illionen aufsteigen, was gleich­ zeitig Vernichtung bedeutet. D as absolute C haos kom m t, keine Situation kann in ih­ rem Sinne eingeordnet w erden, verändert sich ohne bekannten A nhaltspunkt.«

Ein Patient spürt, daß seine sozial funktionierende Seite ein Automat sei, in keinem kohärenten Zusammenhang mit der Seele stehe und will nur kataton erstarren, alles andere sei falsch; ein anderer fühlt sich zwischen gött­ lichen und dämonischen Mächten hin und her gerissen; ein dritter projiziert seine abgespaltenen Ich-Teile auf Dinge und Menschen, mit denen er sich dann identifizieren muß (»projektive Identifikation«, R o s e n f e l d ) . Da gleichzeitig die Ich-Grenze »aufgerissen« ist, erleben solche Patienten die eigene Spaltung im Spiegel des anderen. Man hat solche Zustände mit vol­ lem Recht als »Depersonalisation« bezeichnet. Aber das Fehlen der Kontiguität und Kontinuität der Bewußtseinszustände äußert sich auch in einem Denken, das sprunghaft, zerfahren (E. B l e u l e r 1911), über unerwartete Seitenassoziationen, Sperrungen (Fading Mental, G u i r a u d et D e s c h a m p s 1932), Umwege, Kurzschlüsse, Ellipsen (E y 1955) artikuliert ist. Das Kon­ tinuum des Gedankenganges ist aufgelöst; die Spaltung erfaßt sowohl die Personalisation wie auch das Denken und die Affekte und drückt sich in der Gegensätzlichkeit des Wahnes aus. 3. Schizophrene Ich-Entgrenzung (Verlust der Ich-Grenze, F e d e r n ; Stö­ rung der Ich-Demarkation, S charfetter 1976). Sie entspricht der Spaltung im Bereich der Selbstabgrenzung und der Objektbeziehung. Beide Funk­ tionen fallen aus. Der Kranke »liegt für die anderen offen da«, ist »ein lee­ res Schloß, das durch alle Umstehenden besetzt wird«, »eine Leiche auf der Straße, die alle überfahren, in die alle eindringen«, »eine Schale ohne In­ halt, deren Wandung zersplittert ist, währenddessen der Innenraum durch fremde Inhalte angefüllt wird«: Ein Kranker, der sich derart ausgeliefert fühlt, ist gleichzeitig auch autistisch abgekapselt. Er kann sich nicht in eine 18

Beziehung mit den Mitmenschen setzen, die ihn besetzen, weil er kein Selbst ist. Die Entgrenzung verbindet sich also mit einer autistischen Verdichtung der Grenzen. Sie wird sichtbar in einem Denken, das von Verwechslungen, Kontaminierungen, Derivationen, Substitutionen und Interferenzen durchsetzt ist (»Faseln«, C. S c h n e id e r ). Die Umkehrung der Erfahrung von Zeit und Raum (v. G ebsattel 1939; L. B in s w a n g e r 1932-42) und die Aufhebung der Subjekt-Objektgrenze kann sich ebensogut in einem furchtbar luziden stillen Bewußtseinsfeld entwickeln, wie auch zu Angst, Agitation, Verwirrung und Stupor führen. Die Aspekte der Spaltung lassen Sich aufgrund vieler Symptome zurück­ verfolgen: Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Verwechslung von Innenund Außenwelt, die sich in den Phänomenen der Appersonierung und des Transitivismus manifestiert. Es handelt sich dabei um Introjektionen und Projektionen, die nicht wie in der Neurose nur einzelne Gedanken und Ge­ fühle betreffen, sondern das ganze Selbst- und Weltbild erfassen und somit das Erleben der Subjekt-Objektgrenze aufheben. Die Verwechslung setzt sich im intrapsychischen Raum fort; die Wahrnehmung eines Gegenstandes kann von dessen Bedeutung nicht unterschieden werden, der Gegenstand nicht vom Symbol (»Konkretisierung der Symbole«, A rieti , schon von E. B le u l er beobachtet), der Realitätsvollzug nicht von der Wunschregung, die Erinnerung an die Vergangenheit nicht vom Erleben der Gegenwart. Diese Störung, die die gesamte kognitive Differenzierung durcheinander­ wirft, setzt sich in der Affektspaltung fort: So stehen etwa die traurigen, verzweifelten Affekte im Widerspruch zur verkündeten Größe eines aufge­ blähten Selbst; oder der Kranke spricht in aller Ruhe, wie ein Weiser, von einer unvermeidlich bevorstehenden Katastrophe. Die verschiedensten sich um die Ichführung streitenden Teilidentitäten erscheinen dem analyti­ schen Auge oft als verselbständigte Komplexe, als ideale Selbstbilder oder Uberichansprüche, als Erwartung anderer Menschen, usw. Diese Spaltung bzw. Auflösung zeitigt als weiteres Charakteristikum, daß die voneinander abgespaltenen Teile im Sinne einer nachträglichen Verdichtung, Kontaminierung und Zusammenballung verschmolzen wer­ den (schizophrene Neomorphismen und Neologismen; »Wortspiele«). Wenn auch im Grenzfall der Eindruck entsteht, es handle sich dabei um schöpferisches Wirken - es sei an schizophrene Bildnereien und Kunstent­ würfe erinnert - , so weckt dieses Tun im Betrachter aber auch eine beäng­ stigende Perplexität. Wohl sieht man, wie aus dem Zerfall gestaltende Kräfte entstehen und ganze Kosmogonien, Wahnsysteme und Urbilder er­ schaffen werden, nur ist das Untergangsgeschehen unverkennbar. In der Psychotherapie tun sich aus dieser Erkenntnis freilich auch neue, großartig anmutende Kanäle der Kommunikation auf, wie sie in der Normalität nicht denkbar sind. 19

Eine dritte Folge der Spaltung ist die häufige Unfähigkeit des Kranken, sich in einer von Gegensätzen geprägten Welt zu bewegen und sich im Selbstvollzug zu entscheiden, d. h. für die eine oder andere Seite der Dinge zu optieren und menschlich Ambivalentes zu überwinden. Die Ambivalenz gehört zu einem der bekanntesten Begriffe von E. B l e u l e r , mit dem er das Wesen der doppelgerichteten, gespaltenen Affektivität treffend geschildert hat. Der Terminus ist in den allgemeinen psychopathologischen Sprachge­ brauch und auch in die Neurosenlehre eingegangen. Es ist nur zu begrüßen, wenn vom Schizophrenen zum Normalen hin Brücken geschlagen werden, wenn der Normale in sich Merkmale entdeckt, die ursprünglich nur in der Schizophrenie angesiedelt wurden (»zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«). Gerade die Fähigkeit zur partiellen Identi­ fizierung mit dem schizophrenen Kranken läßt uns ihn besser verstehen und die Schizophrenie als eine Grenzsituation von Existenz erfahren. Die Er­ kenntnisaufgabe ist aber dialektischer Natur: Sie besteht sowohl aus einer Gegenüberstellung als auch aus einem Parallelisierungsvorgang. Was die Gegenüberstellung betrifft, möchte ich drei häufige Merkmale der schizo­ phrenen Ambivalenz formulieren: So wie der Transitivismus und die Appersonierung mehr sind als bloße Projektion und Introjektion, ist auch die schizophrene Ambivalenz mehr als nur widersprüchliche Motivation. Die Radikalisierung des Affektes ist mit der kognitiven Veränderung des Objektes verknüpft, von dem die Am­ bivalenz ebenso Besitz ergreift wie vom eigenen Selbst. Gott und Teufel reißen den Kranken und seine Welt buchstäblich in Stücke, so daß er seine Ambivalenz oft in einem Wahnsystem unterbringen muß. Die schizophrene Ambivalenz erfaßt auch jene Handlungen und Objek­ te, die, im Gegensatz zu den Hauptpolen Gott und Teufel, in der Welt des Kranken nur eine minimale Bedeutung einzunehmen scheinen: Er greift z.B. nach der Zigarette und legt sie gleich wieder zurück; er hebt den Fuß zum Schreiten und bleibt mitten in der Bewegung stecken. Er fühlt sich ge­ fesselt und gelenkt zugleich. Die ambivalente Bedeutung all seiner Hand­ lungen ist von einer großen Symbolik durchsetzt: Sie kommt der Unmög­ lichkeit gleich, überhaupt als entscheidungsfähiges Wesen zu existieren. Manchmal tritt ein Fragment des Affektes mit derartiger Intensität an die Stelle des Ganzen, daß der Kranke in einem Raptus plötzlich Handlungen vollzieht, die völlig automatisch ablaufen und in keinem Zusammenhang mit seiner Persönlichkeit stehen: »Die Zunge spricht Worte aus, die ich ab­ lehne.« Die Ambivalenz gilt auch ihm selbst; sie führt dann zu einer für diese Kranken typischen Gleichzeitigkeit von Ohnmacht und Allmacht im Selbsterleben. Wenn eine Selbstpersonifizierung in der Schizophrenie überhaupt möglich ist, dann trägt sie, mehr oder weniger deutlich, immer die Züge der Ohnmacht und der Allmacht. Die Ohnmacht ergibt sich selbstverständlich aus dem Zerfall, der Desorganisation und der Desinte­ grierung der schizophrenen Person. Sie gründet in der Erfahrung der Be20

drohung. Aber die Ohnmacht paart sich nicht selten, manchmal im Verlauf weniger Stunden, bisweilen gar in einer höchst eigentümlichen Gleichzei­ tigkeit, mit der Erfahrung der Allmacht. Derselbe Kranke, der sich Gottes Sohn nennt, hört am gleichen Tag eine Stimme, die ihn zum Suizid auffor­ dert; derjenige, der sich in der Hölle wähnt, vergleicht diese plötzlich mit einer »mystischen Rose«. Von psychodynamischen Teilursachen abgese­ hen, lassen sich verschiedene psychopathologische Gründe für diese von der Logik her sich ausschließenden aber überaus charakteristischen Ver­ knüpfung anführen: Die Ichentgrenzung z. B. läßt zwar die Person sterben, vereint sie aber gleichzeitig mit dem All. Das Überindividuelle bricht über sie herein. Die Ausschaltung von Welt bedeutet das Ende unseres funda­ mentalen In-der-Welt-Existierens, läßt jedoch auch eine nicht an Zeit und Raum gebundene Existenz ahnen. Der autistische Schizophrene muß sich vor allem zu schützen suchen: vor dem Stuhl in seinem Zimmer ebensosehr wie vor der im Garten erklingenden Vogelstimme. Andererseits kann nie­ mand wie er die störenden Bilder oder Geräusche der Umwelt - wenigstens für den Augenblick - in sich so gründlich vernichten, indem er sich »in sei­ nen herrlichen Kosmos« rettet. Wir sind der Meinung, daß das Phänomen der Spaltung doch eine lebens­ geschichtliche Dimension hat, wenn es auch nicht als Neurose verstehbar ist. M. B l e u l er hat schon vor Jahren auf die Entsprechungen zwischen der Spaltung und den Erfahrungen von Gespaltenheit im Verlauf der Lebens­ geschichte hingewiesen. Ich möchte diese These am Beispiel der Spaltung des Denkens bzw. der Zerfahrenheit näher ausführen. Mehrere Autoren sehen eine Entsprechung zwischen der schizophrenen Assoziationsstörung - der von E. B l e u l er entdeckten und benannten Zer­ fahrenheit - und der Lebenssituation, bei der feststehende Begriffe in neue, unerwartete, unrealistische Assoziationen und Kontexte umfunktioniert werden. K laesi nannte die Zerfahrenheit das »Kunstwerk der Verzweif­ lung« und die »Sprache der Ekstase«. Ich selber habe schizophrene Kranke gekannt, die während der präpsychotischen Phase in einer Art autistischen Kapsel verharrten und sich gelegentlich verzweifelt fragten, warum ihnen denn eine soziale Kontaktnahme nicht gelinge. In der späteren, nunmehr zerfahrenen Psychose konnten sie hingegen beides: Sie traten durch di­ stanzlose Einfälle und zusammenhanglose Handlungen mit der privaten Sphäre des Partners in Verbindung, um sich - im nächsten Augenblick etwas ganz anderem zuzuwenden. Oder sie verließen beispielsweise un­ vermittelt und grundlos den Raum. Sie konnten durch das Symptom der Zerfahrenheit eine augenblickliche Pseudonähe und sofort darauf eine Ferne hersteilen, wie dies im Laufe eines zusammenhängenden Denkens unmöglich ist. Mit Recht weist M. B le u l er (1972) darauf hin, daß sich daraus kein »Wunsch nach Zerfahrenheit« folgern läßt; dies sei bloß »der Wunsch eines 21

Schizophrenen«. Eine Paradoxie liegt dann freilich darin, daß ein primäres Symptom wie die Zerfahrenheit zum einen die Schizophrenie begründet, zum andern jedoch als eine Folge oder als ein Ausdruck der Krankheit er­ scheint. Diese Paradoxie will aber nichts anderes besagen, als daß wir durch unsere Zuwendung in jene Nähe des Kranken kommen, wo sich alles Krankhafte in einen menschlichen Rahmen rücken läßt. Damit haben wir freilich alles verstanden und nichts erklärt (J a s p e r s ); denn die sich einfüh­ lende Psychologie kann wesensmäßig nur Psychologisches erfassen; sie ist jedoch nicht berechtigt, Dinge prinzipiell auszuschiießen, die sich psycho­ logischer Begrifflichkeit entziehen. Das Wesen meiner Schizophreniebetrachtung liegt in der Einsicht begründet, daß in einer solcherart ausgerichteten Psychopathologie der Spaltung unsere Beobach­ tung nur dann zum Instrument wird, wenn wir uns - miterlebend - »mitspalten« las­ sen, wie dies etwa in der unausweichlichen Erfahrung der Subjekt-Objektspaltung der Fall ist. Der Kranke wird durch unsere Identifizierung mit seinem Leiden in sei­ ner Subjektivität berührt. Er überrascht jegliches kausalpsychologische Denken durch das Unerwartete, Unpassende, aller Normalpsychologie sich Entziehende, das ihn zum uns befremdenden Objekt macht. Wir sind mit der Paradoxie von Ver­ ständlichem und Unverständlichem konfrontiert, mit der inneren Widersprüchlich­ keit der Gegenübertragung, die auch zwischen Helfenwollen und Ablehnung schwankt, zwischen Solidarität und Aggressivität. Auch ist da der Widerspruch zwi­ schen der Ohnmacht, in die uns ein Gespräch mit ihm versetzt, und der Macht, die wir durch das Eintreten in seine Symbolwelt, diese mitgestaltend, erfahren. So erin ­ nert uns schizophrene Psychopathologie innerhalb der Psychiatrie immer wieder daran, wie wenig wir sie abseitsstehend erfassen können. B) Der Autismus (E. B le u l e r 1911; J. K la esi 1922; E. M in k o w sk i 1927; M. M ü l l e r 1930; L. B in s w a n g e r 1957; J. W yrsch 1960; C h . M ü l l e r 1965) Synonyme und Definitionen: »Perte du sens de la réalité« (J a n e t , schon in den 90er Jahren); dazu E. B l e u l e r : »Der Name Autismus sagt im we­ sentlichen von der positiven Seite das nämliche, was J a n e t , als >perte du sens de la réalité< bezeichnet; »excessive and irrational self-aggrandissment«, R u b in s (1970). Von M in k o w sk i ( 1927) wurde der Autismus als das eigent­ lich Primäre in der Schizophrenie angesehen: »Tous les troubles semblaient converger vers une seule et unique notion, celle de la perte du contact vital avec la réalité.« Ey(1955) meinte: »Pour le schizophrène... la schizophré­ nie équivaut précisément à la construction d’un monde établi sur les princi­ pes de l’étrangeté: c’est-à-dire un système de valeurs auquel il conforme son existence et qui est encore, pour lui, une existence.« Aspekte des Autismus schilderte W in k le r (1954) als »Ich-Anachorese«, S c h in d l e r (1960) als »Ausgliederung eines Ich-Bestandteiles« und als »Verpuppung«. M. B le u l e r (1972) schreibt: »Aus der Gespaltenheit erwächst, unter weitge­ hender Opferung des Bezuges auf Wirklichkeit, ein ungespaltenes, aber 22

wirklichkeitsfremdes Ich, das wieder Gespaltenheit schafft.« Damit wird die Abwehrqualität des Autismus, also das Psychodynamische im Endoge­ nen erfaßt. Trieb- und Umweltgefahren kontrolliert der Gesunde durch Bindung an seine Mitmenschen und durch Selbstverwirklichung. Der Neurotiker indes­ sen kontrolliert die Innen- und Außenwelt durch Phobien, Konversionen und Zwänge. Auch schizophrene Patienten entwickeln oft, besonders in den nach den Schüben eintretenden Remissionen neurotische Symptome. Diese können als »pseudoneurotische Schizophrenien« (P o la t in und H o c h ) das psychopathologische Bild sogar beherrschen. Aber der eigent­ lich Schizophrene kontrolliert seine gespaltene Welt im wesentlichen durch die autistische Auseinandersetzung mit der Spaltung, durch eine daraus ent­ stehende Welt von eigentümlichen, »privaten« Symbolen der Weltereignis­ se, die man durch einen »Verstehenssprung« vom Allgemeinmenschlichen, Reproduzierbaren, zum Gespaltenen, Unvollziehbaren und uns doch Er­ schütternden und Erreichenden verstehen kann. In der Psychotherapie sehen wir oft, welche Gefahr für den schizophrenen Patien­ ten der Verlust der autistischen Schale bedeutet, und wie er dann mit seiner ganzen Ohnmacht konfrontiert wird. Der autistische Schizophrene fühlt sich streckenweise allmächtig, auch wenn er sich in keinen Mitmenschen versetzen kann und diesen manchmal wie etwas Gefährliches meiden muß. Höchste Hilflosigkeit verbindet sich also mit absoluter Allmacht. In der Remission wird aber die zunehmende Fähigkeit, sich in den Mitmenschen einzufühlen gleichzeitig zum Verlust der autistischen All­ macht. Dann sagt uns der Kranke etwa: »Ich bin klein und nicht erwachsen. Ich knete und forme mich.« Früher mußte er seinen Kosmos autistisch abschirmen, um nicht negativ beeinflußt und aufgelöst zu werden; nun sagt er: »Ich habe Angst, Dinge und Menschen in meine Nähe kommen zu lassen, da sonst die Welt in mich einbricht.« Die kreativen Kräfte des Autismus können freilich auf jene Aspekte der Welt projiziert werden, die der Mensch von jeher als schöpferisch erlebt hat und mit welchen er im Wahn verschmilzt: »Ich war der Sonne nahe; die positive Sonne hat Veränderungen in meinem Körper bewirkt. Das hat mir dann klare Vorstellungen gegeben, wie ich zu leben habe, aber jetzt habe ich Angst, daß ich es nicht mehr weiß.«

Die Entwicklung einer symbolisch zusammenhängenden Erlebniswelt, in welcher der Kranke, der für das soziale Leben sonst als verloren erscheint, sein letztes Personsein doch ergreifend entwirft, hat ebenso höchst persön­ lichen, privaten Charakter wie jede individuelle Form der Ichauflösung, der Spaltung. Der Autismus ist die Rettung der Individualität in eine die Indivi­ dualität par excellence zerstörende Psychose. Wenn einerseits die Entwicklung der autistischen Welt als eine psychopa­ thologische Reaktion auf das psychotische Zerfallen der Welt und somit als ein »sekundäres Symptom« im Sinne von E. B l e u l er erscheint, sind wir mit M. B l e u l er auch darin einig, diese Entwicklung an sich als etwas funda­ mental Schizophrenes anzusehen: ist doch der Autismus die schizophrene Abwehr per definitionem, die Urabwehr gegen eine das gespaltene Ich 23

sonst überschwemmende Welt. Eine Abwehr also, die sich Hand in Hand mit der Spaltung entwickelt, von dieser nicht zu trennen ist und nirgendwo sonst in der Psychopathologie sichtbar wird, wo nicht auch Spaltungsphä­ nomene auftreten. Der schizophrene Autismus manifestiert sich meines Erachtens in den drei Formen der Eigenweltlichkeit, der Ausdrucksunfähigkeit und der Selbstverborgenheit. 1. Eigenweltlichkeit. Schizophrene Aussagen über das eigene Erleben sind oft dunkel; ihre Symbole wirken auf Außenstehende abstrus, bizarr, schwer verständlich. Erlösungsprogramme, die offensichtlich an uns adres­ siert sind, verlieren sich in Begründungen und Einzelheiten, die paradox, unbestimmt, widerspruchsvoll, unzusammenhängend erscheinen mögen. Der Kranke macht sich dabei um die logischen Bedürfnisse des Zuhörers, um dessen affektive Erwartungen und menschliche Gefühle oft keine Sor­ gen. Diese Eigenweltlichkeit des schizophrenen Kranken zeigt sich auch in seinem Denken, in seinem familiären und sozialen Verhalten, in seinem Handeln und - nicht zuletzt - auch in seiner Sprache, die auf den Zuhörer ungewohnt, sprunghaft, verschroben-originell oder gar zerfahren wirkt. In diesem Bezugsrahmen können wir die schizophrene Symbolik am be­ sten untersuchen. Sie ist durch folgende Merkmale charakterisiert: a) Konkretisierung ( F r e u d ; A rieti). Der Kranke schildert symbolische Er­ lebnisse so, als ob sie einer objektiven Weltveränderung entsprächen. Er symbolisiert z.B. das von ihm gefürchtete »weibliche Prinzip« mit dem Element des Wassers, indem er uns mitteilt, daß er den Verdurstungstod sterben möchte. Oder er sucht nach einem neuen, tieferen Ursprung in sich selbst und steht deshalb als einziger unter allen Menschen in Verbindung mit der Sonne. Man hat diese Konkretisierungen verschieden ausgelegt: Als einen Rückzug der Libido von der Welt ins Ich, das deshalb eigene Seinszustände wie äußere erlebt (F r e u d ); als eine Regression auf archaische Zustände, wo das Ich des Kleinkindes die Welt als eigene Realität narzißtisch besetzt ( A rieti ); als einen Verlust der Fähigkeit, zwischen Ich und Welt zu unter­ scheiden ( S e a r l e s ). Auch ist die Ansicht vertreten worden, daß der schein­ baren Symbolhypertrophie des Schizophrenen ein Manko an Symbolisation entspricht, demzufolge die Mittel der Metapher und der Abstraktion ausfallen. Dazu die Aussage eines Patienten: »Die rechte Seite ist das Positive, Gute, Göttliche; die linke das Negative, Dämonische. Meine Schmerzen sind nur auf der linken Seite.« b) Kontaminierung. Schon F r e u d (1900) machte die Beobachtung, daß sich im Traumsymbol sehr verschiedenartige, oft gegensätzliche Gedanken verdichten. Das Traumbild eignet sich zur abgekürzten, prägnanten Mittei­ lung unterschiedlicher, fragmentierter, aber assoziativ zusammenhängen­ der Inhalte. Je mehr die schizophrene Psychopathologie vom Beobachter rein deskriptiv, als Bruch der »consensual validation« (S u l l iv a n ) erlebt 24

und registriert wird, desto deutlicher erscheint uns das hochgradig kontaminiert-schizophrene Symbol als bizarr und unverständlich. Je mehr die Psychopathologie als deformierte Sinngebung verstanden wird, desto transparenter wird auch das Symbol im intensiven Gespräch mit dem Kran­ ken. Das »Dämonische« z.B. bedeutet für den weiter oben erwähnten Pa­ tienten das Weibliche, das wiederum der negativen Identifizierung mit der Mutter entspricht. Letztere war aber auch das warme Wasser: »Im warmen Wasser komme ich mir wie im Mutterleib vor!« - »Das Wasser ist ein merkwürdig giftiges Element für mich, es überschwemmt und erstickt mich, dennoch läßt es mich verdursten!« Die Linksverschiebung (auf ein Bein) heißt in der Sprache des Kranken, daß ihm eine Abgrenzung zum Bösen ge­ lungen ist. Der körperliche Schmerz ist die absolute Evidenz des seelischen Leidens. Dabei werden wir nochmals mit der Spaltung konfrontiert, dies­ mal zwischen der erschütternden Reflexion dieser Zusammenhänge und der Unfähigkeit, sich vom konkreten Gegenstand durch abstrakte Refle­ xion zu distanzieren. c) Verschiebung. Wie alle übrigen von F r e u d in der Traumforschung ent­ deckten Qualitäten der »primären Prozesse« des Unbewußten läßt sich auch die Verschiebung im autistischen Symbol wiederfinden. Indem z.B. psychische Vorgänge, die den Kranken betreffen, ihm transitivistisch durch die anwesenden Mitmenschen repräsentiert werden, erlangt die Umwelt eine autistisch-symbolische Bedeutungsqualität. Ein Patient, der sich ent­ fremdet erlebt, und nun auf innere Selbstfindung hofft und wartet, sagt, daß »der Arzt sich erwartet«. Die Umwelt wird zur Chiffre des Ich. 2. Ausdrucksunfähigkeit. Sie rührt daher, daß viele Erlebnisse des Kran­ ken an sich schwer sagbar sind. Diese gründen in einer unlogischen und nicht kommunikativen Existenzstruktur, entstehen in höchst privaten, au­ ßerhalb von Sprache und Verständigung liegenden Daseinsbereichen und sind deshalb für den Kranken nicht ohne weiteres formulierbar. Man ge­ winnt oft den Eindruck, daß viele Kranke angesichts dieser Schwierigkeit es schließlich aufgeben, sich verständlich machen zu wollen, weil sie gewahr werden, daß ihre Sprache am Unverständnis der Mitmenschen abprallt. Hier die Befürchtungen eines Patienten: »Bitte, wenn ich nicht bis zu Ihnen durchdringe, entweder weil sich ein furchtba­ rer Klumpen dazwischenschiebt - irgendwo -, ohne daß man es sagen kann, oder weil ich hilflos an absolute Zustände ausgeliefert bin, die sich ins Unendliche stei­ gern, würden Sie, bitte, immer kämpfen, niemals nachgeben, nie einen Moment er­ müden und rücksichtslos durchbrechen?«

Man betont in der Psychopathologie zu sehr die autistische Zurückgezo­ genheit und zu wenig das Ringen des Kranken um Ausdruck, um die Aus­ sage von nicht sagbaren Dingen: »Wenn Sie mit Ihren Worten wie absolute Bomben solche Zacken erstehen las­ sen, kann man nicht mit Worten sagen, was es für Existenzen sind, weil die Sprache 25

nur für Ich-Menschen gemacht ist; aber was ich sagte, ist nichts Wirkliches, nur e t­ was, was immer mehr verschwindet. Darum hat die Sprache keine Chance.«

Man wird beim Anhören solcher Worte erschüttert durch das Nebenein­ ander von Sprachentfremdung und einem mit Luzidität erlebenden Geist. Die »doppelte Buchführung« (E. B l e u l er 1911), diese Koexistenz von Sein und Nicht-Sein, ist für die Schizophrenie kennzeichnend, wie für kein anderes psychisches Leiden. Die Ausdrucksunfähigkeit muß in einem dialektischen Verhältnis mit der autistischen Selbstdarstellung und Selbstäußerung verstanden werden. Über das Symbol kann sich der autistische, negativistische, sogar mutistische Schizophrene nämlich mitteilen. Gestische Stereotypien sind als abge­ kürzte Fragmente der Lebensgeschichte gedeutet worden (E. B l e u l e r ; K l a e si ). Die Brücke zum Kranken über das Symbol ist in dem Ausmaß möglich, wie wir als dessen Partner in seiner Symbolwelt aufgehen, seine Bildersprache übernehmen und die Psychopathologie selber als Weg zu ihm erfahren. 3. Selbstverborgenheit. Während wir in der Psychotherapie das ambiva­ lente Streben des Schizophrenen nach Kommunikation erleben, sind wir im Falle der Selbstverborgenheit mit der besonders außerhalb der Psychothe­ rapie häufigen Situation des eindeutigen Rückzuges, der Selbstchiffrierung, des Sich-Versteckens konfrontiert. Im Vergleich zur neurotischen Abwehr, die verneint, verdrängt, isoliert, umkehrt und verdeckt (A. F r e u d ), wird die autistische Abwehr schon im sprachlich Formalen sichtbar. Der mit­ menschlichen Beziehung wird die libidinose Besetzung entzogen; der Kranke ist sowohl im sprachlichen wie auch in seinem übrigen Verhalten, das bis zum Negativismus gehen kann, unzugänglich. Die phantasmatischen Objektbeziehungen sind durch narzißtische Befürchtungen oder durch wahnhafte Verarbeitungen verfälscht. Es ist erschütternd, erleben zu müs­ sen, wie der gleiche Patient, der sich dem Transitivismus und der Appersonierung zufolge mit seiner sozialen Umwelt dauernd verwechselt, zu einer Kommunikation mit ihr unfähig ist und undurchdringliche Barrieren gegen sie aufrichtet. Man muß aber manche Kranke in der Psychotherapie lange beobachtet und kennengelernt haben, um ganz zu spüren, wieviel Zuwendung sich auch mitten im Autismus offenbaren kann. Eine Patientin erlebte die Stunden, in denen das psychotherapeutische Wort durch ihre autistischen Schranken drang, als konkretes Erdbeben, als Vulkanausbrüche und Überschwem­ mungen; sie hörte plötzlich Stimmen, die sie aufforderten, endlich etwas zu sehen und die Abwehr aufzugeben; dabei stöhnte sie: »Wenn ich zu leben beginne, muß ich sterben!« Selbstverborgenheit meint auch Fremdverborgenheit. Der Kranke, der sich autistisch abkapselt, kann sich selbst nicht mehr fassen. »Selbst« ent­ steht nur im dualen Raum, Sich-Verstehen im Verstanden-Werden. Es wird gelegentlich und simplifizierend angenommen, daß der autistische 26

Kranke sich in eine Eigenwelt flüchtet, die, im Gegensatz zur sozialen Rea­ lität, auf seine Bedürfnisse und Ängste zugeschnitten ist. Aber gerade diese Eigenwelt geht dem Kranken in der Dunkelheit des Autismus unter, und zwar dann, wenn er voller Entsetzen gewahr wird, daß er unter den »ver­ schiedenen Realitäten« »die Richtige« nicht mehr zu erkennen vermag und er sich im autistischen Wahn verliert bis zur völligen Verwirrung und zum Stupor. Schizophrene Bildnereien. Im Kontext des Autismus sind die 1922 durch P rinz ­ berühmt gewordenen schizophrenen Bildnereien zu erwähnen. Wir wissen heute, daß viele Kranke ihre Erlebnisse in eindrucksvollen Bildern schildern. Man hat auch festgestellt, daß viele unter ihnen sind, die in gesunden Tagen nie gemalt haben (B ader und N avratil). Man hat deshalb der Schizophrenie des öfteren eine schöpferische Dimension zugesprochen. Manche Schöpfungen sind für uns Dia­ gnose und Prognose zugleich, andere wiederum sind von Bedeutung für den Um­ gang mit den Kranken. Darüber hinaus hat sich aber ein weites Publikum von Laien für schizophrene Bildnereien interessiert. Zwei Hauptfragen sind in diesem Zu­ sammenhang aufgetaucht: Erreichen schizophrene Bildnereien künstlerisches Ni­ veau? Und lassen sie sich von Bildern gesunder Menschen unterscheiden? Zur ersten Frage ist folgendes zu bemerken: a) Schizophrene Bildnereien vermögen sich dem Beobachter mitzuteilen und können ihn gar erschüttern, weil dahinter die große Realität des Leidens spürbar wird. Wenn einem Kunstgegenstand die Fähigkeit eignen sollte, den Betrachter zu erschüttern, so besitzen doch viele schizophrene Werke diese Qualität unseres Zeit­ alters, so wie etwa auch die Darstellung des eigenen Leidens durch todkranke Kin­ der. b) Wenn die Schizophrenie, selbst die schizophrene Demenz, Raum für geistige Leistungen offen läßt (E. und M. B leuler), dann gilt dies erst recht für die gestalt­ bildenden Funktionen der Seele. Ich bin bei der Betrachtung schizophrener Bildne­ reien oft davon beeindruckt gewesen, wie sie viel ergreifender sind im Vergleich zu gelegentlich vorliegenden schriftlichen Berichten der Kranken. Erscheinen diese durch Verdichtung und Kontaminierung der Worte und der Sätze mitunter zerfah­ ren und schwer verständlich, so wirken Verdichtung und Kontaminierung der Bild­ gestalten eher als gewaltige Allegorien, als Metaphern des Leidens und des Lebens. Wahngebäude erscheinen im Bilde deshalb weniger als »unkorrigierbare Irrtümer«, weil das Bild zwischen Logischem und Alogischem nicht unterscheidet; sie werden dann zu wundersamen Symbolen der Existenz, zu schizophrenen Träumen der Angst, des Grauens, der Einsamkeit, welche durch das Bild auch dann noch in er­ greifender Weise ausgedrückt werden können, wenn die Sprache schon längst ver­ stummt ist. c) Das geschulte Auge erkennt manchmal die »schizophrenen Zerrformen« (P lokker) im Bilde. Es gehört aber zu den Eigentümlichkeiten der »modernen See­ le«, daß sie in ihren Selbstdarstellungen viel offener für die »primären Vorgänge des Unbewußten« (F reud ) geworden ist, als dies in früheren Zeiten der Fall war; man­ ches bekannte Kunstwerk sieht heute dem eines Schizophrenen zum Verwechseln ähnlich. Damit schneiden wir die zweite Frage an: Lassen sich schizophrene Bildnereien von den Werken Gesunder überhaupt unterscheiden? Als wesentliches, wenn auch nicht allgemeingültiges Kriterium möchte ich hier die Fähigkeit des Gesunden nen­ nen, mitten in einem durch die primären psychischen Vorgänge verformten Bild die horn

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Kontrolle des Bewußtseins, d. h. die »Sekundärvorgänge« (F r e u d ) walten zu lassen : Eine genaue Planung, der ganzheitliche Entwurf, die Kontrolle der Vernunft in ei­ nem der Realität abgelauschten Detail, die überlegende Intention, die z.B. ein me­ taphysisches Symbol mit realistischen Einzelheiten in paradoxer Weise zum Aus­ druck bringt. Schizophrenen Bildnereien fehlt dies zumeist.

Vom anthropologischen Gesichtspunkt her ist das moderne Verständnis des Autismus als einem Ausdruck von Produktivität - und nicht nur als »Verlust des vitalen Kontaktes mit der Realität« (M in k o w s k i ) - bedeu­ tungsvoll. Geht es doch in der menschlichen Begegnung mit dem Kranken um eine Berücksichtigung seiner eigenen Ansprüche. Und dies geschieht, indem man zunächst die Sprache des Kranken spricht, samt ihren teils bi­ zarren, kaum verständlichen, durchwegs aber wundersamen Symbolen, bis diese dualisiert werden und somit für den Kranken selbst an Wirklichkeit gewinnen. C) Athymie

(T a n z i ; L u g a r o ; C erletti )

Ich verwende diesen alten Begriff, der in einer affektiven Störung - oder, wie sich M a y er - G ross (1930) ausdrückte, in einer »Aktivitätsstörung« die Grundursache sah (man vergleiche auch den Begriff »Verlust des ener­ getischen Potentials« von H u b e r ), um jenen Vorgang zu bezeichnen, der das Ich nicht weniger als den Trieb, die impulsive Komponente der Ideation ebenso wie die Affektivität betrifft. In der Athymie finden auch moderne psychoanalytische Begriffe wie etwa die »schwere narzißtische Lücke« (K o h u t ) ihren Platz. Zur Veranschaulichung dieser Störung, die man frei­ lich sowohl als Erlebensfolge als auch als Ursache der Spaltung verstehen könnte (und die ich jedenfalls bei keinem meiner Patienten vermißte), möchte ich den Begriff unter drei Aspekten beschreiben, die sich allerdings teilweise überlagern: 7. Passivierung*. »Passivität«, K. S c h n e id e r ; »Aktivitätsstörung«, S charfetter 1976 (letztere wird von S charfetter als eine Ichstörung auf­ gefaßt, die auch die kompensatorische, agitierte Uberaktivität einschließt; sie kommt bei über 80% aller akuten Schizophrenien vor). Das Erleben der »Passivität« bedeutet, daß der Kranke zu einer Zielscheibe der Gebärden, Gedanken und Intentionen anderer Menschen geworden ist, die ihn nach Belieben formen und lenken. Das Verhalten, das der Patient vor allem in den Frühphasen der Psychose an den Tag legt, zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus: Er zieht * Wenn ich hier Passivierung, Devitalisierung und Negativismus zusammenfasse, bin ich mir bewußt, daß ich keinem historischen Vorbild folge. Vielmehr versuche ich aufgrund mei­ ner psychotherapeutischen Erfahrungen durch dieses Modell eine Dimension der Grundstö­ rung zu kennzeichnen, die vorwiegend die Triebstruktur betrifft, während das Ich überwie­ gend von Spaltung und Autismus geprägt ist.

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sich zurück, sitzt in Gedanken versunken herum und tut scheinbar über­ haupt nichts mehr. In Wirklichkeit strengt er sich furchtbar an, er »selbst« zu bleiben. Bei dieser »Arbeit« verdeckt die Passivität höchste Aktivität: »Ich darf nicht schlafen: wenn ich die Augen schließe, geht die Welt unter.« Der Kranke wird vom Raum, in dem er sich aufhält, so sehr beeinflußt, daß er mit dem Zimmer verschmilzt (Identitätsstörung); das schwarze Kleid ei­ ner Passantin hält ihm seine Sünden vor; die untergehende Sonne teilt ihm eine Katastrophe mit (Beeinflussungswahn und Symbolstörung). Im psy­ chotherapeutischen Gespräch kann das eigenweltliche Erleben aufhören und zu einer kommunikativen Realität werden: »Nur ein halber Satz von Ihnen kann ungeheuerlich die Landschaft beeinflussen auf nie gekannte Weise. Er fährt als ein absolutes Messer der Gegenwart in mich hinein.« Die Passivierung begründet mit ihrer Umkehrung ins Gegenteil einen we­ sentlichen Aspekt der schizophrenen Depersonalisation. Der Kranke er­ lebt sich als Schauplatz von verschiedenen Welten, Systemen und Kräften, die in ihm um die Oberhand kämpfen. Er selbst steht manchmal als unbetei­ ligter Zuschauer vor Ereignissen, die ihn eigentlich zentral angehen und doch bloß wie ein »Film« vor ihm ablaufen. Oder er erlebt sich als Akteur inmitten kosmischer Auseinandersetzungen, als Akteur, der entscheidet, ob das männliche oder das weibliche Prinzip, Gott oder der Teufel, ob die Welt des Geistes oder die Materie, ob Eva oder Maria den Sieg davontragen werden. In diesen Fällen verbindet sich die Passivität mit einer grandiosen Aktivität, durch die der Kranke die Welt erretten, der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen, das Böse vernichten will. Mitunter bleibt es beim metaphysischen Erleben und Anliegen; manchmal nimmt dieser Versuch im vermeintlichen Aufdecken von Intrigen und Verfolgungen usw. Gestalt an. Während die metaphysische Form charakteristisch ist für die akute Psy­ chose, tritt die zweite eher in chronisch-paranoiden Formen auf. Aus der anthropologischen Sicht scheint es hilfreich, wenn wir den heroi­ schen Kampf des Schizophrenen um Einheit und Lösung als radikale Grenzsituation der Existenz bedenken. »Wenn die Patientin meint, sie sei der Schauplatz des Kampfes zwischen Gut und Böse, so ist das von meinem Empfinden gar nicht so weit entfernt«, kommentierte einmal eine Ärztin. 2. Devitalisierung. Die Kranken fühlen sich entleert, versteinert, ver­ puppt, verfault, in Maschinen verwandelt, tot von Geburt an. Sie können die Arme, die Hände nur scheinbar bewegen, so wie Automaten etwa, weil Existenz zur Maske geworden ist. Weder mit den Körpergliedern noch mit ihren Gedanken, denen jegliche Energie fehlt, können sie die Welt »in den Griff« bekommen. Mitten unter uns leben sie in einer devitalisierten Kra­ terlandschaft, auf dem Mond, in einem Turm, in der Wüste. Das Sistieren des Lebens bringt es mit sich, daß die Zeit still steht, daß der Zustand seit Jahrmillionen dauert, daß der Patient seit seinem Ursprung der Tod selber ist. Die Devitalisierung gehört zu den häufigen Erscheinungen der akuten Schizophrenie (5 5 % , S charfetter ). Sie kann im akuten Zustand auch als 29

vorübergehendes Gefühl äußerster Bedrohung, als Agitation und Stupor auftreten, vorwiegend das Selbstverständnis des Kranken und dessen Iden­ tität, sein Verhalten oder seine Leiblichkeit betreffen und vielen katatonen Zuständen zugrunde liegen. Wie S charfetter betont, gibt sich die Vitali­ tätsbedrohung, an sich ein kategoriales Symptom, in vielem zu erkennen: »Der eigenen Ohnmacht durch den Lebensverlust entspricht die Über­ macht anderer Mächte, die dem Schwachen feindlich, bedrohlich erschei­ nen« ; »der eigene Verfall kann den Kranken so erfüllen, daß er den Verwe­ sungsgeruch spürt (Geruchshalluzinationen)«; »Uberkompensationen als Lebensanstrengungen finden als Bewegungsstereotypien (»ich lebe nicht«), als Verbigerationen oder als wahnhafte Selbstentwürfe statt, in welchen der Patient umgekehrt zum Träger magischer Lebenskräfte wird«. 3. Negativismus*. Der klassische psychiatrische Begriff bezeichnet damit den Widerstand des Kranken gegen alle Zuwendung seiner Mitmenschen und die Umkehrung ihrer Aufforderungen in ein gegenteiliges Verhalten. Man hat im Negativismus die Abwehr gegen eine als Bedrohung erlebte Umwelt oder auch die Projektion der Selbstablehnung gesehen. Darüber hinaus verstehe ich den schizophrenen Negativismus als die Handlungsge­ stalt des negativen Seinsgefühls und der Destruktivität des Kranken. Die af­ fektive Grundlage des Miteinanderseins fehlt, ebenso wie auch jegliche af­ fektive Grundlage zur Entschlußfähigkeit: Keine Vorstellung, Intention oder Entscheidung erreicht die nötige Intensität, um sich von der Gegen­ vorstellung abheben, differenzieren zu können. In der Entdifferenzierung präsentieren sich die Affekte global. Die »Liebe zu einem Menschen« be­ deutet dem Kranken z.B. »Opfertod«, weil die Liebe das Sich-Opfern beinhaltet; er kann keine Mücke töten, ohne sich am Leben der Menschheit zu versündigen, nicht essen, ohne die Welt zu zerstören, keine Zigarette in die Hand nehmen, ohne damit einen unvertretbaren Anspruch zu erheben. Hinter Verboten, Symbolen, Selbstdestruktivität und Ambivalenz läßt sich stets der rote Faden des Negativismus und des Selbstverlustes der Person verfolgen, deren Eklipse und Athymie jegliche Selbstverständlichkeit des Lebens aufhebt. Es läßt sich denken, daß die Krankheit entweder in der einen oder der anderen Form der Grundstörung ihren Anfang nimmt. Wir sehen diesen z.B. in der Athymie und Devitalisierung, die den Kranken die Dialektik, die Zweideutigkeit und Spannung der menschlichen Existenz als spaltend erleben lassen und ihn zu einem autistischen Rückzug zwingen. Umgekehrt könnte man ihn in der Gespaltenheit der Lebenserfahrungen wie auch in seiner dysharmonischen Gen-Anlage (M. B l e u l e r ) eruieren, welche dann eine zusammenhângendè Aktivität, eine die Welt in Griff nehmende Vitali* Der Negativismus erscheint mir wie das negative Spiegelbild der Athymie: derselbe Kranke, der erlebt, wie er athymisch und willenlos durch seine Umwelt verformt und gelenkt wird, negiert diese Umwelt im intrapsychischen Raum auf das radikalste.

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tat lähmen, oder schließlich in einer (wie auch immer lebensgeschichtlich bedingten) autistischen Entwicklung, die bis zu einem »point of no return« (M. B l e u l e r ) führt, bei welchem der Kranke sich von seiner Mitwelt abund infolgedessen auch in sich selbst aufspaltet. Alle diese Gedankengänge, das Ableiten eines Symptômes aus dem anderen, sind im Grunde bei der Unmöglichkeit einer Verifizierung eher unfruchtbar. Ihr Sinn ergibt sich aber sowohl aus dem Aufzeigen des relativen Wertes unserer Denkmodel­ le, die je nach dem gewählten Gesichtspunkt wechseln können, wie auch aus der psychotherapeutischen Umkehrung des Gedankenganges, bei der wir uns dank unserer Argumentationen für den Krankheitsfall teilnehmend interessieren und dem Kranken somit Schlüssel zur Rationalisierung des ihn sonst überschwemmenden Irrationalen geben können. Wo sich das Mo­ dell operationeil in der Hilfe bewährt, hat es Wahrheit nicht bloß erschlos­ sen, sondern gestiftet.

IV. Die Austragung der primären Symptome in der gesamten Welt des Kranken Spaltung, Autismus und Parathymie fehlen in der Schizophrenie niemals, wenn auch ihr Schweregrad höchst verschieden sein kann. Anders ist es mit den Austragungsformen dieser fundamentalen Symptome bestellt. Sie sind keine »akzessorischen Symptome« im alten Sinne, die eine »sekundäre Re­ aktion« der schizophrenen Persönlichkeit auf ihr Leiden ausdrücken. Sie sind vielmehr direkte Manifestationen dieses Leidens. Aber sie können über lange Strecken der Krankheit, vor allem in der Schizophrenia simplex, fehlen. Sie erscheinen stellenweise als eine radikale Fortsetzung der fun­ damentalen Symptome. 1. Der schizophrene Wahn Er ist in seinen Varianten als »akzessorisches Symptom« (E. B l e u l e r ), als »primärer Wahneinfall« (K. S c h n e id e r ), als »Wahnstimmung« (u.a. H. Ey) geschildert worden. Wir möchten ihn hier auf Grund der psychothe­ rapeutischen Tradition unserer Psychopathologie als die Ausgestaltung ei­ ner äußersten Kommunikationsstörung ansehen. Siehe auch S teck 1951: »Wenn der Versuch scheitert, die Kommunikation mit den Mitmenschen zu erzwingen, entsteht der Wahn« ; L. B in s w a n g e r : »Der Wahn ist die Wider­ spiegelung der Existenzbedrohung.« Die Kommunikation ist in der Schi­ zophrenie so weitgehend zerstört, daß der Kranke die desintegrierten Fragmente der Weltbezüge und Objektbesetzungen nur noch als sinnlich regredierte, unsteuerbare, physikalische Kräfte erlebt: 31

»Ich habe nicht die Kraft, die Impulse zu ertragen, die ich von anderen Menschen bekomme, wie z. B. >Worte oder Silbern.«

Diese greifen also den Patienten an oder verwandeln sich durch ihn in et­ was Zerstörerisches, das ihn von den anderen isoliert und verfolgt. Er erlebt seine Individualität als etwas, das sowohl in derjenigen anderer Menschen zerfließt, als auch durch kosmische Entfernungen von dieser getrennt ist. Diese Kommunikationsstörung betrifft den Kern des Ich nicht weniger als dessen Grenzen und vergegenwärtigt das alles durchwaltende Prinzip der Spaltung. Man könnte ebensogut sagen, daß der Kranke nicht mehr »Selbst« sein kann, weil er von seinen Mitmenschen in einer radikalen Weise abgespalten ist. Ebenso ist das Umgekehrte gültig, daß er nämlich seine Mitmenschen nicht mehr wirklich erreichen kann, weil er in sich ge­ spalten ist. Anstelle der kommunikativen Selbstverständlichkeit des Allta­ ges, in der wir alle leben, treten in der Schizophrenie radikalisierte, gegen­ sätzliche Grenzsituationen auf: Entweder ist die ganze Kommunikation ein einziger »Energieraub«, eine gegenseitige Plünderung mit allen Mitteln des magischen Denkens; oder der Kranke läßt einzigartige Projekte der Welt­ errettung anlaufen: Traumfetzen einer ungekonnten Kommunikation wer­ den zu unwirklichen Theaterkulissen in einer Wüste. »Das war ein Zurückgehen an den Anfang der Schöpfung. In dieser Zeit habe ich an die Utopie geglaubt, daß man wieder in den paradiesischen Zustand zurück­ kommen könnte, indem eine Neue Welt geschaffen wird, irgendwie anders. Ich habe die Vorstellung gehabt, daß ich durch mein Laufen und Drehen eine neue Weltent­ stehung bewirke, daß Himmel und Erde Zusammenkommen, daß es eine Apoka­ lypse geben würde, daß Menschen in einen anderen Zustand übergehen könnten. Während ich so handle, könnte ein neues Sonnensystem entstehen; ich habe erlebt, daß meine Seele auf einen anderen Planeten übersetzte.«

Diese Worte stammen von einer Patientin, welche aus ihrer Erzählung alle bedrohlichen Erlebnisse verdrängt hatte, die ihren akut psychotischen Zustand sonst charakterisierten: Sie war damals mehrere Personen zugleich und nebeneinander; die eine durfte nicht trinken, damit die andere, die gei­ stige, nicht ins Urweibliche und Materielle hineingerissen würde. In der rückblickenden Schau wird aber die kompensatorische Uberwölbung eines grandiosen Ich beibehalten, das Himmel und Erde Zusammenkommen läßt (Anti-Spaltung, Verschmelzung). Der Entwurf von Bildern, die im akuten Zustand völlig unabhängig von den Inhalten des Alltags erlebt werden, spricht für den Autismus. Die eigene Regression wird transitivitisch als ein Zustand der Menschheit erlebt. Ebenso können eigene Bewegungen die Welt bilden. Die Spaltung mündet in Ratlosigkeit und katatonen Stupor ein, aber auch ins schöpferische Symbol eines neuen, die auseinandergebor­ stenen Erdteile zusammenfassenden Sonnensystems. Der Autismus führt zu eigenweltlichen Deutungen. Dem Bedeutungswahn liegt ein Erleben zu­ grunde, das sich sowohl im Verlust von selbstverständlichen Bedeutungen, wie auch im Überwuchern von geheimen Bedeutungen als antithetisch er32

weist. Man hat bisher in der Psychopathologie häufiger das zweite und weit weniger das erste, nämlich jenes schmerzliche, oft unsagbare Erleben des Verlustes gesehen: »Die Sprache ist oft unbrauchbar, denn ich weiß nicht im entferntesten, was die Dinge überhaupt bedeuten, die man ist, die Dinge mit ihren Verwandlungen und Bewegungen. Ich bin völlig überrumpelt, wenn etwas Ichhaftes entsteht am Rande des Einschlagkraters ihrer Worte; hat das etwas mit mir zu tun?« Die Umkehrung dieses Erlebens des NichtSeins zeigt sich bei manchen Kranken so, daß ausnahmslos alles mit ihnen zu tun hat, sowohl das Autoschild auf der Straße wie auch der erhobene Finger eines Passanten usw. Gelegentlich bekommt man den Eindruck ei­ ner Reizüberflutung. Ein Ich, das den Umweltdingen gegenüber nicht un­ terscheidend, differenzierend standhalten kann, indem es sie in Wahrneh­ mungen, Begriffen und Symbolen unterbringt, wird von deren Abbildun­ gen, Metaphern und Vorstellungen überschwemmt. »Es gibt Dinge, die Millionen von Bedeutungen bekommen, und deshalb unfaßbar sind.« »Diese Dinge kombinieren sich untereinander in Weisen, die völlig unvor­ hersehbar sind.« Die Welt wird in diesem Falle so bedeutungsschwanger, daß sich die ver­ dichteten Einzelbedeutungen nicht mehr erfassen lassen. Die Identitätsstö­ rung wird nicht nur verändert, sondern auch durch phantastische Wahn­ konstruktionen neu gestaltet. Der Kranke hat sich dann mit den Materia­ lien der Psyche, die aus dem Identitätszerfall entstanden sind, eine Wahn­ identität aufgebaut*. Solche Wahnidentitäten sind zwar im Erleben des Kranken durch irgendwelche Verfolger wiederum bedroht, entwickeln sich aber gerade unter dieser Bedingung zu uneinnehmbaren »Wahnburgen«, wo es sich jahrelang, z.B. in Erwartung einer einmal kommenden kosmi­ schen Erlösung, leben läßt. Gerade die Brüchigkeit der Identität in der aku­ ten Psychose zementiert den zyklopischen Bau der Wahnidentität während der chronischen Krankheitsphase. Man kann zusammenfassend formulieren, daß der Wahn aus dem verän­ derten Erleben des Selbst und des Mitmenschen hervorgeht, und zwar durch die Ausformung von Spaltung, Autismus und Parathymie; daß jegli­ che schwerwiegende formale schwere Änderung des Denkens und Fühlens die Inhalte des Menschen in seiner Welt umgestaltet. Wahn: Akute Schizophrenie und Psychodynamik. Der schizophrene Wahn scheint uns weniger ein sekundäres Symptom der akuten Schizophrenie als vielmehr unmittelbarer Ausdruck eines Wirklichkeitszusammenbruches zu sein, welcher sich aus dem Aufeinanderprallen von zwei gegensätzlichen Aspekten der psychotischen Existenz ergibt: der negativen Existenz und der Superexistenz. Die »negative« Exi­ stenz wird von einer geradezu erschütternden Vielfalt von Nichtigkeitsideen wider* Die Dialektik unserer Beobachtersituation besteht darin, den Wahn sowohl als autisti­ sche, allgemein unzutreffende Form der Aussage zu sehen, wie auch als existentielles Anliegen (Thematisierung der Existenz bei einem sonst der Existenz verlustig gegangenen Menschen) wahrzunehmen und anzuerkennen.

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gespiegelt, deren Nachweis in einer unlängst bei uns eingereichten Dissertation er­ bracht worden ist: Bei 29 von unseren 30 Patienten waren sie deutlich wahrnehm­ bar. Die »Superexistenz« erscheint aber im Wahn als der gegensätzliche Pol der nega­ tiven Existenz: Das wird an dem Befund sichtbar, daß Größenwahnideen nur bei vier dieser Kranken fehlten und nur bei drei unter denjenigen, bei denen sich das Er­ leben der »negativen Existenz« einwandfrei feststellen ließ. Erlösung und Befreiung sind weniger häufige Varianten der Größenideen. Ganz gleich, ob sie sich explizit auf den zu überwindenden Tod beziehen oder aber Erlösung in einem religiösen und metaphysischen Sinne bedeuten, sind sie Bestandteil jener Selbstrettung, die mit dem Selbstzerfall kontrastiert. Sie kommen bei nicht weniger als 9 Patienten, also bei fast einem Drittel der Fälle, vor. Damit sind sie sowohl Dokument der Psychopa­ thologie als auch Äußerung einer personalen Thematik, welche die Psychopatholo­ gie zu einer existentiellen Aussage werden läßt. Im Vergleich zu diesen Motiven fällt auf, wie bescheiden sich die ausgesprochen ödipalen und symbiotischen Themen in der Psychose ausnehmen. Wir konnten sie nur bei 6 Kranken nachweisen. Es ist dem Kranken unmöglich, derart kontrastierende Seinszustände anders zu umspannen als durch eine phantastische Wahnrealität, die in keinem einheitlichen Affekt wurzelt und die - im Gegensatz zu den katathymen Wahnideen - die ganze Inkohärenz einer sich auflösenden Welt widerspiegelt. Der gleiche Kranke, der die Stimme Gottes hört, nimmt auch den Befehl wahr, daß er sich umzubringen habe. Und jener, der die Ewigkeit erreicht zu haben wähnt, spricht im gleichen Atemzug von seinem Tode, der in wenigen Stunden erfolgen soll. Unter den klassischen Er­ scheinungsformen von schizophrenen Wahnideen (wie Beziehungs-, Bedeutungs-, Verfolgungs- und Beeinflussungsideen) sind die zwei Grundkategorien der Nichtigkeits- und der Größenwahnideen unserer Erfahrung nach viel häufiger vertreten. In ihrem Zwielicht ergibt sich stets die Wahn-Stimmung der Bedrohung. Diese äußer­ ste Bedrohung im Erleben des Zusammenpralls von negativer Existenz und Super­ existenz (wobei die negative Existenz der Superexistenz ständig widerspricht und als gleichbleibende Form der Selbstidentität durch die Superexistenz wiederum negiert und aufgelöst wird) kann nicht anders als durch den Wahn erlebt und überbrückt werden. Der Zerfall des Selbst im akut psychotischen Geschehen, des Selbst als ei­ nes Bezugsortes der inneren und äußeren Wirklichkeit, erscheint also im Wahn als ein fundamentales Merkmal der akuten Schizophrenie: Wahn als grundsätzliches Anderssein von Welt und somit als adäquateste Selbstwahrnehmung. Von dieser anthropologischen Warte aus sehen wir somit, daß der schizophrene Wahn nicht nur den Zusammenbruch von Existenz signalisiert, sondern auch gleichzeitig markante­ stes Spiegelbild einer verzerrten Existenz ist. Der schizophrene Wahn ist eine »Grenzsituation der Existenz«, der Ort, wo sich diese in ihrer ganzen Abgründigkeit offenbart.

Wenn der Wahn der akuten Schizophrenie nicht bloß ein sekundäres Symptom ist, sondern vielmehr zu deren primärsten Merkmalen gehört, d. h. ganz der phänomenologischen Gestalt der Psychose verhaftet ist, muß er einerseits mit jener »Endogenität« zu tun haben, von der man seit jeher vermutet, daß sie der Schizophrenie zugrunde liegt, und die man in den Grundphänomenen und —mechanismen der Spaltung und des Autismus er­ kannt hat. Anderseits ist der Wahn aber - überzeugender als Spaltung und Autismus - mehr als nur formales Merkmal: er ist ein Spiegel der Lebensge­ schichte, er ist Daseinsinhalt und konkretes Personsein. 34

Spaltung und Autismus prägen das ganze Selbstbild und die Lebensge­ schichte des Kranken, sie sind nicht einfach außerhalb einer solchen wie­ dererkennbar. Sie könnten als Formgesetze konzeptualisiert werden, die sich des lebensgeschichtlichen »Materials« bemächtigen. Weit mehr als alle übergeordneten Begriffe begegnet uns der Wahn als etwas, das ganz in die lebensgeschichtliche Substanz eingebettet ist. Er rückt deshalb in den Vordergrund, weil sich in ihm unzählige Einzelheiten und Zusammenhänge der Lebensgeschichte verdichten. Gerade deswegen neigte E. B le u l er mit Recht zu der Auffassung, der Wahn sei psychologie­ näher als etwa die »Assoziationsstörung« und stelle die Art und Weise dar, in der die kranke Persönlichkeit auf die Krankheit reagiere. Wenn wir nun den Wahn bald als nur reaktives, bald als primäres Merk­ mal betrachten, laufen wir dann nicht Gefahr, uns im Kreise jener Gespaltenheit zu bewegen, der die Schizophrenie charakterisiert? Werden unsere Begriffe nicht von jenem Gegenstand affiziert, den sie zu erfassen trachten? Eine solche Sicht wäre nicht einmal ganz verfehlt: sie wird heute von jeder Psychotherapie der Psychose vertreten, die durch die Übernahme der psy­ chotischen Existenz und die damit verbundene spezifische Art der Zuwen­ dung zum Kranken, ihn, beziehungsweise seinen Autismus, mitmenschlich transparent zu machen sucht. Wir wollen aber hier bei einer psychopathologischen Sicht bleiben und möchten deshalb der Herausforderung des Wi­ derspruches rational begegnen: Das Doppelgesicht des Wahns ist doch ge­ rade ein Spiegel schizophrener Doppelnatur; es erscheint uns als jenes psychopathologische Bindeglied, das Intrapsychisches und Lebensgeschichtli­ ches vereint, das wir, an die Tradition BLEULERscher Psychiatrie anknüp­ fend, als zur Schizophrenie gehörend vermutet haben. Das intrapsychische Moment, die Art also, wie Lebensgeschichte vom Kranken persönlich und symbolisch verarbeitet wird, ist nichts anderes als jenes »Endogene« der klassischen Psychiatrie: eine terminologische Erweiterung des alten Begrif­ fes, die uns deshalb besser gefällt, weil darin keine reduzierende Intention, kein Versuch der Rückführung auf unbewiesen Somatisches zum Ausdruck kommt. Wir sehen auf der einen Seite, wie sich die Psychose aus der wahn­ haften Verarbeitung einer aussichtslos gewordenen Lebensgeschichte her­ ausbildet, und wir staunen auf der anderen Seite darüber, daß die Lebens­ geschichte sich unmöglich entwickeln und die Weltdinge anders verarbeiten konnte als eben durch den Wahn. Je nach der Persönlichkeit des Kranken, aber auch je nach unserer Distanz zum Kranken und je nach dem operationellen (psychopathologischen, psychotherapeutischen, somatischen) Kon­ text unserer Beziehung zu ihm, werden wir dazu neigen, dem einen oder dem anderen Pol mehr Beachtung zu schenken. Indem wir jedoch die bei­ den Pole zusammenbringen, überwinden wir die Herausforderung der Schizophrenie in der Begegnung mit dem Schizophrenen.

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2. Halluzinationen Sie sind dialektisch zu verstehen, sowohl als Sinnestäuschungen (die Patien­ ten nehmen Dinge wahr, die für uns nicht existieren) wie auch als Urerfahrungen, die zutreffender sein können als alle psychiatrischen Beobachtun­ gen. Die Kranken nehmen sinnlich die Katastrophen wahr, die sich in ihrer Innerlichkeit abspielen; oder sie erleben leiblich jene Einmaligkeit ihres Daseins, die durch das Zerreißen der mitmenschlichen Bande tatsächlich eingetreten ist. Ihre Halluzinationen stellen die leibliche Identität dessen dar, was sie als Entfremdung, Wahnstimmung oder tödliche Verwandlung auch ohne die Zuhilfenahme sinnhafter Bilder schildern. Derlei erschüt­ ternde Vorgänge müssen sich wohl deshalb bis ins Leibliche hinein ausbreiten, weil so die verlorene Ganzheit des Ich durch einen ganzheitlichen Ent­ wurf von sinnlichem Erleben und Gedanken dargestellt wird. Der Begriff »Sinnestäuschung« wird von jenen Psychopathologen teils aufgegeben, die sich vom bloßen Vergleichen unserer Realität mit derjenigen des Kranken wenig Information versprechen. Wenn ein Patient einen »Geschmack« von seiner Mutter bekommt, wenn er seine Gedanken »als etwas Solides« wahrnimmt, so verstehen wir ihn weniger durch die Feststellung, daß wir solche Dinge nicht wahrnehmen, als viel eher durch die Überlegung, daß eine verstrickende Symbiose mit der Mutter oder eine versteinernde Devi­ talisierung durch die Kräfte der leiblichen Radikalisierung, in ihrer Tiefe und Intensität immerhin erfaßt und mitgeteilt werden können. Diese an­ thropologische Dimension des Erlebens ist so grundlegend, daß manche Halluzinationen zwar »akzessorische« Symptome im Krankheitsverlauf sind, dabei aber doch eine strukturell fundamentale Erlebensqualität an­ nehmen können. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit an das »Lautwer­ den der Gedanken«, das K. S c h n e id e r als ein Symptom ersten Ranges an­ führte. Der Kranke erlebt halluzinatorisch, wie Stimmen seine Gedanken repetieren, diese erraten und gar Voraussagen oder durch »photoelektri­ sche Zellen registrieren«. Gleichgültig, ob die Gedanken des Patienten durch die Mitmenschen vorweggenommen, aufgenommen, »gemacht« oder nachgesprochen werden - das grundlegende Erleben des Kranken ist dasjenige einer zwanghaft gesteigerten Introspektion einerseits und einer Entfremdung von Gedanken andererseits: Den Gedanken kommt dabei die normale Qualität des Intimen, des Privaten, des Verborgenen, des Zu­ gehörigen abhanden. Die durch eine unerbittliche, fremde Introspektion »objektivierten« und aus dem subjektiven Fluß der Person herausgelösten Gedanken können ebensogut »Komplexe«, d.h. übergewichtige, emotio­ nal überladene Vorstellungen sein, die schon im Normalzustand Gegen­ stand der Introspektion sind, wie auch ganz banale Bilder: »Er steht auf, er nimmt einen Stuhl« usw. Der Kranke redet von sich selbst, als wäre er eine Marionette auf der Bühne seiner Introspektion, eine Marionette im Ram­ penlicht der ihn auf Schritt und Tritt verfolgenden Aufmerksamkeit. Er ge36

hört nicht mehr sich selbst. Die Objekt-Subjekt-Spaltung, die uns Geistes­ gesunde von der Welt trennt, trennt indessen den Kranken von sich selbst, während er sich umgekehrt von der Welt nicht mehr deutlich unterscheiden kann. Die Herauslösung der psychischen Akte aus dem umfassenden Ich kann in der schizophrenen Krankheit so weit gehen, daß es zu Projektionen und Transitivismen kommt; d.h. innerseelische Vorgänge (etwa die laut­ gewordenen Gedanken) werden in den Mittelpunkt der Selbstwahrneh­ mung gerückt, weil sie nicht mehr ganz zum Selbst gehören. Die bereits aus der Integration ins Subjekt herausgelösten Gedanken erscheinen dem Pa­ tienten als unfreiwillige Spiegelbilder seiner Subjektivität. Die ZwangsSelbst-Objektivierung ist ein erstes Anzeichen der Subjektspaltung, in der das Abgespaltene noch nicht als ein doppeltes, ein anderes Ich, aber bereits als ein durch andere Menschen ausgesprochenes Selbst erscheint. Dieses Erleben ist so ungewöhnlich und quälend, daß es nicht zum Ge­ genstand der Introspektion werden kann. Das Paradoxe liegt darin, daß die zwangsintrospektive Objektivierung zu einer Unfähigkeit führt, diesen Vorgang objektiv als etwas Intrapsychisches zu erfassen: Solche Kranke sa­ gen uns unweigerlich, daß man sie tatsächlich »laut beobachtet«. Es wird klar, daß das Erleben des Gedankenentzuges sich deshalb nicht anders als halluzinatorisch ausdrücken kann, weil zu einem »realistischen« Erleben eben jenes Ganz-Ich fehlt, das sich abgrenzen kann. Die Halluzination ist dann die notwendig gewordene autistische Selbstspiegelung der Spaltung. Sie manifestiert sich nur noch im Spiegel einer totalen Seinsveränderung, einer für den Kranken spezifischen, mit keinem anderen Menschen zu tei­ lenden autistischen Weltveränderung. 3. Entdifferenzierung

( S ea rles)

Sie bedeutet Verlust der differenzierenden, ordnenden, unterscheidenden, hierarchisierenden Funktion des Ich. Sie zeigt sich z. B. darin, daß Symbole mit Wahrnehmungen und diese wiederum mit Erinnerungen verwechselt werden, so wie auch Gedanken und Allegorien durcheinandergeraten. Der Kranke weist auf seinen verstümmelten Finger hin und meint, er selbst sei der Finger. Er vernimmt Stimmen, aber nicht nur mit dem Ohr, sondern auch mit dem Kopf; nicht nur von außen her, sondern auch im Bauch; nicht nur aus der Immanenz, sondern auch aus der Transzendenz. Die Stimmen werden gehört, sind aber zugleich seine Gedanken. Oft wird dabei aller­ dings nicht klar, ob es wirklich die seinen sind, weil ihnen die Ichqualität fehlt. Bei der Halluzination läßt sich ferner keine Wahnkomponente her­ ausdifferenzieren; auch ist ihr Inhalt nicht von der Form zu unterscheiden. Ob innere Organe zerbrochen, die Knochen zertrümmert werden oder die Haut weggerissen wird, die Eingeweide verfaulen, ein bedrohliches Stim­ mengewirr naht: Überall ist die Welt aus den Fugen geraten. Ein Auseinan­ derbrechen von Ordnungen, Sinngebungen und Strukturen wird offenbar, 37

und an deren Stelle treten irgendwelche Impulse und Einflüsse, die eine neue und ungewohnte Dynamik stiften. Mancher Kranke hat offensichtlich Mühe, all diese Erlebnisse gedanklich zu ordnen. Die fragmentarische Übersetzungsarbeit entspricht keineswegs dem urwüchsigen Erleben, d asals etwas Außersprachliches —riesenhaft-maligne Dimensionen annimmt. In diese Welt der Entdifferenzierung und totalen Pulverisierung, der »Säu­ re«, »Leere« und des Chaos, des Explodierens oder des Verflachens kann sich gelegentlich das andere Extrem zeigen: Verklärung, Ekstase, überirdi­ sche Harmonie als die andere Hälfte des Seins; die »Entdrehung« als Spie­ gelbild der »Verdrehung«. Dem Kranken wird nach seinem Leidensweg Erlösung verheißen. Er selbst ist es, der die Menschheit aus ihren Wirrnis­ sen befreit. Aus der Hure wird die Jungfrau Maria; die Kranke, die in einem geheimnisvollen »Tibetland« lebt, halluziniert Blumen, deren rote und blaue Farben mit den unsrigen nichts gemein haben. Solche ekstatischen Erlebnisse sind aber gleichzeitig durchaus sinnliche Wahrnehmungen, Hal­ luzinationen des Heils oder der Hölle. Der Kranke scheint an den Ort zu­ rückversetzt, wo das Schwert Gottes Paradies und irdische Wanderschaft noch nicht zertrennt hat. Im Verlust jeder Einheit und Ganzheit wird der Zustand der Ur-Reinheit wiederhergestellt. »Die Intensität einer großen Wachheit hat sich mir in einem Maß gezeigt, wie ich es vorher nie erlebte. Ich habe Angst vor diesen Kraftströmen, die durch mich hindurch fließen. Ich habe Angst, daß sie sich gegen jemand negativ auswirken können.« 4. Der Leib in der Schizophrenie Der Leib als Erleben und Ausdruck ist mit ein Aspekt schizophrener Psy­ chopathologie. Motorik und Handeln des Schizophrenen sind dreifach ge­ stört: erstens durch das Auftreten von gleichgeschalteten, monoton sich wiederholenden Segmenten motorischer Abläufe (—»Stereotypien, —»Gri­ massen, —»Manierismen) ; zweitens durch die Abspaltung einzelner motori­ scher Impulse vom Ichsystem als Willensgestalt und Sitz des Freiheitserle­ bens und durch die Automatisierung dieser Impulse; drittens durch die ge­ legentliche Steifheit der Bewegungen, den Verlust der fließenden Anpas­ sungsbereitschaft, der Zuwendungsgrazie und der unbewußten Weltbezogenheit. Dies sind motorische Symptome, denen auf der Ebene des Willens die Erstarrung, der Negativismus, die Hypobulie und die Apathie entspre­ chen (Katatonie). a) —»Stereotypien und Grimassen sind Handlungs- und Ausdrucksseg­ mente, die wiederum in dreierlei Hinsicht von der Ganz-Person abgespal­ ten erscheinen. Weder wird eine Handlung oder eine Geste zu Ende ge­ führt, was den Stereotypien den Charakter von oft schwer dechiffrierbaren »Abkürzungen« oder gar Fragmentierungen von ursprünglichen Intentio­ nen verleiht, noch besteht ein Zusammenhang zwischen Auftreten der Ste­ reotypie und der aktuellen Situation des Kranken in einer sinngebenden 38

Realität. Auch scheint schließlich jede Verknüpfung zwischen motori­ schem Entwurf und subjektiver Intention entfallen zu sein. In der Hand­ schrift manifestieren sich Stereotypien in Verschnörkelungen oder Unter­ streichungen, im Wechsel des Schriftbildes oder in der Mikrographie. Es können auch Eigenheiten und Veränderungen der Sprache, Veränderun­ gen in Tonfall und Betonungsablauf wie auch verbale Stereotypien auftreten. b) Die Verselbständigung einzelner motorischer Impulse von einem in­ tegrierenden, steuernden und reflektierenden Ich-System zeigt sich im Auftreten jener Handlungsabläufe, die unter Umständen nach außen hin normal, aber doch sehr automatisch wirken. Manchmal äußert sich diese Automatisierung im Fehlen eines Zusammenhanges zwischen Handlung und Motivation (Raptus), dann wieder tritt sie überwiegend im Spiegel kranken Erlebens auf. (Das Gedankendrängen ist auf der Denkebene das Spiegelbild der Handlungsautomatisierung.) c) Die Steifheit der Bewegungen (Mangel an Grazie, Flexibilität und Geschicklichkeit) ist das äußere Spiegelbild einer Unangepaßtheit des auti­ stischen Kranken an seine Welt und drückt einen Wesenszug der Person im Bereich der Motorik aus. Die normale Weltgerichtetheit psychischer Vor­ gänge in ihrer Bezugnahme auf Ziele und Objekte erscheint in der kineti­ schen Gestalt ähnlich gestört wie die rezeptive Verarbeitung im Gefühlsle­ ben. Diese Darstellung zeigt wie es möglich ist, von einer Leiblichung im Erle­ ben des Zerfalles zu sprechen. Der Schizophrene erfährt die Störung seiner »Ich-Konsistenz« (S charfetter ) im Leiblichen: Er spürt, daß er innerlich durchlöchert ist oder wie ihm die Knochen gebrochen werden; die Störung der Vitalität manifestiert sich im Verfaulen der Eingeweide; die Spaltung wird durch die Verselbständigung der Einzelorgane offenbar. Beim Wahn schlüpft er in fremde Wesen, Stimmen und Verfolger; beim Autismus wird der Leib zu einer seltsamen Chiffre der Sonnenkraft; abnorme Beeinflus­ sung geht in die Echopraxie und das hilflos an die Umwelt Ausgeliefertsein in die Flexibilitas Cerea ein, die plötzliche Einschaltung der Impulse in den Raptus, die Symbolisierung in die Stereotypien und die Depersonalisation in die leiblichen Halluzinationen (»wenn ich das Pfeifgeräusch habe, verän­ dert sich als Folge davon Ihr Gesicht, weil Sie aus Dingen bestehen, die ich nicht kenne, und Sie in mir sind und auch in Ihnen«). Man könnte in der Kategorie des Leiblichen auch die schizophrene Ver­ änderung der Raumstruktur des Daseins erwähnen, derzufolge Ich-Teile außerhalb des Leibes (außerleibliches Ich) stehen: »Ich spüre, wie eine Art Zorn aufsteigt, aber der Zorn ist einen Meter von mir entfernt. Der Zorn ist mitten in mir, aber er gehört zu der anderen Welt, in der ich wirklich Ich wäre, und darum ist er der Normalität fremd. Er ist etwas entsetzlich Frem­ des, weil er mich ohne weiteres verschlingen könnte, so daß neben diesem 39

Zorn keine Person mehr wäre. Das Schlimmste aber ist, daß ich in solchen Momenten nicht weiß, welche Welt die richtige ist.« Im Vollzug der abnormen Räumlichung ändert sich auch die Handlungs­ struktur der Mitwelt, die Intentionalität, die Identität, die Konsistenz, die Vitalität, kurz: Person und Welt in einem.

V. Schlußbetrachtungen: Psychopathologie der Schizophrenie im Spiegel unserer Reaktionen Die Tatsache, daß man die Schizophrenen jahrhundertelang verfolgt, ein­ gekerkert oder verbrannt hat, mag dem einen Forscher heute bloß als eine unmenschliche und unreflektierte Vorphase des medizinischen Krank­ heitsverständnisses erscheinen, einem anderen aber als ein Anzeichen da­ für, daß die Psychopathologie unteilbar ist und auch uns Gesunde erfaßt. Und wenn wir diesen Gesichtspunkt anthropologisch weiterverfolgen, können wir uns fragen, ob diese eigentümliche mitmenschliche Kompo­ nente in der heutigen Psychopathologie wirklich verschwunden ist. Es wird vielerorts die Meinung vertreten, daß die schizophrene Psychopathologie zum Teil in den Interaktionen der Familien ihren Ursprung hat, deren Son­ dergesetze sich in der Psychopathologie der Kranken (z. B. amorphe oder fragmentierte Schizophrenien, W y n n e ) verfolgen lassen. Darüber hinaus wäre es möglich, in den Eigentümlichkeiten der psychotherapeutischen Gegenübertragung mit ihren regressiven, identifikatorischen aber auch ab­ stoßenden und phantasmatischen Zügen eine Neigung des Menschen zu entdecken, mit den Schizophrenen in sowohl positiven als auch negativen »Komplementärverhältnissen« zu leben. S ea rles war es, dem die Feststel­ lung gelang, wie eigene, gegen den Kranken gerichtete aggressive Impulse von diesem introjiziert und, unabhängig vom Partner, als »schizophrene Aggressivität« agiert wurden. Auch ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß Transitivismus und Appersonierung zu regressiven, gegenseitigen Aus­ drucksformen psychopathologischer Kommunikation werden können. Psychopathologie wird dadurch als ein Weg zum Kranken erforscht: ohne ihre beobachtende Warte aufzugeben, versetzt sie uns gleichzeitig in die in­ nere Lebensgeschichte und in die Welt des Kranken, wobei sie in ihm Erfah­ rungen der Dualisierung stiftet. Eine solche Auffassung von Psychopathologie, die an sich noch keine Psychodynamik, aber eine Grundlage zur Psychotherapie ist, wobei sie in das »Unverstehbare« als Parameter des Verstehens einführt, erfaßt die in­ trapsychische Welt des Kranken als Wiederholung von Grundmustern sei­ nes Daseins im Weltzerfall und bringt eine implizit ärztliche Intention zum 40

Ausdruck: Sie strebt - inmitten von Autismus und Depersonalisation - Er­ fahrungen der Ganzheit und der Identifikation mit dem Kranken an, indem sich dieser mit einem kohärenten ärztlichen Ich in Beziehung gesetzt fühlt. Das geschieht: a) durch unseren ständigen Versuch, die schizophrene Psychopathologie »von innen«, also vom Erleben her und nicht bloß nach dem äußeren Verhalten des Kranken zu erfassen; b) durch unser teilweises Mit-Vollziehen der eigentümlichen Kommunikationssymbole des Kran­ ken; c) in der Bereicherung der autistischen Symbole durch unsere mit­ menschlichen Intentionen und die Inklusion unserer progressiven Phanta­ sien in die abgeschlossenen Bezirke der Selbstentfremdung. Das heißt also, daß der Arzt sich der psychotischen Infragestellung in dem Maße auszulie­ fern hat, als sich auch der Kranke durch den Gesunden zutiefst in Frage ge­ stellt fühlt. In einer solchen Situation der Gegenseitigkeit werden dann exi­ stentielle Symmetrieerfahrungen gemacht. In der kommunikativen Psychopathologie erscheint z. B. die Depersona­ lisation als eine Internalisierung von Personationsstörungen, welche in der Familie oder im sozialen Umfeld des Kranken stattgefunden haben - als ob dieser am eigenen Leib und am eigenen Geist jene Gespaltenheiten austra­ gen müßte, zu deren Brennpunkt er geworden ist. Wenn diese Ansichten auch im psychotherapeutischen Raum entstanden sind, müssen sie hier doch erwähnt werden, denn es gibt nicht eine »Psychopathologie an sich«, sondern immer nur eine duale Situation. So ist uns in jüngster Zeit bei der Schizophrenieforschung kaum eine neue kausale Erklärung des Leidens geglückt, wohl aber das Erfassen einer neuen Physiognomie schizophrener Psychopathologie. Diese neue Physio­ gnomie gründet nicht in einer Beweisführung, sondern in der neuen Stel­ lungnahme einer einst ausschließlich deskriptiven Psychiatrie, die sich nun - einfühlend - als kommunikative Psychopathologie versteht. Wir dürfen indessen nicht übersehen, daß das kommunikative Anliegen auch mancher klassischen Psychopathologie zugrunde lag. E . B le uler zählte »fast die gesamte bis dahin beschriebene Symptomatologie« Schi­ zophrener zu den »sekundären, psychologisch verstehbaren Störungen« (M . B le uler 1972). Vor allem erschien ihm die Demenz, die Verblödung also, als sekundäres Symptom - im scharfen Gegensatz zur bisherigen Auf­ fassung, die gerade im Verblödungsprozeß das Hauptsächliche sah (M . B l e u l e r ). M . B le u l er schreibt, daß seinem Vater, im Gegensatz zu K r a e ­ p e l in , der im Autismus nur die Unzulänglichkeit, das Sich-Absperren ge­ gen die Außenwelt sah, beim Autismus »das Positive ebenso wichtig war«: »das reiche introvertierte Leben nämlich«. Auf ganz ähnliche Art stellte auch M in k o w sk i dem »armen Autismus« den »reichen« gegenüber. Ja, er ging sogar noch weiter und drang zum modernen Begriff der dualisierten Psychopathologie vor: »Nous constatons que nous n’avons pas de contact affectiv avec le schizophrène. N’est-ce pas dire que nous devrions essayer de l’établir?« M . B l e u l er stellte den angeblich primären Charakter der affek41

tiven Stumpfheit, der psychischen Adynamie, der Insuffizienz, der Aktivi­ tätsstörung ( B er ze 1914) mit folgenden Worten in Frage: »Je mehr und je geschickter man sich mit Schizophrenen abgibt, je günstiger die Umstände zur Entfaltung ihrer Interessen, Talente und Leidenschaften sind, um so mehr treten Stumpfheit und Passivität zurück. Je weniger man sich hinge­ gen um sie kümmert, je mehr man sie in überfüllten Anstalten ohne genü­ gend Personal sich selbst überläßt, um so häufiger und schwerer treten Stumpfheit und Passivität an den Tag.« Dies gilt im Grunde für den Autis­ mus nicht weniger als für Athymie und Adynamie. In der Psychotherapie erlebe ich immer wieder, wie aus dem Autismus ein Verlangen nach AusSprache werden kann. Auch M. B l e u l er (1972) meint dazu: »Kennt man den Schizophrenen gut, so spürt man mit Ergriffenheit, daß untergründig im Autismus eine entgegengesetzte Tendenz zum Ausdruck kommt. In die­ sem Sich-Geben liegt eine sehnsuchtsvolle Hoffnung, den Mitmenschen in einer echteren und besseren Art näher zu kommen, als es ihm unter den etablierten gesellschaftlichen Regeln möglich gewesen ist.« »Überall, wo man engere Beziehungen mit Schizophrenen anknüpfte, zeigte sich etwas, das lange erstaunte: die Zerfahrenheit (seit Jahrzehnten als primäres Sym­ ptom angesehen) bei ein und demselben Schizophrenen ist eine wandelbare Erscheinung.« Selbst die Spaltung erscheint damit als »situativ« verankert, und zwar immer dann, wenn es dem Kranken gelingt, mit unserer psycho­ therapeutischen Hilfe großartige Symbole der Synthese zu schaffen; des weitem auch in jenen Momenten, wo der Psychotherapeut die Spaltung seines Partners gewissermaßen »teilt« und sich im Bemühen um seinen Pa­ tienten selbst »mitgespalten« fühlt, gespalten etwa zwischen logischem Nicht-Verstehen der zerfahrenen Sprache und empathischem Verstehen, zwischen positiver und negativer, um Kommunikation ringender Übertra­ gung. Wo der Therapeut in der Teilnahme und Identifizierung eine Seite der Psychopathologie übernimmt, übernimmt der Kranke seinerseits auch Anteile der Psychologie seines Arztes.

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B. Psychodynamik der Schizophrenie

I. Einführung Den Hauptinhalt dieses zweiten Teiles meiner Schrift möchte ich gleich vorwegnehmen: Es wird im wesentlichen um die Darstellung der schizo­ phrenen Psychodynamik gehen, die nicht primär die Beziehungen des Kranken zu seiner Familie und seinem sozialen Umfeld, sondern diejenigen zu sich selbst und seinem Psychotherapeuten widerspiegelt. An dieser Interaktion wird eine »innerseelische Psychopathologie« des Kranken sichtbar; jene Seite der Psychopathologie also, die einerseits die feinen und feinsten Verästelungen der Krankheitsvorgänge entlang den Dimensionen des Erlebens betrifft, andererseits aber auch die therapeuti­ sche Kommunikation erfaßt. Erst die Kenntnis der Zerrformen dieser Psychopathologie und die Ein­ sicht, daß diese zu Vektoren der Psychotherapie werden können, schafft die Voraussetzung für das Verständnis des dritten, eigentlich psychotherapeu­ tischen Teiles. Nur beiläufig gehen wir dagegen auf die familiäre Psychodynamik des schizophrenen Kranken ein. Es handelt sich dabei nicht um eine versehent­ liche Lücke, sondern um eine bewußte Begrenzung. Das zu bearbeitende Material wäre zu umfangreich gewesen. Überdies liegen auf diesem Gebiet jüngste, vortreffliche Darstellungen vor, auf die wir noch hinweisen wer­ den. Wir sind der Meinung, daß die Darstellung der Familiendynamik den Autoren Vorbehalten bleiben soll, die durch eigene familientherapeutische Tätigkeit direkten Einblick in das familiäre Dasein des Schizophrenen ge­ wonnen haben und daraus einen Teil ihres Krankheitsverständnisses schöp­ fen. Unsere Erfahrungen in der individuellen Psychotherapie befähigen uns zum Umgang mit den schizophrenen Symbolen und Leidensäußerungen, ganz gleich, ob diese nun den familiären Interaktionen oder den intrapsy­ chischen Gegebenheiten der Krankheit entwachsen sind. Aus unserer Er­ fahrung ergibt sich dann auch ein psychodynamisches Verständnis der Krankheit, das diese nicht nur unbedingt soziologisch sehen will, sondern vielmehr die ganze schizophrene Existenz, wie diese auch bedingt sein mag, zu erfassen trachtet. Es sei festgehalten, daß unser Ausgangspunkt die psychotherapeutische Beobachtungsweise ist. Wir sind der Meinung, daß innerhalb der Psychia­ trie keinerlei neutrale psychopathologische Beobachtung möglich ist, die sich auf wissenschaftliche Objektivität berufen könnte: Unsere Beziehung zum Kranken spielt dabei immer eine zentrale Rolle. Jede Beobachtungsweise impliziert die Einnahme eines Standortes, und dessen ist sich der Beobachter bisweilen gar nicht bewußt. Der unsere ist eindeutig psychotherapeutisch geprägt, wobei das psychotherapeutische Erfahrungsgut über eine bestimmte Technik samt deren Zielrichtung und Indikation hinausgeht. Unsere Haltung ist in erster Linie eine Art des Mitdem-Patienten-Seins, die einzige übrigens, die es uns ermöglichen wird, ei45

nen ersten Einblick in seine Psychopathologie zu nehmen, die ich als »nega­ tive Existenz« bezeichnen möchte. Sofern der Therapeut dem Patienten gegenüber die richtige Haltung ein­ zunehmen weiß, können im Kranken Vorstellungen entstehen, die die Inte­ gration seiner desolaten psychotischen Welt mit der Vorstellungswelt des Therapeuten zum Ausdruck bringen. Immer dann, wenn in uns die Voraus­ setzung gegeben ist, in die psychotische Welt hineinzuhören, wird dies dem Patienten mit allerkleinsten Signalen offenbart, die sich nur schwerlich durch die Analyse des Dialogverlaufs dokumentieren lassen. Diese Kleinstsignale werden von jenen Rezeptoren verstärkt, die auch im autistischen Patienten allgegenwärtig sind. Das Kommunikationsbedürfnis ist ein Grundzug der menschlichen See­ le. Mag es noch so autistisch verzerrt sein, immer wieder gelingt es ihm - mit schier unerschöpflichen Mitteln - über Grenzerfahrungen, Verirrungen oder kompensatorische Möglichkeiten, sich an den Dialog heranzutasten. Natürlich können die Antworten, die im Verlauf dieses Dialogs auf uns zukommen, negativ gefärbt sein, von Angst gezeichnet, voller Ablehnung oder Mißtrauen. Zum einen haben wir uns dabei an die Kontaktambivalenz des Schizophrenen zu erinnern, des weiteren aber auch an die wichtige Tat­ sache, daß die autodestruktive Aggressivität des Patienten sich in dem Maße vom Ich abzuwenden beginnt, wie sie sich auf einen Partner, den The­ rapeuten, richtet, in Form von Mißtrauen, Skepsis oder negativer Übertra­ gung schlechthin. Antworten von Geisteskranken können mitunter erschütternd sein. Ständig sind wir mit der Ambivalenz, der Abwehr und den negativen Im­ pulsen konfrontiert, die den positiven entweder vorausgehen oder unmit­ telbar folgen. Aber letztere stehen an Ausdruckskraft den Phantasien des Therapeuten häufig in nichts nach. Eine Borderline-Patientin verglich ein­ mal ihre Existenz mit einer Wüste. Den Therapeuten unsicher anschauend, fügte sie hinzu: »Vom Winde bewegt.« Der Wind im Sande: damit war der Blick des Therapeuten gemeint als die flüchtige Erinnerung eines eben ver­ strichenen kommunikativen Momentes. Die negative Existenz des schi­ zophrenen Kranken ist, bevor sie in der Demenz erlischt, eine Grenzsitua­ tion der menschlichen Existenz, eine Radikalisierung ihrer Abgründigkeit. In unser aller Leben finden sich - potentiell zumindest - Spuren einer ne­ gativen Existenz. Diese Tatsache macht es dem schizophrenen Patienten möglich, sein verzweifeltes Kontaktbedürfnis uns gegenüber, innerhalb der zerbrechlichen menschlichen Beziehung zu realisieren, die sich im Laufe dieses Jahrhunderts als Psychotherapie herausgebildet hat. Wer den Umgang mit psychotischen Patienten gewohnt ist, stößt immer wieder mit Überraschung auf eine Existenzform, die der des Autismus dia­ metral entgegengesetzt ist. Zwar stimmt es, daß Autismus gleichbedeutend ist mit der Unfähigkeit des schizophrenen Patienten, aus seiner mit Symbo­ len und Geheimchiffren erfüllten Privatwelt auszubrechen, um den Boden 46

allgemeingültiger Verständlichkeit zu betreten. Ebenso wahr ist es jedoch, daß derselbe autistische Patient, wenn er in eine psychotherapeutische Be­ ziehung eingetreten ist, durchaus imstande ist, im Unbewußten seines The­ rapeuten zu lesen und gewisse Aspekte der Gegenübertragung hellhörig wahrzunehmen. Gewiß, sein Ich ist schwach und außerstande, diese seine Partizipationsweise kognitiv zu erfassen. Dem Psychotherapeuten allein kann sie - samt ihrer introjektiven Dynamik - sichtbar und bewußt werden: Der Patient erlebt seine Wahrnehmung des Gegenübers als eine Verwand­ lung der eigenen Seinsweise. Die Partizipation aufgrund der Übernahme ei­ ner Seins- oder Verhaltensweise des Gegenübers, indem man oft der an­ dere wird, ist kein spezifisches Merkmal der Schizophrenie. Auch bei Neu­ rotikern kann das Vorkommen; ich habe dieses Phänomen sogar in Lehr­ analysen auftreten sehen, und ich halte es für eine dem Unbewußten zuge­ hörigen Dimension, welche die Prärogative einer jeden menschlichen Re­ aktion ist, die den tiefsten Seinsschichten entstammt. Wir kennen den Autismus des schizophrenen Patienten als Unfähigkeit, den Mitmenschen zu begreifen, sich mit ihm zu identifizieren: ausgerechnet in der Kommunikation mit diesen Patienten finden die hochentwickelten präverbalen Kommunikationsphänomene doch ihren intensivsten Aus­ druck, und gerade deswegen können wir sie als die Kehrseite oder das Spiegelbild des Autismus definieren. Ihre Entdeckung ist nur einer der vielen Beiträge, die die Psychotherapie in die klassische Psychopathologie eingebracht hat. Während letztere sich einst damit begnügte, gewissermaßen die Frontansicht des Patienten als eine Summe defizitärer Erscheinungen bezüglich der Normen zu beschrei­ ben, versucht die dynamische Psychopathologie, die aus der Psychotherapie hervorgegangen ist, andere Aspekte aufzuzeigen, deren Tendenz dahin geht, die unseren Normen innewohnenden Unzulänglichkeiten durch die Begegnung mit dem Kranken transparent zu machen. Wie dies geschieht, das ist die Frage. Stimmt eventuell die Vermutung, daß wir unsere abgewehrten Ängste erst in der Begegnung mit einem Menschen wahrnehmen, der ihnen gänz­ lich ausgeliefert ist? Oder wie steht es mit der etwas psychologischeren Hy­ pothese, daß das Unbewußte des desintegrierten, schizophrenen Ich an dem Unbewußten aller Mitmenschen schrankenlos partizipiert, weil die es abgrenzende Ichstruktur sich aufgelöst hat? Von diesem Standpunkt aus betrachtet scheinen die Abwehrmechanismen des Schizophrenen weder allein auf der spezifischen Struktur seiner Triebkonflikte zu beruhen (wie dies bei Neurotikern der Fall ist), noch nur auf dem Versuch des gespalte­ nen Ich, eine egoische Integrität zu rekonstruieren; vielmehr gründen sie in der Partizipation seines Unbewußten an unserer Präsenz und unseren un­ bewußten Verhaltensweisen, die mit den seinigen zerfließen. Dadurch wird der Patient einer ausufemden psychischen Realität ausgesetzt, die er weder zu verdrängen noch ichhaft zu verarbeiten imstande ist. Er wird geradezu 47

deren pathisches Objekt, wird zum Trägerobjekt des Leidens, d.h. seine tiefsten Selbstschichten werden durch die Begegnung zwischen dem eige­ nen Selbst und der Welt transformiert. Außerhalb der Psychotherapie kann dieses Geschehen nur negative Folgen zeitigen, weil die Partizipation des Patienten oft auf keine reale Gegenpartizipation des durch ihn befremdeten Mitmenschen stößt. Im Rahmen der Psychotherapie jedoch werden diese Vorgänge vom Therapeuten erspürt und wahrgenommen. Dadurch wird auch ein bezeichnendes Gegenübertragungsgeschehen in Gang gesetzt, bei dem der Therapeut unter dem Eindruck steht, »im Patienten« zu sein, so wie der Patient »im Therapeuten« ist. Dieses gegenseitige Sich-Durchdringen ist zunächst eine Bedrohung für den psychotischen Patienten, denn er läuft Gefahr, sich selbst zu verlieren. Doch dank der Gegenübertragung nimmt dieses Phänomen in zunehmen­ dem Maße erträglichere Dimensionen an und verwandelt sich auch im Er­ leben des Kranken: er übersteht es, nicht weil er es abzuwehren versucht, sondern weil er es in seiner ganzen Radikalität durch-lebt, bis die rettende Wende eintritt, wo das positive Erleben sich im tiefsten Abgrund der De­ personalisationserfahrung abzuzeichnen beginnt. Wie schon gesagt sind solche Vorgänge außerhalb der Psychotherapie kaum denkbar, weil hier dem Patienten ein Spiegelbild des Irreseins entgegengehalten würde. In der Psychotherapie jedoch wird der Rahmen dafür geschaffen, daß er im Ange­ sicht der Person des Therapeuten die eigene Person wieder finden kann.

II. Schizophrenie als negative Existenz 1. Die negative Identität Mit den Begriffen »Nicht-Existenz« oder »negative Existenz« versuche ich ein anthropologisches Konzept darzulegen, das über das hinausgeht, was man im streng medizinischen Sinne als Schizophrenie bezeichnet. Damit möchte ich nur die geistige Befindlichkeit dieser Patienten beschreiben: eine Art Erfahrung der Nicht-Existenz. Auf den ersten Blick mag diese Formulierung weniger strukturiert erscheinen als der klare Begriff der »psychischen Fragmentierung«. Man könnte auch die Bemerkung anbrin­ gen, daß die Erfahrung der Nicht-Existenz eine Folge der psychischen Fragmentierung ist: sobald sich die psychischen Strukturen (denen wir das Bewußtsein verdanken) auflösen, fällt die Existenz der Zerstörung anheim. Gewiß, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, mögen Begriffe wie »Fragmentierung der Psyche« oder »Ichspaltung« dem Aus­ druck »negative Existenz« vorzuziehen sein, weil ihnen mehr Objektivität eignet. Sie beschreiben einen von außen beobachteten Auflösungsprozeß 48

nicht nur auf der existentiellen Ebene, sondern schließen auch die mögli­ cherweise parallel verlaufenden psychobiologischen Komponenten mit ein. Negative Existenz stellt nur die Erlebensseite des Ichzerfalles dar; wir wen­ den uns deshalb dieser Seite der Spaltung zu, weil uns in der Psychotherapie vor allem das Erleben des Menschen wichtig ist. Hinter diesem Begriff steht jedoch am ehesten die Gesamtheit der Erfahrungen, denen unsere Kranken ausgesetzt sind. Und damit kommt er auch der Welt des Kranken näher als alle übrigen Umschreibungsversuche, wie Dissoziierung, Auflösung, Frag­ mentierung und Destrukturierung der Psyche; allerdings kommen wir ohne diese Begriffe nicht aus, sobald wir uns um eine Theoriebildung bemühen. Die schizophrene negative Existenz ist, mehr oder weniger ausgeprägt, auch bei Borderline-Patienten vorhanden; hier wie dort zeigen sich Ge­ meinsamkeiten des Erlebens, die dem schizophrenen Spektrum angehören. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Patienten, der häufig unter dem quälen­ den Eindruck stand, daß seine »Gedankengänge immerfort abrissen«. In den ent­ stehenden Lücken hatte er das Gefühl, »große Teile seiner selbst zu verlieren«, und es breitete sich eine Leere in ihm aus, die ihn mit Grauen erfüllte. Das Wort versagte sich ihm, seine Tränen versiegten. Zuweilen gelang es ihm, seinen Zustand folgen­ dermaßen zu schildern: »Es gibt nichts Schrecklicheres, als die Last einer Vergan­ genheit zu spüren, die ohne Erinnerung ist. Die hinter mir liegenden Jahre erdrükken mich, weil sie leer sind.« Es handelte sich hier keineswegs um eine hysteriforme Amnesie, sondern um die Erfahrung des Nichts, die der Patient beschrieb, eine Erfahrung, die seine Existenz ausfüllte und gleichzeitig auflöste*. Wobei zu bemerken ist, daß seine Erinnerungen keineswegs verdrängt waren, wie dies üblicher­ weise bei der Hysterie der Fall ist. Bei anderen Gelegenheiten stiegen sie auf und konnten von ihm ohne weiteres in Worte gefaßt werden. Dennoch war das Nichts da, sichtbar, spürbar in der Verzweiflung, mit der der Patient - nach langen Schweigepausen - darüber zu reden vermochte. Nie sprach er vom Nichts, als ob er sich gescheut hätte, das Gespenst beim Namen zu nennen, aber dessen Gegenwart wurde aus jedem seiner Worte spürbar. Kaum rührte seine Erinnerung an einen Traum, den katastrophalsten, den er je gehabt hatte, geriet er in tiefste Verzweiflung. Er befand sich in diesem Traum auf der Suche nach dem »Todeskandidaten« und forschte in einer Pyramide nach ihm, die jedoch eine kleinere Pyramide umschloß, ge* Freuds Grundannahme, daß die Objektbesetzungen in den narzißtischen Psychosen auf­ gelöst werden, ist innerhalb der Folgerungen, die wir daraus zu ziehen gedenken, durchaus an­ nehmbar. Hingegen zweifle ich an der Hypothese Freuds, wenn daraus der Schluß gezogen wird, daß der Schizophrene zur Übertragung nicht fähig ist, da er mangels Objektbesetzungen, die er erst auf den Therapeuten projizieren sollte, keine Kommunikation zustande bringt. Sinnvoll ist Freuds Hypothese insofern, als man davon ausgehen kann, die unbewußten Ob­ jektvorstellungen des Schizophrenen seien derart amorph, daß sie sich ausschließlich in der In­ tentionalität des Therapeuten strukturieren können. Mit andern Worten: Nur aus der thera­ peutischen Haltung dem Patienten gegenüber wird die schizophrene Leere faßbar. Und erst in der Kommunikation vermag sich das Unbewußte des Patienten zu strukturieren.

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wissermaßen den Schatten ihrer selbst. Die zweite barg eine dritte in sich, und so ging es immer weiter. Der Patient bemühte sich, den Kern der Pyramide aufzuspüren, aber am Ende nahm er mit Schrecken wahr, daß die Pyramiden - kleiner und kleiner werdend - sich schließlich in einem Punkt auflösten: ein Kern war einfach nicht vorhanden. Der allgegenwärtige Todeskandidat existierte nicht. Es ist möglich, daß dieses existentielle Nichts von einer affektiven Leere in der Kindheit des Patienten herrührte oder mit irgendwelchen destrukti­ ven Impulsen aus jener Zeit in Zusammenhang stand. Indessen ist es - wie schon gesagt - sinnlos, all das analysieren zu wollen, bevor überhaupt ein Adressat da ist, ein Ich im Patienten, dem wir gewisse Einsichten mitteilen könnten. Dieses Ich existiert nicht oder ist allenfalls in Auflösung begriffen. Je mehr wir Deutungen auf Deutungen häufen, wobei es gleichgültig ist, ob sie auf genetischer Basis beruhen oder Verhaltensmuster betreffen, de­ sto unerträglicher wird die Last auf den Schultern des schwachen Ich, ja, wir beschleunigen dadurch gerade dessen Desintegrierung. Der alte Grund­ satz, daß die Psychoanalyse bei Psychosen kontraindiziert ist, hatte also die­ sen Sachverhalt durchaus erfaßt. Die Psychotherapie der Psychose ist aber auch analytisch orientiert, da wir ständig bereit sein müssen, uns selbst im Begegnungsfeld mit dem Kranken zu analysieren. Bei jedem Schritt haben wir uns Rechenschaft darüber zu geben, welche Tragweite unsere Worte und dargelegten Zusammenhänge für die Selbstidentität des Kranken an­ nehmen. Um auf unseren Patienten zurückzukommen: es wäre sinnlos, seine Aus­ sage, daß die vergangenen Jahre ihrer Leere wegen auf ihm lasten, gleich zu analysieren und nach frühen Angsterlebnissen zu suchen. Sinnlos und über­ flüssig auch insofern, als der Patient selbst immer wieder beteuerte, daß ihm noch so angsterfüllte Konfliktsituationen oder Erfahrungen tausendmal lie­ ber wären als das Nichts. Bei diesem Nichts handelt es sich offensichtlich nicht um eine Abwehr der Angst: vielmehr ist die Angst eine Folgeerschei­ nung des Nichts. Die Abwehr gegen die Nicht-Existenz muß erst in gemeinsamer Arbeit mit dem Patienten entwickelt und aufgerichtet werden, denn primär ist sie einfach nicht vorhanden. Sie gründet in mitmenschlicher Liebe, in jener Urschicht des Seins, die Existenz überhaupt erst anzukünden vermag. Am An­ fang zumindest sollte die Psychotherapie keinesfalls den Versuch unter­ nehmen, die Urerfahrungen zu analysieren, die zur Nicht-Existenz geführt haben. Vielmehr ist sie als ein Versuch des Therapeuten zu verstehen, in­ nerhalb der Nicht-Existenz des Patienten zu existieren, um diese durch sein Da-Sein und Mit-Sein wenn immer möglich auf eine Existenz hin zu ver­ wandeln.

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2. Todeslandschaften In vielen Familien gibt es Interaktionsbereiche, die sich mit Begriffen wie Verzerrungen, Mißverständnisse, Projektionen, Als-Ob-Kommunikation, Konflikte, Komplexe, Irrationalitäten, Pseudomutualitäten usw. umschrei­ ben lassen. Ich würde darüber hinaus von menschlichen »Todeslandschaf­ ten« sprechen. Nicht in allen solchen Familien finden wir schizophrene Kinder, so wie umgekehrt auch nicht alle Schizophrenen psychisch gestör­ ten Familien entstammen. Die Korrelation gilt also nur in Grenzen. Sie kann statistisch kaum erfaßt werden, weil sich der Grad einer familiären Störung, die kein klinisches Bild ergibt, nicht unabhängig von unserer Ein­ stellung zu ihr verstehen läßt. Nichtsdestoweniger - oder gerade deswegen - ist das familiengeschichtliche Modell eine Urform der Zuwendung unse­ ren Kranken gegenüber: Wir begegnen ihnen in ihren früher erlebten To­ deslandschaften der Seele. Unter Todeslandschaften verstehe ich Leerräume, in denen gewisse menschliche Fähigkeiten nicht zur Entwicklung gelangen und existentiell unentbehrliche Grundmuster sich nicht konfigurieren können; überdies mangelt es an elementaren Urerfahrungen, die das amorphe Ich sukzessive strukturieren sollten. So fehlt es an Verdrängungsmechanismen (wie sie uns von der klassischen Psychoanalyse gezeigt wurden). Hingegen zeichnen sich im Unbewußten »stumme Zonen« ab, eine fehlende psychische Struk­ turierung, die man, um einen aus der modernen Astronomie stammenden Begriff zu verwenden, »schwarze Löcher« nennen könnte. Das Tragische beginnt, wenn solche - sonst abgewehrten - innerfami­ liären Todeslandschaften von den Patienten völlig introjiziert und intemalisiert werden, wie dies bei Konflikten oder interpersonalen Verzerrungen manchmal der Fall ist. Von diesem Augenblick an breiten sich die Todes­ landschaften nicht mehr zwischen den einzelnen Familiengliedern aus, die sie begrenzen, sondern im innersten, vitalsten psychischen Zentrum des ei­ nen psychotisch gewordenen Individuums und stehen hier für die versiegte Quelle seiner psychischen Abwehr. Seine psychische Landschaft ist dann von Todeslöchern übersät, wird von ihnen zerrissen und aufgelöst. Das ist ein unverwechselbares Merkmal der Psychose. Im Unterschied dazu werden in der Neurose nur positive Phäno­ mene introjiziert: positiv nicht im psychodynamischen Sinne (da sie psychopathologischer Natur sind), sondern im Hinblick darauf, daß sie über­ haupt existent sind. Können die Todeslandschaften der Seele, wenigstens teilweise, mit dem Gewebe und der Substanz des psychoanalytischen Dialogs überdeckt wer­ den? Das ist vielleicht realisierbar innerhalb des Bezugsrahmens des psycho­ therapeutischen Gesprächs mit dem Schizophrenen: Die von seinen Todes­ zonen auf uns übergreifende Wirkung erschüttert unser Unbewußtes zu51

tiefst, so daß ein Zustand wechselseitiger Verinnerlichung und Identifika­ tion eintritt. Darüber wird im zweiten Teil dieses Buches, der der Psycho­ therapie gewidmet ist, Genaueres zu sagen sein. 3. Die Leih-Existenz Eine besondere Erscheinungsform der Nicht-Existenz ist die stellenweise totale Identifikation des Patienten mit den Vorstellungen, die seine Mit­ menschen von ihm entwickeln. Der Patient hat seine Ichgrenzen verloren und lebt gewissermaßen auf Kosten der anderen. Die überaus anstrengen­ den Anpassungsmanöver an die introjizierten Bilder führen zum Verlust seiner Autonomie. Es stellt sich also nicht bloß eine affektive Abhängigkeit ein, denn der Partner, von dem der Patient abhängt, befriedigt nicht einfach einen Teil seiner Bedürfnisse, sondern beeinflußt ihn in seinem eigensten Kern. Dadurch wird unser Patient zu einem Ding, einem Bildnis, einem Gedanken des anderen. Schriftsteller wie P ir a n d e l l o und D e U n a m u n o haben in einigen ihrer Werke ähnliche psychische Befindlichkeiten geschildert. Dadurch brachten sie, vermutlich aus eigener Erfahrung oder aus tiefer Intuition der mensch­ lichen Existenz, Erfahrungen von Grenzsituationen zum Ausdruck, deren Erlebensgehalt für unsere Patienten tägliche und schreckliche Realität be­ deutet. Diese Realität vollzieht sich bei ihnen allerdings ohne jegliche dich­ terische Phantasie und Schöpferkraft. Es mangelt ihr an einer sekundären Aufarbeitung, die das Wahrzeichen jener Reflexion ist, welche beim Dich­ ter psychotisch anmutende Erlebnisse (Primärvorgänge) mit integrierten und differenzierten psychischen Vorgängen (Sekundärprozessen) verbin­ det. Diese Verbindung ist wohl für Poesie und Literatur kennzeichnend, spiegelt aber höchst selten den geistigen Zustand in seiner äußersten psy­ chiatrischen Desolation; sie schildert bloß eine Begegnung zwischen dichte­ rischer Phantasie und Psychose. Für den Kranken ist das Aus-sich-Herausfallen, um in der Vorstellungs­ welt des anderen aufzugehen, die einzige mögliche Überlebensweise und gleichzeitig Verzicht auf eine eigene Existenz. Einst sagte mir ein Patient, er lebe »ohne persönlichen Ausweis«, »in der Identitätskarte der anderen«, so wie bei P ir a n d e l l o die Gestorbenen bis­ weilen im Geiste jener Gestalten weiterleben, denen sie früher nahestan­ den —ohne aber deswegen ein eigenes Gesicht zu haben. Nicht der Schat­ ten, sondern der Leib im metaphysischen Sinne des Wortes ist ihnen abhan­ den gekommen. Ein Mensch, der sein Haus auf der obersten Kuppe des Ätna baut, lebt weit ungefährlicher als derjenige, der ohne »persönlichen Ausweis« existieren muß. Sobald die Beziehungsperson, auf deren Kosten er lebt, sich von ihm abwendet, ihn gar vergißt oder auch nur die eigenen Vorstellungen umkrempelt, stürzt er ins Leere: »Als ob der Abbruch der 52

Beziehung einer endgültigen Vernichtung gleichkäme«, »als ob man mir den letzten noch verbliebenen Teil entrissen hätte«. Das Im-anderen-Leben ist die Vorstufe der Vernichtung, denn der Ge­ danke kann nur für ein ihn er-denkendes Ich existieren. Die tiefe Beunruhi­ gung des schizophrenen Patienten um das Sich-selbst-Haben bedeutet so­ mit, daß für ihn die antike, klassische und urmenschliche Dichotomie zwi­ schen Sein und Haben nicht besteht. Sich-selbst-Haben bedeutet noch nicht Sein, denn Seinserfahrung setzt unbewußtes Sich-selbst-Haben, Sich-Finden und Sich-Entwickeln voraus. Und Sich-Haben ist nicht denkbar in ei­ ner Welt, in der man sich selbst nicht findet. Dies allein mag schon genügen, um wenigstens anzudeuten, wie die psychotische Existenz in Kategorien angesiedelt ist, die unserer Art zu empfinden und zu denken völlig fremd sind. Seitdem die Psychologie von der Literatur rezipiert worden ist, sind im­ mer wieder Gestalten aus dieser Sphäre aufgetaucht. Es sei hier als Beispiel P ir a n d e l l o s Heinrich IV. erwähnt.: Nachdem er aus jahrzehntelangem Exil im Autismus in die Realität zurückgekehrt ist, kommt er zu der Ein­ sicht, daß in einer veränderten Welt kein Platz mehr für ihn ist, außer im Wahnsinn, und er faßt den Entschluß, wieder in die Maske des Irreseins zu­ rückzuschlüpfen. Derlei Entschlüsse sind unvorstellbar in einer wirklichen Geisteskrankheit. Der Schizophrene beschließt nichts, er ist unfähig auch nur die banalste Entscheidung zu treffen, die seinen Alltag betrifft. Einen Platz zu haben, und wäre es nur in sich selbst, ist ein so kostbares Gut, daß li­ terarische Exkurse darüber einem nur ein Lächeln abgewinnen können. Es gibt einen großen Unterschied zwischen P ir a n d e l l o s »Uno, tutti e nessuno« und einem wirklich Schizophrenen, der njcht brillant zu reden weiß, sondern ganz einfach in der Angst ertrinkt, niemand zu sein, und des­ wegen die Wohnung mit Spiegeln vollhängt: die einzige Selbstbestätigung findet er in den von überall her auf ihn zurückgeworfenen Bildern. Sie be­ wahren ihn davor, daß die Wände durchlässig werden für das fratzen­ schneidende Nichts. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit des Patienten, der allen Ernstes befürchtete, in den Therapeuten verwandelt zu werden*. Für uns Gesunde mag eine solch erschütternde Aussage zum Thema ei* Eine psychotherapeutische Variante dieser Angst tritt bei jenen Schizophrenen auf, die uns sagen, daß ihr Erleben des Persönlichkeitsverlustes »beim Gedanken daran, daß ja der Therapeut, irgendwo auf der Welt, existiert«, schlagartig aufhört. Hier konstelliert sich die Psychotherapie als die Kehrseite der Psychopathologie; die konstruktive Bewegung zeichnet sich in den Parametern der Todeslandschaft ab, oder genauer: innerhalb der wahnhaften Übersteigerung der Persönlichkeit, sich als der andere zu fühlen. Der Patient nimmt die Exi­ stenz des Therapeuten als Appersonierung seiner Nicht-Existenz wahr, ein psychopathologisches Phänomen, dessen Entdeckung E. B leuler zu verdanken ist. Gerade im Phänomen selbst und nicht erst in seiner Transzendenz findet eine Kippreaktion statt zwischen Nicht-Exi­ stenz und Existenz.

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ner literarischen Erzählung werden oder zu einer Randbemerkung in der Krankengeschichte Anlaß geben. Doch in jedem Fall fließt etwas uns Eige­ nes mit ein, unsere Betrübnis vielleicht, die etwas Beruhigendes enthält: nicht von einem Wesen zu stammen, das schizophren ist. Wäre dies nicht so, wäre jede Beschreibung des Irrationalen unmöglich, jedes Verständnis da­ für undenkbar. Faßbar wird das Irrationale erst, wenn wir es in das Gefäß der Rationalität gießen. Aus dem Bemühen heraus, das irrationale Erleben des Patienten besser zu verstehen, spreche ich bisweilen von dessen »para­ sitären Identität«. Darunter verstehe ich eine Selbstidentität, die aus­ schließlich aus dem Bedürfnis erwächst, Negation eines Vorbildes (d.h. ei­ nes Mitmenschen) zu sein. Patienten ohne eigene Selbstidentität sind bildhaft ausgedrückt-einem Satelliten unserer Erde vergleichbar: die Erde - als Vorbild - um die der Patient seine Kreise zieht. Wenn wir uns nun vorzustellen versuchen, wie dieser negative Spiegel des Patienten (d.h.: der Mitmensch in Wirklichkeit, die Erde in unserem Ver­ gleich) einer Katastrophe zum Opfer fällt, dann bedeutet das auch das Ende der Existenz unseres Satelliten-Patienten: er stürzt aus seiner Umlaufbahn und geht im Chaos unter. Solche Phänomene sind im Alltag häufiger anzutreffen, als meine viel­ leicht etwas seltsam anmutende metaphorische Umschreibung vermuten läßt. Sie sind im Grunde von einer erschreckenden Einfachheit. Der folgende uns bekannt gewordene Fall mag dies veranschaulichen: Eine junge Patientin fiel in einen schizophrenen Auflösungsprozeß, nach­ dem einige Monate vorher ihre Schwester an einer (ebenfalls schizophre­ nen) Psychose erkrankt war. Diese Schwester war in der Familie stets als die Gute, Verständige, als Trost und Stütze ihrer Eltern bezeichnet worden im Gegensatz zur anderen Tochter, die mit ihrer gegen »die arme Mutter« gerichteten Aggressivität als das schwarze Schaf galt: sie war so etwas wie ein unförmiger, dunkler Fleck, von dem sich hell und klar - ein Umkehrbild sozusagen - die Identität der Schwester abhob. Diese Tatsache allein hätte schon genügen können, um in ihr eine psychi­ sche Störung hervorzurufen, auch ohne die Erkrankung der Schwester. Nicht daß sie etwa mit übertriebener Liebe am Leidensweg der Schwester teilgenommen hätte! Umwerfend für unsere Patientin war vielmehr die Entdeckung, daß sich die »Gute« in der Familie als ein Häuflein Unglück herausstellte, daß der Schatten somit nicht mehr Schatten war und sie die eigene Identität nicht mehr als Gegenbild und »Viceversa« der Schwester verstehen konnte. Parasitäre Selbstidentität als Ausdruck mangelnder Identität: damit glei­ tet gegenseitige Beeinflussung in eine wahnhafte Dimension hinein. Nach­ dem unsere Kranke um ihre Spiegel- und Satellitenbeziehung gekommen war, stürzte auch sie in das psychotische Chaos ab. Oder wie sie sich mit ei­ genen Worten ausdrückte: »Ich werde psychotisch, um meiner Schwester zu helfen, um mit ihr die Krankheit zu teilen.« 54

4. Schizophrene » Objektivierung« und der Beeinflussungswahn In normalen empathischen Identifizierungsprozessen schlüpfen wir in den anderen hinein, um ihn zu verstehen, wobei wir eigene Fragmente und Segmente unseres Daseins in ihm wiederentdecken oder zumindest erah­ nen. Dadurch empfinden wir diesen anderen als uns ähnlich. Diese Tatsache ist als so unumstößlich zu betrachten, daß sogar ein Neurophysiologe wie A d r ia n , selbst kein Psychologe, an einem Neurologen­ kongreß über das Thema Bewußtsein meinte: »Sollte die Technik einmal Maschinen erfinden, die >bewußtseinsfähig< wären, könnten wir Menschen das nicht wahrnehmen; wir wären nämlich außerstande, an das zu glauben, was uns diese Maschinen glaubhaft zu machen versuchten; denn es würde außerhalb unserer Möglichkeiten liegen, uns mit Mechanismen zu identifi­ zieren, die von den unsrigen zu sehr abweichen.« So wie wir den andern ver­ stehenf indem wir in ihm parallele Daseinssegmente entdecken, fühlen wir uns nur dann von ihm verstanden, wenn es uns gelingt, eben diesen anderen in uns zu akzeptieren und zu spüren, daß auch er das wahrnimmt. Das nenne ich - im Vergleich zum psycho-physischen - einen psycho-psychischen Par­ allelismus. Die natürliche zwischenmenschliche Empathie beruht auf der unmittelbaren, präverbalen, der psychischen Grundstruktur inhärenten Wahrnehmung der Existenz gemeinsamer Segmente. In psychischen Zu­ ständen, die wir, je nach Grad der Störung, als schizothym, schizoid, auti­ stisch oder schizophren bezeichnen, fällt diese Wahrnehmung teilweise oder ganz aus. Über das Warum läßt sich diskutieren. Zum Beispiel kann man vermuten, daß es sich dabei um einen Defekt in der psychischen Struk­ tur handelt, der von vornherein bestanden hat und von dem deshalb jede nur denkbare menschliche Erfahrung von vornherein geprägt ist. Man könnte aber auch von der Annahme ausgehen, der Empathiemangel be­ ruhe auf einer psychodynamischen Abwehr, die sich vielleicht gegen be­ stimmte postnatale Eindrücke richtet, die von der Begegnung mit einer pos­ sessiven und aggressiven, das Selbst des Kindes ganz beherrschenden Mut­ ter herrühren. Möglicherweise liegt aber ebenso eine anlagemäßige wie er­ worbene Ichschwäche vor, die den Patienten der ständigen Gefahr aussetzt, von allen - auch den nicht-aggressiven - Mitmenschen überrannt zu wer­ den. Wie auch immer unsere Theorie lauten mag, gesichert scheint mir, daß die autistische Barriere, die die empathische Identifikation verhindert, zu­ gleich jene fundamentale Erfahrung ausschließt, die vermutlich jedem menschlichen Wesen angeboren ist: die Erfahrung nämlich, unverwechsel­ bar man selbst zu bleiben trotz der Wahrnehmung ähnlicher oder - wenn auch in geringerem Maße - gleicher Fragmente im anderen. Dieses A nders-Sein bei allem Sich-Ähneln, das Verschieden-Bleiben trotz wechselsei­ tiger Durchdringung und das Aufrechterhalten einer Selbstidentität in der Dualität stellen einen Grundzug menschlichen Seins dar und bilden die Vor55

aussetzung für das gegenseitige Sich-Identifizieren, ohne daß dabei jene schizoiden Ängste auftreten, die einen bevorstehenden Identitätsverlust ankündigen. Abgesehen von der eben erwähnten autistischen Barriere gilt es in der Pathologie der Schizoidie einen zweiten und nicht minder gefährdenden Faktor zu berücksichtigen, der katastrophale Auswirkungen haben kann: Die Unfähigkeit, den anderen wahrzunehmen, beruht zum Teil offensicht­ lich auf einem Mangel an Selbstwahrnehmung. M. M a h l e r hat uns bei­ spielsweise von autistischen Kindern berichtet, die sich selbst schlugen nicht etwa aus einer masochistischen Regung heraus, sondern um auf diese Weise das eigene Selbst über grobe, universal-physiologische Reize, über Schmerzen also, wahrzunehmen. Solch eine Wahrnehmung der eigenen Körperoberfläche wäre eine wenn auch unzulängliche, so doch stellvertre­ tende Art der Selbstwahrnehmung. Ich habe ähnliche Phänomene auch bei Erwachsenen beobachten können, die sich, im Unterschied zu den von M. M a h le r beschriebenen Kindern, spontan und deutlich dazu äußern konn­ ten, ohne von jemandem in irgend einer Weise beeinflußt worden zu sein. Mit unseren Überlegungen gelangen wir zu folgenden Schlüssen: Die beiden pathologischen Mechanismen, dit autistische Barriere einerseits und der Mangel an Selbstwahrnehmung anderseits, lassen dem Subjekt das Ob­ jekt als fern und fremd erscheinen, auch wenn es eine Quelle all jener kon­ ventionellen Perzeptionen bleibt, die dem Sozialisierungsprozeß innewoh­ nen. Während bei einer defekten Selbstwahrnehmung häufig irgendwelche, wenn auch unbefriedigenden Auswege vorhanden sind, die den Menschen einen gewissen Kontakt mit sich selbst herzustellen erlauben, fehlen solche kompensatorischen Möglichkeiten in dem unvergleichlich größeren Bezie­ hungsbogen, der den Schizophrenen mit dem Mitmenschen vereinigen soll­ te, fast gänzlich. Der andere wird als »fern«, »fremd« und »abwesend« empfunden. Sofern wir diesen Tatbestand eher vom energetischen als vom existentiellen Standpunkt aus betrachten, ließe er sich als fehlende libidi­ nose Objektbesetzung definieren. Damit stoßen wir zu einer neuen Feststellung vor: Die Präsenz eines libidinös unbesetzten, fern-gerückten, fremd anmutenden Objektes wird durch bestimmte sinnliche Wahrnehmungskanäle wohl in seiner Verschie­ denheit, nie aber in seiner Identität geortet und wird so im weitesten Sinne des Wortes zur unmittelbaren Gefahrenquelle, ganz unabhängig davon, wie seine semantischen Merkmale beschaffen sein mögen. Zu den am Ursprung dieses Prozesses stehenden primären autistischen Abwehrmechanismen, die in Gefahrensituationen einmünden, gesellen sich die sekundären, die wiederum vom täglichen Erleben dieser Gefahr stammen und deren Wurzeln tief in die primäre Abwehr hineingreifen. Primäre und sekundäre Abwehr sind auf eine derart komplexe Weise inein­ ander verflochten, daß sie in der Praxis höchstens teilweise analysiert wer56

den können. Das physiologische Bedürfnis, den Mitmenschen zu verstehen, sei es, daß man in den Ähnlichkeiten sich selbst wiederentdeckt, sei es, daß einem vom Partner direkte Bestätigung zukommt, wird also in sein Gegen­ teil verkehrt: Das Objekt wird möglichst ferngehalten. In gewissen Fällen kann dieses Phänomen neurotischer Natur sein. Der phobische Patient zum Beispiel hält sich das Objekt vom Leibe, indem er es meidet. Der obsessive Mensch verwandelt das Objekt, das er fernhalten muß, in irgendein Sym­ bol, das er dann, unter großen Anstrengungen, mit Hilfe von Zwangsge­ danken und -handlungen zu kontrollieren versucht. Aber diese Abwehr­ manöver - die so entmenschlichende Zwanghaftigkeit mit eingeschlossen sind in den Leidenszuständen der Psychose nicht ausreichend. Hier ist das Objekt weder eingrenzbar wie bei der Phobie, noch läßt es sich mit Zwangshandlungen unter Kontrolle halten. Die typisch schizophrene Fernhaltung des Objektes äußert sich in dessen Reduktion auf eine Maschine, deren Mechanismen der Patient dann aufs genaueste erforschen will. Ich denke hier an jene Kranken, die sich befähigt glauben, die Gedanken der anderen zu lesen und dabei so tun, als ob alles, was diese denken, sagen und machen werden, von ihnen vorausgesehen werden könnte. In dieser Mechanisierung des andern, die teilweise den Deanimierungsprozessen entspricht, wie sie von M. M a h l e r bei autistischen Kindern beobachtet wurden, liegt der Ursprung des psychotischen Beein­ flussungswahns: Beeinflussung also, um das Objekt zu deanimieren, zu me­ chanisieren, zu entfernen, zu töten. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, daß man sich selbst auch zu ei­ nem Objekt oder Mechanismus der anderen reduziert fühlt, - wie dies etwa bei T a u s k s »Beeinflussungsapparat« der Fall ist, der meines Erachtens ei­ nerseits die beeinflussende Außenwelt symbolisiert und anderseits den Pa­ tienten selbst, welcher sich projektiv im Spiegel seiner Halluzination und Wahnidee wahrnimmt. Im Kreuzfeuer der realen psychologischen Beeinflussung, die ständig von den anderen ausgeht, fehlt es dem Patienten an jener Erfahrung vertrauter, gegenseitiger Ähnlichkeit, die uns das eigene Selbst als etwas Unveräußer­ liches, Konstantes empfinden läßt, und zwar auch dann noch, wenn man uns konkret zu manipulieren und zu dominieren versucht. Die Erfahrung also, daß man auch in der Zuwendung, in Liebe und Haß, d. h. im gesamten Wir­ kungsbereich des anderen, man selbst bleibt. Die Empfindung einerseits, zu einem weit entrückten Mechanismus des anderen geworden zu sein, das Gefühl anderseits, einverleibter Teil des Mitmenschen zu sein, drücken zwei völlig verschiedene Erfahrensweisen aus, die der leeren Ferne und die der quälenden Nähe, welche sich jedoch gegenseitig berühren. In der psychotischen Situation, die gekennzeichnet ist von Identifizierungsverzerrungen, die sich aus Empathiemangel erge­ ben, gibt es für den Patienten die Abwehrmöglichkeit, das kategoriell ratio­ nale Kausalitätsdenken in die magische Welt einzuführen. Das gegenseitige 57

magische Sich-Durchdringen wird dann zu pseudorationalen Prozessen persekutorischen Charakters aufgearbeitet, die nach Meinung des Patien­ ten einem äußerst rigorosen Determinismus unterworfen sind. Diese be­ wußte Erfahrung einer strikten Vorausbestimmung, die wiederum seine Erfahrung spiegelt, zu einer Maschine reduziert worden zu sein, bringt ihn immerhin in die Lage, für die nach strengen Aktions-Reaktions-Mustern durchstrukturierte Welt eine Art Pseudo-Verständnis aufzubringen. Sich selbst betrachtet er gleichzeitig als Schöpfer und Opfer des Systems. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen des Kyberneti­ kers M c Kay . Von der FREUDschen These ausgehend, daß der Mensch vom eigenen Unbewußten wie auch von der Umwelt weit stärker determiniert sei, als er dies an­ zunehmen beliebt, geht er einen Schritt weiter als F reud und ist der Meinung, unser Freiheitsempfinden sei nicht einfach eine Illusion, sondern Teil einer kyberneti­ schen Korrelation, die nicht minder real sei als der Determinismus. Aufgrund seiner kybernetischen Berechnung kommt er dann zu der folgenden Annahme: Wenn wir aus irgendeinem Grund um unser Freiheitsempfinden kämen, würde unser Verhal­ ten seinen Charakter relativer Voraussehbarkeit einbüßen, denn diese stellt sich nur in dem Maße ein, wie ein Freiheitsempfinden vorhanden ist. An dieser Stelle möchte ich ein weiteres Argument Vorbringen: Wenn wir uns einen Schizophrenen vor Au­ gen halten, der in seinem Beeinflussungswahn jegliches Freiheitsempfinden verlo­ ren hat und dessen Verhalten von raptusartigen Handlungsabfolgen und unbere­ chenbaren Reaktionen durchsetzt ist, so ist das für uns - bei aller Kenntnis, die wir von der Schizophrenie haben mögen - weit weniger überschau- und voraussehbar, als dies bei den empathisch nachvollziehbaren Reaktionen der Fall ist, die wir von Normalen erwarten.

Der schizophrene Patient erlebt sich zeitweise als ein äußeres Objekt oder als ein Objekt des sich ihn vorstellenden anderen. Im ersten Fall spricht man von einer projektiven Identifizierung (»Ich bin das Zimmer, in dem die Sitzung stattfindet«), beim zweiten von einer introjektiven Identifi­ zierung (»Ich war die Wärmflasche meiner Großmutter«). Solche und ähn­ liche Sätze, die wir immer wieder von unseren Patienten zu hören bekom­ men, sind keinesfalls im metaphorischen, sondern im wörtlichen Sinne zu verstehen. Interessant daran ist nicht etwa die Beschreibung dieser konkretistischen Sprache, die der herkömmlichen Psychiatrie längst bekannt ist, sondern die Feststellung, daß eine Heilung sich nicht einfach durch das Ver­ schwinden solcher psychotischer Verhaltens- und Ausdrucksweisen ein­ stellt, sondern erst durch die therapeutische Übertragung eingeleitet wird. Sie verändern sich, indem sie auf den Therapeuten übertragen werden. Die therapeutische Verwandlung der projektiven und introjektiven Identifizierung tritt da ein, wo sich der Patient »drin im Therapeuten« spürt, sich in ihm formt und durch ihn wenigstens ein Minimum an eigener Freiheit in die Erfahrung einbringt. Das bildhafte »Im-Therapeuten-Sein« kann sowohl wörtlich wie auch als Metapher verstanden werden. Es ist für beide wahr, konkret für den Kran­ ken, symbolisch für seinen Psychotherapeuten. Jener erlebt die symboli58

sehe Bestätigung und Sinnerfüllung seiner konkreten Erfahrung; dieser er­ fährt am anderen die konkrete Intensität des Symbols. So entsteht im ge­ meinsamen Ubertragungserleben ein erhöhtes Freiheitsgefühl, ein SichUberlagern des Konkretistischen und Metaphorischen, ein ständiges Hinund Hergleiten von einem Pol zum andern. Es kann in gewissen Fällen die Situation eintreten, wo sich ein Patient, der sich als nicht-existent und völlig determiniert erlebt, eine vom Therapeuten umgrenzte Existenz akzeptie­ ren kann, denn der Therapeut schafft ihm - bei aller Konditionierung - den psychischen Raum, der ihm ein autonomes Existieren ermöglicht. 5. Der reifizierende Blick - oder die Sage von der Medusa Der schizophrene Patient hat Angst, seine Subjektivität zu verlieren, sobald er in den Handlungsbereich anderer Subjekte gerät und dabei zu deren Ob­ jekt wird. In der Begegnung mit dem Nächsten setzt sich ein jeder von uns der Ob­ jektivierung des eigenen Selbst in dem Maße aus, wie dieser Nächste sich mit uns nicht zu identifizieren vermag und uns demzufolge zu einer eigenen Vorstellung umgestaltet. Das Subjekt ist dann der vom andern widerge­ spiegelten Vorstellung ausgeliefert und bekommt dadurch die Grenzen der eigenen Freiheit zu spüren. Da aber das Subjekt - wie dies bei Schizophrenen der Fall ist - auch nicht über die mindeste Freiheit verfügt, fühlt es sich durch die Vorstellung des anderen in Ketten gelegt, entseelt von dessen objektivierendem Handeln, dem es keine eigene Subjektivität als begrenzende Abwehr entgegenzuhal­ ten hat. Neugierde und schon der bloße Blick genügen, ihn sein Wesentlich­ stes, die eigene Subjektivität, verlieren zu lassen. Eine psychotische Anorektikerin beklagte sich einmal darüber, daß die Blicke der anderen durch ihre Kleider drängen und sie ihres Körpers beraubten. Ihr Problem war hauptsächlich prägenitaler Natur, auch wenn es sich - rein ober­ flächlich besehen - in genitaler Gewandung präsentierte. Die zum Skelett abgema­ gerte Frau schämte sich auf der Bewußtseinsebene ihrer Körpererscheinung und fürchtete die Blicke ihrer Umgebung, die ihr ein Ausdruck sexueller Begierde zu sein schienen. Aber diese neurotische Angst gab keine plausible Erklärung ab für den von ihr beklagten »Körperdiebstahl«. Sie fühlte sich vom Blick der anderen zu einem Gegenstand gemacht und war somit ihrer Subjektivität beraubt. Das neuroti­ sche Syndrom überlagerte hier eine latente Psychose, die mit anderen Anzeichen zu Wort kam.

Die Situation des Psychotikers, der von den Blicken der Mitmenschen reifiliert wird, kann nun durch einen Therapeuten überbrückt werden, der sich befähigt fühlt, die Rolle eines »Teilobjektes« zu übernehmen und sich vom Kranken - teilweise - reifizieren zu lassen. Etwas Ähnliches hat sich einst in der Psychotherapie einer Grenzpsychotikerin zugetragen, deren aufreizendes Schweigen auf die Dauer das Gefühl in mir erzeug59

te, durch ihre Gegenwart zu einem Gegenstand geworden zu sein, wortlos, gedan­ kenentleert, aller Freiheit beraubt. Erst nachdem ich »unfreiwillig« ihren Platz eingenommen, mich stellvertreten­ derweise zu ihrem »Ding« hatte reduzieren lassen, und ihr damit die Gelegenheit gab, einmal nicht der Gegenstand meines Handelns zu sein, begann sich in ihrem Zustand eine Besserung abzuzeichnen. Im Falle der oben erwähnten Anorektikerin manifestierte sich die Bereitschaft des Therapeuten, dem stillschweigenden Wunsch der Patientin nach Partizipation zu entsprechen und sich partiell deanimieren zu lassen, in einem Traum. Dem The­ rapeuten träumte, bei der Patientin zu sein, ohne jedoch ihren Körper zu sehen, ob­ schon er ihre Stimme hörte. Die Kranke, die ihren Körper verstecken wollte, war in seinem „mit Blindheit geschlagenen Traum“, der ihrem Wunsche entgegenkam, un­ sichtbar geworden. Natürlich war die Erfüllung des psychotischen Wunsches die dialektische Basis eines sich entwickelnden Dialogs, der das Symptom in den Mit­ telpunkt des Gesprächs rücken sollte.

Wie bei der erwähnten schweigenden Borderline-Patientin findet auch hier eine Dualisierung der psychotischen Situation statt. Wie diese für die Kranke einem Nicht-verfügen-Können über die Ganzheit ihrer Existenz entsprach, so sind die vorhandenen Lücken als Schmerz in die Erfahrung des Therapeuten eingegangen. So wie sich die Patientin durch jeden ihr zugewandten Blick um ihren Körper gebracht fühlte, ließ sich der Therapeut durch seinen Traum in Ge­ genwart der Patientin seiner Sehkraft berauben. Ihrer Angst, zu einem deanimierten Objekt der anderen zu werden, entsprach seine Übernahme dieser Rolle im Traum. Gerade die Übertragung von Reifikationszuständen, von Vernichtungsgefühlen oder von seelischem Schmerz schlechthin ist die unerläßliche Voraussetzung ihrer Transzendenz; der Begriff »Frag­ ment«, der in der beschreibenden Psychopathologie ein negatives Merkmal ist und in der psychotischen Erfahrung dem psychischen Tod gleichkommt, wird in den eben dargelegten Fällen - im Rahmen eines sich entspinnenden Dialogs - zum Botschafter eines schrittweisen Aufbaus, der sich in der bei­ derseitigen Geduld zu artikulieren vermag. Aufbau des Ich - Fragment um Fragment - als Gegenstück der schizophrenen Fragmentierung. 6. Der Selbsthaß als Folge der negativen Existenz Auf Frustrationen reagiert das normale Ich mit Ablehnung, mit Angst­ oder Schreckenssignalen, die den Sinn haben, Fluchtmechanismen auszulö­ sen, um der gefahrbringenden Situation auszuweichen, wenn sie anders nicht abgewendet werden kann. Sollte nun aber diese Situation chronisch werden, indem kein Signal sie auszulöschen, zu mildern oder zu unterdrükken vermag, so ist das auf die erschreckend einfache und katastrophale Tat­ sache zurückzuführen, daß sie nicht nur von Parametern bedingt ist, die der objektiven, das Subjekt umgebenden Realität inhärent sind, sondern vor allem von der Existenzweise des Subjektes selbst. Gehen wir des weiteren 60

davon aus, eine absolute Unfähigkeit des Ich, sich zwischen zwei gegensätz­ lichen Situationen zu entscheiden, verwandle die Existenz in ein Dauerpro­ blem: dann wird der banalste Gedanke von seiner Gegenvorstellung ne­ giert. Und jede beginnende Handlung wird von dem Gefühl blockiert, überflüssig und wertlos zu sein. In derartigen Leidenszuständen setzt sich die absurde Ambivalenz der Lebenssituation bis in die Träume fort. So kann es geschehen, daß uns ein Patient beteuert, er komme aus diesem oder jenem Grund zu spät zur Sitzung, wobei er aber kein Wort von dem glaubt, was er sagt. Denn er steht unter dem Eindruck, nicht er selbst zu sein; des­ halb träumt er auch hinterher, seine Erzählung sei erdichtet und erlogen. In einer Welt, wo jedes gängige Maß und Kriterium eine Umgestaltung erfah­ ren hat, ist es ihm unmöglich, auch nur das alltäglichste Problem zu lösen. Angesichts dieser ewigen Unsicherheit wird der Gedanke als etwas gänzlich Wehrloses, Ohnmächtiges erlebt und all jener vitalen Wesenszüge beraubt, die ihn erst ausmachen, insbesondere der Fähigkeit, in Folgerungen und Entscheidungen Gestalt anzunehmen. Der Gedanke, besser: das denkende Ich, wird zum Invertebraten. Knochenlos, bewegungsunfähig, erlebt es sich - bei fortschreitendem psychotischem Prozeß - als ein in Verwesung über­ gehender Leichnam. Das Grauen, anfangs auf eine Situation eingegrenzt, die es, koste es, was es wolle, zu vermeiden galt, nimmt jetzt unauslotbare Ausmaße an und überschwemmt das ganze Ich. Und dieses Ich, dessen Angstsignale nunmehr wirkungslos geworden sind, empfindet nicht nur Schrecken vor der Situation, in die es geraten ist, sondern darüber hinaus einen abgründigen Haß, der gegen es selbst gerichtet ist. Im Therapeuten wird sich Mitleid regen beim Anblick eines solchen Pa­ tienten; er wird dessen Leiden, seine erschütternde Schwachheit und die Tragik seiner Existenz mit-empfinden. Für den Patienten, der keinerlei Be­ zugspunkte mehr hat, mit denen das eigene Sein sich verknüpfen ließe, ist das zu wenig; da jede Quelle der Liebe in ihm versiegt ist, vermag er sich nicht vorzustellen, was Akzeptation seitens der anderen überhaupt ist. We­ der eine positive Vorstellung noch eine in die Zukunft projizierte Hoffnung können in sein von negativen Erfahrungen gänzlich belegtes Ich vorstoßen, das alle Verhaltensweisen des Subjekts und das ganze Universum seiner Gefühle prägt. Die Tatsache jedoch, daß diese Signale, auf welchem Weg auch immer, von ihm wahrgenommen werden, daß es also auch am verödeten Firma­ ment der Psychose noch vereinzelte Planeten gibt, die da ihre Kreise ziehen, beweist, wie unabgrenzbar weit menschliches Sein trotz seines Sterbens sein kann, und ist zugleich Ausdruck seiner Transzendenz. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, der eigentliche Höhepunkt des Leidens werde in der präpsychotischen Phase erreicht und nicht erst in der eigentlichen klini­ schen Psychose. Das lehrt uns jedenfalls die Partizipation mit jenen Patien­ ten, die an einer latenten, eben beginnenden Grenzpsychose erkrankt sind. Noch verbirgt diese sich hinter an und für sich normalen Verhaltensweisen, 61

noch verschanzt sie sich hinter dem vom realen Leben abgeforderten und nunmehr gekünstelt anmutenden Rollenspiel, dem dadurch ein Zug äußer­ ster Irrealität eignet, gerade weil es sich einen vagen Anstrich von Realität gibt. Das Erleben dieser Situation löscht das Ich des Patienten bis zu dem Punkt aus, wo ihm eben noch die Kraft übrigbleibt, sein Nichtigkeitsgefühl Tag um Tag zu durchleiden. Subjektiv ist die Ichspaltung dann am schmerz­ haftesten, wenn sie noch nicht in vollem Umfange eingetreten ist. Denn hin­ ter den schon weitgehend auseinandergefallenen Ichanteilen steht noch ein früheres Rest-Ich, das erbittert um Selbstverständnis ringt, zugleich aber ohnmächtig der Katastrophe entgegentreibt. Während bei vollzogener Spaltung jeder der innerpsychischen Ichanteile, jedes Ich-Fragment, seinen eigenen Weg geht, stehen sie in der präpsychotischen Phase noch unter dem Zwang, sich gegenseitig widersprechen zu müssen, sind sie doch in den Netzmaschen einer Scheinrealität gefangen, dem dünnen Schatten eines ge­ sunden Ich nämlich, das in ihrer aller Namen zu sprechen versucht. Jedes Wort, jeder Gedanke wird zum dauernden Widerspruch, zum Spiegel sich aufhebender Gegensätze. Je kürzer die zeitliche Uberlebensdauer eines Gegensatzes bemessen ist, desto vehementer gelangt er zum Durchbruch. In der schizophrenen Ambivalenz setzt sich Augenblicke nach dem ersten Ich-Fragment, das sich als unabhängige Person gibt, gleich das zweite in Szene und macht dem ersten die Existenz streitig. Die Dynamik dieses Ge­ schehens scheint - oberflächlich besehen - Gegensätze zu vereinigen, ent­ puppt sich aber als leblos und marionettenhaft. Obwohl die in ständiger Fehde liegenden Gefühle sich in der Stille psychotischer Athymie gegensei­ tig auslöschen, bleibt die deutliche Wahrnehmung des Nichts, der Kata­ strophe zurück, das Gefühl, nicht weiter existieren zu können, das in der ge­ gen das eigene Selbst gerichteten Aggressivität seinen letzten Vollzug findet. Die Entwicklung des Hasses in der Neurose und in der Psychose : Nach einigen Jah­ ren Analyse träumte eine neurotisch erkrankte Frau, die unter Frigidität und Penis­ neid litt, wie sie alle ihr bekannten Männer - Vater, Bruder, Ehemann, einen Freund und den Therapeuten - in den Fleischwolf stopfte, um sie zu zerstückeln. Die Patientin erwachte mit Ekelgefühlen und Brechreiz aus diesem Traum. Aber paradoxerweise war der darauffolgende Morgen von einem Gefühl ausgesproche­ nen Wohlbefindens charakterisiert. Offensichtlich waren durch die kathartische Wirkung des Traumes ihre gegen die Männer gerichteten aggressiven Impulse ins Bewußtsein gehoben worden. Der Destruktionstrieb wurde von ihr nicht nur ver­ standesmäßig, sondern auch auf der affektiven Ebene wahrgenommen: dafür spra­ chen die ihn begleitenden Ekelgefühle, die in schreiendem Widerspruch zu allen üb­ rigen Aspekten ihrer Persönlichkeit standen. Jetzt, als sie endlich die ungeheuerli­ che Absurdität gewisser Triebregungen klar erkannt hatte, spürte sie sowohl das Bedürfnis wie auch die Notwendigkeit, sich von ihnen zu lösen. Schon der Traum deutete auf diesen Verzicht hin: wie hätte ihr Penisneid deutlicher zutage treten können, als durch ihre Brandmarkung zur Mörderin. Wenn gewisse Träume im Laufe der Zeit in pathologische Bewußtseinshaltungen eingemündet sind, genügt weder das bloße Erklären der Phänomene noch ein Aufspüren frühkindlicher Situa­ tionen oder das Verfolgen der komplexen Wechselfälle eines menschlichen Lebens, 62

um Symptome aus der Welt zu schaffen. Tausendfach variiert werden sie wieder zu­ rückkehren, obwohl Patient und Therapeut die kindliche Auslösesituationen stets von neuem und bis zum Überdruß bewußt zu machen versuchen. Aber diese Wie­ derholung im Spiegel der Psychotherapie ist es, die dem gesunden Teil des Neuroti­ kers die Möglichkeit eröffnet, sich von Mechanismen, die sein Leben bislang geprägt haben, zu distanzieren und sie zu hassen. Ein Haß, der sich bei unserer Patientin auf jenen Selbstanteil entlud, der die »Männer zerstückelte« und der so zum Herold ei­ ner neu aufkeimenden Weiblichkeit wurde.

In der Schizophrenie hingegen entbehrt der Haß dieser konstruktiven Ent­ wicklungsdimension gänzlich. Ganz gleich, ob er nun auf die Innen- oder Außenwelt gerichtet ist: stets breitet er sich auf die ganze Welt, die ganze Person aus. Es fehlt ihm jener positive Anteil, der es gestatten würde, ge­ rade über die Aggressivität eine Differenzierung anzubahnen, die wie­ derum der Distanzierung von gewissen inkongruenten Aspekten der Exi­ stenz den Weg öffnen würde. Wir heben diesz desintegrierende Komponente des schizophrenen Hasses schon deshalb hervor, um später die Relevanz der Liebe innerhalb der The­ rapie um so deutlicher verteidigen zu können. Eine psychotische Abwehrform des desintegrierenden Hasses ist die ne­ gative Allmacht, die ich nun kurz beschreiben möchte: Gewisse Schizo­ phrene sind von Schuldgefühlen erfüllt und werden dadurch in die Nähe der Depressiven gerückt; in der Klinik spricht man bisweilen von »Mischpsy­ chosen«. Diese Kranken stehen nicht nur unter dem Erleben der inneren Fragmentierung, sondern fühlen sich deswegen auch schuldig. Sie haben das eigene Leben zerstört, haben Fehler um Fehler begangen, haben sich selbst jeden Weg verbaut. Diese Schuldgefühle beruhen häufig nicht auf ei­ nem sexuellen oder präödipalen Komplex: vielmehr zeugen sie von der Ne­ gation der Existenz schlechthin. Des öfteren tritt das Gefühl auf, das Leben ziehe sich »aus einem allmählich schrumpfenden Ich« zurück, wie sich ein Patient einmal ausdrückte. Dieses ständige Kleiner-Werden, das luzide Kranke als zunehmende Schwachheit, als ein Entweichen der Leiblichkeit empfinden, bis »nur noch ein Häuflein Asche« von ihnen übrig bleibt, ist unerträglich. Zwar melden sich Abwehrformen gegen dieses Erleben: die Wahnbildung etwa oder die Anorexie, die - wenn auch auf verschiedenen Wegen - dasselbe Ziel erreichen, den Kranken materieller Leiblichkeit zu entheben und ihn reiner Geistigkeit zu überantworten, um auf diese Weise einen Anschein von Realität zu retten. Aber die Abwehr ist nicht stabil ge­ nug. Der Krankheitsverlauf kann jetzt nur noch zwischen zwei Wegen wäh­ len: Der eine ist der Selbstverachtung verschrieben; durch den Selbst-Haß stellt sich der Kranke neben sich selbst. Beim andern betrachtet sich der Kranke als der Schöpfer des eigenen Übels, um so - auf eine zwar negative Weise - immerhin eigene Aktivität und eigene Existenz wahrnehmen zu kön­ nen. Dem Erleben progressiven inneren Kleiner-Werdens setzen die Kran­ ken das sich steigernde Gefühl entgegen, die Lenker dieses Zerfalls - den 63

ich auch »psychotische Superexistenz« nenne - zu sein. Die negative All­ macht ist das Spiegelbild der negativen Existenz, ist deren bittere Alternati­ ve. Indem eine aktive Komponente ins Geschehen eingeführt wird, bekommt also der Kranke das Gefühl, den Zerfall zu verursachen, statt ihn nur zu erleiden. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich einer Patientin, die sich von allen Objekten, die in sie eindrangen, von innen her überrannt und zerstört fühlte. Dieses Erleben tauchte einmal im nachstehenden Traumsymbol auf: Die Kranke, die »Pesce« (zu deutsch: Fisch) hieß, sah im Traum, wie ein großer Fisch einen klei­ nen verschlang, nachdem er in ihn eingedrungen war, ihn aufgebläht und von innen her zerstört hatte. Nicht nur das Traumbild an sich, sondern vielmehr die damit auftretenden Ge­ fühle der Abscheu und des Grauens waren deutliche Anzeichen für die sich im Traum widerspiegelnden innerpsychischen Prozesse. Zwei Jahre später brachte ein scheinbar ähnlicher Traum das zum Ausdruck, was ich weiter oben das Einführen einer aktiven Komponente ins passiv erlittene Auflösungsgeschehen genannt habe: Der Patientin träumte, ihre Kollegin habe - ohne es zu merken - einer Frau eine gif­ tige Injektion gemacht und dadurch eine Tumorbildung ausgelöst. Der riesenhaft anschwellende Tumor begann den Körper mehr und mehr auszufüllen - bis dieser barst. Die von der Patientin zutage geförderten Assoziationen ließen keinen Zweifel darüber offen, daß die vom Tumor zerfressene Frau und der vom Riesenfisch ver­ schlungene und zerstörte kleine Fisch ein und dasselbe waren. Ebenso offensichtlich war die Tatsache, daß die Patientin im zweiten Traum gleich in dreifacher Gestalt auftauchte: sie war sowohl das wehrlose Opfer der Injektion wie auch die das Gift injizierende Kollegin und zuguterletzt aber auch die Beobachterin des ganzen Ge­ schehens. Als neues Element nahm der zweite Traum einerseits das beobachtende Ich auf, das sich außerhalb der sich abspielenden Tragödie befand, anderseits aber die Verdoppelung, resp. Aufspaltung der Frau in Opfer und Täter. Sie war also nicht nur das durch das magische Objekt symbolisierte Böse dieser Welt, sondern darüber hinaus auch selbst die Ursache der Katastrophe, wobei letzteres im Traum von der handelnden Kollegin dargestellt wurde. Das Auf-sich-Nehmen allen Übels, das sich in der Neurose als aufkommendes Schuldgefühl manifestieren mag, kommt in der Schizophrenie, wo sich das Problem weit weniger dem Oberich als dem Ich zugehö­ rig erweist, einem Äquivalent der Einführung aktiven Handelns gleich, das den Ab­ lauf der Katastrophe lenken will. Und wenn die Katastrophe schon von der Patientin selbst ausgelöst wird, ist sie in der Rolle der Schuldbeladenen immerhin Person, was der Magie und dem Nichts bei weitem vorzuziehen ist.

7. Die Welt und das Ich als gegenseitige Negation in der Psychose Die Welt des gesunden Kindes ist ein Kristallisationspunkt von Ubergangs­ objekten, Projektionen und symbiotischen Ausläufern des eigenen Selbst in dem der Mutter: alles zusammen ergibt einen - dem innerpsychischen ähnlichen —Kern, der die Explorationsfunktion stützt und stabilisiert. Die Annäherung zwischen dem Ich und seiner Welt wird nun von dem Umstand begünstigt, daß ersteres wiederum ein Kristallisationspunkt von Introjekten und inneren Objekten ist, die in der Außenwelt verlassen und in der In64

nenwelt neu erschaffen wurden, um - wie F reud sagte - die Beziehung zu ihnen aufrecht erhalten zu können. In dieser dialektischen Beziehung zwischen Ich und Welt, in der sich Welt als Nicht-Ich abhebt, um sich von einem entdeckenden, assimilierenden und Symbole schaffenden Ich neu einverleiben zu lassen, verwirklicht sich das kindliche Ich innerhalb jener Grenzen, die für seine Individualität und sein Wachstum bürgen. Diese Situation ändert sich schlagartig, wenn ein schizophrener Patient in seinen Beziehungen zur Welt abwechselnd die Funktion des Alles oder des Nichts übernimmt. Es ist dann unmöglich, ein anderes zu negieren, um es hinterher wieder bejahen zu können. Ein Kranker verbalisierte einmal die Alternative des Nichts, indem er den Thera­ peuten als eine »weiße Wand« bezeichnete. Die weiße Wand war ganz einfach Sym­ bol für ein undurchdringliches, unverständliches Absolutes: das, was in sich selbst als Ganzheit existiert und dabei jedes andere ausschließt. Angesichts der weißen Wand hatte der Patient das Gefühl, seine Existenz zu verlieren. Es handelte sich hier um eine Form von Grenzpsychose; die Erfahrung der Nicht-Existenz brach nicht bergsturzartig-auflösend in das Bewußtsein ein, sondern tauchte lediglich mit vereinzelten Sätzen darin auf: »Was für seltsame Gedanken ich doch habe: ich möchte einen Arm bewegen. Einen Arm bewegen als Beweis dafür, daß ich existiere; ich bewege mich, also bin ich, und ich spüre meine Muskeln im Nichts.« - Dank dieser mitten im Auf­ lösungsgeschehen stehenden Handlungsabfolge konnte sich der Patient an einen kümmerlichen Rest von Existenz klammern, ohne der Leere ausge­ liefert zu sein, die ein plötzliches Umkippen in die gegensätzliche Alterna­ tive bewirkt hätte: in ihr wurde der Patient jeweils zum ein und alles; den Platz der weißen Wand einnehmend, versuchte er den Therapeuten ins Nichts zu katapultieren. Praktisch sah das folgendermaßen aus: Der Patient stahl sich unentdeckt in die Wohnung des Therapeuten und trieb sich, Kä­ sten und Schubladen durchstöbernd, in den verlassenen Zimmern herum. Wenn er auf diese Weise in die Welt des anderen eindrang, handelte er nicht aus einem Bedürfnis heraus, mit den allergeheimsten Winkeln der Welt des Therapeuten in vertrauten Kontakt zu kommen; nein, hier lag der eindeu­ tige Versuch vor, den Therapeuten als Alternative zum Ich zu tilgen. Be­ weis dafür waren weitere Einzelheiten im destruktiven Verhalten des Kranken, der die mitmenschliche Realität nicht wahrnahm, aber auch die Widerspiegelung solchen Handelns in der therapeutischen Gegenübertra­ gung, die von Gefühlen des Überrollt- und Uberschwemmtwerdens ge­ zeichnet war: all das entsprach dem Konzept, daß der Patient - sowohl in seinen Allmachtsgefühlen als auch im Auflösungszustand vor der weißen Wand - stets ein unförmiges Nichts und negative Allmacht war.

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8. Die schizophrene Regression Die schizophrene Superexistenz ist teilweise ein regressives Phänomen. Durch die Analyse schizophrener Patienten und die Beobachtung ihrer Ängste bin ich allerdings zu dem Schluß gelangt, daß das Konzept der Re­ gression bei weitem nicht ausreicht, um das Ausmaß des von ihnen verspür­ ten Grauens und der ihm entgegengesetzten Allmacht zu erklären. Es han­ delt sich hier nicht bloß um eine Regression auf etwas Unbewußtes, auf ein Früheres, auf eine kindliche Entwicklungsstufe, sondern auch um eine monströse Neuschöpfung, die sich über fortschreitende Dissoziierungsund Verdichtungsprozesse verwirklicht*. So wird die Sexualität vom Sexualakt gänzlich dissoziiert und zw allerälte­ sten oralen Vorstellungen verdichtet, die anderen semantischen Ursprungs sind: Daraus resultiert dann eine Monstrosität, die mehr ist als eine bloß re­ gressive infantile Phantasie. Wo sich solche Verdichtungsprozesse im Kör­ perbereich abspielen, stellen sich mitunter richtiggehend halluzinatorische Phänomene ein. Entsprechende Vorgänge lassen sich in der surrealisti­ schen Kunst beobachten, mit dem grundlegenden Unterschied jedoch, daß der Künstler aus einer ichhaften Perspektive heraus zu schildern sucht, was der Schizophrene in der Auflösung eben dieser Perspektive als ein SichVerlieren im Abgrund erlebt. Wenn der Maler M agritte in einem Frauenporträt die Geschlechtsteile an die Stelle des Mundes und der Augen verlegt, sie somit in das Gesicht hinein verdichtet, dissoziiert er sexuelle Inhalte von der geistigen, kommu­ nikativen und mimischen Dimension der Frau. Die den Körper über­ schwemmenden sexuellen Inhalte verlieren durch ihre Entgrenzung alles Begehrenswerte: Physis und Metaphysik der Frau fallen so der Zerstörung anheim. Was in der Kunst Neuschöpfung ist, läuft im Erleben des Schizophrenen auf Verstümmelung von Welt hinaus, ausgelöst durch assoziative Tenden­ zen, die aus einer höheren semantischen Ordnung herausgefallen sind. Auf die destrukturierende Dissoziierung folgt die Neubildung von Komplexen, wobei disparateste Dinge vermischt und verdichtet werden, sei es aufgrund einer gleichzeitig ausgeübten Anziehung oder auch nur wegen eines ähnli­ chen Wortklanges. * Es geht also nicht um das »böse« Objekt, das in den Tiefen der Psyche haust, sondern um ein »monströses« Objekt, das sich von neurotischen Minderwertigkeitsgefühlen, die bloß ei­ ner negativen Selbsteinschätzung gleichkommen, wesentlich unterscheidet. Bei Schizophre­ nen ist ein ganzer Selbstanteil objektiv deformiert und erscheint in gewissen Träumen und Phantasien als Bild an sich, das dann dem Ich angehört. Ich erinnere mich z. B. an den Traum eines Patienten, der sich in einem riesigen Bett liegen sap, das doppelt so lang war wie er. Zu seinen Füßen krümmte sich - sowohl horizontal wie vertikal - der unförmige Körper einer mo­ ribunden Frau, halb Amphibium, halb Nymphe, schlüpfrig, kalt und feucht, die ihn an den Beinen zu packen versuchte. Der erschrockene Patient winkelte die Beine an, um sich dem todbringenden Zugriff zu entziehen, der ihn »in die Tiefe zu reißen drohte« und der ihn »durchlässig gemacht hätte, worauf das Insekt in ihn eingedrungen wäre«.

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III. Depersonalisation und Derealisation 1. Depersonalisation In gewissen Grenzpsychosen werden Phänomene wie Ichverlust, Transiti­ vismus und Appersonierung vom Kliniker nie erkannt, da der Kranke au­ ßerstande ist, sie in Worten auszudrücken. Erst in der Psychotherapie kommen wir ihnen auf die Spur, wenn wir das Unbehagen wahrnehmen, mit dem er über sein Leben unter Mitmenschen spricht oder über seine radika­ len Abhängigkeiten, die mit zwischenmenschlicher Beziehung nichts ge­ mein haben. Jetzt erst offenbart sich sein Empfinden, im Angesicht des Mitmenschen sich selbst zu verlieren. Dazu ein Beispiel: Die Freundin einer Patientin pflegte mit ihrer Tochter sehr au­ toritär umzugehen. Obwohl die Tochter auf das mütterliche Verhalten durchaus normal zu reagieren wußte, geriet unsere Patientin darüber in Angstzustände: Sie fand das alles »unbegreiflich«. Ihr war, als ob sie dabei oder besser: »in der Tochter wäre«. Ihr plötzlich entgrenztes Ich konnte sich nicht mehr als außenstehender Be­ obachter von der Interaktion der befreundeten Person abheben. Dieses »Unbe­ greifliche« war also weit mehr als ein mangelndes Verständnis für irgendwelche psy­ chologische Zusammenhänge: es stand für die verlorene Wahrnehmung untereinan­ der differierender Identitäten. Die Koexistenz der Gegensätze, das Sich-Verlieren im anderen und das Sich-Abkapseln vom Mitmenschen haben zur Folge, daß das Ich des Kran­ ken in Stücke gerissen wird. Nie gelingt es diesem Ich zwischen verschiedenen Gemütsverfassungen eine Rangfolge zu etablieren. Kaum ist eine Vorstellung im Bewußtsein aufgetaucht, wird ihr Gegenteil auf den Plan gerufen, das sie unverzüglich vernichtet. Ich gehe von der Annahme aus, daß die dialektische Beziehung zwischen These und Antithese eine Grundgegebenheit der menschlichen Psyche ist, nach der eine Vorstellung desto intensiver von ihrer Gegenvor­ stellung konstelliert wird, je deutlicher sie sich im Ich abzeichnet. Nur daß diesem physiologischen Bedürfnis-dem unser Leben die Fähigkeit, zu ent­ scheiden und zu wählen, die Aktivität schlechthin verdankt - im schizo­ phrenen Ich der Defekt anhaftet, zwischen gegensätzlichen Gemütseinstel­ lungen keine Hierarchie hersteilen zu können. Das Ich des Patienten ist damit gespalten; seine Schwäche manifestiert sich schon in der Unfähigkeit, sich zu irgendeiner Entscheidung durchzu­ ringen. Damit unterscheidet sich der »schizophrene Zweifel« wesentlich vom inhaltlich und psychodynamisch weit eingegrenzteren obsessiven Zweifel: er verrät sich durch die Unfähigkeit, darüber zu entscheiden, was man eigentlich denken will, die gewisse Patienten bei ausbrechender Krankheit als einsetzende innere Spaltung wahrnehmen. Bei der Erforschung der Psychopathologie der Schizophrenie stoßen wir auf die enormen Schwierigkeiten seitens des denkenden Ich, Dinge, Be67

griffe und artverwandte Vorstellungen auseinanderzuhalten, auf seine Tendenz somit, Objektvorstellungen zu vermengen. Als Folge davon wer­ den einerseits linguistisch und konzeptionell neue Entitäten ins Leben ge­ rufen - Neomorphismen, Neologismen und Neoideogramme -, anderseits wird aber auch die Klarheit und Reinheit allgemeinverständlichen Gedan­ kengutes kontaminiert. Dieses Phänomen ist schon öfters beschrieben worden mit teils vonein­ ander abweichenden Begriffen, die jedoch alle das gleiche anvisierten. Als erster sprach E ugen B leuler von der schizophrenen Assoziationsstörung, die er »Zerfahrenheit« nannte; C ameron operierte mit dem Begriff »overinclusion«, A rieti wiederum unterstrich die dem schizophrenen Denken eigene Tendenz, Substantive zu verschmelzen, wenn sich ihr Aussagewert teilweise deckt. So pflegte sich eine mir bekannte Patientin als »die Schweiz« zu bezeichnen. Ihr messerscharfer Schluß: »Ich und die Schweiz sind beide frei.« Oft schon haben wir Patienten sagen hören, daß mehrere Vorstellungen ineinander zerfließen, »als ob man gezwungen wäre, die verschiedensten Dinge in den gleichen Topf zu werfen«, »als ob sich alles im Innern zu einem Brei vermischte«. Diese qualvolle Wahrnehmung eines »Magmas« oder »Breis« oder einer »Brühe« ist von der Psychiatrie psychopathologisch be­ schrieben worden. Man beschränkte sich freilich oft darauf, den Kranken zu beobachten und ihn als einen geistig Verwirrten anzusehen, ohne sich ge­ nügend dem subjektiven Aspekt jener Begriffskontamination zuzuwenden. Die Verwischung oder Auflösung von Begriffsgrenzen-die Verwechslun­ gen beruhen jeweils auf der phonetischen Ähnlichkeit zwischen den einzelnen Wörtern - hat wohl auch mit dem zu tun, was F edern als »Verlust der Ichgrenze« definiert hat. Es handelt sich hier um das Ich in seiner Ganzheit, das sich den Dingen nicht zuwenden kann, ohne durch deren Präsenz in seiner Gestalt und Selbstwahrnehmung verändert zu werden. Sowie die Dinge in seine Wahr­ nehmung eintreten, verwandeln sie das Ich, beginnen sie es zu beeinflussen. Manchmal ist es auch nur ein Teil, d.h. eine einzelne Eigenschaft oder Dimension des Ich, die in die Dinge hineinverlegt wird, worauf diese zu ei­ nem integralen Bestandteil des Ich-Bewußtseins werden. Der Patient geht dann mit Personen und Dingen der Außenwelt so um, als ob sie seinem Selbst angehörten. Nosologische Begriffe wie Transitivismus, projektive Identifizierung und andere mehr versuchen dieser Situation Rechnung zu tragen. All diese Phänomene haben eines gemeinsam: die Unfähigkeit des Ich, sich als autonome Struktur zu organisieren. Es ist ein Ich, das nicht Kohäsion genug hat, um die Objektvorstellungen zu assimilieren und zu vereinen, ohne von ihnen verschlungen zu werden; ein Ich also, das von der Dynamik geistiger Prozesse, die von den Objektvorstellungen in Gang gesetzt wer­ den, auseinandergerissen wird. Jedem psychischen Akt wohnt eine ihm ei68

gene Dynamik inné, die auf die synthetische Funktion des Ich Druck aus­ übt; ist aber das Ich an sich schwach, entgleist jeder einzelne Prozeß in eine mehr oder weniger große Autonomie. Wie schon weiter oben erwähnt, ist dieses Phänomen von vielen Autoren und mit nicht wenig Begriffsaufwand umschrieben worden; was aber den subjektiven Standort des Patienten an­ geht, fehlt es weitgehend an sich einfühlenden Beobachtungen. Dieser Umstand läßt sich auf die Tatsache zurückführen, daß ein Groß­ teil der Kranken allein mit dem Vergrößerungsglas der klinischen Untersu­ chung und zu wenig mit Hilfe des »psychotherapeutischen Mikroskopes« betrachtet wurde. Schuld daran sind aber oft auch gewisse Abwehrprozes­ se, die das Selbst des Patienten von der Wahrnehmung des eigenen Unter­ gangs abschirmen. Bei einigen Patienten war es uns möglich, gerade die subjektive Seite des Phänomens gründlich zu studieren: dieses bietet sich dann als exaktes Spie­ gelbild dessen an, was bis dahin von der objektiven Warte aus beschrieben wurde. Bloß daß es jetzt eingebettet ist in die tragische Dimension der leid­ vollen Erfahrung des Kranken. In unseren Schilderungen kommt natürlich jener Anteil psychotischen Erlebens zu kurz, der anders nicht mitteilbar ist als auf empathischem Wege: Erleben vermag sich in einem zerfallenen Ich gar nicht zu strukturie­ ren, kann nicht Begriff werden und Gestalt annehmen in einer propositionalen und syntaktischen Ordnung. Ein Patient drückte sich einmal folgendermaßen aus: »Ich fühle mich in zwei, drei Stücke zerfallen, als ob ich voller Löcher wäre, von etwas durch­ bohrt worden wäre, als ob man durch mich hindurch geschossen hätte.« Und drinnen »ist jedes Ding verschoben«, »befindet sich alles in ständi­ ger Veränderung«. Die Beschreibungen des Patienten klingen so, als ob diese Dinge konkret vorhanden wären, als ob es sich um Organe seines Körpers handelte. Aber je näher der Patient der Norm kommt, desto weniger glaubt er selbst an das, was von ihm anders nicht ausgedrückt werden kann als mit räumlicher Umschreibung. »Mir ist, als ob die Lektüre des Buches auf zwei Ebenen ablaufen würde: auf der einen bewegen sich die Gedanken; auf der anderen hingegen herrscht ein ununterbrochenes Auf und Ab von Oszillationen und Eruptio­ nen, die den Gedankenablauf unterbrechen.« Oder: »Die Geschwindigkei­ ten des Buches und des lesenden Ich sind verschieden.« - »Ich verstehe zwar den Satz intuitiv, aber kaum halte ich im Lesen inne, um ihn besser zu durchdringen, bricht er auseinander, in tausend Gedanken zerfallend.« »Entweder ist ein Satz kompliziert und wird damit für mich unverständlich, indem er immer ferner rückt und schließlich verschwindet, oder er gibt sich klar und deutlich, aber dann bin ich es, der verschwindet.« Daß solche Erfahrungen nicht eigentlich verbalisierbar sind, zeigt sich mit aller Evidenz bei jenen Patienten, die es - nach kaum überstandener 69

schizophrener Krise —als unmöglich erachten, sich an Einzelheiten ihres Erlebens zu erinnern. Mit Gedächtnisschwäche hat das nichts zu tun, denn gleichzeitig sind die Erinnerungen an eine Unzahl von Details der psycho­ therapeutischen Gespräche jederzeit abrufbar. Den Ausschlag gibt die Tat­ sache, daß vergangenes Erleben in dem Moment unwiederholbar, nicht mehr nachvollziehbar wird, wo der Patient außerhalb desselben steht. In diesem Zusammenhang möchte ich noch bemerken, daß die Meinung früherer Kliniker, schizophrenes Denken und Empfinden sei nicht einfühl­ bar, teilweise zutrifft, aber auch irreführend sein kann, wenn sie verabsolu­ tiert wird. Jahrelang war ich der Ansicht, ihr widersprechen zu müssen, in­ dem ich den schizophrenen Patienten völlig zu verstehen glaubte. Heute bin ich allerdings der Überzeugung, daß ein Aufdecken ihrer psychodynami­ schen Mechanismen und das Partizipieren an dem unendlichen Leid dieser Menschen noch lange nicht heißt, daß man sie voll begreift. Was hingegen den Kernpunkt der Frage betrifft, halte ich an meiner kriti­ schen Haltung weiterhin fest: Die neutrale wissenschaftliche Beobachtung entfremdet uns den Patienten in dem gleichen Maße, wie sein Erleben ihn uns fernrückt. Und unsere Forschungsmethoden werden dadurch zu nichts anderem als einer Neuauflage jener Ausstoßungstendenz, die die Gesun­ den den Geisteskranken gegenüber jahrhundertelang praktiziert haben. 2. Raum und Zeit in der Schizophrenie Veränderungen im Erleben der Zeit und des Raumes können in der Schi­ zophrenie durchaus auftreten. Anläßlich der üblichen klinischen Untersu­ chungen werden sie eher selten erkannt. Sie treten meist erst unter dem »Mikroskop der Psychotherapie« zutage. Raum und Zeit sind Integrations­ formen des Ich, und seine Individualität nimmt in dem Maße Gestalt an, wie es sich in diese beiden Kategorien auszudehnen, sich in ihnen zu organisie­ ren vermag. Unseren Erfahrungen zufolge manifestiert sich die schizophrene Desor­ ganisierung des Raumes keineswegs auf der neuropsychologischen Ebene, wo die praktischen, raum-konstruktiven Funktionen und auch die Wahr­ nehmung ihren Sitz haben, sondern auf einem höheren Symbolniveau, dort nämlich, wo das mit den psychischen Handlungen verknüpfte Erleben kon­ figuriert. Der Patient erlebt die Destrukturierung des Ich als ein Auseinanderfal­ len von Teilen, die eigentlich zusammengehören. Es ist, als ob er seinen »Platz« innerhalb der Topographie verlieren würde. In der Psyche brechen plötzlich Leerräume auf. Zwischen dem Tiefengeschehen und den Ereig­ nissen, die sich an der Oberfläche abspielen, entsteht eine Spaltung. Dieses in die Außenwelt projizierte Erleben wird vom Kranken in der Folge als nicht dem realen Raum zugehörig wahrgenommen, als eine De­ formation der Körper- und Objektproportionen. Auch kann der Fall ein70

treten, daß der äußere Raum gigantische Dimensionen annimmt, während der eigene Körper verschwindend klein wird. In solchen Leidenszuständen zerbricht auch das zeitliche Kontinuum. Bisweilen gelingt es dem Patienten nicht mehr, zurückliegende Gemütszu­ stände, Gedankenabläufe und Selbstidentitäten als ichzugehörig zu emp­ finden; es ist, als ob ihm die Vergangenheit abhanden gekommen wäre. Sein geschrumpftes Ich fühlt sich in vergangenen Ichverfassungen nicht mehr heimisch; zwischen dem Jetzt und früheren Handlungen besteht keine Beziehung mehr. »Mein früheres Ich«, sagte einmal ein Patient, »ist wie ein Mensch, der mit meinem gegenwärtigen Ich nichts zu schaffen hat.« Gleiches gilt für das Erleben des Zukünftigen: Eine Veränderung des ge­ genwärtigen Zustandes ist für den Kranken nicht vorstellbar, mag auch die tägliche Erfahrung dagegen sprechen. Auch hier, in der Auflösung der räumlich-zeitlichen Kategorien, die die Individualität weitgehend mitgestalten, spürt er sich vom Gefühl der Nicht-Existenz durchdrungen. 3. Die Derealisation Das Derealisationserleben ist eines jener Phänomene, die die Identität des Subjekts, sein In-der-Welt-Sein und das Anknüpfen von Objektbeziehun­ gen grundlegend umgestalten. Die unzulängliche Integration des Ich in eine organisierte Struktur, in der die Begrenzung des Ganzen von jedem beliebigen Punkt aus widerspiegel­ bar sein sollte, hat zur Folge, daß sich gewisse »Ichzonen« aus der allge­ meingültigen Ordnung herauszulösen beginnen, um dann aufgrund einer Partialordnung zu funktionieren, deren Beziehung zum Gesamt-Ich sehr brüchig und fluktuierend ist. In diesem Zusammenhang möchten wir unsere Annahme formulieren, daß sich strukturelle Ich- Veränderungen nie außerhalb des psychodynami­ schen Erlebens des Patienten einstellen; sie kristallisieren sich vielmehr an dessen Knotenpunkten heraus, wenn der Druck einer Konfliktsituation die Kohäsionskraft des Ich übersteigt. Aus dieser Sicht betrachtet, erweist sich die Psychoanalyse nicht nur als ein Instrument, mit dessen Hilfe wir psycho­ logische Erkenntnisse gewinnen können: sie bahnt uns darüber hinaus auch einen Pfad zur strukturellen Erforschung jener Phänomene, die teilweise einer präpsychologischen Dimension angehören. Am Beispiel der Derealisation soll diese These weiter erhellt werden. Dabei müssen wir uns die Tatsache vor Augen halten, daß dieses Phänomen auf den verschiedensten Ebenen eintreten kann: am deutlichsten wohl im Wachzustand, wenn der zu uns sprechende Patient plötzlich nicht mehr weiß, ob er es mit einer realen Person zu tun hat und ob er selbst wirklich existiert. 71

Bei einem Patienten drückte sich das Derealisationserleben folgendermaßen aus: Er konnte zu den Photographien seiner Bekannten keinerlei Beziehung hersteilen. Weil die Aufnahme »statisch« sei, würden alle »dynamischen« Vorstellungen der betreffenden Person zerstört. In diese Vorstellungen waren natürlich die verschie­ densten, von früheren Begegnungen stammenden Anagramme eingeflossen. Nun, dieses Empfinden war das Gegenteil dessen, was Menschen in derlei Situationen etwa widerfährt, stimuliert doch eine Photographie auf assoziativem Wege die dis­ paratesten Erinnerungen, die zwar im punktuellen Bild nicht enthalten sind, aber doch damit in Beziehung stehen. Diese assoziative oder integrative Fähigkeit war es, die dem Erinnerungsvermö­ gen unseres Patienten fehlte. Wohl vermochte er auf der Vorstellungsebene ein frü­ heres und recht komplexes Bild zu entwickeln; hingegen scheiterte die Integration dieser Ebene ins jetzt Wahrgenommene, mochte dieses »photographisch« mit ersterem noch so kongruent sein. Das solchermaßen ausgelöste Derealisationserleben mündete beim eben erwähnten Patienten in eine richtiggehende - natürlich nur funktionelle - Prosopoagnosie aus. Jedesmal, wenn seine Gedanken mit einer Ob­ jektvorstellung in Berührung kamen, lösten sie sich auf. Statt die Vorstellung zu sei­ nem Inventar zu schlagen, ließ sich das Ich von ihr verschlingen und in ein Objekt verwandeln. Etwas Ähnliches läßt sich bei der schizophrenen Mary B arnes nachlesen: »J’ai prouvé, dans mon enfance, et tout au long de ma vie, des sensations bizarres. J’avais l’impression de partir, d’être soudain transportée loin de tout lieu et de toute chose par exemple. Puis les objets ne voulèrent plus être touchés. J’étais comme perdue dans les airs, comme un fantôme ou comme dissoute, tout semblait m’abandonner. J’étais vide, absente, nulle part. Si quelqu’un me parlait, je n’avais pas l’impression qu’il s’adressait à moi. Je n'étais qu'un objet. Parfois, il était très difficile de revenir parce que les objets familiers me semblaient différents.« Die Derealisation ist weit mehr als eine »Ichabwehr«; in ihr verdichtet sich seitens des Ich das vage Gefühl, daß der Realität jede Glaubwürdigkeit abgeht und daß es ihr - auf einem strukturell tieferen Niveau - an Zusam­ menhalt fehlt. Deshalb wird sie dem Ich unzugänglich, und statt sich von ihm assimilieren zu lassen, desintegriert sie es. Diese ihr anhaftende »Unglaubwürdigkeit« hört sich eher als neuroti­ sches Beiwerk an. Das Derealisationserleben wurzelt jedoch tiefer und braucht nicht zwangsläufig jedes Mal aufzutreten, wenn Realität als nicht ganz glaubhaft empfunden wird. Paradoxerweise erweckt der Geistes­ kranke manchmal den Eindruck in uns, »glaubwürdiger« zu sein als seine Mitmenschen. Während die »Gesunden« die Realität und damit auch die Zukunft des Patienten manipulieren, entbehrt dieser der neurotischen Ab­ wehrmechanismen und ist dadurch der von den andern entstellten Realität, einer »negativen Existenz«, ausgeliefert. Das kann schließlich so weit führen, daß der Patient all das in sich herum­ tragen und leben muß, was die andern aus sich selber ausgestoßen haben. Dazu möchten wir wiederum eine Passage aus M. B arnes’ Buch zitieren: »J’étais terrorisée par mes propres désirs sexuels et je me sentis pourtant très attirée par mon frère. A présent, il me semble que son incursion ne m’avait pas vraiment surprise, in­ consciemment je l’avais séduit pour qu’il vienne dans ma chambre, dans mon lit. 72

Etant donné son état dépressif, en deçà de la langue, Peter était très sensible et ré­ ceptif à la vérité, non seulement à celle qu’il portait en lui mais à celle qui émanait des autres*. C’était donc à ce niveau-là qu’il fonctionnait et beaucoup moins divisé que moi, il donnait une réponse totale aux appels de mon être profond. Notre ignorance fût ter­ rible et le mal que nous fîmes à Peter, affreux...« »Peter avait l’air tellement perdu et malheureux. Il incarnait toute la colère qui était en moi, mais que je ne pouvais ressentir de moins pas encore.« »Je voyais en Peter ce que je désirais être et cela me poussait vers lui.« Bei einer sorgfältigen Beobachtung der Patienten entdeckt man oft physiognomische Parallelen zwischen den gegenwärtigen psychotischen Phä­ nomenen und bestimmten Situationen ihres Vorlebens. Solche Entspre­ chungen ergeben sich aus den Bedeutungszusammenhängen. Das aktuelle Derealisationsgeschehen und die historische Realität haben eines gemein­ sam: beide sind sie ein Stück objektiv verzerrter und entmenschlichter Rea­ lität —auch wenn nur das erstere im eigentlichen Sinn psychopathologisch ist. Flucht aus der Realität und das Verleugnen gewisser ihrer Aspekte sind beispielsweise des öfteren charakteristische innerfamiliäre Interaktions­ strategien, wie sie sich im Umfeld unserer zukünftigen Patienten inszenie­ ren mögen. Verleugnet werden jene Realitätsaspekte, die wegen der ihnen inhären­ ten Konflikthaftigkeit allzugroße und unökonomische Spannungen herauf­ beschwören würden. In einem weichen die Verhaltensweisen der gestörten Familien von de­ nen des Patienten ab: während die ersteren bestimmte Sektoren der Reali­ tät skotomisieren, somit aktiv derealisieren, um sich vor ihnen zu schützen, läßt der Patient das Derealisationserleben passiv über sich ergehen. 4. Die Fragmentierung der Objekte Wir gehen nun - in enger Anlehnung an die Ichdesintegrierung - zur Be­ schreibung der Objektfragmentierung über. Unseres Erachtens führt der vom Objekt auf das Ich ausgeübte Druck nicht nur zu dessen Auslöschung, sondern zieht auch die unmittelbare A uf­ lösung des Objekts selbst und seiner psychischen Repräsentanz nach sich. Oder anders ausgedrückt: Die komplexe Objektvorstellung spaltet sich als direkte Folge einer eingetretenen Ichspaltung. Die Desorganisierung der Vorstellungsaktivitäten und der Selbstidentität verlaufen also parallel. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind jedoch bei der Objektspaltung und den psychopathologischen Auswirkungen der Ichspaltung verschieden. Letzterer Prozeß zeitigt den Verlust der Selbstidentität, ein Erleben von Ichauflösung, den Zerfall der Selbsteinheit in mehrere innerpsychische Per* (Hervorhebung von

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sönlichkeiten, die sich die Identität des Subjekts gegenseitig streitig ma­ chen; die Desintegrierung des Objekts hingegen läuft auf die Schaffung von »Objektteilen« hinaus. Es entstehen dabei Quasi-Objekte und Fragmente psychischer Repräsentanzen, die dem Gegenüber nicht mehr mitteilbar sind, weil Grammatik und Syntax der Sprache auf den Vorstellungen von Ganz-Objekten gründen. Diese Objektfragmente lassen nun jede Hand­ lung des Subjekts in eine rein autistische Aktivität entarten. Der Patient geht mit den seine Innenwelt bevölkernden »Teilobjekten« eine intensive und für uns undurchsichtige Beziehung ein, die ihn völlig zu absorbieren scheint. Vermutlich kommt dieses autistische Interesse für die fragmen­ tierte Objektwelt der Physiologie eines fragmentierten Ich eher entgegen als die Konfrontation mit einer gut organisierten und deshalb gefährlichen Objektwelt, der es nicht standzuhalten wüßte: es taucht in eine Art präver­ bale und präobjektale Beziehung zu den Dingen ein. Es ist nicht leicht, diese Phänomene und Mechanismen in ein scharf umrissenes Konzept ein­ zubringen; erstens, weil sich unsere Denkvorgänge aus der Beziehung zu komplexen Ganzobjekten heraus artikulieren, und zweitens, weil der Pa­ tient außerstande ist, sein abnormes Erleben in Worte zu fassen. Wir kön­ nen lediglich beobachten, wie er von einer zeitweilig ekstatisch anmuten­ den, autistischen Intensität absorbiert ist, die sich allenfalls in Verhaltens­ weisen niederichlägt, wie dem Stammeln sinnloser, verkrüppelter Sätze, Augenzwinkern, Grimassenschneiden, dem Hervorbringen gutturaler Lau­ te, dem Ausführen bizarrer Stereotypien und fragmentarischer Gesten und Bewegungen. Gelegentlich läßt sich sogar die Beobachtung machen, wie eine para­ noide Beziehung - die sich noch in einer Welt phantastischer Ganzobjekt­ repräsentanzen bewegt - auf diese tiefere Stufe regrediert, wo der Ichzerfall nicht mehr paranoider, sondern hebephrener Natur ist: die Objektfrag­ mentierung ist hier ein Spiegelphänomen der Ichfragmentierung. Im Gefolge solcher Regressionen beginnt sich die ganze paranoide Vor­ stellungswelt des Patienten zu verfinstern. Ich pflege dieses Phänomen als die »paranoide Sonnenfinsternis« zu bezeichnen, die oft Vorläufer einer einsetzenden katatonen Phase ist.

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IV. Beteiligung des Ich und Überich am schizophrenen Prozeß 1. Das Problem der Desorganisierung im Lichte des psychoanalytischen Denkmodells der psychischen Instanzen In der Schizophrenie-Forschung hat man lange über die Beziehungen dis­ kutiert, die zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten bestehen, wo­ bei insbesondere die strukturellen und dynamischen Unterschiede zwi­ schen der Neurose und der Schizophrenie herausgearbeitet wurden. Wir wollen einige Standpunkte kurz zusammenfassen, bevor wir zu eigenen Be­ obachtungen übergehen, die sich auf einen noch wenig erhellten Aspekt der Schizophrenie konzentrieren, der Beziehung nämlich, die zwischen dem Bewußten und dem Vorbewußten besteht. Das schizophrene Unbewußte ist für das Ich in hohem Maße gefährlich*. So erleben es die meisten unserer schizophrenen Patienten manchmal auf sehr direkte Weise, indem sie sich von den eigenen Triebregungen gespal­ ten und zertrümmert fühlen, oder auch indirekt, wenn sie sich gewisser Aspekte der Außenwelt erwehren müssen, die ihnen als Projektionsträger überbedeutungsvoll Vorkommen. Mit diesem Problem setzte sich schon die allerfrüheste Psychoanalyse auseinander, zu einer Zeit, da ihr Augenmerk noch nicht auf die Ichpsychologie, sondern ganz auf die Erforschung des Unbewußten gerichtet war. F r e u d zufolge unterscheidet sich das Unbewußte der narzißtischen Neuro­ sen (so wurde auch die Schizophrenie damals noch benannt) vom Unbe­ wußten der neurotischen Patienten dadurch, daß es keine Objektvorstel­ lungen enthält. Während diesen Objektvorstellungen in den Ubertragungsneurosen die Libidobesetzung im System Vbw entzogen ist - und dadurch sind sie dem Bewußtsein nicht mehr zugänglich - geht bei der Schizophrenie deren Be­ setzung auch im System Ubw verloren. Die Vorstellungswelt zerfällt damit schon im Unbewußten. Es stellt sich hier die Frage nach dem Beweis für diese Theorie. Man hat ihn gleich zweifach angetreten: Zum einen verlieren die Objekte in der Schizophrenie ihren Sinngehalt; zum andern stellt sich keine Übertragung ein. Die Objektvorstellung (z. B. die Vaterimago der Kindheit) könne also nicht auf ein neues Objekt, den The­ rapeuten etwa, übertragen werden. Ob diese Beweisführung allerdings genügt? Ob es tatsächlich so ist, daß in der Schizophrenie keinerlei Ubertragungsphänomene feststellbar sind? Es gibt kaum * Einige Autoren sind der Ansicht, daß in der Schizophrenie die sogenannte Primärver­ drängung fehlt. Erst über die kommunikative Erfahrung der Sprache gelinge dem Menschen die Primärverdrängung und die damit verbundene Abgrenzung des Realen durch das Symbol. Dies geschehe auf dem Hintergrund dualistisch verlaufender Prozesse, innerhalb derer sich die Bildung des Subjekts vollziehe.

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einen Psychiater, der dies wirklich bejahen könnte, nachdem er sich psychothera­ peutisch mit dieser Krankheit auseinandergesetzt hat. Alle haben sie Ubertragungserfahrungen gemacht, Jung etwa und F edern, Sechehave und Schultz- H encke, Sullivan, F romm-R eichmann, R osenfeld - und natürlich auch ich selbst. F rieda F romm-R eichmann behauptete sogar, in der schi­ zophrenen Psychopathologie sei alles als Übertragung zu verstehen. Die gegenteilige Ansicht findet allerdings auch heute noch Anhänger unter Theo­ retikern der Schizophrenie. Sie scheinen den Ichverlust - ein an und für sich bewuß­ tes Phänomen und eigentlich der Kernpunkt der Schizophrenie - mit dem Verlust der unbewußten Objektvorstellungen zu verwechseln. Tatsächlich spricht alles da­ für, daß das Ich von einer nicht organisierbaren Flut von Objektvorstellungen gera­ dezu überschwemmt wird; das Ich also ist es, das als Organisator versagt. Die Psychodynamik der schizophrenen Ichpathologie ist besonders durch die amerikanische Psychotherapie der Nachkriegszeit gefördert wor­ den. Die Familienforschung der letzten dreißig Jahre setzte den Akzent auf die Widersprüchlichkeit der Rollen, die Irrationalität der Information und die psychotisch-perversen affektiven Bindungen, die zwischen einem Kind und seinen Eltern bestehen mögen. Verwirrende und entmutigende Ant­ worten z.B. versetzen das Kind in einen Zustand, in dem es seine Bedürf­ nisse nicht mehr als die seinen wahrzunehmen und von denjenigen der Mut­ ter abzugrenzen vermag. Sie bleiben dann - voller undifferenzierter physi­ scher und psychischer Spannungen - auf der kindlich-amorphen Stufe fi­ xiert. Dies steht in Zusammenhang damit, daß die elterliche Bezugsperson das Kind manipuliert, indem sie es zum Instrument der eigenen Bedürfnisse macht und als eine Art Verlängerung des eigenen Selbst braucht und miß­ braucht. Das Unbewußte der Eltern wird so zum integralen Bestandteil der Iden­ tität des Kindes. S u l l iv a n hat die Tragweite der dynamischen Dissoziierungsprozesse in der Schizophrenie hervorgehoben und dabei auch formu­ liert, daß es das sogenannte »not me« des Patienten sei, das vom Selbst ab­ getrennt werde. Er hat im Grunde versucht, das BLEULERsche Spaltungs­ konzept psychodynamisch weiterzuführen. Unter Dissoziierung versteht S u l l iv a n weit mehr als Verdrängung. Letz­ tere ist ja für die Neurose charakteristisch (kann aber wie alle anderen Ab­ wehrmechanismen zumindest bruchstückhaft auch in der Schizophrenie auftreten): ihr verdanken wir die Ausstoßung gefährlicher Inhalte aus dem Bewußtsein. Aber das geschwächte schizophrene Ich kann diesen Akt nicht mehr vollziehen. Unverdrängt tauchen die »unbewußten« Inhalte im Be­ wußtsein auf, können jedoch in der Folge nicht auf zufriedenstellende Weise ins Ichsystem integriert werden. Sie sind zwar bewußt, gehören aber deswegen noch lange nicht zum Ich, denn sie erscheinen ihm bloß im Spie­ gel der Außenwelt, welche dadurch einen beängstigenden Charakter an­ nimmt. Der Patient kann nicht anders, als sich mit den eigenen, von der Au­ ßenwelt zurückgeworfenen Inhalten und deren überbedeutungsvollem 76

Symbolwert identifizieren. Die Dissoziierung ist also eine weit primitivere und regressivere Abwehrform als die Verdrängung. Das von K er nberg splitting bezeichnete Phänomen, bei dem »gute« und »böse« Objekt- und Subjektteile auseinanderfallen, muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Diese archaische Abwehrform bricht später in dem Moment zusammen, in dem sich der Patient mit dem äußeren Objekt, auf das er sein Teil-Selbst verschoben hat, projektiv identifiziert ( R o s e n f e l d ).

Wenn wir beide Modelle, das der Dissoziierung und das der Identifizie­ rung, ineinander überführen, merken wir, wie sich das Ich des Kranken vor etwas zu schützen versucht, mit dem es sich gleichzeitig identifiziert. Hierin verbirgt sich nun die Gefahr des lauernden Verfolgers, wie sie sich im schizophrenen Wahn artikuliert. Seine Allgegenwart erklärt sich aus der Tatsache, daß der Patient dem unbewußten Zwang erliegt, ausgerechnet das suchen zu müssen, vor dem er sich am meisten fürchtet. Denn dieses ve­ hement abgelehnte Etwas ist Bestandteil seiner Identität. Im Denkmodell der englischen psychoanalytischen Schule wird die projektive Identifizierung als ein typisch schizophrenes Phänomen eingestuft, das immer dann aufzutreten pflegt, wenn sich das psychotische Ich mit Objekten identifiziert, in die es Teile des infantilen Selbst verlegt hat. Für die projektive Identifizierung scheint also der Spaltungsprozeß eine Voraussetzung zu sein; gerade aus der psychotischen Spaltung, Dissoziierung oder Fragmentierung gehen die nunmehr getrennten »gu­ ten« und »bösen« Selbstteile hervor, die auf die Außenweltobjekte projiziert wer­ den. Bei der Schizophrenie haben die Projektionsphänomene ferner den Stellenwert autonomer Wahmehmungskategorien, die die Beziehungen zur Realität weitge­ hend umwandeln; man kann sie nicht mehr als der Realitätswahrnehmung unterge­ ordnete Mechanismen definieren, wie in der Neurose. E dith Jacobson beschäftigte sich eingehend mit den Unterschieden zwischen neurotischer und psychotischer Projektion, wobei sie für letztere eine auffällige Regression der Phänomene postu­ lierte. Das genügt offensichtlich nicht, um die psychotischen Identifizierungsvor­ gänge besser zu begreifen. Der Schlüssel liegt wohl eher in der anders gearteten Ichstruktur. Wenn ein Schizophrener z.B. die Behauptung aufstellt, daß der einzige Unter­ schied »zwischen seiner Hand und der Insel Korsika im ausgestreckten Daumen liegt«, erkennen wir dahinter ein Ich, das aufgrund äußerst vager formaler Ähnlich­ keiten die Fähigkeit verloren hat, zwei so verschiedene Dinge wie eine Hand und eine Insel auseinanderzuhalten. Es vermag nicht mehr wie ein intaktes Ich die Indi­ vidualität der Objekte wahrzunehmen, die nun plötzlich allesamt mit dem Selbst in eine semantische Symmetrie eintreten. Die Unfähigkeit des Ich, sich als zusammenhängendes System zu erfah­ ren, in das seine Einzelteile integriert sein sollten, führt zur Wahrnehmung dieser Teile im Spiegel der Außenwelt, ohne daß eine eigentliche Projek­ tion stattfinden müßte*. Die Einzelvorstellungen des Ich hören zwar nicht * Der These, daß die Projektion eine Abwehr der bösen Objekte sei, die in die Umwelt hin­ ausverlegt werden, weil sie für das Ich unerträglich sind, wird indirekt durch die Ansicht Fair-

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auf, im Bewußtsein Gestalt anzunehmen, und werden vom letztverbliebe­ nen, dem Zerfall entronnenen Kernfragment des Ich, dem jetzigen »ego sum« des Patienten, auch registriert, allerdings so, als handele es sich dabei um Aspekte der Außenwelt. Die Identifizierung des Patienten mit der Außenwelt könnte als eine dia­ lektische Alternative zwischen Transitivismus und Abwehr verstanden werden. Der Transitivismus ist eine Folgeerscheinung der Ichentgrenzung, die Abwehr entspringt einer psychodynamischen Intention. Zur Veranschaulichung des Gesagten möchte ich den Traum einer BorderlinePatientin wiedergeben: Sie befand sich in der Praxis ihrer Psychotherapeutin und fühlte sich von einer auf einem Bild dargestellten Figur beobachtet. Im darauffol­ genden Gespräch schenkte die Therapeutin dem von der Patientin erwähnten Traumbild anfänglich keine besondere Beachtung, bis sie unversehens und mit gro­ ßem Erstaunen gewahr wurde, daß die Traum-Figur in Wirklichkeit eine lanzenbe­ wehrte Frau war. Dieses Detail war freilich weder im Traum, geschweige denn im Bewußtsein der Patientin aufgetaucht. Als die Therapeutin ihre Beobachtung er­ wähnte, brach die Patientin in Angst aus: die verdrängte, der Therapeutin geltende Aggressivität war auf dem Umweg einer projektiven Identifizierung mit einem Teil der Praxis in ihr Bewußtsein gelangt. Bevor ich diese Übersicht abschließe, möchte ich noch einen Pionier der Schizophrenietherapie erwähnen, der heute sogar in wissenschaftlichen Kreisen vergessen scheint: Ich denke hier an T a u s k . Sein Verdienst war es, daß er als erster und bereits vor F e d e r n über F r e u d s Ansichten hinausging. Seine wesentliche Entdeckung bestand in der Beobachtung, daß das, was wir bei der Psychose als eine Projektion bezeichnen, eine »Wiederkehr« frühester Erlebnisse des Patienten sei, dessen familiäres Milieu Anlaß ge­ geben haben mochte, sich von der Realität - und nicht einfach aus einer projektiven Verzerrung heraus - verfolgt zu fühlen. Die persekutorische Realität wurde also im Laufe der Zeit introjiziert, wie alle übrigen infanti­ len Objekterfahrungen auch, und ist zu einem Teil des Selbst geworden; sie verschmolz mit den »bösen« Objekten, wie M e l a n ie K le in sagen würde, mit den Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen. Das sind die sich anbah­ nenden Vorgänge einer Präpsychose. Viel später erst, beim Ausbruch der Psychose, werden diese »bösen« Objekte über die Wahnbilder der Welt »zurückerstattet«. Auf projektivem Weg finden sie wieder an den Ort ihres Ursprungs zurück, nachdem sie eine Zeitlang dem Selbst angehörten. Was dem Bewußtsein angehörte, wird wieder zu Bewußtsein; von Welt ausgehend kehrt alles über das Unbewußte zur Welt zurück. Das war wohl die entscheidendste Entdeckung der frühen Psychoanalyse der Schizophre­ nie, neben den Beiträgen von F r e u d , J u n g und F e d e r n . bairns widersprochen, nach der es primär die bösen - und nicht die guten - Objekte sind, die introjiziert werden, weil sie das Ich im innerpsychischen Raum besser kontrollieren können. Ihm zufolge beruht also die Abwehr nicht auf der Projektion, sondern auf der Introjektion.

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Mit diesen skizzenhaften Hinweisen möchte ich den Abschnitt über die Dynamik der zwischen dem Ich und dem Unbewußten bestehenden Bezie­ hungen abschließen, um mich meinen persönlichen Beobachtungen über das Ich und das Vorbewußte zuzuwenden. Seit der Publikation von F reuds fundamentalen Schriften verstehen wir das Vor­ bewußte als den Sammelplatz all jener Informationen, die potentiell »Bewußtsein­ sinhalte« sind, aber außerhalb des engeren Bewußtseinsfeldes liegen. Da das Be­ wußtsein eine punktuelle Struktur hat, ist es auf das Erleben unmittelbar gegenwär­ tiger Existenz angewiesen, und die gleichzeitige Aufnahme mehrerer oder gar vieler Informationen bleibt ihm verwehrt (es gibt natürlich »Grenzzustände«, bei denen das Bewußtseinsfeld eine Erweiterung erfahren kann. So ist etwa davon die Rede, daß Menschen im Augenblick akuter Todesgefahr, wie sie bei einem Absturz im Gebirge eintreten kann, in wenigen Sekunden die wichtigsten Ereignisse ihres Le­ bens an sich vorüberziehen sehen). Aber in der Regel ist das Bewußtsein sehr eng eingegrenzt; seiner aktuellen Verfassung steht eine nur beschränkte Anzahl von In­ formationen zur Verfügung. Dennoch beruht das Gefühl der »Zugehörigkeit«, wie auch das Empfinden einer Identität auf der Tatsache, daß das Bewußtsein eine stille Reserve unzähliger Informationen besitzt: Es braucht nur seine Aufmerksamkeiteinem Lichtstrahl gleich - auf andere, im Halbschatten liegende Inhalte zu richten und schon eröffnet sich ihm schlagartig eine neue Landschaft. Die überschattete Gegend läßt sich dem Vorbewußten gleichsetzen. Warum eigentlich ist das Vorbewußte nicht ständig bewußt? F reud hatte eine zweite, zwischen dem Bewußten und dem Vorbewußten verlaufende Zensur postu­ liert, gewissermaßen jener anderen parallel, die zwischen dem Vorbewußten und dem Unbewußten liegt. Es handelt sich dabei um eine bis zum heutigen Tage speku­ lative Annahme, denn die Neuropsychologie hat bislang wohl eine »Dynamik« des Bewußtseins nachweisen können, aber keine Struktur, welche die vorbewußten In­ formationen daran hinderte, ins Bewußtsein zu treten. Wie dem auch immer sei, so gilt doch eines als sicher: Die vorbewußten Informationen bedürfen einer niedrig dosierten emotionalen Spannung, um in ihrem Dämmerlicht verbleiben zu können. Assoziiert sich aber eine plötzlich auftauchende Gefahr mit ihnen, wird Alarm geschlagen, tritt das »arousal« ein: Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf sie, und sie wer­ den blitzschnell ins Bewußtsein gehoben. Bisweilen schrecken wir sogar aus dem Schlaf auf, wenn es uns nicht gelingen will, die Sorgen des Vortages zu vergessen. Nun ist die potentielle Gefährdung der Existenz ein Hauptaspekt der Schi­ zophrenie. Die Grundstimmung eines schizophrenen Patienten ist die eines Menschen, der von jedem Augenblick das Schlimmste befürchtet: ein Un­ bekannter könnte in sein Zimmer eindringen und ihn kaltblütig erschießen; die durch die Fenster einfallenden Sonnenstrahlen könnten, Feuerpfeilen gleich, seine Augen durchbohren; der aus der Küche aufsteigende Geruch wiederum könnte sich als Giftgas erweisen; oder die von seinen Schritten aufgeschreckten Nachbarn könnten unversehens zu einer Verfolgungsjagd auf ihn ansetzen. Wie ist das alles zu verstehen? Immer wieder hat man erklärt, daß der Pa79

tient dem Sonnenstrahl, den Küchengerüchen, seinen Nachbarn usw. un­ bewußte Inhalte zuschreibe. Eine andere wichtige Tatsache darf aber nicht übersehen werden: In der Schizophrenie manifestiert sich eine extreme Ichschwäche. Gewiß ist diese Schwäche die Folge der ständig aus dem Unbe­ wußten hervorbrechenden Gefahren, aber gleichzeitig liefert sie selbst auch den Anlaß dazu. Wenn die Hauptfunktion des Ich in der Ausübung einer Mittlerrolle zwischen dem Es und der Realität besteht, wie sollte es in seiner Schwachheit dem furchterregenden Es und einer ebenso angsteinflößenden Realität standhalten können? Der Realität, die nicht bloß zum Kontext von Gesetzen und Diktaten des Uberich wird, sondern auch Lieferantin unge­ zählter Informationen und Wahrnehmungen ist, welche pausenlos in das Ich eindringen, während sie normalerweise blockiert, gefiltert oder selektioniert werden*. Gehen wir nun von der Annahme aus, diese Informationen besäßen die schreckliche Macht, das Ich in dem Moment umzuwandeln, in dem sie von ihm assimiliert werden sollten. Nehmen wir z. B. an, mit der Kohäsion und Konsistenz (S charfetter ) dieses Ich sei es so schlecht bestellt, daß der Pa­ tient unversehens das Gesicht all jener »annimmt«, die sein Zimmer betre­ ten und sich auf ihn zu bewegen; oder daß er sich von seinen Gesprächs­ partnern »gemacht« fühlt, jedes Mal, wenn sie das Wort an ihn richten**. Dann eben verwandeln sich die Sonnenstrahlen in vernichtende Feuerpfei­ le. Ein Küchengeruch wird zu Giftgas. Und überall starrende Augen, lau­ schende Ohren, wie auf einem Stich des mittelalterlichen Malers B o sc h . Nicht nur richten sich alle Augen und alle Ohren auf den Kranken, sie exi­ stieren auch nicht mehr in ihren normalen anatomischen Bezügen. Das eine Phänomen ergibt sich aus dem anderen. Was außerhalb des Kontextes normaler, ichhafter Wahrnehmung steht, übermannt das Ich und macht es sich untertan. Umgekehrt läßt sich all das, was das Ich dominiert, von die­ sem nicht mehr in einen objektiven Bezugsrahmen hineinstellen. * »The only third process I can think of as always present is the inhibition of irrelevant mo­ vements and ideas. We leave all impressions unnoticed which are valueless to us as signs by which to discriminate things«, sagt J ames (1890) schon im vorigen Jahrhundert. Und Shakow (1978) kommentiert: »This law of inattention is most important when dealing with schizo­ phrenics, because it seems that for the schizophrenic all such impressions are n o tic e d rather than >unnoticeddie Vollkommenstheit< wie früher - auch wenn ich wie immerzu sein vorgebe; aber ich bin auch kein Mensch. Sie sind ein menschliches Wesen, aber gemessen an mir sind Sie nichts. Und doch fühle ich mich eigenartigerweise von Ihnen angezogen.« »Ich irrte von einem Zimmer ins andere, und sobald ich mit anderen Menschen in Berührung kam, glaubte ich mich von ihnen kritisiert. Begab ich mich indessen in ein leeres Zimmer, wo ich allein sein konnte, mußte ich ständig an die Phantome den­ ken, die mir niemals verzeihen wollen, daß meine Seele zu Eis erstarrt ist. Und ich sagte: >Tu etwas, Phantom!«, weil ich Lust daran fand, das Übernatürliche an sich selber leiden zu sehen. Wenn ich will, kann ich jeden beliebigen Menschen zum Phantom werden lassen. Und indem ich mich mit ihm beschäftige, verleihe ich mei­ nem Wunsch Ausdruck, daß es mich leiden macht. Das gleiche hat sich im Januar mit dem Fernsehapparat zugetragen. Also: Ich saß hier - und plötzlich sah ich, wie der Apparat als Phantom auf mich zukam; ich sprang auf und flüchtete hinter den Stuhl - aber es war rascher als ich: Der Kasten stürzte sich auf mich mitsamt allen 159

Personen, die gerade auf dem Bildschirm waren. Es war ein unbeschreiblicher Schrecken! So ohne Ausweg. Für mich sind alle Gegenstände und alle Menschen eben Phantome, die sich in meiner inneren Leere breitmachen. Sie können sich nicht vorstellen, wie schmerzlich das sein kann.« »Sind Ihnen die Brontosaurier der Kreidezeit bekannt? Es waren unglaublich große Monstren. Eines Tages jedoch öffnete sich in der Erdkruste ein Schlund und verschlang sie allesamt.«

Diese wenigen Sätze sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Pa­ tienten tagtäglich berichten. Es ist, als ob sie in keiner strukturierten Welt existierten. Angesichts der Welt fühlen sie sich weder als konfigurierende Entität noch als deutliche Struktur, die in verschiedene Teile gegliedert ist. Ihre Ichgrenzen sind wie aufgehoben, in Auflösung begriffen; sie er­ scheinen für die Umweltreize äußerst durchlässig. Diese fluten von außen auf das Ich zu, überschwemmen es, lösen es auf. Das schließt die Umkehr des Weltverhältnisses nicht aus: die verschwommenen Übergänge lassen keine Übertragung von ausgeformten Informationen, keinen Austausch von sinnvollen Signalen zu; weite Bereiche der Innenwelt sind dann auti­ stisch vermauert und werden zu »Todeslandschaften«. Die beiden Extremsituationen berühren sich gegenseitig und koexistie­ ren im gleichen Patienten; dessen Ichgrenzen sind also paradoxerweise so­ wohl dicht als auch extrem durchlässig. Diese Koexistenz der Gegensätze wird z.B. in jenen Patienten spürbar, die ihre Begegnungen mit einem geliebten Partner als etwas Gegensätzli­ ches beschreiben. Sie kommen sich ihrem Partner so ähnlich vor, daß sie nicht mehr zu unterscheiden vermögen, welche Gefühle denn eigentlich wem gehören. Der Kranke fühlt sich dann vom anderen überrannt. Im gleichen Moment jedoch scheint sich zwischen den beiden eine Mauer aufzurichten, worauf es dem Kranken nicht mehr gelingt, einen Außenkontakt herzustellen. Das könnte er erst, wenn er eindeutig er selbst zu sein vermöchte. Diese beiden Befindlichkeiten, die des völligen Fremd-Seins und die der Identitätsverwischung melden sich auch im Übertragungsgeschehen wie­ der. So fühlt der Patient z. B. in dem Augenblick, wo er die Schwelle des The­ rapiezimmers überschreitet, eine unsägliche Angst in sich aufsteigen. Es ist, als ob das »andere Wesen« ihn in Besitz nähme. Wenig später beklagt sich dann der gleiche Patient über eine innere Leere: Zwischen ihm und dem Therapeuten hat sich plötzlich eine Mauer aufgerichtet. Nun ist es, als ob der andere nicht mehr da wäre oder höchstens als fernes, fremdes Wesen. Der Wechsel von auflösender Nähe und undurchdringlicher Ferne ver­ bindet sich mit dem Erleben des lchverlustes. So kann es passieren, daß ein Kranker mitten in einem Gespräch, das von Teilnahme am Leid eines an­ dern Menschen getragen ist, sein Gegenüber in sich drin verspürt: Zu sei­ nem Schrecken kann er das eigene Selbst von dem des andern nicht mehr 160

unterscheiden. Oder es kann der Fall eintreten, daß ihm seine Seele im Traum als ein mit Büchern, Zeitschriften, Dokumenten vollgestopftes Zimmer erscheint, in dem er keine Ordnung herzustellen vermag. Die zerstörende Dialektik zwischen Nähe und Distanz läßt sich übertra­ gen auf die präpsychotische Erfahrung einer Kindheit, in der eine Abgren­ zung zwischen dem eigenen Selbst und den wichtigen Beziehungspersonen nicht zustande kam. Zum einen entsprach die symbiotische Nähe damals einer Überschwemmung des Selbst durch mitmenschliche Gestalten, die den kindlichen Bedürfnissen fernstanden und die diese stillschweigend den eigenen unterstellten. Zum andern kam die autistische Einkapselung des Kindes einem Verzicht auf eine fundamentale Beziehung gleich, die norma­ lerweise als Bestandteil der Selbststruktur gilt. Deren Wegfall schien im Ich eine narzißtische Leere zu hinterlassen. Auf vortreffliche Weise wußte R ilke* ähnliche Vorgänge zu schildern: »Und wenn sie den Doktor holten und er war da und redete mir zu, so bat ich ihn, er möchte nur machen, daß das Große wegginge, alles andere wäre nichts. Aber er war wie die andern. Er konnte es nicht fortnehmen, obwohl ich damals doch klein war und mir leicht zu helfen gewesen wäre. Und jetzt war es wieder da. Es war später ein­ fach ausgeblieben, auch in Fiebemächten war es nicht wiedergekommen, aber jetzt war es da, obwohl ich kein Fieber hatte. Jetzt war es da. Jetzt wuchs es aus mir heraus wie eine Geschwulst, wie ein zweiter Kopf, und war ein Teil von mir, obwohl es doch gar nicht zu mir gehören konnte, weil es so groß war. Es war da, wie ein großes totes Tier, das einmal, als es noch lebte, meine Hand gewesen war oder mein Arm. Und mein Blut ging durch mich und durch es, wie durch einen und denselben Körper. Und mein Herz mußte sich sehr anstrengen, um das Blut in das Große zu treiben: es war fast nicht genug Blut da. Und das Blut trat ungern ein in das Große und kam krank und schlecht zurück. Aber das Große schwoll an und wuchs mir vor das Ge­ sicht wie eine warme bläuliche Beule und wuchs mir vor den Mund, und über mei­ nem letzten Auge war schon der Schatten von seinem Rande.«

Die Angst vor dem großen fremden Ding hat prä-objektalen Charakter. Und die von R ilk e geschilderte Situation ist fast psychotischer Natur: Es ist nicht so sehr eine rein sensorielle Wahrnehmung, die sie herbeiführt, als vielmehr die Bedeutungslastigkeit aller Dinge und das zeichenhaft Symbo­ lische, das ihnen innewohnt. Dazu kommt die Semantik, die Sprache: Alles läuft darauf hinaus, die Angst zusätzlich zu verstärken. Der Beschreibung dieses Angstzustandes begegnen wir sowohl beim schizophrenen Patienten als auch beim Dichter. Sich einfühlend, kann letzterer in seiner Kreativität bis in die äußersten Randgebiete des Seins vorstoßen. Nur hat er dem Kranken eines voraus: Ihm steht eine »Ichterasse« zur Verfügung, die ihm Bewegungsfreiheit zusichert. Er kann sich einigermaßen gefahrlos über de­ ren Geländer hinauslehnen, um den Blick in die Abgründe schweifen zu las­ sen. * Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Leipzig 1931, S. 76; Hervorhebungen von G. B.

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»Die Angst, daß irgendeine Zahl in meinem Gehirn zu wachsen beginnt, bis sie nicht mehr Raum hat in mir...« »Vielleicht brach ein Gefäß in ihm, vielleicht trat ein Gift, das er lange gefürchtet hatte, gerade jetzt in seine Herzkammer ein, vielleicht ging ein großes Geschwür auf in seinem Gehirn wie eine Sonne, die ihm die Welt verwandelte.«

Der schizophrene Patient hingegen liegt begraben unter seiner Pseudo­ kommunikation mit allen Dingen und Wesen der Welt; sie überfährt und verwandelt ihn zugleich. Die Kranken wissen das bisweilen mit Ausdrücken zu schildern, die den psychiatrischen Konzepten überlegen sind: »Ich bin wie eine Wasserhülle, die jeden Augenblick zerspritzen kann.« »Ich bin von fremden Sachen angefüllt, vollgeklebt davon, und sie zerstören mich von innen heraus. Ich bin wie verstopft von diesem klebrigen Zeug, das nicht mir gehört.« - »Ich bin nichts; genauer: in mir herrscht völlige und vollendete Unbestimmtheit.« Die Schwäche oder der zeitweilige Verlust der Ichgrenzen ist eine erst­ mals von F e d e r n verwendete Metapher, die sich auch heute noch in der Praxis als brauchbar erweist. Allerdings bedarf das ihr zugrundeliegende Konzept einer Ausweitung: Jede nur denkbare Art psychischer Grenzver­ läufe ist ihm zu subsumieren, sowohl Grenzen zwischen verschiedenen Ichzuständen als auch jene zwischen verschiedenen Vorstellungen. Was uns am allermeisten betroffen macht, wenn man schizophrenen Patienten auf­ merksam zuhört, ist nicht nur das ständige Verwechseln von Selbst und Welt oder irgendeinem unbelebten Objekt, sondern auch das kontinuierli­ che Vermengen von Erinnerungen der Vergangenheit mit Wahrnehmun­ gen der Gegenwart. Alle Dinge berühren sich gegenseitig und zerfließen in­ einander, als wären es Wassertropfen. Wie verhalten sich die Kranken in dieser Situation? 1) Die einen scheinen ihren Zustand nicht mehr wahrzunehmen. Sie ver­ schwimmen vollständig mit ihm und können keinerlei Anstrengung mehr unternehmen, um die Situation zu klären, in der sie umgetrieben werden. Sie sind »verwirrt«. 2) Weitaus größer sind die Qualen jener Kranken, die mit ihrer letzten Kraft im inneren Chaos von Wahrnehmungen und Vorstellungen, das sie aufzulösen droht, ein Minimum an Ordnung herstellen wollen. Aus dem langen Schweigen brechen plötzlich seltsame Fragen hervor, die von der Sehnsucht nach einem eigenen Ich und nach den Dingen dieser Welt zeu­ gen: »Sind Sie auch wirklich sicher, Professor Benedetti zu sein?« - »Mein Ich ist tot: ein von tausend Projektilen durchlöcherter Leib.« - »Existieren die Ärzte? Ich bin dessen nicht sicher. Wenn sie in der Abteilung sind, kommen sie mir wie Gespenster vor, denen ich nicht aus dem Weg gehen kann. Es sind bedrohende Gestalten aus der Vergangenheit.« Wenn es solchen Patienten gelingt, mit ihrem Therapeuten in eine sym­ metrische Beziehung zu treten, versuchen sie oft ein eigenes Weltmodell zu entwickeln, das sich an jenes des Therapeuten anlehnt: »Sie sind jemand; 162

also bin ich auch jemand.« - »Sie haben ein Geburtshaus; also habe ich auch eines.« - »Sie glauben einen Namen zu besitzen; also werde ich wohl auch einen haben.«* 3) Wir stoßen noch auf eine dritte Reaktionsmöglichkeit, bei der die Pa­ tienten versuchen, ihre Verwirrung zu kompensieren, indem sie sich in bril­ lanten Wort- und Verwechselspielen üben. Verwirrung wird umgekrem­ pelt; Begriffe und Wortvorstellungen werden vom Kranken in einen derart gezielten Wirrwarr überführt, daß man darin durchaus ein Abwehrverhal­ ten durchschimmern spürt. In einer Krankengeschichte lesen wir z.B.: »Herr A. schreibt einige Vo­ kale nach seiner Manier, eigenen Gesetzlichkeiten folgend. Er meint sel­ ber: >Wenn den anderen etwas daran liegt, all das zu verstehen, sollen sie eben selbst nach einem Auflösungsschlüssel suchen !< Er schreibt auch be­ liebige Wörter von rechts nach links, wobei er sie wie in zwei Teile aufspal­ tet, indem er den Mittelbuchstaben stets groß schreibt.« Es gibt Patienten, die ihren Spaß daran zu finden scheinen, in ulkig­ höhnischem Ton zwischen den disparatesten Dingen irgendwelche absur­ den Ähnlichkeiten auszumachen. Das kann an einem entfernten Reim­ klang liegen oder an einer gemeinsamen Silbe, die zwei dem Sinn nach weit auseinanderliegende Wörter eint. So hörte einst einer meiner Kranken aus dem Wort Butter die Rufe italienischer Eseltreiber heraus: Brrr, ter, ohh! Polizei bedeutete für ihn dasselbe wie putzen usw. Manche Psychiater müssen hier das Gefühl bekämpfen, von den Patien­ ten an der Nase herumgeführt zu werden. Sie haben sogar vermutet, bei der Hebephrenie handle es sich bloß um eine Abwehr der menschlichen Bezie­ hungen. Was im Autismus und in der Katatonie der Negation anheimfalle, werde bei der Hebephrenie der Lächerlichkeit preisgegeben und herunter­ gespielt. Dieses etwas gesucht scharfsinnige Konzept hat leider den glei­ chen Fehler wie manche vom Intellekt ausgetüftelten Konstruktionen: Sie beziehen sich vorwiegend auf den von außen her Beobachtenden, der sich selbst ins Zentrum des Geschehens rückt. Dabei läßt man außer acht, daß es sich bei dem Verhalten der Patienten um deren einzige Überlebenschance handelt: sie organisieren eine desorganisierte Welt nach Reimen, Assonan­ zen und Wortspielen. Manchmal verfallen diese Kranken auch ihrem The­ rapeuten gegenüber, mit dem sich eine tiefe und tragfähige Beziehung her­ gestellt hat, ins kindlich-läppische Assoziieren. Das heißt aber nicht unbe­ dingt, daß sie sich über ihn lustig machen oder ihn gar zurückstoßen wollen. * In derlei Situationen sollte das Bemühen des Therapeuten stets dahin gehen, dieses dualisierte Evidenzerleben mit allen Mitteln zu fördern, so wie andererseits jede Einsichtnahme zu unterbleiben hat. Durch eine solche würde der inkohärente und irrationale Patient in eine un­ erträgliche Enge getrieben und dem deletären Bewußtwerden seines Verwirrungszustandes ausgeliefert: »Mein Gott, ich bin ja tatsächlich verrückt!« können wir ihn dann etwa sagen hö­ ren. Schein-Einsicht wird hier zum Symptom der Verzweiflung, vermehrt die Angst und be­ schleunigt die Desintegration des Ich.

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Hier manifestiert sich vielmehr das Bedürfnis, mit jenem »tönenden Sprüh­ staub« zu spielen, »der auf allen Dingen liegt«, mit den Wortvorstellungen also. Sie tun es, um mit ihm eine aktive Beziehung einzugehen und sich der von ihm ausgehenden Sogwirkung entziehen zu können. Statt zum Opfer der schrecklichen Grenzverlusterlebnisse zu werden, spielen sie die Rolle des Schöpfenden. 4) Schließlich haben wir noch jene Patienten, die inmitten ungezählter, ineinander verschlungener Vorstellungen einige wenige haben, die an Be­ deutung alle andern überragen und auch gut von ihnen abgegrenzt sind. Zumeist handelt es sich um Vorstellungen negativen Charakters: Sie krei­ sen z.B. um das Thema der eigenen Schuldhaftigkeit. Die Kranken fühlen sich von einer dunklen Macht bedroht oder von der ganzen Welt verlacht. Erfahrungen dieser Art, die sich nicht immer zur systematischen Wahnidee auszuweiten brauchen, sind im Ansatz auch bei Neurotikern anzutreffen. Sie lassen sich dann als Schuld- und Minderwertigkeitskomplexe bezeich­ nen. Früher war ich der Meinung, daß zwischen der neurotischen und der wahnhaft psychotischen Erlebensweise lediglich ein quantitativer Unter­ schied sichtbar werde. Und dies in dem Sinne, daß ein sehr starker Affekt von den anderen Realitätsaspekten nicht mehr kognitiv eingegrenzt werden könne. Heute neige ich eher zu der Auffassung, daß das Problem komple­ xer ist, als es sich nach ersten Überlegungen in psychodynamischer Rich­ tung zu erkennen gab. Es sollte m. E. aus dem Blickwinkel labiler, brüchiger Ichgrenzen und den dementsprechend schlecht voneinander abgeschotte­ ten Vorstellungen angegangen werden. Da werden also nicht mehr zwei an sich banale und neutrale Wortvorstellungen wie Polizei und »pulizia« (deutsch: putzen) für einen Augenblick spielerisch vermischt und dann als gänzlich irrelevant abgetan. Radikal anders verhält es sich in den Situationen, wo eine der beiden Vorstellungen - etwa die der eigenen Schuld - wie ein erratischer Block in das amorphe Chaos der Selbstwahrnehmung einschlägt. An diese einzige strukturelle Vorstellung »heften« sich dann alle übrigen. Buchstäblich al­ les, was an Wahrnehmung die Innenwelt des Patienten bewegt, wird dann der maßlos überbordenden Sinnlastigkeit der einzig greifbaren Vorstellung untergeordnet. Was bedeutet dann die schwarzgekleidete Frau, die am Zimmer des Kranken vorbeigeht? Sie ist ein Beweis seiner Schuld. Und der Name des Dichters L eo pa rdi bedeutet wiederum, daß er, der Patient näm­ lich, bösartig und angriffslustig ist wie ein Leopard. Wenn ein Mitpatient mit seinem Bettnachbarn spricht und dabei zufällig den Zeigefinger erhebt, tut er dies aus der Absicht heraus, unsern Kranken anzuklagen. Und die bleichen Strahlen der untergehenden Sonne geben zu verstehen, daß alles, was sich um den Patienten und dessen unermeßliche Schuld herum bewegt, dem Tod geweiht ist. Es sind nicht nur die grenzenlosen Schuldgefühle, die das Selbst destrukturieren; auch die Destrukturierung der Welt und der damit verbundene 164

Verlust autonomer Vorstellungen machen den Kranken zum wehrlosen Opfer seiner Schuldvorstellungen, den einzigen, die bis zuletzt dem Auflö­ sungsprozeß getrotzt haben. Einem versteinerten Gespenst gleich irrt er durch seine seelische Einöde, die von Leichen übersät ist. So unterscheidet sich der Beziehungswahn von einer stereotypen Reim-Assoziation zum Teil auch dadurch, daß ihm eine Schlüssel-Vorstel­ lung zugrunde liegt, um die alle übrigen Vorstellungen wie Satelliten krei­ sen. Welche Paradoxie des Selbsterlebens! Im Beziehungswahn scheint der autistisch isolierte Patient zum Mittelpunkt einer universalen Aufmerk­ samkeit zu werden. Alle Vorgänge rings um ihn stehen in einer geheimen Beziehung zu ihm, enthalten »offenkundige« Anspielungen und Mitteilun­ gen, die ihn und nur ihn betreffen. Die zentrale Vorstellung, mit der sich ausnahmslos alles verknüpft, ist ausgerechnet jene Ich-Repräsentanz, die durch die schizophrene Erkankung Kontur und Konsistenz verloren hat. Nun ist aber gerade dieses Selbst, das zum Mittelpunkt der Welt wird und das die einzige tragende Vorstellung ist inmitten einer Höhle von gespen­ stisch sich verformenden Schatten des Mißtrauens, alles andere als stabil. Ein Schatten unter Schatten, ist es selbst im Begriffe unterzugehen: Und ge­ rade deswegen wird es - gewissermaßen reaktiv - zur Achse der Welt pro­ klamiert, um die sich alles dreht. Viele Wahnformen lassen sich als verzwei­ felte Abwehrreaktionen verstehen, die sich gegen ein Erleben absoluter Beziehungslosigkeit richten, bei der dem Kranken jegliches Zugehörig­ keitsgefühl zur Existenz abhanden kommt. Was nun, langfristig gesehen, in der Psychotherapie zu einer allmählichen Änderung dieser Situation führen kann, ist nicht bloß etwa das Ausdeuten der einzelnen Komplexe oder der Ubertragungsprobleme: Den Ausschlag gibt der unerschütterliche Vorsatz des Therapeuten, immer in der Nähe ei­ nes kranken, zerbrechlichen Selbst zu bleiben - ohne aber Bestandteil die­ ses Selbst zu werden. Das psychotherapeutische Mitsein kann sich als Kontinuität, als Ge­ schichte, zunächst nicht konstituieren. Immer wieder haben wir es mit schi­ zophrenen Patienten zu tun, die es nicht ertragen, daß sie der Psychothera­ peut mit irgendwelchen Inhalten, Vorstellungen oder Aussagen konfron­ tiert, welche in den zurückliegenden Sitzungen zur Sprache gekommen sind: und zwar unabhängig von der Bedeutung dieser Erinnerungen, unab­ hängig auch davon, ob der Therapeut sich neutral verhält oder aber Zwei­ fel, wenn nicht gar Einspruch anmeldet. Therapeutische Intention ist es, über den Abgrund, der die Vergangenheit von der Gegenwart trennt, so etwas wie einen dünnen Faden zu spannen: aber der Patient wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen. Seine schwache Ichintegrationsfähigkeit kann über die Gegenwart nicht hinausgehen: Er kann z.B. nur unter der Bedingung er selbst sein, daß er keine Vergangenheit besitzt. Damit ist er auch der Last enthoben, die feh­ lende Selbstkontinuität zur Kenntnis nehmen zu müssen. Die Anwesenheit 165

einer Vergangenheit würde ihn sich selbst gegenüber in den Abgrund der Entfremdung stoßen, weil doch das schwache Ich zwischen den verschiede­ nen Zeitläufen keine Synthese herzustellen vermag. Die äußerst dürftige Integrationsbereitschaft überlebt nur, indem sie sich ganz punktuell an den flüchtigen Augenblick klammert. Das psychotherapeutische Mitsein wird vom Kranken aber auch im Au­ genblick nicht erfahren. Der Verlust der Ichgrenzen und der Ichstruktur zieht unvermeidlich das Erleben von Leere in jedem Moment nach sich. Die psychische Desintegration - vom distanzierten Außenbeobachter als etwas unförmig Nebelhaftes wahrgenommen - schlägt sich bisweilen in auffälli­ gen Verhaltensweisen oder in Wahnideen nieder. In ihrem vollen Ausmaß wird sie jedoch nur vom Unbewußten des Therapeuten erspürt, sofern er mit seinem Patienten eine therapeutisch symbiotische Beziehung eingegan­ gen ist. Er nimmt dessen psychischen Zerfall als eine Art Nicht-Existenz wahr. 2. Das Verständnis Das »Verständnis« ist eine Objektbeziehung, die uns in die Lage versetzt, die Konflikte des Patienten zu rationalisieren. In der Psychotherapie der Schizophrenie siedelt es aber, wie wir gesehen haben, im Bereiche jener Erlebensweisen, die absolut anders sind als die uns üblicherweise bekannten. Der Psychiater empfindet sie oft als bizarr und absurd, fast als den entlegensten Bezirken der Welt und des menschli­ chen Geistes zugehörig. Was gibt es denn in der Irrationalität des Wahns zu verstehen? mag man sich immer wieder fragen. Die Empfindung, von den anderen beeinflußt und gelenkt zu werden, er­ scheint uns beim offenkundig schizophrenen Patienten in den Parametern des Absurden, kann aber bereits beim Grenzpsychotiker als ein Etwas fest­ gestellt werden, dem einerseits die Qualität des Schizophrenen eignet, das aber andererseits noch einem letzten Grenzbereich von Verständlichkeit angehört. Gerade diese Überlagerung von Psychotischem und Noch-Verständlichem ist ein für die Möglichkeit des Verstehens interessantes Phä­ nomen. Ein Patient berichtete mir einmal von einem Streitgespräch, das er mit einem Freund geführt hatte und bei dem es um den arabisch-israelischen Konflikt ging: »Beide nahmen wir einen diametral entgegengesetzten Standpunkt ein. Mein Freund, der sich stets mit den Unterdrückten identifiziert, sprach sich zugunsten der Araber aus; ich hingegen schlug mich auf die Seite der Kreativität: Den Juden ist es gelungen, die Wüste in einen Garten Eden zu verwandeln. Wir erhitzten uns, spra­ chen immer lauter und begannen schließlich zu schreien - bis ich plötzlich den Ein­ druck hatte, unsere freundschaftliche Beziehung sei für immer entzwei!« Mein beiläufiger Einwand, es sei für mich unvorstellbar, auf einen Kompromiß zwischen Juden und Arabern zu hoffen, wenn es schon zwei Freunde nicht fertig 166

brächten, einen Konflikt aus der Welt zu schaffen, wollte lediglich die Tragfähigkeit der Beziehung zur Realität in Erfahrung bringen. Meine Bemerkung hatte aber, wie die Antwort des Patienten zeigte, eine weit größere Bedeutung, als ich ihr anfänglich zugestanden hätte. Ganz unerwartet nämlich wurde mir ein Einblick in das psychoti­ sche Erleben des Kranken gewährt: »Gerade dieser Kompromiß ist es ja, den ich fürchte. Denn dann müßte ich - einer Marionette gleich - meine Stimmung und mein Denken ändern. Und ich würde von jemand anderem geformt. Meiner Un­ nachgiebigkeit verdanke ich es, wenn ich ich selbst bleibe.« Ein anderer Patient wiederum stand häufig unter dem Eindruck, seine »Freiheit zu verlieren«, wenn irgendein Partner ein vereinbartes Treffen versäumte oder sonstwie ein gegebenes Versprechen brach. Dieses Erleben stellte sich nicht nur im Wachzustand ein, sondern schon im Traum. Da es sich um einen Grenzfall handelte, war ich während längerer Zeit der Meinung, der Kranke ertrage einfach keinerlei Enttäuschung und Frustration, bis er mir eines Tages bewies, wie er sich bis ins In­ nerste seiner Seele fremdbestimmt fühlte, sobald ihn nur jemand in eine etwas schwierige Situation brachte.

In Situationen, wo die schizophrene Empfindung des Beeinflußtwerdens durch tausend banale Wechselfälle des Alltags maskiert wird, kann es schon von Nutzen sein, eine Deutung anzubringen, die das sonst diffus über allem verstreute psychopathologische Erleben ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Bei dem zuletzt geschilderten Fallbeispiel reagierte der Patient auf meine einfache Bemerkung, daß seine seltsame Übelkeit wohl weniger mit einer bestimmten Enttäuschung als vielmehr mit der Empfindung zu tun habe, von außen bestimmt zu werden, zuerst mit Angst, dann aber mit ei­ nem bis dahin unbekannten Gefühl des Wohlbefindens und der Freiheit. Der Patient fühlte sich verstanden. Damit ist auch vorweggenommen, was später ausführlich zur Darstellung kommen soll: Der Akt des Deutens erschöpft sich keineswegs im Ausleuch­ ten der positiven Aspekte der schizophrenen Persönlichkeit, sondern er versucht ebenso die negativen Züge der Psychose aufzuzeigen (normaler­ weise sind die positiven Aspekte im Schizophrenen abgespalten). Hier, bei diesen Grenzfällen, sehen wir in nuce, wie das psychotische Er­ leben des Ichverlustes bereits beim Kontakt mit dem anderen einsetzt. Durch den Anpassungsvorgang, der wie eine Unterwerfung erlebt wird, wird das Ich des Kranken tiefgreifend »verwandelt« bzw. aufgelöst. Bei dem geringsten Versuch, auf einen kleinen Teil seiner selbst zu verzichten der vorher erwähnte Patient sprach von seiner »Unnachgiebigkeit« - läuft der Kranke Gefahr, sich gleich ganz zu verlieren: »Ich bin dann nicht mehr ich selbst.« Und doch spielt sich noch alles in den Parametern scheinbarer Norm ab: noch ohne Magie, noch ohne das Auftauchen eines absurden Beziehungs­ wahns, noch ohne »übernatürliche Zeichen«, die bisweilen durch alle Wände hindurch bis zum Kranken Vordringen. Aus der analytischen Erfahrung wissen wir, daß auch innerhalb der Neu­ rose schizoide Spaltungsphänomene im Ansatz sichtbar werden können, sobald sich nur eine tiefe Regression einstellt: Die Worte solcher Patienten 167

kommen einem dann plötzlich wie schizophren gefärbt vor: »Ich bestehe aus zahllosen Einzelteilen; jedes geht seinen Weg, und zwischen den ein­ zelnen Teilen besteht überhaupt kein Zusammenhang.« - »Ich bin hier und doch nicht hier.« Nun lassen sich aber zwischen einem Neurotiker und einem schizophren Erkrankten drei grundlegende Unterschiede feststellen: a) Da ist einmal in der Neurose die feststehende »Aussichtsterrasse«, von der aus der Patient sich selbst beobachten kann. Über das Geländer dieser »Ich-Terrasse« lehnt sich denn auch der surrealistische Dichter etwa, wenn er das Auseinanderbrechen seiner Sprache und seiner Assoziationen schildert. Dem Schizophrenen fehlt indessen das Geländer: Wenn er sich zu beschreiben versucht, findet er nirgends einen Halt, nirgends einen An­ haltspunkt, er fällt ins Leere. b) Bei der Neurose melden sich die Fragmentierungsphänomene höch­ stens während der psychoanalytischen Sitzungen. Kaum überschreitet der Patient die Schwelle des Therapiezimmers, um sich wieder der Außenwelt zuzuwenden, finden die einzelnen »Teile« in ihm wieder zusammen. Beim Psychotiker halten die Phänomene auch nach der Sitzung in unverminder­ ter Stärke an. c) Dank der fragmentierenden Regression stößt der Neurotiker auf den Urgrund seiner Vergangenheit, aus dem ihm auch propulsive Kräfte Zu­ strömen. Gerade hier gibt es für den Schizophrenen keinerlei Anhalts­ punkte mehr: Die Uhrzeiger drehen sich nur noch rasend schnell rückwärts; die Regression faßt nirgends festen Grund, sondern führt in unauslotbare Abgründe. Zwar gibt es im Erleben eines Grenzpsychotikers nichts, was auf der psy­ chodynamischen Ebene nicht »verständlich« wäre. Andererseits fällt es uns normal psychologisch empfindenden Menschen oft schwer, uns mit einer Erfahrung des Ichverlustes zu identifizieren. Sehr bald wird die psychoti­ sche Dimension fühlbar. Es handelt sich nicht immer um eine klar um­ schreibbare Grenze zwischen psychotisch und nicht-psychotisch: Wir alle wissen, wie einem zumute ist, wenn man ins Kreuzfeuer allzu heftiger sozia­ ler Spannungen gerät und dabei »das Gesicht verliert«. Was aber für uns metaphorische Wendung ist, bedeutet für den Grenzpsychotiker plötzliche, uns überraschende Realität: Er erlebt den physischen Verlust seines Ge­ sichtes. Beim Grenzpsychotiker überlappen sich die beiden Erlebenswei­ sen. Je nach Verlauf des von ihm geführten Gesprächs springt er von der ei­ nen in die andere über, so daß einem oft nicht ganz klar wird, was der Pa­ tient eigentlich meint. Grenzüberschreitungen noch und noch, ohne daß er sich dessen gewahr würde, denn die Grenzen sind verwischt. Psychotisches und Nicht-Psychotisches gerät durcheinander. Das Verstehen solcher Verhältnisse setzt meiner Erfahrung nach weniger durch spekulative metapsychologische Überlegungen ein als vielmehr durch den Versuch, mit dem Patienten zu reden; es liegt also im Vollzug des 168

Deutens selbst. Es geht dabei um weit mehr als um ein Drehen und Wenden des vom Patienten Vorgebrachten, um es von außen her zu objektivieren und hinterher zu erklären; der Therapeut fühlt sich aufgefordert, auf eine schizophrene Verhaltensweise affektiv zu reagieren. Nehmen wir z.B. einen Kranken, der keine menschlichen Beziehungen eingehen kann, weil er sich einem Objekt gegenüber nicht wahrzunehmen vermag, und der nun diese Unfähigkeit auf den Therapeuten projiziert: »Sie wollen keine Beziehung mit mir!« Eher unnütz wäre es in diesem Falle, den sonst möglichen Weg der psychodynamischen Intervention einzuschlagen, wie wir das beim Neuroti­ ker tun, indem wir ihm klarzumachen versuchen, daß er eigenes Versagen dem Therapeuten unterschiebt. Es wäre sinnlos und - therapeutisch gese­ hen - steril, jemanden, der von überdimensionierten, wahnhaft verzerrten Schuldgefühlen ohnehin schon erdrückt wird, zur eigenen Verantwortlich­ keit aufzurufen. Abgesehen davon gibt uns aber auch die Tatsache zu den­ ken, daß die »Projektion« des Kranken nicht zwangsläufig auf einen ratio­ nalen Mechanismus zurückgeführt werden kann wie beim Neurotiker. In der Mehrzahl der Fälle entspricht sie einer schizophrenen Verwechs­ lung von Ich und Nicht-Ich, von Patient und Therapeut. Das Unvermögen des Patienten, mit einem andern Menschen in Kontakt zu treten, beruht auf seiner Eigenart, sich »im anderen drin wahrzunehmen«. Das Ausdeuten der projektiven Vorgänge ist also nicht nur oft nutzlos, weil es von einem fragmentierten Ich gar nicht aufgearbeitet werden kann, sondern entbehrt darüber hinaus jeder Logik, sofern wir es im Lichte unse­ res konzeptionellen Schizophreniemodells betrachten. Die therapeutische Aufgabe ist eine ganz andere: Deuten heißt hier, dem Ausdruck verleihen, was therapeutisches Erleben ist, weil es ohnehin positiver gefärbt ist als das Erleben des Patienten und dieses wiederum zu neutralisieren vermag. Ein einfacher Satz wie der folgende kann schon seine Wirkung tun: »Ich nehme die Dinge etwas anders wahr als Sie, spüre Sie, spüre Ihre Person, die sich mit mir im Zwiegespräch befindet.« Der Therapeut verschafft dem Kranken eine »Leih-Existenz«. Und wenn nun der Patient all das, was der Therapeut vorbringt, zu vernichten sucht, indem er etwa sagt: »Ach, lassen Sie das, ich weiß ja schon im voraus, was Sie denken«*, so mag der Therapeut bestätigen: »Ja, wir denken das­ selbe«. Er kehrt das Schwache ins Starke um, führt die Nicht-Existenz des Patienten in die eigene Existenz über, in ein Mit-ihm-Sein auch, verwandelt die Personenkonfusion in eine duale Einheit. Es ist deutlich, daß in alledem ein therapeutisches Verständnis zum Ausdruck kommt, das sich grundle* Das braucht nicht unbedingt dem wahnhaften Erleben zu entsprechen, in den Gedanken des andern lesen zu können; noch handelt es sich um einen Widerstand im eigentlichen Sinne des Wortes. Die Kranken machen solche Feststellungen, wenn sie das Gefühl haben, sich im Therapeuten »zu verlieren«.

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gend von der Haltung unterscheidet, die wir bei der Behandlung eines Neu­ rotikers einzunehmen pflegen. In der Schizophrenietherapie hängt die Wirkung der Deutung nicht allein von ihrer objektivierenden Prägnanz ab, sondern in erster Linie auch da­ von, wie sie auf rationale Weise das Mit-dem-Patienten-Sein interpretiert: Wie der Therapeut sich ihm nähert, über seinen Zustand nachdenkt und sich so weit wie möglich in ihn hineinzuversetzen sucht; wie er sich gewisse Aspekte von dessen Erlebensweisen zu vergegenwärtigen sucht - dies alles wohlverstanden auf sehr unzulängliche, bruchstückhafte Weise, weil sich der Kranke außerhalb jeder Kategorie mitmenschlichen Verstehen-Kön­ nens befindet. Sich einfühlende Approximation rückt jedoch in den Bereich des Möglichen. Die rationale Kategorie des Mit-Seins eröffnet dem Patien­ ten ganz neue Wege des Selbst-Verständnisses. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine psychotische Patien­ tin, die oft der Phantasie nachhing, wie ihr Leib nach dem Tode verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut würde. Ich deutete diese Phantasie als den Versuch, das qualvolle Empfinden der Ichauflösung in ein aktives Er­ leben zu verwandeln. Die Patientin fügte sich selbst jenes Leid zu, dem sie sonst passiv erlag. Sie spürte ihr Leben durch das Sterben, das von allen Übeln erlöst: Durch die »sublimierte« Auflösungsphantasie leitete sie die Auferstehung ihres Selbst ein. So gelang es mir, indem ich die Patientin be­ jahte, auch bei ihren Selbstzerstörungsphantasien zu verweilen. Viele psychotische Erlebensweisen sind so grenzenlos desolat, daß sie im Therapeuten ein Deutungsverhalten in Gang setzen, dessen Geheimnis nicht so sehr im Entziffern des Unmöglichen, Unbegreiflichen liegt, son­ dern vielmehr im Mut, die an sich unmögliche Situation in eine mögliche zu verwandeln, welche eine gewisse Denk- und Handlungsfreiheit zuzulassen wagt. Sinn und Wert der Deutung sind dann mit dem ihr innewohnenden Impuls zu neuen Ansätzen deckungsgleich. Ich berichte hier beispielsweise von einem Grenzpsychotiker, dessen Erleben von Ichauflösung und Derealisation gezeichnet war. Nach einer analytischen Sitzung überkam ihn das Gefühl, als ob »ihn der Eisenbahnwagen, in dem er saß, erwürgen würde«. Der Therapeut gab darauf die folgende Deutung: »Der Eisenbahnwagen könnte die analytische Sitzung bedeuten; die Wände hingegen, die Sie zu erdrücken drohen, haben Sie sich aus einer Angst vor meiner Nähe dazugebaut.« Man könnte hier den Einwand erheben, diese Interpretation sei eher aus der Luft gegriffen, denn sie läßt sich nicht unbedingt auf die Assoziationen des Patienten stützen. Es ließe sich auch die Kritik anbringen, das wehrlose Opfer psychotischer Krisen werde obendrein noch für die Mitwirkung daran verantwortlich gemacht und zwar mit der Bemerkung, daß er sich etwas »dazugedacht« habe. Die Antwort des Patienten fiel jedoch anders aus, als wir sie auf Grund unserer Überlegungen erwar­ ten würden. Er begann zu schildern, wie er stets in der passiv-resignierten Haltung dessen verharrt war, der sich von jeder zwischenmenschlichen Beziehung überfah­ ren fühlt. Die Deutung hatte ins Schwarze getroffen, weil sie die aktive Dimension des kranken Erlebens aufdeckte und dem Patienten somit die Möglichkeit eines 170

freieren Verhaltens nahelegte. Der analytische Dialog erfuhr durch sie eine erhebli­ che Ausweitung, indem das Verhalten des Patienten innerhalb seiner Familie neu einbezogen werden konnte.

Wenn der psychotische Patient positiv auf die Deutung reagiert, braucht das allerdings nicht immer ein eindeutiger Beweis dafür zu sein, daß sie in ihrer rationalen Diktion dem irrationalen und psychopathologischen Erle­ ben des Kranken entspricht. Von ausschlaggebender Bedeutung ist jedoch die Empfindung des Therapeuten, daß er mit seiner Intervention nicht nur dem Leid des Kranken nähergekommen ist, sondern daß sich nunmehr ein Vertrauen zu dessen potentiellen Möglichkeiten zu artikulieren beginnt. Dieses Vertrauen allein ist es, mit dem man neuen Horizonten entgegen­ schreiten kann: Das Irrationale zu rationalisieren kommt mitunter einem Abenteuer gleich; einerseits wird die Herrschaft des Bewußtseins auf das Unbewußte ausgedehnt, andererseits wohnt ihm eine unausgesprochene, an den Kranken gerichtete Mitteilung inne, die sich etwa so formulieren lie­ ße: »Wir versuchen das Netz des Verstehens über alles Unverständliche zu werfen, um es zu unserem Besitz zu machen.« Oder auch: »Wenn ich Dich für Deine Situation verantwortlich mache, will ich Dir damit nicht etwa eine Schuld zuschieben, sondern vielmehr das Gefühl in Dir erwecken, daß Dein Erleben Dein Werk ist. Und gerade dieses Gefühl hast Du in der Ichauflösung verloren.« Mit solchen Interpretationen eröffnen wir uns eine Dimension neuer Möglichkeiten. Sie wollen nicht einfach getreues, objektivierendes Abbild des aktuellen Geschehens sein: Sie tasten sich ins Erleben des Patienten hinein, um das Gespür eigener Kraft, eigenen Vermögens in ihm wachzuru­ fen - und nicht etwa um der psychogenetischen Rekonstruktion willen, wenngleich sie sich häufig psychogenetischer Metaphern bedient. In der Schizophrenietherapie sind namentlich jene Deutungen relevant, die das passive Erleben des Kranken in eine Situation von geordneter Akti­ vität zu verwandeln trachten. Das gilt nicht nur für Deutungen, die teils heillos konfuse Probleme so zu entwirren suchen, indem sie dem Patienten die Zügel der Situation wieder in die Hand geben, sondern auch für jene Deutungen, wie sie in der englischen Schule von M. K lein und H. R o se n Fel d formuliert werden: Auch hier wird jeweils der Versuch unternommen, durch die Diktion des Therapeuten und somit auch im Bewußtsein des Pa­ tienten gewisse Vermischungsphänomene zwischen Ich und Nicht-Ich in neue Situationen zu überführen, in denen sich der Kranke als Subjekt er­ fährt, das aktiv Teile des anderen in sich introjiziert, so wie er wiederum Teile seiner selbst in die anderen hineinverlegt - ganz gleich, ob dies nun vom Bedürfnis nach Selbst-Erfahrung oder vom Bedürfnis nach Abwehr ausgelöst ist.

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3. Die Identifikation* Psychotherapeutische Paradoxie beruht auf der Dialektik zwischen dem Sich-ins-fremde-Erleben-Versetzen und dem Bei-sich-Bleiben als Voraus­ setzung der Leidensübernahme. Der Angelpunkt dieser »Balance« er­ scheint mir in das therapeutische Unbewußte versenkt, dem wir jene identifikatorische Nähe mit dem Erleben des Kranken verdanken und aus dem immer wieder neue Einfälle über das kranke Erleben hervorgehen. Ein wichtiger Heilungsfaktor der Schizophrenietherapie gründet in der oft erstaunlichen Art und Weise, wizdas Unbewußte des Therapeuten funk­ tioniert. Sicher scheint mir zu sein, daß dieses Unbewußte vom Patienten wahrgenommen wird, und zwar keineswegs nur auf dem Wege verbaler Kommunikation. Den Beweis dafür fand ich in klinisch feststellbaren Hei­ lungsfortschritten, die bisweilen nach Träumen und Phantasien des Thera­ peuten aufzutreten pflegten, die den Patienten betrafen. Das Unbewußte des Therapeuten nimmt das vom Kranken verspürte Bedürfnis, in den Fängen eines destruktiven Wesens zu verharren, in der Weise wahr, daß es Träume erschafft, die denen des Patienten komplemen­ tär entsprechen. Derlei Phänomene können im Ansatz auch in der Behand­ lung von Grenzpsychotikern auftauchen. Ich erinnere mich an die Schilderung einer Therapeutin, die bestürzt erst den Traum ihrer Patientin und dann einen eigenen erzählte. Die Patientin war in ihrem Traum schwanger und wurde von ihrer sadistischen Mutter zutiefst verletzt, weil diese von ihr verlangte, das Kind abzutreiben. Die Therapeutin hatte in der gleichen Nacht und - wie sich nachträglich feststel­ len ließ - zur gleichen Stunde einen fast identischen Traum. Der einzige Unter­ schied: In ihrem Traum war sie, die Analytikerin, die Mutter der Patientin. Wenn wir davon ausgehen, daß von einer den therapeutischen Traum bedingen­ den negativen Gegenübertragung nicht die Rede sein konnte, bleibt mir nur die eine * Die Begriffe »Identifikation« und »Gegenidentifikation« werden in der jüngeren Fachli­ teratur von verschiedenen Autoren in verschiedenen Sinnzusammenhängen verwendet. So spricht K ernberg z. B. von der Gegenidentifizierung als einer Form von fixierter Gegenüber­ tragung. Damit meint er die Aufrichtung von Widerständen seitens des Therapeuten beim Aufkeimen von primitiven Ängsten. F liess (1942) und S pitz (1956) sprechen wiederum von der »transitorischen Identifikation« (»transient trial identification«) des Analytikers mit sei­ nem Patienten als dem Fundament aller Empathie und der Regression im Dienste des Ich dies allerdings nicht im Rahmen der Schizophreniediskussion. In der Folge versuchte F liess (1953) mit teils schwierigen Gedankengängen den Beweis zu erbringen, daß diese spezifische Identifikationsform, kombiniert mit einer tiefen Regression, im Patienten eine Gegenidentifi­ kation bzw. die Verdoppelung der Identifikation mobilisiert. R eich veröffentlichte 1960 seine Hypothese, daß die Gegenidentifikation den Beginn der Gegenübertragung signalisiere und gleichzeitig den Untergang des oben erwähnten Mechanismus der »transient trial identifica­ tion« einleite. All diesen metapsychologischen Konstruktionen fehlen häufig illustrierende Beispiele. Sie sind und bleiben uns in der Schizophrenietherapie eher fremd, weil sie von dem entfernt sind, was das zentrale Anliegen unseres Denkens ausmacht: Ein Annehmen des Patienten durch ein Sich-Hineinversetzen in dessen Erleben.

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Erklärungsmöglichkeit: Die Therapeutin hatte unbewußt und aus der Zuwendung zur Patientin den Platz jener Person eingenommen, die für sie ein Schreckgespenst schlechthin - zugleich aber auch wichtigste Bezugsperson war. Sie tat es unbewußt und war somit weit über das hinausgegangen, was man in der klassischen Analyse mit klärendem Deuten zu erreichen sucht. Um möglichst nahe bei ihrer Patientin zu sein, hatte sie die Gestalt der negativen Mutter angenommen und dadurch die Syn­ these des negativen intrapsychischen Bildes mit der wirklichen Person der Mutter in sich vollzogen.

Tag für Tag befinden sich die Patienten auf der Flucht vor einem sadisti­ schen Verfolger, bis plötzlich der Therapeut träumt, entweder an der Stelle des Verfolgers zu stehen, oder anstelle des Patienten vom gleichen Verfol­ ger gejagt zu werden. So wird dem Therapeuten die heilsame Erfahrung zu­ teil, daß Wahn nicht einfach Wahn ist, daß der ins unheilvolle Licht der Hal­ luzination getauchte Verfolger dem Unbewußten aller Menschen angehört: Er ist in uns allen und wird allein schon durch unsere Bereitschaft, Thera­ peuten zu sein, wirksam. Wir können dazu stehen, wenn uns der Kranke die Last seiner Projektionen auferlegt und uns dadurch zum Verfolger stem­ pelt, der ihn im Wachen wie im Träumen heimsucht. Darin liegt freilich eine Gefahr für die Fortsetzung der Psychotherapie, aber auch darin, daß der Kranke unser Unbewußtes stets wahrnimmt. So weiß ich von Patienten, die mir sagten, jene Stunden seien die wichtigsten, wo sie mich negativ erleb­ ten. Die Wirkung der therapeutischen Träume indessen liegt nicht allein dar­ in, daß sie dem Patienten hie und da mitgeteilt werden: Sie sind aus dem Unbewußten zweier Menschen zusammengeflossen und gehen auf ebenso empathische Weise von dem einen in den anderen über - auf Wegen, die sich dem normalen Dialog entziehen. Indem wir aber aktiv nach gemeinsa­ men Nennern suchen und sie auch in die therapeutische Kommunikation hereinnehmen, erfährt diese eine wesentliche Bereicherung. Hier der Traum einer Therapeutin: »Die Patientin und ich befanden uns in einer öden Mondlandschaft (die Kranke hatte sich in ihrem Wahn auf den Mond abgesetzt). Sie lag am Boden, vom Bauch an abwärts unter großen Felsbrocken begraben. Ich selbst stand auf einem Stein direkt vor ihr. Oder befanden wir uns auf der Spitze eines Berges? Wohl kaum, denn es wa­ ren weder Täler noch Erhebungen sichtbar. - Obwohl die Landschaft fast völlig eben und grenzenlos weit war, sah man in der Ferne eine leicht gewölbte Kurve ... den Horizont? Himmel über uns, gänzliche Einsamkeit um uns herum. Meine Pa­ tientin war nackt. Sie sagte irgendetwas und streckte mir die Arme entgegen. Das Gesicht und der sichtbare Teil ihres Körpers waren eigentlich so, wie ich sie aus der Realität her kenne. Sie schien weder verzweifelt noch sonstwie gespannt zu sein. Wir sprachen lange zusammen. Um zwei Uhr erwachte ich, müde, als ob ich hart gear­ beitet hätte. Der Kommentar der Patientin, als ich ihr in der nächsten Sitzung den Traum er­ zählt hatte: >Ja, die vom Mond, das bin ich.< Und das war an sich nichts Außerge­ wöhnliches, denn schon seit einiger Zeit pflegte jedes Mal, wenn sie auf ihre Kind­ heit zu sprechen kam, die uniforme Assoziation aufzutauchen, daß sie sich damals 173

auf dem Mond befand. Und während unserer Gespräche war der Mond stets Syno­ nym für Verlassenheit, für Einsamkeit und Kälte. Durch diesen therapeutischen Traum jedoch begann ihr Leben auf dem Mond ein Leben zu zweit zu sein.«

Sobald sich der Therapeut in die psychotische Welt seines Patienten hin­ einbegibt, erfährt diese eine gewisse Verwandlung. Zum mindesten wird dadurch eine provisorische Brücke der Kommunikation geschlagen. Für ei­ nen Kranken, der gänzlich außerhalb kommunikativer Bereiche lebt, kann das schon viel bedeuten. Ich bin mir allerdings im klaren darüber, daß die Schaffung solcher Brükken ein Phänomen ist, das sich mit klinischen, sozialen und katamnestischen Parametern, die die Psychotherapie doch weitgehend konditionieren, nicht ausloten läßt. Im oben erwähnten Traum zeichnet sich allein schon dadurch ein Wandel ab, daß zwei diametral entgegengesetzte Bilder einander näherrücken: Der Mond als Ort der Kälte und der Verlassenheit, der Mond als Ausgangs­ punkt einer gemeinsamen Reise. »Mit diesem Traum beginnt unser ge­ meinsames Leben auf dem Mond“, schloß die Therapeutin ihren Bericht. Des weiteren hat sich durch die neue Situation eine Identitätsinversion ergeben: Die Therapeutin geht auf die »vom Bauch an abwärts unter gro­ ßen Felsbrocken begrabene« Patientin zu. Die Patientin wiederum, die ihr die Arme entgegenstreckt, scheint damit eine entsprechende Haltung übernommen zu haben. Nicht zu übersehen ist auch, daß die Therapeutin anfänglich »auf einem Stein« steht - sicher eine Anspielung auf die Patien­ tin. Therapeutische Träume dieser Art müssen voll und ganz in den weiten Bezugsrahmen der Identifikationsvorgänge gestellt werden, wie sie sich zwischen Therapeut und Patient auch im Wachzustand abspielen. So schil­ derte ein Patient seinem Therapeuten, wie er als kleiner Junge seinen Hund quälte und ihn obendrein noch strafte, wenn er in seinem Schmerz zu bellen und zu winseln begann. In diesem Fall beschränkte sich der Therapeut nicht darauf, über diese Szene zu meditieren - wie man das etwa auch in einer Kontrollstunde tut - , sondern ließ sich von seinen Assoziationen treiben, bis in ihm plötzlich das folgende Bild aufstieg: Er sah sich selbst in die Situation des Hundes ver­ setzt. Ein anderes Mal meinte er wiederum: »Ich fühlte mich wie ein zwölf­ jähriger Junge. Ich wollte ständig etwas sagen, aber niemand verstand mich. Und wenn ich dann zu weinen begann, pflegte die ältere Schwester ver­ ständnislos zu spotten: >Du spinnst ja!Bitte, bitte, laß mich doch ein Loch machen, nur ein einziges Loch. Aber sofort!!< (...) Heute tauchte sie plötzlich im Fernsehzimmer auf, riß die Vorhänge herunter, warf den Apparat zu Boden und schleuderte die Lehnsessel gegen die Wände. (...) >Laß mich hinausgehem, sagte sie heute, >ich möchte das Haus, das dort auf dem Hügel steht, zerstören^ (...) >Wirf mich ganz rasch aus diesem Konzentrationslager hinaus, sonst schlage ich alles kurz und klein.< (...) >lch muß, muß alles zerstören!« (Auszüge aus einer Krankengeschichte)

2) Erst muß der andere vernichtet, ausgelöscht werden, damit der eige­ nen wahnhaft absoluten Realität Raum gegeben ist, einer Superexistenz, in der jeder Wunsch, jede Regung des Patienten ohne Aufschub auf magisch­ radikale Weise nach Verwirklichung schreit. »Wehe, wenn man sich bei ihr auch nur eine Sekunde verspätet! Sie beginnt fie­ berhaft, alle Uhren zu kontrolüeren und auf alle Türen einzuschlagen. >Ich kann nicht wartenAber meine Mutter macht das alles sehr gern. - Nein, nein, sie ist weder krank noch müde. Es bereitet ihr ein Vergnügen, mit mir auf und ab zu gehen.Skelett-PuppenSchnür die Beine enger, mache sie dünner. Sie müssen ganz ganz mager sein. Mit den Armen mußt Du das gleiche machen. Weg, weg mit dem Bu­ sen: Er hat so viel leiden müssend sagte sie zu mir, während wir zusammen an den Puppen arbeiteten. >Die eine ist enthauptet, ich weiß esUnd die Hände müssen so dünn sein wie Papier.< Ich gab mir Mühe, ihrem Wunsche nachzukommen. >Ja, ja, jetzt ist es besser, aber sie sind immer noch zu fleischige« Was diese Patientin an ihren beiden »Skelett-Puppen« verwirklichte, kommt der einzig realisierbaren Form von Selbst- und Nächstenliebe gleich. Die Puppen trugen übrigens die Namen von Patienten, die aus der Klinik entlassen worden waren. Sie symbolisierten also in gewissem Sinne die Umwelt, stellten aber zugleich das Selbst der Kranken dar. Sobald die anderen in ihren Augen als existierende Wesen oder als Personifikation der eigenen Aggression konfigurierten, brach jede libidinose Beziehung abrupt ab. Hier aber, wo das Skelett sowohl das eigene miserable Selbst wie auch den Partner personifiziert, der sich restlos zum Gegenstand der kranken Aggressivität machen läßt, hört die Diskrepanz zwischen Ich und Umwelt auf: das Skelett wird zum geliebten Ubergangsobjekt. »Als eine Puppe fertig war, zeigte sich Frau D. sehr unzufrieden. Sie fand sie viel zu dick und bat mich inständig, sie doch endlich dünner zu machen. Ich setzte mich zu ihr auf den Boden und nahm die Puppe erneut vor. Ich riß ihr mehr und mehr Stoff weg und verwandelte sie - fortwährend kommentierend - in ein »richtiges Skelett«, das nur noch aus Haut und Knochen bestand. Auch ver­ suchte ich zu schildern, was diesem Wesen alles zugestoßen sein mußte, daß es sich nun in einem solchen Zustand befinde. Im Grunde wiederholte ich ihre eigenen end­ losen Klagen. Sie schwieg. Erstmals enthielt sie sich der üblichen, tausendfach vor­ gebrachten Schlußbemerkung: >Es ist mein Verfolger, der mich umgebracht hat.Löwin< war, hatte ich furchtbar Angst, von den scharfen Zähnen des Jungen zerrissen zu werden.«

Die Therapeutin hat mit andern Worten den Wunsch der Patientin »ge­ wittert«, sich selbst und alle anderen in Stücke zu reißen. Das fand sich nicht nur durch die zeitweilig auftauchenden Suizidgedanken bestätigt, sondern auch durch die gegenidentifikatorischen Phantasien der Therapeutin: »Ich sah in meiner Phantasie plötzlich, wie sie sich spielerisch zu erhängen such­ te. Ich selbst stand mit den Mitpatienten neben ihr. Wir schrien, wie weh uns ihr Handeln tue. Zugleich wollten wir aber alle ein Stück Fleisch von ihrem Körper haben.« Diese aus dem Unbewußten der Therapeutin aufgestiegene Phantasie entspricht dem Wunsch der Kranken, ihre Mitmenschen allesamt zu zer­ stückeln. Nun wohnt aber der therapeutischen Phantasie der partielle Wunsch inne, das Objekt zu bewahren, während die Phantasie der Kranken - bei der sie die eigenen Brüste und die Vagina durch jene der Therapeutin ersetzen wollte - einer primitiven Symbiose Ausdruck verleiht, in der es keine über identifikatorische Kanäle stattfindende Differenzierung vom Objekt gibt. Ihr fehlt auch der Wunsch, das Objekt zu erhalten oder zu be­ schützen. Die psychotische Spaltung spiegelt sich wider in der induzierten Mitspaltung der Psychotherapeutin, die zwischen Zuwendung und Ableh­ nung schwankt und die Ambivalenz auf der Ichebene als selbstentfremden­ den Widerspruch erlebt. Wir haben bei diesem Fall jedenfalls deutlich gesehen, in welche schwie­ rigen Situationen der Therapeut geraten kann. Oft ist man hin- und herge­ rissen zwischen der Liebe zum Kranken und der Angst vor ihm. Sowohl die eine wie die andere Komponente der Einstellung entsprach einem tiefen Bedürfnis der Patientin. Diese bewegte sich einerseits auf die Therapeutin zu, indem sie sich von der unbewußten Ahnung treiben ließ, daß deren Nähe die einzige Möglichkeit darstellen könnte, der Nicht-Exi­ stenz zu entrinnen. (»Ich gebe dir meinen ganzen Körper, aber dafür will ich den deinigen haben.«) Auf der anderen Seite hatte sie große Angst vor ihr: »Eigentlich wäre mir wohler, wenn du von oben bis unten eine Stahlrüstung tragen würdest. Ja, und auch der Kopf müßte in einer Art Eisenkäfig sein. Nur so kannst du mich davor bewahren, zur Massenmörderin zu werden. Ober sonst muß ich mich anbinden. Anders geht es nicht, will ich nicht vor Angst und Wut um­ kommen.« Die Sukzession der Aussagen beweist deutlich, wie zwischen dem äuße244

ren und dem inneren Verfolger eine vollkommene Identität besteht. Für den Therapeuten stellt sich aber in solchen Situationen das Problem, sich mit »Eisen zu panzern« zu müssen, ohne aber gleichzeitig feine Gefühlsre­ gungen zu verlieren.

XX. Die symbolische Realisierung Als symbolische Realisierung der Aggressivität bezeichnen wir die Ver­ wirklichung dessen, was innerhalb der Nicht-Existenz ein letzter wahnhaftiger Überrest von Existenz ist. Aggressivität entlädt sich dann im zwi­ schenmenschlichen Raum, wird gleichzeitig aber durch die Gegenwart des Therapeuten eingegrenzt. Dazu zwei Beispiele aus einer Krankengeschichte: »Als ich heute zu Frau A. kam, war sie im Begriffe, eine >Puppenleiche< zu basteln, die fast so groß war wie sie selbst. Sie arbeitete mit größter Hast und war ganz außer Atem: >Das ist die Leiche von R.ich werde sie im Zimmer aufbewahren, bis sie zu stinken beginnt. Dann werfe ich sie zum Fenster hinaus.< Die >Puppenleiche< hatte einen Negerkopf und war ohne Arme: Ich fand sie richtig makaber. Plötzlich sagte Frau A.: >Hör mal, hast du Handschuhe? Gib sie mir! Ich werde sie anziehen, und R. wird für immer mein Gefangener sein; tot wie er ist, macht er mir keine Angst mehr.< >Hast Du ihn umgebracht?< fragte ich zurück. >Ja, weil er ein Mörder war. Also hatte ich auch das Recht dazu.< In dem darauffolgenden Gespräch wurde dann klar, daß mit der >Puppenleiche< nur sie selber gemeint sein konnte. Die Patientin war geradezu besessen von der Idee, sich selbst als Leiche zu sehen. Allmählich kam sie etwas zur Ruhe; die Angst war von ihr gewichen. Und während sie ihren ei­ genen >Tod< betrachtete, zeigte sich ein zufriedenes, aber kaltes Grinsen in ihrem Gesicht. Von nun ab achtete sie sorgfältig darauf, daß die Leiche schön ausge­ streckt in ihrem Bette lag und zugedeckt war. Sie behandelte sie, als wäre sie eine lebendige Person. Ihre Hauptbeschäftigung bestand im übrigen darin, das Essen in den Mund zu nehmen und es dann auf das Bett zu spucken, in dem der Tote lag. Unablässig bewachte sie ihn und hielt mich ständig in Trab, indem sie mir kategorisch befahl, neue Leintücher herbeizuschaffen. Ohne ihre Einwilli­ gung durfte niemand sich dem Toten nähern - auch durfte ihn niemand an­ schauen. Ich hielt mich so weit wie möglich an ihre Anweisungen, weil ich begriffen hatte, daß der Tote für sie sehr wichtig war. Wenn er gar zu 245

schmutzig war, wusch ich ihn. Jedes Mal, wenn sie ihn anschaute und in ih­ rer unbeschreiblichen Art dazu lachte, meinte ich, aus der Realität zu tre­ ten.« Das zweite Beispiel: »Sobald Frau B. spürte, daß wir im Gespräch einander näherkamen, zog sie sich blitzartig zurück, begann unruhig auf die Uhr zu schauen und wies mir die Tür: >Geh jetzt, los, rasch, rasch; ich muß jetzt lesen und habe noch zu schreiben^ Ihre anfängliche Freude wich einer gespannten Unruhe. Sie stieß mich aus dem Zimmer, als wäre ich etwas äußerst Gefährliches. Ich kam mir wie ein überflüssiger Gegenstand vor. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus ließ ich mich zu Boden fallen, machte mich rund und klein - und streckte ihr die Arme entgegen: >Du bist mein Traktor. Setze Dich in Bewegung und ziehe mich weg von hier!< Sie schien an meiner Idee großen Gefallen zu finden. Ihre Spannung löste sich. Sie packte mich erst an den Armen, dann an den Füßen und schleppte mich zur Tür und in den Korridor hinaus. Und vor allem lachte sie dazu, laut und glücklich, wie ich sie noch nie zuvor hatte lachen hören.«

XXL Die dialektische Antwort auf die Aggressivität des Patienten Darunter verstehe ich eine therapeutische Verhaltensweise, die dahin ten­ diert, die Aggressivität in gewissen Situationen zurückzuweisen, sie aber in andern zu akzeptieren —dies insbesondere dann, wenn die therapeutische Beziehung sonst Gefahr läuft, in Brüche zu gehen. Eine in einer Klinik untergebrachte schizophrene Patientin pflegte sich als Gefangene zu betrachten und nannte ihre Therapeutin die »Gefängnis­ aufseherin«. Ständig kommandierte sie sie herum und verlangte von ihr, daß sie ihr ganz zu Diensten stand. Im übrigen ging sie auch mit den Ärzten und mit dem Pflegepersonal auf ähnlich aggressive Weise um, was zur Folge hatte, daß sich niemand mehr mit ihr abgeben mochte. Eines Tages war auch die Therapeutin so weit: Sie wies die kategorischen Befehle der Pa­ tientin zurück und weigerte sich, die Rolle weiterzuspielen, die ihr die Kranke aufgebürdet hatte. Am Tage darauf jedoch »nutzte« sie die Ag­ gressionen wiederum, um die verunsicherte Beziehung nicht nur wieder­ herzustellen, sondern auch auszubauen. Kaum hatte sie das Zimmer der Patientin betreten, die im Begriffe war, sich die Zähne zu putzen, wandte sich diese ruckartig ihr zu und spuckte ihr die Zahnpaste ins Gesicht. Die Therapeutin begann sich nun ihrerseits mit 246

dieser Paste die Zähne zu putzen. Irgendwie hatte sie erahnt, daß sie von der Kranken auf eine weniger absolute Weise zerstört worden war, als wenn sie sie mit »Gefängnisaufseherin« titulierte. Sie hatte sie zwar angegriffen, hatte aber diesem ihrem Angriff etwas Ureigenes beigegeben: ihren Spei­ chel nämlich. Und diesen Speichel »nutzte« nun die Therapeutin geistesge­ genwärtig, um einen Kontakt zu ihr herzustellen. Den Beweis dafür, daß sie sich damit auf dem richtigen Weg befand, lie­ ferte die Patientin selbst, die auf die Bitte der Therapeutin, sie doch beim Spucken nicht mit so viel Wasser zu bespritzen, hellhörig einging. Das entspricht dem, was ich unter der Dialektik von Annahme und Ab­ lehnung der Aggressionen verstehe: Der Patient soll die Erfahrung gewin­ nen, daß seine Aggressionen nur insofern akzeptiert werden, als sie der ein­ zige Ausdruck seiner Existenzweise sind und das Mit-Sein des Therapeuten einschließen. Wo sie aber darauf abzielen, ihn aus der Beziehung auszusto­ ßen und zu zerstören, müssen sie - auch dem Kranken zuliebe - abgelehnt werden.

XXII. Psychotherapie der Schizophrenie als Grenzsituation menschlicher Begegnung Der Schizophrene kann oft nur in dem Umfang er selbst sein, wie er in dem Therapeuten zu existieren vermag. Diese »Spiegel-Existenz« unterscheidet sich - wie schon gesagt - von der Spiegelübertragung K o h u t s , wie sie sich bei narzißtischen Persönlichkeitsstrukturen feststellen läßt, die ihr »gran­ dioses Selbst« im Spiegel eines idealisierten Therapeuten realisieren. Bei der Schizophrenie geht es weniger um ein grandioses Selbst als viel­ mehr um ein abwesendes Selbst. Und was sich im therapeutischen Spiegel zeigt, ist nicht des Kranken eigenes Werdensbild in der mitmenschlichen Zuwendung, sondern eine primäre Realität, die ihm zurückgeworfen wird und so dessen Existenz überhaupt erst möglich macht. Dieses psycho­ therapeutische Geschehen ist die Umkehrung eines psychopathologischen Geschehens, aus dem das Bildnis eines in Auflösung begriffenen Selbst ent­ steht. Der Kranke erlebt sich als Objekt der anderen, er lebt in ständiger Angst, vom Mitmenschen reifiziert zu werden —»ich werde von den ande­ ren gemacht« - oder er nistet sich parasitär in die anderen ein, weil er kein eigenes Selbst besitzt. Ich möchte hier wieder an jene Patientin erinnern, die im Traum keinen eigenen Identitätsausweis hatte und in jenen eines Mitmenschen hineinschlüpfte, um sich die Illusion zu verschaffen, so etwas wie ein eigenes Leben zu haben. In der Psychotherapie strukturiert sich nun das abwesende Selbst in dem 247

ihm zugewandten Antlitz des Therapeuten und in der gemeinsam begrün­ deten Beziehung. Vorausgesetzt nun, daß dieser Prozeß wirklich tiefgrei­ fend ist, hat der Kranke die Möglichkeit, endlich aus einer Beziehung her­ aus mit einem eigenen Selbst hervorzugehen. Dieser Erfahrung eignen Züge extremer Neuheit, die der aktuell-patho­ logischen Realität in allen Teilen fremd ist und sich auch nur mit Zeichen und Worten mitzuteilen weiß, die außerhalb sozialer Konventionen siedeln. Gedanken, Vorstellungen und Phantasien werden bisweilen auf absurde Weise in Worte gekleidet: Sie sind Ausdruck eines in die Psychotherapie verkehrten Wahns. So äußerte eine Patientin einmal den Wunsch, ihre Therapeutin in den Arm zu beißen, nicht etwa, um ihr weh zu tun, sondern bloß, um deren »in­ nere Substanz« zu spüren. - Eine andere Schizophrene trug sich mit der Absicht, die Vagina der Therapeutin mit Speisen zu »füllen«, um so dem ei­ genen - in der Therapeutin beherbergten - Selbst Nahrung zu geben. Sol­ che phantastischen Verhaltensweisen sind in Grenzsituationen Vorausset­ zung für eine beginnende Sozialisierung der autistisch-psychotischen Welt, sofern sie vom Psychotherapeuten nicht bloß in ihrer asozialen Vorgestalt erlebt werden. Diese Begegnungen kommen nur dann zum Tragen, wenn sich zwischen den Bedürfnissen des Kranken und der Phantasie des Therapeuten Ent­ sprechungen hersteilen. Um ein Bedürfnis des Kranken stillen zu können, muß der Therapeut nicht nur auf einer realen, sondern auch auf einer sym­ bolischen Ebene existieren können. Seine Fähigkeit, den Geisteskranken sowohl innerhalb wie außerhalb seiner selbst wahrzunehmen, ermöglicht es dem Kranken, das zu etablieren, was ich die »Umkehrung des Spaltungsgeschehens« nenne. Wenn nämlich die schizophrene Spaltung ein innerpsychisches Auseinanderbrechen be­ deutet, d.h. gleichzeitig auch einen Bruch zwischen dem Selbst und der Welt - denn ein Ich kann nur insofern »geeint« sein, als es sich mit Welt in Beziehung zu setzen weiß - , ist das erwähnte spiegelbildliche Phänomen der »Umkehrung« ein psychotherapeutischer Prozeß, der zwar von der eben geschilderten Psychopathologie gezeichnet ist, in dem das Ich jedoch in einem dualen Kontext steht. Bisweilen erlebt sich der Patient als in zwei Personen aufgespalten; zum einen ist er er selbst, zum anderen entdeckt er sich im Therapeuten. Eine Art »dualisierter Spaltung« also, und das wiederum heißt, daß bestimmte psychopathologische Phänomene durch die Dualisierung nicht von Anfang an aus der Welt geschafft werden und daß sie die Dualität psychotisch prä­ gen. Diese geht in sie ein, ohne von ihnen zerstört zu werden.

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XXIII. Der Traum in der Psychotherapie der Schizophrenie Das Problem der Deutung schizophrener Träume stellt sich in seiner gan­ zen Radikalität überall dort, wo der latente Traumgedanke des inneren Ab­ sterbens das manifeste Traumgeschehen prägt und in unverhüllter Weise zutage tritt. Vergebens hält man Ausschau nach Zensuren - nach der alles verschleiernden Verdrängung etwa - , die dieses Sterben verbergen würde. Im Gegenteil: Der psychische Tod nimmt im Traum noch absolutere Züge an als im psychopathologischen Zustand des Wachzustandes. Ohne Zweifel eignet der Mitteilung solcher Träume auch Übertragungs­ hafter Charakter: Immer wieder konfrontiert der Patient seinen Therapeu­ ten mit der Unabwendbarkeit des psychischen Geschehens sowie auch mit dessen eigener Machtlosigkeit. Es wäre also sinnlos, das, was schon allzu of­ fenkundig ist, dem Kranken vor Augen führen zu wollen, ihm das ge­ träumte Untergangsgeschehen noch einmal zu illustrieren. Bei diesen Träumen gibt es nichts zu »deuten«. Latenter und manifester Traumgedanke überlagern sich weitgehend, sind sogar identisch, und die von ihnen mitgeteilte Botschaft ist rein destruktiver Natur. An die Stelle der Deutung tritt etwas anderes, das eher damit zu tun hat, wie wir uns als Therapeuten dem Traum stellen, uns von ihm inspirieren las­ sen und wie wir den Traumereignissen standzuhalten vermögen. Die psy­ chotherapeutische Aufgabe ist zunächst die Meditation des Traumes, in der wir uns an die Stelle des Kranken setzen und seine Situation durch unsere schöpferischen Einfälle verändern. Wir müssen in die Traumszene eintreten und sie mit unsern Phantasien aktiv modifizieren, indem wir mit Ge­ danken und Tätigkeiten gegen das Überbordende und maßlos Destruktive einen Damm aufrichten. Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereit­ schaft, zunächst in den inneren Raum zu blicken, in dem der Kranke ist, und die ganze Ohnmacht dieser Lage nachzuvollziehen, damit der schöpferische Ansatz mehr als ein Kunstgriff sei. Unabdingbar ist zum einen das Erspüren des therapeutischen Schmerzes in der partiellen Identifikation mit dem vom Kranken durchlittenen inneren Sterben, unabdingbar ist des weiteren eine stets wachsame therapeutische Phantasie, die sich trotz aller sich ereignenden Katastrophen nicht lahmle­ gen läßt. Dieses Mit-Erleiden, dieser therapeutische Schmerz gründet auf zwei Fakten: zum einen auf der Wahrnehmung eines Sterbens, das nicht nur den Kranken allein, sondern uns alle betrifft. Nur durch Zufall hat es in ihm eine als unerhört zu definierende Intensität und Konzentration angenommen. Zum andern gründet es aber auch auf unseren lebendigen und lebenszugewandten Persönlichkeitsanteil. Der Kranke vermißt nun aber gerade diesen Aspekt in weitreichendem Maße, was zur Folge hat, daß er den durch das 249

psychische Sterben verursachten Schmerz gar nicht wahrnimmt, auch wenn er ihn andererseits - dialektischer Widerspruch !- weit stärker spürt als wir: Er hat keinen Schmerz, sondern er ist Schmerz. Was nun im Therapeuten Leben ist, Leben hat, wird in seinem alles erfüllenden Schmerz zum zeitli­ chen Vektor, zum Ansatz von Abgrenzung, von Veränderung - und letzten Endes von Abwendbarkeit. Um eine therapeutische Antwort zu finden, bedarf es einer zweiten Vor­ aussetzung: der Phantasie. Sie ist Ausfluß einer produktiven Aktivität un­ seres Geistes, die - ganz im Bilde des Patienten bleibend, dem nur Auslö­ schung der Existenz innewohnt —durch das Geschehen hindurchschreitet und neue Akzente setzt, es somit verändert, es vor allem aufbricht und ihm Richtung verleiht, die sich zum Leben hin wendet. Das heißt: Unsere spon­ tanen Phantasien werden dann zur ergreifenden Ant-Wort, wenn sie im Tiefsten der Seele wurzeln. Sie fallen uns bei rechter Disposition weit häufi­ ger zu und ein, als man das gemeinhin glaubt. Im täglichen Umgang mit Fa­ milienangehörigen, Freunden oder Pflegepersonen des Kranken begegne ich solchen spontanen Phantasien - zu meinem Erstaunen - stets von neu­ em. Wir müssen bloß lernen, auf sie zu achten: dann werden sie sich uns nicht verschließen. Eine Patientin litt an einem kontinuierlichen inneren Fragmentierungsgefühl, das sie als Lärm wahmahm: ein dumpfes Dröhnen und Donnern in ihr. Eines Tages er­ zählte sie mir den folgenden Traum: »Ich brachte mein Kind ins Spital, weil es ope­ riert werden mußte. Von oben her sah ich dem Eingriff zu, vermutlich von einer Ter­ rasse aus. Mir unbekannte Leute vergnügten sich, indem sie über die schrägen Wän­ de, über Möbel und Teppiche hinunterrutschten. Aber ich war diesem Lärm gegen­ über gänzlich indifferent. In einem entlegenen Winkel des großen Raums arbeitete der Chirurg. Es war ganz eindeutig, daß das Ergebnis der Operation verhängnisvoll sein würde: Ich sah aus dem Unterleib meines Kindes enorme, tumoral verfärbte Fleischmassen hervorquellen. Alle wußten nun - und ich auch - daß es nur noch Mi­ nuten dauern konnte, bis der Tod eintrat. Ich wollte aber dableiben bis zum bitteren Ende.« In meiner Deutung verwies ich zunächst auf die Identität, wie sie zwischen dem Tumor und ihrem fortwährenden Todeserleben bestand, auch erinnerte ich sie an ihren realen Wunsch, dem Leben durch Selbstmord ein Ende zu setzen. Den Haupt­ akzent setzte ich indessen auf die Tatsache, daß das Todesgeschehen im Traum doch irgendwie »abgegrenzt«, »eingedämmt« schien, während es in ihrem Wacherleben stets grenzenlos ausuferte. Im Traum war der Tod gewissermaßen räumlich dimen­ sioniert: ein Oben, ein Unten; sie selbst als Zuschauerin ins Oben versetzt; der Win­ kel schließlich, in dem operiert wurde. Des weiteren zeichnete sich auch Zeitlichkeit ab: Ihr Warten auf das Sterben des Kindes - während sie im gleichen Moment das dumpfe Vorgefühl hatte, als ob sie selbst überlebe. Im Traum hatte sich Leben in den Tod hineinverpflanzt: Das Melanom mitten im Liebesobjekt, dem noch lebenden Kind - und sie hatte in Wirklichkeit ein eigenes Kind -, während sie sich selbst ständig als Kadaver bezeichnete. Und, wenn auch nur »in einem entlegenen Winkel«: Aktivität, die Tätigkeit des Chirurgen, der eine Art traumhafter Synthese darstellte zwischen ihr und mir; ein Bild, das auf der gegensei250

tigen affektiven Beziehung beruhte, die auch durch das räumliche »Fem-Sein« nicht beeinträchtigt werden konnte. Zwar vermochte er die Krankheit nicht zu heilen, de­ sto offenkundiger war aber sein Bemühen, Gesundes und Krankes voneinander zu scheiden. Auffällig auch die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Arbeit ausführte und in die auch die von oben zuschauende Patientin eingeschlossen war: Die johlenden und herumtollenden Leute störten ihn überhaupt nicht. All diese Überlegungen waren nicht unbedingt in den Zusammenhängen des Traumtextes enthalten; sie entsprangen vielmehr der Art, wie der Traum gehört wurde; einer Art, die dem Tod das Siegel meiner Präsenz, meines Lebens aufdrück­ te.

Das Deuten psychotischer Träume verlangt häufig nach einer symme­ trisch verankerten Beziehung zwischen dem unbewußten Ich beider Part­ ner. Mit dem nachstehenden Traum eines Therapeuten möchte ich das zu verdeutlichen suchen: Verständlich wird er nämlich erst, wenn man die As­ soziationen des Patienten und dessen Krankheitsgeschichte hinzuzieht. Der betreffende Psychotherapeut träumte eines Nachts, daß sein Patient durch einen ihm unbekannten Psychiater einem Elektroschock unterzogen wurde. Vergebens versuchte der Therapeut diesen Eingriff zu verhindern: Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als das Resultat abzuwarten. Zu seiner Beruhigung fiel es weder gut noch schlecht aus, so daß man von weiteren Schocks absehen konnte. Der Traum kam ihm vor wie ein Buch mit sieben Siegeln. Auch die Frage, ob er nicht vielleicht unbewußte Aggressionen gegen den Patienten hegen könnte, brachte ihn nicht weiter. Schließlich sah er nur noch den Ausweg, ihn zu erzählen: Der Kranke lauschte zutiefst ergriffen und zeigte sich nicht im entferntesten erschrocken; und gleich danach berichtete er, wie er wäh­ rend der gleichen Nacht an einer äußerst schmerzhaften Körperempfindung gelitten habe —eine Art koenästhetischer Halluzination —: »Es war, als ob elektrische Stromstöße meinen Körper geschüttelt hätten.« Erstens: Wir sehen, wie im therapeutischen Unbewußten eine empathische Wahrnehmung dessen vorlag, woran der Kranke litt (es handelte sich um einen Fall von latenter Psychose ; diese wurde im Traum durch die Angst des Psychotherapeuten vor einem Elektroschock seines Patienten sozusa­ gen diagnostiziert). Der Therapeut erwies sich dem Leiden gegenüber als ohnmächtig, vermochte es aber in gewisser Hinsicht doch in eine prospek­ tive Richtung zu drängen. Dies äußerte sich in dem ärztlichen Verzicht auf weitere Schockanwendungen. Auch wurde der Traum - gerade durch das Exponieren und die vom Patienten gelieferte Antwort - in eine faßbare Form gebracht. Zweitens: Der Kranke war in seinem wachen Erleben von passiv-homo­ sexuellen Phantasien besessen. Stets sah er sich von »brutalen« Männern vergewaltigt. Nachdem ihm der Therapeut seinen Traum mitgeteilt hatte, träumte der Patient in der darauffolgenden Nacht, wie er sich in die Wohnung seines homosexuellen Verfolgers einschlich und dessen »Geist« zerstörte. Wir wis251

sen, daß sich solche »Verfolgungen« vorwiegend im Felde geistiger Beein­ flussung abspielen und werden nun sehen, wie der Kranke - nachdem er sich als unfähig erwiesen hatte, sein grauenhaftes, passiv-homosexuell ge­ färbtes Erleben bewußt zu bewältigen - alles daran setzte, um das böse ho­ mosexuelle Objekt, d. h. den Verfolger, in ein gutes, ebenso homosexuelles Objekt, den Therapeuten nämlich, zu verwandeln. Damit war auch der erste Schritt in Richtung einer Integration der Homosexualität getan. Sicht­ bar wurde dieses Bemühen in gewissen Phantasien, in denen er sich dem Therapeuten unterwarf und ihn so zum »brutalen« Vergewaltiger machte. Er stellte sich bis in alle Einzelheiten vor, wie ihn dieser körperlich angriff und maßlos verprügelte. Das bedeutete aber keine einfache Übertragung der Verfolger-Imago auf den Therapeuten. Vielmehr haben wir es mit einer Verwandlung zu tun: Der Verfolger verschmilzt symbiotisch mit dem guten therapeutischen Ob­ jekt, wird von diesem absorbiert und neutralisiert. Es ist klar, daß der Therapeut die ihm vom Patienten angebotene Rolle nicht einfach annehmen konnte. Nicht einmal im Traum vermochte er sich mit ihr zu identifizieren, hatte er doch alles daran gesetzt, den Patienten der Elektroschockkur durch den »Unbekannten« zu entziehen. Durch die Traumanalyse wird allerdings evident, wie er - gewissermaßen seinem Pa­ tienten zuliebe - das Auftauchen des Aggressors in dem eigenen intrapsy­ chischen Raum wohl zuläßt, sich aber von ihm auf ganz eindeutige Weise abhebt. Er kam dem Kranken insofern entgegen, als er ihn zu verteidigen suchte und empathisch seine halluzinatorischen Qualen wahrnahm. Auch dessen Triebwünsche befriedigte er, wenn auch auf sehr indirekte Weise, »attakkierte« er doch seinen homosexuellen Teil, der in dem Unbekannten Ge­ stalt angenommen hatte: Und »unbekannt«, oder besser: fremd war dem Kranken sein homosexuelles Erleben, dem bis dahin keinerlei integrie­ rende Bewußtwerdung zuteil geworden war. Die Bestätigung dafür fand sich in einer seiner Assoziationen, die darauf hinauslief, den ihm unbekann­ ten Psychiater als homosexuell zu bezeichnen. Nachdem er nun den thera­ peutischen Traum kannte, kam er sich dem »brutalen« Typ gegenüber of­ fensichtlich nicht mehr so wehrlos vor: Sonst hätte er im eigenen Traum wohl kaum den Mut gefunden, seinen gefürchteten Verfolger zu zerstören. Zugleich aber - und das war das Überraschendste - begann er sich dem Therapeuten homosexuell zu nähern, indem er ihn jeweils am Ende der Stunde umarmte. Gleichzeitig überschüttete er ihn mit vulgären Schimpf­ worten, derer er sich hinterher furchtbar schämte, die er aber beim besten Willen nicht zurückhalten konnte. Er projizierte also die ihn quälenden Vorstellungen auf den Therapeuten ; durch die Beschimpfung überwand er andererseits die bisher eingenommene passive Rolle und wurde selbst aktiv bzw. aggressiv. In seiner phantastischen Welt bedachte er den Therapeuten gleich mit zwei Rollen: Zum einen hatte er mit dem homosexuell-aggressi252

ven Objekt identisch zu sein, dessen Gewalttätigkeit jedoch neutralisiert war; zum andern kam er aber auch mit seinem schwachen, passiven Anteil zur Deckung. Auf diese Weise verschaffte der Therapeut dem Patienten die Möglichkeit, sich auf projektivem Wege seiner zu entledigen. Er hat seiner­ seits die erste Rolle sowohl im eigenen wie im Traum des Patienten über­ nommen: Die beiden Träume sind im Grunde austauschbar und signalisie­ ren eine Fusion —man kann auch sagen: eine Symbiose des Unbewußten der beiden. Und damit sind wir bei dem Kernpunkt eines langen Symbolisierungsprozesses angelangt, dem einerseits ein recht hohes gestisches und verbales Niveau eignet, der aber zum Großteil in präverbalen Bereichen abläuft und somit irrational ist: Mit » Technik« ist ihm keinesfalls beizukommen, denn er entspringt vor allem der Begegnung zweier sich nahestehender Menschen. Dieses Beispiel zeichnet sich durch ein komplexes psychisches Erleben aus. Zwei Träume, der des Therapeuten und der des Patienten; hinzu kommen die Phantasien des Therapeuten und die Halluzinationen des Kranken. Dieses Ineinandergreifen verschiedenster Ebenen ist freilich nicht die Regel. Oft müssen wir lange warten, bis uns der Patient einen er­ sten Traum erzählt. Zum Glück setzen uns Wahnideen und Halluzinationen mit seinem Unbewußten in Verbindung. Bisweilen ist ein Rollentausch in­ sofern angebracht, als der Therapeut es ist, der seine Träume mitteilt. Daß er vom Patienten träumt, heißt mit andern Worten, daß er für ihn träumt. Der Traum basiert dann wesentlich auf dem manifesten Erleben, dem einzigen, das dem Kranken zugänglich ist. Absurd wäre es, wenn sich dieser nun auch mit den latenten Traumgedanken seines Therapeuten auseinan­ dersetzen müßte. Von überragender Bedeutung ist, daß der manifeste Traumgedanke - unabhängig davon, wie der latente beschaffen sein m agsich als solcher zu erkennen gibt: sichtbar, faßbar, mitteilbar. Auch hat er »vollständig« zu sein, er darf keine jener typischen Lücken aufweisen, die es normalerweise mit den Deutungen der latenten Inhalte aufzufüllen gilt. Die relevanten Aspekte sollten auf den ersten Blick an der Oberfläche des Traums ausgemacht werden können: sonst kann der Patient sie nicht be­ greifen. Hier ein Beispiel für einen therapeutischen Traum: Der Traum vom verlorenen Gesicht. In der Therapiestunde vom Vortag hatte eine Kranke von ihrem Gefühl berichtet, sich innerlich aufzulösen. Im Anschluß daran hatte sie geträumt, wie ihr das Gesicht weggerissen wurde. Sie sah es plötzlich vor sich in der Luft stehen, schmerzverzerrt und glü­ hendheiß. Unmöglich, es zu berühren, weil sie sich sonst die Hände ver­ brannt hätte. Unmöglich also auch für sie, wieder sie selbst zu sein. Gleich­ zeitig war ihr, als ob sie innerlich in tausend Stücke zerfiele. In der darauf­ folgenden Nacht hatte auch der Therapeut einen Traum: Er hielt die Kranke umfangen, aber unversehens gingen seine Arme wie Glas in Scher­ ben. Seltsamerweise schien das auf ihn keinen allzugroßen Eindruck zu ma253

chen; groß war hingegen seine Angst, nun die Patientin zu verlieren. In die­ sem Moment wurde ihm von irgendjemandem das Gesicht entrissen. Noch innerhalb des Traums versuchte er, der Angst mit der Überlegung beizu­ kommen, daß er seine Patientin geworden sein müsse, daß sie ihm also nicht verloren gehen konnte. Solche therapeutischen Träume sind nicht unbedingt notwendig, um eine Beziehung herzustellen; auch sind sie mit gewissen Phasen der Krankheit gar nicht vereinbar. Auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen bin ich indessen zu dem Schluß gelangt, daß sie immer dann aufzutreten pflegen, wenn sie, therapeutisch gesehen, dringend gebraucht werden. Sie sind Symptom einer tiefgehenden Gegenübertragung. In der Regel decken sie ganz neue Aspekte der therapeutischen Beziehung auf und markieren eine entscheidende Wende. Sie haben auch einen weit größeren Wirkungsbe­ reich als alle im Wachzustand entwickelten Phantasien und schenken uner­ wartete, überraschende Antworten auf Situationen, in denen alles ver­ schlossen, ausweglos erscheint. Der Traum ist das »Sesam, öffne dich« des Unbewußten; er signalisiert uns eine Art Beistand, wenn wir in die Hölle des schizophrenen Unbewuß­ ten hinabzusteigen haben. Er führt uns in die unmittelbare Nähe des Kran­ ken: so nahe, wie kein bewußter Gedanke, kein bewußt ausgesprochenes Wort es je vermöchten.

XXIV. Die therapeutische Wertung verdrängter positiver Inhalte: Das Anreichern der vom Kranken berichteten Erlebensweisen Wenn wir dem Patienten einen an sich wichtigen, aber durch die Wechsel­ fälle des Lebens sozusagen »angeschwärzten« Teil seiner Persönlichkeit aufzeigen, ist es, als ob plötzlich ein Lichtstrahl auf etwas Dunkles fallen würde, etwas Dunkles, das wir aber ganz aus dem Dunkel heraus erleben müssen, um es für den Patienten sichtbar machen zu können. Erst wenn wir uns zu den intimsten Bereichen seines Wesens durchgetastet haben, wird unser akkomodiertes inneres Auge auch dessen versteckte und kostbare Anteile entdecken und die Aufmerksamkeit auf sie lenken können. Dieser »angeschwärzte« Persönlichkeitsaspekt ist nun eines jener intrapsychi­ schen Objekte, die nicht nur jenseits des Bewußtseins siedeln, sondern auch jenseits der Dichotomie zwischen Selbst und Welt. Es gehört weder dem Selbst noch der Welt an. Es ist Verfolger und Verfolgter in einem. Sobald es sich ein wenig dem Licht zuwendet, wird es vom Therapeuten und vom Pa254

tienten gleichzeitig entdeckt. Es ist sehendes Auge und Gesehenes zugleich. Die therapeutischen Phantasien, Träume und Deutungen oder die dem Pa­ tienten selbst aufgestiegenen Assoziationen brechen dann zu einem ganz neuartigen Erleben durch, in dem etwas sichtbar wird, das bis dahin deswe­ gen unsichtbar war, weil es noch von keinem anderen Mitmenschen wahr­ genommen wurde. Ein Patient hat mir das einmal folgendermaßen geschildert: »Ein ewiges Auf- und Abgehen in einer altbekannten, monotonen, langweiligen Straße. Graue, unpersönliche und nichtssagende Hausfassaden auf beiden Seiten. Wie ich den Blick erhebe, entdecke ich plötzlich einen antiken, kostbaren Torbogen, der schon seit Jahrhunderten da sein mußte. Noch nie hatte ich ihn beachtet. Ich sehe ihn jetzt zum erstenmal. Und auf einmal ist die Atmo­ sphäre der ganzen Straße wie verwandelt.« Im Vergleich zu der Analyse der Neurosen zeigt uns die Psychosenthera­ pie immer wieder, daß es ins Unbewußte gefallene, positive Persönlichkeits­ anteile gibt, deren Verdrängung dem Ausbruch der Krankheit vorangegan­ gen ist. Die Verdrängung von negativen Aspekten, von Komplexen —des Schattens auch - ist uns schon längst bekannt, jene der positiven Anteile hingegen sind es weit weniger. Wenn wir B a l in t zustimmen, daß am Anfang allen Lebens eine primäre Liebesbeziehung steht, wird es verständlich, daß eine Verzerrung derselben wiederum zur Verzerrung und Pervertierung jenes umatürlichen Bedürf­ nisses führt, im eigenen Selbst die positiven Aspekte von Existenz wahrzu­ nehmen. In vielen Patienten hat sich gegen diese Möglichkeit eine heftige Abwehr etabliert, als ob die positiv getönten Selbst-Vorstellungen jene »angeschwärzte«, äußerst quälerische Selbstidentität negieren könnten, welcher doch das »Verdienst« zukommt, so etwas wie eine schattenhafte Selbstidentität zu sein. Ein plötzliches Auftauchen solch entfallener, positi­ ver Seiten ist häufig von großen Ängsten begleitet: Der Kranke kann sich gewissermaßen nicht mehr verstehen. Für uns ist aber von besonderer Bedeutung, daß der Verlust und die Nicht-Realisierung der positiven Aspekte eine Dynamik in sich schließt, die von den zur Neurose führenden Prozessen abweicht. Bei der Neurosenbil­ dung findet ein Kampf statt zwischen einem sich zur Wehr setzenden Ich und einem Schatten, der es - wenn auch unter der Maske von Symptomen versteckt - verfolgt. Zwar leidet das Ich; seiner Struktur geht es jedoch nicht verlustig. Die Abspaltung der positiven Aspekte ist indessen ein sehr schwerwiegender Prozeß, der elementarste Lebensbedürfnisse negiert, so daß darüber die Organisation des Ich völlig aus den Fugen gerät. In der Flut negativer Informationen und Umweltreize droht das psychoti­ sche Ich unterzugehen. Der Selbsthaß und die Selbstverachtung sind uner­ meßlich und stehen zu der objektiven Unschuld des Kranken in keinerlei Verhältnis. Letztere wird von ihm nämlich als etwas völlig Sinnloses ange­ sehen. Hätte sie noch Gewicht, würde sie seinem Erleben von Wertlosigkeit 255

Grenzen setzen: Gerade wegen seiner Radikalität ist und bleibt aber dieses Erleben grenzenlos, so wie es auch der oft als dessen Kehrseite zutage tre­ tende Größenwahn ist. Gerade die absolute Selbstentwertung ist es denn auch, die den Größen­ wahn zu rechtfertigen scheint, weil er für den Kranken die letzte Möglich­ keit darstellt, der monströs verkrüppelten Existenzform eine phantastische, kaum wirklich erlebte »Superexistenz« entgegenzustellen. Die Selbstent­ wertung des Schizophrenen frißt sich wie Rost zum Innersten seines Da­ seins durch und färbt mit ihrem sie begleitenden Schmerz auch gleich alles Erleben der Welt ein. Zwischen den beiden Prozessen einer desorganisier­ ten Aggression der Welt einerseits, die sich gegen das Ich wendet, und der Verschiebung des Selbsthasses auf das ganze Universum andererseits, be­ steht nur ein scheinbarer Gegensatz. Wahr ist, daß dem Schizophrenen jede Form von strukturierter Aggression unmöglich ist; ebenso zutreffend ist, daß die schlecht organisierte Aggression auf ihn selbst zurückfällt. Aber in­ dem sich das Ich gegenüber der Welt nicht zu konstituieren, sich als zur Welt hin abgegrenzt wahrzunehmen vermag, bleibt ihm Bewußtsein nur in­ sofern erhalten, als es sich in der Welt spiegelt: Dabei verwechselt es aber dauernd sich selbst mit Welt. Die positive Interpretation gewisser psychopathologischer Fakten scheint mitunter etwas an den Haaren herbeigezogen zu sein, fast als ob man damit die extrem negativen und realen Erfahrungen des Patienten herunterspielen möchte. Auch wird hie und da argumentiert, der Therapeut wolle sich wohl vor der negativen Realität drücken, spiele gar Verstecken mit ihr. Bisweilen wird der Einwand vorgebracht, der Therapeut versuche mit einem solchen Verhalten sowohl sich selbst wie auch den Kranken von der Wahrnehmung des endopsychischen Todes abzulenken und versuche des weiteren die Irrationalität mit rationalisierenden Deutungen zu ver­ drängen. Es kann sein, daß dies geschieht. Wir dürfen indessen nicht ver­ gessen, daß das Geheimnis der positiven Interpretation von Krankheit auf der Tatsache beruht, daß die Existenz auch für den kränksten unter unseren Mitmenschen immer zwei Seiten hat. Es gibt kein einziges Symptom, das nicht zugleich ein Fenster zur Existenz hin wäre. Wer schon vom Symptom verschont bleibt, kann auch nicht durch das Fenster sehen, das sich durch die Krankheit zur Existenz hin öffnet. Dem Schizophrenen gehen bisweilen Zusammenhänge auf, die den Gesunden verborgen bleiben. Er, der Schi­ zophrene, wird zum »Ort«, der z.B. die Widersprüchlichkeit ganzer Fami­ lien und der Gesellschaft enthüllt. Von diesen anthropologischen Überlegungen abgesehen, können wir uns aber doch auf Befunde stützen, die eindeutig für positive Interpretationen der psychopathologischen Fakten sprechen. Es sind nicht einfach Selbst­ suggestionen: Einer meiner Kranken verglich sie einmal mit »unterirdi­ schen Drähten«, die ihm Kraft übertrugen. Aus dieser Sicht gibt es kein noch so hartnäckiges Symptom, dem die bei256

den Partner nicht auch positive Seiten abgewinnen könnten. So wie ein ab­ getragenes Kleid plötzlich wie neu aussehen kann, wenn man nur den Stoff wendet: ein Wissen, das zu Beginn der Therapie sowohl dem Therapeuten wie auch dem Patienten noch völlig abgeht. So beklagte sich ein Patient einst darüber, wie seine Beziehung zum Therapeuten am Ende der Stunde »absterbe«. Es stand ihm auch nicht die geringste Möglichkeit zur Verfü­ gung, irgendeinen Satz, eine Geste oder das Gesicht seines Psychothera­ peuten zu introjizieren und damit das eigene Selbst bis zum nächsten Zu­ sammentreffen zu nähren. Mochte die affektive Beziehung während der Stunde noch so intensiv sein, so schien doch das Ich nicht im mindesten daran zu wachsen. Der Therapeut »existierte« dann nicht mehr, ebensowe­ nig wie der Patient. In solchen Situationen spürt der Therapeut die ihn fast erdrückende Last einer negativen Realität, an der sich nicht rütteln läßt. Wie sollte er bloß die Intervalle zwischen den einzelnen Sitzungen »auslöschen« können! Auch kann er die im Patienten klaffenden Lücken nicht einfach mit seiner Per­ sönlichkeit auffüllen, weil er sich a priori dazu verpflichtet hat, diese Lükken zu akzeptieren. Und doch ist es meistens so, daß ihm im Zustand inne­ rer Ausweglosigkeit ganz unerwartet eine Assoziation zufällt, die gerade aus der Leere des Kranken aufzusteigen scheint. Plötzlich gelingt ihm die Entdeckung, daß der Lücke auch ein positiver Aspekt innewohnt, den man - trotz alles Negativen - nicht übersehen darf. Es ist doch nicht möglich, daß die Nicht-Existenz, wie sie zwischen der einen und andern Sitzung um sich greift, einfach jede Spur von Dialogerinnerung löscht, kein einziges der un­ zähligen Engramme überleben läßt, die an den alltäglichen Dingen haften bleiben. Mag Erinnerung auch verloren gehen oder der Desintegration an­ heimfallen, so bleibt sie doch im Unbewußten erhalten. Und nun ist es eben der Therapeut, der sie in Stellvertretung seines Patienten aufzubewahren und zu behüten hat. Manchmal ergibt sich hingegen die Chance, die Nicht-Existenz ganz in die Dimension des Dialogs hereinzunehmen, indem man dem Kranken aufzüzeigen versucht, wie die plötzlichen Kontaktabbrüche im Grunde nur ein dualisierendes Äquivalent jener autistischen Rückzüge sind, die sich im vortherapeutischen Zustand in ihm selbst ereigneten. Ein Patient, der während der ganzen Kindheit in sehr widersprüchliche Verhaltensweisen hineingezwängt worden war, explodierte fast vor Wut: »So bin ich schließlich verrückt geworden. Ich konnte mich einfach nicht mehr an Situationen anpassen, die aller Logik und mir selbst zuwiderlie­ fen!« »Dann«, erwiderte der Therapeut, »muß man es fast als ein Glück be­ zeichnen, daß Sie verrückt geworden sind und diesen ganzen Anpassungs­ unsinn über den Haufen geworfen haben. Immer wieder klagen Sie dar­ über, wie schwach Sie seien. Aber merken Sie denn nicht, was für Riesen­ kräfte Sie aufgebracht haben, um durch das Verrückt-Werden Ihr Gefäng­ nis aufzubrechen.« 257

Der Therapeut verlieh also seiner Überzeugung Ausdruck, daß das Her­ ausfallen aus jeglichem Schema zwar den Identitätsverlust nach sich zog, gleichzeitig aber auch Kampf und Abwehr bedeutete. Er gab ihm dann im weitern Gesprächsverlauf zu verstehen, daß es - falls er sich jemals wieder finden wolle - unvermeidlich sei, wieder eine neue Beziehung anzuknüp­ fen, unvermeidlich auch, die damit verbundene negative Übertragung in Kauf zu nehmen, ohne sich aber deswegen wie früher radikal unterwerfen zu müssen: »Sie werden mit mir in einem Gespräch bleiben, das Ihnen keine Gewalt antun wird.« Zwar äußerte der Patient darauf, er werde jedes Mal vom Schreck gepackt, wenn er zu sprechen beginne, weil er das Gefühl habe, der Therapeut wolle ihn in ein Schema »einsperren«. Gleichzeitig gab er aber zu, wie erleichternd diese Gespräche für ihn seien. Und wenige Tage später verkündete er dem Therapeuten mit geradezu kindlicher Freude, es sei ihm erstmals gelungen, mit anderen Leuten ein Gespräch zu führen. Wir sehen hier wiederum, wie die positive Interpretation von »Verrückt-Sein« dem Kranken zum einen das Verständnis für die psychodynamischen Zu­ sammenhänge seiner Krankheit eröffnet; gleichzeitig wird ihm aber auch die Erfahrung eines Gesprächs zuteil, das neue Maßstäbe setzt. Diese grundlegend neue Erfahrung ist nicht einfach »Übertragung«, sondern Schöpfung einer neuen Wirklichkeit, die im Sinne einer »Umkehrübertra­ gung« ( S l a v so n ) in die soziale Welt des Patienten hineingreift. Manches Mal ist es vor allem die Gegenwart, die Aktuaütät eines dualisierten Jetzt, die ein positives Bild des Patienten hervorruft. Andere Male ist es wiederum das gemeinsame Eintauchen in die Vergangenheit, die zu dem gleichen Ziel führt: eine Vergangenheit natürlich, die nicht nur neuro­ tische Mechanismen aufweist, sondern auch unverstandene, kostbare Aspekte der präpsychotischen Persönlichkeit. Die schizophrene Dissoziierung wächst oft in einem Kontext von Erfah­ rungen heran, die in die früheste Kindheit zurückreichen und die in nuce das reflektieren, was später vom Patienten als Verlust der innerpsychischen Kohärenz empfunden wird. So erinnert sich eine schizophrene Frau heute noch, wie sie als Kind die Worte nicht richtig artikulieren konnte; sie setzte oft das eine an Stelle eines anderen, oder aber sie verwechselte die Reihenfolge der Silben. Diese Un­ sicherheit blieb allerdings auf eine kurze Phase beschränkt, lange genug immerhin, um ihr in der Familie den Spitznamen »Wirrkopf« einzutragen. Das Inkohärenz-Erleben meldete sich indessen an einem ganz anderen Ort wieder: als körperliche Empfindung. Hatte sie eine größere Kraftan­ strengung hinter sich gebracht, einen langen Fußmarsch z.B., war ihr nach­ her, als ob sie »die innere Einheit« verliere. Oder die Beziehung zur Land­ schaft brach plötzlich ab. Auf diese Anflüge von Dissoziierung pflegte sie mit heftigen, »grundlosen« und motivational ungerichteten Wutausbrü­ chen zu reagieren, die ihr dazu verhalfen, »beisammenzubleiben«. Die Patientin berichtete noch von weiteren solcher Erlebensweisen, die 258

alle in die gleiche Richtung wiesen. Da war etwa das plötzlich eintretende Gefühl, die Beziehung zu ihrem Zimmer und den darin sich befindlichen Gegenständen zu verlieren: Unversehens nahmen diese dann einen heraus­ fordernden, feindseligen Zug an. Niemals konnte sie sich über die Propor­ tionen eines Raums klar werden ; fremde Räume blieben ihr stets fremd. Sie liebte hingegen romanische Kirchen mit ihren massiven Mauern, weil sie den Raum so »solide einfaßten«, so wie sie auch gern Steine in den Händen hielt. Sie sehnte sich nach einfachen Räumen mit möglichst karger Möblie­ rung. Das gab ihr Sicherheit. Denn sobald die Dinge die ihnen inhärente Kohäsion verloren, stieg das Gefühl in ihr auf, aus jedem Rahmen, aus je­ der Ordnung herauszufallen. Deshalb fürchtete sie sich wohl auch vor al­ lem, das nicht eingefaßt oder klar konturiert war. Dann begannen die Dinge nämlich ineinander zu fließen, und sie lief dabei Gefahr, sich selbst zu ver­ lieren oder sich in der Beziehung zu andern Leuten aufzulösen. Die innere Fragmentierung manifestierte sich auch in sprunghaften Schulleistungen: Bald war sie die erste, bald befand sie sich unter den schlechtesten Schülern der Klasse. Die Leistungsschwankungen traten plötzlich, sehr radikal und scheinbar grundlos auf. Der Therapeut versuchte nun, die ganze Fülle einseitig negativer Erfah­ rungen in neue Dimensionen zu überführen, die sich auf eine prospektive Kreativität hin öffneten. Er erinnerte die Patientin daran, daß sie ganze Stunden damit verbrachte, Gestalten zu malen, die »keine Gestalten« wa­ ren, weil sie unscharf, inkohärent waren und keine »normalen Beziehun­ gen« hatten: Augen anstelle von Ohren, der Mund auf die Fingerspitzen ge­ setzt. Auch fühlte sich die Kranke ständig versucht, mit der Sprache auf ähnli­ che Weise umzugehen: »Wortkaskaden« schöpfend, setzte sie die konven­ tionellen Wortbeziehungen außer Kraft. Dem Therapeuten gelang es, ein sich hinter diesen Phantasien verber­ gendes kreatives Element aufzuspüren, nachdem er eines Tages bemerkt hatte, wie fasziniert die Patientin auf die Sprachverwirrung und die Neolo­ gismen mancher Schizophrener achtete. Er gewann den Eindruck, daß die­ sen Neuschöpfungen oder dem Verzicht auf Artikulation so etwas wie ein Selbstheilungsversuch zugrunde liegen könnte. In der Folge lenkte er das Gespräch gerade auf das Phänomen des Arti­ kulationsdefektes, nahm ihn gewissermaßen zum Ausgangspunkt für die Suche nach neuen Seinsweisen. Was vorher als Verlust erlebt worden war, stellte sich plötzlich als kostbare Chance heraus, auf Neuland zu stoßen. Oft entwickelte die Patientin die Phantasie, gemeinsam mit ihrem Freund in den Tod zu gehen. Der Therapeut deutete das wiederum als eine unbe­ wußte Lebenssehnsucht, versuchte sie doch einen Moment gemeinsam er­ lebten Glücks den Klauen der Zeit zu entreißen, ihn ins zeitlos Ewige zu entrücken. Durch die Todesphantasien spaltete sie Glück von Zeitlichkeit ab und rettete es somit vor dem unvermeidlichen Untergang. 259

Diese Umgestaltung von Negativem zu Positivem ist nun keineswegs Ne­ gation des Negativen. Hier wurde vielmehr der Versuch unternommen, Negatives mit Positivem in Beziehung zu setzen, um so zwischen den beiden Aspekten eine konstruktive Koexistenz zu stiften, die wiederum die psychi­ schen Kohäsionskräfte festigte. Unter konstruktiver Koexistenz verstehe ich eine persönlichkeitsentwikkelnde, ichstärkende Ambivalenz, deren Spannungspotential in eine Form gefaßt ist, ohne daß es aber die Form gleichzeitig auflöst. Immer wieder be­ teuerte die Patientin, wie sich die positiven Augenblicke, die sie mit dem Therapeuten verbrachte, plötzlich ins Gegenteil verkehrten, als ob die posi­ tiven Vorstellungen automatisch die negativen auf den Plan gerufen hätten: je heftiger die bejahenden, desto intensiver waren auch die darauf einset­ zenden zerstörerischen Gefühle. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften versuchte sie diesem Geschehen Einhalt zu gebieten. Vergebens! Alles Schöne mobilisierte auch die selbstdestruktiven Impulse. Der Thera­ peut unternahm nun den Versuch, ihre Phantasie zu stimulieren, damit auch die nicht eliminierbaren negativen Vorstellungen und Affekte, welche sich stets unerbittlich an die Fersen des »Guten« hefteten, akzeptiert und in neue Seinsweisen überführt werden konnten. Ständig meinte die Kranke, sie finde zu nichts eine Beziehung. Gleichzei­ tig beklagte sie sich aber auch über die gegenteilige Erfahrung, mit allen Dingen vermischt zu sein. Es war in der Tat die auf der Ich-Lähmung beru­ hende Nicht-Beziehung, die sie allen und allem aussetzte. Die Ichschwäche läßt dem Patienten keine Möglichkeit offen, sich von seiner Umgebung als etwas Eigenständiges abzuheben. Es fehlt ihm eben jene innere Kohäsion, die ihm gestatten würde, zwischen sich selbst und dem Umliegenden einen Unterschied zu spüren und zu sehen. Das Ich wird dann zum Spielball x-beliebiger Umweltreize, wird von ihnen umgetrieben und schließlich aufgelöst. In solchen Situationen fehlt es ihm auch an einer zentralen und expansiven Aktivität, die sich mit den Objekten in Beziehung zu setzen versucht: Beziehung gerät unter diesen Umständen ins Maßlose, wird aber vom Ich nur passiv erlebt, weil ihm das Interesse für das sich ringsum Abspielende abgeht. Aus der Sicht der Ich-Aktivität sind die Dinge denn auch unendlich fern, aus jener der Passivität hingegen eignet ihnen eine nicht zu beschreibende Nähe. Die an die Patientin gerichtete Antwort des Therapeuten zielte nun ein­ deutig darauf hin, die »Uberschwemmungssituation« als solche zu akzep­ tieren, sie aber zugleich in eine für die Kranke signifikante und weniger be­ ängstigende Kategorie zu heben : Er gab ihr zu bedenken, daß ihr Aufgehen in den Dingen auch seine guten Seiten haben könnte, wenn es ihr gelinge, einen - wenn auch nur kleinen - Existenzkern in sich vor dem Untergang zu bewahren. Es blieb die Möglichkeit, die mangelnde innere Kohäsion vor­ läufig durch die des Therapeuten zu ersetzen, um so dem Ansturm der Um­ weltreize besser standzuhalten. Die positive Wertung eines vom Kranken 260

als negativ erlebten Selbstanteils ist in all jenen Fällen zum Scheitern verur­ teilt, wo sich der Patient kategorisch mit diesem identifiziert und gleichzei­ tig den Therapeuten negiert: seine Beziehung zu ihm, das Unternehmen Psychotherapie an sich, die Echtheit und Glaubwürdigkeit eines jeden an ihn gerichteten Wortes. Die bösen Objekte zerstören den Kranken von in­ nen heraus und zwingen ihn gleichzeitig, der Welt gegenüber sich als ein ab­ solut Böses zu konstituieren. Einen Einblick in diesen Zustand kann der folgende Traum eines schi­ zophrenen Patienten vermitteln: Viele Frauen waren zu einem Kreis for­ miert. Reihum griffen sie sich an und bissen einander in die Arme, »um das Knochenmark herauszusaugen«. Der Patient kommentierte den Traum so: Eine jede der Frauen stellte ein Glied in der langen Kette seiner Herkunft dar. Auch die eigene Mutter konnte er ausfindig machen. Im Kreis eingesperrt aber war deren unter­ drückte Weiblichkeit. Illusorisch zu glauben, daß die Frauen satt würden, indem sie sich gegenseitig aussaugten: Je größer ihr Hunger war, desto absoluter war die Zerstörung. Während der Kindheit war der Patient einer sehr possessiven Mutter ausgeliefert gewesen. Auf seinen Anspruch nach vermehrter Autonomie hatte sie stets mit fassungsloser Verzweiflung reagiert. Angsterfüllt klam­ merte sie sich an ihn, um nicht verlassen zu werden. Seiner Ehefrau gegen­ über entwickelte der Patient eine ähnliche Abwehr wie früher der Mutter gegenüber, und sogar in der Psychotherapie spürte man seine Angst vor ei­ ner Beziehung. Das führte so weit, daß er kaum von seinen Gefühlen oder seinem Schmerz zu sprechen wagte, weil dann sofort das Gefühl in ihm aufstieg, »abhängig zu werden und den anderen auszusaugen«. Saugen hieß zerstö­ ren. Und sein Verhalten war denn auch zerstörerisch bis ins Letzte. Eines Tages jedoch überraschte er mich mit einer Entdeckung: Er äu­ ßerte die Ansicht, es müsse doch so etwas wie ein Mittelding geben zwi­ schen dem Autismus und dem, was verschlingende Symbiose sei. Vielleicht, meinte er, könnte dieses Mittelding durch die genau fixierte Zahl der The­ rapiestunden, deren präzise Dauer und die »strengen, aber keineswegs bö­ sen« Schweigepausen des Therapeuten festgelegt werden, festgelegt »wie die Rillen einer Schallplatte«. Er wollte nun versuchen, in diesen Rillen eine ihm verborgene Melodie - das Geheimnis der Beziehung - aufzuspü­ ren. Manchmal werden wir jedoch von gewissen Patienten mit nicht zu über­ bietender Heftigkeit abgelehnt. Das könnte auf den Umstand zurückge­ führt werden, daß sie den Ausführungen des Therapeuten nicht zu folgen vermögen, weil diese aus einer andern Welt zu stammen scheinen und Illu­ sionen in sich bergen, die vom Erleben des Kranken unendlich entfernt sind. Es ist, als ob Therapeut und Patient zwei grundverschiedene Sprachen redeten. 261

Es gibt aber weit Schlimmeres als das. So sagte einmal ein Schizophrener, daß es in seiner ohnehin schon chaotischen Welt keinen ärgeren Verfolger gebe als seinen Therapeuten. Er sei es, der ihn krank gemacht habe, der al­ les Böse dieser Welt begierig sammle, um es dann über seinem Haupt zu entladen. »Sie sind ein Teil von mir, mein schlimmer aggressiver Teil, der sich gegen mich wendet. Sie sind meine linke Körperhälfte, die mir abhan­ den gekommen ist.« Was blieb nun diesem Kranken anderes übrig, als sich verzweifelt an das Letzte zu klammern, was ihm noch verblieben war: seine Opferrolle, sein Erleben, Ruine zu sein, während der Therapeut nichts als Gefahr darstellte. Anders und ungleich positiver ist die folgende Situation. Ein Schizophre­ ner hatte »keine eigenen Gedanken«. Höchstens Gedankenfetzen standen ihm zur Verfügung, die ein feindlicher Jemand - das waren alle Menschen zugleich - aus ihm »herauszulesen« vermochte. Einzig der Therapeut war dazu nicht imstande. Der gleiche Patient war aber auch felsenfest davon überzeugt, vom Therapeuten »verraten« zu werden. Dieser »Verrat« ver­ lief nicht nach neurotischem Grundmuster, bei dem der Patient den Ver­ dacht entwickelt, der Therapeut plaudere, das Berufsgeheimnis verletzend, sehr intime Informationen aus, sondern stand ganz im Zeichen der Psycho­ se. Der vom Kranken entwickelten Wahnidee zufolge konnten alle Leute seine Gedanken »im Kopf des Therapeuten« lesen. Nicht etwa, daß sie sich all seiner Gedanken hätten bemächtigen können, nein, sie sahen nur jene, die unser Patient im Gespräch preisgegeben hatte. Das Erleben dieses »Gedankendiebstahls« hatte zumindest den Vorteil, in den Dualisierungsprozeß eingegangen zu sein: Diebstahl war und blieb es auch so. Aber er er­ eignete sich in einem dualen Raum, in einem dem Dialog zugänglichen Be­ reich also, und war ein Delikt, bei dem beide, Therapeut und Patient, glei­ chermaßen geschädigt wurden. Wenn auch der Kranke seinen Partner des Verrats bezichtigte, konnte er doch nicht umhin, hinzuzufügen, daß dieser letzten Endes auch Opfer des gleichen Komplotts sei. Die positive Wertung psychopathologischer Fakten: das war der Aus­ gangspunkt unserer Überlegungen. Negatives soll also von uns angenom­ men und gleichzeitig eingegrenzt werden, indem wir es in ein Bild zu brin­ gen versuchen. Dieses Bild läßt dem Patienten klar werden, wie sehr es den Therapeuten schmerzt, daß sich in der gegenseitigen Beziehung hohe Hin­ dernisse auftürmen; im gleichen Moment muß der Patient aber dazu ge­ bracht werden, sich von diesen abzugrenzen. Der Kranke braucht Antwort auf seinen Widerstand, bedarf dringend unserer Reaktion auf seine de­ struktiven Vorwürfe. Er will unserer Verletzbarkeit teilhaftig werden, will auch unsere Angst sehen, die Angst, ihn vielleicht zu verlieren. Gelingt uns das nicht, geht er uns wirklich und definitiv verloren. Nicht mit Provoka­ tion, sondern mit Geduld soll unsere Überzeugungskraft gewappnet sein. Von Zeit zu Zeit müssen wir auch seine Erinnerung auf frühere Therapie­ episoden zurücklenken, Erinnerungen, die dafür zeugen, daß wir bei ihm 262

bleiben wollen. Ebenso müssen wir ihm Klarheit darüber verschaffen, wie schwer es ist, die Kommunikation mit ihm aufrechtzuerhalten - ohne ihm aber deswegen Verantwortlichkeiten aufzubürden, die er nicht tragen kann. Auf das insistente Schweigen, auf den Negativismus seines Patienten antwortete ein Therapeut einmal mit folgendem Bild: »In den Wassern zwi­ schen uns liegt ein riesiger Felsbrocken, der uns trennt und das Wasser so undurchsichtig macht. Aber durch das Schweigen erfassen wir seine Umris­ se.«

XXV. Dialektik zwischen Analyse und Toleranz der Abwehr Die Schizophrenietherapie bewegt sich innerhalb einer Dialektik, die sich uns auf den verschiedensten Ebenen und in allen Dimensionen zeigt. Wir haben einerseits der »klassischen« Aufgabe nachzukommen, dem Kranken seinen Widerstand zu zeigen, müssen aber zugleich diesen Wider­ stand auch aufrechterhalten. Auf die Widerstandsanalyse konzentriert sich die Psychoanalyse, die auf dem expliziten Arbeitsbündnis zwischen Patient und Analytiker beruht. Wollte man sich in der Psychosentherapie auf das Aufdecken und Durchar­ beiten von Widerständen beschränken, überließe man den Patienten sei­ nem Schicksal. Als Reaktion darauf müßte der Kranke erst die Deutung, dann aber auch den Analytiker kategorisch ablehnen. Der Therapeut muß ihm beizubrin­ gen versuchen, wie schwierig es ist, in seiner Nähe zu bleiben, gerade wegen seiner ablehnenden Haltung, wegen des Abgekapselt-Seins und seiner in­ neren Flucht. Er wird ihn aber auch davon überzeugen, daß er für dieses Verhalten Verständnis aufbringt. Anders lassen sich die kläglichen Überre­ ste von Existenz nicht verteidigen, kann man der Angst, durch die thera­ peutische Begegnung auch noch um das Letztverbliebene gebracht zu wer­ den, nicht beikommen. Wenn uns Psychotherapeuten menschliche Begegnung als etwas Wün­ schenswertes erscheint, dann muß ein entgegengesetztes Verhalten des Pa­ tienten wie ein zerstörerischer Widerstand auf uns wirken. Dürfen wir aber unsere Wertmaßstäbe der Wahrheit gleichsetzen, weil wir gesund sind? Ist nicht eher zu vermuten, daß der Patient für seinen Widerstand gute Gründe hat, die in der Verteidigung der fragilen Autonomie seines Ich wurzeln? Daß der therapeutischen Beziehung eine konstruktive Sinngebung inne­ wohnt, kann der Kranke nur sehr langsam in Erfahrung bringen, und er kann es erst dann, wenn er sich weitgehend mit dem Therapeuten identifi263

ziert hat. Der dialektische Pol dieses Prozesses zeigt sich in der therapeuti­ schen Toleranz gegenüber der Abwehr. Der Therapeut muß warten kön­ nen, bis der Kranke bemerkt, wie sehr er sich für ihn einsetzt; dann wird der Kranke es vielleicht wagen, diese Abwehr allmählich aufzugeben. Eine dialektische Dimension ist in der Haltung begründet, mit der wir dem Symptom begegnen: a) Das Symptom ist zum einen Geheimsprache, die die Problematik des Patienten verhüllt. b) Zum anderen erscheint es uns als Symbol, das diese Problematik so erschütternd darstellt, wie keine Aussage in der rationalen Sprache es zu tun vermöchte. Was wir gemeinhin als Projektion, Somatisierung oder Konkretisierung der Phänomene bezeichnen, ist im Grunde ein Zeugnis da­ für, daß die Psyche des Kranken sich der Phänomene nur insofern bewußt wird, als sie auf die das Ich umgebenden Schauplätze verlegt sind: den Kör­ per, die Außenwelt. Sich selbst vermag das Ich nicht in unmittelbarer Weise wahrzunehmen. Es bedarf eines Mittlers, eines Spiegels, in dem es sich wieder erkennen kann. Und hier wird ein Unterschied zwischen neurotischer und psychoti­ scher Erkrankung sichtbar: Im psychotischen Ich liegt ein Bruch vor zwi­ schen der physischen und der Welt-Bühne. Was in den beiden Bruchstükken Gestalt annimmt, ist wiederum zerbrochen, wie es das Ich auch ist. Es gibt sich als etwas zu erkennen, das uns Normalen fremd ist: als Halluzina­ tion, Wahnidee, Projektion, Verzerrung und Fragmentierung von Realität. In der Neurose hat der Widerstand einen andern Stellenwert. Er dient dem Kranken zur Flucht vor sich selbst, um gewissen Deutungen des Analy­ tikers auszuweichen, die verdrängte Persönlichkeitsanteile aufdecken wol­ len. Demgegenüber ist schizophrener Widerstand Offenbarung im Sich-Ver­ stecken. Wenn dann sein Widerstand, seine autistische Abwehr, seine Art, sich in höchstpersönlichen Chiffren zu verstecken, für den Kranken eine Chance bedeuten, angesichts der ihn überflutenden und nivellierenden Umwelt zu überleben: wie könnten wir diesen Kampf dann anders als eine Manifestation seines Wesens erleben? Wie oft erscheinen uns in dieser Sicht die langen, metaphernartigen Ex­ kurse gewisser Kranker, die das »persönliche Gespräch« meiden, als Spie­ gelbilder einer Kontaktsuche, die nur auf diese Weise zum Ausdruck kom­ men darf! So kann ein Kranker etwa von Büchern, Ereignissen, Menschen oder von tausend neutralen Dingen sprechen, aus denen er selbst höchstens als Maske hervortritt. Seine Worte erscheinen uns wie ein Leerlauf, sie haben keine Konsistenz und verlieren sich im Labyrinth der Psychose: Und im Vorbeigehen lösen sie alles auf, was sie berühren. Vor allem jedoch entzie­ hen sie sich unserem Gegenwärtig-Sein. Was uns als Maske erscheint, ist im Grunde ein Gegenwärtig-Sein des Kranken; und was uns mitunter als etwas 264

Persönliches berührt, indem wir den Eindruck gewinnen: das ist er jetzt, das ist sein wirkliches Bild, wie es sich auch im sozialen Gefüge zu erkennen gibt, - ist doch immer noch Maske. Der Kranke selbst bemerkt dies durch­ aus, denn er hat jedesmal, wenn er von sich selbst spricht, das Gefühl, er stehe neben sich, seine Stimme komme von weither. Er hört sich selbst zu, als sei er ein Fremder. Die Assimilierung, die Introjektion der Objekte und die Organisation der Vorstellungswerte im innerpsychischen Bereich bringen das fragmen­ tierte Ich in höchste Gefahr: Es fühlt sich nun von den Objekten »ver­ schluckt«. Einzig die autistische Abwehr ermöglicht es ihm, sich von einer ihm feindseligen Welt abzusetzen, die schon deshalb gefährlich wirkt, weil sie ist. Sobald sie mit ihren Vorstellungen in das Ich einfällt, zerstört sie es. Manchmal gelingt es grenzpsychotischen Patienten, diese Situation in Worte zu fassen: Als Folge einer positiven Übertragung kann plötzlich die Phantasie auftauchen, der »Therapeut bringe sie um«. Nach jeder herzlichen Begegnung mit einem ihr nahestehenden Men­ schen träumte eine Patientin von einem Fisch, den ein weit größeres Wesen, als er selbst war, von innen her aufblähte, bis er platzte. Immer wieder bin ich Grenzpsychotikern begegnet, die nach jedem Geschlechtsverkehr mit einem - geliebten und vom Bewußtsein her völlig akzeptierten - Partner mitten in der Nacht ängstlich aufwachten, weil sie sich plötzlich von ihm verfolgt fühlten. Unversehens gewinnt also dieser Partner einen real destruktiven Aspekt, und dies unabhängig von seinem Verhalten. Eine positive, entgegenkommende, liebende Haltung des Partners för­ dert das Sich-Öffnen des Ich und bedeutet deshalb Tod. In solchen psychotischen Situationen hat der Therapeut die keineswegs leichte Aufgabe, dem Kranken innerhalb der therapeutischen Beziehung eine stufenweise Annäherung zu ermöglichen, die sich jedoch weitgehend hinter den Mauern der Abwehr vollziehen soll. Wir erleben dann, wie der Kranke allmählich vor der eigenen Abwehr Angst bekommt. Es gibt Schizophrene, die sich autistisch abkapseln, dabei aber doch wahrnehmen, daß ihnen der Therapeut, trotz der sich vor ihm aufrichten­ den Mauer, seine Aufmerksamkeit und sein Wohlwollen nicht entzieht. Gerade diese Patienten beginnen mit der Zeit zu befürchten, er könnte sie wegen so viel Abweisung im Stich lassen. Diese Angst ist etwas Neues. Zu Beginn der Therapie war sie nicht vor­ handen, obwohl der Kranke damals ebenso autistisch gewesen ist wie jetzt. Nur war ihm der Therapeut zu jenem Zeitpunkt gleichgültig. Und aus die­ ser Haltung heraus war der Patient relativ frei von Verlustangst. Es exi­ stierte eben noch kein Objekt, neben seinem eigenen sich auflösenden Selbst, ein Objekt, das ihn hätte verlassen können. Im Autismus fehlt oft die Dimension des Verlassen-Seins. Nun liefert aber gerade diese schmerzliche 265

Erfahrung einen Beweis der eigenen Existenz. Wenn sich aber das Gefühl, jemandem anzugehören, nicht einmal auf der phantastischen Ebene mel­ det, sind auch Verlassenheit oder Ablehnung nicht vorstellbar. Wenn nun also in einem solchen Patienten die Angst aufkommt, der The­ rapeut könnte ihn wegen seines Verhaltens aufgeben, heißt das mit anderen Worten, daß er vage die Nähe eines »therapeutischen Satelliten« spürt, der seine Kreise unaufhörlich um eine erloschene »autistische Sonne« zieht. Im Kranken erwächst so etwas wie ein Verantwortungsgefühl, das sich der Be­ ziehung, d.h. dem Therapeuten gegenüber, zu manifestieren beginnt. Man könnte es auch ein Schuldgefühl nennen, das sich in ihm entwickelt, weil er sich der bis dahin praktizierten Ablehnung bewußt wird. Für einmal ist die­ ses Schuldgefühl als kreativ zu bezeichnen: Es zielt nicht darauf ab, Kom­ munikation oder das Ich zu zerstören. In den psychotischen Formen von Selbstdestruktion verlagert sich die Autoaggression oft auf die Ebene moralischer Schuld. Häufig stehen wir vor der Situation, wo ein plötzlicher Suizidimpuls, der nicht negiert wird, binnen Stunden in ein kaum mehr zu fassendes Schuldgefühl übergeht. Der Kranke steht dann unter dem Eindruck, daß an seinem Dasein schlechthin alles falsch ist. Es ist nicht die moralische Schuldproblematik, die in den Suizidimpuls einmündet, vielmehr ruft der Suizidimpuls moralische Schuldgefühle hervor. Anders strukturiert ist hingegen das Schuldgefühl - , von dem wir oben sprachen, jenes Schuldgefühl, das der autistische Kranke als eine Art Ver­ antwortung an der Beziehung wahrnimmt. Damit setzt auch seine Freiheit zu der Beziehung ein. Der Patient, der seinem Therapeuten gegenüber Verantwortungsgefühl zu spüren beginnt und sich um ihn sorgt, wiederholt nicht eine alte Schuld­ problematik in der Übertragung. Er begibt sich darüber hinaus in eigene Verantwortlichkeit, die ihm die menschliche Würde der »Zurechnungsfä­ higkeit« zurückerstattet, der Fähigkeit mithin, eigenes Wollen und eigenes Fühlen zu empfinden. Dieser Fortschritt bedarf jedoch der therapeutischen Stimulation. Will der Therapeut in den Augen seines Patienten nicht zum definitiv passiven Objekt regredieren, das für immer und vorbehaltlos ihm zu Diensten steht, will er nicht zu einem rotierenden Satelliten der erloschenen Sonne werden, muß er ab und zu deutliche Zeichen setzen, daß er zwar warten will, aber nicht für eine unbefristete Zeit. Einmal mehr stehen wir vor »Wahrheit«, einer Wahrheit mit der ihr inhä­ renten paradoxen Struktur. Im schon mehrfach erwähnten Buch von Isom findet sich eine ergreifende Episode: Eine Patientin kam sich vor, als wäre sie in einem Eisberg eingeschlossen. Dem fügte der Therapeut hinzu, er wolle mit einem brennenden Streichholz in der Hand immer auf sie warten - unter der Voraussetzung allerdings, daß sie das Gleiche zu tun gewillt sei. Therapeutische Hingabe, die nicht auch Antwort erwartet, wird zu einer 266

narzißtischen Manifestation, zu einer heroisch überhöhten Selbst-Vorstel­ lung. Der Therapeut braucht aber den Patienten, so wie dieser den Thera­ peuten braucht. Ohne diese Reziprozität, die sich langsam aus einer von Einseitigkeit geprägten Beziehung heraus entwickelt, ist Therapie, ist Dua­ lität nicht möglich. Und eine beiderseits als stabil zu bezeichnende Selbst­ identität kann nur in der Dualität wurzeln.

XXVI. Der Innenraum der Schizophrenietherapie: die Dialektik zwischen Nähe und Distanz Immer wieder sehen wir, wie unser den Schizophrenen entgegengebrachtes Interesse zunächst paradoxe Folgen hat. Unsere echte Zuwendung ruft Re­ aktionen hervor, die unserer Intention zuwiderlaufen: Angst und Aggressi­ vität. Auf psychodynamische Erklärungsversuche haben wir bei unseren Aus­ führungen des öfteren hingewiesen. Möglicherweise fühlt sich der Kranke durch unsere Annäherung aus seiner Erwartungshaltung heraus gefährdet, weil er - oft begründet - befürchten muß, ähnlich wie früher enttäuscht zu werden. Die Angst vor einer Beziehung kann aber ebensogut Symptom für eine äußerst geringe Ichstärke sein. Wir haben auch erwähnt, wie unser In­ teresse dem Kranken die Chance eröffnet, seine Aggressivität in das Ge­ spräch zu zweit einzubringen: Dissoziierte oder sehr schlecht strukturierte, d.h. diffuse Aggressionen werden durch den therapeutischen Prozeß und durch die wachsende innere Kohäsion in das Ich integriert, wenn auch oft mit dem - nur scheinbar - negativen Erfolg, daß der Therapeut gezwunge­ nermaßen zu der ersten Zielscheibe der Aggressionen wird. Der Kranke trägt oft eine fixierte negative Vorstellung von seinen Mit­ menschen in sich, ein Bild, das er auf alle realen Partner überträgt. Jede, auch die anfänglich positive Beziehung öffnet wie ein Schlüssel das Schloß des negativen mitmenschlichen Bildes. Jedes potentiell positiv gefärbte Erleben wird von der »einzig wahren« innerpsychischen Realität ins Negative konvertiert. Der Patient lebt in einem perennierenden Angstzustand. Er kann nicht lieben, ohne daß der geliebte Partner sich in den Verfolger verwandelt, und sei es auch nur in einem Traum. Jeder gelegentliche Partner ist eine Quelle der Gefahr; jeder Nachbar wird zum Spion. Manche Kranken befinden sich auf einer unsagbar gefährlichen Gratwanderung zwischen Psychose und Nicht-Psychose. Ihre Angst ist nicht unrealistisch, sind sie doch letzten En­ des von der Befürchtung erfüllt, in den Abgrund der Psychose abzustürzen und jeden Bezug zu Norm und Konvention zu verlieren: darin liegt der un­ bewußte Sinn der »Verfolgung«. 267

Der Beginn der Therapiestunde löst dann jedesmal größte Angstzu­ stände aus, die den Kranken weitgehend lähmen und vollends verstummen lassen. Psychodynamisch mag die Angst zunächst unerklärlich scheinen. Noch hegt keine negative Übertragung vor, noch drohen keine verdräng­ ten, angstauslösenden Erinnerungen ins Bewußtsein zu sickern. Je auf­ merksamer, besorgter sich der Therapeut zeigt, desto größer ist die Angst des Kranken. Die Nähe eines liebenswerten Objektes genügt, um unwei­ gerlich jenen negativen Mechanismus auszulösen, der alles Positive in sei­ nen Sog zieht. »Wir müssen aufpassen«, sagte mir ein Patient in einer solchen Situation, »daß die positiven Kräfte, die mir aus der Begegnung mit Ihnen zufallen, sich nicht wie von selbst in negative verwandeln. Wissen Sie, die positiven Bilder können einfach nicht bei sich selbst bleiben, sie müssen um jeden Preis die Grenzen zum Bösen hin überschreiten. Sie laufen zum destrukti­ ven Teil meiner Seele über.« Bei diesem Patienten verwandelte sich tatsächlich jedes angenehme Ge­ fühl in eine Todessehnsucht. Als ob es das Selbstverständlichste der Welt gewesen wäre, mündete Leben in Tod ein. Nirgendwo ein Halt, eine Mauer, die die Gefühle zu trennen vermocht hätten. Sie alle verschmolzen zu einer eintönig-amorphen, magmaartigen Masse. Eine Art »Gefühlsdiffusion« könnte man sagen, die sich in einem dürftig strukturierten intrapsychischen Raum ereignete. In dieser tragischen Situa­ tion von Ichverlust —ein Patient sprach einmal vom »Verlust aller Struktu­ ren« - wird die Erfahrung der zwischenmenschlichen Nähe und der thera­ peutischen Zuwendung zum Gefahrsignal. Der Widerspruch wird unüber­ brückbar: Das Gefühl, daß man den Therapeuten unbedingt braucht, um weiterleben zu können, prallt frontal auf das entgegengesetzte Empfinden, daß die gewünschte Annäherung einem Attentat auf das eigene Leben gleichkommt. Eine sonderbare Situation ergab sich einmal in der Therapie einer Pa­ tientin, deren abnorme Erlebensweisen - zumeist Halluzinationen und Be­ ziehungsideen - in unserer Zweierbeziehung einen Teil ihrer Irrealität schon deshalb verloren, weil ich ihnen, aus der Gegenübertragung heraus, als Spiegel gegenüberstand. Jetzt, wo mein Da-Sein wenigstens partiell mit dem der Kranken synchron war, legte das ihrige, als ob es einem Relativi­ tätsgesetz folgte, jene pathokinetische Dimension ab, die sonst ständig zu meiner - grundsätzlich anderen - Realität in Opposition stand. Es gab im Leben dieser Kranken nichts, was nicht der Ambivalenz an­ heimgefallen wäre. Während der psychotischen Phase überwog in ihren Zu­ standsschilderungen wohl der positive Anteil der Ambivalenz. Sie erzählte, wie in ihrer in Auflösung begriffenen Welt nichts von Bestand sei, weil ein jeder Gedanke von einem Gegengedanken ausgelöscht werde, weil jedes Gefühl absterbe, bevor sie es nur richtig spüre. »Mein Ich ist in Fetzen«, 268

meinte sie, »von Geschossen durchlöchert und in kleine und allerkleinste Teile zersprengt.« Das einzig Existente, das irgendwelche Uberlebenschancen hatte, war das, was »vom Therapeuten her kam«, d.h. alles, was aus ihrem Unbewuß­ ten stammend, von der dialogischen Dimension strukturiert worden war. Parallel zu diesem an sich positiven Erleben verlief aber das negative: der Beeinflussungswahn. Sie hatte keine eigene, sondern bloß so etwas wie eine »geliehene Existenz«. In einem Traum kam das folgendermaßen zum Aus­ druck: Die Patientin befand sich auf einer Schiffsreise. Auf dem Deck stand eine ihr unbekannte Frau neben ihr. Diese war in Lumpen gekleidet und hatte keinen persönlichen Identitätsausweis, weil darin der Name einer an­ deren Person eingetragen war. Und sie dachte - noch immer im Traum: »Diese Frau versucht, sich heimlich in die Existenz anderer Menschen ein­ zuschleichen, um auf diese Weise weiterleben zu können.« —Sie begab sich hierauf zum Kapitän und fragte ihn, was er von dieser Frau denke. Sie je­ denfalls finde ihr Verhalten sonderbar und unbegreiflich, worauf ihr dieser mit der größten Seelenruhe antwortete: »Ach, wissen Sie, das ist eine Schi­ zophrene.« Die psychische Nähe gewinnt also in solchen Situationen einen Doppel­ aspekt. Sie setzt einerseits einen psychischen »Filterungsprozeß« in Gang, der gefördert wird von der vom Therapeuten in den Kranken verpflanzten Imago: einer Imago, die nichts anderes ist, als das Bild, das der Therapeut sich von ihm gemacht hat. Erst nach einer Phase »psychischen Stoffwech­ sels«, der im Therapeuten stattfindet, erlangt diese Imago eine ihr eigene Vitalität, die allmählich die assimilierbaren Aspekte der Existenz zu »fil­ tern« vermag. Von dem Moment an, wo die Imago dem Patienten »zurück­ erstattet« und zu seinem eigenen »Organ« wird, vollzieht sich der Integra­ tionsprozeß nicht mehr ausschließlich in der dualen Therapiebeziehung, sondern auch im intrapsychischen Bereich des Kranken: Der Grundton der Autonomie klingt an. Andererseits erfährt der Beeinflussungswahn in der Übertragung eine Neuauflage: »Ich fühlte mich von Ihnen beeinflußt. Es war etwas spürbar, das lebte und von mir nicht zerstört werden konnte. Bloß gehörte es nicht mir.« Nicht das Diagnostizieren des Negativen ist es, das Hoffnung schöpfen läßt, sondern die Neuauflage einer aus der Welt gefallenen Situation in der Beziehung zu zweit, die teils zwar das Negative widerspiegelt, es aber zum andern auch anreichert und umformt. Nirgendwo stellt sich das Problem der »Nähe« so akut wie in der Situa­ tion des Autismus. Auf der einen Seite ist Kontaktverlust und unendliche Ferne des Kranken, also eine außerhalb jeder Beziehung liegende Seins­ weise. Am entgegengesetzten Pol taucht aber die schizophrene Angst vor jedem auch nur diffusen Anzeichen von Kontakt auf. Diese doppelte Ge­ fahr ist dem Januskopf vergleichbar, dessen Gesichter nach zwei Seiten ge269

wendet sind. Die eine Richtung weist auf den Zusammenprall mit dem fremden Ich hin, das das Ich des Kranken wie zu Staub zermalmt: »Es ist, als ob ich aus meiner Rolle fallen würde. Ich werde von den anderen ausge­ löscht. Ich verliere meine Identität.« Das zweite Janusgesicht erblickt die Situation, in der der Kranke, in völliger Abwesenheit eines menschlichen Kontaktes, das Gefühl bekommt, zum entseelten Ding zu werden und sich wie die oben erwähnte Patientin danach sehnt, ein bißchen mit der fremden Identitätskarte leben zu dürfen. Vielleicht liegt die Lösung des Widerspruches in dessen Übernahme durch den Psychotherapeuten, in dessen Verwandlung in therapeutische Sorge. Die transzendierende Angst bzw. Sorge des Therapeuten ist eine der Grundvoraussetzungen in der Psychosentherapie. Ich kenne keinen wirk­ lich begabten Therapeuten, der ihr nicht schon begegnet wäre, so wie es keinen Schizophrenen gibt, der seinen Therapeuten nicht schon unwillent­ lich zu dieser Rettungsaktion gezwungen hätte: Es ist die Dualisierung psy­ chotischer Angst. Beide Partner, sowohl der Patient als auch der Therapeut, scheinen manchmal dieser Erfahrung ausweichen zu wollen. Obwohl der Therapeut den Sinn einer weitreichenden Partizipation keineswegs anzuzweifeln wagt, schreckt er vor dem Sprung in die Angst doch zurück. Aber auch der Patient, der sich anschickt, aus seiner autistischen Welt herauszukommen, und der seinen Therapeuten doch kennt, bangt um ihn: »Bleiben Sie beisammen, spalten Sie sich nicht so wie ich.« Schwerkranke äußern sogar die Befürchtung, der Therapeut könne umkommen, wenn er sich ihnen nähere. Er könne am Ende der Therapiestunde abrupt sterben, ein sie beide verfolgendes Messer könne ihn erstechen oder sie stünden ge­ meinsam in Gefahr, in einem Labyrinth zu ersticken. Hie und da bietet sich auch eine Deutung an. Dann kann im Kranken etwa die Einsicht aufdämmern, daß die ihn seit Jahren quälenden Suizidge­ danken wie umgepolt erscheinen und in die Angst einmünden, der Partner schwebe in Gefahr. Was vorher im Patienten allein Angst und Schrecken verbreitete, die »undefinierbaren negativen Kräfte«, ist nun unversehens mit dem Leben des Partners verknüpft. Unwissentlich, unwillentlich hat der Psychotherapeut in sich aufgenom­ men, was der Kranke nie auch nur andeutungsweise hätte ausdrücken kön­ nen. Ich kenne Patienten, die zutiefst erschüttert aus dieser Erfahrung hervor­ gegangen sind und die mir bekräftigten, daß sie nunmehr außerstande sei­ en, sich umzubringen, selbst wenn der Wille dazu noch bestünde. Es war, als ob neben einer Übertragung des Nichts, vom Kranken zum Therapeuten hin, von letzterem aus eine Übertragung von Leben stattgefunden hätte. Derartige positive Entwicklungen lassen oft Jahre auf sich warten. Mit­ unter bleibt der Psychotherapeut für lange Zeit isoliert, so wie es der 270

Kranke jahre- oder jahrzehntelang in seinem Autismus war. Die Einsam­ keit des Psychotherapeuten ist echt, wie jene des Kranken auch, bloß be­ wegt sie sich auf einer ganz anderen Ebene. Sie wird zum Vehikel von The­ rapie. Was immer wir dem Schizophrenen sagen oder erklären mögen, er­ reichen wird ihn vor allem das, was die Situation des Psychotherapeuten si­ gnalisiert. Wenn der Schizophrene außerstande ist, psychogenetische Deu­ tungen zu verstehen, so kann er auf das Erleben des Psychotherapeuten doch Bezug nehmen. Der autistische Kranke, der keine Deutung versteht und annimmt und sich in seinen »herrlichen Kosmos« zurückzieht, überläßt seinen Psychotherapeuten einer Einsamkeit, die ein wenig der seinigen gleicht. Davon Mit-Teilung zu machen, ist nicht nötig. In deren Erfahrung liegt schon eine teils unausgesprochene Kommunikation, die selbst ein Kranker wahrnimmt, der sich der Logik verschließt. Ich denke dabei an eine schizophrene Frau, die sich eins mit der Sonne fühlte und die ihre Psy­ chotherapeutin inständig bat, sie allein zu lassen, um ihr den Verkehr mit der wirklichen Transzendenz durch die Psychotherapie nicht wegzuneh­ men. Ihr Wunsch wurde erfüllt. In den folgenden Wochen pflegte sie die Wohnung ihrer Psychotherapeutin zu besuchen. Sie wurde eingelassen. Allmählich entwickelte sich dort so etwas wie eine Umkehr der Psychose, indem sich die Kranke »in der Einsamkeit der Psychotherapeutin sonnte«. Wahrscheinlich gründen die mitunter überraschend auftretenden Phä­ nomene von psychischer Koinzidenz gerade in einer solchen therapeuti­ schen Symbiose. Oft nimmt der Therapeut dann selbst aus großer räumlicher Distanz und auf empathischem Wege Dinge wahr, die er nicht »sieht«. Er kann sogar den unmittelbar bevorstehenden Suizidversuch seines Patienten voraus­ spüren, ohne daß er eine verbale Ankündigung davon erhalten hätte. Oder aber er fühlt sich in Angst versetzt: Wie sich hinterher vielleicht heraus­ stellt, war das der Moment, in dem der Kranke aus der Klinik entwich. Oder er hat einen Traum, der manches, was in der kommenden Therapiestunde passieren wird, gewissermaßen vorwegnimmt. Ohne Zweifel hat ein solches Geschehen die Funktion, den Therapeuten für das im Patienten sich Ereig­ nende wachsam und hellhörig zu machen. In der Regel nehmen wir nur ei­ nen kleinen Teil dessen wahr, was sich im Mitmenschen tut. Die Erfahrung einer unbewußten Partizipation indessen taucht in der Schizophreniethera­ pie immer wieder auf. Sie ist ein sicheres Anzeichen dafür, daß die Therapie »läuft«. In einem gewissen Sinne kann sie als die Kehrseite oder die Dualisierung des Beeinflussungswahns angesehen werden, der den autistischen Patienten zum wehrlosen Opfer magischer Manipulation durch die Au­ ßenwelt macht. Das wichtigste, was hier die Therapie dem Kranken zu vermitteln ver­ mag, ist die Erfahrung, daß Nähe nicht nur gegenseitige Zerstörung und Selbstverlust bedeutet, sondern auch die Entdeckung eines völlig Neuen, das Freiheit, Vertrauen und Sicherheit in sich birgt. Das Heilende manife271

stiert sich nicht einfach im Verschwinden ängstigender Wahnideen, nicht im Entblößen der ihnen inhärenten Irrealität; es offenbart sich in dem existen­ tiellen Beweis, daß die Äste, die weit in das Leben des Therapeuten hinein­ ragen, aus gleicher Wurzel stammen. Diesen Beweis vermag eine Deutung allein nicht zu erbringen. Er er­ wächst aus der Erfahrung des Dialogs und schlägt sich dann im innerpsychi­ schen Bereich nieder, im Unbewußten, im Traum. Er erfaßt den ganzen Menschen, ist nicht nur Wort, sondern Leben.

XXVII. Psychotherapeutische Variationen über den depressiven Schizophrenen Es gibt Schizophrene, die zu einer Armut der inneren Phantasmen und zu depressiver Monotonie neigen. Wenn sie ihren inneren Zustand schildern, sagen sie uns, daß sie Depression nicht bloß als Schuld erleben, sondern auch als Unfähigkeit, mit Dingen in Beziehung zu treten. Der Kranke inter­ essiert sich für überhaupt nichts mehr. Da ist nichts, das libidinös besetzt werden könnte. Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, nicht zuletzt auch die sonst vertrauten Gegenstände der eigenen Wohnung: alles ver­ schmilzt zu einer uniformen, leblosen Masse. Jede Beziehung, jedes Zuge­ hörigkeitsgefühl geht verloren. Dit existentielle Unfähigkeit, sich die Welt zu eigen zu machen, Menschen und Dinge ringsum zu introjizieren, wird vom Kranken als eine Art »Urschuld« erlebt, als eine Unfähigkeit zu lieben. Und da der Mensch nun einmal nicht anders kann, als in moralischen Kate­ gorien zu denken, verknüpft der Schizophrene sein Versagen erst recht mit Schuldgedanken. Die Unfähigkeit zu lieben hat zur Folge, daß die Zuwendung des Thera­ peuten entweder als zu dürftig oder als unerträglich heftig empfunden wird. Es ist die Verarmung des Ich, die Unfähigkeit, Liebe zu erwidern, die den Kranken jede affektive Annäherung als ein unerträglich entwürdigendes Almosen empfinden läßt. Deshalb setzt die therapeutische Zuwendung stets viel einfühlende Behutsamkeit und ebensoviel Takt voraus. Sie soll dem Kranken so zur Verfügung stehen, daß er nehmen kann, aber nicht nehmen muß. Die Haltung aktiven Gebens ist also nicht am Platz. Ich be­ schränke mich oft darauf, das Wenige, das mir der Patient sagt, spiegelnd zu verstärken, ohne zunächst viel Eigenes dazu zu tun. Wichtig ist, ihm unmiß­ verständlich deutlich zu machen, daß man ihn verstanden hat. Es kommt auch vor, daß der Kranke einen fast bemitleidet, weil man seinen»ermüdenden und langweiligen« Schilderungen zuhören muß. Statt ihn auf seine »hierin enthaltenen Aggressionen« aufmerksam zu machen, pflege ich zu 272

antworten, seine Phantasie sei nur depressiv. Da er sein Selbst nicht beach­ te, könne er sich nicht vorstellen, daß andere Menschen sich für ihn interes­ sieren oder ihn gar liebenswert finden. Nicht selten spüre ich nach solchen Interventionen, wie im Kranken ein leises Interesse an mir erwacht. Es manifestiert sich meist indirekt, indem der Patient von Dingen zu sprechen beginnt, die - wenn auch sehr entfernt mein Leben betreffen. Ich kann ihn nur darauf aufmerksam machen, daß das von ihm anfangs ausgedrückte, tief depressive Empfinden, er falle mir zur Last, mit dem Unbewußten, das sich für mich zu interessieren beginnt, offenbar nicht ganz übereinstimmt. Der Austausch solch einfacher Mitteilungen ist in der Therapie depressiv Schizophrener von Wichtigkeit, weit wichtiger jedenfalls als das Ausdeuten noch so tiefsitzender psychologischer »Mechanismen«. Ohne Zweifel liegt der Hauptakzent solcher Kommunikationsweisen im Prä-Verbalen und läßt sich nicht so leicht anhand von Beispielen erläutern. Diese Dualität des präverbalen Geschehens wird mir oft erst in der Rückschau über eine ver­ gangene Therapiestunde richtig deutlich. Es äußert sich mehr in den Zäsu­ ren und Pausen als im Gesprochenen, mehr im Tonfall als im eigentlichen Wort, mehr im Hereinbrechen einer unerwarteten, aus dem Zusammen­ hang fallenden Phantasie als im logischen Gesprächsablauf. So kann sich im Verlauf solcher Gespräche eine Todesphantasie durch die zunehmende Libidozufuhr in eine Lebensphantasie verwandeln, auch wenn die Parameter dabei keine umwälzende Änderung erfahren. Der De­ pressive haßt zumeist nichts so sehr, wie die eigene Schwäche, die Anlaß ist für unendlich tiefe und stets sich wiederholende Frustrationen. Ich erinnere mich an einen depressiven Patienten, der sich nicht nur dauernd ent­ wertete, sondern darüber hinaus von Zwangsgedanken verfolgt war. Stereotyp sprach er den Satz vor sich hin: »Ich hasse Christus, und ich hasse mich selbst.« Dieser schwache Teil ist es nun, der vom Therapeuten »geliebt« werden soll. Den Begriff dieser »Liebe« muß ich in diesem Zusammenhang etwas näher beleuchten. In der Therapie eignet ihm sicher nichts Spektakuläres, nichts, das die sozialen Grenzen zwischen Therapeut und Patient sprengt. Therapeutische Liebe kommt schon darin zum Ausdruck, daß eine, wenn auch noch so schwierige Stunde über­ haupt stattfindet.

Dem eben erwähnten Patienten, der »Christus haßte«, versuchte ich klar zu machen, daß es wohl möglich sei, an Christus zu zweifeln, unmöglich aber ihn zu hassen, weil er Teil unserer eigenen Schwäche sei. Ebenso sei er, der Patient, Teil meiner eigenen existentiellen Schwäche, die er einfach nicht akzeptieren, geschweige denn lieben könne. Wir sprachen eine ganze Stunde lang über diese an sich einfache Feststellung, bis der Kranke unver­ sehens ausrief, nun sei »eine Wende« eingetreten: Er identifizierte sich auf einmal - fast halluzinatorisch - mit Christus. Er vernahm plötzlich eine in­ nere Stimme, die ihm mitteilte, er sei Christus. Im gleichen Augenblick ver­ schwand ein ihn seit langem plagendes Stechen in der Brust. Auch war ihm, 273

als ob er erstmals wieder eigene Gefühle habe, als ob er sich verstehen kön­ ne. Es könnte leicht der Eindruck entstehen, ich hätte den Kranken einfach zu trösten versucht. Dieses Mißverständnis möchte ich gleich ausräumen. Ich versuche nie, Patienten zu trösten. Im Gegenteil: Ich zeige ihnen die ganze - ihnen meist verhüllte - Dramatik ihrer Lebenssituation auf, dies vor allem dann, wenn sie selbstzerstörerische Züge hat. Ein Depressiver sagte mir einmal: »Mir gegenüber steht ein toter Soldat, ganz steif und doch aufrecht. Immer wieder stoße ich einen Dolch in seine Brust, um ihn in sei­ nem Tod noch mehr zu töten, um ihn auch nach dem Tod zu töten.« Ohne zu zögern erwiderte ich darauf, ich hätte den Eindruck, er schwebe in akuter Suizidgefahr. Der Kranke erschrak zuerst heftig, spürte aber hinterher ein Gefühl der Erleichterung: Nun war ihm einmal nicht einfach »Trost« ge­ spendet oder Mut zugesprochen worden. Durch meine Bemerkung hatte sich ihm die ganze Tragödie seiner Existenz offenbart. Dieses Gefühl der Erleichterung läßt aber oft lange auf sich warten. Pa­ radoxerweise beginnt sich eine Besserung dann abzuzeichnen, wenn der zur Selbstdestruktion neigende Kranke dem Therapeuten gegenüber aggressiv wird. Das heißt also: Was reine Selbst-Aggression war, wird zur externalisierten, objektgerichteten Aggression. So wie der Patient, aus seiner Ab­ wehr heraus, erst sich selbst zu zerstören trachtete, versucht er nun sich selbst im »anderen zu töten«. Indem er den therapeutischen Partner von sich wegstößt, zerstört er jenen Teil seiner selbst, der ihm äußerst gefährlich ist, um sich dann in seinem autistischen Panzer einzuschließen. Für den Therapeuten ist es nicht leicht, diesen Aggressionen standzuhalten. Wenn er aber das sich hinter ihnen verbergende Leid des Kranken spürt, vermag er auch den Schmerz und die narzißtische Kränkung zu verkraften, die ihm zugefügt werden. Erst wenn sich sein Zustand gebessert hat, kann der Patient sein Gefühl der Verlassenheit und die Aggressionen, die wir Therapeuten sonst an sei­ ner Statt verbalisieren, selbst zum Ausdruck bringen. So träumte einmal eine Kranke von einem »eiskalten, schmerzenden« Penis, der auf ihrem Bauch lastete: Das war ihre Aggressivität. Unsere therapeutische Arbeit erschöpft sich allerdings nicht darin, die innere Trost-Losigkeit und die Aggressionen des Patienten zu verstehen bzw. zu akzeptieren. Wenn wir uns zu sehr mit der Rolle des »guten Ob­ jekts« identifizieren, befriedigen wir zwar eigene narzißtische Bedürfnisse, verunmöglichen es aber dem Kranken, uns zu seinem bösen Zwillingsob­ jekt zu machen, mit dem er dann teilweise verschmelzen kann. Im vorhin erwähnten Traum einer Patientin war von einem »kalten Penis« die Rede. Diese Kälte konnte anders nicht durchwärmt werden als durch eine »tem­ perierte« therapeutische Aggression, die für den Kranken modellhaft für die Vermischung von Aggression und Libido zu stehen hatte. In der Psychotherapie der Depression bietet die Handhabung der Deu274

tung ein bisweilen kaum zu lösendes Problem, weil das Über-Ich des Kran­ ken jede Intervention insofern »mißbraucht«, als es sie zu einer neuen An­ klage umformuliert. In der Sprache des Über-Ich ausgedrückt mag das etwa so klingen: »Du warst schon immer böse und aggressiv, nun bist du es auch dem Therapeuten gegenüber, der es doch gut mit dir meint.« Sobald sich aber - hinsichtlich der Aggressionen - zwischen dem Ich und dem Unbewußten eine Differenzierung abzuzeichnen beginnt, eröffnen sich therapeutisch gesehen ganz neue Perspektiven. Die Aggressionen tun sich dann nicht mehr ausschließlich als drohend-diffuse Spannungen kund, die die ganze Persönlichkeit des Patienten erfassen, sondern gewinnen all­ mählich Konturen. Differenzierung ist aber erst möglich, wenn das kranke Ich mit dem The­ rapeuten bzw. mit dem analytischen Verfahren ein solides »Arbeitsbünd­ nis« eingegangen ist. Dann nämlich kann der Therapeut auch wirklich auf aktive Mithilfe seitens des kranken Ich zählen - vor allem, wenn es darum geht, das »Böse« des Unbewußten und des Über-Ich zu demaskieren. Und er kann dies tun, ohne dem Patienten Schaden zuzufügen. Ich möchte diesen Gedankengang anhand eines kurzen Beispiels zu verdeutlichen versuchen: Eine depressive Patientin träumte, wie sie von einem Polizisten unter dem Verdacht festgenommen wurde, einen Kindsmord verübt zu haben. Sie steu­ erte dann die folgenden Assoziationen bei: »Das Kind, von dem der Polizist sprach, war fünf Jahre a lt..., und fünf Jahre dauert nun auch schon meine Psychotherapie.« Im Traum hatte sie dem Polizisten gegenüber Protest angemeldet: »Wie ist es nur mögüch, daß Sie mich einer solchen Untat verdächtigen! Ich habe dieses Kind doch geliebt, genährt und aufgezogen als wäre es mein eigenes gewesen.« Soweit also der Traum. Ganz offensichtlich regen sich im Unbewußten der Pa­ tientin Aggressionen, die sich gegen den Therapeuten richten. Im Traumtext er­ scheinen sie auf ein fünfjähriges Kind verschoben, das somit »genau so alt« ist wie die Psychotherapie. Der Polizist indessen, der den schweren Verdacht ausgespro­ chen hat, ist eine anonyme Gestalt, die ich als Symbiose zwischen dem strengen Über-Ich der Patientin und dem Uber-Ich des Therapeuten verstehe. Dieser Polizist ist es nun, der die versteckten Aggressionen der Kranken »aufdeckt«. Es könnte so aussehen, als ob das therapeutische Über-Ich durch seine Aufdeckungsstrategie nur Schaden anrichtete, weil es sich auf die Seite des ohnehin feindlich gesinnten ÜberIch der Patientin schlägt. Dies würde dann die den Deutungen innewohnenden ag­ gressiven Anteile verstärken und sie zu neuen Selbstanklagen ummünzen. Falls Deutungen die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kranken akzentuieren, führen sie in der Tat zu einer Verschlimmerung des depressiven Zustandes. In ihrem Traum aber macht die Patientin die wichtige Aussage, daß sie ihr Kind »geliebt und ge­ nährt« hat, was wiederum heißt, daß sie auch die therapeutische Beziehung liebt. An diesem Punkt also kann der Therapeut ohne weiteres intervenieren und der Kranken sagen, daß er ihre liebenden Anteile spürt. Gleichzeitig jedoch müssen auch die destruktiven Impulse des Unbewußten zur Sprache gebracht werden: Die­ ses »Böse« ist nun einmal da, aber zugleich meldet sich eine andere Stimme, die wenn auch indirekt - dafür eintritt, daß die therapeutische Beziehung keineswegs zu zerstören, sondern zu vertiefen ist. Eine solche Deutung ist, von der therapeutischen Strategie her gesehen, besonders relevant. Zum einen vermag sie dem Kranken die 275

eigenen, versteckten Aggressionen vor Augen zu führen und ihn von der Überzeu­ gung abzubringen, daß er ständig das Opfer der Umweltaggressionen ist. Zum an­ dern fügt sie ihm auch keinen Schaden zu, weil sie sich auf jene Zuneigung stützt, die das Ich des Patienten dem Therapeuten gegenüber nährt. Weil nun die Aggressio­ nen nicht mehr mit Selbstanklagen und Schuldgefühlen identisch sind, können sie im weiteren Verlauf der Therapie einigermaßen gefahrlos freigelegt werden.

Es sei noch einmal gesagt: Solange der Kranke die therapeutischen Deu­ tungen in Selbstanklagen umwandelt, haben sie zu unterbleiben. Es kann in einem solchen Falle nicht darum gehen, ihm aufzuzeigen, wieviel versteckte Aggressionen in ihm sind; vielmehr müssen wir ihm zu verstehen geben, wie unfähig er ist, aggressiv zu sein, und somit eines Rechts beraubt, das allen Menschen zusteht. Es kann Monate dauern, bis endlich der Protest aufbricht, wir täten nichts anderes als ihn anzuklagen und stets des Versagens zu bezichtigen. Damit ist aber der Boden für eine weiterführende Deutung bereitet. Denn indem uns der Kranke mit Vorwürfen zu überschütten beginnt und unsere Deu­ tungen als zwecklos abtut, legt er erstmals ein aggressives Verhalten an den Tag, ein Verhalten, das er sich bis dahin vergebens anzueignen versucht hat. Wir deuten aber nun weiter, daß seine Aggressionen als Widerstände in Er­ scheinung treten, weil nach wie vor Tendenzen der Selbstentwertung vor­ handen sind. Wie der Kranke den Therapeuten entwertet, so entwertet er auch sich selbst, dies ganz im Sinne depressiver symbiotischer Identifizie­ rungsphänomene. Sobald es aber dem Patienten gelingt, zu verstehen, daß er tatsächlich Widerstände entwickelt, gibt er es in der Regel auf, sie zu verleugnen oder sich mit Selbstvorwürfen zu quälen. Er erinnert sich auch früherer Deutun­ gen, mit denen wir ihm begreiflich zu machen versuchten, daß ihm das legi­ time Recht zusteht, den Einflüssen der Umwelt zu trotzen. Was erst schüch­ terner Protest war, kann dann unvermittelt in offene Polemik Umschlägen. Wir haben unter anderem mit dem Vorwurf zu rechnen, daß das, was wir als sterilen Widerstand sehen, für ihn die einzige Möglichkeit darstellt, uns und der Welt gegenüber er selbst zu sein, statt sich stumm anzupassen. Der Patient beginnt nun sein Anrecht auf Autonomie zu verteidigen. Pa­ radox an seinem Verhalten ist freilich der Umstand, daß er seine Angriffe ausgerechnet gegen den richtet, der bis jetzt für seine Rechte eingetreten ist. Der Therapeut kann sich über eine solche Entwicklung der Ubertra­ gungsbeziehung nur freuen, wenn er auch darunter zu leiden hat: Das ist der eigene, mitunter schmerzhafte Beitrag, den er leisten muß, um die Aggres­ sionen des Patienten wach zu halten und weiter zu entwickeln, bis sie eines Tages jenes zwanghafte System zu sprengen vermögen, das Aggression mit Strafe gleichsetzt. Als Therapeut läßt man sich in diesen Therapiephasen manchmal dazu hinreissen, ungeduldig zu reagieren. Aber auch diese Re­ aktionen können nützen, sofern man die Hilflosigkeit des Kranken nicht aus den Augen verliert. Sie wurzeln dann nicht mehr in versteckt-moralisie276

renden Ansprüchen dem Patienten gegenüber, sondern sie werden zum Ausdruck einer therapeutischen Bescheidenheit. Wir wissen, daß wir in un­ serer Arbeit eben nicht perfekt sind und bisweilen über die eigenen menschlichen Schwächen stolpern. Sobald nämlich der Kranke das ihm zu­ stehende »Recht«, aggressiv zu sein, endlich wahrnimmt, beginnt er manchmal auf recht sadistische Weise - über die Schwächen des »ungerech­ ten Therapeuten« herzufallen, und meistens fühlt er sich durch diese »Ent­ ladungen« erleichtert. Erstmals werden Aggressionen in die Außenwelt abgeführt, und das Ich gewinnt unversehens den Eindruck, sich notfalls zur Wehr setzen zu können. Es kann also die Objektbeziehungen auch dann aufrechterhalten, wenn Aggressionen auftauchen, die gerade durch die Be­ ziehung in der Folge neutralisiert werden. Erst jetzt, wo sich Libido und Aggression wieder vermischen, erhalten die libidinösen Anteile eine ganz neue und »echte« Intensität. Sobald sich die Aggressionen des Kranken in Protest und Kritik Luft ma­ chen, verliert die Übertragung jene Tendenzen überbetonter Abhängig­ keit, die infantiler Prägung sind: Sind wird stabiler, solider, »erwachsener« gewissermaßen. Gleichzeitig zeichnet sie sich auch durch größere Flexibili­ tät aus und entwickelt sich allmählich zu dem, was ich die »Umkehrübertra­ gung« zu nennen pflege. Das heißt: sie weitet sich auf neue soziale Bezie­ hungen aus, wobei die durch die Therapie gewonnenen Erfahrungen sich festigen. Die ausbrechenden Aggressionen bringen den Individuationspro­ zeß in Bewegung. Sie stehen nicht mehr ausschließlich im Dienst der Ab­ wehr, sondern schaffen Grenzen zwischen Ich und Welt, in erster Linie je­ doch zwischen dem Patienten selbst und dem Therapeuten. Längere Zeit schwankt der Patient indessen zwischen der Entwicklung nach vorn und der regressiven Umkehr zur therapeutischen Symbiose, deren er noch dringend bedarf, um einer »völlig veränderten Umwelt« standhalten zu können. Zwischen dem Unbewußten des Kranken und dem des Therapeuten be­ steht nach wie vor eine von Kontinuität gezeichnete enge Beziehung, auf­ grund derer beide Partner die Möglichkeit haben, einander die gegenseiti­ gen Gefühle mitzuteilen. Dies gilt zumindest für den von der Psychothera­ pie aktivierten und überschaubaren Gefühlsbereich. Auf einer höheren bzw. therapeutischen Ebene wird somit jene ursprüngliche Symbiose wie­ derhergestellt, die das Kind seinerzeit die Beziehung zur Welt anknüpfen ließ, wobei das, was wir Erwachsene als Welt bezeichnen, in der Kindheit die Mutter war. Die symbiotische Verschmelzung durchläuft in der oft Jahre dauernden Therapie eine Vielfalt von Variationen, wobei sie aber ihre frühere Physio­ gnomie nie ganz verliert: Nur bereichert sie sich zusehends um Abwehr­ und Abgrenzungsphänomene, die sich abwechselnd im Therapeuten oder im Patienten manifestieren. Regen sie sich im Therapeuten, dann eben aus der Spiegelbeziehung heraus, die zwischen seinem und des Patienten Un­ bewußten besteht. 277

Es kommt bisweilen vor, daß der Therapeut Träume mit offensichtlichem Abwehrcharakter hat. Meines Erachtens ist das kein Hinweis für eine »psy­ chische Infektion«, die auf ihn übergreift. Eher sind sie ein Anzeichen da­ für, daß der Kranke allmählich die Fähigkeit erlangt, sich notfalls selbst zur Wehr zu setzen. Der Therapeut erfährt nun diese neue Fähigkeit des Pa­ tienten, als ob sie seiner eigenen Intention entspringen würde. Das ist nichts Ungewöhnliches, nimmt doch auch der Psychotiker gewisse Regungen des Therapeuten so wahr, als wären es die eigenen. In diesem Hin und Her ge­ genseitiger Introjektionen fällt es oft schwer, festzustellen, was primär, was sekundär ist, ob sich eine bestimmte Regung erst auf der einen oder aber auf der andern Seite bemerkbar macht. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Kranker lehne jede Deutung seines Therapeuten ab und mache ihm zugleich Vorwürfe, er verstehe seine wirk­ lichen Bedürfnisse nicht, er sei unfähig, etwas Persönliches herzugeben und auch nur im entferntesten menschlich zu reagieren. Nehmen wir des weite­ ren an, der Therapeut antworte mit Aggressionen auf die orale Gier des Kranken. Ist nun aber seine Gegenübertragungsreaktion auch wirklich in allen Teilen als Antwort auf die unersättlichen Ansprüche des Patienten zu verstehen? Könnte man nicht umgekehrt die Behauptung wagen, diese orale Gier sei eine adäquate Reaktion auf die beschränkten Möglichkeiten des Therapeuten, seinem Patienten zur Verfügung zu stehen? Ich konnte mich in einem Fall, wo sich zwischen mir und dem Kranken eine therapeuti­ sche Symbiose etabliert hatte, des »wahnhaften« Eindrucks nicht erweh­ ren, mein Partner könne keine noch so hochgeschraubten Forderungen an mich richten, die ich nicht auch zu erfüllen imstande wäre. Dieses Gefühl ist freilich »unlogisch«, da es, objektiv gesehen, doch Ansprüche geben könn­ te, die ich weder erfüllen kann noch darf. Interessant an solchen Situationen ist nun aber, daß der Kranke seine extremen Ansprüche gar nicht erst aus­ spricht. Es ist, als gäbe er sich mit der - ebensowenig verbalisierten - ge­ währenden inneren Haltung des Therapeuten völlig zufrieden. Der Thera­ peut läßt es geschehen und braucht sich gar nicht anzustrengen, um den Kranken zufriedenzustellen. Als Folgeerscheinung tritt im Therapeuten je­ nes »Allmachtsgefühl« auf, das S pitz und M a h l e r schildern. In der Thera­ pie taucht es im Therapeuten auf, wobei es aber nicht ins Grenzenlose ausufert, wie das bei Kindern der Fall ist. Der Kranke nimmt das alles wahr und fühlt sich demzufolge in seinem Verlangen gesättigt. Depressive entwickeln manchmal in ihrer Phantasie Ansprüche, die ei­ nem geradezu ungeheuerlich Vorkommen. Dieses Phänomen ist übrigens auch in der Fachliteratur des öfteren beschrieben worden. Viele Therapeu­ ten, wie etwa F r ie d a F romm - R e ic h m a n n , vertreten die Ansicht, daß der »prägenitale Hunger« unersättlich sei. Meine Erfahrung hat mich indessen gelehrt, daß dem nicht so zu sein braucht. Der prägenitale Hunger läßt sich manchmal stillen: Dazu bedarf es keineswegs eines therapeutischen »acting out«. Es genügt, den Patienten in die Lage zu versetzen, die eigenen An278

Sprüche wie von außen her zu betrachten, statt mit seinem ganzen Wesen in ihnen aufzugehen. Vorbedingung dafür ist die Fähigkeit des Therapeuten, die auf ihn einstürmenden Forderungen gerade nicht »von außen«, gewis­ sermaßen als psychopathologische Phänomene zu betrachten und zu beur­ teilen. Während einer gewissen Zeit sollte er sie wie »von innen« her anzu­ nehmen verstehen und soweit an ihnen partizipieren, bis das Gefühl in ihm aufsteigt, sie erdrückten ihn fast. Je weniger die Gegenübertragung symbiotische Züge annimmt, die es dem Therapeuten gestatten würden, auf die Bedürfnisse des Kranken ein­ zugehen, desto vorsichtiger muß denselben eine Grenze gesetzt werden. Sonst läuft der Therapeut tatsächlich Gefahr, über seine »therapeutischen Verhältnisse« hinauszuleben. Was wann zu geschehen hat, hängt nicht nur von dem Typ der Beziehung ab, sondern auch von der Therapiephase. Heil­ same Frustrationen sind auf zwei Arten denkbar: Entweder man bearbeitet mit dem Patienten dessen überfordernde Oralität oder aber die mit ihr ein­ hergehenden Aggressionen. Nehmen wir einmal das erstere an. Wieder ge­ hen wir von jener Fallsituation aus, die wir vorher geschildert haben: Ein psychotischer Patient beantwortet die Unfähigkeit des Therapeuten, eine Symbiose mit ihm einzugehen, mit dem Gefühl, zurückgestoßen zu sein; er findet die eigenen Bedürfnisse »unmöglich«, reagiert sogar mit größter Ab­ lehnung, mit Ängsten auf sie und vermag damit die heraufbeschworenen Phantasien nicht mehr zu verbalisieren. Wenn er nun vom Therapeuten ermuntert wird, doch zu seinen oralen Phantasien zu stehen und sie auszudrücken, wird der Therapeut einen Men­ schen vor sich haben, der sich immer vehementer in den Sog des Krank­ heitsgeschehens hineingerissen fühlt. Mehr und mehr verläßt der Kranke die Realität und gerät in immer intensivere Verwirrungs- und Angstzustän­ de. Die Situation ist insofern als kritisch zu bezeichnen, weil sich nicht nur im Patienten, sondern auch im Therapeuten eine Defizienz abzeichnet. Dem Therapeuten will es scheinbar nicht gelingen, mit Hilfe von Phanta­ sien und spontanen symbolischen Wunscherfüllungen eine Beziehung her­ zustellen. In solchen Fällen kann eine offene Diskussion mit dem Patienten über das Gegenübertragungsgeschehen zu guten Resultaten führen. Es geht darum, dem Kranken unsere Grenzen aufzuzeigen, ohne sie als die einzigen Exponenten von Realität zu rechtfertigen. Es gibt eine existentielle Wirk­ lichkeit, die von der sozialen unabhängig ist, und in der das Verlangen des Patienten »legitim« bleibt, selbst wenn sie die soziale Norm sprengt; letz­ tere gab es bei dem familiären Ursprung der Psychose auch nicht. Die Wünsche des Kranken sind also nicht einfach übertrieben, sie über­ steigen nur unsere Möglichkeiten. Wir müssen dem Patienten offen sagen, daß wir seinem tiefen Verlangen nicht zu entsprechen vermögen, es aber in seinem Eigenrecht voll ernst nehmen. Der Kranke soll verstehen lernen, daß wir - wollten wir seine Forderun279

gen erfüllen - in unserer Autonomie eingeschränkt wären, und als Folge davon würden wir uns unwillkürlich von seinem Unbewußten entfernen. Zwar fügen wir dem Patienten, indem wir nun seine Triebwünsche frustrie­ ren, narzißtische Kränkungen zu. Doch das Dilemma ist möglicherweise gar nicht so ausweglos, wie das auf den ersten Blick erscheinen mag. Es deckt ganz einfach auf, was geschieht, wenn man einen autistischen Leidenszu­ stand aus einer dualen Situation heraus zu verstehen sucht. Was sich im vor­ therapeutischen Zustand als »grundlose«, diffuse Angst, als eine alles durchdringende und unauflösbare Depression manifestierte, wird nun zu einem ebensowenig auflösbaren, aber immerhin mitteilbaren Dilemma. Ein altes Dilemma wird gewissermaßen in ein neues überführt. Damit ist aber schon ein großer Schritt nach vorn getan, weil eine an sich verfahrene Situation aus der autistischen in die kommunikative Dimension verschoben wird. Die Ausweglosigkeit nimmt man von jetzt an zu zweit auf sich. Der Kranke ist nicht mehr sich selbst überlassen. Daß dieses Vorgehen richtig ist, wird dadurch bestätigt, daß der Patient von dem Moment an, in dem seine Aggressivität vom Therapeuten als Ver­ zweiflung verstanden wird, sich auch zu ihr bekennen kann. Dieser Weg gilt sowohl für Therapeuten, die es nur schwer ertragen, in den Augen des Patienten vorübergehend als »das Böse« zu erscheinen, wie auch für jene Patienten, deren Aggressivität nicht erst ausagiert werden muß, bevor sie integriert werden kann. Wie wir wissen, ist das Agieren im Lichte der Psychoanalyse ein patholo­ gisches Bedürfnis, das nicht befriedigt werden darf. Mitunter entspringt dieses Bedürfnis aber nicht nur einem unstillbaren Wiederholungszwang, sondern ist Manifestation eines ersten hilflosen Versuchs, der eigenen Stimme im sozialen Gefüge Geltung zu verschaffen. Oft genug will es dem Depressiven, trotz allen phantasierten, infantil-passiven Aggressionen nicht gelingen, sie auch wirklich in Szene zu setzen. Reflexion allein kann hier nicht genügen. Früher oder später wird der Kranke seine Aggressionen konkret erfahren müssen, um sie zu transzendieren. Solche Patienten müssen die konkrete Erfahrung machen können, was Aggressionen sind und was sie bewirken. Und aus Liebe zu seinem Patien­ ten muß der Therapeut die Rolle des »bösen Objekts« auch annehmen. Freilich erwecken die Aggressionen des Kranken in uns nicht nur Ver­ ständnis, sondern auch Ärger, wenn nicht gar Zorn. Solange uns die Irrita­ tion nicht übermannt, sondern in die positive Gegenübertragung integriert bleibt, erweist sie sich als nützlich. Sie allein macht es dem Patienten auch möglich, uns als böses Objekt zu erfahren und anzugreifen, wobei wir aber in seinem Unbewußten als Liebesobjekt erhalten bleiben. Voraussetzung für dieses Ubertragungsgeschehen ist allerdings eine stabile Beziehung zum Patienten, die es uns einigermaßen gefahrlos gestattet, zum bösen Objekt zu werden, ohne daß er uns aber dabei mit seinem sadistisch-destruktiven Über-Ich identifiziert. Denn das wiederum hätte zur Folge, daß er diesem 280

Ober-Ich restlos ausgeliefert wäre. Ist diese Voraussetzung erfüllt und sind wir uns der Zuneigung zu dem Kranken auch sicher, können wir es wagen, ihm jene notwendigen narzißtischen Kränkungen zuzufügen, die er sonst im größeren Ausmaß durch das Uber-Ich erleidet. Dadurch gewinnt er aber zwei fundamentale neue Erfahrungen. Zum einen wird er auf die ambiva­ lente Realität des Lebens aufmerksam; allmählich geht ihm auch auf, daß die Schmerzen, die uns die Umwelt zufügt, nicht darauf zurückgeführt wer­ den können, daß die Umwelt uns zerstören will. Zum anderen erlebt er, wie seine Aggressivität auf ein Objekt entladen werden kann, welches den Kranken durch die Bereitschaft akzeptiert, sich von ihm auch anschwärzen zu lassen. So entwickelt sich der Kranke in einem Oszillieren zwischen therapeuti­ scher Symbiose und Aggressivität. Die Entwicklung seiner Persönlichkeit vermag sich ausschließlich in dieser Dialektik zu vollziehen, wobei die ne­ gativen Aspekte natürlich im Laufe der Zeit überwunden werden müssen. Widerstände, die vom Therapeuten toleriert und als Ich-Abwehr verstan­ den werden, erscheinen dem Kranken in einer späteren Therapiephase zu­ meist als negativistisches Verhalten, auf das er verzichten lernt. Zu Beginn der Therapie vermöchte er indessen ohne seinen Mutismus, ohne seine Ab­ lehnung, ohne sein Mißtrauen, der Umwelt gegenüber nicht standzuhalten. Hätte er diese Abwehrformen nicht, würde sich sein Ich in der Begegnung mit dem Therapeuten auflösen. Wenn es dem Therapeuten gelingt, den Kranken trotz seiner überaus heftigen Abwehr zu akzeptieren, kommt eine autonome Entwicklung in Gang. Der Patient selbst ist es, der seine Abwehr erkennt. Er erkennt sie sogar, ohne daß sie ihm aufgezeigt und durchanaly­ siert wird. Bisweilen wird das in Träumen sichtbar, wo er sich zum Beispiel in zwei Gestalten aufspaltet. Während die eine seine negativistischen An­ teile repräsentiert, seine »alte« Persönlichkeit gewissermaßen, symbolisiert die andere das neu erwachende Ich. Es kann auch Vorkommen, daß dieses Traum-Ich sich maßlos über »seine andere Hälfte« aufregt, ihr wegzugehen befiehlt, ihr beizubringen versucht, sie habe ausgedient, oder ihr ganz ein­ fach die Daseinsberechtigung abspricht. Derlei Phänomene machen dem Therapeuten auch endlich deutlich, wel­ chen Stellenwert das unbewußte Geschehen im Leben des Kranken hat, und was es uns anfänglich so schwer machte, ihn zu »verstehen«. Sobald das Ichgefüge in Bewegung gerät und sich allmählich umgestaltet, beginnt eine sonst meistens im Verborgenen schlummernde Dynamik offenbar zu wer­ den. Das neu aufkeimende Ich versteht sich selbst weit besser, als der The­ rapeut es vermöchte. Nun stellt sich aber im Bereich der Depression doch die Frage, wie der Patient es fertigbringt, in seinen Traumhandlungen jene von Ober-IchAusläufern geprägte Rolle zu übernehmen, die ehedem nichts als Attentate auf sein Leben verübte. Wie ist es möglich, daß er jenen alten Teil seiner Persönlichkeit derart unerbittlich in Frage zu stellen beginnt, wie kein The281

rapeut es wagen dürfte, ohne dabei Gefahr zu laufen, das Ich seines Patien­ ten zu zertrümmern? Das Überraschende an alledem ist die Tatsache, daß die vehementen Selbstbeschuldigungen nicht mehr im Gewand des Uber-Ich einhergehen. Der Patient träumt zum Beispiel davon, wie er sich selbst an den Armen packt und zum Therapiezimmer hinauswirft: Er trennt sich also von seinen passiven, Widerstand leistenden Persönlichkeitsanteilen. Das ist wahrhaf­ tig kein depressives Phänomen mehr, und auch von Selbstzerstörung kann nicht mehr die Rede sein. Hier ist es nicht mehr das alte, archaische UberIch, das die Traumhandlung lenkt und beherrscht, sondern ein neu auftau­ chender, weitgehend noch unbewußter Ich-Anteil. Der Patient hat aufge­ hört, eine beliebig manipulierbare Marionette zu sein: Was Marionette war und teilweise noch ist, traut sich nun hart zuzupacken, wagt Forderungen zu stellen. Und der Kranke darf dies ungestraft tun, weil die Marionette nun nicht mehr, wie noch während der Depression, seine Gesamtpersönlichkeit darstellt. Solche Entwicklungen signalisieren auch die Geburt neuer OberIch-Strukturen, die sich innerhalb der alten Persönlichkeit etablieren und die zugleich den Bedürfnissen des Kranken mehr Toleranz entgegenbrin­ gen. Dieses Phänomen ist jener Betrachtungsweise zu subsumieren, die ich als die therapeutische Ergänzung bezeichne. Damit ist folgendes gemeint: Die Tatsache, daß der Therapeut die Widerstände des Kranken während der psychotischen Phase nicht laufend deutet und sie nicht nach strengen Maß­ stäben durcharbeitet, läßt sich von zwei verschiedenen Gesichtspunkten her beurteilen. Diese dem psychotherapeutischen Geschehen inhärenten Gegensätze artikulieren sich wohl aus einer Paradoxie heraus - ohne sich aber deswegen gegenseitig auszuschließen. Der eine Gesichtspunkt ist eben ausführlich geschildert worden. Er beruht auf dem Konzept einer weitge­ henden menschlichen Akzeptierung des Kranken, samt all seinen psychopathologischen Aspekten. Der Schizophrenietherapeut konzentriert sich also - anders als der Neurosentherapeut - nicht darauf, mittels des Gegen­ übertragungsgeschehens jene Widerstände und Ubertragungsmechanis­ men aufzudecken, welche die Krankheit in den Geleisen des Wiederho­ lungszwanges ablaufen lassen; vielmehr soll er den Kranken spüren lassen, daß er in seine Welt eingetreten und in ihr zu bleiben gewillt ist. Aber auch der entgegengesetzte Standpunkt kann sich bisweilen auf­ drängen. Sobald sich nämlich die therapeutische Symbiose eingestellt hat, ist es durchaus möglich, daß der Kranke während bestimmter Therapiepha­ sen, in denen er einer aggressiv getönten Interaktion mit dem Therapeuten bedarf, diesen durch eine Gestalt »ergänzt«, die den Therapeuten wohl re­ präsentiert, aber - da sie aus dem Unbewußten stammt - nur in den Träu­ men erscheint. Wenn wir vorher von einer strengen und unerbittlich vorge­ henden Traumgestalt gesprochen haben, die den passiven Patienten zum Therapiezimmer hinauswirft, stellt diese weder den Therapeuten noch des282

sen Negation dar. Sofern wir richtig in den Traum hineinhorchen, werden wir gewahr, daß die Gestalt, so wie der Kranke sie erlebte, nichts Destrukti­ ves, sondern eher etwas Wohltuendes in sich birgt. Wir haben des weiteren auch festgestellt, daß sie auf eine neue Uber-Ich-Struktur des Patienten hinweist, die in direkter Verbindung mit dem Unbewußten steht und die zugleich auf die echten Bedürfnisse des Kranken Rücksicht zu nehmen scheint. Diese Gestalt kann aber auch als »Ergänzung des Therapeuten« angesehen werden. Sie ist vielleicht die Personifikation einer unausgespro­ chenen Strenge, die der Therapeut dem Patienten gegenüber nie bewußt zum Ausdruck gebracht hat. Mit Genugtuung erkennt nun der Patient diese Strenge als einen realen persönlichen Wesenszug des Therapeuten. Dieser ist mehr als nur das, was er von sich hält und weiß, mehr auch als das, was der Kranke bewußt an ihm wahrnimmt. Er ist, wie der Patient schließlich auch, eine Art »Eisberg«, der zu großen Teilen im Wasser (des Unbewuß­ ten) verborgen ist. Gewisse Teile dieses Unbewußten werden nun vom Kranken im Traum wahrgenommen und »ergänzen« somit die bewußt wahrgenommen Verhaltensweisen. Es ist schon so, daß der Patient sich selbst erst in der Begegnung mit dem Therapeuten zu erkennen vermag; aber auch der Therapeut sieht und erfährt sich selbst erst durch das MitSein. Wie anders könnten sich gewisse psychotherapeutische Phänomene und Entwicklungen sonst überhaupt einstellen. Die analytische Asymmetrie muß durch eine symmetrische Beziehung der beiden Unbewußten ausgeglichen werden, damit sich die beiden Part­ ner gegenseitig zu erkennen vermögen. Und dafür sprechen zum Beispiel jene Träume, in denen sich der Therapeut zusammen mit seinem Patienten verfolgt fühlt. Das heißt also, daß er sich mit ihm in seine Welt und deren Verfolger teilt. In einer solchen therapeutischen Symbiose sind neu auftau­ chende Gestalten, wie sie schon erwähnt worden sind, bald als neue psychi­ sche Strukturen des Patienten, bald als »Ergänzung des Therapeuten« zu verstehen; man kann sie als eine Art Ubergangsobjekte im Sinne von F air bajrn und W inn ico tt auffassen. Es sind Gestalten, die gleichzeitig Kind, Elternfigur und Therapeut sind. Sie bilden den Kern des sozialen Selbst, in dem die Innen- und Außenwelt zusammenfließen, bevor die Außenwelt de­ finitiv zu einer erweiterten Innenwelt wird. Die Innenwelt baut sich nach angeborenen Expansionsmustern auf, welche sich wiederum an den Struk­ turen der Außenwelt orientieren: ein Prozeß, der dem Autismus entgegen­ läuft. Weder F a ir ba ir n noch W inn ico tt haben diese Aspekte des Ubergangs­ objekts gesehen: Sein größtes Gewicht erlangt es erst in den Phänomenen des Traums und der Psychose. Je mehr das psychotische Persönlichkeits­ profil zum Träger einer neuen, gesunden Realität wird, desto weniger psy­ chotisch ist es. Das heißt: was die pathologische Qualität eines psychopathologischen Phänomens kennzeichnet, ist weniger seine auffallende in­ haltliche oder gar formale Dimension als vielmehr seine »vektorielle« Aus283

richtung, welche auf die Auflösung der Persönlichkeit hin tendiert. Kehrt sich diese Ausrichtung um, tritt Re-Integration schon innerhalb der Psy­ chose in Erscheinung und nicht so sehr als Alternative zu ihr. Die Psychose wird - mit andern Worten - selbst zu einem Vektor, wird zum Werkzeug der in Gang kommenden Re-Integration.

XXVIII. Der postpsychotische Patient In der postpsychotischen Phase bekommt die Psychotherapie eine neue Sinngebung, geht es doch darum, jene inneren Spannungen durchzuarbei­ ten, die dem Therapeuten schon vom psychotischen Zustand her vertraut sind. Die Therapiesituation gestaltet sich dementsprechend anders als in der akuten Krankheitsphase. Erstmals traut sich der Patient - ohne allzu große Scham zu empfinden - mit seinem Therapeuten all jene Themen­ kreise abzuschreiten, die er sonst vor allen Menschen und weitgehend auch vor sich selbst zu verstecken versuchte. Postpsychotische Patienten können nach meiner Erfahrung mit ihrem Psychotherapeuten auch offen darüber reden, daß sie unter schizophrenen Störungen gelitten haben. Indem sie die Krankheit gemeinsam mit dem Therapeuten erfahren und durchgestanden haben, fällt es ihnen jetzt leichter, sich den einst erlittenen Ängsten auf neue Art zu nähern, ohne daß dabei die üblichen Abwehrfron­ ten mobilisiert werden. Die menschliche Selbstidentität beginnt sich der Welt gegenüber als Kontinuum abzuzeichnen, während im psychotischen Zustand ein quälendes Alternieren zwischen dem totalen Zusammenbruch der Abwehr und einer extrem rigiden Abwehr bestanden hatte. Der Patient vermag nun zwischen dem Jetzt und den hinter ihm liegenden psychotischen Erlebensweisen eine Beziehung herzustellen. Er erschrickt darüber zutiefst, spürt er doch eindeutiger denn je, wie anders er ist als die andern Menschen und wie seiner Vergangenheit etwas ganz Unbegreifliches, sogar Ungeheu­ erliches anhaftet. Diese Selbstwahrnehmung von Zurückliegendem, das sich im Grunde nicht erklären läßt, zieht in der Regel die Verdrängung der formalen und inhaltlichen Aspekte der Psychose nach sich. Erhalten bleibt aber die dumpfe, durch nichts zu vertreibende Empfindung, daß etwas Furchtbares passiert sein muß. Wie anders gestaltet sich die Wiedererinnerung in der Psychotherapie! Da gilt es, die vergangene psychotische Erfahrung in Worte zu fassen, selt­ same, bizarre Wahnvorstellungen auf anschauliche, nachvollziehbare Ge­ dankengänge zurückzuführen. Das Vertrauen zum Therapeuten festigt sich, und gleichzeitig findet eine Distanzierung zum autistischen Verhalten statt. Der Patient hat Boden unter den Füßen, wo er früher ins Leere trat, 284

faßt auch den Mut, über den neuen Grund zu schreiten und Kontakte anzu­ knüpfen. Im Gespräch und in Träumen werden die früheren Erlebenswei­ sen verarbeitet und ins Selbst integriert: Dies alles ist in der postpsychoti­ schen Phase eine für den Patienten wie für den Therapeuten erschütternde Erfahrung. Eine Patientin träumte, einem Jugendfreund begegnet zu sein - er war ihr früher stets wegen seiner Vitalität aufgefallen -, der sich an der Universität in einer »her­ meneutischen Wissenschaft« immatrikuliert hatte. Nun besaß aber diese Wissen­ schaft einen seltsamen Namen, der aus einer Aneinanderreihung von Vokalen und Konsonanten bestand, die keinerlei Sinn ergab. Die Kranke assoziierte hierauf, daß sich diese Wissenschaft mit der normalen Sprache, in der alles seinen Platz und sei­ nen Sinn habe, in einem unauflösbaren Widerspruch befinde. Der Traum klang lange Zeit in ihr nach und vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit. Im Traum selbst hatte sie sich jedoch geschämt, von der vom Freund genannten und offensichtlich sehr wichtigen Wissenschaft keine Ahnung zu haben. In der Anamnese dieser Kranken fand sich nun eine sonderbare Notiz: Unmittel­ bar vor der psychotischen Desintegration hatte sie die Wörter und Silben ständig auseinandergerissen und wieder »ganz neu zusammengesetzt«. Während der Psychose zeichnete sie dann oft Menschen, bei denen die Körper­ teile miteinander vertauscht waren: Beine wuchsen aus den Schultern, Augen waren an die Stelle der Ohren getreten usw. Die eigenen Wahrnehmungen hatte sie als vom Ich losgelöst empfunden. Irgend etwas Unbekanntes schob sich zwischen ihr Ich und das von ihm Wahrgenommene. Auf ähnliche Weise erlebte sie sich als von ihrem gesprochenen Wort abgetrennt. Diese Selbstfragmentierung, die sich auf bi­ zarre Weise auch in ihrem Sprechen niedergeschlagen hatte, fand sich nun in der ge­ träumten »neuen Wissenschaft« wieder bzw. in ihrem unmöglichen Namen, der aus einem Vokal- und Konsonantensalat bestand. Das Chaos wurde aber vom Traum zu einer »Wissenschaft« erklärt, die einen vitalen Freund zu interessieren schien.

Ähnlich wie das in diesem schönen Traumbild zum Ausdruck gekommen ist, versucht nun auch der Therapeut, die psychotischen Erlebensweisen in ein Integrationsmodell einzubringen, das nicht nur Halt, Stütze, Begren­ zung gibt, sondern darüber hinaus auch die dunkelsten Partien der Vergan­ genheit »wissenschaftlich« zu erhellen versucht. Darin manifestiert sich ein Appell an die gesunden Ichanteile, sich vom kranken Erleben zu trennen. Dieses kranke Material, das aus nichts als Trümmern, nichts als Fragmenten besteht, wird dringend benötigt für die Aufrichtung eines neuen Ich: Psychotisches Erleben fließt in form- und haltgebendes normales Erleben ein; Psychose verwandelt sich in mikrosko­ pisch kleinen - und doch spürbaren Schritten —zur Neurose hin. Das Depersonalisationserleben zum Beispiel, das während der Psychose vom ganzen Ich Besitz ergriff, wird nun vom Ich innerhalb eines Vorstel­ lungsmodells erlebt, das für den Außenstehenden nichts Depersonalisiertes mehr an sich hat. Und während die Umwelt früher dem Patienten fremd vorkam, wird er in der Gesundungsphase ihr gegenüber real aggressiv und wagt einen offenen Konflikt, wenn nicht gar einen Bruch mit ihr zu riskie­ ren. 285

Die Verwandten und Bekannten des Kranken pflegen auf solche Ent­ wicklungen nicht mit eitel Freude zu reagieren. Sie finden ihn plötzlich un­ erträglich arrogant. Aber der neu aufgebrochene Konflikt, dem in seinen extremsten Formen durchaus pathologische Züge eignen, rückt eben doch an die Stelle des ursprünglichen Depersonalisationserlebens. Noch schim­ mert zwar das Alte zwischen den Worten des Patienten durch. Immer wie­ der bringt er klagend und anklagend zum Ausdruck, daß es nun die neue Si­ tuation ist, in der er sich fremd fühlt, und daß es ihm noch an Kristallisa­ tionspunkten fehlt. Wieder anders ist die folgende Situation: Ein Patient, der ehedem darun­ ter litt, von den anderen »gemacht« zu werden, hat jetzt das Gefühl, in Si­ tuationen »hineingerissen« zu werden, die, objektiv gesehen, äußerst schwierig sind. Nun beschreibt er aber diese Situationen so eindringlich und genau, daß im Zuhörer durchaus der Eindruck höchst rationaler Plausibili­ tät entsteht: Der geschilderte Konflikt scheint »normal« oder allenfalls neurotisch zu sein. Für den erfahrenen Therapeuten ist aber zwischen den Zeilen die psychotische Vergangenheit spürbar: Die Angst nämlich, von den anderen, von den Ereignissen umgeformt, verwandelt, verschlungen zu werden. Der Patient selbst ist zwar von seinem ursprünglichen Erleben weit entfernt und verbalisiert es übrigens auch nicht mehr. Wer ihn aber von der psychotischen Zeit her kennt, weiß aus seiner Wortwahl und aus seiner Art zu schildern, Nuancen herauszuhören, die Alarmzeichen sind und auf die es im weiteren Verlauf der Analyse zu achten gilt. Die schizophrene Qualität der Erlebnisse wird nur einem Psychotherapeuten ersichtlich, der ihre psy­ chotische Vorform gekannt hat. Patienten, die durch eine Schizophrenie hindurchgegangen sind, teilen einem bisweilen mit, daß sie nach erlittenen Kränkungen oft stundenlang nicht zu unterscheiden vermögen, was innen und was außen ist. Zwar wird jetzt die Ausstoßung des bösen Objektes in der Gesundungsphase vollzo­ gen; aber dessen vorübergehende Introjektion bedingt passagère Ichauflösungsepisoden. Immer noch gehört das negative Objekt zeitweise sowohl der Innen- wie der Außenwelt an. Das kommt wiederum einer Identitäts­ konfusion gleich und führt zu einer Erschütterung jener Grenzen, die das Selbst zur Außenwelt hin abschirmen. Ich erinnere mich an eine Patientin, die während ihrer Psychose den The­ rapeuten als einziges Introjekt in sich verspürt hatte, wobei sie ihn aber gleichzeitig als etwas wahrnahm, das ihr nicht zugehörig war. In der post­ psychotischen Phase erlebte sie die Beeinflussung durch ihn auf nunmehr maskierte Weise. Es fiel ihr höchstens auf, daß ein Wort von ihm genügte, um ihre Meinungen und gefaßten Entschlüsse umzustoßen. Die postpsychotische Phase ist von Episoden und Gefühlen gekenn­ zeichnet, die ich »mikropsychotisch« nennen möchte; dem ungeschulten Auge entgehen sie ohne weiteres, nicht aber dem Psychotherapeuten, der seinen Patienten schon lange kennt. 286

Wir haben in diesem Kapitel klarzumachen versucht, wie sehr sich der postpsychotische Patient vom Neurotiker unterscheidet. In seinem sich allmählich konstituierenden Ich bleiben manchmal große, manchmal kleine »psychotische Inseln« bestehen. Dieses Phänomen darf nun keineswegs mit dem verwechselt werden, was die alte Klinik eine »Defektheilung« nannte. Es ist durchwegs in all jenen Kranken feststellbar, die als klinisch geheilt gelten und die keinen Defekt aufweisen. Der psychotherapeutischen Heilung sind sicher Grenzen gesetzt. Den­ noch ist ihre Qualität eine bessere, als wenn sie durch medikamentöse Ga­ ben unterstützt worden ist. Unter psychotherapeutischer Heilung versteht man nicht eine generelle Beruhigung des Kranken, sondern den Wieder­ aufbau seiner Persönlichkeit. Dabei treten im Ich ganz neue Komponenten in Funktion, die das Leben des früheren Psychotikers bereichern. Nicht sel­ ten kommt er gar so weit, seine Krankheit als einen sinnvollen und geradezu notwendigen Abschnitt seines Lebens zu bezeichnen.

XXIX. Die individuelle Therapie der Psychosen als psychiatrisches Problem Wir sind in unseren Ausführungen von der Feststellung ausgegangen, daß die Schizophrenie einer negativen Existenz gleichkommt. Vielleicht gelingt es uns jetzt besser, auch das zu verstehen, was De U n a n u m o von gewissen Gesunden schreibt, die im Grunde jedoch als Grenzpsychotiker zu be­ zeichnen sind: »Es gibt etwas, das ich nie verstehen werde: daß ein Mensch den Wunsch haben kann, jemand anderer zu sein. Ein anderer sein zu wol­ len, heißt das vergessen, was wir eigentlich sind. Ich kann mir durchaus vor­ stellen, daß man das zu haben wünscht, was ein anderer besitzt, seinen Reichtum oder seine Intelligenz etwa. Aber ich kann mir einfach nicht er­ klären, wie man dazu kommt, ein anderer sein zu wollen. Mehr als einmal habe ich sagen hören, daß auch ein unglücklicher Mensch es vorzieht - trotz allen Unglücks -, der zu bleiben, der er ist, statt ein anderer zu sein, der nicht von Unglück geschlagen ist. Und wenn nun solch unglückliche Men­ schen die Gesundheit bewahren, das heißt: wenn sie sich bemühen, in ihrem Dasein auszuharren, ziehen sie das Unglück der Nicht-Existenz vor.« Dieses Verlangen »ein anderer sein zu wollen«, dem wir beim Kranken immer wieder begegnen, ist in der Psychiatrie erstmals von R a d o beschrie­ ben worden. Die Intuition des Dichters war ihm aber längst zuvorgekom­ men. So habe ich bei R ilk e einige Passagen gefunden, die in kohärenter Weise das festzuhalten versuchen, was meine Patienten gänzlich zusam­ menhanglos berichten. »Noch eine Weile kann ich das alles aufschreiben 287

und sagen. Aber es wird ein Tag kommen, da meine Hand weit von mir sein wird, und wenn ich sie schreiben heißen werde, wird sie Worte schreiben, die ich nicht meine. Die Zeit der anderen Auslegung wird ausbrechen, und es wird kein Wort auf dem anderen bleiben, und jeder Sinn wird wie Wol­ ken sich auflösen und wie Wasser niedergehen.« (...) »Aber diesmal werde ich geschrieben werden. Ich bin der Eindruck, der sich verwandeln wird.«* Ähnlich und doch anders klang es in einer Therapiestunde aus dem Mund einer Patientin, die an Suizidimpulsen litt: »Ich habe Angst zu sterben, weil ja dann auch ein Teil von Ihnen im Dunkeln versinken wird.« »Ja, das wäre für mich ein großer Schmerz«, erwiderte ich darauf, worauf sie beifügte: »Nein, es geht mir nicht darum. Ich würde Sie verschlingen, denn Sie sind ja in mir.« Ihre Ichgrenzen waren so durchlässig geworden, daß sie nicht mehr zu unterscheiden vermochte, wer sie selbst und wer die anderen waren. Und auf meine fast scherzende Frage: »Wie wäre es nun, wenn das Gegenteil einträte, wenn ich Sie verschlingen würde?« antwortete sie sehr ernst: »Auch darüber habe ich schon phantasiert und nachgedacht. Ich wäre dann nichts als eine leblose Marionette. Darum ziehe ich es auch vor, als erste zu sterben, weil ich mich dann wenigstens von meinem eigenen Mechanismus gelenkt fühle.« Der Therapeut, der solch psychotische Todesphantasien in Lebensphan­ tasien zu übersetzen sucht, wird seinerseits in die psychotischen Vorstellun­ gen des Kranken »übersetzt«. Diese psychotherapeutische Umkehr der psychotischen Übersetzung zu umschreiben, war ein zentrales Anliegen mei­ nes Buches. Sie läßt den Therapeuten nahe an den Kranken heranrücken, damit es ihm besser gelingt, ihn in die therapeutische Normalität herüber­ zuretten. Diese Annäherung geht aber nicht ohne Risiko ab. Er muß, will er dem Kranken wirklich nahe bleiben, sich von ihm teilweise »verschlingen« lassen. In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder von der Psychohy­ giene der Schizophrenietherapeuten die Rede. In einem gewissen Rahmen ist sie sicher notwendig, aber von einem nicht bloß psychologischen, son­ dern existentiellen Standpunkt aus betrachtet, scheint es mir, daß das Risi­ ko , das wir auf uns nehmen, indem wir uns auf den Schizophrenen zu bewe­ gen, nicht ganz zum Gegenstand von psychohygienischen Maßnahmen werden kann. Ist doch dessen Übernahme eine wichtige Komponente der Psychotherapie, wie das übrigens all jene Kranken selbst sagen, die um ihre Psychotherapeuten bangen und in dieser Angst offen für die Mitmenschen werden. In Diskussionen bin ich oft der Auffassung begegnet, daß die Psychosen­ therapie im Grunde einer »therapeutischen Regression« gleichkomme. Ich habe gegen diesen Begriff nichts einzuwenden, solange er mit einer gewis* R. M. Rilke, Die Aufsätze des Malte Laurids Brigge, Leipzig 1931, S. 65 und 66 (Hervor­ hebungen von G.B.).

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sen Vorsicht verwendet wird. Psychologische Begriffe müssen »neutral« sein; und doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich hinter dem wissenschaftlichen Habitus mitunter Werturteile verbergen. In dieser Hinsicht traue ich auch dem Wort »Regression« nicht ganz. Deshalb möchte ich noch eines präzisieren, das vielleicht paradox klingen mag: Re­ gression ist gleichzeitig auch Progression. Beides verleiht unserer Indivi­ dualität einen Sinn, eine Möglichkeit zur Entwicklung. Indem er regrediert, bewegt sich der Psychotherapeut vorwärts, in ein gemeinsames Erleben von Erfahrung hinein. Auf ganz ähnliche Weise ist es zum Beispiel manchmal nicht mehr möglich, zwischen einem »gesunden« und einem schizophrenen Schriftsteller zu unterscheiden, weil auch der gesunde dem Erleben von pa­ thologischen Prozessen oft sehr nahe kommt. Ob das alles noch mit Psychotherapie zu tun habe, wird man vielleicht einwenden - und erst recht mit Medizin? Ob diese Art Arbeit in der Klinik überhaupt möglich sei? Wir haben es uns in diesem Buch keineswegs zur Aufgabe gemacht, spe­ ziell auf die Schwierigkeit der psychotherapeutischen und der psychosozia­ len Auseinandersetzung innerhalb der institutionalisierten Klinik einzuge­ hen. Sobald wir diese Problematik in die Diskussion hereinnehmen, stehen wir vor einer Fülle kompliziertester praktischer Probleme; an ihnen gemes­ sen scheinen die bisher analysierten intrapsychischen Prozesse an Wichtig­ keit zu verlieren. Dem muß ich aber entschieden entgegentreten. Wir sind doch eigentlich von universellen Gesichtspunkten ausgegangen und haben immer wieder, implizit und explizit, darzustellen versucht, daß die individu­ elle Psychotherapie ganz aus sich selbst heraus eine Daseinsberechtigung hat, jenseits aller klinischen Rechtfertigung oder sozialen Qualifizierung. Sie ist etwas Einmaliges, wie vieles andere innerhalb der menschlichen Exi­ stenz auch. Sie läßt sich aus dem Selbstverständnis des Psychiaters ebenso­ wenig wegdenken, wie aus der Klinik ganz allgemein. Ihre Bedeutung er­ klärt sich aus ihrer Doppelfunktion: Zum einen ist es nur dank der Psycho­ therapie möglich, über die innere Art der psychotischen, grenzpsychoti­ schen oder schizophrenen Erkrankung Genaueres zu erfahren. Denn un­ abhängig von den Möglichkeiten, die uns zukünftige Forschungen noch er­ öffnen werden, biochemische oder neuropsychologische Grundlagen der Schizophrenie zu erhellen, bleibt doch die unleugbare Tatsache bestehen, daß die Klärung der somatischen Vorgänge das Phänomen der psychischen Erkrankung als Ganzes nie eindeutig wird bestimmen können. Keiner Wis­ senschaft wird es jemals gelingen, mit der individuellen Psychotherapie gleichzuziehen. Denn diese begibt sich in die Krankheitsphänomene hinein und sucht sie dadurch zu ordnen und zu verknüpfen. Die zweite Funktion betrifft die Vielzahl von Kranken. Ich habe die Er­ fahrung gemacht, daß Ärzte und Psychologen, die für die Psychosenthera­ pie begabt sind, sich nicht ausschließlich und lange Zeit hindurch dieser Ar­ beit widmen können. Selbst wenn sie nur eine begrenzte Anzahl von Ex289

tremerfahrungen sammeln können, werden ihre Sinne auch hinsichtlich je­ ner großen Patientengruppen geschärft, die eben nicht durch eine individu­ elle Therapie anzugehen sind, sondern anderer psychologischer Kontexte, anderer »settings« bedürfen. Wer indessen den Geisteskranken aus der Zweierbeziehung heraus kennt, hat auch ein offenes Ohr für einzelne, ge­ heimnisvoll-dunkle, bizarr klingende Sätze von anderen Patienten. Und wer ein offenes Ohr hat, findet meist auch eine spontane Antwort: Die Äu­ ßerungen von Kranken werden von einem Menschen aufgenommen und schlagen sich nicht nur in einer Krankengeschichte nieder, und sie finden Antworten, die auch außerhalb einer systematischen Psychotherapie wir­ ken. Oft wird mit der etwas allgemeinen Formel operiert, das Heilende gehe von der »Persönlichkeit des Therapeuten« aus. Angesichts der Fakten scheint diese Ansicht vertretbar zu sein. Andererseits muß aber auch be­ rücksichtigt werden, daß es bis zum heutigen Tag nicht gelungen ist, mittels noch so vielfältiger testologischer Erhebungen dem näherzukommen, was man eine »therapeutische Persönlichkeitsstruktur« nennen könnte. Thera­ peutisches Handeln entspringt hochdifferenzierten Verhaltensweisen, de­ ren Phänomenologie nur in der Interaktion mit dem Kranken sichtbar wird; keinesfalls läßt sie sich - jenseits des Patienten gewissermaßen - auf eine bestimmte Charakterstruktur reduzieren. Die »therapeutische Persönlich­ keit« ist nicht nur eine der Psychotherapie vorausgehende Anlage und Cha­ rakterstruktur, sie ist auch Freiheit, die im Werdegang der therapeutischen Begegnung vollzogen wird. Ein prognostisches Verständnis der therapeutischen Interaktionen ist deshalb zum Scheitern verurteilt, wenn es sich darauf versteift, »Techni­ ken« zu kodifizieren. Katamnestische Untersuchungen an Neurotikern ha­ ben zu dem Ergebnis geführt, daß zwischen noch so divergierenden Techni­ ken die Heilungserfolge ähnlich sind. Ähnliches gilt natürlich für die vielen analytisch orientierten Therapiemethoden, zwischen denen ganz erhebli­ che Unterschiede bestehen. Diesem Sachverhalt kommt in der Psychosentherapie ein noch größeres Gewicht zu als in der Psychotherapie der Neurosen. Was mir jedoch zu schaffen macht, ist die Tatsache, daß es - im Gegensatz zur Psychoanalyse unmöglich scheint, signifikante Statistiken beizubringen. Das läßt sich nicht einfach damit erklären, daß die Behandlung psychotischer Patienten einen enormen Zeitaufwand und eine höhere Spezialisierung des Therapeuten voraussetzt, und auch nicht dadurch, daß dieses Behandlungsverfahren in den psychiatrischen Kliniken so viele schwierige Probleme aufwirft und auf so viele Hindernisse stößt: Das alles wirkt sich zwar durchaus erschwerend aus, aber es schiene mir vermessen, ihnen allein die Unmöglichkeit zur sta­ tistischen Erfassung der Schizophrenietherapie zur Last zu legen. Ein Teil des Widerstandes liegt bei den Psychotherapeuten selbst. Es fällt ihnen schwer, standardisierte Kriterien der Besserung in einem Aktivitätsfeld zu 290

finden, das ihre Existenz in Anspruch nimmt. Die Psychotherapie, ur­ sprünglich ein Behandlungsverfahren wie andere auch, wird ihnen zu einem Ort, wo Begriffe wie Quantifizierung, Objektivierung, Normierung ebenso fragwürdig werden, wie das Konzept einer Heilung, die als Anpassung an gewisse Regeln verstanden wird. Diese Widerstände haben mich nicht davon abgehalten, psychotherapeu­ tische Ergebnisse an kleinen Patientengruppen zu beobachten, die von qua­ lifizierten Therapeuten behandelt wurden. Ich habe an anderer Stelle dar­ über berichtet; spätere Erfahrungen haben jene Befunde bestätigt. Im Endeffekt waren etwa drei Viertel der psychotherapeutisch behandelten, chronisch schizophrenen Kranken als sozial geheilt zu betrachten - voraus­ gesetzt natürlich, daß die zum Teil sehr langdauernden Therapien nicht vorzeitig abgebrochen wurden.

XXX. Schlußfolgerungen Zusammenfassend will ich die wichtigsten Hauptpunkte meiner Psycho­ therapie rekapitulieren und zugleich kurz umreißen: I. Psychopathologische Voraussetzung der therapeutischen Beziehung II. Die Struktur der Deutung und der Übertragung in der psychotherapeu­ tischen Behandlung III. Die Integration der therapeutischen Person in die Psychopathologie des Kranken Die drei Kreise überschneiden sich, ein jeder entsteht aus dem vorange­ henden und weitet sich im folgenden aus. /. Die therapeutische Beziehung Wie ist sie in der Psychosentherapie strukturiert? Und wie ist die dynami­ sche Psychopathologie beschaffen, die diese Beziehung strukturiert? In der Persönlichkeit des Schizophrenen besteht - auch jenseits aller postnatalen Lebensereignisse - eine große narzißtische Lücke. Sie ist die unmittelbare Folge der Ichspaltung. Zusätzlich zur affektiven Primärlücke, die nach Ansicht vieler Fachautoren die Kindheitsjahre des Patienten über­ schattet, tut sich eine zweite, narzißtische Lücke auf, die einen Aspekt des Ichverlustes darstellt, der wiederum einen strukturellen Ursprung hat. Die zentrale Funktion des Psychotherapeuten besteht nun darin, diese nar­ zißtische Wunde zum Verheilen zu bringen. Dies kann aber nicht durch »Technik« allein erreicht werden. »Technik« heißt, ein operationales Mo­ dell einzusetzen, bei dem der Kranke zum Objekt eines therapeutisch orga291

nisierten und tradierten Vorgehens wird. In unserem Fall nützt es aber dem Patienten wenig oder nichts, wenn wir unsere Tätigkeit darauf beschrän­ ken, ihm seine Psychopathologie, seine narzißtische Lücke, aufzuzeigen. Bevor die Lücke nicht wenigstens teilweise ausgefüllt ist, erweist sich der Kranke als unfähig, an seinem Leben auch nur das mindeste zu begreifen. Die partielle Schließung der Lücke kommt aber nur dann zustande, wenn der Kranke eben nicht in die Rolle eines therapeutischen Objekts gedrängt wird, sondern über identifikatorische Prozesse zu einem Teil Subjektivität des Therapeuten wird. Über diese Vorgänge ist von ärztlicher und psychologischer Seite schon viel geschrieben worden: R o se n und S e c h e h a y e sind da zu erwähnen, S ea r l e s , ich selbst und zahlreiche andere mehr. Jeder versucht, sich mit eige­ nen Begriffen verständlich zu machen. A rieti etwa spricht von ,,re-ligio“ (relatedness), S u l l iv a n von der »Partizipation«, S ea rles operiert mit der »therapeutischen Symbiose« und S e c h e h a y e mit der »symbolischen Wunscherfüllung«. Damit sind nur wichtige Autoren genannt. Den unter­ einander abweichenden Begriffen eignet aber doch etwas Gemeinsames: Sie sind aus einer tiefen menschlichen Erfahrung herausgewachsen. Die therapeutische Beziehung gründet in einer eigenartigen Identifizie­ rung, die ein Aspekt der kollektiven Situation menschlicher Existenz ist. Als Therapeuten sind wir aufgerufen, dem psychischen Sterben eines Mit­ menschen beizuwohnen: eines Mitmenschen, der unerbittlich einer totalen Auflösung entgegentreibt. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erweh­ ren, daß er stellvertretend in eine Katastrophensituation hineingeraten ist, die im Grunde auch die unsrige sein könnte, weil sie, ungeachtet der medi­ zinischen Krankheitsbegriffe, Ausdruck der negativen Potentialität unserer Existenz ist. Als Therapeuten treten wir in die Katastrophensituation des Kranken ein, indem wir beginnen, uns in sie hineinzuhören, hineinzutasten - und dies nicht aus der alleinigen Absicht heraus, sie zu korrigieren. Sie ist ganz einfach der einzige Ort, der sich uns bietet, um den Geisteskranken kennenzulernen. Anfänglich vermag aber unsere Zuwendung, sogar schon unser Interesse, nichts als Komplikationen heraufzubeschwören. Der Psychotiker hat Angst vor uns und vor unserer Nähe. Unsere Nähe beschleunigt sogar die Auflösungsprozesse, gehören wir doch der gefährlichen Außen­ welt an. Im Kranken ist nichts, das sich unserer erdrückenden Gegenwart entgegenstemmen könnte, und deshalb werden wir zu einer tödlichen Ge­ fahr für ihn. Aber gleichzeitig sehnt er sich nach uns, wie etwa jener schi­ zophrene Kranke, der sich einmal mit einem unbewohnten Schloß verglich. Dies war ein Symbol für seine Ichleere. Er spürte die Präsenz von Menschen als einen unerhörten Druck, als ein Einbrechen in seine innere Leere. Gleichzeitig jedoch - und aus der kategorischen Widersprüchlichkeit des Schizophrenen heraus - wünschte er sich nichts so sehr wie gerade »Einbre­ cher« herbei, weil sie ihm seit jeher die einzige Gelegenheit verschafft hat­ ten, sich selbst zu spüren. 292

In solchen Situationen beginnen im Therapeuten Bedürfnisse zu erwa­ chen, die zu denen des Patienten symmetrisch verlaufen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Therapeuten, der den Wunsch hatte, von seinem Pa­ tienten endlich einmal angeschaut zu werden, um sich in den Augen des Pa­ tienten zu sehen, weil dieser seinem Blick stets auswich. Wir haben es also hier auch wieder mit einem gegenseitigen Spiegelphänomen zu tun. Was sich im Therapeuten regt, ist das Umkehrbild dessen, was im Kranken vor­ geht. In der symmetrischen Beziehung, der Spiegelbeziehung, wurde der »Blick«, der im Kranken Spaltungsphänomene hervorrief, auf dem Umweg über den Therapeuten zu einer Art Suche nach einer Synthese. Bisweilen sieht sich unser therapeutisches Engagement allerdings Situa­ tionen ausgesetzt, die wahren Wüsten gleichen. Eine solche Wüste ist die chronische Schizophrenie. Uns dämmert dann das schreckliche Bewußtsein herauf, wie machtlos wir da sind. Das ist aber immerhin schon etwas: Bewußtwerdung des Absurden, des Unmöglichen. Eine verzweifelte Situation kann gar nicht real erfaßt werden, wenn man nicht zugleich auch gewahr wird, daß man sie nicht zu beeinflussen vermag. Und der Patient fühlt sich überdies besser verstanden, wenn er auf empathischem Wege spürt, daß der Therapeut um die sich in ihm ereignende Katastrophe weiß. 2. Die Struktur der Deutung und der Übertragung in der psychotherapeuti­ schen Behandlung Deutungs- und Ubertragungsprobleme müssen zusammen genannt wer­ den. Denn ich bin der Überzeugung, daß bei schizophrenen Erkrankungen der Deutung der Beziehung ein Gewicht zukommt, wie nirgendwo sonst in­ nerhalb der menschlichen Psychopathologie. Die Deutung wirkt als Vektor aller zwischenmenschlichen, aktuellen Ereignisse, die sich im Beziehungs­ raum der beiden Partner abspielen. Das Deuten psychotischer Erfahrungen setzt sich keineswegs zum Ziel, Unbewußtes bewußt zu machen, dem be­ rühmten FREUDschen Motto folgend: »Wo Es war, soll Ich werden.« Sie will vielmehr versuchen, die vorhandenen psychischen Fragmente —gespaltene Ichteile und Weltbruchstücke - in eine Struktur einzubringen, die sich im Laufe der Zeit als das Selbst des Patienten und als das Bild seines Partners heraussteilen kann. Zunächst einmal wird diese Struktur von zwei Personen eingegrenzt, vom Therapeuten wie vom Patienten, die beide in den Ent­ wicklungsprozeß involviert sind. Im Zusammenhang damit ist einiges Grundlegende nochmals in Erinne­ rung zu rufen: a) Das schizophrene Ich ist ein fragmentiertes Ich, wobei die einzelnen Fragmente nicht in allgemeinverständlichen Gedanken Gestalt und Sprache annehmen können: Denn Sprache hat ihren Sitz im Ganz-Ich. Nun gibt es aber auch im chronischsten Schizophrenen ein »Rest-Ich«, gewissermaßen ein Relikt des ursprünglichen Ich. Diesem eignet - trotz aller Ambivalenz 293

ein unaufhaltsamer Drang, sich mit dem therapeutischen Objekt zu verei­ nigen. Wir wenden uns nun in der Therapie gerade diesem »gesünderen« Ichanteil zu, suchen ihn zu unserem Verbündeten zu machen, um dann gemein­ sam um ein Verständnis dessen zu ringen, das sowohl für den Kranken wie auch für uns selbst jenseits des Begreifens liegt: Wir dürfen nie vergessen, daß mit der Schizophrenie gewöhnliches Verstehen ein Ende findet. Wird doch das denkende Ich durch diese Krankheit nicht einfach ins Unbewußte abgedrängt, sondern von den unbewältigten Konflikten und Komplexen gespalten bzw. aufgelöst. Wenn also ein Patient davon überzeugt ist, daß ihn die Leute auf der Straße auslachen, geschieht das nicht bloß aus der Projektion einer tiefen Selbstverachtung heraus. Es genügt nicht, die Psychose mit den Koordina­ ten logischen Denkens zu überziehen, als ob sie eine Variante der Neurose wäre. Dabei übersähe man nämlich die Tatsache, daß eine chronifizierte Selbstverachtungstendenz - um bei diesem Beispiel zu bleiben - mehr und mehr die Ichstruktur angreift, so daß von einem gewissen Punkt an die Wahrnehmungen nicht mehr in die Ichstruktur integriert werden können. Ist der zentrale Ichkern zerfallen, lassen sich die laufend sich ändernden Er­ eignisse in kein kohärentes Ordnungssystem einbringen. Das heißt wieder­ um, daß es kein kohäsives System mehr gibt, das dem Reizansturm von au­ ßen zu widerstehen und die Umweltreize zu assimilieren vermag. Das Ich wird von den herangeschwemmten Bildern verändert, verformt, verwan­ delt. Das Wahrgenommene ergreift es vollständig, statt einen ihm zuste­ henden »Platz« einzunehmen. Die Objektvorstellungen rauben dem Ich seinen Raum, dabei wird das Ich aufgelöst, und der Kranke erlebt die Ob­ jektvorstellungen als etwas, das ihn beeinflußt und lenkt. Daraus ergeben sich für ihn kausale Zusammenhänge, die ihm höchst schleierhaft Vorkom­ men oder für ihn eine neuartige Gesetzwelt begründen. Alles scheint sich auf ihn zu beziehen. Das Ich wird damit sozusagen zum Objekt seiner frühe­ ren Objekte. Zur Tatsache, daß die objektive Welt die subjektive fortwährend verzerrt und verwandelt, gesellt sich ein zweites, das zu dem eben genannten Ge­ schehen in einem gegensätzlich-spiegelbildlichen Verhältnis steht: In Er­ mangelung eines Ichkerns können auch die innerpsychischen Vorgänge nicht mehr organisiert werden. Der Patient erlebt sie so, als spielten sie sich in der Außenwelt ab. So wird zum Beispiel der Zustand inneren Aufgelöst-Seins dem Weltuntergang gleichgesetzt. Damit ist aber die schreckliche Magie der Psychose auf ihrem Höhepunkt angelangt. Innerhalb eines derartigen Geschehens will das Deuten nur eines errei­ chen: das Übersetzen desorganisierten, zersplitterten, unverständlichen Gedankengutes, welches Ausfluß einzelner Ichfragmente ist, in rationale Gedanken und Vorstellungen des Therapeuten. Diese mögen zwar speku294

lativ sein, kommen aber, aus der identifikatorischen Haltung des Therapeu­ ten heraus, dem Erleben des Patienten oft nahe. Eine Funktion der Deutung ist es also, alles, was sich im und um den Kranken herum ereignet, in rationale Bahnen zu lenken. Gelingt es uns bei­ spielsweise, einem noch nicht ganz desorganisierten Patienten zu zeigen, daß er sich der Bilder der Außenwelt bedient, um innere Probleme darzu­ stellen - und daß ihn vielleicht auch seine Mitmenschen dazu »mißbraucht« haben könnten, ihre eigenen Probleme auszuleben, dann fühlt er sich oft er­ leichtert. Nicht allein das Verstehen dieser Dinge läßt ihn aufatmen, son­ dern auch die Tatsache, daß er uns versteht. Denn damit wird er uns ähnlich; er verläßt den Bannkreis der Magie und bewegt sich erneut in allgemein­ menschlichen Kategorien. Oft ist aber der Patient außerstande, uns zu verstehen, weil ihm kein zu­ sammenhängendes Ich mehr zur Verfügung steht, mit dem sich Welt logisch erfassen ließe. Und doch erhascht er jeweils —wie in einem unendlich fer­ nen Spiegel - jenes integrierte Bildnis, das wir uns von ihm geschaffen ha­ ben, und er beginnt in der Folge, sich langsam darauf zuzubewegen. Durch die Deutung wird absurd-bizarres Aktualerleben mit etwas Nor­ malem verknüpft, das der Vergangenheit des Kranken angehört; mit der Deutung wird die Assimilierung psychotischer Fragmente in - psycholo­ gisch gesehen - normales Erleben stimuliert. Mit diesem Instrument ist uns die Möglichkeit gegeben, die Erlebenswei­ sen der Psychose in jene ursprünglichen Dimensionen zurückzudrängen, die noch im präpsychotischen Stadium galten. Wahnhafte Kausalität wird in rationale Form übersetzt. b) Es scheint mir auch wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, daß die Übertragung in der Psychose andere Wege geht als in der Neurose. Be­ kanntlich vollzieht sich in der neurotischen Übertragung die Projektion des pathogenen Partners auf den Therapeuten. In der Psychose kommt indes­ sen das Phänomen der »Identitätskonfusion« hinzu: Der Kranke erlebt ge­ wisse Teile seiner selbst, als gehörten sie dem anderen. In der Identitäts­ konfusion liegt aber der Ausbruch der Psychose begründet; daß sie sich auch innerhalb des Übertragungsfeldes re-inszeniert, ist nicht nur unver­ meidlich, sondern bedeutsam, denn der Kranke objektiviert dadurch »im anderen« ein Phänomen, das sonst autistisch abgekapselt bleibt, ein Phä­ nomen, das er mit keinem äußeren Bezugspunkt zu verknüpfen vermag, ohne gleichzeitig in ihm zu »ertrinken«. c) Deuten kann nicht einfach mit rationalem Erklären gleichgesetzt werden. Es ist in die affektive Reaktion des Therapeuten eingebettet, ist in sie integriert und hebt sich somit von der innerpsychischen Desintegration des Kranken ab. Das Instrument, das uns mit den Urbildern des Unbewuß­ ten und den Symbolen schizophrenen Erlebens in Verbindung bringt, liegt wesentlich in unserem Gefühlsleben verankert: Es ist die Fähigkeit, uns von diesen Bildern ergreifen und innerlich bewegen zu lassen, ohne daß wir da295

bei Spaltungsphänomenen anheimfallen. Wir teilen also dem Patienten die Wirkung mit, die seine Symbole auf uns ausüben, und nicht bloß unsere »Be­ trachtung« derselben. Es genügt nicht, sein Unbewußtes zu erhellen, son­ dern wir stehen vor der Aufgabe, dieses Unbewußte in das unsrige zu inte­ grieren. Obwohl wir uns in diesem Schlußkapitel kurz fassen möchten, soll ein Beispiel un­ sere These veranschaulichen: Eine Patientin erlebte ihre Ichspaltung im Bild zweier aufeinanderprallender Kriegsheere. Unter Aufbietung all ihrer inneren Kräfte ver­ suchte sie, die gegenseitige Zerstörung ihrer Selbstteile durch die Wahnidee zu ver­ hindern, daß sie kein Auge mehr schließen dürfe, da sonst die Welt zusammenbre­ chen würde. Das Offenhalten der Augen bedeutete offenbar Aufmerksamkeit, Vi­ gilanz, Wachheit. Und Aufmerksamkeit ist, wie F r e u d und R a p a p o rt ausführten, eine Uberbesetzung von Bewußtsein. Durch diese einzige ihr zur Verfügung ste­ hende Besetzungsmöglichkeit versuchte die Patientin, ihre Identität aus der sich an­ bahnenden Fragmentierung herauszuhalten. Die Psychotherapeutin setzte zunächst alles daran, ihr plausibel zu machen, daß die beiden Heere nichts anderes als Anteile des Ich waren, die im Gefolge vorange­ gangener und übermäßig stark introjizierter Familienereignisse in einer konflikt­ haft-gespaltenen Beziehung zueinander standen. Aber die Kranke sah in dieser Deutung wenig Sinn. Entscheidend war nun, daß die Therapeutin der Deutung die Bemerkung hinzufügte, die Patientin könne die Augen ruhig schließen, denn sie, die Ärztin, würde nun an ihrer Statt wachen. Eine solche Deutung entsprach nicht mehr dem Versuch, die psychotische Situation psychodynamisch zu klären, sondern viel­ mehr einem »Sprung« in die Situation selbst. Die Therapeutin übernahm eine Rolle, die die Kranke selbst nicht mehr wahrnehmen konnte, wobei sie durch den Wahn des »Blick-nicht-Abwendens« der Gefahr zu entgehen versucht hatte. Zahllose Beispiele wie das eben genannte lassen uns die Feststellung wa­ gen, daß nicht allein wir es sind, die die psychotischen Bilder des Kranken deuten; wir selbst werden vom Patienten gedeutet: Gedeutet wird unsere Art, auf seine Symbole und Symptome einzugehen. d) Das zentrale Problem der Psychosentherapie steckt somit in der dy­ namischen Funktion der Deutung, die sich aus der Patient-Therapeut-Beziehung ergibt. Es ist immer wieder erschütternd, mitansehen zu müssen, wie sich das äußerst schwache und fragmentierte Ich des Schizophrenen als unfähig erweist, jene Gesamtheit an geistigen Operationen zu vollziehen, mit deren Hilfe beispielsweise der Neurotiker auf dem Wege der Einsicht Konflikte und Komplexe durchzuarbeiten vermag. Das schizophrene Ich wird indessen von seinen Konflikten nicht nur umgetrieben, sondern desin­ tegriert, wobei die Auflösungsprozesse oft vor allem dann um sich greifen, wenn man versteckte Probleme ans Licht zu bringen sucht. Eine eindrückliche Konsequenz therapeutischer Identifizierung ist die eintretende Umkehridentifikation des Patienten. Er identifiziert sich nicht bloß mit der Summe therapeutischer Deutungen und Einsichten, sondern insbesondere auch mit der Repräsentanz eines organisierten Ich, die poten­ tiell gesehen die seinige sein könnte, zunächst aber noch in der Vorstellung des Therapeuten ruht und mit ihr verschmilzt. Deshalb kommt es auch zur 296

sogenannten »Identitätskonfusion«. Es gibt Patienten, die während der Therapiestunden der Überzeugung sind, daß die Stimme des Therapeuten aus ihnen selber spreche oder daß ihre eigene Stimme aus dem Therapeuten ertöne. Meine These geht dahin, daß die therapeutische Identitätskonfu­ sion ein Weg zur Überwindung jener Identitätskonfusion sein kann, in der die Psychose gründet. Die erste ist die Umkehr der zweiten. e) Da die defiziente Kohäsion und Integration des schizophrenen Ich zum Teil wenigstens - auch auf einem Mangel an positiven Erfahrungen be­ ruhen, die der Selbstidentität Halt vermitteln sollten, liegt ein therapeuti­ scher Weg im Versuch, jene positiven Ichanteile aufzuspüren und sichtbar zu machen, die eine dual integrierende Potenz entfalten. Das schließt je­ doch die zweite Aufgabe nicht aus, den Kranken immer wieder auf seine selbstdestruktiven Impulse aufmerksam zu machen, die ihn asozial stimmen und ihn auf tragische Weise aller Beziehungen berauben. 3. Die Integration der therapeutischen Person in die Psychopathologie des Kranken Aus der Sicht des Autismus besteht die Möglichkeit, die schizophrene Psy­ chopathologie als einen Widerstand dagegen zu betrachten, mit den Men­ schen, deren Zuwendung und deren Intentionen, die den Kranken überfor­ dern und spalten, in Kontakt zu treten: Dann werden einfach allgemeine Regeln der Logik, des Denkens und des Einfühlens abgelehnt. Schizophre­ ner Widerstand erscheint wie ein verzweifeltes Sich-Anklammern des Kranken an die Fragmente einer in der Begegnung mit Menschen ausein­ andergebrochenen Welt. Diese Fragmente, das Letzte, was dem Patienten noch verblieben ist, will er um keinen Preis mit anderen teilen. Er entzieht sie weitgehend unserem Blick- und Verstehensfeld. Was geschieht, wenn es uns unmöglich ist, den autistischen Widerstand durch klärende Deutung zu überwinden und uns die Einsicht überkommt, daß der Kranke ohne den Widerstand nur noch weiter fragmentiert wäre, und wir dem wiederum durch den Versuch begegnen, die therapeutische Objektrepräsentanz in das System des Widerstandsnetzes und in das schi­ zophrene Symbol zu integrieren? Auch hier meine ich einer gewissen Ten­ denz der schizophrenen Psychopathologie entgegenzukommen, wenn ich von einer therapeutischen »overinclusion« spreche, welche jene Ich-Kohäsion stärken soll, deren Mangel den Widerstand hervorruft. Das Konzept der »overinclusion« ist in der Psychopathologie der Schizophrenie bekannt. In unserem Kontext verwende ich diesen Begriff, um einen der Psychopa­ thologie dialektisch entgegengesetzten Pol zu bezeichnen, der für den An­ satz von Integrationsbestrebungen steht. Der in Gang kommende Prozeß wird zur Triebfeder für Verwandlungen von einer autistischen zu einer kommunikativen Struktur hin, und er bereitet zugleich den Boden für introjektive Vorgänge, die sich nur innerhalb eines stabilen Ichkerns vollziehen 297

können. Für den Therapeuten ist dies ein Weg, um mit dem Kranken in Be­ ziehung zu treten, ohne zugleich dessen dringend benötigte Abwehr anzu­ greifen, ohne ihm jene Symptome abzusprechen, aus denen er besteht. Be­ rauben wir ihn seiner einzigen Seinsform, taucht - wie sich L a in g ausdrückt - eine »Implosionsgefahr« auf. Freilich kann das therapeutische Ich vom Kranken nur dann gefahrlos »einverleibt« werden, wenn es selbst, weit da­ von entfernt, eine Uberich-Intropression ( F e r e n c z i ) auszuüben, im Erle­ ben des Kranken zu einem »pathischen Objekt« von dessen Psychose wird. Wenn wir davon ausgehen, daß die schizophrenem Denken inhärente Ab­ surdität eine Art »Wall« ist, der die letzten Freiheitsrelikte des Kranken schützt, wird auch klar, daß ein nur rationales Deuten von ihm als gefähr­ dend empfunden werden muß. Es erscheint ihm als eine in der Luft hän­ gende Spekulation, als eine unserem autistischen Denken entstammende Projektion, die sich auf ihn stürzt. Die Bedingung zur Kommunikation, die der autistische Schizophrene indirekt, implizit, präverbal, an uns stellt, ist wohl die, nur innerhalb jener Symptomerscheinungen zu kommunizieren, die für ihn die einzige Existenzform sind. Aus der therapeutischen »overinclusion« im schizophrenen Symbol geht jenes kommunikative Symbol her­ vor, das aus dem Autismus ausbricht, weil es sich auch durch das Erleben des Therapeuten hindurchzieht und dadurch zu einer Art dualisiertem Au­ tismus wird, dessen ureigentliche Dimension transzendiert. Die sich daraus ergebende Beziehung entwickelt wiederum eine Dynamik, die auf der Fä­ higkeit beruht, psychopathologische Erlebensweisen des Kranken in einen Dialog zu transponieren, ohne sie gleichzeitig zu negieren oder als »krank­ haft« abzutun. Dann aber kann es geschehen, daß sich der Patient dem The­ rapeuten öffnet und diesem einen Blick in sein Inneres gewährt. Dieses Aufbrechen wird möglich gerade aus dem therapeutischen Durch- und Miterleben der vorangegangenen autistischen Abkapselung. Auch die schizophrene Regression kann, sofern sie nicht nur Desintegra­ tionsprozeß ist, als Widerstand aufgefaßt werden. Indem sie aber die Imago des Therapeuten in sich einschließt, wandelt sie sich allmählich zu einer progressiven Tendenz. Gerade dank der Regression ist »overinclusion« möglich. Sie setzt wiederum die Entwicklung einer autonom ablaufenden Ichintegration in Bewegung. Einmal mehr stoßen wir hier auf grundlegende Unterschiede zwischen Neurosen- und Psychosentherapie. Bei der ersteren liegt der Hauptakzent im Verstehen, im Deuten und Durcharbeiten der Symptome. Auch in der Schizophrenietherapie sind Verstehen und Deuten von zen­ traler Bedeutung, wobei wir freilich nicht nur die Konflikte selbst interpre­ tieren, sondern auch die Art und Weise, in der der Kranke sie zu bewältigen versucht und dabei Teile seines Selbst in die Realität transponiert. Aber die zweite Hälfte der Therapie läuft auf eine Ichintegration hinaus, bei der der Therapeut selbst zum Integrationsteil wird, und zwar durch seine Disposi­ tion, mit dem Patienten zu sein und sich mit ihm zu identifizieren. Er taucht 298

in dessen Wahnzustände und Halluzinationen ein, so wie er sich mit ihm auch in seine Todesängste und in seine Hoffnungen teilt, im »Labyrinth« und »am Fuße der Sphinx«. Bei alledem spielt die Phantasie therapeutisch eine wichtige Rolle. Ver­ einzelte Therapeuten bringen es dank ihrer intensiven Phantasietätigkeit fertig, sich gänzlich in das fragmentierte Erleben des Kranken hineinzube­ geben. Symbolisch erleben sie die Desintegration, um sich hinterher im Pa­ tienten neu zu konstituieren. Damit wird das gefördert, was wir in einem früheren Kapitel die Gegenidentifikation des Patienten mit seinem Thera­ peuten genannt haben. Ein solcher Therapeut wird also zum Spiegel und Organisator eines in viele Einzelteile zersplitterten Ich. Er kann dies aller­ dings nur in dem Maße tun, als er durch die Identifikationsvorgänge bereit ist, mehr als nur Beobachter der psychotischen Ereignisse zu sein. Er soll auch zu deren Objekt werden. Es geht hier also nicht nur um Psychoanalyse, sondern auch um Psychosynthese. Vollzieht sich diese innerhalb des schizophrenen Symbols, so gleicht sie der »symbolischen Realisation« - wobei sie allerdings nicht nur, wie in der so benannten Methodik, orale und anale Bedürfnisse realisiert. Eher sollte man vom Ringen um eine in die menschliche Beziehung inte­ grierte Existenz sprechen. Aus dieser Sicht wird das Sinnbild zum eigentli­ chen Sinn, nichts ist »nur symbolisch«. Im übrigen werden nicht einfach un­ bewußte Regungen des Patienten in die bewußte Wahrnehmung überführt. Zunächst müssen sie sich überhaupt in seinem Unbewußten konstellieren, ein Vorgang, der nur in der Interaktion mit dem Therapeuten möglich wird. Ohne diese Interaktion verfließen die Triebwünsche ineinander, wie auch sonst bei innerpsychischen Spannungen, die unentwickelt und konturlos sind. Aus alledem folgern wir, daß die Psychotherapie der Schizophrenie rela­ tiv unabhängig wird von einer psychogenetischen Krankheitsauffassung. In der Tat scheinen die hypothetischen biologischen Faktoren, die die Basis der Integrationsprozesse bilden sollen, »offenen Systemen« zu gleichen, deren Entwicklung von eben den fortwährend einflutenden Informationen beeinflußt wird, die sie zu verarbeiten haben. Die Funktion stellvertretenden Erlebens ist ein Aspekt der psychothera­ peutischen Beziehung. Sie gestattet jedem der beiden Partner, eine Seins­ weise des anderen zu introjizieren und zu einem eigenen innerpsychischen Prozeß zu machen. Dieses Phänomen ist erst nach langwierigem Erforschen schizophrener Erkrankungen in unser Bewußtsein gelangt. Die Schizo­ phrenie wird dadurch zu einem überdimensionierten Mikroskop, das ver­ borgene menschliche Daseinsformen sichtbar macht. Und das ist auch von anthropologischer Bedeutung: Die Schizophrenie amplifiziert gewisserma­ ßen allgemein menschliche Situationen, die wir dann mit dem von ihr ge­ schärften Auge auch außerhalb des Krankheitsfeldes zu erkennen vermö­ gen. Grundsätzlich menschliches Dasein wird somit transparenter. Man 299

denke etwa an jene Schizophrenen, die sich als Exponenten gesellschaftli­ cher und existentieller Widersprüche erweisen: Unser menschliches Dasein ist ständiges Hin-und-her-gerissen-Sein zwi­ schen Liebe und Haß, Anpassung und Rebellion, Altruismus und Egois­ mus, Askese und Sinnlichkeit. Der Schizophrene ist nicht nur mitten in diese Widersprüchlichkeiten hineingestellt, sondern er radikalisiert sie oft auf groteske Weise. In seine halluzinatorische Sprache fließen die ebenso großen wie schrecklichen Symbole des absolut Bösen und des absolut Guten ein: der Garten Eden, die bedingungslose Aufopferung für die anderen, die totale Zerstörung von Welt. Von den individuellen Lebensereignissen des einzelnen Menschen abgesehen, wird Schizophrenie zu einem Grenzbereich menschlicher Exi­ stenz schlechthin. Sie ist Ausdruck eines unendlich verstärkten Leids, das in verminderter Form allem Dasein innewohnt. Die vikariierende Funktion des therapeutischen Unbewußten, von der in dieser Schlußbetrachtung die Rede gewesen ist, soll im folgenden durch ein Beispiel veranschaulicht werden: Eine grenzpsychotische Kranke wehrte alle banalen Aspekte ihres Le­ bens in der Weise ab, daß sie sich während der Analysestunden in einer maßlosen Idealisierung der Therapeutin erging. Sie wurde nicht müde, deren Intelligenz und deren Begabung zu rühmen. Der Therapeutin gelang es nun in keiner Weise, das geradezu monolithisch anmutende Verhalten der Patientin mit Deutungen anzugehen. Infolgedessen langweilte sie sich während der Sitzungen grenzenlos. Mit dieser Langeweile schützte sie sich also vor der unangenehmen Be­ wunderung und den massiven Verführungsversuchen der Kranken. Sie war aber auch verschleierter Ausdruck von Aggressionen, die sich an der Starr­ heit der Patientin entfachten. Ganz realistisch gesehen, lag ihr wohl auch Resignation zugrunde: eine geradezu menschlich zu nennende Reaktion angesichts einer Lage, die sich durch nichts verändern ließ. Vom psycho­ analytischen Standpunkt aus betrachtet, waren all diese Aspekte der thera­ peutischen Abwehr durchaus verständlich, vermochten aber dem ganzen Sachverhalt nicht gerecht zu werden. Dieser trat in einer viel späteren Phase der Psychotherapie zutage, als sich die Patientin allmählich mit der Immo­ bilität ihrer Existenz konfrontiert sah. Diese absolute Erstarrung kam auch in einem Traum zum Ausdruck, in dem sie zusammen mit ihren Eltern auf­ trat: Alle drei waren sie zu Stein geworden. Im Hintergrund ein ebenso er­ starrtes Meer, in dem nicht die geringste Wellenbewegung sichtbar war. Von diesem Augenblick an wurde die Patientin der ehedem idealisierten Therapeutin gegenüber sehr aggressiv. Darüber hinaus begann sie eine töd­ liche Langeweile zu empfinden. Eine Langeweile, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. Es war, als ob ihre ganze bewegungslose psychische Vergan­ genheit auf die Analysestunden projiziert, in sie hinein verdichtet worden wäre. 300

Jetzt kam auch Leben in die Therapeutin. Mit einem Mal spürte sie, wie sich die eigene gähnende Langeweile nicht als Aggression gegen die Patien­ tin oder als narzißtische Reaktion interpretieren ließ. Vielmehr schien sie der unbewußten Entscheidung zu entspringen, der Patientin stellvertretend und antizipatorisch zugleich eine emotionale Last abzunehmen, die diese nicht wahrzunehmen vermochte. Das Erleben der Therapeutin in der kriti­ schen Phase ihrer Langeweile war nicht nur Antizipation einer späteren Er­ kenntnis gewesen, es signalisierte auch die Bereitschaft, eine für die Kranke vorläufig unerträgliche Emotion stellvertretend zu erfahren und sie diese präverbal erleben zu lassen. Unsere Auffassung von Psychotherapie will in eine a priori entmenschli­ chende Krankheit eine anthropologische Dimension einführen. Wir gehen dabei von einfachsten und zugleich fundamentalen Parametern aus, deren wichtigster die Kommunikation ist. Eine Kommunikation, die hauptsäch­ lich im Zuhören-Können ihren Anfang nimmt. Oft beschränkt sich der Therapeut sogar darauf, seinem Patienten zuzuhören und mit ihm im Laby­ rinth seiner Leidensgeschichte herumzuirren. Seine sichtbare Aktivität re­ duziert sich manchmal auf kurze Kommentare, die die eigene affektive Par­ tizipation kundtun - als Kontrapunkt gewissermaßen zum inneren MitLeiden. Kommentare, die die Berichte des Kranken mit unserer Gegen­ wart, unserem Mit-Sein skandieren. Mit-Sein offenbart sich in der Bereit­ schaft, auf den Kranken zuzugehen und ihm zuzuhören. Und der Patient nimmt dies wahr, als wäre es ein Wassertropfen, der in der unendlichen Dürre seiner seelischen Wüste niederfällt, ein Tropfen, der an den Felsen des Widerstandes zerschellt. Dieser Tropfen ist es indessen, der im Laufe der Zeit Leben in die Wüste bringt und den Widerstand aushöhlt: therapeu­ tische Präsenz also, die sogar noch ohne Deutung auskommt, aber den Bo­ den dafür vorbereitet.

XXXI. Rück- und Ausblick Es sind fast achtzig Jahre verflossen, seitdem J u n g 1903 seine ersten schi­ zophrenen Patienten im Burghölzli analytisch behandelt hat. Psychoanalyse und Psychotherapie der Psychosen ist heute ein Gebiet, das sich, zumindest was die Schizophrenie und ihre Grenzformen anbetrifft, in Tausenden von wissenschaftlichen Publikationen niedergeschlagen hat. Wenn ich das Grundanliegen dieser Arbeit, die ich vor bald drei Jahr­ zehnten gemeinsam mit C h r istia n M ü l le r (1957) in der Schweiz zu ent­ wickeln begann, auf eine kurze Formel bringen darf: Psychotherapie, wie ich sie vertrete, versucht psychotische Störungen der Ichbildung und des Ichvollzuges - oder wie S charfetter (1976) sich ausdrückt, der Ichidenti301

tat, der Ichkonsistenz und der Ichdemarkation - in ihrer lebensgeschichtli­ chen Perspektive zu verstehen und zu beantworten. Man nimmt an, daß besondere psychopathologische zwischenmenschli­ che Vorgänge der Kindheit und der Adoleszenz zu einer Identitätsstörung führen. Sie wurden von verschiedenen Autoren ausführlich beschrieben, und ich möchte sie hier nur stichwortartig erwähnen: »double bind«, B ate ­ s o n et al. (1956); »Pseudomutualität«, W y n n e et al. (1958); »Verletzung der Generationengrenze«, L id z (1968); »amorphe oder fragmentierte Aufmerksamkeitsleistungen im Familiengespräch«, »Transmission von Ir­ rationalität«, W y n n e et al. (1965); verlängerte oder fehlende »postnatale Symbiose«, M a h le r (1970); »pathologische projektive Identifikationen«, R o s e n f e l d (1969); »abnorme Vorgänge der Familienbindung und Dele­ gierung auf Es-Ich- oder Überichebene«, S tierlin (1975). Die Identitäts­ störung kann später in eine schizophrene Psychose einmünden: dann näm­ lich, wenn das Ich in oder nach der Adoleszenz durch Realitätsprüfung, durch das Verstehen zwischenmenschlicher Zusammenhänge, durch die Unterscheidung von eigenen und fremden Handlungen, Gefühlen und Mo­ tiven eigentlich gestärkt werden sollte. Freilich sind die genannten psychotherapeutischen Studien, wie alle Ver­ stehensmodelle in der Psychiatrie, keine Beweisführungen im ätiologischkausalistischen Sinne. Aber sie haben hinter dem Schizophren-Unver­ ständlichen verständliche Erlebensmuster vergegenwärtigt, den Psychiater zu einer intensiveren Zuwendung zum Kranken motiviert und dem psycho­ logisch behandelten Kranken sowohl eine Erfahrung der Dualität wie auch einen Schlüssel zu einer Rationalisierung der Psychose und zu einem integrativen Selbstverständnis angeboten. Indem der Kranke mit produktiven Symbolen darauf reagiert, die wiederum psychotherapeutisch beantwortet werden und die eine kommunikative Entwicklung in Gang setzen, zeigt sich, daß die Wahrheit einer solchen Erkenntnis zwar keine naturwissen­ schaftliche ist und eine biologische Teilgenese nicht auszuschließen braucht, wohl aber einer operativen Wahrheit im therapeutischen Sinne gleichkommt. Das Verstehen, eine Grundlage der Psychotherapie, wird dem Kranken nicht immer, wie etwa durch die Deutung, als rationale Formulierung mit­ geteilt. Es bestimmt aber unser therapeutisches Verhalten in Worten, Ge­ fühlen und Handlungen. Das Unbewußte des Kranken wird verstanden und gelegentlich gedeutet, indem der Psychotherapeut sich durch einen Prozeß der Identifikation in die lebensgeschichtlich wichtigen Situationen seines Patienten versetzt und dessen innere Erlebnisse in sich selber durch Phanta­ sien, Träume und Signale des Unbewußten wiederholt, auf daß der Kranke sich einerseits an die eigenen wieder erinnert wie auch andererseits Neues im mitmenschlichen Raum zu vollziehen vermag. Durch den überwiegend verbalen Charakter dieser Therapieform, durch den ständigen Rückblick auf Vergangenheit und Kindheit und den Einbe302

zug des Unbewußten grenzt sie sich von anderen, gelegentlich mit ihr kom­ binierten psychologischen Verfahren, wie präverbale Psychotherapie, leib­ orientierte Therapie, Musik- und Soziotherapie und Verhaltenstherapie ab. Sie präsentiert sich also als eine ausgesprochen analytisch orientierte Therapie. Diese gründet in der dualen Erfahrung von Psychopathologie, wobei durch die Gegenübertragung manche Gespaltenheit, Depersonalisation und mancher Transitivismus des Kranken vom Psychotherapeuten als ei­ gene Grenzerfahrung erlebt wird. Die Entwicklung der Psychotherapie der Psychosen während der letzten zwei Jahrzehnte zeigt, wie sehr sich die Beiträge der Psychoanalyse von F r e u d , der analytischen Psychologie von J u n g , der Daseinsanalyse von B in s w a n g e r und des amerikanischen Transaktionalismus miteinander ver­ schmolzen haben. Neuerdings versucht S tierlin (1975) Systemtheorie und Psychoanalyse durch den Begriff der »transpersonalen Abwehr« zusam­ menzubringen. So möchte auch diese Arbeit innerhalb der Psychiatrie ein Vermittlungsversuch sein zwischen psychoanalytischen, psycho-soziodynamischen und existentiellen Aspekten menschlicher Psychopathologie. Indem ich nun versuche, dem Leser einen zusammenfassenden Über­ blick über die seitherige Entwicklung der individuellen Psychotherapie zu verschaffen, möchte ich festhalten, daß ich diese Entwicklung, wenn auch auf stark vereinfachende Weise, als eine Folge von drei Phasen verstehe, von denen die erste nicht etwa durch die zweite, und diese wiederum nicht durch die dritte abgelöst wird. Vielmehr hat eine jede sich in einem ihr eige­ nen Raum entwickelt, der durch die an ihn angrenzenden Phasen weiter ausdifferenziert worden ist. Die erste Phase, die ich zeitlich nicht abzugrenzen vermag, war durch die Entdeckung der psychoanalytischen Dimension des Deutens in der Schi­ zophrenietherapie charakterisiert. F r e u d ging allen voran. Mein erster Lehrer, J o h n r o s e n , sprach von der »direkten Analyse«. Die gleichzeitige Arbeit der Washington School of Psychiatry, allen voran S u l l iv a n , grün­ dete ebenfalls in einem durch die »participant observation« ermöglichten, sich einfühlenden Deuten. Wegleitend in Europa war ein Schüler von M e­ la n ie K l e in , R o s e n f e l d , welcher durch die Entwicklung des Begriffes der projektiven Identifizierung viel zum Verständnis der schizophrenen Psychodynamik beigetragen hat. Andere Namen ( A r l o w , A rieti , B a c h , B e e se , B o yer , P a n k o w ) seien hier noch genannt. Deren Auffassung von Deuten spiegelt im großen und ganzen drei ideal­ typische Gesichtspunkte wider, die es von der Psychoanalyse der Neurosen etwas abgrenzen: 7. Gegenwart als Schwerpunkt des Deutens: Bei der Unfähigkeit des schi­ zophrenen Kranken, sich die eigene Vergangenheit zum Gegenstand der Reflexion zu machen, werden Situationen der Angst, der Abspaltung, der Entfremdung usw. überwiegend in der Gegenwart der Arzt-Patient-Bezie303

hung und im Hinblick auf die Distanz- und Nähebedürfnisse des Kranken gedeutet. S u l l iv a n und F r ie d a F romm - R e ic h m a n n wurden nie müde, auf die unterschwelligen Angstspannungen hinzuweisen, die ihm aus dem Ge­ spräch erwachsen. 2. Keine angstauslösende Widerstandsanalyse! Fast alle Autoren haben die gemeinsame Erfahrung hervorgehoben, daß Abwehrsysteme, welche einerseits als derealisierende Kompensationsmechanismen einen großen Teil der schizophrenen Psychopathologie aufrechterhalten, dem Kranken andererseits zur Schaffung einer zwar psychotischen, aber immerhin be­ wohnbaren Welt unentbehrlich sind. Die gute Deutung reißt solche Ab­ wehrfronten nicht nieder, sondern arbeitet aufzeigend und klärend in den offen gelassenen Zwischenräumen, wobei versucht wird, diese langsam durch das Vertrautwerden der Beziehung zu erweitern. Diese beiden erstgenannten Gesichtspunkte gelten auch für die Grup­ pentherapie, dank der größere Patientenkollektive behandelt werden kön­ nen und deren Wirksamkeit auch statistisch erfaßbar ist ( B attegay ). 3. Ichstrukturelle Natur vieler schizophrener Hauptbedürfnisse: Beim Versuch, die Bedürfnisse des Kranken zu verstehen, entdeckte man, daß es sich dabei nicht nur um aus der menschlichen Psychologie bekannte Be­ dürfnisse handelt, wie Haß und Liebe, Bestätigung oder Triebbefriedigung usw.; viele sind ichstruktureller Natur: Sie manifestieren sich etwa in der Möglichkeit des Sich-Abgrenzens, des Sich-einheitlich- und Ichhaft-Fühlens, des Selbstschutzes zwischen Beeinflussung und Autismus und derglei­ chen mehr. Die zweite Phase wurde 1947 von M argrith S e c h e h a y e und deren be­ rühmter »Réalisation symbolique« eingeleitet. Entsprechende Erfahrun­ gen waren vorher schon von K la esi und von Boss gemacht worden. S e ­ c h eh a y e schuf mit ihrer Methode die Möglichkeit zu therapeutischen Handlungen, welche Erfahrungslücken in der fernen Vergangenheit des Kranken sowohl widerspiegelten wie auch durch »ernstes Spiel« auszufül­ len trachteten. Eine Variante dieser Einsicht liegt nun in der Erkenntnis, daß heutzutage das Handeln des Psychosetherapeuten auch ohne den zwangsläufigen Bezug zur Vergangenheit und zur verbalen Deutung auszu­ kommen versucht. Viele symbolische Realisierungen werden in meiner Psychotherapie allein durch die Worte erreicht. Eine weitere Variante tut sich schließlich in der Einsicht kund, daß nicht nur die therapeutische Handlung, sondern auch die Kreativität des Patien­ ten ( B e n e d e t t i ), welche durch die Psychopathologie des Ausdrucks in ih­ ren Symbolen längst erkannt worden ist, im dialogischen Raum der Thera­ pie und in der adäquaten Beantwortung durch uns eine ebenso große Rolle spielen kann wie das therapeutische Symbol. Der bisherige Überblick war eher kurz gefaßt, weil ich bei der dritten Phase dieser Entwicklung länger verweilen möchte: Man könnte sie die 304

»kommunikative Gestaltung der Psychopathologie auf der Grundlage ana­ lytischen Wissens« nennen. Meine jüngsten Erfahrungen entstammen die­ sem Raum, ohne daß aber die vorherigen fundamentalen Erkenntnisse auf­ gegeben worden wären. Wenn ich nach Pionieren dieser letzten Arbeits­ weise Ausschau halte, stoße ich auf Namen wie H a r o l d S ea rles oder O tto W il l . Der Begriff der »therapeutischen Symbiose« von S ea rles erscheint mir als die therapeutische Übernahme der ursprünglichen psychopathologisch-symbiotischen Verstrickung, die nun auf dem Umweg einer gemein­ samen Regression zu einem Kommunikationsmittel wird. Formen einer solchen psychotherapeutischen Dialogisierung der Psy­ chopathologie sind: a) Die Entwicklung der therapeutischen, schöpferischen Phantasie als eine Dualisierung der autistischen Psychopathologie. b) Die Verwertung psychopathologischer Bezüge, wie Appersonierung und Transitivismus, als archaische Erlebnisformen der Kommunikation. c) Das regressive Offenwerden des Patient-Therapeut-Paares für das sich im therapeutischen Raum bildende kollektive Unbewußte durch Träume und progressive Einfälle, so daß Symmetriebeziehungen entstehen und Rollen getauscht werden können. Wir erachten es also heute für wichtig, sich die positiven Aspekte der schizophrenen Psychopathologie im Ringen um die Kommunikation mit dem Kranken zu merken, um aus seinem destruktiven Erleben Neues zu schaffen: In der Ich-Entgrenzung kann der Kranke paralogische Fähigkei­ ten entwickeln, das Unbewußte des Therapeuten z.B. »lesen«, introjizieren, agieren: er kann also auf diese Weise mit ihm sein; in der Spaltung wer­ den in ihm Familienintrojekte als Stimmen, als fremde Einflüsse usw. be­ wußt und von ihm erkannt; im Autismus kann der Patient als ein Einsiedler erfahren werden, der in der Wüste nach einem göttlichen Ursprung sucht, den der Therapeut für ihn erblickt ( B e n e d e t t i ); in der Seifenblase, die den Kranken im Wahn gefangen hält, entwirft er ein Symbol seines zerbrechli­ chen, allem entrückten Daseins und bietet dem Psychotherapeuten die Möglichkeit, die Phantasie zu entwickeln, durch einen goldenen Faden mit ihm verbunden zu sein (Isom ); im schrecklichen Erlebnis des Kranken, durch die Augen des Therapeuten hypnotisiert und entleert zu werden (M e d r i , B e n e d e t t i ), offenbaren sich für letzteren Chance und Anstoß zu­ gleich zum Träumen: Es kann geschehen, daß er sich vom zyklopischen Auge seines Patienten durchbohrt fühlt, daß er jedoch in diesem Blick, dem er standhält, die Ewigkeit wahrnimmt. In der Begegnung mit dem schizo­ phrenen Kranken vermag der sensible Psychiater also eine Art »kommuni­ kative Psychopathologie« zu entwickeln, die sich der gespaltenen Sprachausdrücke und autistischen Symbole des Patienten bedient, um so eine für ihn erträgliche Kommunikationsform zu finden. W a t zl a w ic k berichtet uns sogar von schizophrener Zerfahrenheit, die durch die Dualisierung, 305

durch die Bereitschaft des Therapeuten, in der Sprache des Kranken zu re­ den, überwunden wurde. Diese auf analytischem Wissen beruhende Kommunikationstherapie, welche aus der Verbindung von Träumen, schöpferischen Einfällen und Phantasien des engagierten Therapeuten mit den Zerfallserscheinungen des Kranken besteht, ist nach dem psychoanalytischen Verständnis und nach der symbolischen Realisierung die dritte wesentliche Entwicklung in der Schizophreniebehandlung. Das eindrucksvollste Dokument der thera­ peutischen Wirkung manifestiert sich hier in der Entwicklung von progres­ siven Symbolen durch den Patienten selbst. Er erfährt zum Beispiel soge­ nannte »therapeutische Halluzinationen« (S charfetter ), wo er, der sich in seinem Beziehungswahn sogar von Vogelstimmen bedroht fühlte, den The­ rapeuten sagen hört, er solle den Vogelstimmen vertrauen und in ihnen Gott suchen. Eine meiner Patientinnen, die unter der Wahnidee litt, ständig von einem Zug überfahren zu werden, hörte den Befehl des Therapeuten ( B e n e d e t t i ), sich zwischen die Geleise zu legen, denn auch der Therapeut werde mit ihr auf den Zug warten. Der Patient wird über die Symbiose mit dem Therapeuten zum Psycho­ therapeuten seines Selbst, er appersoniert die therapeutische Substanz des Partners und erlebt transitivistisch die eigene Potentialität durch das Un­ bewußte des Therapeuten. Die therapeutische Symbiose hat letzten Endes den Sinn einer Positivierung psychotischen Erlebens durch den nicht bloß deutenden, sondern kreativ erlebenden Therapeuten: Diese »Positivie­ rung« darf nun aber beim Therapeuten auf keinen Fall eine Abwehr der ne­ gativen Aspekte des schizophrenen Erlebens einschließen. Vielmehr muß sich der Therapeut gefallen lassen, daß der Kranke die dämonischen Aspekte der Psychose auf ihn projiziert. Die Gefährdung durch einen aus der Wahrnehmung dieser Gefahr han­ delnden therapeutischen Partner, der sich wiederum durch die Infragestel­ lung seines Patienten gefährdet fühlt, kann zu einer Dualisierung der Ent­ grenzung, zu einer Sublimierung und kommunikativen Gestaltung von Transitivismus und Appersonierung führen ( B e n e d e t t i ). Die Wechselwirkung zwischen Patient und Therapeut vermag sich durchaus so zu vollziehen, daß die psychopathologischen Phänomene der Appersonierung und des Transitivismus dualisiert werden: Der Therapeut nimmt z.B. oft unbewußte Vorgänge des Patienten zunächst als eigene ag­ gressive Regungen, wie das S earles zeigte, als eigene neurovegetative Re­ flexe ( D ’A l f o n s o , H egy ) oder als eigene Träume und Phantasien wahr, be­ vor er zu einer kognitiven Einsicht gelangt. Mitunter kann er diese über­ nommenen und noch nicht abgegrenzten Vorgänge, nachdem sie durch ihn »gefiltert« worden sind, dem Patienten zurückerstatten, wie dies besonders bei der Mitteilung eigener Träume geschieht (M o rel li ). Die so durch den psychischen Metabolismus des Therapeuten hindurchgegangenen psycho­ pathologischen Aspekte erfahren während dieses Prozesses eine Sublimie306

rung und zugleich eine Öffnung auf kommunikative Horizonte zu, in die sich der Patient hineinzubegeben traut. Der Therapeut kann aber nicht nur gewisse Seiten des Patienten appersonieren, sondern auch eigene Aspekte durch die Seinszustände des Kran­ ken transitivistisch wahrnehmen, wie uns das besonders S ea rles in eindrücklicher Weise aufgezeigt hat. Die Kenntnis und die bewußte Verarbei­ tung dieser Prozesse dämpfen deren gefährliche Qualität, die sonst aus ei­ ner Absorbierung des Leidens durch den Therapeuten (v. W e iz sä c k e r ) oder aus einem Agieren der therapeutischen Ungeduld, Aggression, Mü­ digkeit und Hoffnungslosigkeit durch den Patienten bestehen würde. Der Patient gewinnt dabei wesentliche Erfahrungen, unter anderem diejenige, daß eigene Vorgänge der Appersonierung und des Transitivismus nicht nur absurde Projektionen und Introjektionen sein müssen (die mit Kopfschüt­ teln, Schweigen oder verbaler Abwehr beantwortet werden), sondern daß sie das Phänomen der Kommunikation in die autistischen Bereiche hinein­ tragen. Ferner erfährt der Kranke, daß er sich nicht, wie üblich, transitivi­ stisch mit einer fremden Umwelt identifizieren muß, die ihn bloß ängstigt und dann wahnhaft beeinflußt, sondern mit einem Therapeuten, der durch seine Identifikationsbereitschaft ihm als ein sublimiertes Spiegelbild seines Selbst gegenübersteht. Bei all diesen Erfahrungen zeichnet sich die Er­ kenntnis ab, daß psychosynthetische Gestaltungsmomente nicht weniger wichtig sind als psychodynamische Einsichten. Ich habe in den letzten Jah­ ren immer wieder die Erfahrung gemacht, daß sich in der psychotherapeuti­ schen Regression, die sowohl den Patienten wie auch Teile des Therapeu­ ten erfaßt und die bei letzterem auf einer besonderen Offenheit für die von F r e u d geschilderten Primärvorgänge der Psyche beruht, ein kollektives Unbewußtes konstelliert. Und in ihm finden dann gleichzeitig jene Vor­ gänge statt, die beim Patienten eine »Ubertragungspsychose« darstellen und sich beim Therapeuten als deren Spiegelung in einer auf duale Fort­ entwicklung gerichteten Weise gestalten. Die Wahrnehmung der Spiegel­ beziehung durch den Patienten führt zu kreativen Symbolen, zu Bildern bisweilen, die eine Spaltung sowohl des Patienten wie auch des Psychothe­ rapeuten ausdrücken. Eine solche Spiegelfigur wäre undenkbar, wenn der Therapeut nicht manchen psychopathologischen Zustand des Patienten in einer für ihn glaubwürdigen Weise übernehmen und nachvollziehen würde. Ein Beispiel dafür ist die Mitgespaltenheit zwischen seiner eigenen Unfä­ higkeit, die zerfahrene Sprache des Patienten zu verstehen, und seinem identifikatorischen Gefühl, dennoch alles, was beim Patienten vorgeht, zu begreifen. Aus der therapeutischen Symbiose entwickeln sich Zustände der gegenseitigen Transposition von Ich-Aspekten, symbolische Verdichtun­ gen und Verschiebungen also im transaktioneilen, interpersonalen Raum.' Die Erfahrung dieses kollektiven therapeutischen Unbewußten struktu­ riert die unabhängig voneinander funktionierenden Ichkerne des Patienten nach einer einheitlichen Matrix. 307

Die dualisierten psychopathologischen Erlebnisse werden in der Folge nicht nur gedeutet, sondern auch durch eigene Selbstmitteilungen, kon­ struktive Vorstellungen, schöpferische Phantasien angereichert und dem Patienten zurückgegeben, damit dieser im therapeutischen »Spiegel« eine neue, auf Werdensmöglichkeiten hin offene Auflage seiner Psychopatholo­ gie erlebt. Das psychopathologische Bild wird durch den Therapeuten in ei­ ner Weise »filtriert«, daß es trotz aller Spaltungstendenzen Merkmale der Ganzheit, der gegenseitigen Identifizierung mitten im Autismus, der Kommunikation im Transitivismus und in der Appersonierung bekommt. In der Psychopathologie wird die noch vorhandene, menschlich wertvol­ le, kreative Seite des Patienten über die deformierenden Prozesse wahrge­ nommen und angesprochen. So wie P r in z h o r n (1922) die Bildnereien sei­ ner Geisteskranken als Kunstdokumente erlebte, werden manche psycho­ pathologische Äußerungen als Wesensmanifestation einer radikalen Notsi­ tuation empfangen, als für den Psychotherapeuten kostbare Dokumente eines Innenlebens, in dem durchaus grandiose Symbole entstehen können. Daraus ergibt sich weniger eine Fixierung der Symptome als vielmehr die Fähigkeit, deren psychodynamisches Anliegen kommunikativer zu gestal­ ten. Gelegentlich entsteht dabei eine Gegenidentifizierung des Kranken mit dem Therapeuten, d.h. mit dessen kohärenten Ich. Intrapsychische Ko­ härenz wird also vom Kranken nicht nur über den Weg der rationalen Deu­ tung, sondern auch über die Introjizierung kohärenter Partnerobjekte voll­ zogen. Die Psychopathologie wird vom Therapeuten als zwar fehlerhafter, aber durchaus beachtenswerter Versuch eines Selbstentwurfes angehört: So erlebt er bisweilen die autistischen Wahngebäude auch als das ergrei­ fende Ergebnis jahrelanger »psychopathologischer Arbeit« des Kranken; dem verlieh auch S ea rles (1965) Ausdruck, als er auf die diesbezügliche Ausdauer und Phantasie des Patienten hinwies. In der Begegnung zwischen dem Kranken und einem sensiblen Psychia­ ter entwickelt sich oft eine Art »kommunikative Psychopathologie«, die ihr Medium gerade in den zerfahrenen Sprachausdrücken und in den autisti­ schen Symbolen des Patienten findet und diese nicht bloß auf rationale Formeln des Verstehens reduziert. Die eindrucksvollste Antwort des Kranken darauf manifestiert sich gele­ gentlich in der Entwicklung von »progressiven Symbolen« seines Leidens. »Progressiv« heißt wiederum, daß Symptome und Symbole ihre übliche Dimension der Maske, der Abwehr und der Entstellung mit derjenigen ei­ ner »Chiffre« von Mitmenschlichkeit teilweise austauschen. Der Kranke erlebt z. B. Halluzinationen, in denen er die Stimme des The­ rapeuten aus der Ferne hört, wie sie ihm eindrucksvolle Deutungen oder Anweisungen gibt; er entwickelt Wahnideen, bei denen er seinen Psycho­ therapeuten als ein Opfer der eigenen Psychose erlebt, aus der er ihn zu be­ freien versucht. Damit übernimmt er selbst therapeutische Daseinsqualität. Er deckt Transitivismus auf, über die er aber eigene Entwicklungsmöglich308

keiten an einem Partner wahrnimmt. Er durchlebt Symbiosen mit dem The­ rapeuten, in denen ursprünglich gefährliche Erlebnisse der Verschmelzung mit negativen Mächten eine mitmenschliche »Transkription« erfahren, so daß Ich-Entgrenzungen in einem dualen, ichkonstituierenden Rahmen neu gefaßt werden. Gedeutete Destruktivität kann, wenn sie auch vom Psychotherapeuten ausgetragen wird, beim Patienten Erleichterung auslösen, weil die destruk­ tiven Triebe, die ihn sonst überschwemmen, in lebensgeschichtlichen Zu­ sammenhängen »lokalisiert« und durch die milde Resonanz der Gegen­ übertragung in ein Ringen um Kommunikation verwandelt werden. Das alles ist wohl auch nur Analyse. Obschon hier von einer analytisch orientierten Psychotherapie die Rede ist, wäre das Bild denn doch zu einsei­ tig, wenn man die komplementäre Komponente der Analyse, die Synthese nämlich, dabei vergessen würde. Psychosynthese ist die ständige Verwandlung von Todessymbolen in Symbole des Lebens, der Hoffnung, der Zuversicht, der Zukunft, der Inte­ grierung, der Differenzierung, der Neugeburt, der Verwandlung, der Auf­ erstehung, der Dualität, der Ordnung und Vertiefung, des Personwerdens und der Identitätsbildung. Nun ist eine solche Arbeit allein schon aus zeitlichen Gründen nur in ei­ ner beschränkten Anzahl von Fällen indiziert. Ich nenne vier wichtige Vor­ aussetzungen zur Indikation: 1) Positive Motivation beim Kranken. 2) Mitarbeit der Familie oder mindestens eines wichtigen Familienan­ gehörigen. 3) Produktivität des Patienten in der Psychose, Reichtum an Symbolen, an psychologischen Verarbeitungen und an jenen Symptomen etwa, die E u g e n B le u l e r (1911) als »sekundär« bezeichnete, wobei er durch deren Schilderung die Psychopathologie mit einer psychologi­ schen Denkweise durchdrang. 4) Eine Gegenübertragung des Arztes, die ihm den Kranken nicht nur sympathisch und wesensverwandt erscheinen läßt, sondern die ihn vor allem befähigt, Aggressionen, negative therapeutische Reaktio­ nen, Stillstände im Verlaufe der Therapie ohne Resignation und ohne innere Abwehr zu ertragen. Eine Statistik der klinischen Erfolge muß bei der kleinen Anzahl der in­ dividuell behandelten Kranken und bei der Vielzahl der Setting-Variablen, wie Persönlichkeit des Psychotherapeuten, Erfolgsbegriff usw., unbefriedi­ gend ausfallen. Hingegen sind in den letzten zwei Jahrzehnten die Thera­ piemöglichkeiten durch neue Entwicklungen erweitert worden, die auch auf die Indikationsfrage ihre Auswirkung haben: Erstens hat die psychodynamische Dimension unseres ganzen psychiatri­ schen Tuns stark zugenommen. Es gibt heute eine Soziotherapie der Schi309

zophrenie, die sich unabhängig von jedem analytischen Wissen versteht. Aber die analytisch ausgerichteten Autoren haben ihrerseits ihre Psychodynamik der Schizophrenie und teilweise der Depression auch aufgrund von Familienforschungen weiterentwickelt. Nichts hätte hier näher liegen können, als die Familien selber in den psychotherapeutischen Prozeß ein­ zubeziehen. Dies geschieht auf sehr unterschiedliche Weise bei den bifokalen Therapien im Sinne S c h i n d l e r s (1957) bis hin zu den Therapien von Forschern, die wie S e lv i n i (1975), S t i e r l i n (1975) oder S p e r lin g (1982) gleich mehrere Familiengenerationen ins Gespräch einschließen. Die Behandlung des Kranken innerhalb seiner Familie setzt freilich be­ stimmte Indikationen voraus: a) Motivation der Familie; Bereitschaft der Familienmitglieder, die psy­ chotherapeutischen Spannungen auszuhalten. b) Eine Psychopathologie der Psychose, die auch eine psychodynami­ sche Familienstruktur der Gegenwart widerspiegelt und die nicht nur Hypothesen über die postnatalen Verhältnisse zuläßt. c) Eine für soziale Kommunikation offene, sich nicht allzusehr in ab­ struse autistische Symbole einkapselnde Psychopathologie, denn letz­ tere ist eher durch die Zweierbeziehung ansprechbar. d) Die gegenübertragungsmäßige Fähigkeit des Arztes, sich im Fami­ liengespräch wohlzufühlen und vor allem multiple Übertragungen aushalten zu können. Die Bedeutung der Psychotherapie der Schizophrenie läßt sich weniger an der Zahl der damit behandelten und geheilten oder gebesserten Patien­ ten messen, als vielmehr an ihrem Einfluß auf die Neurosentherapie und die Psychiatrie im allgemeinen. Dieser Einfluß wird für mich in folgenden Punkten sichtbar: 1. Im vertieften Wissen um anthropologische Aspekte der Schizophre­ nie, die vieles zur Entwicklung der humanistischen Psychiatrie beigetragen haben. 1972 stellte M a n f r e d B l e u l e r in »Psychiatrie der Gegenwart« fest, daß der wichtigste Anteil der modernen Schizophrenietheorie aus der psy­ chotherapeutischen Forschung stammt. 2. Die Psychoanalyse bei narzißtischen Neurosen (Kohut) übernimmt Gesichtspunkte, welche vor Jahrzehnten in der Behandlung von schizo­ phrenen Kranken erkannt wurden, so z.B. die Spiegelübertragung, jene Neigung des Kranken also, den Partner und Therapeuten als Teil seines Selbst zu erleben. In der Psychotherapie dieser neurotischen Patienten setzte sich die Einsicht durch, daß weniger die Analyse der Spiegelübertra­ gung als vielmehr die therapeutische Partizipation an ihr es dem Kranken erlaubt, eigene narzißtische Lücken am Therapeuten wie in einem Spiegel wahrzunehmen und in der Identifizierung mit ihm auszufüllen. B a l in t berichtet in seinen Arbeiten über die Regression und die dyadischen Verhältnisse in der Therapie von Patienten, die »tief gestört«, »tief310

gehend gespalten«, »schwer schizoid«, »hochgradig narzißtisch«, »mit ei­ nem zu schwachen oder unreifen Ich« ausgestattet sind und bei denen weni­ ger ein strukturierter neurotischer Konflikt als vielmehr eine »Grundstö­ rung«, ein »basic fault« vorliegt. Uber K o h u t hinaus entwirft B a l in t das Bild eines Psychotherapeuten, der sich wie die Erde und die Luft »brau­ chen« läßt. Wichtiger als die Deutung ist hier die Erfahrung der Objektbe­ ziehung, und wichtiger als die analytische Rekonstruktion ist ein »Neube­ ginn«, indem der Patient neu erkannt wird. Das geschieht jedoch in Sym­ metrieverhältnissen, denn »der Therapeut soll jederzeit bereit sein, mit sei­ nem Patienten zu regredieren«. Im Rahmen dieser kommunikativen IchPsychologie möchte ich auch W in n ic o tt nennen. 3. Eine weitere Bedeutung der individuellen Therapie der Schizophrenie liegt in den Impulsen, die sie der psychopathologischen Forschung gegeben hat. Die Psychotherapie der Psychosen einerseits und die Daseinsanalyse andererseits haben in den letzten Jahrzehnten das Anliegen der psychopa­ thologischen Forschung weitergetragen, wobei die Psychotherapie beson­ ders die Psychopathologie der Beziehung im Arzt-Patient-Verhältnis und die schöpferischen Komponenten derselben hervorgehoben hat. Sie hat uns aufgezeigt, wie das Entwicklungspotential des Kranken aus den Symbolen seiner Psychopathologie stammt, aus denselben Quellen also, die ihn sonst in Fesseln schlagen und entmenschlichen und die durch eine adäquate Be­ antwortung zu Trägern der progressiven Identität werden. 4. Eine vierte Bedeutung erlangt die Schizophrenietherapie in der Ent­ wicklung eines psychodynamischen Klimas in der psychiatrischen Klinik. Das geschieht bei uns in Basel, indem ich während des Semesters in mehre­ ren Seminaren mit den jungen Kollegen die psychodynamische Struktur zahlreicher schizophrener Patienten, die sie in der Klinik zu betreuen ha­ ben, bespreche. Es handelt sich dabei nicht um eigentliche Psychothera­ pien, vielmehr geht es um ein Verstehen der Kranken. 5. Eine letzte Bedeutung endlich dieser Psychotherapie eröffnet sich für mich in ihrem anthropologischen Horizont. Es werden hier Situationen wie Dualität, mitmenschliche Beeinflussung, Übernahme von Psychopatholo­ gie, Identifizierung, Gegenidentifizierung erlebt, untersucht und konzeptualisiert, Situationen, die als Bausteine zu einer Philosophie des Menschen in den Grenzsituationen seiner Existenz erscheinen. Vielleicht liegen hier die Wurzeln einer zukünftigen vertieften Anschauung des menschlichen Wesens im mitmenschlichen Engagement. Ich möchte dies noch auf etwas bescheidenere Weise auszudrücken ver­ suchen: Überall dort, wo der chronisch Kranke in der psychotherapeuti­ schen Betreuung nicht gesundet oder wo sich bei ihm nur eine langsame Besserung abzeichnet, überall dort, wo wir in unserer Gegenübertragung auch die Ohnmacht des Kranken erleiden und mit ihm teilen müssen, fühlen wir stets, daß ihm und uns eine Erfahrung des Menschlichen zuteil wird, die auch außerhalb aller klinischen Maßstäbe siedelt. 311

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Personenregister Adler, G. 136, 139 Adrian, E.D. 55 Arieti, S. 19, 24, 68, 95, 104, 292, 303 Arlow, s. A. 303 Artaud, A. 131 Azima, H. 185 Bach, H. 303 Bader, A. 27 Bahnt, M. 255, 310, 311 Barnes, M. 72, 190 Basaglia, F. 179 Bateson, G. 145, 302 Battegay, R. 304 Beese, F. W. 303 Behringer, K. 15 Beliak, L. 81 Benedetti, G. 18, 304, 305, 306 Berze, J. 15, 42 Binswanger, L. 15, 19, 22, 31, 151, 303 Bleuler, E. 13, 14, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 26, 27, 31, 35, 41, 53, 68, 76, 81, 95, 104, 121, 222, 240, 309 Bleuler, M. 5, 14, 15, 21, 22, 23, 27, 30, 31, 41, 42, 148, 310 Bosch, H. 80 Boss, M. 304 Boyer, L. B. 303 Cameron, N. 68, 95 Cerletti, U. 28 Conrad, K. 15, 16 D ’Alfonso, L. 306 Dante, A. 230 Deschamps 18 De Unamuno, M. 52, 287 Domarus, E. 95 Ey, H. 18, 22, 31 Fairbairn, W .R.D. 77, 196, 283 Fedem, P. O. 18, 68, 76, 78, 81, 95, 162, 179 Feer, H. 93 Ferenczi, S. 298 Fliess, R. 172 Freud, A. 26 Freud, S. 24, 25, 27, 28, 49, 58, 65, 75,

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78, 79, 81, 82, 104, 130, 177, 195, 215, 221, 293, 296, 303, 307 Fromm-Reichmann, F. 76, 100, 184, 278, 304 Gebsattel, v. E. 19, 215 Gruhle, H.W. 15 Guiraud, P. 18 Haley, S. 145 Hecker, E. 13 Helmholtz, A.L. F. 80 Hegy, J. 306 Hoch, P. H. 23 Huber, G. 15, 28 Hume, D. 148 Isotti, M. 5, 192, 266, 305 Jackson, D. 145 Jakobson, E. 77, 89, 195 James, W. 80 Janet, 22 Jaspers, K. 14, 17, 22, 94, 212 Johannsson, A. 5 Jung, C G . 76, 78, 121, 209, 301, 303 Kahlbaum, K. L. 13 Kant, I. 93 Kernberg, O. 77, 136, 137, 138, 172, 234, 236 Kisker, K. P. 15 Klaesi, J. 21, 22, 26, 304 Klein, M. 78, 136, 137, 138, 171, 181, 182, 195, 234, 303 Kohut, H. 28, 175, 215, 238, 247, 310, 311 Kraepelin, E. 13, 41 Kretschmer, E. 14, 16 Kuhlenkampff, C. 15 Lacan, S. 111 Laing, R. D. 146, 185, 298 Leopardi, G. 164 Lewin, K. 15 Lidz, Th. 85, 146, 302 Lugaro, E. 28 Lutz, J. 14

Maffei, G. 111 Magritte, R. 66 Mahler, M. 56, 57, 81, 89, 90, 91 f, 104, 106, 137, 142 f, 195, 278, 302 Masterson, S.F. 136, 137 Matte Blanco, I. 96 Mayer-Gross, W. 28 Mc Kay, D.M. 58 Medri, G. 305 Minkowski, E. 22, 28, 41 Morelli, R. 306 Morris, G.O. 147 Müller, Ch. 22, 301 Müller, M. 22 Navratil, L. 27

Schneider, K. 14, 15, 16, 28, 31, 36 Schultz-Hencke, H. 76 Searles, H.F. 24, 40, 102, 146, 179, 180, 181, 182, 186, 188, 209, 236, 292, 305, 306, 308 Sechehaye, M. A. 76, 181, 185, 292, 304 Selvini, M. 310 Shakow, D. 80 Shapiro, E. 136, 138 Siirala, M. 5, 193, 222 Slavson, S.R. 258 Spitz, R. 137, 172, 195, 278 Steck, H. 31 Stierlin, H. 151, 302, 303, 310 Stranski, E. 15, 18 Sullivan, H.S. 24, 76, 292, 303, 304

Pankow, W.G. 303 Pirandello, L. 52 Ploker, J.H. 27 Polatin, Ph. 23 Portmann, A. 123 Prinzhorn, H. 27, 308

Tacitus, C. 121 Tanzi, E. 28 Tausk, V. 57, 78, 144, 231 Tienari, P. 148 Trakl, G. 85 Tsukiyama, K. 122 Watzlawick, P. 145, 305 Weizsäcker, V. von 307 Wernicke, C. 17 Will, O. A. 305 Wing, J.K. 16 Winkler, W.Th. 22 Winnicott, D.W. 105, 138, 196, 220, 221, 283, 311 Wynne, L.C. 16, 40, 95, 128, 146, 147, 148, 179, 302 Wyrsch, J. 22

Rado, S. 287 Rapaport, D. 296 Reich, A. 172 Reichardt, 15 Rilke, R.M. 161, 178, 287 Rinsley, D.B. 136 Rosen, J.N. 181, 237, 292, 303 Rosenfeld, H. 18, 77, 137, 171, 181, 188, 302, 303 Rosenthal, D. 148 Rubins, J.L. 22 Rümkc, H.C. 175

Yoshi, N. 122

Scharfetter, Ch. 5, 15, 18, 28, 29, 30, 39, 80, 301, 306 Schindler, R. 22, 310 Schneider, C. 15, 19, 192

Ziehen, 17 Zinner, S. 136, 138 Zutt, J. 15, 16 Zülboorg, 133

321

Sachregister Abwehr (s. auch Wehrlosigkeit) 23, 24, 26, 30, 46, 47, 48, 50, 51, 56, 57, 59, 63, 69, 72, 77, 78, 89, 90, 91, 92, 93, 99, 101, 106, 107, 108, 111, 115, 116, 117, 120, 130, 131, 136, 138, 140, 163, 165, 171, 180, 189, 192, 202, 203, 219, 223, 227, 233, 234, 238, 255, 258, 261, 263 ff, 274, 278, 281, 284, 298, 300, 303, 304, 306, 307, 308, 309 Abwehrmechanismen 26, 47, 56, 72, 76, 98, 136, 137 Aggression (Aggressivität, Aggressor) 22, 46, 54, 55, 62, 63, 78, 83, 89, 90, 99, 109, 120, 128 ff, 136, 137, 138, 139, 176, 179, 182, 186, 200, 202, 203, 205, 206, 208, 209 f, 212 f, 221, 231 f, 240 ff, 242 f, 245, 246ff, 251 f, 252, 256, 262, 267f, 272f, 285, 300f, 306, 307, 309 Agieren 129, 139, 206, 209, 233, 238, 278, 280, 305, 307 Agitation 19, 28, 30 Aktivitätshaushalt, Störung im 15, 28 f, 42 Als-Ob-Kommunikation 51 Ambivalenz 20, 26, 30, 46, 61, 62, 95, 97, 121 ff, 152, 155, 186, 188, 224, 244, 260, 268, 281, 293 Amnesie, hyteriforme 49 Animierung 91 f, 108 Anorexie 59, 60, 63, 134, 135, 216f Appersonierung 19, 20, 26, 40, 53, 67, 99, 143, 182, 194ff, 305, 306f Arbeitsbündnis 263, 275 Arousal 79 Arteriosklerose 141 Assoziationsstörung 21, 35, 68, 81 Ataxie, intrapsychische 15, 18 Athymie 28 ff, 42, 62 Autismus 15, 18f, 21, 2 2 ff, 28, 31, 32, 33, 34, 35, 37, 39, 41, 42, 46, 47, 53, 55, 56, 57, 74, 81, 86, 94, 95, 97, 125, 138, 160, 161, 163, 165, 179, 181, 183, 184, 189, 195, 202, 204, 216, 219, 220, 228, 239, 248, 257, 261, 264f, 269f, 274, 280, 283, 284, 295, 297 f, 304 f, 308, 310

Beeinflussungsapparat 57, 144 Bildnereien, schizophrene 27, 308 Borderline (s. Grenzpsychose)

322

Consensual validation 24 Daseinsanalyse 303, 311 Deanimierung 57, 60, 91 f, 242, 270 Defektheilung 287 Dementia praecox (s. auch Praecox-Gefühl) 13 Demenz 13, 14, 27, 41, 46, 82 Deneutralisation 89, 90 Denkstörung 152, 153, 222 Depersonalisation 18, 29, 39, 41, 48, 67 ff, 88, 90, 130, 133, 153, 179, 181, 202, 223 ff, 285 f, 303 Depression 63, 91, 114, 125, 130, 133, 134, 177, 272 ff, 310 Depression, Larvierte 134 Derealisation 67 ff, 170, 304 Desintegrierung 20, 47, 50, 63, 72, 74, 85, 90, 143, 159, 163, 166, 183, 213, 217, 218, 225, 232, 257, 285, 295, 296, 298f Desorganisierung 20, 70, 73, 75, 85, 87, 96, 98, 101, 142, 159, 223, 255, 295 Destrukturierung 49, 66, 70, 81 f, 129, 164, 204 Determinismus 58, 59, 88, 93, 122, 123, 131, 191, 207, 226 Deutung (Intervention) 50, 100, 120, 126, 130, 165, 167, 169 f, 172f, 181, 182, 185, 188, 189, 191, 192, 205, 206f, 212, 215 f, 221 f, 224, 225, 227, 237, 238, 239, 242, 249f, 255f, 263f, 270, 271, 272, 273 f, 291 f, 297 f, 302, 303 f, 306, 308, 311 Devitalisierung 28, 29 f, 36 Dissoziierung 49, 66, 76, 77, 134, 230, 258, 267 Doppelte Buchführung 14, 26, 240 Double bind 145, 302 Dualität 26, 28, 40, 41, 55, 60, 75, 133, 151, 163, 169, 176, 183, 196, 201, 202, 204f, 212, 214, 216f, 220f, 226, 227, 229, 231, 232, 235 f, 248, 257, 258, 262, 267, 269 f, 273, 280, 297 f, 302 f, 305 f, 309, 311 Echolalie 102, 127 Echopraxie 39 Empathie 55, 57, 58, 69, 97, 110, 142, 154, 172, 182, 193, 199, 202, 218, 230, 236, 251, 252, 271, 293

Endogenität 23, 34, 35, 143 Energetisches Potential 15 Englische (psychoanalytische) Schule 77, 181 Entdifferenzierung 14, 37 f, 159 Enterozeptive Sensationen 91 Entfremdung 36, 88, 99, 153, 166, 183, 203, 244, 303 Es, das 80, 81, 82, 84, 89, 109, 130, 131, 138, 293, 302 Exhibitionismus 113, 22 l f Existenz, negative 18, 33, 34, 46, 4 8 ff, 71, 72, 89, 115, 127, 131, 159, 166, 169, 177, 186, 187, 188 ff, 216, 218, 224, 240, 241, 242, 244, 245, 257, 287 - Leih-Existenz 52f, 169, 201, 216, 269 - Spiegelexistenz (s. Spiegelbeziehung) - Superexistenz (s. auch [Größen-]Wahn) 33, 34, 64, 66, 111, 116, 241, 256 Familiendynamik 45, 51, 73, 140, 148, 151, 202, 204, 256, 279, 286 Familienforschung 76, 310 Familiengespräch, amorphe oder fragmen­ tierte Aufmerksamkeitsleistungen im 302 Faseln 19 Fetisch 105, 106 Flexibilitas Cerea 39 Folie à deux 196 Fragmentierung 17, 20, 38, 48, 49, 60, 62, 63, 73 f, 77, 82, 87, 88, 96, 103, 105, 106, 111, 114, 146, 147, 152, 156, 159, 168, 169, 180, 183, 184, 202, 203, 223, 234, 237, 250, 259, 264, 265, 285, 293 f, 297 f Frigidität 62 Gedankenabreißen 222 Gedankendrängen 39 Gedankenentzug 37 Gegenübertragung 22, 40, 47, 48, 65, 97, 140, 151, 172, 178 f, 192, 193, 198, 199, 209ff, 229, 231, 233, 236, 242, 243, 254, 268, 278, 279, 280, 282, 303, 309, 310, 311 Gesellschaftliche Strukturen 179, 202, 204, 256, 300 Gestaltanalyse 15 Grenzpsychose (Borderline) 46, 49, 59, 60, 61, 65, 78, 82, 84, 86, 87, 98, 105, 119 133 ff, 136f, 166f, 170, 172, 201, 216, 217, 218, 221, 222, 237, 265, 287, 289, 300

Grimassieren 38, 74 Grundstörung 15, 144, 187, 311 Gruppentherapie 304 Halluzination 30, 36ff, 57, 66, 87, 91, 93, 95, 113, 125, 126, 144, 173, 179, 196, 209, 21 lf, 227ff, 251, 252, 253, 264, 268, 273, 299, 300, 306, 308 Halluzination, negative 17, 87, 114 f Hebephrenie 13, 74, 163, 202, 231 Holding environment 138 Homosexualität 107, 117, 119, 135, 136, 159, 251 f Hypobulie 38 Hypochondrie 91, 134 Hypotonie des Bewußtseins 15 Hysterie 49, 114, 119 Ich-Aktivität 15 Ich-Anachorese 22 Ichauflösung 23, 49, 50, 73, 81, 87, 89, 96, 106, 111, 117, 131, 153, 160, 167, 170, 171, 181, 189, 200, 203, 206, 218, 281, 286, 292, 294 Ich-Demarkation 18 f, 302 Ichentgrenzung 17, 18 f, 21, 67, 78, 103 f, 143, 305, 309 Ich-Grenze 18 f, 52, 68, 95, 110, 160, 162, 164, 166, 179, 187, 214, 288 Ich-Identität 15 Ich-Konsistenz 15, 39, 80, 165, 201, 302 Ich-Psychologie 75, 311 Ichschwäche 16, 17, 55, 80, 81, 101, 217, 260 Ichspaltung 17 f, 48, 62, 67, 73, 111, 188, 234, 291, 296 Ichverlust 67, 76, 101, 115, 134, 135, 141, 152, 153, 159, 160, 167, 168, 177, 224f, 258, 268, 291 Ich-Vitalität 15 Ichvollzug 17 Ichzerfall 49, 69, 73, 74, 88, 101, 218 Idealisierung, primitive 136 Identifikation, transitorische 172 Identifizierung, introjektive 58 Identifizierung, projektive 18, 58, 68, 77, 78, 111, 136, 137, 138, 238, 303 Identität, gespaltene 17 f Identität, negative 48 f Identität, parasitäre 54, 247 Identitätskonfusion 95, 96, 98, 99, 100 f, 102, 105, 154, 160, 176, 177, 188, 195, 203, 286, 295, 297 Identitätsstörung 29, 33, 143, 302

323

Indikation 309f Individuation 114, 137, 143, 184, 209, 277 Instinkt 123 Intentionaler Bogen 15 International Classification of Disease 16 Intervention (s. Deutung) Introjektion (Introjekt) 19, 20, 47, 51, 52, 64, 78, 91, 97, 98, 102, 108, 109, 128, 129, 130, 149, 155, 171, 178f, 181, 186, 192 ff, 195, 198, 199, 202, 220, 224, 23 lf, 236, 242, 243, 257, 265, 272, 278, 286, 296, 297, 299, 305, 307, 308 Irrationalität, Transmission von 302

Katamnestische Untersuchungen 290 Katathymie 34 Katatonie 13, 18, 30, 32, 38, 74, 89, 108, 163, 202 Kausalitätsdenken 57, 92, 148 f, 190, 224, 294 Koenästhetische Empfindungen (s. auch Leiblichkeit) 87, 90f, 113, 131, 144, 251, 258 Kohärenzverlust 17, 18 f Kommunikationsphänomene, präverbale 47 Komplex 36, 51, 63, 66, 86, 164, 165, 255, 294, 296 Konkretisierung 19, 24 f, 58, 59, 104 f, 208, 21 lf, 264 Konsistenzverlust 18 Konstitutionsforschung 16 Kontaminierung 19, 24f, 27, 68, 101, 177 Konversion 23 Körper (s. Leiblichkeit) Körperdiffusion 87 Körperselbstrepräsentanz 86, 91, 113, 134, 214

Leiblichkeit (Körper, Somatisierung; s. auch koenästhetische Empfindungen und Körperselbstrepräsentanz) 18, 38 f, 52, 63, 70, 71, 84 ff, 104, 113, 130, 132, 134f, 143, 170, 202, 214, 216f, 230f, 264, 285, 289, 303 Leih-Existenz (s. Existenz) Liebesbeziehung, primäre 255 Liebesphantom 112 f Logik, aristotelische 196 Lustprinzip 131, 132

324

Manierismus 38 Masochismus 56, 82, 83, 84, 242 Metabolismus, interpsychischer 198ff, 217, 269, 306 Metapsychologie 89, 130, 143, 168, 172, 188 Mikrographie 39 Mikropsychose 286 Mischpsychose 63 Musiktherapie 303 Mutismus 26, 281 Mystifikationskonzept 146 Narzißmus 24, 26, 28, 49, 136, 138, 144, 161, 178, 195, 215, 221, 236, 247, 274, 280, 281, 291 f, 301, 310, 311 Negativismus 26, 28, 30f, 38,121 ff, 189, 202, 203, 212, 263, 281 Neoideogramm 68 Neologismus 19, 68, 131, 259 Neomorphismus 19, 68 Nervensystem, zentrales 123 Neurophysiologie 15, 123 Neuropsychologie 79, 122, 289 Neurose 19, 20, 21, 23, 47, 51, 57, 59, 62, 63, 64, 66, 72, 75, 76, 77, 81, 82, 84, 87, 89, 91, 98, 99, 100, 101, 107, 109, 115, 116, 117, 121, 125, 129, 130, 133, 134, 135, 152, 164, 167, 168, 169, 170, 178f, 190, 198, 199, 206, 207, 209f, 215, 222f, 228, 229, 234, 255, 258, 262, 264, 282, 284 f, 290, 294 f, 298, 303, 310, 311 Neurose, narzißtische 75, 111, 238 Neutralisation 89, 109, 176, 197, 230, 2 3 lf, 252f, 277 Nicht-Existenz (s. Existenz, negative) Normal illness 196 Nymphomanie 114 Objekt - Teilobjekt 59, 74, 136, 138, 139, 183, 184, 234, 235, 237, 252, 274, 286 Objektivierung, schizophrene 55 f, 59 Oriment 123 Osmose 204 ff Overinclusion 68, 95, 240, 297, 298 Parakausalität 92, 93, 94 Paralyse, progressive 141 Paranoia 13, 107 Paranoid 13, 29, 74, 90, 107, 109, llOf, 182, 184, 230, 231, 237, 239 Parathymie 31, 33

Partizipation 47, 48, 60, 61, 70, 97, 176, 188, 202, 230, 270, 271, 279, 292, 301, 310 Passivierung 28 f Passivität 28 f Penisneid 62 Persekution (s. Verfolger) Persona 209 Personalisation 18, 226 Phantasmus 196, 197, 209, 272 Phobie 23, 57, 119, 222 Physiognomisches Verständnis der Schi­ zophrenie 41, 73, 149f, 225, 277 Position, depressive 138 Position, schizoid-paranoide 136, 234 Postpsychotisch 101, 284 ff Praecox-Gefühl (s. auch Dementia praecox und Demenz) 175 Präpsychose 14, 21, 61, 62, 78, 82, 98, 148, 153, 155, 161, 258, 294 Projektion 18, 19, 20, 23, 30, 37, 51, 57, 61, 64, 70, 75, 77, 78, 85, 90, 94, 98, 99, 105, 107, 108, 120, 136, 137, 138, 139 f, 143, 144, 151, 154, 169, 173, 177, 180 f, 195, 198, 202, 206, 207, 211, 219, 222, 229f, 237f, 241, 242, 252 f, 264, 294, 295, 298, 300, 302, 306, 307 Propiozeptive Reize 90 Prosopoagnosie 72 Prozesse, primäre 25, 27, 52, 199, 307 Prozesse, sekundäre 28, 52, 105, 199 Pseudomutualität 16, 51, 128, 302 Psychoanalytisches Denkmodell 75, 205, 234, 303 Psychohygiene 288 Psychoorganisches Syndrom 86 Psychopathologie, kommunikative 201 Psychopathologie, psychoanalytische 16 Psychosoziale Implikationen 289f

Raptus 20, 39, 58, 89 Räumlichung 40 Realitätsprinzip 89 Regression 24, 40, 66, 74, 77, 90, 91, 128, 136, 139, 143, 167, 168, 172, 208, 266, 277, 288 f, 298, 305, 307, 310, 311 Reifikation 59f., 117, 153, 183, 184, 185, 247 Remission 23 Reparative Tendenzen 124 Restitution 94, 211 Rollenkonfusion 95

Schatten 209, 255 Schizoidie 14, 55, 56, 167, 311 Schizophrenia simplex 31 Schizophrenie, ambulatorische 133 Schizophrenie, amorphe 40, 95, 147 Schizophrenie, fragmentierte 40 Schizophrenie, pseudoneurotische 15, 23 Schizophrenien, Gruppe der 13 Schizothymie 16, 55 Schwarzes Loch 51 Sejunktion 17 Selbst, das grandiose 110f, 175, 215, 238, 239, 247 - Teilselbstrepräsentanz 105 Selbstdestruktivität 30, 46, 99, 109, 110, 128ff, 134, 170, 216, 242ff, 260, 266, 274 f, 282, 297 Selbstverlust 30, 34, 56, 133, 134, 271 Sexualität 102, 113, 117, 146, Ì97, 198, 209, 221 Skotomisierung 73, 89, 92, 193, 235 Somatisierung (s. Leiblichkeit) Sozialisierungsprozeß 56, 183, 248, 277, 297 Soziotherapie 303, 309 f Spaltungsirresein 13 Sperrung 18, 222 f Spiegelbeziehung (Spiegelexistenz) 135, 175, 247, 277, 293, 307f Spiegelübertragung 175, 178, 247, 310 Splitting 77, 136, 238 Statistik 290, 304, 309 Stereotypie 26, 30, 38, 39, 74, 273 Stupor 19, 30, 32 Sublimierung 89, 90, 109, 170, 175, 237, 239, 306f Suizid 21, 84, 114, 128 ff, 244, 250, 266, 270, 271, 274, 288 Superexistenz (s. Existenz) Symbiose 34, 36, 64, 97, 101, 125, 137, 142, 143, 144, 161, 166, 176, 178, 181, 187, 206ff, 214, 230, 232, 244, 252, 253, 261, 271, 275f, 292, 302, 305, 306f Symbolik, schizophrene 24, 102 ff, 106f, 121, 142, 192, 253, 292, 295f, 297f, 305, 308 Symbolische Wunscherfüllung 181, 185, 232, 242, 245 ff, 279, 292, 299, 304, 306 Symptome, akzessorische 31, 36 Symptome ersten Ranges 15 Symptome, primäre 13, 14 f, 16 ff, 22, 31 ff, 42

325

Symptome, sekundäre 13, 14, 23, 33, 34, 41, 309 Symptomverbände 15 Systemtheorie 303 Technik 45, 118, 185, 201, 209, 290, 291 Telerezeptor 91 Therapeutische Ergänzung 282 f Todeslandschaften 6, 51 f, 160, 204, 227 Todestrieb 84, 131, 133, 231, 243 Transaktionalismus 145 f, 303, 307 Transitivismus 19, 20, 25, 26, 32, 37, 40, 67, 68, 78, 99, 143, 181, 182, 194ff, 303, 305, 306 f Traum 24, 25, 27, 49, 60, 61, 62, 64, 66, 78, 86, 87, 97, 105, 111, 112, 134, 150, 161, 167, 172 f, 180, 182, 186, 196, 197, 198, 199, 201, 204f, 214, 223, 237, 238, 247, 249ff, 255, 261, 265, 267 f, 271, 272, 274 f, 278, 281 f, 285, 300, 302, 305, 306 Trieb 17, 23, 28, 47, 62, 75, 89, 90, 109, 113, 116, 117, 119, 120, 122, 138, 179, 205, 208, 209, 210, 215, 231 f, 236, 252, 280, 299, 304, 309 Umkehrübertragung 258, 277 Unbewußte, das 25, 27, 47, 49, 51, 66, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 86, 94, 97, 98, 100, 101, 102, 105, 107, 112, 113, 122, 123, 129, 130, 138, 139, 151, 154, 166, 171, 172 f, 179, 181, 182, 186, 189, 193, 198, 201, 202, 204 f, 209, 210, 215, 219, 220f, 226, 229, 230, 231, 232, 236, 242, 244, 25 lf, 255, 257, 267, 269, 271, 272, 273, 275, 277, 280f, 293 f, 299, 300f, 302 f , 305, 306f Ubergangsobjekt 64, 105, 196 ff, 217, 243, 283 Oberich 17, 19, 64, 75ff, 96, 109, 132, 155, 195, 205, 224, 275, 2 8 lf, 302 Uberich-Intropression 298 Übertragung 42, 46, 49, 51, 58, 59, 60, 75, 76, 96, 97, lOOf, 119, 128, 154, 160, 165, 178 f, 192, 197, 199, 204, 2 0 6 ff, 215 f, 229, 230, 233, 234, 235, 238, 239, 249, 252, 258, 265 f, 267 f, 276, 277, 280, 282, 291 f, 310 Ubertragungspsychose 183, 307 Verbigeration 30 Verdrängung 51, 75, 76, 77, 78, 111, 115,

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129, 130, 136, 137, 224, 234, 249, 254 ff, 264, 268, 284 Vererbung 141, 148f, 179, 299 Verfolger (Verfolgung, Persekution) 29, 58, 77, 78, 79, 82, 89, 91, 92, 99, 107, 109f, 116, 117, 119, 149, 173, 186, 203, 223, 227, 229f, 237, 243, 245, 2 5 lf , 254, 262, 265, 267, 283 Verhaltenstherapie 303 Verletzung der Generationengrenze 302 Vitalitätskurve, Knick in der 15 Vorbewußte, das 75, 7 9 f, 238 Wahn (Wahnidee, wahnhaft, Wahnstim­ mung, etc.) 18, 19, 20, 23, 26, 27, 30, 31 ff, 53, 54, 57, 63, 77, 78, 88, 92, 93, 94, 106 ff, 121, 137, 140, 141, 144, 149, 164, 165, 166, 169, 173, 177, 178, 178f, 200, 202, 203, 204, 210, 21 lf, 216, 226f, 2 2 9 ff, 240, 241, 245, 248, 253, 262, 264, 272, 278, 284, 294, 296, 299, 305, 306 f, 308 - Bedeutungswahn 32, 34 - Beeinflussungswahn 29, 34, 55 f, 81, 159, 2 26ff, 269, 271 - Beziehungswahn 15, 34, 159, 165, 167, 216, 268, 306 - Ekstatisch-religiöser Wahn 114 f - Größenwahn (s. auch [Super-]Existenz) 34, 256 - Liebeswahn 112 f - Verfolgungswahn (s. auch Verfolger) 34, 109 f Wahrnehmungsstörung 86 Wehrlosigkeit, schizophrene (s. auch Ab­ wehr) 16, 93, 106f, 116f, 125, 139, 165 Widerstand 100, 119, 169, 172, 181, 183, 184, 222, 228, 237, 238, 240, 262, 263f, 276, 281, 282, 290f, 297f, 301, 304 Wiederholungszwang 208, 280, 282 World-Health-Organisation 16 Wortgrenzen, Verwischung der 95 Zerebropathische Syndrome 86 Zerfahrenheit 18, 21, 24, 42, 68, 95, 177, 305, 307, 308 Zerrissenheit der Welt 17 Zürcher Schule 16 Zwang (s. auch Wiederholungszwang) 23, 37, 57, 62, 67, 77, 84, 135, 154, 196, 203, 221, 238, 273, 276

Gaetano Benedetti bei V&R Botschaft der Träume

Bernd Rachel (Hg.)

Unter Mitarbeit von Elfriede Neubuhr, Maurizio Peciceia und J. Philip Zindel. 1998. 297 Seiten mit 11 Abbildungen, kartoniert. ISBN 3-525-45803-7

Begegnung mit Gaetano Benedetti

„Das Welt- und Menschenbild des Ver­ fassers schimmert nicht nur durch die fachlichen Aussagen dieses Buches hin­ durch; es trägt maßgeblich zu dem Fundament bei, das diesem Werk sein ungewöhnliches Gewicht verleiht! Darum ist diesem Buch ebenso unter psychotherapeutisch engagierten Ärz­ tinnen und Ärzten, Diplom-Psychologen/-innen wie auch interessierten Theologen und Pädagogen große Ver­ breitung zu wünschen. Die Lektüre wirkt stellenweise geradezu faszinie­ rend ... Wer sich schon mit Träumen befaßt hat, wird durch dieses Buch an­ geregt und bereichert; bei Skeptikern müßte eine aufmerksame Lektüre je­ denfalls den bis dahin gehegten Zweifel durch lebhaftes Interesse ersetzen!“

Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt

Psychotherapie als existentielle Herausforderung Die Psychotherapie der Psychose als Interak­ tion zwischen bewußten und unbewußten psychischen Vorgängen und zwischen imagi­ nativ bildhaftem und einschichtig begriffli­ chem Denken. 2. Auflage 1998. 277 Seiten mit 58 s/w Abbildungen und 3 farbigen Abbildungen auf Kunstdruck, kartoniert ISBN 3-525-45742-1

„Das Buch beeindruckt vor allem in dem tiefen Wissen um die psychotische Welt und in dem angstfreien Sich-darauf-Einlassen.“ Soziale Psychiatrie

Die Kunst des Höffens 2000.180 Seiten mit 25 Abbildungen, gebunden. ISBN 3-525-45871-1

Schüler und ehemalige Mitarbeiter Gaetano Benedettis, die sich sein Den­ ken für ihre klinische Arbeit erschlos­ sen haben, zeigen in ihren eigenen Zugangsweisen den Reichtum seines Werkes und seiner Persönlichkeit. Verwurzelt in verschiedenen Kulturräu­ men, machen sie die breitgespannte Geisteswelt deutlich, aus der Benedetti schöpft und in der er wirksam ist - das humanistische Abendland mit weiter Ausstrahlung. „Das Buch atmet ein Verständnis und eine Verbundenheit mit schwerer psy­ chischer Krankheit, das für Angehöri­ ge, für Professionelle wie für interes­ sierte Laien neue Anregungen und dem mit der Materie Vertrauten Hinweise auf die überaus komplexe Geschichte der Psychosentherapie in der Geschich­ te von Psychoanalyse und akademi­ scher Psychiatrie vermitteln kann.“

Publik-Forum M it Beiträgen von

Lilia dAlfonso Gaetano Benedetti Alice Bernhard-Hegglin Patrick Faugeras Maurizio Peciccia

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„Nicht verspotten, nicht betrauern, nicht hassen, sondern verstehen" (Spinoza) Luc Ciompi

Alice Bernhard-Hegglin Die therapeutische Begegnung

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Psychodynamik und Therapie affektiver Störungen 3. Auflage 2001.206 Seiten mit 5 Abbildun­ gen und 3 Tabellen, kartoniert ISBN 3-525-45775-8

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Vandenhoeck &.Ruprecht